Rede von
Dr.
Konrad
Adenauer
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Sie legen bei uns in der Bundesrepublik keinen Wert darauf, daß die kommunistische Partei nach außen besonders stark erscheint. Dafür haben sie bei uns bisher 48 kommunistische Tarnorganisationen geschaffen.
Sie haben in großem Umfange ihre Mitglieder aus der politischen Arbeit herausgezogen und versucht,
in den Gewerkschaften
und bei anderen Organisationen die Minierarbeit an Stellen zu beginnen und fortzusetzen, wo sie glauben, größere Macht in ihre Hand bekommen zu können.
Wie stark die Minierarbeit bei uns ist, mögen Sie daraus ersehen, daß die Kommunistische Partei bei uns 10 bis 12 Millionen D-Mark für Propaganda-und Minierarbeit zur Verfügung hat.
Wenn Sie dazu sich vor Augen halten, welche Wühlarbeit in Frankreich und Italien stattfindet, so ist das Ziel der sowjetrussischen Politik ganz eindeutig und klar: Sie wollen im Wege des kalten Krieges, der bald diese, bald jene Form annehmen kann,
in erster Linie die Bundesrepublik und im weiteren Verlauf ganz Westeuropa in ihre Hand bringen.
Ich möchte Ihnen noch eine Ziffer nennen, aus der
Sie ersehen können, wie stark die Kommunisten
versuchen, sich bei uns zu infiltrieren und Pro-
pagandaarbeit zu leisten. Täglich werden bei uns in der Bundesrepublik 30 bis 40 t Propagandamaterial beschlagnahmt.
Das Ziel der sowjetrussischen Politik in bezug auf die Bundesrepublik ist, die Bundesrepublik zu neutralisieren. Es liegt Sowjetrußland nichts daran, dieses Land in zerstörtem Zustand in Besitz zu bekommen.
Aber es liegt Sowjetrußland sehr viel daran, dieses Land mit seinem Potential an Kriegsmaterial und an Menschenmaterial in seine Hand zu bekommen, weil es weiß, daß es dann ohne weiteres das übrige Westeuropa auch in seine Hand bekommt, und weil es sich dann stark genug fühlt, den Krieg gegen die Vereinigten Staaten zu führen.
Dieser Gedanke der Neutralisierung Deutschlands,
meine Damen und Herren,
hat namentlich im Jahre 1950 in manchen politischen Kreisen Frankreichs Gehör gefunden; ich betone ausdrücklich: nicht in Kreisen der damaligen oder der heutigen französischen Regierung. Aber wir Deutsche müssen, wenn wir uns über die ganze Situation klar werden wollen, daran denken, daß es eine jahrzehntelange Linie der französischen Außenpolitik war, im Verein mit Rußland Deutschland niederzuhalten, und daß jetzt auf einmal —
und daß jetzt auf einmal an Frankreich und an die französischen Politiker die Frage herantritt, ob sie bereit sind, auf diese frühere Linie ihrer Politik zu verzichten
und zusammen mit Deutschland und den anderen westeuropäischen Ländern einen festen Damm gegen Sowjetrußland zu bilden.
Wenn ich die sowjetrussische Politik noch weiter kennzeichnen soll, meine Damen und Herren, dann brauche ich Sie nur hinzuweisen auf Korea,
auf Rotchina,
auf Persien, auf Ägypten,
auf Indochina, auf Indonesien.
(Abg. Rische: Das sagte Goebbels auch! Un-
erhört sowas! — Abg. Renner: Eine richtige
Kriegsrede, die Sie halten!)
Was, meine Damen und Herren, würde es für uns Deutsche bedeuten, wenn es Sowjetrußland gelänge, im Wege des kalten Krieges, sagen wir einmal: im Wege der Neutralisierung Deutschlands, uns in die Hand zu bekommen? Hier in diesem Hause sind seit seinem Bestehen erschütternde Darstellungen des Loses unserer deutschen Brüder im Osten gegeben worden.
Noch gestern wurde von diesem Platze aus in packender Weise darüber gesprochen.
Für uns, meine Damen und Herren, würde ein Einbeziehen der Bundesrepublik in die sowjetrussische Machtsphäre nichts anderes bedeuten als Sklaverei und Ausbeutung,
nichts anderes als Vernichtung alles dessen, was dem deutschen Volke das Leben überhaupt noch lebenswert macht.
Leider sind die Menschen außerordentlich vergeßlich,
aber wenn unsere aus Rußland heimgekehrten Kriegsgefangenen sich daran erinnern, was sie in Sowjetrußland gesehen und erlitten haben, wenn wir auf die Rufe derjenigen hörten, derjenigen Deutschen, früherer Soldaten, verschleppter Männer, (Zurufe von der KPD)
verschleppter Frauen und Mädchen, die jetzt noch in der Sklaverei dort verharren müssen, wenn wir die nötige Zeit dafür hätten, die Schilderung dessen zu lesen, was Sowjetrußland bei seinem Einbruch in Deutschland an den armen wehrlosen Männern und Frauen alles verübt hat,
dann würden wir mit Schaudern erkennen, in welch ungeheurer Gefahr hier die Freiheit und alles das — ich wiederhole es —, was uns lebenswert erscheint, schwebt.
