Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Auf der Diplomatentribüne hat eine Delegation der schweizerischen Bundesversammlung Platz genommen. Ich habe die Ehre, den Präsidenten des Nationalrates, Herrn Hanspeter Fischer, und die Mitglieder der Delegation sehr herzlich zu begrüßen.
Ich freue mich, daß Sie der Einladung zu dem Besuch in der Bundesrepublik Deutschland gefolgt sind. Es erfüllt uns alle mit besonderer Genugtuung, daß Sie in Ihren Aufenthalt hier Berlin einschließen.
Ich darf nochmals Ihre Anwesenheit zum Anlaß nehmen, die freundschaftlichen, gutnachbarlichen Beziehungen zwischen unseren Ländern auch auf der parlamentarischen Ebene zu betonen. Es ist uns eine besondere Freude, Sie im Deutschen Bundestag willkommen zu heißen. Wir wünschen Ihnen einen guten Aufenthalt.
Ich rufe Punkt 2 der Tagesordnung auf:
Beratung des Antrags des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes zu dem Gesetz über die Prozeßkostenhilfe
— Drucksache 8/3905 —
Berichterstatter: Abgeordneter Kleinert
Wünscht der Herr Berichterstatter das Wort? — Bitte, Herr Abgeordneter Kleinert.
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Wie Sie der Ihnen vorliegenden Drucksache entnehmen können, handelt es sich um verhältnismäßig wenige Änderungen, die der Vermittlungsausschuß vorschlägt.
Der entscheidende Punkt betrifft die Nummern 1 und 2 der Drucksache. Es geht darum, daß der Vermittlungsausschuß der Meinung war, es sei nicht abzuschätzen, wie sich die Zahl der in diesem Verfahren letztlich auf Kosten der öffentlichen Hand abzuwickelnden Prozesse entwickeln würde, wenn man der vom Bundestag beschlossenen Fassung folgen
und sozusagen die Beweislast, jedenfalls die Darlegungslast, dafür, daß es sich nicht um ein aussichtsreiches Verfahren handelt, dem Gericht zuschieben würde, das die Prozeßkostenhilfe gewähren soll. Deshalb wird hier Wiederherstellung der Regierungsvorlage entsprechend dem Anrufungsbegehren des Bundesrats gewünscht.
Die weiteren hier erwähnten Punkte betreffen gar nicht das eigentliche Anliegen, nämlich die Prozeßkostenhilfe, sondern einen bei Gelegenheit des Prozeßkostenhilfegesetzes mitbehandelten Punkt zur Klarstelllung gewisser Schwierigkeiten, die sich im Zustellungsverfahren u. a. bei Ehescheidungssachen ergeben haben. Hier wird eine Vereinheitlichung auch für alle anderen Bereiche gefordert, die zunächst nicht als regelungsbedürftig angesehen worden waren. Im Interesse der Vereinheitlichung ist es sicher richtig, dies hier mitzuregeln. Deshalb ergab sich dieser Vorschlag des Vermittlungsausschusses zu einer Materie, die mit der eigentlich zu regelnden Materie an sich nicht zusammenhängt.
Ich möchte in der Hoffnung, daß ich damit den der Berichterstattung aus dem Vermittlungsausschuß gesetzten Rahmen nicht überschreite, sagen, daß die Erwägungen, die ein sprachlich besonders interessiertes, von vielen Anwesenden sicher geschätztes Redaktionsmitglied der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" aus Anlaß dieses Gesetzes angestellt hat, bei allen, die das Gesetz beraten haben, ausnahmsweise keine Resonanz gefunden haben, weil wir es schon, und zwar in sämtlichen Instanzen, die beraten haben, für richtig gehalten haben, das Wort ,,Armenrecht" im Zusammenhang mit dieser neuen Regelung durch einen sachgerechteren Ausdruck zu ändern, wobei ich für einige andere in dem Zusammenhang angestellte sprachliche Erwägungen meine Sympathie gar nicht verbergen will.
Ich empfehle Ihnen den Vorschlag des Vermittlungsausschusses zur Annahme.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Wird das Wort zu einer Erklärung gewünscht? — Das ist nicht der Fall.Damit kommen wir zur Abstimmung. Der Vermittlungsausschuß hat gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 sei-
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Vizepräsident Frau Rengerner Geschäftsordnung beschlossen, daß über die vorliegenden Änderungen gemeinsam abzustimmen ist. Wer dem Antrag des Vermittlungsausschusses zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Antrag des Vermittlungsausschusses ist damit angenommen.Ich rufe Punkt 3 der Tagesordnung auf:Beratung des Antrags des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes zu dem Gesetz über Rechtsberatung und Vertretung für Bürger mit geringem Einkommen (Beratungshilfegesetz)— Drucksache 8/3906 —Berichterstatter: Abgeordneter KleinertDas Wort hat der Herr Berichterstatter, Herr Abgeordneter Kleinert.
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Die Fassung der Anlage ist für .jedermann leicht übersichtlich. Es gibt nur zwei Vorschläge: einmal eine Klarstellung des vom Bundestag bereits beschlossenen Verbots von Gebührenvereinbarungen und zum anderen ebenfalls eine Klarstellung auf Wunsch des Landes Berlin, dort die eingerichteten öffentlichen Beratungsstellen in diesem Bereich neben einer Beratung durch Rechtsanwälte in Anspruch nehmen zù können.
Ich darf hier die Bemerkung anfügen: Dem Gesamtergebnis der Beratungen sowohl im Bundestag wie auch der Beratungen des Vermittlungsausschusses ist zu entnehmen, daß aus dieser vom Land Berlin gewünschten besonderen Klarstellung nach dem Gesamtinhalt des Gesetzes sicherlich keine Rückschlüsse darauf gezogen werden können, daß dort, wo das nicht ausdrücklich geregelt ist, aber öffentliche Beratungsstellen auch eingerichtet sind, daneben die von diesem Gesetz ganz durchgehend gewünschte anwaltliche Beratung etwa nicht möglich sei. Das möchte ich bei dieser Gelegenheit als Ergebnis dessen, was wir in dem Zusammenhang miteinander zu besprechen hatten, doch noch anfügen.
Ich empfehle Ihnen, die Beschlüsse des Vermittlungsausschusses anzunehmen.
— Ein Beschluß in bezug auf das von Ihnen soeben angesprochene Thema ist im Vermittlungsausschuß nicht gefaßt worden. Es liegt keine Empfehlung vor. Ich komme Ihrer Anregung gern nach; denn den Vermittlungsausschuß hat ja ganz wesentlich beschäftigt, daß im Anrufungsbegehren gewünscht war, die arbeits- und sozialrechtlichen Fälle einzubeziehen. Schließlich hat sich die Ansicht durchgesetzt, daß man mit Rücksicht auf gewisse auf diesem Gebiet gewachsene Möglichkeiten davon absehen sollte, die Fassung des Bundestages zu ändern, so daß ich ursprünglich nicht vorhatte, dazu Stellung zu nehmen. Es ist dabei geblieben.
Der Vermittlungsausschuß ist im übrigen ausdrücklich der Ansicht, daß die hier gelassene Lücke von den Ländern ausgefüllt werden kann.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Wird das Wort zu einer Erklärung gewünscht? — Auch der Herr Kollege Vogel scheint das nicht zu wollen.Dann kommen wir zur Abstimmung. Der Vermittlungsausschuß hat hier ebenfalls gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 seiner Geschäftsordnung beschlossen, daß über die vorliegenden Änderungen gemeinsam abzustimmen ist. Wer dem Antrag des Vermittlungsausschusses zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Es ist einstimmig so beschlossen.Ich rufe Punkt 8 der Tagesordnung auf:a) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Konrad, Frau Dr. Hartenstein, Schäfer , Wittmann (Straubing), Brandt (Grolsheim), Egert, Ibrügger, Dr. Jens, Liedtke, Müller (Schweinfurt), Dr. Penner, Dr. Schäfer (Tübingen), Dr. Schmidt (Gellersen), Dr. Wernitz, Wolfram (Recklinghausen), Dr. Wendig, Wolfgramm (Göttingen), Kleinert, Paintner, Dr. Zumpfort, Wurbs, Angermeyer, Frau Matthäus-Maier und der Fraktionen der SPD und FDP.Umweltpolitik— Drucksachen 8/3279, 8/3713 —b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Abfallbeseitigungsgesetzes— Drucksache 8/3887 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:Innenausschuß
Ausschuß für WirtschaftAusschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forstenc) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. von Geldern, Dreyer, Sick, Dr. Narjes, Nordlohne, Dr. Köhler (Wolfsburg), Schröder (Lüneburg), Dr. Jobst, Pfeffermann, Feinendegen, Hanz, Dr. Freiherr Spies von Büllesheim, Dr. Reimers, Damm, Metz, Blumenfeld und Genossen und der Fraktion der CDU/CSU.Maßnahmen zur Verhinderung von Tankerunfällen und zur Bekämpfung von Ölverschmutzungen der Meere und Küsten— Drucksachen 8/2692, 8/3725 —Berichterstatter: Abgeordneter PaternaFerner rufe ich Zusatzpunkt 3 zur Tagesordnung auf:Beratung des Antrags der Fraktion der CDU/ CSUUmweltvorsorge— Drucksache 8/3936 —Überweisungsvorschlag: Innenausschuß
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Vizepräsident Frau RengerRechtsausschußAusschuß für WirtschaftAusschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuß für Jugend, Familie und GesundheitAusschuß für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen Ausschuß für Forschung und TechnologieMeine Damen und Herren, der Ältestenrat hat eine verbundene Debatte vereinbart. Wünschen die Herren Berichterstatter das Wort? — Das ist nicht der Fall.Ich eröffne die Debatte. Das Wort hat der Abgeordnete Konrad.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung trifft in ihren einleitenden Bemerkungen in der Antwort auf die Große Anfrage der Koalitionsfraktionen zur Umweltpolitik folgende Feststellung:Die von allen Fraktionen des Deutschen Bundestages getragene Umweltpolitik hat sich bewährt. Die durchgeführten und eingeleiteten Maßnahmen zeigen mehr und mehr ihren Erfolg. Bei gestiegener Produktionstätigkeit und gestiegenem Komsum, insbesondere auch einer erheblichen Zunahme der Kraftfahrzeuge, konnten in zahlreichen Bereichen Verbesserungen erzielt werden. Im übrigen konnte eine Verschlechterung verhindert werden.Diese berechtigte und in elf Einzelantworten begründete Beurteilung kann sich auf den Unterabschnitt „zusammenfassende Bewertung" im Umweltgutachten 1978 des Rates von Sachverständigen für Umweltfragen stützen.Dabei ist nicht zu verkennen, daß eine formale Bewertung des Gesamtzustands unserer Umwelt mit Hilfe von Sozialindikatoren auf große Schwierigkeiten stößt, wenn nicht sogar unmöglich ist. Aber für Teilbereiche ist sie wissenschaftlich abgesichert und deshalb möglich.Die Bundesregierung hat für die herkömmlichen Umweltbereiche entsprechend den ihr gestellten Fragen mit anerkennenswerter Offenheit die Probleme behandelt, die Gesetze erwähnt, die Programme erläutert und das Zahlenwerk vorgelegt, das die beträchtlichen Mittel ausweist, die die öffentliche Hand, die Wirtschaft und nicht zuletzt die mit Kosten belasteten Verbraucher und Benutzer zur Verbesserung der Umweltqualität ausgegeben haben.Hervorzuheben ist: Nichts ist beschönigt, nichts verniedlicht worden. Wo Erfolge, insbesondere als Dauerlösungen, zu verzeichnen waren, ist das Erreichte auch als Erfolg bezeichnet worden. Das ist gut und richtig; denn es scheint Mode geworden zu sein, in der Umweltdiskussion nur dann von Sachverstand zu sprechen, wenn der Gegenwart Zweifel und Pessimismus entgegengebracht und Fernziele als unabdingbare Tagesforderungen eingebracht werden. Dem Bürger, dessen Umweltbewußtsein erfreulich gewachsen ist und der, wie Umfrageergebnisse zeigen, mehr als früher zu Opfern an Geld und Bequemlichkeit für eine bessere Umwelt bereit ist, ist dagegen an sachlicher Information in verständlicher Sprache gelegen.Zwar wird ihn an der Anzeigenserie der Bundesregierung aus dem Vorjahr mehr die gefällige Darstellung der heilen Welt erfreut als die Sachaussage im Text überzeugt haben; aber bei gerechter Abwägung des Zustands unserer Umwelt im Jahre 1969 gegen den des Jahres 1980 wird auch der kritische Bürger nicht geringschätzig vom „Nachbeten der Leistungsbilanz der Bundesregierung" sprechen, wenn ihm Politiker verantwortungsbewußt erläutern, was zum Schutz und zur Sicherung der Lebensgrundlagen geschehen ist und noch geschehen muß.Es darf und wird die Bundesregierung — und hier den mit der umfangreichsten Zuständigkeit ausgestatteten Bundesminister des Innern — mit Befriedigung und Stolz erfüllen, daß das Umweltprogramm vom 29. September 1971 noch immer die richtungsweisende Grundlage der Umweltpolitik in der Bundesrepublik Deutschland ist. Unter Einbeziehung seines Vorläufers, des Sofortprogramms Umweltschutz vom 17. Dezember 1970 und seiner Fortschreibung vom 14. Juli 1976, die als „Umweltbericht '76" erschienen ist, läßt sich sagen, daß die Umweltpolitik zu einem eigenständigen Politikbereich geworden ist. Auch die vier Regierungserklärungen der Bundeskanzler Brandt und Schmidt machen dies deutlich. Aber vielleicht hat der Deutsche Bundestag doch versäumt, sich öfter mit Grundlagen, Ergebnissen und Perspektiven der Umweltpolitik zu befassen.In der 6. und 7. Wahlperiode ist bis auf das jetzt in der Beratung befindliche Chemikaliengesetz das Gesetzgebungsprogramm der Bundesregierung vollständig und recht zügig erfüllt worden. Die Aussprachen bei der Einbringung und Verabschiedung waren aber sehr eng an den Beratungsgegenstand angelehnt und wegen der meist vorhandenen Übereinstimmung unter den Fraktionen verhältnismäßig kurz. Umweltschützer aller Fraktionen scheinen nicht frei von selbstkritischer Einsicht zu sein. Weil sich bei weitgehend gleichen Ansichten Wiederholungen in den Reden nicht immer vermeiden lassen, wollten sie sich wenigstens nicht dem Vorwurf aussetzen, die Kollegen allzusehr zu ermüden. Diese Rücksicht, den Beratungen dienlich, war aus heutiger Sicht nicht unbedingt von Vorteil für die Darstellung der guten Sache, über die man eben auch reden soll. Aber grundsätzliche Aussprachen hat es seit der „Umweltpremiere" des Deutschen Bundestages am 3. Dezember 197 1 nicht mehr gegeben. Das war ein Grund mehr für die Koalitionsfraktionen, mit ihrer Großen Anfrage einen Anlaß zur Rückschau, Bestandsaufnahme und Vorschau zu geben. Wir begrüßen auch die Möglichkeit des parlamentarischen Gedankenaustausches mit der Opposition.An zwei Tatsachen soll dabei nicht gerüttelt werden. Es hat schon vor der sozialliberalen Koalition Gesetze zum Schutz der Umwelt gegeben. Die Gewerbeordnung z. B. war für genehmigungsbedürftige Anlagen maßgebend, bis sie insoweit vom Bundesimmissionsschutzgesetz abgelöst wurde. Die Wassergesetze der deutschen Länder, allen voran das Preußische Wassergesetz von 1916, waren die Vorläufer des Wasserhaushaltsgesetzes. Aber diese und andere Regelungen standen nebeneinander,
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Konradwaren nicht aufeinander abgestimmt und nicht Teile einer umfassenden Konzeption.Das ist seit 1969 anders geworden. Die bereits erwähnten Programme haben dem Schutz der Naturgrundlagen unter Berücksichtigung des Verursacherprinzips, der stärkeren Betonung des Vorsorgeprinzips und in jüngster Zeit der Entwicklung des Kooperationsprinzips den gleichen Rang wie anderen großen öffentlichen Aufgaben gegeben. Von dem damit erreichten Stand aus ist es begreiflich, daß sich eine bis heute ergebnislose Diskussion darüber entwickeln konnte, ob ein — wahrscheinlich nicht praktikables und deshalb unzweckmäßiges — Grundrecht auf Umweltschutz geschaffen oder der Umweltschutz wenigstens als „Staatszielbestimmung" im Grundgesetz verankert werden sollte. Das könnte positive Wirkungen für die Umweltpolitik haben.Die einstimmige oder fast einmütige Verabschiedung der Umweltschutzgesetze bei einem nicht sehr großen, aber auch nicht völlig bedeutungslosen Bodensatz an nicht erzielten Einigungen ist die zweite Tatsache. Sie ist ein überzeugender Beweis dafür, daß im Deutschen Bundestag auf einem anerkannt schwierigen politischen Feld über ein Jahrzehnt hinweg weitgehende Übereinstimmung zwischen Koalition und Opposition erzielt und erhalten werden konnte. Bis zum Beweis des Gegenteils lasse ich die Frage offen, ob diese der Sache so dienliche Gemeinsamkeit an die Person des Kollegen Dr. Gruhl gebunden war, was die bedauerliche Schlußfolgerung unausweichlich machen würde, daß er beim Verlassen der CDU/CSU-Fraktion den oppositionellen Umweltsachverstand in seine grüne Einsiedelei mitgenommen und seine früheren Kollegen ohne guten Hirten der Gefahr ausgesetzt hätte, den Versuchungen jener, allerdings meist südlich-derben Geister, die stets verneinen, zu erliegen.
Anders ausgedrückt: Die bis auf einige — allerdings bedeutsame — Ausnahmen in der Vergangenheit bewiesene Bereitschaft der Opposition, beim Umweltschutz mit den Regierungsparteien gemeinsam die Gesetze zu verabschieden und die Programme zu tragen, wird anerkannt. Wird sie auch in Zukunft noch vorhanden sein?Ein Prüfstein könnte bereits mit dem Verkehrslärmschutzgesetz ins Haus stehen. Noch vor wenigen Wochen hat sich bei seiner Verabschiedung die CDU/CSU-Fraktion ihrer Verdienste um dieses bedeutsame Umweltschutzgesetz berühmt. Wer vermutete, daß im Bundesrat mit der Zustimmung der unionsgeführten Länder gerechnet werden dürfe, ist enttäuscht worden. Das mit der Mehrheit der CDU/ CSU-Länder im Bundesrat beschlossene Vermittlungsbegehren stellt jetzt die Bundestagsfraktion derselben Parteien vor die Entscheidung, vor allem die für die Gesundheit der Bürger unvertretbare Verschlechterung durch die Erhöhung der Lärmgrenzwerte um 3 Dezibel zurückzuweisen. Sollte dieses Gesetz im Vermittlungsverfahren scheitern, so können sich die Kollegen der CDU/CSU-Fraktion mit ihren Freunden in den Bundesländern parteiintern streiten, wer nach wohltönenden Lippenbekenntnissen die Verantwortung dafür trägt, daß trotz vorwurfsvoller Mahnung des Bundesverwaltungsgerichts der Gesetzgeber seiner Pflicht nicht nachkommen konnte. Für die Bevölkerung steht fest, daß dieses Versagen den Unionsparteien anzulasten ist.Nicht nur in der Gesetzgebung sind Bund und Länder aufeinander angewiesen. Mindestens in gleichem Umfang gilt dies für den Vollzug aller dem Umweltschutz dienenden Vorschriften, zu denen auch die Gesetze, Verordnungen und Verwaltungsvorschriften der Länder gehören.Als der Rat von Sachverständigen für Umweltfragen im Umweltgutachten 1974 die Probleme unter dem Begriff „Vollzugsdefizit" angesprochen hatte, setzte eine lebhafte Diskussion ein, in der einerseits der Begriff zur billigen Worthülse zu verkümmern drohte, andererseits aber verschiedene Untersuchungen zu einer genaueren und zurückhaltenderen Betrachtungsweise führten. Aus verständlichen Gründen hat die Bundesregierung in ihrer Antwort eine Aufzählung der Koordinierungsmöglichkeiten von der Umweltministerkonferenz bis zu den Ausschüssen und Arbeitsgemeinschaften auf der Ebene der Länder bevorzugt, statt auf das gelegentlich schwierige und zeitraubende Verfahren gegenseitiger Abstimmung zu verweisen, das sich gewiß verbessern ließe. Doch soll aus der Sicht des Bundestages gern anerkannt werden, daß wir in verschiedenen Gesetzgebungsverfahren Nutzen aus der bereitwilligen Mitarbeit der Länderarbeitsgemeinschaften und des in ihnen konzentrierten Sachverstandes haben ziehen können.Deshalb will ich unter Bezugnahme auf das Umweltgutachten 1978 auch ein Wort sagen, das sowohl an die eigene Adresse des Bundestages als auch an die der Länder gerichtet ist. Die Gesetzgebungsorgane dürfen in den Gesetzen die Ziele nicht mit jenem Absolutheitsanspruch formulieren, der zu Konflikten mit anderen Gesetzen oder Politikbereichen führt. Die Gesetze sollten eine Struktur haben, die sie für ausführende Behörden durchschaubar und nachvollziehbar macht; aber niemals sollten die Gesetze mit Konflikten behaftet sein, deren Lösung den ausführenden Verwaltungsbehörden aufgebürdet wäre.Der Sachverständigenrat erinnert an die Selbstverständlichkeit, daß Zielkonflikte in den politischen Lenkungsorganen auszutragen sind. Dazu bedarf es im Verhältnis Bund/Länder eines Mindestmaßes an Vertrauen und Kompromißbereitschaft, die in der Vergangenheit durchaus vorhanden waren.An dieser Stelle möchte ich darauf hinweisen, daß die Kommission für Umweltfragen der Interparlamentarischen Arbeitsgemeinschaft seit drei Jahrzehnten in der Stille eine Arbeit leistet, die als Beitrag zur guten Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern angesehen werden kann. Gesetzesinitiativen aus dieser Kommission wie Altölgesetz und Fluglärmgesetz sind zwar nicht mehr zu verzeichnen, aber die Kollegen aus diesem Haus und aus den Landtagen sind jetzt sehr bemüht, ihre Erfahrungen
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Konradbeim Vollzug der Umweltgesetze auszutauschen und die Landesgesetzgebung mit Anregungen zu versehen. Eine bessere Beteiligung der Kollegen aus diesem Hause wäre für die 9. Wahlperiode zu wünschen.Die Darstellung der Bundesregierung über die Auswirkungen des Bundes-Immissionsge setz es und der mit ihm im Zusammenhang stehenden Programme weist überzeugend nach, was zur Reinhaltung der Luft und zur Verminderung der Lärmbelästigung unternommen werden konnte. Es kann nicht Sinn dieser Aussprache sein, das Zahlenmaterial im einzelnen zu wiederholen. Wenn aber die Im-missionswerte der Technischen Anleitung zur Reinhaltung der Luft für Schwefeldioxyd, Stickstoffoxyde, Kohlenmonoxyd im wesentlichen eingehalten und bei Staubniederschlag beachtliche Verbesserungen in den Ballungsgebieten, insbesondere im Ruhrgebiet, nachgewiesen werden, ist das ein Erfolg, an dem gesetzgeberische Maßnahmen, Überwachung und die planmäßig geförderten Forschungs- und Entwicklungsvorhaben gleichermaßen beteiligt sind. Allerdings darf es nicht zu einem Stillstand kommen. Wie die Bundesregierung zutreffend hervorhebt, ist bei den produktbezogenen Maßnahmen z. B. eine Herabsetzung der Emissionen von Kraftfahrzeugen dringlich, um die bisher im Sinne des Umweltprogramms 1971 erreichte Absenkung der Grenzwerte fortzusetzen. Leider gehen die Verhandlungen in der Europäischen Gemeinschaft nur schleppend voran, obwohl die Erfahrungen in Schweden, Japan und in den USA zeigen, daß verschärfte Werte eingehalten werden können.Schon in naher Zukunft werden gebietsgezogene Maßnahmen zur besseren Luftreinhaltung erhöhte Aufmerksamkeit beanspruchen. Die großräumige Immissionsbelastung nimmt zu und ist Gegenstand internationaler Verhandlungen geworden, die im November 1979 zum Abschluß einer Konvention im Rahmen der Wirtschaftskommission der Vereinten Nationen für Europa, ECE, zu ihrer Eindämmung geführt haben.Der besonderen Sorge für die Belastungsgebiete entspringt das Altanlagenprogramm des Bundes mit Zuwendungen von 560 Millionen DM in den Jahren 1979 und 1980. Der Stand der Technik zur Emissionsverminderung soll durch den Bau von Demonstrationsanlagen im großtechnischen Maßstab verbessert werden.Ob die von der Bundesregierung vorgelegte Novelle zum Bundes-Immissionsschutzgesetz der richtige Weg zur Sanierung der Belastungsgebiete und weitgehenden Erhaltung der nichtbelasteten Gebiete ist, kann nach dem Ergebnis einer umfangreichen Anhörung nicht mit Sicherheit gesagt werden. Da aber die Vorschläge des Bundesrates ebenso massiv kritisiert worden sind, ist die gesetzgeberische Lösung des Problems sehr schwierig und bedarf noch gründlicher Überlegung.Dabei darf aber nicht in Vergessenheit geraten, daß die Technische Anleitung zur Reinhaltung der Luft aus dem Jahre 1974 auf jeden Fall der ergänzenden Überarbeitung bedarf, wenn sie den ihr vom Bundesverwaltungsgericht bestätigten Charakter des vorgezogenen Sachverständigengutachtens behalten soll. Hierauf beruht die seit 1979 gegebene größere Sicherheit in den Genehmigungs- und Verwaltungsgerichtsverfahren.Der zum Immissionsschutz gehörende Schutz vor Lärmbelästigungen kann am wenigsten durch Gesetze, Verordnungen und Verwaltungsvorschriften allein gewährt werden. Doch selbst unsere heute großzügig bemessene Beratungszeit erlaubt nicht, darüber zu reden, wieviel Lärmbelästigung und damit Ärger, Verfeindung und Krankheit, bis hin zum seelischen Leid, schon durch mehr gegenseitige Rücksicht vermieden werden könnten. Der Verkehrslärm wird nach den Ergebnissen von Umfragen und Gesprächen im kleinsten Kreis als das größte Ubel angesehen. Aber ganz dürfen die ortsfesten Lärmquellen auch nicht aus dem Blick verloren werden.Der Verkehrslärm wird dieses Haus erneut beschäftigen, wenn der Fluglärmbericht und die Ergebnisse des Vermittlungsausschusses zum Straßenverkehrslärmschutzgesetz beraten werden. Das Gesetz zum Schutz gegen den Fluglärm vom 30. März 1971 war das erste nach 1969 verabschiedete Umweltschutzgesetz. Seine Durchführung, der die Bundesregierung anerkennenswerterweise hohe Priorität eingeräumt hat, hat in der Umgebung von Flughäfen und teilweise auch von militärischen Flugplätzen Erleichterungen gebracht. Die aus der Erfahrung gewonnenen Erkenntnisse, wo und wie Verbesserungen des Gesetzes möglich sind, sollten baldmöglichst in einem Änderungsgesetz ihren Niederschlag finden.Ganz allgemein macht die Antwort der Bundesregierung deutlich, daß die Bekämpfung des Lärms an der Quelle der beste Ansatzpunkt wäre, daß aber der Verkehrslärm ebenso der Eindämmung durch raumordnende und insbesondere durch verkehrslenkende und verkehrsordnende Maßnahmen bedarf. An die Vorschrift des § 50 des Bundes-Immissionsschutzgesetzes wäre hier zu erinnern, um einmal die Gabe der Voraussicht des Gesetzgebers zu erwähnen. Die Bundesregierung kann auf unsere Unterstützung bei der zügigen und nachdrücklichen Durchführung des Aktionsprogramms „Lärmbekämpfung" vom 3. Oktober 1979 rechnen.Der Gewässerschutz, von der Bundesregierung im Umweltprogramm 1971 zu einem Schwerpunkt der Umweltpolitik erklärt, ist im vergangenen Jahrzehnt wirksamer geworden. Wenn ich ein persönliches Urteil abgeben darf, so möchte ich diesem Umweltbereich den größten Fortschritt zubilligen. Die Bundesregierung hat in ihrer Antwort auf die Frage 9 der Koalitionsfraktionen den Stand der Gesetzgebung, die hier besonders aufwendigen Finanzierungshilfen des Bundes und der Länder — ich nenne das Rhein/Bodensee-Sanierungsprogramm mit einem Investitionsvolumen von mehr als 3 Milliarden DM, die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes", das Programm „Wasserwirtschaftliche Zukunftssorge" und die zinsgünstigen Kredite im Rahmen des ERP-Sondervermögens — und die nicht zu leugnenden Erfolge in einer anhaltend positiven Entwicklung ein-
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Konraddrucksvoll vermittelt. Auf der Grundlage des vorhandenen Instrumentariums ist die ergänzende Gesetzgebung der Länder möglich, allerdings auch dringend nötig. Die auf die Rahmengesetzgebung beschränkte Kompetenz des Bundes gibt der engen Zusammenarbeit mit den Ländern schon im Bereich der Gesetzgebung und selbstverständlich auch im Vollzug einen besonderen Stellenwert.Hier ist nun auf die im Interesse des Gewässerschutzes nur als unverständlich zu bezeichnende Haltung einiger Bundesländer einzugehen, die seit etwa eineinhalb Jahren zum Kampf gegen das Abwasserabgabengesetz von 1976 angetreten sind.
Obwohl dieses Gesetz nach fast einmütiger Verabschiedung durch den Bundestag die Zustimmung des Bundesrates gefunden hatte, liegt nach längerem Vorgeplänkel, auf das ich nicht eingehen will, jetzt ein Gesetzentwurf der Länder Bayern, Niedersachsen und Schleswig-Holstein beim Bundesrat vor. Mit ihm sollen wichtige Teile des Abwasserabgabengesetzes verändert oder gestrichen werden.
Dieser Entwurf bedeutet nicht nur für das am 1. Januar 1981 wirksam werdende Abwasserabgabengesetz, sondern für das gesamte Gesetzgebungswerk zum Gewässerschutz die Gefahr eines schweren Rückschlages, denn Wasserhaushaltsgesetz und Wasserabgabengesetz sind eng miteinander verzahnt. Die Eingriffsmöglichkeiten des Wasserhaushaltsgesetzes werden durch die marktwirtschaftlich ausgerichteten Abgaberegelungen des Abwasserabgabengesetzes zunächst maßvoll steigend, aber von Anfang an wirkungsvoll ergänzt.Die Argumente der drei Bundesländer, die in der Vergangenheit auch von Baden-Württemberg gebraucht wurden, gehen am Inhalt und am Sinn des Gesetzes vorbei. Vordergründig wird auf die ohnehin fleißig geschürte Bürokratieunwilligkeit der Bürger abgehoben. Dabei ist offenkundig, daß der behauptete Verwaltungsaufwand bei der Erhebung der Abwasserabgabe sich durch die Anknüpfung an das Wasserhaushaltsgesetz in der Form der Bescheidlösung erklärt. Die Kritik am Meßverfahren, das Ziel der Streichung von absetzbaren Stoffen und Fischgiftigkeit als Berechnungsgröße müssen um so mehr als ungerechtfertigt bezeichnet werden, als das Abwasserabgabengesetz in den Beratungen der Jahre 1975 und 1976 ständig vereinfacht und den Wünschen der Bundesländer angepaßt worden ist. Unerfindlich bleibt, warum weder das „Nordlicht" noch das „Kreuz des Südens" die zuständigen Ministerien der drei den Gesetzentwurf tragenden Länder erleuchten konnte, rechtzeitig eine Gesetzgebung für ihre Landtage vorzubereiten, wie das Land Nordrhein-Westfalen sie bereits abgeschlossen hat.
Es ist bekannt, daß nicht nur durch Industrieunternehmen, sondern vereinzelt auch im kommunalen Bereich das Abwasserabgabengesetz bereits bei den Investitionen zur Reinhaltung der Gewässer berücksichtigt worden ist. Nach dem Willen der Bundesländer Bayern, Niedersachsen und Schleswig-Holstein sollen nun aber diejenigen, die auf den Bestand eines von allen Fraktionen des Deutschen Bundestages und vom Bundesrat verabschiedeten Gesetzes vertraut haben, enttäuscht und dafür die Säumigen belohnt werden. Ein solches Verhalten zeigt deutlich, daß die Umweltpolitik bei der CSU und Teilen der CDU nicht in den richtigen Händen liegt und nicht mit der gebotenen Gewissenhaftigkeit gemacht wird.
Der Gewässerschutz
wirft zunehmend Probleme im innerdeutschen Verhältnis und in der internationalen Zusammenarbeit auf. Die Versalzung von Werra und Weser, die nicht auf Einleitungen aus der Bundesrepublik Deutschland zurückzuführen ist, muß einer diese Flüsse nachhaltig entlastenden Lösung zugeführt werden. Das gilt auch für die Verringerung der Salzbelastung des Rheins. So erfreulich es ist, daß das Chemieabkommen von den Anrainerstaaten in Kraft gesetzt wurde, so bedauerlich bleibt, daß Frankreich das 1976 unterzeichnete Übereinkommen zum Schutze des Rheins gegen Verunreinigung durch Chloride noch nicht ratifiziert hat.
Auch an der Mosel und ihren Nebenflüssen sind verstärkt Sorgen über die anhaltende Verunreinigung grenzüberschreitender Flüsse aufgetreten. Im Interesse der Bevölkerung wird die Bundesregierung gebeten, die Arbeiten an einem Wärmelastplan und an einem Sanierungskonzept voranzutreiben.Was die Bundesregierung zum internationalen Aspekt des Gewässerschutzes sowie zur allgemeinen Umweltschutzpolitik der Europäischen Gemeinschaft und der Vereinten Nationen ausgeführt hat, gibt einen zum Nachdenken zwingenden Überblick über den unterschiedlichen Stand in manchen Staaten und auch über den unterschiedlichen Willen zu einer durchgreifenden Umweltpolitik. Es muß wohl festgestellt werden, daß trotz der Aktionsprogramme und der Richtlinien der Europäischen Gemeinschaft der Umweltschutz in ihr nur zurückhaltend behandelt wird. Die Umsetzung der von der EG erlassenen Regelungen in nationales Recht macht oft nicht geringe Schwierigkeiten. Der Bundesregierung kann bestätigt werden, daß sie vor dem Erlaß von EG-Regelungen die aus den Beratungen des Innenausschusses entwickelten Anregungen häufig aufgenommen hat. Aber insgesamt ist im Hinblick auf die Beteiligung und Verantwortung des Deutschen Bundestages bei allem, was auf supranationaler und internationaler Ebene auf dem Gebiet des Umweltschutzes geschieht oder nicht geschieht, ein Gefühl des Unbehagens nicht zu unterdrükken.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 214. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. April 1980 17157
KonradEin kurzes Wort noch zu der Auswirkung der Umweltpolitik auf die wirtschaftliche Entwicklung. Die Diskussion darüber, ob und welche Auswirkung der Umweltschutz auf den Arbeitsmarkt hat, ist seit der Vorlage mehrerer Studien entschärft. Sie wird aber ebenso wie die Diskussion über die internationale Wettbewerbsfähigkeit der Bundesrepublik Deutschland unter Umweltgesichtspunkten weitergehen. Es mag stark vereinfacht klingen, was ich jetzt sage; ich hoffe dennoch, den Kern der Sache zu treffen. Die Bundesrepublik Deutschland ist ein dichtbesiedeltes und nicht sehr großes Land mit stark entwickelter Industrie. Umweltbelastungen, die sich zu Umweltschäden entwickeln können, treffen unsere Bürger härter als die anderer Staaten. Zum Schutze ihrer Gesundheit und ihres Lebens, zur Erhaltung unserer natürlichen Lebensräume können wir auf einen wirksamen Umweltschutz nicht verzichten. Diese Aufgabe wird auch von den Gewerkschaften im Interesse der Arbeitnehmer richtig gesehen.Von einer auf die Spitze getriebenen Alternative „Ökologie oder Ökonomie" ist kein Gewinn für Lösungen der unumgänglichen Zielkonflikte zwischen wirtschaftlicher Entwicklung und Umweltschutz zu erwarten. Die SPD hat in der siebenten ihrer Thesen zur Umweltpolitik, die auf dem Berliner Parteitag im Dezember 1979 beschlossen wurden, sich darauf festgelegt, Umweltgesichtspunkte überall, besonders aber bei allen öffentlichen und privaten Investitionsentscheidungen, im Gesamtbereich der gesellschaftsbezogenen Forschung und in der Arbeitswelt einzubeziehen. Die Antwort der Bundesregierung läßt erkennen, daß sie ebenso denkt. So läßt sich auch aus der Antwort auf die Frage 3 ein Ansatz zu einem ökologisch-ökonomischen Gesamtkonzept entwickeln.Die Opposition hat zur Aussprache über die Große Anfrage einen Entschließungsantrag vorgelegt. Sich mit ihm trotz der langen schriftlichen Begründung eingehend zu beschäftigen, ehe ein Kollege der CDU/CSU-Fraktion dazu gesprochen hat, wäre kein guter Stil. In Teilen verdient er Dank, weil er auf seine Weise aufnimmt, manchmal auch fordert, was in den mehrfach erwähnten Programmen der Bundesregierung steht oder verwirklicht ist. Wie wahr, daß Verkehrslärm die Menschen in Stadt und Landbelastet! Ebenso wahr, daß das Verkehrslärmschutzgesetz in der Substanz verschlechtert werden soll und zu scheitern droht. Antrag und Wirklichkeit!Andere Teile des Antrags mit Begründung sind wohl nur als Wahlkampfmunition einzuordnen. „Die Flucht von Parlament und Regierung in Leerformeln", wie zu lesen ist, ist doch hoffentlich umfassend gemeint und soll die Opposition nicht vom Gebrauch ihrer so geliebten Leerformeln ausschließen. In dieser Form ist der Oppositionsantrag eher eine Belastung als eine Hilfe für die Aussprache und für künftige Zusammenarbeit im Umweltschutz. Da hilft es nicht, daß die Antragsbegründung vom „grundsätzlichen Konsens zwischen den Fraktionen in der Zielsetzung" des Umweltschutzes spricht, den es zu bewahren gelte.Meine Aufgabe war es, unter Einbeziehung des Immissions- und des Gewässerschutzes einige übergreifende Gesichtspunkte aus der Großen Anfrage der Koalitonsfraktionen und der Antwort der Bundesregierung für die SPD-Fraktion im Bundestag zu behandeln. Dabei waren so wichtige Einzelprobleme wie z. B. die Emissionen von Kohleveredelungsanlagen oder das Verbot von Fluorchlorkohlenwasserstoff als Treibgas in den Einzelheiten auszuscheiden. Sie sind in ihrer Bedeutung erkannt, meist in der Vergangenheit behandelt oder werden aufgegriffen, wenn sich eine aktuelle Notwendigkeit ergibt. Die weiteren Redner der SPD-Fraktion werden die von mir überhaupt nicht angesprochenen Fragen in ihre Beiträge einbeziehen.
