Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.
Meine Damen und Herren, der Abgeordnete Dr. Stavenhagen scheidet als stellvertretendes Mitglied der Parlamentarischen Versammlung des Europarates aus. Die Fraktion der CDU/CSU hat Abgeordneten Dr. Abelein als seinen Nachfolger benannt. Sind Sie damit einverstanden? — Ich höre keinen Widerspruch. Damit ist Abgeordneter Dr. Abelein als stellvertretendes Mitglied in die Parlamentarische Versammlung des Europarates gewählt.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die verbundene Tagesordnung um die Beratung der Anträge der Fraktion der SPD und der Fraktion DIE GRÜNEN zur Kündigung des Kulturabkommens mit Südafrika — Drucksachen 10/3868, 10/3870 — sowie um den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP zum Kulturabkommen mit Südafrika — Drucksache 10/3878 — erweitert werden. Es ist vorgesehen, die drei Anträge als Zusatzpunkt 3 a bis c nach der Aktuellen Stunde aufzurufen. Sind Sie damit einverstanden? — Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich rufe den Zusatz-Tagesordnungspunkt 2 auf: Aktuelle Stunde
Haltung der Bundesregierung zu den französischen Atomwaffentestversuchen im Südpazifik und zu dem Vorgehen der französischen Regierung gegen die Umweltschutzorganisation Greenpeace
Meine Damen und Herren, die Fraktion DIE GRÜNEN hat gemäß Nr. 1 c der Anlage 5 unserer Geschäftsordnung eine Aktuelle Stunde zu dem genannten Thema verlangt.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Suhr.
Guten Morgen, Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Monsieur le Président! Liebe Freunde im Südpazifik! Frankreich hat unter seinem sozialistischen Staatspräsidenten François Mitterrand unseren Freunden von Greenpeace den Krieg erklärt. Greenpeace kämpft seit vielen Jahren mit großem Mut gegen den Wahnsinn der atomaren Testversuche: seitens der Franzosen, seitens der Amerikaner, seitens der Sowjetunion, seitensder Briten und der Chinesen. Es ist der Kampf eines David gegen Goliath. Er wird von der internationalen Friedensbewegung und von einer unglaublichen Welle der Sympathie über die ganze Welt getragen.
Auch wenn sich Frankreich gestern zu Schadensersatzzahlungen wegen des Attentats bereit erklärt hat, der Skandal ist noch nicht vom Tisch.Seit 1972, als ein Greenpeace-Schiff bei dem Versuch, die Atomwaffentests auf Mururoa zu stören, zum erstenmal von einem französischen Minensuchboot gerammt wurde, ereignete sich eine Reihe gewalttätiger Angriffe der Franzosen gegen Greenpeace. 1973 wurde David McTaggart von französischen Marinesoldaten halb blind geschlagen. 1980 rammten französische Kriegsschiffe die „Rainbow Warrior" im Hafen von Cherbourg manövrierunfähig. 1983 wurde das Schiff „Sirius" mit Tränengasgewehren beschossen. Der französische Geheimdienst — offensichtlich mit Wissen höchster Regierungskreise — schreckt nicht vor Mord und Totschlag, vor Bombenterrorismus zurück. Diese grausame Wahrheit, wie Premierminister Fabius jüngst erklärte, zeigt, daß die Atommächte im Ernstfall keine Gnade kennen, wenn sie ihre Sicherheitsinteressen berührt sehen. Spione in Frankreich, aber wohl überall auf der Welt, visieren gewaltfreie Aufklärer schon als Leiche an, über die sie gehen werden, als treue Diener ihres Staates zu allem entschlossen.Seit dem 10. Juli 1985, seit dem Mord an Fernando Pereira, hatten wir die seltene Gelegenheit, zu beobachten, daß viele Wochen lang ein staatlich organisiertes Lügengespinst aufgezogen wurde, das sich nun nach und nach langsam in seine einzelnen Bestandteile auflöst. Tag für Tag kommen neue Erkenntnisse. Die französische Regierung muß Stück für Stück ihre Verantwortung für den Mord und das Attentat zugeben.
Was sagt die Bundesregierung dazu? Die Bundesregierung schweigt. Die Bundesregierung schweigt wie ein Grab. Sie schweigt zum Attentat. Sie
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11848 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 159. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. September 1985
Suhrschweigt zu den Atomversuchen im Südpazifik, wo seit über 20 Jahren Atomversuche an lebenden Menschen vorgenommen werden.
Sozusagen Dr. Kohls gesammeltes Schweigen. Auf all unsere Anfragen — von meiner Kollegin Petra Kelly und anderen — wollte sich die Bundesregierung nicht äußern.
Das ganze Attentat paßt messerscharf zur Geschichte der französischen Atomwaffentests im Südpazifik, diesem einstigen Paradies in der Südsee. Viele Inseln sind heute nur noch atomare Wüsten, ohne Bäume, ohne Häuser. Das Erdreich mußte abgetragen werden, weil es radioaktiv verseucht ist. Viele Fischgründe können nicht mehr genutzt werden, weil sich die Fische nicht mehr zum Verzehr eignen. Die Bevölkerung auf den Inseln muß mit Konserven ernährt werden.In den Überseeterritorien Frankreichs hat der dritte Weltkrieg — wie in den Testgebieten der anderen Nuklearmächte — schon begonnen. Über 120 Atomexplosionen, davon bis 1974 47 oberirdische Tests, rund 80 unterirdische Tests, hat die französische Armee in Mururoa ausgelöst. Bei jedem Test sinkt das Mururoa-Atoll um mehrere Zentimeter. Es wird von vielen Wissenschaftlern befürchtet, daß das ganze Atoll auseinanderbricht und das gesamte radioaktive Inventar freigesetzt wird und zu einer ökologischen Katastrophe führt.
Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist abgelaufen.
Ich komme zum Ende.
Wir fordern mit allem Nachdruck den französischen Präsidenten auf: Beenden Sie die Atomwaffenversuche im Südpazifik! Wenden Sie nicht länger Gewalt gegen Greenpeace an! Wir fordern alle Atommächte auf: Beenden Sie die Atombombentests! Unterstützen Sie ein Atomtestmoratorium als ersten Schritt hin zu einer faktischen Abrüstung!
Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Abgeordnete Berger.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wer mehr Sicherheit schaffen will in dieser Welt, der darf die Sicherheitsinteressen anderer nicht geringachten, sondern er muß sie respektieren. Die Atomversuche Frankreichs im Südpazifik sind gewiß ein heikles Thema. Die Tatsache, daß Frankreich solche Versuche überhaupt durchführt, ist schon schwierig zu begründen. Die Tatsache, daß dies auch noch außerhalb seines Kerngebietes geschieht, macht die Sache natürlich nicht einfacher.
Ich sage: schwierig zu begründen, aber nicht unmöglich. Solange es nämlich Atomwaffen gibt, wird es auch den Versuch geben, die noch ungeklärten Phänomene der Kernspaltung oder Kernfusion zu klären.Übrigens — und auch das ist ein Faktum — tragen solche Versuche auch zur Minderung der den Atomwaffen inhärenten Gefahren bei, ja sogar zur Minderung der Atomwaffen selbst.
Es gibt Dinge, die sind so vielschichtig und kompliziert, daß sie sich nicht mit den Methoden eines Marktschreiers lösen lassen, auch nicht durch Legendenbildung. Die GRÜNEN machen es sich wie immer zu leicht.
Ohne Rücksicht auf die Erfordernisse der eigenen Sicherheit, ohne Rücksicht auf die notwendige gute Zusammenarbeit mit unserem nächsten Nachbarn Frankreich, der zugleich auch unser nächster Sicherheitspartner ist, und in Vorspiegelung der Fata Morgana einer heilen, atomwaffenfreien Welt fordern Sie: 1. Schluß mit den Versuchen und 2. Schluß mit den Versuchen auf diesem Atoll!
Erreichen werden Sie nichts. Wer Frankreich veranlassen will, die Atomwaffenversuche einzustellen und darauf in Zukunft zu verzichten, der muß dafür Sorge tragen, daß Frankreich seine Sicherheit ohne Atomwaffen findet. Angesichts des Kräfteverhältnisses der französischen Atomwaffen zum Potential der Supermächte, besonders zum Potential der die französische und unsere Sicherheit bedrohenden Supermacht Sowjetunion, kann das nur heißen: Substantielle Verminderung der Atomwaffen für beide Supermächte; also: Erfolg bei START, Erfolg bei INF, Erfolg bei den Verhandlungen in Genf.Und dann erhebt sich die Frage: Wer hat diesen Erfolg bei diesen Verhandlungen bisher verhindert?
Frankreich nicht; die Bundesrepublik Deutschland nicht; die Bundesregierungen — ich betone die Mehrzahl: Bundesregierungen — nicht; die USA nicht, sondern einzig und allein die Sowjetunion.
Es ist übrigens ein Irrtum, zu glauben, mit papierenen Protesten gegen die französischen Atomwaffenversuche die Welt heilen zu können.
Die Bundesregierung hält sich hier aus guten Gründen klug zurück. Was wir wollen, ist die substantielle Verringerung der Atomwaffen unter Wahrung unserer und anderer Länder Sicherheit, also bei gesamtstrategischer Stabilität.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 159. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. September 1985 11849
BergerSie, meine Damen und Herren, würden genau dies gefährden und damit auch das Ziel der Verringerung der Atomwaffen gefährden.
Das wäre dann eine Voraussetzung für einen umfassenden Teststopp, den wie, die Christlich Demokratische Union, den diese Koalition und den sämtliche Bundesregierungen bisher immer wieder zu einer zentralen Forderung erhoben haben.
Eine solche Politik, wie ich sie zu skizzieren versucht habe, erfordert Augenmaß, Wirklichkeitssinn und Geduld,
alles Eigenschaften, die den Antragstellern dieser heutigen Aktuellen Stunde sehr fremd sind.Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Voigt .
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In Frankreich ist Verteidigungsminister Hernu zurückgetreten, weil er für die Vorgänge und Entscheidungen, für deren Bereich ihm die politische Zuständigkeit übertragen worden war, auch die politische Verantwortung übernommen hat.
In der Bundesrepublik bleibt Bundesinnenminister Zimmermann im Amt,
weil er politische Verantwortung von sich auf Beamte abschiebt.
Herr Zimmermann, nehmen Sie sich ein Beispiel! Bekennen Sie sich zur politischen Verantwortung und treten Sie endlich zurück!
Die Art der Vorwürfe ist nicht vergleichbar; aber die politische Kultur der Regierungschefs leider auch nicht. In der Bundesrepublik versucht der Regierungschef Fehlverhalten zu verschleiern. In Frankreich bekennt sich der Regierungschef dazu, daß falsche Entscheidungen getroffen worden sind, und zieht daraus personelle Konsequenzen.
Für uns Sozialdemokraten ist die deutsch-französische Freundschaft ein Wert, den zu hüten eine gemeinsame Aufgabe der Regierungen und der Oppositionen in Bonn und Paris ist.
Wir verabscheuen die begangenen Verbrechen. Aber wir bewundern auch die demokratische Tradition unseres Nachbarlands, die darin zum Ausdruck kommt, daß die dortige Regierung Verbrechen, die durch ihren Geheimdienst begangen wurden, auch öffentlich Verbrechen nennt. Es ist der demokratischen Tradition der französischen Presse zu danken, daß die grausamen Wahrheiten im Interesse der politischen Moral zur öffentlichen Anprangerung, aber auch zu Schritten der politischen Selbstreinigung geführt haben. Ich kann der französischen Regierung nur sagen: Je mehr sie den Mut zur Selbstreinigung findet, desto größer wird ihr internationales Ansehen werden.
Ich möchte hoffen und bitten, daß die französische Regierung auch zu Gesten der politischen Wiedergutmachung und der materiellen Entschädigung gegenüber der Umweltorganisation Greenpeace bereit ist.
Wir haben im Rahmen unserer Parteibeziehungen zu der neuseeländischen Labour Party und den französischen Sozialisten in den letzten Tagen in diesem Sinne zu wirken versucht. Wie es scheint, mit Aussicht auf Erfolg, denn wir sind an guten Beziehungen zwischen diesen beiden Demokratien interessiert. Hierzu gehört auch, daß wir unseren französischen Freunden offen sagen, daß wir nicht nur für einen nuklearen Teststopp und ein Teststoppmoratorium bei den beiden nuklearen Weltmächten, sondern auch für einen nuklearen Teststopp Frankreichs eintreten.Wir begrüßen es, wenn Frankreich seine nationalen sicherheitspolitischen Interessen noch mehr als bisher im Sinne gemeinsamer deutsch-französischer Interessen definiert, aber wir halten auch daran fest, daß Sicherheit im Nuklearzeitalter dauerhaft nur durch abrüstungspolitische Fortschritte garantiert werden kann.
In diesem Sinne entspricht auch konzeptionell in der Sicherheits- und Abrüstungspolitik eine Verständigung zwischen dem neuseeländischen Ministerpräsidenten Lange und dem französischen Premierminister Fabius unseren eigenen konzeptionellen Ansätzen und unseren politischen Zielen. In diesem Sinne haben wir ein Interesse, auch in dieser Debatte zu versuchen, den Schaden, der dort entstanden ist, nicht zu vergrößern und die Verbrechen, die begangen worden sind, nicht zu verharmlosen,
aber daraus Lehren zu ziehen. Die Konsequenz für uns heißt, Wiedergutmachung für Greenpeace, aber zu einer Verständigung zwischen Neuseeland und Frankreich in einer Form beizutragen, die der deutsch-französischen Freundschaft nicht schadet, sondern nützt.
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11850 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 159. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. September 1985
Das Wort hat Herr Abgeordneter Ronneburger.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist schon ein gespenstischer Vorgang: Der Vertreter der SPD benutzt die Gelegenheit dieser Aktuellen Stunde zu einem ganz bestimmten Vorgang zu innenpolitischen Angriffen, indem er nicht Vergleichbares — Herr Kollege Voigt, nicht Vergleichbares — miteinander vergleicht.
Ich will dazu weiter gar nichts sagen. Der Vertreter der GRÜNEN tritt hier auf, als habe die Politik der Bundesregierung, der Bundesrepublik Deutschland in bezug auf Atomwaffentests, auf Einschränkung atomarer Rüstung erst mit dem Moment begonnen, wo Sie hier in dieses Hohe Haus eingezogen sind.
Meine Damen und Herren, wer sich über die Haltung der Bundesrepublik Deutschland und ihrer Regierungen bis zum heutigen Tage informieren wollte, der brauchte weiß Gott keine Aktuelle Stunde zu beantragen, sondern er hätte sich vielleicht einmal in den öffentlichen Medien informieren sollen, bis in die jüngste Vergangenheit hinein. Die Politik der Bundesregierung und ihrer Vorgängerin hat von jeher darauf gezielt, eine Politik des Vertrauens und der Zusammenarbeit als beste Grundlage gegen die Verbreitung von Kernwaffen zu betreiben,
und ein umfassender Atomteststopp hat von jeher zu den Zielen aller Bundesregierungen gehört. Ich verweise deswegen in dieser Aktuellen Stunde auch auf das, was in der jüngsten Überprüfungskonferenz des Nichtverbreitungsvertrages seitens der Bundesregierung getan und vorgeschlagen worden ist.
Die Bundesregierung — ich sage das an Ihre Adresse, an die Mitglieder der GRÜNEN-Fraktion hier im Bundestag — und ihre Vorgängerinnen haben hier konsequent gehandelt, bis zum heutigen Tage hin.
Schon 1954 hat die Bundesrepublik als erster Staat der Welt, völkerrechtlich verbindlich, im Rahmen des WEU-Vertrages auf die Herstellung von Kernwaffen verzichtet,
1957 hat sie im Euratom-Vertrag die Annahme supranationaler Kontrollen über ihr gesamtes friedliches Kernenergiepotential akzeptiert,
— hören Sie doch bitte mal zu, habe ich Sie unterbrochen? — und 1975 trat für uns der Nichtverbreitungsvertrag in Kraft.
Damit verweise ich auf einen Vertrag, in dessen Präambel ein allgemeiner Teststopp als Ziel der Politik bezeichnet worden ist. Die Bundesregierung, meine Damen und Herren, hat jetzt in Genf bei der jüngsten Überprüfungskonferenz einen ernsthaften Vorschlag für eine verifizierbare Lösung dieses Problems gemacht. Wir gehen dabei gar nicht davon aus, daß der Teststopp als solcher bereits ein Abbau atomarer Rüstung ist. Aber wir gehen davon aus, daß Teststopp ein erster notwendiger Schritt auf dem Wege ist, die Geißel der Atomwaffen wieder aus der Welt zu beseitigen.
Dies ist unser politisches Ziel, und über dieses politische Ziel hätten Sie sich informieren können, wenn Sie nur einmal Ihren Radioapparat angestellt und zugehört hätten, was von unserer Seite, was von seiten dieser Koalition, was von seiten der Bundesregierung in dieser Beziehung unternommen und praktisch vorgeschlagen worden ist als einen weiteren Schritt auf dem Wege, Atomwaffen zu reduzieren, Atomwaffen, die wir nicht haben, nicht haben wollen und nicht produzieren, und von denen wir glauben, daß ihre Beseitigung, zumindest ihre Reduzierung erst einmal und die Einführung eines Teststopps wichtige Schritte sein könnten auf einem Wege, auf dem wir eigentlich gemeinsam vorangehen sollten und angesichts eines Ereignisses wie des Vorganges in Neuseeland nicht versuchen sollten, innenpolitisches Kapital zu schlagen — Herr Voigt, das gilt auch für Sie, das gilt für die GRÜNEN — aus einem Vorgang, der uns alle veranlassen sollte, gemeinsam zu handeln im Sinne einer Wahrung des Friedens und der Sicherung einer Welt, in der sich auch in Zukunft zu leben lohnen wird. Ihre Zwischenrufe werden an der Notwendigkeit eines solchen gemeinsamen Handelns überhaupt nichts ändern. Wenn Sie es denn nicht mitmachen, wir — das kann ich Ihnen sagen — werden auf diesem Wege weiter vorangehen.
Das Wort hat der Abgeordnete Klejdzinski.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Jeder halbwegs politische mündige Bürger hat sich in den letzten Tagen und Wochen zu den Vorgängen im Mururoa-Atoll und der damit zusammenhängenden Versenkung des Greenpeace-Schiffes „Rainbow Warrior" im neuseeländischen Hafen Auckland eine Meinung gemacht. Ich finde es eine schlimme Sache, die uns alle angeht. Es geht nicht darum, hier große politische Erklärungen zu allen Problemen heute mor-
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 159. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. September 1985 11851
Dr. Klejdzinskigen abzugeben, sondern es geht darum, daß wir uns bewußt machen, daß zwei Problemkreise heute morgen hier behandelt werden müssen.Die erste Frage, die uns hier wirklich angeht, ist friedlicher Protest auf der einen Seite und Beseitigung des friedlichen Protests durch einen Gewaltakt auf der anderen Seite. Der zweite Punkt ist die Haltung gegen Atomversuche generell. Wie war doch der historische Ablauf?Der neuseeländische Ministerpräsident David Lange hat die Versenkung des Greenpeace-Schiffes als einen „schmutzigen Akt eines staatlich unterstützten internationalen Terrorismus" bezeichnet.
Die anfängliche Reaktion der französischen Regierung ist Sprachlosigkeit. Später reagiert sie und verweist auf die negativ-bilateralen Folgen für das Verhältnis der beiden Staaten. Greenpeace protestiert erneut. Es ist ein friedlicher Protest. Es ist ein Protest gleichzeitig auch gegen Atomversuche, und alle, die gegen Atomversuche protestieren, haben unserer Unterstützung als Sozialdemokraten.
Ich bin allerdings der französischen Regierung dankbar, daß sie heute selbst diese Versenkung des Schiffes als einen kriminellen Akt bezeichnet.
Das wird auch so von uns gesehen. Wir haben allerdings auch — und das ist eine entscheidende Frage für uns — eine Bestätigung grundsätzlicher Art darüber erhalten, daß die Kontrolle der Geheimdiensté ein sehr schwieriges Geschäft ist. Dies soll auch bei konservativen Regierungen vorgekommen sein, und wie wir gegenwärtig feststellen, scheint es sich auch weiterhin so abzuspielen.
— Ihre Bemerkung, Herr Berger, würde ich hier nicht wiederholen, weil sie durchaus in dem Sinne, wie Sie das interpretiert haben, Anlaß zu Zweifeln darüber sein könnte, ob Sie es ehrlich mit dem meinen, was Sie hier als Zwischenruf eingebracht haben.
Nach den Kriegsverbrecherprozessen in Nürnberg habe ich persönlich starke Zweifel — es ist für mich eigentlich unvorstellbar —, daß Mord auf Befehl in dieser Welt ungeahndet bleibt.
Welche unerklärliche Verwirrung der Geister ließ die Planer dieses Anschlags glauben, man könne dem weltweiten Atomprotest mit der Versenkung eines Kutters den Garaus machen!Die Bundesregierung — dies möchte ich auch an die Adresse meines sehr geschätzten Kollegen von der FDP sagen — hüllt sich in dieser Frage allerdings in Schweigen. Da hilft es auch nichts, daß dieFDP erneut versucht, ihre Position dazwischen im einzelnen zu definieren.Im übrigen teile ich die Meinung, wie sie die Greenpeace-Zentrale in London kurz und treffend formuliert hat, nämlich daß der internationalen Atomrüstung eine grundlegende Unmoral zugrunde liegt. Nach Einschätzung von uns Sozialdemokraten äußert sich dies auch in menschenverachtenden Atomversuchen.Herzlichen Dank.
Ich erteile das Wort dem Staatsminister im Auswärtigen Amt, Herrn Möllemann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die heutige Aktuelle Stunde gibt mir Veranlassung, an die denkwürdige Rede zu erinnern, die Staatspräsident Mitterrand am 20. Januar 1983 vor diesem Hohen Hause gehalten hat. Er sagte damals:Unsere Völker hassen den Krieg. Sie haben unter Kriegen zu lange leiden müssen. Das gilt auch für die anderen europäischen Völker. Das französische Denken wird von einem einfachen Streben geleitet: Der Krieg muß weiterhin unmöglich sein, und wer daran denkt, sollte von seinen Absichten abgeschreckt werden.Er sagte weiter:Unsere Analyse und unsere Überzeugung, die Überzeugung Frankreichs, gehen dahin, daß Kernwaffen als Instrument der Abschreckung die Garantie für den Frieden bleiben — ob man das nun als wünschenswert oder bedauerlich ansieht —, solange ein Gleichgewicht der Kräfte besteht.Ferner sagte der französische Staatspräsident:Die französische Kernstreitmacht ist und bleibt unabhängig. Diese Unabhängigkeit und alles, was daraus folgt, ist nicht nur ein Grundprinzip unserer Souveränität — die Entscheidungsbefugnis liegt einzig und allein beim Präsidenten der Französischen Republik —, sondern sie erhöht auch — und das bitte ich Sie zu bedenken — die Unsicherheit für einen eventuellen Aggressor und nur für ihn. Damit macht sie zugleich die Abschreckung wirksamer und sorgt mithin dafür — ich wiederhole es —, daß der Krieg unmöglich bleibt.So weit die Äußerungen des französischen Staatspräsidenten hier im Deutschen Bundestag.Das Nordatlantische Bündnis, in dem die Bundesrepublik Deutschland mit Frankreich und den anderen Mitgliedstaaten verbündet ist, hat diesen Beitrag der französischen Nuklearstreitkräfte zur gemeinsamen Sicherheit ausdrücklich in einer von den Staats- und Regierungschefs der NATO-Staaten am 26. Juni 1974 in Brüssel unterzeichneten Erklärung mit der Feststellung anerkannt, daß Frankreich und Großbritannien Nuklearstreitkräfte besitzen, die in der Lage sind, eine eigene Abschrek-
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11852 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 159. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. September 1985
Staatsminister Möllemannkungsrolle zu übernehmen, die zur Stärkung der gesamten Abschreckungskraft des Bündnisses beiträgt.
An diesem 26. Juni 1974 vertraten übrigens ein sozialdemokratischer Bundeskanzler und ein sozialdemokratischer Verteidigungsminister die Bundesrepublik.
Nicht zuletzt die besondere Verbindung deutscher Sicherheitsinteressen und französischer Sicherheitsinteressen hat unsere beiden Länder in dem Vertrag über die deutsch-französische Zusammenarbeit vom 22. Januar 1963 zusammengeführt. Wir verkennen dabei nicht, daß Frankreich als Nuklearmacht eine besondere Stellung in Europa hat. Aber seine Nuklearwaffe liegt auch im Interesse seiner europäischen Partner.
So unentbehrlich für die Sicherheit Europas der nukleare Schutz der Vereinigten Staaten ist
— Präsident Mitterrand hat dies übrigens in seiner Rede hier ebenfalls unterstrichen —, die französische Nuklearmacht fügt ihm eine zusätzliche, unabhängige Komponente hinzu.Frankreich hat sich wiederholt zur gemeinsamen Politik aller Partner im Atlantischen Bündnis und auch dazu bekannt, daß die Bemühungen um Rüstungskontrolle und Abrüstung integrale Bestandteile der gemeinsamen Sicherheitspolitik sind
und daß wir ein stabiles Gleichgewicht der Kräfte auf einem möglichst niedrigen Niveau der Rüstungen anstreben.Außenminister Dumas hat die französische Position zur Frage des nuklearen Teststopps noch am 6. September dieses Jahres deutlich gemacht. Ich zitiere ihn:Für die französische Regierung sind es die beiden Supermächte, die über die größten Arsenale verfügen und bei weitem die größte Anzahl von Versuchen unternehmen — Frankreich hat bis heute nicht ein Zehntel der Versuche unternommen, die die USA und die Sowjetunion durchgeführt haben —,
die Supermächte also, denen es in erster Linie zukommt, eine schrittweise Abrüstung ihrer offensiven Systeme einzuleiten. Erst wenn die Erfüllung dieser Verpflichtungen die angemessenen Bedingungen geschaffen haben wird, wird Frankreich in der Lage sein, sich seinerseits dem Prozeß der nuklearen Abrüstung anzuschließen, wobei der Teststopp ein Teil davon ist.So weit der französische Außenminister.Wir Deutschen sind keine Atommacht und wollen es auch nicht werden, weder direkt noch indirekt.
Wir stehen zu unserem Verzicht auf Kernwaffen, der gegenüber unseren Partnern in der Westeuropäischen Union im Jahre 1954 erklärt wurde, wir stehen zum Nichtverbreitungsvertrag und setzen uns konsequent für ein umfassendes nukleares Testverbot ein.Das Verbot aller Kernsprengungen ist Gegenstand der Verhandlungen der Genfer Abrüstungskonferenz, an denen wir uns mit konstruktiven Beiträgen aktiv beteiligen. Ich selbst hatte die Gelegenheit, vor einigen Wochen bei der Überprüfungskonferenz zum Nichtverbreitungsvertrag einen umfassenden Vorschlag für die seismische Überwachung von Kernsprengungen in Genf einzubringen. Damit haben wir von seiten der Bundesregierung einen konstruktiven Beitrag zur Lösung der ja sehr schwierigen Verifikationsfrage geleistet.Auf dem Weg zu einem umfassenden nuklearen Teststopp messen wir auch den Bemühungen um die Schaffung kernwaffenfreier Zonen prinzipielle Bedeutung zu, wenn alle unmittelbar beteiligten Länder daran mitarbeiten und die sicherheitspolitische Stabilität in den betroffenen Regionen erhöht wird.Was nun das Attentat auf das Greenpeace-Schiff „Rainbow Warrior" am 10. Juli 1985 im Hafen von Auckland betrifft, möchte ich hier erneut die französische Regierung zitieren. Nachdem Präsident Mitterrand das Attentat als „kriminell und absurd" bezeichnet hatte, erklärte der französische Premierminister Laurent Fabius am 27. August 1985 wörtlich:Zum Abschluß dieser Erklärung möchte ich auf das Attentat gegen die „Rainbow Warrior" zurückkommen, welches — das dürfen wir nicht vergessen — ein Todesopfer gefordert hat ... Unsere Verurteilung dieses Attentats ist nicht, wie man gelegentlich gehört hat, die Verurteilung der schlechten Ausführung eines diskutablen Plans; es ist die absolute Verurteilung einer verbrecherischen Tat. Die Schuldigen — wer immer sie sein mögen — müssen sich für diese Verbrechen verantworten.Am 22. September erklärte Premierminister Fabius weiter:Der neue Verteidigungsminister hat mich soeben über die ersten Untersuchungsergebnisse in Sachen „Rainbow Warrior" unterrichtet. Ich wollte sie Ihnen sofort mitteilen. An Hand dieser Ergebnisse läßt sich die Wahrheit nunmehr erkennen: Agenten der DGSE haben dieses Schiff versenkt; sie haben auf Befehl gehandelt; diese Wahrheit war Staatsrat Tricot verschwiegen worden.Ich habe dem Präsidenten der Republik über diese schwerwiegenden Tatsachen berichtet, und wir waren der Ansicht, daß unverzüglich Maßnahmen zu treffen sind.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 159. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. September 1985 11853
Staatsminister MöllemannEr schloß diese Erklärung mit den Worten:Die Wahrheit über diese Angelegenheit ist furchtbar, aber sie muß eindeutig und vollständig aufgedeckt werden; dazu habe ich mich verpflichtet.Diese klaren Feststellungen des französischen Premierministers, also des Sprechers einer befreundeten Regierung, bedürfen keiner Kommentierung; sie sprechen für sich.Ich danke Ihnen, meine Damen und Herren, für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Scheer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Frage der Atombewaffnung und — im hier vorliegenden Fall — der Atomtests eignet sich mit Sicherheit nicht für irgendeine Form von Paukenschlagdebatte, weil das Problem — das dürfte ja uns allen klar sein — viel zu ernst ist, als daß es einfach mit dem üblichen Schlagabtausch behandelt werden könnte.
Die Frage, die wir uns stellen müssen, ist die: Wo steht man, wenn man ein deutsch-französisches Sicherheitsbündnis für notwendig hält, wo steht man bei der Frage der französischen Atomtests, und zwar auch als einzelner? Steht man in der Situation des Anwalts der französischen Force-de-frappe-Politik oder steht man in der Position des Anwalts von Atomteststopps? Vor zehn Jahren waren die Greenpeace-Aktionen im Südpazifik Aktionen, die dazu beigetragen haben, daß seinerzeit die französische Regierung die Atomwaffenversuche in der Atmosphäre einstellt. Sie erinnern sich, daß 1963 ein Atomwaffenteststopp-Abkommen beschlossen worden ist, das die Versuche nur noch unter der Erde erlaubte. Frankreich hat dieses Abkommen nie unterzeichnet und hat Atombombenversuche in der Atmosphäre im Südpazifik durchgeführt. Und damals waren es Greenpeace-Aktionen, die dazu beigetragen haben, und zwar mehr als jedes andere, daß Frankreich sich faktisch bei seinen Atomtests auf dem Vertragsstand der anderen bewegte, d. h. nur noch Tests unter der Erde durchführte. Das heißt, Greenpeace hat dazu beigetragen, daß Frankreich faktisch, nicht vertragsmäßig, die Position einnimmt, die auch die Bundesregierung eingenommen hat. Das zeigt doch, welchen Stellenwert, welche faire Bewertung und auch welche Notwendigkeit solche Aktionen haben können. Deswegen verdienen sie meines Erachtens großen Respekt, und es ist sicherlich nicht nur bei uns, sondern auch in der französischen Öffentlichkeit ungeheuer wichtig, diese Greenpeace-Aktion von dem Engagement her, das dahinter steht, so zu bewerten, wie es eine solche Aktion verdient.
Nun ein weiterer Punkt: Wo steht in diesen Fragen die Bundesregierung? Ist es ihre Aufgabe, sich lediglich gewissermaßen zum Interpreten der franzöischen Atomwaffenpolitik zu machen, oder ist ihre Aufgabe eine weitergehende? Ich glaube, sie muß weitergehend sein, gerade von unseren Positionen her. Das haben wir in der ganzen Frage der französischen Atomwaffenrollen in den letzten Jahren vermißt. Wir haben vermißt — und das bezieht sich auch auf die Zeit vor 1982 —, daß auf die Franzosen zum Beispiel eingewirkt würde, eine aktive Rüstungskontrollpolitik auch in bezug auf Atomwaffen mit wahrzunehmen. Das hat uns doch alle sehr, sehr stark berührt, die Frage etwa der Beteiligung, der Einbeziehung, der Einberechnung, der Berücksichtigung oder was auch immer französischer Atomraketen — wie auch britischer — bei Mittelstreckenraketenverhandlungen. Frankreich ist von seiner bisherigen Position aus reserviert, dieses einbeziehen zu lassen, berücksichtigen zu lassen oder auch mitzuverhandeln. Wir müßten aber doch auf Frankreich freundschaftlich einzuwirken versuchen, damit es tatsächlich hier eine aktive Rolle übernimmt. Denn wenn ein gemeinsames Westeuropa in der Sicherheitspolitik geschaffen werden soll, dann wird das nicht mit der Sonderrolle der Force de frappe gehen, sondern nur mit einer aktiven französischen Rolle in der Rüstungskontrollpolitik, und zwar für nukleare Rüstungskontrolle und andere Dinge auch. Das ist doch das, was eigentlich an aktiver deutsch-französischer Politik von unserer Seite aus erwartet werden müßte. Denn ich glaube in der Tat, daß sich Frankreich in der atomaren Rüstungskontrollpolitik stärker auf eine gesamtwesteuropäische Verantwortung zubewegen muß, als das bisher der Fall ist, und dabei die eigene Betrachtungsweise überwinden muß.
Ein letzter Punkt; das geht genau zu dem gleichen Thema. Staatsminister Möllemann hat das angesprochen. Die Sowjetunion hat jetzt gerade vorgeschlagen — und auch die Amerikaner —, Offensivwaffen um 40 % als eine Grundlage für ein internationales Abkommen drastisch zu reduzieren. Frankreich sagt seit Jahren, wenn die Supermächte um 50 % reduzierten, dann seien sie selbst bereit, an atomaren Abrüstungsverhandlungen teilzunehmen und vielleicht auch einen vollständigen Teststopp zu verfügen.
Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist abgelaufen.
Ich komme zum Schluß. — Das heißt doch: Es müßte doch erwartet werden, daß die Bundesregierung auf solche Vorschläge wie die, die jetzt von der Sowjetunion gemacht werden und früher von Frankreich und anderen — auch von China — gemacht worden sind, eingeht und sagt: Ja, wir sind dafür, daß auch die Vereinigten Staaten auf solch drastische Reduzierungen um 50 % eingehen, damit wirklich — auch mit Hilfe Frankreichs — atomare Abrüstungspolitik gemacht werden kann. Und so etwas vermissen wir bei der Bundesregierung.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Hornhues.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wer kann schon billigen — niemand tut dies —, was mit dem Green-
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11854 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 159. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. September 1985
Dr. Hornhuespeace-Schiff geschehen ist? Wer würde nicht zutiefst bedauern, daß dabei ein Mensch zu Tode kam? Und wer kann nicht die Erregung und die Sorge verstehen, die in Neuseeland, in Australien, in den Ländern des Südpazifik gegeben ist? Meine sehr geehrten Damen und Herren, wer könnte dies alles nicht verstehen? — Ich bin sicher: niemand in diesem Hause.Aber was ich wenig verstehen kann, ist die Intention dessen, was hierzulande zu dieser Aktuellen Stunde führt. Es ist im wesentlichen einmal mehr der Versuch — das sehe ich an Ihrem schicken T-Shirt —, mit einem bestimmten Appeal, mit einer bestimmten Art und Weise mit Showelementen für sich Punkte zu machen. Ich will Ihnen eines sagen: Sie werden das wahrscheinlich noch lange tun, aber wenn Sie glauben, Ihr Anliegen, Ihre vorgegebene Ernsthaftigkeit auf diese Art und Weise wirklich unterstreichen zu können, dann bezweifle ich, daß Ihnen dies gelingen wird.
Lieber Kollege Voigt, ich habe Ihnen eines voraus — sonst fast nichts —: Ich habe längere Jahre in der Opposition zugebracht. Ich darf Ihnen versichern: Eine der schlechtesten Methoden der Oppositionspolitik ist, im passenden Augenblick den falschen Antrag zu stellen. Das erleben wir gleich in bezug auf das Thema Südafrika. Das war ein Fehler; das hilft anderen und nicht denen, denen Siehelfen wollen. Darüber hinaus ist es falsch, jede Gelegenheit zu nutzen, um irgendein innenpolitisches Süppchen zu kochen. Sie haben es vielleicht an der Reaktion Ihrer eigenen Kollegen gemerkt; auch die fanden es nicht besonders gut, daß Sie von Mururoa blitzartig auf Zimmermann umgeschaltet haben. Das mag zu Ihrem Repertoire gehören. Es erhöht aber auch nicht die Glaubwürdigkeit Ihres Anliegens, von anderem ganz zu schweigen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, mit Blick auf das, was hier zu der Aktuellen Stunde geführt hat, haben meine Kollegen und der Staatsminister Möllemann meiner Auffassung nach das in der Sache Notwendige gesagt. Ich möchte noch einmal mit aller Deutlichkeit unterstreichen, daß wir, der französischen Republik in besonderer Weise freundschaftlich verbunden, auf dem Hintergrund einer Geschichte, die über Jahrhunderte anders geprägt war, alles andere als Anlaß haben, der französischen Regierung, der Republik Frankreich in einer problematischen Situation mit erhobenem Zeigefinger besserwisserisch Vorhaltungen zu machen, indem wir uns hier hinstellen und sagen: Jawohl, wir, die Deutschen — grüner oder sonstiger Prägung —, wissen genau, was Ihr hättet machen sollen. Ich bin der festen Überzeugung, die Franzosen, das demokratische Frankreich weiß selber am besten, wie man mit Problemen fertig wird. Es gehört zu unseren freundschaftlichen Beziehungen, daß man dann, wenn ein Freund in die Bredouille gekommen ist, nicht auch noch versucht, ihn hier im Bundestag in die Pfanne zu hauen.Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Abgeordnete Jungmann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Man kann natürlich einen Teil der Redezeit dafür verwenden, über den Sinn oder Unsinn einer solchen Aktuellen Stunde zu lamentieren. Aber, Herr Kollege Hornhues, wenn wir mit Frankreich freundschaftlich verbunden sind — ich bezweifle das auch nicht —,
dann muß es im Deutschen Bundestag auch möglich sein, einem guten Freund die Meinung zu dessen Problemen zu sagen, also zu Problemen, die das Land Frankreich hat. Wir können die Sache nicht einfach mit der Äußerung abtun, daß Frankreich als demokratischer Staat seine Probleme schon regeln wird.
Wir beklagen in der Bundesrepublik Deutschland immer wieder den Glaubwürdigkeitsverlust der Politik. Wenn schon der französische Ministerpräsident von einem kriminellen Akt gesprochen hat, dann muß es auch im Deutschen Bundestag möglich sein, von einem kriminellen Akt zu sprechen. Da kann man nicht auf innenpolitische Nebenkriegsschauplätze ausweichen, sondern muß deutlich sagen, welche Auffassung man dazu hat.
— Herr Voigt hat hier unsere Position dargestellt. Herr Ronneburger, Sie hätten lieber einmal ein klares Wort zu dem kriminellen Akt sagen sollen, anstatt in Ihrem Debattenbeitrag nur darüber zu lamentieren, daß Sie morgens um 8 Uhr im Bundestag erscheinen mußten.
Meine Damen und Herren, wenn der französische Ministerpräsident in der Öffentlichkeit eine Handlung einer staatlichen französischen Institution als kriminellen Akt bezeichnet, kann er nicht gleichzeitig verlangen, daß diejenigen, die den kriminellen Akt auf Befehl ausgeführt haben, straffrei ausgehen. Ansgar Skriver hat in einer Kommentierung des Zitats von Fabius am 23. September im WDR gesagt: Wir sind moralisch, wenn dies so sein sollte, um Jahrzehnte zurückgeworfen.Mein Kollege Klejdzinski hat das hier auch schon angesprochen. Wir sind davon ausgegangen, daß nach den Kriegsverbrecherprozessen in Nürnberg nach 1945 nicht Befehle ausgeführt werden, die strafrechtliche, verfassungsrechtliche und völkerrechtliche Gesichtspunkte außer acht lassen, sondern daß Befehle von Soldaten auf die völkerrechtliche Norm überprüft werden müssen und daß sie nicht ausgeführt werden dürfen, wenn sie Verbrechen und kriminelle Akte beinhalten.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 159. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. September 1985 11855
JungmannMeine Damen und Herren, Herr Möllemann, wenn Sie hier über den Nichtverbreitungsvertrag und ein umfassendes Teststoppabkommen reden, dann müssen Sie wissen, daß Frankreich diesem Abkommen bisher noch nicht beigetreten ist. Es wäre eine gute Sache, wenn die Bundesregierung nicht nur in Genf, sondern auch mit unseren französischen Freunden ernsthaft darüber reden würde, daß sie dem Nichtverbreitungsvertrag und einem umfassenden Teststoppabkommen beitreten sollten; denn im Nichtverbreitungsvertrag steht auch etwas von kernwaffenfreien Zonen. Bemerkenswert fand ich Ihr Zitat, Herr Möllemann, daß die Bundesregierung in Zukunft die Einrichtung kernwaffenfreier Zonen unterstützen wird. Das werden wir hier bei Diskussionen, die Europa betreffen, noch näher beleuchten müssen.Im Nichtverbreitungsvertrag ist also festgehalten, daß dieser Vertrag nicht das Recht einer Gruppe von Staaten beeinträchtigt, regionale Verträge zu schließen, um sicherzustellen, daß ihre Hoheitsgebiete völlig frei von Kernwaffen sind. Im Pazifik wurde eine atomwaffenfreie Zone geschaffen. Acht Staaten haben diesen Vertrag bisher unterschrieben, andere werden ihm beitreten. Es wäre gut, wenn die Bundesregierung unseren französischen Freunden raten würde, diesem Vertrag beizutreten und ihn einzuhalten, wenn sie ihnen raten würde, einem umfassenden Teststoppabkommen beizutreten, das auch unterirdische atomare Tests verbietet.
Das wäre die Aufgabe der Bundesregierung und nicht, Reden zu zitieren, die Zweifel an der Glaubwürdigkeit mancher Politik wecken.Schönen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Petersen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wer Außenpolitik und nicht nur Propaganda betreiben will, muß sich, glaube ich, die Mühe machen, sich einmal in die Interessenlage der anderen hineinzuversetzen. Ich bin ganz sicher, daß keiner unserer Partner in der Welt ein Interesse an deutschen Oberlehrern hat,
die mit erhobenem Zeigefinger in die Weltgeschichte reisen und Zensuren verteilen.
— Eben. — Meine Damen und Herren, so kann man keine Außenpolitik betreiben und ernstgenommen werden.Herr Jungmann und auch Herr Klejdzinski — das zu sagen kann ich mir nicht ganz verkneifen —: Wenn Sie auf Nürnberg eingehen, so spricht darausdoch eine erstaunliche Einäugigkeit. Wer gibt denn die Befehle in Afghanistan?
Wenn, dann bitte die gleichen Maßstäbe in Richtung Ost und West und Nord und Süd.
Aber ich möchte gern versuchen, in ein paar Stichworten die vitalen Interessen der Betroffenen und der in diese Tragödie Involvierten zu skizzieren. Die Franzosen haben seit de Gaulle, seit Anfang der 60er Jahre, aus Gründen, die in sich schlüssig sind, gesagt: Da Allianzen wie in den früheren Jahrhunderten nicht mehr funktionieren können, weil nämlich ein Bündnispartner das biologische Überleben seines Volkes und nicht nur einen verlorenen Krieg riskiert, wenn er seinen Verpflichtungen nachkommt, deshalb müssen wir — Frankreich — unabhängig eine Atomstreitmacht aufbauen. Wir mögen das begrüßen oder nicht; das ist völlig irrelevant. Dazu gehört natürlich, daß die Franzosen in der technischen Entwicklung ihrer Atomwaffen mit denen Schritt halten, die sie bedrohen.
Wenn ich von unseren Interessen ausgehe — und das werde ich in diesem Lande wohl tun dürfen —, dann ist für uns natürlich angesichts der Weltmacht, die uns bedroht, die französische Force de frappe eine zusätzliche Sicherheitsgarantie, ob sie vertraglich ausgesprochen worden ist oder nicht.Australien und Neuseeland und auch die Bewohner dieser südpazifischen Inseln empfinden diese Bedrohung nicht so aktuell; die haben Angst — das kann ich verstehen — vor Fallout, vor den Folgen dieser Tests.Die Sowjetunion hat eine ganz andere Interessenlage. Da muß nämlich die Regierung aufpassen, daß der Traum nach Freiheit in ihrem eigenen Imperium nicht wächst. Davor haben die doch viel mehr Angst als vor der Pershing II, die Machthaber da drüben.
Solange wir frei sind, meine Damen und Herren, so lange wird dieser Traum im sowjetischen Imperium leben. Also müssen die russischen Machthaber aus ihrem vitalen Interesse alles tun, um zu beweisen, daß die Freiheit nicht funktioniert. Und das tun sie ja; dafür gibt es eine Menge Beispiele. Ich kann es hier nur andeuten. Ich würde nur empfehlen, daß wir einmal die Interessen anderer etwas ernster nehmen.Ich habe den Eindruck, daß der Kollege Ronneburger und der Kollege Möllemann sehr klar und sehr nüchtern und sehr vernünftig unsere und die Haltung der Bundesregierung dargelegt haben.
Deshalb unterstützen wir diese Haltung und verkneifen es uns, als Schulmeister und Oberlehrer
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11856 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 159. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. September 1985
Petersenmoralische Zensuren in anderen Teilen der Welt zu erteilen.Danke schön.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Die Aktuelle Stunde ist beendet.
Ich rufe die Zusatztagesordnungspunkte 3 a bis 3 c auf:
a) Beratung des Antrags der Fraktion der SPD betr. Kündigung des Kulturabkommens mit Südafrika
— Drucksache 10/3868 —
b) Beratung des Antrags der Fraktion DIE GRÜNEN betr. Kündigung des Kulturabkommens mit Südafrika
— Drucksache 10/3870 —
c) Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP betr. Kulturabkommen mit Südafrika
— Drucksache 10/3878 —
Meine Damen und Herren, interfraktionell sind eine gemeinsame Beratung der Tagesordnungspunkte 3 a bis 3 c und ist ein Beitrag bis zu fünf Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. — Ich sehe keinen Widerspruch; dann ist so beschlossen.
Wird das Wort zur Begründung gewünscht?
— Herr Kollege, ist das im Rahmen der Aussprache?
Zur Antragsbegründung? — Wer wünscht das Wort?
— Das Wort hat die Abgeordnete Frau Borgmann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Gegenstand unseres Antrages ist folgender: Wir begrüßen ausdrücklich die längst überfällige Kündigung des Kulturabkommens mit Südafrika. Die GRÜNEN haben im April dieses Jahres bereits einen Antrag eingebracht, der eben dies zum Ziele hatte. Wir möchten dem Bundesaußenminister gratulieren, daß er uns endlich auf diesem Wege gefolgt ist.
An diesem Punkt verdient er unsere Unterstützung gegenüber den Angriffen, wie sie von seiten seines Koalitionspartners von Herrn Todenhöfer und von Kollegen der CSU erfolgen.
Richtiger müßte ich aber sagen: Er verdiente diese Unterstützung, als er nach der EG-Außenministerkonferenz die Kündigung des Kulturabkommens versprach. Am nächsten Tag schon, nach der Kabinettsitzung, war nur noch von einer Änderungskündigung die Rede. Dieser Vorschlag ist an sich schon widersinnig. Der Bundesaußenminister
sollte uns einmal erklären, warum eine Änderungskündigung überhaupt notwendig ist. Hat das Abkommen denn die Schwarzen bisher diskriminiert und die Apartheid unterstützt? Wir haben das seit langem behauptet und Belege dafür vorgelegt, die aber von konservativer Seite stets bestritten wurden. Hatten die GRÜNEN doch recht? Warum sonst wollen Sie, Herr Genscher, das Abkommen kündigen? Falls das Abkommen aber der Apartheid genützt hat, warum wurde es dann trotz unseres Drängens so lange aufrechterhalten? Noch wenige Tage vor der EG-Sitzung haben Sie die Kündigung abgelehnt.
Nun wäre es ja zu begrüßen, wenn Sie endlich eingesehen hätten, daß es heute darum gehen muß, Südafrika durch Isolierung unter Druck zu setzen.
Was Sie aber jetzt tun wollen, ist das genaue Gegenteil.
Während fast alle Länder der Welt Boykottmaßnahmen ergreifen und sich auf die Seite der Unterdrückten stellen, wollen Sie mit dem Apartheidregime über bessere Kulturkontakte verhandeln. Das Grausen kann einem kommen bei der Lektüre des Koalitionsantrages: Der Sportverkehr soll einbezogen werden; also Schluß mit dem bisherigen Sportboykott. Das Goethe-Institut in Johannesburg soll vielleicht doch kommen;
der Haushaltsplan weist auf jeden Fall schon mal eine Planstelle dafür aus. Die südafrikanische Bevölkerung wird im Antragstext aufgeteilt nach Schwarz, Weiß, Farbig und Asiatisch, also genau nach dem Kastensystem, das die Rassisten des Apartheidsystems erfunden haben.
Wir meinen: An dem Kulturabkommen gibt es nichts zu ändern. Es muß ersatzlos gekündigt werden, und dies darf nur der erste Schritt sein als ein demonstrativer Beginn.
Danke schön.
Meine Damen und Herren, bevor ich das Wort dem nächsten Redner erteile, möchte ich einer ehrenvollen Aufgabe nachkommen: Auf der Ehrentribüne haben der Vorsitzende der Volksversammlung der Volksrepublik Bulgarien, Herr Stanko Todorov, seine Gattin und die Mitglieder seiner Delegation Platz genommen.
Ich habe die Ehre und Freude, Sie, Herr Präsident, im Deutschen Bundestag herzlich willkommen zu heißen.
Ihr Besuch in der Bundesrepublik Deutschland unterstreicht die langjährigen guten Beziehungen
zwischen unseren Ländern und unseren Parlamen-
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Präsident Dr. Jenninger
ten. Wir wünschen Ihnen einen erfolgreichen und angenehmen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Verheugen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Diese zweite Südafrika-Debatte innerhalb ganz kurzer Zeit ist notwendig, weil die Bundesregierung und die Koalitionsparteien mit ihrem Streit über die Südafrikapolitik ein so heilloses Durcheinander angerichtet haben, daß Ansehen und Gewicht der deutschen Außenpolitik auf dem Spiele stehen. Der Zustand dieser Regierung ist mit Worten, die parlamentsfähig wären, überhaupt nicht mehr zu beschreiben.
Der Bundeskanzler ist nicht in der Lage, Kabinettdisziplin herzustellen. Er läßt zu, daß nachträglich und von außen in die Entscheidungen seines Kabinetts hineingeredet wird. Bis heute weiß niemand, ob die Bundesregierung den Luxemburger Südafrika-Sanktionen der EG-Außenminister zugestimmt hat oder nicht. Bis heute steht nicht fest, ob das gesamte Kabinett die Kündigung des Kulturabkommens mit Südafrika trägt oder nicht, ob die Koalition in dieser Frage hinter dem Kanzler steht oder nicht.
Diese Bundesregierung hat den Eindruck entstehen lassen, daß unser Land von Amateuren regiert wird,
für die das Wort gilt: Sie wissen nicht, was sie tun.
Tatsache ist, daß die Bundesregierung auf einem wichtigen außenpolitischen Gebiet handlungsunfähig ist und herumstümpert, weil sie es nicht wagen kann, ihre Gegensätze auszutragen.
Tatsache ist, daß eine Koalitionspartei, die CSU, ausgestiegen ist,
indem sie die Afrikapolitik der Bundesregierung als Privatangelegenheit des Außenministers bezeichnet.
Tatsache ist, daß ein außenpolitischer Sprecher der CDU, Herr Todenhöfer, die Außenpolitik der eigenen Regierung falsch und schädlich nennt. Tatsache ist, daß sich zwei von drei Koalitionsparteien gegenseitig Unverschämtheit, pubertäres Verhalten, Inkompetenz und Flegelhaftigkeit vorwerfen. Tatsache ist, daß der Bundeskanzler den verderblichen und chaotischen Einfluß des Franz JosefStrauß nicht kontrollieren kann. Tatsache ist, daß der bayerische Ministerpräsident für einen Teil des Kabinetts die Richtlinienkompetenz des Bundeskanzlers für sich beansprucht und auch ungeniert ausübt.
Tatsache ist,
daß die der CSU angehörenden Bundesminister erst nach Belehrung durch ihren Parteivorsitzenden entschieden haben, daß sie nichts entschieden hatten, d. h. alle bis auf einen, das gebe ich zu. Denn Herr Zimmermann war ja schon weg. Er fällt ja ohnehin dadurch auf, daß er entweder nichts gewußt oder nichts getan hat oder überhaupt nicht da war.
Tatsache ist, daß die Südafrikapolitik der Bundesregierung in Südafrika niemanden beeindruckt: die dortige Regierung nicht und auch die Apartheidgegner nicht, die am allerwenigsten.
Tatsache ist, daß der Bundeskanzler die ihm von der CSU-Landesleitung zugeschriebene Äußerung, er halte das gleiche, freie und allgemeine Wahlrecht in Südafrika für undurchführbar und unverantwortlich, bis heute nicht dementiert hat und sich damit dem Vorwurf aussetzt, als einziger Regierungschef der Welt den südafrikanischen Rassismus zu unterstützen.
In der Sache selbst nur Widersprüche. Der Bundeskanzler lehnt Wirtschaftssanktionen gegen Südafrika ab, aber gleichzeitig billigt er ein Rüstungsembargo, ein Nuklearembargo und ein Ölembargo gegen Südafrika. Sind das keine Sanktionen?Das Kulturabkommen ist nur der Punkt, an dem der Richtungsstreit sichtbar geworden ist, weil hier spezieller Handlungsbedarf besteht. Es ist ein Trick, einen Begriff aus dem deutschen Arbeitsrecht, die Änderungskündigung, auf die Beziehungen zwischen Staaten anzuwenden; das verfängt nicht.
Im Kulturabkommen von 1962 ist nur von Kündigung die Rede; das Wort „Änderungskündigung" kommt nicht vor. Dieses Wort soll ja gegenüber Ihnen, den Koalitionspartnern, nur den tatsächlichen Vorgang der Kündigung vertuschen. Das Kul-
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Verheugenturabkommen ist gekündigt — mit dem gleichzeitigen Angebot, ein neues auszuhandeln.
Und wenn diese Verhandlungen innerhalb von sechs Monaten nicht erfolgreich abgeschlossen sind, dann wird es nach sechs Monaten eben kein Kulturabkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Südafrika mehr geben.
Wir möchten wissen, ob die Koalition die Entscheidung der Bundesregierung, das Kulturabkommen zu kündigen mit dem Ziel, es zu ändern — das ist die Formulierung der Regierung selbst —, unterstützt oder nicht. Wenn der vorliegende Antrag der Koalitionsparteien die Antwort sein sollte, dann weichen Sie genau an der entscheidenden Stelle aus.
Sie unterstützen nämlich nicht, was die Regierung entschieden hat, sondern Sie unterstützen nur das, was sie jetzt tun will —
ein Formelkompromiß, der nicht weiterhelfen wird.Diese Regierung hat schon bitter wenig für die Menschen in Südafrika getan, und dem Wenigen verweigern Sie auch noch die Unterstützung.
Den schlichten Satz, daß Sie die von der Bundesregierung getroffenen Entscheidungen begrüßen, bringen Sie nicht über sich. Alles bleibt unklar und verschwommen in der Südafrika-Politik. Nur eins steht fest: Der Satz des Bundeskanzlers im Interview mit der „Welt" von der vorigen Woche: „Der Kurs ist klar", war die Übertreibung des Jahres.
Um ein Stück Klarheit zu bekommen, beantrage ich namens meiner Fraktion namentliche Abstimmung über den von uns vorgelegten Antrag.
Das Wort hat der Abgeordnete Klein.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Herr Kollege Verheugen, das war eine ziemlich schwache Vorstellung, die Sie hier gegeben haben.
Ich kann Ihnen nur sagen: Mir wäre im umgekehrten Fall mehr eingefallen.
Die Fraktionen der Regierungskoalition haben folgenden Antrag eingebracht:Der Deutsche Bundestag unterstützt die Absicht der Bundesregierung, die Zusammenarbeit mit allen Bevölkerungsgruppen der Republik Südafrika im kulturellen Bereich zu verstärken. Er unterstützt das Vorhaben der Bundesregierung, nach der Änderungskündigung des Kulturabkommens von 1962 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Südafrika sofort Verhandlungen über ein neues Kulturabkommen aufzunehmen.
Das kulturelle Engagement der Bundesrepublik Deutschland hat auch bisher schon die nichtweiße Bevölkerung Südafrikas einbezogen. Das neue Kulturabkommen soll dieses Engagement künftig auch rechtlich unzweideutig absichern.
Dabei sollen auch Bereiche wie der Sportverkehr, die Überlegungen zur Errichtung eines Goethe-Instituts und die Ausweitung des „Sonderprogramms südliches Afrika" einbezogen werden.
Der Deutsche Bundestag betrachtet solche erweiterten Kulturbeziehungen als einen wichtigen Beitrag zur Überwindung der Apartheid und zur Unterstützung einer friedlichen gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Entwicklung in Südafrika.Meine Damen und Herren, nach Art. 10 Satz 3 tritt das Abkommen sechs Monate nach Kündigung außer Kraft. Genug Zeit also, um das neue Kulturabkommen auszuhandeln und eine Unterbrechung der in der gegenwärtigen Situation besonders wichtigen Kulturbeziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Südafrika zu vermeiden.
Die angestrebte Intensivierung der kulturellen Zusammenarbeit mit allen Bevölkerungsgruppen, wofür auch bei den laufenden Haushaltsberatungen noch entsprechende finanzielle Voraussetzungen geschaffen werden sollen, ist mithin das Gegenteil einer Sanktion.
Sie geht über die vom EPZ-Ministerrat geforderte und von ihm als „positiv" gekennzeichnete Maßnahme hinaus, die Kontakte nur mit der nichtweißen Bevölkerung etwa in den kulturellen, wissen-
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 159. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. September 1985 11859
Klein
schaftlichen oder sportlichen Bereichen zu verstärken; denn nach unserem Willen darf es auch keine Rassentrennung aus der anderen Richtung geben. Das kulturelle Engagement der Bundesrepublik Deutschland soll den Menschen in Südafrika gelten — allen Menschen, den Schwarzen, den Farbigen, den Asiaten und den Weißen. Vor allem aber soll es dem friedlichen Zusammenleben und Zusammenwirken der unterschiedlichen Rassen und Völkerschaften dienen.Mit dieser Zielsetzung steht die CDU/CSU-Fraktion in der Kontinuität ihrer Afrikapolitik: für Evolution und gegen Revolution,
für Frieden und gegen Gewalt, für Reform und gegen Verteufelung der Reformer,
für Gleichberechtigung und gegen Unterdrückung, für Demokratie und gegen totalitäre Machtansprüche, für wirtschaftlichen Fortschritt und gegen Hungerdiktatur.Wer die Entwicklung eines geistig-politischen Klimas in Südafrika fördern will, in dem die Erreichung dieser Ziele eine Chance hat, den bitte ich um Zustimmung zu unserem Antrag.
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Borgmann.
Bevor ich das Wort weitergebe, bitte ich die Damen und Herren, die im Saale stehen, Platz zu nehmen. — Darf ich Sie noch einmal bitten, Platz zu nehmen.
Sie haben das Wort, Frau Kollegin Borgmann.
Wenn wir über die sogenannte Kündigung des Kulturabkommens mit Südafrika sprechen, dann geht es nicht primär um Kulturpolitik. Es geht vielmehr um die Frage, welchen Beitrag die Bundesrepublik zur Überwindung des Apartheidregimes leisten kann und welchen Beitrag sie zu leisten bereit ist.Hinter dem Thema Südafrika und hinter der Frage eines Kulturabkommens mit diesem Land steht für uns die Frage des Rassismus, steht die Frage, wie wir uns zu Rassenwahn und staatlichem Terror verhalten.
Auch der Bundeskanzler und selbst die CSU-Minister in seinem Kabinett dürften bemerkt haben, daß das Fortdauern des Apartheidregimes eine Welle internationaler Empörung ausgelöst hat und daß diese Empörung nicht folgenlos bleibt. In zahlreichen Ländern sind inzwischen Sanktionen verhängt worden, und beileibe nicht nur von linken Regierungen. Die ergriffenen Maßnahmen reichen von symbolischen Gesten bis zu ernsthaften Wirtschaftssanktionen. Und sie beginnen in Südafrika bereits Wirkung zu zeigen. Die Privatwirtschaft sieht sich zunehmend gezwungen, auf Distanz zurRegierung und deren Apartheidsystem zu gehen, um dem internationalen Druck auszuweichen. Die Sanktionen wirken. Und Sanktionen sind die einzige Möglichkeit, die Dinge im Land in Bewegung zu bringen.
Die überwältigende Mehrheit der Schwarzen stimmt dem zu und ist bereit, dafür auch selber Opfer zu bringen.Wir sind gefordert und können uns nicht länger herausreden. Wir können nicht länger sagen: Nur durch positives Engagement helfen wir, die Apartheid zu überwinden, indem wir das Regime überzeugen, daß es besser etwas weniger grausam, etwas weniger unmenschlich, etwas weniger rassistisch sein soll. Diese Politik des guten Zuredens verfolgt die Bundesrepublik ja angeblich schon seit Jahrzehnten. Mit welchem Erfolg, frage ich.Von der Bundesrepublik bezieht das Apartheidregime sein 01. Von hier bekommt es seine Kredite. Von hier bezieht es sein Geld durch den Verkauf von Krüger-Rand-Goldmünzen, durch den Verkauf von Kohle und durch den Verkauf von Uran, das das Regime seinerseits aus Namibia stiehlt. Erst vor diesem Hintergrund hat es Sinn, über die bundesdeutsche Kulturpolitik gegenüber Südafrika zu sprechen.
Um es klar zu sagen: Die Bundesrepublik ist einer der treuesten Freunde Südafrikas in der Welt. Die Bundesregierung unterstützt den Rassismus in Südafrika. Diese Bundesregierung unterstützt das Apartheidregime so gut, wie sie nur kann. Das ist die traurige Wahrheit.Es tut mir leid, Herr Schäfer von der FDP: Der gemeinsame Antrag von CDU/CSU und FDP zu dieser Sitzung beweist, daß weder Sie noch Frau Hamm-Brücher daran etwas ändern konnten.
Ändern können das nur die aktive Solidarität der Bevölkerung, die außerparlamentarische Opposition und letzten Endes die Wähler.Kurzfristig können wir keine Verbesserung in der Politik der Bundesregierung erwarten. Die Bundesregierung wird ihren Freunden im südafrikanischen Apartheidregime weiterhin die Stange halten, sie mit Geld und Waffen versorgen, von ihnen Orden annehmen und glänzende Geschäfte mit ihnen machen.
Eine Änderung wäre aber rasch möglich — und da wende ich mich an die Kollegen und Kolleginnen von der SPD — bei den Bundesländern, bei den Städten und Gemeinden, in denen die SPD das Sagen hat. Dort könnte zur Unterstützung des Befreiungskampfs viel getan werden.
Wir sind gespannt, wann z. B. die Stadtsparkassenaufhören werden, den Krüger-Rand zu verkaufen,die Landesbanken ihre Südafrikageschäfte einstel-
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11860 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 159. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. September 1985
Frau Borgmannlen und Gemeinden keine Geschäfte mehr mit Firmen machen, die die Apartheid unterstützen.
Solche praktischen Maßnahmen würden dem Widerstand helfen.Hier im Bundestag sind auch Sie von der SPD ja nicht einmal mehr für die Kündigung des Kulturabkommens — bedauerlicherweise —, sondern wollen genauso wie die Regierung das Abkommen neu verhandeln. Wozu eigentlich, liebe SPD-Genossen? Zu Ihrer Regierungszeit war es doch auch ausgewogen genug. Warum ist es das denn jetzt nicht mehr? Ist es denn nicht wenigstens Ihnen peinlich, daß die Bundesrepublik eines der beiden Länder auf der Welt, die Kulturabkommen mit dem Apartheidregime unterhalten? Das andere Land ist bezeichnenderweise Paraguay, eine der finstersten Diktaturen Lateinamerikas.
Deshalb bitte ich Sie: Stimmen Sie unserem Antrag zu! Das Kulturabkommen muß weg. Und weitere praktische Schritte auf allen Ebenen müssen folgen.
Ich erteile das Wort dem Herrn Bundesminister für Wirtschaft, Herrn Bangemann.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte zunächst mit dem beginnen, was, glaube ich, in diesem Hause nicht bestritten wird, was unsere gemeinsame Überzeugung ist.
Meine Damen und Herren, ich bitte um Aufmerksamkeit für den Redner, und ich bitte noch einmal die Kolleginnen und Kollegen, die hier im Saal stehen, entweder Platz zu nehmen oder hinauszugehen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Eine Politik, die auf rassischen Unterschieden aufbaut, die die Gewährung politischer, sozialer und gesellschaftlicher Rechte davon abhängig macht, welche Hautfarbe ein Mensch hat, ist zutiefst unmenschlich und wird von uns allen verdammt.
In diesem Punkt gibt es, glaube ich, niemanden hier in diesem Saal, der eine andere Meinung vertritt. Der Streit hat über die Frage begonnen, mit welchen Mitteln man eine andere Regierung dazu bringen kann, eine solche unmenschliche Politik aufzugeben,
Und das ist ein ernsthafter Gegenstand der Auseinandersetzung. Diese Auseinandersetzung kannman nicht dadurch führen, daß man zu PR-Aktionen neigt, die auf dem Rücken der schwarzen Bevölkerung hier in der Bundesrepublik einem einen billigen Vorteil verschaffen sollen.
Das müssen Sie erstmal mit sich selber ausmachen.Zweitens. Die Frage, ob Wirtschaftssanktionen ein geeignetes Mittel sind, die Regierung von Südafrika dazu zu bringen, ihre Apartheidpolitik aufzugeben, die natürlich auch die Ursache der sozialen Spannungen ist, muß man sehr ernsthaft diskutieren. Auch da gibt es keine doppelten Standpunkte. Es kann nicht so sein, daß Wirtschaftssanktionen gegen ein Land, dessen Politik einem generell nicht paßt, richtig sind, dagegen Wirtschaftssanktionen gegen ein Land, mit dessen Politik man sympathisiert, falsch sind. Das geht auch nicht. Entweder sind Wirtschaftssanktionen richtig, oder sie sind falsch.
Diese Art von Heuchelei, meine verehrten Damen und Herren, die einmal Wirtschaftssanktionen für richtig und dann wieder für falsch hält,
ist ein politisches Problem in sich.Ich will Ihnen und auch Herrn Verheugen, der sich beklagt hat und geradezu darum sorgt, daß die Bundesregierung geschlossen ist, was natürlich seinem ernsthaften Interesse an dem Erfolg dieser Bundesregierung entspricht, folgendes sagen: Die Bundesregierung und die sie tragenden Parteien sind geschlossen gegen Wirtschaftssanktionen, und zwar aus zwei Gründen.
Einmal wissen wir, daß Wirtschaftssanktionen generell ohne große Wirkungen sind und noch nie in der Geschichte eine Regierung dazu gebracht haben, ihre Politik zu ändern, und zweitens — meine Damen und Herren, darüber sollten Sie sich auch mal Rechenschaft geben — würden Wirtschaftssanktionen gegenüber Südafrika in diesem Augenblick nicht nur die schwarze Bevölkerung, die Bevölkerungsgruppen, die dort sowieso wirtschaftlich benachteiligt sind, zusätzlich benachteiligen, sondern Wirtschaftssanktionen würden zudem noch den Konflikt verschärfen. In einer solchen Situation
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 159. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. September 1985 11861
Bundesminister Dr. Bangemannetwas zu tun, was den Konflikt verschärft, heißt, Menschenleben zu gefährden.
Deswegen bleibt uns nur der mühevolle Weg, über eine ständige Einflußnahme diejenigen in Südafrika zu stärken, die Gott sei Dank immer mehr aus dem Lande selbst heraus Kräfte entwikkeln, um diese Politik zu ändern.
Das geht natürlich auch über den Weg kultureller Beziehungen. Da kann ich nun überhaupt nicht begreifen, warum man diesen wirklich wirkungsvollen Weg, auch den Schwarzen und den anderen Bevölkerungsgruppen in ihrer Situation zu helfen, nicht uneingeschränkt mitgeht.
— Wenn das so ist, dann gehen Sie doch über Ihren Antrag hinaus! Der Antrag, den die Regierungsfraktionen hier vorgelegt haben,
geht wesentlich weiter, als nur zu begrüßen. Begrüßen reicht nicht. Unterstützen Sie doch die Politik der Regierung!
Wir haben überhaupt keinen Anlaß, Ihren Antrag noch zu behandeln; denn dieser Antrag reicht uns nicht aus. Wir haben hier in diesem Antrag gesagt: Die Politik der Bundesregierung wird unterstützt.
Wir setzen das fort, was die Kollegin Hamm-Brücher, die Sie angesprochen haben, schon in den 70er Jahren begonnen hat. Das Sonderprogramm „Südliches Afrika", mit dem damals unter schwierigen Bedingungen die Situation der schwarzen Bevölkerungsgruppe erleichtert werden sollte, stammt aus dieser Zeit, war von ihr initiiert. Das sollten Sie jetzt unterstützen. Wenn Sie das ernsthaft wollen, müssen Sie unserem Antrag zustimmen.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.Bevor wir zur Abstimmung kommen, darf ich eine Begrüßung vornehmen. Auf der Ehrentribüne hat eine Delegation des Landwirtschaftsausschusses der Nationalversammlung der ungarischen Volksrepublik Platz genommen.
Ich habe die Ehre, Sie im Deutschen Bundestag zu begrüßen. Ihre Anwesenheit hier unterstreicht die guten Beziehungen zwischen unseren Parlamenten. Wir wünschen Ihnen einen erfolgreichen und angenehmen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland.
Wir kommen nun zur Abstimmung. Ich beabsichtige, die Anträge in folgender Reihenfolge zur Abstimmung aufzurufen: als ersten den Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN, dann den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP, danach den Antrag der Fraktion der SPD.Wir kommen zuerst zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/3870. Die Fraktion der GRÜNEN verlangt gemäß § 52 unserer Geschäftsordnung namentliche Abstimmung.Wer dem Antrag auf Drucksache 10/3870 zuzustimmen wünscht, den bitte ich, die Abstimmungskarte mit Ja, wer dagegen stimmen oder sich der Stimme enthalten will, den bitte ich, die entsprechende Abstimmungskarte in die hier vorn aufgestellten Urnen zu legen.Ich eröffne die namentliche Abstimmung. —Meine Damen und Herren, ich mache darauf aufmerksam, daß noch eine namentliche Abstimmung zu erwarten ist.Meine Damen und Herren, ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme nicht abgegeben hat? — Ich schließe die Abstimmung. Ich bitte die Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. —Meine Damen und Herren, ich bitte Sie, Platz zu nehmen. Ich gebe das von den Schriftführern ermittelte Ergebnis der Abstimmung über den Antrag auf Drucksache 10/3870 bekannt. Es wurden 404 Stimmen abgegeben. Keine Stimme war ungültig. Mit Ja haben gestimmt 27, mit Nein haben gestimmt 375, Enthaltungen 2.Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen 423 Abgeordnete; davonja: 27 Abgeordnetenein: 394 Abgeordneteenthalten: 2 AbgeordneteJaSPDDuveSielaffWaltematheDIE GRÜNENAuhagenFrau Borgmann BuebFrau DannFrau EidFrau HönesLange MannDr. Müller Dr. Schierholz Schily
Schulte SenfftStröbeleSuhrTatgeVogel
VolmerFrau WagnerWerner
Werner Frau Zeitlerfraktionslos BastianNeinCDU/CSUFrau AugustinAustermann Dr. BarzelDr. Becker BergerFrau Berger
BiehleDr. Blank Dr. Blens Dr. Blüm
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11862 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 159. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. September 1985
Präsident Dr. JenningerDr. Bötsch BohlBohlsenBorchertBoroffkaBraunBrollBrunnerBühler
Dr. BuglBuschbom Carstens
Carstensen Dr. CzajaDr. Daniels DawekeDeresDörflinger DolataDossDr. Dregger Echternach EhrbarEigenErhard
Eylmann
Dr. FaltlhauserFeilckeFellnerFischer Francke (Hamburg)Dr. FriedmannGanz
Frau Geiger Dr. Geißler Dr. von GeldernDr. George Gerlach GersteinGerster
GlosDr. Göhner GüntherDr. Hackel Dr. Häfele Hanz
HaungsHauser HedrichFreiherr Heeremanvon ZuydtwyckFrau Dr. Hellwig HelmrichDr. Hennig Herkenrath HinrichsHinskenHöffkesHöpfingerDr. HoffackerFrau Hoffmann Dr. HornhuesHornungFrau HürlandDr. Hupka Graf Huyn JagodaDr. Jahn
Dr. JenningerDr. JobstJung
KalischDr.-Ing. KansyFrau KarwatzkiKellerKiechleKlein
Dr. Köhler KolbKrausDr. KreileKreyKroll-Schlüter Dr. KronenbergDr. Kunz LamersLandréDr. Langner LattmannDr. LaufsLink Link (Frankfurt) LinsmeierDr. LippoldLöherLohmann Dr. h. c. LorenzLowackMaaßFrau Männle MaginMarschewski MetzDr. Meyer zu Bentrup MichelsDr. MikatMilzDr. MöllerMüller NelleFrau Dr. Neumeister NiegelDr.-Ing. OldenstädtDr. Olderog PetersenPfeffermann PfeiferPöpplPohlmannDr. Pohlmeier Dr. ProbstRaweRepnikDr. Riedl
Dr. Riesenhuber Rode Frau Rönsch Frau Roitzsch
Dr. Rose
Rossmanith Roth RüheRufSauer
Sauer SaurinSauter Sauter (Ichenhausen) ScharrenbroichDr. Schäuble Schartz SchemkenScheuSchlottmann Schmidbauer Schmitz Schneider
Freiherr von Schorlemer Schreiber
Dr. Schroeder SchulhoffDr. Schulte
Schulze (Wörrstadt)
Dr. Schwarz-Schilling Dr. Schwörer SeehoferSeesingSeitersSpilkerSprangerDr. SprungDr. Stark
Dr. StavenhagenDr. Stercken Stockhausen Straßmeir StrubeStücklenStutzerSussetTillmannDr. TodenhöferUldallFrau VerhülsdonkVogel
Vogt
Dr. Voigt
Dr. VossDr. WaffenschmidtDr. WaigelGraf von Waldburg-Zeil Dr. WarnkeDr. WarrikoffDr. von Wartenberg WeirichWeißWerner Frau Will-FeldFrau Dr. WilmsWilzWimmer WindelenFrau Dr. Wisniewski WissmannDr. Wittmann Wittmann Dr. WörnerWürzbachDr. ZimmermannZinkSPDAmlingDr. ApelBachmaier BahrBernrathFrau Blunck BrandtBrückBuckpesch Büchler
Buschfort Catenhusen ColletDr. Corterier CurdtFrau Dr. Däubler-Gmelin DaubertshäuserDelormeDr. Diederich DreßlerEgertDr. Ehrenberg EickmeyerDr. EmmerlichEstersEwenFischer Fischer (Osthofen) Franke (Hannover)Frau Fuchs
Frau Fuchs
GanselGilgesGlombigGrunenberg HaarHansen
Frau Dr. HartensteinDr. HauchlerHauckDr. Hauff Heimann HeistermannHerterich Hettling HeyennHiller
HornFrau Huber Huonker IbrüggerJahn
JansenJaunichDr. Jens Junghans Jungmann Kastning Kirschner Kisslinger Klein
Dr. KlejdzinskiKloseKolbowKretkowski Dr. Kübler Kühbacher Kuhlwein Lambinus Lennartz Leonhart Frau Dr. LepsiusLiedtkeLöfflerLohmann
LutzFrau LuukFrau Matthäus-Maier MeininghausMenzelDr. Mertens
Dr. MitzscherlingMüller Müller (Schweinfurt)Dr. Müller-Emmert NagelNehmDr. NöbelFrau Odendahl OostergeteloPauliDr. Penner Peter
PfuhlPorzner PoßPurpsRankerRappe ReimannReschke ReuschenbachReuterRohde
RothSanderSchäfer SchanzSchlaga Schlatter Frau Schmedt
Dr. Schmidt Schmidt (München)Frau Schmidt Schmitt (Wiesbaden)Dr. SchmudeDr. Schöfberger SchreinerDr. Schwenk
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 159. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. September 1985 11863
Präsident Dr. JenningerSielerFrau Simonis Dr. Sperling Dr. SpöriStahl SteinerFrau Steinhauer StieglerStobbeStocklebenDr. StruckFrau Terborg TietjenFrau Dr. Timm Toetemeyer Frau Traupe UrbaniakVahlbergVerheugenVogelsangVoigt
VosenWaltherWartenberg WeinhoferWeisskirchen
Dr. Wernitz WestphalFrau Weyel Dr. WieczorekWieczorek
WiefelWimmer WischnewskiDr. de With Wolfram
WürtzZanderZeitlerFrau ZuttFDPFrau Dr. AdamSchwaetzer BaumBeckmannCronenberg Eimer (Fürth)Dr. Feldmann GallusGrünerFrau Dr. Hamm-BrücherDr. Haussmann Dr. HirschHoffieHoppeKleinert
KohnDr.-Ing. Laermann MöllemannNeuhausenPaintnerRonneburger Schäfer Frau Dr. Segall Frau Seiler-AlbringDr. SolmsDr. Weng
fraktionslosVoigt
EnthaltenSPDBindig ConradiDer Antrag ist abgelehnt.Wir fahren mit unseren Beratungen fort. Meine Damen und Herren, ich bitte Sie, Platz zu nehmen. Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP auf Drucksache 10/3878. Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Der Antrag ist angenommen.Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/3868. Meine Damen und Herren, die Fraktion der SPD verlangt gemäß § 52 unserer Geschäftsordnung namentliche Abstimmung. Wer dem Antrag auf Drucksache 10/3868 zuzustimmen wünscht, den bitte ich, die Abstimmungskarte mit Ja, wer dagegen stimmen oder sich der Stimme enthalten will, den bitte ich, die entsprechende Abstimmungskarte in die Urnen zu legen. Ich eröffne die namentliche Abstimmung. —Haben alle Mitglieder des Hauses ihre Stimmen abgegeben? — Das scheint der Fall zu sein. Ich schließe die Abstimmung. Ich bitte die Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen.Meine Damen und Herren, ich gebe das von den Schriftführern ermittelte Ergebnis der Abstimmung über den Antrag auf Drucksache 10/3868 bekannt. Abgegebene Stimmen: 436, davon keine ungültige Stimmen. Mit Ja haben gestimmt 167 Abgeordnete, mit Nein 264; Enthaltungen 5.Endgültiges Ergebnis: Abgegebene Stimmen: 435 Abgeordnete; davonja: 167 Abgeordnetenein: 263 Abgeordneteenthalten: 5 AbgeordneteJaSPDAmling Dr. Apel BachmaierBahrBamberg Bernrath BindigFrau BlunckBrandt BrückBuckpeschBüchler
BuschfortCatenhusenColletConradiDr. CorterierCurdtFrau Dr. Däubler-Gmelin DaubertshäuserDelormeDr. Diederich DreßlerDuveEgertDr. Ehrenberg EickmeyerDr. EmmerlichEstersEwenFischer Fischer (Osthofen) Franke (Hannover)Frau Fuchs
Frau Fuchs
Gansel GilgesGlombig GrunenbergHaarHansen
Frau Dr. HartensteinDr. HauchlerHauckDr. Hauff Heimann HeistermannHerterich Hettling Heyenn Hiller
HornFrau HuberHuonker Ibrügger Jahn
Jansen Jaunich Dr. JensJung Junghans JungmannKastning KirschnerKisslingerKlein
Dr. KlejdzinskiKloseKolbowKretkowskiDr. KüblerKühbacherKuhlweinLambinusLennartzLeonhartFrau Dr. LepsiusLiedtke Löffler Lohmann
LutzFrau LuukFrau Matthäus-Maier MeininghausMenzelDr. Mertens
Dr. MitzscherlingMüller Müller (Schweinfurt)Dr. Müller-Emmert NagelNehmDr. NöbelFrau Odendahl OostergeteloPauliDr. PennerPeter
PfuhlPorzner PoßPurpsRankerRappe ReimannReschke ReuschenbachReuterRohde
RothSanderSchäfer SchanzSchlaga SchlatterFrau Schmedt
Dr. Schmidt Schmidt (München)Frau Schmidt Schmitt (Wiesbaden)Dr. SchmudeDr. Schöfberger SchreinerDr. Schwenk SielaffSielerFrau SimonisDr. SperlingDr. SpöriStahl
SteinerFrau SteinhauerStiegler Stobbe StocklebenDr. StruckFrau TerborgTietjenFrau Dr. Timm ToetemeyerFrau Traupe
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11864 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 159. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. September 1985
Präsident Dr. JenningerUrbaniakVahlbergVerheugen Vogelsang Voigt
VosenWaltemathe WaltherWartenberg WeinhoferWeisskirchen Dr. WernitzWestphalFrau Weyel Dr. WieczorekWieczorek WiefelWimmer WischnewskiWitekDr. de With Wolfram
Würtz
ZanderZeitlerFrau ZuttNeinCDU/CSUDr. Abelein Frau Augustin Austermann Dr. BarzelDr. Becker BergerFrau Berger BiehleDr. Blank Dr. BlensDr. BlümDr. Bötsch BohlBohlsenBoroffkaBraunBreuerBrollBrunnerBühler
Dr. BuglBuschbom Carstens
Carstensen Dr. CzajaDr. Daniels DawekeDeresDörflinger DolataDossDr. Dregger Echternach EhrbarEigenEngelsberger Erhard
Eylmann
Dr. FaltlhauserFeilckeFellnerFischer Francke (Hamburg)Dr. FriedmannGanz
Frau Geiger Dr. Geißler Dr. von GeldernDr. GeorgeGerlach GersteinGerster
GlosDr. GöhnerGünther Dr. HackelDr. HäfeleHanz
HaungsHauser Hauser (Krefeld) HedrichFreiherr Heeremanvon ZuydtwyckFrau Dr. Hellwig HelmrichDr. HennigHerkenrathHinrichs Hinsken Höffkes HöpfingerDr. HoffackerFrau Hoffmann Dr. HornhuesHornungFrau HürlandDr. HupkaGraf HuynJagodaDr. Jahn
Dr. JenningerDr. JobstJung
Kalisch Dr.-Ing. KansyFrau KarwatzkiKellerKiechleKlein
Dr. Köhler Dr. Köhler (Wolfsburg) KolbKrausDr. KreileKreyKroll-SchlüterDr. KronenbergDr. Kunz LamersLandréDr. LangnerLattmannDr. LaufsLink
Link LinsmeierDr. LippoldLöherLohmann Dr. h. c. LorenzLouven Lowack MaaßFrau MännleMaginMarschewskiMetzDr. Meyer zu Bentrup MichelsDr. Mikat Dr. MiltnerMilzDr. MöllerMüller
NelleFrau Dr. Neumeister NiegelDr.-Ing. OldenstädtDr. OlderogPetersenPfeffermann PfeiferPöpplPohlmannDr. Pohlmeier Dr. ProbstRaweRepnikDr. Riedl
Dr. RiesenhuberRode Frau Rönsch Frau Roitzsch
Dr. Rose
Rossmanith Roth RüheRufSauer
Sauer
SaurinSauter Sauter (Ichenhausen) Dr. Schäuble Scharrenbroich Schartz (Trier) SchemkenScheuSchlottmann Schmidbauer Schmitz Schneider
Freiherr von Schorlemer Schreiber
Dr. Schroeder SchulhoffDr. Schulte Schultz (Wörrstadt)Dr. Schwarz-Schilling Dr. Schwörer SeehoferSeesingSeitersSpilkerSprangerDr. SprungDr. Stark Dr. StavenhagenDr. Stercken Stockhausen StraßmeirStrubeStücklenStutzerSussetTillmannDr. Todenhöfer UldallFrau VerhülsdonkVogel
Vogt
Dr. Voigt
Dr. VossDr. WaffenschmidtDr. WaigelGraf von Waldburg-Zeil Dr. WarnkeDr. WarrikoffDr. von Wartenberg WeirichWeißWerner Frau Will-Feld Frau Dr. Wilms WilzWimmer WindelenFrau Dr. WisniewskiWissmannDr. WittmannWittmann Dr. WörnerWürzbachDr. ZimmermannZinkFDPFrau Dr. Adam-Schwaetzer BaumBeckmannCronenberg Eimer (Fürth)ErtlDr. Feldmann GallusGrünerDr. Haussmann Dr. HirschHoffieHoppeKleinert KohnDr.-Ing. Laermann Möllemann NeuhausenPaintnerRonneburger Dr. RumpfFrau Dr. Segall Frau Seiler-AlbringDr. SolmsDr. WengDIE GRÜNENAuhagenFrau BorgmannBuebFrau Dann Frau EidFrau Hönes LangeMannDr. Müller
SenfftStröbeleSuhrTatgeVogel
VolmerFrau Wagner Werner Werner (Westerland) Frau ZeitlerfraktionslosVoigt
EnthaltenFDPFrau Dr. Hamm-Brücher Schäfer
DIE GRÜNENKleinert Schilyfraktionslos Bastian
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 159. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. September 1985 11865
Präsident Dr. JenningerDer Antrag ist damit abgelehnt.Ich rufe die Tagesordnungspunkte 3 a und 3 b auf:a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Hochschulrahmengesetzes— Drucksache 10/2883 —Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Bildung und Wissenschaft
— Drucksache 10/3751 —Berichterstatter:Abgeordnete Frau Dr. Wisniewski KuhlweinNeuhausenFrau Zeitler
b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Bundesregierung „Hochschulpolitische Zielsetzungen der Bundesregierung und Förderung der Drittmittelforschung"— Drucksachel0/3782 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:Ausschuß für Bildung und Wissenschaft Auswärtiger AusschußInnenausschußAusschuß für WirtschaftAusschuß für Arbeit und Sozialordnung Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit Ausschuß für Forschung und Technologie Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit HaushaltsausschußZu Tagesordnungspunkt 3 a liegen Entschließungsanträge der Fraktion der GRÜNEN auf Drucksache 10/3869, der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/3884 und den Fraktionen der CDU/ CSU und der FDP auf Drucksache 10/3891 vor. Außerdem liegen ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/3883 und ein Änderungsantrag der Frau Abgeordneten Dr. Hamm-Brücher auf Drucksache 10/3886 vor.Meine Damen und Herren, nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind eine gemeinsame Beratung der Tagesordnungspunkte 3 a und 3 b und eine Aussprache von zweieinhalb Stunden vorgesehen. Hierzu liegt eine Wortmeldung der Abgeordneten Frau Dr. Hamm-Brücher vor. Ich erteile Ihnen das Wort zur Geschäftsordnung, Frau Dr. Hamm-Brücher.
Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte zur Geschäftsordnung beantragen, die für die Fraktionsredner bereits verplante Redezeit von zweieinhalb Stunden um eine halbe Stunde für mögliche und freie Wortmeldungen zu verlängern, so wie das im Bericht der Ad-hoc-Kommission Parlamentsreform zur Belebung der Debatten und zur Gewährleistung des Rederechts des Abgeordneten empfohlen wird. In der Begründung dieser Empfehlung heißt es — ich darf zitieren —:
Das Rederecht ist ein Grundrecht des Abgeordneten gemäß Artikel 38 Abs. 1 GG. Die Redeordnung soll diesem Recht Rechnung tragen. Deshalb empfiehlt die Kommission, Möglichkeiten zu schaffen, innerhalb der insgesamt knappen Debattendauer möglichst vielen Abgeordneten Redechancen einzuräumen und so auch zu einer Verlebendigung der Aussprachen beizutragen.
