Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.
Meine Damen und Herren, Ihnen liegt eine Liste von Vorlagen vor, die keiner Beschlußfassung bedürfen und nach § 76 Abs. 2 der Geschäftsordnung den zuständigen Ausschüssen überwiesen werden sollen:
Betr.: Verminderung von Luftverunreinigungen durch Bleiverbindungen in Ottokraftstoffen für Kraftfahrzeugmotore
Bezug: Beschluß des Deutschen Bundestages vom 24. Juni 1971
— Drucksache VI /2702 —zuständig: Innenausschuß
Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit
Betr.: Bundesinstitut für Sportwissenschaft
Bezug: Beschluß des Deutschen Bundestages vom 6. Mai 1970
— Drucksache VI /2728 —
zuständig: Sonderausschuß für Sport und Olympische Spiele
Betr.: Halbjahresberichte der Bundesregierung über die Tätigkeit des Europarats und der Westeuropäischen Union
Bezug: Beschlüsse des Deutschen Bundestages vom 22. Februar und 28. April 1967
— Drucksache VI/ 2773 —
zuständig: Auswärtiger Ausschuß
Betr.: Übereinkommen und Empfehlungen der Internationalen Arbeitsorganisation auf ihrer 54. Tagung im Juni 1970
— Drucksache VI 2639 —
zuständig: Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit
Betr.: Entschließungen der 59. Jahreskonferenz der Interparlamentarischen Union
— Drucksache VI /2679 —
zuständig: Auswärtiger Ausschuß
Erhebt sich gegen die beabsichtigte Überweisung Widerspruch? — Das ist nicht der Fall; dann ist die Überweisung beschlossen.
Die folgenden amtlichen Mitteilungen werden ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:
Gemäß § 6 Abs. 2 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht rückt für die Abgeordnete Frau Dr. Diemer-Nicolaus, die ihr Mandat im Wahlmännerausschuß niedergelegt hat, der Abgeordnete Dürr aus der Reihe der nicht mehr Gewählten als Mitglied im Wahlmännerausschuß nach.
Der Bundesrat hat in seiner Sitzung am 22. Oktober 1971 den nachfolgenden Gesetzen zugestimmt bzw. einen Antrag gemäß Artikel 77 Abs. 2 GG nicht gestellt:
Gesetz zur Verbesserung des Mietrechts und zur Begrenzung des Mietanstiegs sowie zur Regelung von Ingenieur- und Architektenleistungen
Gesetz zur Änderung des Gesetzes über das Fahrlehrerwesen
Gesetz über die befristete Fortgeltung der Mitbestimmung in bisher den Mitbestimmungsgesetzen unterliegenden Unternehmen
Der Bundesrat hat in der gleichen Sitzung mit der Mehrheit seiner Stimmen beschlossen, gegen das vom Deutschen Bundestag am 20. Oktober 1971 verabschiedete
Gesetz über den Kündigungsschutz für Mietverhältnisse über Wohnraum
gemäß Artikel 77 Abs. 3 des Grundgesetzes Einspruch einzulegen. Sein Schreiben ist als Drucksache V1/2757 verteilt.
Der Bundeskanzler hat am 26. Oktober 1971 im Nachgang zu dem Entwurf eines Bundeshaushaltsgesetzes 1972 — Drucksache VI/ 2650 — den gemäß § 29 Abs. 3 der Bundeshaushaltsordnung unverändert dem Entwurf des Haushaltsplans beizufügenden
Voranschlag Einzelplan 19 — Bundesverfassungsgericht —,
über den kein Einvernehmen erzielt worden ist, übersandt. Der Voranschlag ist als Drucksache zu VI /2650 verteilt.
Gemäß § 6 Abs. 2 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht rückt der Abgeordnete Dr. Hauser für den Abgeordneten Benda, der sein Mandat im Wahlmännerausschuß niedergelegt hat, aus der Reihe der nicht mehr Gewählten als Mitglied im Wahlmännerausschuß nach.
Der Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit hat ans 20. Oktober 1971 die Kleine Anfrage des Abgeordneten Rollmann und der Fraktion der CDU/CSU betr. Zukunft des gesetzlichen Jugendschutzes — Drucksache VI /2592 — beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache VI /2760 verteilt.
Der Bundesminister für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen hat am 27. Oktober 1971 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Apel, Haar , Ollesch, Graaff und der Fraktionen der SPD, FDP — betr. Preisregelung im Spediteursammelgutverkehr — Drucksache VI /2692 — beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache VI /2774 verteilt.
Der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung hat am 29. Oktober 1971 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Klepsch, Ernesti, Stahlberg, Baron von Wrangel und der Fraktion der CDU/CSU betr. Beförderungsstau — Drucksache VI /2661 — beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache VI /2776 verteilt.
Der Bundeskanzler hat am 28. Oktober 1971 die vom Bundesrat in der Sitzung am 22. Oktober 1971 beschlossene Stellungnahme zum
Entwurf eines Dritten Gesetzes über die Anpassung der Leistungen des Bundesversorgungsgesetzes
sowie die Gegenäußerung der Bundesregierung zu dem Beschluß des Bundesrates übersandt, die als Drucksache zu VI /2649 verteilt ist.
Der Bundeskanzler hat am 29. Oktober 1971 die vom Bundesrat in der Sitzung am 22. Oktober 1971 beschlossene Stellungnahme zum
Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Bundeskindergeldgesetzes
sowie die Gegenäußerung der Bundesregierung zu dem Beschluß des Bundesrates übersandt, die als Drucksache zu VI/ 2643 verteilt sind.
Der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Finanzen hat am 28. Oktober 1971 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Rollmann, Frau Tübler, Bremer und Genossen betr. Bundeskartellamt gegen Fernostkonferenz — Drucksache VI /2636 — beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache VI /2777 verteilt.
Der Bundesminister des Innern hat am 29. Oktober 1971 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Strauß, Stücklen und Genossen betr. Gastarbeiterprogramme — Drucksache VI /2581 — beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache VI /2779 verteilt.
Der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Finanzen hat am 28. Oktober 1971 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Hauser , Dr. Fre-
Vizepräsident Dr. Jaeger
richs, Leicht, Muller , Dr. Böhme, Dr. Jenninger, Höcherl und Genossen betr. lohnsteuerliche Behandlung unentgeltlicher oder verbilligter Mahlzeiten im Betrieb — Drucksache VI /2694 — beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache VI /2780 verteilt.
Der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister des Auswärtigen hat am 22. Oktober 1971 die Kleine Anfrage des Abgeordneten Dr. Riedl und Genossen betr. sowjetische Lehrkräfte für Russisch an deutschen Schulen — Drucksache VI/ 2691 — beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache VI /2781 verteilt.
EG-Vorlagen
Der Präsident des Bundestages hat entsprechend dem Beschluß des Bundestages vom 25. Juni 1959 die nachstehenden Vorlagen überwiesen:
Verordnung des Rates zur Festsetzung des Schwellenpreises für Olivenöl für das Wirtschaftsjahr 1971/1972
— Drucksache VI /2732 —
überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Verordnung des Rates zur Festsetzung der monatlichen Zuschläge zum Marktrichtpreis, zum Interventionspreis und zum Schwellenpreis für Olivenöl für das Wirtschaftsjahr 1971/1972
— Drucksache VI /2733 —überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Verordnung des Rates über die Finanzierung von Interventionskosten auf dem Sektor Fischereierzeugnisse
— Drucksache VI/ 2734 —
überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Verordnung des Rates über die Eröffnung, Aufteilung und Verwaltung des Gemeinschaftszollkontingents für Grège, weder gedreht noch gezwirnt, der Tarifnr. 50.02 des Gemeinsamen Zolltarifs über die Eröffnung, Aufteilung und Verwaltung des Gemeinschaftszollkontingents für Garne, ganz aus Seide, nicht in Aufmachungen für den Einzelverkauf, der Tarifnr. ex 50.04 des Gemeinsamen Zolltarifs
über die Eröffnung, Aufteilung und Verwaltung des Gemeinschaftszollkontingents für Garne, ganz aus Schappeseide, nicht in Aufmachungen für den Einzelverkauf, der Tarifnr. ex 50.05 des Gemeinsamen Zolltarifs
— Drucksache VI/ 2735 —
überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Verordnung des Rates zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 671/71 zur Festsetzung der im Milchwirtschaftsjahr 1971/72 gültigen Beihilfen für Magermilch und Magermilchpulver, die für Futterzwecke verwendet werden
— Drucksache VI/ 2736 —
überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Verordnung des Rates zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 876/68 bezüglich der auf dem Sektor Milch und Milcherzeugnisse vorzunehmenden Berichtigungen der im voraus festgesetzten Erstattungen
— Drucksache V1/2739 —
überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Verordnung des Rates über die Beihilfe für Olivenöl
— Drucksache VI /2740 —
überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Verordnung des Rates zur Verlängerung des äußersten Termins für die Feststellung der Notierungen für geschlachtete Schweine nach dem gemeinschaftlichen Handelsklassenschema für Schweinehälften in Italien
Drucksache VI /2758 —überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Verordnung des Rates über Sondermaßnahmen zur Förderung der Seidenraupenzucht
— Drucksache VI /2759 —
überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft , Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Verordnung des Rates zur Änderung der Verordnung
Nr. 1171/71 hinsichtlich der völligen oder teilweisen
Befreiung von der Verpflichtung zur Destillation der Nebenerzeugnisse der Weinbereitung
— Drucksache VI/ 2763 -
überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Verordnung des Rates
zur Festsetzung des Grundpreises und des Ankaufspreises für Mandarinen
zur Festsetzung des Grundpreises und des Ankaufspreises für Süßorangen
— Drucksache VI /2772 —überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Wir kommen zu Punkt 2 der Tagesordnung:
Große Anfrage des Abgeordneten Dr. Schneider und der Fraktion der CDU/CSU
betr. Lage der Städte und Gemeinden — Drucksachen VI /2429, VI /2600 —
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Schneider .
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Die Lage der Städte und Gemeinden steht heute erstmals auf der Tagesordnung des Deutschen Bundestages und im Mittelpunkt einer großen Aussprache. Diesem Ereignis kommt höchster parlamentarischer Rang zu; denn die Lage unserer Städte und Gemeinden ist für den Gesamtstaat und jeden einzelnen Bürger von grundlegender und umfassender Bedeutung. Daß sich der Bundestag erstmals auf solch demonstrative und außerordentliche Weise mit der Lage der Städte und Gemeinden befaßt, geschieht nicht zufällig, entspringt nicht irgendeiner Laune der Opposition. Dieser Vorgang stellt vielmehr die Antwort auf die immer unerträglicher werdende Zuspitzung der Finanzlage — ich sage: der Finanznot unserer Gemeinden dar.Die deutschen Städte und Gemeinden haben Alarm geschlagen. Sie werden von immer neuen Aufgaben, zusätzlichen Belastungen, steigenden Löhnen und Kosten schier erdrückt. Die Haushalts-, Finanz-, Wirtschafts- und Konjunkturpolitik des Bundes, aufs engste verknüpft mit den Reformversprechungen der Bundesregierung, hat die Gemeinden in ein Finanzchaos gestürzt, wie vor wenigen Tagen der Personalreferent der Stadt München als Sprecher der kommunalen Arbeitgeberverbände in Bayern, Wüstendörfer, gesagt hat. Das Ausmaß der Finanznot ist noch nicht ganz zu übersehen, und dessen Gefährlichkeit für den inneren Frieden in unserem Lande nimmt mehr und mehr bedrohliche Formen an. Es wäre dabei nicht sachgerecht, sähe man nur die finanziellen und wirtschaftlichen Probleme. Man muß das Ganze sehen, den politischen Ort der Gemeinden und Städte. Immer noch gilt das, was der Deutsche Städtetag in seiner Hauptversammlung 1969 in Mannheim als Motto gewählt hat: Im Schnittpunkt unserer Welt — die Stadt. Die Stadt ist das Forum unserer Demokratie. Sie trägt den Fortschritt der Wirtschaft. Sie bestimmt das Klima der Kultur. Sie ist die Basis einer freien Gesellschaft. Die Stadt brauchen wir alle.
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 147. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 3. November 1971 8437
Dr. Schneider
Wo liegt nun der Ort der Gemeinden im Koordinatensystem der staatlichen Planung, in der Programmvielfalt der einzelnen Bundesgesetze? Lassen Sie mich hier nur folgende Problemkreise anführen: Raumordnung und Landesplanung, Strukturpolitik und Wirtschaftsförderung, Verkehrsverbesserungen und Bauleitplanung, Naturschutz und Landschaftspflege, Stadterneuerung, Stadtentwicklung, den weiten Bereich der Freizeitgestaltung und des Sports. Ich nenne den Umweltschutz und die riesige Finanzierungslast. Ich verweise darauf, daß es bei dieser Debatte nicht nur um Steuern gehen kann. Es geht vielmehr um Steuern, um Abgaben, um Gebühren, um Beiträge, weil es dem Bürger im letzten Grunde ja gleich ist, was er bezahlt. Der Bürger muß öffentliche Abgaben entrichten. Die Gebührenlast steigt mehr und mehr an. Sie nimmt für viele Bürger bereits eine Belastung an, die diejenige der Steuerlast übersteigt. Wir haben zu fragen: Greifen die Gesetze wie ein feinmechanisches Räderwerk ineinander, oder kracht und schleift es im Getriebe?Meine Damen und Herren. vor diesem Hintergrund hat sich die Fraktion der CDU/CSU entschlossen, eine Große Anfrage zur Lage der Städte und Gemeinden einzubringen. Die Aufmerksamkeit der deutschen Bürgermeister und Kämmerer ist heute auf Bonn gerichtet, aber nicht nur das Interesse der Bürgermeister und Kämmerer, sondern auch das der Bürger selbst, die ja in erster Linie Gemeindebürger sind. Niemand kann im abstrakten Raum des Staates leben. Wir alle — ohne jede Ausnahme — sind zunächst Bürger einer Gemeinde, Bürger einer Stadt.Wer etwa gehofft hatte, die Debatte zur ersten Lesung des Bundeshaushalts 1972 würde der Bundesregierung willkommene Gelegenheit geben, ihr Verhältnis zu den Städten und Gemeinden in unserem Lande zu klären, sah sich herb und bitter enttäuscht. Der Herr Finanz- und Wirtschaftsminister Schiller versuchte, mit euphorischer Rhetorik und professoraler Dialektik die ernste Lage der Städte und Gemeinden zu verharmlosen. Er hat im Gegensatz zu dem, was der Bundeskanzler der Opposition glaubte empfehlen zu müssen, keine harten Bretter gebohrt. Herr Schiller sprach im schlichten Indikativ: Haushalts- und Finanzplanung zeigen die gelungenen Anstrengungen, — und nun wörtlich — „auch unter schwierigen Umständen Bedarf und Deckung in Einklang zu bringen". Diesen Satz muß man zweimal sprechen, um ganz zu ermessen, wie unwahr er ist: Bedarf und Deckung in Einklang zu bringen. Schiller sagte den Gemeinden auch Steuermehreinnahmen in Höhe von 8,5 '0/u voraus, wobei bereits die vorgeschlagenen Erhöhungen bei den drei Verbrauchsteuern eingerechnet seien. Schiller bekannte sich zur Verantwortung der Bundesregierung, für die finanzielle Ausstattung der Gemeinden Sorge zu tragen, und er hob hervor, daß der Erhöhungsspielraum bei den speziellen Verbrauchsteuern jetzt weitgehend erschöpft seien. Der Herr Finanz- und Wirtschaftsminister hätte hinzufügen müssen, daß der Erhöhungsspielraum bei den kommunalen Realsteuern, insbesondere bei der Gewerbesteuer, längst ausgeschöpft ist und daß die Gemeinden erstmals seit dem zweiten Weltkrieg gezwungen sind, mitten im laufenden Haushaltsjahr einen Nachtragshaushalt zum ordentlichen Teil einzubringen. Was aber zur Verbesserung der kommunalen Verkehrsverhältnisse, zum Umweltschutz, zum Städtebau, für das Wohnungswesen und zur Krankenhausfinanzierung in Aussicht gestellt ist, kann nicht als Antwort auf die Fragen der Opposition und erst recht nicht als eine zufriedenstellende Einlassung auf die Forderungen der Gemeinden gewertet werden.Der Wirtschafts- und Finanzminister hat an den Gesamtstaat und an die Verantwortung für diesen Gesamtstaat erinnert. Ich muß sagen: Wer an die Verantwortung für den Gesamtstaat erinnert, muß zunächst zumindest den Versuch unternehmen, die Fragen, die die Gemeinden an die Regierung stellen, zu beantworten.Der Bundeskanzler selbst ging auf die Finanznot der Gemeinden nicht ein. Er ließ die große Chance, er ließ die Stunde ungenützt verstreichen. Er ließ die Gemeinden und ihre Bürger ohne Antwort auf ihre drängenden Fragen. Der Bundeskanzler hat vergessen, war er als Regierender Bürgermeister und als langjähriger Präsident des Deutschen Städtetages damals selbst mit harten Worten gefordert hat.
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8438 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 147. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 3. November 1971
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 147. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 3. November 1971 8439
nicht um ein politisches Lobyisten-Gezeter. Hier heißt es denn:Wir appellieren an die Regierenden und an die Bürger. Die Zukunft der Menschheit liegt in den Städten, und es wird nur in gesunden Städten eine hoffnungsvolle Zukunft geben. Deshalb: Rettet unsere Städte jetzt!Es heißt im Appell: Auch die Probleme der Städte müssen in den Mittelpunkt der Politik gestellt werden, und der Mittelpunkt der Politik ist nicht nur geographisch, sondern auch nach der verfassungsrechtlichen Kompetenz und politischen Verantwortung in Bonn und dort wiederum zuallererst bei der Bundesregierung und im Bundestag. Es geht nicht nur darum, die Städte in den Mittelpunkt der Politik zu stellen. Ich füge hinzu, es geht darum, den Menschen in den Mittelpunkt der Politik zu stellen.
Die Bundesregierung ist auf die Fragen nicht eingegangen. Sie hat auf die Bundestagsdrucksache VI/ 1953 verwiesen, und damit ist unsere Frage praktisch ohne Antwort geblieben, zumal jetzt die Antwort der Bundesregierung in der Drucksache VI /2709 vorliegt, die die alte Antwort überholt hat. Offensichtlich erklärt sich die pauschale Antwort der Bundesregierung daraus, daß eine im Finanzplanungsrat abgestimmte Finanzplanung für den Zeitraum 1971 bis 1975 und eine Einigung über die Umsatzsteuerverteilung zwischen Bund und Ländern noch nicht vorliegen. Daß in den Entwürfen der Finanzplanung für die Gemeinden ein jährlicher Finanzierungssaldo, d. h. ein Betrag, der durch Kreditaufnahme zu decken ist, in Höhe von 5 Milliarden DM vorgesehen ist, ist in der Zwischenzeit keinem Kundigen ein Geheimnis mehr. Daß aber eine solche Finanzplanung für die Gemeinden untragbar ist, muß auch für die Bundesregierung eine schlichte Selbstverständlichkeit sein.
Die Bundesregierung hat zur Frage 3 eine lange Zahlenreihe angegeben, deren Richtigkeit ich nicht bestreiten möchte. Ich darf aber auf eine interessante Einzelheit hinweisen. Es handelt sich uni Nettozahlen; die Bruttozahlen weichen davon ab. Aber das Verhältnis der Investitionsausgaben der Gemeinden zu ihren Gesamtausgaben sei angefügt, weil diese Vergleiche mehr bringen. Hier stellt sich folgendes heraus: Investitionsausgaben im Verhältnis zu Gesamtausgaben 1966 33,1 %, 1967 30 %, 1968 30,2 %, 1969 29,2 % und 1970 31,9 %; die Zahlen für 1969 und 1970 sind geschätzt. Ich stelle fest, daß wir im Jahre 1966, also im sogenannten Jahr der Rezession, die günstigste Zahl für die Gemeinden aufzuweisen haben.Frage 4 war die Kernfrage nach der Verschuldung der Gemeinden. Die Bundesregierung hat eine ausweichende und nur halb richtige Antwort gegeben. Die Angaben über die Verschuldung betreffen nur die Kreditmarktmittel. Die Gesamtverschuldung betrug Ende 1970 bereits 45,3 Milliarden DM, nicht 40 Milliarden DM. Sie wird bis Ende des Jahres sicher auf 50 Milliarden DM ansteigen. Die Belastung durch den Schuldendienst ist im Verhältnis zu den Gesamtausgaben angegeben. Dieses Verhältnis besitzt wenig Aussagekraft und kann den Ernst der Situation vielleicht sogar nur verniedlichen. Dies war offensichtlich auch die Absicht der Bundesregierung. Aussagekräftig ist nur das Verhältnis des Schuldendienstes zum Überschuß der laufenden Rechnung, da es sich bei diesem Überschuß um die für die Investitionsfinanzierung und für den Schuldendienst zur Verfügung stehende Finanzmasse handelt. Dieses Verhältnis fällt wesentlich ungünstiger aus; es betrug im Jahre 1970 beispielsweise 46,8% bei den Gemeinden. Bei den kreisfreien Städten beträgt dieses Verhältnis nicht 46,8 %, sondern bereits 76,3 %. In den großen Städten und in den Großstädten, also dort, wo die inneren Reformen baulich realisiert werden sollen, haben wir einen Verschuldensgrad von 76,3 %. Die Zahl 76,3 % ist, das werden Sie wohl alle zugeben, alarmierend. Die Städte sprechen deshalb davon, daß die Finanzlage katastrophal sei.Hinter dem angeführten Zahlenwerk steckt folgender politischer Zusammenhang. Ich berufe mich hier auf amtliche Verlautbarungen des Deutschen Städtetages, wo es heißt:Wenn 1970 die Personalkostensteigerungen nicht 13, sondern 6,5 % und die Baupreissteigerungen nicht 17, sondern nur 8,5% betragen hätten, was auch schon eine beträchtliche Zuwachsrate ausgemacht hätte, dann hätte das Ergebnis der Finanzreform den Gemeinden erlaubt, nur halb so viel Schulden aufzunehmen und trotzdem die Bauinvestitionen real um
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8440 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 147. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 3. November 1971
Dr. Schneider
19 °/o, d. h. um die dreifache Zuwachsrate wie geschehen, zu steigern.
Die wirklichen Verhältnisse aber führten dazu, daß in den Städten der Schuldendienst 1970 bereits 69 % des Überschusses des laufenden Haushaltes, also der dafür überhaupt zur Verfügung stehenden Finanzmasse, in Anspruch nahm und daß er 1971 voraussichtlich 76 und mehr Prozent aufzehren wird.Das ist das Signal, das den Ernst und die Gefahr der städtischen Finanzsituation anzeigt. 76 % im Durchschnitt bedeuten, daß verschiedene Städte bei 50 %, andere aber bereits bei 100 % stehen. Wenn aber der gesamte Überschuß für den Schuldendienst verwendet werden muß, dann besteht der weitere Schritt darin, Schulden aufnehmen zu müssen, nicht um zu investieren, sondern um den Schuldendienst leisten zu können, und das ist das Ende der finanziellen Kletterstange.Meine Damen und Herren, die Bundesregierung hält eine bessere finanzielle Ausstattung der Gemeinden zur Bewältigung der den Gemeinden zufallenden Aufgaben der Daseinsvorsorge, wie es heißt, für „wünschenswert". Sie ist aber außerstande, eine nachhaltige Verstärkung der gemeindlichen Steuereinnahmen im Wege der Fortführung der Gemeindefinanzreform zu sichern. Sie glaubt, durch die Erhöhung der Mineralölsteuer um 4 Pf je Liter ab 1. Januar 1972, von denen 3 Pf je Liter zur Verbesserung der Verkehrsverhältnisse der Gemeinden bereitgestellt werden sollen, den Notzustand der städtischen Finanzen lindern zu können. Dabei muß festgehalten werden, daß die Mineralölsteuererhöhungen allenfalls bedeuten, daß der Verkehrsausbau einigermaßen weitergeführt werden kann. Die Erhöhung bedeutet keine allgemeine Verbesserung der Finanzlage der Städte und Gemeinden. Es handelt sich darum, daß die Städte und Gemeinden mehr Eigenmittel brauchen, erstens, um die Bundeszuschüsse überhaupt in Anspruch nehmen zu können, und zweitens, um neben dem Verkehrsausbau auch die zahlreichen übrigen dringenden Investitionsaufgaben im Rahmen der Daseinsvorsorge bedienen zu können. Drittens brauchen viele Städte schon deshalb mehr Eigenmittel, um ihre ordentlichen Etats ausgleichen zu können, ohne überhaupt neue Investitionsmaßnahmen in Angriff nehmen zu können. Mit ihrer Antwort auf die Frage 5 der Großen Anfrage hat die Bundesregierung unmißverständlich zu verstehen gegeben, daß sie keine Maßnahme zu einer weiteren finanziellen Verbesserung der kommunalen Finanzlage zu ergreifen gedenkt. Auf die Forderungen der deutschen Städte geht die Bundesregierung überhaupt nicht ein.Meine Damen und Herren, hier und heute ist die Stunde, den ideologischen Nebel zu durchstoßen und die reformpolitischen Phrasen einmal klar unter die Lupe zu nehmen. Die Frage nämlich, ob die Bundesregierung Möglichkeiten sehe, den Gemeinden in Fortführung der Finanzreform zur Bewältigung ihrer wachsenden Aufgabenlast eine bessere finanzielle Ausstattung einzuräumen, ist der Bundesregierung ganze 14 Druckzeilen wert. Die Bürgermeister und Kämmerer der deutschen Städte und Gemeinden werden dies auch lesen und werden die Bundesregierung nicht an ihren Versprechungen messen, sondern an ihrer Antwort, die einem kommunalpolitischen Offenbarungseid der Bundesregierung sehr nahe kommt.
Erstaunen muß bei uns die Ansicht der Bundesregierung auslösen, wenn Sie sagen, die Gemeinden werden beim Steuerverbund an der in Aussicht genommenen Erhöhung des Länderanteils an der Umsatzsteuer teilhaben. „Die Erhöhung des Umsatzsteueranteils der Länder um 3 % soll nicht nur den Ländern etwas dauernd Hilfreiches bringen, sondern soll auch die Finanzlage der Städte und Gemeinden nachhaltig verbessern." Wer diesen Satz geschrieben hat, der ist entweder gerade erst vom Urlaub zurückgekehrt oder er ist erst im Unterseminar der Kommunalpolitik angelangt.
