Meine Damen und .Herren, lassen Sie mich in meinen Ausführungen zur Saarfrage fortfahren. Der Zusammenhang zwischen den Ereignissen, die ich soeben gekennzeichnet habe, und dem Vertrag über die Errichtung einer europäischen Verteidigungsgemeinschaft, ein Zusammenhang, der von einem Teil der ausländischen Presse geleugnet wird, liegt in folgendem. Herr Minister Schuman hat mit mir am 18. April des Jahres 1951 Briefe gewechselt, in denen ausdrücklich ausgeführt ist, daß dem endgültigen Status an der Saar von keiner Seite präjudiziert werden sollte.
Lassen Sie mich mit allem Freimut sagen: nicht nur die deutsche Öffentlichkeit, auch ich erblicke in diesen Vorgängen eine solche Präjudizierung.
Ich finde es höchst gefahrvoll, wenn in einem Augenblick, in dem durch Verhandlungen über die europäische Verteidigungsgemeinschaft eine dauernde Partnerschaft in Europa und zwischen Frankreich und Deutschland herbeigeführt werden soll, durch irgendeine Handlung das Vertrauen darin, daß der andere es wirklich genau so meint wie wir, gestört wird.
Das ist der Grund dafür, warum wir Deutsche uns in den Verhandlungen über die europäische Verteidigungsgemeinschaft durch dieses Verhalten der französischen Regierung an der Saar — ich will mich jetzt sehr diplomatisch ausdrücken, Sie werden das verstehen —
sehr gestört fühlen. Wir Deutsche müssen verlangen, daß an der Saar endlich einmal wirkliche demokratische Freiheiten' gewährt werden.
Eine weitere große Aufregung ist in Frankreich durch die Ausführungen entstanden, die der Herr Staatssekretär Dr. Halsstein bei der letzten Außenministerkonferenz in Paris zur Atlantikpaktfrage gemacht hat. Man hat es so dargestellt, als wenn diese Frage von Deutschland ganz plötzlich aufgeworfen worden wäre und als ob man — die Ausdrücke sind gefallen — Erpressungen gegenüber Frankreich ausüben wolle. Es ist auch in der nichtfranzösischen Auslandspresse allerhand Kritik daran geübt worden, daß Deutschland, wie man meint, plötzlich diese Frage herausgezogen habe und damit -- ich wiederhole den Ausdruck — Erpressungen ausübe. Ich möchte darauf zweierlei sagen: Zunächst, daß die Frage der Verbindung der europäischen Verteidigungsgemeinschaft mit dem Atlantikpakt ja in der Präambel zum Entwurf des Generalvertrags mit Zustimmung der Vereinigten Staaten,
Großbritanniens und, meine Damen und Herren, Frankreichs hergestellt worden ist.
Es heißt in dieser Präambel ausdrücklich, daß es das gemeinsame Ziel der Signatarstaaten sei, die Bundesrepublik auf der Grundlage der Gleichberechtigung in die europäische Gemeinschaft einzugliedern — und jetzt kommt der Satz —, „die sich ihrerseits in die sich entwickelnde atlantische Gemeinschaft einfügen wird."
Sehen Sie, meine Damen und Herren, schon bei diesen Beratungen ist die Verbindung, die notwendige und natürliche Verbindung zwischen der europäischen Gemeinschaft und dem Atlantikpakt von allen bejaht worden.
Nun möchte ich doch mit wenigen Sätzen — und diese Sätze sind auch an die ausländische Öffentlichkeit gerichtet — die natürlichen und selbstverständlichen Gründe klarlegen, warum eine solche Verbindung in der Natur der Sache selbst begründet liegt. Wenn wir in die europäische Verteidigungsgemeinschaft eintreten, wird doch die Folge davon sein, daß eine gewisse Zahl Deutscher in die europäische Armee kommt. Diese europäische Armee — darüber sind sich alle einig —
wird, solange die gegenwärtigen Spannungen in der Welt dauern, der Organisation des Atlantikpakts unterstellt werden, die unter Eisenhower steht.
Dieses Organ des Atlantikpakts unter Eisenhower untersteht wieder anderen Organen des Atlantikpakts.
Nun ist doch bei Gott für jeden verständlich,
daß wir unter keinen Umständen junge Deutsche einfach einem Organ unterstellen, auf dessen Funktionieren und Arbeit wir keinen Einfluß haben.
Weil das in der Natur der Sache liegt, ist auch schon in der Präambel des Generalvertragsentwurfs und auch bei den Beratungen darüber davon die Rede gewesen, daß eine solche Verbindung hergestellt werden müsse. Es ist für mich gar kein Zweifel daran möglich, daß wir, wenn wir in die europäische Verteidigungsgemeinschaft eintreten, eines Tages auch Mitglied des Atlantikpakts werden, ganz von selbst, meine Damen und Herren!