Mir bleibt nur noch, der Bundesregierung und dabei vor allem dem für die Antwort zuständigen Bundesminister des Innern namens der SPD-Bundestagsfraktion herzlich zu danken. Der Dank gilt auch seinen mit der Abfassung beauftragten Mitarbeitern. Die Anfrage und die Antwort sind hervorragend geeignet, der interessierten Öffentlichkeit ein zutreffendes Bild der Umweltschutzpolitik zu vermitteln,
für die die Bundesregierung und die Koalitionsparteien SPD und FDP die Verantwortung tragen. Weil wir Sozialdemokraten diese Umweltpolitik zum Nutzen der Bürger in der Bundesrepublik Deutschland trotz einiger Einschränkungen und Wünsche für gut und richtig halten, gilt unser Dank den Bundesregierungen seit 1969, die sie eingeleitet und gemäß unserem Grundgesetz in fruchtbarer Zusammenarbeit mit vielen durchgesetzt haben.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Riesenhuber.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Der Kollege Konrad hat darauf hingewiesen, daß heute die Gelegenheit besteht, Grundlagen und Perspektiven der Umweltdiskussion zu debattieren. Genau dies ist unsere Aufgabe. Es ist insbesondere in dieser Eröffnungsrunde nicht unsere Aufgabe, uns in der Vielfalt der Einzelheiten, auch der technokratischen Einzelheiten, zu verlieren; sondern es ist die Aufgabe, die Grundsätze, aus denen heraus wir Umweltpolitik anlegen wollen, darzulegen und gegebenenfalls auch streitig zu besprechen.Die Regierungsfraktionen haben ihre Große Anfrage zur Umweltpolitik eingebracht, nachdem die Grünen ins Parlament in Bremen eingezogen waren. Aber die Umweltpolitik hat nicht mit den Grünen begonnen, und die Umweltpolitik hat auch nicht mit der Koalition begonnen. Die Umweltpolitik hat in Deutschland eine große Tradition. Sie geht zurück auf das Engagement der Jäger, der Wanderer, der Naturfreunde, der Gebirgsvereine zum Schutz von Wäldern und Landschaft und Tieren. Sie hat eine
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17158 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 214. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. April 1980
Dr. Riesenhuberzweite Tradition im verantwortlichen Umgang der Techniker mit der Technik, ausgeprägt in den VDI- Richtlinien, ausgeprägt in der technischen Überwachung.Diese beiden Traditionen sind in einem gemeinsamen umweltpolitischen Konzept zusammengeflossen, das sich seit den 50er Jahren in einer Fülle von Einzelgesetzen in den Ländern und im Bund ausgeprägt hat: im Wasserhaushaltsgesetz, in den Gesetzen zum Strahlenschutz in Bayern und Schleswig-Holstein, in den Gesetzen über die friedliche Nutzung der Kernenergie und zum Schutz gegen ihre Gefahren.Die Umweltpolitik hat in den 60er Jahren diese Arbeit weitergeführt in einer stetigen Kontinuität nach dem Maß der Entwicklung unseres Wissens über die Probleme. Sie hat die Gesetzeswerke ausgebaut zur Einhaltung von Wasser und Luft, zum Schutz vor Lärm, zu Altöl, Detergentien und Kunstdüngemitteln.Der Umweltschutz hat eine neue Dimension gewonnen zu Beginn der 70er Jahre. Aber dies war keine Frage eines Regierungswechsels, dies war das Aufbrechen einer weltweiten Diskussion über die Grenzen des Wachstums, eine Diskussion über die Frage, ob wir mit Wirtschaft und Technik unsere Natur nicht überfordern bis hin zu einer möglichen Katastrophe. Seit Beginn der Industrialisierung war es die unausgesprochene Grundannahme, daß Natur unerschöpflich sei, daß nur die Arbeit des Menschen, seine Erfindungskraft, Kapital und auch unsere Fähigkeit, Krisen zu vermeiden, das Maß des wirtschaftlichen Fortschritts bestimmten. In den Computermodellen des Club of Rome wurde offenkundig, was längst schon sich angedeutet hatte: Bei exponentiell wachsender Weltbevölkerung können wir Grenzen erreichen, die bei Strafe einer Katastrophe nicht ignoriert werden dürfen, bei Energieträgern, bei Rohstoffen, bei Nahrungsmitteln und schließlich bei der Belastung der Umwelt.In seiner Botschaft zur Lage der Nation hat Präsident Nixon zum erstenmal die weltweite Dimension dieser Probleme in die Umweltdebatte eingeführt. Nicht mehr die Heilung einzelner Schäden ist die Aufgabe, sondern die umfassende Herausforderung moderner Industriegesellschaften ist zu erkennen, eine Umweltpolitik zu betreiben in einer verletzlichen und begrenzten Welt. Und es ist wahr, was Robert Spaemann aus theologischer Sicht sagte: „Wir haben unsere Handlungen vor künftigen Generationen zu verantworten.' Dies ist ein Maßstab unserer Arbeit.Wir haben heute noch alle Möglichkeiten, dieser Verantwortung gerecht zu werden. Technische Kenntnisse — aber Techniken können verloren werden; dies ist etwas, was wir gerade bei der Kernenergie erfahren könnten —, ebenso wie Kapital und Organisationskraft, dies alles bei einem gewachsenen Umweltbewußtsein in der Bevölkerung. Denn dies ist ein Element von Hoffnung und ein Element von Chance in den sogenannten überraschungsfreien Szenarien der Theoretiker. Nicht nur die Krise ist möglich. Es ist auch möglich, durch den schonenden Umgang mit gefährdeten Ressourcen, durch Erfindungsgeist und Innovation, durch Tatkraft, durch verantwortlichen Umgang mit der Technik die Grenzen des Wachstums hinauszuschieben, eine neue Zukunft zu eröffnen. Wir können und wir müssen knapper werdende Rohstoffe durch reichlicher vorhandene ersetzen, neue langlebige Produkte entwickeln, kostbare Güter aus Abfall und Abwärme zurückgewinnen, neue umweltschonende Techniken, neue Energieträger entwickeln. Dies sind die Chancen. Dies aber bedeutet, daß wir Technik und eine stets bessere Technik brauchen und daß die Antwort nicht sein kann ein Rückzug in die Idylle und eine Flucht vor den Tatsachen, eine Flucht vor den Notwendigkeiten unserer Industriewelt.In dieser Lage haben die Kritiker uns drei grund-_ legende Fragen an die Politik vorgelegt: Ist weiteres Wachstum der Wirtschaft vertretbar; kann Marktwirtschaft, auch Soziale Marktwirtschaft, unsere Probleme lösen, kann sie die kommenden Gefährdungen bewältigen; ist Demokratie imstande, die Opfer zu erzwingen, die auch zur Lösung der Umweltprobleme erbracht werden müssen? Für Deutschland haben wir heute an der Schwelle der 80er Jahre diese Fragen zu diskutieren.Wirtschaftswachstum ist kein Ziel an sich, an dieser Stelle sind wir uns alle einig. Wir haben die Zuversicht, daß die Stabilität unserer Demokratie und unserer Freiheit nicht vom Wirtschaftswachstum abhängen. Aber es ist offenkundig, daß bei wachsender Wirtschaft zahlreiche Probleme leichter gelöst werden können, sehr viel leichter. Wir haben heute schon Wechsel gezogen auf die Zukunft in einem Maß wie zu keiner anderen Zeit in der Existenz unserer Republik.
Wir haben eine Staatsschuld aufgebaut, die in zwei Jahren die gesamte mögliche Neuverschuldung für die Zinslast der alten Schulden braucht. Wir haben dynamische Elemente — und dies ist gut — im System unserer sozialen Sicherungen eingebaut, die unter der heutigen Politik möglicherweise nicht mehr durchgehalten werden können. Wir haben die Notwendigkeit, neue Arbeitsplätze zu schaffen, sowohl für die, deren Arbeitsplätze bei der Umstrukturierung unserer Wirtschaft verlorengehen, als auch für die, die neu in das Berufsleben eintreten. Wir haben die Überbesteuerung unserer Wirtschaft und der Bürger abzubauen, die zu einem Hemmnis der weiteren gesellschaftlichen Entwicklung zu werden droht.
Um diese Probleme anzugehen, brauchen wir in der Tat eine wachsende Wirtschaftskraft. Sie sind nicht unlösbar ohne wachsende Wirtschaft. Aber diskutieren Sie einmal darüber, Herr Kollege, ob die Gewerkschaften damit einverstanden sind, neue Aufgaben durch eine Neuverteilung des Vorhandenen ohne Zuwächse des Bruttosozialprodukts bei Minderung der Arbeitseinkommen hinzunehmen.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 214. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. April 1980 17159
Dr. RiesenhuberMeine Damen und Herren, wir werden im Umweltschutz in den kommenden Jahren jährlich hohe Milliardenbeträge aufbringen müssen für Industrieanlagen und kommunale Klärwerke, zur schrittweisen Umstellung von Millionen von Ölheizungen; dies auch aus energiepolitischen Gründen, denn 01 wird knapp. Zu einem erheblichen Teil brauchen wir die Summe, um die Altlasten abzutragen, die wir ererbt haben. In der Industrie ist Umweltschutz häufig durch Nachrüstung vorhandener Anlagen möglich. Wirtschaftlicher, wirksamer und sinnvoller im Sinne des Vorsorgeprinzips ist es jedoch, wenn bei Neuanlagen umweltschonende Technik stets von vornherein eingeplant wird. Dies ist nur bei der Abfolge der Generationen von Anlagen in einer dynamisch weiter wachsenden Wirtschaft möglich.Herr Kollege Konrad hat darauf hingewiesen, daß Umweltschutzauflagen grundsätzlich die Wirtschaftlichkeit von Unternehmen beeinträchtigen und Arbeitsplätze gefährden können. Bisher hat jedoch Umweltschutz wahrscheinlich überwiegend Arbeitsplätze geschaffen. Ob dies so bleibt, hängt wesentlich und entscheidend von unserem Augenmaß beim weiteren Ausbau des Umweltschutzes ab.Umweltschutz und Wirtschaftswachstum schließen einander nicht aus. Umweltschutz und Wirtschaftswachstum können einander ermöglichen, wenn die politischen Rahmenbedingungen stimmen.Es gab die Behauptung, Soziale Marktwirtschaft könne keinen Umweltschutz schaffen, planwirtschaftliche Elemente seien verstärkt einzuführen. Diese Meinung hat sich in den letzten zehn Jahren erledigt. Marktwirtschaft produziert keinen Umweltschutz, Marktwirtschaft erzeugt von selbst auch keine soziale Sicherung und keine Gerechtigkeit von Chancen. Die politische Entscheidung Konrad Adenauers und Ludwig Erhards für die Soziale Marktwirtschaft hat die Dynamik der Marktwirtschaft erhalten und freigesetzt. Ihre Stärke: Kapital und Arbeit, Arbeit und Kapital jeweils dort einzusetzen, wo sie den größten Nutzen zu stiften vermögen; ihre Fähigkeit: die beste technisch-wirtschaftliche Lösung in einem Suchprozeß herauszufinden. In Ludwig Erhards Konzept der Sozialen Marktwirtschaft hat Politik einen verbindlichen Rahmen gesetzt, um politische Ziele zu erreichen: soziale Sicherheit, funktionierenden Wettbewerb, Chancen zur persönlichen Lebensgestaltung nach Fähigkeit und Leistungsbereitschaft; dies alles nicht als ein für allemal abgeschlossene, sondern als ständig neue Aufgabe und als Ziel und politischen Rahmen.Was wir in diesen Jahren geschaffen und in den kommenden Jahren zu schaffen haben werden, wird ein ökologischer Rahmen für die Marktwirtschaft sein. Er entsteht aus vielen Einzelgesetzen nach dem Maß unseres fortschreitenden Wissens um Gefährdung und ihre Vermeidung. Marktwirtschaft bei vernünftigen politischen Rahmenbedingungen ist eine gute Voraussetzung für Umweltschutz, besser als jedes zentralistische System. Vielleicht können wir künftig zunehmend marktwirtschaftliche Steuerungsmechanismen im Umweltschutz einführen, in die Umweltpolitik selbst einbauen. Hier ist das Abwasserabgabengesetz ein erster und guter Schritt.Schließlich die dritte Frage, die Behauptung, Demokratien könnten diese Herausforderung nicht bestehen. Die Demokratien waren bisher im Umweltschutz unvergleichlich erfolgreicher als totalitäre Systeme. Eine Diktatur könnte Umweltschutz schneller und rigoroser erzwingen. Dies liegt auf der Hand. Es fehlt Diktaturen jedoch offenkundig jede Motivation. Vorrang hat der Ausbau von wirtschaftlicher Macht, von militärischer Stärke. Der Vergleich der Belastungen von Luft und Wasser, der Sicherheitsauflagen für Kernreaktoren in Industriestaaten des Ostblocks und Industriestaaten der freien Welt, belegt dies offenkundig. Was die Schwäche der Demokratien zu sein schien, die notwendige Rücksichtnahme auf die Meinung der Bürger, dies eben hat sich als ihre eigentliche Stärke erwiesen. Denn die Bereitschaft der Bürger, für den Umweltschutz Opfer zu bringen, ist gewachsen. Sie wurde in der offenen Diskussion mit den Parteien und durch die freie Presse artikuliert. Damit wurde dem Politiker nicht nur die Möglichkeit gegeben, sondern es wurde auch der notwendige Druck auf ihn ausgeübt, Volkseinkommen zugunsten des Umweltschutzes umzuverteilen; und das ist richtig.Der Rang der Aufgaben hat sich verschoben, die Werte haben sich gewandelt. Vorrang hatten in den 50er Jahren ohne Zweifel der Aufbau unseres zerstörten Landes, die Schaffung von Arbeitsplätzen für Millionen von Flüchtlingen und Vertriebenen, die mit nichts in den Bereich der Bundesrepublik kamen, mit nichts außer mit dem unschätzbaren Kapital einer Ausbildung, einer generationenlangen Tradition von handwerklicher Fertigkeit und fachlicher Disziplin. Unsere Umweltpolitik war in dem Maße erfolgreich und möglich, in dem die Erkenntnis wuchs: Nicht ein Mehr von allem, was wir jetzt schon haben, ist die Grundlage zum Glück. Es geht auch um den Reichtum und die Schönheit der Natur, die wir vorgefunden haben, und die Umwelt, die wir zu gestalten haben.Diese Umweltpolitik haben alle parlamentarischen Parteien gemeinsam aufgebaut; die Bundesregierung hat in ihrer Antwort auf die Große Anfrage darauf hingewiesen. Eine solche Gemeinsamkeit der Parteien ist von besonderer Wichtigkeit in Bereichen, in denen langfristige Kontinuität über Regierungswechsel hinweg für alle absehbar und verläßlich sein muß. Wie verheerend es für eine vernünftige Entwicklung ist, wenn in Bereichen, in denen langfristig geplant werden muß, Kontinuität und Einmütigkeit nicht gegeben sind, zeigt die Energiepolitik, in der nichts mehr läuft, weil sich die Regierungsparteien untereinander selbst streiten, so daß niemand mehr weiß, was als Ergebnis nach einem Parteitag herauskommt. Absehbar sein müssen die Ergebnisse für die Bürger, für die Unternehmer bei der Planung von Anlagen und Produkten, für die Gemeinden bei den Investitionsvorhaben, bei den Investitionshaushalten.Bei all dieser Gemeinsamkeit hat sich jedoch in den letzten Jahren zunehmend ein unterschiedli-
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Dr. Riesenhubercher Stil in der Umweltpolitik entwickelt. Im Gegensatz zur Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage läuft die praktische Regierungspolitik zunehmend darauf hinaus, daß ein ständig dichter geknüpftes Netz von Verordnungen, Überwachungen, Kontrolle und Bürokratie Umweltschutz sichern soll. Wir sind ganz entschieden — um Mißverständnisse gleich auszuräumen — für verbindliche Rahmenbedingungen und Grenzwerte, für die Durchsetzung des Verursacherprinzips dort, wo dies überhaupt anwendbar sein kann. Aber wir haben ein größeres Vertrauen in die Eigenverantwortlichkeit der Bürger, der Unternehmer, der Stadtdirektoren und der Bürgermeister. Wir erwarten vom Unternehmer nicht nur, daß er bei einer neuen Anlage prüft, ob und wie die vorgegebenen Grenzwerte eingehalten werden können, sondern wir erwarten auch, daß er prüft, ob es technisch-wirtschaftlich vertretbare Möglichkeiten gibt, diese Grenzwerte zu unterschreiten; oft geschieht dies schon. Diese Bereitschaft wird aber gefährdet, wenn diese neuen Erfolge — ohne Rücksicht auf die Besonderheiten des Einzelfalles — umgehend für alle verbindlich festgeschrieben werden sollen.Ein wesentlicher Teil unserer sichtbaren Erfolge im Umweltschutz entstand in einer verantwortlichen Partnerschaft vor Ort zwischen Unternehmen und Behörden. Heute wachsen die Bürokratien; die Entscheidungsspielräume werden eingeengt. Eine Haltung breitet sich aus, die nicht nur nicht die bestmögliche Lösung vor Ort sucht, sondern auch Eigenverantwortung mit Verordnungen, mit vielfältig zersplitterten Zuständigkeiten zudeckt. Die Gewerbeaufsichtsämter werden zugleich überlastet und in ihrer Wirkungsmöglichkeit eingeschränkt. Absurd wird es, wenn ein Betriebsleiter, ein Beamter, der betroffene Bürger nicht mehr alle Vorschriften übersieht, die ihn angehen. Auf diesen Punkt weist der Sachverständigenrat für Umweltfragen ebenso hin wie dankenswerterweise auch der Kollege Konrad.Der Erfolg von Umweltschutz erweist sich nicht in einem perfekten System von Gesetzen und Verordnungen. Er zeigt sich vielmehr in sauberer Luft, in reinerem Wasser, in der Dämpfung des Lärms. Dies werden wir nur in dem Maße erreichen, in dem wir die Eigenverantwortlichkeit aller Betroffenen zu mobilisieren imstande sind. Wir brauchen nicht mehr Gesetze, sondern wir brauchen genaue und wirksame Gesetze.Über erhebliche Zeit haben wir Umweltschutz ohne Grundlagenforschung betrieben. Was uns fehlt, ist weitgehend das Verständnis der Wirkung der einzelnen Stoffe. Was uns fehlt, ist eine hinreichende Einsicht in die Zusammenhänge. Was uns fehlt, ist eine hinreichend genaue Kenntnis von Systemen, um sie wirklich angehen zu können und die entscheidenden Punkte zu treffen.Was uns fehlt, ist eine hinreichende Kenntnis der volkswirtschaftlichen Wirkungsmechanismen. Wir gehen nicht davon aus, daß volkswirtschaftliche Kosten-Nutzen-Rechnungen die wesentlichen Voraussetzungen für Umweltpolitik sein können. Daß sie aber in der Diskussion überhaupt nicht vorhanden sind und nicht einbezogen werden können, ist das Risiko. Das kann bedeuten, daß in enormem Maß Mittel fehlgeleitet .und unsere Ziele nicht erreicht werden.Wir brauchen Umweltschutz nicht nur aus richtigen Entscheidungen, sondern auch aus einer sachlich tragfähigen Begründung der Vorlagen. Die Möglichkeiten des Parlaments, fachliche Probleme aufzuarbeiten, sind bis heute absolut ungenügend. Die Regierungskoalition hat es auch in dieser Wahlperiode für richtig gehalten,uns kein Instrument zur Technologiefolgenabschätzung zu genehmigen. Wir haben das seit sieben Jahren beantragt. Es gibt großartige und zustimmende Sonntagsreden, aber keine positive Entscheidung.Die Verantwortung für die fachliche Qualität der Gesetze liegt bei der Exekutive. Das Verkehrslärmschutzgesetz wurde in einer Form vorgelegt, daß Folgelasten und damit Schätzungen zur Finanzierung in Milliardenhöhe streitig waren — bis selbst zwischen den Ressorts der Bundesregierung. Die Vorstellungen der Bundesregierung zum Bundes-Immissionsschutzgesetz und zur Reinhaltung der Luft wurden kürzlich in einer Sachverständigenanhörung so hart kritisiert, daß nicht mehr zu erkennen ist, wo eine tragfähige Grundlage für die weiteren Beratungen liegen kann. Die Federführung für das Chemikaliengesetz wurde so lang zwischen den Ressorts hin und hergeschoben, daß es trotz äußerster Anstrengung des Parlaments unsicher geworden ist, ob dieses Gesetz noch in dieser Wahlperiode verabschiedet werden kann.Es geht in der Umweltpolitik um sachlich begründete Konzepte, die allein die Grundlage für einen vernünftigen politischen Streit sein können. Es geht nicht um spektakuläre Verlautbarungen, die einen Minister als grün profilieren sollen. Der „grüne Baum" — das ist vielleicht ein Wirtshausschild; das ist kein Markenzeichen für einen verantwortlichen Minister. Er soll zwischen Vorteilen und Nachteilen abwägen. Er soll sich nicht nach einer Seite profilieren.Es geht um Nüchernheit. Es geht darum, daß keine Versprechen gegeben werden, die nachher nicht realisiert werden können. Die Schadstoffe in den Autoabgasen sind entgegen den Ankündigungen der Bundesregierung nicht auf ein Zehntel der Werte von 1969 gesenkt worden. Solches Erwecken von Erwartung führt zu Enttäuschung, und diese führt zu Frustration und zu mangelndem Vertrauen in unsere Ernsthaftigkeit. Es geht um die präzise Beschreibung von Risiken, um sie beseitigen zu können; nicht um Demagogie.In der Unfallstatistik der Berufsgenossenschaften steht die Chemie an 26. Stelle. Diese Technik hat einen hohen Standard an langfristig gezüchteter Sicherheit. Wenn das Innenministerium mit dem Wort von der „Zeitbombe Chemie" öffentlich polemisiert, so ist das unredlich und gefährlich.
Die Bundesregierung bedauert, daß die Leistungen im Umweltschutz nicht hinreichend anerkannt werden. In der Tat: 60 % der Hauptschulabgänger
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 214. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. April 1980 17161
Dr. Riesenhubergehen davon aus, daß in Deutschland die Verhältnisse in der Umwelt immer schlechter werden. Ein Schlagwort wie das von der „Zeitbombe Chemie" kann hier mehr zerschlagen, als die Fülle korrekter und konkreter einzelner Erfolgsberichte wieder aufbauen kann.
Es wird nicht mehr zur Kenntnis genommen und nicht mehr akzeptiert, was wir geleistet haben. Der Strahlenschutzbericht mit seiner Bestätigung der geringen Belastung der Umwelt durch Reaktoren, der Rückgang des Bleis in der Luft in den Städten und in der Belastung der Äcker entlang der Landstraßen und der Autobahnen, die Sanierung des Bodensees, der am Umkippen war und dessen Wasserqualität sich der Trinkwasserqualität wieder nähert, die Stagnation der Emissionen an Kohlenmonoxyd, an Staub bis hin zum Feinstaub, an Schwefeldioxyd, an Stickoxyden, die Stagnation trotz wachsender Wirtschaft — dies alles wird nicht zur Kenntnis genommen, und dies in einer wachsenden Wirtschaft, obwohl überständige Steinkohlenkraftwerke veralteter Technik nicht abgelöst werden konnten. Wenn es uns nicht gelingt, den Bürger davon zu überzeugen, daß unsere Umweltpolitik Aussicht auf Erfolg hat, dann werden wir diese Umweltpolitik langfristig nicht durchführen können.Niemand von uns glaubt daran, daß wir in irgendeine Idylle zurückkehren können, in eine heile Welt, wenn es sie jemals gegeben hat. Die heile Welt, das goldene Zeitalter ist immer schon in der Vergangenheit gewesen; das können Sie auch bei Platon nachlesen. Wir leben in einer Industriegesellschaft, und wir sind auf Technik und Industrie angewiesen. Aber jeder muß wissen, daß wir die Möglichkeit haben und entschlossen sind, riskante Folgen der Technik zu erkennen und im Griff zu halten, gerade weil wir die Technik brauchen. Es geht nicht darum, beliebig lange Forschungsreihen abzuwarten, bevor man zu Entscheidungen kommt. Optionen und Moratorien sind keine Mittel der Politik. Kant sagt, daß die Notwendigkeit zum Handeln immer weiter reicht als die Möglichkeit des Erkennens. Aber es muß offenkundig sein, daß wir bereit und imstande sind, das, was wir wissen, zu tun.Wir vertreten die Überzeugung, daß die politischen Entscheidungen in den verfassungsmäßigen, demokratischen Institutionen fallen müssen. Die Bürgerinitiativen vertreten ein legitimes Eigeninteresse, oft auch eine grundsätzliche Sorge. Wir haben stets abzuwägen zwischen Eigeninteresse, Einzelinteresse und Gemeinwohl. Aber das bedeutet, daß wir vorher in einer offenen, umfassenden und redlichen Diskussion, im offenen Gespräch unsere Position prüfen und hinterher rechtfertigen müssen. Das bedeutet, daß wir, wenn über Programme entschieden worden ist, uns hinterher nicht aus der Entscheidung wegstehlen dürfen, wie es die SPD in Niedersachsen und in Schleswig-Holstein in der Frage der Kernenergie getan hat.
Das bedeutet, daß wir Entscheidungen nicht auf die Gerichte delegieren, weil wir selbst nicht imstande sind, hinreichend klare Vorlagen zu verabschieden, so daß eindeutige Entscheidungen in begrenzter Zeit beim vollen Rechtsschutz des Bürgers gewährleistet sind. Hier war unsere Arbeit nicht immer uneingeschränkt überzeugend.Gewachsen ist die Anziehungkraft grüner Parteien auf viele junge Erwachsene. Sie suchen Auswege aus den Zwängen einer Industriegesellschaft. Sie vermuten, daß bürokratische Technik, bürokratische Organisation, komplizierte Technik, daß diese ganze Fülle an Organisationsstrukturen die gleichen Ursachen haben wie die Bedrohung unserer Umwelt. Es geht ihnen um Chancen für sinnerfülltes Leben, um Geborgenheit in überschaubaren Gruppen, um mehr Freiraum für schöpferische Individualität. Es gilt, diesen Männern und Frauen ein Konzept darzustellen, das sie für unsere Arbeit gewinnt.Die Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage, die Fakten, Daten und Ansichten — über gute Strecken ist es ordentliches Handwerk; nicht ganz — bieten nicht das schlüssige Konzept über die Technokratie hinaus, das Konzept, das Mut und Zuversicht gibt, das Konzept, das die Lust erweckt, an einer offenen Zukunft mitzugestalten. Das ist es, was wir in der heutigen Zeit brauchen.
Das Wort hat der Abgeordnete Wolfgramm.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Herr Kollege Dr. Riesenhuber, es ist sicher richtig, daß der Umweltschutz bei der Menschheit schon immer eine Rolle gespielt hat. Aber die Frage ist: Wie intensiv, unter welcher Programmatik und unter welcher globaler Strategie? Schon die alten Römer haben eine Kanalisation eingeführt, weil sie sich bewußt waren, daß Menschen, die in einer 1-Millionen-Stadt zusammengepfercht sind, nicht ohne einen solchen Schutz auskommen können.Aber ich darf darauf hinweisen, daß diese Bundesregierung 1971 zum erstenmal ein umfassendes und anspruchsvolles Umweltschutzprogramm vorgelegt hat. Wir haben unseren Part dazu beigetragen; denn wir haben vorher auf dem Freiburger Parteitag — ebenfalls als erste Partei — ein solches Programm verabschiedet. Die tragenden Gedanken dieses FDP-Konzepts und des Umweltschutzprogramms der Bundesregierung sind in der Zwischenzeit weitgehend in den Gesetzen verwirklicht worden; sowohl im Abfallbeseitigungsgesetz wie im Benzinbleigesetz — das ja übrigens inzwischen eine besondere Vorreiterrolle in der Europäischen Gemeinschaft spielt—, im Immissionsschutzgesetz, im Wasserhaushaltsgesetz und in Waschmittel-, Natur- und Landschaftspflegegesetzen. Ich darf für meine Fraktion positiv unterstreichen, daß die Regierung das Verursacher- und Vorsorgeprinzip konsequent umgesetzt hat. Diese Gesetze haben vieles aufhalten können, was sich auf dem Weg einer ganz erheblichen Verschlechterung befand.
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Wolfgramm
Sie haben auch Verbesserungen bringen können, zum Teil entscheidende Verbesserungen. Aber sie sind nur ein Teil auf dem Wege der Gesamtstrategie des Umweltschutzes. Hier sehe ich in diesem Hause eine grundsätzliche und positive Übereinstimmung. Diese Gesamtstrategie kann sich nicht darin erschöpfen, den Status quo zu erhalten oder an einigen Stellen drohende Verschlechterungen zurückzudrängen, sondern wir müssen langfristig dazu kommen, eine akzeptable Umweltsituation zu erreichen.Die Umweltbelastung ist in weiten Bereichen noch beängstigend. Weder ist der staubfreie und schadstofffreie Himmel über der Ruhr erreicht, noch ist in absehbarer Zeit zu erwarten, daß das Wasser in unseren Flüssen Trinkwasserqualität hat; das Beispiel des Bodensees vielleicht ausgenommen. Sie, Herr Dr. Riesenhuber, und die Opposition helfen uns in diesem Punkt der Wasserqualität gar nicht. Darauf werde ich noch eingehen.Im Zusammenhang mit dem Umweltschutz und den Möglichkeiten, die wir im Augenblick anbieten können, stellt sich die Frage nach der Lebensqualität für den Menschen. In diesem Zusammenhang, Herr Kollege Riesenhuber, bin ich der Meinung, daß ein „grüner Baum" als gepflegter Gasthof einen ganz besonderen Stellenwert für Lebensqualität hat.
Der technische Fortschritt brachte Wohlstand. Er brachte die Seuchenbekämpfung, die Steigerung des Lebensalters. Er brachte uns ein umfassendes Sozialnetz, das aus Mitteln finanziert wurde, die aus der gewachsenen Steuerkraft kamen. Er brachte uns ein vermehrtes schulisches Ausbildungsangebot. Auch da könnten Sie uns sehr viel intensiver unterstützen, Herr Kollege; aber wir wollen hier keine bildungspolitische Debatte führen.
Mit der Position, daß Sie inzwischen dazu übergehen, Gesamtschulabschlüsse nicht mehr anzuerkennen, tragen Sie nicht dazu bei, die Lebensqualität der Bürger zu verbessern.Die Frage ist also: Ist das ausreichend, was wir hier gewonnen haben? Welchen Preis müssen wir dafür zahlen? Unsere Bürger können erwarten, daß zu einem menschenwürdigen Dasein gehört, daß man frei atmen kann, ohne die Furcht haben zu müssen, Schadstoffe aufzunehmen, daß man Wasser trinken kann, ohne die Furcht haben zu müssen, sich mit Stoffen zu vergiften, daß man essen kann, ohne Gefahr zu laufen, Blei oder Kadmium oder andere kumulativ wirkende Giftstoffe aufzunehmen. Der Bürger hat ein Recht darauf, nicht von Motor- und Maschinenlärm gestört zu werden.Vegetation und Tierwelt sind gefährdet, und die Ausbeutung der unbelebten Natur durch den Abbau nicht erneuerbarer mineralischer und fossiler Rohstoffe ist deutlich. Wir versuchen, etwas für 50 Jahre aufzuhalten und zu strecken. In diesem Zusammenhang erlaube ich mir die Anmerkung: Wenn wir in 4 000 Jahren Menschheitsgeschichte mit den vorhandenen Ressourcen ausgekommen sind, dann erscheinen 50 Jahre für die Zukunft etwas wenig. Wir müssen zusätzlich Überlegungen anstellen, wie wir Austauschrohstoffe schaffen und zusätzlich zu anderen Verbindungen kommen, um nicht nur für 50 oder 60 Jahre in dem einen oder anderen Fall die Rohstoffposition zu strecken .und es unseren Nachfolgern, unseren Enkeln, zu überlassen, welche Antwort sie auf die verminderte Rohstoff- und damit auf die verminderte Lebensgrundlage finden.Das Wort Ökologie kommt von dem griechischen Wort Oikos: Haus oder Hausgemeinschaft. Daran sehen wir etwas deutlicher, daß sich die menschliche Existenz hier in bestimmte Zusammenhänge einfügt. Dieser Komplex, den wir hier Ökosystem nennen und der sich auch in einzelne Ökosysteme abgrenzt — Organismen und unbelebte Materie — ist aber für uns noch weitgehend unerforscht. Die Kenntnisse über diese Systematik sind zu gering. Wir können bisher noch keine Antworten darauf finden, wie sich Einzelmaßnahmen — von uns isoliert als unschädlich oder in ihrem Stellenwert jedenfalls als nicht beachtenswert angesehen — insgesamt in diesem System auswirken.Es wird deutlich, daß der Mensch in intakte Lebenskreisläufe von anorganischen Stoffen, Pflanzen und Tieren eingebettet ist. Der Unterschied ist, daß der Mensch bewußt gestaltet; denn kulturelles und geschichtlich bezogenes Wissen heißt sich verwirklichen mit Zielen und Zukunftserwartungen. Diese bewußte Gestaltung greift in die Umwelt ein. Sie bietet aber auch die Möglichkeit, nicht nur physisch zu überleben. Ich meine, das, was wir mit dem Begriff Menschenwürde bezeichnen können, ist etwas, was wir den Nachfolgern erhalten müssen, was wir ihnen in stärkerem Maße wiedergeben müssen. Denn diese Position erschöpft sich ja nicht in dem, was wir uns als Wohlstand, als Konsumgesellschaft vorstellen.Vieles, was technisch machbar ist, ist und bringt keine Lebensqualitätsverbesserung. Ich erinnere an das Beispiel Concorde, die die Vereinigten Staaten in einer um eine Stunde kürzeren Zeit erreicht, aber unter einer ganz erheblichen zusätzlichen Luftverschmutzung. Ich stelle mir vor, daß es für Urlauber kein Gewinn ist, wenn sie die Erholung, die sie in der Urlaubszeit gewonnen haben, bei dem Streß der Rückfahrt in den Kolonnen auf den Autobahnen wieder verlieren. So können Sie diese Beispiele — Ihr Generalsekretär hat neulich einen Aufsatz über Freizeitverhalten geschrieben — fortsetzen.Carl Friedrich von Weizsäcker hat einmal gesagt, daß eine der negativen seelischen Wirkungen der technischen Kultur gerade die Konsumentenmentalität und damit die Unwilligkeit zur Teilhabe an der Verantwortung ist. Es wird an uns sein, nicht nur durch blitzende und strahlende Appelle, sondern auch durch eine Umgestaltung unserer Wertvorstellungen hier diese Abhängigkeit zu vermeiden und zu einer echten Lebensqualität zurückzukehren.Der Club of Rome, der hier schon zitiert worden ist, hat dazu bemerkenswerte Überlegungen angestellt. Sicher sind aber nicht alle Voraussagen, die ja
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 214. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. April 1980 17163
Wolfgramm
schon einige Zeit zurückliegen, eingetroffen, wie ja überhaupt die Frage der Prognose problematisch ist. Die „Zeit" hat vor einigen Jahren eine Veröffentlichung gebracht, in der sie einmal die Prognosen des Jahres 1965 dargestellt hat. Von diesen Prognosen sind bis auf ganz wenige keine eingetroffen. Auf der einen Seite hat man die Dinge zu intensiv gesehen und hat technische Entwicklungen betrachtet, die an den Problemen überhaupt vorbeigehen. Auf der anderen Seite hat man sich in der Machbarkeit der technischen Möglichkeiten ganz erheblich getäuscht.Wir werden den Weg nicht zurückgehen können. Wir werden nicht Fabriken und Maschinen stillegen können. Wir wollen unser Sozialnetz erhalten. Wir wollen die Möglichkeiten der Bildung — der Ausbildung und der Fortbildung — erhalten. Wir wollen dem Menschen die Vielfalt der Chancen erhalten und weiter ausbauen; denn nur auf diesem Wege kann er sich selbst verwirklichen. Aber es wird bedeuten, daß wir eine umfassende Verzahnung aller künftigen Entwicklungen im technischen Bereich und deren Auswirkungen im gesellschaftlichen Bereich besonders berücksichtigen. Ich erinnere daran, daß wir in der Enquete-Kommission „Zukünftige Kernenergie-Politik" die Auswirkungen auf die gesellschaftlichen Möglichkeiten und Verwerfungen ausdrücklich mit einbezogen haben, daß wir diese Auswirkungen auf die Umwelt abstimmen und Verhaltensveränderungen beim Bürger zu erzielen suchen.Wohlstand ist kein Lebenszweck an sich. Die Steigerung des Bruttosozialprodukts ist kein Wertmesser für Lebensqualität. — Herr Kollege Riesenhuber, Sie haben sich in Ihren etwas weitgreifenden Ausführungen auch zur Verschuldungspolitik und zur Haushaltspolitik geäußert. Es hilft natürlich wenig, dies hier zu beklagen
und auf der anderen Seite zusätzlich Anträge in Milliardenhöhe zu stellen.
Dann müssen Sie das auch seriös unter sich abstimmen. Daran sehen wir wieder, wie unterschiedlich die Motivation in Ihrer Fraktion ist. Sie müssen da einmal zu einem gemeinsamen Konsens kommen.
— Das ist dann Ihre Sache, wenn Sie hier 1,3 Milliarden DM zusätzlich fordern und in einem Atemzug andererseits die Verschuldensposition beklagen.
Ich meine aber — das möchte ich hier ganz deutlich sagen —, die Verschmutzung des Rheins ist dieselbe wie die der Moldau. Es zeigt sich hier klar, daß planwirtschaftliche Systeme in keiner Weise besser in der Lage sind, mit den Problemen des Umweltschutzes und mit den daraus resultierenden nötigenVeränderungen und Wandlungen des Bewußtseins der Bürger fertig zu werden.
— Ich weiß, daß es in einigen Bereichen schlimmer ist; es mag sein, daß es in anderen Bereichen besser ist. Ich will jetzt kein pauschales abqualifizierendes Urteil fällen, aber ich will deutlich machen, daß es dort um keinen Deut besser ist.Nach unserer Meinung wird die marktwirtschaftliche Ordnung als einzige in der Lage sein, durch Anreize und durch die Möglichkeit, flexibler und rascher zu reagieren, diese Veränderungen zu vollziehen, allerdings — da scheint mir auch eine gewisse Differenzierung nötig zu sein — auch mit der Möglichkeit der begleitenden Kontrolle. Wir dürfen hier nicht blindes Vertrauen haben, denn die Folgen sind zu ernst. Wir werden das entsprechend kontrollieren müssen, wie wir das bei Recycling-Verfahren auch tun, und wenn sich herausstellt, daß Industrie und Wirtschaft nicht willens und in der Lage sind, das zu erbringen, was unumgänglich nötig ist, dann kann und darf es auch nicht an Gesetzen und Verordnungen fehlen. Ich erinnere an die Frage der Fluorchlorkohlenwasserstoffe, wo wir erwarten, daß eine sukzessive Reduzierung erfolgt. Aber wenn wir feststellen, daß eine solche Reduzierung nicht erfolgt, dann werden wir uns hier nicht nur mit gutem Zureden und einer Regelung auf freiwilliger Basis begnügen.Ich bin der Meinung, daß wir bei unserer Umweltschutzposition berücksichtigen müssen, daß etwa 18 % der Weltbevölkerung heute 60 % der Primärenergie aufbrauchen, nur um hier einmal ein Zahlenbeispiel zu nennen. Wir können nicht auf Kosten anderer Nationen der Dritten Welt unsere Möglichkeiten des Wohlstandes ausbauen und das Gefälle zwischen armen und reichen Nationen immer weiter vergrößern. Wir werden mit ihnen über einen vernünftigen und auch für sie annehmbaren Konsens sprechen müssen, und wir werden versuchen müssen, auch dort klarzumachen, daß sie die Fehler, die wir begangen haben, nicht wiederholen sollten. Ich erinnere hier an das Problem der Abholzung des Amazonas-Waldes, an die sich dadurch ergebende Klimaveränderung und an die geringen Möglichkeiten durch die Neugewinnung eines landwirtschaftlich nutzbaren Geländes für dieses Land. Wir werden also uneigennützig helfen müssen, indem wir durch einen entsprechenden Know-how-Transfer umweltfreundliche Technologie einbringen. Wir müssen auch ein Zeichen setzen, daß wir den Anteil von 0,7 % des Bruttosozialproduktes rasch und schnell erreichen wollen.
Wir wollen einen sparsamen Umgang mit Energie und mit den natürlichen Rohstoffen erreichen. Über das Verfahren des Recyclings, der Wiederverwendung, brauche ich mich, glaube ich, nicht ausführlich zu äußern.Wir wollen weg von der Wegwerf-Gesellschaft. Wir wollen wieder — und ich meine, das ist auch eine gesellschaftliche Frage — die Beziehung zu ei-
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Wolfgramm
ner Sache herstellen, bei deren Erwerb sich jemand eine lange Zeit dadurch engagiert hat, daß er Konsumverzicht geleistet hat. Es wäre nützlich, wenn in der Frage der Werterhaltung das Handwerk seine Fähigkeiten der Reparatur wieder stärker zur Geltung bringen könnte und nicht nur, wie das inzwischen üblich geworden ist, neue Maschinen, neue Installationen verwendet werden.Wir müssen das deutlich machen; denn wir sitzen alle in einem Boot. Niemand kann sich da ausschließen. Wir werden auch erleben — und dieser Bundestag steht in Kürze vor einer solchen Aufgabe; er wird den Generalverkehrsplan beraten —, wie an jeden Abgeordneten aus seinem Wahlkreis Wünsche im Hinblick auf zusätzliche Maßnahmen im Verkehrsbereich herangetragen werden, während auf der anderen Seite Initiativen von Bürgerinitiativen stehen werden, die sich dagegen wenden und mit Recht in vielen Fällen sagen: Wir möchten diese Umwelt erhalten, und wir wollen die Möglichkeiten der Mobilität in diesem Bereich nicht ausbauen, so wichtig Mobilität für unsere Gesellschaft auch sein mag.Wir wollen die Motivationen und die Innovationen fördern. Das bedeutet ein Umdenken bei den Behörden und bei den Bürgern.Niemandem wird es einfallen, von einer antiasketischen Gesellschaft, die wir sicher sind, in eine asketische Gesellschaft umsteigen zu wollen. Aber wir müssen die Relationen in jedem Fall prüfen. Wir müssen menschliche Phantasie und Fähigkeiten anregen, die es uns ermöglichen, die Richtung zu ändern.Die Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage ist eine gute Antwort; denn sie stellt, wie ich finde, das bisher Erreichte sorgfältig und umfassend dar. Sie begründet meinen Dank an den Bundesinnenminister und die Mitarbeiter, an alle, die sich mit Engagement im Bereich des Umweltschutzes und seiner Verbesserung betätigt haben.Wir ermutigen den Bundesinnenminister, auch weiterhin den Kern des Umweltschutzes, das Verursacherprinzip und das Vorsorgeprinzip, bei allen anstehenden Vorhaben engagiert zu vertreten — wie bisher.Meine Damen und Herren, ich glaube, niemand hat vor zehn Jahren, nachdem das Umweltschutzprogramm verkündet war, erwartet, daß wir nach zehn Jahren solche Erfolge haben würden. — Sie kennen alle die Fülle der Erklärungen, die von der Opposition und auch von der Koalition abgegeben werden, deren Umsetzung sich aber in einem solchen Zeitraum nicht realisieren läßt. — Ich meine, das ist wirklich etwas, worauf wir stolz sein können. Aber es stehen eben noch wichtige Dinge zur Beseitigung der größten Schäden aus.Ich erkläre für meine Fraktion, daß wir das Umweltchemikaliengesetz noch in dieser Legislaturperiode verabschieden wollen, um einen ersten Einstieg in diese wichtige Materie zu leisten.
