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    Deutscher Bundestag — 190. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 7. Februar 1952 8095 190. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 7. Februar 1952. Geschäftliche Mitteilungen 8095B Entgegennahme einer Erklärung der Bundesregierung (Frage eines deutschen Verteidigungsbeitrages und der Errichtung einer Europäischen Verteidigungsgemeinschaft; Saarfrage; Atlantikpaktfrage) . . 8095B Dr. Adenauer, Bundeskanzler 8095C, 8141B Unterbrechung der Sitzung 8108C Besprechung der Erklärung der Bundesregierung 8108D Ollenhauer (SPD) 8108D Dr. Adenauer, Bundeskanzler . . 8117A Strauß (CSU) 8118A Euler (FDP) 8128D Dr. Wahl '(CDU) 8134B Reimann (KPD) 8135D Majonica (CDU) 8141C Kiesinger (CDU) 8142C Dr. Tillmanns (CDU) 8145D Nächste Sitzung 8148D Die Sitzung wird um 9 Uhr 36 Minuten durch den Präsidenten Dr. Ehlers eröffnet.
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    Rede von Dr. Kurt Georg Kiesinger


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn ich Sie, Herr Rische, recht verstanden habe,

    (Abg. Rische: Wir verstehen uns schon richtig!)

    haben Sie vom Philosophen gesprochen.

    (Abg. Rische: Ja!) Sie sollen ihn bekommen, Herr Rische. Vielleicht lassen sich die Dinge, über die wir heute zu sprechen haben, in der Tat am besten aus philosophischer Schau betrachten. Sie gehören doch einer politischen Richtung an, die stolz darauf ist, die Weltgeschichte philosophisch zu betrachten, sofern man den dialektischen Materialismus überhaupt eine Philosophie nennen kann.

    Der Herr Kollege Ollenhauer hat heute früh gesagt, man solle voraussetzen, daß die Abgeordneten dieses Hauses die e Zeitung gelesen hätten, wenn sie hier hereinkämen. Gewiß, — ich fürchte nur, daß wir manchmal allzusehr vollgepackt mit Zeitungslektüre an die Lösung Probleme unserer Zeit gehen.

    (Fortgesetzte Zurufe von der KPD.) Erlauben Sie mir daher, von dem, was die Tagesjournalistik bringt, ein wenig Distanz zu nehmen.


    (Anhaltende Zurufe von der KPD.)

    — Vielleicht profitieren sogar die Herren von der äußersten Linken davon.

    (Abg. Renner: Ich habe aber Ihre Rundfunkrede gehört!)

    — Sehr erfreulich, Herr Renner. Es ist ein Kompliment für mich, wenn Sie mich am Rundfunk anhören.

    (Abg. Renner: Ich höre ja den Adenauer, weil ich muß!)

    — Nett von Ihnen!

    (Heiterkeit.)

    Meine Damen und Herren, ich habe auch einige
    erfreuliche Dinge in der Rede des Herrn Reimann
    festgestellt. Es hat mich, muß ich sagen, mit einem
    gewissen Vergnügen erfüllt, daß er einer bestimmten bürgerlichen Schicht, repräsentiert durch die
    Herren Niemöller und Heinemann und durch Frau
    Wessel wachsende politische Reife zugestanden hat.

    (Zustimmendes Lachen in der Mitte.)

    Wenn man allerdings das politische Wörterbuch,
    die Fachsprache des Bolschewismus kennt, dann ist
    man solchen Zensuren gegenüber etwas vorsichtig.

    (Abg. Renner: Das hat er ja gar nicht gesagt!)

    In diesem Fachwörterbuch, das noch nicht erschienen ist, würde Aggressor etwa so definiert sein: Aggressor gleich

    (Abg. Rische: Adenauer!)

    jedermann, der mit der politischen Auffassung der Sowjetunion nicht einverstanden ist.

    (Beifall in der Mitte.)

    Ich will aber einmal trotz meines Mißtrauens gegen die bolschewistische Fachsprache ein Wort in der Rede von Herrn Reimann ernst nehmen; das


    (Kiesinger)

    ist das Wort von dem Friedenspakt, den die Sowjetunion anstrebe.

    (Abg. Renner: Ja!)

    Herr Reimann, auch Sie haben heute in der Rede des Herrn Bundeskanzlers gewiß mit Aufmerksamkeit einen Satz vernommen: als er darauf hinwies, daß auch die Macht, die Sie den großen Freund des deutschen Volkes zu nennen belieben, vielleicht etwas gewinnen könnte aus dem, was er sagt.

    (Abg. Renner: Seit 1945 hetzt er ununterbrochen!)

    Er hat sehr ernste Worte gesagt, die von dem „großen Freund" Deutschlands durchaus erwogen werden sollten.

    (Zuruf von der KPD: Mit Kanonen hater gedroht!)

    Bezüglich des Friedenspakts, den die Sowjetunion erstrebe, kann ,ich Ihnen nur sagen: wenn die Sowjetunion wirklich einen Friedenspakt erstrebt, dann hat sie dazu unsere ganze, aus vollem Herzen kommende Unterstützung.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. Lebhafte Zurufe von der KPD.)

    (Erneuter Beifall bei den Regierungsparteien. — Zuruf des Abg. Renner. — Abg.
    Rische: Sie sollten ein Theologe werden,
    Herr Philosoph!)
    — Nicht schlecht! Der theologische Beruf ist nicht der schlechteste in dieser Welt; ich bin nur zu unwürdig dazu, ihn zu bekleiden.

    (Abg. Majonica: Dann könnten Sie vor allen Dingen Teufel austreiben.— Abg. Renner: Soweit sind wir noch nicht, mit dem Austreiben!)