- Das kann sich nicht von heute auf morgen vollziehen.
Das kann sich schon deswegen nicht von heute auf morgen vollziehen, weil ein sehr kompliziertes Verfahren nötig ist, um ein neues Mitglied in den Atlantikpakt aufzunehmen.
Aber schon bevor wir in die europäische Verteidigungsgemeischaft eintreten und dann solche Verpflichtungen eingehen, muß auf irgendeine Weise eine Verbindung hergestellt werden, die es uns ermöglicht, auf diese Organe genau wie die anderen irgendwie Einfluß zu nehmen.
Das ist in meinen Augen eine so absolute Selbstverständlichkeit,
ein Gebot der inneren Gerechtigkeit, ein Gebot der Verantwortung, die wir Deutsche auch gegenüber unseren Leuten haben,
daß ich gar nicht verstehe, wie man sich in einer solchen Weise darüber aufregen kann.
Ich begrüße es — und ich bin dankbar dafür —, daß man, wie ich glaube, in Washington und in London über diese Dinge sehr viel ruhiger und sehr viel konsequenter denkt
als in anderen Hauptstädten.
Ich kann nur der Hoffnung Ausdruck geben, daß es gelingen möge, die Spannungen zwischen Frankreich und Deutschland möglichst bald aus der Welt zu schaffen. Wir haben ein gemeinsames Ziel. Wir wollen nicht nur für jetzt den Frieden für uns und für Europa retten, sondern wir wollen dafür sorgen, daß auch nach \\ 10 und 20 Jahren, wenn die Welt vielleicht wieder anders aussieht und wenn auch die europäischen Staaten wieder zu stärkeren Staaten geworden sind, ein Krieg in Europa, ein Krieg zwischen Deutschland und Frankreich ein für allemal unmöglich gemacht wird.
Das ist — lassen Sie mich das hier einflechten — eines der Hauptziele, die wir bei unserer Politik verfolgen müssen, ein Ziel, das wir über die augenblickliche Spannung hinaus nicht aus den Augen verlieren dürfen. In einem Zeitpunkt, den keiner von uns jetzt schätzen oder bestimmen kann, sagen wir einmal, in 20 Jahren, könnte es, wenn wir bis dahin nicht ein vereinigtes Europa geschaffen haben, sein, daß in Europa selbst wieder Spannungen entstehen, die jedem Europäer nur Unglück. bringen können.
Ich bitte Sie nochmals auf das allerdringlichste, dieses große Fernziel, d. h. die Verhütung europäischer Kriege, über den gegenwärtigen Spannungen und Schwierigkeiten und all dem, was damit zusammenhängt, nicht außer acht zu lassen. Jede Geburt vollzieht sich unter Wehen,
und auch die Geburt des neuen Europas wird Wehen und krisenhafte Entscheidungen mit sich bringen. Aber wenn etwas nötig ist und wenn wir eine Lehre ziehen sollen aus all dem, was sich seit 1914 ereignet hat,
dann ist es das, daß jeder, der guten Willens ist,
alles, was in seiner Kraft steht, einsetzen muß,
damit wir zu einer Vereinigung Europas kommen.
Über Einzelheiten des in Paris Verhandelten jetzt zu sprechen
ist nicht die Zeit.
Aber ich möchte Ihnen doch folgendes sagen, was ich eben schon angedeutet hatte:
In dem Entwurf des Vertrags über die europäische Verteidigungsgemeinschaft sagt Art. III in lapidarer Kürze, daß jede Diskriminierung eines der Teilnehmer ausgeschlossen sein muß.
Wenn es zu dem Vertrag über die europäische Verteidigungsgemeinschaft kommt, —
— Ach, ich will doch nicht auf Ihre Zwischenrufe eingehen. Ich hatte eine sehr gute Antwort, aber ich will sie nicht geben.
Wenn es zur Leistung eines deutschen Beitrags zu
einer europäischen Armee kommt — das ist ja die
Frage, die zur Zeit viele Kreise beschäftigt —,
dann wird das wohl in folgender Weise vor sich gehen. Wir werden sicher zunächst mit Freiwilligen anfangen; aber es wird der Zeitpunkt kommen, wo der Schaffung eines deutschen Wehrgesetzes nähergetreten werden muß.
Nun hat die sozialdemokratische Fraktion, wie Sie wissen, eine Klage beim Bundesverfassungsgericht eingereicht, indem sie die Feststellung verlangt, daß ein solches Gesetz eine Zweidrittelmehrheit erfordere.