Später heißt es:
Durch die feste Verplanung der Redezeit ist es nicht immer möglich, spontane Wortmeldungen und entsprechende kurze Rede- und Gegenredebeiträge zu berücksichtigen. Eine Folge dieser Praxis im Bundestag ist, daß das verfassungsrechtlich gewährleistete Rederecht des einzelnen Abgeordneten — das durch Redevereinbarungen zwischen den Fraktionen im Kern nicht angetastet werden darf — sich weitgehend auf geplante, schriftlich vorbereitete Beiträge der jeweiligen Sprecher der Fraktionen konzentriert hat. Nicht zuletzt darin wird ein Grund für mangelndes Interesse der Öffentlichkeit und nicht selten geringe Präsenz der Abgeordneten im Plenarsaal gesehen.
Meine sehr geehrten lieben Kolleginnen und Kollegen, ich möchte Sie bitten, daß wir von dieser einsichtigen Empfehlung anläßlich der verbundenen Debatte, die vorgeschlagen wurde, erstmalig Gebrauch machen. Ich nenne Ihnen hierfür neben den bereits erwähnten grundsätzlichen Erwägungen, auf den Verhandlungsgegenstand bezogen, folgende Gründe.
Der Bundestag debattiert vergleichsweise selten über hochschulpolitische Grundsatzfragen. Das heißt, er nützt seine ohnehin wenigen Kompetenzen und die ihm im Laufe der Jahre zugewachsene Sachkompetenz selten und macht seine gesamtstaatliche Verantwortung selten geltend. Das gilt insbesondere auch im Hinblick auf die Probleme, die der europäischen und internationalen hochschulpolitischen Zusammenarbeit gelten, die zweifelsfrei in die ureigenste Bundeszuständigkeit fallen.
Nun haben wir hier und heute die Gelegenheit, beides miteinander zu verbinden: eine freie Aussprache und eine erweiterte Redezeit, um unserer Kompetenz im Hochschulbereich Ausdruck zu verleihen. Ich meine, wir sollten sie nützen, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, und, falls dies überhaupt nötig ist, auch über den Schatten unserer Fraktionsgeschäftsführer hinwegspringen. Denn es geht einfach darum, meine Damen und Herren, ob wir als Abgeordnete nicht auch das Recht haben, in Debatten den Beitrag zu leisten, den wir für nötig halten.
Vielen Dank.
Zur Geschäftsordnung hat das Wort Herr Abgeordneter Seiters.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben im Ältestenrat eine Vereinbarung getroffen, in der wir die Debattenzeit auf zweieinhalb Stunden festgelegt haben. Es ist immer schwierig, für die zur Verfügung stehende
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11866 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 159. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. September 1985
SeitersZeit die Plenarsitzungen zu gestalten und dabei alle Redewünsche aller politischen Gruppierungen im Bundestag zu berücksichtigen. Es ist immer ein Kompromiß. Es liegt im Interesse aller Kollegen des Hauses, daß sie sich auf die im Ältestenrat vereinbarten Zeiten verlassen können.Ich möchte mich, Frau Kollegin Dr. Hamm-Brücher, auch im Namen aller, wie ich glaube, im Ältestenrat mitwirkenden Kollegen gegen den bei Ihnen anklingenden Vorwurf wehren, daß wir angeblich die Rechte der einzelnen Abgeordneten nicht genügend berücksichtigten oder den Reformüberlegungen zur Gestaltung der Plenardebatte nicht offen gegenüberstünden.
Der Ältestenrat hat eine Reihe der Vorschläge der Adhoc-Kommission Parlamentsreform bereits übernommen und begonnen, sie in die Praxis umzusetzen. Wenn Sie sich jetzt auf die Ergebnisse der Ad-hocKommission berufen, dann sollten Sie klarstellen, daß Ihr heutiger Antrag eben nur einer von zahlreichen Vorschlägen ist, der ausdrücklich noch nicht in die Praxis umgesetzt werden sollte, weil wir uns mit ihm im Ältestenrat und auch im Plenum, und zwar in diesen kommenden Wochen, auseinandersetzen wollen. Wir sollten jetzt nicht an Hand von Geschäftsordnungsanträgen diese Debatte vorwegnehmen.Lassen Sie mich, Frau Kollegin Dr. Hamm-Brücher, Ihnen in aller Ruhe auch folgendes zu bedenken geben. Eine Reform unseres parlamentarischen Verfahrens kann nur gelingen, wenn sie von der Zustimmung aller oder doch der meisten Kollegen bejaht und getragen wird. Reformüberlegungen können nicht von einzelnen Mitgliedern des Hauses den anderen Kollegen gewissermaßen ohne vorherige Debatte aufgezwungen werden.Verehrte Frau Kollegin, Sie schaden Ihren Überlegungen mehr als Sie ihnen nützen, wenn Sie es unternehmen, die Mehrzahl Ihrer Kollegen damit zum unpassenden Zeitpunkt zu strapazieren.
Ich sage dies aus einem ganz bestimmen Grunde, den ich auch nennen will: Frau Kollegin Hamm-Brücher, ich möchte nicht verschweigen, daß Sie Gefahr laufen, dies bereits jetzt schon zu tun. Bei mir haben sich Kollegen des Deutschen Bundestages darüber beklagt — ich höre diese Stimmen auch aus anderen Fraktionen —, daß sie sich, ohne es zu wissen, überraschend in einer Bundestagsdrucksache namentlich als Initiatoren eines Reformvorschlages aufgeführt wiederfanden, von Ihnen eingebracht beim Parlamentspräsidenten, obgleich die Kollegen vorher nicht über diese Benutzung ihrer Unterschrift informiert worden waren.
Wie ich höre, hat Sie der Bundestagspräsident auch auf diesen Vorgang, der im Ältestenrat zur Sprache gekommen ist, angesprochen.
Deswegen sage ich: Die Reformüberlegungen in der Parlamentsarbeit gehen uns alle an. Niemand sollte versuchen, sich in Einzelaktionen zu profilieren.
Wir sind zu einer sachlichen Diskussion aller Vorschläge im Ältestenrat und im Plenum bereit. Es gibt keinen Grund, jetzt in Hektik und Eile, unüberlegt und mit Krampf ein Teilstück der Diskussion, die wir noch zu führen haben, vorwegzunehmen.Deswegen lehnen wir heute Ihren Antrag ab.
Zur Geschäftsordnung hat das Wort Herr Abgeordneter Porzner.
Herr Präsident! Meine verehrten Damen und Herren! Verehrte Frau Kollegin Dr. Hamm-Brücher, ich habe Sie schon als Schüler anfangs der 50er Jahre als streitbare Abgeordnete im Bayerischen Landtag bewundert. Deswegen fällt es mir schwer, Ihnen zu widersprechen.Ich brauche die Argumente nicht zu wiederholen, die Herr Seiters vorgetragen hat, weil ich ihm zustimme und weil Herr Seiters in aller Ruhe dargelegt hat, wie wir uns im Ältestenrat darüber verständigt haben, daß wir und wann wir über die Dinge reden werden, von denen Sie einen Punkt hier vorziehen wollen.Jetzt aber noch zum Tagesordnungspunkt selbst. Die Redner meiner Fraktion, die sich vorbereitet haben und heute sprechen werden — es steht mir nicht an, jemanden zu qualifizieren oder zu disqualifizieren, weil er sich auch im Auftrag meiner Fraktion vielleicht sorgfältig auf eine Debatte vorbereitet — sind freie Abgeordnete.
Weil Sie von freien Wortmeldungen reden: Es handelt sich auch um freie Wortmeldungen. Es handelt sich um Wünsche von Kollegen, die sprechen wollen, die von den Dingen etwas verstehen, über die sie reden. Wenn Sie von freien Wortmeldungen reden, entsteht für mich der Eindruck, als ob Sie von nicht ganz freien Wortmeldungen sprechen, weil sie im Namen und auch mit der Zustimmung der SPD-Fraktion erfolgen. Das ist das eine.Ein Zweites: Wir haben für die heutige Debatte vier Redner vorgesehen. Es ist eine relativ kurze Debatte. Das sind viele Redner. Da andere Fraktionen auch mehrere Redner zu Wort kommen lassen und beauftragt haben, wird es eine sehr bunte Debatte sein im Sinne der Wünsche des Ältestenrates und des ganzen Parlamentes, wie wir es damals im Herbst vergangenen Jahres im Bundestag besprochen haben.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 159. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. September 1985 11867
PorznerEin Drittes: Sie sprechen von der gesamtstaatlichen Verantwortung. Weil wir diese gesamtstaatliche Verantwortung genauso ernst nehmen wie Sie, haben wir unsere Kollegen gebeten, sich auf das Thema sorgfältig vorzubereiten. Das haben sie getan. Die Kollegen nehmen damit ihre gesamtstaatliche Verantwortung, wie Sie es ausdrücken, wahr. Ich verwahre mich gegen den Vorwurf, daß die Kollegen dies vielleicht in einem geringeren Maße täten als jene, die in einer sogenannten freien Runde sprechen sollen.
Ich bitte also darum, heute so zu verfahren, wie der Ältestenrat es einvernehmlich vorgeschlagen hat — denn dort gibt es, was den Ablauf der Plenarsitzungen betrifft, nur einvernehmliche Regelungen —, und alles das, was wir miteinander diskutieren wollen, in Kürze zu diskutieren und dann, falls wir uns dazu entschließen sollten, Konsequenzen für die Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages zu ziehen.
Zur Geschäftsordnung erteile ich das Wort dem Abgeordneten Beckmann.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die FDP-Fraktion hat für den Antrag der Frau Kollegin Dr. Hamm-Brücher wenig Verständnis. Wir respektieren und achten ihren unermüdlichen Einsatz in den letzten Monaten, zu einer Parlamentsreform zu kommen, die uns allen bessere Gestaltungs- und Arbeitsmöglichkeiten gibt. Hierzu haben auch viele andere Kollegen dieses Hauses beigetragen. Wir sind hinsichtlich der Debatte über diese Vorschläge, die wir Ende Oktober/Anfang November im Deutschen Bundestag zu führen gedenken, froh und erwartungsvoll.
All unser Sinnen und Trachten in dieser Hinsicht richtet sich auf diese Auseinandersetzung, auf die Beratung all der Vorschläge, die so viele Kollegen von uns mit sehr viel Einsatz erarbeitet haben. Das umfaßt insbesondere auch den Bericht der Ad-hoc-Kommission, der einen Vorschlag enthält, den die Frau Kollegin Hamm-Brücher hier heute zum Antrag erhoben hat. Das bedeutet das Vorziehen eines Punktes aus einem Gesamtpaket. Dies halten wir nicht für sinnvoll. Mit dem gleichen Recht könnten viele andere Kollegen ankommen und ihre Lieblingsideen zu jedem anderen Tagesordnungspunkt hier vortragen. Das halten wir im Sinne eines vernünftig abzuwikkelnden Parlamentarismus nicht für richtig.
Meine Damen und Herren, wir bitten auch die Frau Kollegin Hamm-Brücher um Verständnis, daß die Geschäftsordnung ein Instrument ist, das uns allen die Freiheit unseres parlamentarischen Lebens regelt, aber so regelt, daß niemand zu kurz kommt. Im übrigen ist dazu in dem Buch von Friedrich Schäfer über den Deutschen Bundestag sehr viel nachzulesen, in dem er sich mit der Rolle des
einzelnen als mehrheitsbildendes Element in der Demokratie auseinandersetzt.
Ich will es kurz machen; die meisten Argumente sind von meinen Kollegen Vorrednern hier schon eindrucksvoll dargebracht worden. Ich darf feststellen: Die Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist kein Hühnerhof, auf dem alle wild durcheinanderlaufen können.
Deshalb hat sich das Parlament diese Geschäftsordnung gegeben, an die wir uns bis zu ihrer Änderung auch halten wollen. Auch der Parlamentarismus braucht seine Ordnung.
Vielen Dank.
Zur Geschäftsordnung hat das Wort der Abgeordnete Mann.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Vor allen Dingen: Verehrte Frau Kollegin Hamm-Brücher! Ich bewundere Sie in der Tat auch
— anders als der Kollege Porzner —, ich der ich Sie im Bayerischen Landtag nicht erleben konnte, daß Sie nach so langer Zeit in diesem Parlament auch heute noch den Mut
und die Zivilcourage, die Liberale, Herr Beckmann, insgesamt auszeichnen sollte, aufbringen,
in diesem erstarrten Parlament für Reformen hinsichtlich unserer Arbeitsweise einzutreten.
Ich möchte Sie aus der Sicht unserer Fraktion als der jüngsten Fraktion hier im Hause fragen, Herr Seiters, Herr Porzner und Frau Dr. Timm: Warum denn diese Aufgeregtheit im Hühner- oder auch Hähnehof? Parlamentsreform ist eine ständige Aufgabe, und deswegen kann man die Einhaltung von notwendigen Spielregeln sehr wohl mit der Notwendigkeit verbinden, auch einmal initiativ zu werden und Dinge zu erproben, die Sie hier disqualifizieren, indem Sie sagen, da werde ein Teil aus einem Gesamtpaket herausgenommen.
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11868 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 159. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. September 1985
MannWarum haben Sie denn, meine Herren, vor allen Dingen von den Fraktionsgeschäftsführungen, diese Angst vor dem einzelnen Abgeordneten, der — wie ich hier — spontan, nicht als Parlamentarischer Geschäftsführer
— Herr Bohl, Sie können j a auch noch reden —, zur Sache redet? Warum haben Sie denn diese Angst? Wir nehmen unsere gesamtstaatliche Verantwortung, bitte schön, genauso wahr wie Fraktionen, die mit dem Mittel des Fraktionszwangs oder — vornehm formuliert — der Fraktionsdisziplin ständig versuchen, abweichende Meinungen zu gängeln und zu unterdrücken.
Zur Sache unterstützen deswegen, soweit ich das sehe, die hier anwesenden GRÜNEN-Abgeordneten alle — —
— Wie viele sind Sie denn im Verhältnis? Wir werden noch mehr, Herr Seiters, warten Sie nur ab!Wir unterstützen den Antrag der Kollegin Hamm-Brücher, und zwar auch aus sachlichen Gründen. Ich glaube, das Problem der Hochschulen ist so wichtig, daß nicht nur diejenigen Redner und Rednerinnen, die vorher von der Fraktion benannt worden sind, sondern auch einzelne, die meinen, nach Ende der Debatte noch etwas sagen zu sollen — das kann in aller Kürze und Prägnanz geschehen —, hier ihre Meinung kundtun sollten. Wenn Sie wirklich für parlamentarische Meinungsfreiheit sind, müßten Sie hier einmal anders abstimmen. Aber Sie werden mit dem geheimen Fraktionszwang, mit der Schere im Kopf, mit der Angst vor Ihren Büroterminen und ähnlichem abstimmen und diesen Antrag ablehnen. Und da sehen wir heute schon, wie ernst Ihnen Parlamentsreform ist.
Ich möchte noch ein letztes sagen. Bezeichnend in dem Zusammenhang ist auch, daß draußen vor diesem Hohen Hause — —
Herr Abgeordneter, das gehört nicht zur Sache.
Das gehört sehr wohl zur Sache.
Nein, das hat mit der Sache nichts zu tun. Ich mache Sie darauf aufmerksam: Ich muß Ihnen das Wort entziehen, wenn Sie hier nicht zur Sache sprechen.
Ist mir jetzt das Wort entzogen?
Nein. Ich habe Sie aber zum zweitenmal ermahnt, zur Sache zu sprechen.
Ich sehe das anders,
aber natürlich, Herr Präsident — —
Bitte fahren Sie fort, Herr Abgeordneter.
Vielen Dank für den Tip! Ich bin jetzt am Ende.
Herr Beckmann, mir kommen die Tränen: „all unser Trachten". Wer hat Ihnen das eigentlich aufgeschrieben?
So etwas müssen Sie sich noch aufschreiben: „all unser Sinnen und Trachten
zur gesamtstaatlichen Gesamtverantwortung"!
Mir kommen die Tränen.
Diesem Parlament, meine Damen und Herren,
würde es gut anstehen, einmal offen, wie Frau Kollegin Hamm-Brücher das heute versucht hat und wie auch ich es versuche,
über das Spannungsverhältnis des einzelnen Abgeordneten nach Art. 38 und der Einbindung in Fraktions- und Parteizwänge zu diskutieren.
Aber dazu sind Sie nicht bereit. Sie sind nur dazu in der Lage, hier laut zu werden, weil Sie nicht mehr in der Lage sind, die Argumente, die Sie selber oft am eigenen Leibe gespürt haben, zu artikulieren.
Vielen Dank.
Herr Abgeordneter Mann, Gegenstand der Beratung war der Antrag der Kollegin Frau Dr. Hamm-Brücher. Nach unserer Geschäftsordnung ist es nicht zulässig, daß andere Fragen in diese Debatte eingeführt werden. Vorgänge, die sich außerhalb des Hauses vollziehen, können Sie oder Ihre Fraktion heute beispielsweise in der Sitzung des Ältestenrates zur Sprache bringen, nicht aber im Rahmen dieser Geschäftsordnungsdebatte.
— Entschuldigung, wenn Sie selbst schon für Einhaltung der Geschäftsordnung appelliert haben,
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 159. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. September 1985 11869
Präsident Dr. Jenningerdann erwarte ich, daß Sie selbst sie auch einhalten.
Meine Damen und Herren, wir kommen zur Abstimmung. Wer dem Antrag der Abgeordneten Frau Dr. Hamm-Brücher auf Erweiterung der Redezeit zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Enthaltungen? — Gegenprobe! — Der Antrag ist abgelehnt.Sind Sie mit der genannten Vereinbarung im Ältestenrat einverstanden? — Ich sehe keinen Widerspruch. — Dann ist so beschlossen.Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? — Das ist nicht der Fall.Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Das Wort hat die Abgeordnete Frau Dr. Wisniewski.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich denke, die Hochschulen haben es verdient, daß wir uns in Ruhe mit der Sache auseinandersetzen.Als Wilhelm von Humboldt im Jahr 1810 die Berliner Universität gründete, gab es in ganz Deutschland ungefähr 5 000 Studierende. 1950 waren es allein im Gebiet der Bundesrepublik etwa 100 000, und heute sind mehr als eine Million, nämlich 1,27 Millionen Studierende im Bundesgebiet zu verzeichnen. Es hat sich so etwas wie eine „stille Revolution" vollzogen. Immer mehr junge Menschen der verschiedensten Bevölkerungsgruppen drängten in die Einrichtungen des sekundären und tertiären Bildungsbereichs.Die Kardinalfrage war und ist, wie es möglich ist, die akademische Ausbildung in Massenfächern so zu gestalten, daß die Qualität von Forschung und Lehre nicht leidet.Die staatlichen Stellen in Bund und Ländern antworteten — und dies muß man dankbar immer wieder feststellen — auf die Zunahme der Studentenzahlen mit dem quantitativen Ausbau des Hochschulwesens. Sie antworteten aber auch durch neue Rechtsvorschriften für Organisationsstrukturen, die 1976 im Hochschulrahmengesetz ihren signifikanten Ausdruck fanden.Vielfach wurde damals geglaubt, daß Hochschulen in einem demokratischen Staat und im Zeitalter des Massenstudiums anders als in vergangenen Zeiten strukturiert sein müßten. Heute kann festgestellt werden, daß dies jedenfalls teilweise ein Irrtum war. Die Leistungsfähigkeit der Hochschulen wird auch bei einer großen Zahl von Studenten, Professoren und wissenschaftlichen Mitarbeitern am besten erhalten, wenn ihnen nicht eine wissenschaftsfremde Struktur in Angleichung an das Parteienwesen gegeben wird, sondern wenn sie eine Organisationsstruktur aufweisen, die Forschung und Lehre angemessen ist. Das heißt im wesentlichen, daß in erster Linie diejenigen, die durch Habilitation und durch Berufung auf eine Professur qualifiziert sind, in allen Angelegenheiten von Forschung und Lehre hauptsächliche oderalleinige Entscheidungsträger sein müssen, ohne daß dabei das Prinzip der Teilhabe aller Mitglieder der Hochschule an der Willensbildung nach Maßgabe ihrer Qualifikation aufgegeben wird.Das heute zur abschließenden Beratung anstehende Gesetz zur Änderung des Hochschulrahmengesetzes geht von diesem Grundsatz aus. Er ist ja inzwischen auch verfassungsgerichtlich festgeschrieben worden.Der Bericht „Hochschulpolitische Zielsetzungen der Bundesregierung und Förderung der Drittmittelforschung", der heute ebenfalls zur Beratung steht, stellt das Gesetz in den Gesamtzusammenhang der Hochschulpolitik dieser Regierung.Der Ausschuß für Bildung und Wissenschaft hat auf der Grundlage des Regierungsentwurfs die Gesetzesvorlage beraten und in einigen Punkten modifiziert.Mit dieser Novellierung — das sei festgehalten — sind keineswegs alle Probleme der Hochschulen und besonders der sogenannten Massenfächer zu lösen. Das kann ein Rahmengesetz nicht leisten. Aber es sind die entscheidenden Weichen für eine innere gute Weiterentwicklung der Hochschulen in den nächsten Jahrzehnten gestellt.Die Ziele der Novellierung sind bekannt. Einige Punkte sollen erwähnt werden:Erstens. Die Differenzierung des Hochschulsystems soll die Profilierung und Entfaltung eigenständiger Hochschulen und damit den Wettbewerb untereinander fördern. Der Ausschuß hat deswegen im Eingangsparagraphen ausdrücklich alle Hochschularten genannt. Es ist mittlerweile bekannt, daß die immer wiederholte Behauptung, Gesamthochschulen seien nun nicht mehr möglich, ins Reich der Polemik gehört. Man sollte sie nicht wiederholen.Zweitens. Die Verantwortung der Hochschulen für die Gestaltung des Studiums wird gestärkt und sozusagen zur Aufgabe der Basis gemacht, statt daß eine Reglementierung von oben durch sogenannte Studienreformkommissionen weitergeführt wird. Dementsprechend sollen auch Studienordnungen weitgehend Sache der Hochschulen sein.Um der leider hochgespielten Befürchtung entgegenzutreten, daß durch die Einrichtung von neuen Studiengängen mit hochschuleigenem Zulassungsverfahren eine „Eliteförderung", wie man sagt, auf Kosten der „Breitenförderung" etabliert werden solle, hat der Ausschuß darauf verzichtet, eine eigene Kapazitätsregelung für solche Studiengänge im Gesetz vorzuschreiben.Drittens. Eine der schwierigsten Aufgaben für den Gesetzgeber wie für den einzelnen Verantwortlichen am Ort ist die Sorge für das wissenschaftliche Niveau einer Hochschule. Das Gemeinwohl im Auge zu haben und es nach bestem Wissen zu wahren, erfordert bisweilen harte und im Einzelfall bedrückende Entscheidungen. In dieser Gesetzesnovelle kommt der Wille, zum Wohl aller zu wirken und nicht in billigem Anbiedern bisweilen lautstark vorgetragenen Forderungen nachzugeben, vor al-
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11870 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 159. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. September 1985
Frau Dr. Wisniewskilem in der Stärkung der Fachkompetenz und in der Verpflichtung zur persönlichen Mitwirkung der einzelnen Professoren zum Ausdruck, denen eine wissenschaftliche Disziplin zur Pflege anvertraut wurde.In der Ausschußfassung ist dieses Anliegen gegenüber dem Regierungsentwurf noch verstärkt worden. Die Mitwirkung aller Professoren im Fachbereichsrat von Amts wegen ist auch auf das Habilitationsverfahren selbst ausgedehnt worden, und dies ist für das Niveau einer Hochschule von entscheidender Bedeutung. Das ist also keine „Schwächung des Gruppenprinzips", wie man bisweilen hört, oder gar eine „Entdemokratisierung der Hochschulen durch Verschärfung der Habilitationsanforderungen", sondern das ist eine notwendige Klarstellung der Verantwortung des wissenschaftlich ausgewiesenen Fachvertreters für die Qualität des wissenschaftlichen Nachwuchses in dem ihm anvertrauten Wissenschaftsbereich.Außerdem ist es gemäß einer Erhebung des Allensbacher Instituts eine geradezu wissenschaftsfeindliche Begleiterscheinung des Repräsentationsprinzips für Professoren, daß die unverzichtbar notwendige Kommunikation der Wissenschaftler untereinander ungemein erschwert, j a zerstört wird. Schon Humboldt forderte: „Da aber auch das geistige Wirken in der Menschheit nur als Zusammenwirken gedeiht, ... muß die innere Organisation dieser Anstalten ein ununterbrochenes, sich immer wieder selbst belebendes, aber ungezwungenes und absichtsloses Zusammenwirken hervorbringen und unterhalten."
Die Länderparlamente sind dringend gebeten, in den Landesgesetzen diesem wissenschaftsförderlichen Prinzip dadurch mehr Geltung zu verschaffen, daß sie die Fachbereiche wieder als große, interdisziplinäre Gremien gestalten, die im Alltag der Wissenschaftsverwaltung die selbstverständliche Kommunikation von Professoren der unterschiedlichsten Fächer ermöglichen. Diesem Anliegen konnte in dem Rahmengesetz nicht Raum gegeben werden.Die Sorge für das wissenschaftliche Niveau der Hochschule ist auch Grundlage dafür, daß die Leitung der Hochschule anders geregelt wird als bisher. Mehrere Lösungen wären denkbar. Der Ausschuß entschied sich schließlich dafür, daß im zentralen Kollegialorgan, das die Hochschulleitung wählt und das die Grundordnung der Hochschule erläßt, die Professoren die absolute Mehrheit haben, alle Gruppen aber vertreten sind.
Von einer darüber hinausgehenden Regelung, daß im Stichentscheid die Mehrheit in der Professorengruppe allein den Ausschlag gibt, wurde abgesehen.Viertens. Im Mittelpunkt der Novelle steht die Änderung der Personalstruktur. Auch hier gilt dasPrinzip der Sorge für das Niveau der Hochschulen, aber auch der Vorsorge für die Chancen der kommenden Generationen. Für den wissenschaftlichen Nachwuchs ist weitgehend am Prinzip der Zeitstellen festgehalten worden; aber Leistungsanteil und Risikobereitschaft der Nachwuchswissenschaftler dürfen nicht überstrapaziert werden. Die Einrichtung von Stellen für Habilitierte und besonders die in Ausnahmefällen auf Lebenszeit vergebbare Hochschuldozentur dienen diesem Ziel. Aber auch die in der Ausschußfassung neu in das Gesetz hineingekommenen Lockerungen der starren Befristungen für Zeitbeamte und Zeitangestellte bei Tätigkeit im Ausland, wegen Mutterschaft oder Kinder- bzw. Altenpflege, für Zeiten des Grund-, Wehrund Zivildienstes sind in diesem Zusammenhang zu sehen.Fünftens. Die Neuordnung der Personalstruktur und, wie ich meine, die verbesserten Möglichkeiten, Stellen für wissenschaftliches Personal durch Drittmittel zu schaffen, sind nach Ansicht der CDU/ CSU-Bundestagsfraktion ganz besonders dazu angetan, das nun von keinem wohl mehr geleugnete Phänomen der Unterrepräsentanz von Frauen unter den Hochschullehrern allmählich zu beseitigen. An herausragender Stelle, gleich zu Beginn in § 2, erscheint als Vorschrift, liebe Frau Hamm-Brücher, und als Handlungsmaxime — es steht extra so im Bericht — folgender Text:„Die Hochschulen wirken bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben auf die Beseitigung der für Wissenschaftlerinnen bestehenden Nachteile hin."Ich denke, hier ist ein gesetzgeberischer Durchbruch erfolgt trotz vielfacher administrativer Bedenken. Ich meine, daß wir unserer Wissenschaftsministerin und unserem Ausschuß dankbar sein müssen für das Durchsetzen dieser für die Frauen ungemein wichtigen Gesetzespassage.
Wie es einem Rahmengesetz entspricht, bleibt es den Ländern überlassen, die Instrumente zur Verwirklichung dieses Globalauftrags zu wählen. Von der Einsetzung von Frauenbeauftragten über Berichtspflicht der Rektoren bis zu Förderungsplänen und — wenn gewünscht und vertretbar — Regelungen für den Frauenanteil an Stellen des öffentlichen Dienstes sind Maßnahmen denkbar und vom Rahmengesetz her möglich.Alles in allem: Die Novellierung des Hochschulrahmengesetzes wird sich auf die Hochschulen positiv auswirken. Sie ist von der Sache her gerechtfertigt. Deshalb wird sie allen Ländern, auch den SPD-geführten Ländern, die Möglichkeit geben, ihre Hochschulen so zu gestalten, daß sie das in Zukunft besser tun können, was ihre Aufgabe ist — ich sage es ganz schlicht —: wissenschaftlich zu arbeiten und dafür möglichst viel Zeit und Kraft zur Verfügung zu haben.Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion wird dem Gesetzesvorhaben zustimmen, und sie wird die Änderungsanträge der Opposition sowie — leider — den Antrag von Frau Hamm-Brücher ablehnen. Ich
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Frau Dr. Wisniewskibitte um Zustimmung zum Antrag der Regierungsfraktionen, der das Bestreben verdeutlicht, die Hochschulforschung durch mehr Anreize für Selbständigkeit zu stärken.Zum Schluß danke ich allen, die zum Gelingen dieses Gesetzes beigetragen haben. Ich glaube, das darf ich auch im Namen vieler Hochschulangehöriger sagen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kuhlwein.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist schade, daß der Kollege Mann nicht mehr im Saal ist. Ich hätte ihm gern mal vorgeführt, wie ein freigewählter Abgeordneter hier redet. Aber sein Interesse an Hochschulpolitik reichte offensichtlich über die Geschäftsordnungsdebatte heute morgen nicht hinaus.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Bundesregierung will mit der Verabschiedung der Novelle zum Hochschulrahmengesetz die Wende nun auch für die deutschen Hochschulen einläuten. Statt daß sie aus den Erfahrungen in anderen Bereichen der Gesellschaft gelernt hätte, wo blinder Wendeeifer erheblichen Flurschaden angerichtet hat,
sollen jetzt auch noch die Hochschulen neokonservativ auf Vordermann gebracht werden.
Offenbar bemessen sich die Erfolge dieser Regierung nur noch nach der Zahl der beschlossenen Vorhaben und nicht mehr nach deren Qualität. Folglich wird dann jedes beschlossene Gesetz als Sieg abgebucht, ganz gleich, welche gesellschaftlichen Reibungsverluste und Konflikte damit verursacht werden.Der Feuereifer, mit dem die Koalition die Totalrevision des HRG von 1976 betrieben hat, hat die Ausschußberatungen im Frühsommer leider zur Farce gemacht. Ganze sechs Sitzungen standen zur Gesetzesberatung zur Verfügung. Wichtige Anhörungen konnten nicht mehr ausgewertet werden. Eine gründliche Prüfung von 41 Änderungsanträgen zum Regierungsentwurf innerhalb einer Woche war völlig ausgeschlossen. Was hier auch interessieren wird, ein Antrag auf öffentliche Sitzung bei der abschließenden Beratung, den wir gestellt haben, nachdem der Präsident dieses Verfahren empfohlen hatte, wurde von der Regierungsmehrheit ebenfalls abgelehnt. Warum, Herr Kollege Daweke, laden Sie eigentlich Sachverständige zur Anhörung ein, wenn Sie nicht annähernd bereit sind, Änderungsvorschläge auch nur zur Kenntnis zu nehmen?
Sie haben Ihre Sorgfaltspflicht als Abgeordnete vernachlässigt, und Sie haben uns das Recht der Opposition beschnitten, alle vorliegenden Vorschläge gründlich aufzuarbeiten.
Sie werden die Folgen dieses Schnellverfahrens zu spüren bekommen.Die Anhörungen haben gezeigt, daß diese HRG-Novelle nur von einer Gruppe im Hochschulbereich uneingeschränkt begrüßt wird, und das sind diejenigen, die noch immer glauben, der Professorentitel sei der Nachweis für höhere Einsichten und berechtige von daher zu Privilegien und Machtausübung.
Viele Professoren und alle anderen Gruppen, die an den Hochschulen arbeiten und lernen, haben Ihre Novelle kritisch auseinandergenommen und abgelehnt. Die Gewerkschaften haben dies nicht nur im Interesse ihrer Mitglieder an den Hochschulen getan, sondern auch, weil sie verhängnisvolle Entwicklungen für die Beziehungen zwischen Hochschule und Gesellschaft voraussehen.
In Bonn haben im Juni 40 000 Studenten gegen die Novelle demonstriert.
Kein Senat irgendeiner Hochschule in der Bundesrepublik hat ein positives Votum zum Entwurf abgegeben, aber es gab eine Fülle von negativen Stellungnahmen.Meine Damen und Herren, die Leitidee dieses Gesetzes könnte man auf die Formel bringen: Vorwärts, zurück in die 50er Jahre!
Dieses Gesetz will mit vordemokratischen Machtstrukturen und Hierarchien die Hochschulen zu unkritischen Agenturen der deutschen Wirtschaft machen und in den Dienst ihrer, d. h. einer undifferenzierten Wachstumspolitik stellen.
Sie stärken mit dieser Novelle — ich komme jetzt mit den Belegen, Herr Kollege Daweke — die Privilegien der Professoren. Sie verschieben die Mehrheiten in den Gremien. Durch die neue Personalstruktur stellen Sie alte Abhängigkeiten des Mittelbaus wieder her. Sie höhlen die Mitwirkungsrechte der anderen Gruppen an den Hochschulen und damit die Gruppenuniversität aus. Sie sorgen dafür, daß vor die Habilitation und die Berufung zum Professor wieder die Anpassung an herrschende Lehren gesetzt wird.
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KuhlweinMit dieser HRG-Novelle wird ein Stück inneruniversitärer Demokratie zerschlagen. Den auf diese Weise neu geordneten Hochschulen wollen Sie dann ausgerechnet auch noch die Studienreform als ständige Aufgabe übertragen; als ob die Unfähigkeit der Professorenuniversität, sich selbst zu reformieren, nicht inzwischen hinlänglich erwiesen wäre.Sie wollen mit diesem Hochschulrahmengesetz Eliten fördern. Sie wollen die Hochbegabten durch Sonderstudiengänge vom Rest der Studenten separieren. Sie wollen gleichzeitig die Selektion verschärfen, wie Herr Geißler das bereits für die Medizinstudiengänge angekündigt hat.Sie tun das im politischen Zusammenhang mit der von Ihnen veranlaßten Umstellung der Ausbildungsförderung für die Studenten auf Volldarlehen und im Zusammenhang mit dem BAföG-Kahlschlag — Maßnahmen, die Zehntausenden von jungen Menschen, vor allem Arbeiterkindern und Mädchen, die Ausbildungschancen bereits genommen haben.
Dabei, Graf Waldburg, müßte doch jedem einsichtig sein, daß die Höhe der Spitze einer Pyramide immer auch davon abhängt, wie breit die Fundamente sind. Im übrigen würde ich Ihnen empfehlen, nicht die Contenance zu verlieren, Graf Waldburg.
Unser Problem liegt im übrigen nicht darin, daß wir in Deutschland zu wenig schlaue Köpfe hätten. Unser Problem liegt doch vielmehr darin, daß sich diese Elite nur allzu gern von der Gesellschaft abkapselt und daß sich diese Eliten eben gerade nicht mit den Problemen der Mehrheit der Menschen beschäftigen. Diese Tendenzen werden Sie mit Ihren Sonderstudiengängen und der gesamten HRG-Novelle zusätzlich fördern.Sie wollen mit dem Hochschulrahmengesetz die Hochschulen zu mehr Differenzierung und Wettbewerb drängen. Sie haben in den Beratungen im Ausschuß als Beispiel die Gleichwertigkeit, aber auch die Andersartigkeit der Fachhochschulen genannt. Im Gesetz selber verweigern Sie den Fachhochschulen die volle Anerkennung. Sonst hätten Sie nicht vom Bundesrat die Bestimmung übernommen, daß künftig Fachhochschuldiplome bundesweit den Zusatz FH tragen müssen. Sie können die Fachhochschulen mit noch so vielen Sophistereien vom angeblich besonderen Gütesiegel FH nicht über die von Ihnen gewollte Diskriminierung hinwegtäuschen.Sie wollen eine Hochschullandschaft, in der sich über zunehmende Differenzierung durch staatliche und private Drittmittel Rangfolgen herausbilden lassen, die letztlich bei rückläufigen Studentenzahlen in den 90er Jahren zu einer Vernachlässigung der kleinen und neuen Universitäten und der Fachhochschulen außerhalb der Ballungsräume führen werden.Es besteht nämlich die Gefahr, daß die Großen dann auch bei der Grundausstattung den Rahm abschöpfen. Sie setzen damit einen der größten Erfolge sozialliberaler Bildungspolitik aufs Spiel, nämlich den Erfolg, daß wir überall in der Bundesrepublik, auch in der Fläche, gut ausgestattete und leistungsstarke Hochschulen haben und daß wir sie heute auch dort haben, wo ursprünglich bildungsferne Bevölkerung und eine schwachentwickelte Wirtschaftsstruktur zusammenkamen.Meine Damen und Herren, das bedeutet dann nicht nur Abschied von der Chancengleichheit, z. B. für das katholische Mädchen vom Lande, Graf Waldburg, sondern das bedeutet auch eine Konzentration von Einrichtungen und Wissenschaftlern auf die Ballungszentren und eine entsprechende Austrocknung in der Fläche.Sie wollen die Hochschulen über erleichterte Drittmittelforschung zu Forschungslabors für die deutsche Industrie machen. Sie begründen dies mit der Notwendigkeit der Verbindung von Forschung und Lehre und beruflicher Praxis. Damit da keine Unklarheit entsteht: Dafür sind wir auch. Aber wir sehen auch die Gefahren einer unkontrollierten Ausweitung der Drittmittelforschung. Die Folge der zunehmenden Abhängigkeit von Drittmitteln aus der Wirtschaft wird nämlich sein, daß in den Hochschulen selbst nicht mehr darüber nachgedacht werden kann, wie die Praxis und wie die Gesellschaft denn auch verändert werden könnten und müßten,
weil die Wirtschaft aus sich heraus eben gerade nicht Forschungen mit Fragestellungen finanzieren wird, wie etwa die Umweltbelastung gemindert werden kann, wie die Arbeitsplätze humanisiert werden könnten, wie die Menschen besser als bisher in die Lage versetzt werden können, die technologische Entwicklung selbst in die Hand zu nehmen, oder wie den Menschen in der Dritten Welt wirksam geholfen werden kann. All dies wird über Drittmittel aus der Wirtschaft nicht laufen! Geld aus der Wirtschaft wird es doch nur dort geben, wo wenigstens mittelfristig Gewinne zu erwarten sind. Meine Damen und Herren, nichts wäre verheerender für die Zukunft der deutschen Forschung, als wenn der von Ihnen proklamierte Wettbewerb darin bestünde, welche Hochschule die meisten Mittel aus Reagans SDI-Topf an Land ziehen kann.
Das Hochschulrahmengesetz von 1976 ist ein gesellschaftlicher Kompromiß gewesen. Viele von uns haben damals durchaus weitergehende Vorstellungen gehabt. Aber wir hätten auch noch zehn Jahre mit dem bestehenden HRG leben können, bis die größten Probleme der Belastung durch die starken Studentenjahrgänge gelöst sind. Sie, meine Damen und Herren auf der Rechten, haben diesen Konsens
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Kuhlweinaufgekündigt. Sie suchen die hochschulpolitische Auseinandersetzung,
und Sie können sie gern von uns haben.
Wenn Korrekturen am HRG von 1976 erforderlich sind, dann in den drei Bereichen, zu denen wir Ihnen heute Anträge vorgelegt haben:Erstens. Die Benachteiligung von Frauen in unserer Gesellschaft ist erst in den letzten Jahren bewußt gemacht worden. Wir schlagen Ihnen vor, daß Frauenbeauftragte und Frauenförderpläne als erster Schritt auf dem Weg zur Gleichstellung im Hochschulbereich für alle Hochschulen verbindlich gemacht werden.
Frau Kollegin Wisniewski, die allgemeine Formulierung dieser Generalklausel, die Sie hineingeschrieben haben, reicht eben nicht aus, um das umzusetzen.Zweitens. Das HRG 1976 macht die Einführung der verfaßten Studentenschaft nicht verbindlich. Bayern und Baden-Württemberg haben darauf verzichtet. Den Studenten dort wird eine starke Interessenvertretung verwehrt. Wir beantragen deshalb die obligatorische Einführung der verfaßten Studentenschaft mit einem hochschulpolitischen Mandat, das auch die politische Bildung der Studenten umfaßt, und wir machen gleichzeitig darauf aufmerksam, daß ein hochschulpolitisches Mandat bei einer gewollten Öffnung der Hochschulen für Drittmittel aus der Industrie auch die Beschäftigung mit eben dieser Industrie umfassen können muß und daß ein hochschulpolitisches Mandat etwa bei der Anknüpfung internationaler Beziehungen von Hochschule zu Hochschule auch dazu berechtigt, sich mit den politischen und gesellschaftlichen Verhältnissen in den Partnerländern zu befassen.Drittens. Die besonderen Bedürfnisse behinderter Studentinnen und Studenten sind durch die Generalklausel des geltenden § 2 HRG nicht ausreichend berücksichtigt. Wir wollen deshalb einer Anregung des Deutschen Studentenwerks folgen und einen Beauftragten für Behindertenfragen vorsehen. Außerdem sollen die Probleme der Behinderten auch bei allen Bauplanungen berücksichtigt werden.Meine Damen und Herren, mit der Novellierung des HRG lenkt die Bundesregierung von den wirklichen Problemen an den Hochschulen in der Bundesrepublik ab.
Das Gesetz trägt nicht dazu bei, daß die Überlastmittel erhöht werden. Das Gesetz ist kein Instrument zum Offenhalten der Hochschulen. Es macht die teilweise Schließung der Hochschulen für junge Menschen aus sozial schwächeren Familien nicht rückgängig. Das Gesetz leistet keinen Beitrag zu einer Reform der Studiengänge, die sich an beruflichen Tätigkeitsfeldern orientiert. Es verbessert weder die Berufsperspektiven von Nachwuchswissenschaftlern, weil es keine einzige zusätzliche Stellebringen wird, noch die Aussichten von Akademikern auf dem Arbeitsmarkt. Das Gesetz gibt auch keine Antwort darauf, welche Chance Geistes- und Sozialwissenschaften gegenüber einer forcierten Förderung der Hochtechnologien haben werden. Schließlich verkürzt das Gesetz die Forderung nach gesellschaftlicher Öffnung der Hochschulen auf die Frage der Auftragsforschung für die einseitig am betriebswirtschaftlichen Gewinn orientierte Industrie.
Meine Damen und Herren, die Beratungen des Regierungsentwurfs im Ausschuß haben in einigen Bereichen geringfügige Verbesserungen erbracht. Einige der Änderungen, die Sie durchgesetzt haben, bedeuten aber Verschlimmerungen. Sie haben etwas Wasser in den Wein gegossen, um ihn genießbarer zu machen, das Glykol, das darin enthalten war, haben Sie nicht abgebaut.
Ihre Nachbesserungen haben nichts genützt. Dieses Gesetz, dieses Zeug bleibt insgesamt ungenießbar. Die SPD-Fraktion wird deshalb diesen Gesetzentwurf ablehnen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Neuhausen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Essig im Wein ist auch nicht so besonders schmackhaft. Das möchte ich zu dem sagen, was der Kollege Kuhlwein als sinnigen Begriff da zum Schluß gebracht hat.Meine verehrten Damen und Herren, ein Hochschulsystem — ich zitiere —, „in dem Universitäten ihre Studenten und Studenten ihre Universitäten von einem zentralen Verteilungssystem zugeteilt erhalten, hat es schwer, zu einer lebendigen, kritischen und differenzierten Bildungslandschaft zu gedeihen".
— Es stammt von Hans-Dietrich Genscher. — Dieses Zitat macht es deutlich genug, wie weit wir unter dem Druck zahlreicher sattsam bekannter Probleme von dem Ziel entfernt sind, das für eine liberale Hochschulpolitik bestimmend ist.
— Herr Kuhlwein, ich habe Sie auch reden lassen.Ich setze dieses Zitat ganz bewußt an den Anfang meines Beitrages, um einem Irrtum zu begegnen, dem Sie auch verfallen sind und der vor allen Dingen zwei inhaltlich entgegengesetze Haltungen in den Diskussionen prägte, die wir über die Novelle zum Hochschulrahmengesetz geführt haben, nämlich einerseits die Erwartung, daß es möglich sei, mit diesem Gesetz alle Probleme der Hochschule zu lösen, also sozusagen eine heile Hochschulwelt zu schaffen, und andererseits die ebenso extreme Be-
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11874 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 159. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. September 1985
Neuhausenfürchtung, dieses Gesetz fixiere die Hochschulen auf einen reaktionären Kurs.
— Na, Sie wissen es ja ganz genau.
Worum ging es in Wirklichkeit? Es ging darum, das Rahmenrecht des Bundes Erfahrungen anzupassen, die mit dem geltenden Gesetz gemacht worden sind. Es ging darum, Entwicklungen zu berücksichtigen, die sich seitdem einfach in der Praxis ergeben haben. Es ging darum, Optionen für neue Entwicklungen und Erneuerungen zu öffnen. Mit anderen Worten, dieses Gesetz muß in seinen Möglichkeiten realistisch beurteilt werden als ein Schritt, der allerdings, wie wir meinen, in die Richtung wirklich von mehr Freiheit, Autonomie, Differenzierung und Wettbewerb führt und der die rechtlichen Voraussetzungen dafür schafft, daß mehr Spielraum, mehr Flexibilität, mehr Entbürokratisierung und mehr Eigenverantwortung möglich werden.
— Ich glaube, Sie verwechseln das hier mit einer lustigen Stunde. Ich weiß nicht, im Ausschuß ging das ernster zu, Herr Vogelsang.Daß es zahlreicher begleitender Schritte bedarf, um diese Möglichkeiten auch zu verwirklichen, ist selbstverständlich. Richtig ist in diesem Zusammenhang auch die Feststellung der WRK, daß eine Reihe wichtiger Forderungen zur Behebung der aus Überlast und finanziellen Restriktionen entstandenen Probleme für weitere Initiativen auf der Tagesordnung bleiben müssen. Aber was ist erreicht? Zum Beispiel — Sie haben es kritisiert, wir begrüßen es — die Entbürokratisierung und Erleichterung der Drittmittelforschung. Herr Kollege Laermann wird dazu noch etwas sagen. Wenn dieser wichtige Punkt allerdings zu einer Stärkung der Leistungsfähigkeit der Hochschulen führen soll, dann ist es notwendig, daß die Einnahmen, die die Hochschulen aus Drittmitteln erzielen, nicht zu Kürzungen bei den Landeshaushaltsmitteln führen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Ströbele?
Ja, wenn es nicht angerechnet wird.
Das ist bei diesen Kurzdebatten immer schwierig. — Aber bitte schön, Herr Ströbele.
Herr Kollege, würden Sie mir recht geben mit der Feststellung, daß dieses Gesetz die Hochschulen den Interessen der Industrie öffnet und daß damit genau das gemacht wird, was die Studentenbewegung versucht hat zu verhindern?
Herr Ströbele, ich gebe Ihnen nicht recht. Ich komme aber darauf zurück.Wichtig ist, daß die Voraussetzungen für eine neue Personalstruktur geschaffen wurden, die trotz aller Unkenrufe zu einer Verbesserung der Chancen des wissenschaftlichen Nachwuchses in den Hochschulen führen wird. Das war auf Grund der Erfahrungen mit dem bisher geltenden Gesetz dringend geboten. Und wichtig ist die Stärkung der Autonomie der Hochschulen durch die künftige Genehmigungsfreiheit der Studienordnung. Wichtig ist auch, daß die Einrichtung von neuen Studiengängen ermöglicht werden kann. Ich weiß nicht — ich habe das in der ganzen Diskussion nicht verstanden —, wie man an diese Möglichkeit eine solche Begriffsverwirrung anknüpfen kann, wie das auch heute morgen wieder geschehen ist. Ich gebe zu, die von mir hier genannten Punkte sind wirklich Zielscheiben von Kritik geworden, aber leider auch die Zielscheibe von Polemik, die man nicht mehr als sachlich-fachliche Kritik ernst nehmen kann. Es ist völlig absurd — und jetzt komme ich zu dem, was Herr Ströbele gefragt hat —, zu behaupten — aus dem bunten Zitatenstrauß der von Ihnen erwähnten VDS-Veranstaltungen —, daß nach dem Motto „Wes Brot ich ess', des Lied ich sing"' die Hochschulen „noch stärker als bisher an den Interessen von Industrie und Kapital ausgerichtet" oder mit dem Gesetz — ich nehme Ihnen das ja schon vorweg — „den großen Konzernen der Zugriff und die Einflußnahme auf die Inhalte von Bildung und Wissenschaft verschafft" werden sollen — ich kann es nicht auswendig lernen; deshalb habe ich das aufgeschrieben — oder die Stichworte der Novellierung „Militär, Industrie und konservative Machtabsicherung" seien. Das ist so absurd, daß man sich scheut, es zu zitieren. Ich zitiere noch die zahmsten Stellen. Ich zitiere es nur deswegen, um neugierige, arg-, ahnungslose und auch wohlwollende Kritiker darauf aufmerksam zu machen, in welcher Gesellschaft sie sich befinden, in einer Gesellschaft, in der von „bewiesenen politkriminellen Bestrebungen" die Rede ist, die Hochschulen in „Instrumente profitorientierter Konzernpolitik und in UntertanenFabriken" zurückverwandeln.Ich habe etwas bedauert, die Ausführungen des Kollegen Kuhlwein im Kontext solch ausufernder Phantasien lesen zu müssen. Denn ich kann mir nicht vorstellen, daß Sie — bei aller auch scharfen Kritik — der Behauptung zustimmen könnten, Ziel unserer Politik sei, eine Wirtschaftsordnung zu schaffen — das wurde da gesagt —, in der wenige Privilegierte Bildung und Arbeit haben und in der es ein Heer von flexiblen abrufbereiten Sklaven gibt, die sich untereinander um die Brocken — ob um Arbeit oder Bildung — streiten. Ich kann mir das nicht vorstellen.
Allerdings ist mein Bedauern nach diesem Krach und nach den Ausführungen, die Sie, lieber Kollege, in Ihrer Rede gemacht haben, etwas gedämpft, aber ich verzichte dennoch darauf, nun seine eigenen Ausführungen in dieser Aktion der verschiedensten Gruppen und Parteien hier zu zitieren. Er hat es selber getan. Was ich an dieser Sache kritisiere, ist
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Neuhausennicht, daß man dieser Meinung ist, ich kritisiere hier vielmehr — ich sage das in tiefem Ernst —, daß Sprache in der politischen Auseinandersetzung immer beliebiger wird.
Ich frage mich: Welche Sprache und welche Begriffe haben Sie eigentlich noch, wenn vielleicht die Demokratie einmal wirklich in Frage gestellt würde? Die Sprache, die Begriffe sind für Dinge, die nicht im Rang dieser grundsätzlichen Auseinandersetzungen stehen, verhunzt.
Meine Damen und Herren, der Kollege Vogelsang hat kürzlich in einem Gespräch mit der „Süddeutschen Zeitung" wohl auch mit Bedauern Zweifel geäußert, ob es noch einen hochschulpolitischen Konsens zwischen den Parteien gebe. Er sah ihn — ausweislich dieses Interviews — in noch einem Punkt bestehen: Es gelte, die Hochschulen auch in Zeiten der Überlast für alle Abiturienten offenzuhalten. Ich muß sagen: Wer — wie ich — den Entschließungsantrag der SPD gelesen hat, der stellt fest, daß das in einem wirklich merkwürdigen Gegensatz zu der Behauptung von der ordnungspolitisch gewollten sozialen Sperrung der Hochschulen steht. Wenn darauf verwiesen wird, das sei unter anderem durch die Umstellung des Studenten-BAföG auf Darlehen zu belegen, dann erlaube ich mir, doch darauf hinzuweisen, daß es sich dabei um eine Maßnahme handelt, die der frühere Bundeskanzler Helmut Schmidt im Februar 1982 bei einer Veranstaltung der Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen der SPD für „erwägenswert" hielt; er sagte: „Es wäre nicht verkehrt, darüber nachzudenken". — Nur soviel zum bildungspolitischen Konsens über Zeiten und über Koalitionen hin.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Kulhlwein?
Sicher.
Herr Kollege Neuhausen, erinnern Sie sich vielleicht daran, daß wir im Ausschuß anläßlich einer Debatte über den BAföG-Kahlschlag von einem Kollegen aus der CDU/CSU-Fraktion einmal hörten, das sei ja nicht nur aus finanziellen Erwägungen geschehen, sondern das sei ordnungspolitisch gewollt gewesen?
Herr Kollege Kuhlwein, ich spreche hier für die Freie Demokratische Partei und für die liberale Fraktion in diesem Hause. Wenn Fragen gestellt werden: Wer ist das?, so beantworten sich diese durch mangelnde politische Bildung von selber.
Lieber Herr Vogelsang, ich möchte sagen: Es kann natürlich noch immer einen Konsens geben. Ich meine, es würde der bildungspolitischen Konturierung, der Profilierung, der klaren Auseinandersetzung nicht schaden, sondern zu einem demokratischen Konsens im Hinblick auf mögliche Zukunftsentwicklungen führen, wenn wir uns wenigstens nicht gegenseitig wissentlich falsche oder vorgeschobene Beweggründe unterstellten.
Meine Damen und Herren, ich muß zum Schluß kommen. Lassen Sie mich aber noch eines sagen: Auch das, was bisher gesagt wurde — natürlich wird es so weitergehen —, ist von dieser Sprachverwirrung geprägt. Es wird keine Aushöhlung der Gruppenuniversität geben.
Es wird kein Zwei-Klassen-Studium geben. — Herr Kuhlwein, es ist unsinnig, von einer Rückkehr zur Ordinarienuniversität oder — wie Sie es gerade getan haben — von der Unfähigkeit der Professoren zu sprechen. Vergleichen Sie denn wirklich die 28 000 Professoren im Jahre 1985 mit den etwa 5 000 Ordinarien im Jahre 1960? Wir leben in einer anderen Welt, in einer anderen Hochschullandschaft, in einer anderen Struktur.
Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluß.
Die vorliegende Novellierung ist ein Kompromiß. Sie führt uns mitten hinein in die hochschulpolitische Debatte. Wir stellen uns dieser Debatte sehr gerne.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Zeitler.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eigentlich würde ich gerne hinzufügen: Liebe Studenten — unter den Abgeordneten befinden sich ohnehin sehr wenig, die zuhören —; aber
leider wurden heute morgen Studenten aus Münster, die der Debatte folgen wollten, nicht ins Haus gelassen, weil sie sich erlaubt haben, vor dem Haus ihre Meinung kundzutun. So begegnet man hier einer Konfrontation mit der öffentlichen Meinung. Was heute hier zu verhandeln ist, ist ein Ergebnis davon.Ich möchte zunächst davon reden, was wir heute angesichts der realen Situation an den Hochschulen eigentlich zu behandeln hätten. Wir müßten über die katastrophale Situation reden, daß heute 1,3 Millionen Studenten und Studentinnen nur 760 000 Studienplätze angeboten werden; wir müßten auch über die Qualität von Ausbildung reden angesichts der Situation, daß Seminarveranstaltungen, die für 30 Leute geplant waren, mit 200 Studenten und Studentinnen durchgeführt werden müssen, oder darüber, daß Prüfungsverfahren wie Multiple-choice-Tests immer mehr Verbreitung an Hochschulen finden. Wir müßten auch über die dramatisch wachsenden Zahlen arbeitsloser Hochschulabsolventen reden, die dazu führen, daß immer mehr Abiturienten und vor allen Dingen Abiturientinnen gar nicht erst ein Studium beginnen. Wir
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Frau Zeitlermüßten angesichts der drängenden ökologischen, friedenspolitischen und sozialen Probleme über den gesellschaftlichen Auftrag von Forschung und Lehre sprechen.
Gemessen an diesen Kriterien könnte man der heutigen Debatte enttäuscht den Rücken kehren. Nicht diese drängenden Probleme von Studenten und Studentinnen und auch den wissenschaftlichen Arbeitern werden heute verhandelt, sondern etwas ganz anderes. Es geht nämlich darum, mit dieser Novelle der deutschen Wirtschaft unter die Arme zu greifen. Ich möchte das auch erklären.Der deutschen Wirtschaft kann zum einen durch direkte Subventionierung geholfen werden. Nichts anderes passiert, wenn Professoren, die mit Drittmitteln forschen, hochschuleigene Geräte und Hochschulpersonal benützen. Das geschieht auch überall dort, wo öffentliche Gelder, seien sie aus dem Ministerium Riesenhuber oder Wilms — ich könnte auch jedes andere nennen —, in Projekte, Institute, Hochschulen und Großforschungsanlagen gesteckt werden, die ganz offiziell Grundlagenforschung, und nicht nur das, für die deutschen Unternehmen leisten.
Das wird von der Regierungsbank gar nicht bestritten, im Gegenteil. Im Bericht der Bundesregierung, der heute verhandelt wird, wird sogar lobend herausgestellt, daß die Forschungs- und Hochschulpolitik des Bundes ihre Schwerpunkte dort setzt, wo es der exportorientierten, das heißt im wesentlichen auf neue Technologien ausgerichteten bundesdeutschen Wirtschaft am genehmsten ist. Ich nenne eigentlich nur das Kind beim Namen, wenn ich sage, daß das alles öffentliche Subventionen für die deutsche Wirtschaft sind.Die Erwartung, daß die neue Ausrichtung der Hochschulen eine Steigerung der Drittmittel bringt, damit man, wie behauptet, der angespannten finanziellen Situation an den Hochschulen begegnen kann, mag sich vielleicht sogar erfüllen. Aber zu welchem Preis?Die Ziele und Inhalte von Forschung und Lehre — nicht nur der Drittmittelforschung — werden weniger denn je die Hochschulen autonom bestimmen, sondern die Geldgeber. Da ziehen Industrie und Regierung am gleichen Strang. Diese Praxis soll zementiert werden.Ein anderes Argument: Daß durch stärkere Kooperation von Hochschulen und Wirtschaft letztendlich Studenten, Studentinnen und der wissenschaftliche Mittelbau bessere Arbeitsmarktchancen hätten, ist eine dicke Lüge. Denn durch die exportorientierte, hochrationalisierte Industrie — vor allem diese bedient sich der Hochschulkapazitäten — sind bis heute nur Arbeitsplätze eingespart worden; Sie brauchen sich nur die Arbeitslosenstatistiken anzusehen. Auch wenn Herr Kuhlwein hier berechtigte Kritik an der Drittmittelpraxis geübt hat, istdoch Tatsache, daß in den von der SPD regierten Ländern genau der gleiche Kurs gefahren wird.
Zum Beispiel sagte der Sozialdemokrat von Dohnanyi 1984 in Hamburg — ich zitiere —: „Wir müssen wissenschaftliche Einrichtungen noch stärker als bisher als Dienstleistungsangebote für die Hamburger Wirtschaft organisieren."
In diesem Zusammenhang appellierte er an die Unternehmer, sie selbst müßten die bestehenden Einrichtungen nutzen und auf ihre Fortentwicklung Einfluß nehmen.
So viel zur Hochschulpolitik der Sozialdemokratie.Um diese industrieabhängige Forschungspolitik nun abzusichern, blieb Frau Wilms ein Übriges zu tun, nämlich die kritischen Gegenstimmen zu disziplinieren, Hierarchien zu verstärken und Demokratisierungsansätze zurückzudrängen.Um nicht den Eindruck zu erwecken, die heute hier verhandelte Novelle wäre ein Novum auf diesem Weg, werde ich mich nicht nur auf die vorliegende Novelle beziehen. Seit Mitte der 70er Jahre, also unter sozialliberaler Koalition, wurden die Leistungen nach dem BAföG laufend verschlechtert. Zum Teil liegen die Einkommen der Studenten heute unter dem Sozialhilfeniveau.Zu der Absicht der Regierung, die Gesamthochschulen als Integrationsmodelle für die deutsche Hochschullandschaft aufzugeben, nur so viel. Nachdem an den einzigen Vorzeigegesamthochschulen in Nordrhein-Westfalen und Hessen der integrative Ansatz zugunsten der Vergleichbarkeit mit Standarduniversitäten bereits zurückgenommen wurde — GHS's dürfen sich heute ja auch Universitäten nennen —, wundert es nicht, daß die Regierung diesen ursprünglich emanzipatorischen Ansatz zugunsten einer stärkeren Differenzierung, sprich: Hierarchisierung der Hochschulen und Hochschulstrukturen, korrigiert. Der äußeren Hierarchisierung der Hochschulen folgt analog die innere. Die Einrichtung von besonderen Studiengängen, sogenannten Elitestudiengängen, wird abgesichert. Dies ist dann wohl als Beitrag der Hochbegabtenauslesepolitik der Bundesregierung zu verstehen. Und — obwohl Sie das vielleicht nicht so gerne hören — diese Auslesepolitik wird auch von den Sozialdemokraten favorisiert. Herr Engholm hat nämlich bereits 1983 ähnliche Bildungsziele formuliert. Er meinte — ich zitiere ihn auch —: Was wir unbestritten brauchen, ist die Förderung von Spitzenbegabungen in jedem Feld unserer Gesellschaft; wir brauchen die hervorragend Begabten, die besonders leistungsfähigen, die Verantwortungsbereiten, die in Führungspositionen bestätigten Persönlichkeiten. Am besten alles zugleich! Ich glaube, Sie hören das nicht so gern.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 159. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. September 1985 11877
Frau ZeitlerZurück zur Novelle! Nachdem die Vormachtstellung der Professoren in allen Gremien bereits 1976 ein Faktum war, wird sie nun zusätzlich durch die persönliche Zuordnung der wissenschaftlichen Mitarbeiter zu den einzelnen Professoren verstärkt. Durch diese persönlichen Abhängigkeitsverhältnisse zusammen mit den neuen Zeitvertragsregelungen wird ein kritisches Engagement des Mittelbaus zur Existenzfrage.Schließlich bliebe noch die Einführung der Hochschuldozentur zu erwähnen. Sie führt zu einer weiteren Aufsplitterung des wissenschaftlichen Personals und verstärkt die Konkurrenz untereinander, eine beliebte Variante in dem Spiel „teile und herrsche".Insgesamt dient diese innere und äußere Ausrichtung der Angleichung der Hochschulen an die Strukturen eines modernen Industrieunternehmens. Mit Managementmethoden lassen sich jedoch die gesellschaftlich relevanten Probleme, die das Leben und Überleben der Menschen betreffen, nicht lösen.
Wir werden deshalb unser möglichstes tun — wir stehen damit auch nicht allein; ich erinnere an die Stellungnahmen der Gewerkschaftsvertreter und der Vertreterinnen von Frauenorganisationen und etlichen anderen beim Hearing —, damit die Diskussion über die gesellschaftlichen Aufgaben und Verpflichtungen von Forschung und Lehre geführt wird.Welche Aufgaben das sind, darüber wird unter den Gutwilligen leicht Einigkeit zu erzielen sein. Ich erwähne hier nur kurz: Fragen des Verhältnisses von Mensch und Natur, Friedenssicherung, Massenarbeitslosigkeit, Diskriminierung von Frauen; es gibt noch viele solcher Fragen.Zu ihrer Beantwortung wird wissenschaftliche Arbeit nötig sein. Wie diese Fragen oder, anders ausgedrückt, diese Forschungsinteressen in die Hochschulen und Forschungsinstitute eingespeist werden können, ist vordringlich zu beantworten. Schon jetzt ist abzusehen, daß dazu umfassende Demokratisierungsmaßnahmen nötig sein werden: Öffnung der Hochschulen, paritätische Mitbestimung, demokratische Kontrolle auch und besonders von Drittmittelgeldern, Aufhebung von Statusgruppen und Aufhebung der Trennung von Kopf-und Handarbeit sind nur einige Stichpunkte.Als exemplarisch für die Versuche, Wissenschaft und Forschung anders, nämlich gesellschaftlich verantwortungsvoll zu betreiben, möchte ich die Wissenschaftsläden und das Öko-Institut Freiburg nennen. Dort wird sowohl auf der organisatorischstrukturellen Ebene wie auch auf der inhaltlichen Ebene versucht, Wissenschaft anders, nämlich verantwortungsbewußt, selbstbestimmt und demokratisch zu betreiben.Einen wesentlichen Beitrag zu einer selbstbestimmten, emanzipativen Wissenschaft stellen die Frauenforschung und im Bereich der Lehre die Frauenstudien dar. Genau deshalb haben wir einen Antrag zur Frauenförderung an den Hochschuleneingebracht. Er soll exemplarisch zeigen, wie ein erster Schritt in Richtung Demokratisierung und Öffnung der Hochschule aussehen kann. Demokratische Öffnung der Hochschule bedeutet für uns auf der inhaltlichen Ebene eine veränderte, eine emanzipative Wissenschaft, die Aufhebung des SubjektObjekt-Verhältnisses von Forscher und Beforschtern und damit die Aktivierung und Einbeziehung des Forschungsgegenstandes in den Verlauf der Forschung. Das ist unser Wissenschafts- und auch unser Politikverständnis.Die Frauen haben hier innerhalb und außerhalb der Hochschulen Pionierarbeit geleistet. Ihr Bemühen darf nicht den Effektivitäts- und Profitinteressen einer unternehmerorientierten Wissenschaft geopfert werden.Gleichzeitig ist unser Antrag auch deshalb nötig, weil Frauen in dieser Gesellschaft, in der in immer weiteren Lebensbereichen auch die Menschen nach dem Kosten-Nutzen-Prinzip der sogenannten Freien Marktwirtschaft bewertet werden, faktisch als erste aus dem Arbeitsleben herausgedrängt werden. Das gilt besonders für den relativ bevorzugten Bereich der Hochschulen.Demokratisierung kann in diesem Zusammenhang nur heißen, das grundgesetzlich garantierte Recht auf Gleichberechtigung im Bereich Hochschule konkret zu machen und dafür Umsetzungsmöglichkeiten anzugeben. Das gelingt nicht, indem man noch mehr Möglichkeiten schafft, Zeitverträge abzuschließen, weder in Drittmittelprojekten noch anderswo. Das möchte Frau Wisniewski und die CDU den Frauen gern vormachen. Dabei ist es eine alte und immer wieder wiederholte Erfahrung, daß Frauen in der Konkurrenz mit Männern, unabhängig von der Qualifiktion, schlechtere Chancen haben.Für die Zeitverträge insbesondere bei Drittmittelprojekten wird es heißen, daß sich die Zweiteilung beim wissenschaftlichen Personal verstärken wird: Überall da, wo Männer mit Frauen deshalb konkurrieren, weil auch die Männer geringe Arbeitsmarktchancen haben — das dürfte auf die Geistes- und Sozialwissenschaften besonders zutreffen —, werden Männer die Drittmittelarbeitsverträge bekommen. In jenen Bereichen, wo es keine hohe Akademikerarbeitslosigkeit gibt, werden den Frauen die sozial- und arbeitsrechtlich ungeschützten Arbeitsverträge überlassen; denn dort werden die Männer die Planstellen mit der sehr viel beseren Aussicht auf wissenschaftliche Karriere besetzen.
Jeder, der es sehen will, sieht, daß die Vertreibung der Frauen aus der Wissenschaft nur durch wirksame Bestimmungen aufgehalten werden kann.Wir haben in unseren Antrag zur Frauenförderung an den Hochschulen solche konkreten Maßnahmen benannt, nämlich Frauenförderpläne, in denen Quotierungsvorschläge gemacht werden. Hier dürfen die Länder dann in der Umsetzung die Macht ihrer Phantasie zeigen.
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Frau ZeitlerZu diesen Maßnahmen zählt auch das Amt einer Frauenbeauftragten, die die Durchsetzung von Frauenbelangen überprüft und vorantreibt. Des weiteren muß eine Maßnahme die verstärkte Besetzung die Berufungs- und Besetzungskommissionen durch Frauen sein.Denn wo Männer allein entscheiden, geht es meistens unsachlicher und unehrlicher zu als in jedem Damenkränzchen.
Noch ein letzter Satz: Mit dem heutigen Tag werden die Anliegen der Frauen nicht vom Tisch sein. Im Gegenteil: Ich hoffe, daß sich das Parlament oder zumindest Teile davon — und das ist nötig, das bekommen wir immer wieder bestätigt — spätestens im Winter bei einem großen öffentlichen Hearing mit der Frage erneut befassen kann.Ich danke Ihnen.
Das Wort hat die Frau Bundesminister für Bildung und Wissenschaft.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! — Das ist ein Fortschritt, auch in diesem Parlament. — Die dritte Novelle zum Hochschulrahmengesetz setzt einen Markstein
für die hochschulpolitische Entwicklung der Bundesrepublik, und das ist gut so. Sie fügt sich in die Perspektive ein, die die Bundesregierung in ihrem Bericht über die hochschulpolitischen Zielsetzungen aufgewiesen hat. Diesen Bericht lege ich dem Hohen Hause heute vor.Er dokumentiert die hochschulpolitische Neu-. orientierung, die ich mit der Vorlage der 16 Thesen zur Hochschulpolitik im November 1983 angekündigt und eingeleitet habe. Diese hochschulpolitischen Zielsetzungen beschreiben den ordnungspolitischen Rahmen der Bundespolitik für die Hochschulpolitik und für die Hochschulentwicklung der nächsten Jahre. Er wird von den Prinzipien der Differenzierung und der Profilierung der Hochschulen und des Wettbewerbs zwischen den Hochschulen bestimmt. Diese Ordnungsprinzipien sind nicht Selbstzweck, sondern sie schaffen mehr Effizienz für Lehre und Forschung in den Hochschulen, sie geben mehr Freiheit für die Selbstverwaltung in den Hochschulen, und sie leisten einen wichtigen Beitrag, um die quantitative Expansion der Hochschulen durch eine weitere Verbesserung der Qualität zu ergänzen. Damit, meine sehr geehrten Damen und Herren, dienen wir der Wissenschaft in der gleichen Weise wie der jungen Generation.Die Novelle zum HRG setzt in wichtigen Teilbereichen die hochschulpolitischen Perspektiven in den Rechtsrahmen der Hochschulen um. Hierbeimöchte ich insbesondere folgende Punkte hervorheben.Erstens die Differenzierung der Hochschullandschaft: Die Orientierung an dem einheitlichen Organisationsmodell der Gesamthochschule wird aufgegeben; die Stellung der Fachhochschulen wird verbessert. Jede Hochschule hat ihren je eigenständigen Stellenwert.Zweitens Stärkung der Eigeninitiative: Die Hochschule erhält mehr Freiheit bei der Gestaltung ihres Studienangebots in eigener Verantwortung und bietet den Studenten damit auch eine breitere Studienpalette.Drittens Verbesserung der Hochschulforschung: Die Effizienz der Forschung in den Hochschulen wird gesteigert. Hierfür sind auch Anreize für die Einwerbung von mehr Drittmitteln vorgesehen.
Viertens Versachlichung der Entscheidungsstrukturen: In der Hochschulselbstverwaltung soll das Gruppenprinzip um das Prinzip der Fachvertretung und der größeren Verantwortung der Hochschullehrer ergänzt werden.Fünftens Neuordnung der Personalstruktur: Hier werden bisherige Fehlentwicklungen durch die Schaffung eines neuen, funktionsfähigen Assistentenamtes korrigiert und Positionen geschaffen, auf denen habilitierte Wissenschaftler unter Umständen verbleiben können.Sechstens Verbesserung der Situation der Frauen unter den Wissenschaftlern und wissenschaftlichen Nachwuchskräften: Durch diese Novelle werden Nachteile gemildert, die für Wissenschaftlerinnen im Hochschulbereich immer noch bestehen. Die Hochschulen sind jetzt bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben gehalten, auf die Beseitigung von Nachteilen für Wissenschaftlerinnen hinzuwirken.Meine Damen und Herren, die HRG-Novelle erfährt in Fachkreisen eine große Zustimmung.
Dies wird auch nicht deshalb unrichtig, weil Sie das Gegenteil behaupten. Ich bringe Ihnen sofort den Beweis, verehrte Kollegen der SPD.
Die Vorsitzenden der natur-, der ingenieur- und der geisteswissenschaftlichen Fakultäten haben einmütig erklärt, die Novelle sei notwendig.
Sie haben sich inhaltlich dem Entwurf der Bundesregierung — —
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 159. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. September 1985 11879
Frau Bundesministerin, bitte unterbrechen Sie Ihre Rede. — Ich bitte, die Störer auf der Tribüne unserer Gäste mit angemessenen Mitteln, sanft, aber bestimmt zu entfernen.
Sprechen Sie weiter, Frau Bundesminister.
Vielen Dank, Herr Präsident.
Ich betone noch einmal, daß die Vorsitzenden der großen Fakultäten Natur-, Ingenieur- und Geisteswissenschaften einmütig erklärt haben, daß diese Novellierung notwendig sei, und sie haben sich inhaltlich dem Entwurf der Bundesregierung angeschlossen.
Auch die Westdeutsche Rektorenkonferenz hat im Juli dieses Jahres zu der jetzt vorliegenden Fassung erklärt, sie entspreche in wesentlichen Punkten ihren Vorstellungen. Meine Damen und Herren, damit liegt eben ein eindeutig zustimmendes Votum der Repräsentanten der deutschen Hochschulen vor.
Meine Damen und Herren, die Novelle ist Ausdruck einer langfristigen, zukunftsorientierten Hochschulpolitik, für die wir jetzt die Weichen stellen. Der Bericht der Bundesregierung über die hochschulpolitischen Zielsetzungen macht die Gesamtkonzeption dieser Politik deutlich. Sie zeigt auf, welche hochschulpolitischen Kompetenzen die Bundesregierung hat und welche Probleme die Bundesregierung schon angegangen ist, ja gelöst hat. Dieser Bericht zeigt auch auf, welche Aufgaben von der Bundesregierung noch erfüllt werden müssen. Er zeigt vor allen Dingen auch auf, welche Probleme von den Bundesländern anzupacken sind, weil sie in deren Zuständigkeit fallen. Ich würde die verehrten Kollegen von der Opposition bitten, gelegentlich ein bißchen auf die Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern in dieser Sache zu achten.
Vor diesem Hintergrund gehen auch die Behauptungen der Opposition ins Leere, die Bundesregierung tue nichts zur Bewältigung der aktuellen Probleme an den Hochschulen. Das Gegenteil ist richtig. Zur Bewältigung der Überlast an den Hochschulen sind viele Maßnahmen notwendig, und ein Teil der notwendigen Maßnahmen, die auf die Bundesregierung entfallen, hat sie direkt nach ihrem Amtsantritt eingeleitet. Ich erwähne hier — auch wenn das vielleicht immer wieder peinlich ist — den Hochschulbau. Diese Bundesregierung hat die Mittel für den Hochschulbau seit ihrem Amtsantritt erheblich gesteigert, nämlich von den 900 Millionen DM pro Jahr der SPD-geführten Bundesregierung
im Jahr 1982 auf 1,2 Milliarden DM pro Jahr ab 1983 bei dieser Bundesregierung.
Gestatten sie eine Zwischenfrage, Frau Bundesminister? — Bitte sehr, Herr Abgeordneter Kuhlwein.
Frau Minister, könnten Sie denn dem Haus auch mitteilen, wie viele flächenbezogene Studienplätze seit Ihrem Amtsantritt neu geschaffen worden sind?
Herr Kollege Kuhlwein, da Sie ja früher in dem Bundesministerium eine führende Position hatten und die Senkung der Hochschulbaumittel in Ihre Amtszeit fällt, wissen Sie selber, daß die Kapazitätsbestimmung im einzelnen in die Kompetenz der Länder fällt. Ich glaube, das muß ich Ihnen nicht deutlich machen.
Meine Damen und Herren, durch die Erhöhung der Hochschulbaumittel wurde es ermöglicht — und das ist das Verdienst dieser Bundesregierung —, die Hochschulen auch für die geburtenstarken Jahrgänge offenzuhalten. Das Geld, das wir über die Hochschulbaumittel zur Verfügung stellen, kommt der studierenden Jugend zugute. Damit wird die Breitenausbildung an den Hochschulen gesichert.
Meine Damen und Herren, ich erwähne weiter die Bemühungen der Bundesregierung, neue Zulassungsbeschränkungen an den Hochschulen zu vermeiden. Genannt sei hier nur das Fach Informatik, für das die Bundesregierung zusätzliche Hilfen in Höhe von 40 Millionen DM bereitstellt. Damit erhalten junge Menschen zusätzliche gute Berufschancen.
Frau Minister, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?
Nein. Ich möchte im Hinblick auf die Zeit fortfahren.In diesem Zusammenhang nenne ich auch die Unterstützung der Bundesregierung für alle Bemühungen, außeruniversitäre Ausbildungsplätze auch für Studienberechtigte vermehrt bereitzustellen. Die Hochschulen werden auf diese Weise entlastet. Gleichzeitig werden die strukturellen Arbeitsmarktentwicklungen im Interesse der Berufsmöglichkeiten der jungen Menschen endlich besser berücksichtigt.Wer hierbei behauptet, wir wollten für diese Jugendlichen eine geringere Berufsqualifikation, der verharrt doch sehr in alten Vorstellungen und Vorurteilen. Denn durch die berufliche Aus- und Weiterbildung werden hervorragende Qualifikationen vermittelt. Die Jugendlichen haben dies längst er-
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Bundesminister Frau Dr. Wilmskannt. Die Abiturienten stimmen mit ihren Ausbildungsentscheidungen darüber längst positiv ab.
Eine Politik der Verbreiterung des Ausbildungsangebots für Abiturienten dient den jungen Menschen.Wenn die SPD, meine verehrten Kollegen, diese positive Sicht durch die Behauptung verdunkeln will, die Bundesregierung wolle junge Menschen aus materiell schlechtergestellten Familien vom Studium abschrecken, so muß ich auch hier wieder an die Fakten erinnern. Denn die SPD argumentiert hier gegen ihre eigene damalige Regierungspolitik. Durch das von ihr zu verantwortende 7. BAföG-Änderungsgesetz und andere Gesetze in den Jahren 1981 und 1982 wurde nämlich ein Rückgang der Gefördertenquoten von der alten, SPD-geführten Bundesregierung bewußt bewirkt.
Die Wirkung dieser Gesetze trat allerdings erst 1983 ein. Die Ursachen für diesen Rückgang — dies möchte ich noch einmal in diesem Hohen Haus festhalten — liegen in den Jahren 1981 und 1982 und wurden von der damaligen Regierung bewußt gesetzt.
Dies wollen Sie heute nicht mehr wissen. Deshalb erinnere ich Sie daran.
Dagegen hat die Bundesregierung die Mittel für die Studentenförderung stetig erhöht.
Der einzelne Student hat heute durchschnittlich 14 % mehr BAföG in seiner Tasche als 1979.
Es gibt auch keine Beweise dafür,
daß sich die Umstellung der BAföG-Leistungen auf Volldarlehen bei den so großzügigen Rückzahlungsbedingungen negativ auf die Studierneigung ausgewirkt hat. Dies wird durch eine soeben abgeschlossene HIS-Untersuchung, wie Sie alle wissen, bestätigt.Von erheblicher Konsequenz sind dagegen die sich verschlechternden Berufschancen für junge Akademiker. Der Rückgang der Studierneigung bei Mädchen in den Jahren 1982 und 1983 hat genau diese Gründe. Vor allem die schlechten Berufsaussichten für Lehrer schlagen hier durch.Deshalb — das sage ich wohl zu allen Seiten dieses Hohen Hauses — müssen wir alle mit dafür sorgen, daß den jungen Frauen weitere Studien- und Ausbildungsbereiche auch in techniknahen Berufen de facto mehr als bisher erschlossen werden.Die Hochschulen stellen unser wichtigstes Forschungspotential dar. Die Sicherung und die Steigerung der Qualität der Forschung an den Hochschulen ist daher ein vorrangiges Ziel der Hochschulpolitik des Bundes. Die Forschung an den Hochschulen muß in den Stand gesetzt werden, herausragende Leistungen zu erbringen. Dies gilt für die Grundlagenforschung ebenso wie für die angewandte Forschung, für die Naturwissenschaften ebenso wie für die Geisteswissenschaften. Ohne einen hohen naturwissenschaftlich-technischen Standard werden wir unsere wirtschaftliche Position nicht halten können. Voraussetzung hierfür ist aber auch eine blühende geisteswissenschaftliche Forschung,
die zur geistig-kulturellen Bewältigung des wirtschaftlich-technischen Fortschritts einen unabdingbaren Beitrag leisten muß.
Bei allen teilweise berechtigten Klagen über die aktuelle Lage der Hochschulforschung ist jedoch nicht zu verkennen — dies möchte ich betonen —, daß in vielen Forschungsbereichen herausragende Leistungen heute erbracht werden, und Pauschalurteile sind nicht angebracht. Die Bundesregierung wird dieses wissenschaftliche Engagement der Hochschulen und vieler Wissenschaftler durch weitere finanzielle Hilfen unterstützen. Die Haushaltsmittel für die allgemeine Forschungsförderung und für die Sonderforschungsbereiche der Deutschen Forschungsgemeinschaft wurden 1985 um 3 % erhöht und liegen damit über der Steigerung des gesamten Bundeshaushalts. Ich gehe davon aus, daß dieses Ergebnis auch im Haushalt 1986 zu erreichen sein wird.Besonderer Förderung bedarf immer der wissenschaftliche Nachwuchs. Die Novelle zum HRG wird durch die Verbesserung der Personalstruktur hierfür auch wichtige Voraussetzungen schaffen. Zur Forschungsförderung an den Hochschulen wird auch das neue Spitzenförderungsprogramm, das neue Bund-Länder-Programm zur Förderung ausgewählter Forscher und Forschergruppen beitragen, das von der Bundesregierung initiiert und zu 75 % von der Bundesregierung finanziert wird. Das ausschließlich aus Bundesmitteln finanzierte Postdoktorandenprogramm läuft 1986 mit 15 Millionen DM und ermöglicht damit die Förderung von 400 Promovierten. Damit werden auch die anderen Förderungsprogramme weiter ergänzt.Meine Damen und Herren, ich denke, daß mit der Verabschiedung der dritten Novelle zum Hochschulrahmengesetz die Weichen für eine weitere Steigerung der Leistungsfähigkeit der Hochschulen und für eine Verbesserung der Zukunftschancen unseres wissenschaftlichen Nachwuchses gestellt werden.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 159. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. September 1985 11881
Bundesminister Frau Dr. WilmsIch darf mir erlauben, zum Schluß dem Fachausschuß sehr herzlich und nachdrücklich für die sehr intensive, sehr sachkundige Beratung der Novelle,
Herr Kollege Kuhlwein, in 13 Sitzungen zu bedanken. Ich bedanke mich sehr für Ihre gute Unterstützung.Vielen Dank.
Ich erteile das Wort der Ministerin für Wissenschaft und Forschung, Frau Brunn, aus Nordrhein-Westfalen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dieses Gesetz betrifft die Länder massiv. Deshalb möchte ich hier für das Land Nordrhein-Westfalen ganz deutlich sagen: Wir lehnen die Änderung des Hochschulrahmengesetzes ab; wir halten es nach wie vor für bildungspolitisch verfehlt und hochschulpolitisch schädlich.
Ich vermag keine neuen Gesichtspunkte zu erkennen, um von einer seit Monaten wohlerwogenen politischen Linie abzuweichen, in der ich aus unseren Hochschulen von allen Gruppen bestätigt worden bin. In den letzten Wochen und Monaten bereise ich die Hochschulen Nordrhein-Westfalens, und jede Hochschule, bei der ich in den letzten Wochen war, hat mir durch ihre Leitung gesagt, daß sie die Novellierung des Hochschulrahmengesetzes nicht will.
Auch in der jetzt vorgelegten stark reduzierten Fassung brauchen und wollen unsere Hochschulen diese Gesetzesänderung nicht. Die Bundesregierung hat mit ihrer Initiative, wie wir finden, eine nutzlose Debatte begonnen.
Diese Novelle lenkt von den wichtigen Fragen der Zukunft ab, sie weist aus unserer Sicht nach rückwärts.
Bei den vor uns liegenden wichtigen Problemen hilft sie nicht. Wir sehen ganz andere Aufgabenschwerpunkte in der Hochschulpolitik.Erstens. In einer Zeit der stärksten zahlenmäßigen Belastung unserer Hochschulen müssen wir eine qualifizierte Ausbildung für alle Studenten sichern.
Auch die jungen Menschen aus den geburtenstarken Jahrgängen haben ein Recht darauf. Denn heute ist es für jeden Berufsanfänger schwieriger geworden, angesichts von Massenarbeitslosigkeit und Arbeitsplatzabbau Zugang zum Arbeitsmarkt zu finden. Hier haben die Hochschulen eine wichtige Aufgabe; sie müssen ihr Lehrangebot immer wieder erneuern und neue zukunftsorientierte Studiengänge über die klassischen Akademikerberufe hinaus entwickeln.Zweitens. Wir müssen bald Konsens darüber erzielen, wie die Hochschule in den 90er Jahren aussehen soll. Dabei wird es nicht nur darauf ankommen, auf veränderte demographische Entwicklungen zu reagieren, sondern es werden neue Aufgaben auf die Hochschulen zukommen. So wird die Weiterbildung an Bedeutung gewinnen, und dies nicht zuletzt als Folge technischen Wandels und als Folge der Veränderungen in der Arbeitswelt.
Drittens. Dringend notwendig ist die Stärkung der Forschung an den Hochschulen und auch an den außeruniversitären Forschungseinrichtungen. Die Strukturprobleme, nicht allein Nordrhein-Westfalens, können nur gelöst werden, wenn auch Wissenschaft und Forschung mithelfen. Es ist kein Zufall, daß die Wirtschaft selbst, Arbeitgeber und Gewerkschaften, zunehmend Kooperation mit der Hochschulforschung sucht. Wissenschaft und Forschung können einen entscheidenden Beitrag zur ökonomischen und ökologischen Erneuerung leisten. Sie müssen jedoch auch Klarheit über ihren Weg gewinnen; denn nicht alles, was machbar ist, ist auch wünschenswert. Deshalb ist es besonders wichtig, daß die geisteswissenschaftliche Forschung nicht vernachlässigt wird, sondern sich weiter entwickeln kann.
Viertens. Dies alles ist undenkbar ohne Leistungsfähigkeit und Kreativität sowie personelle Kontinuität in der Wissenschaft. Deshalb müssen wir dem wissenschaftlichen Nachwuchs eine Zukunft sichern. Hier geht es auch um die Solidarität der Generationen unter den Wissenschaftlern.
Fünftens. Auch die Arbeitslosigkeit von Akademikern wird zum Thema der Bildungspolitik, auch wenn diese sich darüber im klaren sein muß, daß sie nicht die Probleme des Arbeitsmarktes, der Wirtschafts- und der Sozialpolitik lösen kann.Sechstens. Ebenso gilt es, die Chancen der Frauen in Forschung und Lehre zu verbessern, und dies ist heute schwerer als in Zeiten des Aufschwungs und des Stellenzuwachses.Ich könnte diese Liste der Aufgaben verlängern. Ich will damit nur sagen: Dies alles müssen wir, also vor allem die Länder, in einer Zeit leisten, in der der Staat im Zeichen der Bonner Wendepolitik auf materielle Ressourcen verzichtet. Steuererleichterungen für Großverdiener, Subventionen für die Wirtschaft, ein ungerechter Länderfinanzausgleich — all dies raubt den Ländern den materiellen, finanziellen Spielraum.