Wir werden uns aber mit Nachdruck dagegen wenden, daß das Zustandekommen des Abwasserabgabengesetzes verzögert und dieses Gesetz verwässert werden soll.
Herr Kollege Riesenhuber, Sie haben dazu nur sehr marginal Stellung genommen.
Sie haben von Problemen bei der Durchführung gesprochen. Probleme bei der Durchführung haben wir, Herr Kollege Dr. Riesenhuber, bei jedem Gesetz. Wir werden kein Patentrezept für ein Testverfahren finden. Das wissen Sie genauso gut wie ich. Ihre Kollegen in der Unterkommission „Abwasserabgabengesetz" des Ausschusses haben sich intensiv mit diesen Fragen beschäftigt und sich um ein solches Verfahren bemüht. Wenn wir ein Patentrezept zur Prüfung hätten, hätten wir es natürlich eingebracht. So werden wir uns mit den Instrumentarien begnügen müssen — und das wollen wir auch tun —, die im Augenblick „Stand und Technik" sind. Wir werden es nicht hinnehmen, daß auf diese Weise durch die Länder Bayern, Niedersachsen und Schleswig-Holstein und deren Ministerpräsidenten Strauß, Albrecht und Stoltenberg versucht wird, das Zustandekommen eines so wichtigen Gesetzes zu verzögern. Sie können das mit einem Blick erkennen, wenn Sie sich einmal die Gewässergütekarte betrachten. Die Gewässergütekarte enthält zur Unterscheidung der Wasserqualität die Farben blau, grün, gelb und rot. Dabei ist blau eine Wasserqualität, wie sie für den Bodensee beschrieben wird und die man natürlich auf dieser Gewässergütekarte nur ganz marginal findet. Wir wären schon froh, wenn sich der grüne Anteil ganz erheblich vergrößern würde — das würde durch dieses Wasserabgabengesetz erreicht —, im Gegensatz zu den gelben und roten, die nämlich beide bedeuten, daß starke und stärkste Verschmutzungen herrschen.
— Ja, dazu können Sie beitragen, wenn Sie Ihren Einspruch und Ihren Initiativgesetzentwurf zur Änderung des Abwasserabgabengesetzes zurückziehen.Übrigens muß ich bei diesem Punkt einmal sagen: Es ist eindrucksvoll, daß sich die Opposition, deren Konsens bei vielen wichtigen Umweltschutzgesetzen ich nicht bestreite, bisher profiliert hat, indem sie neun Gesetzesinitiativen zur inneren Sicherheit vorgelegt hat, aber nur eine Gesetzesinitiative im Bereich des Umweltschutzes, und genau die geht nun dahin, daß sie Verwässerungen und Verminderungen beim Abwasserabgabengesetz einbauen will.
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Wolfgramm
— Herr Kollege Dr. Laufs, ich möchte Ihnen folgendes sagen: Es ist unredlich, und es ist auch unglaubwürdig, wenn Sie als Partei erst versprechen — sogar in Wahlprogrammen, ich habe das noch zu Hause liegen —, daß Sie für die Vollkompetenz des Gewässerschutzes eintreten, daß Sie dies dann aber nicht durchhalten, sondern diese Vollkompetenz verweigern und dann auch noch hergehen und sagen, dieses Abwasserabgabengesetz — das schon durch das Fehlen einer Vollkompetenz des Bundes eine mühsame Angelegenheit gewesen ist und bei dem bei der Beratung und Verabschiedung die Rechte mit den Ländern mühsam austariert und ausbalanciert wurden — wird aber vielleicht zu teuer —30 % Verwaltungskosten! Haben wir denn das Gesetz gemacht, damit entsprechende Beamte bezahlt werden? Entlassen wir etwa Polizisten, weil das Bußgeldverfahren ihre Gehälter nicht deckt? Das ist doch überhaupt nicht der Punkt gewesen. Der Punkt war, hier nach marktwirtschaftlichen Kriterien einen Anreiz zu geben, indem diejenigen, die dieses Gesetz verwirklichen, keine Abgabe auferlegt bekommen, während diejenigen, die das Gesetz nicht einhalten bzw. keine Kläranlagen bauen, eine entsprechende Abgabe zahlen müssen. Das halte ich allerdings für ein sehr marktwirtschaftliches und umweltschutzpolitisch erfolgreiches System.Nun hat eine ganze Reihe von Kommunen — die anders kalkulieren als die Wirtschaftsbetriebe — und auch von Wirtschaftsbetrieben dieses Gesetz inzwischen verwirklicht. Das heißt: sie haben sich Kläranlagen geschaffen, was ihre Abgabe entsprechend vermindern würde, wenn eine solche Abgabe in Kraft träte. Das Gesetz ist übrigens schon in Kraft; nur die Abgabenregelung ist noch nicht in Kraft, und die wollen Sie weiter hinauszögern. Ich halte es für unfair und für unredlich, wenn Sie, Herr Kollege Riesenhuber, hier von der Unglaubwürdigkeit unserer Programmatik gesprochen haben und nun sagen: Wir werden das alles wieder verändern, wir werden die Abgabenhöhe reduzieren, und im übrigen sind wir sowieso nicht der Meinung, daß das ganze Verwaltungsverfahren sinnvoll ist. — Ich halte das nicht für richtig. Sie müssen sich auch fragen, ob verbale Bekenntnisse in solchen Punkten für den Bürger eine glaubwürdige Position bedeuten. Wenn Sie hier mit Scheinargumenten kämpfen, dann müssen Sie sich zumindest vorhalten lassen, daß Sie in wichtigen Zielsetzungen des Umweltschutzes nur mit dem Gummischwert arbeiten.Sie haben sich übrigens in Ihrem Antrag über das Zustandekommen des Lärmschutzgesetzes lustig gemacht. Ich finde das auch nicht sehr eindrucksvoll. Sie alle wissen,- daß die Regierung einen Lärmschutzgesetzentwurf vorgelegt hat, den die Koalitionsfraktionen noch einmal um 3 dB verbessert haben. Jetzt geht die Opposition mit ihrer Mehrheit im Bundesrat her und verlangt die Wiederherstellung des ursprünglichen Entwurfs. Das nennen Sie dann „Umweltschutz", „Eintreten für Lärmschutz Auch das ist sehr eindrucksvoll, fällt genauso unter die Problematik des unredlichen und unglaubwürdigen Verhaltens in diesen Positionen.
Wir von der FDP werden in Zukunft nicht auf unser Engagement in der Verbandsklage verzichten. Wir meinen, daß die Verbandsklage, die übrigens Vorläufer und vergleichbare Positionen hat — um das Argument einmal auszuräumen, es gebe nichts Vergleichbares —, eine stärkere Beteiligung der Bürger bedeuten wird und damit eine Art Waffengleichheit zwischen den Naturschützern und den Verwaltungsinteressen. Außerdem wird in diesem Punkt der Bürger oder ein Naturschutzverband mit einer Art heilsamen Zwang belegt, sich frühzeitig mit dem gesamten Verfahren zu beschäftigen und sich zu beteiligen. Für die Verwaltung entsteht die, meine ich, gute Position, daß sie bei Entscheidungen den Sachverstand der entsprechenden Verbände vorher konstruktiv für sich mit einbringen kann.Wir meinen auch, daß ein autofreier Sonntag nicht nur eine verbale Angelegenheit sein sollte. In einigen Positionen müssen wir auch dem Bürger einmal deutlich machen, daß wir ein sichtbares Zeichen setzen,
und hier kann man das einmal tun.Die Liberalen fordern das ökologisch verantwortbare Wachstum, aber mit Augenmaß, um der Wirtschaft den notwendigen Anpassungszeitraum zu lassen. Wir fordern, daß die Wirtschaft den Weg der Ressourcenschonung beharrlich weitergeht und ihn noch verstärkt. Aber wir wollen eine intensive Forschung über die Wechselwirkung von Stoffen, deren Auswirkungen wir bisher nicht genügend abschätzen können. Ich bitte die Bundesregierung und auch alle nachgeordneten Forschungsanstalten und -einrichtungen, sich dieser Frage zusätzlich und noch intensiver zu widmen. Es laufen eine Fülle von Projekten und Forschungsvorhaben. Aber ich meine, wir werden dort noch mehr Anstrengungen unternehmen müssen.Der internationale Umweltschutz wird uns herausfordern. Wir werden bei den grenzüberschreitenden Problemen noch mehr gemeinsame multilaterale und bilaterale Abkommen haben. Wir hoffen, daß bezüglich der Werraversalzung jetzt endlich gemeinsame Überlegungen und gemeinsame Lösungen gefunden werden können.Die Freien Demokraten begrüßen das Erreichte. Wir werden bei bereits verabschiedeten Gesetzen — wie bei Wasser und Lärm — keine Abstriche machen. Wir appellieren an die Verwaltung und an die Bürger, den Umweltschutz umfassend zu begreifen und Verhaltensänderungen vorzunehmen. Das wird viel Mühe kosten. Aber wir sind zuversichtlich, daß wir das Ziel erreichen können.
Das Wort hat der Herr Bundesinnenminister.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Bundesregierung hat die Große Anfrage der Koalitionsfraktionen zum Anlaß genommen, eine Zwischenbilanz ihrer Umweltpolitik vorzulegen, die
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Bundesminister Baumnicht nur die Politik der Regierung war. Vielmehr ist es — das ist bereits gesagt worden, und ich sage es noch einmal an dieser Stelle — in vielen Teilen, in vielen Punkten eine Politik des gesamten Deutschen Bundestages.Die Umweltbilanz der Bundesregierung zeigt ebenso wie das Umweltgutachten 1978 des Rates von Sachverständigen, daß der vor zehn Jahren noch fast hoffnungslose Prozeß der Belastungen und Zerstörungen unserer Umwelt aufgehalten und in vielen Bereichen Verbesserungen erreicht worden sind. Diese Erfolge wären nicht ohne die engagierte Mitarbeit von Ländern und Gemeinden möglich gewesen. Herr Kollege Dick, ich sage das hier ausdrücklich. Ich möchte an dieser Stelle auch den Wissenschaftlern danken. Denn Umweltschutz ist nicht vollziehbar, ist überhaupt nicht zu konzipieren ohne wissenschaftliche Beratung. Diese mußte in unserem Lande und international überhaupt erst entwikkelt werden und wachsen. Ich danke also den Wissenschaftlern. Ich danke vor allem auch den Wissenschaftlern des Sachverständigenrates für Umweltfragen, der VDI-Kommission, der Deutschen Forschungsgemeinschaft und zahlreichen anderen Gremien, die kaum gesehen werden, wenn von Umweltschutz die Rede ist, die aber eine große Rolle spielen, gerade auch oft in kritischer Distanz zur amtlichen Umweltpolitik stehen, eine kritische Distanz, die wir im Urteil anderer brauchen.Umweltpolitik ist eine Daueraufgabe — das wurde hier schon gesagt —, die sich über Jahrzehnte hin kontinuierlich entwickeln muß, auch für die Wirtschaft vorhersehbar entwickeln muß, eine Jahrhundertaufgabe, wenn Sie so wollen, die nur im Grundkonsens mit allen Beteiligten erfolgreich gelöst werden kann.Kooperation ist auch gerade mit der Wirtschaft praktiziert worden, mit der Wirtschaft, meine Damen und Herren, deren Sachverstand bei der Konzeption neuer Umweltvorschriften, neuer Umweltideen vielfach unentbehrlich ist. Von Anfang an hat daher die Bundesregierung als Leitschnur das Kooperationsprinzip genommen. Sie hat den Dialog mit den Umweltverbänden, mit den Bürgerinitiativen, mit den Bürgern gesucht und auch komplizierte naturwissenschaftliche Zusammenhänge in einfacher und verständlicher Sprache zu erläutern versucht. Sie hat damit wesentlich, meine ich, zur Sensibilisierung unserer gesamten Bevölkerung für Umweltfragen, für Ressourcenschonung und Eigenverantwortung beigetragen.
Herr Kollege Riesenhuber, es engagieren sich sehr viele Bürger, Hunderttausende von Bürgern auch im Kontakt mit staatlichen Stellen für Umweltziele. Es ist nicht die große Resignation ausgebrochen, von der Sie am Schluß Ihrer Rede gesprochen haben. Wir sehen, daß auch diese Politik, die wir konzipiert haben, dazu beigetragen hat, viele Bürger zu veranlassen, aktiv und selbstverantwortlich Umweltschutz, auch im Kontakt mit staatlichen Stellen, zu betreiben. Ich weise auf die wichtige Funktion des Umweltbundesamtes hin, das ja auch Serviceeinrichtung für viele Vereinigungen der Bürger ist, diesich dort Rat und Sachverstand holen, am Sachverstand der Techniker und anderer Wissenschaftler partizipieren.Niemand bestreitet heute mehr: Unsere Industriegesellschaft muß umweltfreundlicher gestaltet, gedankenlose Verschwendung von wertvollen Rohstoffen muß aufhören, Artenvielfalt und unbeschädigte Landschaft müssen erhalten bleiben. Umweltpolitik, also genaugenommen der „Maßstab Natur", wird immer mehr zum Testfall sowohl für die Fähigkeit, unsere hochtechnisierte Industriekultur zu stabilisieren, als auch zur Bewährungsprobe für unsere demokratische Verfassungsordnung und für unsere freie Wirtschaftsordnung.Besonders für junge Menschen ist das Thema Umwelt Gradmesser für die Bereitschaft der politischen Parteien, Schwachstellen in unserer Industriekultur zu erkennen, ehrliche Lösungen zu finden. Das heißt, das Thema Umwelt ist ein Test für die Glaubwürdigkeit der Politik schlechthin.Warnungen vieler Wissenschaftler etwa vor allmählicher Zerstörung der lebensschützenden Ozonschicht oder vor krebsverursachenden Chemikalien, vor Überbelastung der Ökosysteme müssen auch in der Tagespolitik ernst genommen werden, und sie werden zunehmend ernster genommen.Der erste wichtige umweltpolitische Akzent in der sozialliberalen Koalition — Sie werden uns gestatten, meine Damen und Herren von der Opposition, auf das zurückzublicken, was wir gestaltet haben —, dieser erste Test für unsere Glaubwürdigkeit war das Umweltprogramm, das mein Amtsvorgänger Hans-Dietrich Genscher im Jahre 1971 vorgelegt hat. Es war das erste Umweltprogramm, das überhaupt eine Regierung Westeuropas vorgelegt hat.
Es ist mit der Unterstützung aller Parteien in diesemHause heute weitgehend realisiert worden. Und seitdamals sind ja nicht einmal neun Jahre vergangen.Neben der Reparatur der dringlichsten Umweltschäden ist mit diesem Programm in rechtlicher, in wissenschaftlicher und organisatorischer Hinsicht in Bund und Ländern ein solides Fundament für die Umweltpolitik der nächsten Jahrzehnte geschaffen worden. Mit einem breiten Netz wissenschaftlicher Beratung und mit Fachgremien, mit dem Umweltbundesamt in Berlin und Landesämtern für Umweltschutz mit zahlreichen Bundes- und Länderprogrammen sind die Voraussetzungen für ein allmähliches Neuorientieren aller Fachpolitiken geschaffen worden. Allerdings fehlt oft noch der Mut zur konsequenten ökologischen Orientierung einzelner Planungen und Maßnahmen. So, meine ich, muß der Bürger wissen, welches der wirkliche Trinkwasserpreis ist, und die sozialen Kosten des Autos sollten regelmäßig offengelegt werden.Auf der anderen Seite muß sich der Umweltschutz immer noch gegen falsche Unterstellungen zur Wehr setzen. So wird gesagt, er führe zur Gängelung der Wirtschaft und zur Bürokratisierung. Ich werde mich gleich mit Ihren Vorwürfen auseinan-
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Bundesminister Baumdersetzen, Herr Kollege Riesenhuber. Der Umweltschutz, so wird gesagt, sei verantwortlich für Investitionsstaus in der Wirtschaft, er behindere wichtige technologische Entwicklungen. Wir haben die Phasen dieser Diskussion erlebt, mal stärker, mal weniger stark. Wir haben versucht, uns davon nicht beirren zu lassen, sondern kontinuierlich fortzuschreiten.Wir haben uns im übrigen auch durch andere Bewegungen der politischen Landschaft nicht beirren lassen. Diese Bundesregierung hat das Programm, das sie 1976 diesem Bundestag vorgelegt hat, zügig und ohne Abstriche erfüllt und dem Parlament die entsprechenden Vorlagen zur Beschlußfassung übergeben. Sie hat auch die administrativen Maßnahmen getroffen, von denen sie am Anfang dieser Legislaturperiode gesprochen hat. Sie hat sich nicht beirren lassen, sie hat keine Ausschläge nach der einen oder anderen Seite zu verantworten. Sie ist auch niemandem nachgelaufen.Der Umweltschutz ist sehr häufig zum Prügelknaben für Tendenzen in unserer immer komplizierter werdenden Industriegesellschaft geworden, Tendenzen, die alle Lebensbereiche erfassen, von der Nichtdurchschaubarkeit großer Bürokratien oder der technischen Entwicklung bis zu den immer noch steigenden Erwartungen an den Staat, an seine sozialen und anderen Dienstleistungen. Die von der Opposition erneut in ihrem Entschließungsantrag beklagte Gesetzesflut ist auch eine Folge zunehmender Technisierung und Komplizierung unserer Gesellschaft. Entweder drastische Vereinfachung mit der zwangsläufigen Folge pauschaler und ungerechter Behandlung von Einzelfällen oder flexiblere und damit umfangreichere Vorschriften, die mehr Gerechtigkeit im Einzelfall ermöglichen: das ist das Dilemma, in dem wir uns befinden, nicht nur in dem Bereich, den wir heute diskutieren, sondern etwa auch in der Steuerpolitik.Wir sind allerdings sehr empfindlich, wenn unter dem Deckmantel der Bürokratiekritik Angriffe auf das Umweltvorsorgeprinzip selbst unternommen werden. Das ist eben bei dem Gesetz der Fall, das hier schon genannt worden ist, beim Abwasserabgabengesetz, wo es nur vordergründig um Bürokratiekritik geht, in Wahrheit aber um eine Abschwächung des Gesetzes.
Ich bin gern bereit, darüber zu reden, wie man Einzelheiten des Gesetzesvollzuges vereinfachen kann. Bitte, machen Sie Vorschläge! Immerhin hat ein Bundesland, das Land Nordrhein-Westfalen, mit den Stimmen der CDU-Opposition ein Wassergesetz verabschiedet, das den Vorstellungen Rechnung trägt, die wir hier alle im Abwasserabgabengesetz niedergelegt haben. Also so schlimm wird es schon nicht sein. Nordrhein-Westfalen hat praktikable Lösungen gefunden. Aber ich bin bereit, über Vorschläge zu sprechen. Nur bin ich nicht bereit, einer Abschwächung des Gesetzes das Wort zu reden, von dem wir alle das Gefühl hatten, auch die Mehrheiten im Bundesrat, auch die Opposition, daß es eigentlich nicht weit genug ging. Dieses Gefühl hatten wir doch. Wir haben Fristen eingeräumt, und wir habendie Abgabe so festgesetzt, daß im Grunde dieses Instrument noch sehr milde ausgefallen ist. Aber an die Abschwächung dieses Instruments sollte niemand herangehen. Wir werden uns entschieden dagegen zur Wehr setzen.
Der Stellenwert des Umweltschutzes schlägt sich in den Aufwendungen für Investitionen und Betriebskosten in den letzten zehn Jahren nieder: weit über 120 Milliarden DM durch Staat und Wirtschaft, 1,4 % des Bruttosozialprodukts. Das ist mehr, als für den sozialen Wohnungsbau je aufgewandt wurde.Mit meinem Kollegen Graf Lambsdorff bin ich mir hinsichtlich der grundlegenden strukturpolitischen Bedeutung des Umweltschutzes einig. Die vom Staat aufgestellten Ziele und Orientierungen zwingen zu einer rascheren Anpassung an ökologische Eckwerte und Rahmenbedingungen und bewirken eine Änderung in der Zusammensetzung des Sozialprodukts. In einer Marktwirtschaft wie der unseren kann und darf es keine Umweltnutzung zum Nulltarif geben. Die Wirtschaft steht in einem ökologischen Pflichtenkreis. Dies wird zunehmend auch von der Industrie anerkannt. Wer die Ressource Umwelt, also Landschaft, Wasser, Luft, in Anspruch nimmt, muß dafür ebenso wie für jeden anderen Rohstoff bezahlen. Dies allein, meine ich, zwingt die Wirtschaft zum Umsteigen auf umweltfreundliche Projekte.Nicht nur Manager der Wirtschaft, sondern in vielleicht viel größerem Maße unsere Bürger haben begriffen, daß Umweltschutz Märkte von morgen schafft, zur Modernisierung unserer Wirtschafts- und Infrastruktur beiträgt und dadurch erst die Überlebensfähigkeit unserer hochentwickelten Industriekultur ermöglicht. Ohne Umweltschutzmaßnahmen könnten im Ruhrgebiet schon keine Standorte für die Industrie mehr gefunden werden. Ohne Umweltschutzmaßnahmen wäre es nicht möglich, weitere Abwässer in den Rhein zu leiten. Wir müssen sanieren, um überhaupt noch wirtschaftliches Wachstum mit Umweltfolgen verkraften zu können. Darüber hinaus hat besonders ein großer Teil unserer jungen Generation begriffen, daß Kulturstaat nur ein Gemeinwesen mit Respekt vor Naturordnungen ist.Schon jetzt findet eine Veränderung unserer Lebens- und Verbrauchergewohnheiten statt, sicher nicht nur aus ökologischer Einsicht, sondern auch unter dem Zwang der Bedingungen des Nachölzeitalters. Bei allen staatlichen Anstrengungen bleibt Umweltpolitik Stückwerk, wenn sie nicht mit der echten Bereitschaft einhergeht, Lebensgewohnheiten — etwa in der Form der privaten Autonutzung — in breiten Bevölkerungskreisen zu ändern. Umweltpolitik verlangt also Umdenken und Umschwenken, verlangt neue Empfindlichkeit gegenüber gedankenlosen menschlichen Eingriffen in jahrmillionenalte Naturkreisläufe und -ordnungen.Auch berechtigte Kritik an Versäumnissen in der Umweltpolitik darf nicht zu dem Kurzschluß führen, die Lösung der Probleme sei ein starker Verteilungsstaat und Abkehr von der Marktwirtschaft. Es
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Bundesminister Baumgibt manchmal Töne, auch in Programmen, die man so liest — nicht von Parteien in diesem Hause —, die den Eindruck vermitteln, als solle nun den Menschen das Glück verschrieben werden, und nur mit starker staatlicher Hand seien die Probleme noch zu lösen. Ich setze auf die Selbstverantwortung aller Beteiligten, ich setze auf die Selbstverantwortung der Verbraucher, ich setze auf die Selbstverantwortung der Wirtschaft. Allerdings bin ich der Meinung, daß der Staat den Mut haben muß, den Rahmen zu setzen, daß er den Mut haben muß, manchmal auch schmerzhafte Instrumente einzusetzen,
um in unser aller Interesse unsere Umwelt unter Schutz zu stellen, eine Umwelt, die jahrzehntelang ungeschützt war. Es gibt kaum eine Generation vor unserer Generation, die in so intensiver Weise die Umwelt berührt, in die Umwelt eingegriffen und die Ressourcen verbraucht hat.Ich meine, bei dieser Diskussion darf der Wettstreit um umweltpolitische Ziele nicht zur Glaubensfrage werden und nicht zur Verteufelung aller Technik führen und nicht zum Prüfstein für Gut und Böse werden. Auch eine rationale Diskussion in Respekt vor der Überzeugung des Partners, etwa über Umweltfolgen der Kernenergie, muß in diesem Lande möglich bleiben. Auch der Umweltschützer muß anerkennen, daß es divergierende wirtschafts- und sozialpolitische Ziele gibt und Interessenausgleich und Kompromiß zur Konsensfindung in einer Demokratie gehören. Ein nationales umweltpolitisches Paradies — das kommt hinzu — ist nicht möglich. Ich darf nur auf grenznahe Industrieanlagen, weiträumige Luftverschmutzung oder etwa die EmsDollart-Verhandlungen mit unserem Nachbarn Holland hinweisen. Unsere Wirtschaft bleibt in einer noch zunehmenden internationalen Wettbewerbsverflechtung.Die Bilanz, von der ich eingangs sprach, die die Bundesregierung mit ihrer Antwort vorlegt, ist nüchtern ausgefallen. Das Hauptbuch des Umweltschutzes, meine ich, muß für die Bürger ehrlich und offen sein. Der Umweltbericht 1976, der Immissionsschutzbericht, der Fluglärmbericht, der noch diskutiert wird — Herr Kollege Konrad hat darauf hingewiesen —, das Abfallwirtschaftsprogramm, alles dies sind Beispiele für ungeschminkte Berichterstattungen. Umweltpolitik verlangt weiterhin langfristige Strategie und überlegte Konzeption, und dies ist nur möglich, wenn man den ungeschminkten Tatsachen ins Auge sieht.Das Umweltprogramm 1971, der Umweltbericht 1976 belegen, daß sich die Bundesregierung ihrer Verpflichtung zur konzeptionellen ökologischen Wegweisung gestellt hat. Für die 80er Jahre wird ein „Aktionsprogramm Ökologie" erarbeitet. Zusammen mit den Bundesländern werden Demonstrations- und Pilotvorhaben zur Darstellung und Einübung ökologischer Zusammenhänge durchgeführt.Die Bilanz der Umweltpolitik ist — gemessen an der Ausgangslage Anfang der 70er Jahre und gemessen an den vielfältigen Widerständen — insgesamt positiv. Dieser Einschätzung meiner Vorredner stimme ich zu. In einigen Bereichen hat es deutliche Verbesserungen gegeben, in anderen Bereichen sind Verschlechterungen verhindert worden, und dies — das muß man ja berücksichtigen — vor dem Hintergrund einer Steigerung der Produktionstätigkeit, einer Steigerung des Konsums, insbesondere aber auch vor dem Hintergrund einer erheblichen Zunahme der Zahl der Kraftfahrzeuge in unserem Lande. Die Zahl der Kraftfahrzeuge hat sich im letzten Jahrzehnt bekanntlich verdoppelt.Viele Daten aus dem Bereich der Luftreinhaltung, des Gewässerschutzes, der Abfallwirtschaft und der Lärmbekämpfung belegen diese positive Einschätzung. Ich möchte einige kurz aufführen und dann anschließend sagen, was nicht geschafft worden ist.Im Bereich der Luftreinhaltung ist der Trend positiv. Die Bleibelastung der Luft in den Zentren der Großstädte ist gegenüber 1970 um mehr als 65 % zurückgegangen. In den letzten Jahren sind die gesamten Staub- und Rußimmissionen auf weniger als die Hälfte gesunken. Die Schwefeldioxydimmissionen konnten im gleichen Zeitraum, also von 1970 an, konstant gehalten werden, obwohl in der gleichen Zeit der Primärenergieverbrauch um ca. 50 % gestiegen ist. Diese Daten belegen eben: Das umfassende rechtliche Instrumentarium hat gegriffen. Es wird durch internationale Regelungen flankiert, z. B. durch die Schwefeldioxyd-Richtlinie der EG und die ECE-Konvention gegen weiträumige, grenzüberschreitende Luftverschmutzung. Dieses solide umweltrechtliche Fundament bedarf der Fortentwicklung und der Anpassung. Das kann mitunter sehr schwierig sein, wie die Bemühungen um eine Novellierung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes hier im Bundestag zur Zeit zeigen. Vordringlich ist vor allem, daß die neuen umweltwissenschaftlichen Erkenntnisse in bezug auf die Luftverunreinigung so schnell wie möglich Eingang in die TA Luft finden. Dafür werden wir uns einsetzen.Die Sanierung der Altanlagen, vor allem in den hochbelasteten Gebieten, ist ein vordringliches Problem der Zukunft. Hier greift das rechtliche Instrumentarium nur sehr begrenzt. Hier muß die Umstellung auf die moderne Technik durch finanzielle Förderungsmaßnahmen erleichtert werden. Für den Zeitraum von 1979 bis 1984 stehen dafür zusätzlich 560 Millionen DM für Demonstrationsanlagen zur Verfügung. Es ist nur gerecht, wenn der Schwerpunkt dieses Sanierungsprogramms im Ruhrgebiet liegt, dessen Bevölkerung — das muß auch einmal gesagt werden, meine Damen und Herren — seit mehr als 100 Jahren eine Sonderlast für die gesamte Bundesrepublik trägt.
Hier wird Umweltverschmutzung seit vielen Jahrzehnten beinahe klaglos ertragen; im Saarland übrigens auch. Wir haben eine Verpflichtung, hier besonders zu helfen, und wir tun das mit Haushaltsmitteln auch in diesem Jahr. Ich werde mich dafür einsetzen, daß diese Haushaltsmittel im Haushaltsplan erhalten bleiben.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 214. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. April 1980 17169
Bundesminister BaumAuch die Gewässerschutzpolitik hat eine positive Entwicklung genommen, wie die folgenden Fakten ausweisen: Die früher stark belasteten Strecken des Rheins weisen eine deutliche Verbesserung vor allem im Sauerstoffgehalt und in der gesamten organischen Belastung auf. Die Belastung des Bodensees ist merklich vermindert worden. Wir können heute eine Verbesserung der Gewässergüte vor allem im Uferbereich feststellen.
— Darauf komme ich gleich, insbesondere im Zusammenhang mit der Werra. —
Heute werden bereits 65 % der Abwässer in öffentlichen Kläranlagen vollbiologisch gereinigt; im Jahre 1969 waren es nur 35 %. Leider haben auch unsere Städte erst andere Investitionsvorhaben verwirklicht, bevor sie sich für den Bau einer Kläranlage entschieden haben. Ich wünsche mir, daß auch die restlichen kommunalen Körperschaften sehr schnell dazu übergehen, eine vollbiologische Kläranlage zu bauen.Nachdem bereits in der vorigen Legislaturperiode der wasserrechtliche Rahmen geschaffen wurde, wird er in dieser Legislaturperiode ausgefüllt. Soweit die Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern in unserer Verfassung dies zuläßt, haben wir den Gewässerschutz auch mit finanziellen Hilfen vorangetrieben. Das hervorstechendste Beispiel dafür ist das Rhein-Bodensee-Programm. Wir haben zur Sanierung dieser Gewässer im Zeitraum von 1972 bis 1976 150 Millionen DM und im Zeitraum von 1977 bis 1980 im Rahmen des Programms für Zukunftsinvestitionen weitere 800 Millionen DM von Bundesseite zur Verfügung gestellt. Allein auf Grund dieses zweiten Programms werden Investitionen in Höhe von etwa 3 Milliarden DM bewirkt.Nun möchte ich, Herr Kollege Riesenhuber, etwas zu Ihrem Argument mit der Verschuldung sagen. Hier hat die Bundesregierung in ein Programm für Zukunftsinvestitionen investiert.
Sie hat die Verschuldung im Interesse der umweltgerechten Gestaltung unserer Lebensgrundlagen in Kauf genommen. Die 800 Millionen für das RheinBodensee-Programm sind eine Investition in unsere Zukunft und in die Zukunft unserer Kinder.
— Herr Schwarz, wenn Sie alle dafür waren, wundere ich mich, daß Sie hier so polemisch die Verschuldung des Bundes angreifen.
Lärmschutz ist heute ein zentrales Thema der Umweltpolitik. 25 Millionen Mitbürger in unserem Land leiden, wie der Sachverständigenrat vor zwei Jahren festgestellt hat, unter Lärm. Lärmschutz ist ein gesundheitspolitisches Postulat. Lärmschutz ist aber auch — das möchte ich hier betonen — ein soziales Postulat. Es sind die ärmeren Mitbürger, die am Arbeitsplatz und in der Wohnung unter Lärm zu leiden haben. Die anderen können sich ja Wohnungen leisten, die nicht an den Verkehrsstraßen liegen. Für Millionen Menschen bedeutet Lärm eine Einbuße an Wohlbefinden und Lebensfreude.Ich sehe mich mit meinen Kompetenzen in der Verantwortung für eine geschlossene und langfristig angelegte Lärmschutzpolitik. Von den schärfsten Geräuschgrenzwerten für Baumaschinen bis zur Fluglärmgesetzgebung ist unsere Strategie auch im internationalen Vergleich beispielhaft. Mit dem im Oktober 1978 vom Bundesinnenministerium vorgelegten Aktionsprogramm Lärmbekämpfung haben wir die Basis dafür gelegt, daß wir diesen Standard auch künftig halten können. Unsere Vorreiterrolle dürfte sich bei der in Kürze stattfindenden OECD-Lärmkonferenz im Mai 1980 in Paris erneut zeigen.Ein Wort noch zu den Chemikalien. Sie haben lange im Hintergrund gestanden. Wir haben jetzt auf diesem Gebiet einige Fortschritte erzielt. Der wichtigste Punkt ist die Störfallverordnung nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz, die eine erhebliche Verbesserung der Vorsorgestrategie gegen Störfälle in der chemischen Industrie bewirken soll. Der Bundesrat hat — ich stelle das mit Befriedigung fest — in der vorigen Woche im Grundsatz dieser Störfallverordnung im wesentlichen zugestimmt, die eine bessere Sicherheit gegen Vorfälle bringen wird, die wir mit dem Wort Seveso ja alle noch in Erinnerung haben.
Es ist also zu hoffen, daß wir diese Störfallverordnung bald in Kraft setzen können.Auch das Problem der Fluorkohlenwasserstoffe, die bei uns vor allem als Treibgas in Spraydosen verwendet werden, haben wir vorsorglich bereits früher als andere in Angriff genommen. Es gibt da einen Stufenplan, den wir mit der Wirtschaft vereinbart haben. Aber ich möchte hinzufügen: Das Problem Fluorkohlenwasserstoff bleibt auf der Tagesordnung. Wir werden intensiv darauf hinwirken, daß weltweit die Verwendung solcher Stoffe in Spraydosen insgesamt gegen null tendiert. Ich frage mich, wie wir es verantworten können, solche Produkte, die ersetzbar sind, zu verwerten, wenn wir nicht ausschließen können, daß die Ozonschicht der Erde unwiederherstellbar zerstört wird. Die. Gefahr würde schon genügen, um zu einem Verbot dieser Stoffe zu kommen.Die Bundesregierung liegt in der Abfallbeseitigung wie in der Abfallverwertung in technischer und organisatorischer Hinsicht international mit an der Spitze. Das Abfallwirtschaftsprogramm ist ein hervorragendes Beispiel erfolgreicher Kooperation zwischen Staat und Wirtschaft, einer Kooperation, die jedenfalls bisher staatliche Lenkungsmaßnahmen obsolet gemacht hat. Hier waren wir also in der Lage, mit der Wirtschaft Kooperation zu praktizie-
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Bundesminister Baumren. Ich möchte allerdings nicht ausschließen, daß wir dann, wenn das marktwirtschaftliche Instrument der freiwilligen Selbstbeschränkung nicht funktioniert, auch von den rechtlichen Möglichkeiten staatlicher Maßnahmen Gebrauch machen. Für mich ist das rechtlich mögliche Verbot der Einwegflasche — das möchte ich sagen — kein Tabu.
Aus ca. 25 % des Hausmülls wird heute bei der Beseitigung Energie gewonnen. Die Altglasverwertung ist wesentlich verbessert worden. Ich meine, daß diese Recycling-Anstrengungen kein Ersatz für die Anstrengungen sein dürfen, die Verminderung des Abfallaufkommens zu verstärken. Noch ist der jährliche Abfallberg nicht kleiner geworden. Der Trend zur Wegwerfgesellschaft ist zwar gestoppt, aber noch nicht umgekehrt worden.Ein Wort noch zur internationalen Zusammenarbeit. Die Bundesrepublik beteiligt sich intensiv an der internationalen Zusammenarbeit: in der Europäischen Gemeinschaft, in der ECE, in vielen anderen Gremien. Sie ist auf diese internationale Zusammenarbeit angewiesen. Viele Maßnahmen lassen sich ohne Abstimmung mit der EG gar nicht mehr verwirklichen; abgesehen davon, daß es ganz unsinnig wäre, wenn nur ein einziger Staat etwa Fluorkohlenwasserstoff verbieten und die anderen weiter verschmutzen würden. Wir sind heute in eine Wirtschaftsgemeinschaft eingebunden. Das bedeutet, daß auch Umweltpolitik in sehr starkem Maße zu einem europäischen Thema geworden ist. Die Ministerkonferenzen der Europäischen Gemeinschaft weisen das aus. Ich sehe, daß sich auch das Europäische Parlament zunehmend mit diesem Thema befaßt.Lassen Sie mich noch einige offene Punkte ansprechen; denn so respektabel diese Bilanz ist — einige Punkte der Vervollständigung des rechtlichen Instrumentariums sind noch offen oder strittig. Noch in dieser Legislaturperiode müssen einige Lücken geschlossen werden. Heute steht in dieser Debatte die zweite Novelle zum Abfallbeseitigungsgesetz zur Diskussion. Ich möchte Sie ausdrücklich bitten, die Verabschiedung dieses Gesetzentwurfs noch möglich zu machen, der wesentlich zur Entbürokratisierung beitragen wird. Ich möchte betonen, daß die Regelung des Gesetzentwurfs weitgehend die Unterstützung der Länder gefunden hat, denen ich, Herr Kollege Dick, für ihre Kooperation ausdrücklich danke.Mit ihrem Gesetzentwurf verfolgt die Bundesregierung ihre Abfallwirtschaftspolitik konsequent weiter. Bei der heutigen Entwicklung von Energie- und Rohstoffpreisen ist es anachronistisch, wenn Abfälle, deren Verwertung technisch möglich und wirtschaftlich sinnvoll . ist, noch immer ungenutzt beseitigt werden. Die Bundesregierung hält es für notwendig, die Prüfung von Verwertungsmöglichkeiten und die Nutzung technisch realisierbarer und wirtschaftlicher Alternativen zur Verwertung von Abfällen nicht mehr nur programmatisch zu fordern, sondern auch rechtlich zur Pflicht zu machen. Das wird mit der gesetzlichen Verwertungspflicht, die im Entwurf vorgesehen ist, angestrebt. Ich bitte also um eine positive Bewertung und um eine baldige Verabschiedung dieses Gesetzentwurfes.Ich möchte nicht alles wiederholen, was ich schon zum Abwasserabgabengesetz gesagt habe. Herr Kollege Dick, Sie vertreten ja hier die Bayerische Staatsregierung. Ich möchte nur noch einmal darauf hinweisen, daß die Versäumnisse einiger Industriegebiete und auch einiger Gemeinden, die sich nicht— wie andere — darauf eingestellt haben, daß 1981 eine besondere Abgabepflicht in Kraft tritt, nicht dazu führen dürfen, daß diejenigen, die sich im Interesse des Umweltschutzes darauf eingestellt haben, jetzt bestraft werden und diejenigen, die sich darauf verlassen haben, daß nichts geschieht, daraus einen Vorteil ziehen. Das können wir im Interesse von weiten Bereichen unserer Industrie und unserer Gemeinden nicht zulassen.
— Die Zahl derjenigen, die sich — auch mit ihren Investitionsdispositionen — auf das Gesetz eingestellt haben, ist groß. Wir haben eine Untersuchung vorliegen, Herr Kollege Schäfer, die das ausweist.Die Behauptung, das Gesetz sei nicht oder mit nicht vertretbarem Aufwand vollziehbar, kann nur ein Vorwand sein. Das geltende Abwasserabgabengesetz hat sich bereits als geeignetes und wirksames Gewässerschutzinstrument erwiesen. Schon heute schafft dieses Gesetz, wie nachgewiesen wurde, erhebliche Anreize, die Gewässerschutzinvestitionen zu verstärken.
— Ich habe das zwar eben schon gesagt, aber ich glaube, es ist so wichtig, daß man es ruhig zweimal sagen kann;
denn hier geht es darum, daß sich Investoren in unserem Lande mit Millionenaufwendungen auf ein Gesetz eingestellt haben, während andere, die das nicht getan haben, nun Landesregierungen unter Druck setzen, damit das Gesetz abgeschwächt wird. Ich glaube, diesen Vertrauensschutz müssen wir denjenigen gewähren, die sich auf ein Gesetz eingerichtet haben, das im Interesse des Umweltschutzes notwendig ist.
Die Gegner des Umweltschutzes werden nicht müde, neue Argumente zusammenzusuchen, um ihren Absichten einen ehrenwerten Anstrich zu geben. Sind unsere Vorhaben in dem einen Fall zu bürokratisch, so sind sie in dem anderen angeblich zu teuer. Damit, meine Damen und Herren, meine ich das Verkehrslärmschutzgesetz. Die Herabsetzung des Lärms, insbesondere des Verkehrslärms ist ein Prüfstein für die Glaubwürdigkeit der Umweltpolitik. In diesem Hause ist dafür gesorgt worden, daß die Lärmgrenzwerte, die zum Schutz der Bevölkerung in dem Gesetz festgelegt sind, erheblich herabgesetzt wurden. Mit den schärferen Grenzwerten wurde erreicht, daß der Schutz der Bevölkerung um
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Bundesminister Baum50 % verbessert werden soll. Jetzt wollen einige Länder der CDU/CSU diese Verbesserung wieder zurückdrehen und das Verkehrslärmschutzgesetz wieder auf einen Minimalschutz beschränken.Nach der von diesem Hause fast einstimmig beschlossenen Gesetzesfassung betragen die für den Lärmschutz zusätzlich erforderlichen Mittel kaum 5 % der Kosten für den Straßenbau. Ich meine, daß durch entsprechend weniger Straßen und zeitliche Streckung des Straßenbaus diese Kosten ohne Schwierigkeiten hereingeholt werden können und müssen;
denn Straßenbauinvestitionen sind Investitionen über Jahrzehnte hin. Das heißt, wir würden in Kauf nehmen, daß Bürger über Jahrzehnte hin in Lärmzonen wohnen, ohne daß Abhilfe geschaffen werden könnte.
