Rede von
Dr.
Franz Josef
Strauß
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Der Herr Vorredner der sozialdemokratischen Fraktion, Kollege Ollenhauer, hat bei der Behandlung der heute anstehenden Frage vor einer Politik des Gefühls und vor einer Politik der Stimmungen gewarnt. Er hat appelliert, eine Politik der Realitäten zu betreiben. Herr Kollege Ollenhauer, haben Sie bei allen Ihren Äußerungen, die Sie heute hier gemacht haben, auch genau überprüft, inwieweit Sie in Kenntnis der Tatsache, daß draußen viele Millionen am Radio zuhören, eine ausgesprochene Politik des Gefühls getrieben haben, wie man es deutlicher und ausgeprägter nicht machen könnte?
Sind Sie sich bei Ihren Ausführungen dessen bewußt gewesen, daß Sie auf keine auch der von Ihnen angeschnittenen Fragen — viele echte Alternativen haben Sie überhaupt nicht berührt — keine Antwort gegeben haben?
Ich halte es trotzdem für falsch, meine Damen und Herren von der SPD, wenn wir den Standpunkt unserer Fraktion — und ich bitte dafür um Verständnis auch von Ihrer Seite — in Form einer polemischen Erwiderung darlegen.
- Ich werde im einzelnen schon noch öfter darauf eingehen. Aber ich möchte mir vom Kollegen Ollenhauer nicht die Richtung meiner Ausführungen vorschreiben lassen.
Das deutsche Volk in der Bundesrepublik und das deutsche Volk jenseits des Eisernen Vorhangs hat einen Anspruch darauf, heute von jeder demokratisch, verantwortlichen Fraktion des Bundestages einen klaren, nüchternen und sachlichen Standpunkt in dieser Frage zu hören.
Als dieses ,Hohe Haus im September 1949 seine Arbeit für den Wiederaufbau unseres Vaterlandes aufnahm, da waren wir uns wohl bewußt, daß unsere Tätigkeit nicht in eine Periode friedlicher Entspannungen der Weltprobleme fällt. Ich rede nicht davon, ob wir es damals nicht erwartet haben, darüber reden zu müssen; jedenfalls haben wir es nicht gewünscht, daß wir uns in unserer politischen Arbeit mit dem Problem der militärischen Verteidigung unserer Heimat werden beschäftigen müssen.
Wir haben es nicht gewünscht, weil wir gern gehabt hätten, daß die Weisheit der Sieger ausgereicht hätte, auf beiden Seiten eine tragbare Lösung auch für unser Volk herbeizuführen.
Wir haben das Prinzip der „re-education" oder „reorientation" nicht nur als ein Propagandamittel betrachtet, wir haben es sogar soweit ernst genommen, daß wir gern für die Zeit unserer politischen Tätigkeit und für die Zeit unserer Generation
allen Gedanken militärischer Art entsagt hätten.
Es ist nicht die Aufgabe dieser Debatte, eine Schilderung der weltpolitischen Entwicklung nach dem zweiten Weltkrieg im einzelnen zu geben. Wir haben diese Entwicklung in einer Wetterzone der Weltpolitik als Zeitgenossen selbst miterlebt. Wir haben erlebt, daß unsere Hoffnung auf eine ruhige Zeit der Arbeit nicht in Erfüllung gegangen ist. Wir haben erlebt, daß -viele unserer Warnungen 1945 und in den folgenden Jahren ungehört und nicht geglaubt im Winde verhallt sind. Wir haben erlebt, daß das Ende des zweiten Weltkriegs die Weltprobleme nicht gelöst, sondern neue aufgetürmt hat, unter deren Schatten wir heute stehen. Ob wir wollen oder nicht, ob wir es einsehen wollen oder nicht, wir stehen darunter.
_ — Herr Kollege Loritz, einen Blödsinn kann man frei sagen, man kann ihn ablesen.
Dem tragischen Irrtum der Westmächte, daß mit dem militärischen Sieg über Deutschland auch schon eine neue Ordnung der Welt und ihrer Zukunft eingeleitet sei, stand gegenüber die konsequente sowjetische Zielsetzung, daß der militärische Sieg über Deutschland erst die Basis, den Ausgangspunkt und das Sprungbrett für eine Ausdehnung des bolschewistischen Machtbereichs darstelle.
Und weil hier einem tragischen Irrtum mit auch für uns Deutschen verhängnisvollen Folgen, mit inkonsequenter Politik in der Vergangenheit auf der einen Seite eine ganz klare, brutale Konsequenz gegenüberstand, deshalb müssen wir heute über die Verteidigung Deutschlands reden.
Meine Damen und Herren! Auch in der Rede des Herrn Kollegen Ollenhauer ist, allerdings in einer verantwortbaren Form, die Frage nach der Schuld an dieser Entwicklung aufgeworfen worden. Meine Damen und Herren von der SPD, Sie wissen selbst sehr genau, daß heute in unserem Volke die Frage nach der Schuld an dieser Entwicklung auf der einen Seite von verantwortungslosen Hetzern, auf der anderen Seite von irregeführten Elementen zu leicht einseitig und mit falschen Schlußfolgerungen beantwortet wird.
Es steht uns selbst schlecht an, mit vorwurfsvoll erhobenem Finger auf die Fehler der anderen hinzuweisen und schamhaft zu verschweigen, wie groß unser Anteil in der Vergangenheit daran war, daß der Stein ins Rollen gekommen ist.
Uns nützt überhaupt keine rückblickende Betrachtungsweise.