    Aber nun einmal ein ernstes Wort zu der Frage der Legitimation, die von Herrn Ollenhauer heute früh angesprochen worden ist, zu der Frage unserer Legitimation, an dieses todernste Problem heranzugehen. Ich habe das Gefühl, daß bei der Diskussion um diese Frage der Legitimation vielfach so getan wird, als wäre die Lage, in der wir uns jetzt befinden, erst hier und heute entstanden, als wäre es nicht eine Situation, die genau so vorgelegen hat, als die Wahlen zu diesem Bundestag stattfanden.

    (Sehr richtig! in der Mitte.)

    Erlauben Sie mir einmal, nicht nur die Zeitungen zu lesen, sondern die Stimme eines Mannes zu zitieren, der schon im Jahre 1835

    (Zuruf links: Das ist aber lange her!)

    den Zeitungslesern von damals ein warnendes Wort zugerufen hat; es war der geniale junge Franzose Alexis de Tocqueville, der folgendes gesagt hat:
    Zwei Völker gibt es heute auf der Welt, die, von verschiedenen Ursprüngen her, sich demselben Ziel zu nähern scheinen:

    (Abg. Rische: Rassismus!)

    Es sind die Russen und die Amerikaner. Beide haben sich sozusagen im Verborgenen entwickelt, und während die Aufmerksamkeit der Völker auf andere Gegenstände gerichtet war, haben sie sich plötzlich auf die ersten Ränge unter den Völkern gesetzt. . . .
    Alle anderen Völker scheinen ungefähr die
    ihnen von der Natur vorgezeichneten Grenzen
    erreicht zu haben, ... sie aber stehen noch im
    Wachstum, . . . gehen leichten und raschen Schrittes einen Weg, dessen Ende das Auge noch nicht zu erkennen vermag.
    Um sein Ziel zu erreichen, stützt sich der eine auf das persönliche Interesse, läßt Kraft und Verstand schalten, ohne ihnen Vorschriften zu machen. Der zweite konzentriert in einem einzigen Menschen die gesamte Macht des Staates. Der eine hat als Mittel des Handelns die Freiheit, der andere die Knechtschaft.
    Ihr Ursprung ist verschieden wie ihre Wege, und doch scheint jeder von ihnen nach einem geheimen Plan der Vorsehung berufen, eines Tages in seinen Händen die Geschicke der halben Welt zu halten.

    (Lebhafte Zurufe von der KPD.)

    Das ist im Jahre 1835 gesprochen worden. Ich mache darauf aufmerksam: es ist nicht nur vorausgesagt worden, daß diese beiden großen Mächte einmal für das Schicksal der Menschheit dieser Erde bestimmend sen werden, sondern es ist gleichzeitig auch vorausgesagt worden, mit welchen Methoden diese beiden Mächte das Geschick der Menschheit bestimmen würden, die einen mit dem Mittel der Freiheit, die unzulänglich, mangelhaft, problematisch wie immer sein wird, die anderen aber mit dem eindeutigen Mittel der Sklaverei. Diese Situation bestand also schon lange. Wenn die deutsche Außenpolitik in den Jahren nach 1900 und vor 1914 begriffen hätte, welchen Gang die Weltgeschichte nimmt, dann wäre es nicht zum ersten Weltkrieg gekommen, und wenn sie dasselbe nach 1933 begriffen hätte, verdeutlicht durch die Erfahrung der Katastrophe des ersten Weltkrieges, dann wäre es nicht zur Katastrophe von 1945 gekommen. Sorgen wir dafür, daß wir es jetzt endlich voll begreifen!

    (Lebhafte Zustimmung bei den Regierungsparteien.)

    Ich rede hiermit nicht einem geschichtsphilosophischen Fatalismus das Wort. Ich bin durchaus der Meinung - es ist in den Worten meines Freundes Strauß angeklungen —, daß Europa noch eine Aufgabe hat und daß Europa in dieser Welt zwischen den großen Mächten eine bedeutende, vielleicht sogar eines Tages eine rettende Rolle spielen kann. Das besagt aber nicht, daß wir uns einbilden dürften, wir hätten jene Zeit, die schon einmal die deutsche Politik zu haben geglaubt hat. Die Kenner der Geschichte unter Ihnen darf ich daran erinnern, daß es die These der „Grauen Eminenz", die damals vor 1914 bestimmend für die deutsche Außenpolitik war, gewesen ist, man habe Zeit und dürfe in dem großen Weltringen zwischen Rußland und dem großbritannischen Weltreich leichtsinnig hin und her lavieren. Dieses leichtsinnige Hin- und Herlavieren hat uns die Tripelallianz eingebracht, und im Jahre 1907, nicht im Jahre 1918, hat Deutschland den ersten Weltkrieg verloren.

    (Richtig! bei den Regierungsparteien.) Wenn also heute früh von Herrn Ollenhauer gesagt worden ist, man solle nicht immer das Zeitelement in die Debatte werfen, so muß ich dem widersprechen. Wir müssen das Zeitelement in die Debatte werfen. Man darf mit der Zeit nicht leichtsinnig spielen, weil man sie sonst leichtsinnig verspielt.


    (Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Herr Ollenhauer hat auch einen anderen Appell an uns gerichtet; er hat gesagt, wir dürften nicht an das Gefühl appellieren. Richtig, und gerade in


    (Kiesinger)

    der Außenpolitik ist es eine alte Weisheit, daß man nicht an das Gefühl appellieren sollte. In Demokratien und gerade in Domokratien, die auf so wenig Tradition zurückzuschauen haben wie die unsere, ist es besonders gefährlich, an das Gefühl zu appellieren.

    (Sehr wahr! in der Mitte.)

