Gesamtes Protokol
Meine Damen und Herren! Ich eröffne die 190. Sitzung des Deutschen Bundestages und bitte den Herrn Schriftführer, die Namen der entschuldigten Abgeordneten bekanntzugeben.
Der Präsident hat Urlaub erteilt für zwei Tage den Abgeordneten Neumann, Brandt, Vesper, Lemmer, Dr. Dr. Nöll von der Nahmer, Mayer und Dr. Kopf.
Entschuldigt fehlt der Abgeordnete Dr. Horlacher.
Ich rufe auf den Punkt 1 der Tagesordnung:
Entgegennahme einer Erklärung der Bundesregierung.
Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die heutige und morgige Aussprache ist veranlaßt durch Anträge der Föderalistischen Union und der Freien Demokratischen Partei. Diese Anträge dürften wohl den Kreis der Erörterungen, die wir in diesem Hause zu pflegen haben, umgrenzen und abgrenzen.
Ich betone das — und werde noch darauf zurückkommen — deshalb, weil es darauf ankommt, dem Bundestag und durch den Bundestag dem deutschen Volke, der deutschen Öffentlichkeit, aber auch der ausländischen Öffentlichkeit die hauptsächlichsten, die entscheidenden Probleme,. um die es sich handelt, klar zu zeigen und die Bedeutung der ganzen Angelegenheit nicht unter einer Fülle von Einzelheiten verschwinden zu lassen.
Meine Damen und Herren! Vor einigen Tagen hat der britische Außenminister Mr. Eden im Unterhaus bei der Debatte über die Außenpolitik der britischen Regierung eine Rede gehalten, in der er sich auch mit den europäischen Schwierigkeiten beschäftigt hat, mit den Schwierigkeiten, die augenblicklich besonders sichtbar geworden sind. In dieser Rede hat er ausgeführt, daß es sich sowohl um Deutschland als auch um Frankreich und damit auch um Europa, daß es sich um wahrhaft historische Stunden und historische Fragen handele.
Ich fahre dieses Beispiel für die Bedeutung unserer Debatte an, um Sie zu bitten, daß wir alle miteinander ihr auch den Rahmen und die Form geben, die der Bedeutung der Angelegenheit und unserer gemeinsamen Verantwortung vor dem deutschen Volke entsprechen.
Heute und morgen finden die Debatten über den gesamten Fragenkomplex hier im Bundestag, am Freitag — also morgen — und nächsten Montag eine ähnliche Debatte im französischen Parlament statt. Auf diese Debatten — auf die Aussprache bei uns und auf die Debatte in Frankreich — konzentriert sich in Wahrheit diesmal die gesamte Weltöffentlichkeit, weil die Stellungnahme der beiden Länder entscheidend sein wird nicht nur für ihre Zukunft, sondern darüber hinaus für Fragen, die alle Europäer und alle westlich Orientierten und auch die östlich Orientierten angehen.
Wir sind nicht in der Lage — ebensowenig wie Frankreich —, den Parlamenten fertige Verträge vorzulegen, zu denen diese ja oder nein zu sagen hätten. Aber die Verhandlungen über solche Verträge haben doch immerhin einen Stand erreicht, der es den Parlamenten möglich macht — ohne zu den Einzelheiten Stellung zu nehmen —, über die Prinzipien, die den Verhandlungen zugrunde liegen, zu befinden. Keine Regierung kann jetzt, wie ich glaube, eine endgültige Entscheidung treffen, ohne zu wissen, ob sie die Mehrheit des Parlaments bei ihren fortzusetzenden Verhandlungen hinter sich hat.
Bei uns versucht man schon seit geraumer Zeit die Volksleidenschaften zu erregen
und durch diese Erregung die Entscheidung der Parlamente zu beeinflussen.
Lassen Sie mich eine Zwischenbemerkung an diese äußerste Linke richten. Ich glaube, daß diese Debatte auch für das Land, das Ihnen so besonders am Herzen liegt, von sehr großer Bedeutung ist
und daß es sich auch für Sie empfiehlt, diese folgenschwere Debatte mit Ruhe anzuhören, die auch Sie sich, wenn auch mit einer gewissen Gewalt, aneignen können, wenn Sie nur wollen.
Ich wiederhole, meine Damen und Herren: Man versucht bei uns — aber nicht nur bei uns, auch, wie mir scheint, in Frankreich —, die Volksleidenschaften zu erregen und durch diese Erregung die Entscheidung der Parlamente zu beeinflussen. Ich halte ein derartiges Beginnen für gefährlich und verantwortungslos.
Wie leicht es ist, Volksleidenschaften zu entfesseln und aufzuputschen, hat doch gerade uns Deutschen Hitler und der Nationalsozialismus gezeigt.
Zu welch furchtbaren Katastrophen es führen kann, wenn man etwas Derartiges tut,
das haben wir doch alle miteinander schaudernd erlebt. Darum bitte ich Sie, meine Damen und Herren, die ganzen Fragen, die uns beschäftigen, mit allem Ernst, mit aller Sachlichkeit, ja, meine Damen und Herren, lassen Sie mich sagen: mit aller Kaltblütigkeit und nüchternen Überlegung — —
— Herr Präsident, ich bitte mir für Ausführungen, die für das deutsche Volk und für das Leben von Millionen Menschen von entscheidender Bedeutung sind, unter Aufwendung Ihrer ganzen Machtbefugnisse in diesem Hause die Ruhe und die Achtung zu schaffen, auf die ich Anspruch habe.
Das Wort hat der Herr Bundeskanzler. Meine Damen und Herren, wir haben eine Redezeit von 12 Stunden vereinbart, und ich empfehle den Fraktionen dieses Hauses, diese Redezeit nicht vorher durch Zwischenrufe in Anspruch zu nehmen.
— Herr Abgeordneter Rische, wenn Sie dauernd (C die Verhandlungen stören, werde ich Sie zur Ordnung rufen und die weiteren Maßnahmen treffen.
— Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.
_Ich wiederhole nochmals, meine Damen und Herren: Ich glaube, es liegt im Interesse des gesamten deutschen Volkes, wenn wir diese Fragen mit allem Ernst, mit aller Sachlichkeit, ja, mit Kaltblütigkeit und nüchterner Überlegung behandeln und entscheiden. Auf eins
— bitte, erlauben Sie mir das! — möchte ich nochmals mit allem Nachdruck hinweisen: Es handelt sich nicht um Angelegenheiten des Nutzens oder des Schadens für diese oder jene Partei.
Es handelt sich um eine lebenswichtige Entscheidung für das ganze deutsche Volk einschließlich der Deutschen hinter dem Eisernen Vorhang. Es handelt sich nicht darum, in irgendeiner Weise kommende Wahlentscheidungen vorzubereiten,
sondern darum, das Geschick Deutschlands und wohl auch Europas auf lange Jahre hinaus zu bestimmen.
Bei meinen weiteren Ausführungen werde ich, wie ich eben schon gesagt habe, den Rahmen der Diskussion nicht mit Fragen über Einzelheiten sprengen.
Dadurch entstünde die Gefahr — lassen Sie mich das nochmals wiederholen —, daß wir von der Erörterung über die großen und wahrhaft entscheidenden Fragen abkämen.
Die Fragen, um die es sich handeln wird, auch die jetzt besonders akut gewordenen Fragen, sind von weltweiter Bedeutung; die Frage des Atlantikpakts und die Frage der europäischen Verteidigungsgemeinschaft sind solche Fragen.
Der Ausgang für unsere Überlegungen und der Ausgangspunkt für das ganze Geschehen der letzten Jahre ist die Expansionspolitik und die Aggressionspolitik Sowjetrußlands.
Bei Kriegsende bestand unter den führenden Alliierten Einigkeit, Deutschland als machtloses, als politisch und wirtschaftlich einflußloses Gebilde bestehen zu lassen. Es sollte zur Not seine Bevölkerung ernähren können, aber es sollte weder politisch noch wirtschaftlich Einfluß haben. Sehr eindeutig und sehr klar geht dieser damals vorhandene übereinstimmende Wille der vier Alliierten aus den Beschlüssen der Konferenzen von Yalta und Potsdam und aus den Direktiven der Alliierten für ihre Besatzungspolitik hervor. Eine Änderung ihrer Anschauung über die von ihnen hinsichtlich Deutschlands einzuschlagende Politik trat bei den Westalliierten zuerst langsam und allmählich stärker und schneller ein, als die Expansionspolitik Sowjetrußlands immer deutlicher zutage trat.
— Ich werde sie Ihnen jetzt unter die Nase halten.
Herr Abgeordneter Niebergall, ich verwarne Sie zum erstenmal und werde Sie, wenn Sie weiterhin die Verhandlungen stören, aus dem Saale weisen.
Weil, meine Damen und Herren, — —
Weil, meine Damen und Herren, — —
— Also, meine Damen und Herren, ich bitte Sie doch —
Meine Damen und Herren, das Wort hat der Herr Bundeskanzler! Es scheint mir der Würde des Hauses zu entsprechen, daß alle Redner dieses Hauses ruhig angehört werden und daß das, was zu sagen ist, in der Debatte ausgeführt wird.
Ich muß über die sowjetrussische Politik in diesem Zusammenhang ausführlicher sprechen, weil sie allein eine Erklärung gibt für die Haltung der drei Westalliierten und weil sie allein auch für uns bestimmend sein kann hinsichtlich dessen, was wir zu tun haben.
Ich will Ihnen, meine Damen und Herren, um die Zeit nicht zu lange in Anspruch zu nehmen, nur das Schema, nach dem Sowjetrußland seit 1945 Polen, die Tschechoslowakei, Ungarn, Rumänien, Bulgarien und Albanien
und schließlich die Sowjetzone unterjocht hat, in kurzen Zügen vorführen. Das ganze Vorgehen geschah immer nach demselben. Plan. Es kam zuerst ein Befreiungskomitee, in dem die KPD in all den Ländern eine maßgebende Rolle spielte.
— Ach nein, S i e nicht; und Sie müssen sich überhaupt nicht einbilden, als wenn ich Sie mit der
Kommunistischen Partei in der Welt identifiziere.
Das Schema war immer dasselbe. Zuerst im Auftrage Sowjetrußlands eine Gruppe von Kommunisten, die erklärten, zum Zwecke der Rettung und
der Schaffung der Demokratie mit den Angehörigen anderer Parteien zusammenarbeiten zu wollen.
Dann wurden die anderen herausgedrängt, darauf wurde eine Wahl nach einer Blockliste vorgenommen, dann kamen völlig unfreie Wahlen, und schließlich war das Ergebnis das, daß die kommunistischen Parteien in den betreffenden Staaten absolut herrschend waren. In Polen z. B. haben sie 32 von 35 Ministerien, in Ungarn 15 von 20; (Zuruf von der KPD: Mehr nicht?)
und so geht es auf der ganzen Linie fort. Sie dulden einige Feigenblätter, armselige Geschöpfe, die das mitmachen. Genau so haben sie in der Sowjetzone auch gearbeitet.
Dazu, meine Damen und Herren, kommt, daß sie in der Bundesrepublik, in Frankreich, Italien und in asiatischen Ländern eine Fünfte Kolonne unterhalten, Beauftragte in Form von kommunistischen Parteien,
das gilt insbesondere auch für Deutschland.
Herr Abgeordneter Reimann, ich warne Sie ebenfalls. Ich glaube nicht, daß es Ihre Aufgabe ist, die Rede hier in Zwischenrufen zu kritisieren. Sie haben nachher eine Stunde Redezeit.
Sie legen bei uns in der Bundesrepublik keinen Wert darauf, daß die kommunistische Partei nach außen besonders stark erscheint. Dafür haben sie bei uns bisher 48 kommunistische Tarnorganisationen geschaffen.
Sie haben in großem Umfange ihre Mitglieder aus der politischen Arbeit herausgezogen und versucht,
in den Gewerkschaften
und bei anderen Organisationen die Minierarbeit an Stellen zu beginnen und fortzusetzen, wo sie glauben, größere Macht in ihre Hand bekommen zu können.
Wie stark die Minierarbeit bei uns ist, mögen Sie daraus ersehen, daß die Kommunistische Partei bei uns 10 bis 12 Millionen D-Mark für Propaganda-und Minierarbeit zur Verfügung hat.
Wenn Sie dazu sich vor Augen halten, welche Wühlarbeit in Frankreich und Italien stattfindet, so ist das Ziel der sowjetrussischen Politik ganz eindeutig und klar: Sie wollen im Wege des kalten Krieges, der bald diese, bald jene Form annehmen kann,
in erster Linie die Bundesrepublik und im weiteren Verlauf ganz Westeuropa in ihre Hand bringen.
Ich möchte Ihnen noch eine Ziffer nennen, aus der
Sie ersehen können, wie stark die Kommunisten
versuchen, sich bei uns zu infiltrieren und Pro-
pagandaarbeit zu leisten. Täglich werden bei uns in der Bundesrepublik 30 bis 40 t Propagandamaterial beschlagnahmt.
Das Ziel der sowjetrussischen Politik in bezug auf die Bundesrepublik ist, die Bundesrepublik zu neutralisieren. Es liegt Sowjetrußland nichts daran, dieses Land in zerstörtem Zustand in Besitz zu bekommen.
Aber es liegt Sowjetrußland sehr viel daran, dieses Land mit seinem Potential an Kriegsmaterial und an Menschenmaterial in seine Hand zu bekommen, weil es weiß, daß es dann ohne weiteres das übrige Westeuropa auch in seine Hand bekommt, und weil es sich dann stark genug fühlt, den Krieg gegen die Vereinigten Staaten zu führen.
Dieser Gedanke der Neutralisierung Deutschlands,
meine Damen und Herren,
hat namentlich im Jahre 1950 in manchen politischen Kreisen Frankreichs Gehör gefunden; ich betone ausdrücklich: nicht in Kreisen der damaligen oder der heutigen französischen Regierung. Aber wir Deutsche müssen, wenn wir uns über die ganze Situation klar werden wollen, daran denken, daß es eine jahrzehntelange Linie der französischen Außenpolitik war, im Verein mit Rußland Deutschland niederzuhalten, und daß jetzt auf einmal —
und daß jetzt auf einmal an Frankreich und an die französischen Politiker die Frage herantritt, ob sie bereit sind, auf diese frühere Linie ihrer Politik zu verzichten
und zusammen mit Deutschland und den anderen westeuropäischen Ländern einen festen Damm gegen Sowjetrußland zu bilden.
Wenn ich die sowjetrussische Politik noch weiter kennzeichnen soll, meine Damen und Herren, dann brauche ich Sie nur hinzuweisen auf Korea,
auf Rotchina,
auf Persien, auf Ägypten,
auf Indochina, auf Indonesien.
(Abg. Rische: Das sagte Goebbels auch! Un-
erhört sowas! — Abg. Renner: Eine richtige
Kriegsrede, die Sie halten!)
Was, meine Damen und Herren, würde es für uns Deutsche bedeuten, wenn es Sowjetrußland gelänge, im Wege des kalten Krieges, sagen wir einmal: im Wege der Neutralisierung Deutschlands, uns in die Hand zu bekommen? Hier in diesem Hause sind seit seinem Bestehen erschütternde Darstellungen des Loses unserer deutschen Brüder im Osten gegeben worden.
Noch gestern wurde von diesem Platze aus in packender Weise darüber gesprochen.
Für uns, meine Damen und Herren, würde ein Einbeziehen der Bundesrepublik in die sowjetrussische Machtsphäre nichts anderes bedeuten als Sklaverei und Ausbeutung,
nichts anderes als Vernichtung alles dessen, was dem deutschen Volke das Leben überhaupt noch lebenswert macht.
Leider sind die Menschen außerordentlich vergeßlich,
aber wenn unsere aus Rußland heimgekehrten Kriegsgefangenen sich daran erinnern, was sie in Sowjetrußland gesehen und erlitten haben, wenn wir auf die Rufe derjenigen hörten, derjenigen Deutschen, früherer Soldaten, verschleppter Männer, (Zurufe von der KPD)
verschleppter Frauen und Mädchen, die jetzt noch in der Sklaverei dort verharren müssen, wenn wir die nötige Zeit dafür hätten, die Schilderung dessen zu lesen, was Sowjetrußland bei seinem Einbruch in Deutschland an den armen wehrlosen Männern und Frauen alles verübt hat,
dann würden wir mit Schaudern erkennen, in welch ungeheurer Gefahr hier die Freiheit und alles das — ich wiederhole es —, was uns lebenswert erscheint, schwebt.
Ich habe gestern eine Zuschrift des Verbandes der Sowjetzonenflüchtlinge bekommen.
— Ach, Herr Renner, Sie haben mal eine Zeit gehabt, wo Sie ganz nette und kluge Zurufe gemacht haben,
aber leider ist sie vorbei.
0 Diese Zuschrift des Verbandes der Sowjetzonenflüchtlinge, die mir zugeschickt worden ist mit der Bitte, sie hier dem Bundestag bekanntzugeben,
ist zu umfangreich, als daß ich das tun könnte. Aber wer von Ihnen sie lesen will, dem steht sie zur Verfügung. Es ist erschütternd, ihr zu entnehmen, was diese armen Menschen, die geflüchtet sind, dort haben ertragen müssen.
Ich möchte nun dazu übergehen, meine Damen und Herren, Ihnen in möglichst großen Zügen die Struktur des Vertragswerks und seinen wesentlichen Inhalt mitzuteilen,
um das es sich augenblicklich handelt. Es handelt sich zunächst um den Abschluß eines Generalvertrags, wie er genannt ist,
der als wesentlichen Inhalt hat die Beseitigung des Besatzungsstatuts, und zweitens um einen Vertrag über die Bildung einer europäischen Verteidigungsgemeinschaft.
Was den Generalvertrag angeht, so ist die rechtliche Lage zur Zeit die folgende. Der Generalvertrag würde geschlossen werden zwischen den drei Westalliierten — den Vereinigten Staaten, Großbritanhien, Frankreich — und der Bundesrepublik. Er ist auf der Außenministerkonferenz, die vor einiger Zeit in Paris stattgefunden hat — nicht zu verwechseln mit den Außenministerkonferenzen über die Bildung einer europäischen Verteidigungsgemeinschaft —, nicht paraphiert worden, aber man hat sich über den Wortlaut geeinigt. Aus diesem Generalvertrag muß ich Ihnen eine Anzahl 3) wesentlicher Punkte mitteilen.
Der Generalvertrag enthält zunächst eine Präambel,
in der folgende wesentliche Punkte stehen.
Zunächst wird festgestellt, daß es das gemeinsame Ziel der Signatarstaaten ist, die Bundesrepublik auf der Grundlage der Gleichberechtigung in die europäische Gemeinschaft einzugliedern — und jetzt kommt ein sehr wichtiger Satz, den ich Ihnen wörtlich vorlesen möchte —,
„die sich ihrerseits in die sich entwickelnde atlantische Gemeinschaft einfügen wird".
Ich werde auf diesen letzten Satz bei der Besprechung der Spannungen, die augenblicklich herrschen, noch zurückkommen.
In einem weiteren Passus wird festgestellt, daß die Schaffung eines völlig freien und vereinigten Deutschlands auf friedlichem Wege und die Herbeiführung einer frei vereinbarten friedensvertraglichen Regelung ein grundlegendes und gemeinsames Ziel der Signatarstaaten ist.
Ich bitte Sie, gerade diesen Passus in seiner eminenten Bedeutung zu würdigen. Zunächst bekennen sich darin — und auch noch an einer anderen Stelle des Generalvertrags — die drei Westalliierten, die Vereinigten Staaten, Großbritannien und Frankreich, zu dem gemeinsamen Ziel, auf friedlichem Wege ein völlig freies und vereinigtes Deutschland zu schaffen.
Weiter ist dadurch festgelegt, daß es für uns nicht, wie seinerzeit beim Versailler Vertrag, einen Diktatfrieden gibt,
sondern daß der Friedensvertrag frei vereinbart werden muß.
Weiter ist festgestellt, daß die Beibehaltung des Besatzungsstatuts und die sich daraus ergebenden Befugnisse zum Eingreifen in die inneren Angelegenheiten der Bundesrepublik mit dem Vertrag unvereinbar sind und daß die drei Mächte nur solche besonderen Rechte aufrechterhalten wollen, deren Beibehaltung im Hinblick auf die Besonderheiten der internationalen Lage,
das heißt auf deutsch: im Hinblick auf das Verhalten und die Einstellung Sowjetrußlands,
und im gemeinsamen Interesse aller vier Signatar-staaten erforderlich ist.
An einer anderen Stelle der Präambel ist nochmals betont, daß die vier Mächte alles das, was vereinbart werden soll, als wesentliche Schritte zur Erreichung ihres gemeinsamen Ziels eines in die westeuropäische Gemeinschaft integrierten wiedervereinigten Deutschlands anerkennen. Damit ist zum Ausdruck gebracht — und das wird in einem der Artikel des Vertragsentwurfs wiederholt —, daß nach der Wiedervereinigung Deutschlands dem ganzen Deutschland die Vorteile dieses Vertrags zuteil werden sollen, und zwar ohne weiteres.
Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich einen Satz, auf den ich später zurückkomme, vorwegnehmen: Ich glaube, daß wir die Wiedervereinigung Deutschlands nur erreichen werden mit Hilfe der drei Westalliierten,
niemals mit Hilfe der Sowjetunion.
In den Artikeln selbst ist weiter bestimmt; daß die Bundesrepublik volle Macht über ihre inneren und äußeren Angelegenheiten hat, mit gewissen Ausnahmen, auf die ich jetzt kommen werde, daß also die drei Mächte das Besatzungsstatut aufheben, daß die Alliierte Hohe Kommission sowie die Dienststellen der Landeskommissare aufgelöst und daß in Zukunft die Beziehungen zwischen den drei Mächten und der Bundesrepublik durch Botschafter unterhalten werden.
Die Vorbehalte des Vertrags, die im Hinblick auf die internationale Lage gemacht werden, beziehen sich auf die Stationierung von Streitkräften in Deutschland und den Schutz ihrer Sicherheit, auf Berlin und auf Deutschland als Ganzes einschließlich der Wiedervereinigung Deutschlands.
Wenn wir soweit sind, wird ja im einzelnen zunächst im Ausschuß darüber gesprochen werden, auch darüber, daß wir diesen Vorbehalten nur zustimmen können, weil sie im Interesse unserer Sicherheit, im Interesse Berlins und im Interesse der Wiedervereinigung Deutschlands liegen. Bezüglich der Truppen, die von den drei Mächten im Bundesgebiet stationiert werden, ist ausdrücklich gesagt, daß sie die Aufgabe haben, die freie Welt zu verteidigen, der die Bundesrepublik und Berlin angehören.
— Ich weiß nicht, ob das ein russischer Vertreter ist, der da zwischenruft,
ich kann mich nur dem anschließen, was gestern der Herr Kollege Neumann von diesem Platze aus über diese Zwischenrufer gesagt hat.
In einem der Artikel befindet sich folgende Bestimmung: „Die Bundesrepublik wird sich an der europäischen Verteidigungsgemeinschaft beteiligen, um zur gemeinsamen Verteidigung der freien Welt beizutragen". Gegen diese Bestimmung ist von einer Fraktion dieses Hauses, bzw. von der hinter ihr stehenden Partei, ein schweres Bedenken erhoben worden. Man hat ausgeführt, daß ein Junktim, eine Verbindung zwischen dem Generalvertrag und dem Eintritt in die europäische Verteidigungsgemeinschaft für sie nicht tragbar sei. Wenn wir in der Lage sein werden — ich bin es jetzt nicht, nicht etwa durch den Inhalt des Generalvertrags, ich würde ihm liebend gern der deutschen Öffentlichkeit im vollen Wortlaut unterbreiten,
aber ich bin leider durch internationale Rücksichten — —
— Na, dafür müssen S i e doch Verständnis haben.
Ich bin leider durch internationale Rücksichten — —
— — Ach, verehrter Herr Renner, ich will Ihnen sagen, wann ich zuletzt auf dem Petersberg gewesen bin: im April des vergangenen Jahres.
Meine Damen und Herren! Der Inhalt dieses Entwurfs eines Generalvertrags schließt, wie ich Ihnen eben ausgeführt habe, die Verständigung über eine gemeinsame Politik der vier Signatarmächte über die Wiedervereinigung Deutschlands auf friedlichem Wege und über die gemeinsame Verteidigung und den gemeinsamen Schutz der Freiheit in sich. Daraus ergibt sich nach meiner Meinung ganz zwangsläufig, daß diese beiden Dinge, die Bildung einer europäischen Verteidigungsgemeinschaft und das Vertragwerden dieses Entwurfs durch innerliche Gründe miteinander verbunden sind. Man hätte diese beiden Vertragswerke genau so gut in einem Vertragswerk zusammenbinden können. Das hätte aber den Nachteil gehabt, daß die Vorverhandlungen sich unendlich verlangsamt hätten. Wenn Sie die beiden Vertragsentwürfe einmal zusammen in den Händen halten, dann werden Sie — davon bin ich fest überzeugt — mit mir darin übereinstimmen, daß alles das innerlich so miteinander zusammenhängt, daß man es gar nicht voneinander trennen kann.
— Meine Damen und Herren, wenn ich über die Geschäftsführung dieses Hauses zu bestimmen hätte,
dann würde ich folgendes tun.
Ich würde, sobald die Zwischenrufe einer Fraktion eine bestimmte Zeit überschreiten, diese Zeit der Fraktion auf ihre Redezeit anrechnen.
Meine Damen und Herren, ich hatte mir diesen Hinweis bereits vor einer halben Stunde gestattet.
Meine Damen und Herren, ich habe eben darauf hingewiesen, daß in der Präambel schon das Ziel der gemeinsamen Politik in bezug auf den Friedensvertrag und die Wiedervereinigung Deutschlands angegeben ist. Um aber die Bedeutung gerade dieses Zieles nachdrücklich zu unterstreichen, ist dasselbe nochmals in einem besonderen Artikel im Entwurf des Generalvertrags niedergelegt; es ist darin wiederholt: Die drei Mächte und die Bundesrepublik sind sich darin einig, daß ein wesentliches Ziel ihrer gemeinsamen Politik eine zwischen Deutschland und seinen ehemaligen Gegnern frei vereinbarte friedensvertragliche Regelung für ganz Deutschland ist, welche die Grundlage für einen dauerhaften Frieden bilden soll. Es ist weiter gesagt, daß bis zum Abschluß dieser friedensvertraglichen Regelung die drei Mächte und die Bundesrepublik zusammenwirken werden, um mit friedlichen Mitteln ihr gemeinsames Ziel eines wiedervereinigten Deutschlands zu erreichen. Es ist nochmals ausdrücklich gesagt, daß dem wiedervereinigten Deutschland in gleicher Weise die Rechte der Bundesrepublik aus diesen Vereinbarungen zustehen werden.
Endlich möchte ich noch hervorheben: In einem andern Artikel dieses Generalvertrags ist bestimmt, daß ein Schiedsgericht errichtet werden soll, das bei Meinungsverschiedenheiten, die sich zwischen den drei Mächten und der Bundesrepublik aus diesem Vertrag oder einem beigefügten Abkommen ergeben, zuständig ist.
Ich komme nun zu dem anderen Vertragswerk: dem Vertrag über die Errichtung einer Europäischen Verteidigungsgemeinschaft. Diese Verhandlungen sind, wie Sie wissen, in Paris geführt worden und werden zur Zeit noch dort geführt; sie sind
sehr weit fortgeschritten, aber noch nicht beendet. Es schweben noch Verhandlungen über verschiedene Punkte, und es sind bezüglich zweier Punkte Spannungen zwischen Frankreich und Deutschland entstanden, auf die ich gleich zurückkommen werde.
Zu beiden großen Verträgen sind Übergangsverträge — im Sprachgebrauch Annexverträge — in Aussicht genommen. Der . Ausdruck „Annexverträge" ist an sich nicht richtig; es handelt sich um Übergangsverträge, die eine Überleitung bezwecken. Über diese Verträge wird zur Zeit zwischen alliierten Stellen und Stellen der Bundesrepublik intensiv verhandelt. Die Wünsche, die dazu von den drei Westalliierten ausgesprochen worden sind, sind nach meiner Meinung zum Teil berechtigt, zum Teil unberechtigt, sie gehen zum Teil über das Ziel hinaus. Über diese Verträge oder Vertragsentwürfe — zum Teil ist es noch nicht bis zum Entwurf gekommen — wird, wie ich eben sagte, zwischen deutschen und westalliierten Stellen intensiv verhandelt.
Ich möchte mich nun den Schwierigkeiten zuwenden, die in den letzten Wochen plötzlich zwischen Frankreich und Deutschland entstanden sind. Ich werde, meine Damen und Herren, über diese Schwierigkeiten mit aller Offenheit, aber mit aller Ruhe sprechen und versuchen, Ihnen klarzulegen, woraus vielleicht diese Schwierigkeiten plötzlich entstanden sind und woher in der französischen und auch in der übrigen ausländischen Presse plötzlich eine Welle der Erregung hochgekommen ist, die mit all den vorherigen Verhandlungen und mit der Atmosphäre, die bei den bisherigen Verhandlungen geherrscht hat, schlechterdings nicht vereinbar und unverständlich ist.
— Ja, ich vermute, daß Ihre Schutzmacht mit dahinter steht.
Herr Abgeordneter Renner,
das war wieder eine Minute Zwischenruf.
Der Schumanplan hat eine sehr große politische Bedeutung. Es ist hier darüber mehr als genug gesprochen worden; ich muß ihn aber in diesem Zusammenhang noch einmal kurz erwähnen. Er hat seine besondere politische Bedeutung darin, daß er — und das war auch von Herrn Schuman, als er seinerzeit den Plan der Diskussion übergab, ausdrücklich erklärt worden — dazu dienen soll, ein für allemal zukünftige kriegerische Auseinandersetzungen zwischen Deutschland und Frankreich zu verhindern.
Unter diesen Gesichtspunkten sind wir deutscherseits an die Verhandlungen über den Schumanplan
herangetreten. Diese Verhandlungen, die sich ja
über viele Monate erstreckt haben und bei denen
es sich auch um Gesichtspunkte gehandelt hat, die
im allgemeinen die Menschen besonders zu interessieren pflegen, nämlich um materielle Vorteile
oder Nachteile, sind insbesondere zwischen Frankreich und Deutschland ohne jede Spannung — man
kann darüber hinausgehend sagen, beiderseits ge-
tragen von der großen politischen Bedeutung des Schumanplans —, fast in Harmonie vor sich gegangen.
Die Verhandlungen über die Schaffung einer europäischen Verteidigungsgemeinschaft, ein Vorschlag, der von dem damaligen Ministerpräsidenten Pleven, wie Sie wissen, ausgegangen ist, sind in Paris, wo es sich vor allem um technisch-militärische Fragen gehandelt hat — ich darf Sie erinnern, daß zunächst von den Combat-Teams die Rede war und die anderen Divisionen haben sollten, wir nicht, daß die anderen schwere Waffen haben sollten, wir nicht —,
alle diese Verhandlungen unter den Sachverständigen dort sind schließlich in einer überraschenden Einmütigkeit und mit einer überraschenden Schnelligkeit weitergegangen.
Erst in den letzten Tagen wird, anscheinend im Zusammenhang mit den politischen Fragen, die jetzt plötzlich nach vorn geschoben werden, auch hier der Versuch gemacht, wieder zurückzukommen von Vereinbarungen — natürlich unter den Delegationen, nicht unter den Regierungen —, die schon lange vorher getroffen worden sind.
Bei der Verhandlung über die finanziellen Fragen — Fragen, die doch von außerordentlich großer Bedeutung sind und die in den letzten Tagen vor dem Komitee des Atlantikpaktes, vor den sogenannten drei Weisen stattgefunden haben — hat eine absolut verständnisvolle Atmosphäre geherrscht.
Ich darf noch ein Weiteres sagen: Ich habe, wie Sie wissen, an mehreren Konferenzen der sechs Außenminister, deren Länder an der europäischen Verteidigungsgemeinschaft teilnehmen sollen, in Paris sowohl wie in Straßburg teilgenommen. Auch bei diesen Verhandlungen herrschte — das lassen Sie mich nachdrücklichst hier erklären — zwischen dem französischen Außenminister, dem italienischen Außenminister und dem deutschen Außenminister im wesentlichen volle Übereinstimmung über das Ziel und über die einzuschlagenden Wege.
Die Schwierigkeiten, die vor einiger Zeit dort bei den Verhandlungen aufgetreten sind, haben sich nicht durch Bedenken der drei Länder, die ich eben genannt habe, ergeben, sondern die ergaben sich aus Bedenken, die von den Beneluxstaaten erhoben wurden.
Ganz plötzlich — und das ist das Auffallende an der ganzen Situation —, hat sich das geändert. Ganz plötzlich sind Spannungen zwischen Frankreich und Deutschland aufgetaucht. Diese Spannungen werden — ich muß das zu meinem Bedauern sagen — von der Auslandspresse in einer Weise dargestellt und kommentiert, daß man, wenn man die Auslandspresse übersieht, den Gedanken einer einheitlichen Beeinflussung nicht ablehnen kann.
Diese Spannungen betreffen die Saarfrage und die Frage des Atlantikpaktes. Die Saarfrage hat uns in Deutschland und insbesondere in diesem Hause, wie Sie alle wissen, immer und immer wieder beschäftigt. Ich habe von diesem Platze aus wiederholt ausgesprochen, nach meiner Überzeu-
gung werde sich die Saarfrage im Laufe der Zeit in einer Weise lösen lassen, die allen beteiligten Interessen, den deutschen, den französischen und insbesondere auch den Interessen der Saarbevölkerung, gerecht werde. Ich habe diese Erklärung — glauben Sie mir das — nicht etwa leichtfertig abgegeben, sondern ich hatte gute Gründe dafür, anzunehmen, daß eine solche Entwicklung kommen werde. Sie müssen bitte Verständnis dafür haben,
daß ich in diesem Augenblick nicht in der Lage bin, diese meine Gründe hier vor der Öffentlichkeit mitzuteilen.
Aber ich bin durchaus bereit, sie einem möglichst kleinen Kreise von Mitgliedern dieses Hauses,
und zwar von den verschiedenen Fraktionen, auch der Opposition, mitzuteilen.
Plötzlich wird nun die Saarfrage akut, und in das Feuer, das angezündet worden ist, ist noch Brennstoff hineingegeben worden — lassen Sie mich das hier, und das geht namentlich an die Adresse des Auslandes, mit aller Entschiedenheit und mit aller Klarheit sagen — durch eine falsche Meldung der dpa über das, was ich in meiner Fraktion erklärt haben soll.
Diese Erklärung der dpa — ich habe jede Erklärung über das, was ich gesagt habe, abgelehnt — beruht, das möchte ich hier ausdrücklich feststellen, nicht etwa auf einer Angabe des Vorsitzenden oder des' Vorstandes der CDU/CSU-Fraktion, sondern auf irgendwelchen, leider bisher von mir noch nicht festgestellten Flüstergesprächen zwischen Vertretern der dpa und, wie die dpa behauptet, einem Mitgliede dieser Fraktion.
Ich muß aber, weil mir im deutschen Interesse daran liegt, daß die Behandlung dieser ganzen Fragen, welche Bedeutung für Deutschland und für Europa haben, in einer möglichst ruhigen Atmosphäre erfolgt,
nochmals erklären, daß die Angaben der dpa über das, was ich in meiner Fraktion erklärt haben soll, unwahr, unzutreffend sind.
Nun ist die Saarfrage plötzlich akut geworden, einmal durch die Ernennung des Herrn Grandval zum Botschafter. Aber gleichzeitig hat der Stellvertreter des französischen Hohen Kommissars, Herr Bérard, auf einer Konferenz der ausländischen Presse, die er zusammengerufen hat, vertraulich mitgeteilt, daß die französische Regierung verschiedenen ihrer diplomatischen Missionen saarländische Vertreter beigeben werde.
Endlich hat diejenige Zeitung an der Saar, die in toto von der französischen Regierung abhängig ist, erklärt, daß diese Maßnahmen der Beginn eines neuen Staates seien, eines Staates an der Saar.
Man muß diese Dinge im Zusammenhang sehen und dabei gleichzeitig berücksichtigen, daß sie sich nach Genehmigung des Schumanplans und vor der Debatte im Bundestag wegen der Schaffung einer europäischen Verteidigungsgemeinschaft ereignet haben.
— Herr Präsident, ich weiß nicht, ob ich als Bundeskanzler gezwungen bin, mir in einer so wichtigen Debatte fortwährend derartige Zwischenrufe gefallen zu lassen.
Meine Damen und Herren, ich habe keine geschäftsordnungsmäßige Möglichkeit, das Recht der Abgeordneten, Zwischenrufe zu machen, zu beschränken. Ich darf nur vermuten, daß das Haus ebenso wie das am Rundfunk zuhörende Volk aus der Qualität der Zwischenrufe sich sein eigenes Bild darüber machen wird.
Meine Damen und .Herren, lassen Sie mich in meinen Ausführungen zur Saarfrage fortfahren. Der Zusammenhang zwischen den Ereignissen, die ich soeben gekennzeichnet habe, und dem Vertrag über die Errichtung einer europäischen Verteidigungsgemeinschaft, ein Zusammenhang, der von einem Teil der ausländischen Presse geleugnet wird, liegt in folgendem. Herr Minister Schuman hat mit mir am 18. April des Jahres 1951 Briefe gewechselt, in denen ausdrücklich ausgeführt ist, daß dem endgültigen Status an der Saar von keiner Seite präjudiziert werden sollte.
Lassen Sie mich mit allem Freimut sagen: nicht nur die deutsche Öffentlichkeit, auch ich erblicke in diesen Vorgängen eine solche Präjudizierung.
Ich finde es höchst gefahrvoll, wenn in einem Augenblick, in dem durch Verhandlungen über die europäische Verteidigungsgemeinschaft eine dauernde Partnerschaft in Europa und zwischen Frankreich und Deutschland herbeigeführt werden soll, durch irgendeine Handlung das Vertrauen darin, daß der andere es wirklich genau so meint wie wir, gestört wird.
Das ist der Grund dafür, warum wir Deutsche uns in den Verhandlungen über die europäische Verteidigungsgemeinschaft durch dieses Verhalten der französischen Regierung an der Saar — ich will mich jetzt sehr diplomatisch ausdrücken, Sie werden das verstehen —
sehr gestört fühlen. Wir Deutsche müssen verlangen, daß an der Saar endlich einmal wirkliche demokratische Freiheiten' gewährt werden.