— Oh, wir halten die rückblickende Betrachtungsweise aus bis zum September 1939, wo Ihre Freunde in der Sowjetunion den zweiten Weltkrieg mitangefangen haben.
Wir halten die rückblickende -Betrachtungsweise
weit genug aus, um den Unterschied der deutschen
Situation zwischen Rapallo und heute ganz klar zu sehen.
Wir müssen von der Gegenwart und ihren Notwendigkeiten ausgehen. An uns sind heute in dieser Situation, bei dieser Lage des deutschen Volkes von unserem Gewissen bestimmte Fragen gestellt. Wir müssen diese Fragen beantworten, und die klare und nüchterne Entscheidung, die in absehbarer Zeit zu treffen sein wird, darf nicht, so groß die Verlockung auch wäre — Herr Kollege Ollenhauer, für Sie wie für mich —, durch den Blick nach rückwärts, mit den Gefühlen, die er auslösen könnte und zum Teil im Lande ausgelöst hat, getrübt werden. Wenn ein Haus vom Feuer bedroht wird, ist der Streit unter den Mietsparteien, wer das Feuer verschuldet hat, zwecklos. Da muß klar und rasch entschieden werden, wie man Einhalt gebieten kann, und dann müssen alle Hände zusammen helfen, um das Haus zu retten.
— Wer es anzündën will oder nicht, darüber sind wir uns sehr genau im klaren, lieber Freund.
Wenn. Sie glauben, daß ein Brandstifter dann schon als harmlos gilt, wenn er als Brandversicherungsagent eine Zeit lang herumläuft, dann irren Sie sich.
Das heißt praktisch, wir müssen unsere Entschlüsse nach den gegebenen Tatsachen richten, nicht nach unseren Wünschen. Wir müssen das tun, was für o lie Zukunft notwendig ist, wenn wir die Verantwortung vor dem Volk und vor unserem Gewissen mit dem Ernst betrachten, der dem Gegenstand angemessen ist.
Herr Kollege Ollenhauer hat vorhin davon gesprochen, daß diese Debatte mit Ernst und Würde geführt werden sollte. Ich glaube, wir alle in den demokratischen verantwortlichen Parteien — wenn auch manchmal das Temperament durchgeht — haben uns vorgenommen, uns bei dieser Debatte daran zu halten. Von denen, die immer außerhalb der Grenzlinien stehen, wollen wir in dem Zusammenhang nicht reden.
— Herr Kollege Schoettle, ich glaube, da brauchen wir zwei uns gegenseitig seit 1948 gar nichts vorzuwerfen.
Aber diese Debatte soll nicht nur mit Ernst und Würde — das ist eine Frage der Form und der Repräsentation dieser Demokratie vor dem deutschen Volk —, diese Debatte muß vor allen Dingen mit einem unheimlich tiefen Verantwortungsbewußtsein geführt werden.
Nach dem Krieg haben die angelsächsischen Mächte — hier darf ich mich auf das gleiche politische Urteil von Dr. Schumacher in der Bundestagsdebatte vom März 1950 verlassen —, haben besonders die Amerikaner die militärische und industrielle Abrüstung in außerordentlich starkem Maße durchgeführt, während Sowjetrußland seinen Militärapparat aufrechterhalten hat,
einen Militärapparat, der mit 180' Divisionen und I über 3 Millionen Mann nicht mehr als Friedensarmee bezeichnet werden kann.
Rußland hat die industrielle Aufrüstung in beschleunigtem und verstärktem Maße unter Einschaltung der sowjetisch besetzten deutschen Zone und unter Ausnutzung deutscher Erfindungen fortgesetzt.
Gleichzeitig hat Rußland die Satellitenstaaten aufgerüstet und zur Verstärkung des sowjetischen Kriegspotentials herangezogen. Der sowjetische Machtbereich, meine Damen und Herren, das ist eine bekannte Tatsache, sie kann trotzdem nicht oft genug, nicht laut genug und nicht eindringlich genug gesagt werden, ist seit 1939 von dem damaligen Staatsgebiet Sowjetrußlands mit etwa 180 Millionen Menschen bis 1952 auf etwa ein Drittel der Erdoberfläche und ein Viertel der Einwohner dieser Erde erweitert worden.
Nicht nur die baltischen Staaten sind zum Opfer gefallen, Polen, die Tschechoslowakei, Ungarn, Rumänien, Bulgarien, Albanien im Westen des sowjetischen Reichs, sowie China mit Randgebieten und Tibet sind in diesen ungeheuren Machtkoloß miteinbezogen worden, ein kompakter Block, der von Helmstedt bis Korea, von Spitzbergen bis zur Grenze Indiens reicht, ein Block, der von einer Zentrale politisch, wirtschaftlich und militärisch gesteuert und kommandiert wird. Wenn Sie das bestreiten, meine Damen und Herren von der KPD: die Gespräche von Kaesong und Panmunjon und ihre Verzögerung liegen nicht im Interesse der kriegführenden Satelliten, sondern im Interesse
der Drahtzieher, die auf Kosten der Satelliten und mit ihrem Blut ihre Politik führen.
Durch die Anwesenheit der Roten Armee, durch Bürgerkriege, in denen sowjetische Waffen eine entscheidende Rolle spielten, durch innere Unterhöhlung und Unterminierung sind die Völker trotz ihrer nichtkommunistischen Mehrheit in den sowjetischen Machtbereich hineingezwungen worden, ehe sie sich ihres Schicksals bewußt wurden.