Ich habe gestern eine Zuschrift des Verbandes der Sowjetzonenflüchtlinge bekommen.
— Ach, Herr Renner, Sie haben mal eine Zeit gehabt, wo Sie ganz nette und kluge Zurufe gemacht haben,
aber leider ist sie vorbei.
0 Diese Zuschrift des Verbandes der Sowjetzonenflüchtlinge, die mir zugeschickt worden ist mit der Bitte, sie hier dem Bundestag bekanntzugeben,
ist zu umfangreich, als daß ich das tun könnte. Aber wer von Ihnen sie lesen will, dem steht sie zur Verfügung. Es ist erschütternd, ihr zu entnehmen, was diese armen Menschen, die geflüchtet sind, dort haben ertragen müssen.
Ich möchte nun dazu übergehen, meine Damen und Herren, Ihnen in möglichst großen Zügen die Struktur des Vertragswerks und seinen wesentlichen Inhalt mitzuteilen,
um das es sich augenblicklich handelt. Es handelt sich zunächst um den Abschluß eines Generalvertrags, wie er genannt ist,
der als wesentlichen Inhalt hat die Beseitigung des Besatzungsstatuts, und zweitens um einen Vertrag über die Bildung einer europäischen Verteidigungsgemeinschaft.
Was den Generalvertrag angeht, so ist die rechtliche Lage zur Zeit die folgende. Der Generalvertrag würde geschlossen werden zwischen den drei Westalliierten — den Vereinigten Staaten, Großbritanhien, Frankreich — und der Bundesrepublik. Er ist auf der Außenministerkonferenz, die vor einiger Zeit in Paris stattgefunden hat — nicht zu verwechseln mit den Außenministerkonferenzen über die Bildung einer europäischen Verteidigungsgemeinschaft —, nicht paraphiert worden, aber man hat sich über den Wortlaut geeinigt. Aus diesem Generalvertrag muß ich Ihnen eine Anzahl 3) wesentlicher Punkte mitteilen.
Der Generalvertrag enthält zunächst eine Präambel,
in der folgende wesentliche Punkte stehen.
Zunächst wird festgestellt, daß es das gemeinsame Ziel der Signatarstaaten ist, die Bundesrepublik auf der Grundlage der Gleichberechtigung in die europäische Gemeinschaft einzugliedern — und jetzt kommt ein sehr wichtiger Satz, den ich Ihnen wörtlich vorlesen möchte —,
„die sich ihrerseits in die sich entwickelnde atlantische Gemeinschaft einfügen wird".
Ich werde auf diesen letzten Satz bei der Besprechung der Spannungen, die augenblicklich herrschen, noch zurückkommen.
In einem weiteren Passus wird festgestellt, daß die Schaffung eines völlig freien und vereinigten Deutschlands auf friedlichem Wege und die Herbeiführung einer frei vereinbarten friedensvertraglichen Regelung ein grundlegendes und gemeinsames Ziel der Signatarstaaten ist.
Ich bitte Sie, gerade diesen Passus in seiner eminenten Bedeutung zu würdigen. Zunächst bekennen sich darin — und auch noch an einer anderen Stelle des Generalvertrags — die drei Westalliierten, die Vereinigten Staaten, Großbritannien und Frankreich, zu dem gemeinsamen Ziel, auf friedlichem Wege ein völlig freies und vereinigtes Deutschland zu schaffen.
Weiter ist dadurch festgelegt, daß es für uns nicht, wie seinerzeit beim Versailler Vertrag, einen Diktatfrieden gibt,
sondern daß der Friedensvertrag frei vereinbart werden muß.
Weiter ist festgestellt, daß die Beibehaltung des Besatzungsstatuts und die sich daraus ergebenden Befugnisse zum Eingreifen in die inneren Angelegenheiten der Bundesrepublik mit dem Vertrag unvereinbar sind und daß die drei Mächte nur solche besonderen Rechte aufrechterhalten wollen, deren Beibehaltung im Hinblick auf die Besonderheiten der internationalen Lage,
das heißt auf deutsch: im Hinblick auf das Verhalten und die Einstellung Sowjetrußlands,
und im gemeinsamen Interesse aller vier Signatar-staaten erforderlich ist.
