Es geht nicht von meiner Redezeit ab. Ich kann genau so warten wie Herr Kollege Ollenhauer vorher.
Meine Damen und Herren, erlauben Sie mir zu dieser Frage nur den einen Satz. Sie sollten das Anliegen echter Föderalisten niemals in Widerspruch bringen zur Treue zu Gesamtdeutschland und niemals in Widerspruch zu unserer Sehnsucht zu Gesamteuropa.
Meine Damen und Herren, wenn Sie mich noch zu einem zweiten Satz herausfordern: Wir haben heute morgen erlebt, was sich dieses Parlament von einer absolut lächerlichen Minderheit bieten lassen muß.
Stellen Sie sich mal vor, was der Fall ist, wenn hundert von der Sorte hier sitzen.
Wir wollen deshalb nur die Garantie haben, daß die Bevölkerung die Vertreter ihres Willens wählen kann.
Wir wollen die deutsche Einheit in Freiheit wiederherstellen; aber wir wissen auch, daß die Lösung all dieser Fragen nicht allein durch unseren guten Willen herbeigeführt werden kann, sondern nur durch ein geeintes Europa, das weiß, was es will, und das als Verhandlungspartner ernstgenommen wird.
Herr Kollege Ollenhauer hat vorhin die Frage angeschnitten; er ist aber die Antwort zwar nicht über das Ziel, aber über die Methoden schuldig geblieben.
Wer auf den Anschluß der Bundesrepublik an die Gemeinschaft der freien Völker verzichtet, gibt die deutsche Einheit preis, ob er will oder nicht,
ob er es weiß oder nicht. Die verhängnisvolle These, die manchmal auch in der SPD angeklungen ist: Zuerst Einheit, dann Europa, wird von uns mit der klaren Parole beantwortet: Über die Einheit Europas zur Wiedervereinigung Deutschlands!
Wir sagen den deutschen Brüdern im Osten nicht ein Lebewohl mit den Entscheidungen, die wir getroffen haben und vielleicht noch treffen werden. Wir wollen aber auch mit ihnen kein Wiedersehen jenseits des Eisernen Vorhangs für uns haben.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, Sie, auch von der SPD, werden mir gestatten, daß ich
- o nein, ich zitiere jetzt gerade einen Parteifreund von Ihnen —, hinsichtlich der Methode das ergänze, was der Kollege Ollenhauer hier zu sagen unterlassen hat, und zwar aus dem Munde seines ebenfalls prominenten Parteifreundes
Kaisen, wenn er auch manchmal zwischen Gnade und Ungnade steht: Dort heißt es:
. . durch Verbindung mit dem Westen den politischen Status wiederzugewinnen, die wirtschaftliche Erholung zu erreichen und die Sicherheit zu erreichen, ist unser Ziel.
Um dieses Ziel zu erreichen, muß die westliche Welt einschließlich Deutschlands so fest miteinander verbunden werden, daß endlich das nächste Ziel ins Auge gefaßt werden kann, eine friedliche Übereinkunft mit Rußland zu festen Bedingungen zu erreichen, die auf der Basis der Gleichberechtigung und des Selbstbestimmungsrechts der Nationen zustande kommen muß. Nur so ist der Friede zu gewinnen und die deutsche Einheit wiederherzustellen.
Die Frage, die heute von Millionen Deutschen in berechtigtem Ernst gestellt wird, ob ein deutscher Verteidigungsbeitrag die Kriegsgefahr erhöht, kann nicht allein von der europäischen Landkarte aus entschieden werden. Die Verteidigungsgrenzen der freien Welt ziehen sich heute um den ganzen Erdball. Auf ihm gibt es viele heiße Punkte. Deutschland ist einer davon. Ein deutscher Beitrag für die europäische Verteidigungsgemeinschaft bedeutet für Rußland keine Gefahr, da die europäische Verteidigungsgemeinschaft bewußt auf dem Gedanken der Sicherung und des Verzichtes auf jeden Angriffskrieg aufgebaut ist. Rußland weiß, daß ein Angriff auf einen Staat der europäischen Verteidigungsgemeinschaft den dritten Weltkrieg auslösen würde. Die bisherigen Erfahrungen zeigen nicht, daß Rußland bereit ist, dieses Risiko auf sich zu nehmen.