Ich will mich hier nicht in lange juristische Auseinandersetzungen verlieren; das wird in Karlsruhe geschehen. Aber ich möchte doch einiges in die Erinnerung aller derer, die Mitglieder des Parlamentarischen Rates waren,
und damit in die Erinnerung der deutschen Öffentlichkeit zurückrufen.
Soviel ich weiß, haben die Kläger beim Bundesverfassungsgericht den Herrn Bundespräsidenten als Kronzeugen angeführt. Die Bundesregierung wird, wenn es nach mir geht, den Bundespräsidenten nicht als Kronzeugen anführen, weil wir glauben, daß man seine Person in eine solche Auseinandersetzung nicht einbeziehen sollte.
Aber, meine Damen und Herren, der Herr Bundespräsident Heuss war ja auch einmal Mitglied des Parlamentarischen Rates, und aus dem, was er dort gesagt hat, was er dort unserem geschätzten Kollegen Schmid geantwortet hat, und was Herr Kollege Schmid ihm dann erwidert hat, lohnt es sich doch, einiges mitzuteilen.
Es wird Ihnen vielleicht in der Erinnerung sein, daß der Beratung des Parlamentarischen Rates ein Entwurf vorangegangen war, der von Vertretern der Länder in Herrenchiemsee ausgearbeitet worden ist. In einem Artikel dieses Entwurfs hieß es allerdings, daß es verboten sein sollte, die Führung eines Krieges vorzubereiten. Dann hat aber der Redaktionsausschuß unseres Parlamentarischen Rates beschlossen, daß an die Stelle des Wortes „Krieges" das Wort „Angriffskrieges" gesetzt werden solle. Diese Frage ist in einer Sitzung des Hauptausschusses des Parlamentarischen Rates vom 19. November 1948 eingehend erörtert worden. Herr von Brentano hat damals ausgeführt:
Der Redaktionsausschuß war der Auffassung,
daß man das Wort „Krieg" durch das Wort
„Angriffskrieg" ersetzen sollte. Denn verboten
ist der Angriffskrieg ...
Der Abgeordnete Dr. Schmid, unser heutiger Bundestagskollege, der an den Beratungen im Parlamentarischen Rat einen sehr großen Anteil gehabt hat — einen Anteil, für den wir alle ihm nur dankbar sein können — —
— Ja, meine Damen und Herren, das waren damals noch goldene Zeiten!
Der Herr Abgeordnete Schmid hat sich gegen diese Änderung gewendet und hat damals Gewaltanwendung — Sie hören, wie prophetisch er in die Zukunft gesehen hat — nur im Rahmen eines kollektiven Selbstschutzes zulassen wollen.
Er hat damals gesagt:
Wir sollten auch hier ein Stück weitergehen, als man bisher üblicherweise gegangen ist, und sollten in unserem Lande schlechthin untersagen, die Führung von Kriegen vorzubereiten. Wir sollten damit unsere Meinung zum Ausdruck bringen, daß in einem geordneten Zusammenleben der Völker das, was man früher als die ultima ratio regum, als das Souveränitätsrecht der Souveränitätsrechte ansah, schlechthin keine Stätte mehr haben soll, daß, wenn schon Gewalt ausgeübt werden muß, diese Gewalt nicht als nationaler Souveränitätsakt ausgeübt werden soll, sondern als Akt des kollektiven Selbstschutzes aller Nationen, die dafür sorgen, daß auf der ganzen Welt der Friede erhalten bleibt und es Angreifern unmöglich gemacht wird, den Frieden zu stören.
Meine Damen und Herren! Ich muß Herrn Kollegen Schmid neidlos zugestehen, daß er einen weiten Blick in die Zukunft gehabt hat
und daß er 'das Wesen der Verteidigungsgemeinschaft, verehrter Herr Schoettle, und das Wesen des Atlantikpaktes gar nicht treffender hätte kennzeichnen können, als er es damals getan hat.
Es kommt aber noch besser.
Auch der Herr Abgeordnete Renner ist damals auf den Plan getreten,
Der Herr Abgeordnete Renner hatte in dem Hauptausschuß einen Antrag gestellt, der von dem damaligen Vorsitzenden, dem Herrn Abgeordneten Schmid, kritisiert worden ist.
Der Herr Abgeordnete Renner hat darauf folgenden denkwürdigen Ausspruch getan -- ich hoffe, daß er ihm nicht zum Schaden gereicht —:
Er hat nämlich gegenüber dem Vorsitzenden Schmid gesagt:
Sie wollen doch nicht behaupten, daß mit dieser Fassung die Bildung eines Heeres für Westdeutschland abgelehnt ist?
Meine Damen und Herren, das waren die Ausführungen des Herrn Renner!