Eine weitere große Aufregung ist in Frankreich durch die Ausführungen entstanden, die der Herr Staatssekretär Dr. Halsstein bei der letzten Außenministerkonferenz in Paris zur Atlantikpaktfrage gemacht hat. Man hat es so dargestellt, als wenn diese Frage von Deutschland ganz plötzlich aufgeworfen worden wäre und als ob man — die Ausdrücke sind gefallen — Erpressungen gegenüber Frankreich ausüben wolle. Es ist auch in der nichtfranzösischen Auslandspresse allerhand Kritik daran geübt worden, daß Deutschland, wie man meint, plötzlich diese Frage herausgezogen habe und damit -- ich wiederhole den Ausdruck — Erpressungen ausübe. Ich möchte darauf zweierlei sagen: Zunächst, daß die Frage der Verbindung der europäischen Verteidigungsgemeinschaft mit dem Atlantikpakt ja in der Präambel zum Entwurf des Generalvertrags mit Zustimmung der Vereinigten Staaten,
Großbritanniens und, meine Damen und Herren, Frankreichs hergestellt worden ist.
Es heißt in dieser Präambel ausdrücklich, daß es das gemeinsame Ziel der Signatarstaaten sei, die Bundesrepublik auf der Grundlage der Gleichberechtigung in die europäische Gemeinschaft einzugliedern — und jetzt kommt der Satz —, „die sich ihrerseits in die sich entwickelnde atlantische Gemeinschaft einfügen wird."
Sehen Sie, meine Damen und Herren, schon bei diesen Beratungen ist die Verbindung, die notwendige und natürliche Verbindung zwischen der europäischen Gemeinschaft und dem Atlantikpakt von allen bejaht worden.
Nun möchte ich doch mit wenigen Sätzen — und diese Sätze sind auch an die ausländische Öffentlichkeit gerichtet — die natürlichen und selbstverständlichen Gründe klarlegen, warum eine solche Verbindung in der Natur der Sache selbst begründet liegt. Wenn wir in die europäische Verteidigungsgemeinschaft eintreten, wird doch die Folge davon sein, daß eine gewisse Zahl Deutscher in die europäische Armee kommt. Diese europäische Armee — darüber sind sich alle einig —
wird, solange die gegenwärtigen Spannungen in der Welt dauern, der Organisation des Atlantikpakts unterstellt werden, die unter Eisenhower steht.
Dieses Organ des Atlantikpakts unter Eisenhower untersteht wieder anderen Organen des Atlantikpakts.
Nun ist doch bei Gott für jeden verständlich,
daß wir unter keinen Umständen junge Deutsche einfach einem Organ unterstellen, auf dessen Funktionieren und Arbeit wir keinen Einfluß haben.
Weil das in der Natur der Sache liegt, ist auch schon in der Präambel des Generalvertragsentwurfs und auch bei den Beratungen darüber davon die Rede gewesen, daß eine solche Verbindung hergestellt werden müsse. Es ist für mich gar kein Zweifel daran möglich, daß wir, wenn wir in die europäische Verteidigungsgemeinschaft eintreten, eines Tages auch Mitglied des Atlantikpakts werden, ganz von selbst, meine Damen und Herren!
- Das kann sich nicht von heute auf morgen vollziehen.
Das kann sich schon deswegen nicht von heute auf morgen vollziehen, weil ein sehr kompliziertes Verfahren nötig ist, um ein neues Mitglied in den Atlantikpakt aufzunehmen.
Aber schon bevor wir in die europäische Verteidigungsgemeischaft eintreten und dann solche Verpflichtungen eingehen, muß auf irgendeine Weise eine Verbindung hergestellt werden, die es uns ermöglicht, auf diese Organe genau wie die anderen irgendwie Einfluß zu nehmen.
Das ist in meinen Augen eine so absolute Selbstverständlichkeit,
ein Gebot der inneren Gerechtigkeit, ein Gebot der Verantwortung, die wir Deutsche auch gegenüber unseren Leuten haben,
daß ich gar nicht verstehe, wie man sich in einer solchen Weise darüber aufregen kann.
Ich begrüße es — und ich bin dankbar dafür —, daß man, wie ich glaube, in Washington und in London über diese Dinge sehr viel ruhiger und sehr viel konsequenter denkt
als in anderen Hauptstädten.
Ich kann nur der Hoffnung Ausdruck geben, daß es gelingen möge, die Spannungen zwischen Frankreich und Deutschland möglichst bald aus der Welt zu schaffen. Wir haben ein gemeinsames Ziel. Wir wollen nicht nur für jetzt den Frieden für uns und für Europa retten, sondern wir wollen dafür sorgen, daß auch nach \\ 10 und 20 Jahren, wenn die Welt vielleicht wieder anders aussieht und wenn auch die europäischen Staaten wieder zu stärkeren Staaten geworden sind, ein Krieg in Europa, ein Krieg zwischen Deutschland und Frankreich ein für allemal unmöglich gemacht wird.
Das ist — lassen Sie mich das hier einflechten — eines der Hauptziele, die wir bei unserer Politik verfolgen müssen, ein Ziel, das wir über die augenblickliche Spannung hinaus nicht aus den Augen verlieren dürfen. In einem Zeitpunkt, den keiner von uns jetzt schätzen oder bestimmen kann, sagen wir einmal, in 20 Jahren, könnte es, wenn wir bis dahin nicht ein vereinigtes Europa geschaffen haben, sein, daß in Europa selbst wieder Spannungen entstehen, die jedem Europäer nur Unglück. bringen können.
Ich bitte Sie nochmals auf das allerdringlichste, dieses große Fernziel, d. h. die Verhütung europäischer Kriege, über den gegenwärtigen Spannungen und Schwierigkeiten und all dem, was damit zusammenhängt, nicht außer acht zu lassen. Jede Geburt vollzieht sich unter Wehen,
und auch die Geburt des neuen Europas wird Wehen und krisenhafte Entscheidungen mit sich bringen. Aber wenn etwas nötig ist und wenn wir eine Lehre ziehen sollen aus all dem, was sich seit 1914 ereignet hat,
dann ist es das, daß jeder, der guten Willens ist,
alles, was in seiner Kraft steht, einsetzen muß,
damit wir zu einer Vereinigung Europas kommen.
Über Einzelheiten des in Paris Verhandelten jetzt zu sprechen
ist nicht die Zeit.
Aber ich möchte Ihnen doch folgendes sagen, was ich eben schon angedeutet hatte:
In dem Entwurf des Vertrags über die europäische Verteidigungsgemeinschaft sagt Art. III in lapidarer Kürze, daß jede Diskriminierung eines der Teilnehmer ausgeschlossen sein muß.
Wenn es zu dem Vertrag über die europäische Verteidigungsgemeinschaft kommt, —
— Ach, ich will doch nicht auf Ihre Zwischenrufe eingehen. Ich hatte eine sehr gute Antwort, aber ich will sie nicht geben.
Wenn es zur Leistung eines deutschen Beitrags zu
einer europäischen Armee kommt — das ist ja die
Frage, die zur Zeit viele Kreise beschäftigt —,
dann wird das wohl in folgender Weise vor sich gehen. Wir werden sicher zunächst mit Freiwilligen anfangen; aber es wird der Zeitpunkt kommen, wo der Schaffung eines deutschen Wehrgesetzes nähergetreten werden muß.
Nun hat die sozialdemokratische Fraktion, wie Sie wissen, eine Klage beim Bundesverfassungsgericht eingereicht, indem sie die Feststellung verlangt, daß ein solches Gesetz eine Zweidrittelmehrheit erfordere.
Ich will mich hier nicht in lange juristische Auseinandersetzungen verlieren; das wird in Karlsruhe geschehen. Aber ich möchte doch einiges in die Erinnerung aller derer, die Mitglieder des Parlamentarischen Rates waren,
und damit in die Erinnerung der deutschen Öffentlichkeit zurückrufen.
Soviel ich weiß, haben die Kläger beim Bundesverfassungsgericht den Herrn Bundespräsidenten als Kronzeugen angeführt. Die Bundesregierung wird, wenn es nach mir geht, den Bundespräsidenten nicht als Kronzeugen anführen, weil wir glauben, daß man seine Person in eine solche Auseinandersetzung nicht einbeziehen sollte.
Aber, meine Damen und Herren, der Herr Bundespräsident Heuss war ja auch einmal Mitglied des Parlamentarischen Rates, und aus dem, was er dort gesagt hat, was er dort unserem geschätzten Kollegen Schmid geantwortet hat, und was Herr Kollege Schmid ihm dann erwidert hat, lohnt es sich doch, einiges mitzuteilen.
Es wird Ihnen vielleicht in der Erinnerung sein, daß der Beratung des Parlamentarischen Rates ein Entwurf vorangegangen war, der von Vertretern der Länder in Herrenchiemsee ausgearbeitet worden ist. In einem Artikel dieses Entwurfs hieß es allerdings, daß es verboten sein sollte, die Führung eines Krieges vorzubereiten. Dann hat aber der Redaktionsausschuß unseres Parlamentarischen Rates beschlossen, daß an die Stelle des Wortes „Krieges" das Wort „Angriffskrieges" gesetzt werden solle. Diese Frage ist in einer Sitzung des Hauptausschusses des Parlamentarischen Rates vom 19. November 1948 eingehend erörtert worden. Herr von Brentano hat damals ausgeführt:
Der Redaktionsausschuß war der Auffassung,
daß man das Wort „Krieg" durch das Wort
„Angriffskrieg" ersetzen sollte. Denn verboten
ist der Angriffskrieg ...
Der Abgeordnete Dr. Schmid, unser heutiger Bundestagskollege, der an den Beratungen im Parlamentarischen Rat einen sehr großen Anteil gehabt hat — einen Anteil, für den wir alle ihm nur dankbar sein können — —
— Ja, meine Damen und Herren, das waren damals noch goldene Zeiten!
Der Herr Abgeordnete Schmid hat sich gegen diese Änderung gewendet und hat damals Gewaltanwendung — Sie hören, wie prophetisch er in die Zukunft gesehen hat — nur im Rahmen eines kollektiven Selbstschutzes zulassen wollen.
Er hat damals gesagt:
Wir sollten auch hier ein Stück weitergehen, als man bisher üblicherweise gegangen ist, und sollten in unserem Lande schlechthin untersagen, die Führung von Kriegen vorzubereiten. Wir sollten damit unsere Meinung zum Ausdruck bringen, daß in einem geordneten Zusammenleben der Völker das, was man früher als die ultima ratio regum, als das Souveränitätsrecht der Souveränitätsrechte ansah, schlechthin keine Stätte mehr haben soll, daß, wenn schon Gewalt ausgeübt werden muß, diese Gewalt nicht als nationaler Souveränitätsakt ausgeübt werden soll, sondern als Akt des kollektiven Selbstschutzes aller Nationen, die dafür sorgen, daß auf der ganzen Welt der Friede erhalten bleibt und es Angreifern unmöglich gemacht wird, den Frieden zu stören.
Meine Damen und Herren! Ich muß Herrn Kollegen Schmid neidlos zugestehen, daß er einen weiten Blick in die Zukunft gehabt hat
und daß er 'das Wesen der Verteidigungsgemeinschaft, verehrter Herr Schoettle, und das Wesen des Atlantikpaktes gar nicht treffender hätte kennzeichnen können, als er es damals getan hat.
Es kommt aber noch besser.
Auch der Herr Abgeordnete Renner ist damals auf den Plan getreten,
Der Herr Abgeordnete Renner hatte in dem Hauptausschuß einen Antrag gestellt, der von dem damaligen Vorsitzenden, dem Herrn Abgeordneten Schmid, kritisiert worden ist.
Der Herr Abgeordnete Renner hat darauf folgenden denkwürdigen Ausspruch getan -- ich hoffe, daß er ihm nicht zum Schaden gereicht —:
Er hat nämlich gegenüber dem Vorsitzenden Schmid gesagt:
Sie wollen doch nicht behaupten, daß mit dieser Fassung die Bildung eines Heeres für Westdeutschland abgelehnt ist?
Meine Damen und Herren, das waren die Ausführungen des Herrn Renner!
Ich überlasse es jedem, die notwendigen juristischen Folgerungen aus der Diskussion im Parlamentarischen Rat über das zu ziehen, was das Grundgesetz gewollt hat und was es nicht gewollt hat.
Bei den Verhandlungen im Parlamentarischen Rat ist dann auch die Frage zur Sprache gekommen, ob man jemandem das Recht geben sollte, aus Gewissensgründen den Kriegsdienst mit der Waffe — bitte, meine Damen und Herren, jedes Wort ist hier wichtig —, den Kriegsdienst mit der Waffe aus Gewissensgründen zu verweigern. Nun ist es interessant, daß keiner der Herren - auch nicht von der damaligen sozialdemokratischen Fraktion — im Parlamentarischen Rat etwa erklärt hat: Wir wollen doch überhaupt keinen Kriegsdienst mehr,
niemals mehr, sondern es hat sich damals folgendes abgespielt. Der damalige Abgeordnete Heuss hat ausgeführt:
Wir sind jetzt dabei, ein Werk der Demokratie zu schaffen. Die allgemeine Wehrpflicht ist das legitime Kind der Demokratie. Seine Wiege stand in Frankreich. Mir scheint es unmöglich zu sein, daß wir in diesem Augenblick, in welchem wir eine neue Fundamentierung des Staates vornehmen wollen — auch wenn ich mir durchaus darüber klar bin, daß wir kein Militär mehr im alten Sinn bekommen werden, ich will das auch nicht —, daß wir in dieser Situation nur mit einer solchen Deklaration kommen.
Und darauf hat der Herr Abgeordnete Dr. Schmid folgendes ausgeführt:
Es handelt sich vielmehr darum, daß jemand, der es mit seinem Gewissen nicht vereinbaren kann, auch im Falle eines Krieges einen andern zu töten — darum handelt es sich in erster Linie —, die Möglichkeit haben soll, zu sagen: Ich will in dieser Not meines Vaterlandes meinen Dienst auf andere Weise tun können als auf diese Weise. Dafür sollten wir die rechtliche Möglichkeit schaffen.
Nicht umsonst steht dieser Abs. 5 in einem Artikel, der sich mit der Freiheit des Glaubens und des Gewissens befaßt, und nicht etwa unter den Artikeln, in denen wir versucht haben, für die künftige Ordnung Europas deutscherseits einen friedlichen Beitrag zu liefern. Unter diesem Gesichtspunkt gesehen könnte dieser Artikel vielleicht auch akzeptiert werden, wenn man grundsätzlich zu der Frage der Demokratie und der Pflicht, sie zu verteidigen, steht wie Sie, Herr Kollege Dr. Heuss.
Bemerkenswert ist, daß Herr Abgeordneter Dr. Schmid — und ich bitte Sie, was ich jetzt sage, in vollem Ernst zu nehmen —, der damals in den Beratungen des Grundgesetzes im Parlamentari-
schen Rat sich durch die Fülle der Gedanken und die Arbeit, die er geleistet hat, ausgezeichnet hat, nicht etwa gesagt hat: Der ganze Artikel ist doch überflüssig, weil das Grundgesetz ja überhaupt einen Kriegsdienst, eine Wehrmacht nicht will,
sondern er hat nur darauf gedrungen, daß in Fällen von Gewissensnot die Möglichkeit gegeben werde, den Kriegsdienst mit der Waffe zu verweigern. Herr Dr. Eberhard, der damals Mitglied der sozialdemokratischen Fraktion des Parlamentarischen Rats war, hat ausgeführt:
Ich glaube durchaus, daß man weder die Demokratie noch den Frieden unter allen Umständen einfach durch ein Bekenntnis zum Frieden oder durch ein Bekenntnis zur Kriegsdienstverweigerung verteidigen kann.
Das war eine sehr klare Erklärung. Das Weitere wird das Bundesverfassungsgericht sagen.
Daß ich mich doch für verpflichtet hielt, in meiner heutigen Rede darauf einzugehen, hat folgende Gründe.
Die Vertreter der Bundesrepublik Deutschland bei internationalen Verhandlungen erleiden naturgemäß eine Schwächung ihrer Stellung, wenn in diesem Augenblick von 144 Abgeordneten des Bundestags beim Bundesverfassungsgericht eine Klage eingereicht wird, in der ersucht wird festzustellen, daß ein etwaiges Wehrgesetz nur mit Zweidrittelmehrheit beschlossen werden könnte, und wenn man dann gleichzeitig erklärt, daß man dagegen sei. Dieser Schwächung der Position der deutschen Vertreter bei internationalen Verhandlungen muß ich durch die Erklärung entgegentreten, daß diese Klage nach dem Inhalte des Grundgesetzes, nach den vorangegangenen Verhandlungen völlig aussichtslos und überflüssig ist.
Herr Abgeordneter Greve, Sie haben nachher die Möglichkeit, das Wort zu nehmen.
Meine Damen und Herren, sind wir denn nun Demokraten oder sind wir es nicht?
Wenn 144 Bundestagsabgeordnete in einer Klage beim Bundesverfassungsgericht festgestellt wissen wollen,
daß die Bundesregierung eine falsche Ansicht habe,
ist es dann uns nicht erlaubt, auch unsererseits etwas dagegen zu sagen?
Heißt das dann Demokratie,
wenn man den Angegriffenen hier im Hause überhaupt verwehren will, sich zu verteidigen?
Ich habe Ihnen im Laufe meiner Ausführungen schon dargelegt, welche Bedeutung das Zustandekommen der europäischen Verteidigungsgemeinschaft innerhalb des Atlantikpakts für Berlin und für den Osten hat, und ich wiederhole — halten Sie dieses Moment im Auge! —: Wir werden Berlin und wir werden den deutschen Osten nicht anders wiederbekommen als über ein vereintes Europa!
Wer etwas anderes denkt, der sieht die Dinge nicht, wie sie sind; denn wir alle sind uns doch darüber klar — die gestrige Debatte hat es doch bewiesen —, daß nur eine verschwindend kleine Gruppe in diesem Hause der Auffassung ist, daß wir ein vereinigtes Deutschland auf dem Wege über Sowjetrußland bekämen.
Ich sage Ihnen, meine Damen und Herren: Der beste Schutz für Berlin, das wie eine Insel im roten Meere liegt, ist das Zustandekommen dieser Abwehrfront gegenüber Sowjetrußland.
In allen möglichen Reden und Artikeln ist die Behauptung aufgestellt worden, daß wir damit nur die Vollstrecker des Willens der Vereinigten Staaten seien.
Das ist ein Gedanke, eine Meinung, die sich für jeden, der noch etwas verstehen will, sehr schnell widerlegen läßt.
Es ist behauptet worden, daß alles das geschehe, um die amerikanische Rüstungsindustrie aufrechtzuerhalten.
Wissen Sie denn, wie groß der Anteil der Rüstungsproduktion an der gesamten wirtschaftlichen Produktion der Vereinigten Staaten ist? — Nicht ganz -25%!
Ist Ihnen eigentlich immer gegenwärtig, daß die Vereinigten Staaten insgesamt bisher nach Europa für friedliche Zwecke gegeben haben: 11,6 Milliarden Dollar? Ich möchte mal gern wissen, wieviel Sowjetrußland für friedliche Zwecke nach Europa gegeben hat!
Und ist Ihnen immer so bekannt, daß doch bis jetzt - die Vereinigten Staaten an Toten, Verwundeten
und Gefangenen in Korea im Kampfe für die Freiheit der Welt über hunderttausend Mann verloren haben?
Meine Damen und Herren, die Lage in der Welt ist wahrhaftig sehr ernst.
Ich habe eben von Korea gesprochen. Sie wissen, wie freventlich dort der Krieg vom Zaune gebrochen wurde.
— Von den Amerikanern? Dabei war überhaupt kein Kommando von Amerikanern mehr in Südkorea anwesend!
Sie wissen, wie es diesem unglücklichen Lande und seinen Bewohnern ergangen ist;
Sie wissen, wie oft die Kriegswalze über Korea hin und her gegangen ist. Ich habe eben schon erwähnt: Überall, wo in der Welt Brände entzündet werden, — —
Herr Abgeordneter Rische, ich werde es mir nicht mehr bieten lassen, daß Sie jeden Satz unterbrechen. Ich sehe das als eine Störung der Ordnung des Hauses an. Ich werde Sie beim nächsten Zwischenruf, der die Rede des Bundeskanzlers unterbricht, aus dem Saal weisen.
Meine Damen und Herren! Leider ist sich das deutsche Volk über den Ernst der Situation in der Welt nicht im klaren.
Man hat sich allmählich — das ist eine gute Eigenschaft, unter Umständen aber auch eine schlechte Eigenschaft des Menschen! - an den Gedanken gewöhnt, daß es so bleibe wie bisher oder daß nichts Besonderes passieren würde. Meine Damen und Herren, Sie wissen doch genau so gut wie ich, daß seit Jahr und Tag Sowjetrußland in der Ostzone rund 30 Divisionen marschbereit zum Einzug gegen Deutschland unterhält.
Frau Abgeordnete Strohbach, ich rufe Sie wegen des Ausdrucks „Lüge" zur Ordnung.
— Also Frau Abgeordnete Thiele wird zur Ordnung gerufen.
Wenn es nicht zu lange aufhalten würde, würde ich Ihnen die einzelnen Divisionen und ihre Standorte mitteilen.
Wenn einer über diese Dinge orientiert ist, dann ist es der Vorsitzende der kommunistischen Gruppe.
— Ja, das tut mir leid! Das war ein freundschaftliches Zwiegespräch! (Heiterkeit.) .
Sie wissen, meine Damen und Herren — ich betone das nochmals —, wie groß die Minierarbeit ist, die von seiten Sowjetrußlands und seiner Satrapen geleistet wird.
Sie wissen — das muß in aller Offenheit auch dem deutschen Volk gesagt werden —, daß dieses Europa ohne Unterstützung der Vereinigten Staaten Sowjetrußland ausgeliefert ist.
Lassen Sie mich hinzufügen, daß man es verstehen könnte, wenn eines Tages die Vereinigten Staaten sich sagen würden: Wir haben auch andere Möglichkeiten, uns gegenüber Sowjetrußland zu verteidigen,
und wenn die öffentliche Meinung in den Vereinigten Staaten sagen würde: Wenn die Europäer nicht wollen, wenn sie nicht sehen wollen, in welcher Gefahr sie schweben, wenn sie nicht unter Zurücksetzung von Streitigkeiten, die im Verhältnis zu der Größe der Gefahr, in der sie alle schweben, klein sind, endlich sehen wollen, daß wir tatsächlich in eine neue Zeit eingetreten sind, in der ein Zusammenschluß Europas aus wirtschaftlichen, 1 aus politischen, aus Verteidigungsgründen eine absolute Notwendigkeit ist — nun, wenn sie das nicht einsehen, dann können wir ihnen nicht weiter helfen!
Eines möchte ich zum Schluß nochmals mit allem Nachdruck Ihnen sagen: Weder der Atlantikpakt noch die europäische Verteidigungsgemeinschaft verfolgen irgendwelche aggressiven Ziele.
Ich glaube, niemandem in der Welt als uns Deutschen, die wir ja doch dem Gefahrenherd am nächsten liegen, wäre es willkommener, wenn Sowjetrußland nun ehrlich sagte: Wir wollen zu Frieden und zu Verständigung kommen!
Aber die Rolle, die Sowjetrußland jetzt wieder in der' UNO gespielt hat, als es sich darum handelte, gesamtdeutsche Wahlen herbeizuführen,
hat doch — und Sie alle haben gestern dieser Auffassung zugestimmt — klar und überzeugend gezeigt,
daß Sowjetrußland den Frieden in der Welt nicht will
und daß, wenn wir im Verein mit den anderen westeuropäischen Staaten nicht einen Damm des Friedens bauen, der Friede nicht erhalten bleiben wird.
Wir, meine Damen und Herren, wollen den Frieden.
Wir wollen den Frieden und die Freiheit!
Wir wollen keine Knechtschaft und keine Sklaverei;
wir wollen Frieden und Freiheit für uns und für Gesamtdeutschland.
Nach meiner festen Überzeugung, nach der Überzeugung eines jeden Deutschen, der die Dinge unvoreingenommen betrachtet,
gibt es vor dieser konsequent fortgeführten, Politik des totalitären Sowjetrußlands nur eine Rettung für uns alle: uns so stark zu machen,
daß Sowjetrußland erkennt: ein Angriff darauf ist ein großes Risiko für Sowjetrußland selbst.
Das ist das Ziel des Ganzen; das ist unsere Absicht, das wollen wir mit der europäischen Verteidigungsgemeinschaft.
Das wollen wir mit der Verbindung, mit dem späteren Eintritt in den Atlantikpakt.
Wir wollen endlich Ruhe und Frieden haben vor dem Drang und den Angriffen aus dem Osten.
Ich bitte Sie, davon überzeugt zu sein — ich sage das mit allem Nachdruck, mit allem Ernst und mit dem Bewußtsein meiner ganzen Verantwortung —, daß wir nichts anderes wollen als den Frieden erhalten, einen wahren Frieden und eine wahre Freiheit
und die Wiedervereinigung Deutschlands in Frieden und Freiheit.
Lassen Sie mich zum Schluß noch ein Wort hinzufügen. Ich habe von seiten der englischen Regierung die Mitteilung bekommen, daß sie dem Projekt der europäischen Verteidigungsgemeinschaft mit vollster Sympathie gegenübersteht
und daß sie alles tun wird, um eine möglichst
enge Verbindung zwischen Großbritannien und
der europäischen Verteidigungsgemeinschaft herbeizuführen.
Wenn so das gesamte freie Europa sich einigt
und wenn es dann mit den Vereinigten Staaten zusammengeht,
dann, meine Damen und Herren, retten wir alles
das, was uns teuer ist: die Freiheit und den Frieden.
Meine Damen und Herren, mir ist mitgeteilt worden, daß einige Fraktionen des Hauses wünschen, die Sitzung auf einige Zeit zu unterbrechen, damit sie Gelegenheit haben, zu den Ausführungen des Herrn Bundeskanzlers Stellung zu nehmen. Ich schlage Ihnen vor, daß wir die Sitzung um 13 Uhr 30 wieder aufnehmen. Ist das Haus damit einverstanden? —
— Das Haus ist damit einverstanden. Ich unterbreche die Sitzung bis 13 Uhr 30.
Die Sitzung wird um 13 Uhr 33 Minuter. wieder aufgenommen.
Meine Damen und Herren! Wir fahren in der unterbrochenen Sitzung fort und kommen zur
Aussprache über die Erklärung der Bundesregierung.
Der Ältestenrat hat Ihnen den Vorschlag zu machen, für die Aussprache über die Regierungserklärung eine Gesamtredezeit von 12 Stunden in Aussicht zu nehmen. — Das Haus ist damit einverstanden.
Das Wort hat zunächst Herr Abgeordneter Ollenhauer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die sozialdemokratische Fraktion des Bundestags begrüßt diese Aussprache, die nach ihrer Überzeugung seit langem notwendig war. Wir bedauern allerdings, daß sie unter so ungünstigen Voraussetzungen geführt werden muß, denn das Hohe Haus besitzt außer einigen internen Informationen und außer einigen allgemeinen Andeutungen des Herrn Bundeskanzlers über die hier im Grundsatz zur Debatte stehenden Verträge keine ausreichenden Informationen.
Wir glauben, daß dieser Zustand absolut unbefriedigend ist. Wir wissen selbstverständlich, daß im Laufe von internationalen Verhandlungen nicht alle Einzelheiten diskutiert werden können, aber die Unvollkommenheit der Informationen über die bis jetzt bekannten und festliegenden Tatsachen steht in direktem Widerspruch zu den Notwendigkeiten einer ernsthaften Zusammenarbeit zwischen Parlament und Regierung.
Ich möchte noch eine zweite Bemerkung hinzufügen. Ich tue es nicht leichten Herzens; aber ich glaube, dieses Haus, der Deutsche Bundestag als Ganzes hat im Volk und in der Welt eine Reputation zu verlieren, und ich bedaure deswegen, daß eine
so lebenswichtige Anlegenheit für das deutsche Volk und für Europa heute morgen durch den Herrn Bundeskanzler in einer so ungenügenden und dürftigen Weise vertreten worden ist, wie das der Fall war.
Die Frage eines deutschen Verteidigungsbeitrags ist von so weittragender Bedeutung, daß sie rechtzeitig und umfassend vor dem ganzen Volke erörtert werden muß. Aber ebenso wichtig wie die Öffentlichkeit der Aussprache ist die sachliche Fundierung dieser Aussprache.
In dieser Beziehung sind wir auf das tiefste von dem enttäuscht, was wir heute als Grundlage für diese Aussprache in der Regierungserklärung des Herrn Bundeskanzlers bekommen haben.
Die Frage, über die wir hier diskutieren, berührt das Schicksal jedes einzelnen Menschen in Deutschland. Sie ist wie kaum eine andere geeignet, aus dem Elementaren, aus dem Gefühlsmäßigen beantwortet zu werden. Ich meine, allein schon dieser Umstand verpflichtet jeden, der an öffentlicher Stelle sich mit dieser Frage beschäftigt. Jeder Versuch, mit dem Appell an das Gefühl die Entscheidung für oder gegen zu erzwingen, ist verantwortungslos.
Die bisherige Behandlung des Themas durch die Regierung ist leider nicht frei von diesen Versuchen.
Das gilt auch für wesentliche Teile der Rede des Herrn Bundeskanzlers von heute morgen.
Meine Damen und Herren! Wir haben heute wieder die Hinweise auf die bedrohliche Weltlage und die besondere Gefährdung des deutschen Volkes in aller Ausführlichkeit gehört Es ist nicht das erste Mal. Wäre es nicht eine gute Übung, wenn wir hier im Parlament bei der Behandlung solcher Fragen von der Annahme ausgehen, daß die Mitglieder dieses Hauses, bevor sie in die Beratung eintreten, ihre Morgenzeitung gelesen haben? Dieses Argument der bedrohlichen Weltlage und der Bedrohung des deutschen Volkes ist ein Argument, das uns seit Beginn dieser Debatte im Herbst 1.950 immer wieder vorgetragen wird. Schon damals erlebten wir den Hinweis auf die Schutz- und Wehrlosigkeit des deutschen Volkes, auf die angebliche Gefahr des völligen amerikanischen Rückzugs aus Deutschland und Europa, wenn sich Europa nicht einigt und wenn wir nicht aufrüsten. Der sachliche Wert dieses Arguments ist nach unserer Überzeugung sehr fragwürdig. Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, daß die akute Kriegsgefahr in der Welt heute größer ist als im Jahre 1950. Im Gegenteil; wenn es richtig ist, daß die Aufrüstung der Demokratie ein friedenförderndes und krieghemmendes Element darstellt, dann muß ja die Gefahr heute geringer sein. Und außerdem: wenn es trotzdem heute die gesteigerte Gefahr einer russischen Aggression geben sollte, dann wäre selbst eine sofortige deutsche Aufrüstung ohne praktische Wirkung auf die gegenwärtige Kräfteverteilung zwischen Ost und West, weil sie viele Monate braucht, um effektiv zu werden.
Man kann wohl von der Annahme ausgehen, daß dieser Umstand allen Beteiligten in der Welt bekannt ist.Das Zweite. Wir möchten darum bitten, daß in der Auseinandersetzung über diese Frage das sogenannte Zeitmotiv endlich zum alten Eisen gelegt wird,
daß uns nicht immer wieder gesagt wird: die Entscheidungen drängen, es ist höchste Zeit, wir haben nur noch wenige Wochen. Dieses Zeitmotiv war nie ein echtes Argument in der internationalen Diskussion der letzten Jahre.
Es wurde nur immer dann ins Feld geführt, (Abg. Schröder [Düsseldorf] : Wenn es zuspät ist!)wenn man von den Deutschen schnelle und für sie unerfreuliche Entscheidungen erreichen wollte.
Sie haben ja ein klassisches Beispiel aus der jüngsten Vergangenheit: es ist der Schumanplan. Anfang Dezember 1951 hing das Heil der Welt davon ab — so wurde uns jedenfalls erzählt —, daß der Bundestag die Ratifizierung des Planes den andern Partnern noch als Weihnachtsgeschenk darbrächte. Nun, wir sind noch einmal davongekommen, obwohl wir erst im Januar die Schumanplan-Debatte hatten. Dann haben Sie den Vertrag ratifiziert. Und was erleben wir jetzt? Was tun die anderen, die Partner, was tut insbesondere Frankreich? Frankreich hat beschlossen, die Entscheidung im Rat der Republik auf den 24. Februar dieses Jahres zu vertagen,
d. h. bis nach der Lissaboner Konferenz; und heute spricht man in Frankreich davon, die endgültige französische Ratifizierung des Planes von der Entscheidung über den Plan der Europaarmee und des deutschen Wehrbeitrags abhängig zu machen.
Erinnern Sie sich noch. wie man uns erklärte, daß nach der Lissaboner Konferenz eine sehr gefährliche Situation über uns käme, wenn bis dahin nicht alles unter Dach und Fach sei?! Nun, die Angst-lichen unter Ihnen können sich damit trösten, daß wir Deutschen nicht die einzigen sein werden, die bis Lissabon ihr Soll nicht erfüllt haben.
Im Ernst: wir erwarten von der Regierung nicht nur, daß Sie uns mit diesem Argument nicht mehr kommt, sondern wir erwarten auch, daß sie sich in ihren weiteren internationalen Verhandlungen mit aller Entschiedenheit gegen Pressionen dieser Art zur Wehr setzt.
Wir haben noch eine zweite Beschwerde gegen die Regierung, soweit es die Prozedur betrifft. Die bisherige Behandlung dieser ganzen Angelegenheit in der Öffentlichkeit ist einfach indiskutabel schlecht. Monatelang hat das Volk so gut wie nichts über den Gang der internationalen Verhandlunger erfahren. Von Zeit zu Zeit sprach Herr Staatssekretär Hallstein und erklärte der erstaunten Welt,
1 man sei fast fertig und alles sei in bester Ordnung. Aber niemand hatte die Möglichkeit, eine sachliche Nachprüfung dieses Optimismus des deutschen Verhandlungsführers vorzunehmen. Und die Krönung dieser Behandlungsmethode des 'Volkes in einer so wichtigen Lebensfrage waren dann die Offenbarungen des Herrn Abgeordneten Blank als deutschen Verhandlungsleiters in der militär-technischen Konferenz in Paris.Ich will heute auf dieser Ebene nicht über die bisherigen Resultate der Pariser Verhandlungen sprechen. Denn wir haben uns hier nicht mit dem W i e einer deutschen Verteidigung zu beschäftigen. Es steht bis jetzt nur auf der Tagesordnung, ob es einen deutschen Verteidigungsbeitrag geben soll.
Das allein ist die Frage, die wir heute zu besprechen und zu behandeln haben. Demgegenüber war die Art und Weise, wie man mit einem Mal vor dem deutschen Volk eine ganze Spielzeugkiste ausschüttete, als handele es sich nur noch darum, daß wir uns mit den neuen Bleisoldaten in europäischer Uniform recht bald befreunden sollten, — diese ganze Art und Weise war unmöglich, und sie hat im Volke wie eine Provokation gewirkt.
Es ist schwer zu sagen, ob die bisherige mangelnde Information oder diese Verlagerung der Diskussion auf die zweitrangigen militärtechnischen Fragen das Vertrauen im Volk zu dieser Regierung mehr erschüttert hat.
Jedenfalls: die Reaktion auf diese Methoden ist außerordentlich tief und scharf, und die Diskussionist jetzt mit einem Maß von Mißtrauen belastet worden, das jede sachliche Auseinandersetzung noch mehr erschwert.
Die Verantwortung für diese Entwicklung trägt allein die Bundesregierung.
Bei der Diskussion über einen deutschen Verteidigungsbeitrag steht das Problem der Behauptung und der Sicherung der Demokratie und ihrer politischen und individuellen Freiheitsrechte ih seiner Gesamtheit zur Diskussion.
Es erschöpft sich nicht in der Sammlung und Konzentration von Menschen und Mitteln zu militärischen Zwecken. Ober die Notwendigkeit der Verteidigung der Freiheit und der Demokratie brauchen wir hier nicht mehr zu sprechen.
Das deutsche Volk in seiner erdrückenden Mehrheit fühlt sich unlösbar verbunden mit den Lebensvorstellungen der westlichen Welt,
und wir wissen, daß seine nationale Existenz und seine Zukunft von der Erhaltung des Friedens und eines freien demokratischen und sozialen Europas abhängt.
Das festzustellen, ist in diesem Hause nach den Reaktionen, die meine Bemerkungen gefunden haben, vielleicht doch noch notwendig gewesen.
Aber ich habe sie auch deshalb hier gemacht, weil wir uns hier ja nicht nur mit den Vorstellungen auseinanderzusetzen haben, die unmittelbar in genügender Weise in diesem Hause zum Ausdruck kommen, sei es pro oder contra, sondern auch mit den Empfindungen und Stimmungen in dieser Frage, die wichtige Teile des deutschen Volkes bis aufs tiefste berühren.
Ich möchte hier sagen: Wir achten eine pazifistische Gesinnung, die aus ethischen, religiösen oder anderen weltanschaulichen Gründen jeden Dienst mit der Waffe ablehnt. Wir verstehen vor allem die Empfindungen so vieler junger Deutscher, die nach dem Grauen des zweiten Weltkrieges nichts mehr von irgendeiner Form militärischen Dienstes wissen wollen, und wir haben uns mit diesen Auffassungen ernst und gewissenhaft auseinanderzusetzen.
Der Vorwurf, daß diese Jungen aus mangelnder Verantwortung nicht bereit seien, der Demokratie den gleichen Dienst , zu leisten wie ihre Altersgenossen in den westlichen Demokratien, sollte vor allem von Außenstehenden gegenüber dieser deutschen Jugend nicht erhoben werden.
Schließlich war der Ohne-mich-Standpunkt noch vor zwei Jahren das Idealbild eines nach dem Willen der Alliierten für alle Zeiten, dauernd abgerüsteten Deutschlands,
und es ist nicht die Schuld der deutschen Jugend, wenn diese Idealbilder der neuen Erziehung sich so schnell und grundlegend geändert haben.Die Frage eines deutschen Verteidigungsbeitrages ist aber keine moralische, sondern eine politische Frage, und sie muß und kann allein unter politischen Gesichtspunkten entschieden werden. Die Anhänger einer pazifistischen Idee müssen sich darüber klar sein, daß sie die Freiheit, nach ihren pazifistischen Grundsätzen zu leben, nur so lange haben werden, wie es gelingt, die Freiheit der Demokratie zu erhalten.