    Wenn ich Sie erinnern darf, daß es einmal in der Geschichte der Vereinigten Staaten einen Augenblick gab, da der populärste Mann dieser Geschichte, Washington, seine ganze Autorität aufbieten mußte, um sich gegenüber einer aufgeregten Volksmeinung durchzusetzen — und er hat damals beinahe seine ganze Popularität verspielt —, als er sich entgegen der öffentlichen Meinung dagegen stellte, daß sich Amerika an der Seite Frankreichs in einen Krieg gegen England begibt, dann sehen Sie, wie schwer es mitunter ist, in der Außenpolitik gegenüber einer durch Gefühle aufgeregten Masse einen festen Kurs zu steuern.

    (Sehr richtig! in der Mitte.)

    Der Appell in das Gefühl in diesem Punkt ist besonders gefährlich; Sie haben recht. Meine Herren, wissen Sie denn, wen Sie durch Ihren Appell an das Gefühl hinter sich sammeln, heiße er Herr Heinemann, heiße er Herr Niemöller, heiße sie Frau Helene Wessel? Es sind nicht die Leute, die Sie anzusprechen glauben. Hinter ihnen steht wachsend mehr und mehr das radikale „Ohne mich".

    (Lebhafte Zustimmung bei den Regierungsparteien.)

    Und — so paradox es klingen mag — in diesem Rahmen des radikalen „Ohne mich" befinden sich heute jene, die in den Jahren nach 1919 im völkisch-nationalistischen Lager standen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Renner: Dann wäre j a Lehr auch dabeigewesen! Heiterkeit.)

    Es war ein teuflischer Geist, der in diesem Lande
    das Wort von der „Remilitarisierung" erfunden hat.

    (Sehr richtig! in der Mitte.)

    Wem geht es denn hier um „Remilitarisierung"? Höchstens ein paar Narren denken daran.

    (Abg. Renner: Nee, nee, Adenauer!)

    Was sich hier begibt, ist etwas ganz anderes als „Remilitarisierung".

    (Zuruf von der KPD: So beschimpfen Sie Ihren Parteichef als Narren!)

    — Die Logik war nie Ihre starke Seite! Um was geht es wirklich? Das deutsche Volk hat nach 1945 ganz gewiß seinen Willen bekundet: Nie wieder Militarismus alten Schlages! Wir können diesen Militarismus alten Schlages nicht getrennt von dem betrachten, was mit dem Jahre 1945 nach unserer festen Überzeugung auf Nimmerwiederkehr untergegangen ist. Was ist denn untergegangen? Untergegangen ist die Welt des alten nationalen Machtstaates; untergegangen ist die Welt der nationalen und machtpolitischen Anarchie und all das, was dazu gehörte. Dazu gehörte auch eine ganz bestimmte Art der Wehrverfassung, eine ganz bestimmte Art des Heeresgeistes, des Soldatengeistes und was damit zusammenhängt. Die nationalen Heere waren Instrumente der nationalstaatlichen Machtpolitik, jener Machtpolitik, die auf Expansion, Macht, Ehre, Ruhm aus war; sie hat Form, Gehalt und Geist jener Heere bestimmt. Es war Preußens Gloria, und Frankreichs Gloire, die im Jahre 1945 endgültig verschieden sind.
    Wir sind in eine neue Epoche eingetreten. Daran glauben alle, denen es um die Zukunft der Menschheit heute ernst ist. Diese neue Epoche heißt nicht mehr nationalstaatliches Gegeneinander, heißt nicht mehr ewiger europäischer Bürger- und Bruderkrieg, sondern sie heißt: Gemeinschaft der freien Völker.

    (Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Solange wir nicht in einer Welt leben, in der das Lämmlein friedlich neben dem Wolf grasen kann, muß eine solche Gemeinschaft darauf bedacht sein, sich zu wehren, wenn es nottut, gegen diejenigen, die sie nicht dulden wollen. Wenn also heute daran gedacht ist, daß das deutsche Volk in dem Gesamtgefüge einer internationalen, einer übernationalen, einer europäischen und darüber hinausreichenden Verteidigungsgemeinschaft einen Wehrbeitrag leistet, so ist das etwas ganz und gar Neues und hat mit „Remilitarisierung" auch nicht das geringste zu tun.

    (Lebhafte Zustimmung bei den Regierungsparteien.)

    Aus dieser Schau müssen wir und muß vor allen Dingen die Masse, die verstörte, aufgeregte, irregeführte Masse des deutschen Volkes das Problem sehen.

    (Sehr richtig! in der Mitte. — Abg. Rische: Na, na!)

    Niemand in diesem Volk, davon bin ich überzeugt, wird, wenn das Gespräch von Mann zu Mann und von Frau zu Frau in tiefstem Ernst geführt wird, sich dieser Einsicht verschließen.
    Es hat in der Geschichte der Wehrverfassungen je und je solche Revolutionen gegeben. Als man am Beginn des letzten Jahrhunderts, welcher zugleich der Beginn der nationalstaatlichen Entwicklung war, von den Wehrverfassungen des fürstlich-absolutistischen Heeres zum modernen Volksheer überging, hatten wir eine solche Zäsur. Die Zeit dieses Nationalstaates ist zu Ende. Wir haben eine neue. Das neue Heer ist kein nationalstaatliches Heer mehr, meinetwegen, wenn Sie wollen, meine Herren von der äußersten Linken, kein imperialistisches Heer mehr, sondern ein Heer zur Verteidigung des Friedens.

    (Zuruf von der KPD.)

    - Ich habe von Ihrem Wörterbuch schon gesprochen und davon, wie man es auslegen soll.

    (Abg. Rische: Sie kriegen einen Lehrstuhl für Wehrphilosophie!)