Offen geblieben sind ferner einige Positionen, auf deren erfolgreichen Abschluß wir leider wenig Einfluß haben. Das sind in erster Linie die Bemühungen um eine weitere Absenkung der Abgasemissionswerte bei Kraftfahrzeugen. Hier hat die Bundesregierung bereits vor zwei Jahren Vorschläge gemacht. Ihre Vorstellungen sind allerdings bislang sowohl in der ECE als auch in der Europäischen Gemeinschaft auf Widerstand gestoßen.Wir bedauern, daß das Chlorid-Abkommen, das den Rhein von seiner Salzfracht wenigstens teilweise und Stufe um Stufe entlasten sollte, nicht zustande gekommen ist. Die französische Regierung sieht sich außerstande, dieses Projekt weiter zu verfolgen. Wir bedauern das und suchen jetzt nach Ersatzlösungen.Ich sehe mit Freude — Herr Kollege, Sie haben das eben angesprochen —, daß die Sondierungsgespräche mit der DDR ergeben haben, daß wir nun endlich auch über die Werraversalzung sprechen können, daß wir im Herbst mit der DRR Expertengespräche über dieses wichtige Problem aufnehmen können.
— Wenn Sie sagen: „Das ist höchste Zeit!", dann kann ich Ihnen nur zustimmen. Aber ich möchte Sie darauf hinweisen, daß es auf die Behutsamkeit der Deutschlandpolitik dieser Bundesregierung zurückzuführen ist, daß wir überhaupt zu solchen Verhandlungen kommen.
Meine Damen und Herren, ich möchte noch einige Sätze zum Umweltchemikaliengesetz sagen, das die gesetzlichen Grundlagen dafür schaffen soll, daß Stoffe im Hinblick auf ihre mögliche Gefahr für Mensch und Umwelt einer vorsorglichen Prüfung unterzogen werden. Es handelt sich um ein außerordentlich kompliziertes Gesetz. Hier ist schon gesagt worden, daß wir einen Einstieg in die Materie vornehmen werden, weil wir an einigen Punkten nicht genau wissen, wie sich die Instrumente bewähren werden. Der Gesundheitsausschuß dieses Hauses hat eine Anhörung durchgeführt. Bei aller sonstigen Unterschiedlichkeit der vertretenen Standpunkte hat sich ergeben, daß eigentlich kein Hinderungsgrund besteht, daß das Gesetz noch in dieser Legislaturperiode verabschiedet werden kann. Ich würde dies jedenfalls außerordentlich begrüßen.
— Der Umweltschutz findet jedenfalls in der Weise statt, Herr Kollege, daß wir den europäischen Entwicklungen Rechnung tragen, der Meinungsbildung in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, an der wir wesentlich beteiligt waren.Umweltschutz kann auch weiterhin nur in geduldiger Kleinarbeit realisiert werden. Konsequenter Vollzug ist ein wesentliches Element der Umweltpolitik. Das zeigt sich beispielsweise bei der Festlegung von Lärmschutzbereichen oder von Mindestanforderungen nach dem Wasserhaushaltsgesetz. Es ist eben nicht damit getan, daß nur Gesetze verabschiedet werden. Der Vollzug im einzelnen bringt hier für alle erhebliche Schwierigkeiten. Dem sollten wir Respekt zollen. Dies wird am Beispiel des Chemikaliengesetzes besonders deutlich.Ein besonders wichtiges Element in der Zukunftsperspektive des Umweltschutzes ist die internationale Zusammenarbeit. Umweltverschmutzung macht nicht an den Grenzen halt. Grenzen dürfen daher auch nicht die Bemühungen um den Umweltschutz einschränken. Für die Zukunft muß die Beteiligung der Bürger in Verwaltungs- und Gerichtsverfahren auf der Basis der Gegenseitigkeit und Gleichwertigkeit auch über die Grenzen hinweg sichergestellt werden. Grenzüberschreitende Standortplanung und Abwehr wechselseitiger Umweltbelastungen brauchen darüber hinaus neue rechtliche Instrumente, die greifen und gemeinsame Umweltplanungen möglich machen.Ich möchte nicht verschweigen, meine Damen und Herren, auch vor diesem Hohen Hause, daß manche industrielle Großprojekte, die an den Grenzen der Bundesrepublik angesiedelt werden, von unseren Nachbarländern nicht mit der notwendigen Rücksicht auf unsere Bevölkerung in Angriff genommen worden sind. Wir haben bilaterale Verhandlungen eingeleitet. Wir haben Erfolge erzielt. Aber ich kann es verstehen, wenn die Bürger in den Grenzregionen eine Mitsprache wünschen. Ich kann es verstehen, wenn die deutschen Bürgermeister in Grenzregionen eine Mitsprache, ein Informationsrecht haben wollen so wie ihre Kollegen auf der anderen Seite. Das heißt, wir müssen hier in Europa, auch in der Europäischen Gemeinschaft — das gilt nicht nur für unsere Grenzen, das gilt auch für andere Grenzen —, Instrumentarien entwickeln, die es möglich machen, bei Industrieansiedlung auf den anderen Rücksicht zu nehmen und sich etwa bei der
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Bundesminister BaumKatastrophenschutzplanung auch besser abzustimmen.
— Zu diesem Gestank, von dem Sie sprechen, habe ich auch am Rande einer internationalen Konferenz Gespräche mit dem tschechoslowakischen Kollegen geführt und ihm nachdrücklich gesagt, daß auch dies eine unerträgliche Belastung für die Bevölkerung ist, die dort in den Grenzgebieten Bayerns lebt und diesen Umweltbelästigungen ausgesetzt ist. Meine Forderung richtet sich also gleichermaßen nach Ost und West, um es einmal so plakativ zu sagen.
Das deutsch-niederländische Abkommen zum Ems-Dollart-Projekt wird Pilotfunktion für die grenzüberschreitende Zusammenarbeit im Umweltschutz haben. Dieses Abkommen versucht nämlich, konstruktiv die grenzüberschreitenden Umweltprobleme zu bewältigen.Die Erfolge der Umweltpolitik werden auch in Zukunft vor allem auf dem Dialog mit dem Bürger beruhen. Das Bundesverfassungsgericht hat mich hier in der praktizierten offenen Form der Umweltplanung in seinem Mühlheim-Kärlich-Beschluß vom Ende letzten Jahres in meiner Auffassung bestätigt. Die Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts haben wegweisende Bedeutung für die Rolle der Grundrechte in umweltrelevanten Genehmigungsverfahren. Der Beschluß ist die verfassungsrechtliche Antwort auf die Entwicklung der Entscheidungsstrukturen in den hoch komplexen, auch für die Entscheidungsträger wie für die Kontrollinstanzen nur schwer übersehbaren und steuerbaren Genehmigungsverfahren in umweltrelevanten Großprojekten.Der Beschluß — es handelt sich um eine der bedeutendsten Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts der letzten Zeit — zeigt auf, in welch hohem Maße das Verfahrensrecht für die betroffenen Bürger zum materiellen Grundrechtsschutz geworden ist.Vor diesem verfassungsrechtlichen Hintergrund erhalten auch die Bestrebungen zur Einführung der Verbandsklage einen ganz anderen, umweltpolitischen wie verfassungspolitischen Stellenwert, über den wir uns eingehend unterhalten sollten.Das Umweltthema hat eine Dimension, die über die praktische Politik hinausreicht. Es ist Katalysator für das Erkennen von Schwachstellen unserer Industriekultur. Umweltpolitik ist daher für mich mehr als ein Politikbereich unter vielen.Was unsere Umweltpolitik im kommenden Jahrzehnt bestimmen muß und bestimmen wird, ist eine immer stärkere Berücksichtigung ökologischer Kriterien in allen Lebens- und Politikbereichen. Dies entspricht eben dem Querschnittcharakter dieser Politik.Es muß jetzt eine noch wirksamere ökologische Durchdringung der Fachpolitiken und -planungen erfolgen. Dies ist nichts prinzipiell Neues, es muß nur stärker als bisher das Handeln der Politiker wie der Exekutive bestimmen.Zur Umweltvorsorge gehört weiter, daß in Zukunft verstärkt die Umweltmedien in ihrer Gesamtheit und gegenwärtigen Abhängigkeit gesehen werden müssen. Wir haben viele Gesetze, die punktuell — auf einzelne Bereiche hin — die Materie regeln. Wir haben noch relativ wenig Erfahrung über die gegenseitigen Abhängigkeiten der Medien, und wir haben noch relativ wenig Erfahrung über die Belastung in einzelnen Regionen und über die Veränderung der dortigen Belastungen. Entlastungen in einem Medium dürfen z. B. nicht zu unerwünschten Belastungen in anderen Bereichen führen; das muß noch besser als bisher untersucht werden. Dazu gehört ganz besonders die vorsorgliche Einbeziehung solcher Erkenntnisse und Entwicklungen, die künftige Gefahren für die menschliche Gesundheit und die Leistungsfähigkeit des Naturhaushalts erwarten lassen.Die Aufstellung und Durchsetzung ökologischer Kriterien als Handlungsrahmen für umweltrelevante Politik beinhaltet eine Vielzahl von außerordentlich schwierigen Problemen, die man nur langfristig in den Griff bekommen kann. Dabei sind wir mehr als je zuvor auf die Mitarbeit von Wissenschaftlern und Technikern aller Disziplinen angewiesen. Dazu bedarf es einer Weiterentwicklung des ökologischen Bewußtseins in den Parlamenten und in der Exekutive, vor allem bei den Planungen umweltrelevanter Großvorhaben.Die Umweltverträglichkeitsprüfung muß konsequent durchgeführt werden. Sie muß zu einem wirksamen Instrument im Sinne einer Sicherung und Erhaltung der Leistungsfähigkeit des Naturhaushalts ausgebaut werden.Mit der Installierung der Projektgruppe Ökologie im Dezember vorigen Jahres sind wir hier bereits auf dem richtigen Wege. Diese Gruppe von Experten unter Vorsitz von Professor Dr. Bick, dem Vorsitzenden des Sachverständigenrates für Umweltfragen, wird in den nächsten Jahren mit der Erarbeitung eines ökologischen Situationsberichts die Grundlage für die Verstärkung ökologischer Maßstäbe legen.Meine Damen und Herren, ich möchte allen danken, die sich in den Fraktionen, in den Verwaltungen und im gesellschaftlichen Bereich an Umweltproblemen interessiert gezeigt und an ihnen mitgewirkt haben. Ich möchte auch dem Finanzausschuß des Deutschen Bundestages danken, der in dieser Woche einen sehr befriedigenden Vorschlag zur Verlängerung und Verbesserung der steuerlichen Begünstigungen für Umweltinvestitionen, nämlich zu § 7 d Einkommensteuergesetz, gemacht hat. Ich möchte auch den Kollegen in diesem Hause danken, die durch ihre Mitarbeit an dem Gesetz zur Bekämpfung der Umweltkriminalität einen wesentlichen Beitrag auf diesem Gebiet geleistet haben.Umweltpolitik verlangt von uns allen, dafür zu sorgen, daß für unsere Kinder und die nachfolgenden Generationen die Erde bewohnbar bleibt. Wir alle tragen dafür gemeinsam die Verantwortung. Bei
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Bundesminister Baumallen Meinungsverschiedenheiten über Einzelvorhaben und einzelne Maßnahmen darf dieser Grundkonsens, meine Damen und Herren, über die gemeinsame Verantwortung nicht verlorengehen. Wir brauchen auch künftig den offenen und ehrlichen Dialog unter den Beteiligten. Wir brauchen breite Unterstützung in der Bevölkerung. Die Umweltpolitik wird auf Vertrauen auch in der Zukunft nur rechnen können, wenn ökologische Grunddaten und Umweltbelastungen ehrlich offengelegt werden und Entscheidungsprozesse der Umweltpolitik nachvollziehbar sind.Ich bedanke mich dafür, daß diese Debatte Gelegenheit dazu geboten hat. Ich bin sicher, daß sie zur Erfüllung dieser Ziele beitragen wird. Indem wir unsere Umweltziele konsequent diskutieren und auch kontrovers behandeln, uns aber im Grunde darüber einig sind, daß diese Erde bewohnbar bleiben muß — in einigen Teilen ist sie es ja schon nicht mehr —, leisten wir zugleich einen wichtigen Beitrag zur sozialen und damit auch zur politischen Stabilität unseres Landes.
Das Wort hat der Herr Staatsminister Dick.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Weil eben vom Dank die Rede war, möcht ich vor allen Dingen denen danken, die hier noch anwesend sind. Man könnte fast sagen: Viele reden vom Umweltschutz, aber wenige sind auserwählt. Ich sage das deshalb, weil wir diese Dinge nicht in eine falsche Optik bringen sollten. Man sollte hieraus nicht den Schluß ableiten, die Problematik werde nicht gewichtig genug gesehen, genau wie nicht der Schluß gezogen werden darf: Wenn Länder im Bundesrat — im komme noch darauf zurück — eine andere Meinung haben, als hier im Hohen Haus beschlossen wurde, dann geht die Welt unter. Ich glaube, wir sollten diese Dinge viel gelassener sehen.Ich versuche hier nun, auf die große umweltpolitische Anfrage der Koalitionsparteien aus der Sicht der Länder einzugehen.Es ist zweifellos ein Thema zum Gegenstand gewählt worden, das Bund und Länder gemeinsam berührt. Der teils rhetorische Charakter der Fragen und — das ist natürlich durchaus zulässig — der Zeitpunkt, zu dem sie gestellt wurden, die zeitliche Nähe zu diversen Wahlterminen, verdichten allerdings den Eindruck, daß sich Anfrage und Antwort natürlich an die Wählerschaft insgesamt, aber insbesondere an bestimmte 3 bis 5 % richten. Somit dürfte die Anfrage nicht nur dem Schutz und der Pflege der Umwelt, sondern auch dem Schutz und der Pflege der in diesem Hohen Hause bestehenden Sitzverteilung dienen. Das ist legal, erleichtert aber nicht unbedingt die Aussprache, weil dadurch der parteipolitische Zwang besteht, schärfer in die Kritik zu gehen.Herr Bundesminister Baum, ich bin Ihnen sehr dankbar, daß Sie ausdrücklich gesagt haben, Sie wünschten einen ehrlichen Dialog der Beteiligten.Grundkonsens könne hier trotzdem bestehen. Unter dieser Maxime möchte ich versuchen, einige kritische Anmerkungen zu dieser Anfrage und ihrer Beantwortung zu machen.Es ist bedauerlich, aber verständlich — wenn ich auf die Gruppierungen zurückblende, die ich vorhin gemeint habe —, daß diese Anfrage ausgerechnet jenes Thema ausklammert, das insbesondere diese 3 bis 5 % der Wähler, im Grunde jedoch alle im Lande klar behandelt haben möchten. Dieses heiß diskutierte Thema ist: „Umweltschutz und Kernenergie.Die Bundesländer, die diese schwierigen Probleme in Bundesauftragsverwaltung zu lösen haben, wären wirklich dankbar gewesen, klare Aussagen dieser Bundesregierung zu hören — zumindest wäre das sehr interessant gewesen.Ich möchte aber weniger auf das eingehen, was in dieser Antwort fehlt, als vielmehr auf das, was in ihr enthalten ist: Zunächst ist zu begrüßen, daß die Bundesregierung in ihrer Antwort wiederholt betont, daß • die Umweltpolitik in der Bundesrepublik Deutschland von allen im Bundestag vertretenen Parteien gemeinsam getragen und verantwortet werde und daß die Erfolge dieser Umweltpolitik entscheidend auf der guten Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern beruhten. Das ist auch unsere Überzeugung.Um so unverständlicher ist, daß in der Antwort der Bundesregierung neben diesen auch ganz andere Töne angeschlagen werden. Mehr oder weniger wird der Eindruck erweckt, als habe in der Bundesrepublik Umweltschutz erst mit dem Umweltprogramm 1971 der Bundesregierung begonnen, als habe 1971 die Stunde null der Umweltpolitik geschlagen, als seien erst damals — ich zitiere — „Grundsteine gesetzt, Signale gegeben worden" — und was sonst noch an Bildern herhalten muß.Ausflüsse einer solchen Beurteilung finden ihren Niederschlag auch in einem Artikel in „Bild der Wissenschaft" vom April 1980, aus dem ich mit Genehmigung des Präsidenten zitieren darf:Die staatliche Umweltpolitik begann in der Bundesrepublik Deutschland mit der sozialliberalen Koalition 1971.
Das widerspricht, wie ich meine, den Tatsachen.
— Lassen Sie mir Zeit, ich kann nicht drei Sätze auf einmal sagen. Ich versuche, das nun zu belegen.Ich meinerseits möchte aber nicht so selbstgerecht sein und von Signalen und Grundsteinen, die die Länder in der Umweltpolitik gesetzt hätten, sprechen, die den Bund gewissermaßen zum Kostgänger der Länder degradieren. Aber ein wenig möchte ich die Gewichte doch zurechtrücken und feststellen, daß es häufig die Länder waren, die über Bund-Länder-Arbeitsgemeinschaften — dankenswerterweise haben Sie, Herr Kollege Konrad, das vorhin in Ihren Ausführungen erwähnt —, durch eigene Initiative, die Einbringung von Erfahrungen
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Staatsminister Dick
mit bereits im Vollzug befindlichen Gesetzen sowie durch Vor- und Zuarbeit dem Bund gute Dienste geleistet haben.Ich glaube, Herr Kollege Wolfgramm, hier ist auch das anspruchsvolle Umweltprogramm 1971 anzusprechen, das Sie hier erwähnt haben. Ich kenne die Entwicklung sehr gut, weil ich in meiner Dienstzeit bereits drei Bundesminister kennengelernt habe bis hin zu Ihnen, Herr Baum. Ich kenne Stockholm. Stockholm wäre für diese Republik nicht möglich gewesen, wenn nicht die Länder in den Fallbeiträgen und auch in ihren Beiträgen zu diesem Umweltprogramm 1971 ihre Erfahrungen verfügbar gehalten hätten, die dann auch — Gott sei Dank, muß ich sagen — umfassend in ein Programm eingebunden worden sind. Gehen wir doch nicht immer davon aus, als wäre das alles die Weisheit einer einzigen Etage in dieser Republik!
Wir sollten hier die Vielfalt unserer Strukturen sehen. Aus dieser Vielfalt erwächst die Stärke dieser Republik, und das ist im Grundsatz auch der Sinn unseres föderativen Staatsaufbaus.Ich darf daran erinnern, wie bahnbrechend für die Neuordnung des Naturschutzrechts die Landes-Naturschutzgesetze von Schleswig-Holstein, Rheinland-Pfalz und Bayern von 1973 bzw. von Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen von 1975 waren. Ich bin doch nicht so kleinlich, hier nur CDU- oder CSU-Länder aufzuzählen. Hier ist umfassend einmal die Länderseite mit einzubinden. Das Bundesnaturschutzgesetz hat seinen Inhalt diesen Gesetzen erst 1976 mehr oder weniger angeglichen bzw. sogar übernommen. Das ist keine Schande. Wir sind dankbar dafür. Aber das ist die reine Wahrheit, wenn Sie so wollen. Dementsprechend ist auch eine Anpassung dieser Landesgesetze an das Bundesgesetz, wie sie die Antwort fordert, nur in einigen Teilbereichen veranlaßt und darum auch weit weniger dringlich, als dies dargestellt wurde.Der Beitrag des Bundes zum Bundesnaturschutzgesetz war demgegenüber nicht besonders rühmlich. Durch ihre beharrliche Forderung, über eine Verfassungsänderung die konkurrierende Gesetzgebungsbefugnis eingeräumt zu bekommen, hat die Bundesregierung über Jahre hinweg eine einvernehmliche und befriedigende Lösung verhindert. Sie ist dann Gott sei Dank gekommen, aber viel zu spät. Hier ist der Rahmen besser als die konkurrierende Lösung, einfach weil das Nordseegebiet und das Ostseegebiet nicht vergleichbar sind mit dem Alpengebiet. Das kann man nicht über einen Kamm scheren, sondern hier müssen regionale Lösungen gefunden werden, ohne einer kleinlichen Zuteilung und Verteilung der Zuständigkeiten das Wort zu reden. Das war mit Sicherheit die bessere Lösung.
Im übrigen geht das Bundesnaturschutzgesetz inhaltlich auf eine Bundesratsinitiative seitens derLänder Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein zurück und nicht auf einen Entwurf der Bundesregierung.
Auch im Bereich der Planung und Umweltvorsorge haben die Länder eine Vorreiterrolle gespielt, indem sie beispielsweise das Raumordnungsverfahren zu einem wirksamen Instrument der Prüfung der viel zitierten Umweltverträglichkeit entwickelt haben, lange bevor die Bundesregierung für ihren Bereich Kriterien zur Umweltverträglichkeitsprülung eingeführt hat. Für Bayern schließlich möchte ich auf den Alpenplan als Beispiel ökologischer Umweltvorsorge hinweisen, mit dem bereits im Jahre 1972 die Erschließung des bayerischen Alpenraums nach Kriterien des Naturschutzes verbindlich geordnet und auch begrenzt wurde.Hier wäre überhaupt noch ein Wort über die Koppelung von Planung und Umweltschutz zu sagen, wie das übrigens jetzt Hessen ähnlich wie Bayern bereits ab 1970 vollzieht. Denn Planung und Umweltschutz gehören in Wirklichkeit zusammen, wenn wir an die Umweltprophylaxe denken. Ich möchte nun dem Bund oder Ihnen hier keine Vorschläge unterbreiten, aber die Frage ist doch sicherlich erlaubt, ob es richtig war, seinerzeit die Zuständigkeit, Planung und Umweltschutz koppeln zu können, die Raumordnung aus dem Bundesinnenministerium herauszunehmen; sie hätte vernünftigerweise beim Bundesinnenminister verbleiben sollen. Wir sind der Meinung, daß im Sinne einer vorbeugenden Umweltvorsorge diese Lösung durchaus die bessere gewesen wäre.Im Bereich des technischen Umweltschutzes liegen die Dinge nicht anders. Die Aktivitäten der Länder, beispielsweise im Gewässerschutz, haben schon lange Tradition. Man sollte nicht so tun, als würde nun das Abwasserabgabengesetz erste Lösungen bringen, durch die Gewässerschutz erst möglich wird. Beachten Sie die Millionenbeträge in den Ländern, besonders in den Flächenstaaten! Allein in diesem Haushaltsjahr wendet Bayern 400 Millionen DM auf, um die Gewässer in Ordnung zu halten. So ist es ja auch nicht, daß bisher nichts geschehen wäre. Aber ich komme darauf noch zurück, im speziellen Teil.Auch auf anderen Gebieten wurden die eigentlichen Leistungen von den Ländern erbracht, die zum großen Teil lange vor dem Erlaß der bundesgesetzlichen Regelung ihre Sanierungs- und Vorsorgemaßnahmen eingeleitet haben. Beispielsweise sei hier nur die Sondermüllbeseitigung erwähnt. Bereits 1968, also vier Jahre vor Erlaß des Bundesabfallbeseitigungsgesetzes, wurde etwa in Bayern eine überregionale wirksame Sondermüllbeseitigungsanlage in Betrieb genommen. Bereits 1970 wurde eine flächendeckende landesweite Organisation zur Erfüllung dieser Aufgabe geschaffen. Im Bereich der Abfallgesetzgebung haben eindeutig die Länder den entscheidenden Beitrag geliefert.Vergleichbare Schrittmacherdienste haben die Länder auf dem Gebiet des Immissionsschutzes, aber auch im Bereich des Strahlenschutzes geleistet. So haben etwa die in Bayern und in Nordrhein-
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Westfalen schon seit langem installierten lufthygienischen Überwachungssysteme für Bestimmungen im Bundesimmissionsschutzgesetz Pate gestanden, wonach nunmehr entsprechende Überwachungssysteme in Belastungsgebieten einzuführen sind. Ähnliches gilt für das in Bayern bestehende Kernreaktor-Fernüberwachungssystem, dessen bundesweite Einführung der Innenausschuß des Bundestages nunmehr von der Bundesregierung gefordert hat. Ich glaube, Herr Dr. Hartkopf, es spricht für Sie, daß Sie auch hier den Weg nach München gefunden haben — anläßlich einer Tagung, die in München lief —, um sich konkret im Hause dieses Kernreaktor-Fernüberwachungssystem anzuschauen. Dieses sachliche Gespräch sollte nicht nur einmal möglich sein, sondern auch künftig. So können Bund und Länder gegenseitig voneinander profitieren.
Diese Erfolge einer langen Umweltschutzpraxis haben die Länder in die Zusammenarbeit mit dem Bund eingebracht. Sie werden sie auch weiter einbringen, insbesondere, wie bereits erwähnt, in die Bund-Länder-Arbeitsgemeinschaften. Das weiß auch die Bundesregierung. Ich halte es deshalb für wenig geschmackvoll, der bisherigen Zusammenarbeit eher abträglich — nicht vorhin durch Ihren Beitrag, Herr Bundesminister, sondern in der Antwort und in den Zwischentönen —, wenn sich die Bundesregierung, so wie hier geschehen, die Federn des gemeinsamen Erfolges auf ihren grünen Hut stekken will.
Die umfassende, intensive und — abgesehen von der eben angebrachten Kritik — insgesamt befriedigende Zusammenarbeit von Bund und Ländern auf dem Gebiet des Umweltschutzes schließt natürlich nicht aus, daß in diversen Punkten Meinungsverschiedenheiten bestehen. Auch an der Antwort der Bundesregierung wäre deshalb eine Fülle von Anmerkungen anzubringen. Die zur Verfügung stehende Zeit läßt dies im gebotenen Umfange leider nicht zu. Ich will deshalb nur einen Punkt herausgreifen, der mir besonders bedeutsam erscheint, und zwar das sogenannte „Aktionsprogramm Ökologie" der Bundesregierung.Es ist völlig unstrittig, daß nach den bisherigen Schritten und Erfolgen im Bereich des Umweltschutzes künftig verstärkt eine gesamt-ökologisch orientierte vorbeugende und vorsorgende Umweltpolitik betrieben werden muß. Ebenso unstrittig ist aber auch, daß Bund wie Länder weit davon entfernt sind — ich sage bewußt: Bund und Länder —, ökologische Zusammenhänge und Vernetzungen größeren Umfangs erfassen, darstellen, quantifizieren oder gar systemgerecht steuern zu können. So erklärt Staatssekretär Dr. Hartkopf in der letzten Nummer von „Bild der Wissenschaft" selber zu Recht — ich zitiere —: „Es fehlen vielfach noch verläßliche Daten für eine Entscheidung.' Dem ist nichts hinzuzufügen.Diese Probleme kann man aber nun nicht dadurch lösen, daß man den bisherigen ersten Lösungsansätzen einen schönen wahlkämpferischen Namen aufklebt: „Aktionsprogramm Okologie". Dadurch werden zum einen die Probleme verwischt. Zum anderen gerät man in die Versuchung, manches als ökologisch darzustellen, was einfach nicht ökologisch ist. Dieser Versuchung ist, wie ich meine, die Bundesregierung erlegen. Sie hat nämlich der Okologie so manches untergejubelt, was keinerlei Bezug zu ihr hat. Ich meine das durchaus im Sinne einer positiven Kritik.So ist die Feststellung der Bundesregierung schlicht falsch, sie habe beispielsweise mit dem Fluglärmgesetz von 1971 eine wichtige Voraussetzung für die systematische Umweltvorsorge geschaffen und dabei ökologische Anforderungen berücksichtigt. Das Fluglärmgesetz ist im wesentlichen ein Entschädigungsgesetz.
— Ich habe gesagt „im wesentlichen".
Das Fluglärmgesetz orientiert sich primär an wirtschaftlichen Gegebenheiten. Da muß man das Gesetz genau durchforsten. Wir müssen das zur Zeit sehr genau tun wegen des Großflughafens München II. Es ist leider in der Tat so. Humanökologische Erfordernisse des Lärmschutzes läßt das Gesetz weitgehend außer acht. Ich sage das gar nicht im Sinne einer boshaften Kritik. Wir sollten alle mitsammen nicht auf die Ökologie in einer krampfhaften Art und Weise rein rhetorisch Bezug nehmen und glauben, wir könnten dann Probleme lösen. Wir müssen knallhart und haarscharf diskutieren und versuchen, Lösungen zu finden. Die finden wir nicht dann, wenn wir einfach Wortbegriffe wählen, die der Lösung der Probleme keine Wege eröffnen.
— Bayern hat gute Vorschläge gebracht.
— Jetzt passen Sie auf. Nehmen Sie einmal das Umweltprogramm 1978. Jetzt muß ich schon einmal deutlich werden. Ich wollte das gar nicht so deutlich sagen, weil das klimatisch heute so schön gelaufen ist. Jeder hat ja fast vor dem anderen Angst, zu sehr in die Debatte einzusteigen. Wissen Sie, warum? Ich persönlich sehe nicht ein — das mag auch Ihre Sorge sein —, daß wir uns in diesen Ebenen politischer Verantwortung — Land und Bund — zu sehr zerstreiten und denen draußen Anlaß geben, sich als Dritte zu freuen, die jetzt als Grüne auftauchen, noch grün hinter den Ohren waren, als Parlamente in Bund und Ländern den Fragen des Umweltschutzes längst nicht nur Aufmerksamkeit geschenkt, sondern Lösungen im harten Ringen um die Probleme erreicht haben.
Deshalb sollten wir uns wegen der paar Grünen auch nicht die Gäule scheu machen lassen.Aber schauen Sie in das Umweltprogramm 1978. Ich habe schon bei der Umweltschutzministerkonferenz 1978 kritisiert — ich habe das Protokoll da-
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bei —, daß auch seinerzeit schon der Bund versucht hat, das schöne Programm nur für sich zu verkaufen, die Länder kaum oder gar nicht zu erwähnen. An diesem Punkt setzen wir uns zur Wehr, nicht nur von der CDU, sondern auch von anderen Ländern. Ich könnte Ihnen Belege geben. Wenn man schon von Gemeinsamkeit spricht, kann man nicht nur einseitig Vollzugsdefizite verteilen, dann darf man auch die gemeinsamen Erfolge nicht nur für sich in Anspruch nehmen und sagen, man habe sie dem anderen abringen müssen, sondern muß zugeben, daß das eine Leistung aller ist.
Wir sollten bei genauer Durchsicht dieser Programme dankbar feststellen, daß die Zusammenarbeit bei der Lösung von Problemen möglich war, die nicht in den Alltagsstreit hineingezerrt werden dürfen.
Oberhaupt eignen sich Grundfragen dieser Republik, wie äußere Sicherheit, innere Sicherheit und auch Umweltprobleme, nicht unbedingt für einen dauernden polemischen Streit. Das war heute nicht der Fall. Deshalb möchte ich diese Einlage nun wieder etwas außer Gefecht nehmen.Ich möchte nun die Antwort auf die Frage nach dem ökologischen Konzept fortsetzen. Auch das Bundes-Immissionsschutzgesetz ist ein Beispiel dafür, daß man sich täuschen kann. Genau besehen ist dieser Gesetzentwurf geradezu ein Schulbeispiel für ökologisch verfehlte Maßnahmen. Nach dieser Novelle sollen nämlich die Belastungsgebiete im Interesse einer verstärkten Kohleverstromung weiter belastet, außerhalb dieser Gebiete dagegen Luftreinhaltereservate geschaffen werden. Bei dieser Regelung werden, um bei der Ausdrucksweise des ökologischen Konzepts der Bundesregierung zu bleiben, die Gesetze des „ökologischen Teilsystems Atmosphäre" überhaupt nicht berücksichtigt, die wegen des Ferntransports der Schadstoffe eine derartige Reservatstrategie nicht erlauben.
— Wir stehen gar nicht so allein, von Bayern her gesehen. Soviel ich weiß — man hört ja auch manches —, hat auch Ihr Kanzler im Kabinett nicht unbedingt größte Freude an dieser Novelle gezeigt. Es ist auch wieder etwas die Zeit darüber hingegangen, so daß das heute vielleicht nicht unbedingt so bewertet wird wie seinerzeit.Ich habe deshalb erhebliche Zweifel, ob dieses Programm mit seinen vollmundig grün klingenden Namen tatsächlich den ökologischen Umweltschutz überhaupt vorwärtsbringt. Ich befürchte vielmehr, daß hier Hoffnungen und Erwartungen geweckt werden, die — schon heute ist das absehbar — auf Jahre nicht erfüllt werden können. Dadurch wird im Grunde der ökologische Umweltschutz eher in Mißkredit gebracht, als dem gemeinsamen Ziel zu nützen, in den Umweltschutz und darüber hinaus in die gesamtwirtschaftliche Entwicklungstrategie verstärkt ökologische Kriterien einzuführen. Wer einen zu weiten Erfahrungshorizont weckt, wird Mühe haben, dann das, was der andere erwartet, auch erfüllen zu können.Wenn ich nun die große umweltpolitische Anfrage insgesamt bewerte, so ist festzustellen: Es steht natürlich außer Frage, daß die Antwort der Bundesregierung Ziele und Aussagen enthält, die alle, die mit dem Umweltschutz befaßt sind, sich seit Jahrzehnten zur Maxime gemacht haben. Insgesamt aber muß eine erhebliche Diskrepanz zwischen den wohlklingenden Zielen und der rauhen Wirklichkeit festgestellt werden. Heute pfeift uns Umweltschützern der Wind wieder besser um die Ohren. Wenn das Geld weniger wird, sich die Rahmenbedingungen verschlechtern, dann sind manche bereit, etwas leiser zu treten — nicht der Bundesminister, der vorhin das Konzept vertreten hat, nicht die Umweltminister der Länder. Aber einfach aus der Gegebenheit der Möglichkeiten heraus wird manches schwieriger sein als in der Zeit der vollen Kassen.Wie stellen sich nun einerseits Ansprüche und andererseits tatsächliches Verhalten der Bundesregierung dar? Die Antwort der Bundesregierung enthält dafür genügend Beispiele. So rühmt sich die Bundesregierung, Kenntnisse und Engagement der Bürger in Umweltfragen durch zielgruppenspezifische Aufklärungs- und Informationsmittel zu fördern. Dieses Bemühen wäre selbstverständlich voll zu unterstützen. Gerade die Öffentlichkeitsarbeit zur Bewußtseinsbildung im Bereich des Umweltschutzes gehört wesentlich zum Ressortbereich derjenigen, die für den Umweltschutz verantwortlich sind. Wie aber sieht nun diese Informationsarbeit teils in Wirklichkeit aus? Die Bundesregierung beteuert beispielsweise in offiziellen Verlautbarungen die ökologische Vertretbarkeit der Kernenergie. Ich zitiere mit Genehmigung des Herrn Präsidenten: „Auch die Bundesrepublik kann auf absehbare Zukunft, d. h. jedenfalls für die nächsten Jahrzehnte, nicht ohne Kernenergie auskommen. So Bundeskanzler Schmidt am 4. Juli 1979 im Deutschen Bundestag. Oder — ich zitiere wiederum —: „Wir werden trotz Einsparung und vorrangiger Nutzung der heimischen Steinkohle auf einen begrenzten Ausbau der Kernenergie auch in Zukunft nicht verzichten können. So Bundeswirtschaftsminister Graf Lambsdorff vor der IG Chemie am 2. Mai 1979. Ich sage Ihnen ganz offen, ich bin als Landesminister für solche deutlichen Aussagen durchaus dankbar. Wir stehen ja im Vollzug. Der Vollzug ist oftmals härter, als Gesetze zu beschließen.
Ich war früher vor zehn Jahren selbst Vorsitzender des Haushaltsausschusses des Bayerischen Landtages, und ich würde oft wünschen, daß viele von uns die Verbindung mit der Kommunalpolitik halten. Ich habe nämlich eine Reihe von Gesetzesvorlagen des Deutschen Bundestages in Erinnerung. Der Titel des Gesetzes beschreibt den Inhalt, und bei den Kosten steht häufig: „Keine". Bei den Ländern wird es schon schwieriger. Was die Kosten für den Vollzug draußen betrifft, so stehen meist die Länder und immer die Kommunen in der Pflicht. Gerade aus
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dieser Sorge heraus bitte ich um Verständnis, daß heute manches kritisch angemerkt wird. Wir sind also dankbar, wenn deutliche Aussagen gemacht werden.Mit den Schriften aber, mit denen wir konfrontiert werden, kam beispielsweise auch das „Ei des Kolumbus". Ich möchte Ihnen diese Broschüre einmal beispielhaft erläutern. Sobald Sie das Deckblatt aufschlagen, wird bereits auf Seite 2 aus dem Ei des Kolumbus, der Kernenergie, das faule Ei des Kolumbus. Diese Akzentverschiebung zeigt deutlich die Weichenstellung, die sich ja dann auch bestätigt. Die Aussagen dieses clever aufgemachten Buches enthalten einen Satz wie den folgenden — ich bitte, jetzt genau hinzuhören, und ich bitte, zitieren zu dürfen —: „Das schmutzige Geschäft ist dabei die Wiederaufbereitung der Brennstäbe"; wo mit Plutonium gefüllte Fässer, die mit Totenköpfen verziert werden, frei an einem Flußrand liegen; aus defekten Fässern rinnt das Gift in den Fluß, in dem Menschen baden. Das ist eine unverantwortliche Verzerrung der tatsächlichen Gegebenheiten. Wo in dieser Bundesrepublik finden Sie solche Zustände, muß ich fragen.
Jeder Bundesminister und jeder Landesminister müßte zurücktreten, wenn es so wäre. Es ist natürlich nicht so.
Die in unserem Zusammenhang interessanteste Aussage des Buches findet sich beachtenswerterweise auf der letzten Seite, die ich Ihnen nicht vorenthalten möchte. Dort steht — ich zitiere wiederum mit Genehmigung des Herrn Präsidenten —: „Diese kostenlose Sonderauflage des Energiebilderbuches wurde hergestellt mit finanzieller Unterstützung des Bundesministers des Innern und des Umweltbundesamtes Berlin Jede Mark sollte dafür zu schade sein! Das ist die Meinung, die ich deutlich aussprechen wollte.
Ich glaube, das ist auch Informationspolitik der Bundesregierung.Ich habe das bewußt deutlich gesagt, weil wir nicht weiterkommen, wenn wir es nicht offen ansprechen. Wir können in dieser schwierigen Frage der Kernenergie — das ist ja auch ein ökologisches Problem — nicht weiterkommen, wenn wir diesen Atomeiertanz weiter aufführen. Wir müssen hier klar Farbe bekennen. Es darf gar nicht so weit kommen, daß ein Ministerpräsident wie Albrecht sagen muß: „Technisch ist das möglich, politisch nicht durchführbar Es führt allmählich zu einer Bankrotterklärung politischen Handelns, wenn in diesen Lebensfragen unserer Republik nicht wieder ein Gleichklang hergestellt wird.
Solche Broschüren dienen nicht der Aufklärung, sie dienen eher der Desinformation und erschweren unsere viel zitierte gemeinsame politische Arbeit in diesem Bereich.
Wir bemühen uns als Landesregierung, den Bürger offen und sachlich im Sinne der auch von der Bundesregierung vertretenen gemeinsamen Zielsetzung zu informieren, um den gesamten Fragenkomplex Kernenergie zu versachlichen. In Bayern etwa veröffentlichen wir wöchentlich — das wurde auch von Stellen des Bundes zustimmend registriert — die Emissionswerte der Kernkraftwerke. Wir machen auch belanglose Vorfälle bekannt und stellen in unzähligen Veranstaltungen Risiken und Chancen der Kernenergie dar. Nur so erscheint es uns möglich, die Kernenergie aus der Hexenküchenmentalität herauszuführen. Wir müssen draußen die Risiken deutlich ansprechen und dürfen die Schwierigkeiten nicht verniedlichen. Dies der Bevölkerung wöchentlich deutlich darzustellen und sie offen zu informieren, scheint mir ein wesentlicher Ansatz zu sein, um aus der Mentalität herauszukommen: „Die machen ja doch alles hinter verschlossenen Türen; da geht es ja zu wie in einer Hexenküche. Wir müssen hier alle unseren Beitrag leisten. Ob dieses von der Bundesregierung geförderte „faule Ei" ein hilfreicher Beitrag zu dieser Informationspolitik ist, überlasse ich Ihrer persönlichen Beurteilung.
— Zum Lachen ist mir das nicht. Ihr Ministerkollege wird sich dadurch draußen bei dem Versuch, die Menschen zu überzeugen, selbst die größten Schwierigkeiten einhandeln. Ich empfehle Ihnen, dieses schöne Bilderbuch einmal einem genauen Studium zu unterziehen.