Dies erfordert, daß wir uns auf das Wichtigste konzentrieren. Deshalb wollen wir diese HRG-Novelle
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11882 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 159. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. September 1985
Minister Frau Brunn
nicht. Diese Novelle enthält viel kleinkrämerische Organisation, wenig Inhalt.Kaum haben sich unsere Hochschulen demokratische Verfassungen erarbeitet, müssen sie durch dieses Gesetz erneut mit Organisationsdebatten rechnen. Dies bedeutet lähmende Verhandlungen um neue Grundordnungen und Satzungen. Allein in Nordrhein-Westfalen werden es mehrere hundert Satzungen sein, die auf Grund dieses Gesetzes geändert werden müssen. Wir müssen dies als Kraftverschwendung und als Rückschritt hinter einen erreichten Konsens erfahren.
Besonders bedauerlich ist der zwangsläufig folgende Abbau an innerer Demokratie an unseren Hochschulen. Es ist doch nicht so, daß die Hochschulen selbst nach der Rückkehr zur Ordinarienuniversität gerufen hätten. Vielmehr ist es heute notwendig, den Hochschulen eine moderne Leitung zu geben mit einem starken Rektorat, das vom Vertrauen aller Gruppen der Hochschule getragen ist. Deshalb wollen die Hochschulen, die neue Ordnungen haben, diese Änderungen nicht, deshalb wollen sie ihre Regelungen beibehalten. Sie wollen ihr in den letzten Jahren schwer genug erreichtes Maß an innerer Demokratie behalten. Nicht von ungefähr will beispielsweise die Universität Bochum, die größte Hochschule im Revier, dringend ihre Paritätsregelungen behalten.Auch die Bundesregierung scheint sich ihres Vorhabens nicht sehr sicher gewesen zu sein. So hat sie immerhin eine Reihe überflüssiger Regelungen gestrichen, aber dennoch einige schädliche gelassen. Ich nenne nur einige Beispiele.Die vielen neuen Organisationsregelungen —Mitgliedschaft der Dekane im Senat, neue Mehrheiten der Professoren in den Gremien — werden, wie dargelegt, neue Unruhe in die Hochschulen bringen. Deshalb sind wir dagegen.Ebenso lehnen wir eine Differenzierung zwischen den Hochschulen ab, die auf eine Hierarchisierung hinausläuft.
Wir sehen einen Widerspruch darin, daß die Bundesregierung das Hohelied der Fachhochschulen singt, andererseits aber diesen wichtigen und bewährten Hochschultypus ins zweite Glied zurückdrücken will. Die unselige Differenzierung der Diplomgrade, wie sie die Novelle vorsieht, ist leider ein Beispiel dafür.Weiterhin: Die Novelle gibt den Hochschulen innerhalb weniger Jahre eine dritte Personalstruktur, die weder der Verbesserung der Forschung noch dem Fortschritt der Wissenschaft oder dem Nachwuchs dient.
Weder bringt sie mehr Stellen, noch vermag die Einführung neuer Personalkategorien schlüssig begründet zu werden. Ich habe den Verdacht, daß das hier nur aus ideologischen Gründen geschieht und deshalb der Zeitprofessor abgelehnt und durch den Hochschuldozenten ersetzt werden soll.Für problematisch halten wir es, daß die persönlichen Abhängigkeiten der wissenschaftlichen Assistenten wieder verstärkt werden sollen.
Meine Damen und Herren, ich sage hier auch deutlich: Nach Abschluß des Gesetzgebungsverfahrens müssen und werden wir die Novelle in unseren Landeshochschulgesetzen im Rahmen des verfassungsmäßig Gebotenen umsetzen. In zeitlicher Hinsicht haben wir hier auch keinen Spielraum, sondern wir müssen uns an die rahmengesetzlichen Vorgaben halten. Nordrhein-Westfalen wird hier kein Negativbeispiel setzen.Aber Bundesregierung und Koalitionsfraktionen haben offenbar gespürt, daß mit der Gesetzesnovelle nicht viel und schon gar keine gute Wissenschaftspolitik gemacht werden kann. Es ist deshalb kein Zufall, daß die Bundesregierung mit dem Bericht über ihre hochschulpolitischen Zielsetzungen und über die Förderung der Drittmittelforschung der Debatte einen neuen Tagesordnungspunkt hinzugefügt hat.In dem genannten Bericht redet die Bundesregierung viel von Leistung, Differenzierung, Wettbewerb und Elite. Wer wäre nicht für Leistungen? Doch ich warne vor dem Glauben, daß Leistung mit diesen kleinlichen Gesetzesregelungen wirklich herbeigeführt oder gefördert werden kann.
Für mich steht im Zeichen der Überlast unserer Hochschulen eine qualifizierte Ausbildung aller Studenten an erster Stelle. Ich sehe überhaupt keinen Bedarf, nicht den geringsten Bedarf — unsere Hochschulen übrigens auch nicht — für die Einrichtung von sogenannten Elitestudiengängen. Sie wird es in Nordrhein-Westfalen nicht geben.
Natürlich ist Wettbewerb notwendig. Wir wollen jedoch Leistungswettbewerb und keine neue Privilegierung alter Gruppen.
Ich fürchte, daß hier unter den Stichworten „Elite" und „Wettbewerb" eine Gegenbewegung läuft, die Chancengleichheit beim Hochschulzugang und beim Studium materiell und hochschulorganisatorisch in Frage zu stellen.
Die zunehmende Verschlechterung der sozialen Chancen beim Hochschulzugang ist bedrückend. Ich bin sehr erstaunt, wenn ich höre — auch eben wieder —, daß die Bundesregierung die Umstellung der Studentenförderung auf Volldarlehen als befriedigend ansieht. Die Realität in den Hochschulen ist anders. Für mich deuten alle Anzeichen darauf hin, daß auch diese neuen BAföG-Regelungen weiter zur sozialen Selektion führen. Sie schrecken junge Menschen aus einkommensschwachen Familien verstärkt vom Studium ab. Das ist angesichts einer möglichen Verschuldung in Höhe von 45 000 DM gar nicht zu bestreiten.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 159. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. September 1985 11883
Minister Frau Brunn
Sie können auch die schwieriger gewordene Situation der jungen Frauen an unseren Hochschulen nicht übersehen. Es ist angesichts des vorhandenen Datenmaterials deutlich, daß die Studierneigung der jungen Frauen wesentlich stärker als die der jungen Männer nachgelassen hat. Die Äußerungen von eben sind im Grunde genommen auch eine erste Anerkennung dieser Tatsache.Die Bundesregierung nennt das Ausweichen der Schulabsolventen auf praktische Berufe „Realitätssinn". Dieser Interpretation kann ich mich nicht anschließen,
denn es ist Wirklichkeit eine Bewegung der Abwendung vom Hochschulstudium, die nicht begrüßt werden kann.Wer könnte etwas dagegen sagen, daß die Bundesregierung im Hochschulbereich Vielfalt, Erneuerung und Differenzierung fordert? Tatsächlich haben wir in Nordrhein-Westfalen dies längst, und zwar am weitestgehenden von allen Bundesländern, erreicht. Sie brauchen nur einen Blick auf die reichhaltige Hochschullandschaft zu werfen, auf die wir stolz sind. Hier gibt es alte und neugegründete Universitäten und Gesamthochschulen. Wir haben eine Fernuniversität — die einzige übrigens —, deren Ausstrahlung und Studienangebot weit über die Grenzen Nordrhein-Westfalens hinausreichen. Die Fachhochschulen mit ihrem ausgeprägten Praxisbezug entwickeln sich selbstbewußt. Die Kunsthochschulen gehören zu den führenden der Bundesrepublik. Wir haben kirchliche und Ordenshochschulen und die einzige funktionierende Privatuniversität.Wir wollen diese Vielfalt der insgesamt 45 Hochschulen in Nordrhein-Westfalen erhalten und ausbauen. Die Reformziele, die wir vor allen Dingen mit der Gesamthochschule verbinden, richten sich auch an die anderen Hochschultypen. Auch die Streichung des Wortes „Gesamthochschulen" im Hochschulrahmengesetz wird uns nicht davon abhalten, diesen wissenschaftlich und didaktisch äußerst erfolgreichen Hochschultyp konsequent zu fördern.
Meine Damen und Herren, wenn ich zuletzt so sehr auf die nordrhein-westfälischen Gesamthochschulen hingewiesen habe, so lassen Sie mich mit einem Wort des Dankes schließen. Nach vielen intensiven Gesprächen war es möglich, in die Novelle eine Regelung aufzunehmen, die für die innere Struktur unserer Gesamthochschulen bei der Stimmgewichtung ihrer Professoren unbedingt notwendig war. So haben wir wenigstens in diesem Punkt einen weiteren Bruch vermeiden können.Herzlichen Dank.
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Männle.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In politischen wie in mechanischen Dingen kommt alles auf den Punkt an, wo die hebende Kraft angebracht wird. Das sagte Wilhelm von Humboldt, und der ist uns Hochschulpolitikern ja nicht unbekannt.
— Ja, Herr Kuhlwein!
Dieser Punkt, der eigentliche Punkt unserer heutigen Beschlußfassung, liegt in dem Ziel, die Hochschulen bei der Erfüllung ihrer ursprünglichen Aufgabe, nämlich Wissen zu erkennen und zu vermitteln, zu stärken.Die Bundesregierung und die Koalition haben in den Beratungen des Hochschulrahmengesetzes während der letzten Monate alles getan, um Bedingungen dafür zu schaffen, daß den Hochschulen die Chance zur Erneuerung gegeben wird und daß eine Leistungsverbesserung in Forschung, Lehre und Studium eintreten kann.An Kritik von unterschiedlichen Seiten hat es nicht gefehlt; wir haben das ja auch heute wieder recht deutlich gehört. Einige Stimmen darf ich zitieren, zunächst „Die Zeit". Sie schreibt: Durch diese Reform wird das Ableben einer großen Reformidee nur noch posthum notariell beglaubigt. Studentische Basisgruppen und Jusos aus Hessen betonen— wir haben es auch hier gerade wieder gemerkt —, die seitens der CDU-FDP-Regierung angestrebte HRG-Novellierung bringe nur das zu Papier, was bereits unter der SPD-FDP-Regierung begann, und für Hessen bedeute diese HRG-Novellierung insofern nur eine Festschreibung bestehender Tatsachen.Ich finde diese Aussagen schon sehr interessant. Wenn dies tatsächlich so wäre, müßte ich mich fragen, wie das Gezeter, das Geschrei und das Klagen auf der anderen Seite des Parlaments eigentlich zu erklären sind.
— Ja, Sie lamentieren! Das Lamentieren kann ich meiner Aufzählung gern noch hinzufügen.Für andere, z. B. für die SPD, wird mit der Novellierung der bildungspolitische Konsens der 70er Jahre zerstört, und die eigentlichen Probleme der Hochschule werden angeblich nicht bewältigt.
Das wollte uns ja auch gerade Frau Brunn deutlich machen. Die Hochschulen seien durch zunehmende Studentenzahlen und durch Auslesedruck dabei, zusammenzubrechen.Zu den Studentenzahlen hat Frau Minister Wilms hier einiges gesagt. Sie hat sehr deutlich gemacht, wo in diesem Punkt die Bemühungen der Bundesregierung liegen. Frau Brunn hat den Auslesedruck angesprochen, und Frau Zeitler hat vorhin sehr deutlich die Qualität der Ausbildung ins Blickfeld
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11884 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 159. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. September 1985
Frau Männlegerückt. Gestatten Sie mir in diesem Zusammenhang eine kleine Randbemerkung: Ich wundere mich manchmal schon, wie es um die Qualität der Hochschulen bestellt ist, wenn in zahlreichen Fächern — ich könnte dies belegen — und an vielen Hochschulen die Durchschnittsnoten so aussehen, daß eine 1 vor dem Komma steht. Wie steht es denn da mit der Qualität? Stimmt da mit der Diskussion, die wir führen, manchmal einiges nicht? Stimmt die Argumentation, und wie ist die Haltung der Hochschulen dazu? Dies darf ich nur einmal ganz am Rande einfügen, denn da paßt für mich einiges nicht zusammen.Natürlich gibt es auch Einwände von seiten der Bundesländer. Einigen geht die Novellierung nicht weit genug, während man in NRW ganz darauf verzichten möchte.Lassen Sie mich einen Punkt herausgreifen, nämlich die Frage der Wahl der Hochschulleitung. Ich meine, hier ist ein Kompromißrahmen gefunden worden, der den Ländern spezifische weitergehende Regelungen ermöglicht, z. B. auch die Festschreibung einer doppelten Mehrheit. Da dies so ist, können wir alle diesen Kompromiß mittragen.Anderen geht die Novellierung zu sehr ins Detail; wieder andere wollen noch detailliertere Regelungen. Auch hierfür kann ich ein Beispiel nennen. Ich erinnere an den § 11 Abs. 3, wo die Regelung natürlich dahin zu interpretieren ist, daß die Beibehaltung bestehender Rahmenstudienordnungen und der Erlaß neuer nicht ausgeschlossen sind.Ich möchte zusammenfassend zu diesem Bereich sagen: wo so viele Äußerungen von unterschiedlicher Seite und ganz unterschiedliche Erwartungen kommen, kann die Reform ja gar nicht so schlecht sein.
Ich habe aus der Anhörung sehr viele positive Äußerungen in Erinnerung, die deutlich machen, daß diese unsere Richtung die richtige ist.Gerade von Frau Brunn haben wir vorhin auch gehört, was in der Hochschulpolitik heute getan werden muß. Es gilt, die Forschung zu verbessern. Meine Damen und Herren, die Forschenden werden es Ihnen zu danken wissen, daß Sie hier nicht zu Änderungen bereit sind.
Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Nein, ich möchte meine Ausführungen im Zusammenhang machen. Ich fand es sehr interessant, was hier Frau Brunn und was Herr Kuhlwein sagten. Frau Brunn wollte die Verstärkung der Forschung und Einbeziehung der Wirtschaft. Herr Kuhlwein hat einen Buhmann aufgebaut, hat von Kapitalisten, von Kapitalismus-knechten gesprochen und hat hier aus der Mottenkiste Argumente gebracht, die nicht zutreffen.
— Lesen Sie doch mal nach, was Sie gesagt haben. Dann werden Sie es schon finden.Ein zweiter Punkt. Es gilt, den wissenschaftlichen Nachwuchs zu fördern. Auch dies wurde in den Mittelpunkt gestellt. Aber wie können Sie es eigentlich verantworten, dies zu vernachlässigen, wenn Sie dieser Novellierung nicht zustimmen? Der wissenschaftliche Nachwuchs wird es Ihnen danken.Die Frauen sind schon ein paar Mal angesprochen worden. Wir haben den ersten Schritt getan, dieses Problembewußtsein zu verbreitern. Ich bewundere Frau Professor Wisniewski, meine Kollegin, mit welcher liebenswürdigen Zähigkeit sie hier diesen Absatz des § 2 hereingebracht hat. Das, was Sie jetzt machen, ist doch nur ein Anhängen, ist doch nur ein Aufspringen auf einen fahrenden Zug, den wir in Gang gesetzt haben.
— Das meinen Sie. Wir werden an dem richtigen Bahnhof ankommen, Herr Kuhlwein.
Ein weiterer Punkt. Frau Brunn hat beklagt, daß es nicht genügend flexible Lehrangebote gebe, und gefordert, die Weiterbildung in die Hochschule mit aufzunehmen und neue, anwendungsbezogene Formen als Lehrangebote anzubieten. In den Regelungen, die wir gefunden haben, gibt es diese neuen, flexiblen Lehrangebote und Studiengänge. Wenn Sie dem nicht zustimmen, sind Sie wirklich gegen Innovation und Differenzierung. Meine Damen und Herren von der SPD, wollen Sie tatsächlich all dies verhindern?Ich darf einen anderen Punkt ansprechen, den ich bereits in der ersten Lesung deutlich gemacht habe, nämlich die Bedeutung eines differenzierten Hochschulsystems. Einzelne Hochschularten mit jeweilig spezifischen Aufgaben und Zielsetzungen, mit Eigenständigkeit und Profil, insbesondere die Fachhochschulen bedurften — ich sage extra: bedurften — der Aufwertung im Rahmen dieser Novellierung. Ihr spezieller Beitrag, ihr Praxisbezug mußte stärkere Berücksichtigung finden. Auch hier, meine Damen und Herren von der SPD, wollen Sie dies eigentlich verhindern? Frau Brunn sah die Notwendigkeit der Stärkung; aber bereit zur Stärkung ist sie nicht. Es ist uns gelungen, in den Beratungen gegenüber der Regierungsvorlage wesentliche Verbesserungen zu erreichen. Schon der § 1 in der neuen Formulierung schließt eine Diskriminierung der verschiedenen Hochschularten aus.Wichtig für die Fachhochschulen ist die Aufhebung des Hausberufungsverbotes hinsichtlich der Berufung in ein zweites Professorenamt. Jedenfalls ist dies wichtig, solange es noch diese Differenzierung in C-2- und C-3-Professoren gibt.
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Frau MännleBedeutsam für die Studenten gerade an Fachhochschulen ist die Einrechnung integrierter Praxissemester in die Regelstudienzeit. Hier wird deutlich, daß anwendungsbezogene Studiengänge aufgewertet werden. Das ist auch wichtig für die internationale Anerkennung. Die neuen Studiengänge und Schwerpunkte bieten auch den Studenten, gerade den Absolventen der Fachhochschulen durch das Zusammenwirken der einzelnen Hochschulen neue Chancen, die sie nutzen sollen. Sämtliche Verbesserungen, die wir in diesem Gesetz im Forschungsbereich erreichen, kommen auch den Professoren an Fachhochschulen zugute.Ich weiß, ein sehr strittiger Punkt war die Unterscheidung der Diplomgrade. Ich meine, die gefundene Lösung darf nicht als Abwertung verstanden werden,
sondern kann als spezifisches Markenzeichen gesehen werden, wie dies in den süddeutschen Ländern heute schon der Fall ist. Fragen Sie einmal in den süddeutschen Ländern nach, wozu dieser Titel benutzt wird. Ich möchte deutlich hinzufügen: Diese unterschiedliche Bezeichnung bedeutet aber keine Festschreibung unterschiedlicher Eingangsbesoldungen. Wir können dies zwar nicht im Hochschulrahmengesetz regeln — das wissen Sie alle —, aber ich hoffe,
daß diese Gleichwertigkeit, diese Eigenart — eine Qualität der Diplombezeichnung im öffentlichen Dienst auch einmal ihren Ausdruck findet, wie dies übrigens in der von Ihnen so viel gescholtenen Wirtschaft schon längst anerkannt und honoriert wird.
— Ja.
Ich habe vorhin schon angedeutet: C 2 und C 3 ist nicht ganz das Richtige, vor allen Dingen C 2 nicht. Das ist meine Meinung. Herr Kuhlwein, da können wir uns treffen; das ist kein Problem.
— Natürlich bin ich davon betroffen; das wissen Sie alle.
Von daher will ich zwar nicht zuviel für den eigenen Stand reden, aber es schadet nichts, wenn dies hier im Plenum des Deutschen Bundestages auch einmal zum Ausdruck kommt.
Frau Abgeordnete, Ihre Redezeit ist abgelaufen.
Ich meine, mit neuen Gesetzen schafft man keine Wunderdinge, aber die HRG-Novellierung eröffnet den Hochschulen neue Chancen für die nächsten Jahre.
Ich hoffe, sie werden auch entsprechend genutzt.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Odendahl.
Herr Präsident! Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen! Anscheinend ist das die große Frauenrunde. Es ist sicher keine Überraschung, daß gerade die Frauenfrage in der Diskussion über die HRG-Novelle eine so große Rolle spielt. Denn wenn man Gesetze, Verordnungen und neue Regelungen überprüfen will, erweist sich der Maßstab, welche Konsequenzen für die Frauen entstehen, als besonders sensibles Instrument für deren Güte. Der Kollege Kuhlwein hat es bereits grundsätzlich angesprochen.
Sie wollen hier nicht Einzelheiten korrigieren, die den Hochschulen wirklich Verbesserungen bringen würden. Sie wollen unsere Hochschulen restaurieren.
Insofern ist „Novellierung" der falsche Sprachgebrauch oder schlichtweg Etikettenschwindel.
Unsere Hochschulen sollen in der Tat neokonservativ auf Vordermann gebracht werden. O Gott, Frau Wilms, hätten Sie doch dazu beigetragen, unsere Hochschulen im Sinne einer wirklichen Novellierung auch auf Vorderfrau zu bringen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Bundesregierung ist der Überzeugung, daß die Novellierung im besonderen Interesse der Studenten liegt.Über die „besonderen Interessen" der Studentinnen ist kein Wort gefallen. Alles, was Sie den Hochschulen als notwendige Neuordnung anbieten, geht in eine einzige Richtung: Sie wird die seit jeher fest im Sattel sitzende männliche Vorherrschaft in Wissenschaft und Forschung weiter verfestigen. Wenn Ihnen wenigstens die Hektik, mit der Sie die Beratungen durchgepeitscht haben — übrigens danke für das Lob —, die Zeit gelassen hätte, bei den Sachverständigenanhörungen richtig hinzuhören, hätte Sie der Aufschrei von Frauen zu dieser Restaurierung nicht überraschen können.
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11886 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 159. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. September 1985
Frau OdendahlDenn sie alle haben erkannt, welche Konsequenzen für Frauen daraus entstehen. Alle Frauen im Hochschulbereich sind gleichermaßen negativ betroffen: die Studentinnen, die wissenschaftlichen Assistentinnen, die Angestellten, die Dozentinnen und die Professorinnen. Nun gibt sich j a diese Bundesregierung. gern betont zukunftsorientiert.Lassen Sie uns deshalb einen Blick in die Zukunft tun. Diese Änderung des Hochschulrahmengesetzes bedeutet für alle Frauen an den Hochschulen in dieser Form langfristig den Rausschmiß aus dem Wissenschaftsbetrieb.
Zieht man die jetzt schon vorliegenden Fakten und Prognosen über sinkende Studentinnen- und Studentenzahlen im nächsten Jahrzehnt — wir reden von Zukunft — und den damit verknüpften Stellenabbau in Betracht, dann nähern wir uns einer Nullösung für Frauen in diesem Bereich.
— Ich weine überhaupt nicht, Frau Männle, ich sag's nur, wie's ist. So wird der wissenschaftlichtechnische Fortschritt eine Männerdomäne bleiben. So sieht Ihre Wende im Jahr 2000 aus.Doch zurück zur Gegenwart. Lassen Sie mich einmal die Praxis am Beispiel eines frauentypischen Lebensverlaufs eines hoffnungsvollen jungen Mädchens vorführen, nicht katholisch und vom Lande, sondern zur Abwechslung evangelisch und aus der Stadt. Nennen wir sie Fräulein Alma Mater auf dem Weg zur Hochschulkarriere.Abschreckungseffekt Nummer 1: Trotz guter Noten und Aussichten auf ein Spitzenabitur, das sie in den Augen der Bundesregierung fast für eine Elitestudentin prädestinieren würde, überlegt Alma mit ihren Eltern, ob sie nicht lieber eine Berufsausbildung beginnen soll. Grund: Die Maters verfügen nur über einen kleinen Geldbeutel, und wegen des Schüler-BAföG-Kahlschlags mußte jeder Pfennig einmal mehr umgedreht werden.
Abschreckungseffekt Nummer 2: Trotz gutem Abitur zögert Alma, ein Studium aufzunehmen, nicht deswegen, weil sie immer noch Lehrerin werden will — nein, da hat sie schon den Appell der Bundesbildungsministerin ernstgenommen und umgedacht —, sondern deswegen, weil sie die Unsicherheit und die Belastungen für ihre Zukunft, welche die Umstellung des Studenten-BAföG auf Volldarlehen mit sich bringt, fürchtet.
Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Laermann?
Ja bitte, gerne.
Frau Kollegin, könnten Sie mir einmal zum rechten Verständnis darlegen,
inwieweit die Frau Bundesbildungsminister für die Lehrereinstellung zuständig ist?
Ich habe mir gleich gedacht, daß es sich darum dreht. Wenn Sie gut zugehört hätten, Herr Kollege, dann hätten Sie gehört, daß es um die Umstellung des Studenten-BAföG auf Volldarlehen geht.
Alma — bleiben wir bei diesem Beispiel — ist jedoch mutig und geht dieses nicht vorher kalkulierbare Risiko ein. Damit gehört sie nicht zu den 3 000 Frauen, die im Vergleich von 1983 auf 1984 sich gegen die Aufnahme eines Studiums entschieden — aus welchen Gründen auch immer.
Abschreckungseffekt Nummer 3: Trotz aller offenen und subtilen Diskriminierungsversuche, mit denen sich auch heute noch Studentinnen im Hochschulalltag auseinanderzusetzen haben, hat Alma den Wunsch, im Wissenschaftsbereich zu bleiben. Den Wunsch haben auch viele Männer, und der Herr Professor hat nur eine Assistentenstelle. Wie hoch wird bei gleicher Qualifikation die Wahrscheinlichkeit sein, daß sie die Chance bekommt?
Gleichzeitig wirkt nämlich noch der Abschrekkungseffekt Nummer 4. Alma hat nämlich während ihrer Studienzeit einen Mann kennengelernt.
Er hat das Glück, nach seinem Studium eine relativ sichere Anstellung gefunden zu haben. — Das hat eine ganze Menge damit zu tun, weil sich das aufs Leben auswirkt.
Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Abgeordneten Daweke?
Nein, ich möchte jetzt nicht mehr, Herr Daweke.Nun haben beide geheiratet und wollen auch Kinder. Soll Alma nun ihre vielversprechenden wissenschaftlichen Qualifikationen einfach vergessen? Das ist ein gängiges Argument für eine Ablehnung: Alma habe ja schließlich einen Mann, der sie versorge, und sie müsse verstehen, daß ein Mann mit Familie die Stellung nötiger brauche. In Zahlen heißt das: Über 97 % Männer bestimmen über die Chance, ob Frauen überhaupt wissenschaftlicher Nachwuchs werden können.
Abschreckungseffekt Nummer 5 bis unendlich: Um weiter wissenschaftlich arbeiten zu können, sieht Alma die fragliche Chance in einem Projekt, das aus Drittmitteln finanziert wird. Die Chance ist deshalb so fraglich, weil die Arbeitsteilung in der Privatwirtschaft nicht gerade frauenfreundlich ist.
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Frau OdendahlUm so mehr wird sich der Ausleseprozeß gegen sie in den Bereichen verstärkt fortsetzen, in denen Frauen ohnehin kaum noch präsent sind. Drittmittelforschung führt zu einer Struktur des Dreiklassenpersonals an Hochschulen: BAT-, Zeit- und Drittmittelverträge. Frauen werden dort nach Bedarf eingesetzt werden, wo Not am Manne ist, aber auch nur da, und nicht nach ihren wissenschaftlichen Qualifikationen. Abgesehen davon hat Alma ohnehin wenig Chancen, einen solchen Zeitarbeitsvertrag zu bekommen. Denn es könnte ja passieren, daß sie während der Dauer des Zeitvertrages schwanger wird; das ist nicht auszuschließen. Dann erhält ein Mann die Stelle.Sollte Alma wider Erwarten dennoch den Vertrag bekommen, dann unter Arbeitsbedingungen, die auch im Bereich der Hochschulen ganz neue und überaus flexible Möglichkeiten eröffnen, insbesondere für Frauen, versteht sich. In dieser Wertung sind sich Frau Wilms, Herr Geißler und Herr Blüm seit langem einig. Herrliche Zeiten, endlich Kapovaz im Hochschulbereich! Denn die liebe Assistentin hat ja gar nichts anderes zu tun, als auf den Anruf zu warten, daß nun halt z. B. auch nachts und sonn- und feiertags hochempfindliche Apparate bedient und Versuchsreihen bearbeitet werden müssen, für die zu diesem Zeitpunkt absolut kein Mann aufzutreiben ist. Also auch das Rezept für Hochschulen: den Frauen die Flexibilität, den Männern die Stabilität, den Frauen die Teilzeitarbeit, den Männern die Vollzeitarbeit. Die Liste der Abschrekkungseffekte ließe sich noch endlos fortsetzen, wobei vieles sicher auch für männliche Lebensverläufe gilt.
— Nur sind für die Frauen, Herr Daweke, die Stolpersteine schwerer und die Hindernisse höher.Wir sind es einfach leid, immer und immer wieder die Ungleichheit der Chancen von Frauen bei formaler Gleichberechtigung anzuprangern. Aber weil wir alle wissen, daß sich das Gleichgewicht halt nicht naturgemäß einstellt, besteht genau hier der Handlungsbedarf. Wir dürfen keinen Gesetzen zustimmen, die ein solches Gleichgewicht negativ verändern; wir müssen es vielmehr positiv beeinflussen. Deshalb reicht es schlichtweg nicht aus, globale, allgemeine und unspezifische Appelle loszulassen, wie das nun auf Drängen der Regierungsparteien mit einer allgemein gehaltenen Frauenfloskel geschehen soll, und darauf zu hoffen, daß es dann irgendwie irgendwann und irgendwo schon so läuft.Nun sind Sie j a auf Appelle spezialisiert, und diese Haltung mag zu den Handlungsgrundsätzen der Bundesregierung gehören, aber sie schließt verantwortungsvolles Handeln für die Zukunft aus. Gerade für die Frauen an den Hochschulen hätten Sie, Frau Ministerin, ein deutlicheres Zeichen setzen müssen. Was von Ihnen hier auf dem Tisch liegt, ist nicht einmal ein Anführungszeichen.
Wir haben heute die Möglichkeit, zur Förderung der Frauen an Hochschulen konkrete Maßnahmen einzuleiten, um bestehende Nachteile zu beseitigen. Die SPD-Fraktion bringt dazu den Antrag: Die Hochschulen wirken bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben auf die Beseitigung der für weibliche Hochschulangehörige bestehenden Nachteile hin im Sinne einer Verwirklichung der Gleichberechtigung nach Art. 3 des Grundgesetzes. Dazu beruft die Hochschule eine Frauenbeauftragte. Um aus der' Frauenbeauftragten keine Feigenblattfunktion zu machen, muß sie dem zentralen Kollegialorgan — in der Regel dem Senat —
verantwortlich sein, und unter ihrer Federführung sollen die Hochschulen Frauenförderpläne mit dem Ziel der Förderung der Gleichberechtigung von Frauen erarbeiten. Das zentrale Kollegialorgan — der Senat — hat über Frauenförderpläne eine Beschlußfassung herbeizuführen. Diese Forderung kommt in den Ziffern 2 und 3 unseres Antrags zum Ausdruck.Die von den Regierungsparteien vorgelegte Unverbindlichkeitsklausel, mit der die Förderung von Wissenschaftlerinnen zur Hochschulaufgabe erklärt wird, ist völlig unzureichend, weil die Studentinnen und weibliche Bedienstete der Hochschule außer acht gelassen werden. Ich habe mich deshalb sehr gefreut, daß die Frau Kollegin Hamm-Brücher dies noch in letzter Minute erkannt hat und ihrerseits heute noch versuchte, zu retten, was zu retten ist. Ihr Ansatz ist richtig. Unsere Anträge konkretisieren ihn für die Praxis. Daß sie sich dabei um Unterstützung an alle Kolleginnen in diesem Hause gewandt hat, ist wichtig.Liebe Kolleginnen von der Regierungskoalition — eine verläßt gerade den Saal —, wir Frauen wissen aus eigener Erfahrung, wie schwer sich Frauen in einer überwiegend männlich strukturierten Parlamentshierarchie behaupten können. Doch haben wir es immer noch besser als die Frauen an den Hochschulen. Unser Anteil im Deutschen Bundestag beträgt rund 10 °A°, bei den C-4-Professoren stehen dagegen kümmerliche 2,5 % Frauen zu Buche.Deshalb appelliere auch ich an dieser Stelle an die Solidarität unter Frauen über die Parteigrenzen hinweg und fordere Sie auf, hier einmal ein deutliches Zeichen für alle Frauen zu setzen. Stimmen Sie unserem Antrag zu, damit Frauen in einem so wichtigen Bereich unserer Gesellschaft, im Bereich der Hochschule, nicht außen vor bleiben!
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Laermann.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bin überrascht, welche Fülle von Widersprüchen in den Debattenbeiträgen, insbesondere aus den Oppositionsreihen, hier auftreten.
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11888 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 159. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. September 1985
Dr.-Ing. LaermannHerr Kollege Kuhlwein und andere sprechen davon, man mache eine Rolle rückwärts und es handle sich um einen Rückfall in die 50er Jahre,
es handle sich überhaupt nicht um eine Novelle es bestehe gar keine Notwendigkeit. Gerade im letzten Beitrag hörten wir aber, wie notwendig es doch sei, das Gesetz weit über das hinaus zu novellieren, was wir jetzt angehen. Ich weiß also nicht, wie man diese Aussagen in eine Reihe kriegen soll. Es gibt noch andere Widersprüche, auf die ich noch zu sprechen komme.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Ströbele?
Darf ich vielleicht erst einmal mit meinen Ausführungen beginnen.
Die FDP ist weit davon entfernt, etwa anzunehmen, daß mit dieser Novelle durch organisatorische Korrekturen, so möchte ich einmal sagen, die Probleme der Hochschulen und Universitäten und der Wissenschaft in unserem Lande gelöst sind. Aber sie schafft wichtige Voraussetzungen dafür, daß die anderen Problembereiche angegangen werden. Aber wir können diese Problembereiche nur im Zusammenwirken mit den dafür zuständigen Bundesländern angehen.Hier muß ich darauf zurückkommen, was die Frau Wissenschaftsminister aus Nordrhein-Westfalen hinsichtlich der Drittmittelforschung gesagt hat, wo wir die Kooperation zwischen Wirtschaft und Wissenschaft und zwischen Gewerkschaft, Wirtschaft und Wissenschaft brauchen. Einverstanden, genauso sehen wir das auch. Wir möchten die Voraussetzungen dafür geschaffen wissen, daß eine solche Zusammenarbeit geleistet werden kann zur Lösung der Strukturprobleme. Wir sind aber, weit darüber hinausgehend, der Auffassung, daß erst durch enge Kooperation mit gesellschaftlichen Gruppen und mit der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Praxis die Aufgaben der Hochschulen gelöst werden können, nämlich durch forschendes Lernen, Heranführung an die Probleme der Gesellschaft und der Menschen, wie Sie es auch gefordert haben. Genau das wollen auch wir erreichen.
Die Universitäten sollen nicht losgelöst im esoterischen Raum schweben! Sie sollen auf den Boden der Praxis und der Wirklichkeit zurückgeführt werden; genau das wollen auch wir erreichen.
Da war Ihr Widerspruch, Herr Kuhlwein, zu den Ausführungen der Frau Minister aus Nordrhein-Westfalen. Entschuldigen Sie, Herr Kuhlwein, ich gehe nicht davon aus, daß ich annehmen müßte, daßSie nach der Maxime leben, Stärke ohne Intelligenz führe zum Fanatismus.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich möchte einmal die Frage der Drittmittel ansprechen. Ich weiß überhaupt nicht, warum Sie versuchen, ein Horrorszenario an die Wand zu malen, daß eine totale Fremdbestimmung der Hochschulen, der Universitäten und der Bildungsanstalten durch kapitalistische Interessen erfolgen könnte.
Gucken Sie doch einmal hinein: Ganze 2 % der Drittmittel an den Universitäten, Hochschulen und Bildungseinrichtungen kommen aus der Wirtschaft. Mit dem Satz von 21)/0 habe ich noch hoch gegriffen. Wollen Sie denn unterstellen, daß diese 2 % die Hochschulen in die totale Abhängigkeit führen? Wollen Sie das wirklich unterstellen?
— Ja, wir sind dafür, daß es mehr wird. Sie doch auch, das haben wir doch gerade von Ihrer Frau Ministerin gehört.Wir gehen auch davon aus, daß es nicht nur um Naturwissenschaft und Technik geht; hier folge ich meinen Vorrednern, insbesondere der Frau Minister Wilms. Ich hoffe, wir sind uns darüber einig, daß die Zeiten vorbei sind, wo ein bekannter Naturwissenschaftler noch sagen konnte, daß die Naturwissenschaften und die Technik allein im Stande seien, die Probleme der Menschheit zu lösen. Unsere Position ist das nicht. Wir glauben vielmehr, daß die Aufgabe der Wissenschaft in der Zukunft darin liegt, die Geisteswissenschaften, die Gesellschaftswissenschaften und die Natur- und Technikwissenschaften wieder zusammenzuführen. Diese Kluft gilt es zu überwinden, und dafür wollen wir die Voraussetzungen schaffen.
Wir wollen und müssen diese Kluft, die zwischen diesen beiden Kulturen besteht, im Interesse der zukünftigen Entwicklung der Menschen in unserem Lande und über die Grenzen unseres Landes hinaus überbrücken. Was wir hier machen, sind Voraussetzungen dafür, daß wir dies leisten können.Wir haben hier auch den Bericht der Bundesregierung über die Situation der Hochschulen. Hier sind manche perspektivischen Ansätze gemacht. Wir werden diese Ansätze aufgreifen und vertiefen müssen. Wir wollen uns mit dem Numerus clausus auch in Zeiten, in denen wir noch hohe Studentenzahlen haben, nicht abfinden. Nur, da brauchen auch wir wiederum die Mithilfe der Länder und der zuständigen Länderfinanzminister. Wenn hier von restriktiv gehandhabten Finanzzuweisungen für die Hochschulen gesprochen wird, dann muß ich fragen: Wer macht denn das? Macht das allein der Bund, oder machen das die Länder?
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 159. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. September 1985 11889
Dr.-Ing. LaermannWenn Sie, Frau Minister Brunn, hier davon sprechen, daß eine Differenzierung der Hochschullandschaft erfolge, dann frage ich: Wollen Sie das in Nordrhein-Westfalen nicht? Wir sind der Auffassung — hier folgen wir den Ausführungen der Frau Kollegin Männle —, daß die Fachhochschulen in unserem Land eine besondere und bedeutende Rolle spielen und daß ihre Rolle und Bedeutung gerade im Hinblick auf Strukturwandel, im Hinblick auf Förderung von kleinen und mittelständischen Unternehmen noch zunehmen werden.
Wir haben Ansätze vorgesehen, um gerade diese Situation zu verbessern. Allerdings könnte ich mir schon vorstellen, warum etwa ein zuständiges Landesministerium dies unterdrücken möchte. Denn wenn wir die Fachhochschulen bei Entwicklungsvorhaben der Forschung an Universitäten gleichstellen, dann heißt das nämlich, daß sie auch personell und sachlich entsprechend ausgerüstet werden müssen.
Das scheinen die in den Länderregierungen für Finanzen Zuständigen zu fürchten.Wie anders soll ich es mir erklären können, Frau Minister Brunn, daß Ihr Ministerium hingeht und eine Differenzierung der Besoldung von studentischen Hilfskräften an Gesamthochschulen nach praxisorientierten und theorieorientierten Studienfächern vornimmt? Wie wollen Sie das begründen? Aus Ihrem Hause kommt die Begründung: Da die Absolventen eines Fachhochschulstudienganges allenfalls nach A 9, die anderen nach A 13 eingestellt werden könnten, sie also in ihrem zukünftigen Beruf auch eine geringere Besoldung zu erwarten hätten, sei es gerechtfertigt, daß sie auch als studentische Hilfskraft eine geringere Bezahlung erfuhren.
Wollen wir diese Unstimmigkeiten ausräumen? Sie finden uns in Ihrem Lager, wenn es darum geht, die Position der Fachhochschulen zu stärken.
Ich bin auch der Auffassung, daß wir hier wieder einmal an die Länder appellieren sollten, etwas zu tun, um den sogenannten Fiebiger-Plan schneller umzusetzen. Wir sind der Auffassung, daß wir gerade zur Bewältigung der Überlastquoten, die wir in den Universitäten noch zu erwarten haben, und zur Verbesserung der Chancen des wissenschaftlichen Nachwuchses etwas tun müssen, um ihm eine Option zu eröffnen, wenn wegen der biologischen Entwicklung, der Altersentwicklung der Hochschullehrer, derjenigen, die jetzt im Amt sind, in den 90er Jahren die Positionen in starkem Maße neu besetzt werden. Wir müssen hier eine Übergangslösung finden, die uns jetzt dazu verhilft, die Überlastquote und ihre negativen Auswirkungen auf die Lehre zu überwinden.Wir sind auch der Auffassung, daß wir unserer Forderung — insbesondere gilt dies für die FDP — damit gerecht werden:Wir wollen Breitenförderung der Studenten und des Nachwuchses. Wir wollen aber aus der Breitenförderung heraus — im Sinne der Pyramide, die Herr Kuhlwein vorhin angesprochen hat — die Begabten besonders fördern. Auch das ist eine Verpflichtung dem Individuum gegenüber, das ist eine Verpflichtung auch dem Staat, der Gesellschaft und den Menschen in unserem Lande gegenüber.
Deswegen auch die von uns vorgeschlagenen Änderungen in der Personalstruktur. Denn wenn Sie alle Polemik weglassen, werden Sie sehen, daß dem Auftrag der Hochschulen als Bildungseinrichtung, als Weiterbildungseinrichtung nur dann entsprochen werden kann, wenn in den für den Nachwuchs vorgesehenen Positionen nicht eine lebenslange Beschäftigung erfolgt.Frau Minister Brunn, kam nicht aus Ihrem Hause — Sie waren damals allerdings noch nicht da — das Ansinnen an die Politik, an den Bund, endlich dafür zu sorgen, daß die Frage der Personalstruktur so geregelt wird, daß nicht nur die Arbeitsgerichte das Sagen haben, daß sich Beschäftigte aus wissenschaftlichen Hilfspositionen heraus nicht über die Arbeitsgerichte ihre lebenslange Beschäftigung einklagen?
Das blockierte die Chancen für den wissenschaftlichen Nachwuchs. Wir wollen mit der neuen Personalstruktur nicht neue Abhängigkeiten schaffen. Gehen Sie doch bitte davon aus, daß nicht alle Hochschullehrer Masochisten und Sadisten sind, die den Nachwuchs quälen wollen und nur ihre eigenen Interessen vertreten.
Lassen wir uns doch nicht dazu hinreißen, wegen einiger Ausreißer oder wegen eines Buhmannes das gesetzliche Korsett so eng zu schnüren, daß allen anderen, Gutwilligen und Verantwortungsbewußten, die an der Entwicklung der Hochschulen teilhaben, nun die Luft abgeschnürt wird. Wir kämpfen erstens für mehr Autonomie der Hochschulen, für mehr Selbstbestimmung und Unabhängigkeit von der Bürokratie und
zweitens — darauf wird es bei der Umsetzung dieser Vorstellungen in die Landesgesetze ankommen, und das ist unsere politische Aufgabe in den Beratungen der Landesgesetze — für mehr Autonomie der Hochschulen,
mehr Selbstbestimmung, mehr Gestaltungsfreiheit, mehr Raum für geistigen Wettbewerb. Wir wollen die Möglichkeiten zum geistigen Wettbewerb, zur geistigen Auseinandersetzung in den Hochschulen stärken. Dafür schlagen wir mit dieser Gesetzesnovelle eine Bresche.
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11890 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 159. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. September 1985
Dr.-Ing. Laermann Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Abgeordnete Kastning.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! „Wir können in der geplanten Gesetzesnovelle keine wirksame Lösung auch nur eines der drängenden Probleme an den Hochschulen sehen. Es ist zu befürchten, daß mit der Verabschiedung dieses Gesetzes die Studienbedingungen für einen Großteil der Studenten, insbesondere ihre soziale und psychische Situation, sich weiter verschlechtern."
Dies, meine Damen und Herren, war ein Zitat von der Konferenz der katholischen Hochschul- und Studentenpfarrer in Deutschland, Österreich und der Schweiz, das auch Ihnen zugegangen sein muß.Meine Damen und Herren, den Studenten in ihrer heutigen Stituation und auch den anderen an der Hochschule hilft nicht die mehrfach erfolgte Beschwörung des Geistes des Herrn von Humboldt. Er wird heute Bittbriefe nicht mehr erhören und nicht helfen können. Wir wissen doch miteinander, daß die Überlast uns noch auf Jahre Probleme machen wird, daß wir damit zu kämpfen haben. Und wir wissen, daß die gegenwärtigen sächlichen und personellen Ausstattungen nicht ausreichen.Ich gehe mit einem Zitat von Frau Minister Wilms davon aus, daß es unser aller Ziel ist, die „Überlast für die Hochschulen erträglicher zu gestalten". Leider muß ich heute sagen, daß dieses Ziel eher mit dem von Ihnen durchgezogenen Kahlschlag beim Schüler-BAföG und der Umstellung der Studentenförderung auf Volldarlehen erreicht wird.
Frau Minister Wilms, Sie haben vorhin an vergangene Zeiten der SPD/FDP-Koalition erinnert. Wenn Ihnen das Schicksal der Studenten wirklich so am Herzen läge, hätten Sie etwas anderes tun müssen, als die totale Rodung durchzuführen. Die ist unter Ihrer Regierung erfolgt. Wer auf diesem Umweg aber erträgliche Verhältnisse an den Hochschulen schaffen will oder als Ergebnis herbeiführt, verläßt die bisher gemeinsam getragene Zielsetzung, die Hochschulen auch für die geburtenstarken Jahrgänge offenzuhalten.Es wird in diesem Gesetz viel von Wettbewerb zwischen den Hochschulen geredet. Meine Damen und Herren, wir müssen heute doch leider zur Kenntnis nehmen — und das wird sich künftig verstärken —, daß es für einen Teil der Studienberechtigten demnächst keine reale Chance mehr geben wird, sich überhaupt an einem Wettbewerb zu beteiligen. Insofern rufen wir in unserem Entschließungsantrag auch dazu auf, die Wiederherstellung der Ausbildungsförderung ernsthaft in Angriff zu nehmen.Man kann nicht immer wieder auf die Länderkompetenz verweisen — das klingt auch ein bißchen in dem Bericht der Bundesregierung an, der hier heute mitberaten wird —, um damit die Hochschulgesetzesnovelle als Kernstück der jetzigen Arbeit zu skizzieren. Wir sind vielmehr der Meinung, daß unter Anknüpfung an eine Bund-Länder-Vereinbarung aus dem Jahr 1977 von der Bundesregierung und vom Bundeskanzler eine neue Initiative ergriffen werden sollte, mit den Ländern die Lage ernsthaft zu besprechen und sich für gemeinsame Lösungen einzusetzen. Es ist für uns selbstverständlich, daß dabei die Hochschulbauförderung fortgesetzt werden muß. Es ist aber auch selbstverständlich, daß die Vergabe zusätzlicher staatlicher Forschungsmittel eine Rolle spielen muß und nicht die Drittmitteleinwerbung jetzt plötzlich und, Herr Laermann, doch mit dem Ziel der Vergrößerung das Standbein der Hochschulforschung werden soll — mit all den Gefahren, zu denen ich hier auch noch ein paar Bemerkungen machen will.Wer wirklich der Auffassung ist, Herr Neuhausen, daß die zentrale Zuteilung von Studienplätzen — jetzt unter Hinweis auf Herrn Genscher; früher auf Demokrit — den Hochschulen die Freiheit nimmt und keine vernünftige Lösung ist, der müßte doch heute hier dem zustimmen, was wir in unserem Entschließungsantrag aufgeführt haben.
Wir gehen auch davon aus — das will ich hier in Anknüpfung an Herrn Laermann noch sagen —, daß natürlich auch unkonventionelle Möglichkeiten der Verstärkung des Personals ernsthafter als bisher mit den Ländern besprochen werden müssen, allerdings mit einer klaren Grenze: nicht in der Richtung, daß wir arbeitsrechtswidrige oder sozial unvertretbare Lösungen schaffen, wie es mit dem Zeitvertragsgesetz durch Sie erfolgt ist.Wer die verstärkte Einwerbung der Drittmittel im Zusammenhang mit der aktuellen Technologiediskussion betrachtet, wird auch dazu in einer solchen Rahmengesetzdebatte noch Anmerkungen machen müssen. Die Forschung ist nur erfolgreich, wenn sie frei ist. Das habe ich im Forschungsbericht von Baden-Württemberg gestern noch gelesen. Richtig! Zugleich aber sollen Schwerpunkte gesetzt werden, die neuen Technologien, u. a. — so der Bericht —, da sie auf die wirtschaftliche Entwicklung ausstrahlen, stärker in die Forschung einzubeziehen. Auch das ist in Ordnung, daß Schwerpunkte gesetzt werden, solange die Freiheit der Forschung nicht tangiert wird. Es muß möglich sein, Schwerpunkte vorzugeben.Aber es muß doch gefragt werden dürfen — gar nicht, weil Sie das vielleicht wollen; das unterstelle ich nicht allen, die für diese Neuregelung der Drittmittel sind —, welchen Stellenwert bei der künftigen Bedeutung der Aufbringung der Drittmittel diejenigen Forschungsbereiche haben werden, deren Ergebnisse sich nicht unmittelbar wirtschaftlich verwerten lassen oder die sogar in der Lage sind, wirtschaftliche und wirtschaftspolitische Ziele zu problematisieren. Das Geld fließt doch zu einem großen Teil dorthin, wo, wie der Geber glaubt, be-
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Kastningstimmte Ziele untermauert werden könnten. Ich frage auch, ob wir unter diesem Gesichtspunkt dann nicht künftig viel stärker als bisher von der Politik her unser Augenmerk auf die Struktur der Vergabe von Forschungmitteln richten müssen. Ich schätze, das wird auf uns zukommen. Aber dann wird wieder geschrien: Ihr wollt wohl alles kontrollieren!Ich habe die Befürchtung, daß sich ein Teil — er mag verschwindend gering sein — der Wissenschaft zu so etwas wie einer „Erklärungswissenschaft" entwickelt.Wir sollten da einmütig feststellen — das sollte auch Ihnen von der Koalition nicht schwerfallen —, daß Wissenschaft in gesellschaftlicher Verantwortung betrieben werden muß und sich in allen diesen Dingen auch aktuellen gesellschaftlichen Fragen öffnen muß.Ich bin froh darüber, daß nach sehr harten Widerständen bei den Unionsparteien und auch innerhalb der FDP nun endlich Kooperationsbemühungen mit dem Bereich der Arbeitnehmervertretungen Fortschritte machen und auch der Durchbruch gelungen ist, mit Bundeshilfe — das möchte ich hier ausdrücklich sagen — so etwas zu verankern. Das kann aber nicht reichen. Die Vielfalt der Kooperation muß mit Unterstützung des Bundes weiter ausgebaut werden.
Herr Neuhausen hat hier in diesem Zusammenhang auch noch gesagt, es sei Unsinn, zu sagen: „Wes Brot ich ess', des Lied ich sing'." Auch hat er von Verhunzung der Sprache gesprochen. Ich finde, das ist schon ein starkes Stück. Mir scheint, daß manche entweder unfähig sind — ich will aber lieber unterstellen: sich nicht die genügende Mühe machen —, Denkvorgänge anderer nachzuvollziehen, um zu begreifen, daß wir hier nicht sagen, die Forschung werde jetzt von der Wirtschaft zielstrebig vereinnahmt, sondern daß wir hier eher sagen: Mittel fließen in bestimmte Projekte, von denen Wirtschaft und andere glauben, daß sie gefördert werden müssen, und daß dabei, Herr Neuhausen, gewollt oder ungewollt, gesellschaftspolitische Bereiche unter den Schlitten geraten.
Sie können doch nicht eine Gesellschaft freier Kräfte wollen, von der Sie wissen, daß freie Kräfte da sind, die gar nicht so können, weil sie materiell nicht in der Lage sind, überhaupt mitzuhalten, obwohl unsere Gesellschaft diese Kräfte braucht und auch für sie geforscht werden muß.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Neuhausen?
Ja, bitte sehr.
Lieber Ernst Kastning, kannst Du mir die Frage positiv beantworten, daß Du nachher mal genau nachliest, in welchem Kontext ich
von Verhunzung der Sprache gesprochen und mit keinem Wort auf das Bezug genommen habe, was Du eigentlich jetzt auch mit kritischer Beleuchtung hier dargestellt hast?
Ich brauche nicht zu verhehlen, daß Fritz Neuhausen und ich per du sind. Lieber Fritz, ich bin natürlich bereit, das nachzulesen und, falls ich mich geirrt habe, Dir das auch mitzuteilen.
Aber das, was ich hier von der Unfähigkeit oder mangelnden Bereitschaft gesagt habe, bestimmte Gedankengänge nachzuvollziehen, nehme ich nicht zurück; denn ich bin davon überzeugt, daß das auf viele von uns, vielleicht auch manchmal auf mich — das gebe ich zu — zutrifft,
Herr Präsident, wenn Sie mir noch einen Satz gestatten: Frau Minister hat zur Begründung der Novelle einmal gesagt: Man kann nicht auf eine für notwendig gehaltene Gesetzesänderung verzichten, weil es daneben noch andere Probleme gibt, die mit anderen Mitteln zu lösen sind. Ich möchte den Satz ein wenig umdrehen und sagen: Man kann nicht auf dringend notwendige Maßnahmen zur Verbesserung der Hochschulsituation verzichten, weil daneben jemand rahmenrechtliche Lücken im Sinne bestimmter ordnungspolitischer Vorstellungen entdeckt hat und dafür seine Kraft vertut. Ich bitte Sie, unserem Entschließungsantrag zuzustimmen, weil er versucht, über die rahmenrechtlichen Dinge hinaus doch einiges wieder in Schwung zu bringen und fortzusetzen, was für die Hochschulen dringend erforderlich ist.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Daweke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Am Ende dieser hochschulpolitischen Debatte möchte ich zuerst auf die eklatanten Widersprüche eingehen, die die SPD hier heute morgen verbreitet hat.Sie sagen, die Novelle zum HRG sei völlig unnötig, aber dann beklagen Sie sich, daß wir viel zuwenig beraten hätten. Sie sagen, vieles an diesem Gesetzentwurf sei falsch, aber dann stellen Sie hier Anträge zu zwei sehr vereinzelten Punkten, in denen Sie klarmachen wollen, was an diesem Entwurf alles falsch ist. Frau Brunn sagt, sie wolle das Gesetz nicht, gleichwohl schreibt ihr Haus einen Brief an den Bund, man möge mit der Verbesserung der Drittmittelforschung doch ganz schnell machen. Das sind alles Widersprüche. — Frau Brunn, vielleicht würden Sie mir freundlicherweise zuhören. Frau Minister Brunn, ich wollte gern, weil auch ich aus Nordrhein-Westfalen bin,
die Zahl der Widersprüche, die Sie hier verbreitethaben, noch etwas dokumentieren. Sie sagen, entscheidend sei, daß sich der Bund nicht um die aktu-
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11892 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 159. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. September 1985
Dawekeellen Probleme kümmere. Gleichwohl waren wir uns heute morgen hier einig, daß die aktuellen Probleme weitgehend die Länder betreffen. Da, wo wir es können, haben wir versucht zu mildern; Stichworte: Informatik, Hochschulbaumittel und dergleichen mehr.Aber Sie — nicht Sie persönlich, aber die Landesregierung NRW — haben doch beispielsweise das Klinikum Aachen — das Unikum Aachen, müßte man eigentlich sagen; übrigens das größte deutsche Bauwerk seit dem Westwall — installiert und die 1 200 Stellen, die Sie da brauchen, aus den Hochschulen weggezogen, ohne eine einzige neue Stelle zu schaffen. Herr Posser schreibt jetzt einen Brief, das Land NRW sei pleite, und kündigt an, daß er 8 800 Stellen streichen will, davon 7 000 im Lehrer- und im Hochschullehrerbereich. Sie sind doch die Brandstifter! Nun laufen Sie doch nicht mit der Spritze hier durchs Haus!
Sie beklagen hier die ganze Zeit das BAföG. Sie haben 1983 28,8 Millionen DM Landesanteil beim BAföG eingespart und haben dann in einem Akt der Großzügigkeit 9,2 Millionen DM an die Schüler mit den Landesförderungsmitteln zurückgegeben. Da stellen Sie sich doch hier nicht hin und beklagen den BAföG-Kahlschlag. Das paßt doch hinten und vorn nicht zusammen.
Ich möchte mich an die Kollegen auf dieser Seite des Hauses wenden.
— Nein, bitte nicht, ich wollte mich ja gerade an diese Seite des Hauses wenden, und zwar wollte ich Sie auf einen Vorgang aufmerksam machen, der sehr interessant ist.Wir stellen nach zehn Jahren Leben mit dem Hochschulrahmengesetz von 1976 fest, daß sich die Bedingungen für die Hochschulen wie überhaupt die Bedingungen in der Bildungspolitik total verändert haben. Allein die Zahlen sprechen da Bände. Wir stellen fest, daß beispielsweise neuerdings 40 % der Anfänger an Fachhochschulen Abiturienten sind, was es früher nicht gegeben hat, also nicht mehr der klassische Bildungsweg Realschule, Lehre, FOS, dann die Ingenieurschule, sondern 40 % sind jetzt Abiturienten. Das verändert das System. Also die Bedingungen sind total verändert. Aber die SPD, die GEW und alle diese Hilfstruppen stellen sich hin und sagen: „Wir geben ja zu, es hat sich was verändert, und eigentlich müßte man auch etwas machen, aber bitte jetzt nicht." Das ist ein falsch verstandener konservativer Standpunkt. Das nehme ich als die wichtigste Erfahrung aus der ganzen Debatte mit. Im Grunde genommen sind Sie Reaktionäre, wenn ich das mal sagen darf. Sie stellen fest, die Umwelt der Hochschule verändert sich und sagen: „Darauf wollen wir nicht reagieren. Wirwollen das politisch nicht aufnehmen." Ich finde daseine schlimme Erkenntnis aus der ganzen Debatte.
Herr Abgeordneter Ströbele, der Abgeordnete Daweke läßt keine Zwischenfrage zu.
Wir müssen doch helfen, eine Hochschullandschaft zu formulieren, wie wir sie am Ende dieses Jahrzehnts sehen. Dann werden die Hochschulen andere Probleme haben als heute. Sie werden sich dem Wettbewerb stellen müssen, und wir werden ihnen helfen müssen, daß sie diesen Wettbewerb aufnehmen. Die Hochschulen müssen Profile bekommen. Man muß sie als Hochschulen mit einem eigenen Gesicht erkennen können. Dieses eigene Gesicht können sie sich nur durch Schwerpunkte in der Forschung und in der Lehre schaffen. Wir wollen ihnen zum Beispiel durch die Drittmittelregelungen helfen, diese Schwerpunkte zu entwickeln.Es ist interessant, daß Sie auf das, was ich nun mal aus unserer Sicht für die wichtigsten Veränderungen halte, heute morgen nicht eingegangen sind. Ich behaupte, daß am Ende dieses Jahrzehnts beispielsweise die Tatsache, daß Hochschulen neue Studiengänge einrichten und dafür Studienordnungen nach ihrem Gusto entwerfen können, die Hochschulen mehr verändern wird als die Horrorthemen, die Sie heute morgen über die Drittmittelforschung verbreitet haben. Ich sehe nicht, daß in Deutschland Riesengelder aus der Wirtschaft in die Hochschulen fließen werden. Das ist doch das Gemälde, das Sie in diesem Zusammenhang hier gezeigt haben.
Wir hoffen, daß es mehr wird. Aber das bauschen Sie hier zu einem unglaublichen Thema auf. Ich glaube nicht, daß das das Thema sein wird. Vielmehr wird das Thema sein, wie sich die Hochschulen in der Tat auf diese neuen Studiengänge einstellen werden, wie sie zu den neuen Studiengängen ihre Studenten selbst werden zulassen können. Wir haben ja in einem Vorlauf zu dieser Hochschulrahmengesetznovelle z. B. die Zulassung bei Medizinern verändert. 15 % der Medizinerzulassung werden jetzt durch ein Interview und nicht mehr durch eine aus meiner Sicht völlig ungerechte Notengebung geschehen.
Da zeigt sich doch die Evolution, die hier stattfinden wird. Das wird die Hochschullandschaft viel nachhaltiger verändern als die Horrorbeschreibungen, die Sie hier abgegeben haben.Zum Schluß: Wir haben eine Novelle zum Hochschulrahmengesetz gemacht, die ein Kompromiß ist mit dem Koalitionspartner, mit den Ländern, zwischen den Gruppen, die Forderungen an uns gestellt haben, wobei man sagen muß, die Gruppen gibt es in der Form gar nicht, die Studenten sind
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 159. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. September 1985 11893
Dawekekeine Einheit in ihrer Argumentation, die Professoren schon längst nicht. Es ist also ein typischer Kompromiß. Wir glauben, daß wir mit ihm die wichtigsten Voraussetzungen geschaffen haben, um die Hochschulen für die nächsten Jahre in die Lage zu versetzen, den Herausforderungen zu genügen.Deshalb sage ich für die CDU/CSU-Fraktion, daß wir diesen Kompromiß selbstverständlich mittragen werden. Wir hoffen, daß die Länder unsere gesetzlichen Vorschriften schnell in ihre Ländergesetze umsetzen werden.Schönen Dank.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Zu einer Erklärung nach § 32 der Geschäftsordnung erteile ich das Wort der Abgeordneten Frau Dr. Hamm-Brücher.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich hatte mich zunächst zu meinem Antrag gemeldet.
Sie können, wenn Sie wollen, beides tun, Frau Kollegin. Aber ich muß nach der Geschäftsordnung Ihre Erklärung, die Sie angemeldet haben, nach Schluß der Aussprache aufrufen.
Ich bitte um Verständnis, Herr Präsident: Sie haben vorhin gesagt, Sie bauen mich in die Redezeit ein. Ist das nicht gelungen?
Sie können Ihren Antrag im Anschluß daran selbstverständlich begründen.
Dann darf ich ganz kurz den Ihnen vorliegenden Änderungsantrag begründen. Vor dem historischen Augenblick, meine Damen und Herren, daß wir den Anteil der Frauen an der Bundesregierung von 5,8 % auf 11,6 % erhöhen werden — ich habe das schnell ausgerechnet —, möchte ich Ihre Aufmerksamkeit noch einmal ganz kurz auf die wirklich desolate Unterrepräsentanz der Frauen im Hochschulbereich lenken.
Nur 2,5 % Frauen sind als ordentliche Professorinnen tätig. Die Tendenz ist rückläufig. Ich habe versucht, Frau Kollegin Wisniewski — meine Hochachtung vor Ihrer Leistung ist uneingeschränkt —, Ihnen rechtzeitig diese Initiative bekanntzugeben. Leider ist es im Hinblick auf den späten Ausdruck der Vorlage gar nicht möglich gewesen.
Ich halte es für notwendig, meine Damen und Herren, daß wir den Auftrag an die Hochschulen etwas konkreter formulieren. Das finden Sie in dem Umdruck.
Es ist unbedingt nötig, daß wir diese Beseitigung der Diskriminierung nicht auf Wissenschaftlerinnen eingrenzen. Vielmehr müssen wir die Frauen in allen Bereichen und auf allen Ebenen, in denen sie derzeit so unterrepräsentiert sind, voranbringen.
Das trifft nicht nur für die Wissenschaftlerinnen zu, sondern das ist so auch in Forschung und Lehre, bei Einstellung und Berufungen, bei Stipendien und bei der Forschungsförderung. Das ist es, was ich mit meinem Änderungsantrag bezwecken möchte.
Herr Präsident, angesichts der bevorstehenden Feierlichkeit möchte ich auf die Abgabe der Erklärung verzichten und Sie bitten, sie zu Protokoll zu nehmen, wenn dies möglich ist.
Das ist leider nicht möglich. — Sie nehmen Abstand von der Abgabe der angemeldeten persönlichen Erklärung.Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung über den Tagesordnungspunkt 3 a betr. den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Hochschulrahmengesetzes auf Drucksache 10/2883.Ich rufe Art. 1 auf. Hierzu liegen auf den Drucksachen 10/3883 und 10/3886 Änderungsanträge vor. Wer dem Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/3883 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Der Änderungsantrag ist abgelehnt.Wer dem Änderungsantrag der Abgeordneten Frau Dr. Hamm-Brücher auf Drucksache 10/3886 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Der Änderungsantrag ist abgelehnt.Wer Art. 1 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Die aufgerufene Vorschrift ist in der Ausschußfassung angenommen.Ich rufe die Art. 2 bis 7, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Die aufgerufenen Vorschriften sind angenommen.Wir treten in diedritte Beratungein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Das Gesetz ist angenommen.Wir kommen zu dem Entschließungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/3869. Es ist beantragt, diesen Entschließungsantrag zur federführenden Beratung an den Ausschuß für Bildung und Wissenschaft und zur Mitberatung an den Haushaltsausschuß zu überweisen. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Der Überweisungsantrag ist angenommen.Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die weiteren Entschließungsanträge. Wer dem Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache
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11894 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 159. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. September 1985
Präsident Dr. Jenninger10/3884 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Der Entschließungsantrag ist abgelehnt.Wer dem Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP auf Drucksache 10/3891 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Der Entschließungsantrag ist angenommen.Zu Punkt 3 b der Tagesordnung schlägt der Ältestenrat Überweisung der Vorlage an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? — Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.Meine Damen und Herren, bevor ich den nächsten Tagesordnungspunkt aufrufe, darf ich Ihnen vortragen, daß mir mitgeteilt worden ist, daß interfraktionell vereinbart worden ist, vor der Mittagspause nach Punkt 4 der Tagesordnung, also nach dem nächsten Punkt „Eidesleistung des Bundesministers für Jugend, Familie und Gesundheit", zunächst Punkt 6 der Tagesordnung aufzurufen und Punkt 5 der Tagesordnung am Nachmittag nach der Fragestunde aufzurufen. Sind Sie damit einverstanden? — Dann ist es so beschlossen.Ich rufe Punkt 4 der Tagesordnung auf:Eidesleistung des Bundesministers für Jugend, Familie und GesundheitMeine Damen und Herren, der Herr Bundespräsident hat mir mit Schreiben vom 26. September 1985 mitgeteilt, daß er auf Vorschlag des Bundeskanzlers den Bundesminister Dr. Heiner Geißler aus seinem Amt entlassen und Frau Professor Dr. Rita Süssmuth zum Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit ernannt hat.Nach Art. 64 des Grundgesetzes leisten die Bundesminister bei der Amtsübernahme vor dem Bundestag den in Art. 56 des Grundgesetzes vorgeschriebenen Eid. Ich bitte Sie, Frau Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit, zur Eidesleistung zu mir zu kommen.
Ich lese Ihnen die Eidesformel vor und bitte Sie, den Eid mit den Worten „Ich schwöre es, so wahr mir Gott helfe" oder „Ich schwöre es" zu bekräftigen:Ich schwöre, daß ich meine Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widmen, seinen Nutzen mehren, Schaden von ihm wenden, das Grundgesetz und die Gesetze des Bundes wahren und verteidigen, meine Pflichten gewissenhaft erfüllen und Gerechtigkeit gegen jedermann üben werde.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich schwöre es, so wahr mir Gott helfe.
Herzlichen Glückwunsch!
Meine Damen und Herren, der neuernannte Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit, Frau Professor Süssmuth, hat den vom Grundgesetz vorgeschriebenen Eid bei der Amtsübernahme vor dem Deutschen Bundestag geleistet. Ich beglückwünsche Sie zur Übernahme Ihres Amtes und wünsche Ihnen alles Gute!
Zugleich darf ich dem scheidenden Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit den Dank des Hauses aussprechen.
Meine Damen und Herren, wir fahren mit unserer Beratung fort.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 6 auf:
Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bürgerlichen Gesetzbuches
— Drucksache 10/307 —
Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses
— Drucksache 10/3781 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Dr. Schroeder Dr. de With
Im Ältestenrat ist für die Aussprache ein Beitrag bis zu fünf Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. — Ich sehe keinen Widerspruch; dann ist so beschlossen.
Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Ich eröffne die allgemeine Aussprache.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Schroeder .
— Meine Damen und Herren, ich bitte Sie, Platz zu nehmen. Herr Abgeordneter, bitte, warten Sie noch eine Minute zu, bis die Kolleginnen und Kollegen Platz genommen haben. Das gilt für alle Abgeordneten des Hauses. — Herr Abgeordneter, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Verbraucherkredit in der Bundesrepublik Deutschland hat derzeit ein Volumen von rund 180 Milliarden DM. Im statistischen Durchschnitt hat heute jeder deutsche Haushalt rund 7 000 DM Schulden bei Banken. 78 Milliarden DM sind Ratenkredite. Die Zins- und Tilgungsleistungen aus den Konsumentenkrediten belasten zahlreiche Haushalte monatlich erheblich. Aufmerksam werden deshalb immer wiederkehrende Meldungen von Verbraucherzentralen registriert, in denen Verbraucher vor wucherischen Zinsen gewarnt werden. Das Wort vom modernen Schuldturm macht die Runde. Der SPD-Kollege Schöfberger hat unlängst eine Million Kreditverträge als schlechterdings wucherverdächtig bezeichnet. Ich halte solche nicht beweisbaren Aussa-
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 159. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. September 1985 11895
Dr. Schroeder
gen als pauschale Verunsicherung der Kreditnehmer für nicht vertretbar.Einen Schritt zu mehr Verbraucherschutz stellt die zum 1. September dieses Jahres in Kraft getretene Preisangabenverordnung für Kredite dar, die den Kreditnehmern eine bessere Information über Kreditkonditionen geben soll. Meine Fraktion ist auch darüber hinaus gewillt, Mißständen auf dem Gebiet der Kreditvermittlung und Kreditgewährung, bei denen unerfahrenen Kreditnehmern wucherische Zinsen abverlangt werden, wirksam entgegenzutreten. Wir halten allerdings nach eingehender Beratung die vom Bundesrat auf Grund einer hessischen Initiative vorgeschlagene Erweiterung des § 138 BGB um einen Absatz 3, wonach Kreditgeschäfte nichtig sind, bei denen die Leistung des Kreditnehmers in auffälligem Mißverhältnis zu der des Kreditgebers steht, zum Schutz der privaten Kreditnehmer nicht für erforderlich.Der Gesetzentwurf wurde seit 1973 in jeder Legislaturperiode wieder neu eingebracht. Ich kann hier offenlassen, ob in früheren Jahren, in denen bei der Feststellung der Sittenwidrigkeit von Darlehensgeschäften das subjektive Moment noch eine größere Rolle gespielt hat als heute, ein stärkerer Regelungsbedarf bestand. Heute besteht ein solcher Regelungsbedarf jedenfalls nicht mehr. Inzwischen gibt es nämlich eine gefestigte Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, die den privaten Kreditnehmer besser gegen Wucher schützt als die vorgeschlagene Gesetzesänderung. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs werden nämlich in der Zwischenzeit — weitergehend als im Gesetzentwurf vorgeschlagen — nicht nur das Preis-Leistungs-Verhältnis, sondern alle Umstände auch außerhalb des engeren Verhältnisses von Leistung und Gegenleistung genügend berücksichtigt. Außerdem gibt es bei Kredit-Wucherverträgen kaum noch die befürchteten Beweisschwierigkeiten. Der Bundesgerichtshof stellt nämlich den Grundsatz auf, daß bei objektiv sittenwidriger Kreditgewährung von gewerbsmäßigen Darlehensgebern die subjektiven Voraussetzungen für ein wucherähnliches Geschäft stets vermutet werden. Damit wird dem Kreditgeber die Beweislast zugeschoben.Durch diese in der Zwischenzeit entwickelte Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes ist ein rechtspolitisches Bedürfnis für eine Ergänzung des § 138 BGB entfallen. Es muß sogar angenommen werden, daß sich die vom Bundesrat vorgeschlagene Regelung negativ auf die kreditnehmerfreundliche Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes auswirken müßte.Wir halten auch nichts vom Vorschlag der SPD, den jetzt vorliegenden Gesetzentwurf zusammen mit dem von der SPD angekündigten Entwurf über Kreditgeschäfte zu behandeln.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Mann?
Ja, bitte, Herr Kollege Mann.
Herr Kollege Schroeder, sind Sie eigentlich stets der Meinung, daß im Hinblick auf eine Rechtsprechung des BGH, wenn sie gefestigt ist, kein rechtspolitisches Bedürfnis besteht? Ich stelle diese Frage deswegen, weil es im Unterhaltsrecht zu § 1579 BGB inzwischen eine gefestigte Rechtsprechung gibt. Diesbezüglich argumentieren Sie entgegengesetzt: Sie meinen die Rechtsprechung ins Gesetz aufnehmen zu sollen.
Herr Kollege Mann, das muß von Fall zu Fall entschieden werden. Hier ist eine kreditnehmerfreundliche Rechtsprechung entstanden. Wir halten für diesen Fall die Rechtsprechung für ausreichend. Man muß sich von Fall zu Fall darüber unterhalten.
Wir halten auch nichts von dem Vorschlag der SPD, den jetzt vorliegenden Entwurf über Kreditgeschäfte, der bereits als Diskussionsentwurf angekündigt ist, mit zu behandeln.
— Er ist vorgelegt worden, Herr Kollege de With. — Der beste Verbraucherschutz ist schon heute eine gute Information der Bürger und ein funktionsfähiger Wettbewerb. Bedenklich wirkt sich der Konsumentenkredit nur dann aus, wenn der Konsument laufend über seine Verhältnisse lebt, wenn er also fortlaufend sein Einkommen in höherem Maße belehnt, bis seine wirtschaftliche Existenz auf dem Spiel steht.
Die Konsolidierungspolitik der Bundesregierung trägt aber auch für Kreditnehmer — sowohl hinsichtlich der Preisstabilität als auch hinsichtlich spürbar gesunkener Zinsen — so reiche Früchte, daß der zu Zeiten der SPD entstandene neue Schuldturm heute ohne weiteres wieder geschlossen werden kann.
Entsprechend der Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses werden wir dem Gesetzentwurf des Bundesrates daher nicht zustimmen.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. de With.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren!Wenn du Geld leihst einem aus meinem Volk, der arm ist bei dir, sollst du ihn nicht zu Schaden bringen und keinen Wucher an ihm treiben.So steht es schon im zweiten Buch Mose, Kapitel 24.
Die Römer kannten den Wucher-Tatbestand. Trotzdem — das müssen wir ehrlich sehen — haben wir bis heute keine wirklich wirksame Vorschrift gegen den Wucher finden können. Eine Einzel-Wuchervorschrift wird wahrscheinlich niemals eine wirksame Bremse darstellen können. Weil das so
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11896 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 159. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. September 1985
Dr. de Withist, hat die SPD-Bundestagsfraktion einen Gesetzentwurf vorgelegt, der eine ganze Reihe von Bestimmungen bringt, um dieses Übel endlich in den Griff zu bekommen.Diese Vorlage enthält zwei Kernpunkte:Erstens. Es wird eine feste Wuchergrenze vorgeschlagen, nämlich das Doppelte des üblichen Zinses; bei Ratenkrediten — das ist immer die Crux —8 v. H. über dem Schwerpunktzins der Deutschen Bundesbank. Auf die subjektiven Voraussetzungen, wie z. B. die Ausbeutung der Unerfahrenheit oder der Notlage, kommt es dabei nicht mehr an.Zweitens. Weil die Schwierigkeiten schon unterhalb dieser Grenze beginnen, schlagen wir vor: Durch richterliche Vertragshilfe sollen diejenigen, deren Kredite notleidend geworden sind und die unverschuldet — ich gebrauche diesen Ausdruck wieder — in den „modernen Schuldturm" gelangt sind, nach Möglichkeit aus diesem Schuldturm befreit werden. Dazu kann der Richter die Rückerstattung des Darlehens stunden, die Raten neu festsetzen, überteuerte Zinsen herabsetzen und unter bestimmten Umständen Zahlungen zunächst für die Tilgung des Darlehens anrechnen und erst danach für die Zinsen und Kosten. Einen darauf basierenden Gesetzentwurf werden wir noch vor der Weihnachtspause einbringen.
Wir hatten im Rechtsausschuß vorgeschlagen, daß die Vorschrift, über die wir heute rechten, zusammen mit unserem Vorschlag beraten werden soll. Die Union will es anders; sie will diese Initiative — ich darf das so formulieren, Herr Kollege Schroeder — schon heute beerdigen.Wir wissen auch, daß die Bundesratsvorlage nur eine Vorschrift ändert. Wir kennen auch die Rechtsprechung, nur, Herr Kollege Schroeder, das haben Sie versäumt zu sagen, bringt die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bloß eine Beweiserleichterung. Es bleibt bei den subjektiven Bedingungen. Die Vorlage des Bundesrats streicht die subjektiven Bedingungen und stellt nur auf das Mißverhältnis von Leistung und Gegenleistung ab. Dies wäre ein eindeutiger, wenn auch kleiner Fortschritt.Wer diese Vorlage deshalb ablehnt, muß den Eindruck erwecken, als ob er gegen jede weitere Verbesserung im Kampf gegen wucherische Ausbeutung wäre, und das, meine sehr verehrten Damen und Herren, in einer Zeit, in der Hunderttausende unter elendiglichen Kreditbedingungen stöhnen, wegen derer sie am Rande des Existenzminimums leben, in einer Zeit, in welcher der moderne Schuldturm wirklich schon zum Begriff geworden ist.
Im dritten Buch Moses — um wieder auf die Bibel zurückzukommen — werden sogar in den Sonderbestimmungen für die Leviten Wucher und Zins verboten. Wer heute einen Versuch, wenn auch einen wiederholten, zur besseren Bekämpfung des Wuchers ablehnt und damit ein Zeichen setzt — daswar bei Ihnen, Herr Kollege Schroeder, unübersehbar —, dem müssen wir — ich sage das den aller-christlichsten Damen und Herren von der Union — gehörig die Leviten lesen.
Wir stimmen deshalb der Ablehnung der Wuchervorschrift des Bundesrats nicht zu.Vielen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Kleinert.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das scheint mir heute vormittag wirklich ein Lehrstück zu sein für die Art, wie wir mit Recht und Gesetz besonders im Bereich des BGB umzugehen haben; denn all unsere Bemühungen während der letzten — etwa — dreißig Jahre haben das BGB auch nicht annähernd in der Ausgewogenheit seiner Bestimmungen erreicht, in der Abwägung zwischen Rechtsprechungsmöglichkeiten und dem, was durch Gesetz geregelt werden soll.
Jetzt haben wir die interessante Situation, daß die Rechtsprechung genau all das, was Sie zur Begründung Ihres Gesetzentwurfs anführen, mühsam herausgearbeitet hat — das ist bereits dargestellt worden —, Sie aber dennoch jetzt ein Gesetz machen wollen. Man könnte glauben, so wie Herr Mann das in seiner Zwischenfrage angesprochen hat, daß es sich nur darum handele, die Rechtsprechung festzuschreiben.
Mit dem Ding führt uns keiner mehr hinter die Fichte. Jedesmal, wenn Sie sagen, daß Sie Rechtsprechung festschreiben, kriegt das Ding Beine.
Dann sagen die Richter nämlich, daß das mit dem, was sie zu dem alten Gesetzestext ausgeurteilt hätten, gar nicht übereinstimmen könne, obwohl in der Begründung steht, daß sich das nach der bisherigen Rechtsprechung richtet, was wir jetzt nur der Klarheit halber, und damit es jeder Laie lesen kann — beschließen. Die Gegend wimmelt j a von Leuten, die den Schönfelder als liebste Hauslektüre haben. Sie sagen, daß jeder Laie das dann nachlesen kann. Nichts dergleichen passiert. Die Leute lesen es genausowenig wie zuvor, gehen aus mir unerfindlichen Gründen zu Menschen, die ihnen teurere Kredite anbieten als andere, obwohl sogar in Aushang-kästen der Banken außen am Hause die Zinssätze angeschlagen sind. Ich weiß wirklich nicht, was man da noch machen soll.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte schön, Herr de With.
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Herr Kollege Kleinert, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß wir keineswegs die Rechtsprechung kodifizieren, also festschreiben wollen, sondern daß wir — neben einer eigenen Vorschrift — ein richterliches Vertragsrecht einführen möchten, was auch die Schweizer vorhaben, die ja in besonderem Maße Erfahrungen mit Bankgeschäften und Kreditgeschäften aufweisen?
Also, wir wollen ja nicht übermütig werden, Herr Kollege de With; aber vielleicht können die Schweizer auch mal von uns etwas lernen und sich darauf besinnen, daß sie auf diesem Gebiet so unglaublich gute Erfahrungen und eine so unglaublich gute Geschäftspolitik haben, daß sie vielleicht eines weiteren Gesetzes nicht bedürfen.
Ich bleibe aber bei meinem Thema, und mein Thema ist nicht etwa dieser Entwurf in seinen Einzelheiten. Es lohnt sich wirklich nicht, sehr viel dazu zu sagen. Mein Thema ist: Wie machen wir Gesetze? Ich sage Ihnen, wenn Sie auf der Basis der bestehenden Rechtsprechung eine Gesetzesformulierung machen, die dieser Rechtsprechung in etwa entspricht,
dann werden Sie zum Schluß erleben, daß die Sache Beine bekommt und daß die Rechtsprechung in Zukunft anders verlaufen wird, obwohl sie sich gerade auf diesem Gebiet inzwischen dort eingependelt hat, wo es den Interessen der Verbraucher gescheit und vernünftig dient.
Sie machen mich darauf aufmerksam, daß Sie hier einen wesentlichen Punkt, nämlich die subjektive Seite, ändern wollen. Dies ist bisher für die Rechtsprechung kein Hindernis gewesen, mit den Problemen fertig zu werden. Die objektive Seite ist ohnehin ungewöhnlich viel bedeutender. Die subjektive wird sich auch in Zukunft nicht richtig feststellen lassen. Und vor einem richterlichen Vertragsrecht — das Wort haben Sie hier heute mehrfach eingeführt — möchte ich doch wirklich warnen. Es wäre schon gut, wenn wir in dem — ich glaube, das darf man sagen — mühsamen Zusammenspiel von Gesetzgebung und Rechtsprechung möglichst ein stabiles Gleichgewicht erreichen und wenn in diesem Zusammenspiel sich dann auch eine gewisse Sicherheit herumsprechen kann. Die Leute werden nicht den Schönfelder lesen — ich sagte es schon mal —, aber sie werden von möglichst vielen, die sich etwas mehr damit befaßt haben, hören: So ungefähr geht das lang, wenn du das und das Problem hast. Wenn hier jetzt Nichtigkeit bei etwa dem Doppelten des unteren, normalen Zinses angenommen wird, dann haben wir etwas Objektives. Hier noch weiter in die subjektive Seite hineinzugehen, halte ich für ganz bedenklich.
Ich glaube, wir sollten damit unsere Rechtsprechung jetzt nicht zusätzlich belasten. Was zu leisten war, hat sie — und dafür sei Dank gesagt — geschafft. Gerade in diesem Augenblick — vor einigen
Jahren hätte da noch einiges anders beurteilt werden müssen, meine ich — gesetzgeberisch ausgerechnet im BGB an einer so heiklen Stelle herumzufuhrwerken und damit alles wieder in Unruhe und Ungewißheit zu bringen, das halte ich eben nicht für unsere Aufgabe als Gesetzgeber. Darum bleibt es bei unserer Ablehnung.
Herzlichen Dank.
Herr Abgeordneter Mann, da Sie jetzt ohnehin als nächster zu Wort kommen, können Sie Ihre Zwischenfrage in Form von Bewertungen anbringen. Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Bürgerinnen und Bürger! Herr Kleinert und vor allem Herr Schroeder, der Gesetzentwurf ist schon die seit Jahren überfällige notwendige Reaktion des Gesetzgebers auf bereits seit Ende der 70er Jahre feststellbare eklatante Mißstände in Form maßloser Zinsforderungen von seiten der Kreditwirtschaft sowie der hiermit einhergehenden sukzessiven finanziellen, persönlichen und familiären Verelendung weiter Kreise der Bevölkerung. Zu Recht hat der Herr Kollege de With vom Schuldturm gesprochen.Die vom Bundesgerichtshof in der Rechtsprechung zur Sittenwidrigkeit von Konsumentenratenkrediten entwickelte Objektivierung des Geldwuchers soll mit dem Entwurf auf eine eindeutige gesetzliche Grundlage gestellt werden. Wir begrüßen diese Initiative.Worum geht es volkswirtschaftlich? Der hier betroffene Konsumentenkredit stieg seinem Volumen nach in den Jahren von 1950 bis 1980 auf rund 131 Milliarden DM bei einer durchschnittlichen Verschuldung jedes zweiten Haushaltes in der Bundesrepublik Deutschland von 10 500 DM.
— Was ist daran besonders interessant, Herr Kleinert? Großbanken und ihre Tochterunternehmen in Form von Teilzahlungskreditbanken stiegen, in Erkenntnis der Lukrativität dieses Geschäftszweiges — mittlerweile hat der Anteil des Konsumentenkreditgeschäftes am nominalen Bruttosozialprodukt 10 % erreicht —, in starkem Maße ein. Ich finde, das ist eine besondere Art von Familienunternehmen: Die Tochter wuchert und die Mutter schuldet um.
Und was erleben wir hier heute? Statt der Initiative des Bundesrates und des Landes Hessen zuzustimmen, um in einem kleinen gesetzgeberischen Schritt in die richtige Richtung dazu beizutragen, den Markt unseriöser Kreditgewährung und Vermittlung ein wenig einzutrocknen, üben sich Bundesregierung und die Mehrheit im Rechtsausschuß in Zurückhaltung.Die scheinbar rechtspolitisch seriöse Begründung, es bestehe kein Regelungsbedürfnis im Hin-
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11898 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 159. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. September 1985
Mannblick auf die Rechtsprechung des BGH, kann nicht über die wahren Motive unserer „Nichtgesetzgeber" hinwegtäuschen: Nur keine wirksamen Schutzgesetze für sozial Schwache!
Gestern noch lenken Sie in der Aktuellen Stunde bezüglich der skandalösen Wohnungsverkäufe der Neuen Heimat scheinheilig davon ab, wer seit Jahrzehnten in erster Linie für Mißstände und unsoziale Verhältnisse im Wohnungswesen politisch verantwortlich ist. Es sind nämlich die finanzkapitalabhängigen freien Liberalen, die „feinen" Liberalen, möchte ich lieber sagen.
Heute sollen wir ihnen glauben, daß kein rechtspolitisches Bedürfnis für eine gesetzliche Klärung der gröbsten Unbilligkeiten vor allem im Bereich des Teilzahlungskreditunwesens bestünde! Machen wir doch uns und den Betroffenen nichts vor: Wer von den bewucherten Kreditnehmern wird sich vor Gericht schon wehren, Herr Schroeder, und alle Umstände des Einzelfalles eines wucherähnlichen Geschäftes — Beweislast hin, Beweislast her — darlegen?
So hat noch vor wenigen Tagen die Arbeitsgemeinschaft der Verbraucherverbände darauf hingewiesen, daß sich schätzungsweise nur jeder Zwanzigste von einem sittenwidrigen Kreditvertrag Betroffene dagegen wehrt, und das bei durchschnittlich mehr als 10 000 DM an zuviel gezahlten Zinsen und Kosten, wie es die AGV in ihrer Analyse von 198 Urteilen ermittelt.