Die Alternative sind die Konzentrationslager der totalitären Systeme.
Der Ohne-mich-Standpunkt löst keines der menschlichen Probleme seiner Anhänger. Im Falle einer Aggression der Totalitären ist ihnen die Uniform auf alle Fälle sicher.
Politisch aber bedeutet dieser Standpunkt unter den gegenwärtigen Umständen eine Hilfsstellung für die Extremen in unserem Volk, sowohl für die-j enigen, die einen deutschen Beitrag unter keinen Umständen leisten wollen, wie auch für diejenigen, die ihn unter allen Umständen wollen
und die heute schon wieder auch in Deutschland von den alten militaristisch-machtpolitischen Vorstellungen befangen sind.
Das politische Problem, vor dem wir hier und heute stehen, ist die konkrete Frage, der niemand ausweichen kann, ob die von der Bundesregierung eingeschlagene Politik und die von ihr angewandten Mittel zu einer sinnvollen und vertretbaren Mitwirkung der Bundesrepublik an einer europäischen Verteidigung führen können. Wir Sozialdemokraten verneinen diese Frage.Zunächst eine Feststellung: es geht um mehr als um Divisionen, Kampfgeschwader und Atombomben; es geht auch und zuerst um die Herstellung der Krisenfestigkeit der deutschen Demokratie.
Die Aufrüstung der Demokratie hat als erstes und vornehmstes Ziel die Erhaltung und die Sicherung des Friedens. Die Frage nach der Größe der Kriegsgefahr und nach den aggressiven und kriegerischen Absichten der Sowjetunion gehört für uns alle weitgehend in das Reich der Spekulation; aber der Kalte Krieg ist eine Realität.
Vieles spricht dafür, daß die Sowjetunion die Zersetzung und die Auflösung der Demokratien von innen her als wirksamere und billigere Mittel ihrer, Expansionspolitik in Europa ansieht als das Experiment einer gewaltsamen Auseinandersetzung.
Diese Überlegung müssen wir mit allem Ernst und in erster Linie in Betracht ziehen,' wenn wir über die Verteidigung der Demokratie sprechen. Denn vergessen wir eines nicht: auf die Dauer ist die Politik des bewaffneten Friedens, die die westlichen Demokratien jetzt betreiben müssen, auf Kosten des Lebensstandards der breiten Masse eine schwere Belastung der demokratischen Ordnung ihrer Länder.
Hier in Deutschland, in unserer besonderen Situation, mit unseren außergewöhnlichen sozialen Verpflichtungen muß die soziale Sicherung der Demokratie vor der militärischen stehen.
Unsere erste Aufgabe ist deshalb eine wirksame Antwort auf die Methoden des Kalten Krieges durch eine Politik, die die Demokratie im Bewußtsein des ganzen deutschen Volkes verteidigungswürdig macht.
Eine zu ihrer Verteidigung entschlossene Demokratie muß der Infiltration und Zersetzung offensiv, durch wirksame und umfassende soziale Leistungen begegnen. Ich bemerke hier, daß der Herr Bundeskanzler es nicht für nötig gehalten hat, über dieses Kapitel auch nur ein einziges Wort zu sagen.
Ich möchte hinzufügen, daß das bisherige Versagen der Regierung auf diesem Gebiet eine dauernde Schwächung der Demokratie darstellt.
Damit ich die Behauptung, die Sie anscheinend aufregt, etwas begründe: ich wäre der Meinung gewesen, daß in diesem Hause vor einer Debatte über die militärische Verteidigung die Fragen des Lastenausgleichs, die Fragen eines Arbeitsbeschaffungsprogramms und die Fragen der Mitbestimmung der arbeitenden Menschen in Deutschland hätten entschieden werden müssen.
— Daß Sie, Herr Rechenberg, nicht für Sozialpolitik sind, das weiß jeder in diesem Hause. — Ich wiederhole: das bisherige Versagen der Regierung auf diesem Gebiet ist eine dauernde Schwächung der Demokratie, die auch nicht durch die Aufstellung von deutschen Divisionen wettgemacht werden kann.
Die Bundesregierung verhandelt jetzt schon über die finanziellen Verpflichtungen, die sich aus einem deutschen Verteidigungsbeitrag ergeben. Auch das tut sie — ich stelle das nur fest —, ehe hier über das Ob eines deutschen Verteidigungsbeitrages entschieden ist.
Wir werden darüber noch zu reden haben. Aber schon jetzt eine eindeutige Feststellung: für die Sozialdemokratische Partei ist auch nur eine Diskussion über einen militärischen Verteidigungsetat ohne die vorherige Sicherstellung eines sozialen Verteidigungsetats unmöglich.
.
Dieser soziale Verteidigungsetat muß die Erhaltung und Sicherung eines menschenwürdigen Lebensstandards der breiten Massen des deutschen Volkes einschließen.Nun, meine Damen und Herren, zu dem, was wir heute als deutschen militärischen Verteidigungsbeitrag diskutieren. Die Frage des deutschen Verteidigungsbeitrags ist kein deutsches Problem, sie ist ein europäisches und internationales Problem.
— Bitte, lassen Sie mich doch jetzt aussprechen; vielleicht befriedige ich Sie mit dem nächsten Satz noch mehr. — Sie ist uns aufgezwungen durch die Entwicklung und durch Umstände, die nicht durch die deutsche Politik nach 1945 ausgelöst wurden. Das deutsche Volk war in seiner erdrückenden Mehrheit bereit, die dauernde Abrüstung Deutschlands auch als eine Entscheidung aus seinem eigenen freien Willen zu akzeptieren.
Jetzt aber geht es an der Zonengrenze, an der Elbe nicht nur um die deutsche Sicherheit und Freiheit. Diese Grenze ist wie jeder andere Brennpunkt der Interessengegensätze zwischen Ost und West eine Verteidigungslinie der freien Welt. Die Verteidigung der Bundesrepublik liegt daher ebenso im gemeinsamen Interesse aller freien Völker wie die Verteidigung jedes anderen freien Volkes.
Die erste undiskutable Voraussetzung für einen deutschen Beitrag muß daher die Gewißheit sein, daß die entscheidenden Mächte der demokratischen Welt, in erster Linie die Vereinigten Staaten, ent-
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8112 Deutscher Bundestag — 100. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Februar 1052
schlossen sind, Deutschland mit demselben Einsatz zu verteidigen wie irgendeinen Punkt ihres eigenen Gebiets.
Wir haben diese Frage bereits in der ersten Debatte im November 1950 aufgeworfen. Sie ist auch heute noch nicht zufriedenstellend und beruhigend beantwortet. Wir wissen durchaus, daß man Fragen der Strategie nicht auf offenem Markt diskutieren kann.
Aber solange die Brückenkopftheorie noch ernsthaft in der Öffentlichkeit diskutiert wird, solange man davon spricht: „Wir brauchen deutsche Soldaten, damit unsere Boys endlich nach Hause gehen können", so lange ist bei der gegebenen internationalen Situation und Machtverteilung eine Aufforderung an die deutsche Jugend, wieder Waffen zu tragen, die Aufforderung zu einem Einsatz ohne Aussicht auf eine erfolgreiche Verteidigung unseres Landes und der europäischen Demokratie.
Es gibt natürlich keine Politik der Verteidigung, die jedes Risiko ausschließt. Es ist nicht unsere Meinung, daß wir mit den Händen in den Hosentaschen beiseite stehen sollen,
wenn es um die Verteidigung von Werten geht, die auch uns angehen.
Aber in dieser Lage, in diesem weltumspannenden Konflikt gibt es nur eine sinnvolle und aussichtsreiche Konzeption der Konzentration aller Kräfte, nämlich die Konzeption des gleichen Risikos und der gleichen Chance für alle.
Wir können und wir dürfen nach unserer Auffassung nicht ja sagen, solange diese Konzentration in der Realität nicht durchgeführt ist.Gegen die Regierung erheben wir in diesem Zusammenhang den Vorwurf, daß sie in konkrete Vertragsverhandlungen eingetreten ist, ohne vorher diese grundlegende Voraussetzung zu klären,
und daß sie damit in eine Position gekommen ist, in der man auch bei den anderen Verhandlungspartnern zu der Annahme kommt, als sei die Bundesregierung unter allen Umständen entschlossen, einen solchen Verteidigungsbeitrag zu leisten.
Dieselben Bedenken und dieselben Gefahren zeigen sich nach unserer Auffassung aber auch in den eigentlichen Vertragsverhandlungen. Es ist unmöglich, die Frage eines deutschen Verteidigungsbeitrags isoliert und ohne Bezugnahme auf die Verhandlungen über den Generalvertrag und die Zusatzverträge zu diskutieren.
Der Herr Bundeskanzler hat heute morgen in einer Antwort auf dieses Argument von uns erklärt, aus der Präambel des zu beschließenden Generalvertrags gehe hervor, daß tasächlich Generalvertrag und Verteidigungsvertrag ein Ganzes seien. Das ist sicher richtig. Das bestätigt nur unsere These. Aber der eigentliche Punkt, in dem wir uns von der Auffassung der Regierung unterscheiden,liegt woanders. Er liegt nämlich da, wo die Washingtoner Beschlüsse der drei Außenminister ein Junktim zwischen Verteidigungsbeitrag und Generalvertrag in der Weise hergestellt haben, daß die Bundesrepublik erst in den Genuß der erweiterten Rechte des Generalvertrags kommen soll, wenn sie vorher den deutschen Verteidigungsbeitrag akzeptiert hat.
Diese Politik der Belohnung für Wohlverhalten steht nach unserer Auffassung in krassem Widerspruch zu der Theorie von der Partnerschaft freier Völker,
und wir lehnen sie ab. Wir müssen zuerst Klarheit über den Generalvertrag und die Zusatzverträge haben; denn wir wollen wissen, woran wir sind.
Wir können heute noch nicht über die Einzelheiten der Verträge sprechen, die noch Gegenstand von Verhandlungen sind. Immerhin: einiges wissen wir, und mein Freund Carlo Schmid wird im Laufe der Debatte auf einige der bereits bekannten Punkte der bisherigen Verhandlungsergebnisse eingehen. Aber ich möchte hier ganz allgemein sagen: es ist jetzt schon klar - und man muß gerechterweise hinzufügen: es war aus dem Text der Washingtoner Empfehlungen klar, im Gegensatz zu der Emser Dankbotschaft des Herrn Bundeskanzlers —, daß uns wichtige Souveränitätsrechte auch nach der Ablösung des Besatzungsstatuts vorenthalten werden sollen.
Die Frage ist ganz grundsätzlich die: Erreichen wir überhaupt einen Grad von Souveränität, der uns tatsächlich eine freie Entscheidung über den Verteidigungsbeitrag ermöglicht?
Auf keinen Fall, meine Damen und Herren, ist diese Entscheidungsfreiheit für das deutsche Volk gegeben, wenn wir gezwungen werden, über den Verteidigungsbeitrag vor der Inkraftsetzung des Generalvertrages zu entscheiden!
Und ein zweiter Punkt, den ich schon in dieser ersten Lesung mit allem Nachdruck in den Vordergrund rücken möchte: Zu den Vorbehalten der Alliierten gehört, wie es auch der Herr Bundeskanzler heute morgen bestätigt hat, neben dem Komplex der Sicherheit der Besatzungstruppen auch der Komplex- der Fragen, die mit der Einheit Deutschlands zusammenhängen. Der Herr Bundeskanzler hat darauf hingewiesen, daß in der Präambel, wie er sagte, alle vier Signatarmächte die Erreichung der Einheit Deutschlands auf friedlichem Wege als gemeinsames Ziel deklariert haben. Das ist gut. Aber, Herr Bundeskanzler, Sie wissen doch genau, daß die Aufnahme dieser Bestimmung in Ausführung der Washingtoner Beschlüsse praktisch nicht nur die Anerkennung unserer Einstellung zur Frage der Einheit bedeutet, sondern daß sie zugleich auch die Freiheit der Entscheidung der Bundesrepublik, in Fragen der Einheit selbständig zu agieren, weitgehend beschränkt.
Das ist ein Punkt, über den wir — ohne daß ich die Frage in diesem Augenblick vertiefen möchte — im Laufe der weiteren Verhandlungen jedenfalls absolute Klarheit bekommen müssen.
Denn die Einheit Deutschlands berührt nicht nur die Interessen der Alliierten, sie berührt in allererster Linie das Interesse des deutschen Volkes. Nachdem die Frage der Einheit zum Bestandteil des Generalvertrages wird, nachdem sie gemäß der Erklärung der Alliierten auch fernerhin zu ihren Vorbehaltsrechten gehört und nachdem wir weiterhin jetzt in ein Vertragssystem für die Verteidigung des Westens eingegliedert werden sollen, erhebt sich für uns vom deutschen Interesse her die Frage: Wie verhält sich die Eingliederung der Bundesrepublik in das Verteidigungssystem des Westens zur Frage der deutschen Einheit?
Wir möchten wissen, ob diese Frage in den Verhandlungen von der Regierung klargestellt worden ist und welches ihre Auffassung in dieser Angelegenheit ist. Ich glaube, wir sind uns darin einig, daß es sich hier um eine noch weittragendere Entscheidung als beim Schumanplan handelt. Schon dort hat die Vernachlässigung der Frage Berlins und der Frage der russisch besetzten Zone bei den Pariser Verhandlungen in weiten Schichten des deutschen Volkes große Zweifel an der Ernsthaftigkeit des Willens der Regierung zur Einheit hervorgerufen.
Aber beim Schumanplan handelte es sich um eine Union mit vorwiegend wirtschaftlichen Zielen ohne direkte Konsequenzen für das Verhältnis zwischen Ost und West.
Jetzt handelt es sich um eine militärische Allianz, wenn auch mit defensivem Charakter.
Meine Damen und Herren, was geschieht, wenn der Beitritt der Bundesrepublik zur europäischen Verteidigungsgemeinschaft staatsrechtliche Konsequenzen auf der- andern Seite des Eisernen Vorhangs auslöst, wenn die erste Folge dieses Schrittes die Verhärtung und Vertiefung der Spaltung Deutschlands ist?
Die These: wenn wir den Westen stark machen, wird die Einheit Deutschlands leichter zu erzwingen sein, entspricht doch einem machtpolitischen und illusionären Denken, das sicher nicht im deutschen Interesse liegt.
Meine Damen- und Herren, ich mache diese Bemerkung vor allem auch deshalb, weil der Herr Bundeskanzler heute morgen die Behauptung aufgestellt hat, die deutsche Einheit sei nur im Zusammenwirken mit den drei Westmächten zu erreichen. Herr Bundeskanzler, ich möchte Sie fragen, ob Sie sich der ganzen inneren und internationalen Tragweite dieser Feststellung bewußt gewesen sind.
Denn wenn wir nicht an den offenen Konflikt zwischen West und Ost glauben — und der HerrBundeskanzler hat bestritten, daß das seine Anschauung ist —, dann ist die These, die Einheit mitden drei Westmächten herstellen zu können, falsch.
— Bitte!
— Ich will Ihnen das sagen: Dann ist die Frage der Einheit Deutschlands — wenn man eine solche gewaltsame Auseinandersetzung als Mittel unserer Überlegung außer Betracht läßt —
die Frage der Möglichkeit der Verständigung zwischen den vier Besatzungsmächten.
— Ich freue mich, Herr Kollege von Brentano, daß Sie einverstanden sind. Meine Bemerkungen haben dann vielleicht dazu beigetragen, daß mögliche Mißverständnisse
in bezug auf die Äußerung des Herrn Bundeskanzlers vermieden werden.
Denn ich glaube, wenn man unter den gegebenen Umständen auf dem Wege der friedlichen Vereinbarung zur Einheit Deutschlands kommen will, dann kann man die Möglichkeit und die Notwendigkeit eines Übereinkommens der vier Besatzungsmächte nicht ,ausschließen.
(Abg. Schröter [Kiel]: Der rennt ja offeneTüren ein!)die auf kaltem Wege das Provisorium Bundesrepublik in ein kaum noch zu korrigierendes Definitivum umwandelt.
— Vielleicht können Sie nachher von hier aus meine Auffassung unterstützen; das würde die Situation wesentlich erleichtern, Herr Kollege Schröder.In jedem Falle muß die Entscheidung über den Generalvertrag zuerst gefällt werden, und wir sind leider der Auffassung, daß nach Lage der Dinge und nach dem bisherigen Stande der Verhandlungen die politische Gleichberechtigung durch diesen Vertrag nicht erreicht wird. Ohne eine solche politische Gleichberechtigung ist für uns die Zustimmung zu einem Verteidigungsbeitrag nicht möglich. Es geht hier nicht um eine Politik der Erpressungen, es geht um den ganz einfachen und klaren Grundsatz, daß die Freiheit nur verteidigt werden kann von freien Völkern und von freien Menschen.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zu einem andern Kapitel kommen. Dieser Grundsatz ist keineswegs erfüllt, wenn man jetzt auf der militärtechnischen Ebene jede Diskriminierung der Deutschen ausgeschaltet zu haben glaubt. Mit einer solchen Argumentation zäumt man das Pferd am Schwanze auf.
Die Gleichberechtigung im Militärtechnischen mußdie notwendige und selbstverständliche Konsequenz
der Gleichberechtigung im Politischen und Militärpolitischen sein.
Die Überbewertung des Militärtechnischen in der Regierungspropaganda ist entweder die Illustration einer unmöglichen Verhandlungsführung oder der Versuch einer Irreführung.
Das eine wie das andere ist beklagenswert.
Meine Damen und Herren, ich will hier wiederum nicht im einzelnen über die organisatorischen Vorstellungen sprechen, die inzwischen bei den Verhandlungen über die europäische Verteidigungsgemeinschaft entwickelt worden sind. Alles in allem: sie sind ein besonders trübes Kapitel der Versuche, zu übernationalen europäischen Gemeinschaften zu kommen; denn wir sind weit entfernt von einer für uns tragbaren Lösung. Das hat sich herausgestellt, als, wie der Bundeskanzler es heute morgen sagte, ganz plötzlich, nach monatelangen Verhandlungen über die europäische Verteidigungsorganisation am Ende der vorletzten Woche in Paris die Kardinalfrage zur Diskussion gestellt wurde, nämlich die Kardinalfrage der Verfügungsgewalt über die deutschen Kontingente in einer europäischen oder internationalen Gemeinschaft. Das Aufwerfen dieser Frage hat zum sofortigen Abbruch der Konferenz geführt. Meine Damen und Herren, diese Frage mußte am Anfang der Verhandlungen gestellt werden.
Denn keine deutsche Regierung kann und darf doch eine Lösung akzeptieren, die die deutsche Mitbestimmung in der entscheidenden politischen und militärischen Position der Verteidigungsorganisation nicht in der gleichen Weise wie die irgendeines anderen Partners sicherstellt.
Meine Damen und Herren, ich möchte hier auf einen anderen Punkt eingehen. Der Herr Bundeskanzler hat sich nicht mit der Frage beschäftigt, in welcher Weise und mit welchen Mitteln die deutschen 'Unterhändler den Versuch machen wollen, in der europäischen Verteidigungsgemeinschaft diese entscheidende Mitbestimmung der Deutschen sicherzustellen, sondern er hat erklärt: selbstverständlich könne diese Frage nur gelöst werden im Zusammenhang der Beziehungen zwischen europäischer Verteidigungsgemeinschaft und NATO, und ihm erscheine es selbstverständlich, daß wir, wenn wir uns an einer europäischen Verteidigungsgemeinschaft beteiligten, ganz von selbst in diese Atlantikorganisation kommen. Nein, meine Damen und Herren! Es ist absolut unmöglich, daß die deutsche Regierung die Frage der Mitbestimmung und Mitentscheidung der Deutschen in der Verfügungsgewalt über deutsche Menschen behandelt als eine technische Frage ihrer Mitgliedschaft in der Atlantikorganisation.
Das ist ein zweiter oder dritter entscheidender Schritt in unseren internationalen Vertragsverpflichtungen, der die Bundesrepublik in noch weitgehenderem Maße als eine europäische Gemeinschaft verpflichten würde. Denn wenn Sie sich dasStatut der Atlantikpaktorganisation ansehen und wenn Sie die Frage untersuchen — die Sie unter-_ suchen müssen —, welche Beziehungen zwischen der Atlantikpaktorganisation und den Grundsätzen und Praktiken der kollektiven Sicherheit der Vereinten Nationen bestehen, dann kommen Sie auf den Punkt, daß das deutsche Volk oder die deutsche Regierung mit einer solchen Entscheidung internationale Verantwortung und Verpflichtung übernimmt, . über deren Umfang und Größe man sich anscheinend bei der bisherigen deutschen Diskussion keine richtigen Vorstellungen gemacht hat.
Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang nur eines ausdrücklich feststellen. Auf diesem Wege, sozusagen durch die Hintertür, kann die Frage der Mitgliedschaft der Bundesrepublik in dieser Organisation unter keinen Umständen diskutiert oder gelöst werden.
Der Punkt, der durch diese Diskussion aufgekommen ist, liegt ja im Grunde ganz woanders, und ich verstehe durchaus, daß der Herr Bundeskanzler darauf nicht im einzelnen ausgegangen ist. Denn praktisch bedeutet die Aufwerfung der Frage der Mitgliedschaft der Bundesrepublik in NATO in ' diesem Augenblick das Zugeständnis der Erkenntnis, daß innerhalb der jetzt geplanten Verteididigungsorganisation eine deutsche Mitwirkung an der effektiven Verfügungsgewalt über deutsche Kontingente nicht möglich ist.
Wir stehen hier vor einem Fiasko der Politik der Bundesregierung in bezug auf die europäische Verteidigungsgemeinschaft vor allem aus dem Grunde, weil bei den Partnern der europäischen Verteidigungsgemeinschaft sehr verschiedene Auffassungen über den Zweck dieser Gemeinschaft bestehen.Ich darf Ihnen vielleicht eine Auffassung zur Kenntnis bringen, die deshalb interessant ist, weil sie vom 31. Januar 1952 stammt, und zwar handelt es sich um eine Äußerung des französischen Botschafters Hervé Alphand, der ständiger Vertreter Frankreichs im Rat der Stellvertreter des Atlantikpaktes ist. Der Botschafter Alphand hat in London mit Nachdruck dargelegt, daß die direkte Teilnahme Deutschlands an der Nordatlantik-Organisation nicht in Frage käme, da die europäische Verteidigungsgemeinschaft ja gerade zum Zweck habe, die Teilnahme Westdeutschlands an dem System einer gemeinsamen Verteidigung zu sichern, ohne ihm. dafür eigenständige Rechte auf militärischem Gebiet zu gewähren.
Es ist das Geheimnis der Regierung, wie sie unter diesen Umständen überhaupt noch eine vertretbare Lösung mit ihrer Konzeption erreichen will.
Ich will auf Einzelheiten der Untersuchung der bisherigen Resultate der Verhandlungen über die europäische Verteidigungsorganisation verzichten, aber das eine möchte ich 'sagen: Wenn Sie alles in allem prüfen, so stehen Sie erneut vor der Situation, daß auch hier eine internationale Organisation der Vorwand und das Mittel ist, deutsche Substanz
— in diesem Fall deutsche Menschen — in fremde Verfügungsgewalt zu bekommen.
Es gibt keinen erfolgreicheren Weg, die europäische Idee im Bewußtsein der Völker und vor allem der Jugend zu diskreditieren als den Mißbrauch des Europabegriffs im Interesse nationalegoistischer Wünsche und Bestrebungen.
Ich möchte meine Zeit nicht über Gebühr lange in Anspruch nehmen, aber ich möchte noch einmal die ernste Warnung an die Regierung unter- streichen, in diesem Stadium der Verhandlungen auf alle Fälle eine Politik zu vermeiden, bei der man ungelöste Probleme dadurch zu beseitigen oder zu überdecken versucht, daß man sie. in eine europäische Manschette steckt. Ich denke, daß. die Erfahrungen, die der Herr Bundeskanzler seit der Ratifizierung des Schumanplanvertrages in der Saarfrage gemacht hat, wohl eine sehr empfindliche Bestätigung unserer Warnungen darstellen.
Sicher war der Protest des Herrn Bundeskanzlers gegen den Schritt der französischen Regierung berechtigt, aber hier darf wohl hinzugefügt werden: Die Lautstärke dieses Protestes war nicht ganz erklärlich; denn das, was jetzt die französische Regierung vollzieht, ist Gegenstand der Abkommen zwischen der französischen Regierung und der saarländischen Regierung aus dem Januar 1950.
— Ich rechtfertige damit diese Politik der französischen Regierung gar nicht, aber ich wiederhole den Vorwurf, den wir schon in der SchumanplanDebatte erhoben haben, daß unsere Unterhändlerin Kenntnis dieser Tatsache die Saarfrage nicht am Beginn der Schumanplan-Verhandlungen zu einer ernsthaften Diskussion gebracht haben.
Jetzt ist genau das eingetreten, was wir ebenfalls vorausgesagt hatten. Indem man versuchte, das ungelöste Saarproblem durch den SchumanplanVertrag zu überdecken, hat dieser Unruheherd innerhalb der Montan-Union eine doppelte und dreifache Sprengwirkung gehabt mit dem Resultat, daß heute die Diskussion über das Saarproblem die Beziehungen zwischen Frankreich und Deutschland viel mehr belastet, als es eine freie Diskussion vor Monaten zur Folge gehabt hätte. Und, meine Damen und Herren, jetzt kommt es darauf an, daß man in dieser Frage eine Lösung herbeizuführen sucht, die tatsächlich freie und demokratische Verhältnisse an der Saar schafft. Dabei reicht es nicht aus, daß die Wahlen zum Landtag im September dieses Jahres freie Wahlen nach demokratischen Vorstellungen sind; denn wenn wir uns mit dieser Forderung begnügten, würden wir durch freie Wahlen eine Verfassung legalisieren, die weder frei noch demokratisch ist.
Deshalb ist es notwendig, daß, wenn man diese Frage jetzt anpackt, von Grund auf freie und demokratische Verhältnisse an der Saar geschaffen werden, die nicht nur freie Wahlen ermöglichen, sondern auch echte demokratische Lebensbedingungen für die Deutschen, die an der Saar leben.In jedem Falle warnen wir vor einem neuen Ausweichen vor diesem Problem etwa mit der Lösung, das Saargebiet zu europäisieren.
In dieser Lage wäre eine solche Idee doch nichts anderes als der Versuch, eine schwärende Stelle in den Beziehungen zwischen dem französischen und dem deutschen Volke mit einer neuen Europa-Flagge zuzudecken, aber die Stelle selber nicht wirklich auszuheilen. Und auf dieses Ausheilen kommt es an.
Meine Damen und Herren, ich komme zurück zum Verteidigungsbeitrag und stelle fest: Die Überprüfung der Situation, wie sie sich seit dem November 1950 bis heute entwickelt hat, ergibt nach unserer Auffassung ein eindeutiges Resultat: Keine der Voraussetzungen, die nach Auffassung der Sozialdemokratie für eine positive Entscheidung für einen deutschen Verteidigungsbeitrag gegeben sein müssen, sind erfüllt. Es bleibt daher bei dem Nein der Sozialdemokratie.
Meine Damen und Herren, gestatten Sie mir noch zu zwei Punkten einige Bemerkungen! Sie wissen, daß sich der Herr Bundeskanzler heute morgen auch mit der Klage beschäftigt hat, die die sozialdemokratische Fraktion und eine Reihe anderer Mitglieder dieses Hohen Hauses beim Bundesverfassungsgerichtshof eingebracht haben. Der Herr Bundeskanzler hat es für richtig gehalten, hier die Feststellung zu treffen, daß diese Klage aussichtslos und überflüssig sei.
Herr Bundeskanzler, das entscheiden S i e nicht!
Das entscheidet allein der oberste Verfassungsgerichtshof der Republik.
Und ich möchte sagen: diese massive öffentliche Beeinflussung des obersten Gerichts — —
— Ich wiederhole: diese öffentliche massive Beeinflussung des obersten Gerichts ist ein neuer erschreckender Beweis für Ihr sehr loses inneres Verhältnis zu den Institutionen und zu den Funktionen eines demokratischen Staates.
Mit diesem Beweis Ihres mangelnden Respekts vorden Rechtsinstitutionen haben Sie der deutschenDemokratie einen sehr schlechten Dienst erwiesen.
Es bleibt für uns bei dem verfassungsrechtlichen Standpunkt .der SPD, wie ihn Dr. Kurt Schumacher bereits vor 15 Monaten, im November 1950, dargelegt hat. Eine Entscheidung über einen deutschen Verteidigungsbeitrag ist ohne vorangegangene Ergänzung und Änderung des Grundgesetzes nicht möglich.
Sie wußten seit dieser Zeit, mit welchen Rechtsauffassungen der Opposition Sie zu rechnen hatten.
Trotzdem haben Sie es länger als ein Jahr unterlassen, sich mit diesen Rechtsauffassungen auseinanderzusetzen
oder auch nur den Versuch zu machen, mit uns darüber ins Gespräch zu kommen. Meine Damen und Herren, ich stelle das nur fest; wir werden im einzelnen im Laufe dieser Debatte auch auf diesen Punkt noch zurückkommen. Aber ich möchte hier sagen, daß nach unserer Auffassung sowohl nach dem Geist wie nach dem Wortlaut des Grundgesetzes wie auch nach dem Geist und dem Wortlaut früherer Verfassungen der Standpunkt, daß man Grundsatzfragen von dieser Bedeutung in einer einfachen Entscheidung des Parlaments ohne Änderung des Grundgesetzes entscheiden kann, irrig ist und daß wir diese Auffassung mit aller Entschiedenheit zurückweisen.
Nun noch ein letztes Wort. Unabhängig von der Frage der Verfassungsmäßigkeit stellen wir die Frage der Legitimation dies es Bundestages,
über eine deutsche Wehrverfassung zu entscheiden.
Die sozialdemokratische Fraktion bestreitet diesem Bundestag die Legitimation, in der Frage des Wehrbeitrags eine Entscheidung zu fällen. Kein Wähler und kein Gewählter hat im August 1949 bei seiner Stimmabgabe oder bei der Annahme des Vertrauensvotums seiner Wähler daran gedacht,
daß der Bundestag im Laufe seiner Amtsdauer über die Frage eines deutschen Verteidigungsbeitrages zu entscheiden haben werde. Es war jedermann bewußt, — —
— Meine Damen und Herren, ich finde, es ist nicht sehr demokratisch, wenn Sie mir nicht die Möglichkeit geben, meine Argumente zu entwickeln. Ihre Fraktion hat vier Stunden, um darauf zu antworten. — Es war jedermann bewußt, daß der Aufbau der Bundesrepublik nach dem Grundgesetz viele weittragende Entscheidungen erfordern würde. Aber selbst bei diesen überlegungen stand die Frage einer deutschen Wehrverfassung außerhalb jeder Diskussion.
Es sind aber nicht nur diese zeitbedingten Umstände, die unsere Forderung nach Neuwahlen zu einem neuen Bundestag rechtfertigen. Es gibt auch grundsätzliche Anschauungen, daß das Parlament über Fragen von grundsätzlicher Bedeutung nicht ohne Auftrag der Nation entscheiden kann.
Wir alle sollten in einer so entscheidenden Frage jedenfalls das Problem mit mehr Ernst und Würde behandeln, als Sie es in diesem Falle tun.
Meine Damen und Herren! Die Verantwortung, die Sie übernehmen, wenn Sie sowohl die verfassungsrechtlichen Bedenken der Sozialdemokratie als auch unsere Forderung nach Neuwahlen in den Wind schlagen, ist außerordentlich groß. Die Frage des deutschen Verteidigungsbeitrags bewegt das deutsche Volk wie keine andere Frage seit vielen Jahren.
Jeder einzelne Mensch fühlt sich angesprochen und betroffen, insbesondere unsere Jugend. Die Tiefe der Bewegung ist unbestreitbar, sie berührt den Kern unseres staatlichen und demokratischen Lebens, und ihr kann nur begegnet werden durch die Möglichkeit, in freien Wahlen zu einem neuen Bundestag den Willen des Volkes neu festzustellen.
Die unausweichliche Notwendigkeit dieser Forderung ergibt sich auch aus der unbestreitbaren Tatsache, daß die Mehrheitsverhältnisse in diesem Hause nicht mehr mit dem Volkswillen von heute übereinstimmen.
Jeder Versuch, die Frage eines deutschen Wehrbeitrages unter Beiseiteschiebung der verfassungsrechtlichen Bedenken und unter Ausnutzung einer überholten Mehrheitsbildung in diesem Bundestag zur Entscheidung zu bringen, ist neben der weittragenden Bedeutung der Frage an sich eine lebensgefährliche Bedrohung der demokratischen Grundlagen unserer Gemeinschaft.
Angesichts der innen- und außenpolitischen Gesamtlage kann keine Partei, die die Grundlagen unserer Demokratie bejaht, dieses Risiko auf sich nehmen. Wir appellieren deshalb an das Hohe Haus, den Weg für die Neuwahlen frei zu machen.
Meine Damen und Herren, die Ignorierung unseres Appells,
die Durchsetzung eines deutschen Wehrbeitrages unter den jetzt gegebenen Voraussetzungen gegen die Stimmen der Sozialdemokratie müßte eine sehr ernste Situation schaffen. Angesichts der schwerwiegenden Bedeutung dieser Lebensfrage für das deutsche Volk ist es eine Pflicht der Verantwortung und der Aufrichtigkeit gegenüber unserm Volke, diese Warnung hier klar auszusprechen. Die Entscheidung, meine Damen und Herren, liegt bei Ihnen!
Meine Herren von der Presse, es passiert gar nichts; ich weiß gar nicht, warum Sie so interessiert aufstehen.
Meine Damen und Herren, mit Rücksicht auf die Übertragung im Rundfunk sage ich die Herren
I Redner heute wieder mit der Zugehörigkeit zur Fraktion an, damit auch draußen bekannt ist, wer spricht.
Nach dem Herrn Abgeordneten Ollenhauer von der Fraktion der Sozialdemokratischen Partei hat das Wort der Herr Bundeskanzler.
Herr Präsident! Meine Damen und meine Herren! Ich werde ja, wie ich annehmen kann, im Laufe der zweitägigen Debatte den Vorzug haben, noch einmal reden zu können. Deswegen unterdrücke ich das Verlangen, Herrn Kollegen Ollenhauer sofort zu antworten.
Aber ich möchte doch gegenüber mehreren Sätzen des Herrn Abgeordneten Ollenhauer einige Feststellungen treffen. Herr Ollenhauer hat mir vorgeworfen, ich hätte mit keinem Wort darüber gesprochen, daß die soziale Sicherung vor der Aufrüstung stehe. Nun, meine Damen und Herren, ich habe das so oft gesagt,
und ich habe das so oft den Vertretern der Westalliierten Mächte gesagt — die drei Bundesminister, die jetzt in Paris verhandelt haben, haben das dort ebenfalls gesagt —,
die ganzen Ausgaben für soziale Zwecke spielen bei der Berechnung unseres Verteidigungsbeitrags eine so entscheidende Rolle, daß ich nicht geglaubt habe, es sei nötig, das noch einmal heute ausdrücklich zu betonen.
Ein zweites! Herr Kollege Ollenhauer hat gesagt, es werde von uns verlangt, daß wir vorher den Vertrag über den Eintritt in die europäische Verteidigungsgemeinschaft vollzögen. Das ist ein Irrtum vom Herrn Kollegen Ollenhauer. Ich habe gesagt, diese beiden Vertragswerke seien in ihrer ganzen Zielsetzung so miteinander verknüpft, daß es — ich habe den Passus aus dem Generalvertrag hier ja mitgeteilt — eine Selbstverständlichkeit sei, daß diese beiden Vertragswerke nur gleichzeitig in Kraft treten könnten.
Drittens: Ich war etwas erstaunt — —
- Ja, warten Sie doch einen Augenblick, Herr Heiland!
— Augenblick, Augenblick! — Ich war nach dem Verlauf der gestrigen Debatte, nach den Ausführungen des Herrn Abgeordneten Neumann und nach den Ausführungen des Herrn Abgeordneten Brandt etwas erstaunt darüber, daß meine Erklärung, die Wiedervereinigung Deutschlands könne nur über Europa kommen, eben ein solches Echo gefunden hat.
Ich darf aber nochmals wiederholen, was ich heute vormittag gesagt habe. Ich habe aus dem Entwurf des Generalvertrags festgestellt, daß gemeinsames Ziel der Signatarmächte des Vertrags sei, die deutsche Einheit in Frieden wiederherzustellen, und ich habe das, wenn mich mein Gedächtnis nicht trügt, heute vormittag mehrfach gesagt,
so daß die Erklärung des Herrn Kollegen Ollenhauer doch in großem Ausmaß ein Mißverständnis dessen, was ich gesagt habe, verrät.
— Nun, dann muß ich doch etwas mehr sagen. Bitte, Herr Schoettle,
lesen Sie das Protokoll!
Lesen Sie es doch nach — alles ist auf Band aufgenommen —, was darin steht! Ich werde Ihnen morgen noch ausführen — ich kann es aber auch schon jetzt tun —, wie ich mir den weiteren Verlauf der Dinge denke. Ich denke ihn mir so, daß, wenn der Westen stark genug ist, Sowjetrußland bereit ist, in vernünftige Verhandlungen mit dem Westen einzutreten.
Herr Abgeordneter Ollenhauer hat weiter erklärt, das Aufwerfen der NATO-Frage habe zum Abbruch der Verhandlungen geführt Diese Annahme des Herrn Kollegen Ollenhauer ist irrig. Einmal ist schon bei der Beratung des Generalvertrags von NATO gesprochen worden — ich habe Ihnen ja den Passus aus der Präambel vorgelesen —,
und zweitens gehen entsprechend der Tagesordnung der letzten Pariser Außenministerkonferenz, auf der als Tagesordnungspunkt stand: Verhältnis der europäischen Verteidigungsgemeinschaft zur NATO, die Verhandlungen über die Herbeiführung einer solchen Verzahnung in aller Ruhe weiter.