— Das ist ausgezeichnet. Jeder kann einmal etwas falsch hören. Das nehme ich dann ganz selbstverständlich zurück.Hinzu kommt, daß die Bundesregierung und die sie tragenden Parteien in dieser wesentlichen Frage der friedlichen Nutzung der Kernenergie, wenigstens bisher, ein höchst verwirrendes Bild geboten haben. Ich möchte in dieser Debatte nicht näher darauf eingehen, obwohl es sehr reizvoll wäre, weil auch der Beitrag Bayerns beispielsweise in der Frage der Kompaktlagerung und damit der zeitweiligen Überbrückung in der Entsorgung
ein positiver Beitrag im Rahmen des Energieprogramms dieser Regierung sein sollte. Das ist offensichtlich seinerzeit verkannt worden. Nun ist dies auch vom Bund als möglicher Weg der Zwischenla-
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gerung über einen vernünftigen, überschaubaren Zeitraum hinweg anerkannt.
— Ich habe keinen Pappkameraden. Für mich als Umweltminister in Bayern ist das schwierigste Umweltproblem das der Kernenergie, weil wir Genehmigungsbehörde sind. Hier stehe ich in Vollzug der Auftragsverwaltung des Bundes. Ich bin nicht bereit, dauernd den Kopf hinzuhalten, wenn wir hier gegenseitig mit faulen Eiern werfen.
Ich sage das sehr deutlich: Man kann nicht auf der einen Ebene so tun und im Vollzug draußen den anderen die Schwierigkeiten überlassen. Ich bin ja bereit, bei Schwierigkeiten den Kopf hinzuhalten, aber dann muß es eine gewisse Linie, eine gewisse Gemeinsamkeit geben, die sich nicht nur in schönen Reden ausdrücken darf. Auch wenn es dann ein bißchen grantig zugeht, muß man dazu stehen.
Herr Staatsminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Professor Laermann?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Natürlich.
Herr Staatsminister, können Sie bestätigen, daß der bayerische Wirtschaftsminister Jaumann festgestellt hat, Bayern sei das letzte Land, das eine Wiederaufarbeitungsanlage brauche? Wie können Sie das in Zusammenhang mit Ihren Ausführungen bezüglich der Kernenergie bringen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wenn Sie das wollen, kann ich das sehr einfach sagen: Wir sind nach wie vor für das integrierte Entsorgungszentrum: Eingangslager, Wiederaufbereitung, Endlagerung. Wenn die Bonner Koalitionsparteien in Niedersachsen nicht Schwierigkeiten gemacht hätten, weil Wahlkampf war, wäre Albrecht wahrscheinlich einen Schritt weitergekommen.
Solange nicht die Kriterien, wie übrigens in der Konferenz der Ministerpräsidenten mit dem Bundeskanzler beschlossen, auf dem Tisch liegen, wird Bayern dazu keine Erklärung abgeben.
Herr Staatsminister, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Abgeordneten Laermann?
Herr Staatsminister, wie würden Sie die Haltung der Bundesregierung beurteilen, wenn sie nur solche Entscheidungen träfe, die zuvor interfraktionell einstimmig erfolgten, und dazu sogar die Meinung der Gruppen einholen und die Entscheidungen von deren Votum abhängig machen wollte, die nicht im Parlament vertreten sind?
Denn die FDP — das wissen Sie — war zu jener Zeit, als Albrecht die Entscheidung traf, im Parlament von Niedersachsen nicht vertreten;
dennoch machte Albrecht seine Entscheidung von ihrer Zustimmung abhängig.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich bin der Meinung: Als Partei — ob im Parlament oder nicht — müssen wir immer mit gleicher Zunge sprechen.
In einer solchen Frage, von der jeder wußte, daß es hier um die Wurst ging, wie man auf bayerisch sagt, kann man sich nicht darauf zurückziehen, zu sagen: Wir waren nicht im Parlament. Vielmehr muß man hier einmal die Strömungen sehen, die auch in den Reihen der FDP spürbar waren. Ich könnte Ihnen noch viel mehr Beispiele bringen als das Beispiel mit dem faulen Ei des Kolumbus, aber ein Beispiel genügt.Zur Haltung der SPD ist zu sagen: Man kann nicht einerseits Strom wollen, aber andererseits Schwierigkeiten dort bereiten, wo andere sogar bereit sind, Kernenergieanlagen für andere verfügbar zu halten.
Bayern leistet hier mit Sicherheit einen entscheidenden Beitrag.
Wir sollten aber nun, meine ich, die Kernenergiedebatte jetzt nicht weiterführen. Wenn Zeit genug wäre, würde ich hier durchaus verfügbar sein können. Übrigens: Sie dürfen unterstellen, daß wir diese Dinge im Interesse des Bundes — unter dem Gesichtspunkt seiner Energiepolitik betrachtet — in vielen Bereichen besser wahrgenommen haben, als das Vertreter der Koalitionsparteien für die Regierung getan haben.
Auch in anderen Bereichen — um zum Thema zurückzukommen — gibt es in diesen Erklärungen, Antworten einen deutlichen Bruch zwischen Absicht und Wirklichkeit. So wird in der Antwort der Bundesregierung wieder völlig zu Recht die Notwendigkeit einer Umweltpolitik quer durch alle Fachbereiche betont. Dies wird von derselben Bundesregierung vorgebracht, die über Jahre hinweg versucht hat, ein so umweltfreundliches Verkehrsmittel wie die Bahn aus dem Verkehr zu ziehen.
Heute muß ich fragen: Was wäre die Folge gewesen? Eine Steigerung des Individualverkehrs, mehr Straßen, ein höherer Landschaftsverbrauch, eine höhere Belastung der Menschen durch Abgas und Lärm, ein erhöhter Energieverbrauch — alles Folgen, die den hohen Zielen der Bundesregierung zuwiderlaufen würden. Nur dem heftigsten Widerstand insbeson-
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dere der Länder — ich beziehe alle Länder mit ein — ist es zu verdanken, daß die ursprünglich geplante Halbierung des Bahnnetzes im wesentlichen abgewehrt werden konnte. Heute, rückblickend, können wir sagen — ich spreche jetzt einmal im Interesse der Bundesregierung —: Wir haben Glück gehabt, daß das nicht eingetreten ist, was man damals mit Vehemenz verfogt hat. Die Liste ließe sich noch beliebig fortsetzen.In der Begründung der Anfrage findet sich der wohl von niemandem bestrittene Satz, Umweltpolitik müsse unabhängig von der jeweiligen wirtschaftlichen Lage betrieben werden. Kein verantwortungsbewußter Umweltpolitiker wird diese Forderung in Zweifel ziehen wollen. Aber wie sieht das in der Wirklichkeit aus? Die Möglichkeiten des Umweltschutzes sind natürlich auch von der Leistungsfähigkeit der Wirtschaft und vor allen Dingen auch von der Finanzkraft der öffentlichen Hand abhängig. In ernsten Konjunkturlagen und finanziell schwierigen Zeiten kann der Umweltschutz beispielsweise wohl kaum mit der Forderung nach der Sicherung der Arbeitsplätze konkurrieren. Umweltprobleme werden zu unser aller Leidwesen dann sicher nicht leichter zu lösen sein. Die Forderung nach einer konjunkturunabhängigen Umweltpolitik ist im Grundsatz zwar richtig, aber so forciert hört sie sich schon etwas problematisch an.Wie ist es denn zu schlechten finanziellen Rahmenbedingungen gekommen, unter denen natürlich auch der Umweltschutz zu leben hat? Herr Kollege Riesenhuber hat bereits darauf hingewiesen. Wünschenswertes — ich möchte sogar sagen: Notwendiges — können wir bei dieser Entwicklung, wenn sie so weitergeht, schon in Kürze nicht mehr finanzieren. Hier liegen doch die Schwierigkeiten begründet, besonders auch für die Länder und für die Kommunen. Denn Umweltschutz — das muß immer wieder deutlich gesagt werden — kostet schlicht und einfach Geld.
Um die Haushaltslage zu verdeutlichen, darf ich mit Genehmigung des Präsidenten aus der parteiunabhängigen Wirtschaftsinformation „basis" vorn 4. April dieses Jahres zitieren — das sagt jetzt also nicht die CDU oder CSU —:Auf dem Weg in den Staatsbankrott ist die Bundesrepublik Deutschland im ersten Quartal 1980 wieder ein gutes Stück vorangekommen: Das Kassendefizit des Bundes betrug allein in den Monaten Januar /Februar 7,7 Milliarden Mark .
— Hören Sie sich das doch bitte an! Das ist nicht sehr praktisch für Sie und alle, die in diesem Haus sitzen!
Wenn ich an diese Entwicklung denke, frage ich, ob Bund, Länder und Kommunen das noch finanzieren können. Das ist die Sorge, die ich ausspreche. Daß das laufende Kassendefizit bereits 20 % der Ausgaben erreicht, zeigt, daß sich der Finanzminister jede fünfte Mark, die Bonn ausgibt, pumpen muß.Die Beispiele können beliebig fortgeführt werden. Es sei nur kurz erwähnt, daß auch die Steuereinnahmen nicht mehr so laufen, wie es sich die Länder und der Bund vorgestellt haben. Selbst bei der Lohnsteuer, die immer so hoch in der Zuwachsquote lag, sind die Entwicklungen erschreckend. Sollte sich der Trend auf der Einnahmeseite des Staates fortsetzen, so ist spätestens zur Jahresmitte mit spektakulären Notstandsmaßnahmen zu rechnen.
Die laufen heute schon etwa bei der Zurücknahme von Leistungen für den Ausbau der Verkehrsinfrastruktur. Sie wissen das ja, wenn Sie es verfolgt haben.Angesichts dieses Szenarios erscheint die Forderung der Bundesregierung nach Umweltschutz unabhängig von der konjunkturellen Lage mehr als treuherzig.Richtigzustellen ist auch die Behauptung der Bundesregierung, sie habe die Möglichkeiten zum Erlaß allgemeiner Verwaltungsvorschriften im erforderlichen Maß genutzt. Das klingt zwar sehr schön. Aber die Wirklichkeit sieht anders aus. Bei einzelnen umweltrelevanten Gesetzen fehlen derartige Verwaltungsvorschriften gänzlich, z. B. beim Abfallrecht. Dort, wo sie vorliegen, entsprechen sie zu einem erheblichen Teil nicht mehr dem Stand von Wissenschaft und Technik. Ich erwähne nur die TA Luft.Die Antwort der Bundesregierung hebt weiter völlig zu Recht die Bedeutung des Artenschutzes hervor. Andererseits fehlt in ihr bedauerlicherweise jeder Hinweis darauf, wann endlich damit zu rechnen ist, daß die Bundesregierung eine Verordnung vorlegt, mit der der Import und der Export geschützter Tiere geregelt werden. Diese Verordnung ist längst überfällig. Jeder Landesminister könnte waschkorbweise die Briefe und Anregungen aus der Bürgerschaft vorlegen, die in Abschrift dann an Bundesminister Ertl gehen. Hier sollte endlich Ordnung geschaffen werden.Ähnliche Versäumnisse gibt es bei der Einrichtung von Wirkungskatastern. Die Bundesregierung erklärt, daß zur Feststellung der Belastungssituation eines Gebiets sogenannte Bioindikatoren unter möglichst kontrollierten und standardisierten Bedingungen eingesetzt oder am Ort des Vorkommens untersucht werden können. Obwohl nun mehrere Bundesländer diese Methode der Wirkungskontrolle bereits anwenden, hat die Bundesregierung nichts unternommen, um die Bedingungen dieser Wirkungsuntersuchung zu standardisieren.All diese Probleme lassen sich wie folgt zusammenfassen: Im Rahmen unserer verfassungsgemäßen Ordnung besitzt der Bund in weiten Bereichen des Umweltschutzes die Gesetzgebungskompe-
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tenz. Im Vollzug jedoch zeigen sich erst die Hauptprobleme und die eigentlichen Interessenkonflikte in aller Schärfe. Die Frage der Finanzierbarkeit stellt sich. Die Forderung des Umweltschutzes trifft auf die Forderung der Sicherung der Arbeitsplätze Zwischen dem Naturschutz und den Freizeitansprüchen der Erholungssuchenden ergeben sich Konflikte. Überspitzt könnte man sagen: Für den Bund sind mit der Rechtsetzung in der Regel die Probleme gelöst; für die Länder und Kommunen beginnen sie damit erst.Ich erinnere nur daran, daß das Bundes-Immissionsschutzgesetz vom Bund immer im Sinn eines sehr strengen Verursacherprinzips verstanden wurde. Hätten wir nun in den Ländern dieses Gesetz in dieser letzten Schärfe in unseren strukturschwachen Gebieten vollzogen, so hätte es dort Arbeitsplätze und Unternehmen erheblich gefährdet. Wir haben es deshalb unternommen, durch Stufenpläne, Übergangsregelungen und vor allem finanzielle Förderprogramme wirtschaftlich nicht zumutbare Belastungen aufzufangen.Die Antwort der Bundesregierung läßt nunmehr erkennen, daß sie sich diesen Überlegungen anschließt und sich zu eigen macht und das sogenannte Gemeinlastprinzip als notwendige Ergänzung des Verursacherprinzips in solchen Fällen akzeptiert. Hier zeigt sich, daß in dem von der Verfassung und der Sache her gegebenen Spannungsverhältnis von Bund und Land vernünftige Lösungen erwachsen können, wenn beide Seiten mit Augenmaß und einem gewissen Verständnis für die andere Seite an die jweiligen Probleme herantreten.Deshalb möchte ich jetzt einiges zum sogenannten Abwasserabgabengesetz und zum Verkehrslärmschutzgesetz sagen. Man sollte einmal zugeben — ich tue das jedenfalls für Bayern —, daß die Länder hier wirklich aus dem einfachen Grund in Schwierigkeiten kommen, weil der Druck der Kommunen verständlicherweise da ist.
— Herr Kollege Wittmann, es ist ein Unterschied, ob Sie Flächenstaaten wie Bayern oder andere Länder nehmen. Sie wissen, daß 400 Millionen DM im bayerischen Haushalt für 1980 kein Pappenstiel sind. Es ist einfach so, daß die Kommunen das Geld nicht verfügbar haben, das sie brauchen. Das ist der Grund, warum die Kommunen zur Zeit Schwierigkeiten haben. Wenn ich, der ich als Umweltminister für Bayern spreche, die Schwierigkeiten sehe, bin ich nicht bereit, so etwas über das Knie zu brechen. Vielmehr muß die Konsensfähigkeit auch im Hinblick auf diejenigen gesehen werden, die das im Vollzug mitzubezahlen haben.
Es ist immerhin interessant, daß es beim Abwasserabgabengesetz letztlich darum geht, ob wir den Beginn der Abgabepflicht um ein weiteres Jahr hinausschieben. Täten wir es, ginge die Welt wirklich nicht unter. Wir sollten es jedenfalls tun, wenn wir uns damit die Mitarbeit und Übereinstimmung der Kommunen sichern könnten. Das ist der einzige Grund, der hinter unserer Entscheidung steht.Selbstverständlich hoffen wir auch, dadurch Voraussetzungen im administrativen Bereich schaffen zu können, die einen wirksamen Vollzug ermöglichen.
Ich bin Herrn Minister Baum sehr dankbar, daß er das in diesem Bereich angedeutet hat. Ich glaube, das ist durchaus eine Gesprächsbasis. Wir sollten abwarten, was nun im Bundesrat weiter geschieht.Es ist interessant, was gestern als Verlautbarung der SPD und der FDP veröffentlicht worden ist. Das unterscheidet sich wesentlich von dem moderaten Ton heute. Das sind sehr scharfe Formulierungen. Man stellt uns einfach in eine Ecke, als wären wir von der Länderseite — speziell drei sind genannt, namentlich sogar die Ministerpräsidenten — die Umweltschutzbremser. So geht es ja auch nicht, daß man diese Länder in eine Ecke rückt, in der sie nie gestanden haben, nicht stehen wollen und auch nicht stehen werden.Die laute Entrüstung über die Überweisung des Verkehrslärmschutzgesetzes an den Vermittlungsausschuß kann doch auch nur teils als Theaterdonner bewertet werden; denn es stehen eben Wahlen unmittelbar vor der Tür.
Es ist ja das Unglück, daß wir die Wertung unter diesem Zeitdruck vornehmen. Ich möchte Ihnen das mit einigen Ausführungen über das Gesetz klarmachen, das im Finanzausschuß des Bundesrates auf Grund der mit den Immissionsgrenzwerten verbundenen finanziellen Auswirkungen einstimmig, also von allen Ländern einschließlich der SPD-regierten Länder, abgelehnt wurde. Sie können auch formulieren: Im Finanzausschuß des Bundesrates haben Ihnen alle Länder einschließlich der SPD-regierten Länder sozusagen die Suppe eingebrockt.
— Auch nicht ganz. Das gilt z. B. für Hamburg. Fragen Sie doch die Finanzminister der Länder,
ob sie sich dabei etwas gedacht haben, als sie im Finanzausschuß diesen Beschluß einstimmig gefaßt haben. Ich habe überhaupt kein Verständnis dafür, daß wir uns darüber streiten; denn hier sind unter Umständen in sachlicher Atmosphäre Lösungen schneller denkbar, als manche meinen, die das zerreden.
— Herr Konrad, wenn es so einfach wäre, würde ich Ihnen ja gerne zustimmen. Ich möchte Sie nur bitten, daß Sie auch einmal das Papier der gestrigen Verlautbarung des Sprechers der FDP-Bundestagsfraktion Klaus-Jürgen Hoffie zur Hand nehmen. Er spricht selbst davon — ich zitiere —, jährlich 600 Millionen DM seien für Städte und Gemeinden mit
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10% der Gesamtinvestitionssumme für den heutigen Straßenbau zwar ein dicker Brocken. Wenn Sie dann aber die Aufschlüsselung nehmen, die den Gemeinden weiterhin verbleibt, dann sehen Sie, daß der dicke Brocken fast genauso groß ist wie der des Bundes. Wer wiederum weiß, daß die Investitionsausgaben bei den Kommunen liegen — beim Bund ist der größte Haushaltsbetrag im Bereich der Personalausgaben, bei den Ländern kommen schon mehr Investitionen dazu — und die Kommunen einseitig übergewichtig in ihren Investitionshaushalten betroffen sind, weiß, daß diese dort tatsächlich der Schuh drückt. Es muß doch zulässig sein, darüber zu reden, ob diese Belastung nicht zurückgenommen werden kann.Jetzt muß ich wieder sagen: Das haben doch nicht die CDU und CSU erfunden. Nehmen Sie den Antrag der Länder Berlin, Bremen, Hamburg und Hessen, in dem ja auch die Rede davon ist, daß durch Öffnung des Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetzes auch für Maßnahmen des Lärmschutzes allein das Problem nicht gelöst werden kann, da hierdurch der Finanzierungsrahmen nicht erweitert wird. Es ist daher notwendig, den Gemeinden zusätzliche Finanzhilfen durch Aufstocken des Rahmens des GVFG zur Finanzierung der nach wie vor aus Gründen der Verbesserung des Umweltschutzes und der Verkehrssicherung nötigen Straßenbauprojekte zur Verfügung zu stellen. Die Finanzminster der SPD-Länder waren zunächst derselben Meinung und haben im Finanzausschuß einstimmig abgelehnt. Jetzt wird es noch interessanter: Im Bundesrat hatte Hamburg mitgestimmt. Das muß man auch alles sehen.Es geht mir als Umweltschutzminister darum, daß unsere Richtschnur sein muß, zu einer Lösung zu kommen. Eine Lösung wäre möglich, wenn der Bund seine Bereitschaft zeigte, noch einmal über die Finanzlage zu sprechen, über die durch die Herabsetzung der Lärmwerte gegenüber dem Regierungsentwurf den Gemeinden entstehenden Mehrkosten. Es ist der Sinn eines solchen Begehrens, daß man noch einmal darüber spricht. Dann sollte man heute aber nicht so tun, als seien die einen dafür und die anderen dagegen.Daß Qualität vor Quantität geht, ist auch meine Meinung. Ich decke auch ab, daß man durchaus verminderte Lärmgrenzwerte festsetzen sollte. Bayern hat dies längst getan. Beim Straßenbau hatten wir längst entsprechende Planungsrichtwerte. Das war schon vor Jahren so, als der Bund in seine eigene Vorlage die Werte hineingeschrieben hat, um die der Streit überhaupt entbrannte. Auch der Bund hat sich die Arbeit gar nicht so einfach machen können, weil das Problem bei diesen Größenordnungen, um die es hier geht, nicht mit einem Federstrich gelöst oder mit der Hand vom Tisch gefegt werden kann.Die Aussage, daß Qualität vor Quantität geht, muß ich als Umweltminister unterstützen. Das hört sich auch wunderbar an. Aber fragen Sie die Verantwortlichen draußen in den strukturschwachen Räumen, ob sie über die Entscheidung, weniger Erschließungsstraßen zu bauen, die dort noch notwendig sind, in helle Begeisterungsstürme ausbrechen.Dieses Problem sollten wir ernsthaft prüfen. Anstatt sich zu entrüsten, sollte man darüber nachdenken, wie die Gemeinden finanziell in die Lage versetzt werden sollen, das über alle Parteigrenzen hinweg anzustrebende Ziel eines möglichst umfassenden Schutzes unserer Bürger gegen den Verkehrslärm zu verwirklichen. Ich bin durchaus der Meinung, daß dies der Arbeit aller wert wäre.Ich möchte zum Schluß kommen.
— Sie klatschen natürlich, weil Sie zum Ausdruck bringen möchten, daß es Ihnen schon langt. Ich bin trotzdem dankbar dafür, daß ich einiges aus der Sicht der Länder darstellen konnte.
Ich möchte die Gemeinsamkeit aufgreifen, die Bundesminister Baum an den Schluß seiner Rede gestellt hat, aber diese Gemeinsamkeit, die hier immer wieder zitiert wird, muß natürlich auf Gegenseitigkeit beruhen, auf der Zusammenarbeit von Bund und Ländern. Die Umweltpolitik braucht nämlich auch die aktive und vor allen Dingen auch die zielbewußte Mitarbeit der Bürger und die Unterstützung durch die Verbände, denen hier besonders zu danken ist. Die offene und sachliche Diskussion mit den Verbänden und Bürgern, ihre Beteiligung und ihre Mitarbeit sind von größter Bedeutung für eine gleichermaßen effektive wie demokratisch legitimierte Umweltpolitik.Die Bundesregierung hat in ihrer Antwort die Bereitschaft zum Konsens und zu einer vorurteilslosen Zusammenarbeit erkennen lassen. Ich glaube, dem können die Länder zustimmen. Die Länder sind dazu bereit, wenn sie in diese Arbeit fair eingebunden sind, d. h., wenn sowohl Erfolg als auch noch zu lösende Probleme in eine Linie gebracht werden, nämlich in eine Gesamtverantwortung der Länder und des Bundes. Darauf können wir eine vernünftige Basis errichten, um Umweltschutz für den Bürger dieser Republik mit Erfolg zu betreiben.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schäfer .
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es war vielleicht ganz angenehm, daß mit Staatsminister Dick ein bißchen Leben in die Umweltdebatte eingezogen ist.
Herr Dick, ich will nur in einigen wenigen Punkten auf Sie eingehen.Ich will gleich vorweg einen Eindruck ausräumen, den Sie offenkundig erwecken wollten, den Eindruck nämlich, der Deutsche Bundestag — nicht nur SPD und FDP — würde die Frage der Kernenergie und der damit verbundenen Umweltbelastungen im Zusammenhang mit der Umweltpolitik nicht beraten. Sie wissen, Herr Kollege Dick, daß dieses Parlament — und darauf können wir alle insgesamt stolz sein — eine eigene Sachverständigenkommission,
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Schäfer
eine Enquete-Kommission mit sieben Parlamentariern und acht nichtparlamentarischen Sachverständigen eingesetzt hat, um die notwendigen Entscheidungen, die möglichen Auswirkungen ökologischer, ökonomischer, sozialer und gesellschaftlicher Art im Zusammenhang mit der Energiepolitik — und nicht allein mit der Kernenergie — zu untersuchen. Diese Kommission wird bald ihren Bericht vorlegen. Sie wird dann auch Antwort auf die Frage geben, ob ein Verzicht auf die Kernenergie möglich ist und wie diese Möglichkeit zu bewerten ist.Ich will Ihnen noch ein Zweites sagen, und zwar zu der Frage der Abwasserabgabe. Dazu nur ein Hinweis: Mich überzeugt nicht das Argument, die Länder bzw. Kommunen hätten keine Zeit gehabt, sich auf den Vollzug dieses Gesetzes einzustellen. Seit 1974 war jedermann klar, was hier auf die Kommunen zukommt. 1976 ist das Gesetz in Kraft getreten. 1981 erst soll es wirksam sein. Es kann im Interesse eines wirksamen Umweltschutzes nicht angehen, daß man die Kommunen aus diesen Pflichten entläßt, deren Erfüllung man billigerweise von der Industrie erwartet.
Wir können hier nicht mit zweierlei Maß messen.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zur Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage zurückkommen. Diese Antwort stellt alles in allem eine eindrucksvolle umweltpolitische Leistungsbilanz, eine Zwischenbilanz dar, hinter der sich niemand, der im Umweltschutz politisch engagiert ist, verstecken muß. Ganz im Gegenteil. Wer die Erfolge leugnet oder nicht zur Kenntnis nehmen will — wie beispielsweise die Grüne Partei —, macht damit deutlich, daß er nicht von der politischen Wirklichkeit ausgeht, sondern sich ein unredliches Argumentationsgebäude errichtet, um sich als besonders vorteilhaft darstellen zu können.Richtig bleibt — bei allen Verdiensten auch der Länder und Kommunen in der Umweltpolitik —, daß Umweltpolitik als Kernstück neuer Politik erst seit 1969 bundespolitische Wirklichkeit geworden ist.
1971 hat die Bundesregierung ihr Umweltprogramm vorgelegt. Seither wurden Jahr für Jahr gegen viel Widerstand Stück für Stück mit einem großen Aufwand an gesetzlichen Maßnahmen, an Haushaltsmitteln, an staatlichen Förderungsmaßnahmen die Voraussetzungen für konkretes Wissen und Handeln geschaffen, damit Umwelt und notwendiges wirtschaftliches und qualitatives Wachstum nicht in unauflösbarem Gegensatz zueinander stehen müssen.Auf Teilgebieten im Umweltschutzbereich können wir eindeutig von einer Trendwende hin zum Besseren sprechen. Trotz dieser unbestreitbaren Erfolge ruhen wir Sozialdemokraten uns nicht auf unseren Umweltlorbeeren aus.
— Die sind soeben von niemand bestritten worden, Herr Kollege Probst.
— Ich nenne Gewässerhaushalt, Abfallbeseitigung, Luftreinhaltung, Benzinbleigesetz. Ich entnehme Ihrem Zwischenruf, daß Sie nicht nur die Anfrage nicht gelesen haben, sondern auch sonst durch Lükken glänzen.Wir wissen, meine Damen und Herren, daß es bei der Umweltsicherung letztlich und auf lange Sicht darum geht, auch den späteren Generationen die Lebensgrundlagen zu erhalten, d. h., die Fort- und Weiterentwicklung der Umweltpolitik hin zu einem ökologisch-ökonomischen Gesamtkonzept ist langfristig buchstäblich lebensnotwendig. Für uns Sozialdemokraten ist dieses neben der Sicherung des Friedens mit die größte Herausforderung dieses Jahrhunderts.Meine Damen und Herren, schon bisher war es — neben dem überwiegenden Reagieren auf bereits eingetretene Umweltschäden — Bestandteil unserer Umweltpolitik, durch vorsorgende und vorbeugende Maßnahmen das Entstehen von Umweltschäden zu vermeiden. Die Notwendigkeit einer Wirtschaftspolitik, die an ökologischen und sozialen Vorgaben ausgerichtet ist, kann im Grunde nicht bestritten werden. Die begrenzten und knappen Rohstoffe sowie die Grenzen der Belastbarkeit der natürlichen Lebensgrundlagen zwingen unausweichlich dazu. Wenn wir an die Rohstoffsituation denken und wenn wir mögliche Verteilungsauseinandersetzungen mit den Ländern der Dritten und Vierten Welt hier mit ins Kalkül ziehen, sehen wir, daß eine ökologisch-ökonomisch ausgerichtete Politik letztlich auch ein Teil Friedenspolitik ist.Mir liegt daran, meine Damen und Herren, vor allem im Hinblick auf die vielen jungen Mitbürger in unserem Lande, die zunehmend am Umweltschutz interessiert sind, zu betonen, daß die Entwicklung, die Erarbeitung und die Durchsetzung einer längerfristig ökologisch ausgerichteten Politik wirklich nur schrittweise erfolgen kann. Wer eine abrupte Umorientierung der Entwicklung in wichtigen gesellschaftlichen Bereichen verlangt, der argumentiert entweder unredlich — weil er Lösungsmöglichkeiten anbietet, die es kurzfristig objektiv nicht gibt—, oder er nimmt bewußt in Kauf, daß wichtige Ziele wie Vollbeschäftigung, soziale Sicherheit und Wettbewerbsfähigkeit unserer Volkswirtschaft — Eckpfeiler sozialdemokratischer Politik — zugunsten einer scheinbar richtigen ökologischen Politik aufs Spiel gesetzt werden. Wer, um ein Beispiel zu nennen, den Eindruck erweckt, man könne von heute auf morgen durch eine Politik der rationelleren Energienutzung — über deren Notwendigkeit gibt es hier keinen Streit — die Energieprobleme insgesamt tatsächlich lösen, der gaukelt — ich wieder-Deutscher Bundestag 8. Wahlperiode — 214. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. April 1980 17183'Schäfer
hole es noch einmal — Lösungsmöglichkeiten vor, die es objektiv nicht gibt.
Ökologie und Ökonomie, Herr Dick, sind für uns kein Gegensatz, im Gegenteil. Das ökologisch Sinnvolle ist langfristig auch ökonomisch vernünftig. Ich will das an einem Beispiel belegen.Das 4,35-Milliarden-DM-Programm der Bundesregierung zur Energiesparpolitik schont die Umwelt, reduziert die Belastung durch Schadstoffe durch eine Verringerung der Verbrennung fossiler Brennstoffe und trägt damit letztlich auch zur Reduzierung der Kosten zur Vermeidung der sonst entstehenden Umweltbelastungen bei. Das gleiche gilt übrigens auch für das Bodensee-Programm; darauf ist schon hingewiesen worden. Dieses Programm mit einem Volumen von mehr als 800 Millionen DM, das unter Beteiligung der Länder im Rahmen des Zukunftsinvestitionsprogramms der Bundesregierung durchgeführt wird, ist zwar teuer, ist jedoch ökologisch notwendig und — langfristig gesehen — ökonomisch vernünftig.Meine Damen und Herren, natürlich machen wir uns nichts vor. Umweltschutz und eine noch stärker an ökologischen und sozialen Richtwerten ausgerichteten Politik ist ein teures Unterfangen. Aber eine solche Politik — ich wiederhole — zahlt sich aus. Sie verursacht zwar Kosten, zeitigt aber gleichzeitig Investitionen. Sie erschließt neue Ressourcen und entwickelt umweltschonende Technologien; sie schafft Arbeit und Arbeitsplätze und erhöht die Wettbewerbsfähigkeit unserer Volkswirtschaft. Umweltschutz ist mit anderen Worten eine Kapitalanlage, die sich langfristig volkswirtschaftlich lohnt, und zwar für die Gesellschaft als Ganze, aber auch für viele Unternehmungen und auch für die einzelnen Bürger.
Für mich liegt das eigentliche Problem einer stärker ökologisch orientierten Gesamtpolitik weniger in der Definition von Zielvorstellungen, sondern das Problem stellt sich hinsichtlich der Umsetzung und Durchsetzung dieser Politik in gesellschaftliche Wirklichkeit. Über die Zielsetzungen werden wir uns sehr schnell verständigen. Ich verweise insoweit ausdrücklich auf die Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage. Dazu gehören unter anderem Förderung und Entwicklung neuer Produktionsverfahren. Dazu gehört, daß sich unsere Wirtschaftspolitik umstellen muß: weg von der rohstoffverschwendenden und -vergeudenden Verschleißwirtschaft, hin — langfristig — zu einer Gleichgewichtswirtschaft. Dazu gehört, daß wir stärker, noch stärker als bislang, in die Bereiche „Bessere Energienutzung", „Abwassersanierung", „Luftreinhaltung", „Altbausanierung", „Dorf- und Stadterneuerung", „Humanökologie", „Landschaftspflege, „Aktive und passive Lärmeindämmung" usw. investieren. Diese Zielvorstellungen — ich sage es noch einmal — sind unbestritten.Das eigentliche Problem liegt in ihrer Umsetzung und Durchsetzung. Für mich steht außer Zweifel, daß eine wirksame, praktische Umweltpolitik eine verstärkte Einflußnahme auf Investitions-, Produktions- und Konsumverhalten erforderlich macht. Es muß die Frage gestellt und beantwortet werden, wer und wie über Produktionsmittel verfügt, welche ordnungspolitischen Maßnahmen notwendig sind und wer welche Wachstumsentscheidungen — positiv oder negativ — trifft. Einige von Ihnen werden mit Sicherheit nachher darauf eingehen. Das Benzinbleigesetz, das Verbot von DDT, ein Umweltchemikaliengesetz, das in die richtige Richtung geht, zeigen, daß dies bereits praktische Politik ist.Herr Kollege Riesenhuber hat in der Debatte die Frage des Wirtschaftswachstums angesprochen. Richtig ist, meine Damen und Herren, daß immer mehr Menschen erkennen, daß das bloße Fortschreiben quantitativer Zuwachsraten des Bruttosozialprodukts der Vergangenheit in die Zukunft hinein keine verantwortbare, keine menschenwürdige Zukunft ergibt. Die Steigerung des Bruttosozialprodukts allein kann also nicht Kriterium für Lebensqualität sein.Richtig ist auch, daß die Forderung in der Politik nach Nullwachstum oder gar die Behauptung, daß jedes Wirtschaftswachstum umweltschädlich, ökologisch bedenklich sei, falsch ist.
— Das ist keine neue Erkenntnis, aber das ist bei vielen Bürgern, denen die grüne Politik attraktiv scheint, oft eine Annahme. Wenn Sie beispielsweise in der Haushaltsrede in der Bürgerschaft Bremen von Februar 1980 die Stellungnahme des Sprechers der Grünen, Olaf Dine lesen, werden Sie feststellen, daß er behauptet, daß staatlich induziertes Wachsturn künstliches Wachstum sei, ökologisch bedenklich sei und deswegen abzulösen sei.
— Das ist die Parallele zu Biedenkopf.
In Wirklichkeit ist es eine notwendige staatliche Aufgabe, durch entsprechende Investitionsmaßnahmen Wachstumsfelder zu eröffnen, Entwicklungen, Produktionsverfahren in Gang zu setzen, die eine ökologisch verantwortbare Politik ermöglichen. Ich weise auch insoweit auf die Antwort der Bundesregierung hin.Meine Damen und Herren, in den letzten zehn Jahren ist gottlob das Umweltbewußtsein der Bevölkerung erheblich gestiegen. Umfragen aus dem Jahre 1970 haben gezeigt, daß sich damals weniger als die Hälfte der Bürger in unserem Lande unter dem Wort Umweltschutz etwas Konkretes vorstellen konnten. Heute ist für viele Umweltschutz zum politischen Problem Nummer eins geworden. Eine Repräsentativuntersuchung des Instituts für Jugendforschung zur Einstellung der jungen Generation zu Arbeitswelt und Wirtschaftsordnung aus dem Jahre 1979 weist aus, daß Schutz der Umwelt und Sicherung der Arbeitsplätze für die Jugendli-
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Schäfer
chen die oberste Priorität bei der Lösung der anstehenden Probleme haben.
Gerade diese jüngeren Bürger erwarten oft von allen im Parlament vertretenen Parteien noch mehr Anstrengungen in der Umweltpolitik. Sie erwarten, daß noch stärker als bisher Ökologiepolitik in allen Bereichen unseres politischen, staatlichen Handelns sichtbar wird. Ich kann diese Haltung verstehen. Wie manchem Umweltschützer geht auch mir in manchen Bereichen die Entwicklung nicht schnell genug voran, trotz aller Erfolge, trotz aller Fortschritte. Trotzdem will ich, gerade an die Adresse dieser jüngeren Mitbürger gewandt, in der Kürze der Zeit auf ein Problem hinweisen:
— Das ist unabhängig von der Wahlentscheidung, Herr Kollege Probst.Ein Dilemma, das sich oft den Politikern, zumal im Umweltschutzbereich, stellt, ist der Zwang, oft auch dann entscheiden zu müssen, wenn die wissenschaftlichen Zweifel in dieser oder jener Richtung nicht alle auszuräumen sind. Ich will dafür ein Beispiel nennen. Wir haben im Bereich der Umweltchemikalien erst 1966 beispielsweise die Giftigkeit, die Unzerstörbarkeit, die Persistenz bestimmter Umweltchemikalien feststellen können, obwohl diese Umweltchemikalien seit etwa den 30er Jahren, damals als unbedenklich angesehen, in großem Umfang in den Markt gebracht wurden. Erst im Zuge der wissenschaftlichen Entwicklung — ich wiederhole es — hat man die Zweifel erhärten können, die dazu führten, daß es politisch zum Verbot von DDT gekommen ist. Das heißt also, wir müssen heute — nicht weil uns die Daten fehlen, sondern weil auch in Teilbereichen objektiv Schadenswirkungen erst im Laufe von mehreren Jahrzehnten, wenn die Schadstoffe in die Umwelt gelangt sind, zu erkennen sind — in vielen Bereichen Entscheidungen treffen, ohne exakt die Folgen zu kennen.Deswegen ist es notwendig und richtig, meine Damen und Herren, daß mit dem Umweltchemikaliengesetz ein weiterer Schritt in die richtige Richtung gegangen wird, daß nämlich jeder neue Stoff — und die alten Stoffe dann, wenn Anzeichen für Gesundheitsgefährdungen vorliegen —, der in Verkehr gebracht werden soll, auf seine Unbedenklichkeit hin überprüft werden muß, auch auf mögliche Langfristschadenswirkungen.
Dazu sind aufwendige Prüfverfahren notwendig. Ich will dazu einige Zahlen nennen. Heute gibt es mehr als 45 000 verschiedene chemische Stoffe in mehr als einer Million Aufbereitungen in der Umwelt. Allein 150 chemische Stoffe werden in Mengen von mehr als 50 000 t im Jahr vertrieben. Nur ein Bruchteil der heute in Verkehr gebrachten Chemikalien ist auf Unbedenklichkeit hin überprüft.Für die Bundesrepublik Deutschland ist die chemische Industrie — auch das gehört mit zur Umweltbetrachtung — einer der wesentlichsten Wirtschaftsfaktoren. Die chemische Industrie ist am Gesamtexport mit ungefähr 16 % beteiligt. 74% der gesamten chemischen Produktion gehen in den Export. Wer sich im Bereich der Umweltchemikalien auf dem Wege der Gesetzgebung die Schadstoffbegrenzung zur Aufgabe macht, der kann nicht von heute auf morgen alle Schadstoffe aus dem Verkehr ziehen wollen, wenn er nicht soziale Gefährdungen, wenn er nicht die Gefährdung von Arbeitsplätzen in Kauf nehmen will.
Herr Abgeordneter, ich muß Sie bitten, zum Ende zu kommen. Die für Sie angemeldete Zeit ist abgelaufen.
Ja. — Ich komme zum Schluß, ich fasse zusammen.
Die vorgelegte Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der SPD und der FDP weist eine international und national sehenswerte umweltpolitische Leistungsbilanz aus. Die Bundesregierung geht zur Entwicklung einer ökologischen Gesamtpolitik in die richtige Richtung. Wir sehen alle die möglicherweise lebensbedrohende Gefährdung im Bereich unserer industriellen Entwicklung. Es gibt aber Wege in der Gefahr. Wir sehen die Wege aus der Gefahr. An uns liegt es nun, gemeinsam mit den Bürgern das Notwendige möglich zu machen.
Das Wort hat der Abgeordnete Schwarz.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn man die Debatte heute hier verfolgt, kann man zwei interessante Akzente feststellen: erstens den Versuch der Koalition von SPD und FDP, deutlich zu machen, daß sie mit der Opposition in diesem Hause eigentlich nichts zu tun haben will und die Zusammenarbeit ablehnt.
Das ist der eine Akzent.