Wir können uns des Eindrucks nicht erwehren, daß der allgegenwärtige Einfluß des Finanzkapitals schon diese wahrhaftig bescheidene Gesetzesinitiative blockiert. Es ist hier ebenso wie bei der Versicherungswirtschaft, wo der Gesetzgeber in der gepflegten Bonner Landschaft durch Untätigkeit, z. B. beim Problem der Lebensversicherung, glänzt. Es geht gesamtwirtschaftlich, wie ich ausgeführt habe, um erkleckliche Summen, nämlich um 131 Milliarden DM. Mancher überschuldete Kreditnehmer wird sich sicherlich seinen Reim darauf machen können, inwieweit die Zurückhaltung des Gesetzgebers in diesem Bereich — das geht auch an die Adresse der SPD während ihrer Regierungszeit — mit den Spenden von Großbanken, die im Rahmen staatsanwaltschaftlicher Ermittlungsverfahren bekanntgeworden sind, in Zusammenhang zu bringen ist.Hier jedenfalls scheinen Leistung und Gegenleistung wieder zu stimmen, wenn man an das Parteienfinanzierungsgesetz mit der 50 %-Regelung denkt. Hinter den Zahlen und Statistiken verbirgt sich jedoch viel menschliches Leid und Elend. Allzu oft führen die extrem hohen Zinssätze bei leiderimmer alltäglicher werdenden Schicksalsschlägen, wie Arbeitslosigkeit und Scheidung, zum finanziellen und oft auch persönlichen Ruin, ohne die Möglichkeit eines befreienden privaten Konkurses.In einer Zeit von Massenarbeitslosigkeit und Sozialabbau geraten Hunderttausende von Bürgerinnen und Bürgern in Not.
Sie müssen mit der Aufnahme von Zweit- und Drittnebentätigkeiten, der Verringerung oder gar völligen Auflösung von Sparguthaben sowie Einsparungen bei Ausgaben für Kleidung und Essen immer größere Anteile ihres Einkommens ausschließlich für Tilgung und vor allem für Zinsen in die Häuser der Banken tragen.Wir unterstützen daher den Bundesratsentwurf als einen ersten Schritt in die richtige Richtung. Wir warten mit großem Interesse und Spannung auf die SPD-Initiative. Auch unsere weiterreichenden Vorstellungen laufen darauf hinaus — —
Herr Abgeordneter, Sie haben Ihre Redezeit ausgeschöpft; kommen Sie zum Schluß.
Ich darf das noch kurz ausführen: richterliche Vertragshilfe bei überschuldeten Kreditnehmern — ich komme zum Schluß —, insbesondere unter jeweiliger Berücksichtigung von deren finanzieller und sozialer Situation, Anordnung von erträglichen Stundungsvereinbarungen — —
Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist abgelaufen. Das geht nicht. Ich muß Ihnen das Wort entziehen.
— Herr Abgeordneter, bitte entfernen Sie sich vom Rednerpult. Sie haben sich an die Vereinbarungen, die die Fraktionen treffen, die das Haus getroffen hat, zu halten. Ich bitte, künftig so zu verfahren.
Ich bedanke mich für Ihre Geduld.
Ich möchte diese Kritik zurückweisen. Ich achte darauf, daß die Vereinbarungen der Fraktionen, und zwar von allen Seiten, eingehalten werden.
Ich erteile das Wort dem Herrn Parlamentarischen Staatssekretär beim Bundesminister der Justiz, Herrn Erhard.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Bundesregierung steht al-
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 159. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. September 1985 11899
Parl. Staatssekretär Erhardlen Vorschlägen zur Verbesserung des Verbraucherschutzes sehr aufmerksam und wohlwollend gegenüber. Sie ist jedoch der Auffassung, daß der vorliegende Entwurf die in ihn gesetzte Absicht nicht erfüllen kann, und zwar deshalb, weil die Rechtsprechung weitergegangen ist und der Entwurf wahrscheinlich sogar kontraproduktiv wirken würde. Er ist zum vierten Mal unverändert eingebracht. Er mag zwar in früheren Jahren eine gewisse Berechtigung gehabt haben, aber ich darf für die Bundesregierung darauf aufmerksam machen, daß sich die politischen Verhältnisse in ihren Mehrheiten durchaus verändert haben.Inzwischen hat sich auch die Rechtsprechung so weit entwickelt, daß man sie kurz darstellen darf.
— Herr Mann, wenn ich nicht für die Bundesregierung sprechen würde, würde ich Ihnen nach dem, was Sie vorhin gesagt haben, in der Weise antworten, wie es Ihnen gebührt.
Die Rechtsprechung hat sich inzwischen dahin entwickelt, daß sich die Nichtigkeit eines Kreditgeschäfts nicht nach § 138 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches, sondern nach Abs. 1 richtet. Wenn nach dem Entwurf bei Kreditgeschäften künftig auf die subjektiven Merkmale des § 138 Abs. 2 verzichtet werden soll, so läuft diese Maßnahme ins Leere. Im Rahmen der Prüfung nach dieser Bestimmung sind die subjektiven Momente jedoch mehr und mehr in den Hintergrund gedrängt worden.
— Aber Herr de With, glauben Sie denn, daß wir subjektive Elemente aus Vertragsgeschäften ganz entfernen können? — Der Bundesgerichtshof hat in seiner Entscheidung vom 14. Juni 1984 klargestellt: Wenn gewerbsmäßige Darlehnsgeber objektiv sittenwidrig handeln, müßte vermutet werden, daß sie auch wüßten, was sie tun. Soweit bekannt, ist daher auch bei Vorliegen eines objektiven Mißverhältnisses von Leistung und Gegenleistung die Feststellung der Nichtigkeit am Fehlen subjektiver Merkmale nicht oder nicht mehr gescheitert.Die vom Bundesrat vorgeschlagene Regelung könnte sich im übrigen in zweierlei Hinsicht umgekehrt, nämlich negativ, auswirken: Zum einen soll nach dem Entwurf des Bundesrates nur noch auf die Preis-Leistungs-Verhältnisse abgestellt werden. Die Rechtsprechung geht jedoch darüber hinaus. Das heißt: Feststellung der Sittenwidrigkeit eines Darlehnsgeschäfts berücksichtigt auch Umstände außerhalb des engeren Verhältnisses von Leistung und Gegenleistung, z. B. Höhe und Fälligkeit von Verzugszinsen. Die vom Bundesrat vorgeschlagene Regelung würde es daher in Zukunft kaum noch möglich machen, wie bisher alle Umstände des Geschäfts, also auch das subjektive Verhalten, in die Beurteilung der Sittenwidrigkeit einfließen zu lassen.Zum anderen — zweiter Punkt — wäre § 817 Satz 2 BGB bei der Abwicklung von sittenwidrigen Darlehnsgeschäften kaum noch anwendbar, weil diese Vorschrift das Bewußtsein der Rechtswidrigkeit voraussetzt. Damit wäre wiederum eine kreditnehmerfreundliche Rechtsprechung gefährdet. Denn bekanntlich muß der Darlehnsnehmer bei einem sittenwidrigen Darlehnsvertrag das Darlehn erst nach Ablauf des ursprünglich vorgesehenen Zeitraums zurückzahlen, und zwar ohne Zinsen. Diese Rechtsfolge wäre kaum noch möglich, wenn es, wie nach dem Entwurf vorgesehen, ausschließlich auf objektive Kriterien ankäme.Wir wissen, daß es manchmal sehr einfach ist, einen Paragraphen zu lesen und von den anderen möglichst nicht Kenntnis zu nehmen. Dann hat man vermeintlich die beste Vorstellung von dem, was im BGB steht. Es muß aber Wert darauf gelegt werden, die Vorschriften in ihrer Zusammengehörigkeit zu sehen und anzuwenden.Wenn wir die vom Bundesrat vorgeschlagene Anderung des § 138 BGB für überholt halten und daher ablehnen, so sollte daraus allerdings nicht gefolgert werden, auf dem Gebiete des Verbraucherkredits sei auch sonst alles in bester Ordnung, so daß sich jedes weitere Nachdenken über eine Verbesserung des Verbraucherschutzes erübrige.
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ich bin gleich fertig; nein.Von den Verbraucherverbänden und durch rechtstatsächliche Untersuchungen wissen wir, daß die durchschnittliche Verbraucherverschuldung in der Bundesrepublik in Teilen ein beängstigendes Ausmaß angenommen hat. Damit gehen Probleme einher, über die auf seiten der Bundesregierung und auch des Gesetzgebers nachgedacht werden muß.Ohne auf Einzelheiten einzugehen, möchte ich nur stichwortartig sagen: Es gibt eine Art von Lebensschuldverhältnissen. Sie sprechen von „Schuldturm". Es gibt auch Titulierungen, also durch Gerichte ausgesprochene Titel, über sittenwidrige Forderungen im Mahnverfahren. Der Bundesminister der Justiz hat auf Anregung des Bundesrates und der Bundesländer die Lage der Schuldner bei Ratenkrediten näher untersucht und dazu einen umfangreichen Zwischenbericht vorgelegt. Welche Folgerungen daraus gezogen werden müssen oder sollen, das muß selbstverständlich in der ganzen Breite der Beteiligten auf Bundes- und Länderebene erörtert werden.
Ohne Erörterung der tatsächlichen Verhältnisse lassen sich richtige Schlußfolgerungen kaum ziehen.
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11900 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 159. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. September 1985
Parl. Staatssekretär ErhardDie Bundesregierung weist jedenfalls Vorwürfe, wie sie der Kollege Mann hier erhoben hat, entschieden und eindeutig zurück.
Wir sind für den Schutz der Schwachen, und unsere Rechtsordnung hat ja gerade darin ihren wesentlichen Charakter, daß sie den Schwachen schützt.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung. Der Ausschuß empfiehlt, diesen Gesetzentwurf abzulehnen.
Ich rufe Art. 1 bis 3 sowie Einleitung und Überschrift auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Das Gesetz ist in zweiter Beratung abgelehnt. Damit unterbleibt nach § 83 Abs. 3 unserer Geschäftsordnung jede weitere Beratung.
Meine Damen und Herren, wir treten in die Mittagspause ein. Die Sitzung wird um 14.30 Uhr mit der Fragestunde fortgesetzt.
Ich unterbreche die Sitzung.
Meine Damen und Herren, ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf:
Fragestunde
— Drucksache 10/3857 —
Wir kommen zunächst zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr.
Wir haben es hier mit einer Kuriosität zu tun, die erstmalig ist. Ich muß Sie daher zuvor ein wenig aufklären.
Es handelt sich um die Fragen 01 und 02 des Abgeordneten Zander. Die Fragen sind von der Bundesregierung schriftlich beantwortet worden, aber nicht in der vorgeschriebenen Wochenfrist. Dies ist auch schon Gegenstand einer Erörterung im Ältestenrat gewesen. Die Bundesregierung hat erfreulicherweise zugesagt, dafür Sorge tragen zu wollen, daß derartige Versäumnisse in Zukunft nicht mehr vorkommen.
Der Abgeordnete Zander hat aber inzwischen entsprechend Nr. 15 der Richtlinien für die Fragestunde — Anlage 4 unserer Geschäftsordnung — verlangt, daß seine Fragen in der Fragestunde noch einmal aufgerufen werden. Dies wird geschehen und geschieht hiermit. Ich rufe die Fragen 01 und 02 des Abgeordneten Zander auf:
Für welches Haushaltsjahr ist die erste Rate einer Finanzierung des sogenannten Alleentunnels in Frankfurt/Main vorgesehen, und welche Haushaltsmittel des Bundes stehen für dieses Projekt insgesamt bereit?
Mit welcher Priorität ist das Projekt „Alleentunnel" in der Planung des Bundes versehen, und welche anderen Verkehrsprojekte würden bei einer Heraufstufung in der Prioritätenliste zurückgesetzt werden müssen?
Aber, Herr Abgeordneter, da die Fragen inzwischen schriftlich beantwortet worden sind, haben Sie nur noch die Möglichkeit, sich nach den Gründen der Verzögerung zu erkundigen. Diese Möglichkeit, Herr Abgeordneter, möchte ich Ihnen nunmehr geben. Denn ich nehme an, Sie machen von diesem Ihrem Recht Gebrauch. Bitte sehr, Herr Abgeordneter.
Vielen Dank, Herr Präsident. Ich frage also: Aus welchen Gründen war die Bundesregierung nicht in der Lage, die relativ einfache Frage nach der Finanzierung eines Bauvorhabens in Frankfurt innerhalb der in der Geschäftsordnung vorgegebenen Frist zu beantworten?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege, wegen der Besonderheiten des Verfahrens, das schließlich zu einem besonderen Erfolg des Oberbürgermeisters Wallmann aus Frankfurt führte, dauerte auch das Verfahren zur Beantwortung Ihrer Fragen etwas länger. Es handelte sich dabei um einen einzigen Tag. Der Erfolg ist aber viel größer.
Sie haben, wenn Sie es wünschen, eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, habe ich Sie richtig verstanden, daß es für Sie schwierig war, mir fristgerecht einen Tatbestand mitzuteilen, der schon vor einer Woche in allen Frankfurter Zeitungen zu lesen war?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, darum geht es nicht. Es ging vielmehr darum, daß auch andere Stellen eingeschaltet waren. Sie wissen, daß sich der Herr Bundeskanzler eingesetzt hatte. Es ging also darum, daß die Mitzeichnung und Abklärung etwas umfangreicher war, als Ihnen selber von Ihrer Tätigkeit als Parlamentarischer Staatssekretär her bekannt ist.
Aber ich glaube, wir sollten daraus einem Ministerium oder gar seinen Beamten keinen Vorwurf machen. Denn ich habe festgestellt, daß es auch sozialdemokratischen Mitgliedern dieses Hohen Hauses etwas schwerfiel, fristgerecht den Erfolg des Oberbürgermeisters zu realisieren, so daß es sicher keine Beschimpfung von Beamten ist, wenn ich hier feststelle, daß dies auch bei den Beamten etwas länger als sonst üblich gedauert hat.
Herr Abgeordneter, da Sie zwei Fragen nicht beantwortet bekommen haben, haben Sie auch für die weitere Frage, die nicht beantwortet worden ist, eine Zusatzfrage, soweit sie sich auf die Ursachen der Verzögerung bezieht.
Herr Präsident, das ist zugleich die letzte Zusatzfrage. Ich würde gerne wissen: Kann man aus der Anwendung dieser Geschäftsordnungsvorschrift, die ich hier in Anspruch genommen habe, schließen, daß künftig auch die anderen Ressorts die vorgesehenen Fristen beachten, damit wir nicht regelmäßig die Bundesregierung wegen der sich häufenden Überschreitung von Fristen hierherzitieren müssen?
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 159. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. September 1985 11901
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich nehme an, daß dies eine Frage ist, die der Präsident in den Ältestenrat tragen wird.
Dies, Herr Abgeordneter, habe ich bei meinen einleitenden Bemerkungen schon zur Kenntnis gegeben. Das Bemühen der Bundesregierung schien mir ernsthaft zu sein. Ich glaube, wir können damit den Sachverhalt als abgeschlossen betrachten.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Forschung und Technologie.
Der Fragesteller der Frage 1, der Abgeordnete Stiegler, hat um schriftliche Beantwortung gebeten. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen. Der Herr Parlamentarische Staatssekretär Dr. Voss steht uns zur Verfügung.
Der Fragesteller der Frage 2, der Abgeordnete Linsmeier, hat um schriftliche Beantwortung gebeten. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Welche Schritte plant die Bundesregierung bezüglich der Abgrenzung von Gemeinnützigkeit bei Vereinsfesten und Vereinsgaststätten gegenüber der kommerziellen Gastronomie, um zu verhindern, daß die Wettbewerbsverzerrung sich in diesem Bereich noch weiter vergrößert?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Vereinsgaststätten werden, Herr Kollege Weng, immer als steuerpflichtige wirtschaftliche Geschäftsbetriebe behandelt. Abgrenzungsfragen stellen sich nur bei Vereinsfesten, die entweder steuerpflichtige wirtschaftliche Geschäftsbetriebe oder steuerbegünstigte gesellige Veranstaltungen sein können.
Nach einer bundeseinheitlichen Verwaltungsanweisung sind unter geselligen Veranstaltungen nur Veranstaltungen zu verstehen, die der Pflege der Geselligkeit, des Zusammengehörigkeitsgefühls der Mitglieder und der Werbung neuer Mitglieder dienen. Veranstaltungen, zu denen Nichtmitglieder unbegrenzten Zugang haben und die den Zuschnitt gewerblicher Veranstaltungen haben, sind nicht begünstigt.
Die obersten Finanzbehörden des Bundes und der Länder prüfen zur Zeit, ob die Grundsätze für die Abgrenzung zwischen steuerbegünstigten geselligen Veranstaltungen und steuerpflichtigen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieben gemeinnütziger Körperschaften in einer neuen Verwaltungsanweisung genauer festgelegt werden können.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter, bitte schön.
Herr Staatssekretär, wenn ich Sie richtig verstehe, bedeutet das, daß die Bundesregierung im Moment keine Schritte plant, Sie also meine Frage eigentlich dahin gehend hätten beantworten können. Darf ich aus Ihrer Antwort trotzdem die Frage ableiten, ob Sie eine Aussage darüber machen können, wann das Ergebnis dieser Prüfung zu erwarten ist?
Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Ich habe Ihnen bereits gesagt, Herr Kollege Weng, daß sich die obersten Finanzbehörden des Bundes und der Länder zur Zeit damit beschäftigen. Das dauert in der Regel nicht sehr lange, so daß man in absehbarer Zeit — ich kann das jetzt nicht auf einen Tag genau sagen, aber innerhalb der nächsten drei bis vier Wochen, schätze ich — mit dem Bemühen zu einem Ergebnis kommen wird, wie gesagt, hier noch gründlichere Abgrenzungsmöglichkeiten zu finden.
Wünschen Sie eine weitere Zusatzfrage? — Bitte schön.
Herr Staatssekretär, wären Sie freundlicherweise bereit, mir von dem Ergebnis dieser Gespräche umgehend Bescheid zu geben, damit ich den Versuch machen kann, auf das Finanzministerium Einfluß zu nehmen?
Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Die Ergebnisse, Herr Kollege Dr. Weng, sind in der Regel nicht geheim, so daß durchaus die Möglichkeit besteht, Ihnen, wenn das Ergebnis vorliegt, hiervon Kenntnis zu geben.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Tillmann.
Herr Staatssekretär, können Sie meine Auffassung bestätigen, daß es sich in dieser Frage nicht um ein Problem handelt, das der Gesetzgeber lösen müßte, sondern daß es sich hier allenfalls darum handelt, daß die Interpretation oder der Vollzug des Gesetzes angesprochen ist?
Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Tillmann, ich muß Ihnen absolut recht geben. Hier ist keine gesetzliche Vorschrift vonnöten, sondern es reicht durchaus, wenn Richtlinien da sind, die auch jetzt bereits bundesweit bestehen, vielleicht hier mit dem Versuch, noch klarere Kriterien der Abgrenzung zu finden. Richtlinien sind für diesen Zweck durchaus ausreichend.
Der Abgeordnete Klejdzinski hat ebenfalls den Wunsch, eine Zusatzfrage zu stellen.
Herr Staatssekretär, stimmen Sie mir in der Auffassung zu, daß die vorgelegten Fragen sehr verklausuliert Steuerrecht beinhalten, es hier aber im wesentlichen darum geht, beispielsweise lobbyismushaft für eine bestimmte Gruppe einzutreten bzw. über Richtlinienneufassung letztlich für diese Gruppe irgendwie Motor zu sein und die eigentliche Gruppe, nämlich die der Verbraucher, dabei nicht so zu berücksichtigen?
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11902 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 159. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. September 1985
Dr. Voss, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich kann Ihr Ansinnen, das Sie der Frage unterlegen, nicht bestätigen. Ich kann Ihnen nur sagen, daß hier versucht wird, Wettbewerbsverzerrungen, die vermieden werden müssen, in Zukunft in einem geringeren Ausmaß zu halten, als sie vielleicht jetzt da und dort, nicht allgemein, zu beklagen sind.
Damit ist der Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen abgeschlossen. Wir danken Ihnen, Herr Staatssekretär.
Bevor ich nun zum nächsten Geschäftsbereich komme, möchte ich das Haus von folgender Ausgangslage unterrichten. Wir haben für diese Fragestunde 34 Fragen. Normalerweise werden etwa 29 bis 31 Fragen abgehandelt. Ohne das Fragerecht der Abgeordneten in irgendeiner Form einschränken zu wollen, können wir es uns sparen, morgen eine Fragestunde für vier Fragen einzuräumen, wenn wir uns sehr um Konzentration bemühen. Dies wäre meine Bitte an das Haus. Ich betone nochmals: Das Fragerecht der Abgeordneten möchte ich damit in keiner Weise eingeschränkt sehen.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramts. Die Fragen 4 und 5 des Abgeordneten Schily, die Fragen 6 und 7 des Abgeordneten Neumann und die Fragen 8 und 9 des Abgeordneten Dr. Hauchler werden auf Grund der Richtlinien Nr. 2 Abs. 2 schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Herr Abgeordneter Verheugen, ich habe hier einen Vermerk, daß auch Ihre Frage schriftlich beantwortet wird. — Es tut mir schrecklich leid, ich werde von der Verwaltung eindeutig unterrichtet, daß für Ihre Fragen 10 und 11 eine schriftliche Beantwortung beantragt ist. Das gleiche trifft zu für die Fragen 12 und 13 des Abgeordneten Toetemeyer, 14, 15 des Abgeordneten Herterich, 16, 17 des Abgeordneten Bindig, für Frage 18 von Frau Borgmann, für Frage 19 der Abgeordneten Frau Dr. Hamm-Brücher. Abgeordneter Sauer , der die Frage 20 gestellt hat, bittet um schriftliche Beantwortung. Abgeordneter Kalisch — Frage 21 — bittet ebenfalls um schriftliche Beantwortung. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Wir kommen damit zur Frage 22 des Abgeordneten Dr. Rose. Herr Staatsminister, Sie stehen zur Beantwortung zur Verfügung; ich bitte, die Beantwortung vorzunehmen.
Beurteilt die Bundesregierung die in Pressemeldungen Mitte September erwähnten Selbstmordfälle im Auswärtigen Amt als Folge unzureichender Personalausstattung?
Herr Kollege Dr. Rose, zunächst eine Klarstellung vorweg. Ich weiß nicht, auf welche Pressemeldungen Sie sich im einzelnen bezogen haben. Ich möchte aber zu einer Pressemeldung vorweg sagen, es trifft nicht zu, daß es im Auswärtigen Amt seit 1984 19 Selbstmorde gegeben habe, wie eine große Zeitung gemeldet hat. Es waren in diesem Zeitraum
sieben Selbstmorde, die wir zu beklagen hatten. — Dies vorweg und nun zur Sache.
Durch den ständig wechselnden Einsatz im Inland und in den Auslandsvertretungen in allen Teilen der Welt sind die Bediensteten des auswärtigen Dienstes und ihre Familien starken physischen und psychischen Belastungen ausgesetzt. In den letzten Jahren haben diese Belastungen vor allem in den Ländern der Dritten Welt weiter zugenommen. Ich nenne nur die wichtigsten: vielfach monatelange Trennung von Familienangehörigen und Kindern, Eingewöhnung in neue klimatische, kulturelle und sprachliche Verhältnisse, Gefährdungen durch Gewaltkriminalität und zum Teil durch kriegerische Ereignisse, Versorgungslücken, unzureichende ärztliche Versorgung. Die Anhörung im Auswärtigen Ausschuß im Februar und März dieses Jahres hat davon ja ein anschauliches Bild gegeben.
Das Auswärtige Amt versucht, auf eine möglichst große Belastbarkeit seiner zukünftigen Mitarbeiter schon bei der Einstellung Wert zu legen; sie wird auch bei späteren Versetzungen berücksichtigt. Wo persönliche Probleme bekannt werden, leisten Vorgesetzte und Kollegen jede ihnen mögliche Hilfe, und trotzdem bleiben persönliche ausweglos erscheinende Krisen, die in Einzelfällen in einen Selbstmord münden, offenkundig unvermeidbar. Also in dem genannten Zeitraum sieben.
Es ist nicht in allen Fällen abgrenzbar, ob ein Selbstmord seinen Ursprung in der dienstlichen oder in der privaten Sphäre hat. Die besonderen Umstände des auswärtigen Dienstes bringen es mit sich, daß dienstliche und private Belastungen gegenwärtig sich beeinflussen und verstärken.
Wie Sie sehen, handelt es sich um eine oft vielschichtige Motivation. Es wäre deshalb ungerechtfertigt, die Selbstmordfälle im Auswärtigen Amt überwiegend auf eine unzureichende Personalausstattung zurückzuführen. Für das Auswärtige Amt besteht andererseits kein Zweifel, daß die starke Arbeitsbelastung vieler seiner Mitarbeiter auf ein Mißverhältnis zwischen Aufgabenzuwachs und Personalausstattung zurückzuführen ist. Dies gilt auch für eine nach Meinung des Auswärtigen Amtes mit künftig 59 Stellen noch unzureichende Personalreserve, die bei Versetzungen und Abordnungen immer wieder zu vielwöchigen Vakanzen und damit zu zusätzlichen Belastungen führt. Im Regierungsentwurf für den Haushalt 1986 sind 32 neue Stellen im Auslandskapitel vorgesehen.
Eine Zusatzfrage, bitte schön, Herr Abgeordneter.
Ich nehme mit Freude zur Kenntnis, daß die Selbstmordzahlen nicht so hoch sind wie in den Zeitungen geäußert. Herr Staatsminister, ich möchte Sie trotzdem fragen, ob es in den letzten Monaten und vielleicht in gewissen Regionen der Welt eine zunehmende Tendenz gibt.Möllemann, Staatsminister: Herr Dr. Rose, wir sind dieser Frage wie auch der Frage nach den Motiven nachgegangen. Die Motive sind sehr schwer zu eruieren, weil im Umfeld der Betroffenen
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 159. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. September 1985 11903
Staatsminister Möllemannim allgemeinen eine sehr große Scheu besteht, darüber amtlichen Stellen Auskünfte zu geben, und weil uns die Betroffenen selber nichts mehr mitteilen können.Was die Zahlen angeht: Im Jahre 1983 waren es fünf Selbstmorde, im Jahre 1984 ebenfalls fünf und in diesem Jahr bislang zwei. Das sind die konkreten Zahlen.Der Schwerpunkt liegt im Ausland. Hier in der Bundesrepublik Deutschland kommt es seltener zu Selbstmorden. Der Schwerpunkt liegt im allgemeinen in den Staaten der Dritten Welt.
Weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Rose? — Keine. Das Haus wünscht auch keine weiteren Zusatzfragen.
Dann rufe ich die Frage 23 des Abgeordneten Dr. Rose auf:
Beabsichtigt die Bundesregierung zur Lösung der angedeuteten Personalstrukturprobleme des Auswärtigen Amtes die vermehrte Einsetzung von Medizinern und Psychiatern?
Möllemann, Staatsminister: Herr Kollege Dr. Rose, das Auswärtige Amt kann seinen entsandten Mitarbeitern und ihren Familien das gesundheitliche Risiko im Ausland nicht abnehmen. Es muß sich aber zuerst darum bemühen, alle mit dem Dienst im Ausland verbundenen besonderen Belastungen soweit wie möglich zu verringern. Darüber hinaus muß es ärztliche und medizinische Vorsorgemaßnahmen ergreifen, um das Gesundheitsrisiko soweit wie möglich zu verringern.
Vordringlich ist in diesem Zusammenhang eine bessere Ausstattung mit Regionalarztstellen in der Dritten Welt. Im Haushaltsentwurf 1986 ist deshalb die Ausbringung einer weiteren Regionalarztstelle in Lagos vorgesehen.
Die Bundesregierung wird versuchen, den Gesundheitsdienst des Auswärtigen Amts auch in den folgenden Jahren im Rahmen des Möglichen auszubauen. Im Rahmen des Möglichen heißt: im Rahmen dessen, was wir angesichts des allgemein fortbestehenden Willens, den öffentlichen Haushalt konsolidiert zu halten, an zusätzlichen finanziellen Mitteln ermöglichen können.
In diesen Rahmen gehört nach Auffassung des Auswärtigen Amtes auch die Schaffung einer Arbeitseinheit „Sozialmedizinischer Dienst" im Auswärtigen Amt unter Leitung eines einschlägig erfahrenen Arztes. Eine solche Stelle haben wir bisher nicht. Dieser soll sich besonders derjenigen Mitarbeiter annehmen, bei denen die genannten Belastungen zu psychischen Problemen geführt haben.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter, bitte schön.
Nachdem ich registrieren kann, daß man in Zukunft nicht auf Psychiater angewiesen ist, aber mit Sicherheit den Gesundheitsdienst verbessern möchte und auch verbessern kann, möchte ich gern wissen, ob man weitere Regionalärzte haben möchte und ob das im Verhältnis
zu anderen auswärtigen Diensten — z. B. der USA, Frankreichs oder der Sowjetunion — besondere Berücksichtigung finden wird.
Möllemann, Staatsminister: Jedenfalls geben diese Zahlen einen Grund, eine größere Zahl von Regionalärzten zu beantragen. Wir brauchen nach unserer Überzeugung in allernächster Zeit mindestens drei. Wir verfügen derzeit in Afrika und Asien über fünf Regionalärzte, Frankreich hingegen über mehr als 100.
Das zeigt eine Ungleichgewichtung. Ich entnehme dem Zuruf des Abgeordneten Duve das, was ich sowieso gesagt hätte. Man kann es angesichts der unterschiedlichen Personaldichte und der Anteile von entsandten Kräften, aber auch Bürgern aus dem entsprechenden Mutterland, nur schwer vergleichen. Im allgemeinen sind auf der französischen Seite die Regionalärzte nicht nur für das diplomatische Personal tätig, sondern kümmern sich auch um französische Bürger, die in den entsprechenden Ländern leben und nicht im Staatsdienst stehen.
Weitere Zusatzfrage, bitte schön.
Herr Staatsminister, kommt nach Ihrer Ansicht ein Regionalarzt billiger oder teurer im Vergleich zu dem, was man sonst tun müßte, wenn jemand krank ist und diese betreffende Person in ein anderes Land muß oder jemand zur ärztlichen Betreuung eingeflogen wird?
Möllemann, Staatsminister: Das ist eine so pauschal schwer zu beantwortende Frage. Wenn alle die Dienste eines Regionalarztes in Anspruch nehmen und dieser auch alle Dienstleistungen, die gefragt sind, erbringen kann, wird das im Zweifel wahrscheinlich preiswerter sein, aber das Problem besteht darin, daß mit den im allgemeinen ja bescheidenen Ausstattungen schwerwiegendere Eingriffe von einem Regionalarzt gar nicht vorgenommen werden können, so daß regelmäßig Kosten beider Art anfallen. Ich kann diese Frage also so allgemein nicht beantworten.
Danke schön.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Graf Huyn.
Herr Staatsminister, angesichts dessen, was Sie gesagt haben, bin ich davon überzeugt, daß das Haus das Auswärtige Amt bei der Forderung nach mehr Regionalarztstellen unterstützen wird, aber sind Sie nicht mit mir der Meinung, daß es wahrscheinlich noch entscheidender ist, die von Ihnen angesprochene Sozialarztstelle in der Zentrale des Auswärtigen Amtes einzurichten, weil man dann bei den Versetzungen im Auswärtigen Dienst insgesamt überregional tätig werden könnte?Möllemann, Staatsminister: Hinsichtlich dessen, was das bewirken würde, bin ich mir selbst noch nicht ganz sicher. Wir haben uns bei der Vorbereitung dieser Fragestunde darüber unterhalten und
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11904 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 159. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. September 1985
Staatsminister Möllemannmeinen: Wenn man im Auswärtigen Amt, in der Zentrale, eine solche Arbeitseinheit schafft, gleichzeitig aber konstatiert, daß sich die ganz überwiegende Zahl der Selbstmordfälle eben nicht hier in Bonn, sondern in Ländern der Dritten Welt abgespielt hat, und wenn man dabei leider auch feststellen muß, daß es dafür vorher vergleichsweise wenige Indizien gegeben hat, daß also aus der Analyse der Einzelfälle hervorgeht, daß in einer ganzen Reihe von Fällen sehr stark private Motive, die nur bedingt vom Dienst mit beeinflußt worden sind, eine Rolle gespielt haben, dann ist nicht sicher, ob man mit einer solchen Einrichtung tatsächlich sehr weitgehend Abhilfe wird schaffen können.Andererseits finde ich, daß die Tatsache, daß eben die von mir genannte Zahl von Mitarbeitern in den Freitod gegangen ist, schon ein Grund ist, zu versuchen, dem mit einer solchen Einrichtung entgegenzutreten.
Danke schön.
Werden weitere Zusatzfragen gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Dann darf ich diesen Bereich für abgeschlossen erklären.
Es gibt offensichtlich Interpretationsschwierigkeiten hinsichtlich des Problems, ob die Frage 18 der Abgeordneten Frau Borgmann und die Fragen 10 und 11 des Herrn Abgeordneten Verheugen nach der Regelung in Nr. 2 Abs. 2 der Richtlinien für die Fragestunde schriftlich beantwortet werden müssen. Nach einer Überprüfung habe ich keinen Zweifel daran, daß die Frage der Frau Abgeordneten Borgmann nach dem Goethe-Institut im Zusammenhang mit dem Kulturabkommen zu sehen ist. Nicht ganz so sicher bin ich, ob dies auch für die Fragen des Herrn Abgeordneten Verheugen, die sich ja nicht auf den kulturellen Bereich beschränken, zutreffend ist.
Angesichts der Tatsache, daß der Abgeordnete Verheugen nun nicht mehr im Saal ist, erübrigt sich im Moment die Beantwortung dieser Frage. Ich bitte allerdings die Verwaltung, ernsthaft zu prüfen, ob hier nicht eine Mißinterpretation der Richtlinien vorliegen kann.
Damit schließe ich den Geschäftsbereich des Bundesministers des Auswärtigen ab. Ich bedanke mich beim Herrn Staatsminister.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung. Ich rufe die Frage 24 des Abgeordneten Lutz auf. — Der Abgeordnete befindet sich nicht im Saal. Dann wird nach der Geschäftsordnung verfahren, und das trifft ebenso für die Frage 25 des Abgeordneten Lutz zu.
Zu den Fragen 26 und 27 hat der Fragesteller, der Herr Abgeordnete Kirschner, um schriftliche Beantwortung gebeten. Dies wird geschehen; die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung.
Die Frage 28 des Herrn Abgeordneten Löffler wurde zurückgezogen.
Die Fragen 29 und 30 der Abgeordneten Frau Hoffmann werden, weil das beantragt worden ist, schriftlich beantwortet.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Jugend, Familie und Gesundheit.
Die Fragen 31 und 32 des Abgeordneten KrollSchlüter werden auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Die Fragen 33 und 34 der Abgeordneten Frau Schmidt sind von der Fragestellerin zurückgezogen worden.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr. Zur Beantwortung steht uns wiederum der Herr Parlamentarische Staatssekretär Dr. Schulte zur Verfügung.
Ich rufe Frage 35 des Abgeordneten Stahl auf:
Auf Grund welcher neuen Gutachten und Zahlen wurde der Ausbau der BAB 52, Teilstück Hostert/Waldniel bis westlich Elmpt bei der Vorlage des neuen Bundesfernstraßenausbauplanes durch den Bundesminister für Verkehr nicht in die Stufe „vordringlicher Bedarf" genommen?
Herr Staatssekretär, ich bitte Sie, die Antwort zu geben.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege, der ursprüngliche Vorschlag des Bundesverkehrsministeriums sah vor, die A 52 zwischen Mönchengladbach/Hardt und der deutsch-niederländischen Grenze der Stufe „Planungen" des neuen Bedarfsplanes zuzuordnen. Er war das Ergebnis einer nach bundeseinheitlichen Kriterien durchgeführten gesamtwirtschaftlichen, regionalpolitischen und ökologischen Projektbewertung.
Herr Staatssekretär, nun habe ich gehört, daß Sie irgendwann im August 1985 erklärt haben, diese Nichteinstufung im „vordringlicher Bedarf" sei auf einen Computerfehler zurückzuführen. Trifft das zu, oder was können Sie dazu ausführen?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, mir sind Computerfehler nicht bekannt. Meistens ist es bei den Computern so, daß sie falsch gefüttert werden. Bei der Frage nach der Fortschreibung des Bedarfsplans ging es zunächst einmal darum, daß man nach bundeseinheitlichen Kriterien einen Vorschlag erarbeitet, der dann mit den Bundesländern erörtert wird, weil nicht auszuschließen war, daß eine generalisierende Projektbewertung nicht alle örtlich und regional wichtigen Gegebenheiten erfaßt. In Ihrem Fall war es insbesondere die Frage nach den Ortsumgehungen und deren segensreichen Effekt.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Stahl.
Herr Staatssekretär, ich möchte ausdrücklich zur BAB 52 und natürlich auch zu den Ortsumgehungen im Zuge der B 221 fragen. Ich frage Sie nochmals: Trifft es nicht zu,
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 159. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. September 1985 11905
Stahl
was Sie eben bestätigt haben, daß die Herabstufung durch den Bundesverkehrsminister, nämlich die Nichtaufnahme in die höchste Dringlichkeitsstufe — vordringlicher Bedarf — auf Grund eines Computerfehlers stattgefunden hat?Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, wir haben bei all diesen Straßenprojekten ein Nutzen-Kosten-Verhältnis an der Technischen Universität Aachen ermitteln lassen. In Ihrem Fall ergab die Projektbewertung ein Nutzen-Kosten-Verhältnis von 3,0, allerdings für den gesamten Abschnitt. Angesichts des begrenzten Finanzvolumens konnten wir nur Maßnahmen mit einem Kosten-NutzenVerhältnis von 4,0 und aufwärts berücksichtigen. Nachdem wir aber nachher einzelne Projektbereiche herausnahmen — ich sprach bereits von den Ortsumgehungen —, ergab sich eine andere Bewertung.
Danke schön. — Sie hatten eigentlich Ihre zwei Zusatzfragen gestellt, Herr Abgeordneter. Ich sehe keine weiteren Möglichkeiten. Dann rufe ich die Frage 36 des Abgeordneten Stahl auf:
Trifft es zu, daß der Bundesminister für Verkehr seine Meinung inzwischen geändert hat und den Weiterbau der BAB 52 bis zur Staatsgrenze als „vordringlichen Bedarf" ausweisen will, und wenn ja, warum?
Ich bitte um die Beantwortung derselben.
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, als Ergebnis der Abstimmungsgespräche wird nun die 1. Fahrbahn der A 52 zwischen Mönchengladbach/ Hardt und westlich Elmpt für die Stufe „Vordringlicher Bedarf" vorgeschlagen mit dem Ziel, die Ortslagen Waldniel, Niederkrüchten und Elmpt baldmöglichst vom Durchgangsverkehr zu entlasten. Im übrigen verbleibt die A 52 in der Stufe „Planungen".
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Stahl, bitte schön.
Ich frage, bezogen auf das, was Sie bis jetzt geantwortet haben, aber auch noch zurückgreifend auf die Zusatzfragen, die ich vorhin gestellt habe und die Sie meiner Ansicht nach nicht sehr korrekt beantwortet haben, nochmals: Welche Veränderungen haben sich seit der letzten Beschlußfassung des alten Bundesfernstraßenausbauplanes, wo die BAB 52 bis zur Staatsgrenze in der höchsten Dringlichkeitsstufe war, gegenüber dem jetzigen ergeben, wo Sie als Bundesverkehrsministerium eine niedrigere Einstufung vorgenommen haben?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Also wir sind uns sicherlich einig, daß wir die Ortsumgehungen, von denen ich gerade sprach, ausnehmen müssen, weil sie im „vordringlichen Bedarf" enthalten sind. Für den Rest ist folgendes festzustellen. Erstens: Wir haben inzwischen andere Maßstäbe, insbesondere aus Gründen der Ökologie. Die Bewertungsverfahren sind anders. Dies wird demnächst in diesem Haus auch eingehend beraten werden, weil wir am letzten Mittwoch im Kabinett beschlossen haben,
wie der Bundesverkehrwegeplan aussehen soll. Der Teil „Straßen" wird als Gesetz verkündet werden. Es kommt hinzu, daß der Finanzrahmen gegenüber der Fortschreibung vor fünf Jahren erheblich enger geworden ist. Weiter kommt hinzu, daß bei den Gesamtausgaben für den Straßenbau der Anteil der Ersatzmaßnahmen erheblich größer geworden ist, so daß die Hauptbautitel eingeschränkt wurden. Auch der zeitliche Rahmen wurde für die oberste Kategorie verkürzt.
Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Stahl.
Herr Staatssekretär, ich darf nochmals nachfragen. Nachdem die Bundesregierung das nächste Teilstück der BAB 52 ab Hostert/Waldniel auf Vorschlag der nordrhein-westfälischen Landesregierung jetzt in die höchste Dringlichkeitsstufe — vordringlicher Bedarf — eingebracht hat, möchte ich wissen: Was war denn vorher in Ihrem Hause der Grund dafür, daß die Einstufung in „vordringlicher Bedarf", also die höchste Dringlichkeitsstufe, wie sie im letzten Bundesfernstraßenausbauplan enthalten war, nicht erfolgte, und erfolgte die Korrektur der Einstufung, wie Sie es einem Kollegen der CDU/CSU wohl verbindlich mitgeteilt haben, nur auf Grund eines Computerfehlers?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, es gibt viele Fälle im Bundesgebiet, wo inzwischen eine andere Einstufung vorgeschlagen ist als vor fünf Jahren. Ich habe vorhin schon gesagt, daß der zeitliche Rahmen kleiner geworden ist; ich habe gesagt, daß der Finanzrahmen geringer wurde und daß die Projektbewertung im einzelnen verändert wurde. — Vielleicht hören Sie mir noch zu; dann fahre ich in meiner Antwort fort. — Hinzu kommt: Es ist möglich, einen Abschnitt als Ganzes mit einem bestimmten Nutzen-Kosten-Verhältnis zu bewerten; es ist aber auch möglich, einzelne Abschnitte, z. B. Ortsumgehungen, herauszunehmen, die angesichts der Priorität, die die Bundesregierung Ortsumgehungen zumißt, in den allermeisten Fällen zu einem hohen Nutzen-Kosten-Verhältnis kommen.
Beim Gesamtabschnitt ging es zunächst einmal um ein Nutzen-Kosten-Verhältnis von 3,0. Wir haben die einzelne Maßnahme insgesamt ab 4,0 für den vordringlichen Bedarf vorgeschlagen. Nach den Gesprächen mit dem Land Nordrhein-Westfalen und nach der gesonderten Bewertung der Ortsumgehungen sind wir jetzt in der Lage — da gab es überhaupt keine Differenz —, den vordringlichen Bedarf für die genannten Ortsumgehungen vorzuschlagen.
Zusatzfrage des Abgeordneten Menzel.
Herr Staatssekretär, stimmt es dann, daß die Mitteilung, die andere Einordnung sei auf Grund eines Computerfehlers erfolgt, falsch war?
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11906 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 159. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. September 1985
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich müßte dem Schriftwechsel, irgendeiner mündlichen Auskunft oder irgendeiner Pressemeldung nachgehen. Ich kann mich im Augenblick an den Begriff „Computerfehler" als offizielle Sprache seitens des Bundesverkehrsministeriums nicht erinnern. Aber vielleicht können Sie mir da helfen; vielleicht haben Sie diesbezüglich einen konkreten Hinweis.
Zusatzfrage des Abgeordneten Sperling.
Herr Staatssekretär, programmieren im Verkehrsministerium noch Menschen den Computer, oder programmiert der Computer die Aussagen des Staatssekretärs?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, es ist tröstlich, daß immer noch die Menschen den Knopf drücken.
Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Klejdzinski.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Staatssekretär, da Sie sich nicht an einen Computerfehler erinnern können: Können Sie sich denn vorstellen, daß ein falsches Programm in den Computer eingegeben worden ist?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, es war von vornherein klar, daß nur generalisierende Verfahren Gegenstand der Untersuchung bei der Technischen Universität Aachen sein konnten. Es war von vornherein klar, daß diese allgemeinen Ergebnisse nachher mit den Ländern durchgespielt werden, um regionalpolitische, um örtliche Gegebenheiten und Besonderheiten auf Grund des Natur- und Umweltschutzes berücksichtigen zu können. Diese Zweistufigkeit war also von vornherein Teil des geplanten und z. B. allen Mitgliedern des Verkehrsausschusses bekannten Verfahrens.
Dies veranlaßt die Abgeordnete Frau Steinhauer, eine weitere Zusatzfrage zu stellen.
Herr Staatssekretär, habe ich Sie richtig verstanden, daß Sie gesagt haben, es sei nicht die Sprache des Ministeriums, sich auf Computerfehler zurückzuziehen? Gibt es sonst keine Computerfehler bei dem Bundesverkehrswegeplan?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, es ist einigen Mitgliedern dieses Hauses bekannt, daß bei diesem Verfahren, das die Technische Universität Aachen im Auftrag des Bundesverkehrsministers durchgeführt hat, ein paar Fehler vorkamen. Ich hoffe, daß wir inzwischen allen auf die Spur gekommen sind. Ich muß allerdings sagen: Dies waren nicht Fehler der Art, wie sie der Kollege Stahl vorhin gemeint hat.
Ich bitte, darüber nachzudenken, ob die letzten Fragen wirklich im Zusammenhang mit der Bundesautobahn 52 zu sehen sind.
— Danke schön. Mein Hinweis ist angekommen.
Ich darf dann Frage 37 des Abgeordneten Tillmann aufrufen:
Ist die in einer Zeitungsanzeige gemachte Feststellung richtig, daß die Unfallbilanz auf den Highways der Vereinigten Staaten von Amerika gravierend schlechter ist als die auf den bundesdeutschen Autobahnen, obwohl es für diese Straßen in den USA eine rigorose Geschwindigkeitsbegrenzung gibt, während in der Bundesrepublik Deutschland die Richtgeschwindigkeit von 130 Kilometer/Stunde ohne verbindliches Tempolimit gilt?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Tillmann, die Feststellung, daß die Unfallbilanz auf den Highways der Vereinigten Staaten von Amerika gravierend schlechter ist als die auf den bundesdeutschen Autobahnen, ist so nicht richtig.
Mit den deutschen Autobahnen vergleichbar sind in etwa die Interstate Highways in den Vereinigten Staaten. Bei einem Vergleich der Getötetenraten — exakt: der Anzahl der bei Straßenverkehrsunfällen Getöteten je 100 Millionen Fahrzeugkilometer — ergibt sich folgendes Bild: 1984 betrug diese Rate auf deutschen Autobahnen ca. 0,75 und war damit genauso hoch wie die auf Interstate Highways 1983, auf denen eine Geschwindigkeitsbegrenzung von 55 Meilen mph, das sind 88 km/h, gilt.
Zusatzfrage des Abgeordneten Tillmann. Bitte, Herr Abgeordneter.
Herr Staatssekretär, sind der Bundesregierung Ergebnisse zugänglich, wie sich die Straßenverkehrsunfallsbilanz im Jahre 1985 in der Bundesrepublik Deutschland im Vergleich zu den Vereinigten Staaten von Amerika entwickelt hat?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Tillmann, wir haben die Zahlen für das Jahr 1985 selbstverständlich noch nicht. Ich kann folgende Vergleiche und Tendenzen erwähnen: Seit 1970 verlief die Unfallentwicklung in unserem Lande erheblich günstiger als auf den vergleichbaren Interstate Highways in den USA. Auf den deutschen Autobahnen betrug die Getötetenrate bis 1973 ca. 2,7, sank 1972 auf etwa 2, sank im Jahre 1981 auf etwa 1 und im Herbst 1984 auf 0,75.
In den USA betrug die Getötetenrate bis 1973 — das ist ein Fachausdruck, der mir wenig schön erscheint — etwa 1,7, also um etwas mehr als die Hälfte, sank bis 1974 auf etwa 1, stagnierte bis 1981 bei 1 und sank im Jahre 1983 auf 0,75. Zu diesem Zeitpunkt werden die Getötetenraten also vergleichbar, während wir vorher um vieles schlechter dran waren.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Sperling, bitte sehr.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 159. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. September 1985 11907
Herr Staatssekretär, können Sie mir sagen, wer die Zeitungsanzeige aufgegeben hat, auf die sich die Frage des Kollegen Tillmann bezieht, und ob derjenige, der sie aufgegeben hat, zum Beraterkreis des Bundesverkehrsministers gehört?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich bin nur den Statistiken nachgegangen, die mir zugänglich waren. Ich weiß nicht, wer die Anzeige aufgegeben hat. Vielleicht erschien sie in Ihrem Wahlkreis im Lokalblatt.
Danke schön. Weitere Zusatzfragen werden zu dieser Frage nicht gewünscht. Ich rufe die Frage 38 des Abgeordneten Tillmann auf:
Entspricht die in einer Zeitungsanzeige aufgestellte Behauptung den Tatsachen, daß in den USA im Jahre 1984 mehr als 195 Menschen pro eine Million Einwohner bei Straßenverkehrsunfällen ums Leben kamen, also 64 v. H. mehr als in der Bundesrepublik Deutschland mit 125 Verkehrstoten pro eine Million Einwohner, und stimmt es, daß trotz der Geschwindigkeitsbegrenzung auf den Highways in den USA 28 800 von 45 800, also fast 63 v. H. der Verkehrstoten, außerorts zu beklagen waren?
Herr Staatssekretär!
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege! Bezieht man die Anzahl der bei Straßenverkehrsunfällen getöteten Personen auf die Einwohnerzahl, so ergibt sich für die Bundesrepublik Deutschland 1983 mit rund 191 Getöteten pro 1 Million Einwohner ein im Vergleich zu den USA — dort waren es 182 Getötete pro 1 Million Einwohner — höherer Wert.
Für 1984 liegen endgültige Ergebnisse noch nicht vor. Wir gehen allerdings davon aus, daß sich die Relation zugunsten der Bundesrepublik Deutschland verschiebt, weil in den USA die Zahl der getöteten Personen gestiegen, in der Bundesrepublik Deutschland — das wissen wir bereits — um rund 13% gesunken ist.
Von den 1983 insgesamt 42 584 bei Straßenverkehrsunfällen in den USA ums Leben gekommenen Personen verunglückten 24 486 oder 58 % auf Außerorts-Straßen. Mit den Bundesautobahnen vergleichbar sind jedoch — wie vorher schon erwähnt — nur die Interstate Highways, wo insgesamnt 4 029 Verkehrstote zu beklagen waren, darunter 2 151 oder 53% im Bereich außerhalb von Stadtautobahnen. Die vergleichbaren Zahlen sind also 58% und 53%.
Herr Abgeordneter Sperling hatte sich zu einer Zusatzfrage gemeldet. Bitte schön.
Herr Staatssekretär, würden Sie sich gütigerweise vom Kollegen Tillmann die Zeitung und die Anzeige nennen lassen und dann überprüfen, ob etwa die Meinung des Bundesverkehrsministers zur Geschwindigkeitsbegrenzung von denjenigen mit beeinflußt worden ist, die solche Anzeigen aufgeben?
Herr Abgeordneter, ich gehe nicht davon aus, daß die Antwort hier im Hause in einem Dialog gegeben wird.
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, gehen Sie bitte davon aus — und ich hoffe, daß dies bei der früheren Bundesregierung genauso war —, daß sich die Regierung ihre Meinung selber bildet.
Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Klejdzinski.
Herr Staatssekretär, kann man bei Ihrem Meinungsbildungsprozeß davon ausgehen, daß die von Ihnen heute genannten Statistiken für eine Tempoänderung, sprich Geschwindigkeitsbegrenzung, sprechen? Oder umgekehrt?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, es ging ja, wenn ich das Motiv des ersten Fragestellers richtig verstanden habe, wohl darum, daß irgend jemand nachzuweisen versuchte, ein Tempolimit wie in den USA führe nicht zu einer besseren Unfallbilanz. Ich habe Ihnen die Entwicklungen genannt, die es in den USA wie bei uns gegeben hat. Aus dem Ergebnis kann man jedenfalls nicht die Behauptung herleiten, eine Beschränkung auf 55 Meilen pro Stunde bringe eine bessere Unfallbilanz. Ich habe auch gesagt, daß es in den verschiedenen Jahren verschiedene Daten gab, daß wir erst in den letzten Jahren aufgeholt haben. Wir müssen wissen, daß zu dem Gesamtsystem Straße eine ganze Reihe von Faktoren gehören, die das Unfallgeschehen bestimmen. Einen einzelnen Faktor hier herauszuholen, wäre sicherlich nicht gerechtfertigt und widerspricht allem, was inzwischen wissenschaftlich erarbeitet wurde.
Danke schön. Weitere Fragen werden nicht gestellt.Ich rufe die Fragen 39 und 40 des Herrn Abgeordneten Schulte auf. — Der Abgeordnete Schulte ist nicht im Saal. Es wird nach der Geschäftsordnung verfahren.Wir kommen zu den Fragen 41 und 42 des Abgeordneten Ströbele. Diese Fragen sind zurückgezogen worden.Die Fragen 43 und 44 des Abgeordneten Werner sind ebenfalls zurückgezogen worden.Auch die Frage 45 des Abgeordneten Lange ist zurückgezogen worden.Die Fragen 46 und 47 des Abgeordneten Senfft sind zurückgezogen worden.Die Fragen 48 und 49 des Abgeordneten Carstensen werden auf dessen Wunsch schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.Für die Fragen 50 und 51 des Abgeordneten Dr. Olderog wird ebenfalls eine schriftliche Antwort gewünscht. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
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11908 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 159. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. September 1985
Vizepräsident CronenbergDas gleiche trifft zu für die Fragen 52 und 53 der Abgeordneten Frau Roitzsch . Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.Damit ist der Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr erledigt. Ich bedanke mich, Herr Staatssekretär.Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für das Post- und Fernmeldewesen auf. Zur Beantwortung steht uns Herr Staatssekretär Rawe zur Verfügung.Die Fragen 54 und 55 des Abgeordneten Dr. Jobst sollen, wie mir gerade mitgeteilt wird, auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.Ich rufe die Frage 56 des Abgeordneten Dr. Klejdzinski auf:Trifft es zu, daß die Bundesregierung für den künftigen Rundfunksatelliten TV-SAT die neue Fernsehnorm D-2 MAC einführen wird, und wenn ja, ist der Bundesregierung dann bekannt, daß die Programme des TV-SAT nur mit einem teureren Vorsatzgerät empfangen werden können, die zudem ab 1986 nur in beschränkter Stückzahl dem Markt zur Verfügung stehen werden?Herr Staatssekretär Rawe, bitte sehr.
Herr Präsident, wenn der Herr Kollege Klejdzinski damit einverstanden ist, würde ich seine beiden Fragen wegen des Sachzusammenhangs gern gemeinsam beantworten.
Herr Abgeordneter, sind Sie einverstanden?
Nein, Herr Staatssekretär, weil die zu kompliziert sind.
Herr Staatssekretär, dann müssen wir dem Wunsch des Abgeordneten Rechnung tragen. Ich bitte um Einzelbeantwortung.
Rawe, Parl. Staatssekretär: Aber sicher, Herr Präsident.
Herr Kollege Dr. Klejdzinski, es trifft zu, daß die Fernsehsignale der Programme über den deutschen Rundfunksatelliten TV-SAT in einem neuen Standard mit europäischem Zuschnitt abgestrahlt werden sollen. Nicht zutreffend ist die Ansicht, daß der Empfang von Rundfunksatelliten durch die Verwendung dieses neuen Verfahrens erheblich verteuert werde; vielmehr entsteht ein nicht unerheblicher Empfangsaufwand generell beim Einzelempfang von Satelliten. Die deutsche Industrie hat sich auf die Herstellung und den Vertrieb der erforderlichen zusätzlichen Geräte für den Satellitenempfang eingestellt.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter, bitte schön.
Herr Staatssekretär, ich finde es ja löblich, daß Sie in diesem Falle von den Interessen der Industrie reden und darauf eingehen. Wie sieht denn die Sache aus der Sicht der Verbraucher hinsichtlich der Kosten usw. aus?
Rawe, Parl. Staatssekretär: Nun, Herr Kollege Dr. Klejdzinski, ich denke, ich habe klargemacht, daß beim Empfang von Rundfunksatelliten — wobei ich noch einmal deutlich machen will: wir unterscheiden ja zwischen Rundfunksatelliten und Satelliten, die in erster Linie für die Übertragung von Signalen für Fernsprecheinrichtungen und ähnlichem vorgesehen sind — generell entsprechende Mehrkosten entstehen; es entstehen also nicht nur dadurch Mehrkosten, daß die neue Norm eingeführt wird.
Eine weitere Zusatzfrage? — Das ist nicht der Fall.
Wir kommen zur Beantwortung der Frage 57 des Abgeordneten Dr. Klejdzinski:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß die Entscheidung zur Folge haben wird, daß der TV-SAT auf längere Sicht mit den Nachrichtensatelliten gleichgestellt wird, weil die TVSAT-Programme überwiegend über Kabelanlagen, nicht jedoch über Dachparabolantennen empfangen werden können, und wenn ja, teilt die Bundesregierung dann meine Meinung, daß die Ausgaben der Bundesregierung für die technische Entwicklung des direkt abstrahlenden Rundfunksatelliten damit zweckentfremdet werden?
Rawe, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, wegen der hohen nicht normabhängigen Kosten beim Einzelempfang über eine sogenannte Dachparabolantenne wird zu recht prognostiziert werden können, daß in den ersten Jahren nur über Kabelanlagen wesentliche Teilnehmerzahlen erreicht werden. Eine Gleichstellung der Rundfunksatelliten mit Fernmeldesatelliten nur aus Gründen der Marktdurchdringung ist wegen signifikanter Unterschiede nicht möglich.
Rundfunksatelliten sind für den unmittelbaren Empfang durch die Allgemeinheit ohne Beschränkung auf Kabelteilnehmer definiert. Alle wichtigen technischen Parameter für den unmittelbaren Empfang von Rundfunksatelliten wurden deshalb bereits in der weltweiten Funkverwaltungskonferenz von 1977 in Genf festgelegt.
Die Bundesregierung ist auch nicht der Auffassung, daß hier Mittel zweckentfremdet verwendet werden, da die beabsichtigte Förderung der raumfahrt- und nachrichtentechnischen Industrie sowie die Möglichkeit des kabelunabhängigen Direktempfangs in der Bundesrepublik und in Europa erzielt werden.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter.
Herr Staatssekretär, nach dieser, auch nach meiner Einschätzung sehr langen und komplizierten Antwort möchte ich dennoch nachfragen, ob auch aus Sicht der Verbraucher die von der Post getroffene Regelung letztlich bezogen auf den Steuerzahler, zu vertreten ist?Rawe, Parl. Staatssekretär: Zunächst, Herr Kollege, bitte ich um Nachsicht, daß komplizierte Fragen auch komplizierte Antworten erfordern.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 159. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. September 1985 11909
P
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Es ist eine falsche Auffassung, wenn man glaubt, daß es hier auf die neue Form der Übertragung ankommt; vielmehr ist der Empfang von Rundfunksatelliten im Einzelempfang über Parabolantennen einfach wegen des größeren technischen Mehraufwandes teurer. Das kann man bedauern, aber ich glaube, wir werden es nicht ändern.
Zu einer weiteren Zusatzfrage, bitte, Herr Dr. Klejdzinski.
Herr Staatssekretär, wenn man von den Kosten ausgeht, die einerseits die Kabelanlagen beanspruchen, und wenn man weiterhin davon ausgeht, daß die Gebühr, die dafür gezahlt werden muß, auch Kosten sind, und wenn man diese Kosten über einen bestimmten Zeitraum hin in Relation zu den Kosten einer Parabolantenne setzt, die keine laufende Kostenbelastung für den Verbraucher beinhaltet, könnte man daraus resultierend nicht folgern, daß Kostenvorteile hier nicht kritisch genug für den Verbraucher durchleuchtet worden sind?
Rawe, Parl. Staatssekretär: Ich bitte um Nachsicht, Herr Kollege, aber ich kann Ihnen nicht folgen; denn niemand muß sich ans Kabel anschließen, jeder hat die Freiheit, die teure Parabolantenne für den Rundfunkempfang über Rundfunksatelliten zu wählen.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Sperling.
Herr Staatssekretär, ist aber dann nicht dennoch richtig, daß die Veränderung der Norm mit den Konsequenzen, die in den Fragen erwähnt worden sind, der Verkabelung einen Vorteil verschaffen wird gegenüber dem Einzelempfang?
Rawe, Parl. Staatssekretär: Das mag im einzelnen und für einzelne Gebiete zutreffend sein, aber dies ist ja nicht Grundlage der Entscheidung gewesen, sondern Sie wissen, daß die Grundlage — — Ja aber, Herr Kollege Sperling, zucken Sie nicht mit den Achseln.
— Aber sicher, ich will Ihnen nur deutlich machen, was Grundlage der Entscheidung war. Grundlage der Entscheidung war, daß die europäischen Staaten endlich eine gemeinsame und technisch auf dem neuesten Stand befindliche Norm einheitlich wollten. Das hat zu dieser Entscheidung geführt und nicht die Gründe, die Sie vermuten.
Danke schön. Damit sind wir am Ende des Geschäftsbereichs des Bundesministers für das Post- und Fernmeldewesen. Herr Staatssekretär, ich bedanke mich.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft auf.
Die Frage 58 des Abgeordneten Milz wird auf dessen Wunsch schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 59 der Frau Abgeordneten Steinhauer auf:
Trifft es zu, daß der Bundesminister für Bildung und Wissenschaft die Teilnahme an der Eröffnungsveranstaltung des am 30. September 1985 beginnenden Romanistentages abgelehnt hat, falls diese in den Räumen der Universität-Gesamthochschule Siegen stattfindet, und wird die Eröffnungsveranstaltung — im Gegensatz zur Tagung selbst — aus diesem Grunde außerhalb der Universität-Gesamthochschule Siegen durchgeführt?
Herr Staatssekretär Pfeifer steht uns zur Beantwortung zur Verfügung. Herr Staatssekretär, Sie haben das Wort.
Herr Präsident, falls Frau Kollegin Steinhauer einverstanden ist, möchte ich die Fragen 59 und 60 gern im Zusammenhang beantworten.
Die Frau Kollegin ist einverstanden.
Ich rufe also auch die Frage 60 der Abgeordneten Frau Steinhauer auf:
Wie wird eine solche Einstellung begründet, und kann man daraus schließen, daß Hochschulen für den Bundesminister für Bildung und Wissenschaft ein Tabubereich sind?
Pfeifer, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, Ihre Annahme trifft nicht zu. Der Deutsche Romanistenverband hat Frau Bundesminister Dr. Wilms im Herbst 1984 ohne Nennung eines Veranstaltungsortes zum Deutschen Romanistentag 1985 eingeladen. Frau Minister hat diese Einladung — ebenfalls im Herbst 1984 — ohne Vorbehalt angenommen.
Danke schön. — Zusatzfrage, Frau Abgeordnete.
Herr Staatssekretär, wollen Sie mit Ihrer Antwort zum Ausdruck bringen, daß nach der schon über ein Jahr zurückliegenden Zusage bei der Konkretisierung der Veranstaltung kein Gespräch mit Ihrem Ministerium stattgefunden hat, als in den Hochschulräumen schon alles festgelegt worden war, und würden Sie mir zustimmen, daß auf Grund der Intervention Ihres Hauses eine Verlegung in die Bismarck-Halle in Siegen erfolgen mußte?Pfeifer, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, ich habe mir im Hinblick auf Ihre Fragen die gesamten im Ministerium vorliegenden Unterlagen nochmals angesehen. Dabei hat sich folgendes ergeben: Bereits in einem Gespräch am 18. Oktober 1984 habe ich gegenüber dem Vorsitzenden des Romanistenverbandes, Herrn Professor Nies, ohne Vorbehalt zum Ausdruck gebracht, daß der Bundesminister für Bildung und Wissenschaft einer Einladung des Romanistenverbandes gerne folgen wird.Daraufhin hat der Vorsitzende des Romanistenverbandes Frau Minister Dr. Wilms am 25. Oktober 1984 ohne Nennung eines Veranstaltungsortes ein-
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11910 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 159. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. September 1985
Parl. Staatssekretär Pfeifergeladen. Mit Schreiben vom 9. November 1984 hat Frau Dr. Wilms diese Einladung — ebenfalls ohne Vorbehalt — angenommen.Der Veranstaltungsort ist erstmals in einem Schreiben des Vorsitzenden des Romanistenverbandes vom 21. Mai 1985 genannt worden. Dort wird mitgeteilt, daß die Eröffnungsveranstaltung am 30. September 1985 um 13.30 Uhr stattfinden soll. Es heißt dann wörtlich:Ort der Veranstaltung wird voraussichtlich die Siegener Stadthalle sein. Eine definitive Bestätigung erfolgt so bald wie möglich.Dem hat das Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft zugestimmt.Im übrigen möchte ich sagen, daß es nichts Außergewöhnliches ist, wenn ein großer wissenschaftlicher Kongreß in einer Stadt auch außerhalb der Hochschule eröffnet wird. Ich darf daran erinnern, daß beispielsweise die Eröffnung des Internationalen Germanistenkongresses in Göttingen kürzlich ebenfalls in der Stadthalle stattgefunden hat, während andere Veranstaltungen in den Räumlichkeiten der Universität stattfanden.
Weitere Zusatzfrage, Frau Steinhauer, bitte schön.
Ich muß leider feststellen, daß meine Frage nicht beantwortet wurde. Ich habe gefragt: Hat ein Gespräch, das noch nicht lange her sein soll, mit dem Ministerium stattgefunden, nachdem bereits alle Vorbereitungen für die Eröffnung der Veranstaltung in der Aula der Universität/Gesamthochschule getroffen worden waren, und ist aus dem Ministerium geantwortet worden: Nein, dann kommt die Frau Ministerin nicht? Im übrigen: Die Veranstaltung findet nicht in der Stadthalle, sondern in der Bismarck-Halle statt. Das ist etwas anderes als die Siegerland-Halle.
Pfeifer, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, ich muß nochmals sagen: Ich habe die Unterlagen durchgesehen und darin keinen Hinweis auf das gefunden, was Sie hier vortragen. Der Veranstaltungsort ist zum erstenmal in einem Brief vom 21. Mai 1985 genannt worden. Da ist gesagt — ich wiederhole das —: „voraussichtlich die Siegener Stadthalle". Dem hat Frau Dr. Wilms zugestimmt.
Weitere Zusatzfrage? — Bitte schön, Frau Abgeordnete.
Ich muß noch einmal fragen: Hat ein Telefonat stattgefunden, ja oder nein, oder ist das im Ministerium nicht zu klären, ist nicht mit Ihnen und dem Ministerbüro gesprochen worden?
Pfeifer, Parl. Staatssekretär: Über das Gespräch, das ich mit Herrn Professor Nies geführt habe, habe ich hier berichtet. Die Unterlagen, die ich hier angesprochen habe, sind hinsichtlich der von Ihnen gestellten Frage eindeutig.
Eine letzte Zusatzfrage, Frau Abgeordnete.
Herr Staatssekretär, finden Sie es nicht eigenartig, daß alle Veranstaltungen in der Hochschule stattfinden, daß das Veranstaltungsbüro, das Tagungsbüro in der Hochschule bleibt, daß aber alle Teilnehmer durch die Verlegung der Eröffnungsveranstaltung mehrere Kilometer Hin- und Herfahrten in Kauf nehmen müssen?
Pfeifer, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, ich möchte nochmals sagen: Das ist nichts Außergewöhnliches. Ich habe auf den Internationalen Germanistenkongreß in Göttingen hingewiesen, bei dem die Eröffnung auch nicht in der Hochschule, sondern in der Stadthalle stattgefunden hat.
Im übrigen möchte ich, was den Hintergrund Ihrer Frage angeht — Sie intendieren ja damit, daß Frau Minister Wilms nicht in die Hochschule gehen möchte —, sagen, daß nach dem mir vorliegenden Plan am 30. September nach der Eröffnung um 16 Uhr ein Empfang des Rektors der Universität/ Gesamthochschule Gießen und anschließend ein Gespräch mit Vertretern des AStA in Gießen stattfindet, an dem Frau Minister Wilms teilnehmen wird. Ich meine, das macht doch deutlich, daß das, was Sie mit Ihrer Frage intendieren, einfach nicht zutreffend ist.
Herr Abgeordneter Kuhlwein hat eine Zusatzfrage. Ich möchte allerdings das Haus noch einmal auf meine Eingangsbemerkung aufmerksam machen.
Herr Staatssekretär, ich möchte jetzt nicht die Frage stellen, ob Sie soeben vielleicht Siegen und Gießen verwechselt haben. Ich wollte fragen, ob wir Ihren Antworten entnehmen können, daß Frau Minister Wilms große Neigung zeigt, an Veranstaltungen in den Hochschulen teilzunehmen.
Pfeifer, Parl. Staatssekretär: Frau Minister Wilms hat in den zurückliegenden Monaten immer wieder an Veranstaltungen in den Hochschulen teilgenommen. Ich wiederhole, daß auch in Siegen um 16 Uhr die Teilnahme an einem Empfang und die Teilnahme an einem Gespräch mit Vertretern des AStA auf dem Hochschulgelände — genau: in der Universitätsbibliothek — vorgesehen ist.
Mit Rücksicht darauf, daß Frau Steinhauer zwei Fragen gestellt hat, kann ich Ihnen eine weitere Zusatzfrage nicht verweigern, Herr Abgeordneter. Bitte schön.
Herr Staatssekretär, können Sie uns vielleicht auch mitteilen, wie oft Mitglieder der Leitung des Bundesministeriums für Bildung und Wissenschaft in den letzten zwei Jahren an öffentlichen Veranstaltungen in den Hochschulen, z. B. zum Hochschulrahmengesetz, teilgenommen haben?
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 159. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. September 1985 11911
Pfeifer, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich finde, das geht in der Tendenz, die dieser Frage zugrunde liegt, jetzt einfach zu weit. Ober diese Veranstaltungen wird in der Presse berichtet. Daß die Veranstaltungen zum Teil sehr lebhaft waren, ergibt sich aus der Thematik. Aber gerade was Frau Minister Dr. Wilms angeht, möchte ich sagen, daß sie in den zurückliegenden Monaten z. B. in Regensburg, in Düsseldorf, in Kiel und in Aachen Universitäten und Hochschulen besucht hat. Ich meine also, daß das, was Sie mit Ihrer Fragestellung intendieren wollen, einfach keine Grundlage hat.
Herr Abgeordneter Stahl, wünschen Sie auch noch eine Zusatzfrage zu diesem Thema? — Dann bitte sehr. Ich bitte aber, sich über den Inhalt der Fragen noch einmal zu informieren. Ich weiß nämlich nicht, ob die letzte Frage des Abgeordneten Kuhlwein wirklich in dem notwendigen direkten Zusammenhang gestanden hat.
Herr Staatssekretär, könnten Sie hier vielleicht darstellen, wann das Gespräch zwischen dem AStA und dem Ministerium festgelegt worden ist?
Pfeifer, Parl. Staatssekretär: Ich bin jetzt nicht in der Lage, den genauen Zeitpunkt zu sagen. Das ist in den letzten Tagen geschehen, weil dem Ministerium bekanntgeworden ist, daß der AStA Wert auf ein Gespräch mit Frau Minister Dr. Wilms legt. Dem hat Frau Minister Dr. Wilms sofort entsprochen.
Es liegen keine weiteren Zusatzfragen vor. Ich schließe den Bereich des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft und bedanke mich bei Herrn Staatssekretär Pfeifer.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern auf. Zur Verfügung steht uns Herr Parlamentarischer Staatssekretär Spranger.
Die Fragen 61 und 62 des Abgeordneten Dr. Nöbel werden auf seinen Wunsch schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe die Frage 63 des Abgeordneten Fellner auf:
Welche Maßnahmen wurden von Bund und Ländern seit dem starken Anstieg der Asylbewerberzahlen Ende der 70er Jahre ergriffen, um die Anerkennungsverfahren zu beschleunigen?
Herr Staatssekretär, Sie haben das Wort.
Herr Kollege Fellner, seit Ende der 70er Jahre sind folgende gesetzliche Regelungen zur Beschleunigung des Asylverfahrens ergangen: 1978 Gesetz zur Beschleunigung des Asylverfahrens, 1980 Zweites Gesetz zur Beschleunigung des Asylverfahrens, 1982 Neuordnung des Asylverfahrensrechts durch das Asylverfahrensgesetz mit den Hauptbeschleunigungselementen, 1984 Erstes Gesetz zur Änderung des Asylverfahrensgesetzes mit der Verlängerung des Eilverfahrens für offensichtlich unbegründete Asylanträge bis 1988. Dem Ziel der Beschleunigung dient auch das verstärkte Tätigwerden des Bundesamtes vor Ort, in unmittelbarer Nähe zentraler Landesbehörden.
Die Länder haben zur Beschleunigung insbesondere durch Einrichtung zentraler Landesbehörden sowie Erweiterung der gerichtlichen Kapazitäten beigetragen.
Zwei Gesetzentwürfe des Bundesrates zur Änderung des Asylverfahrensgesetzes liegen dem Deutschen Bundestag vor.
Eine interministerielle Arbeitsgruppe der Bundesregierung prüft derzeit weitere Maßnahmen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Fellner? — Das ist nicht der Fall. Bitte sehr, Herr Abgeordneter Lambinus.
Herr Staatssekretär, können Sie mir bei der Feststellung zustimmen, daß diese Antwort auch der Wissenschaftliche Dienst dieses Hauses hätte geben können?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Ich betrachte es als Auszeichnung, daß Sie diese Bewertung vornehmen.
Außerdem, Herr Abgeordneter, ist wirklich kein Zusammenhang mit dem Inhalt der Frage festzustellen. Die Art der Beantwortung spielt hier keine Rolle.
Wir kommen zur Frage 64 des Abgeordneten Fellner:
In welchem Umfang wurde das Personal des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge in den letzten Jahren erhöht, und welche Stellenvermehrungen sind in der gegenwärtigen Situation vorgesehen?
Herr Staatssekretär.
Spranger, Parl. Staatssekretär: Zur Bewältigung des seit Ende der 70er Jahre erheblich gestiegenen Arbeitsanfalls wurden dem Bundesamt zunächst Aushilfskräfte zur Verfügung gestellt. Allein 1981 waren es 169 Personen. Mit dem Nachtragshaushalt 1982 erhielt das Bundesamt insgesamt 80 neue Planstellen und Stellen. Angesichts des erneuten starken Anstiegs der Asylbewerberzahl 1984 und 1985 ist im Entwurf des Bundeshaushalts 1986 eine Personalverstärkung um insgesamt 126 neue Mitarbeiter vorgesehen, und zwar 70 Planstellen/Stellen, 40 z. A.-Beamte, 16 Aushilfskräfte. Im Vorgriff auf den Haushalt 1986 werden bereits ab 1. Oktober 1985 90 neue Mitarbeiter eingestellt.
Mit personellen Maßnahmen allein sind die Asylprobleme jedoch nicht zu lösen.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter? — Bitte sehr.
Herr Staatssekretär, um der Gefahr zu entgehen, daß wieder ein Kollege der SPD meine Fragen kommentiert, stelle ich lieber selber fest, daß ich mir diese Antworten natürlich durch Anruf beim Bundesamt hätte holen können.
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11912 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 159. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. September 1985
FellnerAber ich möchte die ergänzende Frage stellen, ob Sie mit mir der Ansicht sind, daß die Bundesregierung in einem beachtlichen Umfang Anstrengungen unternommen hat, um das Problem zumindest in dem Bereich, wo personell etwas getan werden kann, zu lösen.Spranger, Parl. Staatssekretär: Ich kann Ihrer Bewertung nur in vollem Umfang zustimmen, Herr Kollege Fellner.
Weitere Zusatzfragen werden nicht gewünscht.
Ich rufe die Frage 65 des Abgeordneten Dr. Hupka auf:
Wie viele Polen, die in den letzten Jahren in die Bundesrepublik Deutschland eingereist sind, haben ein Asylverfahren beantragt, und wie viele Asylanträge sind abgelehnt worden?
Herr Staatssekretär, Sie haben das Wort zur Beantwortung.
Spranger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Dr. Hupka, vom 1. Januar 1980 bis zum 30. Juni 1984 — aktuellere Zahlen liegen der Bundesregierung noch nicht vor — sind 236 471 polnische Staatsangehörige bei den Meldebehörden in der Bundesrepublik Deutschland zur Anmeldung gelangt. Im gleichen Zeitraum haben die Meldebehörden den Fortzug von 162 746 polnischen Staatsangehörigen verzeichnet, so daß ein positiver Wanderungssaldo von 73 725 polnischen Staatsangehörigen für diesen Zeitraum zu verzeichnen ist.
Die Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in Warschau hat in der Zeit vom 1. Januar 1980 bis zum 31. Dezember 1984 an 1 416 800 polnische Staatsangehörige Sichtvermerke erteilt. Gemessen an der Zahl der bei den Meldebehörden registrierten Zuzüge wird deutlich, daß sich die in die Bundesrepublik Deutschland einreisenden Polen ganz überwiegend entgegen der bestehenden Meldepflicht nicht an- und abmelden.
Wie viele Polen sich zur Zeit illegal in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten, ist der Bundesregierung nicht bekannt. Ihr liegen auch keine Erkenntnisse vor, die eine verläßliche Schätzung zuließen.
Zusatzfrage, Herr Dr. Hupka.
Herr Staatssekretär, eine kleine Korrektur: Sie haben gerade die Frage 66 beantwortet — vor der Frage 65 —. Aber bleiben wir bei der Frage 66. Auf Grund des reichen Zahlenmaterials, das Sie soeben ausgebreitet haben, müssen doch Möglichkeiten bestehen, zu schätzen, wie viele nun als Dunkelziffer zu betrachten sind.
Spranger, Parl. Staatssekretär: Es hat Bemühungen gegeben. Sie haben aber keinen Erfolg gehabt. Es gibt tatsächlich bisher keine verläßlichen Schätzungen.
Eine weitere Zusatzfrage? — Bitte schön, Herr Abgeordneter.
In der Öffentlichkeit, Herr Staatssekretär, ist aber die Zahl 100 000 kolportiert worden. Ist diese Zahl zu hoch gegriffen? Oder ist sie eine fiktive Zahl?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Es ist sicher eine runde Zahl. Aber es ist auch eine fiktive Zahl.
Keine weitere Zusatzfrage.
Sie wünschen nun die Beantwortung der Frage 65, wenn ich das richtig begriffen habe. Wir machen das dann so, daß ich sozusagen nachträglich die Frage 66 des Abgeordneten Dr. Hupka aufrufe:
Wie viele Polen sind in den letzten Jahren in die Bundesrepublik Deutschland eingereist und haben sich bei den Einwohnermeldeämtern registrieren lassen, und wie hoch wird die Zahl der Polen geschätzt, die sich nicht haben registrieren lassen?
Herr Staatssekretär, nun bitte zur Frage 65.
Spranger, Parl. Staatssekretär: Von 1980 bis Ende 1984 haben insgesamt 24 810 Polen Asyl in der Bundesrepublik Deutschland beantragt. Im gleichen Zeitraum sind die Asylanträge von 11 394 Polen vom Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge abgelehnt worden.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Hupka? — Bitte schön.
Wie hoch ist der Prozentsatz der Polen, die sich hier registrieren lassen und dann nachher einen Antrag auf Asyl stellen? Das ist ja die interessante Zahl.
Spranger, Parl. Staatssekretär: Ich sagte: in den Jahren 1980 bis 1984 waren es 24 810 Polen, die Asyl in der Bundesrepublik Deutschland beantragt haben. Die sind natürlich auch registriert.
Ihre letzte Zusatzfrage, bitte schön.
Herr Staatssekretär, Sie hatten vorhin, als Sie die zweite Frage zuerst beantwortet haben, von 236 000 gesprochen, die hier eingereist seien, und nachher eine Zahl von 73 000 genannt. Da müßte man doch mal in Relation setzen können, wie viele davon einen Asylantrag gestellt haben.
Spranger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Dr. Hupka, daß nur 24 810 Anträge auf Asyl gestellt haben, zeigt, daß außerordentlich wenig im Vergleich zu den 236 000, die hier registriert und eingereist sind, Asylanträge gestellt haben.
Damit sind die Fragen beantwortet.
Wir kommen zu den Fragen 67 und 68 des Abgeordneten Dr. Laufs. — Er ist nicht im Saal.
Deutscher Bundestag —,10. Wahlperiode — 159. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. September 1985 11913
Vizepräsident Cronenberg
Ich rufe die Frage 69 des Abgeordneten Kalisch auf:
Wie viele deutsche Aussiedler aus Ost- und Südosteuropa und wie viele Flüchtlinge aus der DDR hat die Bundesrepublik Deutschland seit 1950 aufgenommen, wie viele kamen seit 1970?
Herr Staatssekretär.
Spranger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Kalisch, aus den Staaten Ost- und Südosteuropas sind von 1950, dem Beginn der Führung einer Bundesstatistik, bis zum 31. August 1985 insgesamt 1 284 935 Deutsche als Aussiedler in die Bundesrepublik Deutschland gekommen. Vom 1. Januar 1970 bis zum 31. August 1985 waren es 585 197 Aussiedler. Aus der DDR sind in der Zeit von 1950 bis zum 31. August 1985 insgesamt 3 077 247 Deutsche in die Bundesrepublik Deutschland gekommen, davon 255 795 zwischen dem 1. Januar 1970 und dem 31. August 1985.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter? — Das ist nicht der Fall.
Dann kommen wir zu den Fragen 70 und 71 des Abgeordneten Clemens. — Wenn ich das richtig sehe, ist er ebenfalls nicht hier. Es wird nach der Geschäftsordnung verfahren.
Für die Fragen 72 und 73 bittet der Fragesteller Abgeordneter Dr. Blank um schriftliche Beantwortung. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe die Frage 74 des Abgeordneten Vogel auf. — Er befindet sich nicht im Saal. Es wird nach der Geschäftsordnung verfahren.
Ich rufe die Frage 75 des Abgeordneten Dr. Sperling auf:
Durch welche konkreten Maßnahmen wird das Bodenschutzkonzept der Bundesregierung umgesetzt, und wie wird dabei die „Verbesserung der Grundwasserneubildung" mit besonderem Gewicht verfolgt?
Herr Staatssekretär.
Spranger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Dr. Sperling, Bund und Länder haben in der Umweltministerkonferenz am 24. April 1985 vereinbart, daß zunächst ein Maßnahmenkatalog zum Bodenschutz für die Bereiche Landwirtschaft, Forstwirtschaft, Naturschutz, Stoffeinträge in Boden und Grundwasser sowie Altlasten, Flächeninanspruchnahme und Bodenschätze erstellt wird. Dieser Maßnahmenkatalog, der die Rechtsetzung, den Verwaltungsvollzug, Informationsgrundlagen und Forschung einschließt, soll im Frühjahr 1986 vorliegen. In der Bodenschutzkonzeption der Bundesregierung werden über die durch den Bund zu treffenden Maßnahmen hinaus auch solche im Zuständigkeitsbereich der Länder vorgeschlagen. Hierzu zählen auch die von Ihnen angesprochenen Fragen der Grundwasserbildung. Soweit rechtsetzende Maßnahmen des Bundes notwendig sind, hat die Bundesregierung bereits mit dem Entwurf einer fünften Novelle zum Wasserhaushaltsgesetz einem erweiterten Grundwasserschutz Rechnung getragen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Sperling. Bitte sehr.
Herr Staatssekretär, könnten Sie mal so locker aus dem Handgelenk wenigstens fünf, sechs Beispielsfälle für Maßnahmen nennen, die vorgesehen sind?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Dr. Sperling, Sie wissen, daß die Grundwasserbildung in engem Zusammenhang mit einer Begrenzung der Bodenversiegelung steht. Der Bodenschutzkonzeption der Bundesregierung können Sie entnehmen, daß hier von den Ländern und Gemeinden durchzuführende Maßnahmen vorgeschlagen sind, z. B. die Minimierung der zu versiegelnden Flächen auf Bauland durch landschaftsschonende Zuordnung der Gebäude und Errichtung bodenschonender Außenanlagen, die Prüfung aller technischen und planerischen Möglichkeiten, z. B. Regenwasserversickerung, Dachbegrünung, flächensparendes Bauen, um Bodenbeeinträchtigungen durch Baumaßnahmen zu vermindern oder weitgehend auszugleichen, die Sanierung von Grundstücken und Freiflächen, z. B. Rekultivierung und Renaturierung von Aufschüttungen und Abgrabungen und die Entkernung verdichteter Baublöcke im Rahmen der Landschaftspflege bzw. Stadterneuerung und schließlich die Erhaltung und der Schutz der vorhandenen Flächen mit wertvollen Biotopen und Ausbau zu einem Netzsystem zur Stabilisierung stadtökologischer Funktionen. Die Umsetzung dieser Vorschläge muß zwischen Bund und Ländern und auch den Kommunen beraten werden. Dabei sind wir zur Zeit, und ich hoffe, daß wir bald mit der Umsetzung beginnen können.
Herr Abgeordneter Dr. Sperling, eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, vieles von dem, was Sie genannt haben, müßte eigentlich Gegenstand des Baugesetzbuchs sein, das Ihr Kollege Wohnungsbauminister sozusagen zur Zeit in Bearbeitung hat. Wie steht denn der Bundesinnenminister zu dem Referentenentwurf aus dem Bundesbauministerium angesichts der von Ihnen genannten Maßnahmen?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Ich habe hier keine Stellungnahme zum Entwurf des Baugesetzbuches abzugeben, sondern mich zur Bodenschutzkonzeption der Bundesregierung unter besonderer Berücksichtigung der in Ihrer Frage angesprochenen Probleme des Grundwasserschutzes zu äußern.
Weitere Zusatzfragen sind nicht gewünscht.Wir kommen zu den Fragen 76 und 77. — Der Abgeordnete Fiebig ist nicht im Saal. Es wird nach der Geschäftsordnung verfahren.Bei der Frage 78 hat der Abgeordnete Dr. Weng um schriftliche Beantwortung gebeten. Gleiches gilt
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11914 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 159. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. September 1985
Vizepräsident Cronenbergfür die Frage 79 des Abgeordneten Duve. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.Ich rufe nunmehr die Frage 80 des Abgeordneten von Hammerstein auf:Sind der Bundesregierung die Ergebnisse und Empfehlungen der sogenannten Bulling-Kommission zur Modernisierung und Flexibilisierung der Landesverwaltung in BadenWürttemberg bekannt ?Herr Staatssekretär.Spranger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege von Hammerstein, gestatten Sie, daß ich beide Fragen gemeinsam beantworte?
Sind Sie einverstanden, Herr Abgeordneter? — Dann rufe ich auch die Frage 81 des Abgeordneten von Hammerstein auf:
Sieht die Bundesregierung die Möglichkeit, Empfehlungen der Bulling-Kommission zur Steigerung der Effektivität und Produktivität in der Verwaltungsführung für Bundesbehörden zu übernehmen?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Das von der Landesregierung Baden-Württemberg in Auftrag gegebene Gutachten der Kommission „Neue Führungsstruktur Baden-Württemberg" ist der Bundesregierung bekannt. Es befaßt sich außer mit spezifischen Fragestellungen dieses Bundeslandes u. a. auch mit den Überlegungen zum Führungsbereich und zur inneren Struktur von Ministerien, zur Personalsteuerung und zum Personaleinsatz sowie mit Fragen der Einführung neuer Technologien in der Verwaltung. Die Erhaltung der Leistungsfähigkeit, effektive Führungsstruktur und Bürgernähe sind auch ein wichtiges Anliegen für die Bundesverwaltung. Die Bundesregierung sieht hierin eine bedeutsame und ständige Aufgabe. Wichtige Vorschläge und entsprechende Erfahrungen in Bereichen außerhalb der Bundesverwaltung werden in die Überlegungen der Bundesregierung zur Verbesserung der Regierungs- und Verwaltungstätigkeit einbezogen.
Zusatzfrage, bitte schön, Herr von Hammerstein.
Herr Staatssekretär Spranger, wie beurteilt die Bundesregierung die Möglichkeit, Führungspositionen in der Verwaltung künftig nur noch zeitlich befristet zu vergeben?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Das ist ein interessanter Vorschlag. Ob er sich auch auf Bundesebene übertragen läßt, muß geprüft werden. Ich finde aber, hier sind Überlegungen angestellt, die mehr Flexibilität als bisher ermöglichen.
Weitere Zusatzfragen? — Das ist nicht der Fall.