Aber an drei Stellen ist der politische und militärische Vormarsch des Bolschewismus aufgehalten worden: erstens in Deutschland an der Zonengrenze, wo außerdem noch Berlin als Symbol der Freiheit, als Leuchtturm der Hoffnung inmitten des sowjetisch besetzten Territoriums durch den beispiellosen Mut seiner Bevölkerung und durch die Hilfe der Westmächte erhalten geblieben ist.
Das Beispiel Berlin — in erster Linie das Beispiel der Bevölkerung, in zweiter Linie die Konsequenz, die Amerika daraus gezogen hat — ist ein Modellfall für den Zustand der Bundesrepublik.
Zum zweiten ist er in Jugoslawien aufgehalten worden, wo Tito — selbst kommunistischer Partisanenführer; abtrünniger Genosse, zum Tode verurteilt —
sich dem Zugriff Stalins entzogen hat. Und drittens in Korea, wo das Eingreifen der Vereinten Nationen in letzter Minute und unter furchtbaren Opfern für dieses Land — auch das ist für unsere Entschlußfassung ein wesentliches Moment — den
Vormarsch der roten Satellitenarmee aufgehalten hat. An zwei Stellen — in Indochina und Malaia — wird in einem Krieg gekämpft, der an Heimtücke und Grausamkeit nicht mehr zu überbieten ist. Die Verschärfung der Lage in Persien, Ägypten und Nordafrika geht auf bolschewistische Sprengkommandos zurück, die sich der nationalen Ziele und Gefühle dieser Völker,
die an sich durchaus berechtigt sein mögen, bemächtigt haben, um sie im Kampf gegen die freie Welt zu gebrauchen.
Die Bedeutung des Eingreifens der Vereinten Nationen in Korea liegt nicht so sehr darin, daß Südkorea von der Sowjetherrschaft bewahrt wurde, als vielmehr darin, daß ohne dieses Eingreifen längst an einer anderen Stelle der Welt ein neues Feuer angezündet worden wäre, — vielleicht in Europa!
Das Gewitter von Korea hat den Vorhang vor dem wirklichen Zustand der Welt zerrissen und die freien Völker vor die Entscheidung gestellt, ob sie einzeln nach und nach von dem bolschewistischen Sog verschluckt werden oder ihre Kräfte vereinigen wollen, um dieser Entwicklung auf der Welt Einhalt zu gebieten.
Die freien Völker der Welt mußten leider, leider und nochmals leider, gerade wegen der sozialen Frage, die vom Kollegen Ollenhauer angeschnitten worden ist, wieder dazu übergehen, einen Teil ihrer wirtschaftlichen und finanziellen Kräfte für die Aufrüstung zu verwenden. Wirtschaftliche und soziale Folgen blieben nicht aus. Wir kennen die weltweite Wirkung: Erhöhung der Preise, Verknappung der Rohstoffe, Druck auf den Lebensstandard. Diese Erscheinungen wurden von der psychologischen Kriegsführung des Bolschewismus sofort und bewußt in Rechnung gestellt und ausgenutzt,
um die innere Widerstandskraft der Völker zu schwächen.
Es besteht kein Zweifel darüber, daß die Vereinigten Staaten von Amerika das Rückgrat der Verteidigung der freien Welt darstellen. Ob unsere eigene innere Einstellung zu den Besatzungsmächten eine freundliche oder nichtfreundliche Gesinnung ist, spielt in diesem Zusammenhang überhaupt keine Rolle.
Kein Volk sieht die Soldaten eines anderen Volkes als Besatzungsmacht, auch nicht als Verteidigungstruppen mit Sondervorrechten — darüber sind wir uns völlig klar — gern in seinem Land.
Wir wollen aber hier in der Skala der Gefühle und in der Skala der Realitäten nicht so weit gehen, daß wir, weil uns eine Tatsache unangenehm ist, durch deren Beseitigung uns den Strick um den Hals legen.
Die Vereinigten Staaten machen unvorstellbare Anstrengungen, um das seit 1945 Versäumte nachzuholen. Man hört bei uns in der Öffentlichkeit eine Tatsache oft sehr ungern, einmal deswegen, weil man den Blick vor den Realitäten gerne verschließt, zum andern, weil dabei unangenehme Gefühle ausgelost, weil unangenehme Erinnerungen — auch
über die Haltung der US-Truppen gegenüber den deutschen Soldaten allgemein nach der Kapitulation — heraufbeschworen werden.
Es hat gar keinen Zweck, an diesen Dingen, die in der Psychologie der Öffentlichkeit und auch in der praktischen Bildung der öffentlichen Meinung eine so wesentliche Rolle spielen, achtlos vorbeizugehen.
Auch die Sicherheit der Bundesrepublik und die Sicherheit der anderen europäischen Völker westlich des Eisernen Vorhangs beruht zur Zeit leider nur auf der amerikanischen Sicherheitsgarantie, wonach ein Angriff auf das Bundesgebiet einschließlich Berlins als ein Angriff auf die Vereinigten Staaten selbst angesehen wird. Damit ist die Bundesrepublik in den Sicherheitsgürtel, in die Sicherheitslinie der freien Welt einbezogen worden. Diese Sicherheitslinie hat etwa folgenden Verlauf. Dieser Verlauf ist für die richtige Einschätzung der Frage West-Ost in Europa, für die richtige Einschätzung des Risikos — und das Risiko muß, Kollege Ollenhauer, in diesem Zusammenhang in ernsthafter Weise debattiert werden — von beträchtlicher Bedeutung. Die Linie verläuft etwa so: Alaska, Alëuten, Japan, Formosa, Philippinen, Singapur, Irak, Suez, Türkei, Griechenland, Jugoslawien, Italien, Deutschland, Frankreich, England, Dänemark und Norwegen.