    Und insbesondere an die Adresse unserer sozialdemokratischen Kollegen, denen Herr Reimann so freundlich klargemacht hat, was sie „eigentlich" wollen — Ihnen soll besonders gesagt sein: in der Frage der Legitimation muß man die Dinge wirklich von weither sehen. Ist es denn im Jahre 1949 anders gewesen als heute? Was hat dieses deutsche Volk, als es gewählt hat, und was haben wir, als wir uns wählen ließen, gedacht? Es ist schade, daß der Herr Ollenhauer nicht da ist. Ich hätte ihm gern gesagt: es hat mich heute früh befremdet, daß er so wenig von dem Mandat hält, das man ihm im Jahre 1949 übertragen hat.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Ich bin in dieses Parlament nicht mit dem Gefühl
    eines beschränkten Mandats eingezogen. Ich habe
    damals den mir angebotenen sicheren Wahlkreis
    zunächst abgelehnt, eben in dem Gefühl für die
    ungeheuer verantwortungsvollen Entscheidungen,
    die in den kommenden vier Jahren auf uns warten


    (Kiesinger)

    würden. Sie mögen sagen, das war Ängstlichkeit. Ich habe mich dann anders besonnen und im Bewußtsein dessen, was auf uns zukommt, die Entscheidung für die Politik getroffen. Ich habe von Anfang an gesehen, daß die Entwicklung, die vor uns steht, doch nur der Vollzug eines seit langem begonnenen Prozesses ist. Ich habe nicht an eine weltgeschichtliche Pause zugunsten des Deutschen Bundestages geglaubt!

    (Sehr gut! bei den Regierungsparteien.)

    Wenn ein gelehrter Kritiker jüngst in einem Aufsatz gesagt hat, das Grundgesetz sei so durch und durch antimilitaristisch und pazifistisch, daß es einen Gestaltwandel dieses. Grundgesetzes bedeuten würde, wenn man nunmehr durch ein Gesetz das Wehrproblem behandelte, so kann ich diesem Gelehrten nur entgegenhalten: Wenn du damit — und er läßt es anklingen, denn ein leichter Stoßseufzer nach der Herrlichkeit des alten deutschen Heeres steht in dem Aufsatz auch drin — die alte Remilitarisierung meinst, dann ist das Grundgesetz pazifistisch, und wenn du den alten Militarismus meinst, dann ist das Grundgesetz antimilitaristisch, dann sind wir es alle aus ganzem Herzen; wenn du aber glaubst, daß man sich in diesem Grundgesetz der Illusion hingegeben habe, daß die Freiheit etwas sei, was uns geschenkt sei, dann brauchen wir nur noch die Sirenengesänge von der äußersten Linken zu hören, um zu wissen, daß sie täglich bedroht ist und daß sie daher auch täglich geschützt werden muß. Wir haben den Mut, sie zu schützen.
    Ich will mich hier nicht auf genauere juristische Auseinandersetzungen über den Inhalt des Grundgesetzes und über die einzelnen Bestimmungen einlassen, die herangezogen werden können, um unsere Legitimation darzutun, durch ein Bundesgesetz das Wehrproblem anzupacken. Der Herr Bundeskanzler hat mir heute früh in seinen Ausführungen einige sehr gute Argumente vorweggenommen. Es kann gar kein Zweifel sein, daß sich unsere Grundgesetzgeber bei den Beratungen im Parlamentarischen Rat darüber einig waren, daß man diese Demokratie und diese Demokratie im Gesamtverband der demokratischen Welt verteidigen müsse. Nicht nur das, was der Herr Kollege Schmid ausgeführt hat, daß im Rahmen einer kollektiven Sicherheit an eine solche Verteidigung gedacht werden dürfe, ist da beschlossen worden, sondern auf ausdrücklichen Antrag des jetzigen Justizministers Dr. Dehler, der darauf hingewiesen hat, daß sich kein Volk der Pflicht der Selbstverteidigung entziehen dürfe, ist nicht der Krieg, sondern der Angriffskrieg allein im Grundgesetz verpönt worden. Ich gestehe gern, daß ich mit dem Kollegen Professor Schmid einig gehe: auch mein Wunsch ist es, daß es uns gelingen möge, die Frage der Sicherheit in Zukunft immer nur im Rahmen des Schutzverbandes der freien Welt zu lösen, und daß niemals wieder die Notwendigkeit an uns herantreten möge, das Wehrproblem aus eigenen Kräften und allein anzupacken. Solange das aber noch nicht der Fall ist, müssen wir alles tun, um diesen übernationalen Wehrverband, Verteidigungsverband und Kulturverband zu schaffen.
    Was anders ist denn die Anstrengung des Regierungschefs in diesen ganzen zwei Jahren hier gewesen, als mit Geduld und Zähigkeit trotz Enttäuschungen von innen und außen diesen schweren Weg zu gehen und Schrittmacher der europäischen Einheit zu sein? Wer von Ihnen im Ausland gewesen ist und die Stimmen der Menschen draußen
    gehört hat, den mußte die Freude packen, wenn er hörte, wie hier ein führender deutscher Staatsmann durch das Maß, durch die Klugheit, durch die Geduld und die Festigkeit in der deutschen Politik jenen Kredit zurückgewonnen hat, den das deutsche Volk als der Bankrotteur, der es 1945 war, gar nicht innerhalb weniger Jahre von der Welt zurückzuerlangen erwarten durfte.

    (Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien. — Zurufe von der KPD.)

    Unsere Legitimation, das Problem anzupacken, kann nicht bestritten werden. Wir werden uns in den kommenden Monaten den Gesprächen, den Argumenten, die sich auf Einzelheiten beziehen, nicht entziehen. Wir sind überzeugt, daß wir diese Auseinandersetzungen nicht zu fürchten haben.

    (Zuruf links: Fragen Sie das Volk!)