Dann beenden wir den Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern. Ich bedanke mich bei Herrn Staatssekretär Spranger und rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz auf. Zur Beantwortung steht uns der Parlamentarische Staatssekretär Erhard zur Verfügung. Seine Arbeit wird sich in Grenzen halten; denn der Abgeordnete Gilges, der die Fragen 82 und 83 gestellt hat, ist
nicht im Saale. Es wird nach der Geschäftsordnung verfahren. Der Abgeordnete Broll bittet um schriftliche Beantwortung seiner Fragen 84 und 85. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Herr Staatssekretär, ich bedanke mich für Ihr Angebot und rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft auf. Hier ist ein Staatssekretär zur Beantwortung richtigerweise nicht vorhanden, da die Fragesteller Lattmann — Frage 86 —, Rapp — Fragen 87 und 88 —, Kuhlwein — Fragen 89 und 90 — sowie aus dem Bereich des Ministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten die Abgeordneten Schartz (Trier) — Fragen 91 und 92 — und Stiegler — Frage 93 — sämtlich um schriftliche Beantwortung gebeten haben. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Damit sind sämtliche Fragen für die Fragestunde erledigt*).
Ich erteile das Wort zu einer persönlichen Erklärung gemäß § 32 unserer Geschäftsordnung der Abgeordneten Frau Dr. Hamm-Brücher.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gemäß § 32 der Geschäftsordnung sehe ich mich leider veranlaßt, folgendes festzustellen:Erstens. Die Behauptung des Abgeordneten Seiters heute früh in der Geschäftsordnungsdebatte, ich hätte Unterschriften von Abgeordneten für Änderungsanträge zur Geschäftsordnung durch eine Drucklegung sozusagen mißbraucht, ist unwahr. Wahr ist, daß die ordnungsgemäß unterzeichneten und von der Verwaltung geprüften Anträge in der Ad-hoc-Kommission nicht mehr behandelt werden konnten und aus diesem Grunde, wie das eigentlich bei Anträgen normal ist, in Druck gegeben wurden. Als ich erfuhr, daß einige wenige der weit über 60 Unterzeichner sich dennoch beschwert fühlten, habe ich umgehend bei allen Unterzeichnern nachgefragt, ob sie ihre Unterschrift zurückziehen wollten. Nur sechs Kollegen von über 60 — also noch nicht einmal ein Zehntel — haben davon Gebrauch gemacht. Alle übrigen haben den Vorgang überhaupt nicht beanstandet, und das Ganze wurde nur hochgespielt.Ich empfinde es deshalb als unerträglich, daß Herr Seiters hier im Rahmen einer sachlichen Geschäftsordnungsdebatte versucht, mich ins Zwielicht dubioser Praktiken zu bringen.
Dies ist ein trauriges Beispiel für die Verwilderung des parlamentarischen Stils, die zu Recht in der Öffentlichkeit kritisiert wird.
Zweitens. Zu meinem Bedauern sehe ich mich auch veranlaßt, die Interpretation des Parlamentarischen Geschäftsführers der SPD zurückzuweisen, ich hätte behauptet, daß die innerhalb der vorverplanten Redezeit sprechenden Abgeordneten dies*) Die schriftlichen Antworten werden, soweit sie rechtzeitig eingehen, im Plenarprotokoll 10/160 abgedruckt.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 159. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. September 1985 11915
Frau Dr. Hamm-Brüchernicht frei tun könnten. Ich habe den Begriff der freien Wortmeldung aus der Empfehlung der Adhoc-Kommission Parlamentsreform entnommen, weil damit ja nicht vorbestimmte, also frei gemeldete Redner bezeichnet werden.Drittens. Dem Vergleich — genauer gesagt: der Allegorie — des liberalen Geschäftsführers, Herrn Beckmann, die Geschäftsordnung sei kein Hühnerhof, auf dem jeder frei herumlaufen könne,
stimme ich voll zu. Im Zusammenhang mit meinem Antrag empfand ich diese Bemerkung allerdings als ausgesprochen polemisch und unsachlich.
Es ging mir einzig darum, das Rederecht des Abgeordneten nach Art. 38 Abs. 1 GG zu reklamieren, so wie es j a von der Ad-hoc-Kommission empfohlen wird und wie es in jedem freien Parlament selbstverständlich sein sollte.Im übrigen denke ich, daß die groben Geschütze, die von den genannten Parlamentarischen Geschäftsführern gegen mich aufgefahren wurden, die überfällige Reform unserer Redeordnung auf Dauer nicht aufhalten werden.Vielen Dank.
Meine Damen und Herren, da sich die Kollegen und Kolleginnen darauf eingestellt haben, daß die Debatte um das Volkszählungsgesetz, Tagesordnungspunkt 5, erst um 16 Uhr beginnt, bitte ich um Ihr Verständnis, daß ich die Sitzung bis dahin unterbreche.
Meine Damen und Herren, die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.
Ich rufe Punkt 5 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über eine Volks-, Berufs-, Gebäude-, Wohnungs- und Arbeitsstättenzählung
— Drucksache 10/2814 —
a) Beschlußempfehlung und Bericht des Innenausschusses
— Drucksache 10/3843 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Dr. Wernitz Ströbele
Broll
Dr. Hirsch
b) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung
— Drucksache 10/3889 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Gerster Kühbacher
Frau Seiler-Albring
Kleinert
Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/3887 und Änderungsanträge der Fraktionen der SPD sowie der CDU/CSU und der FDP auf den Drucksachen 10/3900 und 10/3902 vor.
Im Ältestenrat ist für die Aussprache ein Beitrag bis zu zehn Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. Kann ich das als beschlossen ansehen? — So beschlossen. Nun hat nach § 42 der Geschäftsordnung der Abgeordnete Senfft das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Fraktion der GRÜNEN beantragt gemäß § 42 der Geschäftsordnung die Herbeirufung des Innenministers, den ich hier nicht sehe, weil es ganz einfach unmöglich ist, daß der Innenminister bei einer Sache von so hohem verfassungspolitischem Rang nicht anwesend ist, bei einer Sache, bei der es um die Rechte der Bürger in einem Maße geht, wie das sonst selten der Fall ist.
Wir halten die Anwesenheit der Minister nicht zu allen Tagesordnungspunkten für unbedingt notwendig; bei einer solch wichtigen Sache, zu der es eine so ungeheuer starke Bürgerrechtsbewegung gegeben hat, woran ich noch einmal erinnern möchte, wollen wir dies doch beantragen. Es wäre schön, wenn der Innenminister bald kommen würde.
Danke.
Wird das Wort zur Geschäftsordnung weiter gewünscht? — Bitte, Herr Abgeordneter Broll.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Bundesinnenministerium ist durch den Parlamentarischen Staatssekretär Dr. Waffenschmidt vertreten, der nach der Geschäftsverteilung des Hauses speziell diesen Bereich vertritt und die gesamte Behandlung des Themas Volkszählung auch im Ausschuß verfolgt hat.Die Anwesenheit des Ministers, von den GRÜNEN erbeten oder verlangt, halten wir aus diesem Grunde für sachlich nicht geboten und für politisch nicht nötig, weil dieses Gesetz keine Andeutung, auch nicht in Ansätzen, von irgendwelchen Eingriffen in Persönlichkeitsrechte enthält,
für die eine politische Stellungnahme, etwa gar des Bundesinnenministers persönlich, nötig wäre.
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11916 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 159. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. September 1985
BrollAls dritten Grund möchte ich nennen, daß der Bundesinnenminister im Augenblick eine sehr wichtige Verpflichtung hat. Das war einer der Gründe, warum er den ihn vertretenden Staatssekretär gebeten hat, heute hier zu sein, den wir herzlich begrüßen und für dessen Anwesenheit wir dankbar sind.Wir lehnen den Antrag ab.
Wird das Wort noch zur Geschäftsordnung gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Ich darf darauf aufmerksam machen, daß der Herr Parlamentarische Staatssekretär nicht Kabinettsmitglied ist, so daß eine andere Situation gegeben ist.
Wir kommen zur Abstimmung. Wer dem Geschäftsordnungsantrag der Fraktion der GRÜNEN nach § 42 der Geschäftsordnung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! —
Die Mehrheit ist hier garantiert. Das ist damit beschlossen.
Wir unterbrechen die Sitzung bis zum Eintreffen des Herrn Innenministers.
Wir fahren in unserer Beratung über Punkt 5 der Tagesordnung fort.
Das Wort zur Berichterstattung hat der Abgeordnete Ströbele.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte als Berichterstatter drei Punkte zur Ergänzung des sehr ausführlichen Berichts über die Beratung des Innenausschusses vorbringen. Ich habe den Bericht am Ende der letzten Woche bekommen und ihn auch unterzeichnet, aber da waren Änderungen und Ergänzungen natürlich nicht mehr möglich. Das ist keine Kritik an dem Bericht, sondern es geht um die Notwendigkeit der Ergänzung.
Punkt 1: In dem Bericht ist auf Seite 10 angesprochen, daß das Bundesverfassungsgericht in seinem berühmten Volkszählungsurteil ausdrücklich festgestellt hat, daß der Gesetzgeber bei zukünftigen Entscheidungen über Volkszählungen beachten muß, daß sich die Sozialforschung, daß sich die amtliche Statistik, daß sich die Methoden ständig ändern. Das ist eine richtige Feststellung, die in dem Bericht wiedergegeben ist. Ich möchte daran anschließend sagen, daß die Verschiebung — das findet sich in dem Bericht an dieser Stelle nicht — der Volkszählung von 1986 auf den 25. Mai 1987 hier ganz erhebliche verfassungsrechtliche Probleme aufweist, weil der Zeitpunkt der Beratung und Verabschiedung des Gesetzes zu weit von dem Zeitpunkt der Durchführung der Volkserhebung weg-liegt. In der Zwischenzeit werden sich die Verhältnisse weiterentwickeln. Es wäre erforderlich, daß sich der Gesetzgeber Anfang des Jahres 1987 noch
einmal mit dem Gesetz befaßt. Diese Auffassung habe ich in dem Ausschuß als Vertreter der Fraktion DIE GRÜNEN vertreten, und diese Auffassung findet sich in dem Bericht. Diese ergänze ich an dieser Stelle nicht.
Punkt 2 der Ergänzung: In dem Bericht ist auf Seite 11 von Datennotstand die Rede. Von der Fraktion der CDU/CSU ist im Ausschuß vorgebracht worden, es herrsche ein Datennotstand. Hierzu möchte ich präzisieren, daß das richtig ist. Aber der Zusammenhang, in dem diese Äußerung gefallen ist, ist von Bedeutung. Der Kollege Laufs von der Fraktion der CDU/CSU hat im Ausschuß Mitte des Monats Juni in den hektischen Beratungen, die dort stattgefunden haben, ganz eindeutig folgendes — so habe ich es mitgeschrieben — wörtlich erklärt: „Mai 1987 ist als Datum für die Volkszählung keine Alternative. Wie kommt der 10. Deutsche Bundestag dazu, ein Gesetz für den nächsten Bundestag zu machen? Bei ganz nüchterner Betrachtung kommen wir zu dem Ergebnis, daß jetzt ein Datennotstand besteht und daß 1986 deshalb die Volkszählung durchgeführt werden muß." Das wurde im Juni gesagt. Eine Woche später war von diesem Datennotstand, der die Volkszählung 1986 zwingend erforderlich machen sollte, nicht mehr die Rede.
Ich schließe daraus, daß sich die Argumentation der Kollegen auch im Innenausschuß je nach der Kungellage richtet, wieweit mit den anderen Fraktionen zum Gesetz etwas ausgekungelt worden ist.
Der dritte und letzte Punkt meiner Ergänzung ist: Die Fraktion der GRÜNEN hat einen eigenen Entschließungsantrag, der auch im Bericht wiedergegeben worden ist, in den Ausschuß eingebracht. Wir haben heute einen etwas veränderten Entschließungsantrag eingebracht. Das hat den Grund, daß wir die Widersprüche zwischen diesem Antrag und der Tatsache berücksichtigt haben, daß wir davon ausgehen, daß die Fraktionen der Altparteien dieses deutschen Bundestages heute dieses Gesetz verabschieden werden. Daraus haben wir Konsequenzen gezogen und unseren Entschließungsantrag etwas geändert. Wir haben dort — ich will ihn jetzt nicht vorlesen, Sie haben ihn alle vor sich liegen — im wesentlichen darauf hingewiesen, daß es sehr wohl andere Möglichkeiten der Volkszählung gibt, und zwar auf freiwilliger Basis, die viel einfacher, risikoloser und vor allen Dingen billiger gewesen wären.
Danke. So weit meine Ergänzungen zu dem Bericht.
Danke, Herr Berichterstatter.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 159. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. September 1985 11917
Vizepräsident Frau RengerGibt es weitere Wortmeldungen der Berichterstatter? — Das ist nicht der Fall.Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Broll.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin! Sehr verehrter Herr Bundesinnenminister, auch wir begrüßen natürlich, daß Sie es ermöglichen konnten, jetzt noch hier zu sein.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, Sie müssen wissen — und die heute morgen hier unten gesessen haben, wissen es —: Der Tagesordnungspunkt Volkszählung stand heute auf der Vormittagstagesordnung; er war für 12 Uhr angekündigt. Der Minister ist hier gewesen und war bereit, an dieser Debatte teilzunehmen.
Wir haben uns dann, nachdem die Tagesordnungsänderung verkündet worden ist, verständigt, Herr Bundesminister, und wir haben überlegt: Ist es wichtig, daß am Nachmittag, wo andere sehr wichtige Termine des Ministers angesetzt waren, der Minister hier ist? Ich habe aus meinen Erfahrungen des Innenausschusses, wo, abgesehen von der in diesem Fall zu vernachlässigenden Partei der GRÜNEN, Einstimmigkeit im ganzen Haus über den Gesetzentwurf erlangt worden war, die Meinung vertreten, daß die Anwesenheit des Ministers in diesem Fall unter diesen Umständen nicht nötig sei. Darauf beruht die Tatsache, daß unser lieber Freund, der Herr Parlamentarische Staatssekretär Waffenschmidt, den Minister hier vertreten wollte, wofür wir sehr dankbar gewesen sind.
Ich sage das nur, damit sich der Teil, der heute morgen nicht hier gewesen ist, ein Bild von dem Niveau und von der Primitivität der Verfahrensweise von Leuten machen kann — ich meine nicht Ihre Gruppe, ich meine die GRÜNEN —, die im Geschäftsordnungsausschuß von Methoden zur Wahrung des Ansehens des Hauses sprechen, sich hier aber in kümmerlich-kindischer Weise aufführen.
Und jetzt zur Sache.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich wollte eine kleine Ansprache halten. Ihr Vertreter kann gleich hier zu Wort kommen.
Keine Zwischenfrage!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Volkszählung 1981 findet also am 25. Mai 1987 statt. In diesen sechs Jahren intensiver Debatte hat es jenes Volkszählungsurteil am 15. Dezember 1983 gegeben, das, ähnlich wie die Volkszählung des Kaisers Augustus eine Zeitenwende gebracht hat, offenbar auch eine Zeiten-
wende gebracht hat; alle Datenschützer des Bundes und der Länder werden nämlich von diesem Datum an ein neues Zeitalter des Datenschutzes konstatieren. Sie zählen seitdem bestimmt vom Datum des Volkszählungsurteils ab.
Dieses Gesetz mit seinen 21 Paragraphen ist außerordentlich intensiv und unter Anwendung jedweder möglicher Skrupel im Parlament besprochen worden. Selbst über die Frage, ob man den Geburtsmonat — vom Tag war sowieso nicht die Rede — erfragen sollte oder nicht, ist wenigstens drei Stunden debattiert worden. Auch über die Frage, ob das Jahr der Eheschließung angegeben werden sollte oder nicht, ist mindestens drei Stunden debattiert worden.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Schily?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich habe eben gesagt, daß ich eine kleine Ansprache halten wollte und sich die Vertreter der GRÜNEN später zu Wort melden können.
Es ist inzwischen ein anderer Abgeordneter. — Ich konstatiere: Keine Zwischenfrage zugelassen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn man über solche Fragen zwei, drei Stunden debattiert, könnte man die Vermutung hegen, daß einige der Beteiligten Abgeordneten etwas frustriert oder gelangweilt gewesen wären. Seien Sie sicher, das ist nicht der Fall. Wir haben gespürt, wie ungeheuer wichtig auch solche Fragen gewesen sind. Es ist also mit anderen Worten schwer, eine Satire nicht zu schreiben.Tatsächlich hat das Volkszählungsurteil bei allem, was uns in diesem Zusammenhang bewegt hat, wesentlich zur Vertiefung der Diskussion nicht nur dieses Bereiches, sondern des gesamten nun konstatierten Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung beigetragen. Der Bundestag ist im Augenblick in vielen gesetzgeberischen Bereichen tätig, die Konsequenzen dieses Volkszählungsurteils in gesetzgeberische Praxis umzusetzen, wobei sich auch hier die methodischen Schulen ein wenig streiten. Einige legen das Volkszählungsurteil in gleicher Weise aus, wie eine frühere katholische Bibelexegese, wo im Sinne der Verbalinspiration des Schöpfungsberichtes jedes Wort wortwörtlich genommen wird. Andere raten etwa dazu, das sinngemäß anzuwenden. Auch Verfassungsrichter selbst raten uns im persönlichen Gespräch, nicht jedes Wort, das im Urteil steht, wortwörtlich zu nehmen.Wenn wir in dieser Volks-, Arbeitsstätten- und Wohnungszählung Tatbestände erfragen
zum Alter eines Menschen, zur Berufsausbildung, zu seiner Schulbildung, zur Entfernung der Wohnung von seinem Arbeitsplatz, wenn wir bei der Wohnung fragen, wie groß sie ist und über wieviel
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11918 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 159. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. September 1985
BrollRäume sie verfügt, über welche Kategorie von Raumgrößen sie verfügt, wie die Heizeinrichtungen sind, wenn wir bei den Arbeitsstätten fragen, zu welchem Wirtschaftszweig sie gehören, wie groß die Zahl der Beschäftigten ist usw., tun wir das nicht als Selbstzweck. Wir tun es, weil die Kenntnis der Gesamtheit dieser wenigen Grunddaten für alle anderen Erhebungen unbedingt nötig ist, die — denken Sie an den Mikrozensus und die Lohnstatistik usw. — sehr viel eingehender sind.Wie wichtig eine wenigstens in gewissen Abständen zu erhebende genaue Statistik ist, kann ich Ihnen an einem kleinen Beispiel verdeutlichen: Jeden Monat berichtet der Präsident der Bundesanstalt für Arbeit über die Zahl der Arbeitslosen, und er rechnet sie in einen bestimmten Prozentsatz der Beschäftigtenquote um. Die Zahl der Arbeitslosen wird monatlich erhoben und ist je nach den Maßstäben, die dort zugrunde gelegt werden, aktuell. Die Zahl der Erwerbstätigen, in die diese Arbeitslosenzahl in Beziehung gesetzt wird, beruht auf Erkenntnissen des Mikrozensus, einer Ein-ProzentErhebung, die lediglich durch Ergänzung von anderen Statistiken und auf der Basis der Volkszählung 1970 weitergerechnet wird. Wir wissen, daß bei solchen Hochrechnungen innerhalb von zehn Jahren bei einer Gesamtbevölkerung von rund 60 Millionen Differenzen bis zu 1 Million entstehen können.Gehen wir also davon aus, daß die Zahlen der Beschäftigten, die Basis unserer gesamten wirtschaftspolitischen Debatten sind, nicht korrekt sein können. Sie können nicht korrekt sein, weil auch die Basis des Mikrozensus selbst auf 1970 beruht. Das ist durch die Entwicklung tatsächlich längst überholt.Wir fragen in dieser Volkszählung keine sensiblen Daten nach.
Selbst die Frage, ob die Religionszugehörigkeit erfragt werden soll oder nicht, ist Gegenstand sowohl der Erörterung des Verfassungsgerichts als auch im Innenausschuß gewesen. Es gab Meinungen — etwa auch der Antragsteller in Karlsruhe —, die solch eine Frage bereits für einen Eingriff hielten, obwohl doch nach Bekenntnis gefragt wird und jeder, der einem Bekenntnis angehört, mit diesem Wort schon ausdrückt, daß er sich nicht schämen müßte,
dieses Datum von sich zu geben.Es gibt — das sage ich zur Beruhigung derer, die die Dinge noch aus der kämpferischen, aggressiven, oft verlogenen Debatte von vor drei Jahren kennen — keine Weiterleitung von Einzelangaben.
Es gibt Weiterleitung von Daten nur an die Gemeinden und nur dann, wenn sämtliche persönlichen Merkmale eliminiert sind
und wenn die Einzelangaben auf Datenträger übertragen worden sind, also bereits in einer gewissen Weise statistisch vorbereitet sind , und nur dann, wenn in den Ländern, deren Gemeinden oder Städte solche anonymisierten Angaben wünschen, bereits ein Gesetz verfaßt wurde, das datenschutzrechtlich strenge Bestimmungen über die Art enthält, wie solche weitergegebenen anonymisierten Daten lediglich zu statistischen Zwecken benutzt werden dürfen.Es hat im Innenausschuß — auch in der Anhörung, die wir veranstaltet haben — eine lange Debatte zu der Frage gegeben, ob wir nicht die Gesamtzählung durch eine Stichprobe ersetzen könnten, etwa im Sinne des Mikrozensus 1 : 100 oder, wie dort an gewissen Stellen eingeführt, 1 : 1 000.
Wir sind — auch im Ergebnis der Aussagen ausländischer Gäste, etwa des Präsidenten des schwedischen statistischen Reichsamtes — zu der Überzeugung gekommen, daß eine solche Stichprobe eine Vollzählung einfach nicht ersetzen kann.Das leuchtet ja auch ein. Wenn ich ein Maisfeld von zwei Hektar sehe und einen Quadratmeter untersuche, kann ich ungefähr — aber kalkulierbar — schließen, wieviel Maispflanzen auf den 2 Hektar wachsen. Wenn ich aber nur einen Hektar Maisfeld in Bayern kenne, kann ich daraus noch längst nicht schließen, wieviel Maispflanzen es in diesem Jahr in Bayern gibt.Mit anderen Worten, eine Stichprobe ersetzt als Basis für andere Stichprobenerhebungen niemals die Totalzählung. Darum haben wir uns nicht in der Lage gesehen, diesem nach unserer Meinung nicht sehr sachgerechten Vorschlag näherzutreten.Zwang oder Freiwilligkeit, das war eine andere Frage. Wir haben uns nach intensiven Beratungen nicht in der Lage gesehen, die Ergebnisse der Volkszählung auf die Basis der Freiwilligkeit zu stellen. Alle Fachleute haben uns davon abgeraten.Meine sehr verehrten Damen und Herren, zum Schluß möchte ich sagen: Jeder, der nach Vorlage dieses Gesetzes noch Widerstand gegen die Volkszählung leisten will oder — wie die GRÜNEN — dazu aufruft, ihn zu leisten, bewirkt nichts im Sinne der Menschenwürde, im Sinne der Demokratie und im Sinne der Freiheit;
er verlängert nur die Spielchen der Knabenzeit bis in jenes Alter, in dem er vergreist. Darum fordere ich die Bürger und Bürgerinnen unseres Staates auf, in Kenntnis dieses Gesetzes jenen Pflichten zu entsprechen, die wir von ihnen verlangen — in dem Bewußtsein, daß es in aller Interesse ist.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Wernitz.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 159. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. September 1985 11919
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nach sehr gründlichen und intensiven Beratungen hat der federführende Innenausschuß am 11. September dieses Jahres den Entwurf eines Volkszählungsgesetzes beschlossen. Ich möchte heute allen sehr herzlich danken, die innerhalb und außerhalb dieses Hauses kritisch, konstruktiv und engagiert an diesem Gesetzgebungsvorhaben mitgearbeitet haben.
Ich möchte bei dieser Gelegenheit auch und insbesondere unserem fachlich zuständigen Ausschußsekretär, Herrn Bahr, der dort hinten sitzt, einen besonderen Dank sagen.
Auch das sollte man einmal tun, nicht zuletzt deshalb, weil er sich um die Erstellung des beispielhaften Berichts sehr große Verdienste erworben hat.Meine Damen und Herren, heute nun werden die parlamentarischen Weichen für ein Gesetzgebungsvorhaben gestellt, das in Gestalt seines Vorläufers, des Volkszählungsgesetzes 1983, nach den bekannten Turbulenzen durch das Bundesverfassungsgericht ausgesetzt wurde. Das Karlsruher Urteil vom 15. Dezember 1983 hatte dieses Gesetz zwar punktuell für verfassungswidrig erklärt; entscheidend aber ist die Tatsache, daß das Gericht den Stellenwert der Statistik nicht nur allgemein unterstrichen, sondern dies auch bezüglich der Volkszählung grundsätzlich und konkret getan hat, so z. B. mit dem Leitsatz, daß das Erhebungsprogramm des Volkszählungsgesetzes 1983 nicht zu einer mit der Würde des Menschen unvereinbaren Registrierung und Katalogisierung der Persönlichkeit führt. Das Verfassungsgericht hat jedoch zugleich für eine Volkszählung verfassungsrechtliche Maßstäbe und konkrete Vorgaben aufgestellt, die vom Gesetzgeber zu beachten waren und zu beachten sind.Das galt zunächst für die Verfasser des Gesetzentwurfs der Bundesregierung und mit der ersten Lesung des Entwurfs im Parlament für uns und unsere Ausschüsse, insbesondere den federführenden Innenausschuß.Die SPD-Fraktion ist dabei mit folgenden Maßstäben an die Arbeit gegangen:Erstens. Die SPD bejaht die Notwendigkeit einer Volkszählung. Sie hat sich von jeher für eine vorausschauende und planende Politik eingesetzt.Zweitens. Die Volkszählung ist unter konsequenter Beachtung des Statistikgeheimnisses und des Datenschutzes entsprechend den verfassungsrechtlichen Maßstäben und Vorgaben des Verfassungsgerichtsurteils durchzuführen.Drittens. Die Volkszählung ist strikt auf den fachlich notwendigen Umfang zu beschränken.Viertens. Gerade bei der Beratung dieses Gesetzentwurfs müssen Solidität, Sorgfalt und Sensibilität Vorfahrt vor Schnelligkeit haben. Eine Volkszählung mit heißer Nadel darf es nicht geben.Bewertet man vor diesem Hintergrund den vorliegenden Gesetzentwurf, so ist festzuhalten, daßden Vorstellungen der SPD insgesamt Rechnung getragen worden ist. Die Zustimmung der SPD zu diesem Gesetzentwurf ist wohlfundiert.Im Zuge der parlamentarischen Beratungen hat die öffentliche Anhörung vom 17. April 1985 in einer Reihe wichtiger Einzelfragen Orientierungshilfen gegeben. Das gilt zunächst für den lange Zeit umstritten gewesenen Termin der Volkszählung. Es stellte sich nämlich heraus, daß schon aus der Sicht der kommunalen Spitzenverbände bei dem ursprünglich anvisierten Stichtag 23. April 1986 die zwingend erforderliche Vorlaufzeit von bis zu zehn Monaten objektiv nicht einzuhalten war. Dies hätte die Durchführung und das Ergebnis der Volkszählung von vornherein gefährdet und wäre angesichts der Gesamtkosten unverantwortlich gewesen. Deshalb hat die SPD diesen Einwendungen Rechnung getragen und nach der Anhörung als Alternativtermin Mai/Juni 1987 vorgeschlagen. Demgegenüber haben zunächst Bundesregierung und Koalition — offensichtlich aus Prestigegründen — versucht, am Termin 1986 festzuhalten. Zeitweise gab es massive Versuche, den Entwurf auf Biegen oder Brechen noch vor der Sommerpause durchzuziehen.
Die Argumente und Warnungen der SPD vor einer solchen Verfahrensweise und der anschließende Beratungsverlauf haben die Position der SPD vollinhaltlich bestätigt.
Bereits am 18. Juni 1985 hatte sich die SPD-Bundestagsfraktion bei einigen Enthaltungen ohne Gegenstimmen für Mai 1987 ausgesprochen. An Stelle des zunächst vorgesehen gewesenen 20. Mai wurde schließlich als Stichtag der Volkszählung der 25. Mai 1987 gewählt.Meine Damen und Herren, das Erhebungsprogramm der Volks-, Berufs-, Gebäude-, Wohnungs- und Arbeitsstättenzählung wurde erneut auf seine Notwendigkeit überprüft und akzeptiert. Wir haben im übrigen allen Bestrebungen, das Erhebungsprogramm auszuweiten, widerstanden. Die Volkszählung bleibt strikt auf den fachlich notwendigen Umfang beschränkt.Hatte bereits die Anhörung ergeben, daß der Gesetzentwurf einen geeigneten Rahmen schafft, um den Datenschutz bei der Volkszählung zu gewährleisten, so wurde dem Datenschutz während der Ausschußberatungen zusätzlich Rechnung getragen. Dies gilt insbesondere für das Verbot der Reidentifizierung von Daten aus der Volkszählung. Weiterhin wurden die Vorschriften sowohl für die in den Erhebungsstellen Beschäftigten als auch für die Zähler, was die Wahrung des Statistikgeheimnisses und den Datenschutz angeht, präzisiert und verschärft.Wichtig unter Akzeptanzgesichtspunkten ist die neu eingefügte Regelung, daß der auskunftpflichtige Bürger die ausgefüllten Erhebungsvordrucke nicht nur an die Erhebungsstelle einsenden kann, sondern dies nunmehr auch gebührenfrei ist.
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11920 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 159. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. September 1985
Dr. WernitzDie SPD hat sich im Nachgang zur Anhörung intensiv darum bemüht, dem Anliegen der kommunalen Spitzenverbände auf angemessene Datenübermittlung aus der Volkszählung entsprechend den Vorgaben des Urteils gerecht zu werden. Die inzwischen gefundene und vom Bundesbeauftragten für den Datenschutz sowie dem Vorsitzenden der Konferenz der Datenschutzbeauftragten Herrn Simitis, mitgetragene Kompromißlösung entspricht zwar nicht voll den Erwartungen der Kommunen, gibt ihnen aber unter gleichzeitiger Wahrung datenschutzrechtlicher Belange mehr als der ursprüngliche Regierungsentwurf.Erfreulich für die künftigen Zähler bei der Volkszählung ist die Neuregelung, daß die gezahlte Aufwandsentschädigung nicht der Einkommensteuer unterliegt.Während der Anhörung hatte die Bundesregierung die Zusage einer Finanzzuweisung an die Länder zwecks Ausgleichs der Mehrbelastungen, die ihnen und den Gemeinden durch die Volkszählung erwachsen, von 2,50 DM je Einwohner auf4 DM erhöht. Ein SPD-Antrag auf Aufstockung auf5 DM verfiel der Ablehnung. Vor dem Hintergrund früherer Erfahrungen bitte ich namens der SPD-Fraktion darum, unserem Antrag auf Aufstockung auf 5 DM zu entsprechen, um eine ähnliche Entwicklung wie in der Vergangenheit zu vermeiden, dies um so mehr, als jetzt 715,7 Millionen DM dafür anfallen.Entsprechend den Vorgaben des Urteils hat sich der Innenausschuß eingehend mit den Erhebungsvordrucken befaßt, die den Bürgern bei der Volkszählung zugeleitet werden. Diese Fragebögen sind der Beschlußempfehlung und dem Ausschußbericht als Anhang beigefügt.Meine Damen und Herren, einzelne Datenschutzbeauftragte haben darauf hingewiesen, daß die Verfassungsmäßigkeit des Volkszählungsgesetzes umfassend und nicht nur in bezug auf das Bundesgesetz allein gewährleistet sein muß. Hier müssen die erforderlichen landesrechtlichen Vorschriften und die Durchführung auf örtlicher Ebene im Rahmen der Gesamtbeurteilung einbezogen sein, auch wenn dafür die Kompetenz nicht beim Bund, sondern bei den Ländern liegt. Diesen Erwägungen trägt die von uns im Ausschuß beschlossene und vorgelegte Entschließung Rechnung: Vorlage eines Berichts zum 1. Juni 1986. Weitere Punkte der Entschließung zielen darauf ab, die Voraussetzungen für die Akzeptanz der Volkszählung zu optimieren. Schließlich wird die Regierung aufgefordert, dem Parlament bis zum 1. Januar 1988 einen Bericht über Durchführung, Stand der Auswertungen und Einhaltung der datenschutzrechtlichen Sicherungen der Volkszählung 1987 sowie auch über den Stand der Methodendiskussion in Richtung auf die Freiwilligkeit zuzuleiten.Meine Damen und Herren, insgesamt bleibt festzuhalten, daß die Weichen für eine solide und umfassend vorbereitete Volkszählung mit Perspektive gestellt sind.Die SPD-Bundestagsfraktion stimmt der Beschlußempfehlung und damit auch der Entschließung zu.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Hirsch.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir haben das Volkszählungsurteil in diesem Hause ja verschiedentlich gelesen. Ich glaube, es braucht nicht unsere Aufgabe zu sein, hier wieder von Anfang an zu beginnen. Über das Volkszählungsurteil, über seine große Bedeutung ist hier schon verschiedentlich gesprochen worden. Die Bedeutung dieses Urteils bezieht sich ja nicht nur auf die Volkszählung, sondern es bezieht sich auch darauf, daß wir gemeinsam der Überzeugung sind, daß der Bürger nicht nur ein Objekt der staatlichen Verwaltung sein darf. Er darf nicht das Gefühl haben, einem allwissenden Staat gegenüberzustehen. Wir sind verpflichtet, die moderne Gesetzgebung an diesen Grundsätzen auszurichten. Das haben wir bei diesem Gesetz getan.Wir brauchen die Volkszählung. Wir wissen, daß wir sie dem Bürger zumuten können und daß der Bürger sicher sein kann, daß seine Anonymität gewahrt bleibt und daß er bei einer richtigen Beantwortung der ihm gestellten Fragen keinerlei nachteilige Folgen zu erwarten hat. Wir haben das Äußerste getan, um diese Ziele sicherzustellen. Es ist unter dem Gesichtspunkt des Datenschutzes in Wirklichkeit nichts mehr zu beanstanden.Das bezieht sich nicht nur auf den Teil der Volkszählung, der dem Bürger sichtbar ist. Wir haben durchgesetzt, daß er dem Zähler praktisch keine Fragen mehr zu beantworten braucht.
Er kann den ganzen Fragebogen in einem verschlossenen Umschlag dem Statistischen Amt portofrei zuschicken. Es sind zahlreiche Einzelregelungen hinsichtlich der Verpflichtungen der Zähler, wegen der Auswertung in den Gemeinden und bezüglich der Fragestellungen eingeführt worden. Der Schutz der Anonymität bezieht sich natürlich auch auf die verwaltungsmäßige Durchführung und Verarbeitung der Daten selbst.Ich möchte aber drei Problembereiche ansprechen, die uns bei den Beratungen zusätzliche Schwierigkeiten gemacht haben.Der erste Punkt ist der Umfang des Fragebogens. Bei unseren Bemühungen, seinen Umfang zu verringern, sind wir nicht nur auf den Widerstand von Fachausschüssen dieses Hauses gestoßen, sondern vor allem auf den der Wunderwelt der deutschen Verwaltung. Man kann das gar nicht anders formulieren.
Es ist unglaublich, mit welcher Zähigkeit einzelneRessorts an Fragestellungen festhalten wollten, deren Sinn man kaum noch nachvollziehen konnte.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 159. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. September 1985 11921
Dr. HirschHier wurden Arbeitsgebiete und Bequemlichkeiten mit einer Entschlossenheit verteidigt, als ob das Schicksal des Vaterlandes davon abhinge. Das geht natürlich nicht.
Man kann nicht über Entbürokratisierung und über den Schutz der Privatsphäre reden, wenn man alles so lassen will, wie es ist, und wenn man sich nicht klar macht, daß man bei jeder Frage mit dem Zwang einer staatlichen Strafdrohung hantiert. Ich muß mich wirklich zurückhalten, um nicht Beispiele dafür zu nennen. Ich bin sehr froh darüber, daß wir bei der Zurückführung von Fragen, also bei der Verringerung des Fragenbereichs in der Tat Erfolge gehabt haben. Unsere Arbeit war übrigens auch von der gemeinsamen Absicht getragen, die Beantwortung von Fragen, die bisher zwangsweise beantwortet werden mußten, freizustellen.Der zweite Bereich bezieht sich auf den Schutz der Anonymität. Wir haben hier den größten Widerstand nicht bei den Statistikern gehabt, sondern bei den Vertretungen der Gemeinden. Das muß man wirklich sagen. Ich sage das mit großem Bedauern, weil ich den Eindruck habe, daß dabei auch Prestigefragen eine beachtliche Rolle gespielt haben. Es muß zu verstehen sein, daß die Sicherung der Anonymität um so schwerer ist, je näher die Auswertung an den einzelnen Befragten heranrückt. Die Weitergabe von Einzeldaten an die Gemeinden ist also immer problematisch. Hier muß man sich einfach entscheiden, ob man diesem Wunsch nachgeben und damit die ganze Volkszählung gefährden will, oder ob man es vorzieht, die Anonymität der Bürger zu sichern und damit die Chance zu vergrößern, daß die Zahl der Verweigerer sinkt und die Richtigkeit der Antworten zunimmt. Wir hoffen, daß der Bundesrat dieses Problem in derselben Schärfe sieht.Beim vorigen Versuch der Volkszählung hatten wir auch in diesem Bereich Probleme. Wir haben damals mit ungutem Gefühl den Wünschen der kommunalen Spitzenverbände nachgegeben. Das war mit eine Ursache für die außerordentlich negativen Folgen, die wir dann zu tragen hatten.
— Ja, z. B. Melderegister. Wir wollen denselben Fehler nicht zweimal machen. Wir haben in der Tat im vorliegenden Gesetz alles getan, um einen vernünftigen Ausgleich zu erreichen.Der dritte Bereich ist die Frage der Freiwilligkeit. Wir haben schon beim Mikrozensusgesetz ausführlich darüber gesprochen; Herr Wernitz, Sie haben das hier noch einmal dargestellt. Auch beim Volkszählungsgesetz hätten wir gern noch eine Reihe von Fragen in die Freiwilligkeit überführt. Ich bin sicher, daß auch in dieser Beziehung ein Umdenken oder Weiterdenken einsetzen muß, und ich bin sehr zufrieden, daß wir jedenfalls beim Mikrozensusgesetz dafür die Weichen gestellt haben.Diese verhalten kritischen Bemerkungen ändern nichts daran, daß wir die Volkszählung brauchen, daß wir sie durchführen und politisch vertreten wollen und daß wir bei allen Ihnen vorliegenden Bestimmungen die Erfordernisse des Datenschutzes geradezu — wie Herr Albrecht hier einmal gesagt hat — skrupulös beachtet haben.Der Bundesinnenminister muß dem Bürger mit großer Sorgfalt die Notwendigkeit der Volkszählung klarmachen. Das kann man nicht, wenn man nur die Staatsräson beschwört und den sehr schlichten Gedanken vorträgt, daß der anständige Bürger nichts zu verbergen hat. Die Fragen, um die es hier geht, haben mit der Frage der Anständigkeit oder Unanständigkeit überhaupt nichts zu tun. Man muß dem Bürger deutlich machen, daß es in seinem eigenen wohlverstandenen Interesse liegt, die Fragen richtig zu beantworten und damit die Chance für rationale Politik zu vergrößern.
— Herr Mann, Geheimnisse werden ja gar nicht offenbart. Ich wäre froh gewesen, wenn Sie an den Beratungen einmal teilgenommen hätten. Ich habe Sie nie oder nur sehr selten dabei gesehen. Das muß ich Ihnen einmal sagen.
Ich habe das sehr bedauert, denn wir bräuchten uns dann hier nicht solche Geschichten anzuhören. Wenn Sie sich die Arbeit machen, den Fragebogen durchzusehen, dann wissen Sie sehr genau, daß er keine einzige Frage enthält, die zwangsweise beantwortet werden müßte und tatsächlich indiskret wäre. Also bitte nicht diesen Unsinn!Die Volkszählung brauchen wir,
um eine Chance für eine rationale Politik zu haben. Man kann nicht einfach der Politik notwendiges Tatsachenwissen verwehren und sich dann hinterher darüber mokieren, daß politische Entscheidungen falsch ausgefallen seien.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Kollegen Senfft?
Ich bin ja froh, daß Sie inzwischen etwas anderes tragen. Sie hatten ja heute früh, glaube ich, irgend etwas Bunteres an, nicht wahr.
Bitte schön.
Herr Hirsch, sind Sie der Auffassung, daß allein dadurch, daß die Zahl der Arbeitslosen etwas präziser wird, die Bundesregierung richtiger handelt bzw. überhaupt erst einmal handelt was ich bezweifle? Sind Sie der Auffassung, daß
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11922 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 159. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. September 1985
Senfftallein konkretere Daten dazu führen, daß politisches Handeln erfolgt oder richtig erfolgt, was ich bezweifle?
Lieber Kollege, auch diese Fragen haben wir schon mehrfach besprochen, nämlich die allgemeine Lebenserfahrung, daß die Kenntnis von Tatsachen nicht dafür garantiert, daß man daraus richtige Schlüsse zieht.
Aber sie vergrößert die Wahrscheinlichkeit, daß man zu vernünftigen Schlüssen kommen kann.
Ich meine ja, daß manche Statistiken nicht dazu dienen, Entscheidungen zu finden, sondern Entscheidungen zu begründen. Man darf aber die Hoffnung darauf nicht aufgeben, daß man auf Grund der Kenntnis von Tatsachen jedenfalls richtigere Entscheidungen treffen kann, als wenn man die Tatsachen nicht kennt. Sie wissen ja z. B., daß wir wahrscheinlich in den Registern eine Dreiviertelmillion Menschen mehr haben als tatsächlich in der Bundesrepublik leben. Wenn Sie sich allein mal überlegen, welche Bedeutung das für den Wohnungsbau und für Wohnungsbauplanung hat, dann müssen Sie begreifen, daß man so nicht weitermachen kann. Ich habe das Vergnügen oder die Ehre gehabt, in Nordrhein-Westfalen einige Jahre lang Grundfragen der Wohnungsbaupolitik und der Finanzierung dafür entscheiden zu müssen. Ich kann Ihnen nur aus eigener Erfahrung sagen, wie mühsam es war, die vorhandenen Mittel so einzusetzen, daß für den Bürger wirklich das Optimum des Erreichbaren herauskommt. Ich kann Ihnen aus eigener Erfahrung nur sagen, es geht so nicht weiter, wir brauchen in einer ganzen Reihe von praktischen Handlungsbereichen mehr Fakten, um etwas Vernünftiges für den Bürger machen zu können.
Herr Kollege, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage?
Reicht die Zeit noch? Dann recht gerne, ja, bitte schön.
Herr Abgeordneter Schulte .
Ja, mit demselben Pullover wie heute morgen möchte ich die Frage stellen. Herr Hirsch, Sie wissen, daß ein Großteil dieser Fakten auch auf anderem Wege — über Stichprobenerhebungen usw. — erhoben werden kann.
Ist Ihnen diese Hoffnung, die Sie hegen, politische Entscheidungen besser treffen zu können, in der Tat über 700 Millionen DM Steuergelder wert?
Ja, die Möglichkeit, rationale Politik zu betreiben, kann überhaupt nicht bezahlt werden; die ist außerordentlich wichtig. Ich muß
Ihnen folgendes sagen. Herr Wernitz hat ja vorhin dargestellt — ich weiß nicht, ob Sie zugehört haben —, daß das Hochrechnen aus dem Mikrozensus nur möglich ist, wenn man weiß, auf wieviel man hochrechnen soll. Ich kann nicht eine Mikrobefragung von 0,5 oder 1 oder 2 % der Bevölkerung machen und dann hochrechnen, wenn ich die Totale nicht kenne. Man muß also in zwar großen Abständen — die letzte Volkszählung ist, glaube ich, 1970 gewesen — einmal feststellen: Wie hoch ist denn die Totale? Wenn man das kann, dann kann man in der Tat durch Mikrozensuserhebungen in weiterem Umfange verläßliche Daten durch Hochrechnung bekommen.
Aber das ist keine Alternative, sondern ergänzt sich.
Meine Damen und Herren, die Beratung dieses Volkszählungsgesetzes ist eine der mühsamsten Beratungen, die ich in diesem Hause miterlebt habe. Ich hoffe inständig, daß wir dieses Gesetz in diesem Hause nie wieder behandeln müssen. Wir wären den Ländern dankbar, wenn sie uns diesen Wunsch erfüllten.
Wir werden dem vorliegenden Entwurf zustimmen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Ströbele.
Ich finde es schon etwas eigenartig, daß ein Minister zwar von der Gesamtbevölkerung verlangt, daß er sie monatelang belästigen darf,
daß er sich aber zu gut dafür ist, hier heute freiwillig für eine Dreiviertelstunde herzukommen und sich die Argumente anzuhören.
Auch die Bürger, die sich ab Mai 1987 hier beteiligen sollen, haben vielleicht etwas Besseres zu tun, als sich an dieser Volkszählung zu beteiligen.
Fast zweieinhalb Jahre ist es her, daß dieser Versuch einer Volkserhebung in der Bundesrepublik Deutschland gescheitert ist. Das Bundesverfassungsgericht hat angesichts der Unruhe, die es in der Bevölkerung gegeben hatte, noch rechtzeitig eingegriffen, um dieses Debakel zu verhindern.Wir fragen uns: Warum waren nach den damaligen letzten Umfragen 28,7 % der bundesdeutschen Bevölkerung bereit, sich trotz Zwangsmaßnahmen, trotz angedrohter Zwangsgelder an dieser Erhebung nicht zu beteiligen? Warum waren sie bereit — und zwar waren es Leute, die allen Parteien zuneigten —, das Risiko des zivilen Ungehorsams auf sich zu nehmen trotz dieser Gesetzesbefehle?
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 159. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. September 1985 11923
StröbeleDa kommen wir zu dem Rentnerehepaar in Berlin, das seit Jahrzehnten zusammenlebt; alle glauben, es ist ein Ehepaar, aber im Grunde sind sie nicht verheiratet. Das Paar möchte dem Zähler nicht erzählen, in welchen Umständen es lebt. Es fürchtet um sein Wohngeld,
es hat die Befürchtungen gegenüber dem Sozialamt. Oder die Ehefrau, die einer Nebenbeschäftigung nachgeht, möchte ungern vor ihrem Ehemann zugeben, daß sie dieser Beschäftigung nachgeht.
Oder die Leute, die ihr Auto auf dem Lande bei ihren Verwandten angemeldet haben, um dort eine billigere Kraftfahrzeugsteuer zu bekommen,
all die mußten befürchten, daß ihre kleinen Unregelmäßigkeiten, daß ihre kleinen Geheimnisse herauskommen und daß sie die Konsequenzen zu tragen haben.
Wenn wir dafür sind, daß jeder Bürger das Recht auf informationelle Selbstbestimmung hat, dann heißt das auch, daß die Bürger solche kleinen Geheimnisse behalten sollen.
Es ist keineswegs so, wie das jetzt wieder hier behauptet wird und in der Beschlußempfehlung steht, daß der Bürger nach dem neuen Gesetz sicher sein kann, daß diese Geheimnisse gewahrt bleiben. 500 000 Zähler werden in alle Haushalte der Bundesrepublik ausschwirren, Beamte aus den Gemeinden mit den Grunddaten aus den Melderegistern versehen und werden dort Feststellungen treffen, und sie werden nach einigen Wochen oder spätestens nach einem Vierteljahr in ihre Dienststellen zurückgehen. Und dann sollen sie all das, was sie dort gehört und gesehen haben, vergessen haben? Ich glaube das nicht.
Diese Daten werden bei den Erhebungsstellen abgelegt. Dort lagern sie jahrelang. Dann wird ein Teil der Unterlagen weggeworfen. Aber es ist keineswegs so, daß in den Computern lediglich die automatisierten Daten, die nicht wieder individualisierbar sind, gespeichert würden, sondern ganz im Gegenteil. Herr Professor Brunstein hat uns während der Anhörung vorgemacht — das hat er auch schriftlich niedergelegt —, wie er in der Lage ist, aus diesen Daten jederzeit den einzelnen Bürger wiederzureanonymisieren, d. h. die Einzeldaten dem Bürger wieder zuzurechnen.
Weil wir das verhindern wollen und dem Bürger die Sicherheit geben wollen, daß dies nicht geschieht, sind wir gegen eine solche Volkserhebung.Es ist auch keineswegs so, daß ein Datennotstand die Regierung zwingen würde, Daten zu erheben. 1970 gab es eine Volkszählung. Die Verhältnisse sind nachher nicht besser geworden. 1980 und 1983 gab es keine Volkszählung. Niemand hat ein Beispiel dafür sagen können, welche Planungen danach etwa nicht hätten durchgeführt werden können.
Die Notwendigkeit der Aktualität der Daten, von der immer gesprochen wird, ist reiner Quatsch, weil die Verarbeitung der eingegebenen Daten Jahre dauert; das heißt, die statistischen Daten, auf die Sie soviel Wert legen, werden erst Jahre später vorliegen, wenn längst hundertausende von den Gezählten, die vorher verheiratet waren, wieder geschieden sind, ihren Arbeitsplatz gewechselt, ihre alte Wohnung verlassen haben und in eine neue umgezogen sind.Darüber hinaus liegt die Fehlerquote einer Volkszählung nach den Berechnungen der letzten Volkszählung von 1970 bei 1 bis 2 %. Die Daten sind also nicht ausreichend verwertbar.
Ich frage die Bundesregierung und diese Allparteienkoalition oder besser diese Altparteienkoalition, warum konnten Sie aus dem Beispiel Hollands nicht lernen? Holland hat das gleiche wie die Bundesrepublik Deutschland erlebt. Auch dort ist die Bevölkerung aufgestanden und hat gesagt: Wir wollen uns nicht zählen lassen! In Holland hat man nicht versucht, der Bevölkerung eine neue Zählung aufzudrücken, vielmehr hat man die Volkszählung durch Auszählung der Register ersetzt und durch Stichproben aus dem Bereich des Arbeits- und Wohnungsmarktes. Warum geht das, was in Holland geht, in der Bundesrepublik nicht?
Statt dessen belästigen Sie die Bevölkerung mit unzähligen Fragen. Statt dessen fragen Sie in der Bundesrepublik wieder, fragt ein deutscher Staat die Bevölkerung schon wieder, ob jemand islamischen oder jüdischen Glaubens ist. Ich finde, allein schon eine solche Frage ist unzumutbar.Wie sehr Sie selbst der Bevölkerung mißtrauen, ergibt sich daraus, daß Sie die Volkserhebung nicht auf freiwilliger Basis durchführen. Wenn Sie davon überzeugt wären, daß Ihre Argumente richtig sind, und wenn Sie nachweisen könnten, daß tatsächlich alles so überzeugend ist, wie Sie behaupten, dann könnten Sie das auch der Bevölkerung klarmachen. Nur weil Sie ein tiefes Mißtrauen gegen diese Bevölkerung haben, weil Sie selber nicht glauben, daß Ihre Argumente die Bevölkerung überzeugen, ziehen Sie sie zwangsweise zu dieser Volkserhebung heran.
Deshalb versuchen Sie, die Bevölkerung durch Androhung von Ordnungsgeld und anderen Zwangs-
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11924 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 159. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. September 1985
Ströbelemaßnahmen zur Teilnahme an dieser Volkszählung zu zwingen.Die Alternative zu einer solchen totalen Volkserhebung, wie Sie sie von der Bevölkerung hinsichtlich der Daten verlangen, ist die Aufnahme von Daten im kommunalen Bereich, orientiert an den Problemen der Bevölkerung und allein auf freiwilliger Basis.
Nach den letzten Mitteilungen, die wir gestern im Innenausschuß bekommen haben, sind derzeit lediglich 30 % der Bevölkerung bereit, sich an der Volkszählung 1987 zu beteiligen.
Wir werden alles tun, damit dieser Prozentsatz nicht größer wird, sondern daß der Prozentsatz derer, die sich hieran nicht beteiligen, bleibt oder noch größer wird. Denn wir fürchten, daß auf der Grundlage dieser Daten eine Verdatung der Gesamtbevölkerung angestrebt wird, eine Verdatung, auf deren Grundlage eine soziale Kontrolle der Bevölkerung angestrebt wird. Wir befürchten, daß Sie oder zukünftige Regierungen dann, wenn diese Daten 1987 zum letzten Mal, wie das immer wieder behauptet wird, erhoben worden sind, wenn Sie sie im „Kasten" haben, mit eben diesen Daten Mißbrauch gegenüber der Bevölkerung betreiben. Deshalb sind wir hier in diesem Bundestag die einzige Opposition,
die hierzu kritisch steht und ganz eindeutig sagt: Wir wollen diese Volkszählung nicht. Wir wollen alles tun, damit die Bevölkerung vor dieser Volldatenerhebung bewahrt wird.Ich rufe die Bevölkerung auf, sich an dieser Volksdatenerhebung nicht zu beteiligen.
Das Wort zu einer Erklärung nach § 30 der Geschäftsordnung hat der Abgeordnete Mann.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Dr. Hirsch, ich möchte den Kolleginnen und Kollegen hier nur ganz kurz zur Kenntnis bringen, daß ich nicht ordentliches, sondern stellvertretendes Mitglied des hier federführenden Innenausschusses bin, daß ich dem Rechtsausschuß angehöre, der in der Regel zur gleichen Zeit wie der Innenausschuß tagt, und daß ich mich bemüht habe, im Rahmen meiner Möglichkeiten und meines Engagements an den Beratungen zu dieser Frage, insbesondere an der Anhörung, teilzunehmen. Ich fände es gut, wenn wir hier in Zukunft nicht mit solchen, einen Kollegen doch ins Zwielicht bringenden Unterstellungen argumentieren würden.
Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär Waffenschmidt.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bei der Volkszählung geht es um die Sicherung der Zukunft für alle Bürger in unserem Lande. Gerade nach den letzten Ausführungen, die hier von dem Sprecher der GRÜNEN gemacht worden sind, will ich sagen: Wer sich hier verweigert, kündigt die Solidarität im Volke auf. Das muß deutlich ausgesprochen werden.
Gerade im Hinblick auf den Sozialstaat und die sozialen Leistungen, die wir im Sozialstaat erbringen wollen, müssen wir durch die Volkszählung die entsprechenden Voraussetzungen schaffen. Es zeugt von der ganzen Unglaubwürdigkeit Ihrer Politik, die Sie doch immer dafür eintreten, Bedürftigen zu helfen, daß Sie die Schaffung der Grundlagen für den Sozialstaat verweigern, meine Damen und Herren.
Herr Staatssekretär, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Ströbele?
Nein, ich möchte hier zunächst deutlich vortragen,
was von seiten der Regierung in dieser Situation nach den umfangreichen Beratungen, die wir im Innenausschuß vorgenommen haben, zu sagen ist: Dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Volkszählung wurde voll Rechnung getragen. Es muß deutlich ausgesprochen werden, meine Damen und Herren: Wer jetzt noch sagt, Datenschutz sei nicht gegeben, es werde ausgehorcht, der führt die Bevölkerung bewußt in die Irre. Der Datenschutz ist in vollem Umfang gewahrt. Dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts wurde in vollem Umfang entsprochen. Dies ist deutlich festzustellen.Deshalb möchte ich auch nach dem, was die Regierung vorgeschlagen hat, nach dem, was mit großer Mehrheit im Innenausschuß verabschiedet wurde, von dieser Stelle als Vertreter der Bundesregierung alle Bürger in unserem Lande aufrufen: Machen Sie mit bei der Volkszählung, denn hier tut jeder etwas für sich und die Mitbürger, für die Sicherung der Zukunft unseres Volkes. Dazu sind alle aufgerufen.
Lassen Sie mich auf einige Schwerpunkte eingehen. Erstens. Der Stichtag der neuen Volkszählung wurde auf den 25. Mai 1987 festgelegt. Ich will hier klar sagen: Mit der Verschiebung um rund ein Jahr wurde dafür Sorge getragen, daß alle notwendigen Vorbereitungen in Bund und Ländern, insbeson-
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 159. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. September 1985 11925
Parl. Staatssekretär Dr. Waffenschmidtdere auch die verfahrenssichernden Vorschriften in den Ländern, erlassen werden können.
Herr Staatssekretär, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage?
Ich hatte soeben gesagt, Frau Präsidentin, in der Kürze der Zeit will ich die wesentlichen Schwerpunkte des Gesetzes noch einmal vortragen.
Zweitens. Im fachlichen Programm wurde dem, was die Regierung zur Durchführung der Volkszählung vorgeschlagen hat, voll entsprochen.
Drittens. Wesentlich für die Durchführung der Zählung in den Gemeinden sind die erweiterten Vorschriften über die Einrichtung und die Organisation der Erhebungsstellen und der in ihnen tätigen Personen. Ich möchte hier noch einmal in aller Öffentlichkeit unterstreichen: Alle dort mit der Volkszählung befaßten Mitarbeiter sind in besonderer Weise zur Geheimhaltung der Angaben zu verpflichten. Alles, was sie an Erkenntnissen aus ihrer Tätigkeit gewinnen, ist einer besonderen Geheimhaltungspflicht unterworfen. Dies ist im Gesetz noch einmal mit besonderer Deutlichkeit verankert.
Es gibt einige Erleichterungen für die Durchführung des Gesetzes, so die portofreie Beförderung der Erhebungsbögen, so die steuerfreie Aufwandsentschädigung für die ehrenamtlichen Zähler.
Meine Damen und Herren, es konnten nicht alle die Wünsche erfüllt werden, die etwa die kommunalen Spitzenverbände im Hinblick auf die Auswertung der Daten noch zusätzlich an uns herangetragen haben. Aber ich will an dieser Stelle sagen: Dies zeigt gerade, mit welch hoher Intensität wir uns in den Beratungen auch seitens der Bundesregierung um die Sicherstellung des Datenschutzes bemüht haben. Wir hätten gern noch mehr von den erhobenen Daten an die Städte und Gemeinden gegeben. Aber: Im Zweifel für den Datenschutz! Auch daran zeigt sich, daß wir alles getan haben, um die Sicherheit für den Bürger zu gewährleisten.
Noch zwei Bemerkungen. Von besonderer Bedeutung ist die in das Volkszählungsgesetz aufgenommene Vorschrift, die eine Reidentifizierung der erhobenen Daten klar untersagt. Die Zusammenfassung der Daten, so daß dadurch auf die Person des Datengebers geschlossen werden könnte, ist deutlich unterbunden.
Meine Damen und Herren, mit Recht hat uns auch die Finanzierung der Volkszählung beschäftigt. Es liegt Ihnen heute ein Antrag der Regierungskoalition vor, das, was hier an Kosten, insbesondere bei den Ländern und Gemeinden, entsteht, mit einer Zuweisung von 4,50 DM pro Einwohner zu versehen. Das ist eine wirksame Hilfe für alle, die sich hier beteiligen und die auch einen wesentlichen Aufwand zu leisten haben.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich am Schluß dieser Beratungen ein ganz herzliches Wort des Dankes allen denen sagen, die geholfen haben,
dieses Gesetz vorzubereiten. Das gilt neben allen denen, die im Innenausschuß in positiver Weise mitgewirkt haben, auch den Vertretern des Bundesinnenministeriums und des Statistischen Bundesamtes, die hier viele, viele Stunden zusätzlicher Arbeit geleistet haben, um zu helfen.
Ich sage hier deutlich: Das Ja zur Volkszählung ist ein Ja zu entscheidenden Initiativen für die Zukunft unseres Landes. Deshalb möchte ich von dieser Stelle noch einmal dazu aufrufen, daß wir die Information, die die Bundesregierung — insbesondere auch das Statistische Bundesamt — in den nächsten Monaten für die Volkszählung herausgeben wird, intensiv unterstützen, daß wir alle auch persönlich für die Volkszählung werben. Denn damit geschieht etwas zur Sicherung der Zukunft unseres Volkes. In diesem Sinne bitte ich Sie, der Volkszählung und dem vorgelegten Gesetzentwurf Ihre Zustimmung zu geben.
Herzlichen Dank.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf über eine Volks-, Berufs-, Gebäude-, Wohnungs- und Arbeitsstättenzählung— Drucksache 10/2814 —.
— Meine Damen und Herren, würden Sie einen Moment zuhören! Wir müssen abstimmen.Ich rufe §§ 1 bis 18 in der Ausschußfassung auf. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? —§§ 1 bis 18 sind angenommen.Ich rufe § 19 auf. Hierzu liegen auf den Drucksachen 10/3900 und 10/3902 Änderungsanträge der Fraktion der SPD sowie der Fraktionen der CDU/ CSU und der FDP vor.Ich lasse zunächst über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/3900 abstimmen. Wer diesem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen?
— Die Mehrheit wird angezweifelt. — Von hier wird die Mehrheit angezweifelt. Es bleibt uns nichts anderes übrig: wir müssen einen Hammelsprung machen.
Ich bitte, den Saal zu verlassen. — Ich bitte die Schriftführer, sich an die Ausgänge zu stellen. — Stehen an allen Türen jetzt zwei Schriftführer?
Meine Damen und Herren, ich möchte noch mitteilen, daß die Berliner Abgeordneten bei dieser Abstimmung gesondert gezählt werden müssen.Ich eröffne die Abstimmung.
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11926 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 159. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. September 1985
Vizepräsident Frau RengerDie Auszählung ist abgeschlossen. Ich bitte die Schriftführer, mir die Stimmergebnisse mitzuteilen.Meine Damen und Herren, ich bitte um einen Moment Aufmerksamkeit. Zu dem Antrag auf Drucksache 10/3900 haben 135 Abgeordnete mit Ja gestimmt, mit Nein 214, enthalten haben sich 11.Der Antrag ist damit abgelehnt.Ich rufe den Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU und der FDP auf Drucksache 10/3902 auf. Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Antrag ist mit Mehrheit angenommen.Meine Damen und Herren, wer dem § 19 in der Ausschußfassung mit der soeben beschlossenen Änderung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Antrag ist angenommen.Ich rufe die §§ 20 und 21, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Die §§ 20 und 21, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung sind damit angenommen.Meine Damen und Herren, nach Annahme von Änderungsanträgen in zweiter Beratung darf sich nach § 84 b unserer Geschäftsordnung die dritte Beratung nur dann unmittelbar anschließen, wenn auf Antrag einer Fraktion oder fünf vom Hundert der Mitglieder des Bundestages zwei Drittel der anwesenden Mitglieder dies beschließen.Der Antrag, die dritte Beratung unmittelbar anzuschließen, ist fristgerecht gestellt worden. Ist das Haus damit einverstanden? — Das Haus ist damit einverstanden, und zwar mit der erforderlichen Mehrheit, da sich kein Widerspruch erhoben hat.Wir treten damit in diedritte Beratungein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Dieses Gesetz ist gegen die Stimmen der GRÜNEN und einiger Abgeordneter der SPD angenommen.Meine Damen und Herren, es ist noch über eine Beschlußempfehlung des Ausschusses abzustimmen. Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 10/3843 unter Nr. 2 die Annahme einer Entschließung. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Die Entschließung ist angenommen.Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den auf Drucksache 10/3887 vorliegenden Entschließungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN. Wer diesem Entschließungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Dieser Antrag ist abgelehnt.Damit meine Damen und Herren, ist dieser Tagesordnungspunkt erledigt, und ich rufe Punkt 7 der Tagesordnung auf:Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses
zu dem Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und FDP zur Erklärung der Bundesregierung über die Jahresversammlung 1984 des Internationalen Währungsfonds in Washingtonzu dem Antrag der Fraktion DIE GRÜNENVorlage eines jährlichen Berichts über die Kreditpolitik des Internationalen Währungsfonds und der Weltbankgruppe durch die Bundesregierung— Drucksachen 10/2063, 10/2818, 10/3473 —Berichterstatter:Abgeordnete Rapp Dr. von WartenbergNach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die Aussprache 60 Minuten vorgesehen. Ist das Haus damit einverstanden? — Es erhebt sich kein Widerspruch; dann ist das so beschlossen.Wünscht ein Berichterstatter das Wort? — Das ist nicht der Fall. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Stommel.Einen Augenblick, Herr Abgeordneter! — Meine Damen und Herren, ich habe dem Abgeordneten Stommel das Wort zu Punkt 7 der Tagesordnung erteilt. Wer unseren Beratungen nicht beiwohnen möchte, den bitte ich, den Raum zu verlassen. Die anderen bitte ich, sich zu setzen und möglichst zuzuhören.Bitte, Herr Kollege.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn wir heute die in den Ausschüssen des Deutschen Bundestages ausführlich behandelten Anträge zu IWF-Themen im Plenum debattieren, so können wir uns dem dramatischen Hintergrund dieser Debatte, wie er sich in jüngster Zeit aufgebaut hat, nicht entziehen. Da ist die auf der Weltwirtschaft wieder verstärkt lastende internationale Verschuldung, da ist die Kapitalnot der ärmsten Entwicklungsländer, da ist aber auch die bewunderswerte Energie einer Reihe von Ländern, vor allem Mexikos, die Schuldenlast zu bewältigen, und da ist gleichzeitig unsere Erschütterung über das Erdbeben, das die Bemühungen in jenem Land so schlagartig stoppt.Vor diesem Hintergrund ist es verständlich, nach den Grundzügen unserer Politik gegenüber den stark verschuldeten Ländern zu fragen. Ich möchte hier feststellen: Mit ihrem Entschließungsantrag unterstützen CDU/CSU und FDP die Bundesregierung in ihrer Politik, in einer Politik, die im übrigen auch von früheren Bundesregierungen getragen wurde.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 159. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. September 1985 11927
StommelDiese Gemeinsamkeit der Vernunft will die SPD heute zumindest teilweise verlassen; wir von der CDU sehen aber für einen generellen Kurswechsel keinen Anlaß. Das Ziel, in den überschuldeten Ländern die Grundlagen für ein stabiles Wirtschaftswachstum wiederherzustellen, ist richtig und darf bei allen aus der aktuellen Situation geborenen Überlegungen zu eventuellen Korrekturen nicht aus den Augen verloren werden. Das gilt zuallererst im Interesse der verschuldeten Länder, das gilt zugleich aber auch im Interesse der Geberländer, denn beide müssen in engem Kontakt bleiben. Nur so läßt sich das Mißtrauen an den Kapitalmärkten überwinden. Eine solche Politik stärkt die Schuldendienstfähigkeit und damit auch die Fähigkeit, neue Kredite aufzunehmen. Das ist eine Politik zur Wiederteilnahme dieser Länder am Welthandel, eine Politik, die eine erreichbare Zukunft zum Ziel hat.
Die Erfahrungen und Beobachtungen in letzter Zeit zeigen indes, daß der Weg zu diesem Ziel mehr als beschwerlich ist.
— Nein, unmöglich ist er nicht.
Von allen Seiten werden zwar große Anstrengungen unternommen. Ich möchte hier ausdrücklich und an erster Stelle die enormen Anpassungsmaßnahmen vieler Entwicklungsländer hervorheben.Den Mut und die Weitsicht der politisch Verantwortlichen in zumeist jungen Demokratien vermag nur voll zu würdigen, wer sich vor Augen führt, zu welchen Belastungen des allgemeinen politischen Klimas vergleichsweise harmlose Konsolidierungsbemühungen in den westlichen Industrieländern geführt haben. Dabei ging es ebenfalls darum, die eigenen Wünsche und Pläne an die Realitäten anzupassen.Um diese Anstrengungen in den Entwicklungsländern richtig zu würdigen, muß man wissen, daß z. B. Mexiko für diese notwendige Anpassung einen Preis zahlen mußte, der bei den Arbeitnehmereinkommen zwischen 1980 und 1984 Reallohneinbußen hatte, die zusammen nicht weniger als 29 % ausmachten.Daß in manchen Ländern die Anpassungslasten sehr ungerecht verteilt wurden und werden, räume ich ein. Die für innenpolitische Zwecke gemünzten Anschuldigungen gegen den Internationalen Währungsfonds werden leider auch bei uns aufgegriffen. Diese Vorwürfe sind jedoch an die falsche Adresse gerichtet. Der Fonds darf sich nicht die Rolle anmaßen, in die sozialen Zielsetzungen souveräner Regierungen einzugreifen. Meine Damen und Herren, das wäre das Ende des Internationalen Währungsfonds.
Der Internationale Währungsfonds hat mit Umsicht und ohne ideologische Überfrachtung Stabilisierungsprogramme entwickelt, die nicht den interna tionalen Banken, dem Internationalen Währungsfonds oder uns zuliebe durchgeführt werden müssen, sondern aus der politischen Verantwortung für die Gesundung jener Volkswirtschaften. Der IWF erleichtert diesen beschwerlichen Anpassungsweg durch Kredite, durch Rat und durch Einzelprogramme, die das Vertrauen in die Ernsthaftigkeit und Dauerhaftigkeit der Wirtschaftsreformen begründen sollen.
Die Bereitschaft, das eigene Haus in Ordnung zu bringen, haben übrigens bei der UNO-Vollversammlung die Vertreter der großen Schuldnerländer bekräftigt.
— Herr Kollege von den GRÜNEN, ich muß jetzt auf Ihre Zwischenrufe einmal kurz eingehen. Sie verlangen Antworten, Sie wollen mehr wissen, Sie wollen mehr fragen, Sie wollen mehr zu den Zielsetzungen des Internationalen Währungsfonds erfahren. Das bekunden Sie durch Ihre Zwischenrufe. Dann verstehe ich aber nicht, warum Sie gestern im Finanzausschuß, wo der Staatssekretär Tietmeyer ausführlich zu dieser Thematik gesprochen hat, abwesend waren. Ich verstehe einfach nicht, daß Sie hier auftreten, permanent nach mehr Wissen verlangen, aber dann, wenn in einem Ausschuß mal über die Zielsetzungen berichtet wird, ist keiner aus Ihrer Fraktion anwesend. Alle Fraktionen waren vertreten, nur nicht die Fraktion der GRÜNEN. Ihr Aufspielen hier vor dem Hause ist in meinen Augen unredlich. Entschuldigen Sie bitte.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Nein, Frau Präsident. Ich nehme an, der Kollege wird jetzt selbst einen Beitrag bringen. Dann kann er seinen Standpunkt verwirklichen.Wenn wir das Ziel der Wiedergewinnung det Kreditfähigkeit unverändert für richtig halten, sc sollte uns das doch nicht hindern, von Fall zu Fall flexibel zu handeln und Bemühungen um elastische Handhabungen im Einzelfall zu unterstützen. So ist z. B. der Schuldenerlaß kein Instrument, das der Wiedergewinnung der Kreditfähigkeit jener Länder dient. Das steht nicht im Widerspruch dazu, daß die Bundesregierung den ärmsten Entwicklungsländern über 4 Milliarden DM erlassen hat. Damit liegt die Bundesrepublik beim Schuldenerlaß mit Abstand an der Spitze aller Geberländer.Ich bin der Meinung, daß anläßlich der gemeinsamen Jahrestagung von IWF und Weltbank in Seoul im Oktober Vorschläge für eine flexiblere Geschäftspolitik von IWF und Weltbank aufgeschlossen geprüft werden müßten. Der Beitrag, der unmittelbar von der Bundesrepublik aus zu leisten ist muß vor allem in der Beibehaltung eines kräftigen Wirtschaftswachstums und in der Offenhaltung unserer Märkte für die Exporte auch der Entwicklungsländer liegen. Eines muß klar gesagt werden
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11928 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 159. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. September 1985
StommelAuch zur Lösung der hier behandelten Problematik heißt der Schlüssel Wirtschaftswachstum. Man kann nicht bei uns wachstumsfeindliche Thesen vertreten und gleichzeitig überall das traurige Schicksal der Entwicklungsländer bedauern.Meine Damen und Herren, unsere Verantwortung besteht auch in der Abwehr protektionistischer Tendenzen. Das sage ich nicht nur im Hinblick auf den Atlantik, das sage ich auch an die Adresse von Europa. Hier sind wir alle gefordert. Die EG darf nicht den freien Binnenmarkt anstreben, die Außengrenzen aber mehr und mehr schließen. Dies entspräche auch nicht unseren Vorstellungen von Europa. Wir unterstützen in diesem Zusammenhang alle Bemühungen, alsbald eine neue Runde von GATT-Verhandlungen durchzuführen.
Ich habe mich auf mögliche Beiträge der Bundesrepublik beschränkt. Dabei weiß ich natürlich, daß auch für andere Industrieländer Handlungsbedarf, ja, Handlungszwang besteht, nicht zuletzt für die USA, deren hohes Budget- und Außenhandelsdefizit große Störfaktoren sind. Nirgendwo wird dies übrigens schärfer formuliert als in der inneramerikanischen Diskussion selbst. Ich halte nichts von öffentlichen lautstarken und leider oft selbstgerechten Forderungen an andere. Leisten wir zunächst unseren Beitrag. Außerdem bin ich sicher, daß in Gesprächen mit unseren Partnern offen geredet wird. Jüngstes Beispiel hierfür ist die Abstimmung der Finanzminister und Notenbankgouverneure der fünf führenden westlichen Industrieländer am 22. September in New York. Sie zeigt, daß die Zusammenarbeit funktioniert.
Sie zeigt auch, daß der Wille zu angemessenen und elastischen Maßnahmen, die wir j a wollen, Herr Kollege, vorhanden ist.
Meine Damen und Herren, ich bitte Sie, dem Entschließungsantrag der Koalitionsfraktionen zuzustimmen. Er bekundet den Willen des Parlaments an sachgerechten wohlabgewogenen Lösungen mitzuwirken und unsererseits allen Versuchen zu widerstehen, die Arbeit der internationalen Organisationen zu erschweren.Ich danke Ihnen.
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Matthäus-Maier.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei der Schuldenproblematik der Dritten Welt geht es nicht allein um Finanztechnik. Alan Garcia, der Präsident von Peru, hat in dieser Woche vor der UNO-Vollkonferenz gesagt, Lateinamerika stehe vor der „dramatischen Wahl, entweder Schulden oder Demokratie zu haben". Ihm ist vorgeworfen worden, das sei dramatisch überspitzt, um beim IWF möglichst viel herauszuholen. Ich glaube, man kann die Situationder Schuldnerländer gar nicht dramatisch genug beschreiben.
Wie einstmals Sisyphus versuchen sie, den Berg ihrer Schulden zu bewältigen. Sie produzieren, exportieren, bekommen Devisen, wollen damit Schulden bezahlen, aber sie sehen kein Licht am Ende des Tunnels. Sie haben in ihren Ländern Streiks, Aufruhr, Widerstand gegen die scharfen Auflagen des IWF, die oft depressiv wirken. José Sarney, der brasilianische Präsident, sagte ebenfalls in der UNO: Diese Probleme bedrohen die außerordentlichen Anstrengungen Lateinamerikas, eine demokratische Gesellschaftsordnung zu schaffen.Gestern hörte ich in einem Gespräch mit einem hochrangigen Banker, das ganze Problem könne man mit mehr Disziplin bei den Schuldnerländern lösen. Daran ist richtig, daß die Schuldnerländer in der Vergangenheit große Disziplinlosigkeit gezeigt haben: beim Schuldenmachen, bei der Kapitalflucht. Die führenden Eliten in diesen Ländern haben das getan, was sie in Südamerika seit Jahrhunderten getan haben. Sie haben die breite Masse ausgeplündert und das Geld dann nach Amerika geschafft. Sie haben sich bei den Militärausgaben undiszipliniert verhalten. Das ist alles richtig. Deswegen sind wir auch grundsätzlich für die Konditionalität bei der Gewährung von Krediten durch den Währungsfonds. Aber, meine Damen und Herren, selbst wenn man Disziplin bejaht, so ist doch die Frage, was diese Länder realistischerweise aushalten können. Wenn Alan Garcia darauf hinweist, daß sein Land in diesem Jahr wahrscheinlich 3,7 Milliarden DM Schuldendienst erfüllen muß, Tilgung und Zinsen, aber höchstwahrscheinlich nur 3,1 Milliarden DM an Exporterlösen bekommt, dann weiß man, wenn man nachrechnet, daß dieses Volk seine Schuldendienstleistungen nicht erfüllen kann, so sehr es sich auch anstrengt. Wenn Garcia sagt, daß er nur noch 10 % seiner Exporterlöse für den Schuldendienst verwenden will, so tut er das nicht, weil er dem Schuldenaufruf-Boykott Fidel Castros folgt — der im übrigen sehr unglaubwürdig ist, denn er bezahlt seine Schulden an die UdSSR äußerst pünktlich —,
sondern er tut es, weil er mit dem Rücken an der Wand steht und nicht weiß, was er sonst tun soll.Disziplin muß man mindestens genausosehr, wenn nicht mehr von den Ländern verlangen, die sie sich leisten können. Gestern stand in der Zeitung: „Wer so hohe Schulden hat, wer so viel Geld pumpen muß, der muß sparen, der muß seinen Gürtel enger schnallen, der muß sich bemühen, seine Finanzen in Ordnung zu bringen". Es sprach nicht etwa Herr de Larosière über Peru, sondern Otto Graf Lambsdorff über die USA. Wenn Sie noch eine andere Stimme brauchen: Der ehemalige Chefökonom von Präsident Reagan äußert sich genauso: ,Der einzig gangbare Weg zur Senkung der realen Zinssätze in der Welt liegt in der Kürzung der geplanten Haushaltsdefizite." Daran ändert auch die
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Frau Matthäus-MaierFinanzministerkonferenz vom Wochenende nichts, denn sie ist pure Augenwischerei.
Solange wir nicht an die Ursache der Probleme herangehen, werden wir nicht zu einer Lösung kommen. Eine der Grundursachen liegt in den USA: Dort wird eine — ich darf es einmal so sagen — perverse Form von Keynesianismus betrieben, nämlich ungeheure Militärausgaben. Das Neueste auf der Tagesordnung ist SDI. Dies reißt in den Haushalt große Löcher; zur Deckung der Defizite braucht man Geld, wofür man sehr hohe Zinsen zahlen muß. Auf diese Weise saugt Amerika Geld aus der ganzen Welt an, Kapital, das man bei uns zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und noch viel mehr in der Dritten Welt zur Bekämpfung von Elend, Hunger, Not und Massenarbeitslosigkeit brauchen würde.
Ich will hier nicht einseitig sein: Jeder weiß, daß wir in Europa auch von den hohen Zinsen und dem deswegen hohen Dollarkurs profitiert haben, weil wir dadurch mehr in die USA exportieren konnten. Wenn man aber die Vor- und Nachteile gegeneinander abwägt, so erscheint mir, daß wir und erst recht die Entwicklungsländer unter dem Strich unter der Politik des hohen Defizits der USA mehr leiden als davon profitieren.Das stammt nicht von mir — weil Sie sich gleich wieder furchtbar aufregen werden —, sondern von Helmut Schmidt: So wie wir weltweit den Vietnamkrieg Anfang der 70er Jahre durch eine weltweite Inflation, einen Zusammenbruch des Weltwährungssystems bezahlt haben, so besteht heute die Gefahr, daß wir die Riesenrüstungsprogramme der USA durch Kapitalexport aus der ganzen Welt bezahlen. Wir können das noch ertragen; aber was ist mit der Dritten Welt, die zum Netto-Kapital-Exporteur geworden ist? Was heißt dieses vornehme Wort? Das heißt doch wohl, daß der arme Süden mehr Geld in den reichen Norden bringt als der reiche Norden in den armen Süden. Ob das wohl noch der Philosophie der Entwicklungshilfe entspricht? Nein, meine Damen und Herren.Hier richtet sich auch die Kritik an diese Bundesregierung. Diese Bundesregierung macht im internationalen Bereich genau das, was sie in der Innenpolitik macht: sie stopft Löcher, sie flickt, sie kommt über die Runden; sie regiert nicht, sondern sie verwaltet.
— Sie regiert nicht, sie verwaltet, denn sonst müßte sie sich einmal die Frage stellen, ob sie nicht mehr tun müßte, als nur finanztechnisch über die Runden zu kommen. Diese Bundesregierung wirkt zwar im IWF ab und zu durchaus mäßigend in Details der Finanzpolitik auf die USA ein, aber Sie wissen, Herr Kollege, daß jeder Vorschlag abgelehnt wird. Der Vorschlag einer Verbindung zwischen Kapitalexporterlösen und Schuldendienstleistungen von Garcia wird in einen Topf mit dem Boykottaufruf des Herrn Castro geworfen und einfach abgelehnt. Sie lehnen die Cartagena-Forderung nach einerSchuldenkonferenz ab. Wo sonst als auf einer großen Schuldenkonferenz wollen Sie denn die Frage des Protektionismus beraten?
— Durchhangeln, jawohl.
Ich lasse die Zwischenfrage gerne zu, wenn das meine Redezeit nicht verkürzt. — Wo sonst als auf einer solchen Schuldenkonferenz wollen Sie solche Probleme beraten?
Jetzt kommt die Zwischenfrage des Abgeordneten Lammert, die Sie schon zugelassen haben.
Frau Kollegin, ich kann ja einem großen Teil Ihrer Ausführungen, wenn auch manchmal mit Mühe, durchaus folgen. Könnten Sie mir aber bitte für den Teil, den Sie zu einer obligatorischen Beschimpfung der Politik dieser Bundesregierung glaubten nutzen zu müssen, erläutern, worin denn eigentlich der Unterschied in der Politik dieser Bundesregierung in der Handhabung des internationalen Schuldenproblems gegenüber ihrer Vorgängerregierung besteht, für die ein sozialdemokratischer Finanzminister ressortmäßig zuständig war?
Den Unterschied werde ich Ihnen gerne aufzeigen. Ein ehemaliger Finanzminister von der SPD sitzt j a da.
Der Unterschied ist der, daß die wirkliche Massivität der Schuldenproblematik erst im Jahre 1982 aufgetaucht ist, also in — —
— Entschuldigen Sie, daran besteht doch überhaupt kein Zweifel. Im Jahre 1982 tauchte das Problem Mexiko auf. Vorher sprach doch kein Mensch davon. Ich will Ihnen gerne einräumen: auch wir hätten vielleicht mehr Einsicht oder Voraussicht haben können. Aber das Problem, daß diese Länder kaputtgehen, wenn wir nicht politische Lösungen finden, gibt es erst seit 1982 und den folgenden Jahren. Deswegen haben Ihre Finanzminister eine sehr viel höhere Verantwortung, weil sie das Problem auch viel besser durchschauen.
Oder warum weigert sich diese Bundesregierung, über Teilerlaß auf einer solchen Schuldenkonferenz zu reden? Ich will damit nicht umgehen, daß Schuldenregelung und Umschuldung immer nur case by case — also Fall für Fall — vorgenommen werden müssen; aber es geht doch um die Grundsätze. Warum regen Sie sich so über Erlasse auf? Erinnern Sie sich nicht, daß die Bundesrepublik Deutschland erst durch das Schuldenabkommen von 1952, an dem maßgeblich der Bankier Hermann Josef Abs beteiligt war, von den Gläubigerländern
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11930 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 159. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. September 1985
Frau Matthäus-Maierüber die Hälfte der Schulden erlassen bekam, daß die Tilgungszeiten gestreckt und die Zinsen gesenkt wurden? Erinnern Sie sich nicht, daß wir überhaupt nur auf Grund dieses Teilerlasses in der Lage waren, unsere Schulden zu bezahlen und wirtschaftlich wieder auf die Beine zu kommen, meine Damen und Herren? Nein ohne eine politische Lösung werden wir das nicht in den Griff bekommen.Oder warum weigert sich die Bundesregierung, den Antrag der SPD-Fraktion für einen Marshall-plan für die Dritte Welt hier im Deutschen Bundestag aufzugreifen, also eine Idee, die besagt: wir schränken die Militärausgaben auf der ganzen Welt ein, und das frei werdende Kapital stecken wir in erhöhte Entwicklungshilfe? Liegt der Widerstand allein daran, daß diese Idee von der SPD und hier vor allem von Willy Brandt kommt? Da können wir Ihnen helfen. Lesen Sie mal nach, daß Henry Kissinger, der ja der SPD nicht sonderlich nahe steht, vor kurzem einen ganz ähnlichen Vorschlag gemacht hat, und er hat recht. Auf der ganzen Welt werden rund tausend Milliarden Dollar im Jahr für Rüstung ausgegeben, gleichzeitig verhungern Menschen und sinken die verschuldeten Länder immer mehr in Not und Armut. Da ist es doch eigentlich das Einleuchtendste, daß man diese Arbeit der Abrüstung nicht nur den Großmächten in Wien oder Genf überläßt, sondern selbst aktiv Vorschläge auch durch diese Bundesregierung einbringt und z. B. den Antrag der SPD — Marshallplan für die Dritte Welt — aufgreift. Aber nein, Sie haben sogar die Exportgenehmigung im Jahr 1983 so hoch gesetzt, daß die alte Regierung, die da ja schon nicht zimperlich war — das brauchen Sie mich gar nicht zu fragen —, in der gleichen Zeit für das gleiche Volumen sechs Jahre gebraucht hat. Nein, meine Damen und Herren, die Bundesregierung nimmt ihre Aufgabe nicht wahr.Ich komme damit zum Schluß. Ich bin nicht davon überzeugt, daß es zu der großen internationalen Finanz- und Wirtschaftskatastrophe kommen muß. Ich bin aber auch nicht davon überzeugt, daß sie nicht kommt. Wer in dieser Situation nur verwaltet, aber keine konzeptionellen Vorschläge macht, der führt objektiv eine Katastrophenstrategie durch. Er will vielleicht die Katastrophe nicht, nimmt sie aber sehenden Auges in Kauf. Das werfen wir dieser Regierung vor, und deswegen stimmen wir dem Antrag nicht zu.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Solms.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es besteht kein Zweifel, daß die Schuldenkrise nichts an Brisanz gegenüber dem letzten Jahr verloren hat. Wer aber einmal in Sanierungsverhandlungen in der privaten Wirtschaft gestanden hat, der weiß: je brenzliger ein Problem ist, mit desto mehr Ruhe muß man es angehen.
Es hilft also nicht aufgeregter Aktionismus oder eine neu einberufene Schuldenkonferenz, sondern es gilt, weiterzufahren auf den beschrittenen Wegen, die mit Sachverstand von den dafür zuständigen Gremien eingeschlagen worden sind. Wozu haben wir denn die Tagung des Weltwährungsfonds in der nächsten Woche diesmal in Korea,
die in jedem Jahr wiederholt wird, wenn nicht dort die dafür zuständigen Personen der einzelnen Länder zusammenkämen, um die anstehenden Probleme zu bewältigen?Ich gebe der Vorrednerin zu, es liegt sicherlich in erster Linie auch im Interesse der Industrieländer, die Verschuldungskrise zu entschärfen, soweit sie dazu einen Beitrag leisten können. Denn ihr eigenes Bank- und Wirtschaftssystem, wird von der Verschuldungskrise indirekt betroffen. Die Industrieländer dürfen in gar keinem Fall mit der Abschottung ihrer Märkte reagieren; Protektionismus wäre die denkbar schlechteste Antwort auf diese Krise. Offene Märkte, stabiles, reales Wachstum und eine wirksame Kontrolle der Inflation sind der beste Beitrag, den die Industriestaaten zum Abbau der Verschuldungssituation der Dritten Welt leisten können.Zur langfristigen Bewältigung der Verschuldungskrise ist allerdings der Abbau der amerikanischen Defizite von entscheidender Bedeutung. Selbst die OECD hat zugestanden, daß die Politik der Bundesrepublik, so wie sie in den letzten Jahren betrieben wurde und auch weiter betrieben wird, im Grunde genommen keine Wünsche offen läßt. Deshalb scheint es mir doch sehr an den Haaren herbeigeholt, auch nur einen Teil der Verschuldungskrise dem gegenwärtigen Finanzminister in die Schuhe zu schieben, Frau Kollegin Matthäus-Maier; denn das würde die früheren Finanzminister genauso treffen. Ich glaube, daß hier die weltwirtschaftlichen Entwicklungen insgesamt zuwenig vorhergesehen worden sind und daß wir nun gemeinsam sehen müssen, wie wir die Situation zum Besseren wenden.Den Abbau des amerikanischen Leistungsbilanzdefizits und des Budgetsdefizits können die europäischen Industriestaaten und Japan relativ wenig unterstützen. Es liegt vor allem in der Hand der Vereinigten Staaten, Maßnahmen zum Ausgleich ihres defizitären Bundeshaushaltes zu ergreifen. Wenn dies gelänge, würden auch die Zinsen sinken; wenn die Zinsen sinken, wird sich auch der Dollarkurs abschwächen und sich auf ein Niveau einpendeln, das eher den realwirtschaftlichen Gegebenheiten entspricht. Ein niedriges Zinsniveau und ein realistischer Dollarkurs sind die Voraussetzungen dafür, daß die Entwicklungsländer mit ihrer Schuldenlast, aber insbesondere mit ihrer Zinslast fertig werden.Meine Damen und Herren, die absolute Höhe der Schulden, die so beängstigend klingt, ist ja nicht das Problem. Denn kein Mensch, der etwas davon
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 159. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. September 1985 11931
Dr. Solmsversteht, glaubt, daß diese Schulden zurückgezahlt werden müssen.