Meine Damen und Herren, zunächst eine Feststellung voraus: Die Gemeindefinanzreform hat den Gemeinden im Bundesgebiet Verbesserungen gebracht. Wir sind auch der Meinung, wir brauchen keine neuen Finanzierungsmodelle, wir brauchen keine neuen Reformideologien, wir brauchen keine neuen geistigen Akrobatenkunststücke hier und dort. Die Finanzverfassungsreform in der Großen Koalition aus dem Jahre 1969 hat den verfassungsrechtlichen Rahmen gesteckt. Die Finanzverfassungsreform hat die Richtung angegeben. Die Richtung hat gestimmt! Ich darf Ihnen folgendes sagen: Der Hauptausschuß des Deutschen Städtetages hat am 10. Oktober in Hamburg folgendes festgestellt — ich zitiere:Mit der Verabschiedung der Gemeindefinanzreform in der 5. Legislaturperode wurde eine wichtige Grundlage für eine endgültige Sanierung der Gemeindefinanzen geschaffen. Das Werk muß in dieser Legislaturperiode fortgeführt und vollendet werden. Die Finanzausstattung der Gemeinden ist in Stufen weiter zu verbessern.Ich frage: Wo hat die Bundesregierung die Finanzausstattung der Gemeinden in Stufen weiter verbessert? Wo hat sie nur einen Millimeter Fortschritt auf diesem wichtigen Feld innenpolitischer Reformen erreicht?Meine Damen und Herren! Die Verhandlungen der Ministerpräsidenten mit der Bundesregierung über die Erhöhung des Länderanteils an der Mehrwertsteuer um 10 % auf 40 % sind vorerst gescheitert oder steckengeblieben. Ich will den Fragenbereich nicht voll ausbreiten und erschöpfend behandeln, hinsichtlich der Gemeinden und hinsichtlich des heutigen Themas aber folgendes feststellen: Die Verschuldung der Länder und Gemeinden stieg vom 1. 1. 1970 bis zum 31. 7. 1971 um rund 10,8 Milliarden DM, diejenige des Bundes nur um 0,36 Milliarden DM; der Schuldenanstieg der Länder ist
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 147. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 3. November 1971 8441
Dr. Schneider
mithin dreißigmal so hoch wie der des Bundes. Im zweiten Vierteljahr 1971 stieg die Verschuldung der Länder, die Gemeinden eingeschlossen, um 1,7 Milliarden DM. Dies ist die höchste Schuldensteigerung, die es jemals in unserem Land gegeben hat. Der Bund konnte demgegenüber seinen Schuldenstand sogar um 300 Millionen DM abbauen. Die Zahlen stammen aus dem Monatsbericht der Deutschen Bundenbank, und ich glaube, diese Quelle ist seriös.Die Länder gehen bei ihren Bedarfsberechnungen von einem Zuwachs der Länder- und Gemeindeausgaben von 11,3 % im Jahre 1972 und von 10,7 % im Jahre 1973 aus. Diese vom Bund bestrittene Zahl ist eher zu niedrig als zu hoch gegriffen.Um lediglich mit dem realen Wachstum Schritt zu halten und die von der Bundesregierung prognostizierten Preissteigerungen aufzufangen, ist eine Erhöhung des Umsatzsteueranteils für 1972 um 7,8 % und 1973 um 9,3 % erforderlich. Diese Umsatzsteuererhöhung ist allein schon erforderlich, um den realen Anteil der Länder und Gemeinden am Bruttosozialprodukt zu erhalten; von einer Bedarfsdeckung ist hierbei noch keine Rede.Der Bund — dies muß auch einmal in das Bewußtsein gerufen werden — ist zum Teil selbst am Steigen der Länderhaushalte schuld. Er bindet mit seinen Förderungsmitteln hohe Landesmittel, und das gilt nicht nur für die Investitionen, sondern vor allem auch für die Folgekosten, die die Länder allein zu tragen haben.Hier ist auf folgende Ausgabenwachstumsraten im Bundeshaushalt 1972 hinzuweisen: Hochschulbaumittel: Länderanteil 50 %, Steigerungsrate beim Bund 57 %; Wohnungsbausparprämie: Länderanteil 50 %, Steigerungsrate beim Bund 35 %; Wohngeld: Länderanteil 50 %, Steigerungsrate beim Bund 16%; Deutsche Forschungsgemeinschaft Max-PlanckGesellschaft: Länderanteil 50 %, Steigerungsrate 18 %; Sonderforschungsbereiche: Länderanteil 1/3, Steigerungsrate beim Bund 93 %; Ausbildungsförderung: Länderanteil 35 %, Steigerungsrate beim Bund 15 %; Graduiertenförderung: Länderanteil 25 %, Steigerungsrate beim Bund 188 %.
Hier wird doch deutlich, wie sehr die Haushaltspolitik des Bundes unmittelbar auf die Haushaltspolitik der Länder einwirkt und wie sehr die Haushaltspolitik des Bundes die Länderhaushalte von vornherein bindet.Das Verhältnis zwischen Gemeinden und Bund ist verfassungsrechtlich geklärt und eindeutig entschieden. Ich möchte das ausdrücklich betonen. Die Gemeinden werden in der Finanzverfassung den Ländern zugerechnet, das Kommunalrecht ist Landesrecht und soll Landesrecht bleiben. Was aber die Zusammenarbeit zwischen Bund und Gemeinden angeht, liegt vieles im argen. Diese Entwicklung ist schon deshalb bedauerlich, weil etwa 75 % aller Gesetzesmaterie unmittelbaren Einfluß auf die Länder nimmt. Der Anteil der Sachinvestitionen, Bauten, Neuanschaffungen und Grunderwerb, der Gemeinden und Gemeindeverbände an den Sachinvestitionen der öffentlichen Hand betrug 1970 62,5 %.Der Bund geht aber mit den Ländern und Gemeinden nicht immer zart um. Er kümmert sich vielfach auch nicht darum, welche Auswirkungen Bundesgesetze auf die Länderpolitik und auf die Gemeindepolitik haben. So darf ich einen bezeichnenden Satz, bezeichnend für die „Seriosität" dieser Politik der inneren Reformen hier anführen. Am 21. September dieses Jahres tagte der Finanzplanungsrat. Der Bundesminister Karl Schiller sah sich durch die Einwendungen der Länderfinanzminister wegen der ständig ansteigenden Folgekosten und Personalkosten bedroht, er sah sich in die Enge getrieben. Der Herr Bundesminister Karl Schiller wußte den Ländern keinen anderen Rat zu geben als folgenden:„Stellen Sie doch einfach ein Jahr lang keine neuen Lehrer ein."
Das ist die Priorität dieser Bundesregierung, und das ist die Seriosität der inneren Reformen dieser Regierung!
Ich muß schon sagen, der Herr Professor Schiller, der sich auch in anderer Weise als Sprachschöpfer betätigt, erinnert mich manches Mal an jenen eng-lichen Theologen Thomas Faller, der einmal gesagt hat: „Die Politik besteht darin, den Teufel dabei nicht zu verärgern."
Ich darf Ihnen sagen, wenn man —
— Ich kann es Ihnen genau sagen.
— Ich wollte niemanden verärgern.Meine Damen und Herren, die Arbeit des Finanzplanungsrates soll den Gemeinden die Gelegenheit geben, intensiveren Einfluß auf die Vorentscheidungen hinsichtlich der Haushaltsgestaltung nehmen zu können. Gelegentlich wird auch von den Gemeinden gefordert, sie sollten einen Beitrag zur antizyklischien Finanz-, Wirtschafts- und Konjunkturpolitik leisten. Ich wäre dem Herrn Bundesminister für Wirtschaft und Finanzen dankbar, wenn er sich zu diesem Thema etwas näher äußerte, in welchem Umfang das möglich wäre, einen kommunalen Beitrag zu einer antizyklischen Konjunkturpolitik zu leisten. Ich kann hier nur feststellen, die Stadtkämmerer unserer Gemeinden sind keine Konjunkturbüttel des Bundes. Wer den Gemeinden fortwährend neue Aufgaben aufbürdet, sie zu neuen Leistungen ver-
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8442 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 147. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 3. November 1971
Dr. Schneider
pflichtet, der muß ihnen dann auch gleichzeitig die ausreichenden Finanzmittel dazu gewähren.
Was das Verhältnis des Bundes zu den Ländern angeht, so brauche ich mich damit nicht länger zu befassen. Der hessische Finanzminister hat jedenfalls Ihren Stil, Herr Bundesfinanzminister, einen miesen Stil genannt. Ich schließe mich diesem Urteil an.Wer von der Lage der Städte und Gemeinden spricht, meine Damen und Herren, muß selbstverständlich auch die kommunalen Betriebe — die Eigenbetriebe und Eigengesellschaften — einbeziehen. Sie wissen, daß die kommunalen Nahverkehrsbetriebe — unsere Straßenbahnbetriebe, Omnibusbetriebe und U-Bahnen — ein hohes Defizit aufweisen. Sie wissen, daß es seinerzeit noch möglich gewesen ist, im Wege des Ausgleichs über die Energiebetriebe — Gas, Wasser und Strom das Defizit abzudecken. Aber diese Grenze ist längst erreicht und überschritten. Die Zuschüsse müssen jetzt aus dem ordentlichen Haushalt kommen; die Defizite steigen weiter. Die Gemeinden stehen vor einer Barriere. Sie wissen wirklich nicht mehr, wie es weitergehen soll.In dieser Lage soll auch einer der Hauptkreditgeber der Gemeinden, nämlich die Sparkassen, mehr zur Kasse gebeten werden. Die Sparkassen haben spezielle Aufgaben für die Gemeinden — Sparerschutz, Mündelsicherung, Aufgaben im Wohnungsbau und in der Mittelstandsförderung und Kommunalkredite und haben eine spezielle Organisationsform. Beides kann nicht mehr aufrechterhalten werden, wenn die Sparkassen der vollen Steuerlast der Körperschaftsteuer unterworfen werden. Es wäre für die Sparkassen insgesamt eine zusätzliche Belastung von 601 Millionen DM.Was den Wohnungsbau angeht, so hat der „Wohnungspolitische Dienst" des Gesamtverbandes gemeinnütziger Wohnungsunternehmen am 28. September 1971 geschrieben:Baukosten, Mietpreise und öffentliche Wohnungsbauförderung stehen zur Zeit in einem unheilvollem Zusammenhang. Überproportional gestiegene und weitersteigende Herstellungskosten im Wohnungsbau führen zu wachsenden Aufwendungen und höheren Mieten. Die tatsächlichen Aufwendungen und die echten Kostenmieten aus gegenwärtigen und künftigen Baufertigstellungen im sozialen Wohnungsbau sind für breite Schichten der Bevölkerung nicht mehr tragbar. Stagniert demgegenüber die öffentliche Forderung oder erfährt sie im Gesamtvolumen wie in den objektbezogenen Förderungssätzen nur eine unzureichende Dosierung und Anhebung, so ist die offene Schere zwischen den Aufwendungen und den dadurch bedingten Mieten einerseits und noch tragbaren Wohnbelastungen für die sozial Schwachen unserer Bevölkerung andererseits nicht mehr zu schließen. Der Wohnungsbau bleibt dabei auf der Strecke der inneren Reformen und einer gesellschaftspolitisch relevanten Förderung.
Meine Damen und Herren! Ich darf feststellen: „Gemeindenot ist Bürgernot und damit Not der Demokratie." Diesen Satz sprach der Präsident des Deutschen Städtetages 1963 in Berlin. Er sprach vor der 12. Hauptversammlung — im Begriff, aus seinem Amt zu scheiden. Indem er die Bilanzsorgen der Sädte nannte, stellte er fest: „Vielleicht sollte es deutlicher werden, daß die Geduld der Städte nicht unerschöpflich ist." Das war unter den damaligen Verhältnissen. Er hielt es sogar für richtig, die öffentliche Meinung stärker zu bewegen und notfalls die Bürger sogar zum Protest vor die Rathäuser zu bitten. Der Präsident von damals ist der Bundeskanzler von heute.
Wenn ich der Logik folge, dann ist die Demokratie in Deutschland heute in Not. Und das glaube ich auch; denn Gemeindenot ist in der Tat Bürgernot und Not der Demokratie. Meine Damen und Herren! Wenn das kommunale Einmaleins nicht stimmt, dann können die Rechnungen in Bonn nicht aufgehen.
Wer das moderne Deutschland schaffen will, der muß es in den Gemeinden bauen. Trotz der dialektischen Kunstturnerei der Bundesregierung gilt ungeschmälert der Satz: Der reale Zuwachs der öffentlichen Investitionen und der Anteil der Investitionsausgaben der öffentlichen Hand an den Gesamtausgaben ist entscheidend für die künftige gesellschaftliche und volkswirtschaftliche Entwicklung, weil die öffentlichen Investitionen die materiellen Voraussetzungen aller Reformen sind. Wer kann Schulreform durchsetzen, ohne neue Schulen zu bauen, wer Daseinsvorsorge treiben, ohne die Gemeinschaftseinrichtungen der Städte zu vermehren? Wer darf mehr öffentliche Leistungsangebote versprechen, ohne dafür materielle Vorsorge zu treffen?Der Herr Bundeskanzler hat in seiner Halbzeitbilanz am 23. Juli 1971 festgestellt:Mehr als die Hälfte dessen, was in der Regierungserklärung vom Oktober 1969 angeführt wurde, ist inzwischen erreicht oder in die Wege geleitet worden.
Nach weiteren zwei Jahren wird sich ergeben, daß nicht weniger, sondern mehr geleistet werden konnte, als sich meine Regierung in einer Legislaturperiode vorgenommen hat.
Ich kann nur fragen: Wie klaffen hier Wort und Tat auseinander?
Meine Damen und Herren, ich darf zusammenfassen und festhalten: Die Bundesregierung hat alle Fragen der Großen Anfrage der CDU/CSU-Fraktion vom 14. Juli nicht oder nur halb oder falsch beantwortet. Weder hat sie gesagt, wie sie dem Verlan-
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Dr. Schneider
gen der Städte nach Stabilität nachkommen möchte, noch hat sie klargestellt, welchen Finanzaufwand die Gemeinden mittel- und langfristig für innere Reformen aufzubringen haben werden. Die Bundesregierung hat die Frage nach der dauernden finanziellen Leistungsfähigkeit der Sädte und Gemeinden nicht beantwortet und nur die Verschuldung an Kreditmarktmitteln angegeben.Wie in der Bundesregierung über Stabilität gedacht wird — die Gemeinden haben gesagt: Zuerst Stabilität, dann Priorität —, davon legt eine jüngste Äußerung des Herrn Bundesverteidigungsministers Helmut Schmidt Zeugnis ab. Nach Stabilität gefragt, erklärt er in der „Wirtschaftswoche" folgendes: „Stabilität, das ist so ein Modewort."
Was ist denn da „Modewort"? Der Reformpflasterstein, der Reformhosenknopf, das ist ein Modewort, nämlich daß alles reformiert sei, was heute als neuer Hut verkauft wird. Der Herr Minister sagte: „Stabilität, das ist so ein Modewort. Die Besorgnis um die Stabilität bedrängt mich persönlich nicht so sehr wie andere." An einer weiteren Stelle kommt schlechtweg eine Diffamierung, eine jener miesen, üblen Konfrontationen eines Mitglieds dieses Hohen Hauses, die ich auf das schärfste zurückweisen muß. Es heißt dort:Herr Schiller ist selbstverständlich ein bißchen mehr beunruhigt als ich.— Wie sehr das „bißchen" ist, das möge der Herr Minister hier einmal sagen. —Herrn Strauß glaube ich seine Beunruhigungnicht. Bei ihm halte ich das für Demagogie.
Ich frage: Wo sitzen in diesem Hause die Demagogen? Wer baut hier die Konfrontation auf? Ich darf Ihnen sagen: was Herr Strauß von Stabilität hält und was Herr Strauß für die Stabilität getan hat, das beweisen seine Leistungen, das beweisen die Statistiken aus den Jahren 1967, 1968 und 1969.
Unter dem Finanzminister Strauß war die Steigerung der Lebenshaltungskosten 1967 unter 1 % geblieben.
1968 lag sie bei 1,5% und 1969 unter 2,4 %. Erst als Sie hier zu regieren begannen, erst als die Sonne über das moderne Deutschland Ihrer Diktion aufgegangen war, begann die Finanzkatastrophe der Gemeinden.
Meine Damen und Herren von der Regierung, ich muß Ihnen sagen: als Kommunalpolitiker haben wir uns bei den Diskussionen über eine finanzielle Besserstellung der Gemeinden eigentlich immer rechtgut verstanden. Wir haben friedlich beisammengesessen und sachlich diskutiert. Im stillen habe ich geglaubt: unter dieser Regierung wird mancher Wunsch erfüllt. Wir waren auf dem Wege, diese Wünsche zu erfüllen; denn die Finanzverfassungsreform unter Kiesinger und Strauß ist ja wirklich ein Lichtblick gewesen, war wirklich, wie die Städte selber gesagt haben, ein guter Anfang. Ich hätte es für unmöglich gehalten und jede Wette verloren, wenn mir einer gesagt hätte, daß die Städte nach eineinhalb Jahren Regierung Brandt signalisieren: Rettet uns!
Wir wissen, daß es mit Kritik allein nicht getan ist. Sie werden mich fragen: Wozu ist denn diese Opposition überhaupt bereit? — Ja, ich werde Ihnen die Antwort geben. Wir sind der Meinung, daß der Anteil der Gemeinden an der Lohnsteuer und an der Einkommensteuer — zur Zeit 14 0/o — erhöht werden muß. Die Bundesregierung hat dazu in ihrer Gesamtfinanzplanung noch keine Aussagen gemacht, obwohl sie präzise gefragt war. Sie hat die große Chance, die ihr die Opposition gegeben hat, nicht genutzt. Dies ist in höchstem Grade unverständlich. Die Bundesregierung soll einmal sagen, ob sie denn bereit sei, den Gemeinden das zu geben, was vorher die Regierungsparteien, als sie noch nicht die Verantwortung trugen, cien Gemeinden wiederholt versprochen haben. Jetzt sollte einmal in der Praxis gezeigt werden, was Sie bei wohlklingenden Festtagsreden unter dein Lob auf die Gemeinde, das von Anfang an zum sozialdemokratischen Ritual gehört hat, verstehen.
Meine Damen und Herren, es war die Große Finanzreform, in der nach harten Kämpfen durchgesetzt wurde, den Gemeinden das Hebesatzrecht zu geben. Ich frage die Bundesregierung: Warum bringen Sie kein Gesetz ein, das den Gemeinden das Hebesatzrecht bei der Einkommensteuer gibt? Warum erweitern Sie nicht die Finanzhoheit der Gemeinden? Warum stärken Sie nicht das Selbstverwaltungsrecht der Gemeinden und Städte? Warum denn nicht?
Geben Sie Antwort und lassen Sie die Städte in ihrer größten Not — sie haben gesagt: Rettet uns! — nicht allein! Das kann ich Ihnen nur zurufen.
Die Erhöhung der Mineralölsteuer um drei Pfennig wird allenthalben als eine große Leistung für die Gemeinden herausgestellt.
Die ersten drei Pfennig, die wir gefordert haben und die Finanzminister Strauß verantwortet hat, haben den Städten eine wirkliche Hilfe gebracht. Im Boom Ihrer Hochkonjunktur, im Strudel Ihrer zügellosen Konjunkturpolitik sind diese drei Pfennig in eine Null verpufft. Jetzt gilt es wiederum, drei Pfennig zu bringen. Und wenn Sie weiterregieren, werden wir bald wiederum drei Pfennig und wiederum drei Pfennig brauchen. Denn mit Ihrer Politik kann man
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den Gemeinden nicht helfen. Hier muß man zuerst, wie die Gemeinden sagen, die Stabilität wiederherstellen; denn ohne Stabilität werden alle Finanzhilfen für die Gemeinden, auf Dauer gesehen, umsonst bleiben.
Meine Damen und Herren, die Kommunen werden oft als das Fundament unseres Staates bezeichnet. Das ist richtig. Im Münchner Manifest hat es geheißen: Die Gemeinden sind nicht nur die Basis des Staates, nicht nur die Grundlage der Entscheidung, sondern die Gemeinden sind der Mittelpunkt der Entscheidung. Machen Sie die Gemeinden zu dem, was sie sein sollen, zu einer geordneten Heimat aller Bürger! Bauen Sie das moderne Deutschland! Sie können es nur in den Gemeinden bauen. Bisher haben wir plakative Versprechungen. Wir fordern von Ihnen Taten.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Schäfer.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Herr Kollege Schneider hat u. a. hier gesagt: Hier und heute ist die Stunde, den ideologischen Nebel zu durchstoßen. Ich wünsche ihm wirklich Erfolg, daß ihm das in Richtung auf die CDU/CSU-Fraktion gelingen möge.
Der Herr Kollege Schneider hat aus dem Jahre 1963 den damaligen Präsidenten des Deutschen Städtetages zitiert, und er hatte guten Grund, ihn zu zitieren. Dieser Präsident ist heute der Bundeskanzler und der Führer dieser sozialliberalen Koalition. Derjenige Bundeskanzler, der um die gleiche Zeit hier in Richtung auf die Gemeinden davon sprach, daß man doch unterscheiden müsse, wer Koch und wer Kellner sei, war Herr Erhard damals. Schade, daß er nicht da ist. Er ist nie da, wenn es darauf ankommt.
-- Er ist doch Abgeordneter.
— Sie wissen schon, was kommt. Deshalb ist es Ihnen so unangenehm. Herr Erhard meinte damals, die Oberbürgermeister seien nur diejenigen, die servierten, was er koche. Das ist der Unterschied. Deshalb halte ich es für durchaus nützlich, Herr Kollege Schneider, daß Sie Ihren Freunden — für die Angehörigen der SPD und der FDP war es nicht notwendig — auch die Argumentation und Vorgenstellungen des Deutschen Städtetages von der Tagung in München hier vorgetragen haben.Ich wünsche nur, daß Ihre positive Einstellung zu den Gemeinden Auswirkungen auch in der Politik hat. Sie haben nur einen Vorschlag gebracht, näm lich von 14 auf 18% zu erhöhen, sonst haben Sie sich damit begnügt —
— Und Hebesatzrecht, vielen Dank für die Ergänzung. Ich komme gleich darauf zurück.
— Das ist neben der Sache, Herr Stücklen, und gehört nicht hierher!
— Gut, vielen Dank. Das ist Ihr Konzept, wir werden uns nachher damit zu beschäftigen haben.Es ist interessant, daß ein Mitglied der CSU hier sagt, daß es die Stunde der Bundesregierung hätte sein können, ihr Verhältnis zu den Städten und Gemeinden zu klären und die Fragen in den Griff zu bekommen. Dabei muß ich mich als erstes verwundert fragen, wo hier die Verantwortung der Länder ist, von der Sie nicht gesprochen haben. Die Länder— für uns alle ist das selbstverständlich — sind in erster Linie diejenigen, in deren Verantwortung die Gemeinden stehen. Auch damit werden wir uns nachher noch einmal zu beschäftigen haben.Die Bedürfnisse, die der Bürger an seine Gemeinde zu stellen hat, sind in den letzten Jahren wesentlich gestiegen. Nach dem Bedürfnisstand bestimmt sich die Ausgestaltung der Selbstverwaltung. Es ist deshalb begrüßenswert, daß heute in allen Ländern die Landtage dabei sind, die Größenordnung der Gemeinden neu zu durchdenken, leistungsfähige Selbstverwaltungskörper zu schaffen, größere Landkreise zu schaffen und damit auch die Voraussetzungen für stärkere Kompetenzübertragungen auf diese Ebene zu geben. Das ist eine nützliche und gute Entwicklung, die wir in allen Ländern uer Bundesrepublik feststellen können. Damit wird auch eine stärkere Planungsfähigkeit der Gemeinden, der Städte, der Kreise und damit auch wiederum eine erhöhte Leistungsfähigkeit der Gemeinden und Städte in ihre Umwelt hinein zusammenhängen; denn die Leistungen und Aufgaben der Städte sind nicht zuletzt auch daran zu messen, wie sie das sie umgehende Umland mit beeinflussen und Möglichkeiten auf allen Gebieten schaffen.Wir wissen, daß nach der Konkretisierung der Politik, die wir hier im Bunde machen, weitgehend auch die Konkretisierung der Landespolitik in den Gemeinden erfolgt. Das beginnt im Kindergarten, geht über die Schule, Ausbildung, Bildung, Wohnungsbau, über die Existenzfragen bis hin zum Alterspflegeheim. Überall in diesen Fragen ist für uns Sozialdemokraten von eh und je selbstverständlich, daß es auf die Leistungsfähigkeit der Gemeinden ankommt, hier die Politik, die wir im Ganzen wollen, zu konkretisieren. Für die CDU/CSU sind das neue Erkenntnisse
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ich sagte das schon vorhin —, aber ich hoffe, daß Sie den Nebel durchstoßen, von dem Sie gesprochen haben, Herr Kollege Schneider.
Die moderne Selbstverwaltung muß aber nicht nur in den Städten leistungsfähig sein, sondern sie muß auch in den Gemeinden im ganzen leistungsfähig sein. Wir streben eine Chancengleichheit in Stadt und Land an und wissen, daß sie nicht von uns allein erreicht werden kann, sondern daß es hier weitgehend auf den kommunalen Finanzausgleich ankommt.Es waren sozialdemokratische Vorstellungen, die mit Beginn der Großen Koalition in die Tat umgesetzt wurden, als man sich übereinstimmend darüber klar wurde, daß man keine Finanzpolitik und keine Konjunkturpolitik betreiben kann, wenn nicht die Gemeinden in die Gesamtplanung mit eingefügt sind und wenn sie nicht ihrerseits in der Lage sind, die notwendigen Investitionen durchzuführen.Damals hat der heutige Wirtschafts- und Finanzminister darauf gedrängt, daß die Gemeinden in den Konjunkturplanungsrat kommen, daß sie in den Fragen der Konjunktur-, der Investitions- und insbesondere der Kreditpolitik mitwirken. Damals hat man erkannt, daß es für eine gesamte Finanzpolitik von gleicher Bedeutung ist, ob der Bund, die Länder oder die Gemeinden Geld ausgeben oder nicht. Man hat deshalb damals Art. 109 GG geändert, was auf der anderen Seite natürlich wiederum dazu führte, daß der Bund notfalls das Recht haben muß, die Kreditpolitik bis zu den Gemeinden unmittelbar zu beeinflussen. Das eine schließt das andere mit ein.Es wurde die Mitwirkung der Gemeinden im Finanzplanungsrat geschaffen, und in der mittelfristigen Finanzplanung wurden auf Grund von Vorschlägen, die unser Kollege Alex Möller in diesem Hause lange vor der Großen Koalition gemacht hatte, erstmals die Gemeinden voll in die Gesamtprojektion der vor uns liegenden vier Jahre mit einbezogen. Seither bemüht man sich, dem Rechnung zu tragen und damit eine Gesamtbilanz und eine Gesamtfinanzplanung aufzustellen.Bei den Gemeinden muß man, so glaube ich, unterscheiden zwischen den Personalkosten und den Investitionen. Die Personalkosten, rund 30 °/o des Gemeindehaushalts ausmachend, sind von ganz besonders schwerwiegender Bedeutung; denn die Personalkosten werden zweifellos auch in Zukunft im Rahmen der allgemeinen Lohnentwicklung steigen. Man hat durch die Umstellung der Gewerbesteuer und die Beteiligung der Gemeinden an der Wachstumssteuer, nämlich der Einkommen- und Lohnsteuer, mit 14 % schon Voraussetzungen dafür geschaffen, daß die Mehrkosten, die den Gemeinden erwachsen, einigermaßen wieder aufgefangen werden können.
Ich glaube, daß man auf diesem Wege weitere Untersuchungen anstellen muß.Ich verstehe Sie durchaus, Herr Schneider, wenn Sie sich nur kurzerhand die Forderung des Städtetages zu eigen machen und von 18 °/o sprechen. Ich meine, man müßte den wirtschaftlichen Vorgang der Lohnerhöhung, der gleichzeitig zu Lohnerhöhungen in den Gemeinden führt, aber andererseits auch erhöhte Steuereinnahmen zur Folge hat, so ausbalancieren können, daß die Gemeinden tatsächlich eine ungestörte Investitionspolitik durchführen können.An diesem Platz ist es dann wohl auch richtig, zu überlegen, den Gemeinden ein Hebesatzrecht zu geben, das es ihnen ermöglicht, den auf sie entfallenden Teil an der Einkommen- und Lohnsteuer zu erhöhen und an der Herstellung der Balance mitzuhelfen. Sie sollen dabei — darin sind wir uns wohl miteinander einig — eigene Verantwortung mit übernehmen. Wir wollen die Selbstverwaltung; Selbstverwaltung heißt aber auch Verantwortung auf den entsprechenden Gebieten.Ehe ich zu den Investitionen komme, muß ich einiges zu einem markanten Vorgang sagen, nämlich zur Verabschiedung des Städtebauförderungsgesetzes. Meine Damen und Herren von der CDU/CSU, wenn die Erkenntnisse in Fragen der Städtebauförderung, die wir Sozialdemokraten seit 15 Jahren in diesem Hause vertreten haben, von Ihnen anerkannt worden wären, dann hätte man das Städtebauförderungsgesetz nicht erst 1931 bekommen, sondern schon vor 10 oder 15 Jahren verabschieden können.
Dann hätten die Städte und Gemeinden in Planungen, die zwangsläufig falsch gemacht werden mußten, Milliarden und aber Milliarden sparen können.
— Es freut mich, Herr Erpenbeck, daß Sie hier lachen. Ich habe gerade Sie angesichts Ihrer neuen Vorlage in Verdacht, daß Ihnen die Grundstücksspekulanten in mancher Beziehung näherstehen als die Interessen der Gemeinden.
— Herr von Wrangel, genau um diese Frage geht es seit eh und je. Gerade in dieser Frage der Gestaltung des sozial gebundenen Eigentums — Art. 14 GG! — wollten Sie ja das Städtebauförderungsgesetz aushöhlen.
Wir haben nicht einmal in der Großen Koalition mit Ihnen zusammen das Städtebauförderungsgesetz zustande gebracht.
Das hat erst diese sozial-liberale Koalition gegen Ihren härtesten Widerstand geschafft. Dieses Gesetz ist eine Magna Charta für die Städte. Herr Schneider, Sie hätten sich hier an das Podium stel-
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len müssen und für ein Städtebauförderungsgesetz moderner Prägung kämpfen müssen,
weil dieses für die Städte das entscheidende Instrument ist, in der Zukunft innerhalb der Städte und am Rande der Städte so zu sanieren und Entwicklungen durchzuführen, die von allen Städteplanern und von allen, die mit diesem Problem befaßt sind, seit eh und je für notwendig gehalten werden, die aber ohne die ausreichenden rechtlichen Grundlagen nicht durchführbar sind. Sie haben den Städten diese Rechtsgrundlage bis heute verweigert. Erst diese Koalition hat den Städten diese Möglichkeit geben können.