Wenn heute die Frage an uns gestellt wird, warum der Bundestag eine Verteidigungsdebatte führt, dann möchten wir dazu ausdrücklich feststellen: Es ist nicht der Wunsch der Bundesregierung, es ist nicht der Wunsch der demokratischen verantwortlichen Parteien in diesem Hause, sich mit der Frage zu beschäftigen, ob Deutschland militärisch wieder eine Rolle spielen soll;
aber, sehr verehrter Herr Kollege Schoettle oder Herr Kollege Olllenhauer — ich bitte um Entschuldigung, die Sympathie ist so groß, daß ich immer wieder auf die alte Spur gerate —,
es handelt sich um mehr als darum, daß irgendein alliierter Weihnachtsmann mit einem schönen Rucksack gekommen ist, den Rucksack aufmacht und Bleisoldaten und Waffenspielzeug, sozusagen zum freien Gebrauch für uns, entnimmt.
Ich gehöre zu denjenigen, die, wie wahrscheinlich die Mehrheit in diesem Hause, im letzten Kriege sechs Jahre lang die Uniform getragen und die Grauen des zweiten Weltkriegs, von denen Sie gesprochen haben, — wenn auch persönlich mit viel Glück, und dafür gebührt der Dank nach meinem Glauben dem lieben Gott, es ist nicht mein Verdienst — überstanden haben und durch diese Zeit hindurchgekommen sind. Ich bin mir dieser Vergangenheit und dieser Zeit so wohl bewußt, Herr Kollege Ollenhauer, daß ich von mir aus gesehen, wenn es um die Entscheidung ginge: sollen wir wieder Soldaten werden oder nicht, wenn es um die Frage ginge: neutral sein oder nicht neutral sein, wenn das die wirkliche Alternative wäre, sagen würde: Pack' deinen Krempel ein, hang' deinen Rucksack um und hau ab! Wir wollen nicht mehr.
Ich muß aber — und so geht es uns ja allen — in der Verantwortung um diese Frage auch ernsthaft prüfen, ob die Fragestellung, die wir anwenden, die richtige ist,
ob nun die Fragestellung so ist, wie ich sie vorher genannt habe, oder ob die Fragestellung in letzter Konsequenz bedeutet, die Bereitschaft zu zeigen, Soldat zu werden entweder auf der einen Seite, wo auch nach Ihrer Meinung, Herr Kollege Schoettle, die Kokarde noch ertragbar wäre, oder Soldat zu werden auf der Seite, wo die Kokarde kein Deutscher guten Willens freiwillig tragen würde.
— Ich habe ein gutes Gedächtnis, aber kein so gutes Gedächtnis, als daß ich Ihre Äußerungen in dem Vorgefecht wortwörtlich angeführt habe. Sie haben Herrn Renner vorgeworfen, er sei gar nicht so antimilitärisch, aber die Kokarde bei dem Unternehmen passe ihm nicht.
Warum führen wir diese Verteidigungsdebatte? Es ist unsere geographische Lage auf der einen und die Weltsituation auf der anderen Seite, die uns zwingen, uns mit dieser Frage zu beschäftigen, ob wir wollen oder nicht.
Bei dieser Debatte kann beim gegenwärtigen Stande der Dinge — und darin gebe ich dem Kollegen Ollenhauer recht, darin unterscheiden wir uns auch nicht — eine definitive Entscheidung von unserer Seite aus nicht getroffen werden. Aber wir haben in absehbarer Zeit Entscheidungen zu treffen. Wir müssen heute untersuchen, welche Entscheidungen angesichts dieser Umstände überhaupt möglich und welche Entscheidungen irreal sind.
Wir müssen entscheiden, welche der Möglichkeiten, die wir haben, die beste für unser Volk ist. Wir müssen auch sagen, aus welchem Grunde unsere Entscheidung, wie wir sie sehen, nach unserer Auffassung die beste ist. Wir können dieser Entscheidung nicht ausweichen; sie kommt auf uns zu. Entscheidungen, die nicht getroffen werden, bleiben einem nicht erspart; sie laufen einem nach, und manchmal erschlagen sie einen.
Wir müssen in absehbarer Zeit ja oder nein sagen, und wir müssen unsere Voraussetzungen für unser Ja oder Nein freimütig und offen aufzeigen. Aus diesem Grunde debattieren wir heute über einen deutschen Verteidigungsbeitrag.
Dabei möchte ich eines mit aller Klarheit und Deutlichkeit voranstellen — weil in dem Vorgefecht vor wenigen Tagen im Bundestag diese Tonart angeschlagen wurde —: Wir stehen bei unseren Überlegungen und Darlegungen in dieser Frage nicht unter dem Zeichen der amerikanischen Bedürfnisse in ihrer Innenpolitik.
Wir stehen einmal in der Verpflichtung vor
unserem Gewissen - wenden wir das Wort ruhig
einmal an — und wir stehen zum anderen unter der Konsequenz der Lage. Die demokratisch verantwortlichen Fraktionen in diesem Hause sollten sich angesichts der Tragweite dieser Frage im eigenen Interesse und im Interesse des gesamten Volkes gegenseitig ernst genug nehmen, und dem anderen, auch wenn er anderer Meinung ist, nur ein Motiv unterstellen, das dem ehrlichen Gewissen vor dem deutschen Volke und nicht alliierten Wünschen entspringt.
Niemand kann von uns in dieser Frage die letzte Entscheidung verlangen als wir selber.