    Wir bitten dabei aber auch die Welt jenseits unserer Grenzen zu verstehen, um was es uns geht. Ich möchte in dieser ernsten Stunde vor allen Dingen auch für meinen Teil einen Appell an das französische Volk und seine politische Führung richten. Ich weiß, daß es diesem Volk nicht leicht fällt, nach dem, was es erlebt hat, den Glauben und das Zutrauen an Deutschland zurückzugewinnen. Aber ich bitte es, sich durch nichts, zu allerletzt — genau so wenig wie wir — durch Politiker von vorgestern, die nichts gelernt haben,

    (Bravo! in der Mitte)

    in einen gegeneuropäischen Kurs hineinsteuern zu lassen.

    (Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Die Millionen von' Franzosen, von Frauen, Männern und Kindern drüben wollen den Frieden genau so wie wir, und sie wollen die Freiheit genau so wie wir.

    (Sehr gut! in der Mitte.)

    Glauben wir, daß die große Mehrheit unserer Völker es gut mit dem anderen meint! Haben wir Zutrauen zueinander, lassen wir uns nicht durch zweit- und drittrangige Fragen voneinander trennen! Stellen wir die nationalen Egoismen zurück! An uns beiden, - an uns beiden vornehmlich liegt es, ob das große Werk, das unserer Generation aufgegeben ist, gelingt, das Werk: Freiheit und Frieden für Europa immerdar!

    (Langanhaltender, lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)



Rede von Dr. Hermann Schäfer
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Tillmanns, Christlich-Demokratische Union.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Robert Tillmanns


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Ollenhauer hat in seiner Rede gemeint, daß eigentlich eine besondere Bedrohlichkeit in der gegenwärtigen Situation nicht bestehe und infolgedessen auch kein besonderer Anlaß zu Anstrengungen zur Verteidigung bestehe. Damit hat Herr Ollenhauer die Frage gestellt, ob die Sowjetunion überhaupt zu kriegerischen Mitteln greifen werde. Er hat dargelegt, daß es ihr viel eher um innere Zersetzung zu tun sei, um kalten Krieg. Ich glaube, hier ist eine Kernfrage in dem gesamten Komplex angesprochen, mit dem wir es zu tun haben. Wahrscheinlich hat Herr Kollege Ollenhauer recht, wenigstens im Hinblick auf die ideologische Grundlage des Leninismus und Stalinismus. Dieser lebt von der These der Weltrevolution. Der Leninismus


    (Dr. Tillmanns)

    sieht nun einmal die Entwicklung der Menschheit in der Richtung, daß die gesellschaftlichen Bedingungen dazu führen, daß der Kommunismus schließlich in allen Völkern zur Macht kommt. Er sieht in dieser Entwicklung zum Kommunismus eine Art Naturnotwendigkeit, gegen die im Grunde nichts zu machen ist. Nach der Auffassung des Bolschewismus ist es eben das Ziel der Geschichte, daß schließlich der Sozialismus nur dadurch erreicht werden kann, daß er in allen Völkern herrscht. Die Kehrseite dieser doktrinären Überzeugung ist die These vom unaufhaltsamen Zerfall der kapitalistischen Welt. Der Bolschewismus kennt im Grunde nichts anderes als auf der einen Seite die kommunistische und auf der anderen Seite die kapitalistische Welt; zu dieser in sich zerfallenden kapitalistischen Welt gehört alles, was nicht bolschewis lisch ist, gehören vor allen Dingen auch sämtliche sozialistischen Systeme des Westens und 'Europas.

    (Sehr richtig! in der Mitte.)

    Auf dieser ideologischen Grundlage ist die Politik der Sowjetunion in Deutschland, nachdem sie in unser Land einmarschiert war, begonnen worden. Sie hat zunächst geglaubt, daß sie ihre Herrschaft mit politischen Mitteln erringen und festigen könne. Sie hat deswegen die Aufrichtung der bolschewistischen Herrschaft in der Sowjetzone Deutschlands zunächst mit verhältnismäßig wenig Anwendung von Gewaltmitteln betrieben, dann aber, als sich Widerstände zeigten, immer mehr Gewalt angewandt, um die an sich feststehende Erwartung, der Kommunismus werde die Macht erringen, zu verwirklichen. Im übrigen Deutschland und in den übrigen Teilen Europas hat die sowjetische Politik in der gleichen Zeit alles getan, v um die gesellschaftliche Ordnung weiter zu zerrütten — z. B. in der Deutschen Bundesrepublik durch das Hineinschicken von 9 Millionen Flüchtlingen — in der Hoffnung, daß sich in dieser Elendssituation die Frucht des Bolschewismus entwickeln werde. Vergleichbares hat man mit Streiks in Italien und Frankreich durchzuführen versucht, alles mit dem einzigen Ziel, die Weltrevolution politisch durchzusetzen.
    Die Grundlage dieser Politik ist diese doktrinäre Selbstsicherheit der Sowjets. Zu der Zeit, als wir im Hauptvorstand der Christlich-Demokratischen Union der Sowjetzone — Jakob Kaiser und andere Freunde — politische Verantwortung trugen, haben wir einmal mit dem damaligen Chef der politischen Verwaltung der sowjetischen Militäradministration, Oberst Tulpanow, eine hochinteressante Unterredung gehabt. In dieser Unterredung hat Herr Tulpanow versucht, uns klarzumachen, daß wir doch geradezu wahnsinnig seien, wenn wir uns mit der westlichen Welt verbündeten, denn diese westliche Welt, vor allen Dingen die Vereinigten Staaten von Amerika, würden sicher im Strudel der kapitalistischen Krisen zugrunde
    gehen. (Hört! Hört!)

    Und er sagte uns damals, Ende 1946: Spätestens im Jahre 1948 kommt die große Arbeitslosigkeit, kommt die große Wirtschaftskrise in den Vereinigten Staaten, und dann gehört der Westen uns! Auf die Frage des heutigen Bundesministers für gesamtdeutsche Fragen an Herrn Tulpanow, was denn passiere, wenn diese Erwartung sich nicht erfülle, lachte Herr Tulpanow zunächst, und nach einiger Überlegung sagte er: Ja, wissen Sie, dann, dann werde ich Mitglied der Christlich-Demokratischen

    (Große Heiterkeit.)

