Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die heutige und morgige Aussprache ist veranlaßt durch Anträge der Föderalistischen Union und der Freien Demokratischen Partei. Diese Anträge dürften wohl den Kreis der Erörterungen, die wir in diesem Hause zu pflegen haben, umgrenzen und abgrenzen.
Ich betone das — und werde noch darauf zurückkommen — deshalb, weil es darauf ankommt, dem Bundestag und durch den Bundestag dem deutschen Volke, der deutschen Öffentlichkeit, aber auch der ausländischen Öffentlichkeit die hauptsächlichsten, die entscheidenden Probleme,. um die es sich handelt, klar zu zeigen und die Bedeutung der ganzen Angelegenheit nicht unter einer Fülle von Einzelheiten verschwinden zu lassen.
Meine Damen und Herren! Vor einigen Tagen hat der britische Außenminister Mr. Eden im Unterhaus bei der Debatte über die Außenpolitik der britischen Regierung eine Rede gehalten, in der er sich auch mit den europäischen Schwierigkeiten beschäftigt hat, mit den Schwierigkeiten, die augenblicklich besonders sichtbar geworden sind. In dieser Rede hat er ausgeführt, daß es sich sowohl um Deutschland als auch um Frankreich und damit auch um Europa, daß es sich um wahrhaft historische Stunden und historische Fragen handele.
Ich fahre dieses Beispiel für die Bedeutung unserer Debatte an, um Sie zu bitten, daß wir alle miteinander ihr auch den Rahmen und die Form geben, die der Bedeutung der Angelegenheit und unserer gemeinsamen Verantwortung vor dem deutschen Volke entsprechen.
Heute und morgen finden die Debatten über den gesamten Fragenkomplex hier im Bundestag, am Freitag — also morgen — und nächsten Montag eine ähnliche Debatte im französischen Parlament statt. Auf diese Debatten — auf die Aussprache bei uns und auf die Debatte in Frankreich — konzentriert sich in Wahrheit diesmal die gesamte Weltöffentlichkeit, weil die Stellungnahme der beiden Länder entscheidend sein wird nicht nur für ihre Zukunft, sondern darüber hinaus für Fragen, die alle Europäer und alle westlich Orientierten und auch die östlich Orientierten angehen.
Wir sind nicht in der Lage — ebensowenig wie Frankreich —, den Parlamenten fertige Verträge vorzulegen, zu denen diese ja oder nein zu sagen hätten. Aber die Verhandlungen über solche Verträge haben doch immerhin einen Stand erreicht, der es den Parlamenten möglich macht — ohne zu den Einzelheiten Stellung zu nehmen —, über die Prinzipien, die den Verhandlungen zugrunde liegen, zu befinden. Keine Regierung kann jetzt, wie ich glaube, eine endgültige Entscheidung treffen, ohne zu wissen, ob sie die Mehrheit des Parlaments bei ihren fortzusetzenden Verhandlungen hinter sich hat.
Bei uns versucht man schon seit geraumer Zeit die Volksleidenschaften zu erregen
und durch diese Erregung die Entscheidung der Parlamente zu beeinflussen.
Lassen Sie mich eine Zwischenbemerkung an diese äußerste Linke richten. Ich glaube, daß diese Debatte auch für das Land, das Ihnen so besonders am Herzen liegt, von sehr großer Bedeutung ist
und daß es sich auch für Sie empfiehlt, diese folgenschwere Debatte mit Ruhe anzuhören, die auch Sie sich, wenn auch mit einer gewissen Gewalt, aneignen können, wenn Sie nur wollen.
Ich wiederhole, meine Damen und Herren: Man versucht bei uns — aber nicht nur bei uns, auch, wie mir scheint, in Frankreich —, die Volksleidenschaften zu erregen und durch diese Erregung die Entscheidung der Parlamente zu beeinflussen. Ich halte ein derartiges Beginnen für gefährlich und verantwortungslos.
Wie leicht es ist, Volksleidenschaften zu entfesseln und aufzuputschen, hat doch gerade uns Deutschen Hitler und der Nationalsozialismus gezeigt.
Zu welch furchtbaren Katastrophen es führen kann, wenn man etwas Derartiges tut,
das haben wir doch alle miteinander schaudernd erlebt. Darum bitte ich Sie, meine Damen und Herren, die ganzen Fragen, die uns beschäftigen, mit allem Ernst, mit aller Sachlichkeit, ja, meine Damen und Herren, lassen Sie mich sagen: mit aller Kaltblütigkeit und nüchternen Überlegung — —
— Herr Präsident, ich bitte mir für Ausführungen, die für das deutsche Volk und für das Leben von Millionen Menschen von entscheidender Bedeutung sind, unter Aufwendung Ihrer ganzen Machtbefugnisse in diesem Hause die Ruhe und die Achtung zu schaffen, auf die ich Anspruch habe.