Es liegt völlig in unserer Hand, ja oder nein zu sagen. Es liegt in unserer Pflicht, die Voraussetzungen für ein Ja klar zu umreißen und sie in Verhandlungen durchzusetzen. Die Amerikaner können uns nicht vorschreiben, was wir tun sollen. Aber, wer das sagt, der vergißt den zweiten Halbsatz: wir können auch ihnen nicht vorschreiben, was sie tun werden, wenn wir uns falsch entschieden haben.
Wer ja sagt, muß sich die Verantwortung für die Folgen überlegen. Wer nein sagt, nein um jeden Preis, muß für die Konsequenzen einstehen, die aus dieser Verantwortung erwachsen.
Davon befreit uns niemand.
Ich glaube, wir sollten hier auch nicht mit einem gefährlichen Argument operieren, das die Wachsamkeit einschläfert, eine richtige Entscheidung verzögert und auch die Rückkehr Deutschlands zu Gleichberechtigung und Freiheit auf unabsehbare Zeit hinausschiebt, nämlich von unserer Seite aus zu sagen: War es bisher nicht zu spät, dann kann es auch nie zu spät werden.
Wir sind uns sehr wohl klar darüber, wenn es in vier Wochen brennt, nicht in vierzehn Tagen durch einen Verteidigungsbeitrag eine wirksame Sicherung aus eigener Kraft schaffen zu können. Wir alle im Bundestag sind keine militärischen Experten. Wir wissen aber genau, daß das Ausmaß an aktivem deutschen Verteidigungsbeitrag, das diskutiert worden ist, eine sogenannte weiche Zeit oder Risikoperiode von 18 bis 24 Monaten einschließt. Das nicht zu sagen, wäre verantwortungslos, wenn auch die Periode unter bestimmten Umständen verkürzt oder jedenfalls das Ausmaß und das Risiko der Gefahr während dieser Periode eingeschränkt werden kann. Wir sollten uns aber davor hüten, zu sagen: Es gibt kein Zuspät. Es hat in der Weltgeschichte schon eine Reihe von Situationen gegeben, wo es zu spät war.
Ich glaube, die Damen und Herren von der SPD werden ein gewisses Verständnis für das haben, was ich jetzt sage. Wenn wir und manche von Ihrer Fraktion so direkte Nutznießer oder direkte Leidtragende der Entwicklung während des letzten Krieges gewesen sind, wir als Frontsoldaten haben es in den ersten Jahren der Feldzüge aus menschlicher Natürlichkeit denkbar angenehm empfunden, daß wir die Überlegenen gewesen sind, daß Deutschland mit seiner Rüstung einen Vorsprung Matte, der einen Blitzkrieg ermöglicht hat. Aber haben wir nicht vor dem Kriege in Deutschland,
und zwar vom General bis zum Fabrikarbeiter, manchmal gewünscht, daß das Ausland, bevor der Krieg ausbrach, eine so klare Sprache gesprochen hätte, daß uns der Gang als Frontsoldaten erspart geblieben wäre?
Gerade die Tatsache, daß das nicht geschehen ist, hat nach dem Kriege so stark dazu beigetragen, daß wir es uns nicht gefallenlassen konnten, die Kriegsschuld eindeutig auf uns zu nehmen.
In absehbarer Zeit werden wir uns zu entscheiden haben, ob Deutschland in den Vertrag über eine europäische Verteidigungsgemeinschaft eintreten soll oder nicht. Schon der Begriff der europäischen Verteidigungsgemeinschaft setzt voraus, daß mehr als ein System von Koalitionsarmeen geschaffen wird. Nach diesem Vertrag sollen die Länder Deutschland, Frankreich, Italien, Belgien, Niederlande und Luxemburg ihre wirtschaftlichen und militärischen Verteidigungskräfte zusammenfassen.
Es liegt in den natürlichen Gegebenheiten, daß diese europäische Verteidigungsgemeinschaft eine vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Frankreich absolut erforderlich macht. Böse Schatten sind in den letzten Wochen über Europa aufgetaucht, vielleicht bewußt herbeigeführt worden, vielleicht ohne Kenntnis der Tragweite aus Traditionalismus der Vergangenheit heraus heraufbeschworen worden.
Ich meine die jüngste Entwicklung an der Saar und das französische Nein zur Aufnahme Deutschlands in den Atlantikpakt. Ich bin mir vorhin, Herr Kollege Ollenhauer, nicht ganz klar geworden, als Sie zuerst für und dann gegen den Eintritt in den Atlantikpakt polemisierten, was wir eigentlich tun
sollten. Auf der einen Seite sagen Sie und wir mit Recht, daß diese Aufnahme in den Atlantikpakt Verpflichtungen nach sich ziehen könnte, wie sie die anderen Staaten haben, Verpflichtungen, die für uns unangenehm sind. Auf der anderen Seite stehen wir gerade bei diesem Problem sehr fest auf dem Standpunkt, daß es kein Gremium, keine Instanz, von der obersten politischen und militärischen Führung bis zur letzten Einheit herunter, geben darf, in der über die Verwendung junger deutscher Menschen entschieden wird, ohne daß der deutsche Standpunkt und seine Notwendigkeit dabei geltend gemacht wird.
Ich fürchte aber, daß die anderen für uns keinen eigenen Atlantikpakt machen werden, daß wir also entweder auf unserer bisherigen Linie mit Konsequenz fortfahren oder Nein zum Atlantikpakt sagen müssen. Dann können sie uns für das Nein nicht tadeln, für die Konsequenz auf der bisherigen Linie auch nicht. Ich weiß nicht, Herr Kollege Ollenhauer, ob Sie — fassen Sie das Wort nicht bösartig auf, und ich bitte auch den Herrn Bundeskanzler, nicht beleidigt zu sein — als präsumtiver Bundeskanzler, wenn Sie die Verhandlungen führen würden, alle Karten, mit denen Sie spielen wollen, schon am Anfang auf den Tisch legen würden, um den Tarock bestimmt zu verlieren.