    Union! Meine Damen und Herren, was ich hier sage, ist höchster Ernst, nur in scherzhafter Form ausgedrückt. Dann, wollte Herr Tulpanow sagen, ist euer Glaube richtig und meiner falsch!

    (Hört! Hört! in der Mitte.)

    Davon muß unsere Gesamtbetrachtung des Problems ausgehen. Die Erwartung, die Durchsetzung der Macht der Sowjets in Deutschland und Europa werde sich allein mit politischen Mitteln vollziehen, hat sich nicht erfüllt!

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    An dem Widerstand der Arbeitermassen in Berlin
    und in der Sowjetzone ist es offenbar geworden,

    (Erneute Zustimmung bei den Regierungsparteien)

    daß sich die Erwartung der Bolschewisten,. auch hier in Europa — wie etwa in Asien — ihre Macht mit rein politischen Mitteln durchsetzen zu können, nicht verwirklicht hat. Die Gründe, warum die Arbeiterschaft und die Bevölkerung der Sowjetzone dem Bolschewismus nicht verfallen sind, liegen auf der Hand. Sie ergeben sich aus der völlig anderen sozialen Situation, aus anderen sozialen Vorstellungen und Gegebenheiten, wie sie sich bei uns in Europa entwickelt haben, und von denen die, die als vermeintliche Befreier aus dem Osten kamen, keine Vorstellung hatten.

    (Sehr richtig!)

    Es bleibt bestehen, daß der Nimbus der Unwiderstehlichkeit des Bolschewismus in der Sowjetzone zerstört worden ist.
    Dazu kam, daß die westlichen Alliierten, die zunächst glaubten, im Kontrollrat eine gemeinsame Deutschland-Politik mit den Sowjets treiben zu können, unter dem Zwang der expansiven Politik des Bolschewismus ihre politische Konzeption geändert haben. Von der Politik der Niederhaltung Deutschlands ist die große Wendung vollzogen worden zur aktiven wirtschaftlichen Unterstützung Europas und Deutschlands durch den Marshallplan und andere Mittel, die in gemeinsamer Anstrengung geschaffen worden sind, um die Voraussetzungen für eine Gesundung der wirtschaftlichen Verhältnisse in Europa und Deutschland herbeizuführen.
    Seit mindestens zwei Jahren wissen die Sowjets, daß sie ihr Ziel in Deutschland mit rein politischen Mitteln nicht mehr erreichen. Natürlich können sie ihr weltrevolutionäres Ziel deshalb nicht aufgeben. In der Sowjetzone haben sie die Anwendung von Gewalt und Terror von Monat zu Monat gesteigert.
    Auch auf die Deutsche Bundesrepublik und ihre Bevölkerung wird ein immer stärkerer politischer Druck ausgeübt, aber nicht mehr mit kommunistischen Parolen — denn man weiß drüben längst, daß die keine Wirkung mehr haben —, sondern mit getarnten Parolen wie „Nationale Front", „Nationaler patriotischer Zusammenschluß der Deutschen" — wir haben es ja heute nachmittag in sehr beredter Weise von Herrn Reimann gehört —, und vor allen Dingen mit der Erzeugung von Gegnerschaft und Haß gegen die westlichen Besatzungsmächte.
    Die entscheidende Frage ist die, ob die Politik der Sowjetunion in der Form dieser ständigen Verstärkung des Druckes eines Tages auch zu dem Mittel der bewaffneten Intervention in Europa greift. Das Beispiel Korea zeigt, daß sie dessen fähig ist.

    (Sehr gut! in der 'Mitte und rechts.)



    (Dr. Tillmanns)

    Die Sowjetunion wird trotz des deterministischen Charakters ihrer Doktrin eines Tages doch der Versuchung verfallen, es auch in Europa mit Gewaltmitteln zu versuchen, wenn sie glaubt, daß das für sie kein Risiko bedeutet, d. li. wenn sie glaubt, daß die Anwendung der Gewalt in Deutschland und Europa nicht zu einem neuen Weltkrieg, nicht zu einem Krieg mit den Vereinigten Staaten von Amerika führen wird. Daraus ergibt sich die gemeinsame Aufgabe der westlichen Völker, das Risiko für einen solchen Schritt der sowjetischen Politik so groß zu machen, daß sie ihn nicht wird tun können. Dieses gemeinsame Unternehmen ist nur möglich im Zusammenwirken mit den Vereinigten Staaten von Amerika und den Atlantikpaktmächten. Es kommt eben darauf an, den Schutz seitens der Atlantikpaktmächte und der Vereinigten Staaten von Amerika, wie er in der Garantieerklärung vom Herbst 1950 festgelegt ist, für Europa und für Deutschland zu festigen. Das aber geht nur mit unserer Mitwirkung für eine längere Dauer von Jahren. Das allein ist der Sinn der Partnerschaft der freien Welt.

    (Zustimmung bei den Regierungsparteien.) Herr Ollenhauer hat heute mittag die Forderung gestellt, die Westmachte müß .en entschlossen sein, Deutschland mit derselben Entschiedenheit zu, verteidigen wie ihr eigenes Gebiet. Das ist vollständig richtig. Aber glauben Sie, Herr Ollenhauer, daß Sie das erreichen, wenn wir nein sagen? — Unsere Beteiligung hat doch überhaupt nur den Sinn, diese Bereitschatt der Westmächte, Deutschland mit derselben Entschiedenheit wie ihr eigenes Gebiet zu verteidigen, zu stärken und festzuhalten.


    (Sehr richtig! bei der CDU.)