Die Zeit, wo ein Angriff auf Europa einen militärischen Spaziergang bedeutet hätte, ist wahrscheinlich vorbei. Die Frage, ob diese Zeit wiederkommen wird, wird von Amerika und uns abhängen.
Die für die russische Politik verantwortlichen Männer wissen ganz genau, daß der Sieg in einer ersten Schlacht bedeutungslos wäre für den Ausgang des Krieges, der den Sowjets einen Kampf auf Leben oder Tod mit den Vereinigten Staaten einbringen würde. Rußland würde bewußt damit all das, was es in Jahrzehnten zäher und konsequenter Politik erworben hat, in Frage stellen. Rußland könnte durch einen Präventivkrieg in Mitteleuropa vorübergehende Erfolge erzielen. Es könnte aber weder in kurzer Zeit die Voraussetzungen für einen späteren Angriff der Westmächte auf Sowjetrußland zunichte machen noch eine wesentliche Verbesserung seiner Stellung für einen längeren Krieg herbeiführen. Wir sind vor einem kriegerischen Eingreifen Sowjetrußlands in Europa so lange sicher, als ein solcher Angriff dem Russen den dritten Weltkrieg einbringt. Das ist unsere klare Antwort zu der vorher gestellten klaren Frage.
Zum andern sind die Sowjets trotz ihres Propagandageschreis nicht überzeugt davon, daß die Westmächte die Absicht haben, die Sowjetunion anzugreifen. Erst ein von Amerika aufgegebenes und der inneren Zerplitterung überlassenes Land wird den sowjetischen Angreifer heraufbeschwören, weil er sicher sein kann, daß seine
Fünfte Kolonne die nötige Vorarbeit geleistet hat.
Ich darf mich bei dieser Frage auf keinen andern als auf den Kollegen Dr. Schumacher beziehen, der am 23. August 1950 in einer Pressekonferenz in Bonn in den bekannten prägnanten Formulierungen, die er liebt, erklärt hat: „Schwäche ist Kriegsanziehung." Wir haben keinen Grund, uns seiner Meinung nicht anzuschließen.
Wir müssen uns darüber im klaren sein, daß sowohl ein Nein als auch ein Ja ein Risiko bedeutet. Wenn wir aber diese Risiken gegenseitig abwägen, sollten wir ernsthaft genug sein, zu erkennen, daß ein Nein um jeden Preis — das hoffentlich, Herr Kollege Ollenhauer, nicht aus Ihrem Mund kommt, und ich möchte nicht annehmen, daß die Modalitäten bloß das Rankenwerk drum herum sind — nicht nur das größere Risiko ist, sondern gleichzeitig dieses größere Risiko bis zum bitteren Ende verewigt.
Ein deutsches Nein um jeden Preis wird zunächst keine andere Wirkung haben, als daß Deutschland das größte Risiko auf sich nimmt, daß jeder in der Welt nur mögliche und denkbare Krieg auf seinem Boden ausgetragen wird. Ein deutsches Nein um jeden Preis oder ein Ja unter unmöglichen Bedingungen wird zunächst dazu führen, daß alle Verteidigungsmittel der Westmächte auf ein Europa eingestellt werden, das einen amerikanischen Brückenkopf darstellt. Wir wenden uns mit Leidenschaft gegen die Theorie vom Brückenkopf, die auch in Amerika diskutiert wird. Aber, Herr Kollege 011enhauer, wir sind nicht verantwortlich für Dummheiten, die in Amerika gesagt werden, drum soll man uns nicht immer verantwortlich machen für Dummheiten, die bei uns gesagt werden.
— Auch die hat der heilige Geist nicht immer bevorzugt, Herr Kollege Schoettle.