Solche Hinweise werden Ihnen auch in Zukunft wehtun, wenn es darauf ankommt, Taten vorzuweisen und nicht nur aus der Opposition heraus Kritik zu üben. Sie hatten 17 Jahre lang Gelegenheit, Ihre — eigentlich müßte man sagen: nicht vorhandenen — Vorstellungen zu revidieren.
— Sie haben uns die Fragen nie so abgenommen, daß sie übersetzt werden konnten.
Hier muß man auch noch einmal an den falschen Lücke-Plan erinnern. Man muß daran erinnern, daß die Mieterhöhungen und die Bodenpreiserhöhungen Ihr Werk sind. Sie kamen auf Grund der Gesetzgebung zustande, die Sie in all diesen Jahren gemacht haben.
Heute lamentieren Sie über die Auswirkungen. Heute tun Sie, Herr Schneider, so, als wenn bis vor zwei Jahren alles in Ordnung gewesen wäre. Nein, bis vor zwei Jahren haben Sie die falschen Gesetze gemacht, und seither machen wir die richtigen Gesetze.
Sie meinen den Eindruck erwecken zu können, als wenn diese CDU auf diesem Gebiet ein Erbe hinterlassen hätte, das man hätte fortführen können.
Weit gefehlt! Auf dem Gebiete der Gesetzgebung ist von uns hier ganz Entscheidendes und Neues in die Wege geleitet worden.
Einen kleinen Augenblick! Dieses Städtebauförderungsgesetz ist die Magna Charta für einen vernünftigen Ausbau und für vernünftige Planung der Städte in der Zukunft.Bitte, Herr Schneider!
Eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Schneider .
Herr Kollege Schäfer, Sie haben gesagt, die CDU — Sie meinen wohl die CDU/ CSU und die früheren Bundesregierungen unter unserer politischen Führung -hätten den Gemeinden nichts hinterlassen. Kennen Sie die Entschließung des Hauptausschusses des Deutschen Städtetages vom 10. Oktober 1969 — also elf Tage vor der Wahl des neuen Bundeskanzlers —, in der es wörtlich heißt:
Mit der Verabschiedung der Gemeindefinanzreform in der 5. Legislaturperiode wurde eine wichtige Grundlage für eine endgültige Sanierung der Gemeindefinanzen geschaffen. Das Werk muß in dieser Legislaturperiode fortgeführt und vollendet werden.
Als erstes, Herr Kollege Schneider, folgendes. Das, was in der Großen Koalition auf diesem Gebiet geschaffen wurde ich sagte es schon —, ging auf Initiativen der SPD zurück. Das können Sie nachlesen.
— Herr Stücklen, Sie wissen es doch ganz genau.
Zweitens, Herr Kollege Schneider: Die Legislaturperiode ist noch nicht zu Ende. Ich werde hier gleich noch einige Dinge anführen. Das Städtebauförderungsgesetz ist eine wesentliche Weiterführung dessen, was wir für die Städte zu leisten gewillt sind. Das Städtebauförderungsgesetz ist die entscheidende Rechtsgrundlage, damit man dort überhaupt erst handeln kann. Das aber haben Sie verweigert, und darum geht es hier im Augenblick.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Baier?
Bitte, Herr Baier!
Herr Kollege Schäfer, da Sie feststellen, daß die CDU immer die falschen Gesetze und die SPD die richtigen macht: Könnte man daraus schließen, daß sei zwei Jahren SPD-Regierung jedes Jahr mehr Wohnungen gebaut werden und die Mieten gesunken sind?
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Haben Sie vielen Dank! Sie greifen einem Punkt vor; ich werde ihn gleich behandeln.
Ich will zum Städtebauförderungsgesetz noch folgendes sagen. Wir haben nicht nur die Rechtsgrundlagen geschaffen, sondern wir stellen auch die ersten Mittel zur Verfügung, im Laufe von drei Jahren über 400 Millionen DM. Und zum zweiten, Herr Baier — es ist nett, daß gerade Sie mich daran erinnern wollen —: Wer hat denn ein Gesetz beschlossen, das dazu führte, daß im Jahre 1966 die Bundesmittel für den sozialen Wohnungsbau ausliefen? War das die SPD, oder war das die CDU? Wollen Sie denn hier die Stirn haben, uns in die Schuhe zu schieben, daß Sie den gesamten sozialen Wohnungsbau zum Erliegen gebracht haben?
Haben Sie nicht auf diese Weise, indem Sie mit dem falschen Lücke-Plan und mit der Drosselung des sozialen Wohnungsbaus agierten, die Mieten in die Höhe getrieben und Situationen geschaffen, die sich heute auswirken?
Sind ausgerechnet Sie, Herr Baier, ein solcher Neuling auf diesem Gebiet — da sollte ich mich doch sehr täuschen —, daß Sie meinen, eine solche Maßnahme wirke sich von einem auf den nächsten Tag aus? Zahlen wir nicht heute die Rechnung für das, was vor drei und vier Jahren vielleicht nicht durchgeführt werden konnte?
Ja natürlich!
— Augenblick, Herr Erpenbeck, ich bin noch beim sozialen Wohnungsbau. — Hat nicht diese Regierung wieder die notwendigen Mittel eingestellt, uni sozialen Wohnungsbau durchführen zu können?
Meine Damen und Herren, hier geht es nun wirklich um die Menschen in den Städten, in den Gemeinden, darum, daß sie nicht wegen der Kündigung, wegen einer Miete, die sie nicht mehr tragen können, von Ecke zu Ecke gehetzt werden. Das war doch Ihre Gesetzgebung. Sie haben sich doch dagegen gewehrt, daß wir jetzt eine neue Mieterschutzgesetzgebung machen — bis in diese Tage hinein.
Sie wollen doch um des Profits willen die Menschen heimatlos machen.
Sie wollen doch, daß man ihnen kündigen kann, daß sie wegen 50 DM mehr von einer Ecke zur anderen umziehen müssen -- im Leben drei- und viermal. Haben Sie sich das einmal überlegt, Herr Baier? Vielleicht überlegen Sie es einmal.
Das nennen wir Kommunalpolitik: daß der Mensch in der Stadt seine Heimat hat und nicht ein Zahlender ist, der sich ständig gepreßt fühlt und der ständig von einer Wohnung zur anderen umziehen muß.
Das ist das Städtebauförderungsgesetz.
— Es ist Ihnen sehr unangenehm, Ihre Bilanz vorgelegt zu bekommen. Herr Schneider hat wohl bewußt dieses Gebiet vollkommen ausgelassen.
— Ich habe Sie nicht verstanden; es wäre sonst sicher sehr interessant, ihnen zu antworten. Herr Schneider hat wohl bewußt Städtebauförderungsgesetz und Wohnungsbau, Grundstücksrecht und alle diese Dinge ausgelassen. Das ist der Kernpunkt einer kommunalen Hilfe und einer Politik, die vom Bunde aus zu machen ist.
— Ja, und die haben Sie mit Ihrer Politik ins Schleifen gebracht, Herr Lücke.
Herr Dr. Schäfer, gestatten Sie jetzt wieder eine Zwischenfrage des Abgeordneten Erpenbeck? Herr Abgeordneter Erpenbeck zu einer Zwischenfrage.
Herr Kollege Professor Schäfer, darf ich vielleicht ganz sachlich die Frage stellen, ob die Mitteilung der Bundesregierung in der Beantwortung der Kleinen Anfrage der CDU/ CSU, daß im Jahre 1970 der Anteil der öffentlichen Mittel an der Wohnungsbauinvestition noch 7,6 % betragen habe, daß dagegen in dem Jahre, als die Degression auslief, die Sie ja hier soeben in sehr polemischer Weise ansprachen, der Anteil der öffentlichen Mittel am Wohnungsbau insgesamt noch 17 % betragen habe, Ihre Ausführungen hier nicht ad absudum führt?
Aber Herr Erpenbeck, ich hätte Ihnen wirklich zugetraut, daß Sie nicht den Versuch machen, Ungleiches mit Gleichem zu vergleichen.
Das ist nun wirklich eine merkwürdige Methode! Darauf gebe ich keine Antwort. Ich gehe auf Ihre falschen Zahlen nicht ein.
— Ich sage Ihnen nur: es ist ein unehrliches, falsches Zahlenspiel, was Sie hier vortragen.
-- Ja, natürlich, das ist so.
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Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Erpenbeck? -Nein. — Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Schneider?
Lohnt nicht. Ich muß jetzt weiterkommen.
Unmittelbar daran schließt sich die Frage der Finanzierung des kommunalen Verkehrswesens an. Es war eine erste Maßnahme am 1. Januar 1967. Aber interessant, Herr Kollege Schneider! Jetzt soll die zweite Milliarde zur Verfügung gestellt werden, und jetzt sollen Sie Farbe bekennen. Wenn ich daran denke, wie Ihr Fraktionsvorsitzender Barzel es hier ablehnte, Verantwortung mit zu übernehmen für das, was gemacht werden muß, dann muß ich sagen, es ist ein merkwürdiger Eiertanz, den Sie aufführen, um zu begründen, warum Sie die 4 Pf Mineralölsteuererhöhung nicht mitmachen können.
Ein merkwürdiger Eiertanz, mehr ist es nicht. Wer helfen will und erkennt, daß dafür Geld notwendig ist und daß das Geld nicht zur Verfügung steht, der muß politisch den Mut haben, die notwendigen Konsequenzen daraus zu ziehen.
Wir haben diesen Mut, wir werden das Gesetz beschließen, die Mineralölsteuer urn 4 Pf erhöhen und den Gemeinden 3 Pf zuweisen; das ist rund eine Milliarde im Jahr. Wir werden auch den gemeindlichen Verkehrsbetrieben helfen. Das haben Sie alles auch schon lange gewußt und haben es nie getan.
Den Mut muß man haben, und wir haben ihn!In früheren Jahren hat man auf dem Verkehrsgebiet -- dazu werden noch Freunde von mir sprechen vieles versäumt. Man hat in Deutschland erst spät angefangen, Massenverkehrsmittel, U-Bahnen und Vorortbahnen, auszubauen. Daß das heute noch nicht zu vollen Wirkung kommt, ist doch ganz selbstverständlich.
— Sehen Sie, das kann ja auch bloß in München passieren.
Das müssen Sie von der CSU sagen. — Meine Damen und Herren, ist das nun Bundespolitik, oder ist das Ihre Politik?
Aber, Herr Stücklen, wollen Sie denn bestreiten, daß der Individualverkehr heute den Gesamtverkehr so belastet., -
Ist doch nicht wahr. Was heißt denn: „Sie habensie zugeschüttet"? Was ist denn das für eine Argumentation, Herr Stücklen: „Sie haben sie zugeschüttet" ?
Wahrscheinlich haben Sie das Geld nicht zur Verfügung gestellt, so daß die Probestollen nicht weitergeführt werden konnten. So war es ja; ich erinnere mich jetzt wieder. Aber Sie haben nicht mal ein Programm, Sie haben gar nichts. Das hat erst der Verkehrsminister Leber gemacht.
Sehen Sie, Herr Stücklen, wenn dem so wäre, dann müßte ja nach den zehn Jahren ein Ergebnis da sein.
- Zur Olympiade!
Ein nächstes großes Gebiet ist die Krankenhausfinanzierung, ein Gebiet, das im Zusammenhang mit der Gesundheitspolitik im ganzen steht. Wir haben einen Gesetzentwurf vorgelegt. Dieser Gesetzentwurf wird wesentliche Hilfen bringen. Wenn Sie demgegenüber ansehen, was die Städte heute aus allgemeinen Steuermitteln aufbringen müssen, dann müssen Sie zugeben, daß hier auf dem Gebiete der Finanzierung eines großen, wichtigen Aufgabengebietes Entscheidendes in die Wege geleitet ist. Da können Sie dann zeigen, daß Sie es noch besser machen. Da können Sie bei den Beratungen Ihr Teil dazu beitragen.Ebenso haben wir Fortschritte auf dem Gebiete der Bildungsplanung festzustellen. Wir wollen die Chancengleichheit, wir wollen das Bildungswesen, das Berufsschulwesen, die Erwachsenenausbildung —
— Ja, und das werden wir auch tun. Gegen Ihren Widerstand werden wir das tun. Da haben Sie recht. Es ist gut, daß Sie das sagen, daß wir es wollen — danke schön — und daß Sie es torpedieren. Vielen Dank für Ihre Feststellung!
— Ja, wir tun es, und wir setzen es auch durch.Ein letztes großes Aufgabengebiet! Ich hoffe, daß wir uns da in den nächsten Wochen und Monaten gemeinsam anstrengen werden, das Notwendige zu
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Dr. Schäfer
tun: es ist die Frage des Umweltschutzes. In den Städten und Gemeinden entscheidet es sich, ob wir auch diese Aufgabe meistern. Die Bundesregierung hat jetzt ein Regierungsprogramm vorgelegt, das umfassend, gut und realisierbar ist. Ich hoffe, daß wir nächste Woche darüber im einzelnen sprechen. Wir hoben schon einige Schritte getan — wir haben das Bleibenzin-Gesetz verabschiedet — und damit eine Entwicklung auf dem Gebiet des Verkehrswesens, auf dem Gebiet der Entwicklung der Kraftfahrzeuge eingeleitet, die — so hoffe ich in acht oder zehn Jahren zu einer wesentlichen Veränderung der Situation führen wird.Wir werden in diesen Tagen das Abfallbeseitigungsgesetz in den zuständigen Ausschüssen beraten. Auch dort, so meine ich, ist es Bundessache, Herr Kollege Schneider — ich freue mich, daß Sie an die Bundesverantwortung erinnern, ich hoffe, daß Sie auch mithelfen, daß der Bund die notwendige gesetzliche Grundlage schaffen kann; denn noch kann er es nicht, solange nicht die Grundgesetzänderungen beschlossen sind —, die notwendigen gesetzlichen Grundlagen zu schaffen, damit die Abfallbeseitigung so durchgeführt wird, wie es notwendig ist, und die Gemeinden diese Aufgabe lösen können.Das gilt insbesondere für die Wasserreinhaltung. Ich hoffe, daß wir uns da wirklich gemeinsam finden und möglicherweise eine einheitliche Gebührenordnung vom Bund her beschließen, um das Gefälle von Gemeinde zu Gemeinde zu verhindern, und daß wir auch Wege finden, zum Teil über ERP-Mittel, um die Grundinvestitionen durchführen zu können.Gerade auf diesem Gebiet, meine Damen und Herren von der Opposition, wird sich für Sie in den nächsten Wochen und Monaten Gelegenheit ergeben, Ihr Teil dazu beizutragen, um die Situation der Städte und Gemeinden zu verbessern und sie so in die Lage zu versetzen, das Erforderliche zu tun. Wir Sozialdemokraten haben das von eh und je angestrebt. Dort, wo es um die Konkretisierung der Politik im einzelnen geht, wo die öffentliche Hand dem Bürger unmittelbar gegenübertritt und ihm mit ihren Leistungen hilft, seine Persönlichkeit zu entfalten und den Lebenskampf zu bestehen, müssen wir eine gemeinsame Anstrengung machen.Auch in der Enquete-Kommission, die der Bundestag eingesetzt hat, macht man sich darüber Gedanken — ich habe auf dem Städtetag in München einiges dazu gesagt wie man die Planung BundLänder-Gemeinden — ja, jetzt auch schon Planungen und Gesamtvorhaben der EWG einbezogen — für die Zukunft unter Aufrechterhaltung der parlamentarischen Verantwortunmg der einzelnen Ebenen sinnvoll, langfristig und zuverlässig aufeinander abstimmen kann. Das ist eine sehr schwierige verfassungsrechtliche Frage; denn — ich hoffe, daß wir darüber einig sind — bei voller Anerkennung des Art. 28 GG können wir nur einen Teil dazu beitragen, die Selbstverwaltung der Gemeinden zu sichern, den Teil — das haben wir immer so vertreten —, der auf dem Gebiet der Finanzverfassung und der Gemeindefinanzreform liegt, die weiterzuführen sein wird. Darüber wird hier heute noch einiges vorgetragen werden. Es wird hier auch noch einiges konkret dazu gesagt werden, was im Rahmen der Steuerreform von uns geplant ist, um den Gemeinden weiteren Spielraum zum selbständigen Handeln zu geben.Wir Sozialdemokraten begrüßen die Leistung der Bundesregierung. Wir begrüßen und unterstützen ihr Bemühen, auf den Gebieten im einzelnen, in der Tendenz im ganzen, die Städte und Gemeinden für die Zukunft aktionsfähig zu machen.
Das Wort hat der Abgeordnete Gallus.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Kollege Dr. Schneider hat es vortrefflich verstanden, im Blick auf die Gemeinden Angst an die Wand zu malen und so zu tun, als ob demnächst der Untergang sämtlicher Städte und Gemeinden der Bundesrepublik bevorstünde. In zwölfjähriger Arbeit in Gemeinderat und Kreistag habe ich noch nie erlebt, daß alle Wünsche, die man auf gemeindlicher Ebene hegte, in Erfüllung gegangen sind. Das möchte ich hier einmal zur Sache feststellen.Ich darf auch dem Herrn Kollegen Schneider einiges sagen. Er hat in seinen Ausführungen Richtiges und Halbwahrheiten miteinander vermischt.
Sie bedürfen gleich einer Klärung. Er sagte: die Stadt brauchen wir alle. Damit sind wir einverstanden, und wir sehen auch vieles von dem, was in der Erklärung des Deutschen Städtetages niedergelegt ist, als positiv an. Im gleichen Atemzug aber sagte er: die Gebührenlast steigt in den Gemeinden in unerträglichem Maße und übertrifft sogar die Steuerbelastung, obwohl er doch als Kommunalpolitiker genau weiß, daß in jeder Gemeinde der Gebührenlast eine Dienstleistung gegenübersteht. Sonst hätte nämlich die Gemeinde gar nicht das Recht, Gebühren zu erheben. Ich glaube, auch das müssen wir hier einmal der Ehrlichkeit halber feststellen. Wenn die Welt für die Opposition seit zwei Jahren auch in bezug auf die Gemeinden nicht mehr in Ordnung ist, so heißt das noch lange nicht, daß alles in Unordnung geraten sei. Wir wissen, daß vieles getan werden muß. Aber gerade diese Bundesregierung hat meines Erachtens auf vielen Gebieten einen Anfang gemacht. Sie hat Gesetze eingebracht,
die dazu angetan sind, in Zukunft die Dinge auch in bezug auf unsere Gemeinden in Ordnung zu bringen.Ich möchte Herrn Schneider noch folgendes sagen. Jeder Kommunalpolitiker weiß, daß Gemeinde nicht gleich Gemeinde ist. Diese Gleichmacherei, diese Darstellung, als ob es in der gesamten Bundesrepublik nur eine Gemeinde, eine Stadt, gäbe, ist völlig falsch. Die Verhältnisse sind von Fall zu Fall sehr
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Gallusunterschiedlich. Herr Kollege Schäfer hat bereits darauf hingewiesen, daß wir in den Ländern zur Zeit dabei sind, die Verwaltungsreform, gleichgültig, wer dort regiert, voranzutreiben, um zu größeren Einheiten zu kommen, eben weil wir im politischen Raum alle erkannt haben, daß in der Vergangenheit vieles auf diesem Gebiet versäumt worden ist, und zwar auf Grund der Tatsache, daß der Aufbau, der zunächst durchgeführt wurde, sehr viel Wildwuchs zeitigte.Ich möchte hier nun keine Wertungen vornehmen, wer sich in diesem Zusammenhang gewisser Versäumnisse schuldig gemacht hat. Wir bekennen uns zu dem, was der Deutsche Städtetag gesagt hat: „Rettet unsere Städte!" Ich kann jedoch dazu sagen, daß diese Bundesregierung und diese Koalition die Lage erkannt haben.
— Ja, meine Damen und Herren! Lesen Sie einmal den Aufruf des Städtetages in aller Ruhe nach!
Am Ende der Entschließung zum Forschungsprogramm heißt es — ich zitiere mit Genehmigung des Herrn Präsidenten —:
Die Städte appellieren an die Bundesregierung, die notwendigen Maßnahmen einzuleiten. Sie sind bereit, eigene sachliche und personelle Mittel zur Verfügung zu stellen.Ich glaube, das ist die sachliche Basis, auf der wir weiter voranschreiten können und mit der ein Anfang gemacht worden ist. Eine Erklärung unter der Überschrift: „Rettet die Städte!" ist, wenn sie auf solchen Tagungen abgegeben wird und wenn man sie richtig versteht, ein Grundsatzprogramm, das nicht als Aufruf gewertet werden kann, ein Grundsatzprogramm, an dessen Verwirklichung man, wenn man ehrlich ist, mindestens bis zum Jahre 2000 zu arbeiten haben wird und für das man Zeit braucht.
— Natürlich, auch die finanziellen Mittel!Nun möchte ich Herrn Schneider noch eines sagen. Sie haben hier so getan, als ginge es nur um die Städte, etwa nur um München oder Regensburg oder um sonst eine Stadt,
so als ob nicht der gesamte Lebensbereich aller Menschen in der Bundesrepublik und die Gleichheit der Lebensverhältnisse in Stadt und Land zur Diskussion stünden.
Ich darf in diesem Zusammenhang nur an die Verabschiedung des Städtebauförderungsgesetzes erinnern, wo diese Dinge klar angesprochen worden sind.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Schneider?
Herr Kollege Gallus, ist es im Drange des intensiven Zuhörens Ihrer Aufmerksamkeit entgangen, daß die Anfrage den Titel hat: „Lage der Städte und Gemeinden" und daß ich alle Aussagen, was die Finanzierung angeht, auch auf die Gemeinden bezogen habe? Es gibt nun einmal gewisse Klammerwirkungen, und man kann die Beiworte nicht immer sagen. Ich habe einmal gesagt „Städte und Gemeinden", dann „Gemeinde und Städte" und dann nur „Städte" und dann „Gemeinden". Ich glaube, Sie haben kein Recht, einen Gegensatz zwischen Städte und Gemeinden zu konstruieren. Dann hätten Sie mich ganz falsch verstanden. Ich habe bei jedem Satz, den ich auf die Stadt bezogen habe, auch das kleinste Dorf mit einbezogen.
Ich glaube, Herr Kollege Schneider, es ist richtig, daß Sie das jetzt klarstellen; denn aus Ihrem Vortrag habe ich den Eindruck gewonnen, als gehe es Ihnen nur um die Großstädte.
---- Ich bleibe dabei, und komme zu Ihrer Forderung: erst Stabilität, dann Priorität. Ich glaube, Sie verkennen eines, nämlich daß diese Bundesregierung sich ernsthaft bemüht, zu mehr Stabilität zu kommen. Aber im Grunde genommen ist Ihnen das ja gar nicht recht. Sie wollen doch weiterhin diese Angst und diese Unruhe haben, weil Sie glauben, über diesen Weg zu einem Machtwechsel zu kommen.
Aber ich glaube, da haben Sie die Rechnung ohne den Wirt gemacht.
Herr Kollege Stücklen, ich darf Ihnen sagen, daß meines Erachtens die Bemühungen der Bundesregierung, zu mehr Stabilität zu kommen, bereits die ersten Erfolge zeitigen.
Ich glaube, es ist notwendig, einmal ins Detail zu gehen. Wir bauen im Kreis Göppingen ein Krankenhaus mit 900 Betten für ungefähr 150 Millionen DM und haben jetzt die Erdarbeiten vergeben. Die Angebote dafür haben zwischen 350 000 und 700 000 DM geschwankt. 600 000 DM waren im Kostenvoranschlag vorgesehen, und tatsächlich wurden diese Arbeiten mit 350 000 DM bewältigt. Das heißt doch, daß wir im Blick auf die Stabilität gerade in bezug auf Großbauten in den letzten Monaten einen ganzen Schritt weitergekommen sind. Das sollte man in diesem Zusammenhang auch einmal erwähnen.Sie haben hier eine ganz geschickte Rechnung aufgemacht, das muß ich schon sagen. Sie haben nämlich die Besoldungserhöhung hier erwähnt und
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Gallusgemeint, es seien nicht 13 %, sondern 6,5 % gewesen. Warum haben Sie das nicht in einem anderen Zusammenhang gesagt? Wir waren beim Besoldungsneuregelungsgesetz alle der Meinung, daß hier etwas getan werden muß. Das haben wir alle gemeinsam getragen, und Sie können jetzt nicht hinterher die Rechnung andersherum aufmachen. Das ist einfach unfair.In bezug auf die künftige Finanzierung möchte ich eines sagen: Wenn man sich einmal die Steuereinnahmen und die Zuwachsraten in den Jahren 1970 bis 1975 vornimmt —
-- Zunächst halten wir uns einmal an die, die festliegen, Herr Kollege Jenninger, und dann warten wir, bis die neuen da sind. So wollen wir es doch halten.
Wir können doch nicht Dinge, die in drei Monaten sein werden, jetzt schon vorwegnehmen. Das geht nicht. Wir haben uns zunächst einmal an die hier geschätzten Steuereinnahmen zu halten, und da schneiden die Gemeinden in den Jahren 1972 bis 1975 jeweils mit einer wesentlich höheren Zuwachsrate ab als der Bund. Zum Teil geht das über ein Drittel über das hinaus, was der Bund in den nächsten Jahren an Zuwachsrate erhält.
Das sind Fakten, das sind Zahlen, die zunächst einmal gelten.Wenn Sie davon reden, daß bei den Gemeinden die Verschuldung dreimal so hoch ist wie beim Bund, dann muß ich Sie fragen, wie groß das Gesamtinvestitionsvolumen bei Städten und Gemeinden zusammengenommen im Verhältnis zum Bund ist. Wenn Sie ehrlich sind, müssen Sie auch diese Zahlen einander gegenüberstellen.Und nun, meine sehr verehrten Damen und Herren von der Opposition: Sie haben eine ganz große Chance, in den nächsten Wochen hier ihren Mann zu stehen und der Erhöhung der Mineralölsteuer zuzustimmen. Hier geht es tatsächlich darum, unseren Gemeinden das zu geben, was sie nötig haben, um ihre Straßenbauprogramme zu verwirklichen und das zu tun, was für sie in bezug auf die Nahverkehrsmittel notwendig ist. Ich sage Ihnen, unsere Gemeinden und Landkreise draußen warten auf diese Gelder. Ich glaube, ob sie zustimmen oder nicht, darüber ist das letzte Wort noch gar nicht gesprochen, wenn ich mir den Ablauf des letzten Jahres so vor Augen führe. Sie werden es sich noch einmal überlegen, ob Sie nicht auch mitstimmen,
ob Sie es sich leisten können, im Hinblick auf unsereLandkreise und auf unsere Städte und Gemeindennein zu sagen. Genauso ist es ja mit der Erhöhungder Tabaksteuer und der Spirituosensteuer, welche ebenfalls den Ländern zugute kommt und damit indirekt den Städten und Gemeinden.
— Das Gerede von Inflation kommt doch nicht mehr an! Wir leben doch nicht auf dem Mond, wir leben in einer Staatengemeinschaft von Europa und der ganzen Welt.
— Es ist doch ganz klar, ein Staat mit 19 % Exportanteil lebt nicht auf dem Mond, sondern ist hineingestellt in die weltwirtschaftliche Entwicklung.
Ich bin der Auffassung, Herr Kollege Stücklen, daß sich die Bundesregierung auf dem richtigen Weg befindet,
auch was die Verteilung des zusätzlichen Umsatzsteueraufkommens betrifft. Ich bin der Auffassung, man muß hier nach dem Motto handeln: Laßt dem Bund, was er braucht, und gebt den Ländern, was möglich ist.
Das ist die richtige Haltung, die allein die Gewähr dafür bietet, daß Bund, Länder und Gemeinden letzten Endes zu einer Einheit zusammenwachsen können.Eines möchte ich hier aber in aller Deutlichkeit festgestellt haben — ich setze da ein ganz großes Fragezeichen, Herr Stücklen —: ob die Finanzierung der Gemeinschaftsaufgaben so, wie sie in der Großen Koalition beschlossen worden ist und wie man jetzt an ihre Verwirklichung herangeht, der Weisheit letzter Schluß ist, das müssen wir uns auch noch einmal gemeinsam überlegen.