Der zweite Akzent ist die Darstellung, als ob die Welt erst 1969 begonnen habe. Ich hätte dem Kollegen Konrad, der aus diesem Hause ausscheidet, einen besseren Abschied gewünscht als seine Feststellung, daß in Deutschland Umweltschutzgesetze, Gewerbeordnung, Wassergesetze bei den Preußen und seit 1969 gemacht worden seien. Mein lieber Herr Konrad, Sie haben so viel in diesem Hause mit dazu beigetragen, daß gemeinsame Umweltschutzpolitik gemacht worden ist, daß gemeinsame Ergebnisse erzielt worden sind, und nun stehen Sie hier zum Abschied und tun nichts anderes, als der Union ans Schienbein zu treten,
als ob in den ersten 20 Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg nichts geschehen sei, wo wir doch, gleich nachdem wir bei null angefangen haben, wieder eine vernünftige Politik zu machen begonnen und die ersten entscheidenden Schritte getan haben.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 214. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. April 1980 17185
SchwarzEigentlich schade, Herr Kollege Konrad, daß Sie sich auf diese Art und Weise verabschieden.Der Herr Bundesinnenminister hat zu Eingang seines Vortrages deutlich gemacht, daß Umweltschutz bisher eine gemeinsame Aufgabe von Opposition und Koalition gewesen sei. Ich glaube, Herr Bundesinnenminister, der Beitrag des Staatsministers Dick hat deutlich gemacht, daß in der verfaßten Situation der Bundesrepublik Deutschland weder die Länder allein noch der Bund allein Umweltschutzpolitik betreiben können. Es ist deutlich geworden, daß Umweltschutz, wenn er erfolgreich sein soll, auf die Kooperation von Bund und Ländern angewiesen ist. Sie wissen aus vielen Entscheidungen im Bundesrat, daß auch, wenn die Unionsparteien im Bundesrat die Mehrheit haben, dort viele Entscheidungen zwar mit der Mehrheit der unionsgeführten Länder fallen, daß aber auch die SPD-geführten Länder zustimmen. Da stellen Sie in der Frage Umweltschutz die Länder so dar, als ob sie gegen den Umweltschutz seien. Sie haben gesagt „Die Gegner des Umweltschutzes", nämlich die, die in zwei Punkten kritische Bemerkungen machen.Das eine ist das Abwasserabgabengesetz. Ich freue mich über Ihre Bemerkung, in der Sie sagten, Sie seien bereit, Verwaltungsvereinfachungen, deren Erreichung sich mittlerweile als notwendig herausstellt, mit anzustreben. Das sollten wir aufgreifen, und wir sollten überlegen, ob man was tun kann.Die zweite Frage, Herr Kollege Schäfer, betraf die ländliche Region. Da sind Gemeinden, in denen auch heute noch Sozialdemokraten Bürgermeister sind. Sie haben ihre Beschlüsse gefaßt, sie haben die Art der Finanzierung gesichert. Wir hatten durch das Abwasserabgabengesetz in den letzten Jahren natürlich einen Investitionssprung. Wenn diese Gemeinden demnächst Abwasserabgabe zahlen müssen, obwohl sie alles beschlossen haben, was sie beschließen konnten, aber wegen überhöhter Preise oder aus anderen Gründen ihre Abwasseranlage nicht gebaut haben, dann sieht das anders aus, Herr Kollege Schäfer, als Sie es hier dargestellt haben.Wir, die Unionsfraktion im Deutschen Bundestag, haben zum Abwasserabgabengesetz ja gesagt. Wir haben dazu unsere Meinung deutlich gemacht. Aber es muß doch auch dem anderen Parlament in der Bundesrepublik Deutschland möglich sein, Anträge einzubringen.Ich bin dankbar, Herr Staatsminister Dick, daß Sie auf die Lärmgrenzwerte hingewiesen haben. Es wird auch aus der Einlassung im Bundesrat deutlich, daß es eine Finanzfrage sein wird. Die Bundesregierung wird ja zeigen können, wie weit sie es mit dem Umweltschutz ernst meint, wenn es darum geht, daß die Gemeinden eine hohe Last bei dem Gesetz zu tragen haben.Herr Minister Baum, Sie sagen: „Wir sind da die Klasse Umweltschützer." Sie waren doch gar nicht in der Lage, sich mit Ihren Vorstellungen bei den Lärmschutzwerten in der Bundesregierung durchzusetzen. Erst das Parlament hat Ihnen ermöglicht, einen Teilerfolg in dieser Frage zu erreichen. Das zeigt, daß der Bundesrat kein Befehlsempfänger des Deutschen Bundestages ist. Ich meine, wir sollten das, was von Kooperation gesagt wird, auch durchhalten.Wir, die Unionsfraktionen, haben einen Antrag vorgelegt, der nicht auf Streit angelegt ist. Wir haben einen Antrag vorgelegt, der den bisher vorhandenen Konsensus der Fraktionen im Deutschen Bundestag aufnimmt, der zu ganz bestimmten Fragen und — wenn wir die beiden Anträge miteinander vergleichen — an einigen Punkten fast übereinstimmt, zwar nicht im Wortlaut, aber im Inhalt. Deshalb frage ich mich, warum Sie eigentlich uns, die Union, in der Debatte so beschimpfen und uns aus diesem Gemeinsamen herausdrücken wollen, wenn es Ihnen so ernst mit dem ist, wie hier von Vertretern der SPD und der FDP gesagt worden ist, was man gemeinsam machen könnte.Was wir in unserem Antrag über die Verbesserung des Umweltschutzrechtes gesagt haben, müßte doch an einigen Punkten das gemeinsame Anliegen von Koalition und Opposition sein oder hier, wie von uns vorgeschlagen, von Opposition und Koalition. Wir verkennen nicht, daß das Umweltschutzrecht entsprechend der technischen Entwicklung und der Entwicklung der Umweltbelastung Schritt für Schritt gefaßt werden mußte. Diese Entwicklung hat dazu geführt, daß hier oder dort — das ist nicht nur unsere Kritik; das sagen auch Fachleute in der Rechtsprechung — Uneinheitlichkeit in der Terminologie, zum Teil Widersprüchlichkeit entstanden ist. Der Bundestag sollte deshalb die Bundesregierung auffordern, hier Vorarbeit zu leisten, damit wir diese Mängel heilen. können. Wir werden das sicherlich nicht mehr in dieser Legislaturperiode tun können.Bei der Änderung, bei der Verwirklichung des Umweltschutzrechtes, insbesondere bei gesetzlicher Erweiterung administrativer und technischer Entscheidungsspielräume sollten wir die Frage prüfen, inwieweit insbesondere technische Entscheidungsspielräume nicht einer verwaltungsgerichtlichen Prüfung unterliegen müssen. Das wäre noch kein Eingriff in das allgemeine Recht, wonach Verwaltungsakte der richterlichen Nachprüfung unterliegen. Wir würden damit Klarheit setzen und nicht die Verantwortung auf die Verwaltung und letztendlich auf Verwaltungsgerichte übertragen.
Das ist doch ein Vorschlag, über den man sich unterhalten können muß.Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie das mit unterstützten, was wir zur Forschung sagen. Der Bundesinnenminister hat im Dezember vergangenen Jahres, als die konstituierende Sitzung der Projektgruppe Aktionsprogramm Ökologie stattgefunden hat, selbst gesagt, daß der Fundus an Grundlagenkenntnissen über die Umwelt immer noch schmal und oft lückenhaft ist. Wenn dem so ist, Herr Bundesinnenminister, warum tun Sie dann in dieser Debatte manchmal so, als ob Sie schon alles wüßten und wir von der Union, der Opposition hier nur bösartig seien? Begeben wir uns doch auf die Basis, daß
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17186 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 214. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. April 1980
Schwarzwir gemeinsam zu lernen haben, daß wir gemeinsam zu forschen haben, daß wir gemeinsam zu arbeiten haben, der Bundestag, der Bund und die Länder. Da können wir Umweltschutzpolitik für die Bürger der Bundesrepublik besser machen, als wenn wir im Streit miteinander arbeiten.Tun Sie noch eines: informieren Sie die Öffentlichkeit in Fragen des Umweltschutzes sachgerechter, als dies geschieht. Es geschieht in einigen Teilen sehr ordentlich und sehr gut. Nur es fällt mir natürlich als Angehörigen der Oppositionsfraktion schwer, das festzustellen, wenn Sie vorher solche Sprüche verkünden, wie hervorragend die Bundesregierung sei und daß alle anderen keinen Beitrag zu dieser Umweltschutzpolitik geleistet hätten. Verzichten Sie auf Propaganda, geben Sie mehr Information. Damit tun wir der Umweltschutzpolitik in der Bundesrepublik Deutschland insgesamt für unsere Bürger einen großen Gefallen.
Wenn wir so miteinander arbeiten, wenn wir so miteinander umgehen, können wir gemeinsam Umweltschutz besser gestalten, als dies mit den Akzenten geschieht, wie es hier angedeutet worden ist. Wir werden uns trotzdem nicht davon abbringen lassen, in der Frage der Umweltschutzpolitik dazu beizutragen, daß die Umwelt auch in der Zukunft gut gestaltet wird.
Das Wort hat der Abgeordnete Zumpfort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich bitte auf zwei Teilbereiche eingehen, zum einen auf die Große Anfrage der sozialliberalen Koalition und zum anderen auf die Probleme in der norddeutschen Bucht, hier insbesondere auf die Probleme, die in der Beschlußempfehlung für die Vermeidung von Tankerunglükken eine Rolle spielen.Die Große Anfrage gibt Zeugnis davon, daß eine der herausragendsten Leistungen der sozialliberalen Koalition die Schaffung eines umfassenden Umweltschutzrechts ist. Für diese Debatte erscheint mir zudem wichtig, festzustellen, daß die sozialliberale Koalition auf kein Vorgängerkonzept zurückgreifen konnte. Denn die wegen ihres Ausklammerns bekanntgewordene berühmte Große Koalition kannte den Begriff der Umweltpolitik, so wie wir ihn betrachten, einfach nicht. Die Koalition mußte also beim Nullpunkt anfangen. Es ist — das muß man immer wieder hervorheben — ein Verdienst der FDP-Innenminister Genscher, Maihofer und Baum sowie des Bundeslandwirtschaftsministers Ertl, daß die Bundesrepublik Deutschland heute über das beste Umweltrecht in der Welt verfügt. Diese Politik hat meines Erachtens erreicht, daß das Umweltbewußtsein in der Bundesrepublik gestiegen ist und daß die breite Öffentlichkeit die Initiativen der Bundesregierung voll unterstützt.Was mich angesichts des bisherigen Vortrages der Opposition ein wenig erschüttert, ist die Tatsache, daß die Opposition den Eindruck nicht hat vertuschen können, daß sie auch in der Umweltpolitik mit zwei Meinungen spricht. Ich kann dies an drei Punkten deutlich machen. Im Jahre 1972 hat die CDU in ihrem Wahlprogramm für den Bund die Vollkompetenz im Wasserrecht verlangt. In den Beratungen des Bundestages und des Bundesrates hat sie jedoch dieses Versprechen nicht eingelöst und hat vielmehr durch die Gleichschaltung der CDU/ CSU-regierten Länder eine durchgreifende Regelung verhindert. Ich halte es auch für doppelzüngig — um ein zweites Beispiel zu nennen —, wenn die CDU/CSU im Deutschen Bundestag den von der FDP im Verkehrslärmschutzgesetz eingeführten spürbaren Verbesserungen zustimmt, diese dann aber über den Bundesrat wieder zu Fall bringen will. Ein drittes und letztes Beispiel ist das Abwasserabgabengesetz. Was Teile der CDU über die Dringlichkeit dieses Gesetzes denken, weiß die Offentlichkeit spätestens seit dem Sommer 1979. Damals wurde nämlich in Nordrhein-Westfalen das entsprechende Landesgesetz mit den Stimmen der Opposition, d. h. mit den Stimmen der CDU, angenommen.
Bemerkenswert ist zudem — das zeigt auch die unterschiedliche Meinung —, daß sich der Ministerpräsident des Landes Baden-Württemberg bei der Einbringung des Änderungsantrages zum Abwasserabgabengesetz durch die Länder Bayern, Niedersachsen und Schleswig-Holstein nicht beteiligt hat. Dies scheint mir doch deutlich zu machen, wo die Unterschiede, auch qualitativ und in der Art und Weise, wie man die Politik betreibt, liegen.Die Liberalen nun wollen bei der bisherigen Politik nicht stehenbleiben. Sie haben weitergehende Konzepte. Sie wollen von der Umweltpolitik, die eine Politik der Nachsorge betreibt, d. h. eine Politik der Reparatur von Umweltschäden, hin zu einer Umweltpolitik, die die Vorsorge zum Ziel hat; man möchte Umweltschäden von vornherein ausschließen. Wir hoffen, dieses Ziel mit zwei Mitteln zu erreichen. Zum einen gilt es, zu einer Schonung unserer natürlichen Lebensgrundlagen durch einen ökologischen Ansatz zu kommen, der die Umweltpolitik als Querschnittsaufgabe betrachtet und davon ausgeht, daß man Umweltpolitik nicht isoliert betreiben kann, sondern mit der Wirtschaftspolitik, mit der Bildungspolitik und mit anderen Bereichen der Politik in Verbindung bringen muß. Dazu gehört z. B., daß man Ökologie und ökologisch orientierten Unterricht nicht nur in den Schulen einführen sollte, sondern auch in die Ausbildungsgänge z. B. von Architekten, Richtern usw.Die zweite Maßnahme im Rahmen dieses neuen Konzeptes ist, daß man neben einer effizienteren Rahmenplanung durch den Bund, durch die Länder und durch die Gemeinden die Bürger vermehrt in die Entscheidungsprozesse einbezieht, damit die Bürger selbständig erkennen, daß sie und nicht der Staat allein auch etwas zur Umweltvorsorge tun können.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 214. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. April 1980 17187
Dr. ZumpfortEs ist aus unserer Sicht klar, daß dazu auch die Verbandsklage gehört. Die Verbandsklage wird von vielen hier im Hause nicht akzeptiert, meines Erachtens deswegen, weil man sich bisher nicht die notwendige Zeit genommen hat, sich mit den wirklichen Vorzügen des vom Ministerium von Herrn Ertl vorgelegten Referentenentwurfs zu befassen. Dieser Referentenentwurf beinhaltet nämlich nicht das, was in der breiten Öffentlichkeit und von der Opposition dargestellt wird, daß nämlich unser herkömmliches Rechtssystem aufgelöst werde, sondern dieser Referentenentwurf macht deutlich, daß es auf dem Gebiet des Naturschutzes ein besonderes Vollzugsdefizit gibt. Dieses Vollzugsdefizit möchte ich wie folgt kennzeichnen. Nach dem geltenden Recht ist eine objektive Rechtskontrolle im Bereich des Umweltschutzes meist ausgeschlossen, weil einzelne Bürger durch behördliche Entscheidungen nicht unmittelbar betroffen werden, so daß keine Klagebefugnis gegeben ist. Dies bezeichnet man auch mit dem Wort „Individualklagerecht". Wir sind der Meinung, daß man bestimmten Verbänden die Möglichkeit einräumen sollte, dieses Vollzugsdefizit auszufüllen.Die Verbandsklage würde bei ihrer Einführung in das Bundesnaturschutzgesetz nach unserer Meinung das dort verankerte Mitwirkungsrecht der Verbände zu einem noch wirksameren Instrument zur Durchsetzung der bürgerschaftlichen Interessen verstärken. Um es an dem eben erwähnten Individualklagerecht deutlich zu machen: Es hätten Verbände dann ein Recht zu klagen, wenn sie sich erstens im Rahmen der bisherigen Mitwirkungsmöglichkeiten, die im Bundesnaturschutzgesetz gegeben sind, schon beteiligt haben, und zweitens, wenn erkennbar ist, daß ihre Mitwirkungsmöglichkeiten zu keinem Erfolg geführt haben.
— Ich glaube, daß dies eine vernünftige Maßnahme ist.Lassen Sie sich bitte überzeugen, daß wir mit unseren Vorschlägen nicht allein dastehen. Im Schweizer Recht gibt es die Verbandsklage schon. Ich kann Ihnen das ganz genau zitieren.
Im Schweizer Bundesgesetz für Natur- und Heimatschutz gibt es seit dem 1. Juli 1966 die Verbandsklage. Lesen Sie sich das bitte einmal durch.
Ein anderes Beispiel: Das dänische Gesetz vom 18. Juni 1969 sieht auch ein formelles Beschwerderecht
gegen Maßnahmen der unteren Naturschutzbehörde vor.
Was Ihre Einwürfe angeht, so erinnere ich Sie an das, was Innenminister Baum im Namen aller FDP- Kollegen anläßlich der Beratung
dieser Großen Anfrage erklärt hat, nämlich daß alle Minister der FDP hinter dem Konzept der Verbandsklage stehen.Als letztes Beispiel darf ich noch die USA anführen. Zwar ist ein Vergleich der Rechtssysteme weitgehend ausgeschlossen, weil die ein anderes System haben, aber auch dort gibt es eine Verbandsklage. Es gibt ja auch Verbände in unionsgeführten Ländern, wie z. B. den Landesnaturschutzverband in Schleswig-Holstein, dem ein ehemaliger CDU-Staatssekretär vorsitzt, die sich mit Mehrheit für die Verbandsklage ausgesprochen haben. Ich glaube, diese Argumente sollten auch Ihnen allen zu denken geben.
— Ja, dann kann ich Ihnen noch mehr Material empfehlen. Sagen Sie mir bitte Bescheid, dann gebe ich Ihnen meine Anfrage und die Antwort der Bundesregierung. Vielleicht lesen Sie sie einmal.
Gestatten Sie nun, daß ich als Norddeutscher etwas auf die Probleme eingehe, die sich bei uns oben in Norddeutschland stellen. Zunächst möchte ich umweltpolitische Bezüge zur norddeutschen Bucht herstellen und dann kurz auf die uns vorliegende Beschlußgrundlage zur Vermeidung von Tankerunfällen eingehen.Aus umweltpolitischer Sicht erscheint es mir wichtig, hervorzuheben, daß die größten Gefahren für unsere Küstengewässer, insbesondere die Deutsche Bucht, zur Zeit nicht so sehr von spektakulären Tankerunfällen herrühren, wie der Antrag der CDU/CSU glauben machen will. Die größte Umweltverschmutzung geht vielmehr erstens von der Verklappung von Industrieschlamm, zweitens von der Schadstoffeinbringung in Form von Klärschlamm und drittens von der Schadstoffeinbringung der großen Flüsse wie Elbe, Weser, Rhein und auch Themse aus.
— Natürlich, auch die Städte sind hier zu nennen.Diese Schadstoffeinbringung erfolgte im Jahre 1978 in folgenden Mengen: Es wurden 72 Millionen
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17188 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 214. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. April 1980
Dr. ZumpfortTonnen Baggergut, 8,6 Millionen Tonnen Klärschlamm und 7,6 Millionen Tonnen industrielle Sonderabfälle eingebracht. Eine Anfrage von mir hat deutlich gemacht, daß hier eine kritische Grenze erreicht ist. Schon jetzt vertritt die Bundesforschungsanstalt für Fischerei die Auffassung, daß sich die Belastung der Deutschen Bucht mit Schadstoffen einer kritischen Grenze nähere. In einer zweiten Anfrage von mir fiel die Antwort der Bundesregierung noch deutlicher aus.
— Warten Sie einmal ab! — Da heißt es:
Auf Grund neuerer Forschung, insbesondere zur Vermischungs- und Assimilationskapazität der Deutschen Bucht, kommen Meeresbiologen zu dem Ergebnis, daß die Grenze der Aufnahmefähigkeit für Schadstoffe erreicht ist, daß sich insbesondere die Sauerstoffbilanz des Meerwassers kontinuierlich verschlechtert.Angesichts dieser Situation stelle ich hier im Plenum noch einmal die Forderung auf, die von mir auch schon in der Öffentlichkeit erhoben worden ist, daß man mit Maßnahmen gegen die Schadstoffeinbringung umgehend beginnt.Wenn man auf die Gefahren für die Deutsche Bucht eingeht und auch konstatiert, daß Gefahren durch eine Ölverschmutzung bestehen, so ist es doch nicht so sehr die Gefahr, die die Beschlußempfehlung deutlich machen will, nämlich die Gefahr der Ölverschmutzung auf Grund von Tankerunfällen. Vielmehr tragen Tankerunfälle, um es einmal deutlich zu machen, im Vergleich, im Weltmaßstab nämlich, nur zu 3,5 % zur gesamten Meeresverschmutzung durch 01 in der Welt bei. Das hat eine Untersuchung der Akademie der Wissenschaften der USA aus dem Jahre 1975 ergeben.
Zu 26 % wird eine Överschmutzung durch Flußläufe, d. h. durch alles das, was wir über die Kanalisation in die Flüsse leiten und was dann im Meer landet, verursacht, zu 10 % durch Abwässer der Küstenstädte, zu 10 % durch unterirdische Ölquellen, zu 10 durch Betrieb und Unfälle anderer Seeschiffe als Tanker, zu 5 % durch Ölgewinnung und -verarbeitung am Meer und schließlich zu 5 % durch küstennahe Industrie. Das alles macht deutlich, wie relativ der Antrag der CDU/CSU war.
20 % der Verschmutzung, Herr von Geldern — hören Sie bitte genau zu —,
rührt übrigens vom Betrieb der Tanker her. Dies scheint mir doch der wichtigere Sachverhalt in dieser Situation zu sein. Diese Zahlen relativieren die Gefahr eines spektakulären Tankerunfalls und weisen auf den Beitrag des Betriebs von Tankern an der Överschmutzung hin. Die soeben vorgetragenen Zahlen zeigen also, daß es bei den Bemühungen gegen die Ölverschmutzung der Meere weit wichtiger ist, als Maßnahmen zur Verhütung von Unfällen zu ergreifen, dafür zu sorgen, daß beim Betrieb der Tanker Maßnahmen gegen die Tankspülung und den betriebsbedingten Auswurf von Öl durchgeführt werden. Mir als dem Sprecher der Arbeitsgruppe für Küstenschiffahrt, Seeschiffahrt und Werften meiner Fraktion liegt am Herzen, im Plenum darzustellen, daß dieser Beitrag der Verschmutzung eigentlich ständig zurückgeht, und zwar durch internationale Vereinbarungen, an denen sich auch die Bundesrepublik beteiligt hat, und durch freiwillig entwickelte Maßnahmen der Industrie und der Schiffahrt in Form technischer Sicherheitsvorkehrungen, durch Verbesserung der Ausbildung des Personals, durch Vorwegnahme gesetzlicher Vorschriften und durch Hilfsfonds bei der Seeschiffahrt selber.Um zur Beschlußempfehlung zu kommen: Was die Maßnahmen zur Verhinderung von Tankerunfällen anlangt, so geht die Beschlußempfehlung an dem Sachverhalt vorbei, daß nahezu 85 % aller Unfälle durch menschliches Versagen entstehen und daß hierin ein sehr wesentlicher Grund dafür zu suchen ist, daß solche großen Unfälle wie im Falle Amoco Cadiz passiert sind. Das deutet auch darauf hin, daß man weltweit Mindestanforderungen für die Ausbildung und die Qualifikation der Besatzung und der Leute auf der Brücke durchsetzen muß.Ein weiterer Aspekt ist, daß es neben der Qualifikation des Personals auch darauf ankommt, daß bei den sogenannten Substandard-Schiffen dann, wenn die Länder, die für diese Schiffe die Flagge hergeben, nicht für die Sicherheit sorgen, nationale Maßnahmen ergriffen werden, um die Substandard-Schiffe zu zwingen, Sicherheitsvorkehrungen zu treffen, wenn sie in unsere Gewässer eintreten.Die Beschlußempfehlung ist hier auf dem richtigen Weg. Aus diesem Grund wird meine Fraktion dieser Beschlußempfehlung zustimmen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Volmer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber Herr Kollege Liedtke, Sie sind ja noch älter; sie dürften dann gar nicht mehr sprechen.Mit der vorliegenden Großen Anfrage haben die Koalitionspartner den Versuch gestartet, sich den erstaunten Bürgern als Umweltvorsorgepartei darzustellen. Damit verfolgen sie das Ziel, die sogenannten Grünen, Bunten und sonstwie Gefärbten politisch zu vereinnahmen. Entsprechend waren die vorbereiteten Fragen und sind die gegebenen Antworten.Lassen Sie mich aus der umfangreichen Antwort nur einige Fragen ansprechen. Der Bericht stellt fest, daß die Gesamtemission an Kohlenoxyd nach wie vor die mengenmäßig bedeutendste Luftverun-
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Volmerreinigung ist. Sie ist von 1965 bis heute erheblich angestiegen. Dieses Kohlenmonoxyd ist nicht nur ein Blutgift, sondern auch geeignet, durch Oxydation zum Kohlendioxyd die klimatischen Bedingungen unserer Erde erheblich negativ zu beeinflussen. Der vorliegende Bericht stellt weiter fest, daß die NOxEmissionen ständig anwachsen und beim Menschen Erkrankungen der Atemwege herbeiführen. Diese Stickoxyde entstehen zu einem Großteil auch durch die starke Verwendung von stickstoffhaltigem Kunstdünger. Alles in allem sind das keine Feststellungen, über die wir uns hier freuen können.Nun sagt der Bericht, daß die Gesetzgebung der letzten Jahre zu Verbesserungen besonders bei Schwefeldioxyd und Stäuben geführt hat. So weit, so gut.Aber was hat die Regierung getan, um die hohe Belastung an CO2 und NOx zu senken? Namhafte Wissenschaftler halten insbesondere das Kohlendioxyd, aber auch andere Schadstoffe wie die Aerosole für besonders gefährdet. Sie beurteilen die Lage sehr ernst und befürchten, daß sich durch die Zunahme von Kohlendioxyd erhebliche klimatische Veränderungen ergeben, die schon in einigen Jahrzehnten zu einem Abschmelzen des nördlichen Eises führen könnten. Die Folgen wären ein erhebliches Ansteigen der Temperaturen und damit verbunden eine ebenso erhebliche Beeinträchtigung des Wasserhaushaltes und damit auch von Fauna und Flora.Nun frage ich die Regierung: Was wollen Sie tun, um die Verunreinigung gerade durch Kohlendioxyd und ähnliche Stoffe zu senken? Es hilft nicht weiter, im Bericht zu erwähnen, daß der Kohlenmonoxydgehalt zwar objektiv gestiegen, aber doch relativ gesunken sei. Die Steigerung sei durch den erheblichen Mehrbedarf an fossilen Brennstoffen gedingt. Mit dieser Erklärung lösen Sie diese Frage nicht. Denken Sie an die klimatischen Schäden, die die Wissenschaftler befürchten. Ich meine, daß verstärkt Maßnahmen in Forschung und Technologie eingeleitet werden müssen, um hier Abhilfe zu schaffen.
— Herr Kollege Konrad, da Sie leider nicht wieder in den Bundestag kommen, wird Ihrer Fraktion der einzige Umweltschützer fehlen.
Wenn Herr Baum erklärt, daß die Bewohner des Ruhrgebietes die Umweltverschmutzung klaglos ertragen haben, so kann ich nur sagen: Herr Minister Baum, ich bin einer von denen, die das klaglos ertragen haben. Aber wie lange wollen Sie von den 6 1/2 Millionen Menschen des Ruhrgebietes dieses Opfer verlangen? Reden nutzt hier nichts, handeln sollten Sie.
Der Bericht weist auf das Bundes-Immissionsschutzgesetz hin. Ich habe Verständnis dafür, daß von dem Änderungsgesetz hier nicht mehr viel gesprochen wurde. Wie viele Gesetze, so hat auch dasBundes-Immissionsschutzgesetz überwiegend Mängel an Rechtssicherheit gezeigt. Bisher wurde viel über die Novellierung geredet; heute hat man sich über diesen Bereich weitestgehend ausgeschwiegen.Nach vielzu langer Zeit wurde ein Gesetzentwurf vorgelegt. Bei der Einbringung habe ich schon darauf hingewiesen, daß von den verschiedenen Ermächtigungen im Bundes-Immissionsschutzgesetz zum Erlaß von Verordnungen bisher kaum Gebrauch gemacht wurde. Ich habe gerade zu diesem Novellierungsgesetzentwurf sehr kritische Anmerkungen gemacht und darauf verwiesen, daß er nicht einmal bei den politischen Freunden der Regierung Zustimmung gefunden hat. So hat der amtierende Umweltschutzminister von Hessen gerade in diesen Tagen empfohlen, das Gesetz gar nicht erst weiter -zu beraten.
Im Januar 1980 kam es zu einem Anhörtermin mit Sachverständigen. Die überwältigende Mehrheit der Stellungnahmen zu diesem Gesetzentwurf ist ausgesprochen kritisch bis ablehnend — damit zitiere ich den Vorsitzenden des Innenausschusses. Wenn Sie in der Niederschrift nur einige Stellungnahmen der Sachverständigen lesen, können Sie feststellen, daß der Regierungsentwurf mit der rigorosen Ausnahmeklausel zum Sachgüterschutz und den beiden Gegenausnahmen planerisch-politischer Art das Verhältnis zwischen Umweltschutz und Raumplanung geradezu auf den Kopf stellt. Lesen Sie das bitte einmal in der Niederschrift alles nach. So vernichtend ist von Sachverständigen noch nie ein Gesetzentwurf beurteilt worden.Seit dieser Zeit herrschte bei der Regierung in diesem Bereich völlige Funkstille. Das ist verständlich. Wer spricht auch gerne von einem Gesetz, an dem die Sachverständigen kein gutes Haar gelassen haben? Auch der Herr Innenminister hat vorhin in seiner Rede, wenn auch ein wenig schüchtern, die Beisetzung dieses Gesetzes angedeutet.Lassen Sie mich nur ein Wort zum Verkehrslärmschutzgesetz sagen. Ich habe dieses Gesetz bei der Verabschiedung sehr kritisch beurteilt. Ich habe darauf hingewiesen — das ist der Grund, den auch Herr Minister Dick noch einmal dargestellt hat —: Die Kosten haben Sie dadurch, daß Sie praktisch den Schienenlärm aus der Vorsorge herausgenommen und nur den Straßenlärm einbezogen haben, überwiegend den Ländern und Gemeinden zugedacht. Ich darf daran erinnern, daß Sie von der Koalition unseren Antrag im Innenausschuß abgelehnt haben, die im Haushaltsstrukturgesetz beim Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz vorgenommene Kürzung um 10 % wieder aufzuheben.Lassen Sie mich ganz kurz ein paar Worte zum Abfallwirtschaftsprogramm und der vorgelegten Novellierung des Gesetzes sagen. Sie gehen von drei Punkten aus: Verringerung von Abfällen, gesteigerte Verwertung von Abfällen und schadlose Beseitigung von Abfällen, d. h. Umweltschutz und Rohstoffersparnis.
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17190 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 214. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. April 1980
VolmerWer möchte das nicht? Sie schildern dann in epischer Breite die Vereinbarungen, die getroffen wurden, verschweigen aber nicht, daß es 1978 insgesamt noch mehr als 2,6 Milliarden Einwegflaschen und Einwegverpackungen, d. h. Getränkedosen, gegeben hat. Ich meine, hier muß eine Verringerung stattfinden.Der vorgelegte Entwurf des Zweiten Gesetzes zur Änderung des Abfallbeseitigungsgesetzes kann eine Hilfe auf diesem Wege sein. Die CDU/CSU erwartet, daß die Bundesregierung bis zur Beratung des Gesetzentwurfs weitere Vorschläge, die der Verringerung des Verpackungsabfalls dienen, vorlegt.Im Augenblick möchte ich im Hinblick auf die fortgeschrittene Zeit darauf verzichten, auf die einzelnen Bestimmungen einzugehen. Die CDU/CSU hat bisher an allen Umweltschutzgesetzen intensiv mitgearbeitet und weitere Verbesserungen im Beratungsgang eingebracht. Wir werden uns in unserer Sorge um die Umwelt und beim Schutz von Menschen, Tieren und Pflanzen von keiner anderen Gruppierung übertreffen lassen.
Meine Damen und Herren, bevor ich dem nächsten Redner das Wort gebe, möchte ich eine Mitteilung machen. Es war vorgesehen, daß der Deutsche Bundestag morgen früh um 8 Uhr zu seiner nächsten Sitzung zusammentritt. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist festgelegt worden, daß die Sitzung morgen früh um 8.30 Uhr beginnt.
In der Fortführung der Debatte erteile ich Frau Kollegin Hartenstein das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Immer mehr Menschen in unserem Lande machen sich Sorge um unsere Umwelt — das ist uns bekannt —, um die Reinhaltung der Luft, den Zustand unserer Gewässer, den Schutz von Natur und Landschaft.Sie tun dies nicht, weil sie unverbesserliche. Romantiker wären, die nur Bäume, Blumen und blauen Himmel sehen wollen. Sie tun dies auch nicht — die meisten wenigstens nicht —, weil sie, wie die Kollegen von der CDU/CSU in ihrem Entschließungsantrag so merkwürdig geringschätzig unterstellen, von einer unbegründeten „irrationalen Technologiefurcht" beherrscht wären. So einfach, meine Damen und Herren von der Opposition, sollte man sich, glaube ich, Motivforschung nicht machen.Nein, es gibt Hunderttausende in unserem Lande; die sich deshalb Sorge machen, weil sie schärfer als andere erkennen, was die Stunde geschlagen hat und weil sie die Verantwortung für die Erhaltung unserer natürlichen Lebensgrundlagen ernst nehmen. Viele befürchten — und nicht zu Unrecht —, daß die heutige Generation schon einen großen Teil dessen verfrühstückt, was den kommenden Generationen vorbehalten bleiben sollte.Wir kennen diese Sorgen. Wir nehmen sie sehr ernst. Wir sind im Gespräch mit unseren Mitbürgern, und zwar nicht erst seit gestern und auch nicht erst, seit Grün Mode geworden ist; schon gar nicht erst, seit die Grünen in die Parlamente eingezogen sind. Lieber Herr Kollege Riesenhuber, hier sind Sie auf dem falschen Dampfer. Auch wenn Sie gerade nicht zugehört haben, ist dies so.
Wir Sozialdemokraten kämpfen für eine bessere Umwelt seit eh und je, weil wir uns in besonderer Weise den Menschen verpflichtet fühlen, gerade denjenigen, die mit ihrer Arbeit den Wohlstand schaffen helfen, andererseits aber selbst nicht genug davon einstreichen können, um all denjenigen Belastungen, die unsere heutige Lebens- und Wirtschaftsform mit sich bringt, wieder entfliehen zu können. Der Arbeitsplatz, das schmale Einkommen und schwindelnd hohe Boden- und Mietpreise in bèsseren Gefilden halten die Masse der Arbeitnehmer — und auch der Rentner! — eben da fest, wo nicht gerade von erfreulichen Wohnlagen die Rede sein kann.
Umweltschutz ist von Anfang an als eine Hauptaufgabe in der Politik der sozialliberalen Koalition erkannt worden. Es stimmt einfach nicht, was der Kollege Riesenhuber gesagt hat, daß die sozialliberale Koalition nur das Angefangene fortgeführt habe. Sie hat die Umweltpolitik a) auf ganz neue Grundlagen gestellt,
b) ihr einen völlig veränderten, nämlich weitaus höheren Stellenwert gegeben
— hören Sie doch bitte auch mir mal zu — und c) nicht nur punktuell, sondern systematisch gehandelt und mit umfassenden Programmen und mit einer umfassenden Gesetzgebung die Problematik angepackt. Das hat es vorher nicht gegeben.
— Ich habe leider nicht genügend Zeit, um auf alle Zwischenrufe einzugehen.Spätestens mit dem Bundes-Immissionsschutzgesetz von 1974 wurde die Zäsur deutlich gemacht, d. h. die Schwerpunktverlagerung von der bloßen Entsorgung zur Umweltvorsorge,
von der Reparatur bereits eingetretener Schäden zur vorausschauenden Vermeidung von Schäden. Mit dem Bundes-Immissionsschutzgesetz ist eine Meßlatte angelegt worden, die gilt. Wir dürfen sie heute nicht verdrehen und nicht verbiegen. Das ist an unser aller Adresse gesprochen.Stichworte unserer Umweltpolitik sind: Förderung umweltfreundlicher Technologien, Immis-
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 214. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. April 1980 17191
Frau Dr. Hartensteinsionsabbau, Schonung natürlicher Ressourcen, Wiederverwertung von Abfällen.
Gerade die Abfallwirtschaft liefert ein überzeugendes Beispiel dafür, wie konstruktive, in die Gesamtwirtschaft eingebettete Umweltpolitik aussehen kann. Nicht nur, weil es vornehm geworden ist, sondern weil in diesem Bereich neue Fakten geschaffen wurden, spricht man heute häufiger von Recycling als — naserümpfend — von Müll. Was ist geschehen? Mit dem Abfallwirtschaftsprogramm -von 1975 hat die Bundesregierung den entscheidenden Schritt von der bloßen Abfallbeseitigung zur Abfallwirtschaft getan, d. h. zur Wiederverwertung von Abfällen, zur Rückführung des anfallenden Mülls in den Wirtschaftskreislauf, soweit dies technisch überhaupt möglich und wirtschaftlich sinnvoll ist.Mit diesem Schritt ist ein ganz neuer Wirtschaftszweig entstanden, ein Wirtschaftszweig übrigens, der Tausende von sicheren Arbeitsplätzen bietet. Das Abfallwirtschaftsprogramm '75 enthält drei Zielvorstellungen: erstens die Verringerung von Abfallmengen, zweitens die gesteigerte Verwertung von Abfällen, drittens die schadlose Beseitigung von Abfällen.Zur Verwirklichung dieser Ziele wurden mehrere gangbare Wege nicht nur aufgezeigt, sondern auch tatkräftig beschritten. Es würde sich jetzt lohnen, Beispiele als Belege dafür anzuführen. Mir bleibt aber leider nicht die Zeit. Dankenswerterweise hat Herr Minister Baum schon einiges hiervon erwähnt und auch die Zahlen auf den Tisch gelegt.
Wohl nicht umsonst, meine Damen und Herren von der Opposition, kommt die Abfallwirtschaft in Ihrem Antrag gar nicht vor; denn hier hätten Sie vielleicht sogar einmal die Bundesregierung loben müssen,
vor allen Dingen deswegen, weil ja hier zu Recht betont werden muß, daß diese Erfolge nicht durch Verordnungen oder gesetzliche Regelungen erzielt oder erzwungen wurden, sondern auf der Basis freiwilliger Vereinbarungen. Damit ist Ihnen der Vorwand genommen, immer wieder warnend mit erhobenem Zeigefinger in die Landschaft zu posaunen, daß wir nicht überall dort, wo es irgend geht, marktwirtschaftliche Instrumente anwendeten. Hier haben Sie ein lebendiges Beispiel dafür, daß dies getan wird und auch zum Ziel führt.Ein wirksames Mittel, um die Ziele des Abfallwirtschaftsprogramms zu erreichen, ist die systematische Förderung neuer Recycling-Technologien. Deshalb stellt der Ausbau von Forschung und Entwicklung auf diesem Gebiet einen der wichtigsten Schritte zum Erfolg dar. Die von Ihnen in Ihrem Antrag erhobene Forderung zur Verbesserung der. Umweltforschung geht eigentlich ins Leere. Ich frage mich, wer dies in den Antrag hineingeschrieben hat.
— In Ihrem Antrag!
Ich frage mich, ob die Verfasser des Papiers den Umweltforschungsbericht der Bundesregierung kennen und ob sie vor allen Dingen nicht auch den Umweltforschungsplan des Bundesministers des Innern zur Kenntnis nehmen könnten, der beispielsweise im laufenden Jahr im Bereich der Chemikalien- und Schadstofferforschung allein 108 Vorhaben enthält.Daß heute übrigens von den 43 in Betrieb befindlichen Müllverbrennungsanlagen 39 so organisiert sind, daß die Abfälle gleichzeitig zur Fernheizung oder zur Stromerzeugung benutzt werden können, möchte ich nur am Rande erwähnen. Ebenso betrachte ich es als Erfolg, daß seit 1972 rund 50 000 ungeordnete Müllhalden geschlossen und daß statt dessen 5 000 geordnete Sammeldeponien angelegt worden sind.Die nun vorliegende zweite Novelle zum Abfallbeseitigungsgesetz schreitet auf dem vorgezeichneten Weg fort. Sie will die Wiederverwertung von Abfällen noch stärker fördern, z. B. zur Energiegewinnung, und außerdem da Eingriffsmöglichkeiten schaffen, wo, wie sich gezeigt hat, Schäden entstehen können. Das gilt etwa für das Aufbringen von Abwasser, Klärschlamm und ähnlichem Material auf landwirtschaftlich oder gärtnerisch genutzte Böden, soweit diese durch Schadstoffe — insbesondere durch Chemikalien — verunreinigt sind. Eine solche Fortschreibung ist zweifellos dringend notwendig, nachdem in mehreren Fällen Bodenverseuchungen durch Schwermetalle aufgetreten sind, die aus Klärschlämmen stammen. Wir hoffen, daß die Zeit es erlaubt, den Gesetzentwurf noch bis zur Sommerpause in den Ausschüssen abschließend zu beraten.Das zweite Kapitel, zu dem ich einige Ausführungen machen möchte, ist der Landschaftsverbrauch. Es ist mir aufgefallen, meine Damen und Herren von der CDU, daß dieses Problem in Ihrem Antrag, wenn ich es recht sehe, elegant übergangen wird.
— Aber man sollte sich nicht um die Fakten herummogeln.
Die Bundesregierung jedenfalls hat auf unsere Frage hin die Fakten ganz klar auf den Tisch gelegt.
Sie sind nicht rundum erfreulich: Der quantitativeLandschaftsverbrauch hat in den letzten zehn Jah-
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Frau Dr. Hartensteinren um 15 % zugenommen. Rund 400 000 ha wurden zusätzlich überbaut oder für Straßen, Wege und Eisenbahnen in Anspruch genommen.
Daß insgesamt heute trotzdem nur 11 % des Bundesgebiets für Wohnhäuser, Gewerbegebiete, Industrieanlagen, Straßen und Flugplätze verbraucht sind, mag auf den ersten Blick zwar beruhigend erscheinen, darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, daß damit eben nicht die ganze Wirklichkeit erfaßt ist.
— Ich zitiere die Antwort auf die Große Anfrage.Die Bundesregierung weist ausdrücklich und ungeschminkt darauf hin, daß die „Darstellung der quantitativen Entwicklung der Ergänzung durch qualitative Aspekte der Wertminderung der Landschaft" bedürfe. — Es ist für mich sehr bezeichnend, daß Sie gerade diese Problematik nicht sehen und nicht ernst nehmen wollen. Meine Damen und Herren von der Opposition, ich beziehe Ihr Gelächter gar nicht auf mich.