Ich sage also, daß ein Nein um jeden Preis oder ein Ja unter unmöglichen Bedingungen dazu führt, daß alle Verteidigungsmittel der Westmächte auf ein Europa eingerichtet werden, das einen großen amerikanischen Brückenkopf darstellt und in dem Deutschland von beiden Seiten als das natürliche Aufmarsch- und Kampfgebiet betrachtet wird. Da ist es für uns für die Übergangszeit ein unerträglicher Gedanke, zu wissen, daß die Verteidigungspläne — in diesem Fall von den alliierten Generalstäben, die sich in ihrer Mentalität von denen der gesamten Welt nicht unterscheiden — ohne Rücksicht auf Deutschland und vielleicht sogar auf Kosten Deutschlands eingerichtet werden. Wir wollen und müssen verhindern, daß irgendwelche Verteidigungspläne für Europa gefaßt, werden, die nicht unsere Zustimmung haben und nicht auf unsere Lage in vollem Umfang Rücksicht nehmen. Wir wollen und müssen erreichen, daß die Alliierten das Risiko einer Verteidigung Europas ostwärts der deutschen Grenze vorbereiten und auf sich nehmen.
Auf lange Sicht gesehen wird ein deutsches Nein und französische Halsstarrigkeit nicht nur zum Scheitern der europäischen Einigung, sondern zu einer Verkürzung der amerikanischen Verteidi-
gungslinie führen, mit andern Worten, zur Aufgabe des kontinentalen Europa, wenn von ihm nicht in absehbarer Zeit die eigene Verteidigung unter dem Schutz der amerikanischen Garantie aufgebaut wird. Ob es gern gehört wird oder nicht, gesagt werden muß es einmal, weil es so ist. Man soll den Teufel nicht an die Wand malen und versuchen, damit politische Wirkungen zu erzielen. Man soll sich aber auch nicht scheuen, dem Volke die Wahrheit über unsere wirkliche Lage zu sagen. Wir können auf die Dauer weder den europäischen Völkern noch den Amerikanern zumuten oder von ihnen erwarten, daß sie allein Opfer für unsere Verteidigung bringen — wenn wir es ihnen auch gönnen würden —, wenn wir selbst nicht bereit sind, nach Erfüllung der notwendigen Voraussetzungen einen Teil dieser Last zu übernehmen. Der auf die große politische Ebene erhobene Standpunkt, daß es „meinem Vater recht geschieht, wenn ich mir die Hände erfriere, weil er mir keine Handschuhe kauft", mag für verantwortungslose Kindsköpfe berechtigt erscheinen; für den Träger einer echten Verantwortung ist er verantwortungslos. Allerdings hat es bisher an ausreichenden Bemühungen gefehlt, unser Volk über die wahren Bedingungen, unter denen es steht, in genügendem Maße aufzuklären.
Viele Nein-Sager können gewonnen werden, wenn man ihnen sagt, worum es geht. Sie dürfen nicht von vornherein mit den Kommunisten in einen Topf geworfen werden. Darum muß Klarheit geschaffen werden bei den jungen Menschen, bei den Frauen, bei den alten Soldaten, bei dem Millionenheer der Gleichgültigen, die da glauben, sie hätten nichts mehr zu verlieren, sie wüßten nicht, was überhaupt noch zu verteidigen wäre. Vollends kindisch wäre es, zu glauben, daß wir Deutsche nach einer sowjetischen Überrollung, wenn auch unter unangenehmen Begleiterscheinungen, ruhig weiterleben und weiterarbeiten könnten. Die Sowjets würden bei uns dasselbe tun wie in den osteuropäischen Staaten, sie würden deutsche Menschen als Vorwalze für die Rote Armee und als Kanonenfutter gegen die Amerikaner benutzen. In diesem Falle müßten wir vor einer Wiedereroberung durch den Westen beinahe genau so viel Besorgnis wie vor der sowjetischen Überrollung.
Ihre These, Herr Dr. Schmid — ach, er ist gar nicht da — —