Nun möchte ich zu einem ganz bestimmten Gesetz ein paar Worte sagen, nämlich zum Krankenhausfinanzierungsgesetz. Wir selbst bauen ein großes Krankenhaus mit 900 bis 1000 Betten. Die Gemeinden und Städte warten geradezu darauf, daß ein derartiges Gesetz kommt, und ich glaube, daß auch die Mittel, die im Haushalt stehen, um den Gemeinden und Städten unter die Arme zu greifen, ein guter Anfang sind.
. — 600 Millionen DM, Herr Schneider!
— Aber 600 Millionen werden dabei frei gemacht und den Städten und Gemeinden zur Verfügung gestellt. Das sollten Sie anerkennen und nicht kritisieren.
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GallusIch gebe Ihnen zu, alle diese Gesetze sind ein Anfang, aber dieser Anfang muß doch einmal gemacht werden. Diese Bundesregierung hat ihn gemacht, und diese Bundesregierung hat auch in bezug auf die Bildung, was die finanziellen Mittel anbetrifft, meines Erachtens einiges getan. Sie haben doch die Dinge in großem Ausmaße torpediert. Wir haben ja alle miteinander erlebt, wie es auf dem Sektor der Bildung gegangen ist. Und ich sage Ihnen noch etwas: Sie müssen sich eigentlich an Ihre Brust schlagen und sich fragen: Warum haben die Städte in der Vergangenheit vielfach zuwenig Geld gehabt? Weil die CDU einklassige Volksschulen in vielen Gemeinden gebaut hat
und damit die Gelder für eine fortschrittliche Bildungspolitik in den Städten nicht mehr zur Verfügung gehabt hat.
— Herr Dr. Jenninger, in der Bildungspolitik brauchen die Freien Demokraten keine Belehrung.
Herr Abgeordneter Gallus, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Stücklen?
Nein, meine Zeit ist in wenigen Minuten um, und ich möchte doch das vortragen, was ich mir vorgenommen habe. Herr Stücklen, Sie machen von Zwischenrufen so reichlich Gebrauch, da brauchen Sie sich nicht noch extra zu einer Frage zu melden.
Wir müssen uns auch einmal als Kommunalpolitiker an die Brust schlagen: Ist denn alles, was wir bisher auf gemeindlicher Ebene investiert haben, so einwandfrei und richtig investiert worden? Ist es nicht auch einmal an der Zeit, den Städten und Gemeinden zu sagen, daß bei der Großartigkeit vieler Investitionen die Zweckmäßigkeit mehr, als es bisher geschehen ist, Pate stehen muß?
Je stärker sich die Aufgaben in den Gemeinden vermehren und je größer das Spektrum dessen wird, was man machen muß, desto mehr muß man sich auch in bezug auf Eigeninvestitionen und deren Ausstattung bescheiden. Das sage ich als Kommunalpolitiker. Ich glaube, hier sind in der Vergangenheit sehr viele Fehler gemacht worden, und dies muß man sich zu Herzen nehmen.
Aber eines möchte ich nicht vergessen noch einmal anzusprechen, nämlich die Tatsache, daß wir gerade in bezug auf die Steuergesetzgebung — und hier meine ich die Gewerbesteuer in eine Situation geraten sind, die geradezu zu einem Wildwuchs der Industrieansiedlungen und zur Zersiedlung unserer Landschaft geführt hat, weil man viel zu spät die negativen Auswirkungen der Gewerbesteuer erkannt hat und weil sich jeder auf alle Fälle Industrieansiedlung sichern wollte, ganz gleich, was es kostete. Hier müssen wir uns alle miteinander an die Brust schlagen, weil wir die Folgen zu spät erkannt haben. Ich freue mich, daß in den Eckwerten der Bundesregierung diese Fragen in bezug auf eine Harmonisierung innerhalb der EWG angesprochen worden sind; denn mit dem Wildwuchs der Industrieansiedlungen und der Zersiedlung der Landschaft kann es so nicht weitergehen.
Gestatten Sie mir auch ein Wort zum Umweltschutz. Ich bin der Auffassung, daß auch für diesen Bereich der Gesetzgebung gilt, daß ein Anfang gemacht worden ist, und zwar ein wirklicher Anfang. Ich darf nur an die Herabsetzung des Bleigehalts im Benzin erinnern und an das, was uns noch bevorsteht, an das Bundesimmissionsschutzgesetz, das Wasserhaushaltsgesetz und das Abfallbeseitigungsgesetz. Sie haben die Chance, dabei mitzuwirken. In bezug auf die Reinhaltung des Wassers sind die Ausgaben im Bundeshaushalt von 20 Millionen in 1970 auf 157 Millionen in 1971 ERP-Kredite meine ich - - und auf 174 Millionen DM in 1972 gestiegen. Ich bin sehr wohl der Auffassung, daß auch die Reinhaltung der Luft in diesem Zusammenhang gefördert werden muß.
Alles in allem, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist die FDP der Auffassung, daß sich die Bundesregierung auf dem richtigen Weg befindet, urn Bund, Länder und Gemeinden zusammenwachsen zu lassen und gemeinsam weiterzuentwickeln. Beispiele des Anfangs sind das Städtebauförderungsgesetz ---- ich will dazu keine Einzelausführungen mehr machen , das Krankenhausfinanzierungsgesetz und die Gesetze über den Umweltschutz -
alles in allem ein guter Anfang auf einem Weg,
auf dem diese Bundesregierung weiterschreiten kann.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Evers.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich gehe bei meinen Ausführungen davon aus, daß die finanzielle Lage unserer Städte und Gemeinden ein Problem ist, das allen Fraktionen des Hauses gleichermaßen am Herzen liegt, und daß die nachhaltige Verbesserung der Finanzen unserer Städte und Gemeinden ein Ziel ist, das wir gemeinsam verfolgen. Dies ist auch das Ziel der Großen Anfrage, die von der Fraktion der CDU/CSU eingebracht worden ist. Diese Anfrage will die Lage unserer Städte und Gemeinden deutlich machen, und sie will eine Grundlage dafür bieten, daß wir in diesem Hause gemeinsam nach Wegen suchen, wie wir die Ausstattung unserer Gemeinden auf finanziellem Gebiet verbessern können, und zwar ohne dafür Nachteile in Kauf nehmen zu müssen.Deutscher Bundestag --- 6. Wahlperiode — 147. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 3. November 1971 8453Dr. Eversich bin ferner der Ansicht - - und darf das als zweites sagen --: daß die kommunalen Investitionen eine sehr wichtige Grundlage für das volkswirtschaftliche Wachstum in unserem Lande sind, daß sic eine Basis für die Weiterentwicklung der öffentlichen und der privaten Wirtschaft sind, daß ohne ausreichende Investitionskraft unserer Gemeinden die Voraussetzung für das weitere Wachstum unseres Staates und unserer Volkswirtschaft nicht gegeben ist und daß damit auch die Basis für die Reformen fehlen würde, die von Ihnen angekündigt worden sind. Eine negative Entwicklung der kommunalen Finanzmasse schmälert diese Basis und fügt der gesamten Volkswirtschaft das heißt: uns allen — Nachteile zu. Davon sind dann wohl diejenigen am stärksten betroffen, die Erwartungen geweckt haben, welche sie nicht erfüllen können.Ich glaube, daß wir uns auch in einem dritten Ziel einig sind, nämlich in dem Ziel, daß die kommunale Selbstverwaltung als eine Basis unserer demokratischen Ordnung erhalten und gestärkt werden sollte. Und das heißt, daß eine Verbesserung der kommunalen Finanzmasse in der Weise erfolgen muß, daß sie den Handlungsspielraum unserer Gemeinden nicht einengt, sondern die Entscheidungsmöglichkeiten der Gemeinden, soweit es irgend geht, vergrößert.
Wenn ich die Antwort der Bundesregierung auf unsere Große Anfrage an diesen drei Zielen messe, muß ich sagen: die Antwort der Bundesregierung auf diese Anfrage ist ausweichend, unklar und in vieler Hinsicht unbefriedigend.
Sie ist unbefriedigend in erster Linie deswegen, weil aus dieser Antwort der Bundesregierung kein Konzept ersichtlich ist, wie denn die Bundesregierung die Lage in unseren Gemeinden nachhaltig zu verbessern wünscht. Ich will versuchen, einige Punkte deutlich zu machen, die dringend einer Veränderung bedürfen.Wir bedauern die Entwicklung der Finanzen insbesondere deswegen, weil es sich die gegenwärtige Bundesregierung offenbar zur Aufgabe gemacht hat, unseren Gemeinden ebenso wie den Bundesländern neue Aufgaben zuzuweisen, ohne sich darüber Gedanken zu machen, wie denn diese neuen und zusätzlichen Aufgaben von den Gemeinden mit einer schmäler werdenden Finanzmasse finanziert werden sollen.
Ich brauche dazu nur einen Finanzminister, den Finanzminister des Landes Nordrhein-Westfalen zu zitieren, der in der Sitzung des Finanzausschusses des Bundesrates im Oktober dieses Jahres sehr klar und eindeutig dargelegt hat, daß den Ländern von der Bundesregierung zusätzliche Aufgaben zugewiesen worden sind, ohne daß dafür die erforderlichen Finanzmittel zur Verfügung gestellt worden wären.Angesichts der Lage, wie sie sich in den letzten Monaten und in den zwei Jahren der gegenwärtigenRegierungskoalition entwickelt. hat, müssen wir sagen, daß die von der gegenwärtigen Bundesregierung angestrebte Erhöhung des Staatsverbrauchs mehr zu Lasten der Investitionen als zu Lasten des privaten Verbrauchs gegangen ist, und es sind keine Tendenzen erkennbar, daß dies in Zukunft anders werden würde. Damit verlieren Sie die Glaubwürdigkeit für die von Ihnen angestrebte Politik und entziehen dieser Politik selbst ihre Basis; denn Sie werden Ihre Ankündigungen nur verwirklichen können, wenn Sie die Investitionskraft vergrößern, nicht aber, wenn Sie die Investitionskraft schwächen, und gerade das haben Sie getan.Lassen Sie mich dafür Beispiele aus dem kommunalen Bereich bringen. Hier ist vom Kollegen Professor Schäfer erwähnt worden, daß die Bundesregierung beabsichtige, finanzielle Mittel für die Krankenhausfinanzierung bereitzustellen. Wo sind die Aussagen dieser Regierung darüber, wie sie die Gemeinden als die Träger des Krankenhauswesens in die Lage versetzen will, das von den Gemeinden aufzubringende Drittel der Krankenhausfinanzierung überhaupt zu alimentieren?Ein zweites Beispiel. Die Bundesregierung hat ein Umweltschutzprogramm veröffentlicht. Sie hat in diesem Umweltschutzprogramm erklärt, daß sie bei der Verbesserung der Umweltbedingungen am Verursacherprinzip festhalten wolle. Wir billigen diese Auffassung. Auch wir sind der Meinung, daß das Verursacherprinzip bei der Verbesserung der Umweltbedingungen grundsätzliche Ausgangsbasis zu sein hat. Aber wir müssen sehen, daß das Festhalten am Verursacherprinzip einen Beitrag dazu leistet, die Gewinnsituation unserer gewerbesteuerzahlenden Betriebe zu verschlechtern und damit die kommunale Finanzbasis weiter zu schwächen.Die Bundesregierung hat in ihrem Umweltprogramm weiter verkündet, daß aus den öffentlichen Haushalten von Bund, Ländern und Gemeinden bis 1975 insgesamt 30 Milliarden DM aufgebracht werden sollen. Von diesen 30 Milliarden DM will der Bund etwas mehr als 10 % bereitstellen: 3,6 Milliarden DM. Gelungen ist es bisher, in der mittelfristigen Finanzplanung 1,4 Milliarden DM nachzuweisen. 2,2 Milliarden DM, die auf den Bund entfallen, konnten vom Bund nicht belegt werden. Aber der Löwenanteil dieser Ausgaben ist von den Gemeinden aufzubringen, und über den sagt das Umweltschutzprogramm der Bundesregierung überhaupt nichts.Ich darf mit Genehmigung des Herrn Präsidenten aus dem Umweltschutzprogramm wenige Sätze zitieren:Ein Überblick über die öffentlichen Aufgaben im Umweltschutz läßt erkennen, daß das Schwergewicht der öffentlichen Ausgaben bei den notwendigen Investitionen für ausreichende Klär- und Müllbeseitigungsanlagen liegt, die in den Aufgabenbereich und damit auch in die Finanzverantwortung der Gemeinden und der Gemeindeverbände fallen. Nach der Aufgabenabgrenzung des Grundgesetzes ist es Sache der Länder, im Rahmen des kommunalen Finanz-
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Dr. Eversausgleichs die Gemeinden und Gemeindeverbände bei der Erfüllung dieser Aufgaben zu unterstützen.Meine Damen und Herren, man kann nicht ein 30-Milliarden-Programm für den Umweltschutz verkünden und dann die Finanzierung anderen überlassen, ohne ihnen dabei hilfreich an die Hand zu gehen.
Nachdem Herr Kollege Gallus vorhin einige Ausführungen über die Industrieansiedlungspolitik gemacht hat, darf ich auch einmal darauf hinweisen — das ist ein wenig selbstkritisch an uns alle gerichtet, meine Damen und Herren —, daß die Abhängigkeit unserer Gemeinden von der Haupteinnahmequelle Gewerbesteuer dazu geführt hat, daß die Gemeinden, um die Industrieansiedlung zu fördern, erhebliche Zuschüsse aus kommunalen Mitteln an industrieansiedlungswillige Betriebe gezahlt haben. Wir alle wissen, daß diejenigen Städte, die unter sozialdemokratischer Führung gestanden haben, dabei besonders intensiv vorgegangen sind. Offenbar hat man sich dabei nicht überlegt, daß eine derartige Industrieansiedlungspolitik natürlich die Konzentration des gewerblichen Vermögens in wenigen Händen begünstigt und daß das zu einer einseitigen Vermögensverteilung des Produktivvermögens führen muß. Man muß doch einmal darauf hinweisen, daß diejenigen, die diese Politik so energisch betrieben haben, sich heute über die Vermögensverteilung in diesem Lande beklagen.Meine Damen und Herren von der sozialdemokratischen Fraktion, was haben Sie denn überhaupt mit den Gewinnen unserer Wirtschaft vor? Lassen Sie mich die Frage in dieser Debatte einmal stellen. Wenn man die Äußerungen aus dem Regierungslager und aus den Koalitionsfraktionen verfolgt, ist es ein wichtiges Ziel dieser Regierung, zunächst einmal die Gewinne der Wirtschaft durch höhere Steuern zu eliminieren, sie mindestens zu nivellieren. Daneben möchte man aber offenbar auch gewährleisten, daß aus diesen Gewinnen, die man möglichst weitgehend wegsteuern möchte, höhere Löhne gezahlt werden können, ohne daß sich das auf die Preise auswirken soll. Man möchte offenbar als Drittes erreichen — so geht es jedenfalls aus dem Programm der Bundesregierung hervor , daß aus diesen Gewinnen, die weggesteuert werden sollen, die Industrie auch noch Umweltschutzmaßnahmen in Milliardenhöhe bezahlt, ohne daß sich das auf die Preise auswirken soll.Wenn man diese drei Ziele einmal betrachtet, muß man sagen: allein mit diesen drei Zielen haben Sie die Gewinnmarge der deutschen Wirtschaft wahrscheinlich schon dreimal in Anspruch genommen. Sie haben hiermit eine Overkill-Kapazität bei der Vernichtung von Gewinnen postuliert.
Aber das ist ja noch gar nicht alles. Sie wollen ja nicht nur die Gewinne durch Steuern beseitigen und durch Lohnerhöhungen und Ausgaben für den Umweltschutz weiter reduzieren. Es soll außerdem auch noch möglich sein — das ist Ihr vierterPunkt —, aus den Gewinnen, die Sie möglichst gar nicht haben wollen, eine Gewinnbeteiligung und eine zusätzliche Vermögensbildung zu finanzieren. Bei alledem möchten Sie schließlich noch, daß die Investitionsneigung und die Investitionskraft nicht geringer werden, damit wir ein weiteres Wachstum in unserem Lande haben.
Ich möchte den Damen und Herren von den Regierungsfraktionen einmal sehr nahelegen, dieses magische Fünfeck ihrer Wirtschaftspolitik ein wenig sorgfältiger zu untersuchen und zu prüfen, ob ihr Verhältnis zu den Möglichkeiten der marktwirtschaftlichen Ordnung auf diesem Gebiet nicht verbessert werden kann.Meine Damen und Herren, wie können wir den Gemeinden helfen? Lassen Sie mich auf einen konkreten Vorschlag zurückkommen, der diesem Hause seit acht Monaten vorliegt, der von der Regierung nicht behandelt worden ist und dessen Behandlung von der Regierungsmehrheit in den Ausschüssen verzögert wird. Ende des vergangenen Jahres hat der Bundesrat eine Initiative ergriffen, die dahin zielte, die Betriebe des öffentlichen Nahverkehrs von der Mineralölsteuer zu entlasten. Diese Initiative des Bundesrates ist vor acht Monaten in diesem Hause vorgebracht worden. Wir von der Opposition haben damals darauf verzichtet, einen eigenen gleichlautenden Antrag einzubringen, um den Regierungsfraktionen die Annahme dieses wichtigen Antrags zu erleichtern. Acht Monate ist das her. Es hätte für unsere Betriebe des öffentlichen Nahverkehrs nach damaligen Berechnungen eine Entlastung in der Größenordnung von 175 Millionen DM gebracht. Heute ist auf Grund neuer Berechnungen von 200 Millionen DM auszugehen. Dieser Antrag des Bundesrates, der hier von einem sozialdemokratischen Minister vertreten worden ist und von uns unterstützt wurde, war eine von drei Maßnahmen zur Verbesserung des kommunalen Nahverkehrs. Die erste Maßnahme war, daß der Linienverkehr von der Kraftfahrzeugsteuer freigestellt werden sollte. Diese Maßnahme ist von den Ländern durchgeführt worden, und sie ging zu Lasten der Länder. Die zweite Maßnahme dieses Pakets war die Entlastung der Nahverkehrsunternehmen von der Konzessionsabgabe. Das ist von den Gemeinden durchgeführt worden und ging finanziell zu Lasten der Gemeinden. In diesem Paket war —so war die Konzeption — als dritte Maßnahme von seiten des Bundes beabsichtigt, eine Entlastung der öffentlichen Nahverkehrsbetriebe von der Mineralölsteuer vorzunehmen. Das ist acht Monate her. Bis heute ist auf diesem Gebiet nichts unternommen worden, außer der Ankündigung, daß Sie die Erhöhung der Mineralölsteuer, die Sie beabsichtigen, benutzen wollen, um cien Ländern damit die Verantwortung für diese 200 Millionen DM zuzuschieben.
Herr Abgeordneter Dr. Evers, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Apel?
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Herr Kollege Dr. Evers, erinnern Sie sich daran, daß ich damals für die SPD-Fraktion erklärt habe, daß wir diesem Antrag der Länder nach Erhöhung der Mineralölsteuer Rechnung tragen werden? Vorher waren keine Mittel dazu da. Sind Sie unter dieser Perspektive nicht bereit, der Erhöhung der Mineralölsteuer zuzustimmen, da sie in der Tat auch dazu bestimmt sein wird, den Forderungen des öffentlichen Personennahverkehrs zu entsprechen?
Herr Kollege Dr. Apel, ich werde auf die Frage der Mineralölsteuer gleich eingehen. Aber ich möchte Sie doch hier daran erinnern dürfen, daß Sie damals gesagt haben, diese 175 Millionen DM für die kommunalen Nahverkehrsbetriebe sind ein Tropfen auf den heißen Stein, das genügt alles nicht, wir werden ein umfassendes, viel besseres Konzept vorlegen. Dieses Konzept haben Sie bisher nicht vorgelegt, obwohl wir Ihnen angeboten haben, diese 175 Millionen DM nicht nur gemeinsam zu tragen, sondern mit Ihnen gemeinsam die Deckungsmöglichkeiten für diesen Steuerausfall zu suchen. Wir haben Sie darauf hingewiesen. Heute sagen Sie, wir werden das später machen. Nur geholfen haben Sie bisher nicht.
Herr Abgeordneter Dr. Evers, gestatten Sie eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Apel?
Herr Dr. Evers, haben Ihnen die Mitglieder des Verkehrsausschusses des Bundestages Ihrer Fraktion nicht gesagt, daß eine Nahverkehrskonzeption von der Bundesregierung in Arbeit ist, sie in wenigen Wochen zu erwarten sein wird, wir aber mit der Vorleistung, nämlich dem Erlaß der Mineralölsteuer für den öffentlichen Personennahverkehr, das, was vom Bund finanziell getan werden kann, dann getan haben; denn auch Sie denken ja wohl nicht daran, daß der Bund hier zum Träger der Verluste des öffentlichen Personennahverkehrs generell werden soll?
Darf ich sagen, wir haben nicht vom Erlaß der Mineralölsteuer, sondern von einer Erstattung gesprochen, weil wir hier einen Unterschied machen möchten. Aber im Ziel waren wir uns, glaube ich, einig.
Lassen Sie mich noch einmal sagen, die Initiative ist Jahre alt, sie ist vom Bundesrat im Herbst vergangenen Jahres beschlossen worden, hier wurde sie vor acht Monaten eingebracht, und Sie haben es leider nicht für richtig gehalten, in den Ausschüssen einer Weiterbehandlung dieser Gesetze Ihre Zustimmung zu geben. Das muß ich hier ganz deutlich feststellen.
— Wir haben Ihnen ja wohl vorgerechnet, wo das herkommt. Es waren 660 Millionen DM Defizit. Herr Apel, nun bleiben Sie doch sachlich, wir können uns doch hier unterhalten! Warum wollen Sie jetzt auf einmal in eine Tonlage verfallen, die einer von Ihnen hier schon einmal exerziert hat?
— Ich bin gar nicht empfindlich!
Herr Abgeordneter Dr. Apel, Sie haben zu Zwischenfragen Gelegenheit gehabt, jetzt lassen Sie Herrn Dr. Evers fortfahren!
Er hat von mir auch schon eine Mahnung bekommen.
Wenn Sie glauben, daß ich deswegen so aus der Rolle falle wie lhr Fraktionskollege, dann täuschen Sie sich natürlich, Herr Apel.Meine sehr geehrten Damen und Herren, lassen Sie mich daran erinnern, daß die hier bereits zitierte Mineralölsteuererhöhung mit Wirkung vom 1. Januar 1967 die erste Maßnahme gewesen ist, die zu einer echten Erhöhung der kommunalen Finanzmasse für den öffentlichen Nahverkehr und den Straßenbau geführt hat. Das war ab 1967 in der Größenordnung von einer dreiviertel Milliarde DM der Fall. Wir alle waren uns damals darüber im klaren, daß eine Steuererhöhung mit dieser strengen Zweckbindung im Grunde genommen eine Maßnahme ist, die zwar ihre erheblichen positiven Wirkungen gehabt hat, aber steuersystematisch nicht ganz unbedenklich sein würde. Mit einer Wiederholung dieser Maßnahme — indem Sie zu den damaligen 3 Pf, die der Bundesfinanzminister Strauß vertreten hat, nun noch einmal den gleichen Betrag hinzufügen würden Sie eine Zweckbindung öffentlicher Mittel in einem Maße herbeiführen, das die Manövriermasse aller Parlamente in einer bedenklichen Weise einengt und damit ihre Entscheidungsfreiheit beeinträchtigt.
— Daß Sie das nicht mehr begreifen, Herr Kollege Apel, ist natürlich Ihre Sache. Ich kann Ihnen gern mit Erläuterungen behilflich sein.In dem Moment, wo ein zu großer Teil der öffentlichen Einnahmen mit Zweckbindung den Gemeinden zugewiesen wird, schwächen wir die Entscheidungsfreiheit sowohl des Bundestages wie der kommunalen Parlamente. Wir engen dadurch das Budgetrecht des Parlaments ein. Deswegen haben wir gegen cien von Ihnen hier vorgebrachten Vorschlag Bedenken. Ich werde Ihnen gleich sagen, wie wir es machen wollen, und dann sollten wir uns darüber unterhalten, welche Wege am geeignetsten sind, um zu dem Ziel zu kommen, das wir offenbar gemeinsam anstreben.
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2456 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 147. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 3. November 1971
Dr. EversWir haben weiter Bedenken dagegen, daß der Bundesfinanzminister die von Ihnen gewünschten Mehreinnahmen aus der Mineralölsteuer am Bundeshaushalt und damit auch am Gesetzgeber vorbeiführt. Wir meinen, daß dies ein bedenkliches Verfahren ist. Durch diese Zweckbindung des Mineralölsteueraufkommens betreiben Sie wiederum eine Finanzpolitik, die Ländern und Gemeinden die Last zusätzlicher Komplementärmittel auferlegt, ohne daß Sie eine Aussage darüber machen, woher die Gemeinden diese Mittel nehmen sollen.In der gegenwärtigen Situation der öffentlichen Nahverkehrsbetriebe muß es ein wesentliches Anliegen sein, auch die Betriebsbilanzen der öffentlichen Nahverkehrsbetriebe zu verbessern. Es ist nicht mehr damit getan, nur Investitionszuschüsse zu geben, sondern unsere öffentlichen Nahverkehrsbetriebe müssen auch in ihrer laufenden Bilanz eine Entlastung erfahren.Das ist der entscheidende Gesichtspunkt, den wir Ihnen hier entgegenhalten, wenn Sie auf ein Konzept
— Ich spreche hier für die CDU/CSU, Herr Apel, wenn Sie das noch nicht gewußt haben sollten.
— Ich werde Ihnen gleich unsere Vorschläge nennen, wenn Sie nur noch einen Moment Geduld haben und Ihre Ungeduld zügeln können, Herr Apel.Schließlich müssen wir einen Beitrag dazu leisten, die Erschließung der Fläche im Umland unserer Städte zu verbessern. Auch hierzu sollten von uns gemeinsam Maßnahmen ernsthaft geprüft und beschlossen werden.Im März dieses Jahres haben wir durch das Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz erreicht, daß die Verteilung der Mineralölsteuer im Wege einer Verwaltungsvereinbarung abgelöst und auf eine gesetzliche Grundlage gestellt wurde. Wir möchten nicht, daß wir, indem wir Ihren Plänen zustimmen, zu dem alten Zustand zurückkehren.Lassen Sie mich jetzt ganz deutlich sagen, was mein Kollege Schneider hier bereits ausgeführt hat. Im Jahre 1969 wurden den Gemeinden mit der Finanzverfassungsreform 2,7 Milliarden DM zusätzliche Mittel zur Verfügung gestellt, die heute keinen Nettoeffekt mehr haben, weil die Wirtschaftspolitik zu Preissteigerungen geführt hat, die diese Mehreinnahmen aufgezehrt haben. Damals wurde aber von einem ersten Schritt gesprochen. Es wurde sehr klar zum Ausdruck gebracht und in das Grundgesetz aufgenommen, daß die Gemeinden auf ihren Anteil an der Einkommensteuer eine Hebesatzkompetenz erhalten sollen. So können Sie es in Art. 106 GG nachlesen. Wir regen an — und wir sind bereit, mit Ihnen darüber nicht nur zu diskutieren —, daß wir gemeinsam mit Ihnen eine Maßnahme ergreifen, die den Gemeinden diese Hebesatzkompetenz einräumt.
Herr Kollege Schäfer, lassen Sie mich nun einmal das einfache Rechenbeispiel aufmachen. Bei 50 Milliarden DM Aufkommen aus der Lohn- und Einkommensteuer machen 14 % kommunaler Anteil einen Betrag von 7 Milliarden DM aus, d. h. eine Erhöhung der Hebesätze um 10 % im Schnitt bringt den Gemeinden 700 Millionen DM Mehreinnahmen, eine Erhöhung um 15 % würde ihnen ungefähr i Milliarde DM bringen. Das sind dann Mittel, über die die Gemeinden im Rahmen der kommunalen Selbstverwaltung so verfügen können, wie sie es nach ihrer Prioritätenliste für erforderlich halten. Das sind keine Mittel, die den Gemeinden mit bestimmten Auflagen und für bestimmte Zwecke zugewiesen werden. Wir meinen, daß das eine Lösung ist, die der kommunalen Selbstverwaltung deutscher Prägung, wie wir sie hier haben, in weitaus höherem Maße gerecht wird als die Vorschläge, die Sie diesem Hause unterbreiten.
Herr Kollege Evers, ich bitte Sie, zum Schluß zu kommen. Ihre Redezeit ist überschritten.
