Rede von
Dr.
Hermann
Scheer
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Frage der Atombewaffnung und — im hier vorliegenden Fall — der Atomtests eignet sich mit Sicherheit nicht für irgendeine Form von Paukenschlagdebatte, weil das Problem — das dürfte ja uns allen klar sein — viel zu ernst ist, als daß es einfach mit dem üblichen Schlagabtausch behandelt werden könnte.
Die Frage, die wir uns stellen müssen, ist die: Wo steht man, wenn man ein deutsch-französisches Sicherheitsbündnis für notwendig hält, wo steht man bei der Frage der französischen Atomtests, und zwar auch als einzelner? Steht man in der Situation des Anwalts der französischen Force-de-frappe-Politik oder steht man in der Position des Anwalts von Atomteststopps? Vor zehn Jahren waren die Greenpeace-Aktionen im Südpazifik Aktionen, die dazu beigetragen haben, daß seinerzeit die französische Regierung die Atomwaffenversuche in der Atmosphäre einstellt. Sie erinnern sich, daß 1963 ein Atomwaffenteststopp-Abkommen beschlossen worden ist, das die Versuche nur noch unter der Erde erlaubte. Frankreich hat dieses Abkommen nie unterzeichnet und hat Atombombenversuche in der Atmosphäre im Südpazifik durchgeführt. Und damals waren es Greenpeace-Aktionen, die dazu beigetragen haben, und zwar mehr als jedes andere, daß Frankreich sich faktisch bei seinen Atomtests auf dem Vertragsstand der anderen bewegte, d. h. nur noch Tests unter der Erde durchführte. Das heißt, Greenpeace hat dazu beigetragen, daß Frankreich faktisch, nicht vertragsmäßig, die Position einnimmt, die auch die Bundesregierung eingenommen hat. Das zeigt doch, welchen Stellenwert, welche faire Bewertung und auch welche Notwendigkeit solche Aktionen haben können. Deswegen verdienen sie meines Erachtens großen Respekt, und es ist sicherlich nicht nur bei uns, sondern auch in der französischen Öffentlichkeit ungeheuer wichtig, diese Greenpeace-Aktion von dem Engagement her, das dahinter steht, so zu bewerten, wie es eine solche Aktion verdient.
Nun ein weiterer Punkt: Wo steht in diesen Fragen die Bundesregierung? Ist es ihre Aufgabe, sich lediglich gewissermaßen zum Interpreten der franzöischen Atomwaffenpolitik zu machen, oder ist ihre Aufgabe eine weitergehende? Ich glaube, sie muß weitergehend sein, gerade von unseren Positionen her. Das haben wir in der ganzen Frage der französischen Atomwaffenrollen in den letzten Jahren vermißt. Wir haben vermißt — und das bezieht sich auch auf die Zeit vor 1982 —, daß auf die Franzosen zum Beispiel eingewirkt würde, eine aktive Rüstungskontrollpolitik auch in bezug auf Atomwaffen mit wahrzunehmen. Das hat uns doch alle sehr, sehr stark berührt, die Frage etwa der Beteiligung, der Einbeziehung, der Einberechnung, der Berücksichtigung oder was auch immer französischer Atomraketen — wie auch britischer — bei Mittelstreckenraketenverhandlungen. Frankreich ist von seiner bisherigen Position aus reserviert, dieses einbeziehen zu lassen, berücksichtigen zu lassen oder auch mitzuverhandeln. Wir müßten aber doch auf Frankreich freundschaftlich einzuwirken versuchen, damit es tatsächlich hier eine aktive Rolle übernimmt. Denn wenn ein gemeinsames Westeuropa in der Sicherheitspolitik geschaffen werden soll, dann wird das nicht mit der Sonderrolle der Force de frappe gehen, sondern nur mit einer aktiven französischen Rolle in der Rüstungskontrollpolitik, und zwar für nukleare Rüstungskontrolle und andere Dinge auch. Das ist doch das, was eigentlich an aktiver deutsch-französischer Politik von unserer Seite aus erwartet werden müßte. Denn ich glaube in der Tat, daß sich Frankreich in der atomaren Rüstungskontrollpolitik stärker auf eine gesamtwesteuropäische Verantwortung zubewegen muß, als das bisher der Fall ist, und dabei die eigene Betrachtungsweise überwinden muß.
Ein letzter Punkt; das geht genau zu dem gleichen Thema. Staatsminister Möllemann hat das angesprochen. Die Sowjetunion hat jetzt gerade vorgeschlagen — und auch die Amerikaner —, Offensivwaffen um 40 % als eine Grundlage für ein internationales Abkommen drastisch zu reduzieren. Frankreich sagt seit Jahren, wenn die Supermächte um 50 % reduzierten, dann seien sie selbst bereit, an atomaren Abrüstungsverhandlungen teilzunehmen und vielleicht auch einen vollständigen Teststopp zu verfügen.