    Die Sowjets bemühen sich selbstverständlich mit allen Mitteln, diese sich bildende Verteidigungsgemeinschaft der westlichen Welt zu verhindern und zu zersetzen. Das ist der Zweck der Anerbietungen von Gesprächen über deutsche Einheit und freie Wahlen.

    (Sehr wahr!)

    Man versucht, uns auf diesem Wege aus der Gemeinschaft der freien Völker herauszuziehen.

    (Abg. Dr. Wuermeling: Sehr richtig!)

    Das ist der Sinn ihrer Friedenspropaganda: die Deutschen davon zu überzeugen, daß wir uns nicht zu verteidigen brauchen, um auf diese Weise eine seelische Situation zu schaffen, in der die deutsche Mitwirkung an der gemeinsamen Verteidigung der westlichen Welt nicht mehr möglich ist und damit letzten Endes diese Verteidigung überhaupt in sich zerfällt. Während man von drüben her versucht, das deutsche Volk mit Verlockungen zu Gesprächen über freie Wahlen und mit Friedensparolen zu verführen, macht man im Ausland genau das Entgegengesetzte. Dort versuchen die Sowjets den Haß gegen Deutschland zu schüren.

    (Sehr wahr! in der Mitte.)

    In Frankreich und in den Vereinigten Staaten versucht man, das deutsche Volk wieder als eine völlig nazistische Bande hinzustellen, zu der man kein Vertrauen haben kann.

    (Sehr wahr! bei den Regierungsparteien.)

    So geht das Bemühen der sowjetischen Politik
    dahin, uns durch Verlockungen zum Verzicht
    auf gemeinsame Verteidigungsbemühungen zu
    bringen und draußen die Gegnerschaft gegen
    Deutschland, die noch nicht vollständig begraben
    ist, zu schüren und aufs neue lebendig zu machen.

    (Abg. Kiesinger: Ausgezeichnet!)

    Das einzige Ziel dieser sowjetischen Politik besteht darin, die gemeinsame Verteidigung zum Auseinanderbrechen zu bringen, der Politik der Vereinigten Staaten von Amerika in Europa den Boden zu entziehen.
    Wenn heute gesagt wurde, daß es ausgeschlossen sei, daß sich die amerikanische Politik ändere und daß Amerika sich eines Tages von Europa zurückziehen könne, so mag das im Hinblick auf die heutigen Politiker in den Vereinigten Staaten richtig sein. Aber ich glaube, wir dürfen diese Frage nicht so leichtfertig behandeln. Wir müssen uns doch darüber klar sein, daß die heutige Politik der Vereinigten Staaten, die Europa und Deutschland in die Verteidigungsanstrengungen einbezieht, große wirtschaftliche und finanzielle Anstrengungen vom amerikanischen Volk verlangt, daß sie vor allem auch eine seelische Belastung mit sich bringt.

    (Zuruf des Abg. Loritz.)

    Oder glauben Sie, daß die junge Generation in den Vereinigten Staaten von Amerika mehr Lust hat, Soldat zu spielen, als unsere Jugend?

    (Abg. Dr, von Brentano: Sehr gut!) Glauben Sie etwa, daß die Mütter in Amerika so glücklich darüber sind, daß ihre Söhne an der Weser Soldat sein sollen? Glauben Sie, daß der • Schutz der USA auf die Dauer aufrechtzuerhalten ist, wenn wir nein sagen? Der ganze Sinn unseres Verteidigungsbeitrages besteht darin, diesen Schutz festzuhalten.


    (Abg. Dr. Wuermeling: Das sollte Herr Ollenhauer sich auch mal merken!)

    Meine Damen und Herren! Erstens ist die Geschichte der Kriege, die durch rechtzeitige Verteidigung verhindert worden sind, noch nicht geschrieben. Wenn wir einmal nachforschen würden, würden wir feststellen, daß viele Kriege auf diese Weise verhindert worden sind. Zweitens nimmt man, wenn man so spricht, nicht davon Kenntnis, daß wir es heute mit einem Gegner zu tun haben, der nach dem Grundsatz verfährt „si vis bellum para pacem", „Wenn du den Krieg willst, dann bereite erst einmal die Friedenswilligkeit aller Menschen vor!"

    (Sehr richtig! bei den Regierungsparteien.)

    Vor einem solchen Gegner müssen wir zu einer ganz anderen, Betrachtung unserer Aufgabe kommen.

    (Zustimmung bei den Regierungsparteien.)

    Herr Ollenhauer hat weiter die Frage gestellt, wie es mit der Wiedervereinigung Deutschlands werden solle, wenn wir uns einer europäischen Verteidigungsgemeinschaft anschließen. Wenn es wirklich einen Weg gäbe, heute direkt, d. h. ohne Weiterführung der Europapolitik, zu einer Verständigung mit den Machthabern der Sowjetzone


    (Dr. Tillmanns)

    in Freiheit zu kommen, dann müßten wir diese Chance sofort ausnutzen!

    (Zustimmung bei den Regierungsparteien.) Aber daß diese Möglichkeit nicht besteht, hat gestern Herr Kollege Wehner sehr ausführlich dargelegt. Ich habe dem nichts hinzuzufügen.


    (Sehr wahr! bei der CDU.)

    Noch ist alles, was von drüben an Gesprächsanerbieten kommt, nichts anderes als Versuche der Zersetzung, von denen ich gesprochen habe.

    (Sehr wahr! bei den Regierungsparteien.) Wenn drüben wirklich der Wille zur deutschen Einheit in Freiheit vorhanden wäre, dann wäre doch der einfachste Weg dazu, daß sich die Sowjetunion auf der internationalen Ebene — d. h. in Verhandlungen mit den übrigen Großmächten — bereit erklärt, die Einheit Deutschlands wiederherzustellen. Dann wäre der Weg offen. Aber während sie uns mit Anerbieten zu gesamtdeutschen Gesprächen verlockt, hütet sie sich, im internationalen Raum auch nur ein einziges Zeichen dafür zu geben, daß sie bereit ist, unsere Wiedervereinigung zuzulassen.