Es geht darum, daß der Schuldendienst geleistet wird
und daß die Gläubiger Vertrauen in die Schuldnerländer haben, daß sie auch in Zukunft ihrer Verantwortung und ihren Verpflichtungen nachkommen werden. Dann werden die Schulden natürlich fortgeschrieben und immer wieder umgeschuldet werden können.
Was das Kommuniqué der Notenbankpräsidenten, die sich mit relativ großer Öffentlichkeitswirkung getroffen haben, anbetrifft,
so glaube ich, daß es jedenfalls die Hauptaufgabe dieser Öffentlichkeitswirkung war, weitere Bestrebungen im amerikanischen Kongreß zur Eindämmung der Handelsfreiheit abzuwehren.Nichts spricht gegen eine Konferenz der Großen Fünf, so schreibt Hans Barbier in der „Süddeutschen Zeitung", aber dem realwirtschaftlichen Anpassungsprozeß kann niemand aus dem Wege gehen, nicht die Ärmsten und nicht die Reichsten.
Die Entwicklungsländer haben in den letzten Jahren ihre Position immerhin verbessern können. Dabei muß zugestanden werden, daß die wirtschaftliche Expansion der Vereinigten Staaten, die allein rund 70% des Nachfragezuwachses der OECD-Staaten ausmacht, den wesentlichen Motor für diese Entwicklung dargestellt hat. Einen positiven Effekt für die Schuldenbedienung hat auch das Nachgeben des Zinsniveaus gehabt. Bundesbankpräsident Pöhl hat gesagt: 1 % Zinsnachlaß macht mindestens 4 Milliarden US-Dollar an geringeren Zinszahlungsverpflichtungen aus.Langfristig entscheidend aber ist es für die Entwicklungsländer, daß es ihnen gelingt, auf ihren Binnenmärkten wieder ein Klima der Kreditwürdigkeit herzustellen. Es gilt den enormen Kapitalfluchttendenzen in diesen Ländern entgegenzuwirken.
Heute benötigen die südamerikanischen Länder bereits die Hälfte ihrer kurzfristigen Bankkredite, um die Kapitalflucht zu finanzieren. Genau diese Bemühungen würden aber durch Schuldentilgungsverzicht oder andere globale Maßnahmen konterkariert. Wir glauben, daß die Zusammenarbeit zwischen den multilateralen Organisationen und den Industrieländern sowie mit den Entwicklungsländern in gemeinsamen Anstrengungen aufrechterhalten bleiben und in der Zukunft intensiviert werden muß. Die Forderung des Bundesfinanzministers ist darum vernünftig, daß gemeinsam mit dem IWF Wege beschritten werden, die den Konsolidierungserfordernissen zwar gerecht werden, die aber die betroffenen Länder politisch und sozial nicht überfordern.Die FDP unterstützt die Bundesregierung bei der Absicht, IWF und Weltbank zu stärken. Wir sind zwar der Meinung, daß eine Ausweitung der Sonderziehungsrechte gegenwärtig nicht notwendig ist, da die weltweiten Währungsreserven in den letzten beiden Jahren weiter angestiegen sind. Wir meinen aber, daß die Politik des erweiterten Zugangs zu den Kreditmöglichkeiten des IWF fortgesetzt werden sollte und daß darüber hinaus die Rückflüsse aus dem Trust Fund des IWF zur weiteren Finanzierung, insbesondere der am wenigsten entwickelten Länder, verwendet werden sollten.Hinsichtlich der Gespräche in Seoul hoffen wir, daß zumindest eine Grundsatzvereinbarung über die Kapitalerhöhung der Weltbank erzielt werden kann. Der überwiegende Teil der Weltbank-Kredite fließt in projektorientierte Förderung. Man sollte aber auch darüber nachdenken, ob die Mittelverwendung in Zukunft stärker auf Maßnahmen der Strukturanpassung und auf sektorspezifische Programme ausgedehnt werden kann.Darüber hinaus begrüßt die FDP die Errichtung einer multilateralen Investitionsgarantie-Agentur, genannt Miga, über die in Seoul beraten und beschlossen werden soll. Sie würde ein neues Instrument zur Förderung von Investitionen in Entwicklungsländern darstellen und eine sinnvolle Ergänzung der häufig zu engen und lückenhaften nationalen Wirtschaftsprogramme bilden.
Meine Damen und Herren, es kommt nicht darauf an, mit großen Gesten und großen Aktionen mit Öffentlichkeitswirkung Aktionismus zu verbreiten, sondern es kommt darauf an, die Entwicklung und die Schuldenkrise gezielt, vernünftig und abgewogen zu bewältigen.
Die Vorschläge des peruanischen Präsidenten sind in meinen Augen kein guter Beitrag zu dieser Entwicklung. Sie werden Peru selbst in eine Außenseiterposition drängen. Es ist ja schließlich interessant, daß kein einziges anderes südamerikanisches Land diesen Vorschlägen gefolgt ist. Ganz im Gegenteil: Auf Fachebene wird in diesen Ländern harte Kritik an diesen Vorschlägen geäußert. Sie werden sehen, daß auch die südamerikanischen Länder nicht einer internationalen Schuldenkrise oder einer Art Moratorium, wie Peru es vorgeschlagen hat, das Wort reden, sondern daß sie die Verhandlungswege, die beschritten worden sind, weiter beschreiten werden, um die Krise in gemeinsamer Anstrengung zu bewältigen.Die FDP-Bundestagsfraktion unterstützt die Bundesregierung bei ihrer Arbeit, bei den Verhandlun-
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11932 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 159. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. September 1985
Dr. Solmsgen und bei der Tagung des IWF. Wir hoffen, daß auch diese Tagung wieder positive Ergebnisse zeitigen wird.Ich bedanke mich.
Das Wort hat der Abgeordnete Volmer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Stommel, nur ein Wort zu meiner Anwesenheit im Finanzausschuß: Ich war mit dem Finanzausschuß bereits bei der IWF-Jahrestagung, als Sie dem Deutschen Bundestag noch gar nicht angehörten.
Nun zur Sache: In Mexiko brachen letzte Woche nicht nur die Häuser zusammen, sondern es brach auch ein Mythos zusammen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie, bevor Sie zu weiteren Äußerungen übergehen, eine Zwischenfrage des Abgeordneten Stommel?
Der Kollege hat eine Zwischenfrage von mir auch nicht gestattet.
Es brach der Mythos von der Lösbarkeit der internationalen Verschuldungskrise durch die Anpassungspolitik des IWF zusammen. Fast zwei Jahre lang galt Mexiko als der Lieblingsklient des Fonds. Dem Land waren „weichere" Kreditkonditionen zugebilligt worden, um es aus der Phalanx der Staaten herauszubrechen, die mit einem Schuldenstreik drohten. Nun steht fest: Selbst ein industriestarkes Land wie Mexiko hat nicht die geringste Chance, sich auf der Linie des IWF aus dem Dreck zu buddeln. Es konnte die vom Fonds vorgeschriebenen wirtschaftlichen Eckdaten nicht einhalten und wurde mit Kreditsperre belegt. So zynisch es klingt: Nur das einen Tag später hereinbrechende Erdbeben verhinderte, daß der Fall Mexiko zum finanzpolitischen Fanal für die Öffentlichkeit wurde. Katastrophenhilfe kann nun kaschieren, daß dieses Land von den Industriestaaten in den ökonomischen, sozialen und politischen Ruin getrieben wurde.Bei den großen IWF-Debatten in diesem Hause vor einem Jahr und bei der Diskussion um den Weltwirtschaftsgipfel versuchte die Bundesregierung uns mit der Beschwichtigung einzulullen, die Verschuldungskrise gehe ihrer Lösung entgegen. Ich nehme mit Freude zur Kenntnis, daß das heute hier skeptischer eingeschätzt wird. Das Abkommen mit Mexiko war damals das wichtigste Argument. Dieses Argument ist nun völlig zerplatzt. Es ist zerplatzt wie die Tanklager in Mexiko-City, die wegen des verschärften Exportdruckes überbeanspruchtwerden und bei ihrer Explosion Hunderte von Menschen in den Tod rissen.Die Krise ist nicht gelöst und ohne Schuldenstreichung nicht lösbar. Die Politik der Industriestaaten im IWF verhindert genau das, was sie aufzubauen vorgibt: eine Stärkung der Wirtschaftsstruktur, eine Verbesserung der Leistungsbilanz, ein Auffangen der Inflationsraten in den verschuldeten Ländern.Das Iberoamerikanische Institut in Hamburg stellte vor kurzem fest: Nicht die Geldmenge, wie der IWF behauptet, ist Inflationsursache, sondern die Fähigkeit der Konzerne, Kostensteigerungen weiterzugeben. Kostensteigerungen treten aber gerade durch die höheren Importkosten für Ersatzinvestitionen und Grundstoffe ein, die der IWF durch seine Forderung nach Abwertung der einheimischen Währung selbst produziert. In der Folge der vom IWF produzierten Inflation stellt sich Kapitalflucht ein — wobei ich zugebe, es gibt auch noch eine primäre Kapitalflucht, über die man auch reden muß —, die er durch seine angeblich antiinflationäre Politik vorgibt zu verhindern, in Wirklichkeit aber selbst produziert hat. Für die Bevölkerungsmehrheit ergeben sich laut Iberoamerikanischem Institut eine „Verschlechterung der Einkommensverteilung und zunehmende Verelendungssymptome aller Art".Wenn eine solche unsoziale, menschenverachtende Wirtschaftspolitik gegen die Bevölkerungsmehrheit durchgesetzt werden muß, bleiben die Menschenrechte auf der Strecke. Deshalb formulierte der peruanische Präsident Garcia ganz deutlich: „Schulden oder Demokratie." Beides gleichzeitig geht nicht. Sein brasilianischer Kollege stimmte zu: „Diese Politik schwächt die zivile Führung, läßt die soziale Krise explosiv werden und bedroht die demokratischen Strukturen."Der kubanische Präsident Castro ging auf die Lösung ein, die angeblich im größeren Export liegt. Er sagte: „Fragt die Mexikaner. Sie haben aus Verzweiflung sogar Ziegelsteine exportiert. Unter dem Zwang, etwas zu exportieren, würden sie alles exportieren. Sie würden Luft exportieren, wenn es notwendig wäre, wenn jemand sie kaufen würde." So weit Castro, und ich möchte hinzufügen: Die Mexikaner ersticken nicht nur unter den Erdbebentrümmern, sie ersticken am Ausverkauf ihrer Lebensgrundlagen.
Es ist nur recht, wenn immer mehr Staatsleute fordern, die Schulden nicht zurückzuzahlen, wenn sie eine neue Weltwirtschaftsordnung fordern und wenn einige fordern, auch dem IWF die Gefolgschaft zu verweigern.Der Entschließungsantrag der Koalitionsfraktionen beweist, daß die Bundesregierung auf dem verhängnisvollen Wege weitergehen will. Dieser Wirtschaftsminister und dieser Finanzminister sind nur interessiert an deutscher Knete. Wir fordern die Bundesregierung in unserem Antrag auf, Bericht darüber zu erstatten, welches Spiel sie selbst im IWF treibt. Solange die Bundesregierung hier nicht ganz deutlich und glasklar nachweisen kann, daß sie alles tut, um den verderblichen Finanzdruck von
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 159. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. September 1985 11933
Volmerden Drittweltländern wegzunehmen, solange werden wir fortfahren, immer und immer wieder zu behaupten: Diese Bundesregierung ist mitschuldig am Tode von Hunderttausenden von Menschen und an der Destabilisierung der labilen Demokratien in Südamerika.
Das Wort hat der Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Entschließungsantrag der Koalitionsfraktionen zur Jahresversammlung 1984 hat eine in unserer schnellebigen Zeit sehr seltene Qualität: Seine Aussagen sind nach einem Jahr noch genauso richtig wie am Tage seiner Einbringung.
Die Strategie zur Überwindung der internationalen Verschuldungsprobleme muß auf vier Ebenen liegen:
Ebene 1: Schuldnerländer. Die Schuldnerländer müssen die volkswirtschaftliche Strukturanpassung fortsetzen.
Ebene 2: Industrieländer. Die Industrieländer tragen dreifache Verantwortung: für dauerhaftes inflationsfreies Wachstum, für niedrigere Zinsen und für die Offenhaltung und weitere Öffnung ihrer Märkte.
Ebene 3: Finanzinstitutionen. Fonds und Bank spielen bei der Bewältigung der Verschuldungsprobleme eine zentrale Rolle als Katalysator und als Ratgeber.
Ebene 4: Kreditbeziehungen. Umschuldungsvereinbarungen, Neukredite und Direktinvestitionen dienen der Absicherung der internationalen Schuldenstrategie.
In Verfolg dieser Strategie — und die Koalitionsfraktionen haben sie von Anfang an unterstützt — konnten die Entwicklungsländer ihre Leistungsbilanzdefizite seit 1982 um mehr als die Hälfte reduzieren. Die bisher erreichten Ergebnisse zeigen die Überflüssigkeit, ja Schädlichkeit von Patentrezepten jeder Art. Dies gilt für einseitige Zahlungseinstellungen, empfohlen von jenem Musterschuldner Fidel Castro, der sich davor hütet, die Ratschläge, die er anderen gibt, selber zu befolgen. Niemand zahlt pünktlicher als Fidel Castro.
Dies gilt auch für globale Schuldendienstobergrenzen. Frau Kollegin Matthäus-Maier, niemand verlangt von Präsident Juan Garcia, daß er im Jahr 3,7 Milliarden Dollar Schuldendienst leistet. Aber wenn er einseitig festsetzt, daß er statt 3,7 Milliarden, die zu leisten wären und über deren Verringerung die internationale Gemeinschaft zu verhandeln bereit ist, nur 300 Millionen zahlen will, dann
allerdings geht er einen Schritt, der es nicht ermöglichen wird, daß Peru jene neuen Kapitalzuflüsse, die es fordert und die es braucht, bekommt. Denn ich kann keinen internationalen Geldgeber finden, der neues Kapital einem Schuldner gibt, der erklärt hat: Ob, wann und wieviel ich zahle, bestimme ich selber.
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Matthäus-Maier?
Gern.
Bitte schön.
Herr Warnke, meinen Sie nicht, daß dann die richtige Antwort auf die Ankündigung von Präsident Garcia gewesen wäre: „Laß uns mal in Ruhe darüber reden, ob soviel und wann und wie" und nicht die Antwort, die die USA gegeben haben, die nämlich am folgenden Tag die Wirtschaftshilfe für Peru eingestellt haben?
Ich meine, daß die richtige Antwort in der Tat am Tag der Amtseinführung gegeben wurde, an der ich als Vertreter der Bundesregierung teilnahm und wo ich vor der Presse erklärt habe: Die Pläne Garcias enthalten viele wichtige Schritte in die richtige Richtung.
Über die einseitige Festsetzung einer Schuldendienstquote am Exporterlös sind wir mit ihm verschiedener Meinung. Darüber wird in der Zukunft zu reden sein. — Er hat bis heute nicht geredet, sondern hat, zum letztenmal vorgestern vor den Vereinten Nationen, seine einseitige Maßnahme bekräftigt. Damit dient er nicht den wohlverstandenen Interessen Perus.
Daß Patentrezepte überflüssig sind, gilt aber auch für die von der SPD empfohlene internationale Schuldenkonferenz und für die von der SPD geforderte Fundamentalreform des Weltwährungs-und -finanzsystems. Nicht eine neue Weltwirtschaftsordnung ist es, was wir brauchen,
sondern die bessere Beachtung der Grundsätze unserer geltenden Weltwirtschaftsordnung. Das heißt, wir müssen den Hochzins durch eine maßvolle Haushaltspolitik in den Industrieländern an der Wurzel bekämpfen, und wir müssen unsere Märkte für die Ausfuhren der Entwicklungsländer offenhalten. Beides hat die Bundesregierung im eigenen Lande getan.Da Sie soeben durch Zwischenruf nach unseren Exportüberschüssen gefragt haben, möchte ich Ihnen hier sagen, daß wir gerade durch unsere Handelspolitik den Entwicklungsländern auch zur Be-
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Bundesminister Dr. Warnkewältigung ihrer Verschuldungssorgen helfen, nämlich den nicht ölproduzierenden Entwicklungsländern, also denen, auf die es am meisten ankommt. Diesen haben wir im vergangenen Jahr für 21/2 Milliarden DM mehr Erzeugnisse abgenommen, als wir ihnen geliefert haben. Wir haben gegenüber diesen Entwicklungsländern eine passive Handelsbilanz und tragen damit zur Erleichterung ihrer Schuldenbewältigung bei.
Ich möchte Minister Stoltenberg dafür danken, daß er diese Politik der Zinsbekämpfung an der Wurzel, bei den Haushaltsdefiziten, und der Offenhaltung der Märkte am vergangenen Wochenende in New York mit Nachdruck eingebracht und mit Festigkeit durchgesetzt hat. Das Ergebnis von New York ist ein ermutigender Auftakt für Seoul, und der heutige Dollarkurs von 2,66 DM unterstreicht das in einer förderlichen Weise.Ich komme nun zu einem Bericht über die bevorstehende Jahresversammlung von Bank und Fonds. — Meine Damen und Herren, dieser Bericht ist Beweis genug dafür, daß die von der Fraktion „DIE GRÜNEN" geforderte regelmäßige Unterrichtung des Parlaments in einer besonderen Berichtsstruktur in Wirklichkeit schon längst stattfindet, und dies nicht nur einmal im Jahr, sondern wie heute immer dann, wenn es sachlich gerechtfertigt ist. Aber es ist auch kennzeichnend für den Mangel an Seriosität der Forderung der GRÜNEN, wenn Sie hier ein neues Berichtswesen mit erheblichem Arbeits- und Kostenaufwand aus Steuergeldern fordern, die Ihnen gebotene Berichtsmöglichkeit im Finanzausschuß aber überhaupt nicht wahrnehmen.
Zentrale Themen der Tagung in Seoul werden die Schuldenkrise, die Lage der Weltwirtschaft sowie die Geschäftspolitik von Fonds und Bank sein. Die notwendige Abstimmung zwischen den beiden Institutionen ließ in der Vergangenheit zu wünschen übrig; in jüngster Zeit gibt es erfreuliche Ansätze für eine bessere Verzahnung der Tätigkeit von Bank und Fonds. Die Bundesrepublik Deutschland wird in Seoul darauf hinweisen können, daß sie einen wesentlichen Beitrag zur Lösung der weltwirtschaftlichen Probleme geleistet hat. Der wirtschaftliche Aufschwung hierzulande hat im ersten Halbjahr zu einem Anstieg der Einfuhren aus Entwicklungsländern um beinahe 13 % geführt. Die Bundesrepublik ist auch in diesem Jahr 1985 einer der größten Kapitalgeber von Weltbank und Internationalem Währungsfonds. Vor allem aber können wir auf unsere im Kreis der westlichen Geber wiederum überdurchschnittlichen Entwicklungshilfeleistungen verweisen.Wir werden in Seoul in Fortführung dieser Politik darauf hinwirken, daß der sogenannte erweiterte Zugang beim IWF, Herr Kollege Solms, bis Ende1986 verlängert wird und daß die Weltbank zur Dekkung der langfristigen Kapitalbedürfnisse in der zweiten Hälfte der 80er und in den 90er Jahren eine erhebliche Kapitalerhöhung einleitet.Aber besondere Anstrengungen, meine Damen und Herren, werden wir in Seoul erneut für die ärmeren und für die ärmsten Entwicklungsländer unternehmen. Schon jetzt ist die Bundesrepublik Deutschland beim Erlaß von Schulden der ärmsten Entwicklungsländer an der Spitze in der Welt. Wir haben mit über 4 Milliarden DM allein als Bundesrepublik Deutschland mehr als 50 % aller Schuldenerlasse, die in der Welt vorgenommen worden sind, durchgeführt. Dies zeigt das besondere Engagement der Bundesregierung für die ärmsten Entwicklungsländer. In Seoul werden wir darauf hinwirken, daß beim Währungsfonds die Rückflüsse an den Treuhandfonds zur Vergabe neuer Kredite in der Größenordnung von etwa 3 Milliarden Dollar an ärmere Entwicklungsländer verwendet werden. Aber besonderen Nachdruck werden wir auf die Sicherstellung der langfristigen Entwicklungsfinanzierung der ärmeren Länder über die Internationale Entwicklungsbank IDA legen. Die Bundesrepublik hat schon bisher gemessen an ihrer Leistungsfähigkeit weit mehr als jedes andere Industrieland zur Finanzierung von IDA beigetragen. Wir werden uns dafür einsetzen, daß es unverzüglich zu einer neuen Kapitalerhöhung kommt und daß damit eine hohe Mittelbereitstellung für die am meisten bedürftigen Länder vorgenommen wird.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Hauchler.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Entwicklungsminister, der gerade gesprochen hat, sagte: Das, was wir vor einem Jahr in diesem Entschließungsantrag, der uns vorliegt, gesagt haben, ist heute noch genauso richtig. Herr Minister, wir sagen Ihnen, das ist heute genauso falsch wie damals und noch falscher; denn in dem vorliegenden Entschließungsantrag der Koalitionsfraktionen heißt es, es sei in eindrucksvoller Zusammenarbeit zwischen Schuldner- und Gläubigerländern, Zentralbanken, Geschäftsbanken und internationalen Organisationen bisher gelungen, die Gefahren der Verschuldungskrise zu entschärfen und zu Vereinbarungen zu kommen. Meine Fraktion wird diesem Antrag nicht zustimmen; denn nichts davon stimmt. Genau das Gegenteil ist wahr.
Eine eindrucksvolle Zusammenarbeit zwischen Gläubigern und Schuldnern hat es nie gegeben, leider. Die großen Gläubigerländer haben vielmehr bis heute die Forderung nach einer internationalen Schuldenkonferenz und umfassenden politischen Lösungen verweigert. Statt dessen halten sie an einem kurzfristigen Finanzmanagement fest, das sich von Krise zu Krise hangelt. Die Umschuldungen, die unter Führung des Internationalen Wäh-
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Dr. Hauchlerrungsfonds zustande gekommen sind, sind einseitige Diktate der Gläubiger nach dem Motto „Vogel friß oder stirb".
Die bisherige Umschuldungs- und Auflagenpraxis verschafft immer kürzere Atempausen auf Kosten immer höherer Zins- und Tilgungslasten. Wer die Medizin schluckt, stirbt um so sicherer. Es werden weder Bankrotterklärungen noch Vergleichsangebote akzeptiert. Gleichwohl gebärdet sich der IWF quasi als Konkursverwalter ganzer Nationen. Wer hier von eindrucksvoller Zusammenarbeit redet, der streut anderen Sand in die Augen oder betrügt sich selbst. Das mutet, Herr Warnke, wie das bekannte Pfeifen im Walde an.Die Gefahren, die dem Weltwährungs- und -handelssystem durch die internationale Verschuldung drohen, sind keineswegs entschärft — das wissen Sie genauso wie ich —, sie haben sich verschärft. Das Volumen der internationalen Verschuldung hat sich seit den ersten großen Umschuldungen in 1982 weiter drastisch erhöht. Die Zins- und Tilgungslasten der Schuldnerländer sind gestiegen. Dies gilt übrigens nicht nur für Lateinamerika, für das sich die großen Geschäftsbanken interessieren, sondern vor allem auch für die ärmsten Länder in Afrika.
Sie erreichen in vielen Fällen bis zu 50 % und mehr der Exporterlöse. Die Zahlungsbilanzdefizite der Entwicklungsländer sind zwar abgebaut worden, doch die langfristige Schuldendienstfähigkeit ist gesunken, weil die Auflagen der IWF insgesamt eine rezessive Wirkung haben. Der Zwang zu niedrigen Importen und Investitionen hat zu einem verlangsamten Binnenwachstum, mangelnder Auslastung und Zerrüttung vorhandener produktiver Kapazitäten und zu höherer Arbeitslosigkeit geführt. Da frage ich Sie: Wie kann ein Land auf Grund dieser Entwicklungen immer mehr Schulden zurückzahlen?Die Exporte der Schuldner sind gestiegen, aber ein immer größerer Anteil der im Export verdienten Devisen muß für Zinsen und Tilgungen auf Kredite verwendet werden, die schon längst keine produktive Basis mehr haben.Den Gläubigerländern fällt aber nichts besseres ein, als schlechtem Geld immer mehr gutes Geld nachzuwerfen, statt schlechtes Geld schlicht abzuschreiben, wie es auch bei uns im eigenen Lande üblich ist. Bei der AEG ging es doch auch!
Die Schuldenlast der Dritten Welt wird sich im nächsten Jahrzehnt mindestens verdoppeln. Das ist eine einfache Zinseszinsrechnung. Ihr Betrag wird von derzeit 1 000 Milliarden Dollar auf mindestens 2 000 Milliarden Dollar steigen. Das wird im Anstieg wesentlich höher sein als das mögliche Wachstum der Exporte von Entwicklungsländern.Was hier abläuft, ist genau der organisierte Wahnsinn, den Willy Brandt in seinem neuen Buch beschreibt. Es wäre falsch, dafür allein den IWF als einzigen bösen Buben anzuklagen. Verantwortlichsind die, die letztlich über dessen Politik entscheiden, unter ihnen die Bundesrepublik Deutschland.Die westlichen Länder sind sicher nicht allein schuld, daß sich die Schulden getürmt haben. Sie allein haben aber den Schlüssel in der Hand, um die Probleme zu lösen. Doch sie halten an Mechanismen und Rezepten fest, die mittlerweile längst gescheitert sind. Herr Warnke hat ein Lehrstück dafür gegeben, wie man sich mit immer den gleichen Ruderbewegungen immer tiefer in den Sumpf ziehen kann.
In ihrem Antrag sprechen die Koalitionsfraktionen auch von gelungenen Vereinbarungen zur Lösung der Verschuldungskrise. Dies ist nun allerdings entweder naiv oder schlicht zynisch. Was es gibt, sind keine langfristigen freien Vereinbarungen, sondern eine Art Komplizenschaft zwischen konservativen Regierungen, also auch zwischen Ihnen, und dem großen Kapital, um die eigene Haut zu retten. Das ist Ihr großes Problem. Was es gibt, sind keine langfristigen Lösungen im Verein von Gläubigern und Schuldnern, sondern eine neue Spielart des Kolonialismus, eine diesmal nicht in Uniform, sondern im Nadelstreifen daherkommende Form der wirtschaftlichen Versklavung.Diese Form ist finanztechnisch perfekt, jedoch politisch irrational. Sie ist nicht nur sozial und moralisch verwerflich, sondern auch ökonomisch unsinnig. Sie stranguliert mit der Entwicklung des Südens in Zukunft auch die Wirtschaft des Nordens.
Eine vorsätzliche Verharmlosung, wie sie heute betrieben wurde, kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß der Widerstand wächst. Wer die jüngsten Äußerungen der Regierungschefs von Peru und Brasilien auf der UN-Generalversammlung und die Diskussionen kürzlich in Kuba und Luanda kennt, kann sich nicht darüber hinwegtäuschen, daß sich die Dritte Welt wehren wird, bevor es zu spät ist, daß sie sich vielleicht sogar wehren muß, bevor es zu spät ist.Der peruanische Präsident begrenzt einseitig den Schuldendienst auf 10 % der Exporterlöse und lehnt die Vermittlerrolle des IWF ab. Der brasilianische Präsident Sarney sagt, sein Land wolle den Schuldendienst nicht länger mit Rezession, Arbeitslosigkeit und Hunger bezahlen. Auch der mexikanische Präsident ist skeptisch geworden, ob die Maßnahmen des IWF wirklich greifen. Fidel Castro gewinnt für seine radikalen Vorschläge immer mehr Sympathie. Wollen Sie das eigentlich?Nationale Sonderinteressen verhindern bis jetzt noch ein Schuldnerkartell. Sobald aber allen deutlich wird, daß die vom IWF erzwungene wirtschaftspolitische Therapie nicht greift — und dies zeichnet sich ab —, ist der Augenblick da, in dem die Länder des Südens national, regional oder weltweit mehr Vorteile darin sehen werden, konzertiert den Schul-
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Dr. Hauchlerdendienst einzustellen, als Entwicklungshilfe und neue Kredite unter sozial und politisch destruktiven Bedingungen anzunehmen.Meine Fraktion fordert die Bundesregierung auf, endlich ihre Bremserrolle aufzugeben
und sich für eine Reform des Weltwährungssystems einzusetzen. Wir fordern die unverzügliche Einberufung einer allgemeinen Schuldenkonferenz unter gleichberechtigter Beteiligung von Gläubigern und Schuldnern.
Diese sollte konkrete Vorschläge entlang folgender Grundlinien erarbeiten:Erstens: eine nach der jeweiligen Wirtschafts- und Exportkraft abgestufte Entschuldung und eine Senkung des Schuldendienstes. Dieser sollte zunächst auf maximal 20 % der Exporterlöse begrenzt werden. — Herr Warnke, Sie können ruhig zuhören! Sie fahren ja nach Seoul, und ich nehme an, daß Sie auch unsere Vorschläge ernst nehmen und darüber nachdenken.
Zweitens: das Einbringen der restlichen Forderungen in Form von Inlandswährung in nationale Entwicklungsfonds.Drittens: die Bindung neuer Kredite an entwicklungspolitisch relevante Investitionen und Kriterien.Viertens: langfristig stabile Zinsen auf einem Niveau, das der dauerhaften Leistungsfähigkeit der Schuldner entspricht.Fünftens: die Umwandlung des größten Teils der entwicklungspolitischen Leistungen von Krediten in Zuschüsse.Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluß
und will noch zitieren, was ein für Konservative unverdächtiger Mann, Henry Kissinger, zu dieser Sache geäußert hat. Er hat — genau wie Helmut Schmidt — von der Verschuldung als einer der großen globalen Zeitbomben gesprochen und gesagt:Die Gläubigerländer sollten sich auf die Wirtschaftsentwicklung konzentrieren und mit dem Süden zusammenarbeiten, anstatt nur Zinsen einzusammeln.Andernfalls würden — so Kissinger weiter — nicht nur die Strukturen des internationalen Finanzsystems, sondern auch die politischen Institutionen in vielen Ländern der Dritten Welt zusammenbrechen.Vielen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Lammert.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es gibt jede Menge Themen, bei denen zwischen der öffentlichen Aufregung und der tatsächlichen Bedeutung des Gegenstandes ein groteskes Mißverhältnis besteht. Bei einem Thema wie diesem, wo das geringe öffentliche Interesse jedenfalls in der Bundesrepublik im umgekehrten Verhältnis zur tatsächlichen Bedeutung der Sache steht,
sollte es eigentlich möglich sein, auf vordergründige Schaukämpfe zu verzichten,
und man sollte auch nicht Richtungskämpfe vortäuschen, die weder im Vergleich der einen zur anderen Bundesregierung noch im Vergleich zwischen den Positionen der jeweiligen Fraktionen tatsächlich bestehen. Vielmehr sollte man sich auf die konstruktive Bearbeitung der Sachverhalte konzentrieren,
die wir aufarbeiten müssen, um einen Beitrag zur Lösung dieses in der Tat hochexplosiven Problems zu leisten.
Wenn der Antrag, der heute zur Verabschiedung vorliegt, vor einem Jahr schon so falsch gewesen wäre wie jetzt, Herr Kollege Hauchler, wäre es völlig unverständlich, warum Ihre Fraktion auf der Basis präzise dieses Antrages einen Katalog von Änderungsvorschlägen vorgelegt hat, wobei Sie sich beispielsweise beim ersten Änderungsvorschlag zu Abs. 2, in dem von der eindrucksvollen Zusammenarbeit zwischen Schuldner- und Gläubigerländern, die es bisher möglich gemacht habe, die Gefahren zu entschärfen und zu Vereinbarungen zu kommen, die Rede ist, darauf beschränkt haben, das Wort „eindrucksvoll" zu streichen.
Täuschen wir hier also doch nicht eine Art von Meinungsverschiedenheiten vor, die stark von dem abweicht, was wir in nichtöffentlicher Beratung in den jeweiligen Fachausschüssen längst an Übereinstimmung erzielt hatten.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ich bitte um Nachsicht, aber ich habe ganze vier Minuten zugestanden bekommen.
Wenn Sie eine Frage zulassen, wird Ihnen die Zeit nicht angerechnet.
Gut, bitte schön.
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Sagen Sie mal, ist Ihnen nicht bekannt, daß wir — ich sage es jetzt aus der Erinnerung — mindestens 20 Änderungsanträge gestellt haben und daß die natürlich insgesamt Ihren Antrag so verändern würden, daß man ihm dann zustimmen könnte, in Sachen Zinsen, in Sachen Dollar und in Sachen Schuldenkonferenz?
Genau darauf wollte ich gerade eingehen, aber Sie werden mir doch sicher darin zustimmen, Frau Matthäus-Maier, daß bei einem Satz, der zum Ausdruck bringt, daß es in Zusammenarbeit zwischen Schuldner- und Gläubigerländern, Zentralbanken, Geschäftsbanken und internationalen Organisationen gelungen sei, die Gefahren zu entschärfen und zu Vereinbarungen zu kommen, bei einem Satz, den Sie ansonsten akzeptiert haben, der Änderungsantrag, das Wort „eindrucksvoll" zu streichen, keine substantielle Veränderung des hier niedergelegten Sachverhalts darstellt.
— Nein, meine Damen und Herren, ich sage jetzt in Stichworten etwas zu den Punkten, an denen wir möglicherweise Meinungsverschiedenheiten haben, allerdings nach meinem Eindruck in der Sache immer noch sehr viel weniger, als der Eindruck, den man in dieser Debatte gelegentlich haben konnte, vermittelt:
Erstens. Die Schuldenkrise ist nach wie vor in der Tat nicht gelöst. Ich kenne auch niemanden, der von diesem Sachverhalt auch nur ein wenig versteht, der ernsthaft behaupten würde, sie sei gelöst.
Das Gefährlichste ist vielleicht im Augenblick überhaupt der Eindruck, sie sei gelöst, und die voreilige Beruhigung durch eine Reihe von sozusagen statistischen Verbesserungen.
Zweitens: Könnte durch eine internationale Schuldenkonferenz dieses Problem sozusagen ernsthaft einer definitiven Lösung zugeführt werden? Unsere Überzeugung ist die, daß dies kein geeigneter Schritt zu einer solchen Lösung wäre, weil die erkennbare Lücke zwischen dem, was an Erwartungen in eine solche Konferenz investiert wird, und dem, was realistischerweise dabei herauskommen kann, und die höchst unterschiedliche Situation in den verschiedenen Ländern sowohl auf der Gläubiger- wie auf der Schuldnerseite eben jede beliebige Art von Globallösung verbietet. Da, wo die Kritik an IWF berechtigt ist — ich habe selber eine ganze Menge an kritischen Punkten vorzutragen —, ist sie gerade deswegen berechtigt, weil seine Strategien im Regelfall zu global und keineswegs zu spezifisch sind. Also sollten wir nicht mit dem Vorschlag einer internationalen Schuldenkonferenz genau die Art fehlerhafter Denkperspektive jetzt wieder in den Lösungsprozeß einführen, die wir an anderer Stelle zu Recht kritisieren.
Drittes Stichwort: Welche Rolle kann und muß überhaupt in diesem Zusammenhang der IWF spielen? Frage 1: Geht es ohne IWF? Zweitens: Sind die Auflagen oder die Vereinbarungen des IWF wirklich in allen Fällen wirtschafts- und entwicklungspolitisch hilfreich gewesen? Ich denke, man muß die erste Frage mit Ja und die zweite mit Nein beantworten. Es geht kaum ohne Einschaltung des IWF aus einer ganzen Reihe von Gründen, die uns allen, glaube ich, auch geläufig sind. Aber daraus folgt eben keineswegs, daß die Auflagen, die Vereinbarungen, die über den IWF erreicht worden sind, auch wirklich konstruktive Beiträge zur Verbesserung der Situation in den Ländern waren. Ich denke, daß auch darüber Übereinstimmung besteht und daß wir darüber keine langen Kämpfe herbeizuführen brauchen.
Viertens: Gibt es eine Alternative zu dem notwendigen Anpassungsprozeß in den betreffenden Volkswirtschaften? Es gibt keine. Es gibt keinen Weg, an der Anpassung vorbeizukommen, die sich durch das Mißverhältnis zwischen Erwartung und tatsächlicher volkswirtschaftlicher Lage ergeben hat. Das räumen ja interessanterweise insbesondere die demokratisch gewählten und legitimierten Staatspräsidenten Lateinamerikas ein, nicht zuletzt — ich kann das jetzt aus zeitlichen Gründen nicht ausführen — auch und gerade Zentralbankpräsidenten, die die Sachverhalte sozusagen von der finanztechnischen Seite her überblicken.
Letzte Anmerkung: Gibt es hier, Frau Matthäus-Maier, möglicherweise einen Zielkonflikt — Sie haben da den peruanischen Präsidenten zitiert — zwischen Schulden und Demokratie? Ich habe in der Debatte vor einem Jahr, als wir diesen Antrag einbrachten, darauf hingewiesen, daß in den bisherigen Lösungsstrategien regelmäßig übersehen wird der Zielkonflikt zwischen der Wiederherstellung volkswirtschaftlich für erträglich gehaltener Verhältnisse auf der einen Seite und dem Demokratisierungsprozeß, den wir von diesen Ländern gleichzeitig auch erwarten, und haben uns gefragt — ich wiederhole die Frage gern noch einmal —, wer von uns eigentlich ernsthaft glaubt, er würde für die Art von wirtschaftspolitischen Vereinbarungen, die in vielen dieser Länder geschlossen worden sind, im eigenen Land Mehrheiten mobilisieren können. Wenn es auch an dieser Stelle so etwas wie eine Verbesserung der Situation gegenüber der Situation von 1982/83 gibt, dann ist das für mich die Erfahrung, daß inzwischen selbst bei Jahrestreffen internationaler Bankenorganisationen von diesem Zielkonflikt die Rede ist. Ich denke, es wäre unsere vorrangige Aufgabe, uns an der Bewältigung genau dieser sehr sorgfältig abzuwägenden Aspekte konstruktiv und unter Vermeidung von Polemik zu beteiligen.
Ich bedanke mich.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor; ich schließe die Aussprache.Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuß empfiehlt unter Nr. 1 der Beschlußempfehlung, den Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/
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Vizepräsident WestphalCSU und der FDP in der Fassung der Drucksache 10/3473 anzunehmen. Wer dieser Beschlußempfehlung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Die Beschlußempfehlung des Ausschusses ist dann mit Mehrheit angenommen.Es ist noch über eine weitere Beschlußempfehlung des Ausschusses abzustimmen. Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 10/3473 unter Nr. 2, den Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf der Drucksache 10/2828 abzulehnen. Wer diesem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen ? — Die Beschlußempfehlung unter Nr. 2 ist mit der gleichen Mehrheit angenommen.Ich rufe die Tagesordnungspunkte 8 a bis 8 c auf:a) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Schwenninger, Dr. Ehmke und der Fraktion DIE GRÜNENWeiterverbreitung von Atomwaffen durch bundesdeutsche Nuklearexporte in Länder der Dritten Welt— Drucksachen 10/2729, 10/3685, 10/3721 —b) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Schwenninger, Dr. Ehmke und der Fraktion DIE GRÜNENNukleare Zusammenarbeit zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Südafrika— Drucksachen 10/2730, 10/3686 —c) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Schwenninger, Dr. Ehmke und der Fraktion DIE GRÜNENWeiterverbreitung von Atomwaffen durch bundesdeutsche Nuklearexporte nach Brasilien und Argentinien— Drucksachen 10/2731, 10/3687 —Zu Tagesordnungspunkt 8 b liegen Entschließungsanträge der Fraktionen DIE GRÜNEN und der SPD auf den Drucksachen 10/3879 und 10/3905 vor.Meine Damen und Herren, im Ältestenrat sind eine gemeinsame Beratung der Tagesordnungspunkte 8 a bis c und ein Beitrag bis zu zehn Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. — Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache.Das Wort hat die Abgeordnete Frau Borgmann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn hochentwickelte Atomtechnik in alle Welt exportiert wird, werden Trojanische Pferde exportiert. Die Verpackung mag einen zivilen Stempel tragen, aber wenn man das Paket aufmacht, kommt eine Bombe heraus.
Das gilt ganz besonders für die Atomexporte der Bundesrepublik, und zwar aus drei Gründen:Erstens. Kein anderer Staat auf der Welt hat trotz Unterzeichnung des Atomwaffensperrvertrages so ausgiebig und hemmungslos seine Atomgeschäfte speziell mit den Ländern betrieben, die diesem Vertragswerk ferngeblieben sind.
Das sind Südafrika, Pakistan, Argentinien, Brasilien und Indien. Nehmen wir das Beispiel Pakistan. Ob man nun die US-amerikanische „Times" liest oder die „FAZ": Weltweit gibt es keine Zweifel mehr an den militärischen Nuklear-Ambitionen Pakistans. Allein die Bundesregierung bindet sich ein gelbes Tuch mit drei schwarzen Punkten um den Ärmel und tut so, als sei sie blind, wenn sie in der Antwort auf unsere Große Anfrage von der „friedlichen Zielsetzung des pakistanischen Atomprogramms" redet, weil dies die pakistanische Regierung so sehe.
Es geht hierbei nicht mehr um die Frage, ob die Unwahrheit gesagt wird, sondern, warum die Unwahrheit gesagt wird, und es geht um die Frage, ob die Bundesregierung auch nur einen Deut glaubwürdiger ist als die pakistanische Regierung, wenn sie mit ihrer Behauptung, in Hanau brauche man für „friedliche Zwecke" 6,7 t Plutonium, die Leute hierzulande für dumm verkauft.
Auch das geplante China-Atomgeschäft zeigt, daß weiterhin die Nicht-Unterzeichner des Sperrvertrags als Empfänger bundesdeutscher Atomtechnik ganz oben stehen.Zweitens. Kein anderer Unterzeichner des Sperrvertrages hat so zielgerichtet wie die Bundesrepublik die sensitiven — also direkt für die Atombombe zu nutzenden — Techniken weitergegeben: Urananreicherungstechnik an Südafrika, Brasilien, Argentinien und Pakistan oder die WAA an Brasilien. Die Bundesregierung gibt in ihrer Antwort selbst zu, sozusagen als Appetitanreger eine Versuchsanreicherungsanlage nach Brasilien gar verschenkt zu haben.
Drittens. Kein anderer Nuklearexporteur hat sich unter der SPD und jetzt unter der CDU der Förderung nach vollständigen Kontrollen bei den Empfängerstaaten bundesdeutscher Atomexporte auch nur annähernd so scharf widersetzt wie die Bundesrepublik. Werfen Sie einmal einen Blick in die Tagungsunterlagen der gerade beendeten Dritten Sperrvertrags-Überprüfungskonferenz in Genf. Sie sehen darin, daß Kanada, Australien, die Niederlande, Schweden, Finnland und Norwegen darauf bestanden haben, daß zur Festigung des Sperrvertrages die vollständigen Kontrollen zur Minimalbedingung bei Atomexporten werden. Und Sie erfahren aus den Unterlagen, daß kein anderer DelegierterDeutscher Bundestag 10. Wahlperiode — 159. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. September 1985 11939Frau Borgmannverbissener dagegen ankämpfte wie der bundesdeutsche Botschafter Henning Wegener, der sogar eine Art Veto gegen „full scope safeguards" eingelegt hatte.Das bedeutet: Weiterhin werden eindeutig diejenigen bevorteilt, die dem Sperrvertrag nicht beigetreten sind. Weiterhin forciert die Bundesrepublik das endgültige Auslaufen dieses Vertrages im Jahre 1995. Ist es ein Zufall, daß im selben Jahr der Atomwaffensperrvertrag auslaufen und der Betrieb der Plutoniumfabrik in Wackersdorf anlaufen soll?Es muß Schluß gemacht werden mit sogenannten zivilen Atomexporten, die in Wirklichkeit das Einfallstor zur Verbreitung von Atomrüstung sind. Wir fordern deshalb, daß die Bundesregierung jeglichen Atomtechnologieexport durch Firmen aus der Bundesrepublik unterbindet und daß als erstes sofort jedes Atomgeschäft mit den Atomwaffen besitzenden Staaten eingestellt wird,
sowie auch mit den Staaten, die den Atomwaffensperrvertrag nicht unterzeichnet haben. Wir begrüßen, daß die GRÜNEN und Teile der SPD in der Schlußkonferenz „Atombomben made in Germany" vor zwei Wochen in Bonn gemeinsam die Forderung unterschrieben haben, alle Atomexporte zu beenden und bereits abgeschlossene Atomexportverträge aufzukündigen, da es eine ausschließlich friedliche nukleare Technik nicht gibt.
Meine Damen und Herren, eines der finstersten Kapitel bundesdeutscher Exportpolitik ist die nukleare Komplizenschaft dieser und vergangener Bundesregierungen mit den Rassisten in Pretoria. Vielfach ist belegt worden, daß schon unter SPD-geführten Bundesregierungen Nukleartechnik und Know-how nach Südafrika kamen, die 1979 zur ersten Atomzündung im Indischen Ozean mit südafrikanischer Beteiligung beigetragen haben und heute als Drohpotential gegen die Gegner der Apartheid zur Verfügung stehen. Damals hatte die SPD jede nukleare Zusammenarbeit geleugnet, ebenso wie die Bundesregierung sie heute leugnet.
Jetzt spricht auch die SPD von nuklearer Zusammenarbeit und fordert, wie Kollege Verheugen am 8. August 1985, die Bundesregierung auf, die Zusammenarbeit im Bereich der Atomtechnik einzustellen.Die Dementis der Bundesregierung werden hingegen immer armseliger und peinlicher. Dies beweist die Antwort der Bundesregierung auf Drucksache 10/3686. Wie kann man so tun, als hätte es nie eine nukleare Zusammenarbeit mit Pretoria gegeben und als gäbe es sie auch heute nicht, und gleichzeitig erläutern, daß zehn südafrikanische Wissenschaftler in Atomforschungszentren der Bundesrepublik bei Themen der kernphysikalischen Grundlagenforschung mitgearbeitet haben? Auch im Wirtschaftsplan 1985 der Kernforschungsanlage Jülich sind für Gastwissenschaftler aus Südafrika zweiStellen vorgesehen, die nach bisherigen Plänen im Dezember dieses Jahres besetzt werden sollen.Wie kann man jegliche nukleare Zusammenarbeit leugnen und gleichzeitig auf eine Anfrage der GRÜNEN vom Juni 1983 zugeben, daß bundesdeutsche Atomkraftwerke zu 40 % mit Uran aus dem südlichen Afrika bedient werden?
Ganz anders verhält sich da die belgische Regierung. So wurden Ende August zwölf südafrikanischen Wissenschaftlern, die an einem von der EG durchgeführten Kongreß über Nukleartechnologie teilnehmen wollten, von der belgischen Regierung die Einreisevisa versagt.Die Bundesregierung betreibt völkerrechtswidrigen Rohstoff-Raub. Während der von unserer Fraktion gemeinsam mit der Informationsstelle südliches Afrika durchgeführten öffentlichen Anhörung zur Namibiapolitik haben der Präsident des UNONamibia-Rates, Noel Sinclair, und der SWAPO-Präsident, Sam Nujoma, nochmals deutlich die Beendigung dieses Rohstoffdiebstahls gefordert. Der UN-Rat führt in den Niederlanden derzeit eine diesbezügliche Klage gegen die Urenco, die vor allem für die bundesdeutsche VEBA das völkerrechtswidrig entwendete Uran aus der Rössing-Mine anreichert. Auch in der Bundesrepublik hat inzwischen eine Urananreicherungsanlage dieses Firmenkonsortiums, nämlich die in Gronau, mit der Verarbeitung von Uran aus Namibia begonnen.Meine Damen und Herren, unser Antrag, den wir zur namentlichen Abstimmung vorlegen, gibt jedem von Ihnen Gelegenheit, sich für oder gegen die international geächtete Kooperation mit Südafrika auf dem Uransektor auszusprechen. Wir stellen hier nichts weiter als das zur Abstimmung, was der Namibia-Rat der UN mit seinem Dekret Nr. 1 und die UN-Vollversammlung bereits seit 1974 fordern und was die Bundesregierung sogar per Atomgesetz bewerkstelligen kann. Die Erkundung, der Abbau, die Verarbeitung und der Verbrauch von Uran aus dem von Südafrika besetzt gehaltenen Namibia sind verboten.Die SPD fordert in ihrem Antrag über Maßnahmen zur Abschaffung der Apartheid, Rohstoffeinfuhren aus Namibia entsprechend den Beschlüssen der UN zu unterbinden. Unser Antrag orientiert sich exakt an eben diesen UN-Beschlüssen. Er fordert die Bundesregierung auf, jede weitere Beteiligung an der Uranausbeutung in Namibia einzustellen. Er fordert sie auf, Einfuhr und Nutzung von Kernbrennstoffen aus Namibia zu verbieten. Wir fordern Sie, verehrte Damen und Herren von der SPD-Bundestagsfraktion, dazu auf, endlich deutlich zu machen, ob diese UN-Beschlüsse in ihrem springenden Punkt — und das ist der Uranabbau — Gültigkeit haben sollen oder nicht. Es ist halbherzig, unglaubwürdig und nicht ausreichend, wenn die Rohstoffeinfuhren aus Namibia unterbunden werden sollen, ohne daß die Uranausbeutung durch die bundesdeutsche Urangesellschaft in Frage gestellt wird und ohne daß die vorgesehene Belieferung bundesdeutscher Atommeiler mit Namibia-Uran bis
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Frau Borgmannmindestens 1990 unterbunden wird. Sie wissen genauso gut wie wir, daß bei Einhaltung dieser UN-Beschlüsse auch der Betrieb der Hanauer Atomfirmen beeinträchtigt werden könnte. Aber ich möchte Sie ganz direkt fragen: Was hat für Sie mehr Gewicht, die reibungslose Abwicklung dieser Atomgeschäfte oder die maximale Isolierung des Apartheidregimes in Pretoria? So stellt sich die Frage und nicht anders. Ich bitte Sie, dies bei der bevorstehenden Abstimmung zu berücksichtigen.Danke schön.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Lamers.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Eigentlich fällt es mir allmählich schwer, zu diesem Thema etwas — jedenfalls Neues — zu sagen, weil all das, was in den Großen Anfragen der GRÜNEN gesagt, behauptet wird, schon vielfach Gegenstand öffentlicher Debatten, Antworten der Regierung, Auseinandersetzungen in der Bundesrepublik gewesen ist, ohne daß es eine erkennbare Wirkung bei der Fraktion der GRÜNEN gezeigt hätte.
Ich kann nur feststellen, daß die Antwort der Bundesregierung zum Thema Südafrika ein weiteres Mal klar und unzweideutig belegt, daß es eine nukleare Zusammenarbeit zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Südafrika nicht gibt.
Zum Fall Argentiniens und Brasiliens, den Sie ja heute hier ausgelassen haben, weil Ihnen das nicht in das augenblickliche taktische Konzept paßt, kann ich nur sagen, daß die sorgfältigen bilateralen Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und diesen beiden Ländern de facto die Nichtmitgliedschaft dieser Länder im NV-Vertrag kompensiert. Das gilt vor allen Dingen für Brasilien, weil fast alle Anlagen, die Brasilien besitzt, solche sind, die die Bundesrepublik Deutschland geliefert hat, und dadurch eine sorgfältige Kontrolle dieser Anlagen stattfindet. Was Argentinien angeht, sollten Sie doch einmal zur Kenntnis nehmen, was der argentinische Präsident Alfonsin mehrfach deutlich gesagt hat, worauf sich die argentinische Beobachterdelegation bei der Dritten Überprüfungskonferenz in Genf bezogen hat, daß nämlich Argentinien auf die nukleare Waffenoption verzichtet. Das verdient Anerkennung. Das ist ganz gewiß auch das Ergebnis der nuklearen Zusammenarbeit zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Argentinien auf diesem Feld.Nein, meine Damen und Herren, das sind uralte, x-mal widerlegte, haltlose Vorwürfe auf Grund schlampig recherchierter Fakten oder, besser gesagt, aus dem Zusammentragen von Verleumdungen und haltlosen Behauptungen. Ich kann Ihnen nur sagen, daß Sie das Ansehen der Bundesrepublik Deutschland schädigen. Sie tun das Gegenteil von dem, was Ihre Pflicht als Abgeordnete ist.
Gott sei Dank, kann ich nur sagen, erweist sich, daß Sie dabei wirkungslos sind, wie das die Dritte Überprüfungskonferenz in Genf, die gerade abgeschlossen worden ist, deutlich gezeigt hat.Ich bin ganz froh, daß mir diese Debatte Gelegenheit gibt, ein Wort zu diesem Thema zu sagen, weil sich nämlich gezeigt hat, daß diese Konferenz nicht nur einen harmonischen Verlauf genommen hat, sondern auch substantielle Ergebnisse gebracht hat. Natürlich hat sich auch dort wieder die berechtigte Unzufriedenheit über mangelnde Fortschritte in der atomaren Abrüstung, also bei der sogenannten vertikalen Verbreitung, gezeigt; aber auch die dort versammelten 130 Staaten haben Hoffnung auf die Verhandlungen zwischen den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion in Genf gehabt. Ich bedaure, daß die Formulierungen etwa zum „comprehensive test ban" nur relativ schwach, aber immerhin im Schlußdokument enthalten waren.Trotz dieser Unzufriedenheit, was diesen Teil des NV-Vertrages angeht, haben die Drittweltländer ein positives Ergebnis durch konstruktives Verhalten erreicht. Es gab dafür zwei Gründe.Der erste Grund: Sie haben eben gesehen, daß der Vertrag funktioniert. Es gibt keine horizontale Ausbreitung von Atomwaffenstaaten, die, wie Sie suggerieren, angeblich durch die nukleare Zusammenarbeit der Bundesrepublik Deutschland mit Staaten der Dritten Welt geschehe. Nein, es hat keine weiteren Nuklearwaffenstaaten gegeben.Der Vertrag hat jetzt immerhin 130 Mitglieder, und das Bemerkenswerte ist, er übt einen Druck auch auf die Nichtmitglieder aus. China und Frankreich als Nuklearwaffenstaaten verhalten sich so wie die nuklearwaffenbesitzenden Mitglieder des Vertrages, also die USA, die Sowjetunion und Großbritannien. Die Nichtmitglieder aus der Dritten Welt, wie etwa Indien, haben erfahren müssen, daß ihre Nichtmitgliedschaft in dem Vertrag sie auf einen Nur-Beobachter-Status verweist und ihnen damit geringere Einwirkungs- und Gestaltungsmöglichkeiten gibt.Der NV-Vertrag hat sich als ein rechtlich-moralisches Strukturelement erwiesen, das stabilisierend und friedensfördernd wirkt. Das war der erste Grund, weshalb die Länder der Dritten Welt dieses positive Ergebnis ermöglicht haben.Der zweite Grund war, daß sie die Erfahrung gemacht haben, daß dieser Vertrag kein Hindernis ist bei der friedlichen Nutzung der Atomenergie. Dadurch ist der diskriminierende Charakter dieses Vertrages relativiert worden, und es ist gar keine Frage, daß die Bundesrepublik Deutschland durch ihre Politik gegenüber den Ländern der Dritten Welt dabei eine positive Rolle gespielt hat, die von den Ländern der Dritten Welt auch gewürdigt worden ist, und damit wesentlich zu dem guten Ergebnis der NV-Konferenz beigetragen hat.
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LamersSoweit die Bundesrepublik in Genf überhaupt Tadel erfahren hat — das möchte ich Ihnen einmal sagen —, geschah dies in der Form, daß die Länder der Dritten Welt gesagt haben, die Bundesrepublik Deutschland nehme es zu genau mit ihren Verpflichtungen nach dem NV-Vertrag; sie sei zu restriktiv und tue zu wenig. Die Bundesregierung hat also durch ihre Nuklearpolitik gegenüber der Dritten Welt und durch ihre Rolle in Genf zu diesem Ergebnis beigetragen, und dafür gebührt ihr Dank.
Das positive Ergebnis, meine Damen und Herren, beweist, wie töricht Ihre Vorhaltungen sind. Wir nehmen auch die Bedürfnisse der Dritten Welt ernst, an der friedlichen Nutzung der Nuklearenergie teilzunehmen. Sie in Ihrer ideologischen Verbohrtheit und in Ihrer Abneigung gegen diese friedliche Nutzung wollen das nicht wahrhaben und diskriminieren hier wie etwa auch beim Thema Rüstungsexport, die legitimen Interessen der Länder der Dritten Welt.
Nun, meine Damen und Herren, etwas zu den beiden Entschließungsanträgen, die uns vorliegen. Ich will zunächst sagen, ich kann ja verstehen, daß man versucht, ein Thema bis zum letzten auszuquetschen, das ist ganz klar. Aber man kann ein Thema auch so lange wringen und quetschen, bis man es totgewrungen hat. Das sei vor allen Dingen an die Adresse der SPD gesagt.
— Ja, es kommt noch mehr, aber das wird Ihnen nichts mehr nützen. Auch die Südafrikapolitik der Bundesregierung ist klar und richtig.
Ich will Ihnen einmal einige Zahlen nennen, Herr Kollege Verheugen, die zeigen, worum es geht. Es geht im Grunde um die Uranlieferungen aus Namibia. Wie sieht das denn eigentlich aus? 1983 hatte die Bundesrepublik einen Gesamtimport von Uran in Höhe von 2 680 t, 1984 von 3 200 t, 1985 von 3 300 t, und nächstes Jahr sollen es wahrscheinlich 3 600 t werden. Wissen Sie, wieviel davon aus Namibia kam? 1983 waren es 147 t, 1984 dieselbe Menge, 1985 ebenfalls, und 1986 wird die Sache auslaufen, weil der Vertrag ausläuft. Die Behauptung, von den GRÜNEN aufgestellt, es handle sich um 30 % der Uraneinfuhren, ist einfach abwegig. Es sind zwischen 4 und 6%, höchstens mal 12 %. Mit steigender Tendenz: Das stimmt also schon mal nicht.Zweitens werden wir Ihre Anträge ablehnen, weil wir unmißverständlich und, wie ich glaube, wirklich überzeugend klargemacht haben, daß solche Embargomaßnahmen nicht nur nichts nützen, sondern schaden.Drittens. Es gibt keine entsprechenden UN-Beschlüsse,
die verbindlich wären, uns zu einer solchen Maßnahme zu zwingen.Wir wollen helfen, daß es eine friedliche Entwicklung im südlichen Afrika, in Namibia gibt. Die von Ihnen vorgeschlagenen Maßnahmen wären — wie alles, was Sie auf diesem Gebiet vorgeschlagen haben — hinderlich. Deswegen werden wir Ihre Anträge ablehnen.
Das Wort hat der Abgeordnete Verheugen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich kann Ihnen den Gefallen nicht tun, Herr Kollege.
Die heutige Debatte gewinnt an Aktualität dadurch, daß die Dritte Überprüfungskonferenz zum Vertrag über die Nichtverbreitung von Atomwaffen vor wenigen Tagen zu Ende gegangen ist. Wir begrüßen es, daß diese Konferenz insofern erfolgreich verlaufen ist, als es gelungen ist, ein Schlußdokument zu verabschieden. Daß ist gegenüber der Zweiten Überprüfungskonferenz, auf der das nicht möglich war, ein Fortschritt. Man muß aber ganz klar sehen, daß dieses Ergebnis nur möglich war, weil sie die Teilnehmerstaaten von der Hoffnung leiten ließen, daß die Genfer . Verhandlungen der atomaren Supermächte tatsächliche Fortschritte bei der nuklearen Abrüstung bringen werden. Es ist damit ein neuer Erwartungshorizont geschaffen worden, der im Falle des Scheiterns der Verhandlungen tiefe Frustrationen und Enttäuschungen hervorrufen würde.
Schon der Vertrag selbst — ich darf daran erinnern — war ja nur zustande gekommen, weil sich die Kernwaffenstaaten in Art. 6 zur nuklearen Abrüstung verpflichtet hatten. Wenn diese Verpflichtung jetzt wiederum nicht eingehalten werden sollte, sieht es um die Zukunft des gesamten Systems der Nichtverbreitung von Atomwaffen finster aus.In der Substanz sind die Ergebnisse von Genf eher mager, Herr Kollege Lamers. Die Kernwaffenstaaten haben sich nicht zu verbindlichen Schritten entschließen können. Man muß fragen, ob eine bessere Abstimmung unter den Nichtkernwaffenstaaten nicht doch zu mehr Druck auf die Nuklearmächte geführt hätte. Ich kann jedenfalls nur bedauern, daß unsere Anregung, eine Vorkonferenz der Nichtkernwaffenstaaten zu initiieren, von der Bundesregierung nicht aufgenommen worden ist.
Es ist besonders bedauerlich, daß auch in der Frage des umfassenden nuklearen Teststopps kein verpflichtendes Ergebnis erzielt wurde. Vage Hoffnungen auf eine Wiederbelebung der trilateralen Verhandlungen wurden eröffnet, mehr nicht. In der11942 Deutscher Bundestag — l0. Wahlperiode — 159. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. September 1985VerheugenTat ist die Frage des Teststopps das Schlüsselproblem bei dem Versuch, die quantitative und qualitative Vermehrung von Atomwaffen zu verhindern. Ohne Tests gibt es keine neuen Atomwaffen. Wir appellieren deshalb eindringlich an alle Kernwaffenstaaten, durch den freiwilligen Verzicht auf Atomtests schon jetzt einen Beitrag zur Vertrauensbildung und zum Zustandekommen eines Abkommens zu leisten.Von der Bundesregierung erwarten wir, daß sie alles in ihrer Kraft Stehende tut, um den verbindlichen und umfassenden Teststopp durchzusetzen. Darüber hinaus erwarten wir von der Bundesregierung, daß sie ihre Verpflichtungen aus dem Atomwaffen-Sperrvertrag nicht nur dem Buchstaben, sondern auch dem Geist des Abkommens entsprechend ernst nimmt. Die Bundesregierung ist für die Mißachtung des Atomwaffen-Sperrvertrages mitverantwortlich, weil sie durch ihre Zustimmung zur Stationierung weiterer Atomwaffen auf deutschem Boden zur Vergrößerung des Kernwaffenpotentials beigetragen,
weil sie in den Vereinten Nationen gegen das Einfrieren der atomaren Rüstungen gestimmt
und weil sie es unterlassen hat, den amerikanischen Verbündeten zu einer konstruktiven Antwort auf das sowjetische Atomtest-Moratorium zu drängen.
— Ihre Zwischenrufe waren auch schon wesentlich besser.Auf der Genfer Konferenz hat natürlich auch die Frage eine Rolle gespielt, ob wir uns auf die Verbreitung von Atomwaffen in das Weltall vorbereiten müssen. Ich will hier der SDI-Debatte nicht vorgreifen, die noch zu führen sein wird, aber es ist doch anzumerken, daß auch diese Fragen unter dem Aspekt der atomaren Nichtverbreitung zu sehen sind. Wir wünschen jedenfalls keine neue Dimension des nuklearen Schreckens. Was vorhanden ist, ist schlimm genug.Der Zusammenhang des Nichtverbreitungsvertrages mit den hier zu behandelnden drei Großen Anfragen der GRÜNEN ergibt sich aus dem Ziel des Vertrages, einerseits zwar die friedliche Nutzung der Kernenergie zu ermöglichen andererseits aber die Nutzung ziviler Atomenergie zu militärischen Zwecken zu verhindern. Hier ist die Bundesrepublik Deutschland besonders gefordert. Sie ist ein Land mit hochentwickelter Kerntechnologie, und sie hat stark ausgeprägte Exportinteressen auf diesem Gebiet.Die Tatsache, daß es auch nach Inkrafttreten des Sperrvertrages mehreren Staaten gelungen ist, in den Besitz von Kernwaffen oder doch zumindest in den Besitz der dazu notwendigen Technologie zu kommen, ist ein gefährlicher und alarmierender Vorgang. Ich glaube, daß die Erfahrungen der letzten 15 Jahre und die unbestreitbar vorhandene Gefahr, daß sich weltweit ein grauer KernenergieMarkt entwickelt, uns dazu veranlassen sollten, unsere Kernenergiepolitik und speziell auch unser Exportverhalten zu überprüfen.
Man soll auch den bösen Schein vermeiden. Das heißt, daß der Export von Nukleartechnologie prinzipiell nur noch in solche Länder erlaubt sein sollte, die dem Atomwaffen-Sperrvertrag beigetreten sind und sich den umfassenden Sicherheitsbestimmungen und Kontrollen unterwerfen.Der Export von Nukleartechnologie unter den Bedingungen der „full scope safeguards" sollte natürlich nicht zu Wettbewerbsverzerrungen führen. Wir fordern die Bundesregierung daher auf, sich gemeinsam mit den USA dafür einzusetzen, daß alle Nukleartechnologie exportierenden Länder nach diesem Prinzip verfahren.Wir halten es auch für notwendig, daß so schnell wie möglich dafür gesorgt wird, daß bei der Herstellung von Kernbrennstäben in der Bundesrepublik der Uran-Anreicherungsgrad in jedem Fall auf ein Maß reduziert wird, das nicht kernwaffenfähig ist.Auch die wissenschaftlich-technische Zusammenarbeit auf den Gebieten der Kernphysik und der Nukleartechnologie muß nach unserer Meinung strikt unter den Grundsatz gestellt werden, daß eine derartige Zusammenarbeit nur mit solchen Staaten möglich ist, die dem Atomwaffensperrvertrag beigetreten sind. Daraus ergibt sich als natürliche Konsequenz, daß alles geschehen muß, was möglich ist, um solche Staaten zur Teilnahme an dem Vertrag zu bewegen, die zwar kerntechnische Anlagen besitzen, aber bisher nicht beigetreten sind. Das gilt auch für unseren Nachbarn Frankreich.Eine spezielle Große Anfrage befaßt sich mit der nuklearen Zusammenarbeit mit Südafrika.Meine Damen und Herren, der Streit, ob es eine vorsätzliche oder auch nur fahrlässige Zusammenarbeit zwischen der Bundesrepublik bzw. deutschen Firmen und Südafrika auf dem Gebiete der Kerntechnik gegeben hat, wird sich, nachdem die Gerichte das schon nicht klären konnten, wohl auch im Rahmen einer Bundestagsdebatte nicht klären oder entscheiden lassen. Fest steht aber, daß begründeter Verdacht vorhanden ist, wonach Südafrika im Jahr 1979 eine Atombombe gezündet hat.
— Ich weiß, daß es Ihnen nichts ausmacht, wenn solche Länder Atomwaffen besitzen. Aber erlauben Sie, daß uns das etwas ausmacht, sogar sehr viel, Herr Kollege.
Es steht auch fest, daß kerntechnische Anlagen nach Südafrika geliefert worden sind, von wem auch immer. Und ich denke, daß sich die Außenminister der Europäischen Gemeinschaft etwas dabei gedacht haben, als sie in ihren Katalog von Sanktionen gegenüber Südafrika das Verbot neuer nu-
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Verheugenklearer Zusammenarbeit aufgenommen haben. Ich hoffe jedenfalls, daß sie sich etwas gedacht haben.
Aus gegebenem Anlaß füge ich hinzu, daß entgegen den Äußerungen von Bundesaußenminister Genscher die Bundesregierung sehr wohl Anlaß hätte, über die Verwirklichung und Einhaltung dieses Nuklear-Embargos nachzudenken. Es wird sich wahrscheinlich lohnen, die einschlägigen Listen solcher Güter zu überprüfen, deren Ausfuhr genehmigungspflichtig ist. Da könnte es durchaus Lücken geben, und durch diese Lücken könnten auch deutsche Firmen geschlüpft sein. Ein Vergleich mit den amerikanischen Listen wäre vielleicht ganz hilfreich.
— Ja, Herr Kollege Lamers, die Mitglieder des Unterausschusses für Abrüstung und Rüstungskontrolle wissen, worauf ich mich beziehe. Deutlicher kann ich hier leider nicht werden.Es ist schade, daß die Genfer Überprüfungskonferenz hinsichtlich der Uranausbeutung in Namibia nicht zu einer klaren Verurteilung gekommen ist. Wir schließen uns hier den Beschlüssen der UN-Gremien an, die die Einfuhr von Rohstoffen aus Namibia vor der Unabhängigkeit des Landes verbieten.Meine Damen und Herren, die Fragen der Nichtverbreitung von Atomwaffen werden uns noch weiter beschäftigen. Ich gehe davon aus, daß wir noch einen Bericht der Bundesregierung über die Genfer Konferenz erhalten werden.Eine aktive Politik der Nichtverbreitung von Atomwaffen wird immer ein unverzichtbarer Bestandteil jeder ernsthaften Abrüstungspolitik sein. Zu solchen Bemühungen rufen wir auch heute wieder auf. Wir fühlen uns von den Aussagen der Genfer Konferenz über atomwaffenfreie Zonen bestätigt und ermutigt, unsere eigenen Bemühungen in dieser Richtung fortzusetzen.
Es wäre uns sicher lieber, wir müßten das nicht tun und die Regierung täte es. Auf dem Gebiet der Nichtverbreitung von Kernwaffen gibt es Handlungsspielraum. Wir rufen dringend dazu auf, ihn zunutzen.
Das Wort hat der Abgeordnete Schäfer .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Fraktion der GRÜNEN hat immer wieder versucht, diese und frühere Bundesregierungen in das Zwielicht nuklearer Zusammenarbeit mit Staaten der Dritten Welt und mit Südafrika zu rücken.
Ich sage „ins Zwielicht" deshalb, weil sie einmal Atomkraft für böse hält, weil sie aber — und das halte ich für böswillig — damit immer mit Unterstellungen — so heißt es j a auch in Ihrer Großen Anfrage — die nukleare Zusammenarbeit als Weiterverbreitung von Atomwaffen diffamiert. Es sind ja nicht die ersten Anfragen dieser Art, die heute zur Debatte stehen. Herr Lamers hat darauf hingewiesen.
Eine Flut weiterer Anfragen, die nicht einmal vor der Verdächtigung zurückschrecken, die Bundesregierung strebe selber nach Atomwaffen,
wird uns in nächster Zeit beschäftigen. Diese Unterstellungen sind zu durchsichtig, und sie sind falsch. ..
Andererseits halte ich es für richtig, daß der Bundestag als Kontrollinstanz der Regierung alles tun muß, um solche Verdächtigungen glasklar zu widerlegen. Die Beantwortung der drei Großen Anfragen gibt der Bundesregierung heute erneut die Gelegenheit, deutlich Stellung zu beziehen. Das hat sie getan. Wir begrüßen deshalb die eindeutigen Antworten der Regierung.Lassen Sie mich nur einige kritische Randbemerkungen machen.
— Na, hören Sie mal! Wir sind j a Abgeordnete hier. Es ist ja nicht immer nur die Regierung. Die bekommen wir gar nicht hier.Mir fällt auf, daß die Regierung gelegentlich bei Fragen nach der Tätigkeit deutscher privatwirtschaftlicher Unternehmen den Terminus gebraucht: „Diese Meldungen können nicht bestätigt werden" oder „Die Bundesregierung hat keine Erkenntnisse darüber", z. B. daß deutsche Unternehmen
am Bau einer südafrikanischen Urananreicherungsanlage beteiligt waren oder sind.Ich rege deshalb an — das ist doch ganz in Ihrem Sinn; was wollen Sie eigentlich —, daß die Bundesregierung noch einmal begründet, weshalb sie keine Erkenntnisse hat, damit nicht der fälschliche Eindruck entsteht, sie könnte solche Erkenntnisse haben, wenn sie nur wollte.
Ich glaube aber, Herr Möllemann wird dazu Stellung nehmen.Wissen Sie, bei uns ist es immer so: Am Anfang schimpfen Sie. Dann rufen Sie mir „Sehr gut!" zu. Ihre Linie hier ist etwas verwirrend. Sie bringt mich auch in schwere Zonen in der Regierung. Denn ich sehe die kritischen Blicke der CDU, wenn Sie mir zuklatschen. Sie glauben gar nicht, wie schwierig das alles hier ist.
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11944 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 159. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. September 1985
Schäfer
Eines jedenfalls steht fest: Die Entwicklung und friedliche Nutzung der Kernenergie und die Verbreitung von Kernwaffen sind scharf voneinander zu trennen. Diese Trennung ist Grundlage des Vertrags über die Nichtverbreitung von Kernwaffen und des internationalen Kontrollsystems. Denn dieser Vertrag enthält sowohl die Verpflichtung zur Anwendung von Sicherheitsmaßnahmen als auch den Grundsatz, daß diese Sicherheitsmaßnahmen keine Behinderung der internationalen Zusammenarbeit auf dem Gebiet friedlicher nuklearer Tätigkeiten sein dürfen. Wenngleich dieser Vertrag in seiner Entstehungsgeschichte umstritten war, so haben sich doch alle Bundesregierungen seit der Ratifizierung dieses Vertrags im Jahr 1975, Herr Verheugen, peinlichst an die Bestimmungen dieses Vertrags gehalten.Man muß auch feststellen, daß sich der Kernwaffensperrvertrag im großen und ganzen bewährt hat. Inzwischen haben über 120 Staaten den Vertrag ratifiziert. Zudem haben sich durch den Vertrag von Tlatelolco — das Protokoll hat Schwierigkeiten mit diesem Wort; ich habe sie auch — zahlreiche Länder Lateinamerikas ebenfalls umfassenden vergleichbaren Kontrollen unterworfen. Daß einige Staaten diesem Vertragswerk ferngeblieben sind, weil sie es als diskriminierend empfanden, ist sicher nicht ein Verschulden deutscher Politik. Es ist auch unsere Pflicht und eine Aufgabe der Parlamentarier, die Länder, die immer noch abseits stehen, zu einem Beitritt zum Kernwaffensperrvertrag zu drängen.Die Bundesregierung hat erst vor wenigen Tagen in der 3. Nachprüfungskonferenz zum Kernwaffensperrvertrag unter Beweis gestellt, wie ernst es ihr mit ihrem Bemühen ist, den Vertrag zur vollen Geltung zu bringen und entsprechend seinem Ziel fortzuentwickeln.Die Initiativen der Bundesregierung bei der Genfer Abrüstungskonferenz zur Errichtung eines globalen seismographischen Netzes zur Verifikation eines umfassenden Nuklearteststoppabkommens ist sicher ein beredtes Zeugnis dafür.Lassen Sie mich zu den einzelnen Großen Anfragen und ihrer Beantwortung durch die Bundesregierung kurz Stellung nehmen.Die Antwort der Bundesregierung auf die Anfrage zu bundesdeutschen Nuklearexporten in die Dritte Welt hat eindeutig klar gemacht, daß die Struktur der deutschen Exporte und der wissenschaftlich-technischen Zusammenarbeit auf diesem Gebiet einen Beitrag zur Sicherstellung der weltweiten Energieversorgung leisten. Dies geschieht in dreifacher Form: durch Exporte von Nuklearanlagen, durch die wissenschaftlich-technische Zusammenarbeit, durch die technische Hilfe im Rahmen des IAEO. In allen Bereichen beachtet die Bundesrepublik sorgfältig die politischen Belange des Nichtverbreitungsvertrages.Zur angeblichen nuklearen Zusammenarbeit mit Südafrika kann ich nur nochmals herausstellen, daß die Bundesregierung in ihrer Antwort auf die Große Anfrage sehr klar aufgezeigt und bekräftigt hat, daß es eine nukleare Zusammenarbeit mit Südafrika nicht gibt und nicht gegeben hat.
Es ist schon grotesk, daß wir uns hier mit Vorwürfen auseinandersetzen sollen, die die von SPD und FDP geführte Regierung schon 1978 widerlegt hat.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich in diesem Zusammenhang Ihre Aufmerksamkeit auf einen Passus der Entschließung der EG-Außenminister vom 10. September 1985 verweisen, der deutlich macht, daß wir nicht nur keine nukleare Zusammenarbeit wollen, sondern darüber hinausgehen. Dieser Passus ist angesichts der Heftigkeit der Debatte über die Frage, ob wir die Kündigung des Kulturabkommens begrüßen oder unterstützen, sie als schädlich oder nützlich empfinden sollen — das ist seit heute vormittag vom Tisch —, möglicherweise von einigen Gegnern dieser Entschließung übersehen worden. Die EG-Außenminister fordern darin nämlich den Stopp des Exports sensitiver Ausrüstungsgüter — das bezieht sich nicht auf den nuklearen Bereich — für Polizei und Streitkräfte Südafrikas.
Meine Damen und Herren, ich hielte es für viel nützlicher, dem Auswärtigen Amt durch unsere entsprechenden Vorschläge zu helfen, eine Liste solcher sensitiver Güter zusammenzustellen, statt hier ein Schattenboxen über angebliche nukleare Zusammenarbeit zu führen, die Frankreich und Belgien einstellen müssen, nicht aber wir, weil es sie weder gab noch gibt. Ich glaube, mit diesem Punkt müssen wir uns, Herr Voigt, sicherlich noch auseinandersetzen.
— Ich bin immer bereit, zu sagen, daß die Zusammenarbeit in diesem Hohen Hause bei so wichtigen Unternehmungen wichtiger als die Polarisierung ist.Zur nukleartechnischen Zusammenarbeit mit Argentinien und Brasilien hat die Bundesregierung unzweideutig dargelegt, daß ihrer Kenntnis nach weder Argentinien noch Brasilien Pläne zum Bau von Kernwaffen hegen. Die Regierungen beider Länder haben wiederholt die friedliche Zielsetzung ihrer nationalen Kernenergieprogramme bekräftigt und sich zum Grundsatz der Nichtverbreitung von Kernwaffen bekannt. Die von der Bundesregierung mit diesen Ländern getroffenen Vereinbarungen über eine Zusammenarbeit im Bereich der Kernenergie haben stets die geltenden internationalen Absprachen auf dem Gebiet der Nuklearexporte voll berücksichtigt.
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Schäfer
— Wenn der Präsident vielleicht etwas dazu beitragen würde, meine Stimme zu schonen, wäre ich ihm sehr dankbar.
Im übrigen scheint es mir sehr wichtig, Sie einmal auf die Frage der Psychologie, meine Damen und Herren von den GRÜNEN, im Umgang mit Ländern der Dritten Welt, vor allem den großen Schwellenländern Lateinamerikas, hinzuweisen. Wer glaubt, diesen Ländern vorschreiben zu können, welche Form der Energie für sie nützlich sei, reiht sich ein in die fatale historische Kette europäischer Überheblichkeit, um nicht zu sagen imperialistischer Arroganz.
Wer ihnen aber auch noch unterstellt, sie beabsichtigten gar nicht, Kernenergie friedlich zu nutzen, der verbreitert den technologischen Graben zwischen der ersten und der Dritten Welt, der straft all seine angeblich so hochmoralischen politischen Absichten Lügen und sät Mißtrauen und Abneigung zwischen Süd und Nord.Meine Damen und Herren, ich glaube, wir haben in vielen Debatten den Versuch unternommen, Sie davon zu überzeugen, daß es nicht unser Wille ist, eine nukleare Zusammenarbeit mit der Zielsetzung der Weitergabe von atomaren Waffen zu betreiben. Ich bin fest davon überzeugt, daß uns, wenn wir noch viele Jahre Gelegenheiten haben, diese Debatte fortzusetzen, die Überzeugung gelingen wird. An unseren Anstrengungen soll es nicht mangeln.Vielen Dank.
Das Wort hat der Staatsminister im Bundesministerium des Auswärtigen, Herr Möllemann.
— Ich darf noch einmal um Aufmerksamkeit bitten. Die Kollegen, die im Saal stehen, aber nicht an der Debatte teilzunehmen wünschen, werden gebeten, den Saal so lange zu verlassen.
Bitte schön, Herr Staatsminister.
Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Die Fragen der Nichtverbreitungspolitik sind in diesem Jahr mehrfach Gegenstand von Debatten in diesem Hause gewesen, zuletzt am 26. Juni, unmittelbar im Vorfeld der vor wenigen Tagen zu Ende gegangenen dritten Überprüfungskonferenz zum Nichtverbreitungsvertrag. Die Bundesregierung hat in diesen Debatten jeweils betont, daß die deutsche Nichtverbreitungspolitik bisher mit Zustimmung des ganzen Hauses auf den Erkenntnissen auch der von der SPD geführten früheren Bundesregierungen aufgebaut habe und daß sich daher nach unserer Überzeugung das Thema der Nichtverbreitung zu einer polemischen Erörterung nicht eigne.
Ich bedaure es daher, daß durch die drei GroßenAnfragen der Fraktion der GRÜNEN, mit denen wiruns heute befassen, ein ausgeprägt polemisches Element in die Debatte über die Nichtverbreitungspolitik gekommen ist.
Bereits in den Überschriften wird unterstellt, daß deutsche Nuklearexporte entgegen der eindeutigen Politik aller Bundesregierungen zur Weiterverbreitung von Kernwaffen beitrügen. Ja, in vielen Einzelfragen wird versucht, zu suggerieren, dies geschehe mit Duldung, wenn nicht gar mit Förderung durch die Bundesregierung.
Die Bundesregierung hat in der Beantwortung der drei Großen Anfragen diese diffamierenden Unterstellungen, die geeignet wären, das Ansehen der Bundesrepublik Deutschland im Ausland zu beeinträchtigen, klar zurückgewiesen und widerlegt.
Die Bundesregierung hat gleichzeitig die insgesamt 128 Einzelfragen sorgfältig und erschöpfend beantwortet, obwohl viele dieser Fragen unbegründete Vorwürfe aufgreifen, die bereits von früheren Bundesregierungen abschließend widerlegt wurden. Die Bundesregierung hat sich dabei insbesondere von dem Gesichtspunkt der Wahrung des deutschen Ansehens im Ausland und von der bereits einleitend angesprochenen Kontinuität der Nichtverbreitungspolitik leiten lassen.Wir geben uns nicht der Illusion hin, meine sehr verehrten Damen und Herren, mit der Beantwortung dieser Großen Anfragen derartigen Unterstellungen ein Ende setzen zu können. Im Gegenteil, von gleicher Seite werden noch weitergehende Verdächtigungen erhoben. Die Bundesregierung wird demnächst eine Große Anfrage beantworten, die versucht, dieser und früheren Bundesregierungen nukleare Bestrebungen, die auf den Erwerb der Verfügungsgewalt über Kernwaffen gerichtet seien, zu unterstellen. Bezeichnend ist der Titel einer Anfang dieses Monats unter Mitwirkung der GRÜNEN in Bonn abgehaltenen Alternativkonferenz „Atombombe made in Germany". Als besonders bedauerlich empfinde ich es, daß die GRÜNEN diese beleidigenden Unterstellungen, die auf nichts als grundlosen Verdächtigungen und haltlosen Konstruktionen beruhen, auch in internationalen Gremien zu verbreiten versuchen.
Sie dürfen sich dann nicht wundern, wenn etwa die Konferenzleitung der dritten Überprüfungskonferenz auf Grund von Beschwerden anderer Staaten gegen die Verteilung derartiger Dokumente einschreitet.Dabei ist uns allen klar, daß es sich hier nur um einen Nebenschauplatz handelt. Das erklärte Ziel der GRÜNEN ist die Abschaffung der Kernenergie schlechthin.
— Eben! Deswegen sollte man es auch deutlich aussprechen. Als Zwischenschritt zu diesem Ziel wird das Verbot aller Nuklearexporte gefordert.
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11946 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 159. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. September 1985
Staatsminister MöllemannDieses wäre eine Politik, die nicht nur die Energieversorgung der Bundesrepublik Deutschland gefährden, sondern auch wesentliche Fundamente des Nichtverbreitungsvertrages untergraben würde. Der Nichtverbreitungsvertrag bekräftigt ausdrücklich das unveräußerliche Recht aller Vertragsparteien, die Verwendung der Kernenergie für friedliche Zwecke zu entwickeln. Er verpflichtet die Vertragsparteien, den weitestmöglichen Austausch auf diesem Gebiet zu fördern. Berufen Sie sich doch nicht auf ein Vertragswerk da, wo es Ihnen paßt, während Sie andere Passagen leugnen, die Ihnen nicht gefallen! Entweder Sie stehen zu diesem Vertrag oder tun es nicht. Er verpflichtet uns zu diesem Verhalten.
Ein Infragestellen dieser Verpflichtung bedeutet gerade aus der Sicht der Dritten Welt — darauf hat der Kollege Schäfer sehr zutreffend hingewiesen — ein Infragestellen des gesamten Vertrages und damit des wichtigen Instruments der internationalen Nichtverbreitungspolitik. Diese Verpflichtungen aus Artikel 4 des Nichtverbreitungsvertrages sind auf der vor wenigen Tagen zu Ende gegangenen dritten Überprüfungskonferenz zu diesem Vertrage von allen Staaten erneut bekräftigt worden. Die Konferenz hat alle Vertragsparteien aufgefordert, die Implementierung dieses Artikels noch weiter zu verbessern. Die Bundesregierung stellt mit Befriedigung fest, daß die Überprüfungskonferenz mit einem in Konsens verabschiedeten umfassenden und positiven Schlußdokument zu Ende gegangen ist.Die insgesamt positive Bewertung der Bewährung des Nichtverbreitungsvertrages durch die Bundesregierung, die ich im Juni in der Debatte vorgetragen hatte, ist damit durch alle Teilnehmerstaaten bestätigt worden.Nun noch zu drei Argumenten, die hier vorgetragen worden sind. Ich entsinne mich noch sehr gut, daß am 26. Juni aus den Reihen der GRÜNEN, vor allen Dingen aber auch der SPD hier eine Art Katastrophenszenario für den vermutlichen Ausgang dieser Konferenz an die Wand gemalt worden ist. Es kann überhaupt keine Rede davon sein. Im Gegenteil, im Schlußdokument dieser Konferenz wird von allen Teilnehmerstaaten einmütig gesagt: „Die Sicherungsmaßnahmen der Internationalen Atomenergiebehörde werden uneingeschränkt positiv bewertet." Es wird weiter gesagt, daß die Zusammenarbeit auf dem Sektor der zivilen Nutzung der Kernenergie uneingeschränkt positiv zu bewerten ist.Ich weiß nicht: Wollen Sie eigentlich hingehen und 120 Staaten dieser Welt, darunter auch eine ganze Menge sozialistisch geführte, mit Ihrer Schulmeisterei in eine Ecke treiben? Sie setzen sich in den Fragen der Außenpoliltik allmählich internationaler Lächerlichkeit aus, so wie Sie sich hier gerieren.
Herr Verheugen, ich halte es für ein starkes Stück, was Sie hier gesagt haben. Sie sagten, die Bundesrepublik Deutschland verstoße mit ihremStehen zum NATO-Doppelbeschluß gegen den Nichtverbreitungsvertrag. Als Sie das sagten, betrat gerade Hans Apel diesen Raum.