Herr Kollege Ollenhauer hat eine Äußerung des Botschafters Alphand in London verlesen. Der Botschafter Alphand hat schon vor einiger Zeit gegenüber Herrn Ophüls, der Mitglied der deutschen Delegation in Paris ist, erklärt, diese Angabe sei unwahr;
er habe etwas Derartiges nicht gesagt.
Noch ein Wort. Ich weiß nicht, ob ich nicht, ehe die Bundesregierung auf die Klage der 144 Abgeordneten sich zu antworten erlaubt, vorher nachfragen muß, ob eine Antwort nicht eine „massive Beeinflussung" ist.
Das Wort hat der Abgeordnete Franz Joseph Strauß von der Fraktion der Christlich Demokratischen Union/Christlich Sozialen Union.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Der Herr Vorredner der sozialdemokratischen Fraktion, Kollege Ollenhauer, hat bei der Behandlung der heute anstehenden Frage vor einer Politik des Gefühls und vor einer Politik der Stimmungen gewarnt. Er hat appelliert, eine Politik der Realitäten zu betreiben. Herr Kollege Ollenhauer, haben Sie bei allen Ihren Äußerungen, die Sie heute hier gemacht haben, auch genau überprüft, inwieweit Sie in Kenntnis der Tatsache, daß draußen viele Millionen am Radio zuhören, eine ausgesprochene Politik des Gefühls getrieben haben, wie man es deutlicher und ausgeprägter nicht machen könnte?
Sind Sie sich bei Ihren Ausführungen dessen bewußt gewesen, daß Sie auf keine auch der von Ihnen angeschnittenen Fragen — viele echte Alternativen haben Sie überhaupt nicht berührt — keine Antwort gegeben haben?
Ich halte es trotzdem für falsch, meine Damen und Herren von der SPD, wenn wir den Standpunkt unserer Fraktion — und ich bitte dafür um Verständnis auch von Ihrer Seite — in Form einer polemischen Erwiderung darlegen.
- Ich werde im einzelnen schon noch öfter darauf eingehen. Aber ich möchte mir vom Kollegen Ollenhauer nicht die Richtung meiner Ausführungen vorschreiben lassen.
Das deutsche Volk in der Bundesrepublik und das deutsche Volk jenseits des Eisernen Vorhangs hat einen Anspruch darauf, heute von jeder demokratisch, verantwortlichen Fraktion des Bundestages einen klaren, nüchternen und sachlichen Standpunkt in dieser Frage zu hören.
Als dieses ,Hohe Haus im September 1949 seine Arbeit für den Wiederaufbau unseres Vaterlandes aufnahm, da waren wir uns wohl bewußt, daß unsere Tätigkeit nicht in eine Periode friedlicher Entspannungen der Weltprobleme fällt. Ich rede nicht davon, ob wir es damals nicht erwartet haben, darüber reden zu müssen; jedenfalls haben wir es nicht gewünscht, daß wir uns in unserer politischen Arbeit mit dem Problem der militärischen Verteidigung unserer Heimat werden beschäftigen müssen.
Wir haben es nicht gewünscht, weil wir gern gehabt hätten, daß die Weisheit der Sieger ausgereicht hätte, auf beiden Seiten eine tragbare Lösung auch für unser Volk herbeizuführen.
Wir haben das Prinzip der „re-education" oder „reorientation" nicht nur als ein Propagandamittel betrachtet, wir haben es sogar soweit ernst genommen, daß wir gern für die Zeit unserer politischen Tätigkeit und für die Zeit unserer Generation
allen Gedanken militärischer Art entsagt hätten.
Es ist nicht die Aufgabe dieser Debatte, eine Schilderung der weltpolitischen Entwicklung nach dem zweiten Weltkrieg im einzelnen zu geben. Wir haben diese Entwicklung in einer Wetterzone der Weltpolitik als Zeitgenossen selbst miterlebt. Wir haben erlebt, daß unsere Hoffnung auf eine ruhige Zeit der Arbeit nicht in Erfüllung gegangen ist. Wir haben erlebt, daß -viele unserer Warnungen 1945 und in den folgenden Jahren ungehört und nicht geglaubt im Winde verhallt sind. Wir haben erlebt, daß das Ende des zweiten Weltkriegs die Weltprobleme nicht gelöst, sondern neue aufgetürmt hat, unter deren Schatten wir heute stehen. Ob wir wollen oder nicht, ob wir es einsehen wollen oder nicht, wir stehen darunter.
_ — Herr Kollege Loritz, einen Blödsinn kann man frei sagen, man kann ihn ablesen.
Dem tragischen Irrtum der Westmächte, daß mit dem militärischen Sieg über Deutschland auch schon eine neue Ordnung der Welt und ihrer Zukunft eingeleitet sei, stand gegenüber die konsequente sowjetische Zielsetzung, daß der militärische Sieg über Deutschland erst die Basis, den Ausgangspunkt und das Sprungbrett für eine Ausdehnung des bolschewistischen Machtbereichs darstelle.
Und weil hier einem tragischen Irrtum mit auch für uns Deutschen verhängnisvollen Folgen, mit inkonsequenter Politik in der Vergangenheit auf der einen Seite eine ganz klare, brutale Konsequenz gegenüberstand, deshalb müssen wir heute über die Verteidigung Deutschlands reden.
Meine Damen und Herren! Auch in der Rede des Herrn Kollegen Ollenhauer ist, allerdings in einer verantwortbaren Form, die Frage nach der Schuld an dieser Entwicklung aufgeworfen worden. Meine Damen und Herren von der SPD, Sie wissen selbst sehr genau, daß heute in unserem Volke die Frage nach der Schuld an dieser Entwicklung auf der einen Seite von verantwortungslosen Hetzern, auf der anderen Seite von irregeführten Elementen zu leicht einseitig und mit falschen Schlußfolgerungen beantwortet wird.
Es steht uns selbst schlecht an, mit vorwurfsvoll erhobenem Finger auf die Fehler der anderen hinzuweisen und schamhaft zu verschweigen, wie groß unser Anteil in der Vergangenheit daran war, daß der Stein ins Rollen gekommen ist.
Uns nützt überhaupt keine rückblickende Betrachtungsweise.
— Oh, wir halten die rückblickende Betrachtungsweise aus bis zum September 1939, wo Ihre Freunde in der Sowjetunion den zweiten Weltkrieg mitangefangen haben.
Wir halten die rückblickende -Betrachtungsweise
weit genug aus, um den Unterschied der deutschen
Situation zwischen Rapallo und heute ganz klar zu sehen.
Wir müssen von der Gegenwart und ihren Notwendigkeiten ausgehen. An uns sind heute in dieser Situation, bei dieser Lage des deutschen Volkes von unserem Gewissen bestimmte Fragen gestellt. Wir müssen diese Fragen beantworten, und die klare und nüchterne Entscheidung, die in absehbarer Zeit zu treffen sein wird, darf nicht, so groß die Verlockung auch wäre — Herr Kollege Ollenhauer, für Sie wie für mich —, durch den Blick nach rückwärts, mit den Gefühlen, die er auslösen könnte und zum Teil im Lande ausgelöst hat, getrübt werden. Wenn ein Haus vom Feuer bedroht wird, ist der Streit unter den Mietsparteien, wer das Feuer verschuldet hat, zwecklos. Da muß klar und rasch entschieden werden, wie man Einhalt gebieten kann, und dann müssen alle Hände zusammen helfen, um das Haus zu retten.
— Wer es anzündën will oder nicht, darüber sind wir uns sehr genau im klaren, lieber Freund.
Wenn. Sie glauben, daß ein Brandstifter dann schon als harmlos gilt, wenn er als Brandversicherungsagent eine Zeit lang herumläuft, dann irren Sie sich.
Das heißt praktisch, wir müssen unsere Entschlüsse nach den gegebenen Tatsachen richten, nicht nach unseren Wünschen. Wir müssen das tun, was für o lie Zukunft notwendig ist, wenn wir die Verantwortung vor dem Volk und vor unserem Gewissen mit dem Ernst betrachten, der dem Gegenstand angemessen ist.
Herr Kollege Ollenhauer hat vorhin davon gesprochen, daß diese Debatte mit Ernst und Würde geführt werden sollte. Ich glaube, wir alle in den demokratischen verantwortlichen Parteien — wenn auch manchmal das Temperament durchgeht — haben uns vorgenommen, uns bei dieser Debatte daran zu halten. Von denen, die immer außerhalb der Grenzlinien stehen, wollen wir in dem Zusammenhang nicht reden.
— Herr Kollege Schoettle, ich glaube, da brauchen wir zwei uns gegenseitig seit 1948 gar nichts vorzuwerfen.
Aber diese Debatte soll nicht nur mit Ernst und Würde — das ist eine Frage der Form und der Repräsentation dieser Demokratie vor dem deutschen Volk —, diese Debatte muß vor allen Dingen mit einem unheimlich tiefen Verantwortungsbewußtsein geführt werden.
Nach dem Krieg haben die angelsächsischen Mächte — hier darf ich mich auf das gleiche politische Urteil von Dr. Schumacher in der Bundestagsdebatte vom März 1950 verlassen —, haben besonders die Amerikaner die militärische und industrielle Abrüstung in außerordentlich starkem Maße durchgeführt, während Sowjetrußland seinen Militärapparat aufrechterhalten hat,
einen Militärapparat, der mit 180' Divisionen und I über 3 Millionen Mann nicht mehr als Friedensarmee bezeichnet werden kann.
Rußland hat die industrielle Aufrüstung in beschleunigtem und verstärktem Maße unter Einschaltung der sowjetisch besetzten deutschen Zone und unter Ausnutzung deutscher Erfindungen fortgesetzt.
Gleichzeitig hat Rußland die Satellitenstaaten aufgerüstet und zur Verstärkung des sowjetischen Kriegspotentials herangezogen. Der sowjetische Machtbereich, meine Damen und Herren, das ist eine bekannte Tatsache, sie kann trotzdem nicht oft genug, nicht laut genug und nicht eindringlich genug gesagt werden, ist seit 1939 von dem damaligen Staatsgebiet Sowjetrußlands mit etwa 180 Millionen Menschen bis 1952 auf etwa ein Drittel der Erdoberfläche und ein Viertel der Einwohner dieser Erde erweitert worden.
Nicht nur die baltischen Staaten sind zum Opfer gefallen, Polen, die Tschechoslowakei, Ungarn, Rumänien, Bulgarien, Albanien im Westen des sowjetischen Reichs, sowie China mit Randgebieten und Tibet sind in diesen ungeheuren Machtkoloß miteinbezogen worden, ein kompakter Block, der von Helmstedt bis Korea, von Spitzbergen bis zur Grenze Indiens reicht, ein Block, der von einer Zentrale politisch, wirtschaftlich und militärisch gesteuert und kommandiert wird. Wenn Sie das bestreiten, meine Damen und Herren von der KPD: die Gespräche von Kaesong und Panmunjon und ihre Verzögerung liegen nicht im Interesse der kriegführenden Satelliten, sondern im Interesse
der Drahtzieher, die auf Kosten der Satelliten und mit ihrem Blut ihre Politik führen.
Durch die Anwesenheit der Roten Armee, durch Bürgerkriege, in denen sowjetische Waffen eine entscheidende Rolle spielten, durch innere Unterhöhlung und Unterminierung sind die Völker trotz ihrer nichtkommunistischen Mehrheit in den sowjetischen Machtbereich hineingezwungen worden, ehe sie sich ihres Schicksals bewußt wurden.
Aber an drei Stellen ist der politische und militärische Vormarsch des Bolschewismus aufgehalten worden: erstens in Deutschland an der Zonengrenze, wo außerdem noch Berlin als Symbol der Freiheit, als Leuchtturm der Hoffnung inmitten des sowjetisch besetzten Territoriums durch den beispiellosen Mut seiner Bevölkerung und durch die Hilfe der Westmächte erhalten geblieben ist.
Das Beispiel Berlin — in erster Linie das Beispiel der Bevölkerung, in zweiter Linie die Konsequenz, die Amerika daraus gezogen hat — ist ein Modellfall für den Zustand der Bundesrepublik.
Zum zweiten ist er in Jugoslawien aufgehalten worden, wo Tito — selbst kommunistischer Partisanenführer; abtrünniger Genosse, zum Tode verurteilt —
sich dem Zugriff Stalins entzogen hat. Und drittens in Korea, wo das Eingreifen der Vereinten Nationen in letzter Minute und unter furchtbaren Opfern für dieses Land — auch das ist für unsere Entschlußfassung ein wesentliches Moment — den
Vormarsch der roten Satellitenarmee aufgehalten hat. An zwei Stellen — in Indochina und Malaia — wird in einem Krieg gekämpft, der an Heimtücke und Grausamkeit nicht mehr zu überbieten ist. Die Verschärfung der Lage in Persien, Ägypten und Nordafrika geht auf bolschewistische Sprengkommandos zurück, die sich der nationalen Ziele und Gefühle dieser Völker,
die an sich durchaus berechtigt sein mögen, bemächtigt haben, um sie im Kampf gegen die freie Welt zu gebrauchen.
Die Bedeutung des Eingreifens der Vereinten Nationen in Korea liegt nicht so sehr darin, daß Südkorea von der Sowjetherrschaft bewahrt wurde, als vielmehr darin, daß ohne dieses Eingreifen längst an einer anderen Stelle der Welt ein neues Feuer angezündet worden wäre, — vielleicht in Europa!
Das Gewitter von Korea hat den Vorhang vor dem wirklichen Zustand der Welt zerrissen und die freien Völker vor die Entscheidung gestellt, ob sie einzeln nach und nach von dem bolschewistischen Sog verschluckt werden oder ihre Kräfte vereinigen wollen, um dieser Entwicklung auf der Welt Einhalt zu gebieten.
Die freien Völker der Welt mußten leider, leider und nochmals leider, gerade wegen der sozialen Frage, die vom Kollegen Ollenhauer angeschnitten worden ist, wieder dazu übergehen, einen Teil ihrer wirtschaftlichen und finanziellen Kräfte für die Aufrüstung zu verwenden. Wirtschaftliche und soziale Folgen blieben nicht aus. Wir kennen die weltweite Wirkung: Erhöhung der Preise, Verknappung der Rohstoffe, Druck auf den Lebensstandard. Diese Erscheinungen wurden von der psychologischen Kriegsführung des Bolschewismus sofort und bewußt in Rechnung gestellt und ausgenutzt,
um die innere Widerstandskraft der Völker zu schwächen.
Es besteht kein Zweifel darüber, daß die Vereinigten Staaten von Amerika das Rückgrat der Verteidigung der freien Welt darstellen. Ob unsere eigene innere Einstellung zu den Besatzungsmächten eine freundliche oder nichtfreundliche Gesinnung ist, spielt in diesem Zusammenhang überhaupt keine Rolle.
Kein Volk sieht die Soldaten eines anderen Volkes als Besatzungsmacht, auch nicht als Verteidigungstruppen mit Sondervorrechten — darüber sind wir uns völlig klar — gern in seinem Land.
Wir wollen aber hier in der Skala der Gefühle und in der Skala der Realitäten nicht so weit gehen, daß wir, weil uns eine Tatsache unangenehm ist, durch deren Beseitigung uns den Strick um den Hals legen.
Die Vereinigten Staaten machen unvorstellbare Anstrengungen, um das seit 1945 Versäumte nachzuholen. Man hört bei uns in der Öffentlichkeit eine Tatsache oft sehr ungern, einmal deswegen, weil man den Blick vor den Realitäten gerne verschließt, zum andern, weil dabei unangenehme Gefühle ausgelost, weil unangenehme Erinnerungen — auch
über die Haltung der US-Truppen gegenüber den deutschen Soldaten allgemein nach der Kapitulation — heraufbeschworen werden.
Es hat gar keinen Zweck, an diesen Dingen, die in der Psychologie der Öffentlichkeit und auch in der praktischen Bildung der öffentlichen Meinung eine so wesentliche Rolle spielen, achtlos vorbeizugehen.
Auch die Sicherheit der Bundesrepublik und die Sicherheit der anderen europäischen Völker westlich des Eisernen Vorhangs beruht zur Zeit leider nur auf der amerikanischen Sicherheitsgarantie, wonach ein Angriff auf das Bundesgebiet einschließlich Berlins als ein Angriff auf die Vereinigten Staaten selbst angesehen wird. Damit ist die Bundesrepublik in den Sicherheitsgürtel, in die Sicherheitslinie der freien Welt einbezogen worden. Diese Sicherheitslinie hat etwa folgenden Verlauf. Dieser Verlauf ist für die richtige Einschätzung der Frage West-Ost in Europa, für die richtige Einschätzung des Risikos — und das Risiko muß, Kollege Ollenhauer, in diesem Zusammenhang in ernsthafter Weise debattiert werden — von beträchtlicher Bedeutung. Die Linie verläuft etwa so: Alaska, Alëuten, Japan, Formosa, Philippinen, Singapur, Irak, Suez, Türkei, Griechenland, Jugoslawien, Italien, Deutschland, Frankreich, England, Dänemark und Norwegen.
Wenn heute die Frage an uns gestellt wird, warum der Bundestag eine Verteidigungsdebatte führt, dann möchten wir dazu ausdrücklich feststellen: Es ist nicht der Wunsch der Bundesregierung, es ist nicht der Wunsch der demokratischen verantwortlichen Parteien in diesem Hause, sich mit der Frage zu beschäftigen, ob Deutschland militärisch wieder eine Rolle spielen soll;
aber, sehr verehrter Herr Kollege Schoettle oder Herr Kollege Olllenhauer — ich bitte um Entschuldigung, die Sympathie ist so groß, daß ich immer wieder auf die alte Spur gerate —,
es handelt sich um mehr als darum, daß irgendein alliierter Weihnachtsmann mit einem schönen Rucksack gekommen ist, den Rucksack aufmacht und Bleisoldaten und Waffenspielzeug, sozusagen zum freien Gebrauch für uns, entnimmt.
Ich gehöre zu denjenigen, die, wie wahrscheinlich die Mehrheit in diesem Hause, im letzten Kriege sechs Jahre lang die Uniform getragen und die Grauen des zweiten Weltkriegs, von denen Sie gesprochen haben, — wenn auch persönlich mit viel Glück, und dafür gebührt der Dank nach meinem Glauben dem lieben Gott, es ist nicht mein Verdienst — überstanden haben und durch diese Zeit hindurchgekommen sind. Ich bin mir dieser Vergangenheit und dieser Zeit so wohl bewußt, Herr Kollege Ollenhauer, daß ich von mir aus gesehen, wenn es um die Entscheidung ginge: sollen wir wieder Soldaten werden oder nicht, wenn es um die Frage ginge: neutral sein oder nicht neutral sein, wenn das die wirkliche Alternative wäre, sagen würde: Pack' deinen Krempel ein, hang' deinen Rucksack um und hau ab! Wir wollen nicht mehr.
Ich muß aber — und so geht es uns ja allen — in der Verantwortung um diese Frage auch ernsthaft prüfen, ob die Fragestellung, die wir anwenden, die richtige ist,
ob nun die Fragestellung so ist, wie ich sie vorher genannt habe, oder ob die Fragestellung in letzter Konsequenz bedeutet, die Bereitschaft zu zeigen, Soldat zu werden entweder auf der einen Seite, wo auch nach Ihrer Meinung, Herr Kollege Schoettle, die Kokarde noch ertragbar wäre, oder Soldat zu werden auf der Seite, wo die Kokarde kein Deutscher guten Willens freiwillig tragen würde.
— Ich habe ein gutes Gedächtnis, aber kein so gutes Gedächtnis, als daß ich Ihre Äußerungen in dem Vorgefecht wortwörtlich angeführt habe. Sie haben Herrn Renner vorgeworfen, er sei gar nicht so antimilitärisch, aber die Kokarde bei dem Unternehmen passe ihm nicht.
Warum führen wir diese Verteidigungsdebatte? Es ist unsere geographische Lage auf der einen und die Weltsituation auf der anderen Seite, die uns zwingen, uns mit dieser Frage zu beschäftigen, ob wir wollen oder nicht.
Bei dieser Debatte kann beim gegenwärtigen Stande der Dinge — und darin gebe ich dem Kollegen Ollenhauer recht, darin unterscheiden wir uns auch nicht — eine definitive Entscheidung von unserer Seite aus nicht getroffen werden. Aber wir haben in absehbarer Zeit Entscheidungen zu treffen. Wir müssen heute untersuchen, welche Entscheidungen angesichts dieser Umstände überhaupt möglich und welche Entscheidungen irreal sind.
Wir müssen entscheiden, welche der Möglichkeiten, die wir haben, die beste für unser Volk ist. Wir müssen auch sagen, aus welchem Grunde unsere Entscheidung, wie wir sie sehen, nach unserer Auffassung die beste ist. Wir können dieser Entscheidung nicht ausweichen; sie kommt auf uns zu. Entscheidungen, die nicht getroffen werden, bleiben einem nicht erspart; sie laufen einem nach, und manchmal erschlagen sie einen.
Wir müssen in absehbarer Zeit ja oder nein sagen, und wir müssen unsere Voraussetzungen für unser Ja oder Nein freimütig und offen aufzeigen. Aus diesem Grunde debattieren wir heute über einen deutschen Verteidigungsbeitrag.
Dabei möchte ich eines mit aller Klarheit und Deutlichkeit voranstellen — weil in dem Vorgefecht vor wenigen Tagen im Bundestag diese Tonart angeschlagen wurde —: Wir stehen bei unseren Überlegungen und Darlegungen in dieser Frage nicht unter dem Zeichen der amerikanischen Bedürfnisse in ihrer Innenpolitik.
Wir stehen einmal in der Verpflichtung vor
unserem Gewissen - wenden wir das Wort ruhig
einmal an — und wir stehen zum anderen unter der Konsequenz der Lage. Die demokratisch verantwortlichen Fraktionen in diesem Hause sollten sich angesichts der Tragweite dieser Frage im eigenen Interesse und im Interesse des gesamten Volkes gegenseitig ernst genug nehmen, und dem anderen, auch wenn er anderer Meinung ist, nur ein Motiv unterstellen, das dem ehrlichen Gewissen vor dem deutschen Volke und nicht alliierten Wünschen entspringt.
Niemand kann von uns in dieser Frage die letzte Entscheidung verlangen als wir selber.
Es liegt völlig in unserer Hand, ja oder nein zu sagen. Es liegt in unserer Pflicht, die Voraussetzungen für ein Ja klar zu umreißen und sie in Verhandlungen durchzusetzen. Die Amerikaner können uns nicht vorschreiben, was wir tun sollen. Aber, wer das sagt, der vergißt den zweiten Halbsatz: wir können auch ihnen nicht vorschreiben, was sie tun werden, wenn wir uns falsch entschieden haben.
Wer ja sagt, muß sich die Verantwortung für die Folgen überlegen. Wer nein sagt, nein um jeden Preis, muß für die Konsequenzen einstehen, die aus dieser Verantwortung erwachsen.
Davon befreit uns niemand.
Ich glaube, wir sollten hier auch nicht mit einem gefährlichen Argument operieren, das die Wachsamkeit einschläfert, eine richtige Entscheidung verzögert und auch die Rückkehr Deutschlands zu Gleichberechtigung und Freiheit auf unabsehbare Zeit hinausschiebt, nämlich von unserer Seite aus zu sagen: War es bisher nicht zu spät, dann kann es auch nie zu spät werden.
Wir sind uns sehr wohl klar darüber, wenn es in vier Wochen brennt, nicht in vierzehn Tagen durch einen Verteidigungsbeitrag eine wirksame Sicherung aus eigener Kraft schaffen zu können. Wir alle im Bundestag sind keine militärischen Experten. Wir wissen aber genau, daß das Ausmaß an aktivem deutschen Verteidigungsbeitrag, das diskutiert worden ist, eine sogenannte weiche Zeit oder Risikoperiode von 18 bis 24 Monaten einschließt. Das nicht zu sagen, wäre verantwortungslos, wenn auch die Periode unter bestimmten Umständen verkürzt oder jedenfalls das Ausmaß und das Risiko der Gefahr während dieser Periode eingeschränkt werden kann. Wir sollten uns aber davor hüten, zu sagen: Es gibt kein Zuspät. Es hat in der Weltgeschichte schon eine Reihe von Situationen gegeben, wo es zu spät war.
Ich glaube, die Damen und Herren von der SPD werden ein gewisses Verständnis für das haben, was ich jetzt sage. Wenn wir und manche von Ihrer Fraktion so direkte Nutznießer oder direkte Leidtragende der Entwicklung während des letzten Krieges gewesen sind, wir als Frontsoldaten haben es in den ersten Jahren der Feldzüge aus menschlicher Natürlichkeit denkbar angenehm empfunden, daß wir die Überlegenen gewesen sind, daß Deutschland mit seiner Rüstung einen Vorsprung Matte, der einen Blitzkrieg ermöglicht hat. Aber haben wir nicht vor dem Kriege in Deutschland,
und zwar vom General bis zum Fabrikarbeiter, manchmal gewünscht, daß das Ausland, bevor der Krieg ausbrach, eine so klare Sprache gesprochen hätte, daß uns der Gang als Frontsoldaten erspart geblieben wäre?
Gerade die Tatsache, daß das nicht geschehen ist, hat nach dem Kriege so stark dazu beigetragen, daß wir es uns nicht gefallenlassen konnten, die Kriegsschuld eindeutig auf uns zu nehmen.
In absehbarer Zeit werden wir uns zu entscheiden haben, ob Deutschland in den Vertrag über eine europäische Verteidigungsgemeinschaft eintreten soll oder nicht. Schon der Begriff der europäischen Verteidigungsgemeinschaft setzt voraus, daß mehr als ein System von Koalitionsarmeen geschaffen wird. Nach diesem Vertrag sollen die Länder Deutschland, Frankreich, Italien, Belgien, Niederlande und Luxemburg ihre wirtschaftlichen und militärischen Verteidigungskräfte zusammenfassen.
Es liegt in den natürlichen Gegebenheiten, daß diese europäische Verteidigungsgemeinschaft eine vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Frankreich absolut erforderlich macht. Böse Schatten sind in den letzten Wochen über Europa aufgetaucht, vielleicht bewußt herbeigeführt worden, vielleicht ohne Kenntnis der Tragweite aus Traditionalismus der Vergangenheit heraus heraufbeschworen worden.
Ich meine die jüngste Entwicklung an der Saar und das französische Nein zur Aufnahme Deutschlands in den Atlantikpakt. Ich bin mir vorhin, Herr Kollege Ollenhauer, nicht ganz klar geworden, als Sie zuerst für und dann gegen den Eintritt in den Atlantikpakt polemisierten, was wir eigentlich tun
sollten. Auf der einen Seite sagen Sie und wir mit Recht, daß diese Aufnahme in den Atlantikpakt Verpflichtungen nach sich ziehen könnte, wie sie die anderen Staaten haben, Verpflichtungen, die für uns unangenehm sind. Auf der anderen Seite stehen wir gerade bei diesem Problem sehr fest auf dem Standpunkt, daß es kein Gremium, keine Instanz, von der obersten politischen und militärischen Führung bis zur letzten Einheit herunter, geben darf, in der über die Verwendung junger deutscher Menschen entschieden wird, ohne daß der deutsche Standpunkt und seine Notwendigkeit dabei geltend gemacht wird.
Ich fürchte aber, daß die anderen für uns keinen eigenen Atlantikpakt machen werden, daß wir also entweder auf unserer bisherigen Linie mit Konsequenz fortfahren oder Nein zum Atlantikpakt sagen müssen. Dann können sie uns für das Nein nicht tadeln, für die Konsequenz auf der bisherigen Linie auch nicht. Ich weiß nicht, Herr Kollege Ollenhauer, ob Sie — fassen Sie das Wort nicht bösartig auf, und ich bitte auch den Herrn Bundeskanzler, nicht beleidigt zu sein — als präsumtiver Bundeskanzler, wenn Sie die Verhandlungen führen würden, alle Karten, mit denen Sie spielen wollen, schon am Anfang auf den Tisch legen würden, um den Tarock bestimmt zu verlieren.
Wo der Bestand eines freien Europa in seiner Gesamtheit auf dem Spiele steht — und dieses Wort muß über unseren Erwägungen, über der deutschen Außenpolitik und über der europäischen Politik stehen —, sollte man es auf allen Seiten vermeiden, strittige Probleme in einseitiger Weise zu lösen oder einseitige Lösungen zu präjudizieren. Es stehen heute für alle europäischen Völker größere Dinge auf dem Spiel als die Sicherung der französischen Interessen an der Saar. In einem bolschewisierten Europa gibt es keine französische Saarpolitik mehr.
Der gute Wille unseres Volkes zum Ausgleich mit Frankreich und zur Zusammenarbeit mit Frankreich ist durch die jüngsten Vorgänge nicht zerstört worden; aber das deutsche Vertrauen auf den französischen Partner in einer Gemeinschaft auf Leben und Tod ist in bedenklicher Weise erschüttert worden.
Deutschland und Frankreich sitzen in einem Boote. Es hat keinen Sinn, über die Verteilung der Sitzplätze zu streiten, wenn der Wogengang um das Boot herum einen festen Steuermann und eine gemeinsame Anstrengung aller Mann am Ruder erforderlich machen.
Eine europäische Verteidigungsgemeinschaft kann nicht aufgebaut werden, wenn die an ihr beteiligten Völker nicht in vollem Vertrauen auf die gegenseitige Loyalität ihre Sicherheit in der gemeinsamen Zukunft sehen.
Weder der Lärm der Presse in Paris noch gewisse
Traditionen am Quai d'Orsay — der schon Jahrhunderte lebt — können diese Tatsache aus der
Welt schaffen. An der Saar muß eine Regelung
gefunden werden, die dem freien Willen der deutschen Bevölkerung Rechnung trägt, nicht allein mit
Landtagswahlen, für deren Vorbereitung uns die
Zeit zu einer freien Entscheidung dann nicht mehr
bliebe, auch nicht mit einer Fragestellung, die das
Ergebnis schon von vornherein beeinflussen muß.
Die ideologischen Grundsätze eines Europa, dessen Zukunft gesichert werden soll, gehen aus von dem gemeinsamen Gedanken der Freiheit. So ist die Saarfrage zum Prüfstein für den guten Willen der Beteiligten und auch für die Achtung vor dem Prinzip der Freiheit geworden.
Nicht nur wir müssen einsehen, daß der oberste Leitsatz unserer Außenpolitik, um dessentwillen wir im Lande landauf, landab geschmäht, mißverstanden und oft bewußt heruntergezogen werden, nur darin besteht, nach dem zweiten Weltkrieg das Vertrauen der Welt mit konsequenter deutscher Zielsetzung wiederzugewinnen.
Auch die französischen Politiker müssen in ihrer anderen Eigenschaft als europäische Staatsmänner — und wie schwer sind diese beiden Funktionen, Herr Bundeskanzler, zu vereinbaren! —
einsehen, daß eine europäische Verteidigungsgemeinschaft ihren inneren Wert und ihre äußere Stärke nur durch volles gegenseitiges Vertrauen erlangen kann.
Wir haben nicht aus nationalem Prestige, nicht
etwa aus nationalem Ehrgefühl heraus, wir haben
um Europas willen die Hoffnung, daß nicht allein der Einfluß der angelsächsischen Mächte, sondern daß auch die eigene Einsicht der französischen Staatsmänner in dieser Frage zu einer Lösung des Rechts und nicht der Gewalt führen wird.
Letzten Endes — darauf kommt es uns an, und darauf sollte es unseren Partnern ankommen — dienen alle diese Aktionen, die die europäische Einigung verzögern oder erschweren, niemand anderem als den Plänen der Machthaber in Moskau,
die viele Wege zu gehen wissen, um ihr Ziel zu erreichen. Und mancher merkt es nicht, der für sie den Kurier macht.
— Herr Loritz, Sie müssen's ja wissen, wenn von Kurier gesprochen wird!
— Die bessere Auskunft als ich kann Kollege Löfflad darüber geben.
Es läßt sich unschwer vorstellen, daß die große Rechnung der Sowjets, den Bolschewismus über ganz Europa auszudehnen, glatt aufgehen muß, wenn es ihnen gelungen ist, die zentrifugalen Kräfte in den europäischen Staaten bis zum Scheitern der europäischen Einigkeit zu stärken.
Die Sowjets wollen das Risiko eines dritten Weltkrieges nicht auf sich nehmen, um Europa in die Hand zu bekommen, ihre Macht an den Atlantik vorzuschieben und ihre Hand auf das Ruhrgebiet zu legen, es genügt für sie, wenn sie mit dem Aufgebot- aller diplomatischen, politischen, propagandistischen und psychologischen Mittel die Einigung Europas verhindern können,
weil sie genau wissen, daß damit in absehbarer Zeit automatisch der Abzug amerikanischer Truppen aus Europa und damit das Erlöschen der amerikanischen Sicherheitsgarantie für die europäischen Staaten verbunden ist.
Die Russen sind das einzige Volk in der Geschichte dieser Welt, das sich in seiner Politik immer Zeit gelassen und alle Ziele auf lange Sicht und bis heute mit Erfolg verfolgt hat. Ob das „Ami, go home" von kommunistischen Schmierhänden an die Wand gepinselt oder ob dieses Ziel indirekt durch Stärkung der europafeindlichen Kräfte bis zur endgültigen Verhinderung des europäischen Zusammenschlusses verfolgt wird, all das liegt auf einer einzigen Linie.
Das Fernziel ist immer das gleiche, und mit einer einfachen, prägnanten Formulierung gesagt heißt es: über die Zersplitterung Europas zur Bolschewisierung Europas.
Wir lassen uns nicht irremachen in unserem Willen, die europäische Einigung zu vollziehen. Wir warnen aber mit allem Nachdruck davor, Teilprobleme in einer Weise zu lösen, die im Widerspruch zum Grundgedanken der europäischen Solidarität steht.
Was muß in Europa erreicht werden? Ohne Zweifel mehr als eine Verteidigungsgemeinschaft! Aus dem in 17 Staaten aufgespaltenen Resteuropa zwischen dem bolschewistischen Koloß und der Weltmacht Amerika muß ein in Freiheit und Gleichberechtigung geeintes Europa entstehen, oder Europa wird in absehbarer Zeit nicht mehr sein als ein geographischer Begriff auf der Landkarte.
Es wird nicht mehr sein, nicht durch die Schuld der Bolschewiken, es wird nicht mehr sein durch die Schuld der in nationale Sonderinteressen verstrickten Völker.
Dieses Europa hat ein gemeinsames Schicksal und
eine gemeinsame Zukunft. Was liegt näher, als daß
es zu einer gemeinsamen Politik kommen muß?
Es wird zu einer gemeinsamen Politik kommen, wenn es gelingt, eine europäische Staatsidee statt einer Addition von nationalistischen Länderideen zu entwickeln,
eine europäische Staatsidee, die viel guten Willen und manchen Verzicht von jedem Teilnehmer erfordert. Der politische Weg dieser europäischen Staatsidee ist vorgezeichnet durch Geschichte und Kultur des Abendlandes. Eine echte europäische Verteidigungsgemeinschaft kann in diesem Sinne nichts anderes sein als das natürliche Ergebnis einer europäischen Staatsidee.
Europa muß aus der Idee und aus seiner geschichtlichen Aufgabe heraus entwickelt werden. Dieses Europa soll eine Armee für seine Verteidigung besitzen, aber Europa soll nicht eine Armee sein, die sich einen Staat schafft.
Die Aufgabe Europas ist es zunächst, den eigenen Bestand zu sichern und damit wieder einen unentbehrlichen und stabilen Faktor der Weltpolitik zu schaffen. Die Aufgabe dieses' Europas ist es nicht, die Gegensätze auf dieser Welt zu verschärfen, sondern sie allein durch sein Dasein und durch seine soziale Ordnung im Innern dieses Kontinents zu entspannen.
Darum, meine Damen und Herren, wird dieses Europa berufen sein — und hier wollen wir uns einmal über den Begriff „Frieden" unterhalten —, eine klare Friedenspolitik zu betreiben. Friedenspolitik heißt nicht Schwäche. Friedenspolitik heißt niemals Entwaffnung. Friedenspolitik heißt vor allen Dingen nicht leichtsinnige Hoffnung auf Errettung durch die Hand des Zufalls.
Friedenspolitik heißt eines: klar erklärter Verzicht darauf, politische Ziele mit Gewalt durchsetzen zu wollen.
Friedenspolitik heißt aber auch, einem eventuellen
Angreifer klarzumachen, daß sein Angriff auf' den
organisierten Gesamtwiderstand Europas und Amerikas stoßen wird.
Wenn wir noch in der Zeit der Entscheidungen im megalithischen Zeitalter leben würden, könnten wir diese Entscheidung bis zum Probefall zurückstellen. In der Mitte des 20. Jahrhunderts ist es uns nicht möglich, den Fall der Bedrohung nach erfolgtem Eintritt überhaupt erst wahrzunehmen oder als gegeben festzustellen.
So gern ich auch die beiden mitsammen sprechen sehe
— allmählich lerne auch ich politische Vernunft, Kollege Schoettle —,
so gern ich die beiden mitsammen sprechen sehe,
so möchte ich doch Herrn Dr. Adenauer und
Herrn Dr. Schumacher nicht gern hinter
Stacheldraht im Ural sich darüber unterhalten
sehen, was sie im Frühjahr 1952 hätten tun sollen!
— Gehn's, ich würde Ihre Aufregung dann viel ernster nehmen, — —
— Ja, die Herren von der außerordentlichen Linken!
Schau'n Sie, ich würde Ihre Aufregung viel ernster nehmen, wenn ich nicht gerade in Bayern erlebt hätte, daß kommunistische Denunzianten sich amerikanischen Entnazifizierungsstellen bis zum Überdruß aufgezwängt haben!
Das war die Zeit, zu der es noch gefährlich war,
gegen den Bolschewismus auch hier zu sprechen.
Meine Damen und Herren, dieses Europa kann nicht neutral sein. Dieses Europa darf niemals aggressiv sein. Aber dieses Europa muß durch seine Stärke und durch die Stärke seiner Bundesgenossen jeden Angriff für den Angreifer zum Selbstmord machen.
Wir müssen dem russischen Volk und den sowjetischen Machthabern die Furcht, aber auch den Vorwand nehmen, daß eine europäische Verteidigungsgemeinschaft Werkzeug oder Vorbereitung eines Angriffskrieges gegen das russische 'Volk werden kann.