Vielen Dank, Frau Präsidentin! Ich komme zum Schluß.Lassen Sie mich noch folgendes sagen. Uns gefällt an Ihren Vorschlägen nicht, daß sie das Budgetrecht des Parlaments beschränken, daß sie die Tendenz in sich haben, die kommunale Selbstverwaltung zu reduzieren. Wir möchten unseren kommunalen Parlamenten größere Entscheidungsfreiheit geben, und wir sind nicht bereit, einer Schmälerung des Budgetrechts dieses Hohen Hauses zuzustimmen.Deswegen schlagen wir Ihnen vor, von der Bundesregierung oder aus diesem Hause möge die Initiative ergriffen und ein Gesetzentwurf zur Gewährung der Hebesatzkompetenz vorgelegt werden. Wir werden mit Ihnen gemeinsam diese Maßnahme vertreten.
Wir bitten Sie, nun endlich über den von uns unterstützten Antrag des Bundesrates auf Mineralölsteuerbefreiung der öffentlichen Nahverkehrsbetriebe zu entscheiden. Durch diese Befreiung von der Mineralölsteuer könnte eine Entlastung der öffentlichen Haushalte und eine Verbesserung der kommunalen Nahverkehrssituation herbeigeführt werden.Wir sind drittens dafür — lassen Sie mich auch das ganz deutlich sagen —, daß dieses Haus und die Bundesregierung einen Beitrag dazu leisten, daß die Länder ihrer Verantwortung für die Gemeinden nachkommen können. Das bedeutet für uns: den Wünschen der Länder nach einem höheren Anteil an der Umsatzsteuer Nachdruck zu verleihen. Wir werden diese Wünsche unterstützen.Wir legen Ihnen darüber hinaus nahe, auch eine Aussage darüber zu machen, wie Sie es mit der generellen Erhöhung des kommunalen Anteils an
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Dr. Eversder Lohn- und Einkommensteuer halten und welche Maßnahmen Sie zur Revalorisierung der Grundsteuer zu ergreifen gedenken.Meine sehr geehrten Damen und Herren, lassen Sie mich abschließend folgendes sagen. Den Gemeinden muß geholfen werden. Diese Aufgabe kann um so besser erfüllt werden, je größer die Mehrheit ist, die in diesem Hause hinter den entsprechenden Maßnahmen stehen wird. Versuchen Sie auf Grund der Vorschläge, die wir Ihnen hier gemacht haben, einen Weg zu finden, mittels dessen wir gemeinsam den Gemeinden das geben können, was sie benötigen, um die Voraussetzungen zu schaffen, daß sich unsere Wirtschaft weiterentwickeln kann.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Schmitt-Vockenhausen.Dr. Schmitt-Vockenhausen: : Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wer heute morgen die Hoffnung gehabt hatte, der Herr Kollege Schneider und der Herr Kollege Evers würden Brot für die Städte und Gemeinden bringen, muß enttäuscht sein. Sie haben lediglich Backsteine gegen die Regierung geworfen.
— Mit Backsteinen kann man gelegentlich etwas treffen; aber hier haben Sie doch Erwartungen geschaffen.Meine Damen und Herren, die Lage der Städte und Gemeinden ist zu wichtig und zu schwierig, als daß sie gewissermaßen nur als Vehikel für Angriffe gegen die Regierungspolitik dienen könnte.
Meine Damen und Herren, was Sie an eigenen Vorschlägen gebracht haben, war leider sehr wenig. Der einzige konkrete Punkt war, daß Sie zu dem Verfassungsgrundsatz der Zuschläge für die Gemeinden stehen. Dieser Grundsatz ist in die Verfassung eingeführt. Dazu stehen wir ohnehin. Das bedarf keiner weiteren Diskussion.
Was die Vorschläge — eigentlich waren es ja nur Fragen — des Kollegen Evers betrifft, so kann ich nur sagen: Die richtige Stunde, solche Anträge zu stellen, sind die Beratungen des Haushalts. Wenn Sie dann auch Deckungsvorschläge unterbreiten, können wir über alles reden, Herr Kollege. In der ersten Lesung des Haushalts haben Sie jedenfalls jede Konkretisierung vermieden. Auch heute haben Sie sich lediglich in vagen Andeutungen über bestimmte Möglichkeiten ergangen.
Meine Damen und Herren, was die einzige Frage, die heute und morgen hier wirklich zur Entscheidung ansteht, angeht, nämlich die Frage der Erhöhung der Mineralölsteuer, so haben wir aus demMunde Ihres Kollegen Dr. Barzel gehört, daß Sie diese Erhöhung ablehnen werden. Darüber bin ich ganz besonders enttäuscht. Ich bin gespannt, wie Sie aus diesem Dilemma morgen herauskommen.Meine Damen und Herren, nun zu dem, worum es uns hier geht. In den 20 Jahren seit Bestehen der Bundesrepublik war es das Anliegen der SPD-Fraktion, dafür zu sorgen, daß die deutschen Städte und Gemeinden auch wirklich zu einer dritten Säule im Aufbau der Bundesrepublik werden. Im Rahmen der Finanzreform, im Rahmen der ersten Bemühungen zur Änderung der Finanzverfassung, an denen mein schon lange verstorbener Kollege Gülich entscheidenden Anteil gehabt hat, haben die Sozialdemokraten einen wesentlichen Beitrag zur Erreichung dieses Zieles geleistet. Es kommt nun darauf an, daß es weitergeht.Wie war es aber in der Vergangenheit? — Meine Damen und Herren, in der Vergangenheit war es so, daß Steuergeschenke gemacht worden sind, indem man den Städten und Gemeinden in die Tasche gegriffen hat. Ich darf Sie an die Wohnungsbauvergünstigungen erinnern, ich darf Sie an die Gewerbesteuersenkungen erinnern; alles Entscheidungen des Bundes, die jeweils zu Lasten der Gemeinden gegangen sind. Und zum erstenmal stellen wir doch hier fest, daß eine Bundesregierung in ihren steuerpolitischen Anliegen Verständnis hat, daß sie auch bereit ist, die Situation der Gemeinden mit zu bedenken.Wir haben Verständnis dafür, daß man in der Frage der Gewerbesteuer Änderungen erwägen muß — die Erhöhung des Freibetrags usw. --, aber wir begrüßen es, daß die Bundesregierung eine grundlegende Änderung der Gewerbesteuer im jetzigen Zeitpunkt nicht durchführen will, sondern daß sie in allen Steuerreformüberlegungen auch die Weiterführung der Gemeindefinanzreform sichern will. Insoweit freuen wir uns, das heute hier feststellen zu können, und ich bin sicher, daß gerade in bezug auf den Ausfall, der hier entsteht, die Bundesregierung sich Gedanken machen wird. Sie wissen, es gibt die verschiedensten Vorschläge.Hier ist heute morgen sowohl vom Herrn Kollegen Schneider wie auch vom Herrn Kollegen Professor Dr. Schäfer deutlich gemacht worden, daß bei der Gemeindeeinkommensteuer ein eigener Einfluß der Gemeinden auf deren Höhe erwünscht ist. Das läßt sich über den Hebesatz lösen. Es gibt eine mögliche Variation, die ich bei anderer Gelegenheit in die Diskussion gebracht habe, nämlich die Aufrechterhaltung der sozial begründeten Progression im Einkommensteuertarif durch Zuschlagsrecht auf die gesamte Einkommensteuer. Es kommt darauf an, daß die durch die Finanzreform gegebenen Möglichkeiten genutzt werden.Wir werden in diesen Tagen eine weitere Entscheidung zu treffen haben, die für die Gemeinden von sehr großer Bedeutung ist, nämlich in der Frage der Sockelbeträge. Sie wissen, daß nach § 3 des Gemeindefinanzreformgesetzes für die Verteilung des Gemeindeanteils an der Einkommensteuer der maßgebliche Sockelbetrag ab 1. Januar 1972
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Dr. Schmitt-Vockenhausen80 000 160 000 würde. Im Finanzausschuß steht die Vorlage zur Beratung an. Ich kann der Entscheidung des Finanzausschusses nicht vorgreifen. Ich glaube jedoch, daß diese Entscheidungen dazu führen werden, daß ein positiver Ausgleich im Gesamtrahmen der Zuwachsraten der Gemeinden im Finanzausschuß gefunden wird. Es besteht weltgehende Übereinstimmung über einen Sockelbetrag von 16 000/32 000, so daß damit eine ganz wichtige Frage für viele Städte und Gemeinden positiv gelöst werden wird.ähnlich sieht es mit der Grundsteuer aus. Hier ist eine Verbesserung der kommunalen Finanzmasse, die hier von der Bundesregierung vorgesehene Erhöhung des Aufkommens der Grundsteuer um insgesamt 25 % beabsichtigt. Es bedarf deshalb eines zeitnahen Einheitswertes, der durch die Multiplikation des Einheitswertes 1964 mit dem Indikator 1,4 erreicht werden soll. Die Investitionskraft der Gemeinden würde dadurch um rund 840 Millionen DM jährlich verbessert.Morgen werden wir das Gesetz über die Erhöhung der Mineralölsteuer beraten, und alles das, was der Herr Kollege Evers als im dunkeln liegend bezeichnet hat, wird dann an das Licht kommen und geklärt werden. Es wird sich dann zeigen, daß die Regierung für alle angeschnittenen Fragen hier entsprechende Vorschläge vorlegen kann. Mein Kollege Schäfer hat mit Recht auf die Anhebung der Mineralölsteuer in Höhe von 1 Milliarde DM jährlich, auf das Krankenhausfinanzierungsgesetz Bau und Unterhaltung der Krankenhäuser — das langfristige Wohnungsbauprogramm und die Finanzierung städtebaulicher Sanierungsmaßnahmen hingewiesen.Lassen Sie mich hier einen weiteren Punkt nennen: Wir hoffen, daß durch die Steuerreform die gemeinnützigen und kommunalen Wirtschaftsunternehmen, insbesondere aber auch die Sparkassen, in ihrer gemeinwirtschaftlichen Funktion durch eine höhere Steuerbelastung nicht beeinträchtigt werden. Die SPD hofft sehr, daß es hier gelingt, entsprechende Lösungen in den weiteren Beratungen der Steuerreform zu finden.Über das Bodenrecht hat Herr Kollege Schäfer hier schon Entscheidendes gesagt. Der Herr Bundeswohnungsbauminister hat Vorschläge für flankierende Maßnahmen im Steuer- und Bewertungsrecht -- neben der Novellierung des Bundesbaugesetzes — eingeleitet. Das alles soll vor allem den unverdienten Wertzuwachs erfassen, und die sich so ergebenden Mehreinnahmen sollen den Gemeinden für ihre entscheidenden Aufgaben zufließen, zumal, Herr Kollege Evers, der Herr Kollege Schäfer Ihnen gezeigt hat, welche Mehrausgaben hier entstanden sind, weil die Rechtsgrundlagen so lange gefehlt haben. Sie als Stadtkämmerer könnten das sicher für Ihre Stadt in Heller und Pfennig nachweisen, was Sie alles zusätzlich ausgeben mußten weil Sie es früher nicht ausgeben konnten.
Es ist auch erfreulich, daß in der Frage der Raumordnung die Ministerkonferenz die Notwendigkeit des Bundesraumordnungsprogramms bejaht hat. Damit ist die Ebene für eine einvernehmliche Aufstellung gegeben. Die Auswirkungen des Programms für die Länder und die Gemeinden werden beachtlich sein. Die Gemeinden werden nach den Landesplanungsgesetzen an den landesplanerischen Entscheidungen in einem förmlichen Verfahren beteiligt.. Das ist das Gegenstromprinzip. Auf der Ebene der Bundesraumordnung wäre dieses Prinzip noch auszubauen. Ich weiß, daß der Herr Minister Genscher gerade diese Fragen im Augenblick schon prüft, besonders die, wie er dieses Prinzip in die Wirklichkeit umsetzt. Die Gemeinden haben in ihrer örtlichen städtebaulichen Planung die meisten Aufgaben der Raumordnung und Landesplanung zu vollziehen und sie dem Bürger gegenüber zu verantworten. Gerade eine solche Zusammenarbeit, vor allem mit den Spitzenverbänden und dem Bund und den Ländern in der Raumordnung sollte institutionalisiert werden.Ich will nicht die Zahlen darüber wiederholen, inwieweit durch die Bundesregierung mit der Finanzreform 1969 das Finanzvolumen der Gemeinden verbessert worden ist. Die Antwort der Bundesregierung und die Ausführungen des Kollegen Schäfer haben hier noch einmal eine Gesamtübersicht über die Maßnahmen in der ersten Stufe der Gemeindefinanzreform gebracht.Darüber hinaus wäre es gut, wenn wir uns einmal Gedanken machten, wie eine weitergehende Anerkennung der Städte und Gemeinden als dritte Säule des staatlichen Aufbaus in der Bundesrepublik herbeigeführt werden kann. Ich meine, daß den Städten und Gemeinden stärkerer Einfluß auf die Gesetzgebung eingeräumt werden sollte. Die Interessen der Gemeinden wurden ja früher im Gesetzgebungsverfahren nur von den Ländern und werden heute durch die Gemeinschaftsaufgaben von Bund und Ländern wahrgenommen. Aber es besteht dabei allzu leicht die Gefahr, daß Bund und Länder auch Kompromisse auf dem Rücken der Nichtbeteiligten schließen. Mancher Vorwurf der Gemeinden aus der Vergangenheit — ich habe das an einigen Beispielen deutlich gemacht -- ist daher berechtigt. Die Gemeinden überlegen daher immer wieder, wie sie stärker in die Gesetzgebung und in die Planung eingeführt werden. Ich glaube, daß es sehr wichtig ist, daß sowohl in den Planungsgremien des Bundes und in den gemeinsamen Gremien der Länder sowie bei den Maßnahmen der EWG die Städte und Gemeinden die Chance der Mitsprache erhalten.Über die Ausgestaltung dieser Regelungen wird selbstverständlich noch eingehend diskutiert werden. Die prinzipielle Notwendigkeit der Beteiligung der Gemeinden bei der Gesetzgebung und in Planungsgremien ist jedoch ganz sicher unbestritten. Ich würde mich freuen, Herr Kollege Professor Dr. Schäfer, wenn im Rahmen der von Ihnen geleiteten Verfassungs-Enquetekommission nach Möglichkeiten gesucht würde, in dem verfassungsrechtlichen Aufbau von Bund und Ländern entsprechende Regelungen einzuführen.Wer heute von Ihnen erwartet hatte, daß Sie im Zusammenhang mit der Großen Anfrage konkrete
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Dr. Schmitt-VockenhausenVorschläge vorlegen würden, ist enttäuscht, Herr Kollege Schneider. Umgekehrt können wir sagen: die Bundesregierung hat im Rahmen des finanzpolitisch und konjunkturell schwierigen Haushalts 1972 eine Reihe von Maßnahmen für die Gemeinden vorgeschlagen, die auch haushaltsmäßig abgesichert sind. Dafür sind wir dankbar. Wir sind sicher, daß im Wege der von mir zusätzlich vorgetragenen Möglichkeiten in dem Spannungsverhältnis von Bund, Ländern und Gemeinden die deutschen Gemeinden sicher sein können, daß die Bundesregierung und die sie tragenden Parteien auch in Zukunft ihr möglichstes tun, um die Gemeinden in den Stand zu setzen, ihre Aufgaben so zu erfüllen, wie wir es von ihnen im Rahmen der Gemeinschaftsaufgaben erhoffen.
Das Wort hat der Abgeordnete Wurbs.
Frau Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Kollege Schneider hat am Anfang seiner Ausführungen einen Satz des damaligen Präsidenten des Deutschen Städtetages und des heutigen Bundeskanzlers zitiert: Dieser Staat kann nur leben, wenn seine Städte leben. Ich glaube, dieser Satz gilt heute mehr denn je.
Es ist aber geradezu böswillig, hier zu behaupten, die Regierung habe gar nichts getan, um die Situation der Städte und Gemeinden zu verbessern. Es ist klar, daß getroffene Maßnahmen nicht sofort wirksam werden können, sondern daß es erst eines Zeitraums bedarf, bis hier sichtbare Erfolge festzustellen sind. Ich werde nachher noch darauf eingehen und den Beweis antreten, daß die Regierung in den zwei Jahren nicht untätig gewesen ist.
Kollege Schneider führte weiter aus, daß die Finanzsituation in den Jahren der Rezession besser gewesen sei als in den Jahren danach. Hier muß gesagt werden, daß z. B. die Gewerbesteuer immer nach dem Gewerbesteuermeßbetrag ermittelt wird, der normalerweise zwei Jahre hinterher hinkt; das gleiche trifft auch für die Einkommensteuer zu.
Herr Kollege Wurbs, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schneider?
Herr Kollege Wurbs, erinnern Sie sich daran, daß ich davon gesprochen habe: 1966 lag die Investitionsquote, die Ausgaben der Gemeinden für Investitionen bei 33 %? Das war die höchste Quote in den letzten Jahren. Das habe ich gesagt.
Herr Kollege Schneider, Investitionen können nur durchgeführt werden, wenn die entsprechenden Mittel zur Verfügung stehen. Daraus ist doch wohl der Schluß abzuleiten, daß die Ertragssituation in den Jahren besser gewesen ist als in den Jahren danach, in denen sich erst die Rezession ausgewirkt hat. Das dürfte wohl unbestritten sein.Sie haben weiter zu dem Problem des Schuldendienstes Stellung genommen, und ich muß sagen, daß in diesem Punkt die Länder, Städte und Gemeinden nicht von einer Schuld freizusprechen sind. Ich will keineswegs die Versäumnisse verniedlichen oder die Verantwortung auf andere Teile abwälzen. Aber es ist doch eine Tatsache, daß man sich bei der Vornahme von Investitionen nicht in jedem Fall über ihre Auswirkungen — den Schuldendienst und die Folgekosten — im klaren ist. Es kann auch nicht bestritten werden, daß in der Vergangenheit in vielen Bereichen viel zu aufwendig gebaut wurde; das sollte auch einmal hier festgestellt werden.Sie haben ein interessantes Beispiel gebracht, das einer näheren Untersuchung wert ist. Sie sagten, daß die Stadt Nürnberg 1963 eine Musikhalle in einer Größenordnung von 33 Millionen errichtet hat. Es wäre aber interessant zu wissen — und ich möchte zur Klarstellung der derzeitigen Situation drei Fragen stellen —: Erstens. Wie hoch ist jetzt die Gesamtverschuldung der Stadt Nürnberg? Zweitens. Wie hoch sind die Unterhaltskosten, die aus dieser Baumaßnahme, der Musikhalle, resultieren? Drittens. Wie hoch war das Steueraufkommen 1963, und wie hoch ist es heute?
Dieses Problem kann man nicht ganz isoliert betrachten, sondern man sollte diese Fragen durchaus etwas näher unter die Lupe nehmen.Sie führten aus, Herr Kollege Schneider, daß die Stadtsparkassen künftighin mehr zur Kasse gebeten werden sollten, um die gemeindlichen Aufgaben zu unterstützen. Hier begehen Sie einen Denkfehler. Auf der einen Seite monieren Sie, daß die Gemeinden zu stark verschuldet sind, und auf der anderen Seile sagen Sie, daß die Stadtsparkassen mehr zur Kasse gebeten werden sollten, damit die Aufgaben der Gemeinden erfüllt werden könnten. Das heißt doch schlicht und einfach mit anderen Worten, daß sich die Gemeinden weiter verschulden sollen.Noch ein Wort zur Gewerbesteuer. Abgesehen von dem wettbewerbsverzerrenden Effekt dieser Steuer ist doch unbestritten, daß sie am konjunkturempfindlichsten ist und daher im Zuge einer Harmonisierung der Mehrwertsteuer innerhalb der EWG einer Änderung bedarf.Meine Damen und Herren, bereits am 12. März 1971 hat die Bundesregierung auf eine Große Anfrage der CDU/ CSU zu den finanziellen Auswirkungen der Reformmaßnahmen der Bundesregierung für die Länder und Gemeinden und weiteren Konsequenzen Stellung genommen. Es soll nicht bestritten werden, daß sich die Finanzsituation der Städte und Gemeinden seitdem nicht gebessert hat. Es muß aber klar herausgestellt werden, daß die Lage durch wiederholte Anfragen der Opposition nicht positive geändert wird.Ich will hier keine konjunkturpolitische Debatte entfachen, obwohl es angebracht wäre, erneut die
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WurbsUrsachen aufzuzeigen, die zu der Finanznot geführt haben. Ich stimme dem Kollegen Evers zu, der hier ausgeführt hat, wir sollten versuchen, gemeinsame Lösungen zu finden. Ich unterstreiche auch den Satz, in dem er erklärte, daß die Kompetenzen der Städte und Gemeinden ausgedehnt und nicht eingeschränkt werden sollten.Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich bin der Meinung, daß zwei wesentliche Faktoren zur Verbesserung der Lage der Städte und Gemeinden beitragen können, und zwar erstens finanzpolitische Maßnahmen und zweitens strukturpolitische Maßnahmen. Zu den finanzpolitischen Maßnahmen hat mein Kollege Gallus bereits Ausführungen gemacht, so daß ich mich auf Punkt zwei, die strukturpolitischen Mainahmen, beschränken kann.In der Regierungserklärung vom 28. Oktober 1969 hat die Bundesregierung ein Bundesraumordnungsprogramm angekündigt, durch das künftige Vorhaben der Länder und des Bundes koordiniert werden sollen. In einer Sitzung im Oktober 1970 haben sich die Ministerpräsidenten bereit erklärt, ein derartiges Programm gemeinsam mit dem Bund zu erarbeiten. Inzwischen ist unter den Partnern Einigung über die Grundsätze des Raumordnungsprogramms erzielt worden.Zur Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur, vor allem zur Beseitigung und zum Abbau des bestehenden Wirtschaftsgefälles, z. B. im Zonenrandgebiet, wurde ein Zonenrandförderungsgesetz verabschiedet, durch das künftig 80 Millionen DM bereitgestellt werden.Des weiteren hat die Bundesregierung am 11. Dezember 1970 strukturpolitische Grundsätze für kleine und mittlere Betriebe verabschiedet. Ziel dieses Programms sind vor allem die Verbesserung der Produktivität, die Aus- und Weiterbildung sowie die Verbesserung der Kooperationsmöglichkeiten. Es sind Anpassungshilfen und Begünstigungen bei Betriebsumstrukturierungen vorgesehen.Weiterhin sind Maßnahmen zur Förderung des Städtebaus und des Wohnungsbaus gesetzlich verankert worden. So wurde u. a. ein neues Wohngeldgesetz verabschiedet, das wesentliche Leistungsverbesserungen mit sich bringt und eine Anpassung der Einkommensgrenzen an die sich verändernden Verhältnisse vorsieht.Die Bundesregierung hat zur Verstärkung des Wohnungsbaus ein langfristiges Wohnungsbauprogramm verabschiedet, das u. a. den Bau von 200 000 bis 250 000 Wohnungen jährlich sowie zusätzlich die Modernisierung von 50 000 Wohneinheiten vorsieht.In dieser Legislaturperiode wurde endlich nach langjährigen Beratungen ein Städtebauförderungsgesetz verabschiedet. Mit diesem Gesetz sollen die Gemeinden erstmals in die Lage versetzt werden, ihre gemeindlichen Aufgaben zu erfüllen. Mit der Verabschiedung dieses Gesetzes wurde auch einem Teil der Forderungen des Deutschen Städtetages vom Mai 1971 Rechnung getragen. Im Gesetz sind erstmalig Finanzansätze in einer Größenordnung von 450 Millionen DM bis zum Jahre 1974 festgelegt worden. Des ist ein erster Schritt, um künftig die Wohnungsbau- und Städtebausituation fühlbar zu entlasten.
— Herr Balkenhol, Sie wissen, daß man diese 450 Millionen DM — 150 Millionen pro Jahr -- nicht isoliert betrachten darf, sondern zu diesen 150 Millionen DM kommen ja noch komplementäre Mittel der Länder, der Gemeinden und private Mittel hinzu. Sie haben doch sicher recht verstanden, daß ich eben gesagt habe, dies sei ein erster Schritt. Es ist selbstverständlich, daß diese Mittel künftig nicht ausreichen werden.Dieses Gesetz soll darüber hinaus den Mangel an gesunden Wohnungen beseitigen und dringende Gemeinschaftseinrichtungen gewährleisten. Weiter werden begleitende Maßnahmen, wie z. B. das Artikelgesetz, das in der nächsten Woche verabschiedet werden soll, hinzutreten.Erwähnt seien noch die Initiativen der Bundesregierung hinsichtlich des Umweltschutzes. Hierzu wird mein Kollege Jung noch einige Ausführungen machen.Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich stelle abschließend fest, daß die Vorwürfe der Opposition zwar mit viel Verve vorgetragen wurden, daß aber von dem letzten Redner, Herrn Evers, abgesehen, der ein paar Lösungsmöglichkeiten angeboten hat, sonst an Lösungen nicht viel zu verspüren war.Wir Freien Demokraten werden die Aktivitäten der Bundesregierung, die zur Verbesserung der Lage der Städte und Gemeinden beitragen, nachhaltig unterstützen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Riedl .
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte zunächst ganz kurz dem Kollegen Schäfer von der SPD antworten. Ich möchte das sachlich tun, obwohl es mir bei seinen polemischen Ausführungen wirklich schwer fällt, sachlich zu bleiben.
Herr Kollege Schäfer, Sie haben Beispiele gebracht, mit denen Sie die Opposition attackierten, und Sie haben vor allem das Städtebauförderungsgesetz zitiert. Ich möchte Ihnen ein Beispiel dafür bringen, wo es nach meiner Auffassung fehlt und wie die große Vorstellung von den inneren Reformen sozusagen kurz hinter der Programmatik in der Mitte abbricht und damit praktisch vor der Realität haltmacht. Ich meine den Sozialplan desDeutscher Bundestag — G. Wahlperiode — 147. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 3. November 1971 8461Dr. Riedl
Städtebauförderungsgesetzes, der ja auf unsereInitiative hin in dieses Gesetz hineingekommen ist.
— Sicherlich, alles, was Ihnen am Städtebauförderungsgesetz gefällt, meine Damen und Herren von der SPD, stammt offensichtlich von Ihnen, und alles, was Ihnen Schwierigkeiten macht, soll von uns stammen. Mit dieser Mär können Sie zwar hier Polemik betreiben, aber die nimmt Ihnen draußen und hier im Hause niemand ab, der es ernst meint.