Wo der Bestand eines freien Europa in seiner Gesamtheit auf dem Spiele steht — und dieses Wort muß über unseren Erwägungen, über der deutschen Außenpolitik und über der europäischen Politik stehen —, sollte man es auf allen Seiten vermeiden, strittige Probleme in einseitiger Weise zu lösen oder einseitige Lösungen zu präjudizieren. Es stehen heute für alle europäischen Völker größere Dinge auf dem Spiel als die Sicherung der französischen Interessen an der Saar. In einem bolschewisierten Europa gibt es keine französische Saarpolitik mehr.
Der gute Wille unseres Volkes zum Ausgleich mit Frankreich und zur Zusammenarbeit mit Frankreich ist durch die jüngsten Vorgänge nicht zerstört worden; aber das deutsche Vertrauen auf den französischen Partner in einer Gemeinschaft auf Leben und Tod ist in bedenklicher Weise erschüttert worden.
Deutschland und Frankreich sitzen in einem Boote. Es hat keinen Sinn, über die Verteilung der Sitzplätze zu streiten, wenn der Wogengang um das Boot herum einen festen Steuermann und eine gemeinsame Anstrengung aller Mann am Ruder erforderlich machen.
Eine europäische Verteidigungsgemeinschaft kann nicht aufgebaut werden, wenn die an ihr beteiligten Völker nicht in vollem Vertrauen auf die gegenseitige Loyalität ihre Sicherheit in der gemeinsamen Zukunft sehen.
Weder der Lärm der Presse in Paris noch gewisse
Traditionen am Quai d'Orsay — der schon Jahrhunderte lebt — können diese Tatsache aus der
Welt schaffen. An der Saar muß eine Regelung
gefunden werden, die dem freien Willen der deutschen Bevölkerung Rechnung trägt, nicht allein mit
Landtagswahlen, für deren Vorbereitung uns die
Zeit zu einer freien Entscheidung dann nicht mehr
bliebe, auch nicht mit einer Fragestellung, die das
Ergebnis schon von vornherein beeinflussen muß.
Die ideologischen Grundsätze eines Europa, dessen Zukunft gesichert werden soll, gehen aus von dem gemeinsamen Gedanken der Freiheit. So ist die Saarfrage zum Prüfstein für den guten Willen der Beteiligten und auch für die Achtung vor dem Prinzip der Freiheit geworden.
Nicht nur wir müssen einsehen, daß der oberste Leitsatz unserer Außenpolitik, um dessentwillen wir im Lande landauf, landab geschmäht, mißverstanden und oft bewußt heruntergezogen werden, nur darin besteht, nach dem zweiten Weltkrieg das Vertrauen der Welt mit konsequenter deutscher Zielsetzung wiederzugewinnen.
Auch die französischen Politiker müssen in ihrer anderen Eigenschaft als europäische Staatsmänner — und wie schwer sind diese beiden Funktionen, Herr Bundeskanzler, zu vereinbaren! —
einsehen, daß eine europäische Verteidigungsgemeinschaft ihren inneren Wert und ihre äußere Stärke nur durch volles gegenseitiges Vertrauen erlangen kann.
Wir haben nicht aus nationalem Prestige, nicht
etwa aus nationalem Ehrgefühl heraus, wir haben
um Europas willen die Hoffnung, daß nicht allein der Einfluß der angelsächsischen Mächte, sondern daß auch die eigene Einsicht der französischen Staatsmänner in dieser Frage zu einer Lösung des Rechts und nicht der Gewalt führen wird.
Letzten Endes — darauf kommt es uns an, und darauf sollte es unseren Partnern ankommen — dienen alle diese Aktionen, die die europäische Einigung verzögern oder erschweren, niemand anderem als den Plänen der Machthaber in Moskau,
die viele Wege zu gehen wissen, um ihr Ziel zu erreichen. Und mancher merkt es nicht, der für sie den Kurier macht.
— Herr Loritz, Sie müssen's ja wissen, wenn von Kurier gesprochen wird!
— Die bessere Auskunft als ich kann Kollege Löfflad darüber geben.
Es läßt sich unschwer vorstellen, daß die große Rechnung der Sowjets, den Bolschewismus über ganz Europa auszudehnen, glatt aufgehen muß, wenn es ihnen gelungen ist, die zentrifugalen Kräfte in den europäischen Staaten bis zum Scheitern der europäischen Einigkeit zu stärken.
Die Sowjets wollen das Risiko eines dritten Weltkrieges nicht auf sich nehmen, um Europa in die Hand zu bekommen, ihre Macht an den Atlantik vorzuschieben und ihre Hand auf das Ruhrgebiet zu legen, es genügt für sie, wenn sie mit dem Aufgebot- aller diplomatischen, politischen, propagandistischen und psychologischen Mittel die Einigung Europas verhindern können,
weil sie genau wissen, daß damit in absehbarer Zeit automatisch der Abzug amerikanischer Truppen aus Europa und damit das Erlöschen der amerikanischen Sicherheitsgarantie für die europäischen Staaten verbunden ist.
Die Russen sind das einzige Volk in der Geschichte dieser Welt, das sich in seiner Politik immer Zeit gelassen und alle Ziele auf lange Sicht und bis heute mit Erfolg verfolgt hat. Ob das „Ami, go home" von kommunistischen Schmierhänden an die Wand gepinselt oder ob dieses Ziel indirekt durch Stärkung der europafeindlichen Kräfte bis zur endgültigen Verhinderung des europäischen Zusammenschlusses verfolgt wird, all das liegt auf einer einzigen Linie.