In diesem Europa hat Deutschland ganz bestimmte Möglichkeiten, ganz bestimmte Aufgaben und damit auch eine ganz bestimmte Verantwortung, die in unseren Händen liegt; eine Verantwortung, die wir nicht dadurch ablehnen können und um die wir uns nicht dadurch herumdrücken können, daß wir die Frage der Legitimation dieses Bundestages aufwerfen.
'
Es würde sonst zur Sitte der Feinde der Demokratie werden — worunter ich Sie selbstverständlich nicht verstehe, Kollege Ollenhauer —, jedem Parlament vor seinem Gang zur Arbeit einen Exklusivkatalog der Angelegenheiten zu geben, über die es entscheiden darf.
Ein anderer Kollege meiner Fraktion wird über die Frage der politischen Legitimation und die Frage der juristischen Zusammenhänge auch in dieser Sache ein klares Wort sprechen.
Ohne Deutschland kommen weder ein europäischer Staat noch eine europäische Verteidigungsgemeinschaft zusammen. Wir müssen alle Möglichkeiten, die uns gegeben sind, sehr sorgfältig prüfen und die Voraussetzungen festlegen, die zu einer klaren Entscheidung führen können. Wir müssen immer und immer wieder betonen, daß für uns Leben und Sicherheit unseres eigenen geliebten deutschen Volkes allein ausschlaggebend sein dürfen.
Wir lassen uns unsere Entscheidung weder durch amerikanische Forderungen vorschreiben noch durch die Sicherheitswünsche unserer westlichen Nachbarn in Europa!
Wir haben uns mit zwei Argumenten zu befassen, die grundsätzlich gegen einen Verteidigungsbeitrag angeführt werden. Erstens einmal: Ein deutscher Verteidigungsbeitrag verhindert die deutsche Einigung und verewigt die Spaltung unseres Volkes. Zweitens: Ein deutscher Verteidigungsbeitrag erhöht die Kriegsgefahr. Meine Damen und Herren, ich glaube, bei dieser Debatte muß diese Frage gestellt werden. Sie ist die Frage des Risikos für uns nach zwei Seiten hin. Diese Frage wird draußen im Volk gestellt, und das Parlament muß sie beantworten. Diese Argumente werden besonders von der „Notgemeinschaft für den europäischen Frieden" angeführt
und zur Verwirrung der Begriffe in der Öffentlichkeit mit lauter Stimme breitgetreten.
Bei dieser Gelegenheit erlaube ich mir einmal festzustellen, daß uns die Bezeichnùng „Notgemeinschaft für den europäischen Frieden" eine Anmaßung zu sein scheint.
Ob CDU-Heinemann oder FU-Wessel dabei ist, spielt in diesem Falle für unsere Beurteilung nicht die geringste Rolle.
Wir nehmen für uns in Anspruch, in tiefstem Ernste und in drückender Verantwortung den besten Weg für die Sicherung unseres Volkes und für die Rettung des Friedens zu erkämpfen. Wir wissen, daß heute ganz Europa eine Notgemeinschaft geworden ist
und daß diese anspruchsvolle Bezeichnung nicht von einem Reiseteam peripatetischer Politiker mit Beschlag belegt werden kann.
Meine Damen und Herren, wir sind durch die Erfahrungen des zwölfjährigen Reiches hellhörig dafür geworden, wie man mit Worten und Begriffen Schindluder treiben kann.
Es hängt nicht von den Buchstaben ab, es hängt nicht von den Worten ab, die über die Lippen kommen,
es hängt von der inneren Gesinnung ab, ob jemand mit dem Worte Frieden auch wirklich Frieden meint oder nur eine gute Tarnbezeichnung für die Kriegsvorbereitung,
'
ob er mit dem Worte Freiheit das persönliche Recht des Einzelmenschen auf Freiheit der Meinung und Unverletzlichkeit der Person meint oder ob er dieses Wort mißbraucht für die Willkür des Kollektivs, den Menschen zum Sklaven zu machen.
Wir in Deutschland haben eine harte Schule in dieser Hinsicht hinter uns. Aber diese harte Schule hat, so grauenhaft die Opfer geworden sind, die auf der Strecke bleiben mußten, eines für sich gehabt, meine Herren von der extremen Linken: Wir sind immun geworden gegen den Schwindel, der sich hinter Begriffen und Worten tarnt.
Sie werden, wenn das deutsche Volk aufgeklärt ist, wenige finden, die sagen: Ich bin neutral, sagte das Schaf.
— Wenn Sie sich getroffen fühlen, Herr Kollege Loritz, habe ich nichts dagegen.
So wird mit dem Worte deutsche Einheit gerade von denen am meisten Mißbrauch getrieben, die es am wenigsten ernst meinen mit einer deutschen Einheit in wirklicher Freiheit.
Wir wollen — das sei mit aller Deutlichkeit und endgültig für den Standpunkt unserer Fraktion klargestellt; Herr Kollege Ollenhauer, ich darf darauf eine Antwort geben — uns auf keinen Fall abfinden mit dem Provisorium der Bundesrepublik. Für uns steht, auch wenn wir uns in den Methoden unterscheiden — wer recht hat, mag sich hoffentlich nicht erst zu spät zeigen —, am Ende des Weges — —
Für uns steht am Ende des Weges das Definitivum einer gesamtdeutschen Lösung.
— Herr Kollege Arndt, wenn Sie Behauptungen aufstellen, dann müssen sie wahr sein.
'
— Ich habe nicht gegen gesamtdeutsche Wahlen gestimmt. Ich werde als Bayer, der entgegen manchen Landsleuten niemals den gesamtdeutschen Standpunkt auch nur um einen Millimeter aufgegeben hat, niemals zulassen, daß vom Recht der Länder ein Millimeter abgezwackt wird.
Ich bitte, dem Redner Gelegenheit zu geben, seine Ausführungen zu Ende zu führen..
Es geht nicht von meiner Redezeit ab. Ich kann genau so warten wie Herr Kollege Ollenhauer vorher.
Meine Damen und Herren, erlauben Sie mir zu dieser Frage nur den einen Satz. Sie sollten das Anliegen echter Föderalisten niemals in Widerspruch bringen zur Treue zu Gesamtdeutschland und niemals in Widerspruch zu unserer Sehnsucht zu Gesamteuropa.
Meine Damen und Herren, wenn Sie mich noch zu einem zweiten Satz herausfordern: Wir haben heute morgen erlebt, was sich dieses Parlament von einer absolut lächerlichen Minderheit bieten lassen muß.
Stellen Sie sich mal vor, was der Fall ist, wenn hundert von der Sorte hier sitzen.
Wir wollen deshalb nur die Garantie haben, daß die Bevölkerung die Vertreter ihres Willens wählen kann.
Wir wollen die deutsche Einheit in Freiheit wiederherstellen; aber wir wissen auch, daß die Lösung all dieser Fragen nicht allein durch unseren guten Willen herbeigeführt werden kann, sondern nur durch ein geeintes Europa, das weiß, was es will, und das als Verhandlungspartner ernstgenommen wird.
Herr Kollege Ollenhauer hat vorhin die Frage angeschnitten; er ist aber die Antwort zwar nicht über das Ziel, aber über die Methoden schuldig geblieben.
Wer auf den Anschluß der Bundesrepublik an die Gemeinschaft der freien Völker verzichtet, gibt die deutsche Einheit preis, ob er will oder nicht,
ob er es weiß oder nicht. Die verhängnisvolle These, die manchmal auch in der SPD angeklungen ist: Zuerst Einheit, dann Europa, wird von uns mit der klaren Parole beantwortet: Über die Einheit Europas zur Wiedervereinigung Deutschlands!
Wir sagen den deutschen Brüdern im Osten nicht ein Lebewohl mit den Entscheidungen, die wir getroffen haben und vielleicht noch treffen werden. Wir wollen aber auch mit ihnen kein Wiedersehen jenseits des Eisernen Vorhangs für uns haben.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, Sie, auch von der SPD, werden mir gestatten, daß ich
- o nein, ich zitiere jetzt gerade einen Parteifreund von Ihnen —, hinsichtlich der Methode das ergänze, was der Kollege Ollenhauer hier zu sagen unterlassen hat, und zwar aus dem Munde seines ebenfalls prominenten Parteifreundes
Kaisen, wenn er auch manchmal zwischen Gnade und Ungnade steht: Dort heißt es:
. . durch Verbindung mit dem Westen den politischen Status wiederzugewinnen, die wirtschaftliche Erholung zu erreichen und die Sicherheit zu erreichen, ist unser Ziel.
Um dieses Ziel zu erreichen, muß die westliche Welt einschließlich Deutschlands so fest miteinander verbunden werden, daß endlich das nächste Ziel ins Auge gefaßt werden kann, eine friedliche Übereinkunft mit Rußland zu festen Bedingungen zu erreichen, die auf der Basis der Gleichberechtigung und des Selbstbestimmungsrechts der Nationen zustande kommen muß. Nur so ist der Friede zu gewinnen und die deutsche Einheit wiederherzustellen.
Die Frage, die heute von Millionen Deutschen in berechtigtem Ernst gestellt wird, ob ein deutscher Verteidigungsbeitrag die Kriegsgefahr erhöht, kann nicht allein von der europäischen Landkarte aus entschieden werden. Die Verteidigungsgrenzen der freien Welt ziehen sich heute um den ganzen Erdball. Auf ihm gibt es viele heiße Punkte. Deutschland ist einer davon. Ein deutscher Beitrag für die europäische Verteidigungsgemeinschaft bedeutet für Rußland keine Gefahr, da die europäische Verteidigungsgemeinschaft bewußt auf dem Gedanken der Sicherung und des Verzichtes auf jeden Angriffskrieg aufgebaut ist. Rußland weiß, daß ein Angriff auf einen Staat der europäischen Verteidigungsgemeinschaft den dritten Weltkrieg auslösen würde. Die bisherigen Erfahrungen zeigen nicht, daß Rußland bereit ist, dieses Risiko auf sich zu nehmen.
Die Zeit, wo ein Angriff auf Europa einen militärischen Spaziergang bedeutet hätte, ist wahrscheinlich vorbei. Die Frage, ob diese Zeit wiederkommen wird, wird von Amerika und uns abhängen.
Die für die russische Politik verantwortlichen Männer wissen ganz genau, daß der Sieg in einer ersten Schlacht bedeutungslos wäre für den Ausgang des Krieges, der den Sowjets einen Kampf auf Leben oder Tod mit den Vereinigten Staaten einbringen würde. Rußland würde bewußt damit all das, was es in Jahrzehnten zäher und konsequenter Politik erworben hat, in Frage stellen. Rußland könnte durch einen Präventivkrieg in Mitteleuropa vorübergehende Erfolge erzielen. Es könnte aber weder in kurzer Zeit die Voraussetzungen für einen späteren Angriff der Westmächte auf Sowjetrußland zunichte machen noch eine wesentliche Verbesserung seiner Stellung für einen längeren Krieg herbeiführen. Wir sind vor einem kriegerischen Eingreifen Sowjetrußlands in Europa so lange sicher, als ein solcher Angriff dem Russen den dritten Weltkrieg einbringt. Das ist unsere klare Antwort zu der vorher gestellten klaren Frage.
Zum andern sind die Sowjets trotz ihres Propagandageschreis nicht überzeugt davon, daß die Westmächte die Absicht haben, die Sowjetunion anzugreifen. Erst ein von Amerika aufgegebenes und der inneren Zerplitterung überlassenes Land wird den sowjetischen Angreifer heraufbeschwören, weil er sicher sein kann, daß seine
Fünfte Kolonne die nötige Vorarbeit geleistet hat.
Ich darf mich bei dieser Frage auf keinen andern als auf den Kollegen Dr. Schumacher beziehen, der am 23. August 1950 in einer Pressekonferenz in Bonn in den bekannten prägnanten Formulierungen, die er liebt, erklärt hat: „Schwäche ist Kriegsanziehung." Wir haben keinen Grund, uns seiner Meinung nicht anzuschließen.
Wir müssen uns darüber im klaren sein, daß sowohl ein Nein als auch ein Ja ein Risiko bedeutet. Wenn wir aber diese Risiken gegenseitig abwägen, sollten wir ernsthaft genug sein, zu erkennen, daß ein Nein um jeden Preis — das hoffentlich, Herr Kollege Ollenhauer, nicht aus Ihrem Mund kommt, und ich möchte nicht annehmen, daß die Modalitäten bloß das Rankenwerk drum herum sind — nicht nur das größere Risiko ist, sondern gleichzeitig dieses größere Risiko bis zum bitteren Ende verewigt.
Ein deutsches Nein um jeden Preis wird zunächst keine andere Wirkung haben, als daß Deutschland das größte Risiko auf sich nimmt, daß jeder in der Welt nur mögliche und denkbare Krieg auf seinem Boden ausgetragen wird. Ein deutsches Nein um jeden Preis oder ein Ja unter unmöglichen Bedingungen wird zunächst dazu führen, daß alle Verteidigungsmittel der Westmächte auf ein Europa eingestellt werden, das einen amerikanischen Brückenkopf darstellt. Wir wenden uns mit Leidenschaft gegen die Theorie vom Brückenkopf, die auch in Amerika diskutiert wird. Aber, Herr Kollege 011enhauer, wir sind nicht verantwortlich für Dummheiten, die in Amerika gesagt werden, drum soll man uns nicht immer verantwortlich machen für Dummheiten, die bei uns gesagt werden.
— Auch die hat der heilige Geist nicht immer bevorzugt, Herr Kollege Schoettle.
Ich sage also, daß ein Nein um jeden Preis oder ein Ja unter unmöglichen Bedingungen dazu führt, daß alle Verteidigungsmittel der Westmächte auf ein Europa eingerichtet werden, das einen großen amerikanischen Brückenkopf darstellt und in dem Deutschland von beiden Seiten als das natürliche Aufmarsch- und Kampfgebiet betrachtet wird. Da ist es für uns für die Übergangszeit ein unerträglicher Gedanke, zu wissen, daß die Verteidigungspläne — in diesem Fall von den alliierten Generalstäben, die sich in ihrer Mentalität von denen der gesamten Welt nicht unterscheiden — ohne Rücksicht auf Deutschland und vielleicht sogar auf Kosten Deutschlands eingerichtet werden. Wir wollen und müssen verhindern, daß irgendwelche Verteidigungspläne für Europa gefaßt, werden, die nicht unsere Zustimmung haben und nicht auf unsere Lage in vollem Umfang Rücksicht nehmen. Wir wollen und müssen erreichen, daß die Alliierten das Risiko einer Verteidigung Europas ostwärts der deutschen Grenze vorbereiten und auf sich nehmen.
Auf lange Sicht gesehen wird ein deutsches Nein und französische Halsstarrigkeit nicht nur zum Scheitern der europäischen Einigung, sondern zu einer Verkürzung der amerikanischen Verteidi-
gungslinie führen, mit andern Worten, zur Aufgabe des kontinentalen Europa, wenn von ihm nicht in absehbarer Zeit die eigene Verteidigung unter dem Schutz der amerikanischen Garantie aufgebaut wird. Ob es gern gehört wird oder nicht, gesagt werden muß es einmal, weil es so ist. Man soll den Teufel nicht an die Wand malen und versuchen, damit politische Wirkungen zu erzielen. Man soll sich aber auch nicht scheuen, dem Volke die Wahrheit über unsere wirkliche Lage zu sagen. Wir können auf die Dauer weder den europäischen Völkern noch den Amerikanern zumuten oder von ihnen erwarten, daß sie allein Opfer für unsere Verteidigung bringen — wenn wir es ihnen auch gönnen würden —, wenn wir selbst nicht bereit sind, nach Erfüllung der notwendigen Voraussetzungen einen Teil dieser Last zu übernehmen. Der auf die große politische Ebene erhobene Standpunkt, daß es „meinem Vater recht geschieht, wenn ich mir die Hände erfriere, weil er mir keine Handschuhe kauft", mag für verantwortungslose Kindsköpfe berechtigt erscheinen; für den Träger einer echten Verantwortung ist er verantwortungslos. Allerdings hat es bisher an ausreichenden Bemühungen gefehlt, unser Volk über die wahren Bedingungen, unter denen es steht, in genügendem Maße aufzuklären.
Viele Nein-Sager können gewonnen werden, wenn man ihnen sagt, worum es geht. Sie dürfen nicht von vornherein mit den Kommunisten in einen Topf geworfen werden. Darum muß Klarheit geschaffen werden bei den jungen Menschen, bei den Frauen, bei den alten Soldaten, bei dem Millionenheer der Gleichgültigen, die da glauben, sie hätten nichts mehr zu verlieren, sie wüßten nicht, was überhaupt noch zu verteidigen wäre. Vollends kindisch wäre es, zu glauben, daß wir Deutsche nach einer sowjetischen Überrollung, wenn auch unter unangenehmen Begleiterscheinungen, ruhig weiterleben und weiterarbeiten könnten. Die Sowjets würden bei uns dasselbe tun wie in den osteuropäischen Staaten, sie würden deutsche Menschen als Vorwalze für die Rote Armee und als Kanonenfutter gegen die Amerikaner benutzen. In diesem Falle müßten wir vor einer Wiedereroberung durch den Westen beinahe genau so viel Besorgnis wie vor der sowjetischen Überrollung.
Ihre These, Herr Dr. Schmid — ach, er ist gar nicht da — —
Ich sitze hinter Ihnen, Herr Abgeordneter!
— Ja, der Präsident Dr. Schmid ist der irdischen Ansprache der Kollegen entzogen! — Die These, die Sie in München aufgestellt haben, es sei besser, als gesunde Menschen in ganzen Häusern überrollt zu werden als als Krüppel in Erdlöchern — wenn die Zeitung richtig berichtet hat —
— darum habe ich die Einschränkung gemacht! —,
wäre richtig und brauchbar, wenn sie möglich wäre,
wenn diese These nicht auf falschen Voraussetzungen aufbaute. Uns interessiert nicht der mutmaßliche Sieger des dritten Weltkrieges, uns interessieren alle Möglichkeiten, den dritten Weltkrieg zu verhindern.
Wir stehen nicht an, zu erklären, daß wir von Herzen gern auf jeden Gedanken an einen Verteidigungsbeitrag verzichteten, wenn die Sowjetunion durch wirkliche Verminderung ihrer Rüstungsstärke und durch echte Verhandlungsbereitschaft ausreichende Garantien gäbe. Es gibt für uns Deutsche in dieser Weltlage keine Neutralität, die nicht zwangsläufig den Bolschewismus heraufbeschwört. Das heißt, nur ein kollektives System der westlichen Welt in voller Solidarität einschließlich Deutschlands kann den Frieden retten, was allein das Ziel und das Fernziel unseres Volkes sein muß.
Wir begrüßen, daß die Gewerkschaften in einer klaren Stellungnahme jeden Gedanken an eine Neutralität gegenüber den Feinden jeder Demokratie konsequent abgelehnt haben.
Die Politiker der Notgemeinschaft — ja, auch Sie, meine Damen und Herren der SPD! — sollten sich der Ansicht nicht verschließen, daß Ihre Stellungnahme zum deutschen Verteidigungsbeitrag, wenn Sie auch grundsätzlich den Ohne-mich-Standpunkt ablehnen, draußen in der Öffentlichkeit praktisch zur Stärkung des Ohne-mich-Standpunktes beigetragen hat;
wovon wir uns bei unzähligen sozialdemokratischen Diskussionsrednern überzeugt haben.
Sie beschwören Geister herauf — auch wenn Sie es nicht glauben, Herr Kollege Mellies —, die Sie nie wieder loswerden, auch dann nicht, wenn Sie es wollten und müßten.
.
Der Ohne-mich-Gedanke führt zwangsläufig zu einer Entscheidung der westlichen Welt, die schließlich heißen wird: ohne euch, dann gegen euch und zum Schluß mit euch unter bolschewistischen Fahnen.
Wir sollten in gemeinsamer Verantwortung — in gemeinsamer Verantwortung! — die Voraussetzungen festlegen, die einen deutschen Verteidigungsbeitrag ermöglichen, und wir sollten für unsere Voraussetzungen eine klare, sachliche Stellungnahme abgeben. Ich möchte Sie, meine Damen und Herren von der SPD, dringend bitten, die Frage eines deutschen Verteidigungsbeitrages nicht vom Standpunkt des Stimmengewinns für die nächsten Wahlen zu betrachten.
Ich habe dabei die Landtagswahlen in der amerikanischen Zone vom November 1950 im Auge, mit diesem Plakat: ein Massengrab mit einem Gewehr, einem Stahlhelm darauf, darüber die Worte: „Nie wieder! Darum SPD!"
Damit treibt man keine politische Propaganda, am wenigsten eine parteipolitische Propaganda!
Das Opfer, das in der Vergangenheit gebracht worden ist, und das Opfer, das heute anderswo auch
für unsere Freiheit gebracht wird, ist zu ernst, als daß man es für Plakate verwenden sollte.
Ich darf zum Schluß folgendes sagen. Wir sind uns, auch von unserer Fraktion aus, sehr wohl bewußt, Herr Bundeskanzler, daß die Nichterfüllung der notwendigen Voraussetzungen, die von uns in einer eigenen Stellungnahme noch vorgelegt werden, auch bei uns zu einem Nein in dieser Frage führen kann.
Wir erklären aber nicht, daß die Umstände überhaupt gar nicht geschaffen werden könnten, unter denen ein Ja möglich wäre, wie es Herr Kollege Ollenhauer getan hat.
— Ja, die Umstände mit der Neuwahl sind für uns nicht die Umstände, die Sie meinen!
Die Regierung muß es sich angelegen sein lassen, mit der Regierungskoalition und der verantwortungsbewußten Opposition die Voraussetzungen für die Verhandlungen mit dem Auslande festzulegen und dort diese Voraussetzungen zu vertreten. Wir wissen es sehr genau: praktische politische und militärische Gleichberechtigung, ausreichende
Sicherheitsgarantie. Herr Guderian beruft sich auf Dr. Schumacher. Wir sind uns in dieser Frage völlig einig mit Dr. Schumacher wie mit dem Zitat von Guderian in seinem Buch „Kann Westeuropa verteidigt werden?".
(Sehr gut! bei den Regierungsparteien. —
Abg. Mellies: Unter diesem Gesichtspunkt
sehen Sie das? Das ist sehr interessant,
Herr Strauß!)
Solange wir 'es nicht für notwendig halten, daß Deutschland zu einem Heerlager der Amerikaner wird, in dem man Zivilisten mit der Laterne suchen muß, wollen wir nicht dazu beitragen, durch die Stellung solcher Voraussetzungen in unserem Volke untragbare psychologische und praktische Bedingungen zu schaffen.
Eine klare Friedenspolitik der Stärke und Mäßigung bietet die Garantie dafür, daß der Aufbau eines deutschen Verteidigungsbeitrages auf der Grundlage des demokratischen Rechtsstaates erfolgt. Der finanzielle deutsche Beitrag darf weder die Währung gefährden noch die sozialen Leistungen vermindern noch einen Druck auf den Lebensstandard der sozial Schwachen ausüben.
Diese drei Forderungen! Es ist nicht so, wie Herr Kollege Ollenhauer erzählt hat. Ich will es mir ersparen, das Ergebnis der gestrigen Verhandlungen, das Ihre Herren genau so wie ich gehört
haben, hier vor Ihnen auszubreiten. Aber in einem Satze muß gesagt werden: bis jetzt ist der Bundesfinanzminister keinen Schritt über diese Linie hinausgegangen,
und wir sollten ihm den Rücken stärken, damit er diese Linie bis zum Abschluß beibehalten kann.
Meine Damen und Herren, Sie sprechen von den gegebenen Voraussetzungen. Wir sollten bei der Frage der Voraussetzungen ausschließlich von den politisch-sachlichen Gegebenheiten ausgehen. Wir sollten uns hüten - Sie und wir —, von der Frage der Möglichkeit eines politischen Geschäfts innerhalb Deutschlands auszugehen.
Das Schicksal Deutschlands ist untrennbar mit dem Schicksal der freien Welt verbunden. Die amerikanische Sicherheitsgarantie muß so lange ausreichen, bis die europäische Wirtschaftskraft, die staatliche Kraft und die politische und verteidigungsmäßige Kraft, organisiert ist. In dem Verteidigungsvertrag ist nicht nur festgelegt, daß Deutschland nicht diskriminiert werden darf; dort ist auch festgelegt, daß jeder Angriff auf ein Land dieses Paktes durch das Eingreifen aller Länder beantwortet wird. Es ist — das ist für uns vielleicht ein wesentlicher Bestandteil — ebenfalls festgelegt, daß ein weiteres Eingreifen der europäischen Verteidigungsgemeinschaft ohne Zustimmung aller Mitglieder, also ohne Zustimmung Deutschlands, nicht möglich ist. Und wenn jemand sagen wollte: Der Westen führt einen Präventivkrieg!, nun, Deutschland ist in der Lage, durch eine klare Entscheidung einen Präventivkrieg von herüben wie von drüben — auch wenn er dort nicht ernsthaft propagiert wird — zu verhindern.
Wir müssen uns bei der kommenden Entscheidung von einer dumpfen Erwartung der Zukunft lossagen. Wir sollten diesen Weg, meine Damen und Herren von der SPD, in gemeinsamer Verantwortung gehen. Möge es uns erspart bleiben, einmal darüber nachzudenken — wie es Ihren Parteifreunden und meinen Gesinnungsfreunden in der Vergangenheit gegangen ist —, was man hätte tun sollen, als es Zeit war. Heute ist noch Zeit, erstens zu prüfen, zweitens zu entscheiden und drittens in europäischer Verantwortung danach zu handeln. Es lebe Europa!
Das Wort hat der Abgeordnete Euler von der Freien Demokratischen Partei.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir wünschten uns sehr, die Verhältnisse wären so, daß hier Verteidigungsdebatten nicht geführt zu werden brauchten. Wir wünschten uns sehr, der Friedenswille unseres Volkes würde hinreichen, um ihm den Frieden zu gewährleisten. Wir wünschten uns sehr, existenzbedrohende Gefahren wären in unserem Umkreise nicht sichtbar, und wir könnten ganz ungestört lediglich dem einen hingegeben sein: dem Wiederaufbau, der Neuordnung unserer wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse, der Überwindung all der Not, die der letzte Weltkrieg über uns gebracht hat. Aber das Expansionsstreben der sowjetischen Welt nötigt uns dazu, Verteidigungsmaßnahmen in Betracht zu
ziehen, über die wir am liebsten nicht nachdenken möchten. Trotz riesiger Landgewinne ist das sowjetische Expansionsstreben nicht zu stillen gewesen. Kollege Strauß hat schon auf die Rooseveltsche Politik und ihren tragischen Fehlschlag hingewiesen. Es bedarf noch der Hervorhebung, welches Motiv diese Rooseveltsche Politik des äußersten Entgegenkommens gegenüber den Sowjets getragen hat. Das Motiv war dies: Es sollte den Sowjets damit das Mißtrauen genommen werden, daß nach dem zweiten Weltkriege die von ihnen so genannte kapitalistische Welt zu einer neuen Einheit gegen sie zusammentreten könnte. Es sollte damit die Vertrauensgrundlage geschaffen werden für eine Zusammenarbeit in den Vereinten Nationen mit dem Ziele, die internationale Abrüstung sicherzustellen und die kollektive Sicherheit zu verbürgen.
Diese Politik hat sich als illusionär erwiesen; sie ist tragischerweise gescheitert. Die Gründe hat schon Kollege Strauß im wesentlichen dargelegt; aber es bedarf noch eines Hinweises. Über den 180 sowjetischen Divisionen dürfen die 60 Divisionen nicht vergessen werden, die die Sowjets inzwischen in den Satellitenstaaten geschaffen haben: 12 in der Tschechei, 16 in Polen, 10 in Ungarn, 10 in Bulgarien, 12 in Rumänien; und es kämen noch 32 Tito-Divisionen hinzu, wenn nicht Tito inzwischen aus der Erkenntnis des Verhängnisses, das seinem Volk im sowjetischen Lager droht, das Lager gewechselt hätte. Alle diese Satellitendivisionen sind , in Ländern entstanden, die mit allen Mitteln der List und der Gewalttat unter dem Versprechen, einem demokratischen Regime entgegengeführt zu werden, allmählich vergewaltigt worden sind.
Nachdem wir die Aggressionen in aller Welt erlebt haben, die zwar die Sowjets formell nicht selbst gemacht haben, die sie aber durch andere, durch Abhängige haben machen lassen, nachdem wir insbesondere die Hungerblockade gegen Berlin erlebt haben, müssen wir uns fragen: Wie kann der Frieden gesichert werden? Und es gibt nur eine Antwort darauf: durch eine gemeinsame Abwehrfront aller freien Völker. Denn nur auf diese Weise kann eine Risikosteigerung erzielt werden, die die Gefahr für den Angreifer derart erhöht, daß er sich sagen muß, der Angriff ist Selbstmord, und daß er deshalb von dem Angriff Abstand nimmt. In diesem Sinne ist das Ziel der Verteidigungsbemühungen der westlichen Welt nicht, die Auskunft auf die Frage sicherzustellen, wo die erste oder die letzte Schlacht geschlagen wird, sondern sicherzustellen, daß die erste Schlacht nicht geschlagen wird,
nicht' geschlagen zu werden braucht.
Sollen wir durch eigene Anstrengungen zur Stärkung dieser Abwehrfront beitragen, damit die erste Schlacht nicht stattfinde? Wir sagen „Ja" darauf, allerdings unter Voraussetzungen, die den Verteidigungswert und die Kampfkraft des deutschen Soldaten erst einmal wiederherzustellen haben.
Lassen Sie mich aber noch einen Augenblick bei dem bleiben, was notwendigerweise die Aggressionskraft der Sowjets zur Folge hat. Das Expansionsstreben der Sowjets hat zur Folge, daß diese jede Position offensiv verstehen. Jeder Position
geben sie eine offensive Bedeutung, und die offensive Bedeutung der Positionen, die sie in Händen halten, ist um so gefährlicher, je mehr die ihnen gegenüberliegenden Positionen der freien Welt in sich gefährdet, in sich schwach, in sich weich sind.
Die offensive Bedeutung der sowjetischen Zone ergibt sich zunächst einmal aus ihrer geographischen Lage. Von Ostdeutschland aus hoffen die Sowjets den Weg über Westdeutschland anzutreten, um sich dann nach Frankreich, nach dem Süden und nach dem Norden wenden zu können. Es spricht nichts, aber auch gar nichts dafür, daß die Sowjets inzwischen ihre offensiven Absichten fallengelassen hätten; im Gegenteil, gerade ihr Verhalten gegenüber dem Anliegen, das in der UNO an sie gestellt worden ist, hat klar und deutlich erwiesen, daß sie im Augenblick zu keinerlei ernsthaften 'Zugeständnissen bereit sind, die die Verhältnisse in der Sowjetzone ändern würden. Die Zeit dafür ist noch nicht gekommen. Was sie im Augenblick treiben, ist Propagandageflüster, auf Wirkung nach außen angelegt. Es soll hier verwirren; es soll verhindern, daß hier eine Abwehrbereitschaft in Erscheinung tritt, von der die Sowjets befürchten müßten, daß sie das Gesamtpotential der freien Welt nicht unerheblich erhöhen würde.
In Anbetracht dieser Lage darf die Bundesrepublik niemals ein Feld für risikolose Aggressionen werden.
Es ist die Aufgabe unserer Politik, das absolut sicherzustellen. Damit ist das entschiedenste Nein gegen jede Art von Neutralitätspolitik gesagt.
Mit Abzug der westlichen Besatzungstruppen, die wir demnächst als Sicherheits- und bundesgenossenschaftliche Truppen verstehen, würde die Bundesrepublik schutzlos werden. Gerade dadurch würde in Deutschland die koreanische Situation geschaffen werden.
Der Friede und unsere Sicherheit, unsere Freiheit und unser Bemühen um das Recht würden dann allein von sowjetischer Garantie abhängen. Wir wissen, wie geduldig für die Sowjets das Papier ist, wie gern sie, wenn es die Verhältnisse nur irgend zulassen, von Versicherungen, von Zusagen, von vertraglichen Abreden zurücktreten, sie fallenlassen, sie verleugnen, um das Handeln zu exerzieren, von dem sie sich einen momentanen oder längerdauernden Erfolg versprechen.
Würde auf internationale Garantie hin nach Räumung der Bundesrepublik von den westlichen Besatzungsmächten in einem Augenblick die Lage eintreten, daß sich die Sowjets sagen dürften, ein Überfall werde keine Intervention der anderen Garantiemächte auslösen, dann gäbe es für uns nur noch zwei Möglichkeiten: entweder wehrlos der Sklaverei zu verfallen, oder aber wir hätten, falls dann doch verspätet die westlichen Garantiemächte eingreifen sollten, den Krieg mitten in Deutschland; wir hätten ihn von vornherein an der Rheinlinie.
Damit wende ich mich an Frau Wessel, von der ich annehme, daß sie zugegen ist. Ihre Politik bedeutet, wenn man diese Umstände erwägt, eine unverantwortliche Gefährdung der Zukunft des deutschen Volkes. Sie spielen — Frau Wessel, Herr
Heinemann, Herr Noack und wie sie alle heißen — das Spiel der Sowjets, ob sie das wissen oder nicht, ob sie das wollen oder nicht.
Nicht auf dem Wege dieser Politik ist der Frieden zu sichern, sondern der Weg, der von diesen Neutralitätspolitikern empfohlen wird, führt nur dazu, den Sowjets die Chance des risikolosen Angriffs zu geben, führt nur dazu, daß die Bundesrepublik als Opfer für einen sowjetischen Angriff im geeigneten Augenblick präpariert wird. Das wollen wir allerdings nicht zulassen. Dem werden wir uns mit aller Leidenschaft widersetzen. Wir müssen es verhüten, daß in Deutschland eine Situation entsteht, die so beschaffen ist, daß es lediglich eine Frage der Zeit wäre, wann wir Opfer einer sowjetischen Aggression würden.
Wenn diese Neutralitätspolitiker noch so konsequent wären, daß sie wenigstens dieselben Erwägungen anstellten, wie sie in anderen neutralen Ländern, in der Schweiz und in Schweden angestellt werden! Diese Länder sind schon vor dem zweiten Weltkrieg zu einer außerordentlich starken Defensivrüstung übergegangen. Es wäre also nach den Erfahrungen dieser neutralen europäischen Länder, die dadurch, daß sie auch im zweiten Weltkrieg ihre Neutralität nur durch eine außerordentliche Heeresstärke, durch eine auf den modernsten Stand gebrachte Rüstung wahren konnten, nur konsequent, wenn unsere Neutralitätspolitiker im gleichen Atemzug, in dem sie von Neutralität sprechen, auch eine entsprechend starke Defensivrüstung forderten.
Das tun sie nicht. Während sie von Neutralität sprechen, reden sie auch noch von Kriegsdienstverweigerung und tun damit das, was die Sowjets von ihnen erwarten. Die Sowjets hoffen darauf, daß sie Verbündete finden, die dafür sorgen, daß die Bereitschaft anderer Völker, sich zu verteidigen, von innen her unterwühlt wird.
Man kann nicht entschieden genug sagen, wie verhängnisvoll und wie verantwortungslos diese Neutralitätstheorien, die mit absoluter Waffenlosigkeit Hand in Hand gehen, in ihrer Auswirkung für uns sind.
Betrachten wir unsere Situation nüchtern und objektiv, ohne uns durch Gefühle der Sympathie oder Antipathie stören zu lassen, dann sieht diese Situation so aus, daß unser gegenwärtiger Schutz lediglich auf der Anwesenheit fremder Truppen beruht, vornehmlich — soweit es auf das Machtgewicht ankommt — der Truppen der USA. Denn an der Gegenwart dieser Truppen hängt das Risiko des Weltkriegs für die Sowjets. Entscheidend für die Größe dieses Risikos ist nicht, ob hier 12 oder 18 amerikanische Divisionen stehen, sondern daß hier überhaupt welche stehen und daß die Sowjets mit aller Deutlichkeit wissen: der Angriff auf diese Divisionen bedeutet für sie den dritten Weltkrieg. Darin liegt unser Schutz.
Betrachten wir nun diesen unseren Schutz- und Friedensfaktor USA, dann können wir erfreulicherweise feststellen, daß die Sicherheit für uns seit anderthalb Jahren wesentlich gewachsen ist durch die immerhin bemerkenswerte Defensivrüstung, die die USA endlich durchgeführt haben, nachdem vorher jahrelang eine Abrüstung betrieben worden
war, die schon geradezu unverantwortlich war gegenüber der ständig steigenden Rüstung der Sowjets und der sowjetischen Satellitenstaaten. Die Gefahr, die sich für uns ergeben kann, ist gebannt, solange diese amerikanischen Truppen hier sind. Aber die Gefahr liegt darin, daß das amerikanische Volk sich von der Politik der allumfassenden Friedens- und Freiheitssicherung abwenden könnte, und wenn das nicht allgemein geschehen sollte, dann doch von solchen Ländern, die sich in besonders gefährdeter Lage befinden und dennoch nicht zur Verteidigung bereit sind. Herr Kollege Ollenhauer hat geglaubt, die Ernsthaftigkeit dieses Arguments verkleinern zu dürfen. Aber wie oft haben wir schon sehr plötzliche Umschwünge der Politik in demokratischen Ländern erlebt infolge eines aus mannigfachen Ursachen sich entwickelnden plötzlichen Umschwungs der öffentlichen Meinung?!
Wenn man sagt, so große Fehler könnten die Amerikaner gar nicht machen, sie könnten sich aus ihrem heutigen Engagement für die freiheitliche Welt gar nicht herauslösen, dann muß darauf hingewiesen werden: was haben wir denn in gewissen Abständen erlebt? Nichts als gigantische politische Fehler! Es waren die weitblickenden Politiker im Lager der westlichen Demokratien nach dem ersten Weltkrieg, die voraussagten, daß das Versailler Diktat nach seinem damaligen Inhalt für Europa und die Welt die Gefahr eines zweiten Weltkriegs innerhalb von 30 Jahren heraufbeschwören würde.