    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    In dieser Situation gibt es für uns nur einen Weg: die Gemeinsamkeit mit den Mächten der freien Welt. Und wenn Sie sagen: „dort besteht nicht die Bereitschaft zur deutschen Einheit", dann frage ich: Wenn dieser Wille zur deutschen Wiedervereinigung bei den freien Völkern nicht entwickelt wird, wie sollen wir denn dann überhaupt unsere Wiedervereinigung fertigbringen?

    (Sehr richtig! in der Mitte.)

    Das hat der Kanzler gemeint, wenn er heute morgen davon sprach, daß dieses Ziel nur in Zusammenarbeit mit den drei Westmächten erreicht werden könne. Glauben Sie etwa, durch ein Nein zur Verteidigung würde bei den anderen europäischen Völkern die Bereitschaft zur deutschen Wiedervereinigung gestärkt werden? Sie kann doch nur durch die gemeinsame Arbeit an dem gemeinsamen Werk entwickelt werden, und daß das gelingt, das zeigt der Generalvertrag, von dem der Bundeskanzler berichtet hat. Das Ziel kann nur sein, durch Stärkung der freien Welt endgültig den Sowjets den Weg in die Gewalt zu verbauen und damit die Voraussetzung für ein echtes Gespräch über Deutschland auf internationaler Ebene zu schaffen.

    (Abg. Strauß: Sehr richtig!)

    Selbstverständlich, Herr Ollenhauer, ein Gespräch
    zwischen den vier Großmächten, und wir wünschen
    nichts sehnlicher, als daß es bald möglich werde.
    Dieser Weg schließt allerdings das Wagnis einer Verschärfung der Situation ein. Es gibt in der heutigen Lage keine Politik ohne Wagnis. Gerade deshalb müssen wir immer wieder klarmachen, daß es sich nur um die Verteidigung handelt und daß uns jede Provokation fernliegt. Der Herr Bundeskanzler hat in der Regierungserklärung vom 20. September 1949 gesagt:
    Wir sind durchaus bereit, mit unsern östlichen Nachbarn, insbesondere mit Sowjetrußland ..., in Frieden zu leben. Wir haben den dringendsten Wunsch, daß die gegenwärtig bestehenden Spannungen zwischen Sowjetrußland und den Westalliierten ihre Lösung im Laufe der Zeit auf friedlichem Wege finden. Aber wenn ich ausspreche, daß wir den Wunsch haben, in Frieden mit Sowjetrußland zu leben, so gehen wir davon aus, daß auch Sowjetrußland .. . uns und unsere deutschen Landsleute in der
    Ostzone ... und Berlin das Leben in Freiheit führen läßt, das deutschem Herkommen, deutscher Erziehung und deutscher Überzeugung entspricht.
    Wir haben keinen andern Wunsch, aber um diesem Wunsch des gesamten Volkes zur Verwirklichung zu helfen, müssen wir den Weg der gemeinsamen Verteidigung gehen.

    (Zustimmung in der Mitte. — Zurufe von der KPD.)

    Der Tag der Wiedervereinigung kommt um so eher, je geschlossener wir mit den übrigen Völkern Europas zusammenstehen. Jede Uneinigkeit hier unter uns, jedes Auseinandergehen und Gegeneinandergehen schiebt den Tag der Wiedervereinigung Deutschlands hinaus.

    (Sehr richtig! bei der CDU.)

    Aber je mehr wir uns hier zusammenfinden, die
    Parteien in der Bundesrepublik untereinander und
    wir mit den übrigen Völkern der freien Welt, um
    so eher wird dieser Tag der Wiedervereinigung
    kommen. Wenn wir nicht schon so viel Zeit vertan
    hätten, wer weiß, ob er nicht heute schon da wäre!

    (Lebhafter Beifall in der Mitte.)

    Man macht den Einwand, daß diese unsere Politik eine unerhörte Belastung der Menschen in der Sowjetzone bedeute. Das ist ein ernster Einwand, und wir wissen, daß das tatsächlich der Fall ist. Aber ich habe in den letzten Wochen und Monaten, in denen ich vielfach Gelegenheit hatte, mit Deutschen aus der Ostzone zu sprechen, niemand gefunden, der nicht gesagt hätte: Und wenn es für uns noch eine Zeit weiterer Opfer und Bedrängnisse wird, wir wissen, daß es nur diesen einen Weg gibt, daß ihr euch mit den übrigen Völkern der freien Welt zusammenfindet, um uns eines Tages die Freiheit zu erwirken. Ich meine, darauf sollten wir hören.
    Ich habe vorhin gesagt, daß es unsere Aufgabe ist, durch unser Zusammenwirken an der gemeinsamen Aufgabe der Verteidigung geradezu wie ein Magnet den Schutz der Völker der freien Welt über Deutschland festzuhalten. Meine Damen und Herren, einmal in den Jahren 1948/49, bei der Blockade Berlins, hat die Haltung der gesamten Berliner Bevölkerung,

    (Beifall in der Mitte)

    die lieber den ganzen Winter im Dunkeln und Kalten gesessen hat, als sich zu ergeben, gezeigt, daß es möglich ist, durch eine entschlossene Haltung wie ein Magnet die Hilfe der andern herbeizuziehen. Die Luftbrücke ist nur durch die Haltung der Berliner möglich geworden. Heute ist das ganze deutsche Volk in derselben Situation, und ich bin der Auffassung, daß sich dieser großen, entscheidenden Aufgabe, die uns gestellt ist, auch die Parteien der Opposition dieses Hauses nicht entziehen können.

    (Anhaltender lebhafter Beifall bei der CDU/CSU.)