Ich weiß ja nicht, wie lange er ihn noch betreten wird. Aber eines ist klar: Er ist einer der Väter dieses Doppelbeschlusses. Ich halte es für eine unglaubliche Diffamierung Ihres eigenen Kollegen, wenn Sie ihm unterstellen, er habe den Vertrag verletzen wollen.
Er war j a in Ihrer Partei schon, als Sie sich noch auf der anderen Seite bewegt haben. Mit Ihrem Wandel in der Sitzreihe haben Sie auch Ihre Überzeugung gewandelt. Das machen Sie bei solchen Gelegenheiten deutlich.
Ein letzter Punkt. Das Abenteuerlichste, was ich heute gehört habe, Frau Borgmann, ist ja nicht, daß Sie weiterhin erklären, wir betrieben nukleare Zusammenarbeit mit Südafrika. Offenbar juckt es Sie überhaupt nicht, wenn man Ihnen das zehnmal widerlegt. Aber daß Sie allen Ernstes sagen, die südafrikanische Regierung wolle damit Atombomben für ihre innerstaatliche Auseinandersetzung mit den Schwarzen bauen können, zeugt von so viel „tiefgreifender" Kenntnis, daß ich Ihnen nur noch erheitert zulächeln kann. Ich finde, Sie müßten sich ab und zu schon einmal die Mühe machen, seriöse Argumente vorzutragen.
Bitte sehen Sie mir den lauten Ton nach; dadurch wird jedenfalls der Saal ruhig, wenn er so voll ist. Ich habe nur noch einmal sagen wollen, daß das Thema der Nichtverbreitung bis zu dem Erscheinen der GRÜNEN in einer vernünftigen Art und Weise zwischen allen Fraktionen diskutiert werden konnte. Die merkwürdige Metamorphose in Teilen der SPD, die offenbar um jeden Preis jeden Unsinn nachbeten muß, der gesagt wird, ist das, was mich bei diesem Thema am meisten bedrückt.Ich danke Ihnen, meine Damen und Herren.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.Wir kommen zuerst zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/3879. Die Fraktion DIE GRÜNEN verlangt gemäß § 52 unserer Geschäftsordnung namentliche Abstimmung. Wer dem Entschließungsantrag auf Drucksache 10/3879 zuzustimmen wünscht, den bitte ich, die Abstimmungskarte Ja abzugeben. Wer dagegen stimmt oder sich der Stimme enthalten will, den bitte ich, die entsprechenden Abstimmungskarten in die hier vorne aufgestellten Urnen zu legen.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 159. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. September 1985 11947
Vizepräsident WestphalIch eröffne die Abstimmung.Meine Damen und Herren, ich darf für einen Moment Ihre Aufmerksamkeit erbitten. Auch die Schriftführer, die nicht an den Urnen stehen, werden gebeten, mit zur Auszählung zu kommen. Wir haben keine volle Besetzung, so daß ich darum bitte, dort zu helfen. Alle Schriftführer werden also gebeten, zur Auszählung zu kommen.Meine Damen und Herren, ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das an der Abstimmung teilnehmen will, dies bisher aber noch nicht getan hat?— Das ist nicht der Fall. Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen.Meine Damen und Herren, ich wäre dankbar, wenn wir in der Zwischenzeit mit unseren Beratungen fortfahren könnten. Wir haben noch eine lange Tagesordnung, für deren Abwicklung ich Ihre Aufmerksamkeit brauche. Ich bitte Sie, Platz zu nehmen, weil wir uns noch in der Abstimmung befinden.Meine Damen und Herren, jetzt steht ein Antrag der sozialdemokratischen Fraktion zur Abstimmung.
— Ich bitte, Platz zu nehmen. Ich glaube, es bestehen keine Einwendungen, wenn wir trotz der Auszählung in der Zwischenzeit mit der Beratung und Abstimmung fortfahren. Ich höre jedenfalls keine Einwendungen.Ich bitte, den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/3905 vorzunehmen. Wer diesem Entschließungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Danke schön. Wer stimmt dagegen? — Stimmenthaltungen? — Dieser Entschließungsantrag ist mit Mehrheit abgelehnt.Ich setze Ihr Einverständnis voraus, daß wir die Sammelübersichten des Petitionsausschusses aufrufen können, zu denen wir Debatten haben werden. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 9 a bis 9 i auf:a) Beratung der Sammelübersicht 88 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen— Drucksache 10/3587 —b) Beratung der Sammelübersicht 89 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen— Drucksache 10/3588 —c) Beratung der Sammelübersicht 90 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen— Drucksache 10/3589 —d) Beratung der Sammelübersicht 95 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen— Drucksache 10/3787 —e) Beratung der Sammelübersicht 91 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen— Drucksache 10/3807 —f) Beratung der Sammelübersicht 93 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen— Drucksache 10/3808 —g) Beratung der Sammelübersicht 96 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen— Drucksache 10/3814 —h) Beratung der Sammelübersicht 97 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen— Drucksache 10/3815 —i) Beratung der Sammelübersicht 98 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen— Drucksache 10/3816 —Zu den Tagesordnungspunkten 9 a bis 9 d liegen Änderungsanträge der Abgeordneten Mann, Dr. Schierholz und der Fraktion der GRÜNEN auf den Drucksachen 10/3866 und 10/3867 sowie der Fraktion der SPD auf den Drucksachen 10/3880 und 10/3881 vor. Im Ältestenrat ist eine gemeinsame Beratung der Tagesordnungspunkte 9 a bis 9 d mit jeweils einem Beitrag bis zu fünf Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. Das sind viermal fünf Minuten. Ich sehe keinen Widerspruch; dann ist so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Hansen .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sie alle kennen aus dem Mackie-Messer-Song die Zeile: „Die im Dunkeln sieht man nicht." So fühlen sich Schichtarbeitnehmer, wenn sie darüber nachdenken, wie ihre Belastung vom Rest der Arbeitswelt und vielleicht auch von uns gelassen zur Kenntnis genommen wird. Wenn es nach dem Willen der Koalition ging, würden wir heute nicht über eine Petition debattieren, die 84 Schichtarbeiter des VW-Werkes eingebracht haben und in der sie fordern, in der Rentenversicherung die Altersgrenze für Schichtarbeiter herabzusetzen.Petition erledigt — Fall erledigt! Dieser Auffassung können wir Sozialdemokraten uns nicht anschließen, schon gar nicht, wenn es sich um das Thema der Verbesserung für Schichtdienstarbeiter handelt. Wir sind der Meinung, daß diese Petition dem Bundesarbeitsminister als Material überwiesen werden sollte, Materialüberweisung auch deshalb, weil wir nicht verkennen, daß eine Berücksichtigung der Forderung große Probleme aufwerfen würde, finanzielle Probleme, aber auch Abgrenzungs- und Differenzierungsprobleme, was Schichtarbeit, Wechselschicht usw. ist.
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11948 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 159. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. September 1985
HansenSie, meine Damen und Herren von der Koalition, lehnen selbst eine Materialüberweisung ab, indem Sie der Argumentation des Bundesarbeitsministers folgen, der argumentiert, weil viele Gruppen die Herabsetzung des Rentenalters fordern, ist mit ständigen Ausweitungen zu rechnen, wenn man an einer Stelle nachgibt. Aber so kann man, glaube ich, diesem Problem nicht begegnen.Man kann doch nicht die Augen vor der Tatsache verschließen, daß rund 3,9 Millionen Menschen im Bundesgebiet im Schichtdienst arbeiten: 19 % aller männlichen Arbeitnehmer, 10 % aller weiblichen Arbeitnehmer. 2,7 Millionen Menschen leisten Nachtdienst- und Nachtschichten, davon 1,2 Millionen Menschen regelmäßig. Und Schichtarbeit nimmt zu, weil die modernen Maschinen mit ihrer Supertechnologie rund um die Uhr betrieben werden müssen, damit — so wird ja meist argumentiert — die Industrie konkurrenzfähig bleibt.Wir haben also ein Problem in der Arbeitswelt, das sich verschärft. Es ist unsere Pflicht zu überlegen, was zu tun ist. Ein Weg könnte die Herabsetzung des Rentenalters für Schichtdienst leistende Arbeitnehmer sein. Sie von der Koalition lehnen aber schon den Gedanken daran ab.Aber auch andere Wege sind möglich. Schauen Sie sich daraufhin noch einmal die Forderungen der Gewerkschaften an. Sehen Sie sich an, was Arbeitsmediziner seit Jahren und Jahrzehnten dazu sagen. Die erste Untersuchung über die Problematik von Schichtdienst leistenden Arbeitern stammt aus dem Jahre 1902.Im Unterschied zu vielen anderen Bereichen der Arbeitsgestaltung mangelt es nicht an konkreten Vorschlägen zur Humanisierung der Schichtarbeit. Aber was hat sich bisher in der Praxis getan? Ausnahmen bestätigen die Regel, aber ansonsten ist festzustellen: Grundsätzliche Verbesserungen der Lage der Schichtdienst leistenden Arbeitnehmer sind nicht zu verzeichnen. Selbst die scheinbar bescheidenen Freischichten bei der Post und bei den Stahlarbeitern mußten durch Streik schwer erkämpft werden.Daran wird deutlich, wo das Kernproblem liegt. Alle Maßnahmen, die zur Sache gehen und die die Lage der Schichtarbeiter tatsächlich verbessern würden, stoßen auf den erbitterten Widerstand derjenigen, die die Verfügungsgewalt über Produktionsmittel, Arbeitsergebnisse und Arbeitskräfte eingeschränkt sehen. So erklärt sich dann auch die Haltung der Koalition in diesem Hause und in dieser Sache.Wie ein Hohn muß jedem Schichtdienst leistenden Arbeiter folgende Antwort auf die im Petitionsausschuß gestellte Frage vorkommen, die da lautet: „Gibt es gesicherte Erkenntnisse, wie sich Schichtarbeit auf die Lebenserwartung auswirkt?" Ich zitiere aus dieser Antwort:Wegen der besonderen Belastungen der Schichtarbeit, zu denen weitere Probleme kommen können, findet in der Regel unter den Schichtarbeitnehmern ein starker Ausleseprozeß statt, welcher dazu führt, daß viele Schichtarbeitnehmer nach Möglichkeit aus eigenemAntrieb oder auf Anraten des Betriebsarztes in die Normalschicht wechseln. Langjährige Schichtarbeiter stellen daher in der Regel gesundheitlich besonders widerstandsfähige Personen dar.
Herr Abgeordneter, ich darf Sie darauf aufmerksam machen daß Ihre Redezeit abgelaufen ist.
Danke, Herr Präsident, ein Satz noch. — Dieser sogenannte Healthy-worker-Effekt hat bisher eine zuverlässige Epidemiologie für Schichtarbeiter verhindert.
Nun ist wirklich die Frage angebracht, ob sich der Bundesarbeitsminister gedanklich nicht mehr mit diesen Problemen befassen sollte. Deswegen bitten wir Sie, unserer Forderung zuzustimmen, diese Petition als Material zu überweisen.
Bevor ich das Wort weitergebe, möchte ich Ihnen das Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/3879 bekanntgeben. Es wurden 378 Stimmen abgegeben. Davon war keine ungültig. Mit Ja haben 22 Abgeordnete gestimmt; mit Nein haben 354 Abgeordnete gestimmt; es hat zwei Enthaltungen gegeben.Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen 378 Abgeordnete; davonja: 22 Abgeordnetenein: 354 Abgeordneteenthalten: 2 AbgeordneteJaDIE GRÜNENAuhagenFrau Borgmann BuebFrau EidFrau Hönes HoracekLangeMannDr. Schierholz Schily
StröbeleTatgeTischerVogel VolmerFrau Wagner Werner Werner (Westerland) Frau ZeitlerNeinCDU/CSU Dr. AbeleinFrau Augustin AustermannBayhaDr. Becker BergerFrau Berger BiehleDr. Blank BohlBohlsen BraunBrollBrunnerBühler
Dr. Bugl Buschbom Carstens
Carstensen ClemensDr. Czaja Dr. DanielsFrau DempwolfDeresDörflinger DolataDossDr. DreggerEchternachEhrbarEigenEngelsberger
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 159. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. September 1985 11949
Vizepräsident WestphalErhard EylmannDr. FaltlhauserFeilckeFellnerFrau Fischer Fischer
Dr. FriedmannGanz
Dr. GeißlerDr. von GeldernDr. George Gerlach Gerster (Mainz)GlosDr. Göhner Günthervon HammersteinHanz
HaungsHauser HedrichFreiherr Heeremanvon ZuydtwyckFrau Dr. Hellwig HelmrichDr. Hennig Herkenrath HinrichsHinskenHöffkesHöpfingerDr. HoffackerFrau Hoffmann Dr. HornhuesHornungFrau HürlandDr. Hupka Graf Huyn JagodaDr. Jahn
Dr. JenningerJung
KalischDr.-Ing. KansyKellerKlein
Dr. Köhler KolbKrausDr. Kreile KreyDr. KronenbergDr. Kunz LamersDr. LammertLandréDr. Langner Lattmann Dr. LaufsLink Linsmeier LintnerDr. Lippold LöherLohmann LouvenLowackMaaßFrau MännleMaginMarschewskiMetzDr. Meyer zu Bentrup MichelsDr. Miltner Dr. Möller Müller
Müller NelleFrau Dr. Neumeister Dr.-Ing. OldenstädtDr. OlderogPetersenPfeffermann PfeiferPöpplPohlmannDr. Pohlmeier Dr. ProbstRaweRegenspurger RepnikDr. Riedl Frau RönschFrau Roitzsch
Dr. Rose
Rossmanith Roth RüheRufSauer
Sauer SaurinSauter Sauter (Ichenhausen) Scharrenbroich Schartz (Trier) SchemkenScheuSchlottmann SchmidbauerSchmitz Schneider
Dr. Schneider Freiherr von Schorlemer SchreiberDr. Schroeder SchulhoffDr. Schulte
Schultz (Wörrstadt)
Dr. Schwarz-SchillingDr. Schwörer SeesingSeitersSpilkerSprangerDr. Stark
Dr. Stavenhagen Dr. Stercken Stockhausen StommelStraßmeirStrubeStücklenStutzerSussetTillmannDr. Todenhöfer UldallVogel
Dr. VossDr. WaigelGraf von Waldburg-Zeil Dr. WarnkeDr. Warrikoff WeißWerner Frau Dr. Wex Frau Will-Feld Frau Dr. Wilms WilzWimmer WindelenFrau Dr. Wisniewski WissmannDr. Wittmann Dr. WörnerWürzbachDr. WulffZinkSPDAmling Dr. ApelBachmaierBahrBambergBernrathBindigFrau BlunckBrandt Brück BuckpeschBüchler
ColletDr. CorterierCurdtFrau Dr. Däubler-Gmelin DaubertshäuserDelormeDr. Diederich EickmeyerDr. EmmerlichEwenFischer Fischer (Osthofen) Franke (Hannover) GanselGilges GlombigDr. GlotzGrunenbergHaarHansen
Frau Dr. HartensteinDr. HauchlerHauck HeimannHeistermannHerterichHettlingHeyennHorn HuonkerIbrüggerJahn
Jansen JaunichDr. JensJunghansJungmannKastningKirschnerKisslingerKlein
Dr. KlejdzinskiKlose KolbowKühbacherKuhlweinLeonhartFrau Dr. Lepsius LiedtkeLöfflerLohmann
LutzFrau Matthäus-Maier MatthöferMeininghausDr. MitzscherlingMüller Müller (Schweinfurt)Dr. Müller-Emmert NagelNehmFrau Odendahl OostergeteloPaternaPauliDr. PennerPeter
PfuhlPorzner PurpsRanker ReimannFrau RengerReschke Reuter Rohde
RothSanderSchäfer SchanzSchlaga SchluckebierFrau Schmedt
Dr. Schmidt Frau Schmidt (Nürnberg) Dr. SchmudeDr. Schöfberger SchreinerSielaff SielerFrau Dr. Skarpelis-Sperk Dr. SperlingDr. SpöriStahl
SteinerFrau SteinhauerStiegler Stobbe Dr. StruckFrau TerborgTietjenFrau Dr. Timm ToetemeyerFrau TraupeUrbaniakVerheugenVogelsangVoigt WaltematheWeinhoferWeisskirchen Dr. WernitzWestphalFrau WeyelDr. WieczorekWiefelvon der Wiesche Wimmer WischnewskiDr. de WithWolfram
Würtz
Zander Zeitler Frau ZuttFDPBaumBeckmann BredehornCronenberg Eimer (Fürth)Engelhard ErtlGallusGattermann GrünerFrau Dr. Hamm-Brücher Dr. HaussmannDr. Hirsch HoffieHoppeKleinert Möllemann NeuhausenPaintner
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11950 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 159. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. September 1985
Vizepräsident WestphalRonneburger EnthaltenDr. RumpfSchäfer SPDFrau Dr. SegallDr. Solms DuveDr. Weng Frau Fuchs (Verl)Damit ist der Antrag abgelehnt.Ich rufe in der Debatte den Abgeordneten Jagoda auf.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Dem Vorschlag der SPD, die Petition der Bundesregierung als Material zu überweisen, kann die CDU/CSU-Fraktion nicht beitreten, selbst wenn Sie Ihr eigenes Vorhaben schon sehr gemindert haben, denn im Ausschuß haben Sie auf Berücksichtigung plädiert.Der Petent fordert, daß als Beitrag zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit Schichtarbeiter früher in den Ruhestand gehen können. Er schlägt vor, daß der Versicherte für jedes geleistete Schichtjahr einen Monat früher Anspruch auf Altersruhegeld haben soll. Es ist zwar wissenschaftlich unumstritten, daß Schichtarbeit gesundheitsschädlich ist,
es ist aber auch unbestritten, daß noch eine Reihe anderer gravierender Fakten die Arbeitskraft beeinträchtigen. Auch viele andere Gruppen fordern die Herabsetzung der Altersgrenze, z. B. Kriegsteilnehmer, ehemalige Kriegsgefangene und Spätheimkehrer, politisch Verfolgte, die sich lange in Konzentrationslagern aufgehalten haben, Arbeitnehmer mit besonders belastender Tätigkeit, Hochofenarbeiter und Gießereiarbeiter, Entwicklungshelfer mit langjährigem Aufenthalt in Tropenländern, ältere Langzeitarbeitslose, zumal wenn sie in ihrer Erwerbsfähigkeit erheblich beeinträchtigt sind.
Diese Liste, meine Damen und Herren, ließe sich beliebig verlängern.Außerdem lassen sich die Kriterien für eine gerechte Behandlung der Schichtarbeiter nur schwer formulieren. Wollen Sie beispielsweise einen Arbeitnehmer, der vom 20. bis zum 30. Lebensjahr in der Spätschicht gearbeitet hat, dem Kollegen gleichstellen, der vom 40. bis zum 50. Lebensjahr Nachtschicht geleistet hat? All diese Fragen, etwa auch die Frage, ob nur die Zeit vor dem Versicherungsfall zur Berechnung herangezogen werden soll, sind im Petitionsverfahren nicht zu klären. Eine große Zahl der Schichtarbeiter arbeitet ja gar nicht bis zur Altersgrenze. Viele erhalten Erwerbsunfähigkeitsrente, die in ihrer Höhe dem Altersruhegeld gleichgestellt ist.Die Union tritt für eine Verminderung der Schichtarbeit ein. Sie muß auf das allernötigste Maß zurückgeführt werden.
Wir haben die Sorge, verehrte Kolleginnen und Kollegen von der SPD-Fraktion, daß die Besserstellung der Schichtarbeiter im Rentenrecht dazu führen könnte, daß es zu vermehrter Schichtarbeit kommt.Eine Herabsetzung der Altersgrenze ist auch nicht zu finanzieren.
Würde das Anliegen dieser Petition Gesetz, würde das für die Rentenversicherung eine zusätzliche Belastung von 3,5 Millionen DM jährlich bedeuten. Sie müßten den Beitragssatz für alle Versicherten in der Bundesrepublik Deutschland dauerhaft um einen halben Prozentpunkt heraufsetzen.
Bei der sehr hohen Belastung der Arbeitnehmereinkommen ist das unvertretbar.
— Ich hatte ja eigentlich gedacht, daß Sie fairer sind und zur Kenntnis nehmen, daß wir woanders gesenkt haben. Wie mit tibetanischen Gebetsmühlen tragen Sie aber falsche Fakten im Parlament vor.Unsere Politik hat die Zielrichtung, die Belastung zu vermindern, wie das z. B. durch die Steuerreform geschieht. Das vorliegende Problem ist im Rentenrecht nicht lösbar.Diese Problematik eignet sich aber hervorragend als Betätigungsfeld für die Tarifvertragsparteien. Diese können den spezifischen Bedürfnissen einzelner Personengruppen besser als der Gesetzgeber gerecht werden. Die Tarifvertragsparteien haben schon in der Vergangenheit solche Probleme gelöst. Beispielsweise gibt es eine tarifvertragliche Vereinbarung für das fliegende Personal der Lufthansa.Eine weitere Regelung finden wir in § 891 a der Reichsversicherungsordnung. Nach dieser Bestimmung zahlt die Berufsgenossenschaft ein Überbrückungsgeld vom vollendeten 55. Lebensjahr bis zum Eintritt ins Rentenalter. Dieses Überbrükkungsgeld wird durch eine Umlage der Arbeitgeber finanziert.Eine weitere Sonderregelung finden wir im Knappschaftsrecht. Teilweise gibt es dort einen früheren Rentenbezug. Dieser Sonderleistung in der knappschaftlichen Rentenversicherung steht aber ein höherer Arbeitgeberbeitrag zur Rentenversicherung gegenüber. An diesen drei Beispielen sehen Sie, daß Sonderregelungen nicht zu Lasten der Versichertengemeinschaft gehen dürfen, sondern anders finanziert werden müssen.Das Problem, das hier zur Diskussion steht, ist nicht neu. Die Arbeits- und Sozialministerkonferenz der Länder hat sich seit Jahren mit dieser Frage befaßt, ohne zu einer Mehrheitsentscheidung zu kommen.Wir treten für die Erledigung der Petition ein, weil wir aus rechtlichen, sozialpolitischen und fi-
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Jagodananzpolitischen Gründen eine Lösung im Rentenrecht zu Lasten der Versicherten ablehnen.
Das Wort hat der Abgeordnete Tischer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gleich zu Beginn möchte ich an dieses Hohe Haus die Kritik tragen, daß ich es für einen jämmerlichen Zustand halte, wenn eine Petition wie die des Herrn S ... aus Wolfsburg in nur fünf Minuten Redezeit abgehandelt werden muß.
— Piano, piano, langsam! Ich meine, daß eine Petition gerade in der Frage Schichtarbeit mehr Aufmerksamkeit finden muß, da neben Herrn S ... 15 bis 20 % der Erwerbstätigen Schichtarbeit leisten, die Sie dann einfach übergehen. Diese ca. 3,6 Millionen Schichtarbeiter — die Zahl stammt aus dem Buch „Humanisierung des Arbeitslebens in der BRD" — haben schon lange schwelende Probleme, die ich aus eigener Erfahrung meiner siebenjährigen Schichttätigkeit bei Videocolor in Ulm selber kennengelernt habe.
Schichtarbeiter verfügen in der Regel nicht über die Möglichkeit, sich abends am Stammtisch, in der Partei oder im Sportverein mit Freunden zu treffen, da sie entweder um 22 Uhr erst von der Arbeit kommen oder dann die Nachtschicht beginnen. Da ist also abends nichts los mit der Wahrnehmung von irgendwelchen Terminen. Besonders die Situation von Wechselschichtarbeitern zeigt auch auf, welche gesundheitlichen Störungen und Schäden Schichtarbeit mit sich bringt. Durch den wöchentlichen Schichtwechsel und die dadurch bedingten laufend wechselnden Ruhezeiten ist dem Organismus keine Möglichkeit gegeben, sich den Arbeitszeiten anzupassen. Kreislaufbeschwerden, Magengeschwüre und Schlafstörungen sind nur ein Teil typischer Krankheitsbilder betroffener Schichtarbeiter. Es kommt nicht von ungefähr, daß Schichtarbeiter z. B. dreimal schneller zu Schlafmitteln greifen oder dreimal schneller zum Genuß des Alkohols neigen; sie trinken das Doppelte dessen, was ein normal Arbeitender trinkt.
— Das steht alles in dem Buch „Humanisierung des Arbeitslebens in der BRD";
daraus können Sie die ganzen Zahlen entnehmen.
Wenn Sie etwas zu sagen haben, dann melden Sie sich zu Zwischenfragen.
Wenn man sich den gesundheitlichen Zustand von Schichtarbeitern nach 15 oder 20 Schichtjahren ansieht, dann ist der Bogen nicht überspannt, wenn
man sagt, Schichtarbeit ist Mord und Selbstmord auf Raten. Die sozialen und gesundheitlichen Folgen langjähriger Schichtarbeit lassen die Schlußfolgerung zu, daß vor allem die Nachtschichtarbeit und aber auch die Wechselschichtarbeit überall dort verboten werden muß, wo sie nicht lebens- und überlebensnotwendig ist.
Dies ist keine Frage der Ideologie irgendwelcher Parteien, sondern eine Frage der menschlichen Rücksichtnahme aufeinander, der wir uns hier stellen müssen. Ich glaube, diesen Punkt, Herr Jagoda, haben Sie bei dieser Problematik gar nicht erkannt.
— Aus den Ausführungen, die Sie gerade eben gemacht haben.
Die Fraktion der GRÜNEN hat deshalb aus diesen menschlichen Motiven im Arbeitszeitgesetzentwurf, der bereits am 25. Oktober 1984 diesem Parlament vorgelegt wurde, überall dort ein Nachtschichtverbot gefordert, wo dies möglich ist. Die Fraktion der GRÜNEN hält die Forderung von Herrn Karl Heinz S ... und seiner Kollegen bei VW in Wolfsburg, Schichtarbeitern einen früheren Ruhestand zu gewähren, für sinnvoll und aus gesundheitlichen Gründen auch für notwendig.
Für meine Fraktion kann ich sagen, daß wir diese Forderung in unsere Überlegungen zur Schichtarbeit mit aufnehmen werden. Wenn Soldaten, wie jüngst beschlossen, zukünftig mit 46 Jahren in die Rente gehen können
und, Herr Jagoda, so etwas auch noch finanziert werden kann, dann kann auch die Forderung der Schichtarbeiter von VW keine Utopie sein.
Sie können nicht das eine für Utopie erklären und das andere zum Gesetz machen; so was funktioniert nicht.
Damit die Forderungen der Kollegen von VW in Wolfsburg nicht in den Akten auf Nimmerwiedersehen verschwinden, wie es die CDU ja gerne wünscht, wird die Fraktion der GRÜNEN die Petition des Herrn S ... zum Anlaß nehmen, mit parlamentarischen Initiativen das Problemfeld Schichtarbeit erneut aufzugreifen und zur Behandlung im Deutschen Bundestag zu bringen; da gibt es ja zum Glück noch Möglichkeiten. Die Bundesregierung, aber auch die Gewerkschaften, sind dazu aufgefordert, sich mehr als bisher für eine Lösung des Problems der Schichtarbeit zu engagieren.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Göhner?
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11952 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 159. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. September 1985
Ja, wenn es nicht angerechnet wird, bitte.
Herr Kollege, da Sie nun schon zweimal den Namen des Petenten genannt haben, darf ich Sie fragen, ob Ihnen bekannt ist, daß die Nennung dieser Namen eigentlich dem Datenschutz unterliegt und daß es dem Petitionswesen und dem Persönlichkeitsschutz entspricht, den Namen der Petenten nicht zu nennen.
Einen Augenblick bitte, Herr Abgeordneter, ich hatte mir vorgenommen, zu diesem Fall eine Bemerkung zu machen. Es ist eine aus der Praxis des Petitionsausschusses gewachsene klare Vereinbarung, daß wir aus Gründen des Datenschutzes keine Namen von Petenten nennen. Ich wäre dankbar, wenn sich alle danach richten würden.
Bitte schön, fahren Sie fort, Herr Abgeordneter.
Ich respektiere das. Ich werde mich mit dem Petenten selber in Verbindung setzen und werde, wenn er ein Interesse hat, daß seine Forderung und der dahinterstehende Name bekannt wird, dies hier um so engagierter bekanntmachen.
— Nein, wenn es im Interesse des Petenten liegt, werde ich mich sehr wohl für die Sache und für diese Leute einsetzen, wie es meine Fraktion in diesem Fall auch vorsieht. Das hat ja dann nichts mehr mit irgendeiner Geheimhaltung zu tun, wenn es der Petent zuläßt.
Dem Antrag der SPD stimmen wir zu, obwohl ich einen Piekser in die Richtung geben möchte: Sie haben gerade bei dem Projekt Humanisierung des Arbeitslebens, das zum Glück weiterläuft, in der Ausgabe von 1982 bei der Auftragsvergabe vergessen, diese wichtigen Krankheitsanalysen von Schichtarbeitern aufzunehmen. Das war nicht Bestandteil des HDE-Forschungsprogrammes. Sie können es selbst in dem Buch von damals nachlesen. Es lag in Ihrer damaligen Regierungsverantwortung, hier bereits Schritte zu tun, nachdem die Schichtarbeit nicht erst jetzt Gegenstand von Debatten ist.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Neuhausen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Daß die behandelte Frage in der Petition gestellt wird, ist ja nur verständlich; niemand bestreitet, daß Schichtarbeit zu besonderen Belastungen, besonders im Alter, führt. Wir brauchen auch gar nicht darüber zu streiten, ob es gesicherte wissenschaftliche Erkenntnisse darüber gibt, denn die allgemeine Lebenserfahrung zeigt uns, daßSchichtarbeit eine ganz besonders schwierige Lebenssituation ist und daß ihre Auswirkungen nicht unterschätzt werden dürfen.Aber es stellt sich in größerem Zusammenhang der allgemeinen Rentenproblematik die Frage — das können wir nicht einfach überspringen —, ob daraus einfach der Schluß gezogen werden kann — Herr Jagoda hat es gesagt —: nun wird das dem Wunsche des Petenten entsprechend neu geregelt.
Denn es trifft doch zu — und das muß ich unterstreichen —: es gibt noch viele Arbeitnehmergruppen mit ganz besonderen gesundheitlichen Gefährdungen. Es ist gar nicht einzusehen, warum jetzt ad hoc auf Grund einer Petition eine Gruppe besonders hervorgehoben werden sollte.Meine Damen und Herren, wir wissen alle, daß die Rentenversicherung — Sie haben es ja gesagt— langfristig mit erheblichen Belastungen auf Grund der demographischen Entwicklung rechnen muß. Deswegen ist es doch prinzipiell sehr notwendig, zu überprüfen, ob man Regelungen beschließen soll, die die Rentenversicherungen zusätzlich belasten müßten. Es muß vielmehr alles getan werden, um die Rentenversicherung und den Generationenvertrag auf eine dauerhafte und solide Basis zu stellen. Jeder Ausbau der schon bestehenden und die Rentenversicherung belastenden Möglichkeiten des vorzeitigen Bezuges von Altersruhegeld würde dem entgegenwirken.Herr Jagoda hat schon darauf hingewiesen — ich will das nicht wiederholen —, daß es auch die Möglichkeiten der Tarifgestaltung gibt. Es sind genug Fachleute anwesend, so daß ich das nicht weiter ausführen will. Wem außer dem Protokoll erzähle ich das denn; das halte ich im Interesse des Petenten aber nicht für so wichtig.Bezeichnenderweise hat die IG Metall, zu deren Tarifbereich der Petent gehört, bei den letzten Tarifverhandlungen den Vorrang eindeutig auf die Verkürzung der Wochenarbeitszeit gelegt, so daß eine den Petenten zufriedenstellende Vorruhestandsregelung in diesem Bereich nicht zustande gekommen ist. Das ist eine Sache der Tarifpartner und sollte den Gesetzgeber nicht über das hinaus berühren, was er mit der Vorruhestandsregelung schon eingeleitet hat.
— Nein, das kann man miteinander verbinden und in Übergängen machen.
— Ach doch, ein bißchen habe ich mich schon darum bemüht, Herr Hansen. Ich spreche jetzt das grundsätzliche Problem an, denn ich habe wirklich Zweifel, ob ein Nachgeben gegenüber einer solchen Forderung des Petenten den anderen gesundheitlich besonders belasteten Menschen wirklich gerecht wird.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 159. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. September 1985 11953
NeuhausenIm Zusammenhang mit der gesamten Rentenproblematik glaube ich, daß es ein besserer Weg ist, wenn einzelne Gewerkschaften — auch das brauche ich im einzelnen nicht zu wiederholen, weil es Herr Jagoda schon gesagt hat — hier ihre Chancen und Möglichkeiten sehen, für ihre Leute etwas zu tun. Wir sind uns ja alle darin einig, daß Schichtarbeit keine erstrebenswerte Sache ist, sondern eine Form von Arbeit darstellt, die möglichst abgebaut werden sollte.Meine Damen und Herren, es hat unter diesen Voraussetzungen auch keinen Sinn, diese Petition als Material zu überweisen. Denn was ihr zu entnehmen ist, was an Fakten pro und contra gesagt werden kann, ist dem Ministerium bekannt; das wissen Sie aus den Stellungnahmen ja auch. Ich bin ganz sicher, daß dieses Problem auf der Tagesordnung bleiben wird, aber nicht des Petitionsausschusses, sondern der allgemeinen Bemühungen im Arbeits- und Sozialrecht.Vielen Dank.
So, nun beginnt die zweite Runde. Das Wort hat der Abgeordnete Kirschner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir beraten jetzt eine Petition von Bürgern aus Talheim, einer Gemeinde aus dem Landkreis Tuttlingen.
— Ja, das ist mein Wahlkreis, zwischen Heuberg und Schwarzwald.
— Eine sehr schöne Gegend, Sie müssen einmal da hinkommen.
— Kommen Sie ruhig, dann verbessert sich das Wahlergebnis für uns; das würde mich freuen.Hier, in dieser Petition werden vom Gesetzgeber ganz konkrete Maßnahmen zur Verminderung der Luftverunreinigung, die Entschwefelung und Entstickung der Abgase von Großfeuerungsanlagen, die Einführung des Katalysators bei Kraftfahrzeugen und vorübergehende Geschwindigkeitsbeschränkungen auf Autobahnen und Landstraßen gefordert.Hier wird deutlich — das ist j a nur eine von vielen sachgleichen Petitionen, die wir bekommen haben und die wir sicherlich noch bekommen werden —, wie die Sorge um die Umwelt und damit um unser aller Lebensgrundlagen die Bürger umtreibt. Nehmen wir dies ernst!
Die Mehrheit des Petitionsausschusses hält diese Sorgen unserer Bürger bedauerlicherweise nichtder Berücksichtigung für wert. Denn die Beschlußempfehlung, die von der CDU/CSU/FDP-Mehrheit des Ausschusses gefaßt wurde und die Ihnen vorliegt, ist nur eine Wischiwaschi-Empfehlung, die die Bundesregierung zu nichts zwingt, zu nichts auffordert und nicht zum Handeln bringt. Dies ist um so bedauerlicher, als von der Mehrheit des Petitionsausschusses einmal mehr versäumt wird, das Kontrollrecht gegenüber der Bundesregierung in politischen Fragen auszuüben.
— Dann hören Sie es jetzt, Herr Kollege Dr. Göhner!
— Natürlich, Sie können ja eine andere Meinung vertreten, Herr Kollege Haungs.
— Ja, sicher, das habe ich Ihnen — im Gegensatz zu Ihnen, der Sie das vorhin getan haben — doch noch nie bestritten.
Lassen Sie mich in wenigen Sätzen auf einige Einzelpunkte des Anliegens eingehen. In diesem Zusammenhang möchte ich zunächst einmal deutlich sagen — dies ist auch eine Kritik an den GRÜNEN, natürlich auch an Ihnen, damit Sie nur gleich zufrieden sind —,
daß solche Kurzdebatten — das ist klar — die sonstigen Debatten um diese Problematik — dies gilt auch für das, was vorhin über die Schichtarbeit im Zusammenhang mit der Rentengesetzgebung usw. diskutiert worden ist — nicht ersetzen können. Genausowenig kann und darf der Petitionsausschuß ein Überausschuß sein; das haben wir immer gesagt.
— Trotzdem — lassen Sie mich dies auch sagen, Herr Kollege Dr. Göhner — sollten wir auf solche Debatten nicht verzichten.
Dies sage ich wegen der schon oft geäußerten Kritik an der Fünf-Minuten-Debatte. Ich will noch einmal deutlich machen: Es geht uns darum, hier in Kurzdebatten — darauf haben wir uns geeinigt —, in Debatten mit Beiträgen von bis zu fünf Minuten pro Redner, bestimmte Probleme zu erörtern, ohne daß solche Kurzdebatten die Debatten, die vom Fachausschuß, von den Fachleuten geführt werden, ersetzen könnten.
Außerdem besteht, wenn wir dies beispielsweise andie Fraktionen überweisen, die Möglichkeit, daß die
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KirschnerFraktionen daraus entsprechende Anträge stellen bzw. Initiativen ergreifen. Dies möchte ich hier einmal mit aller Deutlichkeit sagen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Tischer?
Bitte.
Würden Sie zur Kenntnis nehmen, daß die Schlußfolgerung aus dem, was ich vorhin gesagt habe, nicht bedeuten kann, daß Petitionen nicht mehr auf die Tagesordnung kommen, und würden Sie mit mir darin übereinstimmen, daß Petitionen, also Sachgegenstände, wie sie jetzt behandelt werden, zukünftig ausführlicher behandelt werden sollten, damit der Bürger im Parlament selbst mehr Gehör findet?
Lieber Herr Kollege Tischer, nur eine Bitte: Auch Sie müssen in Zukunft lernen zuzuhören. Wir haben Ihnen vorhin zugehört. Wenn Sie mir zugehört hätten, wüßten Sie genau, was ich damit meine. Vielleicht können Sie es nachher im Protokoll noch nachlesen.
Ich möchte nun noch ganz kurz zum Inhalt der Petition kommen. Die Petenten fordern konkret eine Geschwindigkeitsbegrenzung. Die Ausschußmehrheit möchte dies der Bundesregierung als Material zur Auswertung des Großversuchs über Geschwindigkeitsbegrenzungen überweisen.
— Dies ist für uns Augenwischerei; für Sie ist es sicherlich konsequent. Die Bundesregierung macht einen Großversuch, der rund 13 Millionen DM an Steuergeldern kostet, obwohl eine Geschwindigkeitsbegrenzung auf 80 und 100 km/h — und dies sind seriöse Schätzungen — ohne zusätzlichen Aufwand eine Reduzierung der Stickoxidbelastung von zwischen 120 000 und 300 000 t pro Jahr bringen würde.
Was die Forderung auf Einführung des Katalysators bei Kraftfahrzeugen angeht, so sind die von der Bundesregierung ausgehandelten Abgasbeschlüsse nur die zweitbeste Lösung. Die Bundesregierung — das ist unser Vorwurf — hat hier nur halbherzig verhandelt. Die gemachten Ankündigungen und die tatsächlich herausgekommenen Ergebnisse liegen meilenweit auseinander.
— Ach, hören Sie doch auf!
Ich möchte an dieser Stelle den dringend notwendigen Handlungsbedarf auch bei Lkw erwähnen.
Außer Ankündigungen: dies ist dringend notwendig, ist hier nichts geschehen.
Lassen Sie mich noch eines deutlich machen. Der Bundeskanzler war vor kurzem im Schwarzwald und hat sich erschrocken gezeigt über das Ausmaß der Waldschäden. Die Konsequenzen des politischen Handelns fehlen.
Ein Kollege von Ihnen war vor kurzem mit Abgeordneten aus den europäischen Volksparteien ebenfalls im Schwarzwald. Laut Zeitung haben alle erklärt: Es ist dringend Handeln geboten.
Ich appelliere an Sie: Nutzen Sie auch die Chance einer solchen Petition und überweisen Sie sie der Bundesregierung zur Berücksichtigung! Wir könnten so im Interesse der Umwelt auch gegenüber den Bürgern deutlich machen, daß wir ihre Anliegen sehr ernst nehmen. Ich bitte deshalb, der Berücksichtigung zuzustimmen.
Herzlichen Dank.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Haungs.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Den Vorwurf des Herrn Kollegen Kirschner, wir nähmen die Sorgen des Petenten nicht ernst, müssen wir zurückweisen. Allerdings, eine Debatte im Petitionsausschuß ersetzt keineswegs die Untätigkeit früherer Regierungen. Und ich gestehe Ihnen, Herr Kollege Kirschner, zu,
daß wir bei der Katalysatortechnik für Deutschland die zweitbeste Lösung gefunden haben; wir haben aber für Europa die beste Lösung gefunden.
Die Petenten, Bewohner eines Dorfes im Schwarzwald, sind in Sorge um den Zustand unserer Wälder.
Wir teilen diese Sorge. Sie fordern, daß sofort gehandelt wird. Sie haben recht: Es muß gehandelt werden, da viel zu lange nichts getan wurde und die Schadensbilder unserer Wälder schon in den 70er Jahren bekannt waren. Es wurde gehandelt bei den Großfeuerungsanlagen — ich brauche das nicht zu wiederholen —,
genauso beim Kraftfahrzeug.Wenn die Petenten fordern, daß Kosten keine Rolle spielen dürfen, dann haben sie recht. Es müs-
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Haungssen teurere Autos gekauft werden. Der Strom aus entschwefelten Kraftwerken wird teurer werden.Ich glaube schon, daß wir den Sorgen entsprochen haben. Denn wir haben ja in dem einen Punkt — Katalysatortechnik — Berücksichtigung empfohlen und in dem zweiten Punkt — Tempolimit — konsequenterweise Überweisung als Material.Ich glaube, das Anliegen dieser Petition, die die Sorgen der großen Mehrheit unserer Mitbürger ausdrückt, wurde sachgerecht behandelt. Die Petenten wollen ganz einfach, daß beim Umweltschutz nicht nur geredet, sondern daß auch etwas getan wird. Beim Kraftfahrzeug wurde sehr viel getan. Heute stehen schadstoffarme Autos zur Verfügung. Wir haben Steuervergünstigungen beschlossen, und wir haben die Steuerspreizung für bleifreies Benzin eingeführt und in diesen Tagen auf 7 Pf verbessert. All dies europaweit! Wir haben hier in Europa eine Vorreiterrolle eingenommen. Hier wurde vom Gesetzgeber gehandelt.Ich habe großes Verständnis für die SPD-Fraktion, daß sie, quasi als Wiedergutmachung früherer Untätigkeit, sich hier sehr vehement für diese Petition einsetzt.
Allerdings sollten wir auch an die Autokäufer appellieren, selber etwas zu tun. Sie haben heute die Möglichkeit, freiwillig ein neues Auto zu kaufen. Wir haben dafür Steuervergünstigungen gegeben. Es gibt heute eine große Auswahl von Lösungen, die es früher nicht gab: 90 % Schadstoffverringerung mit geregeltem Drei-Wege-Katalysator, 50 bei ungeregeltem, 30 % bei Abgasrückführung. Wenn man dies vor Jahren eingeführt hätte, sähe die Situation heute ganz anders aus.Wir haben uns beim Tempolimit deshalb für die Behandlung als „Material" entschieden, weil trotz Ihrer Behauptungen, Herr Kollege Kirschner, die Aussage, ein generelles Tempolimit auf deutschen Autobahnen würde die Schadstoffe entscheidend vermindern, nach wie vor auf sehr fragwürdiger Grundlage steht.Es sind auch andere Aspekte zu beachten, u. a. der Aspekt der Verkehrssicherheit. Gerade deshalb haben wir jetzt diesen Großversuch durchgeführt, um diese offenen Fragen zu klären.Wesentlich überzeugender allerdings ist ein Konzept technischer Innovationen. Es ist auch wesentlich besser geeignet, die Umwelt zu entlasten, als irgendeine Geschwindigkeitsbegrenzung, die im Zweifelsfall auf dem Papier steht und der Umwelt wenig nützt.Es steht heute jedem frei, seine Geschwindigkeit so zu wählen, wie es dem Verkehrsfluß angepaßt ist und wie es seiner Vorstellung von Fortbewegung entspricht, sofern er den Verkehrsfluß nicht stört.
— Nein. Noch nie gab es für den autofahrendenBürger ein so großes Angebot schadstoffarmer Pkw,und die Automobilausstellung hat gezeigt, daß sich dank unserer Politik hier viel verändert hat.Niemand allerdings — dieser Appell geht an Realisten, die die Realitäten nicht sehen — soll glauben, seine umweltpolitische Pflicht getan zu haben, wenn ein altes Auto langsam weiterfährt. Die begrenzte Wirkung eines Tempolimits ist nach heutigem Wissensstand Grund für unsere Entscheidung gewesen, im Ausschuß diese vom Petenten gewünschte Maßnahme als „Material" zu bescheiden.Deshalb müssen wir den Änderungsantrag der SPD ablehnen.
Das Wort hat der Abgeordnete Mann.
Herr Präsident! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Wir GRÜNEN stehen bei der vorliegenden Petition in Übereinstimmung mit der SPD-Fraktion in vollem Umfang auf der Seite der Bürgerin. Sie hat sich mit ihrer Petition vor etwa einem Jahr an den Bundestag gewandt. Auch ich zitiere aus der Eingabe:Wir sind Bürger des Dorfes Zahlheim und der umliegenden Gemeinden. Mit großer Sorge sehen wir, wie die Wälder unserer Heimat immer stärkere Schäden zeigen. Das unerwartet schnelle Fortschreiten des Waldsterbens ist allen bekannt. Es wird viel über mögliche Abhilfemaßnahmen geredet und diskutiert.— Übrigens auch jetzt gerade wieder, Herr Kollege Haungs —Aber es scheint, daß die Verantwortlichen nicht im Stande sind, die dringend erforderlichen Maßnahmen mit Sofortwirkung zu beschließen. Was aber tot ist, kann man nicht mehr lebendig machen. Und auf vergifteten Böden wächst auch kein Wald mehr. Denn was die alten Bäume nicht ausgehalten haben, können die Jungpflanzen erst recht nicht vertragen.Und dann am Ende:Wir wissen, daß unser Leben bedroht ist, wenn der Wald stirbt. Wir haben daher kein Verständnis dafür, wenn Maßnahmen zur Rettung des Waldes immer wieder auf die lange Bank geschoben und bis zur Unwirksamkeit verwässert werden.Somit die Petentin ohne Namensnennung.In der Debatte an jenem schwarzen Freitag — ich glaube, auch der Kollege Spranger ist inzwischen da — am 28. Juni, als der sogenannte Luxemburger Kompromiß hier von der Bundesregierung, von Herrn Zimmermann, vorgestellt wurde, haben leider — muß ich sagen — Vertreter aller Altparteien, wie ich die Debatte in Erinnerung habe, Herr Kollege Kirschner und die Kollegen von der SPD-Fraktion, also einschließlich der äußerlich „ergrünten" SPD, die Automobilindustrie als Konjunkturmotor Nummer eins gepriesen und wieder einmal die Illusion des umweltfreundlichen Autos gepflegt.
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MannIch weise deshalb im Zusammenhang mit der Forderung der Petition nach einem Tempolimit noch einmal auf die verheerenden Folgen dieses sogenannten Kompromisses hin. Sachverständige gehen davon aus, daß die neuen EG-Grenzwerte und freiwillige Katalysatoren die zu erwartende Steigerung des Verkehrs noch nicht einmal ausgleichen werden. Die Stickoxidemissionen des Verkehrs als höchstwahrscheinlich wesentliche Ursache des Waldsterbens, die bundesweit 55 %, und in Süddeutschland über 65 % der gesamten Stickoxidemissionen ausmachen, werden deshalb in den nächsten 8 Jahren noch stark zunehmen und voraussichtlich noch im Jahr 2000 um ca. 200 000 bis 300 000 t pro Jahr höher liegen als heute.
Ganz im Sinne der Petentin und über ihre Forderung und parlamentarische Initiativen der SPD hinausgehend haben wir GRÜNE bereits im Mai 1983 auf durchgreifende Sofortmaßnahmen gegen das Waldsterben gedrängt. Ich verweise auf unser Programm gegen Luftbelastung und Waldsterben vom 17. Mai 1983, Drucksache 10/67.
Mein Kollege Dr. Ehmke hat unser umfassendes ökologisches Luftreinhaltekonzept, das weit über die technokratischen Reparaturvorschläge der Sozialdemokraten hinausgeht, am 5. und 20. Mai 1983 an dieser Stelle in zwei eindrucksvollen Reden begründet. Wir müssen hier heute gut zwei Jahre später leider angesichts der dramatischen Zunahme des Waldsterbens in dieser Zeit feststellen: Die Kohl-Regierung mit ihrem Ankündigungsminister Zimmermann ist in dieser Überlebensfrage weitestgehend gescheitert, trotz aller Ansätze, trotz aller Bemühungen. Ich kann aus Zeitgründen hier nicht auf die TA Luft und auf die GroßfeuerungsanlagenVerordnung, wo sich in der Tat einiges bewegt hat, eingehen. Ich glaube, wenn wir uns an künftigen Generationen messen lassen, dann sind wir hier allesamt mit dieser Politik gescheitert, und deswegen bitte ich Sie nachdrücklich, dieser Petition mit dem Votum „zur Berücksichtigung" zuzustimmen. Vielleicht bewegt sich dann auch draußen im Lande etwas mehr, auch z. B. im Hinblick auf das, was von Ihnen immer wieder angesprochen wird, daß sich die Bürger selbst mehr so verhalten, wie es jeder sozusagen vom anderen verlangt.Vielen Dank für Ihre Geduld.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Rumpf.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es besteht gar kein Zweifel daran, was die Waldschäden verursacht hat. Es besteht auch kein Zweifel daran, daß diese Petition unser großes Verständnis hervorruft. Aber die Bundesregierung hat doch auf allen Fronten begonnen, gegen dieses Waldsterben anzukämpfen.
Erstens. Die Großfeuerungsanlagen-Verordnung wurde bereits 1983 verabschiedet. Dabei wird in der neuen Fassung sogar der Begriff „nach dem neuesten Stand der Technik" eingebaut werden. Die Großfeuerungsanlagen-Verordnung wird also noch einmal novelliert.
Zweitens. Die TA Luft wurde novelliert. Sie haben das selbst zugegeben. Sie wird verschärft.
Im gleichen Zuge wird auch drittens das Bundesimmissionsschutzgesetz geändert und mit wesentlich strengeren Vorschriften versehen. Das gilt sowohl für die Schwefeldioxide als auch für die Stickoxide. Die Stickoxide werden außerdem durch die Einführung abgasarmer Motoren vermindert.
Das geschieht einmal — viertens — durch die Katalysatorentechnik, und es ist ganz zweifellos richtig, daß auf der IAA, auf der Internationalen Automobilausstellung, in Frankfurt wesentlich mehr neue Autos dieser Technik angeboten worden sind, als Sie sich jemals haben träumen lassen, und sie werden im Jahre 1986 auch von den Bürgern in einem viel größeren Umfang angenommen und gekauft werden, als man bisher angenommen hat.
Fünftens wird es eine Einführung der abgasarmen Autos über Abgasrückführung, über Magermotoren usw. geben. Deshalb steht im Gesetz auch nichts über Katalysatoren. Eine Prolongation ins Jahr 2000 ist einfach nicht möglich, weil Sie das durch die vielen unterschiedlichen Eingaben, die es da gibt, überhaupt nicht prolongieren können. Die Bundesregierung verfolgt das Ziel — das wird sie auch erreichen —, daß bis 1990 alle Emissionen um etwa 70 % vermindert werden. Deswegen ist es nicht zulässig zu glauben, daß sich etwa bis zum Jahr 2000 nichts ändern würde.
Sie schreien wegen der Steuerentlastung und gleichzeitig auch wegen zu teuren Benzins. Ich habe immer gedacht, der Bürger würde auch von sich aus mal etwas dazulegen, um ein abgasarmes Auto zu kaufen. Es ist offensichtlich nicht so. Bei Umfragen sieht es immer anders als in dem Moment aus, wo es an die Tasche geht.
Im übrigen, was tun Sie selbst? Da möchte ich Sie mal fragen. Ich möchte mal einzeln abfragen, ob Sie bereits ein Auto bestellt haben. Sie haben noch gar keins mit Abgastechnik bestellt. Dies ist doch der Punkt.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Da Sie mich so konkret gefragt haben, bitte ich Sie zur Kenntnis zu nehmen, daß ich bereits im Jahre 1981 mein Auto ganz abgeschafft habe und mich mit meinem Fahrrad fortbewege.
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Mein lieber Freund, bleiben Sie gerade mal da stehen, damit ich Ihnen antworten kann. Sie nehmen den Fahrdienst in Anspruch, nicht wahr?
Das ist nämlich der Punkt. Die öffentlichen Reden zur Umweltpolitik stehen in großem Gegensatz zu dem, was man selbst tut, zum eigenen Verhalten. Zwingen Sie mich nicht, Sie einzeln aufzurufen, wie Sie mit dem Fahrdienst umgehen, und wie Sie den Fahrdienst auffordern, auf der Autobahn schneller als 100 zu fahren. Ich kann Ihnen die Beweise bringen.
Herr Dr. Rumpf, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage von Herrn Senfft? — Bitte, Herr Kollege.
Sind Sie bereit zur Kenntnis zu nehmen, daß auch ich weder ein Auto habe noch ein Auto kaufen werde, daß auch ich selbstverständlich des öfteren mit dem Taxi fahren muß? Viele andere Bürger sind, genauso wie ich, auf das Auto angewiesen, besonders nachts und an Sonn- und Feiertagen, weil sie da keine andere Wahl haben. Das ist also keine moralische Frage, sondern eine Frage der falschen Verkehrspolitik der Bundesregierung.
Herr Kollege Senfft, insgesamt werden Sie mehr mit dem Auto fahren als ich, einfach deshalb, weil Sie zu den Demonstrationen fahren müssen, die überall von Ihnen veranstaltet werden.
Dieser Petitionsausschuß wird von Ihnen mißbraucht, Dinge noch mal hochzubringen und neu zu debattieren, die eigentlich in ganz andere Ausschüsse gehören. Das ist j a gar nicht der Sinn des Petitionsausschusses. Deshalb sind wir schon aus diesem Grund der Meinung — —
Es geht nicht, daß Sie hier einen Dialog führen wollen. — Sie haben das Wort, Herr Kollege Rumpf.
Die FDP stimmt jedenfalls dem Antrag der SPD nicht zu, und zwar aus grundsätzlichen Erwägungen, weil das in einen anderen Ausschuß gehört und weil Ihnen die Einzelkenntnis fehlt, um über so komplizierte Dinge abstimmen zu können.
Das Wort hat der Abgeordnete Schulte.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte einen An-trag der GRÜNEN zur Petition gegen den Bau der A 31 zwischen Dorsten und Heiden begründen.
— Natürlich!
Lassen Sie mich kurz aus der Petition zitieren, worum es hier geht:Sollte das Projekt auf der geplanten Trasse Wirklichkeit werden, sind die Folgen nicht auszudenken. Unzählige intakte Landschaften im westlichen Münsterland, darunter der Naturpark Hohe Mark, ein gesundes Waldgebiet, die letzte intakte grüne Lunge des gesamten Nordruhrgebietes, die sich auf zig Quadratkilometer ausdehnt, werden unwiderbringlich zerstört, ein wertvoller Baumbestand, zahllose Feuchtgebiete und selten gewordene Tiere.Diese Petition wurde im Petitionsausschuß behandelt, und dazu lag eine Stellungnahme des BMV vor.
— Ich habe die Unterlagen gelesen. Das muß ja wohl ausreichen, um über diesen Bereich reden zu können.Das BMV hat zu diesem Bereich festgestellt: „Durch eine gesamtwirtschaftliche Bewertung wurde die Bauwürdigkeit nachgewiesen und die Maßnahme in den Bedarfsplan für Bundesfernstraßen aufgenommen." Hätte man sich die Mühe gemacht, dieses Argument einmal zu durchleuchten, hätte man festgestellt, daß in den Unterlagen zur letzten Fortschreibung des Bedarfsplanes ein Nutzen-Kosten-Faktor für die A 31 von 0,7 ausgewiesen worden ist,
was ganz klar heißt — ich kann Ihnen das auch noch einmal vorlegen —, daß die Kosten den Nutzen bei weitem überwiegen.
Dies hat der Petitionsausschuß nicht hinterfragt, genausowenig wie er zur Kenntnis genommen hat,
daß gerade zu diesem Projekt neuere verkehrswissenschaftliche Untersuchungen vorliegen, die die Unwirtschaftlichkeit erneut belegen. Ich erinnere an das Gutachten von Horst Lutter, ich erinnere an das spezielle Gutachten zur A 31 und an den Bericht zur Raumwirksamkeit von Herrn Ulrich Schildberg und möchte abschließend darlegen, daß zu diesem Abschnitt explizit ein Gutachten von der Universität Köln von Herrn Professor Dr. Willeke erstellt wurde, der Ihnen ja bekannt sein müßte, wenn Sie sich mit Verkehrspolitik beschäftigen. Er hat ja
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Schulte
auch oft für diese Bundesregierung Gutachten angefertigt. Ich zitiere aus diesem Gutachten.
— Lassen Sie mich das bitte eben zu Ende führen: „Die eindeutige Negativbeurteilung des nördlichen A 31-Abschnittes verändert die Argumentationslage für den Abschnitt Bottrop—Ahaus und hier insbesondere für das dann festgestellte Teilstück zwischen Lembeck und Dorsten, um das es hier geht."
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Hürland?
Bitte schön.
Herr Kollege, wollen Sie bitte zum einen zur Kenntnis nehmen, daß es sich dort nicht mehr um Ruhrgebiet handelt, sondern um Westmünsterland, zum anderen, daß es sich nicht um ein Gutachten der Universität Köln, sondern um ein Gutachten eines Professors aus Köln handelt?
Institut für Verkehrswissenschaft an der Universität zu Köln. Sie können das nachlesen. Natürlich weiß ich die geographische Lage. Sie ist nördlich des Ruhrgebietes.
Abschließend möchte ich noch einmal festhalten, daß eben diese Region eine ganz wichtige Funktion für das Ruhrgebiet hat. Wir sollten das Votum des Ausschusses korrigieren, erstens im Interesse der betroffenen Bürger, die sich seit Jahren zu Recht gegen dieses überflüssige Autobahnprojekt wehren,
im Interesse der Landwirte, die befürchten, ihre Existenz zu verlieren, und drittens, um eben dieses kostbare Naherholungsgebiet nahe des Ruhrgebiets zu erhalten.
Danke schön.
Das Wort hat der Herr Kollege Schlottmann.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Diese Petition betrifft den geplanten Ausbau der Autobahn 31 zwischen Dorsten und Heiden; das ist schon erwähnt worden. Sie soll viel weiter nach Norden gebaut werden. Diese Strecke wird auch gerne als Ostfriesen- oder Friesenspieß — so darf man einmal sagen — bezeichnet.
Ich habe nichts gegen die Ostfriesen, ich bin Ruhrgebietler und habe deshalb auch ein ganz besonderes Interesse, daß diese Autobahn nach Norden durchgeführt wird.
Die Petition, die wir hier behandeln, wendet sich in besonderem Maße gegen die zu erwartende Benachteiligung von Natur und Landschaft. Sie will auf den weiteren Ausbau der Autobahn verzichten und ersatzweise — man höre und staune! — den Verkehr über Landstraßen leiten.
Der Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN hat dasselbe Ziel.
Die CDU/CSU-Fraktion lehnt den Antrag ab. Die im Antrag aufgeführten Ablehnungsgründe der GRÜNEN sind völlig unzureichend. Sie haben das eben aufgeführt.
Insbesondere bleiben — das darf man betonen — die wirtschaftlichen und verkehrspolitischen Gründe bei Ihnen völlig außer acht.
Auch die Ersatzlösung der GRÜNEN, zwei fertige Autobahnteile einer Strecke durch Landstraße zu verbinden, ist völlig falsch und absurd.
Der Streckenausbau wurde eingehend geprüft. Bei Abwägung aller Vor- und Nachteile haben sich Bundesregierung und Landesregierung von Nordrhein-Westfalen für den Ausbau der A 31 entschieden.
Nordrhein-Westfalen hat dies in der Fortschreibung seines Bedarfsplanes für Bundesfernstraßen mit dem Einstufungsvorschlag „Vordringlicher Bedarf" — —
Meine Herren, entschuldigen Sie bitte! Würden Sie Ihre Unterhaltung etwas zügeln, damit der Redner, der jetzt das Wort hat, hier angehört werden kann.
Ich bedanke mich, Frau Präsidentin!Nordrhein-Westfalen stufte also das Projekt unter „vordringlicher Bedarf" ein; das macht die Sache ganz deutlich. Auch der Rat der Stadt Dorsten hat sich für die A 31 entschieden.Somit ist das Vorhaben der GRÜNEN, den Ausbau der A 31 zu verhindern — und nichts anderes wollen sie —, abzulehnen. Keinesfalls entspricht es den wirtschaftlichen Erfordernissen; es ist aber
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Schlottmannauch arbeitsmarktpolitisch falsch. Es schadet Land und Leuten an Rhein und Ruhr sowie in Norddeutschland, es schadet Leuten, die besonders im Hinblick auf die wirtschaftliche Entwicklung auf ein gut funktionierendes Verkehrssystem angewiesen sind.Von der Kollegin Frau Hürland, die aus diesem Wahlkreis kommt, hörte ich soeben, daß inzwischen ermittelt wurde, daß Arbeitnehmer aus dem westlichen Münsterland, die in der Gegend von Dorsten in der Textilindustrie arbeiten, durch den Bau dieses Zwischenstücks zwei Stunden Zeit täglich einsparen würden.
An diese Bürger sollten Sie auch denken — und an viele andere ebenfalls, die aus dieser Gegend ins Ruhrgebiet kommen oder aus dem Raum Dorsten zu einem weiter nördlich gelegenen Arbeitsplatz fahren.
An diese Bürger denken Sie nämlich nicht!Meine Damen und Herren, ein beträchtlicher Teil der Autobahn zwischen Dorsten und dem Emsland ist längst fertiggestellt. Bei dem beanstandeten Streckenausbau geht es um die möglichst schnelle Vollendung der Gesamtstrecke. Das von den GRÜNEN herangezogene Gutachten aus Köln gegen den Ausbau — Sie haben es eben genannt — ist unzureichend. Überprüfungen haben ergeben, daß für diese Strecke ein außerordentlich positives und weit über die Mindestanforderungen hinausgehendes Nutzen-Kosten-Verhältnis besteht. Der Nutzen dieser Autobahn ist dreieinhalbmal so groß wie ihre Kosten, wobei ökologische Überlegungen mit einbezogen sind.
Auch die von den GRÜNEN vorgeschlagene Ersatzlösung ist abzulehnen. Die fertiggestellten Autobahnabschnitte können nicht, wie Sie es wollen, über vorhandene Landstraßen miteinander verbunden bleiben. Dieser Zustand ist insbesondere für die unmittelbar betroffenen Menschen — für die, die an diesen Straßen wohnen — von großem Nachteil.
Meine Damen und Herren, damit würde eine Situation verankert, die einen beschwerlichen Übereckverkehr — so nennen es die Fachleute — verkraften muß, weil — —
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Nein, ich möchte das durchgehend ausführen.
Ich wollte gerade die Dinge anführen, die sich ergeben, wenn sich die Ersatzlösung durchsetzt, die von Ihnen hier angeboten wird. Ich sagte, es müßte
dann von den Menschen, die dort wohnen, ein Übereckverkehr verkraftet werden; zweistreifige Straßenführungen, viermaliges Abknicken der Straßenführung bei plangleichen Knotenpunkten und mehrere beschwerliche Ortsdurchfahrten wären zu verkraften. Meine Damen und Herren, das müssen Sie doch mit einbeziehen, wenn Sie solche Vorschläge machen! Auch die Verkehrssicherheit sowie Erwägungen zum Immissionschutz wurden bei Ihrer Ersatzlösung völlig außer acht gelassen.
Wir verweisen in diesem Zusammenhang auf den in diesen Tagen vorgelegten Bundesverkehrswegeplan 1985, der einige weitere Gesichtspunkte enthält, die für die A 31 wichtig sind. Wir müssen nämlich damit rechnen, daß bei weiterem Wirtschaftswachstum, von dem wir ausgehen, die Verkehrsnachfrage steigen wird. Nicht nur für die Zukunft des in einer Wirtschaftskrise befindlichen Reviers und für den norddeutschen Raum, sondern grundsätzlich brauchen wir konstengünstige, schnelle Verkehrsverbindungen
als wesentliche Grundlage für eine ausreichende Entfaltung von Industrie, Handel und Gewerbe.
Herr Kollege, Ihre Redezeit ist beendet.
Ich darf schließen, Frau Präsidentin: Ein zukunftsorientiertes Verkehrswesen ist besonders für das wirtschaftliche Wachstum und für neue Arbeitsplätze — daran denken Sie überhaupt nicht — von großer Bedeutung.
Eine solche Politik machen wir!
Die Petition ist — das darf ich abschließend sagen — ordentlich und ausreichend behandelt worden.
Es liegen alle Stellungnahmen vor. Die Stellungnahmen mit all den Gründen sind dem Petenten zugeleitet worden. Ich bin davon überzeugt, daß der Petent die Gründe zur Kenntnis genommen hat und sie auch akzeptiert.
Das Wort hat jetzt der Herr Abgeordnete von der Wiesche.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich will die Petition unter zwei Gesichtspunkten ansprechen; erstens möchte ich zum Verfahren, zweitens zum Inhalt Stellung nehmen.
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11960 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 159. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. September 1985
von der WiescheLassen Sie mich zunächst ein paar Takte zum Verfahren sagen: Am 30. August 1984 hat sich der Petent an den Petitionsausschuß des Deutschen Bundestages mit der Bitte gewandt, dazu beizutragen, daß die Autobahn A 31 nicht weitergebaut wird. Das Ausschußbüro trug das Problem dem Bundesverkehrsminister vor. Der antwortete Ende Oktober 1984. Am 6. 12. 1984 wurde von einem Mitarbeiter des Ausschußbüros die Stellungnahme des Ministers dem Petenten zur Kenntnisnahme zugeschickt. In dem Anschreiben dazu hieß es: „Ich halte es nicht für wahrscheinlich, daß der Petitionsausschuß die Bundesregierung zu einem Verzicht auf die Fertigstellung dieses Projekts veranlassen könnte.
Sollten Sie es dennoch für sinnvoll halten, gebe ich Ihnen jedoch anheim, das in Ihrem Schreiben vom 30. 8. erwähnte weitere Tatsachenmaterial nachzureichen." Meine Damen und Herren, da muß ich einhaken und mich an die Leitung unseres Ausschusses und des Ausschußbüros wenden. Es kann doch unmöglich Aufgabe des Petitionsbüros sein, den Petenten ihre Anliegen auszureden. Die hier praktizierte seltsame Methode gehört, meine ich, auf die Tagesordnung des Ausschusses. Denn ein so gehandhabtes Petitionsrecht würde j a zur Farce werden.
Der Petent blieb allerdings hartnäckig und schrieb am 20. 12. seinen zweiten Brief mit Anlagen und mit einer konkreten Beschreibung des Anliegens sowie mit Alternativvorschlägen. Am 31.5. 1985, also fünf Monate später, erhielt der Petent vom Büro Nachricht, daß der Petitionsausschuß sich bald mit seinem Anliegen befassen werde. Der Ausschuß beriet dann am 27. 6. 1985. Also zehn Monate sind verstrichen von dem Tag der Einreichung der Petition bis zur Ausschußberatung, eine lange Zeit, wenn man bedenkt, daß gerade in diesen Monaten die Vorbereitungen für die Fortschreibung des Bundesfernstraßenbedarfsplans liefen und mit jedem Tag die Chancen für das Anliegen des Petenten dahinschmolzen. Wenn jetzt in der vorgeschlagenen Begründung zur Entscheidung des Ausschusses steht, daß jedenfalls zum jetzigen Zeitpunkt eine Änderung der Trasse nicht mehr befürwortet werden kann, klingt dies seltsam angesichts des mangelhaften Tempos, das der Ausschuß bei der Bearbeitung der Petition gezeigt hat. Wir, die Mitglieder des Ausschusses, haben durchweg gute Erfahrungen mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Ausschußbüros. Am wenigsten, meine ich, sind die Fehler dort zu suchen. Meine dringende Bitte geht deshalb an das Präsidium des Deutschen Bundestages, an die Leitung des Ausschusses und des Ausschußbüros, alles zu tun, damit künftig derartige Verzögerungen vermieden werden. Der Ausschuß muß so ausgestattet sein, daß er seine Aufgaben termingerecht erledigen kann.
Nun zum Inhalt. Das fragliche Autobahnteilstück A 31 von Dorsten bis Heiden ist auf Grundlage desFernstraßenplanes ordnungsgemäß erörtert und am 13. 8. 1984 festgestellt worden. Nur, Herr Kollege Schlottmann, der Rat der Stadt Dorsten hat dem nicht zugestimmt. Er hat lediglich beschlossen, gegen diesen Feststellungsbeschluß keine Klage zu erheben. Dies, meine ich, ist ein gewaltiger Unterschied.
Nach Meinung des Petenten sollte auf dieses Teilstück verzichtet werden, damit der Naturpark Hohe Mark vor einem schweren Eingriff bewahrt bleibt. Statt der neuen Autobahn sollte, wie richtig, die L 608 den Verkehr aufnehmen. Dies wäre auch technisch möglich.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schulte .
Wenn es nicht angerechnet wird, bitte schön.
Können Sie zu dieser entscheidenden Frage, weshalb die Stadt Dorsten auf eine . Klage gegen den Feststellungsbeschluß verzichtet hat, einmal erklären, weshalb die SPD im Stadtrat so diffus dazu abgestimmt hat?
Bewertungen, verehrter Herr Kollege, sind hier nicht erlaubt. „Diffus" ist nicht das richtige Wort.
Ich kann nur das antworten, was mir bekannt ist. Ich weiß lediglich, daß keine Klage erhoben worden ist. Eine Begründung dafür ist mir nicht zugegangen.Meine Damen und Herren, es ist nicht leicht für den Petitionsausschuß, über eine konkrete Maßnahme solcher Art eine verkehrlich und ökologisch qualifizierte Entscheidung zu treffen. Andererseits können Zwangspunkte im Norden und im Süden, die eine Forderung nach Lückenschluß sind, kein Grund sein, das Nachdenken über die beste Lösung einzustellen. Deshalb haben wir im Petitionsausschuß empfohlen, dem Bundesminister für Verkehr diese Petition als Material zu übergeben.Wir meinen jedoch auch, daß DIE GRÜNEN im Ausschuß nun nicht gerade sehr gut gearbeitet haben, denn wenn man am letzten Tag vor der Sommerpause noch beantragt, diese Petition bis in den Herbst hinein zurückzustellen — und dies bei einer bereits zehn Monate alten Petition, die so dringlich ist —, dann meine ich, daß große Reden über Ökologie nicht glaubwürdig sind, denn man tut nicht wenigstens das, was möglich ist. Wir haben im Ausschuß nicht zugestimmt, die Petition unter diesen Umständen als erledigt anzusehen. Wir können aber auch dem Antrag der GRÜNEN nicht zustimmen. Wir werden uns deshalb der Stimme enthalten.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Neuhausen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Schierholz, ich müßte mich jetzt eigentlich für befangen erklären. Sie haben immer die Frage nach den Niedersachsen gestellt. Ich bin, wie Sie ja wissen, Niedersachse; meine Frau stammt aus Ostfriesland, und ich fahre öfters von hier aus dorthin. Ich muß schon sagen: Es wäre natürlich eine ganz große Erleichterung, wenn man den Weg über das Westmünsterland nehmen könnte. Ich bin also in einer etwas schwierigen Situation.
— Herr Tietjen, Sie können mitfahren; Herr Tietjen fährt mit, und dann sind wir schon wieder alle in einem Boot.
Aber, meine Damen und Herren, im Ernst: Ich möchte Herrn von der Wiesche dafür danken, daß er diese formale Akzentuierung hier hineingebracht hat.
Die Überschrift, unter der wir hier reden, ist mir, wie ich hier offen sagen will, nicht so klar und deutlich geworden. Ich glaube allerdings, daß jeder — das müßten Sie j a wissen —, der vor Ort hautnah an den Diskussionen mit Bürgerinitiativen über Projekte teilgenommen hat, weiß, wie unterschiedlich die Ansichten der möglichen Petenten sind, die verschiedenen Interessengruppen angehören. Wir haben es dabei aber nicht nur mit Interessengruppen zu tun, sondern auch mit vielen Leuten, die aus vielen allgemeinen und ideellen Gründen davon bewegt sind. Ich spreche auch aus persönlicher Kenntnis. Ich habe mir auf einer solchen Fahrt einmal die Mühe gemacht, dort vorbeizufahren. Insofern kann ich sagen, daß es für mich — Sie können sagen, es sei niedersächsischer Chauvinismus —
keinen Zweifel daran gibt, daß die positiven Effekte dieser von den Ländern Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen übereinstimmend geforderten Maßnahme die befürchteten nachteiligen Folgewirkungen überwiegen. Es ist j a richtig, daß man ein solches Teilstück auch im Zusammenhang mit der Gesamtplanung beurteilen muß. Darüber, ob ein Gesamtplan bedarfsgerecht ist oder nicht, gibt es auch wieder sehr unterschiedliche Ansichten. Diese unterschiedlichen Ansichten sind auch durch Gutachten belegbar.
Nun auf Grund eines Gutachtens, einen Antrag auf Berücksichtigung stellen, wie das hier die Fraktion der GRÜNEN tut, das erscheint mir gegenüber den gesamtwirtschaftlichen Untersuchungen, gegenüber dem persönlichen Kenntnisstand und auch angesichts der Tatsache, daß die Arbeiten an der A 31 weitergeführt werden — Sie fordern einen Stopp der Arbeiten auf Grund dieser Petition — nicht
überzeugend, um mich anderer Begriffe zu enthalten.
Es ist schon gesagt worden: Die Arbeiten sind schon weit fortgeschritten. Es sind erhebliche Investitionen getätigt worden. Die in südlicher und nördlicher Richtung anschließenden Strecken sind fertiggestellt. Der Planfeststellungsbeschluß für den Abschnitt auf den sich die Petition bezieht, ist durch das zuständige nordrhein-westfälische Ministerium bereits ergangen. Es liegen — wir hörten es bereits — private Klagen vor. Doch hat der Rat der Stadt Dorsten der Klage nicht zugestimmt. Nun kann man das so oder so bezeichnen. Ich will das Verhalten auch der SPD da im Rat nicht bewerten. Jedenfalls hat sie auch da teils so, teils so gestimmt.
Nachdem ich mir das angesehen habe, halte ich die vom Petenten vorgeschlagene Alternative der L 608 nicht für ernsthaft in Betracht kommend. Deswegen gibt es für mich überhaupt keine andere Möglichkeit, als auch zu sagen: ich respektiere das Motiv der SPD für ihren Vorschlag im Ausschuß, die Petition bei der Ausführung des Planfeststellungsbeschlusses als Material zu verwenden. Der Petent will aber ganz grundsätzlich nicht, daß das dahin kommt. Deswegen halte ich es gegenüber dem Petenten für ehrlicher, die Petition für erledigt zu erklären.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Hönes.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich spreche zur Petition der Aktion „Muttermilch — ein Menschenrecht", die von über 22 000 Menschen in dieser Republik unterschrieben wurde, von Frauen wie Männern. Der Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit, der heute aus seinem Amt ausgeschieden ist, läßt drei Trümmerhaufen zurück: eine Jugendpolitik, deren Geist- und Ergebnislosigkeit nur noch von der Politik der Bundesbildungsministerin Wilms übertroffen wird; eine Familienpolitik, die in dem Versuch gipfelt, die Frauen mit einem Taschengeld zu bestechen, damit der Strom arbeitsloser Jugendlicher auch in den 90er Jahren nicht abreißt; eine Gesundheitspolitik, die diesen Namen nur verdient, wenn man sie im Sinne von Orwell versteht.
Während die Vergiftung unserer Umwelt, und der unserer Gesundheit weiter voranschreitet, hatte diese Regierung den Betroffenen nicht mehr zu bieten als Hochglanzbroschüren. Während allen voran die chemische Industrie mit ganzseitigen Anzeigen in großen Zeitschriften die Wohltaten und Vorzüge von Blei oder DDT preisen darf, duldet diese Regierung, daß genau diese Schadstoffe vor allem Kinder und Säuglinge in einem Maß vergiften, daß schon jetzt mit ernsten Schäden zu rechnen ist.Die wohl zur Zeit am stärksten von der Vergiftung betroffene Bevölkerungsgruppe ist auch gleichzeitig die wehrloseste: ungeborenes und neu-
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Frau Hönesgeborenes Leben. Blei durchdringt die Placenta und gefährdet schon den Fötus. Neugeborene und Säuglinge werden mit einem Cocktail aus DDT, PCBs, HCB, HCH und den anderen Stoffen des „dreckigen Dutzends" versorgt. Hier ist nicht etwa die Rede von Fertigmilchprodukten, sondern von dem, was eigentlich das Beste für die Säuglinge ist, der Muttermilch. Muttermilch ist heute schon vielfach so hoch belastet, daß sie aus dem Lebensmittelhandel gezogen werden müßte. Schuld daran sind nicht etwa die Mütter. Sie atmen nur die Luft ein, für die der Innen- und der Verkehrsminister verantwortlich zeichnen,
trinken und essen nur das, wofür der Ernährungs- und Gesundheitsminister verantwortlich sind, und leben von und mit den schadstoffhaltigen Produkten, die von eben diesen Ministern weiterhin im Lebensmittelverkehr zugelassen werden.
Die Aktion „Muttermilch — ein Menschenrecht", vor einigen Jahren in Freiburg gestartet, hat mittlerweile die Bundesrepublik mit einem Netz von Elterninitiativen überzogen. Über 22 000 Menschen, Frauen wie Männer, haben eine Petition an Gesundheitsminister Geißler unterschrieben, die fünf konkrete Forderungen enthält, damit Mütter ihre Kinder wieder ohne Angst und Gewissensbisse stillen können. Diese Forderungen sind so einfach und bestechend, daß es keinem unter Ihnen gelingen könnte, sich ihnen zu entziehen.Ich möchte nur einige dieser Forderungen, die wir voll unterstützen, hier vortragen und einem breiteren Publikum zur Kenntnis bringen.Die erste Forderung ist das Verbot der Herstellung, Anwendung und des Imports aller Gifte, die in die Umwelt gelangen und sich im menschlichen Körper anreichern. Das gilt für Pflanzenschutzmittel, bestimmte Haushaltschemikalien oder auch den Holzschutzmittelwirkstoff Pentachlorphenol, der viele Menschen vergiftet hat, die noch immer auf eine Entschädigung und auf Unterstützung durch das Bundesgesundheitsministerium warten.Die zweite Forderung: Mittel für den ökologischen Landbau sollen zur Verfügung gestellt werdlen, denn nur gesunde Nahrung, meine Damen und Herren, bedeutet auch gesunde Kinder. Diese Forderung nach Unterstützung des ökologischen Landbaus hat neue Nahrung bekommen durch das Sondergutachten des Rates von Sachverständigen für Umweltfragen; das ist das Sondergutachten „Umweltprobleme der Landwirtschaft". Dieses Sondergutachten hat klar und eindeutig die Sünden derzeitiger Landvergewaltigung belegt. Weil dieses Gutachten unbequem ist, hat die Bundesregierung bislang die öffentliche Debatte gescheut. Dazu hat sie auch allen Grund, bedenkt man nur ihre katastrophale Gesundheits- und Agrarpolitik.
— Ja, Ihnen ist das unangenehm; horchen Sie nur gut zu.Als dritte, wenn auch nicht als letzte Forderung verlangen die mehr als 22 000 besorgten Bürger — und Sie wollen j a immer so bürgernah sein, lieber Herr Kollege —, die diese Petition unterschrieben haben, daß die Beweislast für mögliche gesundheitliche Folgeschäden von den Schultern der Verbraucher und Verbraucherinnen genommen und den Herstellern auferlegt wird, die, bevor sie eine neue Chemikalie oder ein Produkt in den Handel bringen, nachweisen sollen, daß es unschädlich ist.Die von der Mehrheit im Ausschuß beschlossene Überweisung dieser so wichtigen Petition als Material an die Bundesregierung wird kaum etwas zu einer baldigen Durchsetzung der dargestellten Forderungen beitragen. Da die schriftliche Stellungnahme des Bundesministers für Jugend, Familie und Gesundheit nicht erkennen läßt, daß alle möglichen und notwendigen Maßnahmen ergriffen worden sind, muß diese Petition unbedingt der Bundesregierung zur Berücksichtigung überwiesen werden.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Becker.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich bin der Meinung, wir kehren mal auf den Boden der Tatsachen zurück und reden so, wie es diesem ernsten Problem geziemt. Dieses ernste Problem der Schadstoffbelastung unserer Umwelt, insbesondere der Nachweis von belastenden Stoffen in der Muttermilch, beschäftigt erneut den Bundestag. Alle Parteien und alle Mitglieder dieses Hauses erfüllt dieses Problem mit Sorge. Alle nehmen dies außerordentlich ernst. Daher hat meine Fraktion ebenso wie die Fraktionen der SPD und FDP dem Vorschlag zugestimmt, die von über 22 000 Unterschriften gestützte Petition einer Aktionsgemeinschaft an die Bundesregierung als Material zu überweisen.In der Beratungsphase dieser Petition hat die Bundesregierung deutlich gemacht, daß sie und ihre Ämter bereits seit längerem und mit wachsendem Erfolg aktiv wurden. Hier waren und sind umfangreiche Forschungsarbeiten im Gange. Daraus dann resultierende Ergebnisse werden konsequent in Verordnungen umgesetzt. Untersuchungen zeigen, daß auf einigen Gebieten auch schon die Rückstände im Körper deutlich zurückgingen. Es liegt nun aber einmal in der Natur der Ablagerungsvorgänge im Körper, daß diese Ablagerungen oft noch längere Zeit im Körper verbleiben und erst allmählich ausgeschieden werden, selbst wenn die Schadstoffe schon längst und jahrelang in der Anwendung stark herabgesetzt oder sogar ganz aus unserem Gebrauch verschwunden sind.Den in den letzten Jahren besonders im Interesse stehenden Chlorkohlenwasserstoffen — Beta-HCH — und den polychlorierten Diphenylen galt die besondere Aufmerksamkeit. Bei dem Chlorkohlenwasserstoff wurde die tolerierte Höchstmenge drastisch reduziert. Die polychlorierten Diphenyle werden in der Bundesrepublik Deutschland nicht mehr
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Dr. Becker
hergestellt. In den Altgeräten, vor allem im Bergbau, werden seit einiger Zeit diese Stoffe durch Ersatzstoffe völlig ersetzt. Dieser Ersatz dürfte spätestens in zwei Jahren abgeschlossen sein.Wenn der Erfolg in unserem Lande vollständig sein soll, müssen diese Schadstoffe auch bei unseren Nachbarn reduziert werden. Hier hat die Bundesregierung im Rahmen der Europäischen Gemeinschaft bereits die Initiative ergriffen.Auch bei den Pflanzenschutzmitteln sind die Rückstandshöchstgrenzen festgelegt worden. Forschungsarbeiten wurden in Gang gesetzt, um die Anwendung von Pflanzenschutzmitteln auf das ökologisch vertretbare und wirtschaftlich notwendige Maß zu beschränken. Die von der Bundesregierung jetzt in Arbeit stehende Gefahrstoffverordnung wird für ca. 1200 Chemikalien eine besondere Kennzeichnung durch Warnsymbole, Warnhinweise und Sicherheitsratschläge vorschreiben. Weitere, eventuell sich dann als gefährlich erweisende Stoffe müssen in Zukunft ebenfalls gekennzeichnet werden.Bislang hat diese Bundesregierung gezeigt — wie auch die vorhergehenden —, daß sie ihrer Verantwortung voll gerecht wird. Das Ziel der Petenten wird von der Bundesregierung seit geraumer Zeit verfolgt. Durch ihre Maßnahmen und Anzeigen hat sie bewiesen, daß sie die Anliegen der Petenten auch weiterhin berücksichtigen will.Die von der Fraktion der GRÜNEN vorgeschlagene weitere Beratung und Anhörung von Sachverständigen im Petitionsausschuß vermag uns zur Zeit nicht weiterzubringen. Auf Veranlassung der Vorsitzenden des Petitionsausschusses, Frau Kollegin Berger, wurde vom Wissenschaftlichen Dienst bereits eine Auflistung aller Parlamentsmaterialien für die hier angesprochenen Themen gefertigt. Diese umfaßt 100 Seiten und zeigt, wie ernst das Problem vom Parlament genommen wird.Darüber hinaus wurde im Petitionsausschuß eine Ergänzung des Beschlusses vorgeschlagen, wonach die Bundesregierung aufgefordert wird, dem Petitionsausschuß zum 1. November 1986 über den Stand der Maßnahmen zur Sicherung der Muttermilch vor Schadstoffen zu berichten, sowie diese Petition den Fraktionen des Deutschen Bundestages zur Kenntnis zu geben, damit diese gegebenenfalls in den Fachausschüssen selbst initiativ nach Lösungswegen suchen können.Meine Damen und Herren, irgendwelche Paukenschläge, irgendein Dröhnen oder Palaver führen uns nicht weiter. Die Dinge müssen sorgsam verfolgt werden. Aus diesem Grunde plädieren wir für Materialüberweisung.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Reuter.
Frau Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Gestatten Sie mir zunächst eine Vorbemerkung. Ich meine, wir sollten allesamt nicht den Eindruck vermitteln, als wären wir in derLage, wenn hier Petitionen eingereicht werden, alle Fehlentwicklungen der zurückliegenden Jahre durch einen Federstrich zu heilen.
Sonst geschieht nämlich folgendes: Wir bauen bei den Petenten einen hohen Erwartungshorizont auf, den wir dann nicht erfüllen können. Die Folge ist, wir werden in der Presse zerrissen und das Petitionsrecht wird angegriffen. Das ist das Problem.
Ich kann nur sagen, meine Damen und Herren, daß die vorliegende Petition vom Petitionsausschuß sehr sorgfältig beraten wurde, auch dank der guten Ausarbeitung des Büros.An dieser Stelle muß ich einmal sagen, ich bedauere es, daß die sehr geschätzte Kollegin Nickels diesem Ausschuß nicht mehr angehört. Denn ich bin davon überzeugt, wir kämen heute einen entscheidenden Schritt in dieser Frage weiter.Wenn wir uns den Inhalt der Petition ernsthaft zu Gemüte führen, kommen wir leicht zu der Erkenntnis, daß eine Vielzahl von Disziplinen der Politik angesprochen sind.Die Zahl von 22 000 Unterschriften zeigt sicherlich das Maß der Betroffenheit. Aber ich warne davor, immer die Zahl derjenigen, die unterschrieben haben, zum Kriterium der Wichtigkeit und Bedeutung einer Petition zu machen, weil ich mir gut vorstellen kann, daß der einzelne Bürger — —
— Herr Kollege Mann, ich sage das losgelöst von diesem Problem, weil ich die Betroffenheit der Menschen kenne. Wenn Sie aber immer ein Szenario hinstellen, mit dem Sie den Leuten den letzten Spaß am Leben vermiesen, dann frage ich mich, warum Sie die Welt überhaupt verbessern wollen — für wen denn?
— Frau Kollegin, Sie müssen keine böse Mine aufsetzen; Sie können mit mir ganz freundlich umgehen.
— Wissen Sie, es ist immer ein Fehler, wenn die Funktion des Gehirns durch die Galle übernommen wird. Das ist schlecht in einer Auseinandersetzung.
