Rede von
Dr.
Franz Josef
Strauß
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
— Ja, der Präsident Dr. Schmid ist der irdischen Ansprache der Kollegen entzogen! — Die These, die Sie in München aufgestellt haben, es sei besser, als gesunde Menschen in ganzen Häusern überrollt zu werden als als Krüppel in Erdlöchern — wenn die Zeitung richtig berichtet hat —
— darum habe ich die Einschränkung gemacht! —,
wäre richtig und brauchbar, wenn sie möglich wäre,
wenn diese These nicht auf falschen Voraussetzungen aufbaute. Uns interessiert nicht der mutmaßliche Sieger des dritten Weltkrieges, uns interessieren alle Möglichkeiten, den dritten Weltkrieg zu verhindern.
Wir stehen nicht an, zu erklären, daß wir von Herzen gern auf jeden Gedanken an einen Verteidigungsbeitrag verzichteten, wenn die Sowjetunion durch wirkliche Verminderung ihrer Rüstungsstärke und durch echte Verhandlungsbereitschaft ausreichende Garantien gäbe. Es gibt für uns Deutsche in dieser Weltlage keine Neutralität, die nicht zwangsläufig den Bolschewismus heraufbeschwört. Das heißt, nur ein kollektives System der westlichen Welt in voller Solidarität einschließlich Deutschlands kann den Frieden retten, was allein das Ziel und das Fernziel unseres Volkes sein muß.
Wir begrüßen, daß die Gewerkschaften in einer klaren Stellungnahme jeden Gedanken an eine Neutralität gegenüber den Feinden jeder Demokratie konsequent abgelehnt haben.
Die Politiker der Notgemeinschaft — ja, auch Sie, meine Damen und Herren der SPD! — sollten sich der Ansicht nicht verschließen, daß Ihre Stellungnahme zum deutschen Verteidigungsbeitrag, wenn Sie auch grundsätzlich den Ohne-mich-Standpunkt ablehnen, draußen in der Öffentlichkeit praktisch zur Stärkung des Ohne-mich-Standpunktes beigetragen hat;
wovon wir uns bei unzähligen sozialdemokratischen Diskussionsrednern überzeugt haben.
Sie beschwören Geister herauf — auch wenn Sie es nicht glauben, Herr Kollege Mellies —, die Sie nie wieder loswerden, auch dann nicht, wenn Sie es wollten und müßten.
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Der Ohne-mich-Gedanke führt zwangsläufig zu einer Entscheidung der westlichen Welt, die schließlich heißen wird: ohne euch, dann gegen euch und zum Schluß mit euch unter bolschewistischen Fahnen.
Wir sollten in gemeinsamer Verantwortung — in gemeinsamer Verantwortung! — die Voraussetzungen festlegen, die einen deutschen Verteidigungsbeitrag ermöglichen, und wir sollten für unsere Voraussetzungen eine klare, sachliche Stellungnahme abgeben. Ich möchte Sie, meine Damen und Herren von der SPD, dringend bitten, die Frage eines deutschen Verteidigungsbeitrages nicht vom Standpunkt des Stimmengewinns für die nächsten Wahlen zu betrachten.
Ich habe dabei die Landtagswahlen in der amerikanischen Zone vom November 1950 im Auge, mit diesem Plakat: ein Massengrab mit einem Gewehr, einem Stahlhelm darauf, darüber die Worte: „Nie wieder! Darum SPD!"
Damit treibt man keine politische Propaganda, am wenigsten eine parteipolitische Propaganda!
Das Opfer, das in der Vergangenheit gebracht worden ist, und das Opfer, das heute anderswo auch
für unsere Freiheit gebracht wird, ist zu ernst, als daß man es für Plakate verwenden sollte.
Ich darf zum Schluß folgendes sagen. Wir sind uns, auch von unserer Fraktion aus, sehr wohl bewußt, Herr Bundeskanzler, daß die Nichterfüllung der notwendigen Voraussetzungen, die von uns in einer eigenen Stellungnahme noch vorgelegt werden, auch bei uns zu einem Nein in dieser Frage führen kann.
Wir erklären aber nicht, daß die Umstände überhaupt gar nicht geschaffen werden könnten, unter denen ein Ja möglich wäre, wie es Herr Kollege Ollenhauer getan hat.