Dieser Sozialplan des Städtebauförderungsgesetzes, Herr Kollege Schäfer, ist eine Vorgabe des Gesetzgebers zur Ausgestaltung durch die Bundesregierung und zum Vollzug durch die Gemeinden.Aber was ist mit diesem Sozialplan bisher wirklich geschehen? So, wie er im Gesetz steht, und so, wie er wegen seiner ungenügenden Ausformulierung, fürchte ich, aufgefaßt wird, ist er lediglich ein Nothilfe-Instrument zur Korrektur von Planungsschäden im sozialen Bereich. Aber hätten wir das nicht auch über die Sozialhilfe erreichen können? Wenn Sozialhilfe gemeint gewesen wäre, ja. Aber der Sozialplan muß die Voraussetzung und die Grundlage für städtebauliche Maßnahmen im Sanierungsbereich und im darüber hinausgehenden sozialen und räumlichen Verflechtungsbereich sein. Heute, Herr Wohnungsbauminister Lauritzen, schwitzen die Gemeinden, soweit sie diese Problematik bereits erkannt haben, über dem Sozialplan, und sie kommen nicht voran, weil von seiten des Bundes ein übergreifendes soziales Programm als notwendige Anschlußstelle für diesen Sozialplan fehlt, und weil vor allem das Geld fehlt. Wenn Sie sich einmal im Detail informieren wollen, dann rufen Sie Ihren Kollegen Dr. Vogel in München an, der kann Ihnen dazu seitenweise Kommentare geben. Für die Lösung dieses Problems reicht ein Verbalreformismus nicht aus. Er löst nämlich, Herr Minister Lauritzen, die Fragen, die mit dem Sozialplan aufgeworfen sind, nicht. Ich möchte einmal einige solche Fragen nennen, und zwar Fragen im sozialen Wohnungsbau, im Innenstadt- und Innenstadtrandgebiet, beim Wohngeld, beim Sprung von niedrigen Altbaumieten zu hohen Neubaumieten, beim Bau von Altenheimen, bei der Umsetzung von alten und sozial schwachen Menschen in ein verändertes Wohnmilieu und bei den in Altbauten lebenden ausländischen Arbeitskräften, und viele, viele andere Fragen mehr. Deshalb, Herr Kollege Schäfer, habe ich mich noch einmal an Sie gewandt, weil ich der Auttassunq bin, daß wir hier mit harten, ganz knallharten Problemen an der Wurzel, an der Basis des kommunalen Lebens konfrontiert sind. Darauf hätte ich von Ihnen eine Antwort erwartet. Zu dem, was Sie zum sozialen Wohnungsbau und zur Bodenspekulation gesagt haben, wird mein Kollege Erpenbeck noch besonders Stellung nehmen.Die entscheidende Frage der heutigen Debatte ist, ob die Gemeinden, insbesondere aber das können Sie auch nicht wegdiskutieren, Herr KollegeGallus die großen Städte, ihre Investitionsaufgaben zur Verbesserung der allgemeinen Infrastruktur weiter und verstärkt durchführen können. Wenn dies nicht möglich sein sollte, sind alle groß angekündigten Reformpläne dieser Regierung auf Sand gebaut. Was die Regierung hier in Beantwortung unserer Großen Anfrage vorgetragen hat, ist leider Gottes in weiten Passagen sehr vage, sehr unbestimmt und im Ergebnis unbefriedigend, und daran haben auch, abgesehen von dem Beitrag des Kollegen Schmitt-Vockenhausen, die bisherigen Debattenredner von SPD und FDP nichts geändert. In dieser Antwort wird kein Weg aufgezeigt, wie die Gemeinden die voraussehbare Finanzmisere der Jahre 1972/73 überstehen sollen, wie sie ihren Part in den angekündigten Reformen überhaupt mitspielen sollen. Es wird wieder fortgefahren, unbestimmte Leerformeln aufzustellen, nicht konkretisierbare Versprechungen zu machen, wie dies schon bei der Beantwortung der Großen Anfrage betreffend das Arbeitsprogramm der Bundesregierung zu innenpolitischen Vorhaben geschah. Tatsache ist, daß die Ergebnisse der Gemeindefinanzreform aus den Zeiten der Großen Koalition durch die inflationäre Entwicklung seit dem Machtwechsel 1969 völlig vertan wurden. Der progressive Anstieg der Personalkosten, die galoppierende Inflation der Baupreise, das Überschwappen der sonstigen Unkosten, die lawinenartige Zunahme der Defizite des öffentlichen Nahverkehrs, all dies läßt die Gemeinden, besonders aber die großen Städte heute schlechter dastehen als vor der Finanzreform, schlechter auch als in den sogenannten Krisenjahren 1966 und 1967.Es zeigt sich erneut, daß die kommunalen Körperschaften und damit die Bürger in unseren Städten und Gemeinden die Last der versäumten Konjunkturstabilisierung zu tragen haben, daß wir hei aller Aufblähung der nominellen Zahlen weniger zusätzliche öffentliche Leistungen in unseren Städten und Gemeinden zu tragen haben. Fast wäre ich versucht, meine Damen und Herren von der SPD, zu fragen, wo denn die von Ihnen immer wieder versprochene Verlagerung des privaten Reichtums zur ausreichenden öffentlichen Grundversorgung bleibt. Ich möchte diese Frage hier nicht vertiefen. Ich möchte Sie nur an Ihr gutes Gewissen erinnern und Sie fragen, was Sie Ihren Kollegen draußen sagen, die diese Frage immer wieder zur Weltanschauung erheben.„Rettet die Städte jetzt!", diese Parole, die der Deutsche Städtetag gerade rechtzeitig zur Halbzeit der sozial-liberalen Koalition ausgegeben hat, kann sich die Bundesregierung sicher nicht in ihr Poesiealbum schreiben. Dieser Ruf, im jetzigen Zeitpunkt von vielen prominenten Kommunalpolitikern der SPD artikuliert, kann doch nur den Sinn haben, die Bundesregierung aufzurütteln, die verhängnisvolle Entwicklung der letzten beiden Jahre aufzuhalten und neue Wege einzuschlagen. Die Finanznot der Städte wird gerade in diesen Tagen bei der Vorlage der Etats für 1972 drastisch sichtbar, obwohl die Stadtkämmerer vielfach schon mehr Tricks anwenden, als sie Bundesfinanzminister Schiller bei der Aufstellung und Frisur seines eigenen Haushalts benutzt hat. Und wenn Sie die Haushaltsrede des
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Dr. Riedl
Münchner Oberbürgermeisters einmal nachlesen, werden Sie feststellen, Herr Kollege Apel, daß sie ein einziges Klagelied ist. Ich habe sie im Gegensatz zu Ihnen sogar gelesen.
Die sachlichen Investitionen werden dabei jetzt schon ganz wesentlich eingeschränkt. Die konjunkturellen Risiken des Jahres 1972, die wahrscheinlichen Personalkostensteigerungen, die weiter steigenden Defizite des Nahverkehrs sind dabei meist nicht voll berücksichtigt. Es ist schon jetzt zu bezweifeln, ob es in vielen Städten angesichts der wachsenden konjunkturellen Unsicherheiten vieler Branchen überhaupt möglich sein wird, die jetzt eingesetzten Einnahmen bei der Gewerbeertragsteuer überhaupt zu erzielen. Tatsache ist auch, daß es beim Gewerbesteueraufkommen der großen Städte derzeit trübe aussieht und daß Anzeichen der Besserung nicht sichtbar sind. Das muß bedeuten, daß der Spielraum für zusätzliche Infrastrukturinvestitionen in den kommunalen Haushalten weiter schrumpfen muß.Die Zahlen, die die Bundesregierung in Beantwortung der Großen Anfrage vorgelegt hat, können — trotz aller artistischen Bemühungen im Umgang mit solchen Zahlen --- diesen Tatbestand nicht verdecken. Von einer Umkehr des Trends im kommunalen Infrastrukturbereich, wie ihn Herr Oberbürgermeister Vogel bei der diesjährigen Mitgliederversammlung des Städtetages gefordert hat, um wenigstens die Qualität der Lebensverhältnisse in den Verdichtungsgebieten nicht weiter zu verschlechtern, kann keine Rede sein. Wie aber soll es weitergehen? Die Bundesregierung macht sich mit dem Hinweis, die kommunalen Spitzenverbände wären mit der Finanzausstattung für 1971 durchaus zufrieden und hätten keine Wünsche angemeldet, die Beantwortung wirklich sehr leicht. Einmal stimmt das für 1971 nachweislich überhaupt nicht. Herr Kollege Dr. Schneider hat das heute vormittag nachgewiesen. Zum anderen sind die Vorschläge für die weitere Zukunft überhaupt nicht konkretisiert. Obwohl dies heute schon von meinen Kollegen von der CDU/CSU-Fraktion ausgesprochen wurde, möchte ich noch einmal betonen: Der Mineralölsteuerzuschlag, den der Autofahrer im nächsten Jahr zusätzlich zahlen muß, reicht nicht einmal aus, um den durch die Preissteigerung der letzten Jahre bei den Verkehrsinvestitionen entstandenen Mehrbedarf zu decken. Ein Plus an Sicherheit im Verkehr Land ein Minus an Verkehrsstauungen und Verkehrsdurcheinander in unseren großen Städten kann also der Autofahrer trotz seines zusätzlichen Obolus nicht erwarten. Es bleibt der Inflationsausgleich, weiter gar nichts.
Man kann gespannt sein, meine Damen und Herren, wie bei den nicht erst aus dem „Spiegel" bekanntgewordenen Meinungsverschiedenheiten prominenter SPD-Finanzpolitiker auf Bundes-, Landes-und kommunaler Ebene im Finanzplanungsrat das Versprechen der Bundesregierung eingelöst werden soll, die Finanzkraft der Gemeinden weiter zu verstärken. Die vom Deutschen Städtetag geforderte Erhöhung des Einkommensteueranteils der Gemeinden wurde bisher abgelehnt. Die mittelfristige Finanzplanung sieht eine solche Maßnahme bisher auch nicht vor. Bund und Länder haben sich über die Umsatzsteuerverteilung noch nicht geeinigt, so daß für die Gemeinden die in der Antwort der Bundesregierung in Aussicht gestellte Beteiligung an diesem noch nicht einmal fixierten Steueranteil der Länder weniger als die Taube auf dem Dach ist.Der Bund muß deshalb meiner Auffassung nach den Gemeinden in den Schwerpunkten des öffentlichen Bedarfs direkt helfen. Er muß den Einkommensteueranteil der Gemeinden wenigstens stufenweise verbessern und bei entsprechender Konjunkturlage die Mittel der Konjunkturausgleichsrücklage vor allem den Städten und Gemeinden für Investitionen zuteilen, die diese bei einer normalen Preis- und Kostenentwicklung aus eigenen Mitteln hätten durchführen können. Herr Bundeswirtschaftsminister, mich wundert wirklich, daß Sie in Ihrer Antwort auf unsere Große Anfrage auf dieses eminente Problem überhaupt nicht eingegangen sind. Ein solcher Einsatz des Konjunkturhaushalts hätte auch unmittelbare wirtschaftliche Wirkungen, da die entsprechenden Objekte bereits durchgeplant sind. Zum anderen hat es sicher keinen Sinn, irgendwo zusätzliche Investitionen vorzunehmen, wenn sich ein wichtiger Teil des öffentlichen Haushalts in zunehmender Unordnung befindet.Die Konsolidierung der kommunalen Haushalte als Mittel der konjunkturellen Stützung wäre aber auch aus einem anderen Grunde angebracht. Alle Berechnungen und Überlegungen in der Steuerreform um eine angemessene, wirtschaftlich vertretbare Finanzbelastung der Bürger und der Wirtschaft helfen wenig, wenn die Gemeinden in ihrer Finanznot zu solch abenteuerlichen Erhöhungen der Gemeindesteuern greifen müssen, wie dies teilweise für 1972 beabsichtigt ist. Dies muß zu einer weiteren Belastung und Verunsicherung der Wirtschaft führen, die nicht ohne negative konjunkturelle Folgen bleiben kann. Deshalb müssen eventuelle Konjunkturetats zuerst der Sanierung der kommunalen Haushalte dienen. Auch wenn die Gemeindeeinnahmen verbessert werden sollen, sind die Gemeinden und Städte weiterhin auf günstigen und ausreichenden Kommunalkredit angewiesen. An diesem Beispiel des Kommunalkredits wird die sogenannte Reformkonzeption der Bundesregierung deutlich: wird regelrecht verworren. Die Gemeinden decken bisher ihren Kreditbedarf überwiegend bei den Sparkassen, den Rest bei den Girozentralen, anderen öffentlichen Banken und privaten Hypothekenbanken.Die Gemeinden griffen im Rahmen der offenen Kontingente auf die Kredite der Sparkassen zurück, weil diese offensichtlich für sie besonders günstig waren. Es muß sich wohl um eine Fehlprogrammierung des Planungscomputers des Herrn Bundeskanzleramtsministers handeln, wenn in einer Zeit, in der öffentliche Investitionen Vorrang genießen sollen, diejenigen Institute drastisch höher besteu-
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Dr. Riedl
ert werden sollen, die bisher den öffentlichen Kreditbedarf gedeckt haben. Das kann nicht ohne Auswirkung auf die Investitionsmöglichkeiten im kommunalen Bereich bleiben.
Wir haben der Bundesregierung deshalb mit einer Kleinen Anfrage Gelegenheit gegeben, zu diesem offensichtlichen Widerspruch Stellung zu nehmen. Hoffentlich werden aber in diese Antwort nicht wieder so viele Nebelgranaten eingebaut, wie es bei der Beantwortung der Großen Anfrage der Fall war. Faktum ist nämlich jetzt schon, daß die sich bei den Sparkassen ergebende Steuererhöhung in der Ertragsspanne der Kassen nicht mehr aufgefangen werden kann. Der höhere Aufwand müßte also überwälzt werden. Mit Kontogebühren ginge es nicht, sagt Staatssekretär Rosenthal. Der Sparer darf schon gar nicht betroffen werden, sagt Professor Hankel. Der Wohnungsbau darf natürlich auch nicht besteuert werden, sagt der Bundeswohnungsbauminister. Am Ende bleibt also vielleicht nur noch die Belastung des Kommunalkredits übrig. Ich bin einmal neugierig, was die führenden SPD-Kommunalpolitiker zu dieser — meiner Ansicht nach mißlungenen — Reformkonzeption draußen sagen werden.Wir haben der Bundesregierung mit der Großen Anfrage Gelegenheit gegeben, ihre Vorstellungen und Pläne zur Verwirklichung der großen Forderung nach der humanen Stadt darzulegen, eine Forderung, die nicht nur auf Parteitagen, sondern auch bei jeder Gelegenheit, bei der Massen von Bürgern angesprochen werden, draußen verkündet wird. Nur sieht entsprechend dem alten chinesischen Sprichwort die Wirklichkeit ganz anders aus: Die Pläne fliegen wie ein Adler; die Wirklichkeit hinkt wie ein alter Mann. Die Antworten auf die Kernfragen, die heute in den deutschen Großstädten existenznotwendig diskutiert werden, sind leider offengeblieben.
— Herr Kollege Apel, Sie kommen doch aus Hamburg. Ich werde Ihnen gleich einmal einige Fragen vorlegen, die Sie sicherlich aus Ihrer Sicht, aus Hamburger Sicht, genauso kennen, wie ich die Fragen aus Münchener Sicht kenne.
Was sollen denn, Herr Kollege Apel, die Großstädte, die Verdichtungsräume mit ihrem Zuzug machen? Auf welche Prioritäten in der übergeordneten Verkehrsplanung sollen sie sich einstellen? Wie sollen sie dementsprechend ihre Standorte für verschiedene Funktionen ausweisen? Wie sollen sie demgemäß ihre Infrastruktur planen und dimensionieren? Wie sollen sie ihre Maßnahmen zum Umweltschutz auf Maßnahmen des Bundes abstellen?
Wie sollen sie die Probleme lösen, die durch die ausländischen Gastarbeiter entstehen? Welchen übergeordneten Zielen des Bundes können sich die Gemeinden und Städte mit ihren Sozialplänen anschließen? Herr Kollege Wehner, das Programmder Regierung der inneren Reformen haben Sie doch gemacht, und wenn man eine Regierung der inneren Reformen sein will, muß man auf diese Fragen, die heute lebensnotwendig unsere Städte betreffen, eine Antwort geben und kann man sich nicht durch so seichte Ausführungen um die Antwort herummogeln, wie es bei der Beantwortung der Großen Anfrage der Fall ist. Rettet unsere Städte jetzt!
— Na ja, Herr Kollege Schmidt, daß Sie hier Pflichtübungen machen müssen und mit mir in München gemeinsam dann dies vertreten, nehme ich Ihnen ja gar nicht übel. Das ist ja unser Problem.
— Herr Kollege Stücklen, dieses Wort des Herrn Bundeswirtschaftsministers Schiller, daß am besten ein Jahr lang keine Lehrer eingestellt werden sollten, wird mich in den nächsten Jahren in keiner Versammlung mehr verlassen. Das ist eines der schönsten Zitate, das ich je gehört habe. Ich möchte allerdings anfügen: vielleicht wäre es noch besser gewesen, einen Minister zu entlassen, als das andere zu unterlassen.
In diesem heute so viel zitierten Appell des Städtetages sind die Nöte der Städte, die Nöte der Menschen in der Stadt dargestellt. Die Bundesregierung hat dazu nicht einmal einen Zwischenbescheid erteilt. Sie muß jetzt endlich handeln, wenn das Chaos in den Städten nicht fortgesetzt werden soll. Das Urteil über die innere Reformen muß und wird auch über die Leistungen der Bundesregierung für unsere Städte gefällt werden. Wir werden unsere Politik danach einzurichten haben.
Das Wort hat Herr Bundesminister Schiller.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn man die heutige Debatte hier im Hohen Haus genau verfolgt das haben wir wohl alle getan —, kommt man erst einmal zu folgendem Ergebnis: Als die CDU/CSU ihre Große Anfrage am 14. Juli dieses Jahres formulierte, nahm sie anscheinend an, daß die Bundesregierung nur mit einer schriftlichen Antwort reagieren würde. Sie nahm anscheinend nicht an, daß die Bundesregierung inzwischen handeln würde durch einen konkreten Vorschlag der Steuererhöhung zugunsten der Gemeinden und zur Verbesserung der Finanzausstattung der Gemeinden um 1 Milliarde DM ab 1972 in Dauer und Bestand. Das ist eine unserer konkreten Antworten, eine Antwort, die sich sehen lassen kann. Eine Milliarde ist schließlich ein Wort.
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8464 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 147. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 3. November 1971
Bundesminister Dr. SchillerSie steigt in der mittelfristigen Finanzplanung bis zu 1,2 oder 1,3 Milliarden DM an. Das werden wir machen!
Was uns fehlt, ist das Ja von Ihrer Seite zu dieser Maßnahme.
— Das schlichte und einfache Ja, Herr Stücklen! Nichts anderes brauchen wir dazu.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Müller-Hermann?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ja, gern.
Herr Minister, glauben Sie denn, daß Sie mit dieser einen Millarde tatsächlich ein verbessertes Leistungsangebot der Gemeinden ermöglichen werden?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Was Sie an Alternativen hier vorgelegt haben, wie Herr Stücklen sagt, ist auch nicht mehr als eine Milliarde. 1 Milliarde DM ist also anscheinend auch in Ihren Vorstellungen von Bedeutung für die Gemeindehaushalte.
Aber was ich von Ihnen höre, ist immer folgendes: Einmal hat Ihr Sprecher in der Haushaltsdebatte, Herr Kollege Strauß, zu den drei Steuererhöhungen, die wir in dem speziellen Verbrauchsteuerbereich vorgeschlagen haben, aus irgendwelchen Gründen schlechthin nein gesagt. Dann wird noch speziell von Ihrer Seite gesagt, dies sei die Erhöhung einer zweckgebundenen Steuer. Gut, die Mineralölsteuer ist, wie wir alle wissen, zu einem erheblichen Teil zweckgebunden. In diesem Sinne soll sie auch für Verkehrsinvestitionen der Gemeinden verwendet werden. Aus der Aufstellung der Bundesregierung ersehen wir, daß der Verkehrsbereich mehr als 30 °/o der gemeindlichen Investitionen umfaßt. Er ist von Bedeutung und er wird hier konsolidiert.
Herr Stücklen!
Bitte schön!
Herr Bundesminister, können Sie sich nicht mehr erinnern, daß der Herr Kollege Strauß als Begründung für die Ablehnung der Steuererhöhungspläne Ihrer Regierung hier erklärt hat, daß es vorrangig ist, die Stabilität herzustellen, und daß ohne Stabilität die Steuererhöhung wie ein Faß ohne Boden wirkt?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Stücklen, ich darf Ihnen nur folgendes ins Gedächtnis zurückrufen. Was immer Sie reden — erst das und das, dann das und das —, es geht um drei ganz schlichte Fragen, die Sie bisher nicht beantwortet haben: 1. Ist der Bundeshaushalt zu groß oder zu klein; soll er mehr oder weniger Milliarden umfassen? 2. Sollen die Länder und Gemeinden mehr oder weniger Geld haben? 3. Sollen die Steuern zu diesem Zweck stärker erhöht werden oder weniger erhöht?
Ich wiederhole die Frage an Sie alle: Geben Sie ganz schlicht und einfach auf diese drei simplen finanzpolitischen Fragen eine Antwort!
Bisher höre ich bei Ihnen nur Schweigen im Walde, nichts weiter.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine zweite Frage des Herrn Abgeordneten Stücklen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ja.
Frau Präsidentin, ich hätte es gern, wenn die Fragestunde in der Geschäftsordnung so verankert würde, daß man auch eine kleine Diskussion führen könnte. Im Augenblick ist nur eine Frage möglich, eine Frage an Sie, Herr Bundesminister Schiller, die naturgemäß vereinfacht sein muß: Wann erfüllen Sie Ihr Wort, daß Preissteigerungen von 3 auf 2 und dann auf 1 % heruntergeführt werden können? Wenn Sie Ihr Wort eingelöst haben, Herr Minister Schiller, dann läßt sich auch darüber reden, wie man einen Haushalt bei Stabilität sinnvoll gestalten kann.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Stücklen, wir wären auf diesem Gebiet eine ganze Strecke weiter, wenn wir Ihre Unterstützung hätten z. B. in allen Fragen der Bekämpfung jener inflatorischen Tendenzen, die in diesem Jahr, wie jeder weiß, in gewaltigem Umfang aus dem Ausland in unser Land hereingekommen sind. Auch bei dieser Frage sind Sie ins Abseits gegangen.
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Deutscher Bundestag - 6. Wahlperiode — 147. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 3. November 1971 8465
Bundesminister Dr. SchillerMeine Damen und Herren, ich stelle noch einmal fest: diese drei einfachen finanzpolitischen Grundfragen, die für die Weichenstellung des Jahres 1972 und für die Finanzplanung der kommenden Jahre entscheidend sind,
werden von Ihnen bisher nicht beantwortet. Damit ist alles das, was Sie hier immer für die Gemeinden sagen, ohne Fundament.
Dann wird gesagt, die Komplementärmittel für diese eine Milliarde DM Verkehrsinvestitionen, die wir den Gemeinden ermöglichen, würden die Lage der Länder und der Gemeinden erschweren. Ich kann Ihnen hierzu nur folgendes sagen. Ich bin in diesem Punkte mit meinen Kollegen, den Länderfinanzministern, einer Meinung, daß wir die komplementären Verpflichtungen der Gemeinden und der Länder zu dieser neuen Milliarde möglichst niedrig halten sollten. Wir haben uns unter den Finanzministern vorverständigt, daß in etwa die Komplementärmittel 33 1,3 % und im Zonenrandgebiet nur 25 % betragen sollten. Dies ist die Linie, auf der wir uns bewegen, bei der Einvernehmen herrscht und bei der es gar keinen Anlaß gibt, hier noch an dieser Stelle von bestimmten Konfrontationen zu sprechen.Nun, meine Damen und Herren, wir haben nicht nur beschlossen — und einen Gesetzentwurf hier eingereicht —, den Gemeinden diese drei Pfennig, diese eine Milliarde DM im Jahre 1972, und in den folgenden Jahren ansteigend, zu beschaffen. Wir haben ein weiteres Angebot an Länder und Gemeinden gemacht, nämlich 1972 1,4 Milliarden DM zur Verfügung zu stellen — das geschieht im Rahmen der Erweiterung des Umsatzsteueranteils für die Länder — und
— hören Sie zu! — weitere 250 Millionen DM aus dem vorliegenden Entwurf zur Neuformulierung der Kraftfahrzeugsteuer.Unser Gesamtangebot — nehmen Sie das einmal zur Kenntnis! — an die Länder und Gemeinden für 1972 vom Bund her umfaßt 2,6 Milliarden DM, beschlossen von der Bundesregierung an dem Tage, an dem wir den Bundeshaushalt als Entwurf verabschiedet haben. Mit diesen 2,6 Milliarden DM — das sind gemessen am Umsatzsteueranteil annähernd 6 Punkte — müssen Sie sich einmal auseinandersetzen! Sie tun so, als wenn wir überhaupt nichts machten.
— Nun will ich, Herr Stücklen, mal ein bißchen aus dem Nähkörbchen reden. Ich sitze jetzt das dritte Mal mit meinen Kollegen, den Finanzministern der Länder zusammen. Das letzte Mal hatte ich die Ehre, auch bei den Ministerpräsidenten zugegen zu sein. Ich will Ihnen nur eins sagen: Ihre Kollegen von der CDU/CSU aus den Ländern, die Ministerpräsidenten und die Finanzminister, sind außerordentlich geniert, weil sie wissen wir weisen Sienatürlich darauf hin daß die Mittel, die wirdurch Steuererhöhungen für 1972 hier im Deutschen Bundestag für die Länder und Gemeinden beschließen lassen wollen, Mittel, die von den Länderministerpräsidenten, gerade der CDU, verlangt werden, hier im Deutschen Bundestag das Nein der CDU/ CSU-Fraktion finden.
Das ist die Lage und das führt zu der Verlegenheit. Sie sollten einmal dafür sorgen, daß Ihre Ministerpräsidenten und Ihre Finanzminister in den CDU/ CSU-regierten Ländern auch hier im Deutschen Bundestag Ihre Unterstützung bekommen, indem Sie diesen Einnahmeverbesserungen zustimmen.
Da sind Sie schweigsam. Das ist nämlich eine schlechte Lage. Fordern, fordern, das können Sie, aber wenn es darum geht, konkret etwas zu beschließen, dann haben Sie andere Ausflüchte. Das ist es doch!
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Schneider?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ja, bitte.
Herr Bundesminister, sind Sie bereit, mir zuzugeben, daß die Einnahmeverbesserungen bei den Ländern, von denen Sie eben gesprochen haben, nicht einmal den zusätzlichen Finanzbedarf der Länder abdecken, der auf Grund von Gesetzen und auf Grund von haushaltspolitischen Maßnahmen des Bundes im Zusammenhang der inneren Reformen notwendig wird?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich bin nicht bereit, das zuzugeben, sondern ich kann Ihnen nur eines sagen: Wir sind noch mitten in der Verhandlung. Am Ende wird wie bei jeder solchen Verhandlung, die sich Wochen oder Monate hinziehen kann — das ist immer so gewesen , ein Kompromiß stehen. Das ist die ganz einfache Tatsache. Mehr kann ich Ihnen jetzt nicht sagen. Ich kann Ihnen nur sagen, daß das, was Sie hier fabrizieren, für uns nur ein Argument ist, denen zu sagen: Bitte, wo bleibt denn die Tathilfe hier im Deutschen Bundestag von der CDU und der CSU, diese vielen Milliarden zu beschaffen?
Herr Minister, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?
Herr Bundesminister, Ihre Antwort auf meine erste Frage veranlaßt mich, Sie an die Forderung des Städtetages zu erinnern ich tue es deswegen, weil die
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8466 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 143. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 3. November 1971
Dr. Schneider
schriftliche Antwort darauf nicht eingeht -: ZuerstStabilität, dann Priorität! Was halten Sie von dieser Devise? Was halten Sie von diesen Forderungen? Wann werden wir mehr Stabilität haben, damit wir Prioritäten setzen können?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nun reden Sie so schön ganz allgemein von Stabilität. Nun will ich Ihnen gleich auf eine andere Sache etwas antworten. Sie waren, glaube ich, derjenige, der vom Finanzplanungsrat sprach.
Dieses Zitat ist falsch. Das möchte ich hier ganz deutlich sagen. Dieses Zitat, keine Lehrer einzustellen, ist schlechthin falsch.
— Sie waren nicht dabei, glaube ich; man hat Ihnen berichtet. Ich will Ihnen einmal erzählen, wie es war.
Von den Ländern kamen in Anbetracht der Entwicklung des kommenden Jahres Pläne mit einer Vermehrung der Zahl der Planstellen um die 10 000 in vielen, vielen Bereichen. Die Länderminister mußten zusammen mit mir in diesem Punkt nun auch sagen: Wir können nicht alles auf einmal, wir müssen stufenweise vorgehen. Ich habe gar nichts dagegen, daß im Land Baden-Württemberg im nächsten Jahr 8500 Lehrer neu eingestellt werden, daß 10 000 neue Planstellen für Lehrer und für den Bereich der Hochschulen im Land Nordrhein-Westfalen vorgesehen werden. Nichts dagegen! Nur insgesamt und das hängt mit der Stabilität zusammen muß den Ländern und Gemeinden gesagt werden: Genau wie wir beim Bund versuchen, im Bundeshaushalt die Explosion der Personalausgaben zu bremsen, einzugrenzen, maßvolle Zuwachsraten in der Planstellenexpansion herbeizuführen wie in der Gehalts- und Lohnsteigerung, müssen es auch die Länder und Gemeinden tun.
Wir haben im Bund bei Aufstellung des Bundeshaushalts 1972 11 000 Planstellenanforderungen gehabt. Wir haben im Kabinett diese Anforderungen auf ganze 500 neue Stellen im Bund zurückgedreht. Auf dieses Beispiel müssen wir allerdings auch bei den Ländern und Gemeinden hinweisen.
Ich weiß ganz genau, daß die Länder und Gemeinden in Anbetracht ihrer Bedürfnisse ihre Zuwachsrate nicht in diesem Maße reduzieren können. Aber wenn von Stabilität geredet wird, dann müssen wir auch sagen: Von Ländern und Gemeinden könnte im Personalsektor auch im Jahre 1972 eine Anstrengung im Sinne der Eingrenzung, im Sinne von mehr Stabilität gemacht werden, genau dieselbe Anstrengung, die wir in der Bundesregierung machen.