An einer anderen Stelle der Präambel ist nochmals betont, daß die vier Mächte alles das, was vereinbart werden soll, als wesentliche Schritte zur Erreichung ihres gemeinsamen Ziels eines in die westeuropäische Gemeinschaft integrierten wiedervereinigten Deutschlands anerkennen. Damit ist zum Ausdruck gebracht — und das wird in einem der Artikel des Vertragsentwurfs wiederholt —, daß nach der Wiedervereinigung Deutschlands dem ganzen Deutschland die Vorteile dieses Vertrags zuteil werden sollen, und zwar ohne weiteres.
Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich einen Satz, auf den ich später zurückkomme, vorwegnehmen: Ich glaube, daß wir die Wiedervereinigung Deutschlands nur erreichen werden mit Hilfe der drei Westalliierten,
niemals mit Hilfe der Sowjetunion.
In den Artikeln selbst ist weiter bestimmt; daß die Bundesrepublik volle Macht über ihre inneren und äußeren Angelegenheiten hat, mit gewissen Ausnahmen, auf die ich jetzt kommen werde, daß also die drei Mächte das Besatzungsstatut aufheben, daß die Alliierte Hohe Kommission sowie die Dienststellen der Landeskommissare aufgelöst und daß in Zukunft die Beziehungen zwischen den drei Mächten und der Bundesrepublik durch Botschafter unterhalten werden.
Die Vorbehalte des Vertrags, die im Hinblick auf die internationale Lage gemacht werden, beziehen sich auf die Stationierung von Streitkräften in Deutschland und den Schutz ihrer Sicherheit, auf Berlin und auf Deutschland als Ganzes einschließlich der Wiedervereinigung Deutschlands.
Wenn wir soweit sind, wird ja im einzelnen zunächst im Ausschuß darüber gesprochen werden, auch darüber, daß wir diesen Vorbehalten nur zustimmen können, weil sie im Interesse unserer Sicherheit, im Interesse Berlins und im Interesse der Wiedervereinigung Deutschlands liegen. Bezüglich der Truppen, die von den drei Mächten im Bundesgebiet stationiert werden, ist ausdrücklich gesagt, daß sie die Aufgabe haben, die freie Welt zu verteidigen, der die Bundesrepublik und Berlin angehören.
— Ich weiß nicht, ob das ein russischer Vertreter ist, der da zwischenruft,
ich kann mich nur dem anschließen, was gestern der Herr Kollege Neumann von diesem Platze aus über diese Zwischenrufer gesagt hat.
In einem der Artikel befindet sich folgende Bestimmung: „Die Bundesrepublik wird sich an der europäischen Verteidigungsgemeinschaft beteiligen, um zur gemeinsamen Verteidigung der freien Welt beizutragen". Gegen diese Bestimmung ist von einer Fraktion dieses Hauses, bzw. von der hinter ihr stehenden Partei, ein schweres Bedenken erhoben worden. Man hat ausgeführt, daß ein Junktim, eine Verbindung zwischen dem Generalvertrag und dem Eintritt in die europäische Verteidigungsgemeinschaft für sie nicht tragbar sei. Wenn wir in der Lage sein werden — ich bin es jetzt nicht, nicht etwa durch den Inhalt des Generalvertrags, ich würde ihm liebend gern der deutschen Öffentlichkeit im vollen Wortlaut unterbreiten,
aber ich bin leider durch internationale Rücksichten — —
— Na, dafür müssen S i e doch Verständnis haben.
Ich bin leider durch internationale Rücksichten — —
— — Ach, verehrter Herr Renner, ich will Ihnen sagen, wann ich zuletzt auf dem Petersberg gewesen bin: im April des vergangenen Jahres.
Meine Damen und Herren! Der Inhalt dieses Entwurfs eines Generalvertrags schließt, wie ich Ihnen eben ausgeführt habe, die Verständigung über eine gemeinsame Politik der vier Signatarmächte über die Wiedervereinigung Deutschlands auf friedlichem Wege und über die gemeinsame Verteidigung und den gemeinsamen Schutz der Freiheit in sich. Daraus ergibt sich nach meiner Meinung ganz zwangsläufig, daß diese beiden Dinge, die Bildung einer europäischen Verteidigungsgemeinschaft und das Vertragwerden dieses Entwurfs durch innerliche Gründe miteinander verbunden sind. Man hätte diese beiden Vertragswerke genau so gut in einem Vertragswerk zusammenbinden können. Das hätte aber den Nachteil gehabt, daß die Vorverhandlungen sich unendlich verlangsamt hätten. Wenn Sie die beiden Vertragsentwürfe einmal zusammen in den Händen halten, dann werden Sie — davon bin ich fest überzeugt — mit mir darin übereinstimmen, daß alles das innerlich so miteinander zusammenhängt, daß man es gar nicht voneinander trennen kann.
— Meine Damen und Herren, wenn ich über die Geschäftsführung dieses Hauses zu bestimmen hätte,
dann würde ich folgendes tun.
Ich würde, sobald die Zwischenrufe einer Fraktion eine bestimmte Zeit überschreiten, diese Zeit der Fraktion auf ihre Redezeit anrechnen.