— Ja, die Umstände mit der Neuwahl sind für uns nicht die Umstände, die Sie meinen!
Die Regierung muß es sich angelegen sein lassen, mit der Regierungskoalition und der verantwortungsbewußten Opposition die Voraussetzungen für die Verhandlungen mit dem Auslande festzulegen und dort diese Voraussetzungen zu vertreten. Wir wissen es sehr genau: praktische politische und militärische Gleichberechtigung, ausreichende
Sicherheitsgarantie. Herr Guderian beruft sich auf Dr. Schumacher. Wir sind uns in dieser Frage völlig einig mit Dr. Schumacher wie mit dem Zitat von Guderian in seinem Buch „Kann Westeuropa verteidigt werden?".
(Sehr gut! bei den Regierungsparteien. —
Abg. Mellies: Unter diesem Gesichtspunkt
sehen Sie das? Das ist sehr interessant,
Herr Strauß!)
Solange wir 'es nicht für notwendig halten, daß Deutschland zu einem Heerlager der Amerikaner wird, in dem man Zivilisten mit der Laterne suchen muß, wollen wir nicht dazu beitragen, durch die Stellung solcher Voraussetzungen in unserem Volke untragbare psychologische und praktische Bedingungen zu schaffen.
Eine klare Friedenspolitik der Stärke und Mäßigung bietet die Garantie dafür, daß der Aufbau eines deutschen Verteidigungsbeitrages auf der Grundlage des demokratischen Rechtsstaates erfolgt. Der finanzielle deutsche Beitrag darf weder die Währung gefährden noch die sozialen Leistungen vermindern noch einen Druck auf den Lebensstandard der sozial Schwachen ausüben.
Diese drei Forderungen! Es ist nicht so, wie Herr Kollege Ollenhauer erzählt hat. Ich will es mir ersparen, das Ergebnis der gestrigen Verhandlungen, das Ihre Herren genau so wie ich gehört
haben, hier vor Ihnen auszubreiten. Aber in einem Satze muß gesagt werden: bis jetzt ist der Bundesfinanzminister keinen Schritt über diese Linie hinausgegangen,
und wir sollten ihm den Rücken stärken, damit er diese Linie bis zum Abschluß beibehalten kann.
Meine Damen und Herren, Sie sprechen von den gegebenen Voraussetzungen. Wir sollten bei der Frage der Voraussetzungen ausschließlich von den politisch-sachlichen Gegebenheiten ausgehen. Wir sollten uns hüten - Sie und wir —, von der Frage der Möglichkeit eines politischen Geschäfts innerhalb Deutschlands auszugehen.
Das Schicksal Deutschlands ist untrennbar mit dem Schicksal der freien Welt verbunden. Die amerikanische Sicherheitsgarantie muß so lange ausreichen, bis die europäische Wirtschaftskraft, die staatliche Kraft und die politische und verteidigungsmäßige Kraft, organisiert ist. In dem Verteidigungsvertrag ist nicht nur festgelegt, daß Deutschland nicht diskriminiert werden darf; dort ist auch festgelegt, daß jeder Angriff auf ein Land dieses Paktes durch das Eingreifen aller Länder beantwortet wird. Es ist — das ist für uns vielleicht ein wesentlicher Bestandteil — ebenfalls festgelegt, daß ein weiteres Eingreifen der europäischen Verteidigungsgemeinschaft ohne Zustimmung aller Mitglieder, also ohne Zustimmung Deutschlands, nicht möglich ist. Und wenn jemand sagen wollte: Der Westen führt einen Präventivkrieg!, nun, Deutschland ist in der Lage, durch eine klare Entscheidung einen Präventivkrieg von herüben wie von drüben — auch wenn er dort nicht ernsthaft propagiert wird — zu verhindern.
Wir müssen uns bei der kommenden Entscheidung von einer dumpfen Erwartung der Zukunft lossagen. Wir sollten diesen Weg, meine Damen und Herren von der SPD, in gemeinsamer Verantwortung gehen. Möge es uns erspart bleiben, einmal darüber nachzudenken — wie es Ihren Parteifreunden und meinen Gesinnungsfreunden in der Vergangenheit gegangen ist —, was man hätte tun sollen, als es Zeit war. Heute ist noch Zeit, erstens zu prüfen, zweitens zu entscheiden und drittens in europäischer Verantwortung danach zu handeln. Es lebe Europa!