Das ist praktische Stabilitätspolitik. Statt große Forderungen zu stellen, muß tatsächlich gesagt werden: Jawohl, wir können nicht alles auf einmal machen.
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Evers?
Nachdem Sie die Äußerung des Kollegen Dr. Schneider in Abrede gestellt haben, Her Minister, frage ich Sie, ob Sie dem Hohen Hause mitteilen würden, was Sie zu der Frage, daß keine Lehrer eingestellt werden sollen, denn nun wirklich gesagt haben.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Davon ist überhaupt keine Rede. Ich habe Ihnen gesagt, daß wir in Anbetracht der Anforderungen in bezug auf mehr Planstellen bei den Ländern und Gemeinden vom Bund aus nur sagen können: „In diesem Umfang geht es nicht. Das muß man nach und nach machen. Ich bitte um Eingrenzung." Es gibt Länder -- ich möchte Ihnen eine Zahl nennen; ich weiß nicht, ob Ihnen Zahlen geläufig sind , die für 1972 mit Personalausgabensteigerungen von 15 bis 16 % rechnen. Was solche Raten angeht, so muß ich von den Bundesfinanzen, vom Bundeshaushalt her sagen: Derartige Zuwachsraten für das Jahr 1972, die mehr oder weniger auf der Höhe des Jahres 1971 liegen, sind nicht machbar. Oder wollen Sie eine derartige weitere Explosion?
Eine weitere Zusatzfrage. Herr Kollege, ich mache nur darauf aufmerksam, daß der Stand der Debatte es ermöglichen würde, diesen Punkt heute abzuschließen.
Herr Minister Schiller, man kann ja eine sachliche Diskussion über das führen, was gesagt worden ist. Sie sollten aber doch freundlicherweise Ihre Bereitschaft erklären, ganz klipp und klar zu sagen, was Sie nun geäußert haben.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich habe es zweimal zu erklären versucht.
Wenn Sie es nicht verstanden haben, kann ich leider nichts dafür.
Ich bin aber gern bereit, es in einem internen Kolloquium zum drittenmal zu versuchen.
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Stücklen?
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 147. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 3. November 1971 8467
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich glaube, ich muß jetzt versuchen, meinen eigenen Beitrag hier im Zusammenhang vorzubringen.
Ich möchte noch ein zweites sagen. Von mir ist ausdrücklich gesagt worden: Die Gemeinden sind nicht die Büttel oder die Prellböcke der Konjunkturpolitik. Die Bundesregierung ist der Auffassung, daß ein großer Teil der gemeindlichen Einnahmen und Ausgaben konjunkturfest gestaltet werden muß und nicht im Sinne der Ausgabenreduktion oder -expansion je nachdem, wie die Konjunkturpolitik es erfordert variiert werden kann. Was wir jetzt zur Verbesserung der Einnahmen der Gemeinden tun, ist ein Ausdruck dieser Haltung: Wir wollen den Gemeinden konjunkturfeste Einnahmen verschaffen, um sie und ihre Finanzgestaltung nicht zu einem Instrument der Konjunkturpolitik zu machen.
Im übrigen: Die eine Milliarde — Sie können sie nicht vom Tisch fegen — ist im Finanzplanungsrat von seiten der vier Vertreter der deutschen Gemeinden mit Dank begrüßt worden und vom Präsidenten des Deutschen Städtetages öffentlich ebenfalls mit Dank quittiert worden. Sie tun so, als oh das alles nichts wäre. Es ist genau umgekehrt. Ihre Anfrage ist zu einem erheblichen Teil altes Papier geworden, weil die Wirklichkeit inzwischen eine andere geworden ist. Das ist die Lage.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich weiß nicht, ob das eine angenehme Frage wird. Das müssen Sie abwarten.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Sie meinen, die CSU kann nicht immer für die ganze CDU/CSU reden; es muß auch einmal die CDU an die Reihe kommen.
Soziale Symmetrie müssen Sie auch noch lernen, Herr Stücklen.
Herr Minister, haben Sie eine Vorstellung über die Höhe des Betrages, der auf die deutschen Städte und Gemeinden durch die Auswirkungen der preislichen und anderen inflatorischen Änderungen zwangsläufig zugekommen ist, und können Sie sagen, in welchem Verhältnis Ihre 1 Milliarde oder 1,4 Milliarden DM zu diesem Betrag stehen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wieso höre ich das nicht gern? Damit beschäftige ich mich jeden Tag; da sind Sie also völlig schief gewickelt.
Ich kann Ihnen, Herr Burgbacher, nur sagen: Das ist kein feststehender Bedarf, der insgesamt auf uns zukommt. Wir leisten unseren Beitrag — ich habe Ihnen die Zahl genannt; sie ist ganz schön, sie geht an die 2 Milliarden DM pro Jahr heran —, aber wir verlangen auch von den Ländern und Gemeinden, daß sie im kommenden Jahr ihrerseits in ihrer Ausgabengestaltung die Grenzen einhalten und etwas zurückgehen. Die Zuwachsraten des Jahres 1971 können auch bei den Ländern und Gemeinden in den kommenden Jahren nicht wiederholt werden. Wer etwas anderes sagt, betreibt billige Demagogie.
— Das traf genau Ihre Frage, Herr Burgbacher.Im übrigen: Es wird auf die Vergangenheit Bezug genommen. Sie können der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands vielerlei anhängen. Aber eines können Sie ihr nicht anhängen: daß sie nicht vom ersten Tage ihrer Tätigkeit in der Bundesregierung, nämlich seit 1. Dezember 1966, gerade und besonders für die Gemeinden und für die Sanierung der Gemeindefinanzen eingetreten ist.
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8468 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 147. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 3. November 1971
Bundesminister Dr. SchillerIch erinnere mich noch aus der damaligen Zeit der Regierung und der Regierungsbildung: Da wurde über Finanzreform gesprochen, und unter Finanzreform verstand man im allgemeinen: Regelung des Finanzverhältnisses zwischen Bund und Ländern. Die Sozialdemokraten haben gesagt: Ein solcher neuer Finanzausgleich, eine solche neue Ordnung ist für uns Sozialdemokraten nur zu tragen, nur machbar, wenn mit ihr eine tiefgreifende verbessernde Reform der Gemeindefinanzen verbunden ist. Das war damals unsere Bedingung.
— Nein. Diese Reform der Gemeindefinanzen hat im Jahre 1970 2,9 Milliarden DM gebracht und steigt in all diesen Jahren an. Sie wird bis 1975 auf rund 6 Milliarden DM ansteigen.
— Was davon bleibt, hängt ganz entscheidend davon ab, was in diesem Hause finanzpolitisch, währungspolitisch und wirtschaftspolitisch in der nächsten Zeit für das Jahr 1972 und für die kommenden Jahre beschlossen werden wird.
Das ist die Antwort darauf. Daran haben Sie mitzuwirken. Dazu gehören auch mehr staatliche Einnahmen, um die staatlichen Finanzen zu konsolidieren und um die Gesamtnachfrage von der Verbrauchsseite her einzuschränken.Ich komme wieder auf den Punkt zurück: Wo ist Ihr eigener Beitrag zu einer solchen Stabilitätspolitik?
Da verweisen Sie auf die fernere Zukunft.
— Wieso reduzieren wir die Investitionen?
— Wir stärken sie um i bis 2 Milliarden DM mit den anderen Mitteln. Dazu kommen noch unsere Mittel — die Sie alle nicht so gern sehen — z. B. aus dem Städtebauförderungsgesetz. Das wissen Sie ganz genau. Nach dem Städtebauförderungsgesetz — der Kollege Lauritzen wird wahrscheinlich noch darüber reden stehen jetzt Jahr für Jahr an Verpflichtungsermächtigungen und an Baransätzen 150 bis 300 Millionen in der Finanzplanung. Dann kommen die ERP-Mittel, jährlich weitere 150 Millionen DM. Dann kommen die unmittelbaren Leistungen des Bundes für die regionale Wirtschaftsförderung speziell für die Gemeinden, weitere 150 Millionen DM jährlich. Das sind alles, Herr Kollege, Mittel für dieGemeinden zur Förderung der gemeindlichen Investitionstätigkeit.
Nein, es geht ihnen nicht gut, aber es geht ihnenbesser als vorher, weil wir etwas für die Gemeinden getan haben.
Sie machen sich das wirklich zu einfach in dieser Beziehung.Dann haben Sie hier die Alternative vorgebracht, nämlich an Stelle der Mineralölsteuererhöhung eine Erhöhung der Einkommensteuererträge für die Gemeinden auf dem Wege der Anhebung der Hebesätze bei den Gemeinden vorzusehen. Gut, über diesen Punkt läßt sich reden. Nur: wenn dieser Vorschlag von Ihnen wirklich etwas bringen soll, dann müssen Sie ihn laut und deutlich vertreten. Er bedeutet, wenn er eine Milliarde bringen soll, daß Sie die Einkommen- und Lohnsteuer im Jahre 1972 erhöhen wollen in Höhe von einer Milliarde;
das müssen Sie wissen.
— Was ist denn das? Wenn Sie vorschlagen, Sie wollen über die Erhöhung von Hebesätzen zur Einkommen- und Lohnsteuer bei den Gemeinden eine Milliarde beschaffen -- an Stelle der Mineralölsteuer —, dann wollen Sie die Lohn- und Einkommensteuer erhöhen.
— Dieser Konsequenz weichen Sie nun wieder aus. Sie müssen dann den Mut haben zuzugeben, daß auch in einem Jahr der konjunkturellen Abschwächung von Ihnen gerade eine Erhöhung von Ertragsteuern geplant ist. Den Mut müssen Sie haben. Wenn Sie diesen Mut hätten, dann würde sich die andere Seite des Hauses auch mit diesem Tatbestand auseinandersetzen, und zwar sachlich auseinandersetzen.
— Nein.Dann das etwas mittelfristige Thema „Gemeinden und Steuerreform" ! Ich will Ihnen nur eins hier sagen! Die Steuerreform ist mehrfach angesprochen worden. Es ist kein Zweifel, daß die Steuerreform ab 1. Januar 1974 für die Länder und Gemeinden, so wie sie dasteht und konzipiert ist, mehr Einnahmen bringen wird und für den Bund mehr Ausgaben. Das ist ganz deutlich einfach aus dem Tatbestand zu ersehen, daß Freibeträge — Kinderfreibeträge etwa im Sinne der Reform des gesamten Familienlastenausgleichs -- nun als Zahlungen aus der Bundeskasse, also als Bundesausgaben in Erscheinung treten. Das heißt: die Einnahmen der Gemeinden und
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 147. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 3. November 1971 8469
Bundesminister Dr. Schillerder Länder an der Einkommen- und Lohnsteuer werden steigen.Wenn umgekehrt bei der Gewerbesteuer eine Mindereinnahme eintreten wird, meine Damen und Herren von der CDU/CSU, dann hängt das damit zusammen, daß aus mittelstandspolitischen Gründen bei der Gewerbesteuer bekanntlich die Freibeträge in der Steuerreform ab 1. Januar 1974 erhöht werden sollen. Dazu haben Sie ja gesagt; das haben Sie sogar verlangt. Nur haben wir hinzugefügt: wir möchten bei diesem Einnahmeausfall, der bei den Gemeinden dann eintreten wird — in Höhe von etwa 500 Millionen bis 600 Millionen durch die Erhöhung der Freibeträge bei der Gewerbesteuer — eine Kompensation. Eine Kompensation besteht in der vorgesehenen Erhöhung der Grundsteuer B um 25 %. Das würde für die Gemeinden ab 1. Januar 1974 eine Mehreinnahme von 750 Millionen DM bedeuten. Ausgerechnet in diesem wesentlichen Punkt, der in der Steuerreform für einen bestimmten Einnahmeausfall an anderer Stelle bei den Gemeinden eine Mehreinnahme bedeutet, genau in diesem Punkt geht die Opposition wieder beiseite. Denn der Kollege Strauß hat sich in der Haushaltsdebatte vom 20. Oktober dagegen ausgesprochen, daß die Grundsteuer B um 25 % erhöht werden soll. Da hat es dann auch wieder, als es konkret wurde, ganz anders geheißen. Da sagt man: Ja, die Neutralität der Einnahmen aus der Grundsteuer durch die erhöhten Einheitswerte würde verletzt; dies dürfe nicht stattfinden.
— Setzen Sie sich mit ihm auseinander! Er ist gegen diese Erhöhung. Das ist eine Sache, die zu Lasten der Gemeinden geht. Wir haben hier ein Gegengewicht eingebaut, damit in den Gemeinden in einem speziellen Fall keine Mindereinnahmen eintreten. Sie sagen zu einer maßvollen Erhöhung der Grundsteuer für die Zwecke der Gemeindehaushalte wieder nein.Ich habe den Eindruck, Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, machen es sich zu leicht. Besonders Ihr erster Redner heute, der Herr Schneider, ließ hier eine ganze Philippika los, hat Generalverdikte ohne Begründung in Massen dahingeplättet. Sie haben gesprochen, als wenn Sie der Vertreter eines Wirtschaftsverbandes für eine unterpriviligierte Gruppe in dieser Gesellschaft wären.
So haben Sie gesprochen. Und genau das ist die falsche Auffassung von den Gemeinden. Sie fassen die Gemeinden so auf!
Wir haben von den Gemeinden eine andere Vorstellung. Lassen Sie mich mal ausreden. Ich habe Sie auch ausreden lassen. Ich habe keinen Mucks zu dem gemacht, was Sie da alles sagten. Ich sage Ihnen nur, wir haben eine andere Vorstellung von den Gemeinden. Wir halten die Gemeinden für wesentliche Glieder des Gesamtstaates und nicht für Mitglieder eines Wirtschaftsverbandes, der hierdurch ein paar Vertreter auftritt, der dem Staat abverlangt, was er abverlangen kann.
So reden Sie doch vom Staat; als wenn die Gemeinden in einem Verband seien, der nun diesem Wesen Staat das abschneiden könnte, was immer nur abzuschneiden wäre. Diese Auffassung haben Sie von den Dingen.
Wir haben eine andere Auffassung. Wir fassen die Gemeinden als Glieder des Gesamtstaates auf. Diese Bundesregierung hat bei der Aufstellung des Haushaltsplans ihre gesamtstaatliche Pflicht erfüllt. Sie hat an die beiden anderen Glieder, die Länder und Gemeinden, von vornherein gedacht und dafür auch Mehreinnahmen vorgeschlagen. Das ist ein Ausfluß unserer Auffassung von den Dingen.
— Nein, wir geben Hilfe — wir haben konkrete Hilfe beschlossen — zur Selbsthilfe bei den Gemeinden. Von Ihnen verlangen wir, sich hier nicht hinzustellen als jemand, der vom Staat alles abfordern kann für irgendjemanden, der unterprivilegiert ist. Das ist eine völlig falsche Vorstellung, die Sie haben. Wir sind ein Gesamtstaat. In diesem Gesamtstaat haben wir alle bei unseren Entscheidungen an alle drei Ebenen und Säulen zu denken. Ich sage Ihnen noch einmal: Wer hier vom Bund deutlich fordert, das und das müsse er an Milliardensummen mehr tun, der muß auch den Mut haben, dem Staatsbürger und seinem Portemonnaie unmittelbar etwas abzufordern. Und den Mut haben Sie bisher in dieser Debatte nicht aufgebracht.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Huber.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Damit durch die Große Anfrage der CDU/CSU kein falscher Eindruck entsteht, möchte ich zuerst feststellen: Ich gehe davon aus, daß alle Mitglieder dieses Hohen Hauses wissen, daß die sozialdemokratischen Abgeordneten, die zur Mehrzahl aus der Kommunalpolitik kommen, auch heute noch aufs engste mit ihren Gemeinden verbunden sind und sehr genau über die Situation der Gemeinden Bescheid wissen.
Unter steuerlichen Gesichtspunkten ist zur Großen Anfrage folgendes zu sagen: Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion hält eine Verbesserung der Gemeindefinanzen wegen der wachsenden Aufgabenlast für angebracht, sogar für sehr angebracht, allerdings unter der Voraussetzung, daß gleichstrenge Maßstäbe an die Ausgabenpolitik in Bund, Land und Gemeinden angelegt werden. Wünschenswerte Investitionen auf einer Ebene lassen sich
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8470 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 147. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 3. November 1971
Frau Hubernatürlich nicht durch Vernachlässigung wichtiger Aufgaben auf einer anderen finanzieren.Dies vorausgeschickt, begrüßen und unterstützen wir die Bemühungen dieser Bundesregierung, alle Maßnahmen auszuschöpfen, um den Gemeinden in ihrer jetzigen schwierigen Situation zu helfen.Die Gemeinden wünschen zu ihrer finanziellen Entlastung heute zweierlei, einmal generelle Mehreinnahmen zum Ausgleich für ihre allgemein gestiegenen Ausgaben, wobei besonders die Personalkosten eine große Rolle spielen, und zweitens Hilfe für Investitionen. Was die allgemeine Finanzausstattung betrifft, so hat die Beteiligung der Gemeinden an der Einkommensteuer bewirkt, daß nicht nur das Aufkommen höher war als ursprünglich bei der Gemeindefinanzreform erwartet wurde, sondern daß die Einnahmesteigerungen der Gemeinden auch in den kommenden Jahren, nämlich von 1972 bis 1975, prozentual höher liegen werden als in Bund und Land, und zwar um 10,5 % bei den Gemeinden gegenüber 6,6 % beim Bund und 9 % bei den Ländern. Zusätzlich werden nunmehr durch die Erhöhung des Länderanteils an der Umsatzsteuer weitere Mittel für den kommunalen Finanzausgleich frei, auch wenn über den Prozentsatz zwischen Bund und Ländern noch diskutiert wird.Bei den Investitionen hat gerade diese Bundesregierung durch die Wiederankurbelung des sozialen Wohnungsbaus, die Investitionshilfen für Krankenhäuser, die Städtebauförderungsmaßnahmen und jetzt die Verkehrsfinanzierung ein Paket, ein gezieltes Programm, vorgelegt, das die Gemeinden entlastet. Während die drei erstgenannten Maßnahmen ungefähr 1/2 Milliarde DM Entlastung bringen, ist mit der nunmehr vorgesehenen Erhöhung der Mineralölsteuer und der Zuweisung des 3-PfAnteils an die Gemeinden eine Verbesserung von 1 Milliarde DM zu erwarten. Die CDU/CSU wird ihre Zustimmung zu dieser Steuererhöhung verweigern. Dies ist mir um so unverständlicher, als vorhin Herr Kollege Riedl äußerte, daß selbst diese Erhöhung nicht ausreichen werde, um die notwendigen Maßnahmen im Verkehrsbereich zu finanzieren.
Wir haben das, was Sie heute vorgeschlagen haben, aufmerksam registriert. Außer zu dem Hebesatz und außer Ihrer Zustimmung zu einem höheren Länderanteil an der Umsatzsteuer haben wir wenig gehört.
— Ja, das gilt auch für die Erhöhung der Mineralölsteuer, die Sie nicht mit uns zusammen durchführen wollen.
-- Ja, das habe ich schon verstanden. Aber das, finde ich, ist doch reichlich dünn,
wenn man hört, wie Sie sich immer als Sachwalterder Gemeinden hinstellen. In den vorangegangenenJahren, nämlich 1957 und 1961, haben Sie durch Kürzung der Gewerbeertragsteuer einmal um 400 Millionen DM und das zweite Mal um 630 Millionen DM jährlich sowie bei den beiden Wohnungsbaugesetzen — sie kosten insgesamt bis 1974 900 Millionen DM — Gemeindeeinkommen in Milliardenhöhe ersatzlos gestrichen, ohne sich darüber Gedanken zu machen, wie sich das wohl auswirken werde. Alles in allem ist Ihr Rezept wieder einmal: Stabilität, keine Steuererhöhung, aber dafür reichhaltige Hinweise auf notwendige Hilfe.Haben Sie eigentlich nicht die Furcht, daß die verantwortlichen Leute draußen in den Gemeinden, wenn sie Ihre Ausführungen heute studieren, fragen werden: Wie will denn die CDU/CSU die Gemeinden jetzt retten, was springt denn für die Gemeinden bei ihrem Paket heraus?Die SPD-Fraktion geht zum einen davon aus, daß bei der Steuerreform, die 1974 in Kraft treten soll, den Gemeinden kein Nachteil aus der Reform der Gewerbesteuer erwachsen wird. Das betrifft die Erhöhung der Freibeträge und der Ertragsstufen. Zum anderen geht sie davon aus, daß ein erhöhtes Aufkommen für die Gemeinden durch die Grundsteuer B zu erzielen sein wird. Auch dazu wollen Sie, wie wir gerade gehört haben, Ihre Zustimmung verweigern.Herr Kollege Evers ist in seinen Ausführungen auf die Steuerreform kurz eingegangen. Dabei mußte ich daran denken, daß in diesem Hause sehr oft der Ausspruch gefallen ist: Wir zerbrechen uns nicht den Kopf der Regierung. Nun haben Sie sich doch den Kopf zerbrochen, aber diesmal wieder in bezug auf unsere und nicht auf eigene Vorschläge. Das ist eben der Unterschied.Wir werden also außer der Steuerreform —
Frau Kollegin Huber, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Schneider?
Bitte sehr!
Frau Kollegin, bei der Erhöhung der Grundsteuer B handelt es sich doch, was die Sache angeht, im wesentlichen um eine Angleichung der Steuermeßzahl an den erhöhten Einheitswert.
Sicher!
Ist Ihnen bekannt, daß die allermeisten Städte und Gemeinden durch die Erhöhung des Hebesatzes die Grundsteuer beträchtlich angehoben haben und, soweit überhaupt noch eine Erhöhungsspanne vorhanden ist, in diesem Jahr, spätestens im nächsten Jahr, zum Ausgleich des nächsten Haushalts weiter erhöhen werden?
Ich glaube, Sie vergessen dabei, daß gerade bei der Grundsteuer ein erheb-
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 147. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 3. November 1971 8471
Frau Huberlicher steuerlicher Nachholbedarf gegenüber der Besteuerung anderer Vermögen besteht.Neben der Steuerreform wird natürlich bei weiteren Überlegungen zur Finanzreform auch noch zu erörtern sein, wie das Beteiligungsverhältnis von Einkommensteuer und Gewerbesteuer künftig zu regeln ist, und zwar neben den Überlegungen, die wir jetzt über den neuen Schlüssel anstellen werden.Wenn trotz aller dieser Maßnahmen die Fülle der öffentlichen Aufgaben die Gemeinden nun noch nach weiteren Hilfen rufen läßt, so muß außer auf den Hebesatz, von dem heute schon die Rede war, natürlich auch darauf verwiesen werden, daß die Gemeinden ja in der Verfassungsverantwortung der Länder stehen, und hier möchte ich sagen, daß in sozialdemokratisch regierten Ländern die Pro-KopfNettozuweisungen an die Gemeinden im allgemeinen viel höher sind als in den übrigen Ländern. Hic:, meine ich, spielt die Tat eine Rolle, während andere ihre Bemühungen vor allem auf Große Anfagen konzentrieren.
Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Müller-Hermann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ein Teil der Themen und Fragen, die Herr Minister Schiller hier aufgeworfen und speziell an die Adresse der CDU/ CSU-Fraktion gerichtet hat, wird morgen behandelt werden, wo sie am Platze sind, wenn es um die Fragen der Steuerpolitik geht. Mir liegt aber doch sehr daran, auf einen Vorwurf einzugehen, der von Herrn Minister Schiller an die Adresse meiner Fraktion gerichtet worden ist und der auch in verschiedenen Auslassungen anderer Politiker heute hier mit anklang; nämlich den Vorwurf, wenn es um unangenehme Dinge wie -die Anhebung von Steuern gehe, dann fehle es uns an Mut.
Meine Damen und Herren, ich erinnere daran, daß wir im Jahre 1966 schon einmal eine Anhebung der Mineralölisteuer zugunsten der Gemeinden gefordert haben, damals- ebenfalls um 3 Pf. Damals war es in erster Linie die FDP? — deshalb erstaunt mich das, was der Kollege Gallus hier heute gesagt hat —, die an diesem Thema der Steuererhöhung sogar die ganze Koalition platzen ließ.
-- Aber deshalb ist doch die FDP damit gebunden. Ich besinne mich auch sehr genau, meine Damen und Herren, daß die sozialdemokratischen Kollegen, als das Thema öffentlich diskutiert wurde, heftig gegen jede Art der Steuererhöhung zugunsten des gemeindlichen Verkehrsausbaus opponiert haben
sehr geehrter Herr Kollege Schäfer, da gibt es sehr viele Unterlagen, die Ihnen das leicht beweisen können bis es zur Bildung der GroßenKoalition kam, und dann war die erste gemeinsame Maßnahme, die wir damals beschlossen haben,
die Anhebung der Mineralölsteuer um diese 3 Pf zugunsten der Gemeinden. Dann ging, sehr verehrter Herr Kollege Schäfer, Herr Minister Leber durch die Lande und verkündete, welche Leistungen die Sozialdemokraten zugunsten der Gemeinden bewirkt hätten.
Damit keine falsche Legendenbildung entsteht, wollte ich den Weg der damaligen Steuererhöhung hier noch einmal kurz in Erinnerung rufen.
-- Aber, Herr Kollege Schäfer, ein gewaltiger Unterschied zur damaligen Situation ist folgender: Diese 3 Pf bewirkten damals eine Mehreinnahme von 660 Millionen DM, mit denen beim gemeindlichen Verkehrsausbau und -aufbau tatsächlich ein vermehrtes Leistungsangebot erreicht wurde im Unterschied zu heute, wo wir unter keinen Umständen von einer stabilen Preispolitik ausgehen können. Ich will Ihnen sagen, wie die Situation damals war. Der Maßstab ist 1962 — 100. 1967 hatten wir im Straßenbau einen Preisindex von 91,8, 1968 einen solchen von 96,2. Beim sehr wichtigen Brückenbau, der gerade im gemeindlichen Straßenbau eine große Rolle spielt, hatten wir 1967 einen Preisindex —verglichen mit 1962 — von 105,9 und 1968 von 109,9.
Heute liegt der Preisindex für den Straßenbau bei 126,6 und beim Brückenbau bei 155,9. Das sind die Zahlen vom Anfang dieses Jahres.
Mit anderen Worten heißt das, damals konnte mit dieser zusätzlichen Finanzmasse und dieser Konsumabschöpfung ein Mehr an Leistungen bewirkt werden, während Sie heute nichts an Mehrleistung bewirken, sondern nur einen Teil der Preisauftriebe wieder neutralisieren, die letztlich doch durch Ihre Politik zustande gebracht worden sind.Leider ist der Bundeswirtschaftsminister nicht anwesend. Er hat hier immer wieder auf die Stabilitätsbemühungen hingewiesen, und ich muß das einmal sagen, denn es liegt mir auf der Seele: Diese Bundesregierung soll doch einmal den Mut haben, auch zu sagen: Jawohl, wir haben Fehler gemacht, und deswegen ist bisher die Preisstabilisierung nicht erreicht worden. Statt dessen geht diese Bundesregierung durch die Lande wie ein wandelndes Alibi und hat für alles und jedes eine Entschuldigung in Form eines Hinweises auf andere. Selbst bei den Steuererhöhungen sind die Länder und Gemeinden verantwortlich und nicht diese Regierung. Das einzige, was sich diese Regierung in ihrem
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Dr. Müller-HermannVerantwortungsbereich selbst zuschreibt, ist die bisherige Anhebung der realen Einkommen. Alles andere hat jemand anders zu verantworten. Glauben Sie doch nicht, daß Sie ihre eigene Glaubwürdigkeit erhöhen, indem Sie diese Art der dauernden Alibi-Politik weiterverfolgen.
Ich füge auch hinzu, meine Damen und Herren, Steuererhöhungen oder nicht Steuererhöhungen sind für uns keine Frage von Tabus. Wir wollen aber eben, wenn der Bürger vermehrt zur Kasse gebeten wird, auch ein Mehr an Leistungen der öffentlichen Hand bewirkt sehen.