Trotz dieser Voraussagen aller weitblickenden Politiker ist der Vertrag, das Diktat, in der Tat so unerbittlich ausgefallen, wie wir es erlebt haben. Wer hätte geglaubt, daß sich im Deutschland der dreißiger Jahre eine Politik auf tyrannischer, diktatorischer Basis durchsetzen würde, die zur Folge hatte, daß für Deutschland 1939 der zweite Weltkrieg begann, während der erste 1918 zu Ende gegangen war?! Wer schließlich hätte 1943 geglaubt, daß entgegen allen Warnungen der amerikanischen Politiker und Freunde Roosevelts sich diese Politik einer völlig illusionären Einschätzung der Sowjets durchsetzen würde, die zu den Abkommen von Jalta und Teheran führte? Woher nimmt man also das Recht, darauf zu vertrauen, daß die schlimmsten Fehler nicht geschehen, daß die USA nicht gegen ihre wohlverstandenen Interessen verstoßen werden? Der Sinn der Außenpolitik kann nur darin gefunden werden, die ungünstigsten Entwicklungen durch Vorkehrungen auszuschließen, die auf sie angelegt sind. Die Völker sind eigentlich nur immer dann von Katastrophen verheert worden, wenn sich ein ruchloser Optimismus durchsetzte, der glaubte, den ungünstigsten Fall vernachlässigen zu können.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Abkehr der USA von Ländern, die fortgesetzt enttäuschend auf das amerikanische Volk wirken, ist ein sehr ernsthaftes Motiv, muß ein sehr ernsthaftes Motiv unserer Betrachtungsweise sein, wenn wir nachteiligste Entwicklungen, die für uns wirklich lebensgefährlich wären, ausschließen wollen. Unser Lebensinteresse kann nur darin gefunden werden, daß wir eine weltumspannende Friedensfront mit dem Ziele stärken, die erste Schlacht zu verhindern. Wenn aber der Kriegsfall, der verhindert werden soll, dennoch einträte, weil die Sowjets unter Unterschätzung ihres Risikos angreifen, dann wird
die Gewähr, daß der sowjetische Angriff mit offensiver Verteidigung abgewehrt werden kann, um so mehr gegeben sein, als deutsche Divisionen vorhanden sind.
Es wird kaum möglich sein, die anderen Völker zu bewegen, ein gefährdetes Gebiet zu halten. Aber die Aussicht auf eine offensive Verteidigung mit der Möglichkeit, die erste Schlacht dahin zu verlegen, wohin sie Herr Dr. Schumacher und auch wir für den Fall haben wollen, daß sie nicht vermeidbar sein sollte, hat zur Voraussetzung, daß gerade deutsche Devisionen dabei sind.
Indem wir die Friedensfront der freien Völker stärken, dienen wir dem eigenen Vorteil am meisten. Wären wir auf uns selbst und wären die anderen europäischen Völker auf sich selbst gestellt, so wären wir unter den Auspizien, wie sie heute sind, allesamt früher oder später dem Untergang geweiht. Aber durch die Verbundenheit mit der weiteren atlantischen Gemeinschaft haben die Völker die Möglichkeit, Bedingungen für ihre Wohlfahrt und Sicherheit zu schaffen, die sonst für sie unerreichbar wären. Die Sowjets spekulieren darauf, daß ihnen ihr bester Bundesgenosse erhalten bleibt. Das ist für die Feinde Europas immer die europäische Anarchie, die nationalstaatliche Zersplitterung gewesen. Solange diese Zersplitterung fortbesteht, haben die Sowjets immerhin noch die Hoffnung, daß sich irgendwann einmal für sie eine Chance des Eingreifens bietet, besteht immerhin für sie noch die Hoffnung, daß sie das eine oder andere Volk in ihren Machtbereich hineinbringen können. An dieser Hoffnung hängt die offensive Bedeutung der mitteldeutschen Position der Sowjets, ihrer Position in der sowjetischen Zone Deutschlands. Wir müssen dieser Position die offensive Bedeutung dadurch nehmen, daß wir den Sowjets in Europa die Aussicht auf ein Auseinanderfallen der europäischen Völker, auf das Fortdauern der nationalstaatlichen Zersplitterung, auf das Herauswachsen neuer Konflikte aus dieser Zersplitterung ein für allemal nehmen. Wir haben das im Wirtschaftlichen durch den Schumanplan als einem Anfangspunkt der Entwicklung in dieser Richtung getan. Der Ausgangspunkt für die entsprechende politische Entwicklung ist die Verteidigungsgemeinschaft. Es handelt sich um zwei Seiten derselben Sache, für uns in der Richtung liegend, uns nicht nur die Sicherheit gegen sowjetische Übergriffe zu geben, sondern darüber hinaus die mitteldeutsche Position der Sowjets zu entwerten.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist ein sehr großer Irrtum, ja es ist eine Lüge, zu behaupten, man glaube, die Sicherungsmaßnahmen seien entbehrlich oder müßten zurückgestellt werden, bis ein hinreichender Grad sozialer Wohlfahrt sichergestellt sei. So sehr wir darum bemüht sind, den Lebensstandard zu erhöhen, — je mehr er erhöht wird, um so verlockender wird für die Sowjets ein Eingreifen in die westeuropäischen Gebiete, um so verlockender wird die Beute. Aber umgekehrt: um so gefährlicher für sie ist eine prosperierende Entwicklung in Westeuropa, weil die Differenz im Lebensstandard ständig größer wird. Deshalb ist der Schutz unentbehrlich.
Es gibt ein Argument, das von vielen Leuten zur Zeit ausgesprochen wird, die zweifellos keine Kommunisten sind, aber einen unglücklichen Hang zu Zukunftsspekulationen haben. Das Argument geht dahin, es wäre, wenn sich nun die gesamten westlichen Völker zusammenschließen, eine Entwicklung vorstellbar, daß der Zeitpunkt herannahe, zu dem die USA zu einem Präventivkrieg schreiten könnten. Nun haben entgegen der sowjetischen Macht die USA keine Präventivkriege geführt. Das Gerede vom Präventivkrieg der USA wird von denselben Leuten in Lauf gesetzt, die seit 1946 jede Gelegenheit zu Aggressionen wahrgenommen haben. Die Amerikaner sind 'von einer außerordentlich starken Zuversicht getragen, daß es immer noch andere Möglichkeiten als die des Krieges gibt, um schwierige Situationen zu meistern. Aber gesetzt den Fall, die USA wären eines Tages bereit, einen- Präventivkrieg zu führen, wäre dann — frage ich Sie — die abhaltende Kraft der europäischen Völker diesem Willen gegenüber größer oder geringer je nach dem, ob sie sich auf eigene Divisionen stützen könnten oder nicht? Ich glaube, diese Frage stellen, heißt sie in dem Sinne zu beantworten, daß, falls ein Präventivkrieg vom Westen her einmal in den Bereich der Wahrscheinlichkeit rücken sollte, dann gerade die europäischen Divisionen eine außerordentlich starke inhibierende Wirkung haben könnten. Dafür müssen aber diese Divisionen erst einmal da sein.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Frage spitzt sich dahin zu: Jetzt schon oder in absehbarer Zeit? Ist die Verteidigungsgemeinschaft so aktuell, daß man sie für die nächste Zeit in Betracht ziehen muß? Kollege Ollenhauer verneinte die Dringlichkeit des Zeitmoments. Sie kann aber nicht geleugnet werden, wenn man ins Auge faßt, was in der sowjetischen Welt kraft eines Kommandos für den riesigen Raum geschieht, und wenn man demgegenüber erblickt, wie schwer es fällt, die europäischen und die andern Völker der Welt zu einigen, wie mühsam doch alle Fortschritte sind; bis nur die ersten Integrationsmaßnahmen in Europa zum Tragen kommen.
Seit anderthalb Jahren wird über den Schumanplan verhandelt, und noch trennt uns, nachdem er jetzt ratifiziert ist, längere Zeit von dem Beginn seiner Wirksamkeit. Man muß also, wenn man einerseits die Schnelligkeit des Handelns unter dem diktatorischen Kommando im sowjetischen Bereich und andererseits die Langsamkeit freiheitlichen Entwicklungstempos in der demokratischen Welt betrachtet, Sorgen haben. Wir hoffen aber zuversichtlich, daß gerade diese Aussprache dazu beiträgt, in den weitergehenden Verhandlungen jene politischen Momente zur Auslösung zu bringen, die im bisherigen Verlauf der Verhandlungen meines Erachtens noch nicht gebührend gewürdigt worden sind.
Die zweite Frage, die unter dem Gesichtspunkt „bald" eine Rolle spielt: Ist der Schirm der ausländischen Divisionen inzwischen stark genug geworden? Dem Hinweis des Kollegen Ollenhauer, daß die Stärke des Schirms noch nicht ausreichend sei, muß man folgendes entgegenhalten. Die effektive Wirkung dieses Schirms ausländischer Divisionen hängt nicht allein von den Erdtruppen, diesen 131/2 Divisionen Engländer, Kanadier, Franzosen, Belgier und Amerikaner ab, sondern es ist wesentlich, in welcher Zeit eine operative Luftwaffe mit Atombomben zum Eingreifen gebracht werden kann. Davon abgesehen liegt, wie ich erneut hervorheben darf, der eigentliche Schutz dieser Besatzungsdivisionen zur Verhütung eines dritten
8132 Deutscher Bundestag — 19o. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den. Februar 1992
Weltkrieges darin, daß mit ihrer Anwesenheit das Wissen für die Sowjets verbunden ist: ein Angriff auf diese Divisionen löst den Weltkrieg aus. Das Risiko eines Weltkrieges haben die Sowjets inden vergangenen Jahren nicht tragen wollen. Es wäre vor anderthalb Jahren für sie sehr viel naheliegender gewesen als jetzt. Jeder Tag, der weiter vergeht, der die Defensivrüstung der westlichen Welt stärker zum Tragen bringt, macht es unwahrscheinlicher, daß die Sowjets das Risiko eines dritten Weltkrieges tragen wollen, der durch eine Angriffsaktion ausgelöst wird.
Sollen wir uns abwartend verhalten bis zu dem Zeitpunkt, in dem die deutsche Einheit wiederhergestellt ist? Dann würde sie nie wieder hergestellt;
denn die Sowjets haben gar keinen Anlaß, unseren Forderungen entgegenzukommen. Sie sehen im Augenblick keinen Anlaß, ernsthaft zu verhandeln. Sie stehen jetzt noch zu der Linie, ihre offensive Position in Mitteldeutschland durch eine schädigende Propaganda in Westdeutschland möglichst stark auszubauen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir wünschen sehr, die entscheidenden Verhandlungen würden recht schnell die Voraussetzungen sicherstellen, von deren Vorhandensein der Wert der wiedererstehenden deutschen Truppen abhängt. Denn es liegt im europäischen Interesse, daß der deutsche Soldat der Zukunft die innere Gewißheit hat, er dient der Sicherstellung einer europäischen Ordnung, die auf gleiches Recht zum Schutze derselben Freiheit für jeden einzelnen Teilnehmer gegründet ist.
Die innere Gewißheit muß jedem deutschen Soldaten gegeben werden, daß die Vergangenheit abgeschlossen ist, daß es keine Sieger und Besiegten mehr, sondern nur noch Kameraden für die gemeinsame große Sache gibt, die in der Lebenssicherung aller europäischen Völker liegt. Die Streitkräfte des Westens haben keinen Platz für Soldaten zweiter Klasse, sie haben keinen Platz für Repräsentanten einer zweitklassigen Moral. Militärs haben das schon immer gewußt; Militärs sind gewöhnt, auf die Realitäten abzustellen; sie wissen, was für den effektiven Verteidigungswert eines Soldaten seine Moral bedeutet. Deshalb ist es kein Zufall, daß es unter den Ausländern Eisenhower war, der als erster und in unzweideutiger Form die These verkündet hat, dem deutschen Volke müsse die Gleichberechtigung in dem Augenblick gewährt sein, wo eine Verteidigungsverpflichtung für dieses Volk wirksam werden soll.
Wie soll das Gefühl der europäischen Kameradschaft zwischen den Angehörigen der Divisionen aus den verschiedensten Teilnehmerstaaten entstehen können, wenn auch heute noch Deutsche festgehalten werden, deren Verurteilung auf sehr zweifelhaften Rechtsgrundsätzen beruht und unter Anwendung sehr zweifelhafter Methoden der Rechtsfindung zustande kam, oder gar, wenn noch Deutsche festgehalten werden, denen überhaupt noch kein Prozeß gemacht wurde?
Sieben Jahre fast nach Einstellung der Kampfhandlungen wurde ihnen noch nicht die Anklage zugestellt. Wie dürftig muß das Beweismaterial sein, daß es in sieben Jahren nicht gelang, den Prozeß in Gang zu bringen und ein fundiertes Urteil in die Welt zu setzen!
Über diese Dinge muß hier mit großer Entschiedenheit gesprochen werden. Wir sprechen damit nicht für Menschen, die nach alten international anerkannten Rechtssätzen, auch nach deutschem Urteil sich unzweifelhaft schwerer Verbrechen schuldig gemacht haben. Aber es ist nicht zu rechtfertigen, daß z. B. deutsche Soldaten festgehalten werden, die nichts anderes taten, als ihr Leben und das ihrer Kameraden gegen die heimtückische Kriegführung von Zivilisten zu 'schützen.
Ich kann mir nicht vorstellen, daß neue deutsche Truppen unter den Fenstern des Gefängnisses von Werl vorbeimarschieren, solange da außer den Generalfeldmarschällen von Manstein und Kesselring viele verdiente Offiziere und gemeine Leute sitzen, denen man nichts anderes nachsagen kann, als daß sie von Möglichkeiten der Kriegsführung Gebrauch gemacht haben, die gegeben sein müssen, auch nach internationalem Recht gegeben sind, um einfach das blanke Leben gegen eine heimtückische, grausame Kriegführung sicherzustellen. Schließlich konnten sich auch die amerikanischen Truppen in Korea in der Auseinandersetzung mit heimtückischen, grausamen Banditen nicht anders zur Wehr setzen. Diese Dinge müssen klar angesprochen werden. Es war Lord Hankey, der vor nicht allzu langer Zeit im englischen Unterhaus gesagt hat, kein Engländer würde es gutheißen, wenn sich England mit Völkern verbände, die noch Engländer von einem vergangenen Kriege her in Gefangenschaft hielten.
Erst in diesen Tagen hat sich der bedeutende englische Jurist und Unterhausabgeordnete Paget gegenüber der „Deutschen Rundschau" in einem Interview geäußert, in dem es heißt — ich darf mit Genehmigung des Herrn Präsidenten den entsprechenden Passus vorlesen -:
Wenn die Alliierten wollen, daß ehrenhafte deutsche Männer aus freiem Willen in einer europäischen Armee dienen, nicht bloß Abenteurer und Söldner, dann sollen sie dafür sorgen, das Manstein und diejenigen unter seinen Mitgefangenen, die nicht wegen persönlicher Vergehen ins Gefängnis geworfen wurden, in Freiheit gesetzt werden. Man kann nicht erwarten, daß ein ehrenhafter Deutscher unter Oberbefehlshabern dient, welche Nationen angehören, die seine früheren Kommandeure im Gefängnis halten aus Gründen, die er und viele Leute außerhalb Deutschlands nicht für Gründe der Gerechtigkeit halten.
Diesen Äußerungen eines Engländers habe ich nichts hinzuzufügen.
Der zweite herbe Punkt, in dem während der Verhandlungen der nächsten Wochen Wandel geschafft werden muß — und ich möchte wünschen, daß der Wandel schnell geschieht —, ist der Inhalt des Generalvertrags und der Inhalt der Zusatzabkommen zum Generalvertrag. Wir wissen es sehr zu schätzen, daß der Vertrag über die Verteidigungsgemeinschaft die Gleichberechtigung in einem ganz anderen Maße verwirklicht hat als nach dem gegenwärtigen Verhandlungsstand der Generalvertrag und seine Zusatzabkommen. Wenn die Voraussetzungen für die Verteidigungsgemeinschaft geschaffen werden sollen, wird es erforderlich sein, hier noch in vielen Vertragspunkten einen gründlichen Wandel herbeizuführen.
Die Verbindung zwischen Ablösung des Besatzungsstatuts und Verteidigungsgemeinschaft ist ein ursprünglich von den Alliierten aufgestelltes Junktim. Nun, im Gegensatz zu dem Kollegen Ollenhauer haben wir nichts gegen dieses Junktim. Wir verstehen es aber so, wie man es vom deutschen Standpunkt allein verstehen kann, nämlich dahin: die Ablösung des Besatzungsstatuts unter vertraglichen Umständen, die die Wiederherstellung der deutschen Gleichberechtigung bieten, muß in dem Augenblick gewährleistet sein, wo die Verteidigungsgemeinschaft zustande kommt.
Der Inhalt des Generalvertrages wird für jeden Deutschen entscheidenden Aufschluß über die Entschiedenheit des Willens unserer zukünftigen Partner geben, die deutsche Gleichberechtigung herzustellen. Befriedigend kann der Vertragsinhalt danach nur sein, wenn die Gleichberechtigung nach Lage der Umstände im höchstmöglichen Maße hergestellt ist. Wir sind bereit, in demselben Maße auf Souveränitätsrechte' zu verzichten wie andere Völker. Wir haben das bereits beim Schumanplan bewiesen. Wir werden es bei der Verteidigungsgemeinschaft wieder beweisen. Wir beweisen es in der Bereitschaft zu einem europäischen Bund. Aber wir sind nicht bereit, in einem größeren Maße, als es nach den Umständen geboten ist, auf die Wiederherstellung der Souveränität zu verzichten und damit eine gegenüber den anderen Völkern ungleiche Lage einzunehmen. Insbesondere darf der Vertragsinhalt nicht eine Umkleidung für die Fixierung besatzungsrechtlicher Vergangenheit werden.
Man muß sagen, nach dem gegenwärtigen Stande ist die Gesamtheit der vorläufigen Ergebnisse zu sehr vergangenheitsbezogen, noch zu sehr von der Absicht der Alliierten getragen, die Vergangenheit einzufrieren. Wir empfinden das insbesondere in folgenden Punkten, die nur beispielhaft erwähnt seien. Im Truppenvertrag muß sichergestellt werden, daß wir die Unterhaltsleistungen durch deutsche Behörden sichern lassen, daß wir von dem Requisitionssystem abkommen. In den Übergangsbestimmungen zum Generalvertrag ist der sehr lobenswerte Grundsatz verankert, daß das Besatzungsrecht zur freien Disposition des Gesetzgebers steht. Aber es gibt Ausnahmen, die sich auf Programmpunkte der Vergangenheit beziehen und bis zur Erreichung ihres Zwecks in Kraft bleiben sollen, derart daß sie vom deutschen Gesetzgeber nicht ohne alliierte Zustimmung aufgehoben werden können. Auch mit einer solchen Betonierung vergangenheitsbezogener Programme würden wir nicht einverstanden sein können.
Darüber hinaus droht die Gefahr, daß für ausländische Vermögen in Deutschland Privilegien geschaffen bzw. frühere Privilegien ausgebaut werden. Wir können es nicht für gut halten, ausländisches Vermögen für etwa sechs Jahre — oder seien es auch nur drei Jahre — vom Lastenausgleich zu befreien.
Es droht zum letzten die Gefahr, daß in die Zusatzabkommen zum Generalvertrag Regelungen einbezogen werden, die dem Friedensvertrag vorbehalten sein sollten, wie beispielsweise die Reparationen. Es wäre die unglücklichste Verbindung, die man sich vorstellen könnte, der Vorgriff auf eine Zukunft, die am besten jetzt noch nicht ge-
regelt wird, und die Zementierung einer Vergangenheit, die jetzt überwunden werden müßte.
Es liegt uns sehr am Herzen, daß die Finanzierung des Verteidigungsbeitrages auf eine Weise erfolgt, daß wir nacht übermäßig mit Lasten beschwert sind, die unsere wirtschaftliche Erholung und unsere soziale Sicherung gefährden. Es wäre unseres Erachtens unter keinen Umständen tragbar, wenn uns eine Finanzierung auferlegt würde, die wir nicht anders bewältigen könnten als durch die Erhöhung jetziger Steuern oder aber durch die Einführung neuer Steuern, also durch eine Vergrößerung der Steuerlast, die ohnehin in Deutschland schon bei weitem höher ist als in jedem anderen Lande der westlichen Welt. Schließlich erbringen wir trotz der ungeheuren Belastungen, die der Krieg uns gebracht hat — 91/2 Millionen Heimatvertriebene und Ostvertriebene, 31/2 Millionen Kriegsversehrte, Kriegerwaisen und Kriegerwitwen sowie 21/2 Millionen zerstörte Wohnungen —, einen ganz außerordentlichen Sicherheitsbeitrag nicht nur für uns, sondern für die Gesamtheit der europäischen Völker und letzten Endes für die Gesamtheit der westlichen Welt dadurch, daß wir diese Notstände weiterhin mit der Kraft und Entschlossenheit bekämpfen, wie wir es bisher getan haben.
Das darf uns nicht mehr erschwert werden. Es wäre der Gesamtheit der Völker Europas nicht gedient, wenn außer ein paar Divisionen deutscher Soldaten Armeekorps deutscher Verelendeter über das heute schon vorhandene Maß hinaus entstünden.
Wir vertreten deshalb nicht ein deutsches, sondern ein gesamteuropäisches Lebensinteresse, wenn wir mit Nachdruck hervorheben, daß eine Überspitzung der Belastung Deutschlands mit finanziellen Anliegen zur Bewältigung des Verteidigungsbeitrages ein Verfahren ist, das sich gegen Europa selbst richtet.
Wir halten es für unerläßlich, daß die Bundesrepublik möglichst bald Mitglied der NATO wird. Sollten im Augenblick nicht bereits alle dafür zu gewinnen sein, dann, meine ich, müßte doch in den nächsten zwei Monaten sichergestellt werden, daß uns die Aufnahme für den Fall des Beginns der Wirksamkeit der europäischen Verteidigungsgemeinschaft auf eine verbindliche Weise in Aussicht gestellt oder zugesichert wird. Man muß sich darüber im klaren sein, es fallen wichtigste Beschlüsse militärischer und politischer Art über die Kommandostellen der NATO, die ihrerseits in den wichtigsten Fragen durch einstimmige Beschlüsse des Ministerrates der NATO gedeckt sind. Es ist uns nicht zumutbar, auf die Dauer im Gegensatz zu allen anderen Mitgliedern der europäischen Verteidigungsgemeinschaft, die auch direkt Mitglieder der NATO sind, als einziger Staat auf die Mitgliedschaft in der NATO zu verzichten.
Lassen Sie mich zum Schluß noch ein paar Worte zur Saarfrage sagen. Ich glaube nicht, daß die Sozialdemokratie ein inneres Anrecht darauf hat, zu sagen, sie habe die Entwicklung richtig gesehen. Wir wußten, daß angesichts der mangelnden Bereitschaft der großen Mächte eine Lösung der Saarfrage noch nicht zu erreichen war. Wir haben uns
aber dessen ungeachtet nicht .daran hindern lassen, die europäische Integration voranzutragen. Ich glaube, das hat Deutschland nicht geschadet, sondern das hat die deutsche Position ganz entschieden gestärkt.
Die moralische Position in der Vertretung unserer berechtigten Anliegen hat sich gebessert. Unser Anliegen ist nicht überspitzt. Unser Anliegen bedeutet nicht, daß die Saarfrage jetzt endgültig gelöst wird,
sondern es bedeutet, daß, wenn denn ein so provisorischer Zustand bestehen soll, dieser zunächst einmal so gestaltet wird, daß er den einseitigen Beeinflussungen Frankreichs zu seinem Vorteil und unseren Lasten entzogen wird.
— Eine der wichtigsten Voraussetzungen, Herr Mellies, die da erst einmal auch als Voraussetzung einer späteren endgültigen Lösung zu schaffen ist, ist die Herstellung einwandfrei demokratischer Verhältnisse an der Saar, die Herstellung staatsbürgerlicher Rechte und Freiheiten, die Beendigung des Zustands, daß Deutsche deshalb verfolgt werden, weil sie sich zu Deutschland bekennen.
Ich glaube, daß jetzt eine Vereinbarung erreichbar ist, die es ausschließt, daß einseitige Tatsachen, die Frankreich schafft, ohne vorher irgend jemand gefragt oder verständigt zu haben, eine Quelle dauernder Beunruhigung bleiben. Die europäische Integration darf nicht durch eine einseitige Beeinflussung der Verhältnisse an der Saar im nationalstaatlich-egoistischen Interesse Frankreichs dauernd zu unseren Lasten verändert werden können. Ich glaube, unser moralischer Anspruch darauf, daß das sichergestellt wird, Herr Mellies, hat sich gerade dadurch entschieden verbessert, daß wir den Schumanplan abgeschlossen haben. Unsere internationale Position ist dabei besser geworden.
Herr Kollege Ollenhauer hat so etwa gesagt, wenn die Gleichberechtigung nicht gegeben sei, so werde seine Fraktion der Verteidigungsgemeinschaft nicht zustimmen. Umgekehrt darf man daraus schließen, daß, wenn die Gleichberechtigung gegeben ist, dann auch die Zustimmung gegeben wird. Nun, unsere Meinung ist keine andere, nur wünschen wir, daß die Verhandlungen beschleunigt werden und einen entscheidenden politischen Impuls bekommen, damit sich ein neuer Geist durchsetzt, der auf der Ebene der Berater und Berichterstatter häufig nicht zu finden war. Wir wissen, was davon abhängt: der Sieg der politischen Vernunft, der zugleich der Sieg der Zukunft über die Vergangenheit sein wird.
Das Wort hat der Abgeordnete Professor Wahl.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn ich nach den ausgezeichneten einschlägigen Darlegungen des Herrn Euler im Namen meiner Freunde heute die Kriegsverbrecherprozesse zu behandeln habe — und ein solcher Beitrag gehört zur Grundsatzdebatte über die Teilnahme der Deutschen an der Verteidigung des
Westens —, so möchte ich von der schon mehrmals angeklungenen Feststellung ausgehen, daß die Wunden, die der Krieg dem deutschen Volk geschlagen hat, so furchtbar gewesen sind, daß sie noch nicht vernarben konnten. Tausende und aber Tausende haben ein schweres seelisches Trauma erlitten, so daß sie auf alles, was mit Wehrmacht und Aufrüstung zusammenhängt, nicht anders als durch Aufschreien reagieren können. Diese psychologischen Hemmungen für das Ja zum deutschen Wehrbeitrag, das die Stunde von uns verlangt, müssen von den Verhandlungspartnern der deutschen Bundesregierung auch in der Frage der Kriegsverbrecherprozesse in Rechnung gestellt und mit allem Ernst erkannt werden. Sie müssen uns das Ja erleichtern, wenn es aus dem Herzen kommen soll. Dazu gehört eine vernünftige Behandlung der Kriegsverbrecherprozesse, die nicht im gegenwärtigen Stand verbleiben können, wenn im deutschen Volk eine freiwillige Übernahme der Wehrlast erreicht werden soll.
In der Tat bilden die Verurteilungen, die zum Teil unmittelbar nach Kriegsende in der Zeit der schlimmsten Nachkriegspsychose stattgefunden haben, in der z. B. in der amerikanischen Zone von den Universitätsoffizieren ehemalige aktive Offiziere, besonders wenn sie hohe Kriegsauszeichnungen hatten, nicht zum Studium zugelassen wurden, vom rechtlichen Standpunkt aus außerordentlich bedenkliche Angriffsflächen.
Sie sind — man kann es ohne Übertreibung sagen — das komplexeste Phänomen der modernen Rechtsgeschichte. Was hier geschehen ist, ist kein Ruhmesblatt für die Gegenwart.
Lassen Sie mich dabei einige Minuten verweilen. Es handelte sich durchweg um Sondergerichte, wenn nicht gar um Ausnahmegerichte, die schon als Einrichtungen gewisse Gefahren für die Rechtspflege in sich schließen, um Sondergerichte, die ein Sonderrecht zur Anwendung brachten, das nach der heute immer mehr an Boden gewinnenden Ansicht keinesfalls echte völkerrechtliche Präzedenzfälle zu schaffen vermochte und das die Gedanken der Kollektivschuld teils in der Form unwiderleglicher, teils vom Angeklagten zu widerlegender Schuldvermutungen verwertete. Dazu kamen an manchen Stellen Untersuchungs- und Überführungsmethoden, die den schlimmsten Auswüchsen politischer Justiz nicht nachstehen. Wenn z. B. ein Land den rechtswidrigen Befehl, der in seiner eigenen Wehrmacht immer als Entschuldigung galt, für die Dauer der deutschen Kriegsverbrecherprozesse in seinem eigenen Wehrstrafrecht nach Art des Kontrollratsgesetzes nicht mehr als Entschuldigung gelten ließ und nun nach Durchführung der Prozesse das alte Recht stillschweigend wiederhergestellt hat,
so spricht eine solche Tatsache für sich, und man wird es verstehen, warum alle moralischen Mächte, insbesondere die Kirchen, von Anfang an das Äußerste taten, um das Los der Betroffenen zu mildern.
Man könnte sich über die Kriegsverbrecherfrage stundenlang verbreiten, denn wie hier ad hoc und ex post facto aus dem Völkerrecht zum erstenmal ein eigenes Strafrecht entwickelt wurde, wie das Naturrecht, das in der kontinentalen Strafrechtswissenschaft mit dem fundamentalen Satz „nulla poena nullum crimen sine lege" seit langem in
Acht und Bann gelebt hatte, gegen das staatliche geltende Recht mobilisiert wurde, wie die kontinentale Rechtswelt und die englische aufeinanderstießen und die russische bei den Londoner Beratungen oft den Ausschlag gab, ist schon ein erregendes Schauspiel gewesen. Schon während des Krieges hat der amerikanische Völkerrechtler Feilchenfeld darauf hingewiesen, daß im modernen Krieg, der ein Wirtschaftskrieg und ein Krieg gegen die Zivilbevölkerung geworden ist, die Haager Landkriegsordnung, wenn sie wirklich angewandt worden wäre, aus den besetzten Gebieten ein Paradies hätte machen müssen, daß es dann der Zivilbevölkerung in den besetzten Gebieten besser ergangen wäre als in den kriegführenden Staaten selbst. Er hat erklärt, daß die Haager Landkriegsordnung eigentlich veraltet sei. Aber die Nürnberger Gerichte haben, ohne die Anweisungen zur Heranziehung der Wirtschaftskraft der besetzten Länder als notwendig anzuerkennen, im Grundsatz alle diese Anweisungen und das Verhalten all derer, die diese Anweisungen in die Wirklichkeit umsetzten, als Kriegsverbrechen behandelt, weil diese Maßnahmen mit dem Geist der Haager Landkriegsordnung unvereinbar erschienen. Der Einwand der deutschen Verteidigung, daß man doch auch berücksichtigen müsse, welche Zerstörungen der Luftkrieg in Deutschland angerichtet habe, wurde mit dem Hinweis erledigt, hier handle es sich um einen technischen Fortschritt der Waffen, der die Geltung der Haager Landkriegsordnung nicht berühren könne.
Meine Damen und. Herren, wenn der deutsche Soldat heute Seite an Seite mit dem früheren Kriegsgegner sich zur Verteidigung der höchsten Freiheitsgüter der westlichen Welt bereit finden soll, dann fordert es die Selbstachtung, daß Leute, die nur ihre Pflicht getan haben oder nur ihre Pflicht zu tun glaubten, nicht unter einem sie diskriminierenden Recht stehen,
zumal diese Prozesse allen Gegnern der deutschen Wiederaufrüstung allzu billige und allzu gern verwandte Argumente bieten.
Um aber nicht mißverstanden zu werden: Es sind in den besetzten Gebieten unter dem deutschen Regime grauenhafte und unvorstellbare Dinge passiert, die auch den Juristen der Gegenseite zugute gehalten werden müssen, wenn sie zu neuen rechtlichen Lösungen kommen zu müssen glaubten. Es liegt uns völlig fern, uns hinter wirkliche Verbrecher zu stellen. In dieser Haltung weiß ich mich eins mit dem ganzen Bundestag und der Bundesregierung, wie es die von hohem sittlichem Ernst getragene Demonstration in diesem Hause zur Frage der Wiedergutmachung gegenüber dem Judentum bewiesen hat.
Es wäre ein verhängnisvoller Fehler und eine falsche Verteilung der Gewichte, wenn das übersehen würde.
Darum hat auch der Auswärtige Ausschuß — wenn ich das hier erwähnen darf — nicht die Forderung nach einer Generalamnestie erhoben, sondern in Anlehnung an die von den Amerikanern eingerichteten Modification Boards nur die Überprüfung durch Gnaden- und Ausgleichskommissionen verlangt, wobei der Wunsch zum Ausdruck gebracht wurde, daß diese Kommissionen sich aus Deutschen und Alliierten zusammensetzen und möglichst unter neutralem Vorsitz stehen sollten. Eine echte Wiederaufnahme des Verfahrens, auf die nach kontinentaler Rechtsansicht ein Anspruch bestehen würde, ist nicht gefordert worden,', um nicht durch eine Wiederaufrollung der Kriegsverbrecherprozesse die öffentliche Meinung mit neuem Giftstoff zu belasten, ganz abgesehen davon, daß die rein justizförmliche Behandlung geschichtlicher Zusammenhänge aus der jüngsten Vergangenheit offenbar an die Grenzen echter Rechtspflegemöglichkeit geführt, ja sie oft überschritten hat. Heute früh stand in der Zeitung, daß von amtlicher holländischer Seite in Hannover eine gemischte Überprüfungskommission auch für die in Holland verurteilten und einsitzenden Gefangenen vorgeschlagen worden ist, so daß vielleicht die Möglichkeit besteht, den Vorschlag des Auswärtigen Ausschusses auch auf die im Ausland verurteilten, und zwar von den dortigen Gerichten verurteilten Personen zu beziehen.
Wir wissen, daß die Bundesregierung mit dem Ausland unermüdlich über die Kriegsverbrecherfrage verhandelt hat, teilweise mit gutem Ergebnis, daß die zentrale Rechtsschutzstelle des Bundesjustizministeriums das Menschenmögliche getan hat, um insbesondere durch Hilfe bei der Verteidigung den Gefangenen das Gefühl zu geben, daß sie nicht verlassen sind, und daß es im Interesse der Sache bisher für nötig gehalten wurde, diese Verhandlungen und Erfolge der deutschen Öffentlichkeit vorzuenthalten. Aber es ist nun unvermeidlich, daß bei der grundsätzlichen Wehrdebatte auch zu dieser Frage einiges gesagt wurde; denn solange die Kriegsgefangenen nicht zu Hause sind, sind neue Gestellungsbefehle psychologisch eine Unmöglichkeit.
Deshalb müssen wir die Erwartung aussprechen, daß es zu einer Bereinigung dieses Problems kommt, bevor von uns das endgültige Ja zum Wehrbeitrag gefordert wird.
Auch hinsichtlich' der Behandlung der Gefangenen im In- und Ausland bleibt noch vieles zu wünschen übrig, Worauf ich aber jetzt aus Zeitmangel nicht näher eingehen will.
Ich möchte mit folgender Bemerkung schließen: Alle diejenigen, die, sei es als Richter oder Vollstreckungsbeamte, sei es als Staatsmänner und Politiker, sei es auch als Angeschuldigte und Verurteilte, in diesen Kriegsverbrecherkomplex verwickelt sind, mögen das tiefe Wort Grillparzers nie vergessen: Gerecht sein gegen sich und andere, das ist das Schwerste auf der weiten Erde!
Das Wort hat der Abgeordnete Reimann.
Meine Damen und Herren! Während hier der Herr Bundeskanzler Adenauer die Schaffung eines Wehrzwangsgesetzes begründet, entwickelt sich im ganzen deutschen Volke eine gewaltige Bewegung des Protestes,
der deutlich zum Ausdruck bringt, welcher tiefe und unüberwindliche Gegensatz zwischen der Bonner Regierung und dem Friedenswillen unseres Volkes besteht.
Es ist ein erhebendes Zeichen der wachsenden politischen Reife unseres Volkes, insbesondere der Arbeiter, der Jugend, aber auch großer Teile des Bürgertums, die aus den Erfahrungen der Vergangenheit gelernt haben und heute aus Verantwortung gegenüber dem Schicksal der Nation und der Ehre des deutschen Volkes vor allen Völkern der Welt zu großen Taten und Aktionen zur Verhinderung des Krieges übergehen. Es ist inzwischen den Massen unseres Volkes klargeworden, daß derjenige, der den Krieg vorbereitet und ihn führen will, sich immer einer großen Täuschung und Lüge gegenüber dem Volke bedienen muß.
Als im Jahre 1933 die Krupp, Pferdmenges, Reusch und Zangen die übrigen Gesinnungskumpane Dr. Adenauers, die heute zum Teil als Abgeordnete im Bonner Parlament sitzen und die wichtigsten Funktionen in Regierung und Wirtschaft bekleiden, Hitler an die Macht brachten
und der heutige Bonner Innenminister Dr. Lehr Hitler, Himmler und Goebbels die Geldschränke der rheinisch-westfälischen Schwerindustrie öffnete, da sagte man unserem Volke:
Das Ganze diene lediglich der Sicherung des Friedens, der Verteidigung Deutschlands vor einem Angriff aus dem Osten und Westen.
Es waren die rechten sozialdemokratischen Führer, die im Reichstag diesem verlogenen außenpolitischen Programm Hitlers ihre Zustimmung gaben, was allerdings die deutschen Imperialisten nicht daran hinderte, die Sozialdemokratische Partei Deutschlands zu verbieten und gleichzeitig zahlreiche sozialdemokratische Parteigenossen in das Zuchthaus zu werfen.
Heute möchte ich, um unserem Volke die Parallelität der Dinge ins Gedächtnis zu rufen, einige Tatsachen anführen. Dr. Adenauer begründet die Notwendigkeit des Wehrgesetzes, des Generalvertrages, die Eingliederung Westdeutschlands in den Atlantik-Kriegspakt mit der Behauptung von einem angeblich beabsichtigten Angriff aus dem Osten.
Er wiederholt damit nichts anderes als die Lügen Hitlers,
Goebbels, Ribbentrops und Neuraths aus der Zeit der unmittelbaren Vorbereitung des Hitlerangriffs auf die Sowjetunion. Zu einem Zeitpunkt, als der Hitlersche Generalstab bereits beauftragt war, den Plan Barbarossa, den Überfall auf die Sowjetunion, auszuarbeiten, erklärte Hitler: Wir haben das natürliche Recht auf Abwehr gegenüber der Sowjetunion.
Zum gleichen Zeitpunkt erklärte Goebbels: Durch die Sowjetunion ist die Frage des Fortbestandes Europas auf die Tagesordnung gesetzt und damit auch die militärische Verteidigung Europas.