Man darf die „qualitativen Aspekte der Wertminderung, nämlich Zerschneidung und Zerstückelung der Landschaft, Verlärmung, Schadstoffbelastung, Beseitigung natürlicher Landschaftselemente" und ähnliche Beeinträchtigungen, nicht übersehen. Hier liegt in der Tat das größere Problem. Nicht der prozentuale Anteil der unmittelbar überbauten Landschaft ist das eigentlich Entscheidende; entscheidend sind vielmehr die Auswirkungen auf den Naturhaushalt, auf das ökologische Gleichgewicht.
— Jetzt warten Sie doch bitte mal ab.Zwei Hinweise mögen dies verdeutlichen. Erstens: Durch zunehmende Besiedelung und durch das immer engmaschiger werdende Straßennetz wird auch der Lebensraum für Tiere und Pflanzen immer enger. Die sogenannten „Roten Listen" zeigen, daß zwischen 30 und 60 % aller vorkommenden Pflanzen- und Tierarten in unterschiedlichen Intensität bedroht sind. Die Artenvielfalt ist jedoch ein unentbehrlicher Garant für die Stabilität des Naturhaushaltes. Diese Entwicklung gilt es also zu bremsen.Zweite Bemerkung: Probleme gibt es nicht nur in den Ballungsgebieten, sondern auch in ländlichen, nach allgemeiner Auffassung noch intakten Landschaften. So weist das Umweltgutachten 1978 beispielsweise aus, daß im Bodenseekreis, einem der beliebtesten Ferien- und Erholungsgebiete — und nicht nur für die Baden-Württemberger —, die mittlere Größe der Restflächen zwischen Straßen undSiedlungen heute noch bei 6,3 qkm liegt. Wenn alle geplanten Straßenbaumaßnahmen im westlichen Bodenseeraum verwirklicht würden, würden die Verlärmungszonen im Bereich des Bodanrück über 33 % betragen.
Dies ist ein Alarmzeichen.
Frage: Was wurde getan, was wird getan, um einer ausufernden Betonierung zu steuern und ein vernünftiges Gleichgewicht zwischen Natur, Besiedelung, Wirtschaft und Verkehr herzustellen?Besorgte Bürger, Umweltschutzverbände, aber auch Politiker, die es besser wissen müßten, starren häufig auf die Bundesgesetzgebung — vertrauensvoll oder vorwurfsvoll, je nach Farbe —, weil sie meinen, dort müsse Abhilfe geschaffen werden. Irrtum. Die Bundesgesetzgebung ist weitgehend da, das rechtliche Instrumentarium ist geschaffen. Jetzt geht es um den Vollzug, die Umsetzung und die Durchsetzung.
Hier sind — das muß ich offen sagen — die Länder und die Kommunen am Zug. Sie sind auch beim Verkehrslärmschutzgesetz am Zug. Ich wollte eigentlich heute keinen „Lärm"machen, aber Sie, Herr Minister Dick, haben mich geradezu herausgefordert.Zuerst aber eine Bemerkung zu Ihren Kollegen von der Bundestagsfraktion: Woher, meine Damen und Herren, nehmen Sie eigentlich das moralische Recht, ebenso lauthals wie scheinheilig darüber zu jammern, daß Millionen von Menschen weiterhin unter dem Straßenverkehrslärm zu leiden haben, nachdem soeben im Bundesrat mit der Unionsmehrheit das am 6. März hier im Bundestag von allen Fraktionen gemeinsam beschlossene Verkehrslärmschutzgesetz wieder an den Vermittlungsausschuß zurückverwiesen worden ist
— da müssen Sie sich schon eine bessere Ausrede einfallen lassen —,
und zwar mit Forderungen, die entweder gar keine Regelung, also gar keinen Lärmschutz für die Betroffenen, oder eine unvertretbare Verschlechterung zur Folge hätten? Es soll nicht bestritten werden, daß auch Länder wie Hamburg und andere wegen
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Frau Dr. Hartensteindes Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetzes Bedenken erhoben haben.
Aber sie waren dessenungeachtet bereit, das Gesetz zu akzeptieren, weil es notwendig ist,
weil sie es nicht verschlechtern wollten und weil sie wissen, daß von den Kosten 69 % der Bund, 23 % die Kommunen und nur 7 % die Länder tragen. Das ist nach wie vor die Wahrheit.Im übrigen habe ich mit Freude feststellen können, Herr Minister Dick, daß dieVertreter Bayerns, beispielsweise auch die Vertreter der Landeshauptstadt München, bei unseren langjährigen Vorbereitungen sehr hilfreich und sehr konstruktiv mit uns zusammengearbeitet haben. Dafür möchte ich mich bedanken.
Ich muß zum Abschluß kommen. Ich sagte vorhin: der Bund hat den Rahmen abgesteckt. Bundesnaturschutzgesetz 1976, Bundeswaldgesetz, Bundesbaugesetz in der Neufassung von 1976, Bundesraumordnungsprogramm, dies ist alles da. Dieser Rahmen muß aber durch entsprechende Gesetzgebung in den Ländern ausgefüllt werden, und es ist nun einmal ein Faktum, daß erst einige Länder beispielsweise eigene Landesnaturschutzgesetze geschaffen haben. Der Katechismus der Umweltpolitik ist da, ganz ohne Zweifel. Nur, man muß ihn auch lernen. Ich weiß, daß dies eine altmodische Forderung ist. Man muß ihn auch lernen, und man muß danach handeln.
Meine Damen und Herren, Landschaft ist nun einmal ein nicht vermehrbares Gut. Schmal wie ein Handtuch, muß die Bundesrepublik heute für über 60 Millionen Menschen ausreichen; Grund genug für uns alle, um mit jedem Quadratmeter, der uns zur Verfügung steht, so sorgsam wie möglich umzugehen.
Das Rezept liegt nicht in einer Verteufelung der Technik oder in einer Flucht aus unserem Wirtschaftsgefüge. Ich denke, darüber sind wir uns einig. Auch das schlichte grüne Rezept, wonach jeder wieder seine eigene Ziege halten und seine eigenen Radieschen säen sollte, hilft nicht weiter. Wir können und wollen nicht leben
ohne Großstädte, ohne Fabrikhallen, ohne ein breites Konsumangebot, ohne Autos, für die man Straßen braucht, ohne Flugzeuge, ohne Kraftwerke. Aber wir müssen uns daran erinnern, daß Natur undLandschaft nicht unendlich sind, und auch nicht unverwüstlich.Es ist deshalb höchste Zeit, Verkehrsplaner, Städteplaner, Landschaftsplaner an einen Tisch zu bringen und sie mit einem ökologischen Handbuch auszurüsten, damit sie bei jedem Eingriff in die Landschaft — ob Hochspannungsleitung, Straßentrasse, Baugebiet oder Industrieanlage — in der Lage sind, auch die Rückwirkungen auf den Naturhaushalt zu beurteilen und zu bewerten. Wir brauchen eine Umweltplanung auf lange Sicht, die vorausberechnet, was wann wo in welchem Umfang noch möglich ist. Die Grundlagen für eine solche langfristige Umweltplanung sind bereits im Umweltprogramm 1971 gelegt worden. Sie werden im angekündigten „Aktionsprogramm Ökologie" fortgeschrieben.Ich hätte an dieser Stelle noch eine ganze Reihe von Forderungen und Vorschlägen auf dem Herzen. Ich kann sie aber wegen der fortgeschrittenen Zeit nicht mehr vortragen. Deshalb möchte ich mir nur noch einige Schlußbemerkungen erlauben.Meine Damen und Herren, Umweltschutz ist kein politisches Programm an sich. Er kann nur im Zusammenhang mit allen anderen Politikbereichen gesehen werden, mit der Wirtschaftspolitik, der Sicherung der Arbeitsplätze, der Sozialpolitik, der Gesundheitspolitik. Umweltpolitik darf aber nicht vom Auf und Ab der Konjunktur abhängig gemacht werden, sondern muß integraler Bestandteil des ökonomischen Handelns sein. Eine gute Umweltpolitik heute sichert die Grundlagen unserer Wirtschaft für morgen, erhält und schafft die notwendigen Arbeitsplätze, trotz mancher gegenteiliger Behauptungen. Sie bewahrt für uns und unseren Kinder die Lebensbasis und auch die Basis des Wohlstands.Die Qualität der natürlichen und die Qualität der sozialen Umwelt sind eng miteinander verknüpft. Nur wenige Privilegierte können sich heute noch in grüne Paradiese zurückziehen, in Refugien, in die der Lärm nicht dringt und bei denen der Blick aus dem Fenster nicht auf die Betonmauern des Nachbarwohnblocks fällt.
— Tatsachen darf man ja doch wohl noch beim Namen nennen!
Wir haben eine gute, vielleicht einmalige Chance, in unserem eng gewordenen Land gleichsam ein Modell zu entwickeln, wie man mit hoher Bevölkerungszahl, mit einem hohen Industrialisierungsgrad einen hohen Lebensstandard und auch eine hohe Umweltqualität verbinden kann. Sozusagen in einer Art Symbiose. Nutzen wir diese Chance!Die Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage von SPD und FDP macht anschaulich, daß das umweltpolitische Fundament unseres Hauses solide und sicher ist. Die Inneneinrichtung müssen die Bewohner besorgen, die Kommunen, die Landkreise, die Städte, die Länder. Sorgen wir auf allen Etagen dafür, daß diese Inneneinrichtung behaglich wird und daß jeder, auch der Ärmste, eine Ecke fin-
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Frau Dr. Hartensteinden kann, in der er sich wohlfühlt. Weil dies für uns Sozialdemokraten ein Hauptanliegen ist, deshalb war und ist unser Engagement für mehr Umweltschutz und für mehr Lebensqualität stärker als in jeder anderen Gruppierung. Das wird auch in Zukunft so bleiben. Lieber Herr Kollege Volmer, ich verstehe, daß Sie das Ausscheiden meines geschätzten Kollegen Konrad bedauern, aber ich darf — —
Frau Kollegin, Ihre Zeit ist weit überschritten. Ich darf Sie bitten, zum Ende zu kommen.
Aber ich darf Ihnen versichern, daß die Umweltschützer in unseren Reihen nicht aussterben. Ich bin bereit, Ihnen eine komplette Garde vorzustellen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Laermann.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn man der Debatte folgt, insbesondere den Ausführungen der verehrten Kollegen von der Opposition, dann hat man den Eindruck, es ist ein neues Problem für den Umweltschutz, in der Umweltpolitik entstanden, und wir müssen das schleunigst aufnehmen: das ist der Problembereich „Informationsverschmutzung", der bei den Kollegen offenbar einen so bedenklichen Grad erreicht hat, daß wir ihn aufgreifen müssen. Ich möchte das zum Einstieg kurz belegen. Im Antrag der CDU wird mehr Information und Aufklärung gefordert. Wenn man den Antrag insgesamt durchliest, kann man zu dem Eindruck kommen: entweder haben sie die Antwort der Bundesregierung nicht gelesen, oder sie haben sie nicht verstanden.Der bayerische Staatsminister beklagt, daß es härter sei, Gesetze zu vollziehen, als sie zu beschließen. Er verband dies mit kritischen Anmerkungen gegenüber dem Bundestag. Ich gehe davon aus, daß er auch seine Kollegen von der CDU/CSU-Fraktion gemeint hat, wenngleich Herr Schwarz behauptet hat, die CDU/CSU-Mehrheit im Bundesrat habe das Recht, Gesetze auch wieder zu korrigieren. Demgegenüber stellte Herr Volmer mit tiefer Überzeugung fest und wollte es sich nicht nehmen lassen, daß die CDU/CSU an allen Umweltgesetzen mitgewirkt habe und daß sie ihnen zugestimmt habe. Ich verstehe diese Diskrepanz, ehrlich gesagt, nicht.
— Es ist ja denkbar, daß Sie Ihre Positionen korrigieren. Aber vielleicht sollte man doch bei den Beratungen im Bundestag und seinen Ausschüssen korrigieren und sich nicht hier hinstellen und sagen: Wir haben ja alle zugestimmt, und wir tragen das mit, und das ist ja unsere Position!, und zur gleichen Zeit über den Bundesrat Kritik anmelden und sagen: So, lieber Bundestag, geht es nicht, so, liebeBundesregierung, geht es nicht! Das wußten Sie ja wahrscheinlich auch vorher.
Lassen Sie mich noch zu wenigen grundsätzlichen Dingen Stellung nehmen, bevor ich mich zu den Ausführungen der verehrten Kollegen äußere.Erstens. Ich meine nach wie vor, daß es richtig und notwendig ist, passiven Umweltschutz zu betreiben. Die Beseitigung bereits eingetretener Schäden ist dringend erforderlich. Wir sind uns darüber im klaren, daß dies ein langsamer Prozeß ist, der aber nur mit Beharrlichkeit weiter verfolgt werden kann und der weiter verfolgt werden muß. Wir sind gar nicht so euphorisch, zu meinen, nun sei einmal ein Gesetz beschlossen, und wenn man das umsetzt, dann ist morgen die Welt schon wieder in Ordnung. Es ist eine langwierige, schwierige Aufgabe. Hochgesteckte Ziele, Herr Staatsminister, ja! Wir wissen, daß die Realisierbarkeit schwierig ist. Dazu brauchen wir nicht Ihre Bestätigung. Wir wollen diese Ziele verfolgen und werfen nicht bei der ersten Schwierigkeit die Flinte ins Korn, wie es offenbar jetzt beim Abwasserbeseitigungsgesetz geschehen soll.Zweiter Punkt. In Zukunft muß aber dem Vorsorgeprinzip mehr Beachtung geschenkt werden. Wir meinen, daß aktiver Umweltschutz in Zukunft noch viel wichtiger ist als der passive. Es geht darum, bereits bei der Herstellung, Verteilung und beim Konsum von Gütern Beeinträchtigungen der Umwelt zu vermeiden. Dies ist deutlich belegbar, etwa im Zusammenhang mit dem Lärmschutz. Es ist billiger und auf Dauer auch nur vertretbar, den Lärm an der Quelle zu bekämpfen, statt den Leuten nur die Fenster zu vernageln und hohe Wände oder Lärmschutzwälle aufzurichten, die teuer sind, im Grunde genommen aber nur wieder neue Umweltprobleme schaffen, weil sie nämlich auch die Optik, das Empfinden der Bürger beeinträchtigen.Denn ich möchte auch folgendes feststellen: Umweltschutz und Umweltschutzpolitik sind für uns, für die Liberalen, nicht nur der Schutz der natürlichen Umwelt, nicht nur die Aufgabe, die Lebensbedingungen zu erhalten, die Biosphäre zu erhalten. Sondern wir rechnen dazu auch den Problembereich der sozialen und der kulturellen Umwelt. Das möchte ich hier einmal feststellen.Nächster Punkt — hier stimme ich dem Bundesminister ausdrücklich zu —: Umweltschutz ist nicht auf den nationalen Bereich begrenzt und kann nicht auf den nationalen Bereich begrenzt werden. Umweltverschmutzung und Umweltbelastung insbesondere bei der Luft und bei den Gewässern machen nun einmal nicht an den nationalen Grenzen halt. Aber sie machen auch nicht an den Grenzen der Bundesländer halt. Wenn wir die Notwendigkeit erkennen, dieses Problem grenzüberschreitend zu bewältigen, dann muß die Bereitschaft der Länder zur Kooperation mit dem Bund — ich möchte aber auch die Kommunen und jeden einzelnen Bürger einbeziehen — von vornherein unterstellt werden können.
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Dr.-Ing. LaermannIch meine, daß sich die Lösung der grenzüberschreitenden Probleme nicht nur auf den EG-Bereich beziehen darf und sich auch nicht bezieht. Diese Probleme müssen auch mit den übrigen europäischen Staaten, insbesondere den osteuropäischen Staaten, gemeinsam bewältigt werden. Denken wir an das Problem der Ostseeanrainer. Hier sind Aktivitäten und Initiativen zu verstärken.Ich möchte darauf hinweisen, daß die Bundesregierung in ihrer Antwort auf die bestehenden Aktivitäten und auf die Notwendigkeiten hingewiesen hat. Auch hier gilt beharrliches Bemühen, langsam in kontinuierlichen Schritten zum gesteckten Ziel zu kommen. Letzten Endes müssen wir feststellen, daß Umweltschutzprobleme auch Standortfragen für die Industrie hervorbringen und damit zu Wettbewerbsverzerrungen im europäischen Raum führen können.Wir stehen nach wie vor — dies betone ich — auf der Grundlage der Freiburger Thesen von 1971. Wir halten das Verursacherprinzip für notwendig und setzen es konsequent durch. Wir befinden uns dabei nur zum Teil in einem gewissen Gegensatz zu den Antragstellern, die in ihrem Antrag selber feststellen, man müssesoziale Kosten von Umweltbelastungen soweit wie möglich dem Verursacher zuweisen und damit auch stärkere Anreize für umweltfreundlichere Produkte und Verfahren schaffen, .. .Der Herr bayerische Staatsminister Dick führt hier das Gemeinlastprinzip ein. Wir können uns durchaus vorstellen, daß dieses mit einbezogen wird. Wie ich vorhin von dem Vertreter der Bundesregierung, Herrn Minister Baum, hörte, wird das auch verfolgt, wird das berücksichtigt. Wir werden dies auch bei raumordnerischen Entscheidungen in Zukunft stärker berücksichtigen müssen.Der Herr bayerische Staatsminister hat auf die Kosten für den Umweltschutz abgehoben. Ich sage Ihnen noch einmal, sie müssen im wesentlichen über das Verursacherprinzip hereingeholt werden. Damit kann man ihnen eine gewisse Konjunkturabhängigkeit nicht absprechen. Wir meinen aber dennoch, daß Umweltpolitik keine Politik für Schönwetterperioden sein kann und daß sie nach wie vor, auch wenn es wirtschaftlich und konjunkturell nicht so läuft, eine verpflichtende Aufgabe ist. Das hat nichts damit zu tun, daß hiermit weiterhin der Weg zum Staatsbankrott beschritten wird.Es geht auch nicht nur darum, daß wir wachstumshemmende Umweltpolitik betreiben, nämlich nur etwa durch einfache Beseitigungsanlagen, die zunächst nur Kosten verursachen. Integrierte Vermeidungsmaßnahmen führen zu ganz anderen Perspektiven. Das ist hier schon formuliert und ausgedrückt worden. Sie führen zu einem eigenen und neuen Produktions- und Industriezweig, der heute schon beachtliche Anteile am Umsatz und damit am Bruttosozialprodukt erlangt hat. Aktive Umweltpolitik gibt Anstöße zur Prozeßinnovation. „Die Volkswirtschaft, die frühzeitig genug die Notwendigkeit des Umweltschutzes aufgreift und die sich daraus ergebenden Probleme umsetzt, wird eine technologische Vorsprungsrente haben. Ich zitiere hier den Bundeswirtschaftsminister Graf Lambsdorff.Schließlich möchte ich noch auf den Aspekt der sozialen Kosten hinweisen. Was nutzt schließlich wirtschaftliches Wachstum, wenn Menschen im Produktionsprozeß krank werden, wenn die Menschen in ihrer Umwelt krank werden und unter psychischen Belastungen leiden? Das führt konsequenterweise zu hohen sozialen Belastungen. Die müssen letzten Endes auch wieder von der Volkswirtschaft getragen werden und belasten das Bruttosozialprodukt.Ich freue mich, daß hier im Prinzip festgestellt wurde, daß Umweltpolitik von allen Parteien und von Bund und Ländern getragen wird. Herr Kollege Schwarz, ich meine, auf der Basis sollten wir fortfahren und sollten uns, wo wir noch auf Differenzen stoßen, wirklich sine ira et studio, ohne uns zu ereifern, darüber auseinandersetzen und den gemeinsamen Weg suchen. Diese Aufgabe haben wir gemeinsam zu übernehmen in der Verpflichtung unseren Bürgern gegenüber.Deswegen zögere ich auch nicht, hier festzustellen, Herr Minister Dick, daß gerade das von Ihnen genannte Fernüberwachungssystem für kerntechnische Anlagen hervorragend ist und daß wir das gern auf andere Bereiche der Bundesrepublik übertragen möchten. Dies wäre ein Schritt, wo wir zusammenkommen könnten.Ich verhehle auch nicht, daß die Novellierung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes nach unserer Auffassung und nach meiner persönlichen Auffassung nun endlich über die Bühne gezogen werden muß. Denn hier muß Rechtssicherheit und Rechtsklarheit hergestellt werden für Planungsentscheidungen der Investoren, auch im Interesse derjenigen, die unter Umweltbelastungen leiden. Dies ist gleichzeitig festzustellen. Wenn Sie davon sprechen, Herr bayerischer Staatsminister Dick, daß es sich hier um ökologisch verfehlte Maßnahmen handle, weil die Belastungsgebiete nach der Vorlage weiter belastet werden, muß ich Ihnen sagen, dann haben Sie die Novelle überhaupt nicht verstanden. Denn die geht davon aus, daß die Belastungen reduziert werden. Das ist auch ein wirtschaftliches Gebot und nicht nur ein Gebot den Bürgern gegenüber, die in diesen Gebieten leben.Sie haben gesagt, daß das alles noch nicht genügend abgeklärt sei, und Sie nannten in diesem Zusammenhang den Sphärentransport der Schadstoffe. Ich stimme Ihnen zu. Auch das Problem der Synergismen, des Zusammenwirkens von verschiedenen Umweltbelastungen, einmal chemischer Art, dann die Verbindung mit Strahlenbelastungen, muß noch geklärt werden. Aber darf ich bitte darauf hinweisen, daß die Bundesregierung im vergangenen Jahr und im Jahr davor eine beachtliche Summe, weit über 400 Millionen DM, in den verschiedensten Ressorts für die Forschung auf dem Gebiet des Umweltschutzes ausgegeben hat. Ich kann jetzt hier aus zeitlichen Gründen die einzelnen Schwerpunkte nicht nennen. Darf ich auch daran erinnern, daß es einen Kabinettsbeschluß gibt, der sich mit den globalen Problemen der NOx und des CO2 befaßt, daß
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Dr.-Ing. Laermannwir ein europäisches Programm mittragen, das die Klimaforschung betrifft, daß der Bundesforschungsminister das Thema Klimaforschung aufgenommen hat. Wollen Sie das alles nicht zur Kenntnis nehmen? Warum also diese Forderungen hier ohne Bezug auf die konkreten Maßnahmen und das tatsächliche Handeln der Regierung? Sie tun in Ihrer Beschlußvorlage so, als ob das alles gar nicht existierte.
— Herr Pfeffermann, ich weiß nicht, ob Sie in dem Bereich, was aktives Forschen betrifft, überhaupt mitreden können. Ich gebe Ihnen dazu gern mal ein Privatissimum.
— Ja, ich lasse mitreden, wir machen Mitbestimmung.Herr Kollege Riesenhuber, gerade Ihre Fraktion kritisiert nachdrücklich und ganz entschieden die Vielzahl der Projekte des Bundesforschungsministers und der direkten Forschungsförderung. Glauben Sie denn, daß der gesamte Problembereich des Umweltschutzes allein über indirekte Forschung, auch wenn es spezifisch indirekte Forschung ist, abgedeckt werden kann?
Hier haben wir geradezu einen klassischen Bereich, wo staatliches Handeln gefordert ist.
— Herr Kollege Riesenhuber, auf diese Schiene werden Sie uns nicht setzen können und auch nicht den Bundeswirtschaftsminister. Sie müssen die Reden von Graf Lambsdorff lesen, bevor Sie sich dazu äußern. Da werden Sie feststellen, daß gerade das Problem des Umweltschutzes für ihn ein Bereich ist, in dem direkte staatliche Forschungsförderung angebracht und notwendig ist — um dieses klarzustellen.Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Zeit rennt mir leider davon. Lassen Sie mich noch einige kritische Anmerkungen zum Entschließungsentwurf der Opposition machen.„Regelmäßig in vierjährigem Abstand ein Bericht": Wer liest denn die Berichte? Hätten Sie den Umweltforschungsbericht gelesen, käme es nicht zu diesen Forderungen. Hätten Sie die Umweltberichte der Bundesregierung gelesen, käme es nicht zu diesen Forderungen. Hätten Sie die Antworten auf die Große Anfrage gelesen, käme es nicht zu diesen Forderungen. Wozu also mehr Berichte? Sie wehren sich genausogut wie wir gegen zu viel und gegen zu weitgehende Bürokratisierung. Dann lassen Sie uns doch bitte überlegen, wie wir auch der Bürokratie einen Spielraum lassen und sie nicht ständig neu mit Aufgaben belegen, sie sozusagen beschäftigen, damit schließlich dicke Papiere auf dem Tisch liegen, bezüglich derer dann der Herr Kollege Volmer wieder die Regierung beschimpft und von Selbstdarstellung spricht. Ich weiß nicht, was das soll.Über die gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen liegen Untersuchungen vor, weitere Untersuchungen sind in Auftrag gegeben. Lesen Sie das nach. Sie fordern hier stärkere Anreize zur Entwicklung und Einführung umweltfreundlicher Technologien. Aber wie üblich bleiben Sie die Antwort darauf schuldig. Sie machen überhaupt keine konkreten Vorschläge. Da steht so eine Leerformel: „Stärkere Anreize". Wie denn? Das müßten Sie sagen.
Sie verlangen ein Programm für umfassende und gründliche sachgerechte Unterrichtung der Öffentlichkeit. Und dann kritisieren Sie die Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung! Sie nehmen nicht zur Kenntnis, was vorliegt und was die Bundesregierung tut. Sie fordern es hier, aber wenn sie es tut, wird sie deswegen schon wieder kritisiert.
Sie fordern eine Verbesserung des internationalen Umweltschutzes. Bitte schön, lesen Sie die Antwort.
— Ja, ich habe es auch noch einmal betont. Wir sind uns ja einig darüber. Nur, was dann konkret folgt, ist zum größten Teil schon umgesetzt bzw. ist in der Ausführung. Das muß man einmal feststellen.
Sie fordern unter 4.3, „verbindliche Programme und Normen zur Erhaltung oder Wiederherstellung sauberer Luft und Gewässer sowie zur Gewährleistung von Reaktorsicherheit und Strahlenschutz durchzusetzen". Meine Damen und Herren, es ist doch nach den Äußerungen des bayerischen Staatsministers schon schwierig, das in den Bundesländern durchzusetzen, und Sie fordern hier von der Bundesregierung, daß sie verbindliche Programme und Normen durchsetzt. Wir bemühen uns ja darum, die Bundesregierung auch, aber nehmen Sie doch bitte zur Kenntnis, daß auch dies ein schwieriger Abstimmungsprozeß allein schon unter den europäischen Partnern ist. Von der Abstimmung über die Grenzen der EG hinaus wollen wir nicht einmal reden.Meine verehrten Damen und Herren, ich möchte meine Ausführungen an dieser Stelle beenden. Meine Redezeit ist leider abgelaufen. Ich möchte noch einmal betonen, daß für die Freien Demokraten die Umweltschutzpolitik in die Gesamtpolitik integriert gehört, daß sie nicht isoliert und losgelöst von anderen Politikbereichen betrachtet werden kann. Wir gehen auch davon aus und machen uns darüber keine Illusionen, daß dies ein langwieriger
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Dr.-Ing. LaermannProzeß ist, der von allen Beteiligten mitgetragen werden muß — lassen Sie es mich noch einmal ausdrücklich sagen —, auch von den Bürgern, auch von den Verbrauchern, denn die sind letzten Endes diejenigen, die durch ihr Konsumverhalten einen großen Teil der Umweltbelastungen hervorbringen. Wenn wir dieses steuern und in den Griff bekommen könnten, wenn wir diesbezüglich eine permanente Motivation, Handlungsfähigkeit und Handlungsbereitschaft herbeiführen könnten, wäre das Ziel unserer umweltpolitischen Ansätze erreicht.
Das Wort hat der Abgeordnete Biechele.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Für die Fraktion der CDU/CSU spreche ich über einige Fragen der Wasserwirtschaft, der Gewässergütewirtschaft vor dem Hintergrund der Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der Fraktionen der SPD und der FDP.In der 7. Legislaturperiode haben wir das rechtliche Instrumentarium zur Intensivierung der Gewässersanierung substantiell erweitern und abrunden können. Ich verweise auf das Waschmittelgesetz und vor allem auf die 4. Novelle zum Wasserhaushaltsgesetz, das Wasserabgabengesetz und auf die internationalen Vereinbarungen für den Gewässerschutz. Das Jahr 1976 dürfte, wie Professor Dr. Salzwedel festgestellt hat, für die internationale und die nationale Entwicklung des Wasserrechts den entscheidenden Einschnitt mit sich gebracht haben. Die EG-Gewässerschutzrichtlinie für die Gewässer der Gemeinschaft vom 4. Mai 1976 kann als Grundgesetz des westeuropäischen Gewässerschutzes bezeichnet werden. Professor Salzwedel formuliert:Die 4. Novelle zum Wasserhaushaltsgesetz hat das Recht der Wasserwirtschaft weithin auf völlig neue Grundlagen gestellt. Mit dem Abwasserabgabengesetz ist, jedenfalls im Ansatz, ein Weg eröffnet worden, auf dem nicht nur das Vollzugsdefizit überwunden, sondern auch ein Höchstmaß an verteilender Gerechtigkeit erreicht werden kann.Das Umweltgutachten 1978 bestätigt in seiner Vorbemerkung zum Kapitel „Wasserwirtschaft" diesen Sachverhalt und seine Bewertung.Dieses neue und, wie wir hoffen, wirkungsvolle rechtliche Instrumentarium für eine moderne und in die Zukunft gerichtete Wasserwirtschaft — es muß in den nächsten Jahren noch seine Bewährungsprobe bestehen —, zu dem wir als CDU/CSU-Fraktion durch eigene Gesetzesvorlagen wichtige Beiträge geleistet haben, ist der intensiven Zusammenarbeit der Fraktionen dieses Hauses mit den Ländern, die vor allem ihre. praktischen Erfahrungen in der Wasserwirtschaft eingebracht haben, zu verdanken. Ich erinnere mich dabei gerne an die Beratungen in der Arbeitsgruppe „Wassergesetze" des Innenausschusses des Deutschen Bundestages in der letzten Legislaturperiode. Die beiden verehrten Kollegen Konrad und Wittmann werden das sicher auch tun.Die Initiativen des Bundes, für den Gewässerschutz Finanzierungshilfen bereitzustellen, um vor allem notwendige Projekte, die der Abwasserbeseitigung dienen, beschleunigt durchführen zu können, sind zu begrüßen. Ich verweise — das ist schon einmal geschehen — auf das erste Rhein-Bodensee-Sanierungsprogramm der Jahre 1972 bis 1976 mit einem Volumen von 150 Millionen DM, von dem 75 Millionen DM für die Sanierung des Bodensees bereitgestellt worden sind. Ich verweise weiter vor allem auf das zweite Rhein-Bodensee-Sanierungsprogramm für die Jahre 1977 bis 1980. Durch die hier bereitgestellten Investitionszuschüsse — je 800 Millionen DM vom Bund und den Ländern — konnte der Bau von Abwasserbeseitigungsanlagen in dringend sanierungsbedürftigen Gewässerabschnitten mit einem Investitionsvolumen von insgesamt mehr als 3 Milliarden DM beschleunigt werden.
Um die besonderen Leistungen der Länder gerade bei diesen Sanierungsprogrammen transparent zu machen — ich glaube, das ist in Ihrer Bilanz, Herr Bundesminister, ein wenig zu kurz gekommen —, führe ich hier — und dies beispielhaft für die Länder — die Förderbeiträge des Landes Baden-Württemberg im Kontext zu den Beiträgen des Bundes an. So wurden 1977 vom Bund 26,6 Millionen DM, vom Land 136,1 Millionen DM,
1978 vom Bund 83,6 Millionen DM, vom Land 183,5 Millionen DM und 1979 vom Bund 97,8 Millionen DM, vom Land 200,2 Millionen DM bereitgestellt.
Das mit diesen Fördermitteln insgesamt geförderte Bauvolumen im Bereich der Abwasserbeseitigung beträgt für 1977 493 Millionen DM, für 1978 763 Millionen DM und für 1979 750 Millionen DM.Was wurde damit im Lande erreicht? Die Zahl der kommunalen Kläranlagen hat sich in den letzten zehn Jahren in Baden-Württemberg verdoppelt. Derzeit sind in Baden-Württemberg 1 225 kommunale Sammelkläranlagen in Betrieb, von denen 1 153 vollbiologisch ausgelegt sind. Dabei ist zu berücksichtigen, daß eine Reihe dieser Kläranlagen mit zusätzlichen Reinigungsstufen ausgestattet worden sind. Dazu zählen insbesondere die mit Phosphatfällungsanlagen versehenen Anlagen im Bodenseegebiet und die zur Zeit im Bau befindliche weitergehende Reinigungsstufe der zentralen Kläranlage Stuttgart. Damit sind heute 86 % der Einwohner von Baden-Württemberg den zentralen Kläranlagen angeschlossen. Dieser Prozentsatz liegt erheblich über dem Durchschnitt in der Bundesrepublik Deutschland. Zur Zeit werden in Baden-Württemberg umgerechnet fast eine Million DM täglich als Fördermittel für die Gewässerreinigung ausgegeben. Das ist eine Bilanz, die sich sehen lassen kann und die für das Engagement der Länder, gerade der von der
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17198 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 214. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. April 1980
BiecheleCDU/CSU-regierten Länder, für die Förderung der Abwasserbeseitigung beispielhaft ist.
Gerade das Beispiel der Reinhaltung des Bodensees zeigt, daß sich die Kräfte der Länder und des Bundes zu einer einzigartigen Gewässerschutzmaßnahme zusammenfassen lassen, wenn es darum geht, die Reinhaltung des größten Trinkwasserspeichers Europas, der für mehr als 3 Millionen Menschen Trinkwasser liefert, zu sichern und für die Zukunft zu gewährleisten. Die Länder um den Bodensee haben — wohlwissend, daß Gewässerschutz keine Grenzen kennt — seit den 50er Jahren die Bedeutung dieser Aufgabe erkannt und die Internationale Gewässerschutzkommission für den Bodensee gegründet. Schon damals ist im Bodenseebereich moderne Gewässerschutzpolitik praktiziert worden.
Dort wurden die Grundlagen für eine in weiten Bereichen richtungweisende Gewässerschutzpolitik vereinbart und Empfehlungen zu deren Verwirklichung an die Anliegerstaaten gegeben. Sie sind weithin beachtet worden. Am deutschen Bodenseeufer und im rückwärtigen Einzugsgebiet wurden moderne dreistufige Kläranlagen mit der für den Bodensee so notwendigen Phosphatfällung gebaut. Diese Maßnahmen haben Früchte getragen. Die Belastung des Sees wurde merklich vermindert, und seine Gewässergüte hat sich vor allem in den Uferbereichen deutlich verbessert.Von der Aufgabe der Reinhaltung des Bodensees führt der Weg fast zwangsläufig zur Aufgabe der Sanierung des Rheins, zu der ich noch einige Bemerkungen machen möchte.Der Rhein ist für die Bundesrepublik Deutschland das wichtigste Oberflächengewässer. Für fast 9 Millionen Menschen, davon 5 Millionen Einwohner unseres Landes, dient der Rhein als Trinkwasserspeicher. Gleichzeitig wird er als Brauchwasserquelle, als Vorfluter und als Schiffahrtsstraße genutzt.Die Rheinanliegerstaaten haben in den 50er Jahren erkannt, daß sie die Sanierung des Rheins nur in Zusammenarbeit erreichen können. So kam es zur Vereinbarung über die internationale Kommission zum Schutz des Rheins gegen Verunreinigung im Berner Vertrag vom 29. April 1963. Die Kommission hat vor allem die Aufgabe, nach einer gründlichen und kontinuierlichen Analyse der Verunreinigung des Rheins den beteiligten Regierungen geeignete Maßnahmen zum Schutz des Rheins gegen Verunreinigungen vorzuschlagen und Grundlagen für etwaige Abmachungen zwischen den Signatarstaaten, die diesem Ziel dienen, vorzubereiten. Sie ist also keine internationale Behörde, sondern ein Beratungsorgan für die Regierungen.So hat die Kommission in jahrelangen Gesprächen und Verhandlungen die bekannten Bonner Konventionen vom 3. Dezember 1976, das ChemieÜbereinkommen und das Chlorid-Übereinkommen vorbereitet. Das Übereinkommen zum Schutz des Rheins gegen chemische Verunreinigung, am 1. Februar 1979 in Kraft getreten, gibt die Grundlage für Maßnahmen zur Beseitigung bzw. Verringerung der Einleitung gefährlicher Stoffe. Für Quecksilber, Kadmium und einige organische Chlorverbindungen werden gegenwärtig Grenzwerte für bestimmte Industriezweige erarbeitet. Das Übereinkommen zum Schutz des Rheins gegen Verunreinigung durch Chloride ist von allen Staaten mit Ausnahme Frankreichs ratifiziert worden.Die Verringerung der Salzbelastung des Rheins ist eine wichtige umweltpolitische Maßnahme. Die hier vorgesehene Reduzierung der . Salzeinleitung der elsässischen Kaliminen unter Beteiligung aller Anliegerstaaten wurde von der Kommission als eine Maßnahme bewertet, die rasch, kostengünstig und spürbar zu einer Herabsetzung der Salzbelastung des Rheins führen könne.Herr Minister, Sie haben uns vorhin leider sagen müssen, daß wohl keine Chance mehr besteht, Frankreich für die Ratifizierung des Chlorid-Abkommens zu gewinnen. Sie haben etwas optimistisch angedeutet, daß neue Konzepte zur Reduzierung der Salzbelastung vorbereitet werden. Herr Minister, wenn die Vorbereitung dieser Konzepte so lange wie die Vorbereitung des Chlorid-Abkommens dauern wird, dann gehen mehr als zehn Jahre ins Land. Das ist nach meiner Meinung ein Zeitraum, den wir unter keinen Umständen hinnehmen können.
Aus diesem Grund, Herr Minister, frage ich Sie nochmals eindringlich, ob nicht doch eine Möglichkeit besteht, die französische Regierung dafür zu gewinnen, der französischen Nationalversammlung das Übereinkommen zuzuleiten. Dazu ist zweifellos erforderlich, daß man dafür die elsässische Bevölkerung gewinnt. Ich bin so optimistisch, zu meinen, daß man bei koordinierten Anstrengungen dieses Ziel erreichen könnte.
Durch die am 3. Dezember 1976 geschlossene Zusatzvereinbarung zum Berner Vertrag wurde die EWG Mitglied der internationalen RheinschutzKommission. Damit ist eine enge Zusammenarbeit beider Institutionen, die der Sache zugute kommt, gewährleistet. Die Kommission bearbeitet zur Zeit den Entwurf eines Übereinkommens, in dem die Bedingungen für Wärmeableitungen, insbesondere der Einsatz und Betrieb der geschlossenen Kühlsysteme, festgelegt werden. Sie hat auch 1977 ein langfristiges Arbeitsprogramm vorgelegt, dessen Kernstück eine detaillierte Ubersicht über die Abwasserbelastung und Abwasserbehandlung im gesamten Rheineinzugsgebiet ist. Sie gibt die bestehenden Verhältnisse im Jahre 1973 und die Vorhaben zur Reinhaltung der Gewässer des Rheins mit Blick auf 1985 wieder.Die Gesamtbilanz ergibt, daß die Sanierung des Rheins in den vergangenen Jahren Fortschritte gemacht hat. Die früher stark belasteten Strecken des Rheins zeigen eine deutliche Verbesserung. Dies be-
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Biecheletrifft den Sauerstoffgehalt wie auch die gesamte organische Belastung.Dringend erforderlich wäre ein stärkeres Engagement der nationalen Parlamente der Rheinanliegerstaaten. Hierfür haben die Niederlande, als Unterlieger von der Verunreinigung des Rheins besonders betroffen, die Initiative ergriffen. Das niederländische Parlament hatte auf Veranlassung der beiden Kammern zu einer interparlamentarischen Konferenz der Rheinanliegerstaaten zur Behandlung der Probleme der Rheinverschmutzung eingeladen, die am 24. und 25. Februar 1977 in Den Haag stattgefunden hat. Nach intensiven Diskussionen wurde die Haager Entschließung vom 25. Februar 1977 verabschiedet, in der die nationalen und internationalen Gremien im Bereich des Rheins aufgefordert wurden, ihre Verantwortung und ihre Möglichkeiten zur Sanierung des Rheins kraftvoller wahrzunehmen.Ich kann heute nur auf einen wesentlichen Punkt dieser umfassenden Entschließung hinweisen, der mit großem Nachdruck gefordert wurde: die Stärkung der internationalen Rheinschutzkommission. Hier bieten sich erfolgversprechende Möglichkeiten an. Einmal sollten die Ministerkonferenzen, die die grundsätzlichen Entscheidungen zu treffen haben, kontinuierlicher zusammentreten. Dann sollten die Aufgaben der Rheinschutzkommission dadurch an Gewicht gewinnen, daß die Berichtspflicht über ihre Arbeit verstärkt wird. Die jährlichen Tätigkeitsberichte sollten nicht nur den beteiligten Regierungen vorgelegt, sondern mit deren Stellungnahmen den nationalen Parlamenten zugeleitet werden. Damit bestünde die Möglichkeit, die Probleme der Sanierung des Rheins in der Regel einmal im Jahr in den Parlamenten gründlich zu diskutieren, um neue Initiativen einzuleiten. Wir als Deutscher Bundestag könnten auf diese Weise auch unsere Kontrollaufgabe gegenüber der Regierung und damit der Kommission wahrnehmen.Die Fraktion der CDU/CSU unterstützt diese Intervention. Ich glaube, davon ausgehen zu können, daß das ganze Hohe Haus das tut. Wir sollten als Deutscher Bundestag auch dafür eintreten, daß die Arbeit der interparlamentarischen Konferenz über die Rheinverschmutzung weitergeführt werden kann, die durch die Haltung der französischen Regierung zum Chlorid-Abkommen gelitten hat.Ich konnte als Sprecher meiner Fraktion für den Bereich der Wasserwirtschaft, der Gewässergütewirtschaft im Rahmen der heutigen Debatte nur einige, aber wichtige Teilgebiete erörtern. Ich hoffe, daß dadurch überzeugend deutlich wurde: Die CDU/CSU-Fraktion des Deutschen Bundestages läßt sich in ihrer Sorge für eine menschenwürdige Umwelt von niemandem übertreffen. So war es, so wird es bleiben.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Gruhl.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben inder heutigen Debatte über die Umweltpolitik sehr Richtiges und in den Einzelheiten Interessantes gehört. Meine Kritik wird sich in den mir zur Verfügung stehenden 15 Minuten nicht mit den Einzelheiten befassen können. Ich werde an Hand einiger Beispiele darstellen, daß diese Bundesregierung — und die hier vertretenen drei Parteien ebensowenig — kein Konzept für die Zukunftspolitik hat.