Das Fernziel ist immer das gleiche, und mit einer einfachen, prägnanten Formulierung gesagt heißt es: über die Zersplitterung Europas zur Bolschewisierung Europas.
Wir lassen uns nicht irremachen in unserem Willen, die europäische Einigung zu vollziehen. Wir warnen aber mit allem Nachdruck davor, Teilprobleme in einer Weise zu lösen, die im Widerspruch zum Grundgedanken der europäischen Solidarität steht.
Was muß in Europa erreicht werden? Ohne Zweifel mehr als eine Verteidigungsgemeinschaft! Aus dem in 17 Staaten aufgespaltenen Resteuropa zwischen dem bolschewistischen Koloß und der Weltmacht Amerika muß ein in Freiheit und Gleichberechtigung geeintes Europa entstehen, oder Europa wird in absehbarer Zeit nicht mehr sein als ein geographischer Begriff auf der Landkarte.
Es wird nicht mehr sein, nicht durch die Schuld der Bolschewiken, es wird nicht mehr sein durch die Schuld der in nationale Sonderinteressen verstrickten Völker.
Dieses Europa hat ein gemeinsames Schicksal und
eine gemeinsame Zukunft. Was liegt näher, als daß
es zu einer gemeinsamen Politik kommen muß?
Es wird zu einer gemeinsamen Politik kommen, wenn es gelingt, eine europäische Staatsidee statt einer Addition von nationalistischen Länderideen zu entwickeln,
eine europäische Staatsidee, die viel guten Willen und manchen Verzicht von jedem Teilnehmer erfordert. Der politische Weg dieser europäischen Staatsidee ist vorgezeichnet durch Geschichte und Kultur des Abendlandes. Eine echte europäische Verteidigungsgemeinschaft kann in diesem Sinne nichts anderes sein als das natürliche Ergebnis einer europäischen Staatsidee.
Europa muß aus der Idee und aus seiner geschichtlichen Aufgabe heraus entwickelt werden. Dieses Europa soll eine Armee für seine Verteidigung besitzen, aber Europa soll nicht eine Armee sein, die sich einen Staat schafft.
Die Aufgabe Europas ist es zunächst, den eigenen Bestand zu sichern und damit wieder einen unentbehrlichen und stabilen Faktor der Weltpolitik zu schaffen. Die Aufgabe dieses' Europas ist es nicht, die Gegensätze auf dieser Welt zu verschärfen, sondern sie allein durch sein Dasein und durch seine soziale Ordnung im Innern dieses Kontinents zu entspannen.
Darum, meine Damen und Herren, wird dieses Europa berufen sein — und hier wollen wir uns einmal über den Begriff „Frieden" unterhalten —, eine klare Friedenspolitik zu betreiben. Friedenspolitik heißt nicht Schwäche. Friedenspolitik heißt niemals Entwaffnung. Friedenspolitik heißt vor allen Dingen nicht leichtsinnige Hoffnung auf Errettung durch die Hand des Zufalls.
Friedenspolitik heißt eines: klar erklärter Verzicht darauf, politische Ziele mit Gewalt durchsetzen zu wollen.
Friedenspolitik heißt aber auch, einem eventuellen
Angreifer klarzumachen, daß sein Angriff auf' den
organisierten Gesamtwiderstand Europas und Amerikas stoßen wird.
Wenn wir noch in der Zeit der Entscheidungen im megalithischen Zeitalter leben würden, könnten wir diese Entscheidung bis zum Probefall zurückstellen. In der Mitte des 20. Jahrhunderts ist es uns nicht möglich, den Fall der Bedrohung nach erfolgtem Eintritt überhaupt erst wahrzunehmen oder als gegeben festzustellen.
So gern ich auch die beiden mitsammen sprechen sehe
— allmählich lerne auch ich politische Vernunft, Kollege Schoettle —,
so gern ich die beiden mitsammen sprechen sehe,
so möchte ich doch Herrn Dr. Adenauer und
Herrn Dr. Schumacher nicht gern hinter
Stacheldraht im Ural sich darüber unterhalten
sehen, was sie im Frühjahr 1952 hätten tun sollen!
— Gehn's, ich würde Ihre Aufregung dann viel ernster nehmen, — —
— Ja, die Herren von der außerordentlichen Linken!
Schau'n Sie, ich würde Ihre Aufregung viel ernster nehmen, wenn ich nicht gerade in Bayern erlebt hätte, daß kommunistische Denunzianten sich amerikanischen Entnazifizierungsstellen bis zum Überdruß aufgezwängt haben!
Das war die Zeit, zu der es noch gefährlich war,
gegen den Bolschewismus auch hier zu sprechen.
Meine Damen und Herren, dieses Europa kann nicht neutral sein. Dieses Europa darf niemals aggressiv sein. Aber dieses Europa muß durch seine Stärke und durch die Stärke seiner Bundesgenossen jeden Angriff für den Angreifer zum Selbstmord machen.
Wir müssen dem russischen Volk und den sowjetischen Machthabern die Furcht, aber auch den Vorwand nehmen, daß eine europäische Verteidigungsgemeinschaft Werkzeug oder Vorbereitung eines Angriffskrieges gegen das russische 'Volk werden kann.