Und schließlich Außenminister Neurath: Die Sowjetunion bedroht die Existenz unserer Nation und unserer Kultur.
Kann man noch deutlicher beweisen, daß die Begründung Adenauers für das Wehrgesetz und den Generalvertrag wörtlich die Begründung war, mit der Hitler und Goebbels im Auftrage der deutschen Kanonenkönige unser Volk zum Kriege gegen die Sowjetunion und auf alle Schlachtfelder Europas trieben?
Die Wahrheit ist, daß die Sowjetunion weder das deutsche Volk noch irgendein Volk der Welt jemals angegriffen hat
noch angreifen will.
Die Existenz eines sozialistischen Staates sowie
seine Entwicklung ist unvereinbar mit einer kriegerischen Handlung gegenüber irgendeinem Volke.
Die Sowjetunion als sozialistischer Staat ist ebenso wie die volksdemokratischen Länder allein auf eine Politik der Erhaltung des Friedens orientiert; denn nur der Frieden ist die sicherste Gewähr für den Aufbau des Sozialismus, für die Verwirklichung der großen sozialistischen Aufbaupläne, für die fortlaufende Hebung des Wohlstandes der Völker. Infolgedessen war und ist die Politik der Sowjetunion gegenüber Deutschland allein darauf orientiert, daß zwischen diesen beiden großen Völkern ein Zustand des gesicherten Friedens zu schaffen ist, der für alle Zeiten einen Krieg zwischen Deutschland und der Sowjetunion ausschließt.
Es war die Sowjetunion, vor allem ihr großer Staatsmann Stalin, der sich bereits auf der Konferenz in Jalta und später bei den Verhandlungen in Potsdam gegen alle Pläne der amerikanischen, englischen und französischen Imperialisten wandte, die eine Zerstückelung Deutschlands vorsahen,
und der selbst gegen den Widerstand der Westmächte im Potsdamer Abkommen durchsetzte, daß das deutsche Volk ein Recht auf seine nationale Einheit besitze, ein Recht auf einen Friedensvertrag, der dem deutschen Volke die Einheit, Freiheit, Unabhängigkeit auf einer friedlichen demokratischen Grundlage gewährt.
Bereits bei den Potsdamer Verhandlungen zog hieraus Stalin die notwendige Folgerung, daß Deutschland nur vorübergehend besetzt bleibt und daß die Besatzungsmächte nur die eine Pflicht haben, der deutschen Bevölkerung bei der Demokratisierung des Landes und ihres Lebens zu helfen.
Auf allen internationalen Konferenzen, auf den Außenministerkonferenzen in Moskau, London und Paris trat die Sowjetunion für die sofortige Schaffung eines Friedensvertrags mit Deutschland ein, nach dessen Abschluß alle Besatzungstruppen Deutschland verlassen müssen. Ja, die Sowjetunion trat auf allen diesen Konferenzen auch dafür ein, daß der Friedensvertrag kein neues Diktat sein dürfe, sondern daß zur Beratung über den Inhalt dieses Friedensvertrags deutsche Vertreter hinzugezogen werden. Wie bekannt, scheiterten alle diese Bemühungen der Sowjetunion, die auf den internationalen Konferenzen auch von den Län-
dern der Volksdemokratien unterstützt wurden, an dem Widerstand vor allem der amerikanischen Imperialisten, die unter keinerlei Umständen ein einheitliches, demokratisches, friedliebendes und unabhängiges Deutschland zustande kommen lassen wollen.
Das ist die Wahrheit!
Doch die Wahrheit zeigt noch mehr. Nachdem auf Befehl der amerikanischen Imperialisten der separate Weststaat geschaffen wurde, die Hauptstadt Deutschlands, Berlin, durch die Amerikaner gespalten wurde, legte die Sowjetunion immer stärkere Bemühungen an den Tag, die für den Frieden unheilvolle Entwicklung zu beenden. Sie begrüßte die Schaffung der Deutschen Demokratischen Republik, unterstützte tatkräftig deren friedlichen Aufbau und alle Bemühungen der Regierung der Deutschen Demokratischen Republik um eine Verständigung aller Deutschen zur Überwindung der Spaltung Deutschlands und zur Herbeiführung eines einheitlichen demokratischen Deutschlands.
Bereits sechsmal haben sich der Ministerpräsident der Deutschen Demokratischen Republik Otto Grotewohl und die Volkskammer an das Bonner Parlament gewandt, zu gemeinsamen Beratungen zur Klärung aller Widerstände bei der Wiedervereinigung Deutschlands und zur Verständigung über gemeinsame deutsche Schritte zur Lösung der nationalen Lebensfrage unseres Volkes zu kommen. In höchster Verantwortung vor dem Schicksal unserer Nation hat der Präsident der Deutschen Demokratischen Republik, Wilhelm Pieck, sich an den Bundespräsidenten Heuss gewandt und ihm mitgeteilt, daß von seiten der Regierung der Deutschen Demokratischen Republik alle, aber auch restlos alle Hindernisse auf dem Weg der Verständigung weggeräumt sind.
Alle diese Bemühungen um die Verständigung der Deutschen für die Durchführung freier demokratischer Wahlen in ganz Deutschland zu einer Nationalversammlung hat die Sowjetunion begrüßt und unterstützt aus dem einfachen Grunde, weil sie immer und überall den Grundsatz des Selbstbestimmungsrechts der Völker anerkennt.
Es kann darum auch gar kein Zweifel bestehen, daß die von einer gesamtdeutschen Beratung herbeigeführte einheitliche Stellungnahme
der Deutschen aus Ost und West jederzeit und immer von der Sowjetunion respektiert wird. Die Wahrheit ist also, daß die Sowjetunion ein wirklicher Freund des deutschen Volkes ist
und unser Volk in seinem Kampf um die nationalen Lebensrechte und den Frieden ständig unterstützt und daß darum jeder Versuch Dr. Adenauers, Lehrs und Schumachers, unser Volk gegen den friedliebenden Staat der Welt, gegen die Sowjetunion zu hetzen, das schlimmste nationale Verbrechen bedeutet.
Die Lüge, daß der Osten unsere Sicherheit und unser Leben bedroht, ist nichts anderes als der Deckmantel für die wahren Absichten der Politik der amerikanischen und deutschen Imperialisten, die in ihrer Politik allein auf die Karte der kriegerischen Gewalt neuer Eroberungen zur Durchsetzung ihrer verbrecherischen Weltherrschaftspläne setzen.
Wenn die amerikanischen Imperialisten und ihre Nachbeter Adenauer und Schumacher den Völkern weismachen wollen, daß wegen der Unterschiedlichkeit der Systeme der Sowjetunion und der kapitalistischen Welt ein Krieg unausbleiblich sei, so hat ihnen Stalin die klare und eindeutige Antwort gegeben, daß ein friedliches Nebeneinanderbestehen beider Systeme durchaus möglich ist und daß dementsprechend die Sowjetunion einen Friedenspakt zwischen den fünf Großmächten erstrebt, durch den eine allgemeine Abrüstung in der Welt durchgeführt werden soll.
Die Wahrheit ist also, daß in ihren Maßnahmen die Sowjetunion nur allein auf die Erhaltung des Friedens orientiert ist.
Auch die Bevölkerung Westdeutschlands hat das Lügengewebe der Amerikaner, Adenauers und auch Dr. Schumachers von der angeblichen Bedrohung durch die Sowjetunion, die Volksdemokratien oder gar die Deutsche Demokratische Republik immer mehr durchschaut. Darum finden solche bürgerlichen Politiker wie Dr. Wirth, Niemöller und Heinemann, die aus eigener Initiative zu friedlichen Verhandlungen in die Sowjetunion bzw. in die Deutsche Demokratische Republik gefahren sind, eine immer größere Zustimmung. Dies um so mehr, als jeder Versuch zur friedlichen Verhandlung auf die großen Möglichkeiten der unmittelbaren Verständigung hinweist.
In Furcht vor dieser friedlichen Verständigung haben die Amerikaner mit Zustimmung von Dr. Adenauer in den Zusatzverträgen zum Generalvertrag ausdrücklich eine Bestimmung eingefügt, nach der. es den Deutschen verboten ist, irgendwelche Gespräche oder Verhandlungen auf den Gebieten der Außenpolitik oder des Außenhandels zu führen, wenn nicht zuvor die Genehmigung hierzu- von den Amerikanern erteilt worden ist. Dr. Adenauer hat zu all diesen Ungeheuerlichkeiten im Generalvertrag auch heute wiederum nichts gesagt. Hier wird also jedem Deutschen eindeutig klar, daß die amerikanische Politik in Deutschland nur auf die Entfesselung eines neuen Krieges orientiert ist und daß das Mittel hierzu die Antisowjethetze ist.
Wer die Politik der amerikanischen Imperialisten in allen Teilen der Welt, besonders aber auch in Westdeutschland, beobachtet, wird unweigerlich zu folgenden Feststellungen kommen müssen.
Man bereitet hinter dem Rücken des deutschen Volkes gemeinsam mit Dr. Adenauer einen Generalvertrag vor, der formell das Besatzungsstatut ablösen soll, aber in Wirklichkeit das Ende selbst der primitivsten Souveränitätsrechte unseres Volkes bedeutet.
In diesem Generalvertrage, der ein Über-Versailles darstellt, wird die 50jährige Dauerbesetzung festgelegt, wird die Aufstellung einer neuen deutschen Wehrmacht unter dem Kommando des Eisenhower-
sehen Generalstabs gefordert und angeordnet, daß die neuen deutschen Truppen überall dort in der Welt eingesetzt werden, wo es den Interessen der amerikanischen Kriegsbrandstifter entspricht; das heißt dort, wo die Völker einen Kampf für ihre nationale Unabhängigkeit und Selbständigkeit führen. In diesem Generalvertrage wird ausdrücklich festgelegt; daß die Besatzungsmächte jederzeit das Recht haben, irgendwelche Beschlüsse westdeutscher Organe außer Kraft zu setzen und im Falle des Widerstandes der westdeutschen Bevölkerung mit bewaffneter Hand gegen die Bevölkerung vorzugehen.
So beinhaltet gleichzeitig der Generalvertrag die Vorbereitung einer offenen Militärdiktatur in Westdeutschland. Dr. Adenauer soll hierzu Stellung nehmen!
Aus alledem ergibt sich, daß es im deutschen Volke keinen Zweifel mehr darüber geben kann und darf, daß die amerikanischen und die deutschen Monopolherren ein offenes Kriegsbündnis geschlossen haben, nach dem Westdeutschland Aufmarschgebiet ist und Schlachtfeld für den amerikanischen Krieg werden soll. Wer auch nur einen Funken von Vaterlandsliebe in sich verspürt, ist schon über die Tatsache empört, daß gegenwärtig mehr als 80 000 junge Deutsche in der französischen Fremdenlegion gegen die um ihre Freiheit und Unabhängigkeit kämpfenden Völker eingesetzt werden. Annähernd 20 000 dieser jungen Deutschen sind für die Interessen der französischen Stahlindustriellen in den Tod geschickt worden.
Hierüber aber schweigt sich Herr Dr. Adenauer aus.
Die Politik der amerikanischen Imperialisten und ihre Absichten in Westdeutschland schaffen eine einfache, für jeden erkennbare Tatsache deutlich zutage: Als Dr. Adenauer seine Zustimmung zum Generalvertrag gab, stiegen die Börsenkurse in der Wallstreet; als die amerikanischen Imperialisten gezwungen waren, sich in Korea an den Verhandlungstisch zur Vorbereitung eines Waffenstillstandes zu setzen, sanken die Börsenkurse in Amerika. Die großen amerikanischen Finanzblätter zeigten sich offen über die Möglichkeit eines Waffenstillstands in Korea besorgt. Zur Beruhigung dieser amerikanischen Milliardäre schrieb die amerikanische Finanzzeitung „New York Herald Tribune", daß man in Börsenkreisen keine unnötige Furcht zu haben brauche, denn die amerikanische Politik habe genügend Möglichkeiten, an anderen Stellen der Welt für kriegerische Verwicklungen zu sorgen.
Sie handeln nach der bekannten Devise: Die Kurse steigen, wenn die Soldaten fallen.
In diesem Zusammenhang - gestatten Sie mir einige Worte zur Politik Dr. Schumachers, Ollenhauers und Carlo Schmids. Diese Führer der Sozialdemokratischen Partei haben — und daran kann auch die heutige Rede von Herrn Ollenhauer nichts ändern — die gleiche verhängnisvolle kriegerische Konzeption wie die amerikanischen und die deutschen Imperialisten; sie wollen die Massen nur darüber hinwegtäuschen. Ihre Opposition erschöpft sich darum auch nur in Worten wie „höhere Sicherheit", „gleiches Risiko, gleiche Chancen und
gleiche Opfer". Sie treten offen für einen militärischen Beitrag innerhalb der Eisenhowerschen
Armee ein und verkleiden diese ihre Absicht lediglich mit einem „Nein im gegenwärtigen Zeitpunkt".
Mit vollem Recht versteht die große Mehrheit der sozialdemokratischen Mitglieder eine solche Haltung nicht mehr. Auf vielen Konferenzen haben die Mitglieder und Funktionäre der SPD gefordert, daß die Parteiführung endlich aus dem Zwielicht ihrer Politik heraustrete.
Eine solche Forderung ist mehr als berechtigt; denn es ist für einen ehrlichen Sozialdemokraten unerträglich, bei einer solchen Verschärfung der Lage, wie wir sie gegenwärtig in Westdeutschland haben, über die Pläne seiner Parteiführung im Dunkeln herumzutappen.
Ich habe bereits erklärt: wenn die sozialdemokratischen Parteiführer wirklich eine andere Orientierung in der Politik haben als Eisenhower und Adenauer, dann müßte dies doch irgendwie zum Ausdruck kommen! Aber in der Hauptfrage der deutschen Politik, in der Frage der Herstellung der Einheit Deutschlands auf demokratischer Grundlage, einer gemeinsamen Beratung für die Durchführung freier Wahlen stehen sie auf der Position der Amerikaner und Dr. Adenauers, die auf keinen Fall eine friedliche Verständigung der Deutschen untereinander wollen. Daraus folgt: Wer nicht friedliche Verhandlungen will, der will den Krieg.
Ein Zwischending gibt es hierbei nicht.
Viele sozialdemokratische Arbeiter wissen noch nicht, was den Amerikanern und Adenauer schon längst über die Rolle der SPD-Führer als Opposition bekannt ist, nämlich: wenn die Mehrheit gesichert ist, dann in Opposition spielen. Bisher tat Dr. Schumacher immer so, als wenn seine Opposition hauptsächlich darauf basiere, daß er von den Hohen Kommissaren bzw. von Dr. Adenauer über die Einzelheiten der Pläne nicht informiert sei. Aber stimmt das? Schumacher selbst beauftragte seinen Freund vom Hoff, in Paris an der Ausarbeitung des Schumanplans teilzunehmen.
Schumacher war auch damit einverstanden, daß die sozialdemokratischen Minister im Bundesrat für den Schumanplan stimmten. -
Schließlich kennen auch Schumacher und Ollenhauer den Wortlaut des Generalvertrages und der Zusatzverträge, wenn nicht durch Dr. Adenauer persönlich, so durch die Verbindungen, die sie selbst haben, oder aber durch die Erklärungen des Generalsekretärs der SED Walter Ulbricht. Ja noch mehr: Dr. Schumacher kennt auch die strategischen Pläne
des Eisenhowerschen Generalstabs, er kennt auch
die Termine, die die Amerikaner der AdenauerRegierung vorgeschrieben haben. Alles dies ist doch
Dr. Schumacher, Ollenhauer und Carlo Schmid ausgezeichnet bekannt; nur verschweigen sie all dieses
ihren eigenen Parteimitgliedern und der gesamten
Öffentlichkeit, ja sogar den Mitgliedern der eigenen
Bundestagsfraktion: Das Nein Schumachers und
Ollenhauers zum Wehrgesetz „im gegenwärtigen
Zeitpunkt", wie Herr Ollenhauer in seiner Rede sagte, ist bereits das Ja zum Wehrgesetz von morgen.
Immer mehr durchschauen auch die Massen der Arbeiter das verlogene Gerede, daß man zwar für den Wehrbeitrag sei, aber nur unter der Voraussetzung — wie Herr Ollenhauer es in seiner Rede heute wiederholte —, daß damit die Sicherung des sozialen Lebens verbunden sein müsse. Die Arbeiter wissen aus Erfahrung, daß es keine Butter und gleichzeitig Kanonen gibt.
Dr. Schumacher forderte Verstärkung der Besatzungstruppen. Die Maßnahmen zur Vorbereitung und Durchführung des Wehrgesetzes sind unweigerlich verknüpft mit der weiteren Senkung des Lebensstandards der Arbeiter, der Bauern, der Gewerbetreibenden, der Fabrikanten und der Intelligenz.
Es ist der niederträchtigste Schwindel, den Opfern des vergangenen Krieges einen Lastenausgleich zu versprechen. Nicht Lastenausgleich für den vergangenen Krieg, sondern Belastung für den neuen Krieg — das bringt die Remilitarisierung von Dr. Adenauer mit Unterstützung der rechten SPD-Führer.
Mit der Umstellung der westdeutschen Wirtschaft
auf die Rüstung, wie sie der Schumanplan vorsieht,
werden nicht nur weitgehende Stillegungen und
Kurzarbeit in der gesamten Bedarfsgüterindustrie
eintreten, sondern zugleich für alle Arbeiter, Angestellten und Beamten erhebliche neue Lasten.
Vor allem wird auch das Tempo der Ausbeutung
beschleunigt. Nicht nur werden neue Steuern, neue
Preiserhöhungen unser Volk erdrücken, sondern im
Zeichen des Wehrgesetzes und des Generalvertrages
werden die letzten wenigen Reste der demokratischen Rechte, die im Grundgesetz verankert sind,
vernichtet. Recht und Gesetzlichkeit haben aufgehört zu existieren, wo man den Krieg vorbereitet.
Das beweist nicht nur die Polizeiaktion gegen die Kommunistische Partei Deutschlands, das beweist auch die offene Drohung des Justizministers Dehler gegen die Gewerkschaften, das beweisen die Lehrschen Polizeiaktionen gegen die Ausschüsse zur Durchführung der Volksbefragung. Alles dies dient nur der Unterdrückung der Stimme des Friedens, damit die schmutzige Kriegspropaganda freie Bahn hat.
Wieder erfährt unser Volk, daß das Gerede gegen den Kommunismus nur der Vorwand ist zur Unterdrückung aller Friedens- und Freiheitsregungen in unserem Volk, der Vorwand für die Aufrichtung einer Militärdiktatur in Westdeutschland. Vor allem sind es die sozialdemokratischen Arbeiter, die heute beginnen, eine Parallele zu ziehen zwischen dem, was sich 1933 ereignete, und dem, was sich heute in Westdeutschland vollzieht.
Gestatten Sie mir in diesem Zusammenhang einige Worte zum Antrag der SPD an das Bundesverfassungsgericht betreffend Feststellung der Verfassungswidrigkeit eines Wehrgesetzes. Eigentlich genügt es, wenn ich hier feststelle, was das Organ Adenauers, die „Rheinische Post" dazu schreibt. Diese Zeitung ist mit dem Antrag der SPD ganz einverstanden und charakterisiert ihn als ein Rückzugsgefecht der SPD-Führung auf dem Wege zur
Gleichschaltung ihrer Politik mit Dr. Adenauer.
In der Tat, diese Frage vor ein Bundesgericht zu bringen, heißt die Wurst zum Schinken tragen.
Vielleicht beantwortet Kollege Ollenhauer die Frage, was aus dem Antrag der SPD beim Weimarer Reichsgericht, die Verfassungsmäßigkeit der Absetzung der preußischen Regierung Severing im Jahre 1932 durch einen Leutnant und zwei Mann zu prüfen, geworden ist.
Es ist doch zu offensichtlich, daß dieses ganze Vorgehen nichts anderes bezweckt, als dem Volke Sand in die Augen zu streuen; denn was soll bei dem Schritt der SPD beim Bundesverfassungsgericht überhaupt herauskommen?
Es gibt nur zwei Möglichkeiten: entweder das Bundesverfassungsgericht macht es wie seinerzeit das Reichsgericht und legt die Angelegenheit zu den Akten, bis das Wehrgesetz verabschiedet und der Krieg ausgebrochen ist,
oder aber das Bundesverfassungsgericht folgt dem Kommando des Bundesjustizministers Dehler und des Bundeskanzlers Adenauer und beschließt, daß das Wehrgesetz dem Grundgesetz entspricht.
Das hat Dr. Adenauer bereits heute gesagt.
Offenbar wollen das Schumacher und Ollenhauer so, damit sie sagen können: Jetzt hat j a eine der höchsten Instanzen entschieden, und wir haben uns — nicht wahr? — als gute Demokraten diesem Spruch zu beugen!
Das einzige, was Dr. Schumacher und Ollenhauer wollen, ist, daß das deutsche Volk nicht selbst in den Gang der Entwicklung eingreift
und auf demokratische Weise sein demokratisches Recht durchsetzt, durch Volksbefragung, Streiks und Demonstrationen Wehrgesetz und Generalvertrag zu verhindern.
Wir sind einer Meinung mit der übergroßen Mehrheit der westdeutschen Jugend, die erklärt, daß sie ihre Entscheidung über das Wehrgesetz bereits getroffen hat, nämlich der Einberufung keine Folge zu leisten.
Wir sind der Meinung, daß die deutschen Frauen und Mütter recht haben, wenn sie sagen: Genug Männer und Söhne unseres Volkes haben ihr Leben im letzten Krieg hingeben müssen; heute verteidigen wir unsere Männer und Söhne, damit sie nicht wieder in die Kasernen ziehen müssen;
wir haben unsere Kinder nicht für einen neuen Krieg geboren, sondern damit gesunde Menschen aus ihnen werden.
Die Rede des Herrn Bundeskanzlers verdient zweifellos besonderes Interesse durch das, was er heute wieder nicht gesagt hat.
Seine Methode der Verschleierung ist mittlerweile großen Teilen der Bevölkerung klargeworden. Die Methode des Bundeskanzlers, Geheimkonferenzen zu führen, verwirrende Erklärungen abzugeben und sie am nächsten Tag zu dementieren und die Menschen zu verwirren, ist inzwischen schon sprichwörtlich geworden.
Auch die heutige Erklärung über die Saar hätte sich der Herr Bundeskanzler sparen können. Auch sie dient nur der Täuschung der Bevölkerung; denn Sie, Herr Bundeskanzler, haben gewußt, daß mit Ihrer Politik,
mit der Politik des Schumanplans das Saargebiet von Deutschland abgetrennt wird.
Meine Fraktion hat am 5. Dezember 1949
in fünf Fragen Aufklärung von Dr. Adenauer darüber verlangt, ob die Meldungen der amerikanischen Presse über eine beabsichtigte Remilitarisierung Westdeutschlands richtig seien und ob Dr. Adenauer mit anderen Stellen über die Frage der Remilitarisierung Verhandlungen geführt habe. Darauf antwortete der Kanzler vor dem Bundestag zu allen diesen Fragen mit Nein.
Am 16. Dezember 1949 erklärte Dr. Adenauer vor dem Bundestag, er habe mit niemandem und nirgendwo irgendwelche Gespräche über die Remilitarisierung geführt,
und am 25. Januar dieses Jahres teilte er der ausländischen Presse mit, daß er bereits im Jahre 1948, also zu einem Zeitpunkt, zu dem der Bundesstaat überhaupt noch nicht bestanden hat, dem Nazigeneral Speidel den Auftrag gegeben hat, eine Denkschrift zur Aufstellung westdeutscher Truppenverbände auszuarbeiten.
Herr Dr. Adenauer, vielleicht muß jetzt wieder ein kleiner Journalist der Tribüne für Ihren Schnitzer herhalten.
Meine Damen und Herren, die große Gemeinsamkeit der Regierungserklärung und der Rede des Herrn Ollenhauer besteht darin, in unserm Volke den Eindruck zu erwecken, daß es keinen andern Weg gebe, als sich der Politik der amerikanischen Imperialisten unterzuordnen, und daß ein neuer Krieg unvermeidlich sei. Eine neue politische Aktivität in unserm Volke ist aber der Ausdruck dafür, daß die breiten Volksmassen, insbesondere unsere Jugendlichen, um keinen Preis gewillt sind, den Weg in Krieg und Katastrophe zu gehen.
Damit ist in Westdeutschland eine neue Lage geschaffen. Die Arbeiter werden sich ihrer Kraft bewußt. Viele Bauern und große Teile des Bürgertums bangen um das nationale Schicksal unseres Volkes und orientieren sich gleichfalls über einen Ausweg aus der Lage. Dieser Ausweg ist da. Immer mehr Menschen haben ihn erkannt und kämpfen
um diesen Ausweg. Er ist ein Weg, der der Würde unseres Volkes entspricht, ein Weg der Ehre, ein Weg, auf dem sich alle ehrlichen, ihr Vaterland liebenden Deutschen finden können und finden werden. Dieser Weg ist einfach und kurz: gesamtdeutsche Beratung für die Durchführung freier, geheimer, demokratischer Wahlen in ganz Deutschland für eine Nationalversammlung.
Wenn Adenauer, Blücher und Ollenhauer erklären, man könne den Weg der Verständigung unter den Deutschen nicht gehen, so erklären sie dies nur, weil sie diesen Weg nicht gehen wollen.
Auch nur der bescheidenste Versuch auf dem Weg zu einer gesamtdeutschen Verständigung wird, dessen kann man sicher sein, unmittelbar große Ergebnisse für den Frieden, die Sicherheit und die Einheit unseres Vaterlandes haben.
Wer nicht einmal diesen Versuch unternimmt, gibt klar zu erkennen, daß er nur die Orientierung auf den Krieg hat.
Die Regierung und die Volkskammer der Deutschen Demokratischen Republik haben ein Wahlgesetz beschlossen, das auf der Grundlage des Weimarer Wahlgesetzes beruht. Die Volkskammer der DDR hat aus ihrer Mitte 5 Vertreter der verschiedensten Parteien gewählt, mit dem Auftrag, unmittelbar mit den Vertretern Westdeutschlands über ein einheitliches Wahlgesetz für ganz Deutschland zu verhandeln. Dementsprechend wandte sich die Volkskammer der DDR mit dem Ersuchen an den Bundestag, ebenfalls 5 Vertreter zur Beratung über ein einheitliches Wahlgesetz zu delegieren. Regierung und Volkskammer der Deutschen Demokratischen Republik lassen keinen Zweifel darüber, daß die Durchführung der Wahl in ganz Deutschland unter vollkommen gleichen Bedingungen erfolgen muß. Der stellvertretende Ministerpräsident der DDR, Walter Ulbricht, erklärte auf einer Pressekonferenz vor der in- und ausländischen Presse in Berlin, daß es keinerlei Schwierigkeiten auf seiten der DDR gebe, wenn die Vertreter der demokratischen Parteien und Organisationen Westdeutschlands in Städten und Dörfern der DDR zu den Wählern sprechen und umgekehrt in Westdeutschland. Es steht außer Zweifel, daß in einer gesamtdeutschen Beratung alle Fragen, alle Schwierigkeiten, die eventuell noch der Durchführung freier Wahlen in ganz Deutschland im Wege stehen, beseitigt werden können. Im gleichen Augenblick, in dem eine solche gesamtdeutsche Beratung stattfindet, ist der erste und entscheidende Schritt zur friedlichen Lösung aller deutschen Lebensfragen getan.
Was bedeutet eine freie und geheime Wahl zu einer deutschen Nationalversammlung? Sie bedeutet, daß aus der freien Entscheidung unseres Volkes heraus unser Vaterland der ganzen Welt seinen einheitlichen Willen zum Frieden, zur Demokratie, zur Freiheit und zur Völkerfreundschaft bekunden kann. Die Wahl zu einer Nationalversammlung, der frei gewählten Gesamtvertretung des deutschen Volkes, ist die entscheidende Grundlage für die Schaffung eines Friedensvertrages mit Deutschland, der unserem Volk seine nationale Einheit, seine nationale Unabhängigkeit und seine Rechte auf eine friedliche nationale Ent-
Wicklung garantiert. Dieser neue einheitliche, demokratische, unabhängige und friedliebende Staat wird niemals ein Spielball in den Händen imperialistischer Kriegstreiber sein. Das ganze Volk kann gewiß sein, daß, wenn es diesen Weg beschreitet, es in wachsendem Maße die Unterstützung aller friedliebenden Menschen der Welt haben und auf diese Weise ein wirklich gleichberechtigtes Glied unter allen friedliebenden Völkern darstellen wird.
Für diesen Weg, den Weg des Friedens, kämpfen wir Kommunisten. Darum wollen Eisenhower, Adenauer und Lehr unsere Partei verbieten;
sie wissen, daß die Kraft, die ganze Stärke unserer Partei darin besteht, daß wir dem ganzen deutschen Volk den Ausweg aus der Lage, aus der drohenden Katastrophe zeigen.
Darum sind wir bereit zur Zusammenarbeit mit allen ehrlichen patriotischen Deutschen,
unabhängig von der Weltanschauung und sonstigen Differenzen. Zur Rettung unserer Nation erstreben wir ein festes Bündnis mit allen Schichten unseres Volkes, die den Frieden und die Einheit unseres Vaterlandes herbeisehnen. In Tausenden von Versammlungen und Entschließungen fordern die Arbeiter, die Gewerkschaftsmitglieder, die Bauern, die Verbände der Kriegsbeschädigten,
die jungen Deutschen in den verschiedensten Organisationen: das Wehrgesetz muß fallen! Das Wehrgesetz verhindern aber heißt: Sturz der AdenauerRegierung.
Hinweg mit der Adenauer-Regierung, mit einer Regierung, die den Willen unseres Volkes mißachtet, mit einer Regierung, die alle Lebensrechte und nationalen Interessen unseres Volkes preisgibt! Fort mit einer Regierung, die im Interesse des Wehrgesetzes und des Generalvertrags sowie des Krieges eine Militärdiktatur in Westdeutschland vorbereitet! In dieser entscheidenden Stunde gebe ich den Willen der Millionen deutscher Männer und Frauen und Jugend kund, indem ich beantrage, daß die Regierung Adenauer sofort zurückzutreten hat.
Die Adenauer-Regierung muß fallen, damit Deutschland leben kann!
Herr Abgeordneter Reimann, diesen Antrag kann ich nicht entgegennehmen. Er widerspricht dem Grundgesetz, und außerdem ist Ihre Gruppe nicht stark genug, einen solchen Antrag einzureichen.
Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Alle Angaben des Herrn Abgeordneten Reimann über den Inhalt des Generalvertrags waren unrichtig.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Majonica.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich weiß nicht, auf welchem Stern die Geschichte spielte, die Herr Reimann hier vorgelesen hat; mit dem, was sich auf unserem Erdball getan hat, hat jedenfalls das, was wir eben hörten, nicht das geringste zu tun.
Ich glaube, daß eine Macht, die seit 1939, wo sie mit Hitler den Vertrag zur Entfesselung des Krieges, zur Teilung Polens abschloß, eine Aggression an die andere gesetzt hat, nicht das Recht hat, für den Frieden zu sprechen.
Alles das — der Herr Bundeskanzler hat es soeben
schon gesagt —, was hier über den Generalvertrag
gesagt worden ist, beruht einfach auf der Tatsache,
daß das Exemplar, das Herrn Ulbricht vorgelegen hat, eine ganz üble und blöde Fälschung war.
In einem aber möchte ich Herrn Reimann zustimmen. Er hat hier gesagt, daß überall da, wo der Krieg vorbereitet wird, Gesetz und Recht außer Kraft gesetzt werden. Weil Rußland seit 1917 im Stadium der permanenten Kriegsvorbereitung steht, deshalb gibt es dort kein Recht und Gesetz. Da haben Sie vollkommen recht.
Ich darf auch folgendes noch sagen: Herr Reimann, wenn Sie an die Situation von 1932/33 erinnert haben, dann haben Sie vollkommen recht, denn damals waren Sie es, Herr Reimann, mit der Kommunistischen Partei, die eine normale Regierungstätigkeit im Reichstag unmöglich gemacht haben. Sie waren es, die zusammen mit den Nationalsozialisten den Verkehrsarbeiterstreik in Berlin durchgeführt haben.
Sie tragen ein gerütteltes Maß von Schuld am 30. Januar 1933, Herr Reimann. Das lassen Sie sich bitte von einem jungen Menschen gesagt sein, der die Entwicklung nicht wieder haben möchte, die Sie einmal mit Ihrer verfehlten und verbrecherischen Politik eingeleitet haben, Herr Reimann.
Ich habe aber nicht deshalb das Wort ergriffen, meine Damen und Herren, sondern wenn ich mich als einer der jüngsten Abgeordneten hier zu Wort gemeldet habe, dann habe ich das in dem Bewußtsein getan, daß die Entscheidung, die dieser Bundestag einmal zu fällen haben wird, von meiner Generation mit der gesamten Existenz getragen und ausgetragen werden muß.
Ich glaube, daß wir deshalb ein Recht haben, als junge Menschen zu diesem Problem zu sprechen. Herr Reimann, Sie haben die deutsche Jugend angesprochen. Aber ich glaube nicht, daß die deutsche Jugend in Ihrem Lager steht, und deshalb haben wir ein Recht, zu diesem Problem Stellung zu nehmen.
Wie ist nun unsere Stellung? Wir werden die Entscheidung, die zu fällen ist, nicht leichtfertig treffen, sondern wir werden zu dieser Frage in sehr großer Verantwortung und mit sorgfältiger Überlegung Stellung nehmen müssen.
Das Ja gilt nicht für eine leichtfertige Remilitarisierung — wir halten nichts von diesen Phrasen, mit denen man uns früher gefüttert hat, daß der Krieg das Stahlbad der Nation sei —, sondern wenn wir ein Ja zu dieser Entscheidung sagen, dann deshalb, weil es die Sicherung der Zukunft gerade auch der jungen Generation der Deutschen bedeutet, die wir vor den Gefahren sichern wollen, die Sie in dieser Situation heraufbeschworen haben.
Wir stehen - wir wollen es nicht verhehlen — in einer Situation des internationalen Bürgerkriegs. Auf der einen Seite Freiheit und Menschenwürde, auf der anderen Seite Unfreiheit und Menschenverachtung. In dieser Situation bedarf es eines Instruments, um die Menschenwürde, um die Zukunft unseres Volkes, um die Zukunft der Jugend dieses Volkes zu sichern,
nicht eines Instruments überholter Staats- und Machtpolitik, sondern 'eben eines politischen Instruments zur Sicherung des Lebens, so wie wir es uns denken und wie wir es wollen. Wir wollen die freiheitliche Grundlage unseres Staates gesichert haben, die Anerkennung der natürlichen Menschenwürde, wie sie auch in Art. 4 des Grundgesetzes niedergelegt ist. Wir wollen ein Recht auf ein Leben in Würde, auf ein eigenes Leben,
auf die Sicherung der Familie und der Elternrechte. Wir wissen, daß jede Nichtausübung dieser Rechte zum Totalitarismus, zur Unfreiheit führt. Deshalb ist das Bekenntnis zum „Ohne mich" — das müssen wir jungen Menschen sagen — ein Bekenntnis zur Diktatur, zur Unfreiheit, zur Versklavung unseres Volkes. Deshalb sprechen wir als junge Menschen in dieser Verantwortung dieses „Ohne mich" nicht, sondern ein „Mit uns". Keine Entscheidung in diesem Volke soll eben ohne uns getroffen werden. Wir wollen damit in diesem Volke stehen, um die Entscheidung zu tragen.
Diese Sicherung der Menschenrechte, diese Sicherung der Zukunft des Volkes und unserer Jugend soll den 'Geist geben, der einen deutschen Verteidigungsbeitrag beseelt. Zu ihm bekennen wir uns, wenn die Voraussetzungen, die heute ja schon von Sprechern meiner Fraktion vorgetragen wurden, erfüllt worden sind. Wir sind auch davon überzeugt, - ein Freund meiner Fraktion wird noch darüber zu sprechen haben —, daß dieser neue Geist der Sicherung der Zukunft und der Menschenwürde sich neue Formen schaffen muß. Ich bin davon überzeugt, daß die deutsche Jugend, die vielleicht da und dort noch durch Schlagworte umnebelt wird, die vielleicht hinter den Fassaden, hinter den Masken, die Sie sich überall aufgesetzt haben, noch nicht die Wirklichkeit erkannt hat, die Wirklichkeit erkennen
und aus dieser Erkenntnis der Wirklichkeit heraus kein lautes Ja, sondern ein verhaltenes, aber ein sehr bestimmtes Ja zur Zukunftssicherung, zum Willen zur Ordnung und zur Freiheit unseres Volkes sprechen wird.
Das Wort hat Herr 4 Abgeordneter Kiesinger, Christlich-Demokratische Union.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn ich Sie, Herr Rische, recht verstanden habe,
haben Sie vom Philosophen gesprochen.
Sie sollen ihn bekommen, Herr Rische. Vielleicht lassen sich die Dinge, über die wir heute zu sprechen haben, in der Tat am besten aus philosophischer Schau betrachten. Sie gehören doch einer politischen Richtung an, die stolz darauf ist, die Weltgeschichte philosophisch zu betrachten, sofern man den dialektischen Materialismus überhaupt eine Philosophie nennen kann.
Der Herr Kollege Ollenhauer hat heute früh gesagt, man solle voraussetzen, daß die Abgeordneten dieses Hauses die e Zeitung gelesen hätten, wenn sie hier hereinkämen. Gewiß, — ich fürchte nur, daß wir manchmal allzusehr vollgepackt mit Zeitungslektüre an die Lösung Probleme unserer Zeit gehen.
Erlauben Sie mir daher, von dem, was die Tagesjournalistik bringt, ein wenig Distanz zu nehmen.
— Vielleicht profitieren sogar die Herren von der äußersten Linken davon.
— Sehr erfreulich, Herr Renner. Es ist ein Kompliment für mich, wenn Sie mich am Rundfunk anhören.
— Nett von Ihnen!
Meine Damen und Herren, ich habe auch einige
erfreuliche Dinge in der Rede des Herrn Reimann
festgestellt. Es hat mich, muß ich sagen, mit einem
gewissen Vergnügen erfüllt, daß er einer bestimmten bürgerlichen Schicht, repräsentiert durch die
Herren Niemöller und Heinemann und durch Frau
Wessel wachsende politische Reife zugestanden hat.