— Ich spreche von den hier vertretenen Parteien.Diese Feststellung mindert nicht die große Leistung der Beamten der Bundesregierung, die in der 45seitigen Antwort eine ausgezeichnete Aufstellung über den Stand der Maßnahmen und Absichten geliefert haben. Aber sie haben das eben aus ihren rein fachlichen Gesichtspunkten heraus getan, vor allem denen des Innenministeriums. Für eine umfassende politische Antwort wäre die gesamte Bundesregierung zuständig gewesen. Aber leider ist außer dem Herrn Innenminister heute auch niemand hier vertreten.
— Von den Ministern.
Leider waren auch schon die Fragen der Koalitionsfraktionen fachspezifisch und nicht gesamtpolitisch. Die Antwort der Bundesregierung enthält nichts über ein langfristiges ökologisches Konzept, obwohl sie ein solches am Anfang mit folgenden Sätzen als notwendig bezeichnet:Umweltpolitik erschöpft sich nicht in der Abwehr drohender Gefahren und in der Beseitigung eingetretener Schäden.
Vorsorgende Umweltpolitik verlangt darüber hinaus, daß die Naturgrundlagen geschützt und schonend in Anspruch genommen werden. Maßgebliche Richtschnur muß es sein, den Naturhaushalt in allen seinen Bestandteilen funktionsfähig zu halten und auch hinsichtlich seiner Leistungs- und Regenerationsfähigkeit zu sichern. Dies erfordert einen sparsamen Umgang mit den natürlichen Ressourcen, eine schonende Nutzung des energetischen und biologischen Ausgleichspotentials der Natur.Soweit, so gut.Die anderen Ministerien der Bundesregierung verfolgen aber genau die entgegengesetzte Zielrichtung, nämlich das sogenannte wirtschaftliche Wachstum. Würden die angestrebten Steigerungsraten von über 3 % jährlich erreicht, hätten wir im Jahre 2000 eine Verdoppelung und bei über 2 % jährlicher Zunahme bis zum Jahre 2030 eine weitere Verdoppelung, d. h. nach 50 Jahren eine Vervierfachung des Wirtschaftspotentials der Bundesrepublik Deutschland.Dies ist ja auch der einzige Sektor, auf dem die Bundesregierung ein Programm, nämlich ein Ener-
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Dr. Gruhlgieprogramm hat, das die Verdoppelung der Energieerzeugung schon bis zum Jahre 2000 vorsieht.
— Aber Sie ziehen keine Schlußfolgerungen daraus, Herr Gerster. Darum sage ich Ihnen das ab und zu erneut.Selbst die Enquete-Kommission „Zukünftige Kernenergiepolitik" — das ist neu — nimmt diese Daten jetzt als Grundlage ihrer Untersuchung. Ich will gar nicht die in der Presse genannte erste Möglichkeit von 380 Atomkraftwerken im Jahre 2030 ad absurdum führen, sondern die zweite Möglichkeit mit 120 Kernkraftwerken der Größenordnung von Biblis. Das würde bedeuten, daß wir alle 40 Kilometer im Quadrat in deutschen Landen ein solches Monstrum stehen hätten, außerdem die stillgelegten Ruinen, Wiederaufbereitungsanlagen und Zwischenlager.Aber das ist noch gar nicht das Entscheidende. Zu jedem Großkraftwerk gehört doch eine geballte Ladung neuer Fabriken; abgesehen davon, daß die Kühlwasserkapazitäten aller deutschen Flüsse gar nicht ausreichen würden. Die klimatischen Folgen der Abwärme wären gar nicht zu verkraften.Die noch entscheidendere Frage einer solchen Totalindustrialisierung der kleinen Bundesrepublik ist aber der damit verbundene Landverbrauch, worauf die Kollegin Hartenstein dankenswerterweise sehr deutlich hingewiesen hat. Laut den Ermittlungen für verschiedene Länder wächst die bebaute Fläche eines Landes im halben Ausmaß des Bruttosozialprodukts, was auch auf Seite 10 der Antwort für die Bundesrepublik Deutschland bestätigt wird. Das würde bedeuten, daß bei einer erfolgreichen Realisierung der wirtschaftlichen Ziele im Jahr 2030 die Fläche der Bundesrepublik Deutschland nicht mehr-zu 11,4% bebaut wäre, sondern zu 22,8%.Hier wird in erschreckender Weise deutlich, daß in allen Überlegungen der Politik der Zeitfaktor gänzlich fehlt. Die Antwort spricht zwar von der Wertminderung der Landschaft durch Zerschneiden und Zerstückelung, Verlärmung, Schadstoffbelastung sowie durch direkte Eingriffe in den Naturhaushalt, z. B. Entwässerung oder Beseitigung natürlicher Landschaftselemente — z. B. Oberflächenformen und Vegetationen —; sie spricht davon aber unter heutigen Aspekten, nicht unter dem Aspekt des Jahres 2030, erst recht nicht unter dem Aspekt des Jahres 2100, in dem die gesamte Bundesrepublik Deutschland nur noch aus betonierten Flächen bestünde.Z. B. auch das wahnwitzige Straßenbauprogramm läuft ja weiter. Schon bis 1990 sollen 3 000 km Autobahn und 2 000 km sonstige Bundesfernstraßen gebaut werden. Dabei besteht schon heute nur noch ein Fünftel der Bundesrepublik aus unzerschnittenen Lebensräumen für Pflanze, Tier und Mensch.In der Antwort wird allenthalben so getan, als sei der Umweltschutz bzw. das dafür zur Verfügung stehende Kapital die begrenzte Ressource. Die begrenzten Ressourcen dieses Landes und des Planeten sind vielmehr der fruchtbare Boden, das Wasser, die Luft, das Klima und die nicht nachwachsenden Bodenschätze. Zu diesen wirklich elementaren Fragen sind Bundesregierung und die drei Parteien hier noch gar nicht durchgestoßen. In dem Bericht steht zwar einleitend:Dabei wird es entscheidend darauf ankommen, das Verständnis dafür zu wecken, daß die konsequente Durchsetzung des Umweltschutzes vor dem Hintergrund knapper werdender Ressourcen in mancher Hinsicht ein Abgehen von eingefahrenen Verhaltensweisen erfordert. Dieser Prozeß des Umdenkens ist in weiten Teilen unserer Bevölkerung, vor allem in der jungen Generation, im Gange.Das ist sehr richtig; aber leider ist dieser Prozeß des Umdenkens bei der Bundesregierung und bei den hier vertretenen Parteien überhaupt noch nicht im Gange.
Es gibt in der Tat bereits Hunderttausende, vielleicht schon Millionen, die über die elementarsten Fragen des Lebens auf dieser Erde viel gründlicher nachgedacht haben als die alten Parteien. Soweit sich diese Menschen nun auch politisch artikulieren, wird ihnen in der Antwort eine — ich zitiere —„militante Ideologie zur Durchsetzung von nur partiellen Umweltinteressen und auch reinen Gruppeninteressen" unterstellt,
die angeblich die sozialen und ökonomischen Chancen anderer Bürger unberücksichtigt lassen.Ein so diffamierender Vorwurf kann nur von völligen Ignoranten vorgebracht werden.Der verstorbene Verfassungsrechtler Ernst Forsthoff hatte schon 1972 ausgeführt, daß die bisherige Entwicklung der Industriegesellschaft immer noch von „mächtigen organisierten Interessen" vorangetrieben werden.
Er sagte: „Auf der anderen Seite steht kein organisiertes Interesse, keine religiöse, weltanschauliche oder sonstige formierte soziale Gruppe, sondern das schlichte Interesse von jedermann."
So ist es, genauso. Hier geht es um die Zukunft, ja, um das Überleben von jedermann. Es sind gerade die Verantwortungsbereiten und die Uneigennützigen, die sich hier zusammentun. Daran wird keine Diffamierung etwas ändern.Die Politiker, die heute in allen Industrieländern den Kurs bestimmen, sehen die Umwelt immer noch als eine kleine Unterabteilung der Politik, manche sogar als Unterabteilung der Wirtschaft. Dies verraten in der Antwort auch folgende zwei Sätze:Umweltpolitik ist eine Langfristpolitik, die aufRessourcenschonung und damit auf langfristigeSicherung der Existenzgrundlagen auch der
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Dr. GruhlWirtschaft gerichtet ist. Ebenso ist eine leistungsfähige Volkswirtschaft eine notwendige Bedingung für eine wirksame Umweltpolitik.Mit dem letzten Satz wird unsere Welt auf den Kopf gestellt: Nicht die biologischen Lebensvoraussetzungen sind das Primäre, sondern die Ökonomie samt ihrem Wachstumswahn.Für die natürliche Umwelt wird dann etwas Kapital abgezweigt. Das sind ganze 1,4 % des Bruttosozialprodukts. Und da ist man noch stolz und meint, daß dies sehr viel sei.Entscheidend ist leider immer noch die ökonomische Bilanz, nicht etwa der echte Nutzen für das Lebewesen Mensch und für seine elementaren Bedürfnisse, die auch geistige und psychische sind. Die Wirtschaft arbeitet längst mit der Grenznutzenrechnung. Was wir heute brauchen, ist eine Grenznutzenrechnung für den Menschen. Doch dies ist das Erstaunliche an der heutigen Zeit. Nach dem Nutzen für den Menschen, um dessentwillen angeblich alles geschieht, fragt kein Mensch. Ihm kann die Produktion ruhig schaden, wenn sie dem Hersteller nur Gewinn und insgesamt eine Erhöhung des Bruttosozialprodukts bringt, was für den Staat auch immer erhöhte Steuereinnahmen bedeutet. Die Entwicklung unseres Wirtschaftssystems wird längst nicht mehr durch die Frage: „Was ist gut für den Menschen?" bestimmt, sondern durch die Frage: „Was ist gut für das Wachstum der Wirtschaft?". Daß diese Steigerungen noch das Wohl der Menschen fördern, ist ein meist völlig unbegründeter Glaubenssatz. — Hier scheint die Zeitangabe nicht zu funktionieren. Mich würde interessieren, wieviel Redezeit mir noch zur Verfügung steht.
Noch drei Minuten und 18 Sekunden.
Danke. Das ist eine exakte Angabe.
Für den heutigen Wachstumswahn scheint es immer noch so etwas wie „genug" nicht zu geben. Die jetzige Politik besteht aus dem Versuch, eine geistige Lücke mit materiellen Gütern und technischen Raffinessen auszufüllen. In der traditionellen religiösen Auffassung gab es so etwas wie ein materielles „Genug". Jenseits dieses — zugegebenermaßen unbestimmten und historisch schwankenden — Betrages waren die Ziele des Lebens: Weisheit, Freude, Kultivierung des Gemüts und der Seele sowie des Gemeinschaftslebens.
Es ist schwerlich eine Philosophie oder Religion auf die Dauer denkbar, in der das ständige Wachstum der Wirtschaft und des Pro-Kopf-Verbrauchs das letztendliche Ziel ist. Wir brauchen eine Ökonomie, die nicht vom fortgesetzten Wachstum abhängt.
Ich schließe mit einem Zitat des großen britischen Historikers Arnold Toynbee, der 1972 schrieb:
Mehr und mehr Leute beginnen zu begreifen, daß die Zunahme des materiellen Reichtums, welche die britische industrielle Revolution in Gang setzte, und welche die moderne in Britannien geborene Ideologie als das überragende menschheitsgemäße Ziel dargeboten hat, in Wahrheit nicht der Zug der Zukunft sein kann. Die Natur ist im Begriff, die Nachwelt zu zwingen, zu einem Gleichgewichtszustand in der materiellen Planung zurückzukehren und sich dem Reich des Geistes zuzuwenden, um des Menschen Hunger nach Unendlichkeit zu befriedigen.
So weit Toynbee.
All diese Erkenntnisse sind bisher noch in keiner Weise in die Politik eingegangen, und das ist die Katastrophe.
Ich weiß, daß ich für meine Ausführungen keinen Beifall bekomme.
— Es soll aber in künftigen Jahren, Herr Volmer, wenigstens im Protokoll nachzulesen sein, was hier einer — leider, leider nur einer — vorgetragen hat.
Als nächster Redner hat der Abgeordnete von Geldern das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Am 21. März 1979 hat meine Fraktion den Antrag über Maßnahmen zur Verhinderung von Tankerunfällen und zur Bekämpfung von Ölverschmutzungen der Meere und Küsten im Bundestag eingebracht. Am 21. Juni 1979 fand darüber die erste Aussprache hier im Plenum statt. Nach Beratungen im Innenausschuß, im Wirtschaftsausschuß und im Haushaltsausschuß hat der federführende Verkehrsausschuß diesen Antrag am 27. Februar 1980 fast unverändert und einstimmig angenommen.Wenn wir nun heute um die Zustimmung des Hauses für die Beschlußempfehlung des Verkehrsauschusses bitten, so geschieht dies unter ausdrücklicher Würdigung der Tatsache, daß inzwischen zwei mit dem Antrag verbundene Ziele bereits erreicht sind: nämlich erstens ein Lernprozeß in den Reihen der Regierungskoalition, die noch vor Jahresfrist zum Beispiel geglaubt hatte, vor nationalen Maßnahmen zur Verbesserung des Schutzes unserer Küsten und des Meeres warnen zu sollen und uns ganz auf die internationalen Bemühungen verwiesen hat, und die uns bis in die Ausschußberatungen hinein weismachen wollte, unsere Vorschläge seinen sämtlich überflüssig, nicht originell, verbaler Aktivismus, die Regierung täte bereits alles Menschenmögliche usw., die also in einer Abwehrhaltung befangen war, vpn der sie jedenfalls am Schluß der Ausschußberatungen erfreulicherweise Abstand genommen hatte, obwohl ich jetzt hinzufügen muß, daß mir das, was der Kollege Zumpfort hier heute gesagt hat, doch wie ein Rückfall in die frühere Haltung erscheint. Herr Kollege Zumpfort, ich glaube, die Realität draußen widerlegt Sie deutlich genug. Unser Maßnahmenprogramm, das hier heute
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17202 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 214. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. April 1980
Dr. von Geldernabschließend beraten werden soll, hat sich als notwendiger denn je erwiesen.
Ihre Zahlen waren leider furchtbar alt und sind mit der schlimmen Entwicklung nicht mitgekommen. Sie haben Zahlen von 1975 genannt. Wurde noch 1977 — das sind Zahlen, die zwei Jahre frischer sind als Ihre — die durch Tankerunfälle ins Meer gelangte Ölmenge auf 100 000 bis 150 000 t geschätzt, so lag sie bereits zwei Jahre später — und wir haben die Zahlen von 1979 — bei dem Vier- bis Fünffachen, bei weit über einer halben Million Tonnen Öl. Das sind die Zahlen, von denen wir heute ausgehen müssen.Zweimal stand die deutsche Nordseeküste am Rande einer Ölkatastrophe, einmal, als am 8. August 1979 die mit 200 000 t 01 beladene „Andros Titan" im Bereich der Wesermündung von einem Frachter gerammt wurde, und zum zweiten, als am 23. November 1979 ein indonesischer Frachter den mit 34 700 t Gasöl beladenen norwegischen Tanker „Hitra" nördlich des Weserfeuerschiffs leck schlug, wobei zum Glück „nur" 2 000 t 01 ausliefen. Nach dem, was Sie hier heute gesagt haben, Herr Zumpfort, könnte man meinen, daß Sie nicht an der Küste wohnten, sondern irgendwo weit entfernt; denn dies ist doch gerade erst passiert.DaB wir nach der englischen Kanalküste und der westspanischen Küste, nach Norwegen, der Bretagne und Irland, nach Mexiko und Griechenland eines Tages selbst betroffen sein könnten, ist unsere große Befürchtung.
— An dieser Stelle gern. Bitte schön.
Herr von Geldern, Sie wissen selber, daß ich Zahlen zitiert habe, die nicht von mir stammen, sondern vom Vorstandsvorsitzenden des Verbandes Deutscher Reeder, aus denen hervorgeht, daß die Reeder selber, die Schiffahrt selber alle nach ihrer Sicht erdenklichen Maßnahmen getroffen haben, z. B. durch die freiwillige Einführung eines Einbahnverkehrs, um solche Dinge — —
Herr Kollege Zumpfort, ich bitte, keine Feststellungen zu treffen, sondern eine kurze Frage zu stellen.
Ja.
Die Frage ist also die, ob er mit seiner Feststellung nicht den Eindruck erzeugen will, daß die Schiffahrt und die Reeder gar nichts getan hätten und die Situation so wie in der Vergangenheit sei.
Herr Kollege Zumpfort, Sie haben das Recht, sich noch zu Wort zu melden. Aber bitte nicht eine Frage in eine Rede umfunktionieren!
Also bitte ich den Herrn von Geldern, eine Antwort auf die Frage zu geben, ob er die Anstrengungen der deutschen Schiffahrt und der Reedereien nicht kennt oder ob er sie nicht zur Kenntnis nehmen will.
Herr Zumpfort, was ich Ihnen vorhin gesagt habe, war, daß die Zahlen über die Unglücksfälle und über die Bedrohung durch Tankerunglücke, die Sie genannt haben, veraltet sind. Diese Zahlen bleiben auch dann veraltet, wenn Sie sie von anderer Seite bezogen haben. Was Sie eben dazu ausgeführt haben, trifft die Sache in gar keiner Weise.
Meine Damen und Herren, es gibt eine Zeitungsdarstellung aus der „Frankfurter Rundschau", die ich Ihnen kurz vortragen möchte — das sind wenigeWorte —:Tankerunglücke, bei denen das Meer verseucht wird, Besatzungen ums Leben kommen und Fischerei und Tourismus der Anliegerstaaten stark gefährdet werden, scheinen bei uns niemanden groß zu stören, solange sie sich nur weit genug entfernt ereignen.Was Herr Kollege Wehner eben sagte, man solle das doch lieber an der Küste behandeln, spricht ein bißchen dafür, daß diese Aussage der „Frankfurter Rundschau, auf ihn jedenfalls, zutrifft.Ich bin der Meinung, wir können es nicht auf uns sitzen lassen, daß diese Aussage eine Berechtigung hat. Deshalb findet hier heute diese Debatte statt — und hat auch ihren guten Sinn. Wir müssen das Unsere dafür tun, die Bundesregierung und alle Verantwortlichen aufzufordern, daß keine Maßnahmen der Vorsorge, die möglich ist, versäumt wird, um einen solchen Unglücksfall von der deutschen Küste fernzuhalten.
Dabei bleiben wir uns über die Tatsache im klaren, daß alle unsere Bemühungen dennoch nicht zu einer perfekten Sicherheit führen werden. Wir sind uns bewußt, daß nationale Maßnahmen allein nicht ausreichen.Wir wissen — das entsetzliche Bohrinselunglück von Norwegen hat das erneut deutlich gemacht —, daß Meerestechnik mit besonderen Risiken behaftet ist. Wir müssen aber zugleich unmißverständlich deutlich machen, daß weder finanzielle Bedenken angesichts der ungeheuren auch finanziellen Schäden, die drohen, noch Kompetenz-, d. h. Zuständigkeitsrangeleien, Argumente gegen wirksame Maßnahmen aller Art sein dürften. Über 100 Millionen t Cl werden Jahr für Jahr durch die flachen deutschen Küstengewässer der Nordsee mit ihren Gezeitenschwankungen und engen Flußmündungen transportiert. Nirgends hätte eine Ölpest katastrophalere ökonomische und ökologische Folgen als in unserem Wattenmeerbereich. Daß bis zur Stunde an der deutschen Küste zur Bekämpfung einer Ölpest
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Dr. von Geldernlediglich ein einziges kleines Spezialschiff, der Katamaran USK 1, den sich die Arbeitsgruppe „Schutz der Küste" der CDU/CSU-Bundestagsfraktion vor drei Tagen noch einmal in Cuxhaven angesehen hat, zur Verfügung steht — ein Schiff, das ganze 40 t 01 pro Stunde unter optimalen Bedingungen aufsaugen kann; bei schlechteren Bedingungen sinkt die Leistung sofort rapide ab —, das also für einen 100 000-tGroßtanker ein ganzes Jahr lang im Einsatz sein müßte, ist eine Schande. Daß die durchaus bewährte norwegische Ölsperre lediglich in einer Länge von 600 m verfügbar ist, ebenfalls. Die deutsche Küste ist — an dieser Feststellung kommen wir alle zur Zeit nicht vorbei — für den Ernstfall nicht gerüstet. Das ist auch die Feststellung nach der Übung vom November 1979 des Ölunfallausschusses, den der Bund und die vier Küstenländer gebildet haben. Es ist unverantwortlich, davon auszugehen, daß ein solcher Ernstfall nicht eintreten kann. Deshalb sprechen wir heute über dieses Maßnahmenprogramm.Meine Damen und Herren, in Anbetracht der fortgeschrittenen Zeit und der berechtigten Erwartung, daß unsere nun schon fast sechsstündige Umweltschutzdebatte zu Ende geht, möchte ich darauf verzichten, die einzelnen Punkte unseres Antrages ein weiteres Mal zu erläutern. Die Beratungen im Juni vorigen Jahres hier im Plenum und auch die langwierigen Ausschußberatungen haben unsere einzelnen Vorschläge bestätigt. Als sinnvolle und wichtige Vorschläge sind sie deutlich geworden, und dadurch ist dieses einstimmige Votum des Verkehrsausschusses zustandegekommen. Ich möchte deshalb diesen Maßnahmen zu dieser Zeit keine weitere Aufmerksamkeit mehr widmen, obwohl sich noch einiges zur Ergänzung sagen ließe. Lassen Sie mich bitte nur feststellen, daß wir eine relativ kurze Frist für die Berichtspflicht der Bundesregierung vorschlagen. Sie soll ihren ersten Bericht bereits bis zum 31. Dezember dieses Jahres vorlegen. Darüber hinaus erwarten wir, daß die Bundesregierung uns, d. h. den Deutschen Bundestag, kontinuierlich über die Entwicklungen auf diesem Gebiet, auch über ihre Überlegungen in Zukunft und vor allem über ihre praktischen Taten auf dem laufenden hält, denn es geht letztlich nicht nur darum, Untersuchungen anzustellen, sondern darum, endlich zu wirksamen Maßnahmen zu kommen.Lassen Sie mich bitte zum Schluß nur noch zwei Stimmen zitieren, die außerhalb der Politik und auch außerhalb der Tagespublizistik zu diesem Thema laut geworden sind. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft hat kürzlich erklärt, „daß es in der Bundesrepublik Deutschland keine ständige Institution zur Erforschung der Meeresverschmutzung, sondern nur kurzfristige Forschungsvorhaben gibt". Dies muß geändert werden. Zweitens: Die Bezirke Niedersachsen und Nordmark des Deutschen Gewerkschaftsbundes sprechen in ihrem bemerkenswerten Küstenstrukturprogramm — in dem sie übrigens auch feststellen: „Die gesamte Nordseeküste wäre einer Katastrophe, die durch einen schweren Tankerunfall auftreten kann, hilflos ausgeliefert.' — einige zusätzliche Punkte an, die von der Überprüfungs- und Berichtspflicht der Bundesregierung, wie wir sie in unserem Antrag erwähnt haben, mit umfaßt werden sollten. Diese Punkte in dem Programm des DGB möchte ich hier noch einmal nennen: jährliche Großübung von Katastrophenschutzmaßnahmen für Öltanker, Ausbau der objektbezogenen Verkehrsberatung und der raumbezogenen Verkehrslenkung — da stellt sich die Frage der 12-Seemeilen-Hoheitszone —, Pflichtausrüstung aller Öltanker mit Radar, ausreichende Besetzung der Lotsenstationen mit in der Beratung ausgebildeten Lotsen und schließlich eine europäische Zusammenarbeit im gesamten Bereich vom Eingang des englischen Kanals bis an die Nordseeküste.Wir sprechen heute über Ölverschmutzung und Tankerunfälle. Meeresumweltschutz ist mehr; insofern hat Herr Zumpfort etwas Richtiges, aber auch allgemein Bekanntes angesprochen. Die großen Städte an der Küste, allen voran Hamburg und Bremen, leisten sich bis heute unglaubliche Meeresumweltverschmutzungen durch ihre unzureichenden Kläranlagen und Verklappung der Abfälle auf See. Auch dies muß geändert werden. Elbe und Weser, um nur von diesen Flüssen zu sprechen — das kam auch in dem, was der Bundesinnenminister heute gesagt hat, ein wenig zu kurz —, sind extrem belastete Flüsse. Ihre scheußlichen Frachten ergießen sich Tag für Tag, Stunde um Stunde ins Meer. Dabei erweist sich — und das hat der Bundesinnenminister hier nicht gesagt — die DDR als Hauptumweltverschmutzer, wenn sie rücksichtslos und vertragswidrig ihre Kaliendlauge in Werra und Weser und ihre Ammoniakabwässer in die Elbe fließen läßt.
Dies muß in den innerdeutschen Gesprächen mit Vorrang behandelt werden und mit dem Ziel, keine aufwendigen Abwasserpipelines zu bauen — mit Milliardenkosten —, sondern dort, wo die Abfälle anfallen, in den Bergwerken und Industriebetrieben selbst, die notwendigen Umweltschutzmaßnahmen zu treffen.Verantwortungsbewußte Reeder und aufmerksame Schiffsbesatzungen möchte ich von dieser Stelle aus ermuntern,' im Alltag des Schiffsbetriebs wachsam zu bleiben und das ihnen Mögliche zu tun. Auch das gehört dazu. Das Meer ist die Chance der Küste, und Wasser bedeutet Leben. Daran müssen wir denken.
Das Wort hat der Abgeordnete Paterna.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe zu der Beschlußempfehlung zu sprechen. Nur haben Sie keine Sorge, ich werde das sehr kurz machen. Sie werden es mir nachsehen, wenn ich auf jedes Pathos verzichte. Sie werden es mir nachsehen, wenn ich feststelle, daß es nicht angezeigt ist, den Deutschen Bundestag, egal wie stark er besetzt ist, zu einem Fachausschuß umzufunktionieren. Diejenigen, die sich zu diesem Thema engagieren, beraten darüber verstärkt seit mehr als zwei Jahren. Der Kollege von Geldern ist ein einziges Mal während der zwei Jahre in dem zuständigen Verkehrsausschuß gewe-
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Paternasen. Ich habe ihm dann angeboten, ihm doch einmal vorzutragen, was in diesen zwei Jahren alles von der Bundesregierung auf Anregung und im Zusammenwirken mit den Koalitionsfraktionen national wie international geschehen ist. Ich habe ihm allerdings gesagt, das würde etwa eine halbe Stunde dauern, er müsse sich dann schon die Mühe machen, sich ein bißchen mit Einzelheiten vertraut zu machen. Die Zeit hatte er offenbar nicht.
Das geht so ein bißchen nach der Methode: Man muß erst ein paar Nebelkerzen werfen, um dann nachher das Nebelhorn tuten zu können.
— Ich kann Ihnen nur in aller Ruhe sagen: Lesen Sie die Antwort der Bundesregierung auf Ihre erste Anfrage — sie war vom 11. Mai 1978 — nach! Sie haben bis heute nicht deutlich gemacht, daß Sie in irgendeinem Punkte Anlaß haben, mit dieser Antwort unzufrieden zu sein. Lesen Sie die Antwort der Bundesregierung auf Ihre zweite Anfrage zu einem ähnlichen Thema vom 8. Januar 1979 nach! Sie haben wiederum keinen Anlaß gehabt, hieran Anstoß zu nehmen.Sie schreiben ja gelegentlich selber in Ihren Anfragen Beschlüsse, Anregungen und Empfehlungen des Europäischen Parlaments ab. Das stellt man fest, wenn man das einmal nachliest. Es wäre fairer, Sie würden gelegentlich auch einmal die Quelle angeben. Nur verschweigen Sie dann, daß wesentliche Teile an den Stellen, wo wir in der Sache übereinstimmen, wiederum auf Anregung und Initiative der Bundesrepublik passiert sind. Sie verkleistern mit Ihren Anfragen, deren Berechtigung ich hier gar nicht bestreiten will, vor allen Dingen, daß am Anfang der verstärkten Bemühungen — selbstverständlich mitbefördert durch das sehr starke öffentliche Interesse, hervorgerufen durch spektakuläre Tankerunfälle — ein sehr umfangreicher Forderungskatalog der SPD-Bundestagsfraktion zu diesem Gesamtkomplex gestanden hat. Er hat in ein Memorandum der Bundesregierung aus dem Jahre 1978, genau aus dem April, Eingang gefunden. Bei aller Berechtigung, bei aller Ungeduld zu einem wichtigen Thema kann man doch Parlamentarismus nicht so betreiben, daß Sie ständig etwas anfragen, ständig Antworten bekommen, die Antworten nicht zu Kenntnis nehmen und dann erneut hier große Töne reden. Nehmen Sie doch bitte einmal zur Kenntnis, — —
— Selbstverständlich haben wir dieser Beschlußempfehlung zugestimmt.
Die Antworten können wir zum Teil in der Tendenz absehen. Wir werden zu einigen Punkten gesagt bekommen, das sei international nicht durchsetzbar. Wir werden Ende des Jahres zu einigen Punkten genauer begründet bekommen, daß die technischen Voraussetzungen noch nicht vorhanden sind. Aber es ist doch klar gewesen, Herr Kollege von Geldern— geben Sie dies doch bitte zu —, daß die Beratungen im Verkehrsausschuß keinerlei Anhaltspunkte dafür gegeben haben, daß der gegenwärtige, zugegebenermaßen nicht in jedem Punkt befriedigende Zustand
auf schuldhaftes Versäumnis etwa der Bundesregierung zurückzuführen ist.Verkleistern Sie doch auch nicht die Tatsache, daß für eine ganze Reihe von Fragen, gerade was Küstenschutz und Ölbekämpfung anlangt, die Bundesländer zuständig sind. Die kommen bei Ihnen überhaupt nicht vor.Bei den internationalen Problemen greifen Sie sich selektiv, weil das ein bißchen besser in Ihr Weltbild paßt, ein Land östlich der Bundesrepublik heraus. Das sind alles so selektive Methoden, die — das bedauere ich ausdrücklich — eine ruhige, sachliche und auf vielen Übereinstimmungen begründete Debatte leider unmöglich machen. Das ist der Sache einfach nicht angemessen.
Es ist richtig, daß wir für die Ölbekämpfung heute keine befriedigenden Hilfsmittel haben. Aber es ist nicht richtig, den Eindruck zu erwecken, als liege das daran, daß die Bundesregierung hierfür etwa nicht genügend Forschungsmittel bereitgestellt hätte. Die Bundesregierung hat mehrfach deutlich gemacht, welche Forschungsmittel für welche Projekte zur Verfügung stehen. Es ist von keiner Seite klar geworden, auch nicht von der Industrie, daß hier mehr Geld rascher zu mehr Sicherheit führen würde. Die Bundesregierung hat erklärt, sie habe in den nächsten Jahren eine Fülle von Projekten im Auge, die sie bei hinreichender Produktionsreife auch zu fördern bereit sei. Sie hat im Verkehrsausschuß angedeutet, sie könne schon zum heutigen Zeitpunkt sehr klar präzise Ausführungen machen. Wir haben im Verkehrsausschuß ausdrücklich darauf verzichtet, daß uns das schon jetzt aufgeführt wird. Wir haben statt dessen gesagt, die Bundesregierung solle das bis zum Ende des Jahres tun. Ich füge hinzu, wenn das schon zwei, drei Monate eher im Spätherbst sein kann, soll es uns recht sein.Alles was in den Fachausschuß gehört, von black box über keel clearance und die Frage, bis wann Lotsenannahmepflicht, an welchen Stellen Radarüberwachung und was dergleichen mehr an Wichtigem ist, will ich Ihnen jetzt nicht alles vortragen. Das ist wohl nicht der richtige Ort und nicht die richtige Zeit.Ich will zur Abkürzung der Debatte nur noch einmal auf zwei Punkte zusammenfassend hinweisen. Die bisherigen Aktivitäten verdienen die Anerkennung aller Fraktionen. Ich stelle ergänzend fest:Erstens. Die Beschlußempfehlung des Verkehrsausschusses geht dahin, die Bundesregierung aufzufordern, bis zum Ende dieses Jahres einen Bericht zu den angesprochenen Forderungen und Maßnahmen vorzulegen. Die SPD-Fraktion stimmt dieser Beschlußempfehlung zu.Zweitens. Beim Wattenmeer an unserer Küste handelt es sich um eines der letzten großflächigen
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PaternaNaturgebiete. Es hat eine große Attraktion für den Tourismus, erhebliche Bedeutung für die Fischerei und ist lebenswichtig für viele Vogelarten. Wer wie wir die Gefährdung dieses Ökosystems Wattenmeer abbauen will — ich hoffe, wir sind uns darin einig —, darf sich nicht einseitig auf die Verhinderung von Tankerunfällen und die Bekämpfung von Unfallursachen konzentrieren. Wir werden weiterhin genauso große Aufmerksamkeit — auch darauf ist hingewiesen worden — den Umweltverschmutzungen widmen müssen, die heute noch durch den ,,normalen" Schiffsbetrieb verursacht werden. Wir werden außerdem kritisch zu prüfen haben, wie die Einleitung von Schadstoffen ins Meer vom Lande aus rascher als bisher eingedämmt werden kann. In diesem Punkt sind wir uns einig, Herr Kollege von Geldern. Schließlich bedarf es der engeren Zusammenarbeit der für viele Aufgaben zuständigen Bundesländer an der Küste mit der Bundesregierung und den Nordseeanliegerstaaten, insbesondere mit den Niederlanden und Dänemark, bei Maßnahmen des Küstenschutzes, der Industrieansiedlung und des Fremdenverkehrs, aber auch der umweltbewußteren Zusammenarbeit mit den Ländern an den Oberläufen der Flüsse. Darüber ist ja vorhin einiges gesagt worden, und Sachverständige könnten Ihnen sagen, daß der Schiet und Dreck, der von den Oberläufen der Flüsse kommt, nicht nur etwa über den Rhein bei den Holländern, sondern dann auch an der deutschen Küste landet. Also Zusammenarbeit auch mit diesen küstenfernen Bundesländern, wenn wir die Meeresumwelt und die Ökosysteme an unseren Küsten besser schützen wollen. Die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen sind dazu bereit.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Ich schließe die Aussprache.Ich rufe den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD und der FDP auf Drucksache 8/3947 zu Tagesordnungspunkt 8 a auf, Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Konrad, Frau Dr. Hartenstein, Schäfer und weiterer Abgeordneter der Fraktion der SPD und der FDP betreffend Umweltpolitik. Ich frage, ob das Wort zur Begründung gewünscht wird. — Das Wort wird nicht gewünscht. Es ist vorgeschlagen, den Entschließungsantrag der Fraktionen der SPD und der FDP auf Drucksache 8/3947 zu überweisen: zur federführenden Beratung an den Innenausschuß, zur Mitberatung an den Rechtsausschuß, an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, an den Ausschuß für Wirtschaft, an den Ausschuß für Familie, Jugend und Gesundheit und an den Ausschuß für Forschung und Technologie. Ist das Haus mit dieser Überweisung einverstanden? — Ich sehe keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.Wir kommen zur Abstimmung über Tagesordnungspunkt 8 b. Der Ältestenrat schlägt vor, den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Abfallbeseitigungsgesetzes auf Drucksache 8/3887 an die in derTagesordnung bezeichneten Ausschüsse zu überweisen. Ist das Haus damit einverstanden? — Ich sehe keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen, Tagesordnungspunkt 8 c. Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 8/3727 die Annahme einer Entschließung. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer wünscht dagegen zu stimmen?— Enthaltungen? — Die Beschlußempfehlung des Ausschusses ist angenommen.Wir stimmen jetzt über den Antrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 8/3936 — Umweltvorsorge — ab. Was wird von seiten der Antragsteller beantragt, Abstimmung in der Sache oder Ausschußüberweisung?
— Es wird vorgeschlagen, den Antrag der Fraktion der CDU/CSU auf der Drucksache 8/3936 zur federführenden Beratung an den Innenausschuß, zur Mitberatung an den Rechtsausschuß, den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, an den Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit, an den Ausschuß für Wirtschaft und an den Ausschuß für Forschung und Technologie zu überweisen. Ist das Haus mit dieser Überweisung einverstanden? — Gibt es Gegenstimmen ? — Enthaltungen? — Es ist so beschlossen.Ich rufe die Tagesordnungspunkte 9 bis 14 auf:9. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 17. Juni 1977 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Norwegen über die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen und anderer Schuldtitel in Zivil- und Handelssachen— Drucksache 8/3864 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Rechtsausschuß10. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ausführung des Vertrages vom 17. Juni 1977 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Norwegen über die gegenseitige Anerkennung und Vollstrekkung gerichtlicher Entscheidungen und anderer Schuldtitel in Zivil- und Handelssachen— Drucksache 8/3865 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Rechtsausschuß11. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 20. Juli 1977 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Staat Israel über die gegenseitige Anerkennung
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Vizepräsident Leberund Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen— Drucksache 8/3866 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Rechtsausschuß12. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ausführung des Vertrages vom 20. Juli 1977 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Staat Israel über die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen— Drucksache 8/3867 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Rechtsausschuß13. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu der in Genf am 13. Mai 1977 unterzeichneten Fassung des Abkommens von Nizza über die internationale Klassifikation von Waren und Dienstleistungen für die Eintragung von Marken— Drucksache 8/3886 — Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:Rechtsausschuß Ausschuß für Wirtschaft14. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Siebzehnten Gesetzes zur Änderung des Zollgesetzes
— Drucksache 8/3870 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:Finanzausschuß
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und ForstenEs handelt sich um von der Bundesregierung vorgelegte Gesetzentwürfe zur Ersten Beratung. Wird das Wort dazu gewünscht? — Ich sehe, das Wort wird nicht gewünscht. Der Ältestenrat schlägt die Überweisung der Gesetzentwürfe auf den Drucksachen 8/3864, 8/3865, 8/3866, 8/3867, 8/3886 und 8/ 3870 an die Ausschüsse vor. Die Überweisungsvorschläge des Ältestenrates ersehen Sie aus der Tagesordnung. Ist das Haus mit dieser Überweisung einverstanden? — Ich sehe keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.Ich rufe Tagesordnungspunkt 15 auf:Beratung der Sammelübersicht 65 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen— Drucksache 8/3897 —Das Wort dazu wird nicht gewünscht. Wir kommen zur Abstimmung. Ich frage, wer der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses auf Drucksache 8/3897, die in der Sammelübersicht 65 enthaltenen Anträge anzunehmen, zustimmt. — Gegenstimmen? — Enthaltungen? — Die Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ist angenommen.Ich rufe die Tagesordnungspunkte 16 und 17 ,auf:16. Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu der Unterrichtung durch den Bundesminister der FinanzenÜberplanmäßige Ausgabe bei Kap. 25 02 Tit. 882 02 — Prämien nach dem Wohnungsbauprämiengesetz— Drucksachen 8/3516, 8/3839 —Berichterstatterin: Abgeordnete Frau Traupe17. Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu der Unterrichtung durch den Bundesminister der FinanzenÜberplanmäßige Ausgabe bei Kap. 60 06 Tit. 686 18 — Beitrag zum Europäischen Ausrichtungs- und Garantiefonds für die Landwirtschaft — Abt. Ausrichtung — zur Abwicklung des Rückvergütungsverfahrens —— Drucksachen 8/3513, 8/3840 —Berichterstatter: Abgeordneter SimpfendörferWünscht einer der Berichterstatter das Wort? — Das ist nicht der Fall. Das Wort wird auch anderweitig nicht gewünscht.Der Ausschuß empfiehlt auf den Drucksachen 8/3839 und 8/3840, von den Unterrichtungen durch den Herrn Bundesminister der Finanzen auf den Drucksachen 8/3516 und 8/3513 Kenntnis zu nehmen. — Ich stelle fest, das Haus erhebt keinen Widerspruch; es ist demgemäß einverstanden mit diesem Verfahren.Meine Damen und Herren, wir sind damit am Schluß unserer heutigen Tagesordnung angelangt. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 25. April 1980, 8.30 Uhr ein.Die Sitzung ist geschlossen.