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11964 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 159. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. September 1985
Reuter— Ja, Sie sehen doch, ich bin gestillt worden, Sie merken das an meiner Figur. Meine Damen und Herren von den GRÜNEN, ich verstehe Ihre Aufregung überhaupt nicht. Ich begrüße es, daß immer mehr junge Frauen bereit sind zu stillen.
Aber wenn Sie Ihr Szenario so schildern, dann laufen Sie doch Gefahr, daß viele es nicht mehr tun. Herr Kollege Mann, Sie haben z. B. im Ausschuß dargelegt, daß viele Frauen deshalb nicht stillen würden, weil sie Angst vor den Schadstoffen in der Muttermilch hätten.
— Also ich bin näher an der Basis als Sie, weil Sie kein Auto haben; ich fahr noch mit meinem Auto zur Basis.
Ich weiß jedenfalls von den Frauen, mit denen ich ins Gespräch gekommen bin, daß viele Frauen in der Vergangenheit nicht stillen wollten, weil sie Angst hatten, daß die herrliche Verpackung der Muttermilch Gefahr laufen könnte, beschädigt zu werden.
— Ja, das habe ich von Ihnen erwartet, aber Sie sind ja weltfremd, verehrte Frau Kollegin.
Ich kann über diese Dinge reden und sage Ihnen: Ich nehme diese Petition sehr ernst. Aber Sie müssen eines wissen: Wer bei dieser Petition hier fordert, daß sie der Bundesregierung zur Berücksichtigung vorgelegt werden soll, der verlangt, daß die hier genannten fünf Punkte von der Bundesregierung unverzüglich umgesetzt werden, weil sie nach unseren Regeln hier in sechs Wochen berichten muß. Wir können das zwar auf sechs Monate ausdehnen, Herr Kollege Mann, aber das hilft uns nicht weiter, weil die Probleme auch in sechs Monaten nicht gelöst werden können.
Und noch eines will ich Ihnen sagen: Wer sich mit der Sache ernsthaft befaßt, wird mir recht geben, daß eindeutig und zweifelsfrei feststeht, daß Punkt 5, kostenlose Untersuchung der Muttermilch für alle Frauen — Ihnen lange bekannt —, Sache der Länder ist. Sie können doch in den Ländern aktiv werden,
Sie brauchen doch nicht zu warten, bis etwas passiert.Ich möchte zum Schluß kommen und Ihnen folgendes sagen:
— Bitte schön, Herr Kollege Mann, für Sie immer.
Herr Abgeordneter Mann, Sie haben eine Zwischenfrage.
Sehr freundlich, Herr Kollege Reuter. — Herr Kollege, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß die GRÜNEN im baden-württembergischen Landtag — ich glaube, bereits vor zwei oder drei Jahren — für die kostenlose Untersuchung von Muttermilch eingetreten sind, daß wir das also sehr wohl auch tun, und daß der wesentliche Kern der Petition dadurch, durch diesen einen Punkt mitnichten erledigt ist?
Herr Kollege Mann, das ist sehr lobenswert. Dann darf ich Sie daran erinnern, daß die SPD-Bundestagsfraktion hier bereits im Jahre 1982 eine Kleine Anfrage zum Schadstoff in der Muttermilch eingebracht hat und daß wir uns mit diesem Problem schon seit Jahren sehr intensiv befassen. Aber es wäre fatal, wenn Sie den Eindruck vermitteln würden, daß wir hier ad hoc in der Lage wären, diese Probleme mit einem Federstrich sofort zu lösen. Das geht nicht. Deswegen meine ich, daß der Weg, der hier beschritten wird, die Petition der Bundesregierung als Material zu überweisen, richtig ist, damit die Bundesregierung wiederum einen Anstoß erhält, auf den hier vorgezeichneten Wegen weiter entscheidend voranzugehen. Auch die Fraktionen, denen wir die Petition zur Kenntnis bringen, sind informiert und können an diesen Problemen aktiv weiterarbeiten.
Insofern bin ich überzeugt, meine Damen und Herren, daß das Problem in absehbarer Zeit einer Lösung zugeführt werden kann, allerdings nicht in einem halben Jahr. Hier dauert's fünf Jahre und länger, bis wir die Dinge im Griff haben.
Schönen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Rumpf.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Also, ich habe j a nun auch Muttermilch genossen. Vielleicht habe ich deshalb noch in etwa einen klaren Kopf behalten.
Es besteht ja kein Zweifel daran, daß die Muttermilch ein ganz sensibler Indikator für Giftstoffe ist. Es besteht auch kein Zweifel daran, daß die Muttermilch für die Entwicklung des Kindes wichtig und sehr gut ist. Des weiteren ist kein Zweifel, daß die Meßmethoden immer genauer werden. Wir wissen heute über Giftstoffe in der Muttermilch viel mehr, als wir vorher gewußt haben. Also, wir wollen die
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Dr. RumpfBundesregierung in dem Bemühen unterstützen, daß sie sowohl die Meßmethoden, die Indikatoren verfeinert als auch die Verminderung der Schadstoffe vorantreibt.Aber es steht doch auch fest, daß — trotz der Dinge, die Sie hier wie ein Gespenst an die Wand malen — die Säuglingssterblichkeit in der Bundesrepublik seit Jahren zurückgeht. Weiter steht fest, daß die Lebenserwartung der Menschen, der Frauen wie der Männer, zunimmt. Es kann also so gar nicht sein, wie Sie das hinstellen. Vor allen Dingen — das sollte ernst genommen werden — sollten die Mütter noch besser unterrichtet werden, damit sie während ihrer Schwangerschaft weniger Tabletten nehmen. Das Tablettenschlucken — das wird Herr Dr. Becker mir wahrscheinlich bestätigen — ist leider sehr weit verbreitet.
Also, ich will den Müttern Mut machen, damit sie auch in Zukunft stillen und es nicht etwa auf Grund dieser gespenstischen Vorausschau, die Sie da entworfen haben, sein lassen.Abschließend möchte ich sagen, daß es wirklich ausreicht, wenn diese Petition als Material sowohl der Bundesregierung als auch den Fraktionen zur Verfügung gestellt wird.Danke.
Meine Damen und Herren, der Abgeordnete Mann hat, wie er mir sagte, eine kurze Bemerkung als Berichterstatter zu machen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, beruhigen Sie sich doch. — Herr Kollege Reuter, ich möchte nur etwas richtigstellen. Wenn hier in Ihren Ausführungen soeben davon die Rede gewesen ist
— hören Sie mir doch einmal zu —
Augenblick, meine Damen und Herren, einen Augenblick!
— —, von uns werde vorgeschlagen, daß die Verwirklichung der Petition innerhalb von sechs Wochen erfolgen müsse, dann bitte ich Sie, doch unseren Antrag zu lesen. Frau Kollegin Hönes hat sich leider etwas mißverständlich ausgedrückt. In dem Antrag fordern wir eine sachgerechte Beratung durch Ladung eines Regierungsvertreters und eines Vertreters des Umweltbundesamtes. Deswegen fordern wir eine Zurücküberweisung an den Ausschuß. Ich finde es einfach unkorrekt und fühle mich außerordentlich betroffen,
wenn Sie sich hier so schulmeisterlich verhalten, schulmeisterlich in einem sehr schlechten Sinne. Es gibt ja auch positive Schulmeister. Herrn Vogel habe ich übrigens --- wenn er in dem Zusammenhang genannt wird — immer als einen positiven Schulmeister empfunden.
Ich weise das also ganz entschieden zurück.
Herr Abgeordneter Mann, das war natürlich nicht eine Berichterstattung.
— Es war eine Erklärung nach § 30 der Geschäftsordnung.
— Okay, Sie hatten gesagt, Sie wollten das Wort als Berichterstatter. Korrigieren wir das! Dann brauchen wir nicht mehr darüber zu diskutieren. — Danke schön.Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.Wir kommen zur Abstimmung, zunächst über den Tagesordnungspunkt 9 a, und zwar zuerst über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/3880. Wer diesem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Antrag ist abgelehnt.Wer der Beschlußempfehlung des Ausschusses auf Drucksache 10/3587 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Mit Mehrheit angenommen.Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 9 b und stimmen zunächst über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/3881 ab. Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Die Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Antrag ist abgelehnt.Wer der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses auf Drucksache 10/3588 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — So angenommen.Wir kommen zur Abstimmung über den Tagesordnungspunkt 9 c, und zwar zuerst über den Änderungsantrag des Abgeordneten Mann und der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/3866. Wer diesem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe!— Enthaltungen? — Der Antrag ist abgelehnt.Wer der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses auf Drucksache 10/3589 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Die Beschlußempfehlung ist angenommen.Wir kommen zur Abstimmung über den Tagesordnungspunkt 9 d und stimmen zunächst über den Änderungsantrag des Abgeordneten Mann und der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/3867 ab. Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Dies ist abgelehnt.
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11966 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 159. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. September 1985
Vizepräsident Frau RengerWer der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses auf Drucksache 10/3787 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Die Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ist angenommen.Es ist noch über die Tagesordnungspunkte 9 e bis 9i abzustimmen. Wer der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei einigen Enthaltungen angenommen.Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 10 auf:Beratung des Berichts des Auswärtigen Ausschusses gemäß § 62 Abs. 2 der Geschäftsordnung zu dem von der Fraktion DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Zusatzprotokoll zu den Genfer Abkommen vom 12. August 1949 über den Schutz der Opfer internationaler bewaffneter Konflikte (Protokoll I)— Drucksachen 10/406, 10/3872 —Der Ältestenrat hat eine Aussprache bis zu fünf Minuten je Fraktion vorgeschlagen. — Das Haus ist damit einverstanden. Es ist so beschlossen.Wird hierzu das Wort zur mündlichen Berichterstattung erbeten? — Das ist nicht der Fall.Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Todenhöfer.
Frau Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das Zusatzprotokoll I von 1977 zu den Genfer Abkommen von 1949 bezieht sich nach seiner ganzen Entstehungsgeschichte und vor allem nach den ausdrücklichen Erläuterungen des IKRK bei der Vorlage des von ihm erarbeiteten Entwurfs der Protokolle im Jahre 1973 sowie nach den ausdrücklichen Erklärungen der USA, Großbritanniens, Frankreichs und vor allem auch nach den ausdrücklichen protokollierten Erklärungen der Sowjetunion ausschließlich auf konventionelle Waffen.
So hat die Sowjetunion am 21. März 1975 zu den Verhandlungen über das Zusatzprotokoll I ausdrücklich erklärt:
Ihre Delegation teile den Standpunkt des IKRK betreffend die Aufgabe der Konferenz im Hinblick auf das Verbot von Waffen. Wie das IKRK in seiner Einführung des Entwurfs der Protokolle unterstrichen habe, sèien Probleme im Zusammenhang mit der atomaren, bakteriologischen und chemischen Kriegführung Gegenstand von internationalen Vereinbarungen und Verhandlungen der Regierungen, und das IKRK, indem es den Entwurf der Protokolle vorlegt, habe nicht die Absicht, diese Fragen aufzugreifen.
Da dies einerseits aus Unkenntnis, andererseits aus Gegnerschaft zur nuklearen Verteidigungsstrategie des Westens zum Teil bestritten wird, unterstützt die CDU/CSU die Absicht der deutschen Bundesregierung, bei der Ratifikation eine Interpretationserklärung abzugeben, in der zur Vermeidung
von Mißverständnissen noch einmal unterstrichen wird, daß das I. Zusatzprotokoll sich lediglich auf konventionelle Waffen bezieht.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Nein.
Keine Zwischenfrage.
Die deutsche Bundesregierung befindet sich hierin im übrigen in Übereinstimmung mit der Haltung der vorhergehenden sozialliberalen Bundesregierung, die sich im Jahre 1980 ebenfalls ausdrücklich für die Abgabe einer Nuklearerklärung ausgesprochen hatte.Die Ratifikation des I. Zusatzprotokolls, verbunden mit einer Interpretationserklärung, wird erfolgen, sobald einer der Atomwaffenstaaten der NATO das Zusatzprotokoll ratifiziert hat.Auch für den Einsatz von Nuklearwaffen gilt im übrigen das allgemeine Kriegsvölkerrecht, das zum Schutz der Zivilbevölkerung unterschiedslose nukleare Angriffe bindend untersagt. Unterschiedslose Angriffe sind ebenso wie Angriffe gegen Städte und Bevölkerungszentren völkerrechtswidrig.Die CDU/CSU unterstreicht den bindenden Charakter des völkerrechtlichen Verbots unterschiedsloser konventioneller ebenso wie nuklearer Angriffe gegen die Zivilbevölkerung. Wir werden unsere Zustimmung zu einer Verteidigungsstrategie heute und in Zukunft nur geben, soweit diese Strategie mit den Regeln des Völkerrechts und mit Art. 25 des Grundgesetzes in Einklang steht.
Die CDU/CSU begrüßt insoweit die Erklärung der deutschen Bundesregierung, wonach die gültige Verteidigungsplanung der Bundesrepublik Deutschland ebenso wie die gültige Bündnisstrategie der NATO ausdrücklich dem völkerrechtlichen Gebot, nur militärische Ziele anzugreifen, folgt und das völkerrechtliche Verbot von Angriffen gegen Städte und Bevölkerungszentren ausdrücklich achtet.Im übrigen darf von niemandem übersehen werden, daß die NATO eine rein defensive Strategie hat. Keine ihrer Waffen wird jemals eingesetzt werden, es sei denn als Antwort auf einen Angriff.
Nuklearwaffen haben für die NATO in erster Linie die Aufgabe der Kriegsverhinderung. Man kann diese übergeordnete Aufgabe der Kriegsverhinderung bei der völkerrechtlichen Beurteilung der Nuklearwaffen nicht einfach negieren.Die CDU/CSU, die sich im Ausschuß intensiv mit dieser Frage befaßt hat,
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 159. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. September 1985 11967
Dr. Todenhöferwird die Bundesregierung bei allen Versuchen unterstützen, die westliche Bündnisstrategie entsprechend dem Völkerrechtsgebot, die Zivilbevölkerung soweit als möglich zu schützen, ständig weiterzuentwickeln. Die Wirksamkeit der NATO-Strategie als Kriegsverhinderungsstrategie darf dabei selbstverständlich nicht verringert werden. — Die CDU/ CSU sieht darüber hinaus in der Weiterentwicklung des Kriegsvölkerrechts in allen Bereichen, auch im nuklearen Bereich, eine ständige Verpflichtung der gesamten Völkergemeinschaft.Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Verheugen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte die Vorhersage wagen, daß der eigentliche Gegenstand dieser Debatte, die Frage der Vereinbarkeit der gültigen NATO-Strategie mit dem geltenden und mit dem neu geschaffenen Völkerrecht, schon bald ein zentrales Thema der sicherheitspolitischen Auseinandersetzung sein wird.
Hier tickt eine politische Zeitbombe. Das ist auch der Grund, warum der Gesetzentwurf der GRÜNEN jetzt schon seit zwei Jahren schmort und warum es dem SPD-Antrag vom 28. September 1983 ebenso ergangen ist.Wir haben seinerzeit beantragt, die Bundesregierung möge das Ratifizierungsgesetz zu den Genfer Zusatzprotokollen unverzüglich vorlegen. Einen eigenen Gesetzentwurf haben wir nicht eingebracht, weil wir es für rechtlich zweifelhaft hielten und halten, ob das Parlament bei völkerrechtlichen Verträgen ein Initiativrecht hat. Aber das kann man jetzt dahingestellt sein lassen; es ist im Augenblick noch nicht von Belang.Von Belang ist im Augenblick die Frage, warum die Regierung bisher die schon 1967 unterzeichneten Protokolle nicht zur Ratifizierung vorgelegt hat.
Im Umgang mit dem Zusatzprotokoll I, das den Schutz der Zivilbevölkerung in Kriegen wesentlich verbessert, offenbart die Bundesregierung eine peinliche Hilflosigkeit, Ratlosigkeit und, so muß ich leider auch sagen, Unfähigkeit. Das federführende Auswärtige Amt befindet sich dabei in einer die Koalitionen überdauernden Kontinuität; denn zuerst hatte es dem Parlament weismachen wollen — das war in der vorigen Legislaturperiode —, die Vertragsparteien des Zusatzprotokolls I hätten Atomwaffen einvernehmlich ausgeklammert. Es hat zu diesem Zweck den Sinn von Erklärungen des Internationalen Komitees des Roten Kreuzes in verfälschter Form wiedergegeben, so wie es der Kollege Todenhöfer gerade auch wieder getan hat.Es hat dem Parlament die schweren sicherheitspolitischen Probleme im Zusammenhang mit dem Zusatzprotokoll bewußt verschwiegen.
Es hat sodann erklärt, man könne durch einen Vorbehalt sicherstellen, daß die Bestimmungen des Protokolls auf Atomwaffen nicht angewendet würden. Es hat sich danach dahin gehend verbessert, daß Atomwaffen doch eingeschlossen seien, soweit das Protokoll geltendes Völkergewohnheitsrecht lediglich festschreibt. Es hat dann den rechtlich unmöglichen Nuklearvorbehalt aufgegeben und eine Nuklearerklärung, eine Vertragsinterpretation präsentiert, die wir rechtlich und politisch für ebenso dubios halten.Die vorläufig letzte Position ist jetzt, daß nach dem Verständnis der Bundesregierung die neu eingeführten Bestimmungen des Protokolls für Atomwaffen nicht gelten sollen, also das absolute Verbot der Repressalie, das Verbot der Umweltkriegsführung und im Verständnis der Regierung auch das Gebot der Verhältnismäßigkeit der Kampfführungsmittel auch im Einzelfall.Dieser letzte Punkt ist unter den Völkerrechtlern und den Vertragspartnern umstritten. Die meisten Fachleute sehen in der Konkretisierung des Übermaßverbotes kein neues Recht. In ihrer Interpretation verzichtet die Regierung bisher darauf, genau zu definieren, was sie für neu hält, mit dem Ergebnis, daß der Soldat darauf angewiesen sein wird, zu raten, was ihm völkerrechtlich erlaubt ist und was nicht.In der Frage des Verfahrens flüchtet die Regierung von einem Mauseloch ins andere.
1983 hieß es, es werde alsbald ratifiziert, 1984 hieß es, noch im selben Jahr, und die derzeit gültige Version lautet, es werde erst nach einer nuklearen Großmacht ratifiziert. Im Klartext: Die Regierung will sich die Kastanien von andern aus dem Feuer holen lassen.
Das ist grotesk, absurd und für uns alle lebensgefährlich; denn die Politik der Bundesregierung wird zwangsläufig dazu führen, daß unser Volk im Falle eines Nuklearkrieges dem Schutz des Völkerrechtes entzogen wird. Wenn nämlich der Interpretation der Bundesregierung von den Vertragspartnern nicht widersprochen wird, würde es in der Tat auf dem Territorium der Bundesrepublik völkerrechtlich erlaubt sein, die Atomwaffe als Repressalie einzusetzen, konventionelle Waffen aber nicht, die Umwelt mit Atomwaffen zu zerstören, mit konventionellen Waffen aber nicht, und unterschiedslose Angriffe mit Atomwaffen ohne Rücksicht auf die Zivilbevölkerung zu führen, während der unterschiedslose Angriff mit konventionellen Waffen verboten wäre. Das heißt also, daß gerade für die extremsten Gefahrensituationen das Völkerrecht nicht gelten soll.
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11968 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 159. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. September 1985
VerheugenUnd warum das alles? Weil die Bundesregierung genau weiß, aber nicht zugibt, daß wesentliche Elemente der NATO-Strategie wenigstens die Option auf den Ersteinsatz von Kernwaffen und wenigstens die vorbedachte Eskalation zum humanitären Kriegsvölkerrecht, wie es das Protokoll festschreibt und entwickelt, in einem unauflöslichen Gegensatz stehen. Letztlich also steht die gesamte Doktrin der nuklearen Abschreckung zur Diskussion.
Und das wird das Thema der tiefgreifenden Auseinandersetzung sein, die sich ankündigt. Nachdem feststeht, daß das Protokoll nicht Waffen oder Waffenarten verbietet, sondern bestimmte Wirkungen, kann die Position der Regierung nur so verstanden werden, daß sie für Optionen der atomaren Kriegsführung kämpft, vor denen unser Volk durch das Völkerrecht geschützt werden könnte, aber nach dem Willen der Regierung nicht geschützt werden soll. Das ist atemberaubend abenteuerlich, und ich mache schon jetzt darauf aufmerksam, daß die Haltung der Bundesregierung die Frage aufwerfen wird, ob das mit dem Grundgesetz vereinbar ist.
Wir verlangen die unverzügliche Ratifizierung des Protokolls ohne Wenn und Aber.
Das Wort hat der Abgeordnete Schierholz.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist schade, daß so viele Mitglieder des Petitionsausschusses gegangen sind. Dieses Thema ist nämlich auch Gegenstand zahlreicher Petitionen. Wir begrüßen diese Petitionen. Herr Verheugen hat schon darauf hingewiesen: Vor ziemlich genau zwei Jahren, am 23. September 1983, hat die Fraktion der GRÜNEN im Deutschen Bundestag das Ratifizierungsgesetz für die beiden Genfer Zusatzprotokolle in den Deutschen Bundestag eingebracht, wenige Tage später kam die SPD mit ihrem Antrag. Nach der Unterzeichnung im Dezember 1977 waren bereits fünf Jahre unter der SPD/ FDP-Koalition vergangen — auch das darf man nicht vergessen —, und nunmehr, fast acht Jahre nach der Unterzeichnung, beantwortet die Bundesregierung die immer drängender werdenden Fragen nach dem Ratifizierungstermin mit der Standardantwort deutscher Bürokraten: Es wird geprüft.Indem wir GRÜNEN — deswegen war ich der Meinung, daß wir auch als erste dran wären — diesen Ratifizierungsgesetzentwurf heute auf die Tagesordnung gesetzt haben, signalisieren wir Ihnen: Ihr Gemisch aus Hinhaltetaktik und Untätigkeit, Ihren Versuch, sich der politischen Brisanz durch Aussitzen oder Ausklammern zu entledigen, werden wir nicht hinnehmen. Ich kündige hiermit die Absicht der Fraktion der GRÜNEN an, ab jetzt etwa in jedem Vierteljahr den Ratifizierungsprozeß zum Gegenstand einer Plenardebatte im DeutschenBundestag zu machen, und zwar nicht mehr kurz vor zehn Uhr und bei gut 20 Leuten im Parlament.Wir werden Sie an Ihren eigenen Ansprüchen messen. Herr Möllemann, Sie haben am 26. Januar 1984 in der ersten Lesung unseres Ratifizierungsgesetzentwurfes angekündigt: „Die Bundesregierung wird sich bemühen, das Ratifikationsverfahren noch im Laufe dieses Jahres" — gemeint war 1984— „einzuleiten." Heute stehen Sie mit leeren Händen da und flüchten sich in wolkige Formulierungen. Es werden Interpretationskünste aufgeboten— Herr Verheugen hat das erwähnt, ich will das nicht wiederholen —, die entgegen dem eindeutigen Wortlaut der Bestimmungen des Zusatzprotokolls I das Verbot unterschiedsloser Angriffe abschwächen und Atomwaffen aus dem Geltungsbereich der Zusatzprotokolle ausklammern wollen. Herr Todenhöfer, Sie haben das auch gemacht.
Es wäre geradezu aberwitzig, wenn sich ausgerechnet die Bundesrepublik Deutschland hier zu einem Atomwaffenvorbehaltsapostel aufschwingen würde — es sei denn, sie verfolgt entsprechende Ambitionen, und davon war j a heute auch schon die Rede. Indizien dafür haben wir eine Menge: Schneller Brüter in Kalkar, die atomare Wiederaufbereitungsanlage,
aber auch Ihr Plädoyer aus Teilen der CDU und CSU für eine europäische Atomstreitmacht, die fast 2 Milliarden DM für die nukleare Teilhabe — so wörtlich — der Bundesrepublik in der Bundeswehrlangzeitplanung; der Griff des Fingers zum Abzug zur Atombombe wird immer offensichtlicher. Das ist das eigentliche Problem.
— Daß Sie das nicht wahrhaben wollen, wundert mich nicht, meine Herren von der Union.Mein Kollege Otto Schily hat in der ersten Lesung bereits unsere Argumente für eine vorbehaltslose und sofortige Ratifizierung vorgetragen. Sie gelten fort. Ich kann im wesentlichen auch das unterstützen, was Herr Verheugen vorgetragen hat. Meine Frage ist: Warum verschanzt sich die Bundesregierung hinter dem Argument, die Ratifizierung durch die USA und Großbritannien abzuwarten? Machen wir es doch Norwegen oder Dänemark nach, die bereits wie rund 40 andere Staaten ratifiziert haben. Wir jedenfalls begrüßen den Druck der Petenten, den Druck aus der Friedensbewegung und die Bemühungen des Deutschen Roten Kreuzes, die ja sehr nachdrücklich in diese Richtung gehen.Der wahre Grund für das Verschleppungsmanöver der Bundesregierung liegt woanders. Ich zitiere: „Die NATO-Strategie widerspricht dem Völkerrecht", so hat die „Zeit" am 7. Dezember 1984 ihren Artikel über die für Bundesregierung und Koalition
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 159. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. September 1985 11969
Dr. Schierholzpeinliche Situation überschrieben. Unterschiedslose Kriegsführung, Übermaßverbot, wirksamer Schutz der Zivilbevölkerung im Kriegsfall; für uns GRÜNE sind dies alles. außerordentlich zweischneidige Bestimmungen eines Völkerrechts, das unseren Vorstellungen von Friedensvölkerrecht bei weitem nicht genügt. Nur: Die NATO-Strategie mit ihrer Option zum Ersteinsatz von Atomwaffen, mit ihrer Mischung aus Bunkermentalität und Sieg-im-Atomkrieg-Perspektive kann nicht einmal solchen Maßstäben genügen.Aus diesen Gründen sind wir für eine vorbehaltslose und sofortige Ratifizierung dieser Genfer Zusatzprotokolle. Wir werden, Herr Verheugen, in der Tat noch sehr häufig über diese Problematik intensiv und am hellichten Tage zu reden haben.Schönen Dank.
Herr Abgeordneter Schierholz, ich wollte Ihnen nur sagen: Ich hätte die Worterteilung auch in der anderen Reihenfolge geben können. Sie lag mir umgekehrt vor. Es war keine prinzipielle Entscheidung.Das Wort hat der Staatsminister Möllemann.Möllemann, Staatsminister im Auswärtigen. Amt: Frau Präsidentin! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Die Ankündigung des Kollegen Verheugen, daß das die zentrale Frage der sicherheitspolitischen Diskussion in nächster Zeit sein werde, erhält angesichts der Tatsache, daß im Moment fünf Liberale, 13 Christdemokraten, zehn Grüne und vier Sozialdemokraten bei diesem zentralen Thema im Saal sind, eine unglaubliche „Glaubwürdigkeit". Irgendwo, liebe Freunde und Kollegen, machen wir uns doch allmählich vor uns selbst lächerlich, mit solchem Theaterdonner ein Thema anzukündigen, bei dem Sie, die Sozialdemokratische Partei Deutschlands, nicht einmal mehr als vier Abgeordnete in den Saal bekommen. Das kann doch kein Mensch mehr ernst nehmen.
Zur Sache selbst: Die Bundesregierung hat zur Ratifizierung der Zusatzprotokolle mehrfach im zuständigen Unterausschuß Stellung genommen. Ich habe selbst am 29. März und am 15. Mai auf entsprechende Fragen der Kollegen Scheer und Bindig erklärt:Eine baldige Ratifizierung der Zusatzprotokolle durch die Bundesrepublik Deutschland bleibt das Ziel der Bundesregierung. Die Bundesregierung möchte jedoch den Fortgang der internationalen Entwicklung abwarten. In den sensiblen Nuklearfragen kommt dem Verhalten der Nuklearmächte besondere Bedeutung zu. Daher möchte die Bundesregierung das Zustimmungsverfahren erst nach der Ratifizierung der Zusatzprotokolle durch eine Nuklearmacht des Bündnisses einleiten.Diese unverändert geltende Haltung der Bundesregierung ist auch dem Präsidenten des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz, Alexandre Hay,bei seinem Besuch in Bonn im Juni dieses Jahres eingehend erläutert worden.Wenn in früheren Erklärungen im Jahre 1984 konkretere Zeitvorstellungen genannt wurden — was zutrifft —, so ist dies damit zu erklären, daß der Stand der Ratifizierungsdebatte in anderen Bündnisländern damals solche Aussagen zuließ. Inzwischen hat sich gezeigt, daß eben wegen der Komplexität der Materie ihre Erörterung sowohl innerhalb einzelner Partnerstaaten des Bündnisses als auch in den entsprechenden Gremien der Allianz weitergeht.Mit der von mir dargestellten Haltung steht die Bundesregierung, wie Sie wissen, sowohl im Hinblick auf die sachliche Bewertung der Zusatzprotokolle als auch im Verhältnis gegenüber den Bündnispartnern voll in der Kontinuität mit allen früheren Bundesregierungen, die mit der Sache befaßt waren. Grundlegend ist hier der Beschluß des Bundessicherheitsrates vom Mai 1980, der im Jahre 1984 noch einmal bekräftigt wurde. Im Mai 1980 hieß der Bundeskanzler, der dem Bundessicherheitsrat vorstand, Helmut Schmidt und der Bundesverteidigungsminister Hans Apel. Der Generalsekretär der Freien Demokratische Partei hieß übrigens Günter Verheugen, und der trug damals als seinerzeitiger Vertrauter des damaligen Bundesaußenministers Hans-Dietrich Genscher diese Politik noch mit.
— Nein, aber Sie waren immer sehr nahe bei Herrn Genscher, wenn es darum ging, den Eindruck zu erwecken, man müsse nahe bei ihm sein.
Bereits im Jahre 1980 wurde nämlich beschlossen, die Entscheidung über die Einleitung des Zustimmungsverfahrens zurückzustellen, da die Bundesrepublik nicht vor ihren wichtigsten Verbündeten ratifizieren sollte.Lassen Sie es mich noch einmal sagen: Die Bundesregierung hat nie einen Zweifel daran gelassen, daß sie die Ratifizierung der Zusatzprotokolle will, weil sie sie als bedeutenden Fortschritt im Bereich des humanitären Kriegsvölkerrechts begrüßt.Es liegt der Bundesregierung fern, an den geltenden völkerrechtlichen Beschränkungen des Nuklearwaffeneinsatzes Abstriche machen zu wollen; hier wird nichts zurückgedreht. Mit diesem — ohne Rücksicht auf die Zusatzprotokolle weiter geltenden — Völkergewohnheitsrecht stimmt unsere Verteidigungsstrategie in vollem Umfange überein.
— Ja, daß Leute wie Sie zur Verteidigungsstrategie nur solche Zwischenbemerkungen, aber kaum Sachdienliches beizutragen haben, spricht sich allmählich herum; ich komme darauf gleich noch einmal zurück.
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11970 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 159. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. September 1985
Herr Staatsminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schierholz?
Frau Präsidentin, wenn ich gleich zum Ende gekommen bin, will ich das machen. Den Gedanken möchte ich erst noch zu Ende führen.
Auch der Herr Abgeordnete Verheugen würde gern eine Zwischenfrage stellen. Soll auch er warten, bis Sie fertig sind?
Das gleiche gilt für jedweden Abgeordneten.
Die Übereinstimmung mit den Bündnispartnern in dieser Frage ist von allen Bundesregierungen stets in den Vordergrund gestellt worden. Bei den hier angesprochenen Nuklearfragen kommt dabei in besonderem Maße auf die Nuklearmächte des Bündnisses eine Entscheidungsfunktion zu. Wir wollen auch wissen, wo sie stehen, und dem trägt die Bundesregierung mit ihrer Haltung Rechnung.
Erneut, Herr Verheugen, muß ich jetzt sagen — danach können Sie Ihre Frage anbringen —: Es ist allmählich wirklich frappierend, zu erleben, wie Sie offenkundig in totaler mentaler Verdrängung dessen, was Sie als Generalsekretär einer Partei mitgetragen haben, sich heute hinsteilen und erklären können, die gültige Bündnisstrategie widerspreche dem humanitären Kriegsvölkerrecht.
— Wenn Sie nach fünf Minuten nicht mehr wissen, was Sie hier gesagt haben, ist es schwer, sich mit Ihnen auseinanderzusetzen! Sie haben gesagt, die nukleare Komponente der Bündnisstrategie widerspreche dem geltenden humanitären Kriegsvölkerrecht.
Ich kann Ihnen nur sagen: Die kriegsvölkerrechtlichen Bestimmungen, die zu der Zeit gegolten haben, als Sie als Generalsekretär amtierten, und die strategischen Grundsätze, die damals für die NATO gegolten haben, sind mit den heutigen identisch. Sie aber gehen heute her und bezichtigen sich doch damit selbst.
Herr Verheugen, ich verstehe j a Ihr Problem. Sie sind in eine Partei hineingegangen — oder hinübergelaufen —, die in dieser Frage mitten im Wandel ist. Aber wenn Sie sich heute immer selbst so ins Gesicht schlagen müssen, um überhaupt noch akzeptiert werden zu können,
dürfen Sie nicht erwarten, daß wir das durchgehen lassen.
Es hilft nichts, Herr Verheugen! Sie glauben, Sie könnten sich hier hinstellen und unablässig dem Bundesaußenminister und der FDP, die die gleiche Politik wie zu den Zeiten, da Sie Generalsekretär waren, vertritt, zwar ziemlich subkutan, aber doch eins vors Maul schlagen, und dabei glauben Sie auch noch, wir würden stillhalten und sagen: Ma-
chen Sie so weiter! Nein, Sie haben Ihre Position aufgegeben. Ich verstehe ja, warum, aber kommen Sie nicht her und versuchen Sie nicht, diejenigen zu belehren, die weiterhin die Politik vertreten, für die auch Sie damals eingetreten sind!
Herr Staatsminister Möllemann, es tut mir leid, aber ich finde es etwas ungewöhnlich, wie Sie als Vertreter der Bundesregierung hier mit den Abgeordneten sprechen. Es tut mir furchtbar leid!
Frau Präsidentin, ich habe Ihre Bewertung nicht zu kommentieren, aber wenn ich als Mitglied der Bundesregierung mir sagen lassen muß, daß die von uns als Regierung vertretene Strategie, für die in der Entwicklung niemand anders als das Gespann Leber/Schmidt/Apel verantwortlich ist, dem humanitären Kriegsvölkerrecht widerspreche, muß ich hier deutlich reagieren können.
Gestatten Sie jetzt eine Zwischenfrage des Abgeordneten Verheugen?
Ja, das tue ich.
Herr Staatsminister, ich würde doch nun gern einmal wissen, wann in den Jahren von 1977 bis 1982, als ich die von Ihnen erwähnten Funktionen ausgeübt habe, Beratungsergebnisse des geheim tagenden Bundessicherheitsrates irgendeinem Gremium der Freien Demokratischen Partei, der ich damals angehört habe, mitgeteilt worden sind und dort erörtert worden sind und wann sich in diesen Jahren, von 1977 bis 1982, unsere damals gemeinsame Partei ein einziges Mal zum Thema der Genfer Zusatzprotokolle geäußert hat. Sagen Sie mir das bitte einmal!
Über diese Frage haben in den hier angesprochenen Jahren mehrfach Beratungen im Deutschen Bundestag stattgefunden,
-- im Deutschen Bundestag stattgefunden, sei es in Form der Behandlung von Fragen in Fragestunden, sei es in Form von Diskussionen, in denen der damalige deutsche Außenminister, auch Bundesvorsitzender der FDP, die von mir beschriebene Position hier vorgetragen hat. Sie haben damals keinerlei Anlaß gesehen, die gültige NATO-Strategie, die sich von damals bis heute nicht geändert hat, als im Gegensatz befindlich zum humanitären Kriegsvölkerrecht, damals wie heute identisch, zu bezeichnen. Ich empfinde es als einen Bruch in der Logik, wenn man nur deswegen, weil man die Partei gewechselt hat, heute eine solche Erklärung abgibt. Ich wollte das nur deutlich gesagt haben.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 159. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. September 1985 11971
Staatsminister MöllemannFrau Präsidentin, ich räume ein, daß ein bestimmter Passus meiner Bemerkungen in der Tat vielleicht mehr die Bemerkung eines Parteisprechers gewesen ist. Aber ich lasse mir ungern — und das ist heute zum zweitenmal geschehen — vorhalten, ich befinde mich mit meiner inhaltlichen Position im Gegensatz zu bestehenden internationalen Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Damit schließe ich die Aussprache. Punkt 10 der Tagesordnung ist damit erledigt.
Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 11 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Frau Dr. Bard und der Fraktion DIE GRÜNEN
Notprogramm zur Schutzwaldsanierung der Alpenregion
— Drucksache 10/2866 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
Innenausschuß
Haushaltsausschuß
Im Ältestenrat ist für die Aussprache ein Beitrag bis zu fünf Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. — Dagegen erhebt sich kein Widerspruch; dann ist so beschlossen.
Das Wort zur Begründung wird gewünscht. Herr Abgeordneter Schulte , bitte sehr.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte diesen Antrag mit einem Zitat aus der „Süddeutschen Zeitung" von heute begründen.
— Hören Sie zu, das ist eine interessante Sache. Dort steht:Die Internationale Alpenschutzkommission , die am Wochenende unter dem Motto „Rettet den Bergwald jetzt" im oberbayerischen Schliersee tagt, rechnet mit verheerenden Folgen des zunehmenden Waldsterbens in den Alpenländern, wenn nicht sofort Maßnahmen ergriffen werden. Durch Schnee- und Schlammlawinen zerstörte Dörfer, Überschwemmungen, Schäden an der Infrastruktur in unübersehbarer Höhe — erste Anzeichen dieser Schreckensvision sind laut Angaben der aus Vertretern der Alpenländer bestehenden Organisation schon deutlich zu erkennen.Meine Damen und Herren, es soll sich also keiner in einigen Jahren herausreden, er habe von dieser bedrohlichen Situation nichts gewußt.Eine besondere Bedeutung hat die Bedrohung der Schutzwälder in Steillagen. Sie haben vielfältige Schutzfunktionen und unterliegen zahlreichen Nutzungsansprüchen. In unserem Antrag haben wir ausgeführt, was passieren würde und was wiran ungeheuren Geldsummen einsetzen müßten, wenn die Schutzwälder verschwänden.Die Hauptgefahr für den Wald am Nordrand der Alpen stellen die Immissionen aller Art dar. Deshalb ist in diesen Gebieten die drastische Reduzierung der Immissionen eine unabdingbare Voraussetzung für den Sinn weiterer Sanierungsmaßnahmen. Unser Antrag ist deshalb auch nur im Zusammenhang mit unseren zahlreichen Initiativen zur Vermeidung forst- und gesundheitsschädlicher Immissionen zu betrachten, z. B. unser Waldrettungsprogramm oder die Novelle zum Bundes-Immissionsschutzgesetz. Wenn die SO2-Emissionen nicht baldigst um 90 % vermindert werden, sind die für die Waldbäume noch verträglichen Immissionswerte nicht rechtzeitig erreichbar. Dann können unsere Förster tatsächlich auch in den Alpen nur noch Sterbehilfe leisten.Deshalb erstes Gebot: Runter mit den Immissionen!
Da die Luftschadstoffe bekanntlich an den Grenzen nicht haltmachen, benötigen wir ein internationales Alpennotprogramm. Die Österreicher und die Schweizer haben im Gegensatz zu dieser Bundesregierung, von der jetzt leider wieder überhaupt kein Vertreter anwesend ist, längst erkannt, was die Stunde geschlagen hat. Dort sind zum Teil Dinge geltendes Recht, die wir GRÜNEN bereits kurz nach unserem Einzug in den Bundestag in unserem Waldrettungsprogramm vorgeschlagen haben und die an der Großen Koalition der ökologischen Unvernunft aus CDU/CSU, FDP und SPD gescheitert sind.Ich erwähne die Beweislastumkehr, die im österreichischen Forstgesetz enthalten ist und von der Bundesregierung verteufelt wird. In Österreich hat sie sich bewährt. Ich nenne weiter die Reduzierung der Geschwindigkeit in der Schweiz sowie die dort geplante obligatorische Einführung der US-Abgasgrenzwerte.Kommen Sie uns jetzt bitte nicht mit dem geltenden EG-Recht, indem Sie behaupten, dies sei bei uns nicht möglich. Ein Alleingang, der bei der Reinhaltung des Bieres möglich ist, muß auch bei der lebensnotwendigen Rettung unserer Lebensgrundlage und besonders der Alpenländer möglich sein.
Zur Rettung der Alpenregionen muß sofort gehandelt werden, aber die Bundesregierung will nicht,
weil für sie die Verantwortung für die Wirtschaft schwerer wiegt als die Verantwortung für die Umwelt. Das geht auf Kosten unserer Wälder, unserer Gesundheit und der Zukunft.Lassen Sie mich abschließend noch aus einer Broschüre zitieren, die von einem bayerischen Ministerium unter Zustimmung des Ministerpräsidenten Strauß herausgegeben wird. Dort heißt es:
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11972 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 159. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. September 1985
Schulte
Die Walderkrankungen können zu kaum absehbaren ökonomischen und ökologischen Folgen führen — so schrieb der Ministerpräsident schon 1984 —, die die Möglichkeiten der öffentlichen Haushalte übersteigen würden.Wir sind der Auffassung, daß dem Problem des Sterbens der Wälder in den Alpen eine sehr hohe Priorität beigemessen werden muß. Wir kritisieren deshalb noch einmal, daß a) diese Debatte heute viel zu spät vor leerem Hause stattfindet und daß b) überhaupt kein Vertreter der Regierung anwesend ist.Danke schön.
Meine Damen und Herren, ich eröffne die Aussprache.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Rumpf.
Im Gegensatz zu meinem Vorredner bin ich vom Fach. Ich bin ja Forstmann von Beruf.
— Mein lieber Herr Schulte, kommen Sie mal ein bißchen näher.
— Wollen Sie eine Zwischenfrage stellen, bevor ich angefangen habe? — Das ist typisch. Nicht mal zuhören können Sie. Jetzt hören Sie erst einmal zu.
Es besteht überhaupt kein Zweifel, daß die Wälder in den höheren Lagen — —
— Ich lasse keine Zwischenfrage zu. Setzen Sie sich!
Keine Zwischenfrage zur Zeit.
Es ist überhaupt keine Frage, daß die Wälder in den Mittelgebirgen an den von Ihnen und von uns allen erkannten Luftschadstoffen und an klimatischen Bedingungen leiden. Nach dem, was Sie hier vorgetragen haben, sieht es jedoch fast so aus, als müsse der Wald sterben, damit die GRÜNEN leben könnten.
Diesen Gefallen wird er Ihnen nicht tun. Ich will Ihnen einmal folgendes sagen — —
— Können Sie jetzt einmal zuhören?
Sie stellen hier einen Antrag, mit dem Sie suggerieren wollen, man könne Milliardenprogramme auflegen und diese Mittel nach dem Gießkannenprinzip ausschütten, um damit den Alpenwald zu retten. In der Zwischenzeit haben SPD — von Ihnen sind leider nur noch ganz wenige vertreten —, CDU/CSU und FDP einen Unterausschuß des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten gebildet
— jetzt hören Sie einmal zu! —, in dem etwas für den Wald und für die Alpenregion getan wird, was genau dem entspricht, was Sie wollen, nämlich dem Wald zu helfen.
Sie wissen ja noch nicht einmal, um was es geht Ich verrate Ihnen ja gar nicht, welches Gesetz es ist Frau Präsidentin, erlauben Sie, daß ich einmal frage, ob die Damen und Herren überhaupt wissen, um welches Gesetz es sich handelt, das wir verabschiedet haben.
Es handelt sich um das Forstschädenausgleichsgesetz. Dieses Wort hören Sie heute zum erstenmal.
Warum? Die GRÜNEN haben sich an der ganzen Diskussion überhaupt nicht beteiligt.
30 Stunden haben wir mit dem Verkehrsministerium, mit dem Landwirtschaftsministerium und mit dem Finanzministerium verhandelt. Wir haben dabei für die Waldbesitzer und damit für die Waldregionen etwas herausgeschlagen, was wirklich Hilfe bringt.
Sie hatten sich in der Zwischenzeit verabschiedet, und jetzt kommen Sie mit Schaufensteranträgen und meinen, damit könnten Sie den deutschen Wald retten. Sie hätten sich an der soliden Arbeit am Forstschädenausgleichsgesetz beteiligen sollen. Dazu sind Sie nicht fähig; das müssen Sie erst einmal lernen.
Meine Damen und Herren, es ist 10 Uhr. Ich bitte Sie herzlich, daß wir hier zum Ende kommen. Der Redner hat seinen Beitrag beendet. Es gibt keine Zwischenfragen mehr. Nächster Redner ist der Abgeordnete Pfuhl.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 159. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. September 1985 11973
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bedaure außerordentlich,
daß man eine so wichtige Frage, welche die Existenz unserer Wälder betrifft, bei einem solchen Klamauk verhandeln muß.
Lassen Sie mich zur Sache kommen. Wenn wir von Schutzwaldsanierung sprechen, dann ist das Thema Waldsterben auf dem Tisch. Das haben wir gemerkt. Wir sollten uns alle gemeinsam bemühen, in aller Sachlichkeit zu beraten, weil wir nur so sachliche Lösungen finden werden.
Das Thema ist alt. Die Bundesregierung hat bisher nach unserer Auffassung nicht genügend getan, um dieses Problem in den Griff zu bekommen.
— Sie werfen uns immer dieselbe Leier vor. Es ist von Ihrer Seite immer dieselbe Leier, daß Sie uns das vorwerfen.
Die Situation des Bergwaldes wird, wie wir gehört haben, Beratungsgegenstand der Tagung der internationalen Alpenschutzkommission an diesem Wochenende sein. Wir wissen, daß schon seit langer Zeit die Vertreter dieser Institution Sofortmaßnahmen zum Schutze des Bergwaldes suchen, da bereits Anzeichen einer „Schreckensvision" erkennbar sind. Wer den Artikel der „Süddeutschen Zeitung" über die Situation des Brenners gelesen hat, kann das erkennen. Auch in Vorarlberg in Osterreich ist dieses Thema auf der Tagesordnung. Dort sollen, wie ich in den letzten Tagen gelesen habe, von 100 Bäumen 93 erkrankt sein. Mir bleibt zu wenig Zeit, um den Forderungskatalog der CIPRA vorzulegen. Für die Verantwortlichen hier wäre es sicher hilfreich, wenn sie ihn einmal genauer studierten.
Freilich, meine Damen und Herren von der Regierung, wird man sehr oft als Panikmacher abgetan, wenn man Ihnen die Sorgen der Menschen oder der Organisationen im Lande vorstellt. Hier geht es nicht um Panikmache, sondern um das Erkennen und die Lösung der Probleme.
Wahrscheinlich können Sie den Forstleuten in den Alpen nicht den Vorwurf machen, daß sie Panikmache betreiben. Die Ergebnisse und die Ereignisse im Alpengebiet müßten Sie eigentlich aufgeschreckt haben, die Sichtbarmachung dessen, was die Schutzfunktion der Bergwälder eigentlich bedeutet. Sie hätten davon aufgeschreckt werden müssen, daß heute schon ganze Dörfer und Landstriche durch Hochwasser, Erdrutsche, Lawinen und Trinkwasserprobleme bedroht sind. Das uns allen am Herzen liegende herrliche Alpengebiet, ein Wirtschafts- und Erholungsgebiet, die Heimat vieler Menschen, ist in Gefahr.
Angesichts des offensichtlich völlig unzureichenden Kenntnisstandes hier muß man annehmen, daß die Informationen über den Zustand der Bergwälder noch nicht bis Bonn durchgedrungen sind.
Es gibt doch genügend staatliche und private Einrichtungen, die ihre Sorgen darüber vorgetragen haben und vortragen. Wir sollten uns gemeinsam bemühen, hier Vorsorge zu treffen, denn je später wir beginnen, desto größer werden die Schäden und auch die Kosten sein, die wir später zum Abstellen brauchen.
Der vorliegende Antrag der GRÜNEN zur Schutzwaldsanierung greift nach unserer Meinung zu kurz. Dieser Antrag sieht die eigentlichen Ursachen des Waldsterbens nicht genügend.
Wenn die Ursachen nicht beseitigt werden, ist ein Anpflanzen schnell wachsender Pionierpflanzen nach der Partsch-Methode ebensowenig sinnvoll wie die Angst vor dem Wildverbiß, den es in fünfzehn Jahren vielleicht gar nicht gibt, weil es nichts mehr zum Verbeißen gibt.
Deswegen stimmen wir dem Vorschlag des Altestenrates zu, den Antrag an die Ausschüsse zu überweisen, damit er dort mit Nüchternheit, Sachlichkeit und dem notwendigen Ernst behandelt werden kann.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Brunner.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die GRÜNEN rennen mit ihrem Antrag auf Erstellung eines Notprogramms zur Schutzwaldsanierung in der Alpenregion wieder einmal offene Türen ein. Ihre Veranstaltung vorhin zu diesem Thema macht auch noch andere Erregungen oder sonstige Dinge offenbar.Sowohl die Bundesregierung als auch insbesondere die Bayerische Staatsregierung sind über die Situation der Schutz- und Bannwaldfunktionen durch eingehende Untersuchungen voll im Bilde.Mit dieser Feststellung möchte ich gleichzeitig darauf verweisen, daß die notwendigen Maßnahmen nicht erst heute, sondern schon längst eingeleitet sind. Dieses Thema ist auch wirklich zu ernst, um es etwa zu Auseinandersetzungen über die Rezeptur zur Aufrechterhaltung wichtiger Funktionen zu benutzen. Dazu ist die praktische Tat gefordert, und die geschieht auch.Waldgesetz und Waldinventur sind wichtige Voraussetzungen, um die intensiven Bemühungen zum Erhalt und zur Rekultivierung unserer Wälder in den Bergregionen fortzusetzen.In dem Antrag der CSU-Fraktion im Bayerischen Landtag vom 28. Januar 1985 Nr. 939 unter Feder-
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11974 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 159. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. September 1985
Brunnerführung des Landtagsabgeordneten Dr. Alois Glück wurden die Maßnahmen zur Rekultivierung deutlich gemacht und vom Landtag übernommen. Der Verwaltungsbericht 1985 des Bayerischen Staatsministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten hält u. a. folgendes fest — ich darf zitieren —:Das besorgniserregende Ausmaß der Waldschäden in Bayern hat in der Öffentlichkeit das Verständnis für die Belange des Waldes und die Sorge um die Walderhaltung verstärkt.Dies war nicht zuletzt auch der Anlaß für die Änderung der bayerischen Verfassung zum 1. Juli 1984, die nunmehr den „Schutz des Waldes wegen seiner besonderen Bedeutung für den Naturhaushalt" ausdrücklich hervorhebt.Noch stärker als zuvor sind deshalb alle zuständigen Stellen verpflichtet, ihren Beitrag zum Schutz und zur Erhaltung des Waldes zu leisten.Und zum Bannwald darf ich weiter zitieren:Eines der wesentlichsten gesetzlichen Instrumente zur Walderhaltung in den Verdichtungsräumen und in waldarmen Bereichen ist die Schaffung von Bannwald. Die zuständigen Behörden wurden deshalb bereits vor der Verfassungsänderung vom Bayerischen Staatsministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten aufgefordert, für einen zügigen Erlaß der Bannwaldverordnungen Sorge zu tragen.Landesweit wurden im Jahre 1984 sechs Bannwaldverordnungen neu erlassen. Die zu Bannwald erklärte Fläche ist damit auf nahezu 23 000 ha angewachsen.Ein weiterer Schwerpunkt der Forstpolitik lag im Jahre 1984 in der Einleitung von Maßnahmen zu einem verstärkten Schutz des Bergwaldes.
Keine Zwischenfrage, wenn ich es richtig bemerkt habe.
Ich fahre fort:
Auf der Grundlage zweier hierzu ergangener Beschlüsse des Bayerischen Landtages vom 5. Juni 1984 wurden die seit Jahren unternommenen Anstrengungen der Staatsforstverwaltung zu einem verbesserten Schutz der Wälder im bayerischen Hoch- und Mittelgebirge mit neuen Impulsen belebt. „Die Erhaltung der Schutzwirkung des Bergwaldes" wurde dabei als oberstes Gebot erneut herausgestellt. Dies erfordert
— eine waldbauliche Behandlung der Bergwälder, die so naturnah wie möglich ist,
— verstärkte Initiativen zur Trennung von Wald und Weide wie beispielsweise die Anhebung der Ablösungsbeträge für Weiderechte im Jahre 1984,
— eine Reihe jagdlicher Maßnahmen mit dem Ziel, tragbare Schalenwilddichten zu erreichen und somit die im Bergwald vorkommenden Hauptbaumarten, insbesondere Tannen und Laubholz, auch außerhalb von Schutzzäunen verjüngen zu können,
— einen grundsätzlichen Verzicht auf die Rodung von Bergwald für Freizeiteinrichtungen und Infrastrukturmaßnahmen.
In der heutigen Kurzdebatte ist es sicherlich nicht möglich, über Einzelfragen auch nur annähernd zu diskutieren. Gewiß ist die Tatsache, daß auch hier sowohl das Land Bayern als auch die Bundesregierung in besonderer Weise durch konsequentes Handeln im Umweltbereich ernsthaft und gezielt den Erhalt von Natur und Kulturlandschaft angehen. Aufgerufen zur Mithilfe sind alle unsere Mitbürger, die sich diese Regionen z. B. als Erholungsgebiet alljährlich aussuchen. Die Sozialpflichtigkeit von Wald und Natur haben zum großen Teil die Landwirte zu tragen.
Daher meine mahnende Bitte, daß wir alle darauf bedacht sind, Mensch, Natur und Kreatur in einem ausgewogenen Verhältnis zueinander zu halten.
Im übrigen darf ich zum Schluß im Namen der CDU/CSU-Fraktion die Überweisung an den federführenden Ausschuß und an die beratenden Ausschüsse beantragen.
Nun hat das Wort der Herr Abgeordnete Werner.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Rumpf, Sie haben uns eben erzählt, daß das Forstschädenausgleichsgesetz den Wald retten oder ihm helfen könne. Ich muß sagen: Das dürfte doch ein Fehler von Ihnen als Forstmann sein. Das Forstschädenausgleichsgesetz — ich habe hier schon einmal eine Rede darüber gehalten — hat nichts damit zu tur daß die sterbenden Wälder gerettet werden, sondern es hat etwas damit zu tun, daß die Waldbesitzer möglicherweise einen Ausgleich dafür bekommen, wenn Schadholz in zu großen Mengen anfällt. Nur dies wird geregelt, aber das Gesetz hat nichts damit zu tun, den Wald in den Alpen zu retten.
Mein Kollege Schulte hat bereits auf die besondere Situation der Alpenländer und die Hauptgefahr der Luftverschmutzung hingewiesen. Im Mittelpunkt unseres Antrages stehen deshalb die Bepflanzung von Anlichtungen mit Pionierpflanzen sowie Neuaufforstung. Dabei möchte ich nochmal betonen, daß diese Notmaßnahmen nur dann einen Sinn haben können, wenn vorher oder gleichzeitig an eine drastische Verminderung der Luftschad-
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Werner
Stoffe gegangen wird. Die jetzige Bundesregierung scheint dazu unfähig zu sein.Unser Antrag Alpennotprogramm darf deshalb gewissermaßen als flankierende Maßnahme nur im Zusammenhang mit den anderen zahlreichen Anträgen gesehen werden, die DIE GRÜNEN zur schnellstmöglichen und wirkungsvollsten Verminderung der Immissionen hier schon eingebracht haben. Wir wollen die Förster in den Berglagen nicht in eine sinnlose, verzweifelte Aufforstungshektik treiben. Aber es muß beides getan werden: Die Luftverschmutzung sofort drosseln und die gefährdeten Lagen aufforsten!
Der Vor- und Unterbau von Forstpflanzen in den aufgelichteten Steilhangwäldern soll den nachfolgenden Waldgenerationen eine größere Überlebenschance geben. Er verschafft dem Schutzwald eine Verzögerung des Ausfalls bis zu dem Zeitpunkt, an dem die Immissionsbelastung unter die für die Waldbäume verträgliche Immissionsgrenze sinken wird, was beim Versagen dieser Bundesregierung leider nicht so bald zu erwarten ist.Ich möchte hierzu nicht aus der Zeitung vorlesen, aber mitteilen, daß heute in der Süddeutschen Zeitung unter dem 26.9. von einem Dorf Christen im Kanton Uri in der Schweiz berichtet wird, aus dem noch vor dem Winter 70 Menschen evakuiert werden müssen, weil das Waldsterben dort so weit fortgeschritten ist, daß mit Lawinen zu rechnen ist. Weiter wird berichtet, daß bei einem Ausfall von nur 10 % des Alpenwaldes in der Schweiz ein Kostenaufwand von 25 Milliarden Schweizer Franken anfallen würde, um den Schaden auszugleichen.
Wenn wir nicht gleichzeitig aufforsteten, wäre zu befürchten, daß manche empfindlichen Baumarten wie z. B. die Tanne bald an den Rand des Aussterbens gerieten. Außerdem würden die ökologischen und die ökonomischen Schadfolgen des Waldsterbens in Steillagen wesentlich gravierender ausfallen. Das ist auch der Bundesregierung bekannt, wie die Antwort auf die Kleine Anfrage der GRÜNEN vom 20. Dezember 1984 zeigt. Dort sagt die Bundesregierung selbst, daß allein für technische Lawinenverbauung nach Ausfall des Schutzwaldes pro Hektar rund 1 Million DM an Kosten anfallen!An anderer Stelle in Ihrer Antwort weist sie auf die „vielfältigen Untersuchungsergebnisse und praktischen Erfahrungen aus dem In- und Ausland" hin, die sich mit der Gefährdung der Bergwälder beschäftigen.Da stellt sich doch jedem die Frage: Wenn Sie über alle nötigen Kenntnisse verfügen, warum handeln Sie dann nicht endlich? Wann packen Sie endlich die dringend nötigen Maßnahmen an, die von der breiten Öffentlichkeit akzeptiert und unterstützt würden?
Meine Damen und Herren, die Unfähigkeit der derzeit noch amtierenden Bundesregierung zeigtsich auch bei einer anderen Gefährdung der Wälder, die wir in unserem Antrag behandeln. Besonders die jetzt überlebenswichtige junge Waldgeneration bei Naturverjüngung und Neuanpflanzungen wird durch überhöhte Schalenwildbestände gefährdet. Insbesondere wieder in Steillagen ist die Wilddichte wegen der Unzugänglichkeit und der dort geringen Störungen des Wildes durch Touristen, Wanderer und dergleichen sehr hoch und führt zu starken Ausfällen beim Jungwuchs. In den österreichischen Alpen — um nur eine Zahl zu nennen — belaufen sich die Schätzungen auf einen Betrag von 110 Millionen DM jährlich, und das ist nur die Untergrenze der Schätzung. In manchen Bereichen der bayerischen Alpen, z. B. im Karwendel, sind die Wildschäden schlimmer als die Immissionsschäden. Hier muß schnell etwas geschehen. Wir haben zur Reduzierung des Wildbestandes auf ein ökologisch vertretbares Maß auch bereits Vorschläge gemacht.
Würden Sie bitte zum Schluß Ihrer Rede kommen. Ihre Redezeit ist abgelaufen.
Ich muß also meine Rede hiermit kürzen.
Nein, Sie müssen nicht kürzen, Sie müssen, bitte, den Schlußsatz sagen.
Ja, ich sage den Schlußsatz.
Da wir in unserem Antrag auch konkrete Finanzierungsvorschläge genannt haben, müßte er, so meine ich, eigentlich von allen Fraktionen des Hauses Unterstützung finden, wenn ihnen an der Erhaltung der Alpenwälder gelegen ist. Wir müssen unserer Verantwortung für die Zukunft nachkommen.
Schönen Dank.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.Den Überweisungsvorschlag des Ältestenrates entnehmen Sie der Tagesordnung. Erhebt sich dagegen Widerspruch? — Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen.Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 12 auf:Erste -Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Änderung besoldungsrechtlicher Vorschriften— Drucksache 10/3789 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:Innenausschuß
Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit VerteidigungsausschußHaushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GODer Ältestenrat hat auch für diese Aussprache einen Beitrag bis zu fünf Minuten für jede Fraktion vereinbart. — Auch dagegen erhebt sich kein Widerspruch.
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11976 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 159. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. September 1985
Vizepräsident Frau RengerDas Wort zur Begründung hat der Parlamentarische Staatssekretär Spranger.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der öffentliche Dienst hat in den letzten Jahren durch Einsparungsmaßnahmen wichtige Beiträge zur Haushaltskonsolidierung geleistet.
— Ich gehe davon aus, daß Sie in den nächsten fünf Minuten schon mitbekommen werden, über was ich gesprochen habe, Herr Kollege Schäfer.
— Wenn Sie aufgepaßt hätten, hätten Sie schon nach dem ersten Satz nicht dazwischengerufen, sondern Beifall gegeben.
Maßvolle Tarifabschlüsse und noch zurückhaltendere Besoldungsanpassungen, verbunden mit Struktureingriffen und Stellenreduzierungen, kennzeichneten die Lage des öffentlichen Dienstes. Diese Maßnahmen wirken größtenteils fort. Sie tragen damit nachhaltig zur weiteren Stärkung der wirtschaftlichen Aufwärtsentwicklung bei. Die Bundesregierung dankt den Mitarbeitern des öffentlichen Dienstes für ihre verständnisvolle und vorbildliche Haltung, die sie in einer kritischen Situation unseres Staates bewiesen haben.
Wegen dieser Sparmaßnahmen mußten Strukturverbesserungen in der Besoldung zwangsläufig zurückgestellt werden. Die Bundesregierung hält jetzt aber den Zeitpunkt für gekommen, einen ersten Schritt auf dem Wege zu dringend notwendigen Strukturregelungen zu tun.Der dem Bundestag vorliegende Gesetzentwurf sieht erstmals seit mehr als fünf Jahren wieder Besoldungsverbesserungen vor, und zwar für diejenigen Bereiche, in denen Verbesserungen besonders notwendig sind; hier gilt es, Härten abzumildern.Den Schwerpunkt bildet die Verbesserung der Besoldungssituation im einfachen Dienst und für Familien mit mehreren Kindern. Im einzelnen handelt es sich um eine Hebung des Eingangsamtes des einfachen Dienstes und eine Anhebung der sogenannten Harmonisierungszulage auf die Höhe der Zulage für den mittleren Dienst. Durch Vereinheitlichung der Kinderanteile des Ortszuschlags auf den Betrag von 111,88 DM monatlich für das erste Kind ergeben sich besonders für Familien mit drei oder mehr Kindern deutlichere Entlastungen.
Damit wird die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahre 1977 berücksichtigt.Der Gesetzentwurf enthält ferner Verbesserungen und Klarstellungen im Bereich der Auslandsbesoldung — ich nenne hier die Stichworte Kaufkraftausgleich, Auslandskinderzuschlag, Mietzuschuß, Bezüge bei Abordnung in das Ausland — und eine Neuregelung der Fliegerstellenzulage; einige dieser Maßnahmen sind durch die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts veranlaßt.
Es besteht Konsens zwischen den Ländern und dem Bund über die Zielrichtung des Gesetzentwurfes. Ich stelle diese Übereinstimmung, Herr Kollege Schäfer, mit Genugtuung fest, weil sie eine gute Grundlage für die weitere parlamentarische Beratung des Vorhabens ist. Insofern kommen Sie heute abend auch noch ein paarmal ins stenographische Protokoll, nachdem ich nicht annehme, daß Sie noch reden werden.Der Bundesregierung ist bewußt, daß sich die vorgesehenen Verbesserungen in Grenzen halten und bei weitem nicht alle Erwartungen erfüllen. Bei den gegenwärtigen finanziellen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen können nicht sogleich sämtliche Besoldungsstrukturprobleme auf einen Schlag gelöst werden. Nur was in dieser Legislaturperiode eine begründete Realisierungsaussicht hat, kann hier aufgegriffen werden. Immerhin, wenn man zusammenrechnet, kommen beim Bund — ohne Post und ohne Bahn — Mehrkosten in Höhe von 57 Millionen DM für 1986 zusammen. In den Ausschußberatungen wird Gelegenheit sein, die Strukturprobleme des Besoldungsrechts zu erläutern.Der Bundesrat hat im ersten Durchgang einige ergänzende Regelungen vorgeschlagen, denen die Bundesregierung in ihren Gegenäußerungen zugestimmt hat. Mit dem Vorschlag für den einfachen Justizwachtmeisterdienst ein neues Spitzenamt, die Besoldungsgruppe A 5 mit Amtszulage, einzurichten, hält sich der Bundesrat an die Grundlage des Gesetzentwurfs.Die sachgerechte Weiterentwicklung des Besoldungsrechts kann sich nicht in einem einmaligen Schritt erschöpfen. Die Aufgaben und Anforderungsstrukturen in einer so großen und vielschichtigen Organisation, wie sie der öffentliche Dienst darstellt, unterliegen einem ständigen Wandel. Der Besoldungspolitik obliegt es, diese Veränderungen zu erkennen und immer wieder ihre Auswirkungen auf das Bewertungsgefüge des Bezahlungssystems zu prüfen. Dieser Daueraufgabe werden wir uns in Zukunft stärker zu widmen haben, im Gleichklang mit der weiteren Festigung der wirtschaftlichen Aufwärtsentwicklung und den entsprechenden finanziellen Rahmenbedingungen. Dabei ist nach meiner Auffassung anzustreben, daß wir in gemeinsamer Anstrengung von den seit längerem in den Vordergrund getretenen punktuellen Problemlösungen weg zu mehr Ausgewogenheit im Gesamtsystem kommen.Lassen Sie mich abschließend den Wunsch nach einer zügigen Verabschiedung des vorliegenden Gesetzentwurfes äußern, damit — wie von der Bundesregierung und den Koalitionsfraktionen vorgesehen — die Verbesserungen zum 1. Januar 1986 in Kraft treten können.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 159. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. September 1985 11977
Meine Damen und Herren, ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Bernrath.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich will nicht zu den einzelnen Positionen des Gesetzentwurfs Stellung nehmen.Das erklärte Ziel des Entwurfs war es, jedenfalls wenn man sich die Verlautbarungen der letzten Zeit noch einmal vor Augen hält, die niedrigen Einkommen, im einfachen Dienst insbesondere, aus der Nähe der Sozialhilfe zu bringen. Dieses Ziel ist nicht erreicht. Sie bringen ein besonders günstiges Beispiel. Nach wie vor liegen die Einkommen im einfachen Dienst, vor allen Dingen bis zur Besoldungsgruppe A 4, unter den Sozialhilfesätzen, wenn man nicht Sonderfälle konstruiert; ich sage das noch einmal ausdrücklich.Im übrigen kommt das auch alles sehr spät. Es war den Leuten für 1985 versprochen worden; siehe die Erklärungen von Herrn Miltner Anfang des Jahres. Jetzt wird es unzureichend und sehr spät, nämlich erst zum 1. Januar 1986, in Kraft gesetzt. Auch die Nachteile der Nullrunden, die Sie soeben erwähnten, der vielen Nullrunden, werden nicht ausgeglichen.Wir müssen auch einen merkwürdigen Gegensatz zwischen den Erklärungen und dem Handeln konstatieren. Denn nach wie vor — und das ist bedauerlich — geht die Haushaltssanierung in den Einzelplänen zu Lasten der kleinen Einkommen des öffentlichen Dienstes. Auf der anderen Seite gibt es großzügige Geldverschwendung auch im öffentlichen Dienst.
Denken wir etwa an die Regelungen für die Offiziere. Sie werden damit j a noch Ihren Spaß bekommen. Denken wir auch an die neuen Steuererleichterungen und Abschreibungssätze für Unternehmen und an Subventionen in ganz bestimmten Bereichen, wo ganz andere Einkommen erzielt werden als im öffentlichen Dienst.
Aber das hat eine Ursache, nämlich die Ursache, daß Sie kein Konzept haben für die nötigen Anpassungen, vor allen Dingen im einfachen und mittleren Dienst, also da, wo die kleinen Einkommen sind. Das trifft insbesondere für Bahn und Post sowie für die Kommunen zu. Damit nun nicht immer nur und unzureichend repariert wird, sind, meinen wir, Zielsetzungen erforderlich. Ich führe einige stichwortartig auf.Zum einen ist es der Einbau der ruhegehaltsfähigen Zulagen des einfachen und mittleren Dienstes in die Grundgehälter. Dazu liegt ein Vorschlag des Bundesrats vor. Das ist das einzig Richtige, um diesen Beamten kalkulierbar bessere Einkommen zu vermitteln.Nachgedacht und schnell gehandelt werden muß bei den Eingangsbesoldungen. Die Anhebung der Grundgehälter im einfachen Dienst im Zusammenhang mit der Verbesserung der Eingangsbesoldungdurch eine Neustrukturierung der Grundgehaltstabelle ist meines Erachtens nicht aufschiebbar.Auch sollten wir darüber nachdenken, ob wir unter dem Aufgabenwandel, den wir für das Personal dort seit Jahren erkennen, ein neues Spitzenamt besonders für den einfachen Dienst einführen.Insbesondere sollten wir uns überlegen, ob wir nicht diesen Bereich des öffentlichen Dienstes zwischen den Besoldungsgruppen A 4 und A 6 neu spannen. Dann könnte für den mittleren Dienst die Besoldungsgruppe A 5 als Eingangsamt entfallen. Das ist im übrigen kein neuer Vorschlag. Er ist auch bei Ihnen schon Ende der 70er Jahre erörtert worden. Damit würden auch alle Sonderprobleme, wie etwa das der Justizwachtmeister, geregelt, und zwar so, daß es keine Präjudizierung für einen kleinen Teil gibt, sondern dieser Bereich des öffentlichen Dienstes insgesamt in vernünftige und auf Dauer kalkulierbare Einkommen gebracht werden kann.Aber dieses Konzept liegt nicht vor. Wir stellen darum einige zusätzliche Fragen.Wie wollen Sie mit dem neuen Gesetzentwurf in den verschiedensten Laufbahnen, auch in den unteren Laufbahnen, den auch dort vorhandenen Beförderungsstau abbauen? Wollen Sie das wirklich nur für einige wenige Offiziere machen?Wie steht die Bundesregierung zur Arbeitszeitverkürzung, besonders zur Vorruhestandsregelung im öffentlichen Dienst?
Wir haben dieser Tage gelesen, daß der Innenminister sagt, er habe keinen Spielraum. Die CDU insgesamt sagt nein. Die FDP spricht sich heute noch — Herr Hirsch hat sich geäußert — dafür aus. Keiner weiß, was die Koalition will. Die Dummen werden die Beamten sein.Und wir fragen ausdrücklich auch danach, wann unserer Forderung nach Senkung der Antragsaltersgrenze vom 63. auf das 62. Lebensjahr entsprochen wird. Hier ergehen Sie sich ebenfalls in Ankündigungen, aber auch in Widersprüchen. Sie weisen auf die Kosten hin. Sie lassen aber offen, ob überhaupt und wann Sie es machen wollen.Schließlich frage ich noch mal, welche Maßnahmen Sie gerade unter dem geringeren Angebot an Arbeitsplätzen im Bereich des öffentlichen Dienstes zur sozialen Absicherung der Beamtenanwärter endlich treffen wollen.Zu den Überstunden will ich mich hier, weil die Zeit schon abgelaufen ist, nicht äußern. Sie prüfen mal wieder. Aber Sie werden nichts verändern. Wir haben das gestern auch den Worten des Staatssekretärs Kroppenstedt im Innenausschuß entnommen.Sie sagen dem öffentlichen Dienst Dank. Auch wir. Aber wenn Sie die Leistungsfähigkeit erhalten wollen, dürfen Sie nicht beim Dank bleiben. Sie müssen versuchen, den öffentlichen Dienst zu befä-
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11978 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 159. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. September 1985
Bernrathhigen, mit den Zukunftsaufgaben fertigzuwerden, und ihn für die Bewältigung dieser Aufgaben anständig bezahlen.Danke schön.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Regenspurger.
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren!
— Ich bin offensichtlich in einer Nachhilfestunde. Ich glaube aber, gnädige Frau Kollegin:
„Frau Präsident" ist hier eine durchaus gängige Anrede. Ich glaube, daß ich damit nicht falsch gelegen habe.
— Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich bin jetzt nicht hier, um über diese Frage zu diskutieren.Wir haben heute einen Entwurf vor uns, der die Besoldungsstruktur besonders verändert. Denn zum erstenmal nach Jahren ständiger schleichender Besoldungsverschlechterung wird jetzt der systematische Versuch unternommen, die in den Zeiten der SPD-geführten Bundesregierung eingetretenen Verzerrungen im Besoldungsgefüge wirksam zu korrigieren.
Von diesen Verzerrungen ist keine Laufbahn so sehr getroffen worden wie die des einfachen Dienstes. Niemand kann ernsthaft bestreiten, daß die früheren linearen Erhöhungen der Besoldung zum Teil noch nicht einmal die Kaufkraftverluste durch die fortwährend vorausschreitende Inflation ausgeglichen haben.
Diesen Weg ins gesellschaftspolitische Abseits haben die CDU/CSU-geführte Bundesregierung und die sie tragenden Koalitionsfraktionen gestoppt, nicht zuletzt durch die wiedergewonnene Preisstabilität. Aber wissen Sie, von Preisstabilität, Wirtschaftswachstum und solchen Dingen verstehen Sie sowieso nichts. Da mache ich auch gar nicht den Versuch, Ihnen das zu erläutern.
Meine Damen und Herren, lieber Kollege Bernrath, gerade diese wiedergewonnene Preisstabilitätkommt natürlich dem sogenannten kleinen Mann besonders zugute.Meine Fraktion begrüßt den von der Bundesregierung vorgelegten Entwurf nachdrücklich und hält es für richtig, daß er vor allem die Besoldung der Beamten des einfachen Dienstes verbessert, die kinderbezogenen Anteile im Ortszuschlag vereinheitlicht und Korrekturen in der Auslandsbesoldung vorsieht. Die Koalitionsfraktionen werden dennoch im Innenausschuß anregen, den Entwurf in einigen Punkten noch zu verbessern bzw. zu ergänzen.Durch die kürzlich erfolgte Anhebung der Sozialhilfeleistungen um durchschnittlich 8 % sind einige der Besoldungsverbesserungen, die der vorliegende Entwurf noch enthält, sozusagen überrollt worden. Deshalb ist nicht auszuschließen, daß unter bestimmten Umständen die Besoldung von Beamten des einfachen Dienstes in die Nähe der Sozialhilfe oder sogar darunter geraten kann. Dieser Zustand ist ohne jeden Zweifel inakzeptabel. Wir werden deshalb in den Ausschußberatungen eine Lösung vorschlagen, die dieses Problem beseitigt. Wo es nötig ist, muß der Ortszuschlag erhöht werden.Auch ein anderes Problem wollen wir in den Ausschußberatungen lösen. Durch Änderung der Reichsversicherungsordnung sind die Anspruchsvoraussetzungen für eine Rente wegen Erwerbs- und Berufsunfähigkeit verschärft worden. Das hat für Beamte, die relativ spät in das Beamtenverhältnis berufen worden sind, ganz erhebliche und nicht vertretbare Nachteile geschaffen. Hierfür werden wir eine Lösung finden müssen.
— Wenigstens haben wir das gemerkt, Sie merken ja sowieso nichts.
Meine Damen und Herren, die Bundsregierung hat sich im Gegensatz zur früheren Bundesregierung entschlossen, die Antragsaltersgrenze von 63 wieder auf 62 Jahre herabzusetzen. Herr Kollege Bernrath, wenn Sie das beklagen, darf ich daran erinnern, daß Sie in der Zeit, als Sie in der Regierung waren, alle Anträge, die die damalige Opposition gestellt hatte, abgelehnt haben. Ich glaube, was jetzt gemacht wird, ist ein erster Schritt in die richtige Richtung.Der Herr Bundesminister des Innern hat aus gesetzesökonomischen Gründen vorgeschlagen,
die Absenkung der Antragsaltersgrenze mit dem vorliegenden Gesetzentwurf zu verbinden. Die Koalitionsfraktionen werden diesem Vorschlag gern folgen und dem Innenausschuß eine entsprechende Änderung des Bundesbeamtengesetzes vorschlagen. Außer der Angleichung an das Recht der Beamten in den Ländern und Gemeinden wird auch
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 159. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. September 1985 11979
Regenspurgerdadurch — so bleibt zu hoffen — ein positiver Effekt für den Arbeitsmarkt eintreten.Meine Damen und Herren, die von der Bundsregierung vorgeschlagenen Besoldungsverbesserungen und die von den Koalitionsfraktionen für die Ausschußberatungen vorgesehenen Ergänzungen können sich als erste Schritte in die richtige Richtung sehen lassen. Auch die Anregungen des Bundesrats, insbesondere für den Justizvollzugsdienst, werden wir übernehmen.Zusammen ergibt sich daraus ein Bündel von Maßnahmen, das sichtbar macht: Diese Bundesregierung und die sie tragenden Fraktionen wissen, was sie den Beamten schulden. Wir lassen die, die unsere hier beschlossenen Gesetze ausführen, nicht im Stich; wir halten Wort.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Ströbele.
Frau Präsidentin! Lieber Kollege Hirsch von der FDP und noch ein weiterer Kollege von der FDP! Liebe sechs Kollegen von der CDU/CSU! Liebe drei Kollegen von der SPD!
Liebe elf Kollegen von den GRÜNEN!
Als ich mir die Tagesordnung für die heutige Nacht — das muß man jetzt schon sagen — angesehen und mich mit den besoldungsrechtlichen Vorschriften auseinandergesetzt habe, mit Hilfe — —
Herr Abgeordneter, erlauben Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Hürland?
Aber sicher.
Haben Sie etwas dagegen, daß wir die Zählung demnächst freitags mittags um 12 Uhr durchführen? Sie würde dann ganz anders aussehen, als sie zufällig heute abend zu Ihren Gunsten ausfällt?
Ich bin immer dafür, hier zu zählen, Frau Kollegin.
Das geht alles von Ihrer Zeit ab, Herr Kollege Ströbele, Sie haben fünf Minuten.
Herr Kollege Schäfer, Sie sprechen die Volkszählung an.
Hier geht es um 50 Millionen, und bei der Volkszählung geht es um eine Milliarde. Das ist ein Unterschied. Der wesentliche Unterschied zwischen der
Zählung hier und der Volkszählung ist der, daß wir alle von der Bevölkerung hierher gewählt worden sind, auch die 500 anderen, die jetzt nicht da sind, um hier miteinander zu diskutieren, politische Entscheidungen herbeizuführen, in der Öffentlichkeit zu stehen und in der Öffentlichkeit zu dem zu stehen, was hier gesagt wird. Die Bevölkerung hat ganz andere Aufgaben und Rechte. Das Geheimnis eines Abgeordneten ist ein völlig anderes Geheimnis als das Geheimnis des Bürgers in der Stadt.
Das Geheimnis ist, Herr Kollege, daß Sie jetzt zur Sache reden sollten.
Frau Präsidentin, ich komme zur Sache.
Ich habe mir vor diesem Tagesordnungspunkt Gedanken gemacht: Wie kommt diese Regierung dazu, einen Gesetzentwurf vorzulegen, in dem für einzelne Beamte ganz offenbar unter dem Strich ein paar Mark herauskommen? Da habe ich mir gedacht, daß kann doch nicht diese Regierung sein, von der wir ganz anderes gewöhnt sind; es muß doch etwas anderes dahinterstecken. Dann habe ich mich mit den Vertretern der Beamten, die sich in diesen Sachen besser auskennen als ich, in Verbindung gesetzt und mich schlaumachen lassen. Dabei ist folgendes herausgekommen.In diesem Gesetz wird als erstes eine sogenannte Harmonisierungszulage versprochen. Harmonisierungszulage — da fragt man sich: Was soll das? Was soll da harmonisiert werden? Harmonisiert werden sollen hier offenbar die Gehälter der Staatssekretäre und der Beamten des einfachen Dienstes.
Wenn ich mir das mal genau angucke, was dabei herauskommt, übersetze ich mir das Wort Harmonisierung. Da ist eigentlich geplant, die Gehälter, die Einkommen der Beamten in den verschiedenen Stufen anzugleichen. Es gibt ja so ein Idealbild, daß Beamte nicht etwa nach dem bezahlt werden, was sie leisten, sondern in erster Linie nach dem alimentiert werden — so heißt das ja —, was sie für ihren Lebensunterhalt in der Stellung brauchen, in der sie als Beamte tätig sind.Das ist dem Gesetzgeber und der Bundesregierung offenbar aufgefallen, daß es Unterschiede zwischen dem Herrn Staatssekretär und dem Beamten des einfachen Dienstes gibt. Da haben sie nun fürchterlich zugelangt. Dabei herausgekommen ist folgendes: Während in der Bundesrepublik der Beamte des einfachen Dienstes mit einem Nettoeinkommen von sage und schreibe — ein Schaffner bespielsweise — heute um 1 300 DM erhält — was ein Staatssekretär verdient, will ich hier jetzt nicht erwähnen; das wissen Sie besser als ich —, soll er künftig nach der Harmonisierung, d. h. nach der Angleichung an die Gehälter der höheren Beamten,
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11980 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 159. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. September 1985
Ströbelesage und schreibe 27 DM dazuverdinen. Das ist die erste sensationelle Neuerung.
Die zweite Neuerung, die hier vorgesehen ist, ist der Wegfall der Besoldungsgruppe A 1. Da habe ich mir sagen lassen, daß in den großen Städten das nur ganz minimale Auswirkungen haben kann, weil es hier nur noch ganz wenige Beamte gibt, die in diese Besoldungsgruppe fallen, daß es aber durchaus in der Bundesrepublik — nicht in den großen Städten — sehr viele Beamte gibt, die in diese Besoldungsgruppe fallen: Schaffner, Weichensteller, Boten und andere.
Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist beendet.
— Nein, ich bitte um Verzeihung, wir haben fünf Minuten ausgemacht und beschlossen. Ihre Redezeit ist beendet. Sie haben diese leider mit anderen Gedanken ausgefüllt. Ihre Redezeit ist zu Ende. Kommen Sie bitte zu Ihrem letzten Satz.
Ich gehe davon aus, daß diese Augenwischerei, wie ich sie bezeichnen möchte, dazu dienen soll, die öffentliche Diskussion um die Abschaffung des Berufsbeamtentums und die gewerkschaftliche Forderung nach einem einheitlichen Dienstrecht zu unterlaufen, daß dies ein Trick ist, um diese Sache kaputtzumachen, um den Anschein zu erregen, daß diese Regierung für die kleinen Beamten genug tut.
Danke sehr.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Hirsch.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Es ist, so glaube ich, keine Veranlassung, sich darüber lustig zu machen, daß wir nachts um Viertel vor elf in dünner Besetzung ein Gesetz lesen, und das nicht etwa, nachdem wir den ganzen Tag über nichts getan hätten. Es wäre also eher Veranlassung, darüber nachzudenken, wie wir mit unserer eigenen Zeit umgehen müssen, um das zu tun, was notwendig ist, getan zu werden.
Zu dem, was notwendig ist, gehört — darum begrüßen wir diesen Gesetzentwurf —, dafür zu sorgen, daß wir im öffentlichen Dienst eine Reihe von Strukturänderungen beschließen, die gerade denen zugute kommen sollen, die sich nicht am obersten Ende der Gehaltsskala befinden, sondern am unteren Rand.
Es ist auch nicht richtig, daß sich Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes am Rande der Sozialhilfe-grenze befinden. Das wollen wir ändern. Ich kann alles wiederholen, was der Kollege Regenspurger sehr richtig dazu gesagt hat, daß nämlich ein Teil der Konsolidierungsbemühungen beim Haushalt auch zu Lasten des öffentlichen Dienstes gegangen ist und dieser auch sehen muß, daß die Währungsstabilität, die wir dafür gewonnen haben, gerade auch denen zugute kommt, die auf Einkünfte in Geld angewiesen sind.Es ist also eine Leistung, die man nicht verkennen darf.In diesem Gesetz werden nun darüber hinaus eine ganze Reihe von Bemühungen für den einfachen Dienst, für kinderreiche Familien, für Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes, die im Ausland tätig sind und in besonderer Weise unter den sich verschiebenden Währungsparitäten leiden, begonnen. Das wollen wir machen, und wir sind entschlossen, das mit großer Schnelligkeit zu tun, dieses Gesetz also nicht auf die lange Bank zu schieben, sondern uns möglichst schnell im Innenausschuß darüber zu verständigen, wie wir es unverzüglich umsetzen können.Es gibt eine Reihe von Punkten, die wir in den Beratungen verbessern wollen. Dazu gehören die Regelungen bei den Justizwachtmeistern. Da sind wir auf ein paar Unstimmigkeiten gekommen, die man revidieren muß. Dazu gehört die Regelung des Verheiratetenanteils im Ortszuschlag, die nicht dazu führen darf, daß bei Unterhaltsleistungen von einer bestimmten Höhe an die Leistungen gekappt werden.Wir wollen auch nicht, daß beim Kinderanteil — gerade bei sehr kinderreichen Familien, ab sechs Kindern — die Leistungen begrenzt werden.Wir haben noch ein paar Punkte, an die wir denken müssen: die Gleichstellung der Antragsaltersgrenze der Bundesbeamten mit derjenigen der Landesbeamten, die Gleichstellung bei der Anrechnung der Erziehungszeiten, in der in der Tat nach der jetzigen Regelung die Beamtinnen schlechtergestellt werden als alle anderen Versorgungsempfänger,
und schließlich ein Spezialproblem bei der Erwerbsunfähigkeitsrente, das wir beachten wollen.Darum ist dieses Gesetz wichtig. Es ist unter sozialen Gesichtspunkten wichtig. Es muß vor allen Dingen eine Voraussetzung erfüllen, Herr Kollege Regenspurger, die wir ja gemeinsam immer wieder betont haben, daß nämlich die Loyalität, die wir von den Beamten verlangen, und das Festhalten an den Grundsätzen des Berufsbeamtentums — da unterscheiden wir uns von Ihnen vollkommen: wir wollen und müssen am Berufsbeamtentum festhalten — nicht dazu führen darf, daß die beamteten Mitarbeiter schlechtergestellt werden als diejenigen, die tariffähig sind und in einen Streik treten können, der ja nur zum Nachteil der Bürger wäre, der nämlich auf dem Rücken der Bürger ausgetragen würde.
Um dieses Ziel zu erreichen, betrachten wir das alseinen Einstieg in eine Reihe notwendiger Regelun-
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 159. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. September 1985 11981
Dr. Hirschgen. Wir werden alles tun, um dieses Gesetz so schnell wie möglich in die Wirklichkeit umzusetzen.Vielen Dank.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Der Ältestenrat schlägt vor, den Gesetzentwurf auf Drucksache 10/3789 federführend an den Innenausschuß, mitberatend an den Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit, den Verteidigungsausschuß sowie zur Mitberatung und zur Beratung gemäß § 96 unserer Geschäftsordnung an den Haushaltsausschuß zu überweisen. Ist das Haus damit einverstanden? — Das ist der Fall. Dann ist das so beschlossen.
Meine Damen und Herren, ausweislich des Stenographischen Berichts hat der Abgeordnete Ströbele in der zweiten Beratung des Volkszählungsgesetzes erklärt:
Ich rufe die Bevölkerung auf, sich an dieser
Volksdatenerhebung nicht zu beteiligen.
— Meine Damen und Herren, seien Sie vorsichtig mit Ihrem Beifall! — Ich weise diese Äußerung mit allem Nachdruck zurück. Der frei gewählte Deutsche Bundestag trifft seine Entscheidungen nach dem demokratischen Mehrheitsprinzip. Er kann nicht zulassen, daß von dieser Stelle aus zur Nichtachtung von verfassungsgemäß zustande gekommenen Gesetzen aufgerufen wird.
Meine Damen und Herren, wir sind am Schluß unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 27. September 1985, 9 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.