Ich überlasse es jedem, die notwendigen juristischen Folgerungen aus der Diskussion im Parlamentarischen Rat über das zu ziehen, was das Grundgesetz gewollt hat und was es nicht gewollt hat.
Bei den Verhandlungen im Parlamentarischen Rat ist dann auch die Frage zur Sprache gekommen, ob man jemandem das Recht geben sollte, aus Gewissensgründen den Kriegsdienst mit der Waffe — bitte, meine Damen und Herren, jedes Wort ist hier wichtig —, den Kriegsdienst mit der Waffe aus Gewissensgründen zu verweigern. Nun ist es interessant, daß keiner der Herren - auch nicht von der damaligen sozialdemokratischen Fraktion — im Parlamentarischen Rat etwa erklärt hat: Wir wollen doch überhaupt keinen Kriegsdienst mehr,
niemals mehr, sondern es hat sich damals folgendes abgespielt. Der damalige Abgeordnete Heuss hat ausgeführt:
Wir sind jetzt dabei, ein Werk der Demokratie zu schaffen. Die allgemeine Wehrpflicht ist das legitime Kind der Demokratie. Seine Wiege stand in Frankreich. Mir scheint es unmöglich zu sein, daß wir in diesem Augenblick, in welchem wir eine neue Fundamentierung des Staates vornehmen wollen — auch wenn ich mir durchaus darüber klar bin, daß wir kein Militär mehr im alten Sinn bekommen werden, ich will das auch nicht —, daß wir in dieser Situation nur mit einer solchen Deklaration kommen.
Und darauf hat der Herr Abgeordnete Dr. Schmid folgendes ausgeführt:
Es handelt sich vielmehr darum, daß jemand, der es mit seinem Gewissen nicht vereinbaren kann, auch im Falle eines Krieges einen andern zu töten — darum handelt es sich in erster Linie —, die Möglichkeit haben soll, zu sagen: Ich will in dieser Not meines Vaterlandes meinen Dienst auf andere Weise tun können als auf diese Weise. Dafür sollten wir die rechtliche Möglichkeit schaffen.
Nicht umsonst steht dieser Abs. 5 in einem Artikel, der sich mit der Freiheit des Glaubens und des Gewissens befaßt, und nicht etwa unter den Artikeln, in denen wir versucht haben, für die künftige Ordnung Europas deutscherseits einen friedlichen Beitrag zu liefern. Unter diesem Gesichtspunkt gesehen könnte dieser Artikel vielleicht auch akzeptiert werden, wenn man grundsätzlich zu der Frage der Demokratie und der Pflicht, sie zu verteidigen, steht wie Sie, Herr Kollege Dr. Heuss.
Bemerkenswert ist, daß Herr Abgeordneter Dr. Schmid — und ich bitte Sie, was ich jetzt sage, in vollem Ernst zu nehmen —, der damals in den Beratungen des Grundgesetzes im Parlamentari-
schen Rat sich durch die Fülle der Gedanken und die Arbeit, die er geleistet hat, ausgezeichnet hat, nicht etwa gesagt hat: Der ganze Artikel ist doch überflüssig, weil das Grundgesetz ja überhaupt einen Kriegsdienst, eine Wehrmacht nicht will,
sondern er hat nur darauf gedrungen, daß in Fällen von Gewissensnot die Möglichkeit gegeben werde, den Kriegsdienst mit der Waffe zu verweigern. Herr Dr. Eberhard, der damals Mitglied der sozialdemokratischen Fraktion des Parlamentarischen Rats war, hat ausgeführt:
Ich glaube durchaus, daß man weder die Demokratie noch den Frieden unter allen Umständen einfach durch ein Bekenntnis zum Frieden oder durch ein Bekenntnis zur Kriegsdienstverweigerung verteidigen kann.
Das war eine sehr klare Erklärung. Das Weitere wird das Bundesverfassungsgericht sagen.
Daß ich mich doch für verpflichtet hielt, in meiner heutigen Rede darauf einzugehen, hat folgende Gründe.
Die Vertreter der Bundesrepublik Deutschland bei internationalen Verhandlungen erleiden naturgemäß eine Schwächung ihrer Stellung, wenn in diesem Augenblick von 144 Abgeordneten des Bundestags beim Bundesverfassungsgericht eine Klage eingereicht wird, in der ersucht wird festzustellen, daß ein etwaiges Wehrgesetz nur mit Zweidrittelmehrheit beschlossen werden könnte, und wenn man dann gleichzeitig erklärt, daß man dagegen sei. Dieser Schwächung der Position der deutschen Vertreter bei internationalen Verhandlungen muß ich durch die Erklärung entgegentreten, daß diese Klage nach dem Inhalte des Grundgesetzes, nach den vorangegangenen Verhandlungen völlig aussichtslos und überflüssig ist.