In diesem Europa hat Deutschland ganz bestimmte Möglichkeiten, ganz bestimmte Aufgaben und damit auch eine ganz bestimmte Verantwortung, die in unseren Händen liegt; eine Verantwortung, die wir nicht dadurch ablehnen können und um die wir uns nicht dadurch herumdrücken können, daß wir die Frage der Legitimation dieses Bundestages aufwerfen.
'
Es würde sonst zur Sitte der Feinde der Demokratie werden — worunter ich Sie selbstverständlich nicht verstehe, Kollege Ollenhauer —, jedem Parlament vor seinem Gang zur Arbeit einen Exklusivkatalog der Angelegenheiten zu geben, über die es entscheiden darf.
Ein anderer Kollege meiner Fraktion wird über die Frage der politischen Legitimation und die Frage der juristischen Zusammenhänge auch in dieser Sache ein klares Wort sprechen.
Ohne Deutschland kommen weder ein europäischer Staat noch eine europäische Verteidigungsgemeinschaft zusammen. Wir müssen alle Möglichkeiten, die uns gegeben sind, sehr sorgfältig prüfen und die Voraussetzungen festlegen, die zu einer klaren Entscheidung führen können. Wir müssen immer und immer wieder betonen, daß für uns Leben und Sicherheit unseres eigenen geliebten deutschen Volkes allein ausschlaggebend sein dürfen.
Wir lassen uns unsere Entscheidung weder durch amerikanische Forderungen vorschreiben noch durch die Sicherheitswünsche unserer westlichen Nachbarn in Europa!
Wir haben uns mit zwei Argumenten zu befassen, die grundsätzlich gegen einen Verteidigungsbeitrag angeführt werden. Erstens einmal: Ein deutscher Verteidigungsbeitrag verhindert die deutsche Einigung und verewigt die Spaltung unseres Volkes. Zweitens: Ein deutscher Verteidigungsbeitrag erhöht die Kriegsgefahr. Meine Damen und Herren, ich glaube, bei dieser Debatte muß diese Frage gestellt werden. Sie ist die Frage des Risikos für uns nach zwei Seiten hin. Diese Frage wird draußen im Volk gestellt, und das Parlament muß sie beantworten. Diese Argumente werden besonders von der „Notgemeinschaft für den europäischen Frieden" angeführt
und zur Verwirrung der Begriffe in der Öffentlichkeit mit lauter Stimme breitgetreten.
Bei dieser Gelegenheit erlaube ich mir einmal festzustellen, daß uns die Bezeichnùng „Notgemeinschaft für den europäischen Frieden" eine Anmaßung zu sein scheint.
Ob CDU-Heinemann oder FU-Wessel dabei ist, spielt in diesem Falle für unsere Beurteilung nicht die geringste Rolle.
Wir nehmen für uns in Anspruch, in tiefstem Ernste und in drückender Verantwortung den besten Weg für die Sicherung unseres Volkes und für die Rettung des Friedens zu erkämpfen. Wir wissen, daß heute ganz Europa eine Notgemeinschaft geworden ist
und daß diese anspruchsvolle Bezeichnung nicht von einem Reiseteam peripatetischer Politiker mit Beschlag belegt werden kann.
Meine Damen und Herren, wir sind durch die Erfahrungen des zwölfjährigen Reiches hellhörig dafür geworden, wie man mit Worten und Begriffen Schindluder treiben kann.
Es hängt nicht von den Buchstaben ab, es hängt nicht von den Worten ab, die über die Lippen kommen,
es hängt von der inneren Gesinnung ab, ob jemand mit dem Worte Frieden auch wirklich Frieden meint oder nur eine gute Tarnbezeichnung für die Kriegsvorbereitung,
'
ob er mit dem Worte Freiheit das persönliche Recht des Einzelmenschen auf Freiheit der Meinung und Unverletzlichkeit der Person meint oder ob er dieses Wort mißbraucht für die Willkür des Kollektivs, den Menschen zum Sklaven zu machen.
Wir in Deutschland haben eine harte Schule in dieser Hinsicht hinter uns. Aber diese harte Schule hat, so grauenhaft die Opfer geworden sind, die auf der Strecke bleiben mußten, eines für sich gehabt, meine Herren von der extremen Linken: Wir sind immun geworden gegen den Schwindel, der sich hinter Begriffen und Worten tarnt.
Sie werden, wenn das deutsche Volk aufgeklärt ist, wenige finden, die sagen: Ich bin neutral, sagte das Schaf.
— Wenn Sie sich getroffen fühlen, Herr Kollege Loritz, habe ich nichts dagegen.
So wird mit dem Worte deutsche Einheit gerade von denen am meisten Mißbrauch getrieben, die es am wenigsten ernst meinen mit einer deutschen Einheit in wirklicher Freiheit.
Wir wollen — das sei mit aller Deutlichkeit und endgültig für den Standpunkt unserer Fraktion klargestellt; Herr Kollege Ollenhauer, ich darf darauf eine Antwort geben — uns auf keinen Fall abfinden mit dem Provisorium der Bundesrepublik. Für uns steht, auch wenn wir uns in den Methoden unterscheiden — wer recht hat, mag sich hoffentlich nicht erst zu spät zeigen —, am Ende des Weges — —
Für uns steht am Ende des Weges das Definitivum einer gesamtdeutschen Lösung.
— Herr Kollege Arndt, wenn Sie Behauptungen aufstellen, dann müssen sie wahr sein.
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— Ich habe nicht gegen gesamtdeutsche Wahlen gestimmt. Ich werde als Bayer, der entgegen manchen Landsleuten niemals den gesamtdeutschen Standpunkt auch nur um einen Millimeter aufgegeben hat, niemals zulassen, daß vom Recht der Länder ein Millimeter abgezwackt wird.