Wenn man allerdings das politische Wörterbuch,
die Fachsprache des Bolschewismus kennt, dann ist
man solchen Zensuren gegenüber etwas vorsichtig.
In diesem Fachwörterbuch, das noch nicht erschienen ist, würde Aggressor etwa so definiert sein: Aggressor gleich
jedermann, der mit der politischen Auffassung der Sowjetunion nicht einverstanden ist.
Ich will aber einmal trotz meines Mißtrauens gegen die bolschewistische Fachsprache ein Wort in der Rede von Herrn Reimann ernst nehmen; das
ist das Wort von dem Friedenspakt, den die Sowjetunion anstrebe.
Herr Reimann, auch Sie haben heute in der Rede des Herrn Bundeskanzlers gewiß mit Aufmerksamkeit einen Satz vernommen: als er darauf hinwies, daß auch die Macht, die Sie den großen Freund des deutschen Volkes zu nennen belieben, vielleicht etwas gewinnen könnte aus dem, was er sagt.
Er hat sehr ernste Worte gesagt, die von dem „großen Freund" Deutschlands durchaus erwogen werden sollten.
Bezüglich des Friedenspakts, den die Sowjetunion erstrebe, kann ,ich Ihnen nur sagen: wenn die Sowjetunion wirklich einen Friedenspakt erstrebt, dann hat sie dazu unsere ganze, aus vollem Herzen kommende Unterstützung.
(Erneuter Beifall bei den Regierungsparteien. — Zuruf des Abg. Renner. — Abg.
Rische: Sie sollten ein Theologe werden,
Herr Philosoph!)
— Nicht schlecht! Der theologische Beruf ist nicht der schlechteste in dieser Welt; ich bin nur zu unwürdig dazu, ihn zu bekleiden.
Aber nun einmal ein ernstes Wort zu der Frage der Legitimation, die von Herrn Ollenhauer heute früh angesprochen worden ist, zu der Frage unserer Legitimation, an dieses todernste Problem heranzugehen. Ich habe das Gefühl, daß bei der Diskussion um diese Frage der Legitimation vielfach so getan wird, als wäre die Lage, in der wir uns jetzt befinden, erst hier und heute entstanden, als wäre es nicht eine Situation, die genau so vorgelegen hat, als die Wahlen zu diesem Bundestag stattfanden.
Erlauben Sie mir einmal, nicht nur die Zeitungen zu lesen, sondern die Stimme eines Mannes zu zitieren, der schon im Jahre 1835
den Zeitungslesern von damals ein warnendes Wort zugerufen hat; es war der geniale junge Franzose Alexis de Tocqueville, der folgendes gesagt hat:
Zwei Völker gibt es heute auf der Welt, die, von verschiedenen Ursprüngen her, sich demselben Ziel zu nähern scheinen:
Es sind die Russen und die Amerikaner. Beide haben sich sozusagen im Verborgenen entwickelt, und während die Aufmerksamkeit der Völker auf andere Gegenstände gerichtet war, haben sie sich plötzlich auf die ersten Ränge unter den Völkern gesetzt. . . .
Alle anderen Völker scheinen ungefähr die
ihnen von der Natur vorgezeichneten Grenzen
erreicht zu haben, ... sie aber stehen noch im
Wachstum, . . . gehen leichten und raschen Schrittes einen Weg, dessen Ende das Auge noch nicht zu erkennen vermag.
Um sein Ziel zu erreichen, stützt sich der eine auf das persönliche Interesse, läßt Kraft und Verstand schalten, ohne ihnen Vorschriften zu machen. Der zweite konzentriert in einem einzigen Menschen die gesamte Macht des Staates. Der eine hat als Mittel des Handelns die Freiheit, der andere die Knechtschaft.
Ihr Ursprung ist verschieden wie ihre Wege, und doch scheint jeder von ihnen nach einem geheimen Plan der Vorsehung berufen, eines Tages in seinen Händen die Geschicke der halben Welt zu halten.
Das ist im Jahre 1835 gesprochen worden. Ich mache darauf aufmerksam: es ist nicht nur vorausgesagt worden, daß diese beiden großen Mächte einmal für das Schicksal der Menschheit dieser Erde bestimmend sen werden, sondern es ist gleichzeitig auch vorausgesagt worden, mit welchen Methoden diese beiden Mächte das Geschick der Menschheit bestimmen würden, die einen mit dem Mittel der Freiheit, die unzulänglich, mangelhaft, problematisch wie immer sein wird, die anderen aber mit dem eindeutigen Mittel der Sklaverei. Diese Situation bestand also schon lange. Wenn die deutsche Außenpolitik in den Jahren nach 1900 und vor 1914 begriffen hätte, welchen Gang die Weltgeschichte nimmt, dann wäre es nicht zum ersten Weltkrieg gekommen, und wenn sie dasselbe nach 1933 begriffen hätte, verdeutlicht durch die Erfahrung der Katastrophe des ersten Weltkrieges, dann wäre es nicht zur Katastrophe von 1945 gekommen. Sorgen wir dafür, daß wir es jetzt endlich voll begreifen!
Ich rede hiermit nicht einem geschichtsphilosophischen Fatalismus das Wort. Ich bin durchaus der Meinung - es ist in den Worten meines Freundes Strauß angeklungen —, daß Europa noch eine Aufgabe hat und daß Europa in dieser Welt zwischen den großen Mächten eine bedeutende, vielleicht sogar eines Tages eine rettende Rolle spielen kann. Das besagt aber nicht, daß wir uns einbilden dürften, wir hätten jene Zeit, die schon einmal die deutsche Politik zu haben geglaubt hat. Die Kenner der Geschichte unter Ihnen darf ich daran erinnern, daß es die These der „Grauen Eminenz", die damals vor 1914 bestimmend für die deutsche Außenpolitik war, gewesen ist, man habe Zeit und dürfe in dem großen Weltringen zwischen Rußland und dem großbritannischen Weltreich leichtsinnig hin und her lavieren. Dieses leichtsinnige Hin- und Herlavieren hat uns die Tripelallianz eingebracht, und im Jahre 1907, nicht im Jahre 1918, hat Deutschland den ersten Weltkrieg verloren.
Wenn also heute früh von Herrn Ollenhauer gesagt worden ist, man solle nicht immer das Zeitelement in die Debatte werfen, so muß ich dem widersprechen. Wir müssen das Zeitelement in die Debatte werfen. Man darf mit der Zeit nicht leichtsinnig spielen, weil man sie sonst leichtsinnig verspielt.
Herr Ollenhauer hat auch einen anderen Appell an uns gerichtet; er hat gesagt, wir dürften nicht an das Gefühl appellieren. Richtig, und gerade in
der Außenpolitik ist es eine alte Weisheit, daß man nicht an das Gefühl appellieren sollte. In Demokratien und gerade in Domokratien, die auf so wenig Tradition zurückzuschauen haben wie die unsere, ist es besonders gefährlich, an das Gefühl zu appellieren.
Wenn ich Sie erinnern darf, daß es einmal in der Geschichte der Vereinigten Staaten einen Augenblick gab, da der populärste Mann dieser Geschichte, Washington, seine ganze Autorität aufbieten mußte, um sich gegenüber einer aufgeregten Volksmeinung durchzusetzen — und er hat damals beinahe seine ganze Popularität verspielt —, als er sich entgegen der öffentlichen Meinung dagegen stellte, daß sich Amerika an der Seite Frankreichs in einen Krieg gegen England begibt, dann sehen Sie, wie schwer es mitunter ist, in der Außenpolitik gegenüber einer durch Gefühle aufgeregten Masse einen festen Kurs zu steuern.
Der Appell in das Gefühl in diesem Punkt ist besonders gefährlich; Sie haben recht. Meine Herren, wissen Sie denn, wen Sie durch Ihren Appell an das Gefühl hinter sich sammeln, heiße er Herr Heinemann, heiße er Herr Niemöller, heiße sie Frau Helene Wessel? Es sind nicht die Leute, die Sie anzusprechen glauben. Hinter ihnen steht wachsend mehr und mehr das radikale „Ohne mich".
Und — so paradox es klingen mag — in diesem Rahmen des radikalen „Ohne mich" befinden sich heute jene, die in den Jahren nach 1919 im völkisch-nationalistischen Lager standen.
Es war ein teuflischer Geist, der in diesem Lande
das Wort von der „Remilitarisierung" erfunden hat.
Wem geht es denn hier um „Remilitarisierung"? Höchstens ein paar Narren denken daran.
Was sich hier begibt, ist etwas ganz anderes als „Remilitarisierung".
— Die Logik war nie Ihre starke Seite! Um was geht es wirklich? Das deutsche Volk hat nach 1945 ganz gewiß seinen Willen bekundet: Nie wieder Militarismus alten Schlages! Wir können diesen Militarismus alten Schlages nicht getrennt von dem betrachten, was mit dem Jahre 1945 nach unserer festen Überzeugung auf Nimmerwiederkehr untergegangen ist. Was ist denn untergegangen? Untergegangen ist die Welt des alten nationalen Machtstaates; untergegangen ist die Welt der nationalen und machtpolitischen Anarchie und all das, was dazu gehörte. Dazu gehörte auch eine ganz bestimmte Art der Wehrverfassung, eine ganz bestimmte Art des Heeresgeistes, des Soldatengeistes und was damit zusammenhängt. Die nationalen Heere waren Instrumente der nationalstaatlichen Machtpolitik, jener Machtpolitik, die auf Expansion, Macht, Ehre, Ruhm aus war; sie hat Form, Gehalt und Geist jener Heere bestimmt. Es war Preußens Gloria, und Frankreichs Gloire, die im Jahre 1945 endgültig verschieden sind.
Wir sind in eine neue Epoche eingetreten. Daran glauben alle, denen es um die Zukunft der Menschheit heute ernst ist. Diese neue Epoche heißt nicht mehr nationalstaatliches Gegeneinander, heißt nicht mehr ewiger europäischer Bürger- und Bruderkrieg, sondern sie heißt: Gemeinschaft der freien Völker.
Solange wir nicht in einer Welt leben, in der das Lämmlein friedlich neben dem Wolf grasen kann, muß eine solche Gemeinschaft darauf bedacht sein, sich zu wehren, wenn es nottut, gegen diejenigen, die sie nicht dulden wollen. Wenn also heute daran gedacht ist, daß das deutsche Volk in dem Gesamtgefüge einer internationalen, einer übernationalen, einer europäischen und darüber hinausreichenden Verteidigungsgemeinschaft einen Wehrbeitrag leistet, so ist das etwas ganz und gar Neues und hat mit „Remilitarisierung" auch nicht das geringste zu tun.
Aus dieser Schau müssen wir und muß vor allen Dingen die Masse, die verstörte, aufgeregte, irregeführte Masse des deutschen Volkes das Problem sehen.
Niemand in diesem Volk, davon bin ich überzeugt, wird, wenn das Gespräch von Mann zu Mann und von Frau zu Frau in tiefstem Ernst geführt wird, sich dieser Einsicht verschließen.
Es hat in der Geschichte der Wehrverfassungen je und je solche Revolutionen gegeben. Als man am Beginn des letzten Jahrhunderts, welcher zugleich der Beginn der nationalstaatlichen Entwicklung war, von den Wehrverfassungen des fürstlich-absolutistischen Heeres zum modernen Volksheer überging, hatten wir eine solche Zäsur. Die Zeit dieses Nationalstaates ist zu Ende. Wir haben eine neue. Das neue Heer ist kein nationalstaatliches Heer mehr, meinetwegen, wenn Sie wollen, meine Herren von der äußersten Linken, kein imperialistisches Heer mehr, sondern ein Heer zur Verteidigung des Friedens.
- Ich habe von Ihrem Wörterbuch schon gesprochen und davon, wie man es auslegen soll.
Und insbesondere an die Adresse unserer sozialdemokratischen Kollegen, denen Herr Reimann so freundlich klargemacht hat, was sie „eigentlich" wollen — Ihnen soll besonders gesagt sein: in der Frage der Legitimation muß man die Dinge wirklich von weither sehen. Ist es denn im Jahre 1949 anders gewesen als heute? Was hat dieses deutsche Volk, als es gewählt hat, und was haben wir, als wir uns wählen ließen, gedacht? Es ist schade, daß der Herr Ollenhauer nicht da ist. Ich hätte ihm gern gesagt: es hat mich heute früh befremdet, daß er so wenig von dem Mandat hält, das man ihm im Jahre 1949 übertragen hat.
Ich bin in dieses Parlament nicht mit dem Gefühl
eines beschränkten Mandats eingezogen. Ich habe
damals den mir angebotenen sicheren Wahlkreis
zunächst abgelehnt, eben in dem Gefühl für die
ungeheuer verantwortungsvollen Entscheidungen,
die in den kommenden vier Jahren auf uns warten
würden. Sie mögen sagen, das war Ängstlichkeit. Ich habe mich dann anders besonnen und im Bewußtsein dessen, was auf uns zukommt, die Entscheidung für die Politik getroffen. Ich habe von Anfang an gesehen, daß die Entwicklung, die vor uns steht, doch nur der Vollzug eines seit langem begonnenen Prozesses ist. Ich habe nicht an eine weltgeschichtliche Pause zugunsten des Deutschen Bundestages geglaubt!
Wenn ein gelehrter Kritiker jüngst in einem Aufsatz gesagt hat, das Grundgesetz sei so durch und durch antimilitaristisch und pazifistisch, daß es einen Gestaltwandel dieses. Grundgesetzes bedeuten würde, wenn man nunmehr durch ein Gesetz das Wehrproblem behandelte, so kann ich diesem Gelehrten nur entgegenhalten: Wenn du damit — und er läßt es anklingen, denn ein leichter Stoßseufzer nach der Herrlichkeit des alten deutschen Heeres steht in dem Aufsatz auch drin — die alte Remilitarisierung meinst, dann ist das Grundgesetz pazifistisch, und wenn du den alten Militarismus meinst, dann ist das Grundgesetz antimilitaristisch, dann sind wir es alle aus ganzem Herzen; wenn du aber glaubst, daß man sich in diesem Grundgesetz der Illusion hingegeben habe, daß die Freiheit etwas sei, was uns geschenkt sei, dann brauchen wir nur noch die Sirenengesänge von der äußersten Linken zu hören, um zu wissen, daß sie täglich bedroht ist und daß sie daher auch täglich geschützt werden muß. Wir haben den Mut, sie zu schützen.
Ich will mich hier nicht auf genauere juristische Auseinandersetzungen über den Inhalt des Grundgesetzes und über die einzelnen Bestimmungen einlassen, die herangezogen werden können, um unsere Legitimation darzutun, durch ein Bundesgesetz das Wehrproblem anzupacken. Der Herr Bundeskanzler hat mir heute früh in seinen Ausführungen einige sehr gute Argumente vorweggenommen. Es kann gar kein Zweifel sein, daß sich unsere Grundgesetzgeber bei den Beratungen im Parlamentarischen Rat darüber einig waren, daß man diese Demokratie und diese Demokratie im Gesamtverband der demokratischen Welt verteidigen müsse. Nicht nur das, was der Herr Kollege Schmid ausgeführt hat, daß im Rahmen einer kollektiven Sicherheit an eine solche Verteidigung gedacht werden dürfe, ist da beschlossen worden, sondern auf ausdrücklichen Antrag des jetzigen Justizministers Dr. Dehler, der darauf hingewiesen hat, daß sich kein Volk der Pflicht der Selbstverteidigung entziehen dürfe, ist nicht der Krieg, sondern der Angriffskrieg allein im Grundgesetz verpönt worden. Ich gestehe gern, daß ich mit dem Kollegen Professor Schmid einig gehe: auch mein Wunsch ist es, daß es uns gelingen möge, die Frage der Sicherheit in Zukunft immer nur im Rahmen des Schutzverbandes der freien Welt zu lösen, und daß niemals wieder die Notwendigkeit an uns herantreten möge, das Wehrproblem aus eigenen Kräften und allein anzupacken. Solange das aber noch nicht der Fall ist, müssen wir alles tun, um diesen übernationalen Wehrverband, Verteidigungsverband und Kulturverband zu schaffen.
Was anders ist denn die Anstrengung des Regierungschefs in diesen ganzen zwei Jahren hier gewesen, als mit Geduld und Zähigkeit trotz Enttäuschungen von innen und außen diesen schweren Weg zu gehen und Schrittmacher der europäischen Einheit zu sein? Wer von Ihnen im Ausland gewesen ist und die Stimmen der Menschen draußen
gehört hat, den mußte die Freude packen, wenn er hörte, wie hier ein führender deutscher Staatsmann durch das Maß, durch die Klugheit, durch die Geduld und die Festigkeit in der deutschen Politik jenen Kredit zurückgewonnen hat, den das deutsche Volk als der Bankrotteur, der es 1945 war, gar nicht innerhalb weniger Jahre von der Welt zurückzuerlangen erwarten durfte.
Unsere Legitimation, das Problem anzupacken, kann nicht bestritten werden. Wir werden uns in den kommenden Monaten den Gesprächen, den Argumenten, die sich auf Einzelheiten beziehen, nicht entziehen. Wir sind überzeugt, daß wir diese Auseinandersetzungen nicht zu fürchten haben.
Wir bitten dabei aber auch die Welt jenseits unserer Grenzen zu verstehen, um was es uns geht. Ich möchte in dieser ernsten Stunde vor allen Dingen auch für meinen Teil einen Appell an das französische Volk und seine politische Führung richten. Ich weiß, daß es diesem Volk nicht leicht fällt, nach dem, was es erlebt hat, den Glauben und das Zutrauen an Deutschland zurückzugewinnen. Aber ich bitte es, sich durch nichts, zu allerletzt — genau so wenig wie wir — durch Politiker von vorgestern, die nichts gelernt haben,
in einen gegeneuropäischen Kurs hineinsteuern zu lassen.
Die Millionen von' Franzosen, von Frauen, Männern und Kindern drüben wollen den Frieden genau so wie wir, und sie wollen die Freiheit genau so wie wir.
Glauben wir, daß die große Mehrheit unserer Völker es gut mit dem anderen meint! Haben wir Zutrauen zueinander, lassen wir uns nicht durch zweit- und drittrangige Fragen voneinander trennen! Stellen wir die nationalen Egoismen zurück! An uns beiden, - an uns beiden vornehmlich liegt es, ob das große Werk, das unserer Generation aufgegeben ist, gelingt, das Werk: Freiheit und Frieden für Europa immerdar!
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Tillmanns, Christlich-Demokratische Union.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Ollenhauer hat in seiner Rede gemeint, daß eigentlich eine besondere Bedrohlichkeit in der gegenwärtigen Situation nicht bestehe und infolgedessen auch kein besonderer Anlaß zu Anstrengungen zur Verteidigung bestehe. Damit hat Herr Ollenhauer die Frage gestellt, ob die Sowjetunion überhaupt zu kriegerischen Mitteln greifen werde. Er hat dargelegt, daß es ihr viel eher um innere Zersetzung zu tun sei, um kalten Krieg. Ich glaube, hier ist eine Kernfrage in dem gesamten Komplex angesprochen, mit dem wir es zu tun haben. Wahrscheinlich hat Herr Kollege Ollenhauer recht, wenigstens im Hinblick auf die ideologische Grundlage des Leninismus und Stalinismus. Dieser lebt von der These der Weltrevolution. Der Leninismus
sieht nun einmal die Entwicklung der Menschheit in der Richtung, daß die gesellschaftlichen Bedingungen dazu führen, daß der Kommunismus schließlich in allen Völkern zur Macht kommt. Er sieht in dieser Entwicklung zum Kommunismus eine Art Naturnotwendigkeit, gegen die im Grunde nichts zu machen ist. Nach der Auffassung des Bolschewismus ist es eben das Ziel der Geschichte, daß schließlich der Sozialismus nur dadurch erreicht werden kann, daß er in allen Völkern herrscht. Die Kehrseite dieser doktrinären Überzeugung ist die These vom unaufhaltsamen Zerfall der kapitalistischen Welt. Der Bolschewismus kennt im Grunde nichts anderes als auf der einen Seite die kommunistische und auf der anderen Seite die kapitalistische Welt; zu dieser in sich zerfallenden kapitalistischen Welt gehört alles, was nicht bolschewis lisch ist, gehören vor allen Dingen auch sämtliche sozialistischen Systeme des Westens und 'Europas.
Auf dieser ideologischen Grundlage ist die Politik der Sowjetunion in Deutschland, nachdem sie in unser Land einmarschiert war, begonnen worden. Sie hat zunächst geglaubt, daß sie ihre Herrschaft mit politischen Mitteln erringen und festigen könne. Sie hat deswegen die Aufrichtung der bolschewistischen Herrschaft in der Sowjetzone Deutschlands zunächst mit verhältnismäßig wenig Anwendung von Gewaltmitteln betrieben, dann aber, als sich Widerstände zeigten, immer mehr Gewalt angewandt, um die an sich feststehende Erwartung, der Kommunismus werde die Macht erringen, zu verwirklichen. Im übrigen Deutschland und in den übrigen Teilen Europas hat die sowjetische Politik in der gleichen Zeit alles getan, v um die gesellschaftliche Ordnung weiter zu zerrütten — z. B. in der Deutschen Bundesrepublik durch das Hineinschicken von 9 Millionen Flüchtlingen — in der Hoffnung, daß sich in dieser Elendssituation die Frucht des Bolschewismus entwickeln werde. Vergleichbares hat man mit Streiks in Italien und Frankreich durchzuführen versucht, alles mit dem einzigen Ziel, die Weltrevolution politisch durchzusetzen.
Die Grundlage dieser Politik ist diese doktrinäre Selbstsicherheit der Sowjets. Zu der Zeit, als wir im Hauptvorstand der Christlich-Demokratischen Union der Sowjetzone — Jakob Kaiser und andere Freunde — politische Verantwortung trugen, haben wir einmal mit dem damaligen Chef der politischen Verwaltung der sowjetischen Militäradministration, Oberst Tulpanow, eine hochinteressante Unterredung gehabt. In dieser Unterredung hat Herr Tulpanow versucht, uns klarzumachen, daß wir doch geradezu wahnsinnig seien, wenn wir uns mit der westlichen Welt verbündeten, denn diese westliche Welt, vor allen Dingen die Vereinigten Staaten von Amerika, würden sicher im Strudel der kapitalistischen Krisen zugrunde
gehen.
Und er sagte uns damals, Ende 1946: Spätestens im Jahre 1948 kommt die große Arbeitslosigkeit, kommt die große Wirtschaftskrise in den Vereinigten Staaten, und dann gehört der Westen uns! Auf die Frage des heutigen Bundesministers für gesamtdeutsche Fragen an Herrn Tulpanow, was denn passiere, wenn diese Erwartung sich nicht erfülle, lachte Herr Tulpanow zunächst, und nach einiger Überlegung sagte er: Ja, wissen Sie, dann, dann werde ich Mitglied der Christlich-Demokratischen
Union! Meine Damen und Herren, was ich hier sage, ist höchster Ernst, nur in scherzhafter Form ausgedrückt. Dann, wollte Herr Tulpanow sagen, ist euer Glaube richtig und meiner falsch!
Davon muß unsere Gesamtbetrachtung des Problems ausgehen. Die Erwartung, die Durchsetzung der Macht der Sowjets in Deutschland und Europa werde sich allein mit politischen Mitteln vollziehen, hat sich nicht erfüllt!
An dem Widerstand der Arbeitermassen in Berlin
und in der Sowjetzone ist es offenbar geworden,
daß sich die Erwartung der Bolschewisten,. auch hier in Europa — wie etwa in Asien — ihre Macht mit rein politischen Mitteln durchsetzen zu können, nicht verwirklicht hat. Die Gründe, warum die Arbeiterschaft und die Bevölkerung der Sowjetzone dem Bolschewismus nicht verfallen sind, liegen auf der Hand. Sie ergeben sich aus der völlig anderen sozialen Situation, aus anderen sozialen Vorstellungen und Gegebenheiten, wie sie sich bei uns in Europa entwickelt haben, und von denen die, die als vermeintliche Befreier aus dem Osten kamen, keine Vorstellung hatten.
Es bleibt bestehen, daß der Nimbus der Unwiderstehlichkeit des Bolschewismus in der Sowjetzone zerstört worden ist.
Dazu kam, daß die westlichen Alliierten, die zunächst glaubten, im Kontrollrat eine gemeinsame Deutschland-Politik mit den Sowjets treiben zu können, unter dem Zwang der expansiven Politik des Bolschewismus ihre politische Konzeption geändert haben. Von der Politik der Niederhaltung Deutschlands ist die große Wendung vollzogen worden zur aktiven wirtschaftlichen Unterstützung Europas und Deutschlands durch den Marshallplan und andere Mittel, die in gemeinsamer Anstrengung geschaffen worden sind, um die Voraussetzungen für eine Gesundung der wirtschaftlichen Verhältnisse in Europa und Deutschland herbeizuführen.
Seit mindestens zwei Jahren wissen die Sowjets, daß sie ihr Ziel in Deutschland mit rein politischen Mitteln nicht mehr erreichen. Natürlich können sie ihr weltrevolutionäres Ziel deshalb nicht aufgeben. In der Sowjetzone haben sie die Anwendung von Gewalt und Terror von Monat zu Monat gesteigert.
Auch auf die Deutsche Bundesrepublik und ihre Bevölkerung wird ein immer stärkerer politischer Druck ausgeübt, aber nicht mehr mit kommunistischen Parolen — denn man weiß drüben längst, daß die keine Wirkung mehr haben —, sondern mit getarnten Parolen wie „Nationale Front", „Nationaler patriotischer Zusammenschluß der Deutschen" — wir haben es ja heute nachmittag in sehr beredter Weise von Herrn Reimann gehört —, und vor allen Dingen mit der Erzeugung von Gegnerschaft und Haß gegen die westlichen Besatzungsmächte.
Die entscheidende Frage ist die, ob die Politik der Sowjetunion in der Form dieser ständigen Verstärkung des Druckes eines Tages auch zu dem Mittel der bewaffneten Intervention in Europa greift. Das Beispiel Korea zeigt, daß sie dessen fähig ist.
Die Sowjetunion wird trotz des deterministischen Charakters ihrer Doktrin eines Tages doch der Versuchung verfallen, es auch in Europa mit Gewaltmitteln zu versuchen, wenn sie glaubt, daß das für sie kein Risiko bedeutet, d. li. wenn sie glaubt, daß die Anwendung der Gewalt in Deutschland und Europa nicht zu einem neuen Weltkrieg, nicht zu einem Krieg mit den Vereinigten Staaten von Amerika führen wird. Daraus ergibt sich die gemeinsame Aufgabe der westlichen Völker, das Risiko für einen solchen Schritt der sowjetischen Politik so groß zu machen, daß sie ihn nicht wird tun können. Dieses gemeinsame Unternehmen ist nur möglich im Zusammenwirken mit den Vereinigten Staaten von Amerika und den Atlantikpaktmächten. Es kommt eben darauf an, den Schutz seitens der Atlantikpaktmächte und der Vereinigten Staaten von Amerika, wie er in der Garantieerklärung vom Herbst 1950 festgelegt ist, für Europa und für Deutschland zu festigen. Das aber geht nur mit unserer Mitwirkung für eine längere Dauer von Jahren. Das allein ist der Sinn der Partnerschaft der freien Welt.
Herr Ollenhauer hat heute mittag die Forderung gestellt, die Westmachte müß .en entschlossen sein, Deutschland mit derselben Entschiedenheit zu, verteidigen wie ihr eigenes Gebiet. Das ist vollständig richtig. Aber glauben Sie, Herr Ollenhauer, daß Sie das erreichen, wenn wir nein sagen? — Unsere Beteiligung hat doch überhaupt nur den Sinn, diese Bereitschatt der Westmächte, Deutschland mit derselben Entschiedenheit wie ihr eigenes Gebiet zu verteidigen, zu stärken und festzuhalten.
Die Sowjets bemühen sich selbstverständlich mit allen Mitteln, diese sich bildende Verteidigungsgemeinschaft der westlichen Welt zu verhindern und zu zersetzen. Das ist der Zweck der Anerbietungen von Gesprächen über deutsche Einheit und freie Wahlen.
Man versucht, uns auf diesem Wege aus der Gemeinschaft der freien Völker herauszuziehen.
Das ist der Sinn ihrer Friedenspropaganda: die Deutschen davon zu überzeugen, daß wir uns nicht zu verteidigen brauchen, um auf diese Weise eine seelische Situation zu schaffen, in der die deutsche Mitwirkung an der gemeinsamen Verteidigung der westlichen Welt nicht mehr möglich ist und damit letzten Endes diese Verteidigung überhaupt in sich zerfällt. Während man von drüben her versucht, das deutsche Volk mit Verlockungen zu Gesprächen über freie Wahlen und mit Friedensparolen zu verführen, macht man im Ausland genau das Entgegengesetzte. Dort versuchen die Sowjets den Haß gegen Deutschland zu schüren.
In Frankreich und in den Vereinigten Staaten versucht man, das deutsche Volk wieder als eine völlig nazistische Bande hinzustellen, zu der man kein Vertrauen haben kann.
So geht das Bemühen der sowjetischen Politik
dahin, uns durch Verlockungen zum Verzicht
auf gemeinsame Verteidigungsbemühungen zu
bringen und draußen die Gegnerschaft gegen
Deutschland, die noch nicht vollständig begraben
ist, zu schüren und aufs neue lebendig zu machen.
Das einzige Ziel dieser sowjetischen Politik besteht darin, die gemeinsame Verteidigung zum Auseinanderbrechen zu bringen, der Politik der Vereinigten Staaten von Amerika in Europa den Boden zu entziehen.
Wenn heute gesagt wurde, daß es ausgeschlossen sei, daß sich die amerikanische Politik ändere und daß Amerika sich eines Tages von Europa zurückziehen könne, so mag das im Hinblick auf die heutigen Politiker in den Vereinigten Staaten richtig sein. Aber ich glaube, wir dürfen diese Frage nicht so leichtfertig behandeln. Wir müssen uns doch darüber klar sein, daß die heutige Politik der Vereinigten Staaten, die Europa und Deutschland in die Verteidigungsanstrengungen einbezieht, große wirtschaftliche und finanzielle Anstrengungen vom amerikanischen Volk verlangt, daß sie vor allem auch eine seelische Belastung mit sich bringt.
Oder glauben Sie, daß die junge Generation in den Vereinigten Staaten von Amerika mehr Lust hat, Soldat zu spielen, als unsere Jugend?
Glauben Sie etwa, daß die Mütter in Amerika so glücklich darüber sind, daß ihre Söhne an der Weser Soldat sein sollen? Glauben Sie, daß der • Schutz der USA auf die Dauer aufrechtzuerhalten ist, wenn wir nein sagen? Der ganze Sinn unseres Verteidigungsbeitrages besteht darin, diesen Schutz festzuhalten.
Meine Damen und Herren! Erstens ist die Geschichte der Kriege, die durch rechtzeitige Verteidigung verhindert worden sind, noch nicht geschrieben. Wenn wir einmal nachforschen würden, würden wir feststellen, daß viele Kriege auf diese Weise verhindert worden sind. Zweitens nimmt man, wenn man so spricht, nicht davon Kenntnis, daß wir es heute mit einem Gegner zu tun haben, der nach dem Grundsatz verfährt „si vis bellum para pacem", „Wenn du den Krieg willst, dann bereite erst einmal die Friedenswilligkeit aller Menschen vor!"
Vor einem solchen Gegner müssen wir zu einer ganz anderen, Betrachtung unserer Aufgabe kommen.
Herr Ollenhauer hat weiter die Frage gestellt, wie es mit der Wiedervereinigung Deutschlands werden solle, wenn wir uns einer europäischen Verteidigungsgemeinschaft anschließen. Wenn es wirklich einen Weg gäbe, heute direkt, d. h. ohne Weiterführung der Europapolitik, zu einer Verständigung mit den Machthabern der Sowjetzone
in Freiheit zu kommen, dann müßten wir diese Chance sofort ausnutzen!
Aber daß diese Möglichkeit nicht besteht, hat gestern Herr Kollege Wehner sehr ausführlich dargelegt. Ich habe dem nichts hinzuzufügen.
Noch ist alles, was von drüben an Gesprächsanerbieten kommt, nichts anderes als Versuche der Zersetzung, von denen ich gesprochen habe.
Wenn drüben wirklich der Wille zur deutschen Einheit in Freiheit vorhanden wäre, dann wäre doch der einfachste Weg dazu, daß sich die Sowjetunion auf der internationalen Ebene — d. h. in Verhandlungen mit den übrigen Großmächten — bereit erklärt, die Einheit Deutschlands wiederherzustellen. Dann wäre der Weg offen. Aber während sie uns mit Anerbieten zu gesamtdeutschen Gesprächen verlockt, hütet sie sich, im internationalen Raum auch nur ein einziges Zeichen dafür zu geben, daß sie bereit ist, unsere Wiedervereinigung zuzulassen.
In dieser Situation gibt es für uns nur einen Weg: die Gemeinsamkeit mit den Mächten der freien Welt. Und wenn Sie sagen: „dort besteht nicht die Bereitschaft zur deutschen Einheit", dann frage ich: Wenn dieser Wille zur deutschen Wiedervereinigung bei den freien Völkern nicht entwickelt wird, wie sollen wir denn dann überhaupt unsere Wiedervereinigung fertigbringen?
Das hat der Kanzler gemeint, wenn er heute morgen davon sprach, daß dieses Ziel nur in Zusammenarbeit mit den drei Westmächten erreicht werden könne. Glauben Sie etwa, durch ein Nein zur Verteidigung würde bei den anderen europäischen Völkern die Bereitschaft zur deutschen Wiedervereinigung gestärkt werden? Sie kann doch nur durch die gemeinsame Arbeit an dem gemeinsamen Werk entwickelt werden, und daß das gelingt, das zeigt der Generalvertrag, von dem der Bundeskanzler berichtet hat. Das Ziel kann nur sein, durch Stärkung der freien Welt endgültig den Sowjets den Weg in die Gewalt zu verbauen und damit die Voraussetzung für ein echtes Gespräch über Deutschland auf internationaler Ebene zu schaffen.
Selbstverständlich, Herr Ollenhauer, ein Gespräch
zwischen den vier Großmächten, und wir wünschen
nichts sehnlicher, als daß es bald möglich werde.
Dieser Weg schließt allerdings das Wagnis einer Verschärfung der Situation ein. Es gibt in der heutigen Lage keine Politik ohne Wagnis. Gerade deshalb müssen wir immer wieder klarmachen, daß es sich nur um die Verteidigung handelt und daß uns jede Provokation fernliegt. Der Herr Bundeskanzler hat in der Regierungserklärung vom 20. September 1949 gesagt:
Wir sind durchaus bereit, mit unsern östlichen Nachbarn, insbesondere mit Sowjetrußland ..., in Frieden zu leben. Wir haben den dringendsten Wunsch, daß die gegenwärtig bestehenden Spannungen zwischen Sowjetrußland und den Westalliierten ihre Lösung im Laufe der Zeit auf friedlichem Wege finden. Aber wenn ich ausspreche, daß wir den Wunsch haben, in Frieden mit Sowjetrußland zu leben, so gehen wir davon aus, daß auch Sowjetrußland .. . uns und unsere deutschen Landsleute in der
Ostzone ... und Berlin das Leben in Freiheit führen läßt, das deutschem Herkommen, deutscher Erziehung und deutscher Überzeugung entspricht.
Wir haben keinen andern Wunsch, aber um diesem Wunsch des gesamten Volkes zur Verwirklichung zu helfen, müssen wir den Weg der gemeinsamen Verteidigung gehen.
Der Tag der Wiedervereinigung kommt um so eher, je geschlossener wir mit den übrigen Völkern Europas zusammenstehen. Jede Uneinigkeit hier unter uns, jedes Auseinandergehen und Gegeneinandergehen schiebt den Tag der Wiedervereinigung Deutschlands hinaus.
Aber je mehr wir uns hier zusammenfinden, die
Parteien in der Bundesrepublik untereinander und
wir mit den übrigen Völkern der freien Welt, um
so eher wird dieser Tag der Wiedervereinigung
kommen. Wenn wir nicht schon so viel Zeit vertan
hätten, wer weiß, ob er nicht heute schon da wäre!
Man macht den Einwand, daß diese unsere Politik eine unerhörte Belastung der Menschen in der Sowjetzone bedeute. Das ist ein ernster Einwand, und wir wissen, daß das tatsächlich der Fall ist. Aber ich habe in den letzten Wochen und Monaten, in denen ich vielfach Gelegenheit hatte, mit Deutschen aus der Ostzone zu sprechen, niemand gefunden, der nicht gesagt hätte: Und wenn es für uns noch eine Zeit weiterer Opfer und Bedrängnisse wird, wir wissen, daß es nur diesen einen Weg gibt, daß ihr euch mit den übrigen Völkern der freien Welt zusammenfindet, um uns eines Tages die Freiheit zu erwirken. Ich meine, darauf sollten wir hören.
Ich habe vorhin gesagt, daß es unsere Aufgabe ist, durch unser Zusammenwirken an der gemeinsamen Aufgabe der Verteidigung geradezu wie ein Magnet den Schutz der Völker der freien Welt über Deutschland festzuhalten. Meine Damen und Herren, einmal in den Jahren 1948/49, bei der Blockade Berlins, hat die Haltung der gesamten Berliner Bevölkerung,
die lieber den ganzen Winter im Dunkeln und Kalten gesessen hat, als sich zu ergeben, gezeigt, daß es möglich ist, durch eine entschlossene Haltung wie ein Magnet die Hilfe der andern herbeizuziehen. Die Luftbrücke ist nur durch die Haltung der Berliner möglich geworden. Heute ist das ganze deutsche Volk in derselben Situation, und ich bin der Auffassung, daß sich dieser großen, entscheidenden Aufgabe, die uns gestellt ist, auch die Parteien der Opposition dieses Hauses nicht entziehen können.
Meine Damen und Herren, damit sind wir bei dem Zeitpunkt angekommen, der für die Begrenzung der heutigen Beratung festgesetzt gewesen ist. Ich darf daher die 191. Sitzung des Deutschen Bundestags auf morgen, Freitag, den 8. Februar 1952, 9 Uhr vormittags, einberufen mit der Tagesordnung: Fortsetzung der heutigen Beratung.
Die 190. Sitzung des Deutschen Bundestags ist geschlossen.