Insofern ist es völlig richtig, wenn Herr Minister Schiller davon spricht, daß wir unsere staatlichen Einheiten als ein großes Ganzes sehen müssen. Zweifellos sind eben die Länder und noch mehr die Gemeinden, in deren Zuständigkeit die öffentlichen Investitionen in erster Linie liegen, die Hauptbetroffenen der jetzigen Preisentwicklung.Meine Damen und Herren, auch hier eine Zahl, die das einmal verdeutlicht. Was bisher durch die 3 Pf an Finanzmasse bewegt worden ist, ist in den letzten Jahren einem Substanzverlust in einer Größenordnung von 1,3 Milliarden DM ausgesetzt gewesen. Was jetzt durch die Steuererhöhung den Gemeinden vermehrt zugeführt werden soll, kann also nicht einmal voll das abdecken, was den Gemeinden an Substanz verlorengegangen ist. Bei allem Verständnis für die sehr schwierigen Probleme im gemeindlichen Verkehrsausbau und bei vollem Verständnis für die sehr, sehr schwierige Situation der öffentlichen Verkehrsunternehmen ist doch das, was jetzt von der Bundesregierung als Lösung vorgeschlagen wird, bestenfalls ein Schluck aus der Pulle, aber keine Lösung des Problems.Der Kollege Apel hat vorhin — ich glaube, in einem Zwischenruf — deutlich gemacht, die Regierung würde ein Gesamtkonzept für die Lösung der Probleme des innerstädtischen Verkehrs vorlegen. Auch wir arbeiten. Wir werden ein eigenes Programm vorlegen und uns dann gern darüber verständigen, welches das bessere und welches das lohnendere ist. Meine Damen und Herren, hier ließe sich schon jetzt ein ganzer Katalog von Maßnahmen aufführen, der in einem solchen Konzept enthalten sein müßte. Ich möchte das aus Zeitgründen im Augenblick nicht vertiefen.Eine letzte Anmerkung möchte ich aber doch machen. Wir haben in diesem Hohen Hause gemeinsam die Gemeindefinanzreform beschlossen und waren damals alle des guten Glaubens, daß wir mit der vermehrten Bereitstellung von Finanzmitteln zugunsten der Gemeinden diesen für eine ganze Weile genügend Mittel für die Bewältigung ihrer großen Investitionsaufgaben zur Verfügung gestellt hätten. Erst die Preissteigerungen, die in den letzten Jahren unter der Verantwortung dieser Bundesregierung eingetreten sind, haben doch dazu geführt, daß wir uns jetzt schon wieder mit dieser Aufstockung der Mineralölsteuer um drei Pfennige beschäftigen müssen, und dafür tragen allein diese Koalition und diese Bundesregierung die Verantwortung.
Verantwortung für Steuererhöhungen kann mandoch nur übernehmen, meine Damen und Herrenauch wir können es nur dann , wenn man eine Gewähr für die künftige Stabilitätspolitik dieser Bundesregierung hat. Ich habe nicht ohne Absicht darauf hingewiesen, daß die Sozialdemokraten 1966 zu der Steuererhöhung erst ja gesagt haben, nachdem sie auch als Regierungspartei die Mitverantwortung trugen.Herr Minister Schiller hat im Zusammenhang mit der Stabilitätspolitik darauf hingewiesen, es würde entscheidend sein, was in den nächsten Jahren auf dem Gebiete der Finanz-, Steuer-, Wirtschafts- und Währungspolitik in diesem Hohen Hause zu machen sei. Völlig richtig! Aber zur Zeit haben nun einmal die Länder und die Gemeinden und schließlich auch der Bund auszubaden, was in den letzten zwei Jahren unter der Verantwortung dieser Regierung auch in diesem Hohen Hause gemacht oder nicht gemacht worden ist.Unsere Vorbehalte zu dieser Art der Steuererhöhung, meine Damen und Herren, sind -- neben der Frage, ob es einen anderen Weg zur Lösung der Probleme gibt, wie er heute von meinen Kollegen vorgeschlagen ist — letztlich auch ein Ausdruck des mangelnden Vertrauens — ich spreche das mit dieser Offenheit aus —, daß diese Bundesregierung den Weg zur Stabilität und zur Solidität zurückfindet. Aus dieser Motivation heraus können wir uns nicht dazu entschließen, dieser Art von Steuererhöhungen zum jetzigen Zeitpunkt unsere Zustimmung zu geben.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Jung.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Kollege Schneider hat heute vormittag am Beispiel einer vor einem Jahrzehnt fertiggestellten Fest- oder Musikhalle den euphorischen Ausruf gewagt: „Ach, was waren das herrliche Zeiten für unsere Städte!"
Nun, meine Damen und Herren, ich fühlte mich dabei in meine Jugendzeit zurückversetzt. Da schwärmte meine Großmutter auch immer von der guten alten Zeit, in der die Postkutsche noch nicht vom Auto verdrängt war. — Die Kostensteigerung im Bereich städtischer Infrastruktur der jetzigen Bundesregierung anzulasten, die gerade zwei Jahre im Amt ist, ist ein Witz, über den jeder Fachmann nur laut und herzlich lachen kann. Als Architekt würde ich Ihnen gern aufzeigen, Herr Kollege Schneider, was für sprunghafte Erhöhungen unter vorangegangenen Regierungen eingetreten sind. Denken Sie allein an die Stahlpreisentwicklung, die
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Jungso bedeutend für die Baupreisentwicklung ist und wo in der Zeit der Großen Koalition Preissteigerungen um immerhin 300 % eingetreten sind.
Ich finde diese Argumentation unsolide, sie hilft den Gemeinden nicht, meine Damen und Herren! Wir sollten nüchtern argumentieren und nicht polemisieren. Für Ihre Vorschläge sind wir immer aufgeschlossen; nur fehlen sie halt.Demgegenüber hat der Bundesinnenminister Ihre Frage 6, wie ich meine, in knapper Form, umfassend und gut beantwortet. Daraus mögen Sie erkennen, daß diese Bundesregierung ernst damit macht, unsere Umweltprobleme durch eine vernünftige Raumordnung und Strukturplanung einer Lösung näherzubringen. Aber was in zwei Jahrzehnten nicht oder nur zaghaft angepackt wurde, konnte in zwei Jahren unmöglich vollendet werden. Immerhin hat diese Bundesregierung in Punkt 6 konkret gesagt, was getan wurde und was getan wird, und sich nicht hinter nebulosen Begriffen wie „Gemeinschaftsaufgaben" versteckt, die weitgehend als Feigenblatt für Untätigkeit früherer Regierungen auf dem Gebiet der Umwelt- und Raumordnungspolitik dienten. Schlagworte, meine Damen und Herren, haben uns in der Vergangenheit nicht geholfen.Wir hoffen nur, daß die CDU/ CSU-regierten Länder mitziehen werden, wenn es darum geht, die bedrohliche Entwicklung zu stoppen, die sich einerseits aus dem Kontraktionsprozeß — d. h. der Verdichtung von Besiedlung, Wirtschaft und Verkehr — und andererseits aus der Entleerung abseits liegender Teilräume in ländlichen Zonen ergibt. Dazu brauchen wir nicht nur das Bundesraumordnungsprogramm, an dem die Bundesregierung arbeitet; dazu brauchen wir auch eine klare Kompetenzübertragung auf den Bund.Ja, angesichts eines sich über die Ländergrenzen ausbreitenden Systems von Verdichtungsbändern brauchen wir auch eine über die Landesgrenzen übergreifende Raumordnung im europäischen Bereich. Innenminister Genscher hat dankenswerterweise Initiativen ergriffen, die erstmals zu einer Konferenz führten, auf der Raumordnungs- und Umweltprobleme im europäischen Rahmen erörtert werden konnten.Der Raumordnung obliegt die Aufgabe, ein dynamisches Gleichgewicht mit der Umwelt herzustellen, um den Bestand freiheitlicher Ordnungsräume zu gewährleisten. Man kann wahrlich nicht behaupten, daß dies in den beiden Jahrzehnten einer CDU/CSU- Regierung gelungen sei; sonst hätten wir nicht den derzeit kritischen Zustand unserer Städte und Gemeinden.
Wie ist es denn dazu gekommen?
Da heute verschiedene CSU-Kollegen für die Opposition gesprochen haben - Herr Kollege Wörner,ich empfehle auch Ihnen, das einmal nachzulesen -
empfehle ich die Lektüre der Information Nr. 17 des Instituts für Raumordnung und Städtebau.
Da wird am Beispiel Bayern und insbesondere am Beispiel München deutlich, daß finanzstarke Städte immer stärker öffentlich gefördert werden müssen zu Lasten der ohnehin schon schwachen Gemeinden und Kleinstädte,
die als zentrale Orte wichtige Funktionen übernehmen müssen, um der Entleerung des Raumes entgegenzuwirken. Dies geschieht, weil in Verdichtungsräumen die Städte wegen der hohen Folgekosten immer noch mehr Kosten auf sich ziehen,' wobei die Mittel dann den Kleinen abgehen. Der Kostenvergleich zwischen gleich großen Infrastrukturvorhaben in Verdichtungsräumen und in kleineren Städten macht deutlich, daß in den Verdichtungsräumen ein Vielfaches aufgewendet werden muß, um dasselbe hinzustellen,
was in kleinen Städten hingestellt werden könnte. Vom volkswirtschaftlichen Standpunkt aus ist es also schon sinnvoll, sich diesen Problemen der Raumordnung mehr zuzuwenden.
Da mein Kollege Gallus schon auf die strukturverzerrende Wirkung der Gewerbesteuer hingewiesen und mein Kollege Wurbs das Folgekosten-system in Ballungsräumen behandelt hat, will ich diese Probleme jetzt nicht mehr vertiefen. Wir werden bei der Beratung des Raumordnungsprogramms sicher Gelegenheit haben, auf die Details einzugehen.Lassen Sie mich aber noch mit wenigen Sätzen auf zwei Fragen eingehen. Unter dem Gesichtspunkt weiterer Verdichtung erwachsen in Ballungsräumen enorme Probleme des Umweltschutzes. Auch hier muß das dynamische Gleichgewicht hergestellt werden, nicht nur im Infrastrukturbereich. Der Staat muß auch hier mit verstärkten Umweltschutzmaßnahmen helfen. Das von der FDP zugrunde gelegte Verursachungsprinzip und die von Minister Genscher eingeleiteten und weiter zu entwickeinden Maßnahmen werden dazu beitragen, dieses dynamische Gleichgewicht zu fördern und, z. B. durch Verlagerung der Industrie nach außen, die Infrastruktur auch in nicht so sehr verdichteten Räumen weiter zu entwickeln.Ira Rahmen der Raumordnung ist ein weiteres Problem dringend zu lösen: die Frage der Neuordnung sowohl des Bundesgebiets als auch der Verwaltungsgrenzen nach strukturellen Gesichtspunk-
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Jungten. Es genügt nicht, Länder, Kreise oder Gemeinden nach irgendwelchen oft obskuren Grundsätzen zusammenzufassen. In den letzten Tagen habe ich z. B. festgestellt, daß bei uns in Rheinland-Pfalz offensichtlich die Grundsätze der Farbpsychologie eine besondere Rolle spielen, nämlich in der Form, daß man auf der Landkarte schwarze oder rote Punkte malt und dabei bemüht ist, möglichst viele schwarze Punkte auf die Landkarte zu bekommen, um in der Zukunft nach parteipolitischen Gesichtspunkten Mehrheiten für die CDU zu sichern. —Nein, meine Damen und Herren, die Abgrenzung der Räume muß deutlicher als bisher nach Raumordnungsgesichtspunkten erfolgen. Integrationsräume dürfen nicht durch Länder-, Kreis- oder Stadtgrenzen zerschnitten werden. Vorwiegend an CDU /CSU- regierte Länder richte ich deshalb die Aufforderung, unter Zurückstellung parteipolitischer Interessen ihren Teil zu einer vernünftigen Ordnung unseres Lebensraumes in der Bundesrepublik beizutragen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schneider.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gestatten Sie, daß ich auf das eingehe, was der Herr Bundesfinanz- und -wirtschaftsminister hier ausgeführt hat. Er fühlte sich etwas hart angenommen. Ich muß sagen: ich habe deutlich gesprochen und habe den Herrn Minister noch reichlich geschont. Er hat geglaubt, mir entgegenhalten zu müssen, die Große Anfrage der CDU/CSU sei durch Beschlüsse der Bundesregierung in der Sache überholt, und er meinte, ich hätte als Lobbyist eines Wirtschaftsverbandes gesprochen. Die Städte werden diesen Satz sehr genau notieren.
Denn gegen keinen Vorwurf haben sich die deutschen Städte und Gemeinden jemals so heftig zur Wehr gesetzt wie gegen den Vorwurf, die Gemeinden seien mit irgendeinem Lobbyisten-Verband gleichzusetzen.
Was dieser sozialdemokratische Minister gesagt hat, sagt über die Ehrlichkeit, über die Seriosität und über die Klarsicht der inneren Reformen nach der Diktion dieser Bundesregierung mehr aus, als zehn Professoren in zehn Jahren schreiben können.
Daß Herr Professor Schiller mich in die Nähe eines Lobbyisten gerückt hat, weil ich mich hier zum Sprecher der Städte gemacht habe, war eine böse Tat. Das war ein ganz böses Wort.Wie wenig er in der Sache Recht hat, beweist der Pressedienst des Deutschen Städtetages, die „Kommunale Korrespondenz", vom 27. Oktober 1971. Ich möchte dies nicht allzu umfangreich zitieren. Nur eines will ich anführen ich zitiere wörtlich —:Bisher ist von der Bundesregierung nur die Erhöhung der Mineralölsteuer um 3 DPf für die Gemeinden anerkannt worden. Die entscheidende Verbesserung der Gemeindefinanzen. durch Erhöhung des Gemeindeanteils an der Lohn- und Einkommensteuer von 14 auf 18 °/o steht noch aus.Also nicht die Sozialdemokraten und die Bundesregierung haben das Entscheidende vorgeschlagen, sondern wir haben nach dem Selbstverständnis der Städte und Gemeinden des Entscheidende vorgeschlagen. Dies müßte der Herr Bundeswirtschafts- und -finanzminister besser wissen als ich.Ich war sehr gespannt auf die Einlassungen des Ilerrn Ministers zu der Forderung der Deutschen Städte: Zuerst Stabilität, dann Priorität! Der Herr Minister hat dazu auch auf meine Zwischenfrage hin keinen einzigen Satz gefunden. Entweder ist sein Pulver naß, oder er hat sein Pulver schon verschossen.Es wäre durchaus reizvoll gewesen, vom Minister eine präzise Antwort auf die Frage zu erhalten, ob er im Finanzplanungsrat am 21. März 1971 folgenden Satz gesprochen hat: „Stellen Sie doch einfach ein Jahr lang keine neuen Lehrer ein." Ich zitiere aus der Weltwirtschaftswoche Nr. 41, 25. Jahrgang, vom 8. Oktober 1971, Seite 15. Meine Damen und Herren, ich bin fair genug, anzunehmen darauf habe ich in meiner ersten Äußerung schon hingewiesen , daß er sich durch die Fragen der Länderfinanzminister bedrängt gefühlt hat.Eines hat mich sehr überrascht. Der Herr Wirtschafts- und Finanzminister ist auf die Belastung der Gemeinden und Länder durch die Folgelastverpflichtungen nicht eingegangen.
Er hat es bagatellisiert. Und er hat in einem Ton gesprochen, in dem nur jemand reden kann, der entweder keine guten Argumente hat oder der sich gereizt fühlt, weil er an alte Versprechungen erinnert. wird.Wenn wir hier bilanzieren, welche politische Kraft in unserem Lande für die Städte und Gemeinden mehr getan hat, wir, die CDU/CSU, die alten Regierungen unter Adenauer, Erhard und Kiesinger, oder die jetzige Regierung, dann werden wir mit einer hervorragenden Note im Leistungsvergleich abschneiden. In unserer Zeit wurden die Voraussetzungen geschaffen: 12 Millionen Wohnungen, mehr als 25 000 km Autobahnen und Straßen, mehr als 4 Millionen neue Schulplätze. Von den zusätzlichen Arbeitsplätzen will ich gar nicht reden. Vom Nullpunkt 1949 ausgehend haben wir in unserer Zeit für die Gemeinden mehr als 180 Milliarden DM investiert. Ich muß Ihnen sagen, beim Herrn Professor Schiller stimmt das Einmaleins nicht. Zweimal zwei ist vier. Man muß nach Adam Riese rechnen und nicht nach der höheren Wirtschaftsanalysis des Herrn Professor Schiller, die darin besteht, daß man eine Mark für drei Programme unterschiedlicher Art, gegensätzlicher Richtung dreimal ausgeben kann.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Haar.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wohl alle, die sich bei dieser Diskussion heute vormittag ernsthaft um die Lösung der anstehenden Probleme bemüht haben, gehen davon aus, daß die bedrückende Talwanderung in der Finanzsituation unserer Städte und Gemeinden sowie unseres Verkehrswesens dort ist sie wohl auch nicht zu bestreiten -- in den ersten 20 Jahren des Bestehens der Bundesrepublik begonnen hat. In der Diskussion heute haben viele versucht, diese Tatsache zu leugnen oder zu verschleiern. Ebensowenig kann sich die Opposition von der Verantwortung freisprechen, das Ergebnis einer falsch programmierten Struktur- und Verkehrspolitik aus der Zeit vor 1967 selbst verschuldet zu haben. Dieses Hohe Haus hat im Juni dieses Jahres auf Antrag des Verkehrsausschusses eine Entschließung angenommen, in der die Bundesregierung ersucht wird, die Arbeiten an einer Bundesverkehrswegeplanung fortzusetzen und eine Vorlage über die Umstrukturierung der Kraftfahrzeugsteuer vorzulegen. Ebenso blieb als Beratungsergebnis die gemeinsame Absicht festgehalten, daß noch in diesem Jahr die Erörterung einer Erhöhung der Straßenbaumittel erfolgen soll.Die Verkehrssituation auf den Straßen unserer Städte ist eine gesellschaftliche und verkehrspolitische Herausforderung. Wir nähern uns in den Stadtregionen einem Zustand, in dem wir Gefahr laufen, Fahrzeugschlangen, Unfallziffern, Lärm- und Umweltverschmutzung als notwendigen Zoll an die sogenannte Massenmotorisierung hinzunehmen. Aber, meine Damen und Herren von der Opposition, Ihre hinhaltende Taktik etwa bei der Behandlung des Städtebauförderungsgesetzes oder die Weigerung, ein fortschrittliches Bodenrecht mit uns zu schaffen, Ihr Schweigen zur Bodenpreisspekulation in den letzten zwei .Jahrzehnten, das Gelächter über unsere Forderung, wie wir sie vor zehn Jahren erhoben haben, nach reiner Luft und sauberem Wasser zeigen doch, wie doppelzüngig manches ist, was Sie heute auch bezüglich der Großstädte vortragen. Manchem von Ihnen müßte bei solcher Situation und hei dem, was hier alles formuliert worden ist, die Schamröte ein wenig ins Gesicht gehen. Das ist die Situation, vor der wir stehen.
Lassen Sie mich einige Zahlen nennen. Durch die Entscheidung, ah 1967 3 Pf Mineralölsteuer, den sogenannten Leber-Pfennig, direkt weiterzuleiten, ist für den kommunalen Straßenbau immerhin eine Verbesserung der Situation um 1,95 Milliarden DM erfolgt. Für den Bereich des öffentlichen Nahverkehrs sind es bis zu diesem Jahr 1,3 Milliarden DM. lm Jahre 1971 ist es eine weitere Milliarde DM, d. h. wir können von einer Verbesserung der Finanzmasse seit 1967 um 5 Milliarden DM sprechen.Der herr Bundesfinanz- und -wirtschaftsminister hat hier deutlich gemacht, daß eine Verdoppelung um eine Milliarde DM pro Jahr durch die Entscheidung, die morgen fallen wird, erfolgt, d. h. von 1972 bis 1977 stehen den Gemeinden rückwirkend ab 1967 zusätzlich insgesamt 10 Milliarden DM zur Vertilgung. Rechnen Sie bitte zurück, welche Maßnahmen Sie etwa in der Zeit von 1957 bis 1967 ergriffen haben, und vergleichen Sie sie mit den von Ihnen kritisierten Maßnahmen, die wir heute Vorhaben.
Schwerpunktmäßig ist im Verkehrsbericht 1970 bereits dargestellt worden, welche zusätzlichen und über das verkehrspolitische Sofortprogramm hinausgehenden Probleme auf uns zukommen und welche Aufgaben uns diese Probleme stellen. Die Finanzsituation unserer Städte und Gemeinden —das wissen wir — gehört zu den brennenden Problemen, von denen sich als Schwerpunkte in der Verkehrspolitik folgendes abzeichnet: die Verbesserung der Verkehrsverhältnisse in den Verdichtungsräumen, die Probleme der Eisenbahn und des Personennahverkehrs, der Straßenbau und die Straßenverkehrssicherheit. Den Gemeinden — darin sind wir uns einig sind Aufgaben erwachsen, die sie mit bestem Willen nicht aus eigener Kraft erfüllen können. Dabei steht der Verkehrsbereich an erster Stelle.Von den Sachinvestitionen der Gemeindeverbände und Städte entfielen auf Verkehrsausgaben 1961 noch 27,7 %, die durch steigende Dringlichkeit notwendiger Vorhaben im .Jahre 1969 auf über 31% angewachsen sind. Der Bund hat sich erstmals zu einem Teil dieser Aufgaben ab 1967, wie bereits ausgeführt, angenommen.Inzwischen haben sich die finanziellen Belastungen, wie Sie auch aus der Antwort auf Ihre Große Anfrage entnehmen können, noch wesentlich gesteigert. Diese Entwicklung erweist sich bei eingehender Prüfung als logische Konsequenz. Das explosionsartige Ansteigen des Individualverkehrs bei gleichzeitiger Verschlechterung des Verkehrsflusses ist ein Beweis dafür, daß es in den Jahrzehnten der Entwicklung zur massenmotorisierten Gesellschaft an einer gesellschaftspolitisch sinnvollen und volkswirtschaftlich zweckmäßigen Koordinierung zwischen dem Pkw-Verkehr und den öffentlichen Verkehrsmitteln bis zur Verabschiedung und Diskussion des Leber-Planes gefehlt hat.Die wachsende Diskrepanz zwischen starker Nachfrage nach Verkehrsleistungen und geringerem Angebot an Verkehrsflächen ist der Kern der gesamten verkehrspolitischen Problematik. In den Städten tritt dies besonders zutage. Niemand bestreitet die Dringlichkeit der gestellten Aufgabe, die Verkehrsprobleme in den Stadtregionen und Ballungsgebieten zu lösen. Es ist aber auch unsere unabweisbare Pflicht, im Rahmen eines ausgewogenen Gesamthaushalts für eine angemessene Berücksichtigung aller Gemeinschaftsaufgaben zu sorgen. Meine Damen und Herren, wenn ich in der örtlichen Presse lese, was Abgeordnete der CDU und CSU in ihren Wahlkreisen von der .Bundesregierung für Verkehrsvorhaben fordern, und dem die Erklärungen hier in diesem Hause, unter welchen Gesichtspunk-
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Haar
ten wir Haushalts- und Finanzpolitik betreiben sollten, gegenüberstelle, so weiß ich nicht mehr, was in Ihren eigenen Vorstellungen A und was O ist.
Die finanzielle Leistungskraft der Gemeinden ist nicht entsprechend ihrer Aufgabenvermehrung gewachsen. Der Bund muß daher weitere Finanzhilfen leisten. Im Verkehrsausschuß haben wir bei der Anhörung zum Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz von nahezu allen Betroffenen gehört, daß sie für eine Verdoppelung des zweckgebundenen Anteils aus der Mineralölsteuer eintreten. Bei dieser Beratung mußten wir den Förderungskatalog und die Höhe der Bundeszuwendungen auf die für dieses Gesetz begrenzte Finanzmasse abstellen. Auch wir wären gern dem Petitum der Verbände gefolgt, die Finanzhilfen des Bundes für die Gemeinden zu verstärken. Was möglich war, haben wir erreicht, nämlich eine stärkere Finanzhilfe für den öffentlichen Personennahverkehr als bisher durch eine Änderung der Aufteilungsquote zu seinen Gunsten. Auch der Förderungskatalog wurde gegenüber den vorher bestehenden Richtlinien ergänzt und erweitert. Ohne Zweifel reicht jedoch der neu geschaffene Rahmen nicht aus, um den steigenden Anforderungen gerecht zu werden. Wir befinden uns daher in voller Übereinstimmung mit den Forderungen der kommunalen Spitzenverbände --- die Sie heute ja auch schon verschiedentlich zitiert haben —, zusätzliche Mittel zur weiteren Förderung der gemeindlichen Verkehrsverhältnisse bereitzustellen. Drei Viertel des Aufkommens aus der beabsichtigten Erhöhung der Mineralölsteuer um 4 Pfennig ab 1. Januar 1972 werden zusätzlich zu den nach dem Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz bereitgestellten Mitteln zur Verbesserung der Verkehrsverhältnisse der Gemeinden verwendet werden. Bereitstellung und Verwendung der Mittel werden durch Verwaltungsvereinbarung mit den Ländern geregelt, wobei nach Auffassung der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion eine Anlehnung an die Vorschriften des Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetzes erfolgen soll.
Ab 1972 wird die den Gemeinden zur Verbesserung ihrer Verkehrsverhältnisse zur Verfügung stehende Finanzmasse um eine weitere Milliarde DM erhöht, d. h. es wird eine Verdoppelung erreicht.Meine Damen und Herren von der Opposition, Sie können das morgen ablehnen, aber Sie werden dies gilt auch im Hinblick auf viele andere Fragen, die schon seit Jahren in diesem Hause aufgeworfen werden — nicht erreichen, daß die Bevölkerung Ihnen dann noch abnimmt, Sie seien bereit, den Gemeinden und unseren Städten ernsthaft zu helfen. Darauf kommt es an.
Mit dem vorgesehenen Finanzvolumen kann unserer Auffassung nach jetzt Entscheidendes mit geleistet werden. Städte und Gemeinden werden in die Lage versetzt, Vorhaben zu realisieren, die dringend notwendig sind. Sowohl für den öffentlichen Personennahverkehr als auch für den kommunalen Straßenbau setzen wir damit neue Akzente.Es sollte allerdings auch nicht versäumt werden, darauf hinzuweisen, daß der Bundesfernstraßenbau zu einem Großteil ebenfalls zur Verbesserung der städtischen Verkehrsverhältnisse beiträgt. Wer dies abstreitet, würde die Abhängigkeiten auf dem Verkehrssektor verleugnen und nicht sehen, daß auch eine Autobahn oder eine Bundesstraße oft zu einem großen Teil dem Nahverkehr dient.Wir setzen konsequent den Weg fort, einen Teil des Mineralölsteueraufkommens im Bereich des öffentlichen Nahverkehrs zu investieren. Wir sind auch der Meinung, daß der Katalog der zu fördernden Maßnahmen nach dem Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz zu erweitern ist. Beraten Sie sachlich bei allen unseren Überlegungen mit. Wir sind Ihnen dankbar, wenn Sie Vorschläge machen können, die uns weiter als in den zwei Jahrzehnten führen, in denen Sie auch in diesem wichtigen gesellschaftspolitischen Bereich die Verantwortung nahezu allein getragen haben.
Meine Damen und Herren, ich unterbreche die Debatte an diesem Punkt. Sie wird morgen früh fortgesetzt.
Wir treten in die
Fragestunde
— Drucksache VI/ 2775 —
ein und kommen zunächst zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten. Ich rufe die Frage 1 des Abgeordneten Peters auf:
Teilt die Bundesregierung die Auffassung, die Einkommens- und Liquiditätslage der landwirtschaftlichen Betriebe sei nach Buchführungsergebnissen schlechter als je zuvor — die Bauern erzielten heute für ihre Produkte Preise, die unter denen des Jahres 1961/62 liegen —, die Betriebsmittelpreise steigen dagegen ständig?
Herr Bundesminister Ertl steht zur Beantwortung zur Verfügung. Herr Minister!
Herr Präsident! Herr Kollege Peters, ich beantworte diese Frage wie folgt.Die Bundesregierung kann über die Einkommens- und Liquiditätslage der Landwirtschaft im abgelaufenen Wirtschaftsjahr 1970/71 an Hand von Buchführungsergebnissen noch keine endgültige Auskunft geben, da diese Unterlagen gegenwärtig noch bei ihr eingehen. Sie werden nach Überprüfung ausgewertet. Die Bundesregierung wird darüber im Agrarbericht 1972 ausführlich berichten.Im Agrarbericht 1971 hat aber die Bundesregierung unmißverständlich auf die für 1970/71 zu erwartende Verschlechterung der Einkommenslage hingewiesen und ihre Sorge über diese Entwicklung zum Ausdruck gebracht. Sie hat auch wirksame Maß-
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Bundesminister Ertlnahmen ergriffen, um die wirtschaftliche Lage der landwirtschaftlichen Unternehmen zu verbessern. Dazu gehören, neben dem Aufwertungsausgleich und der gleichzeitig gewährten Liquiditätshilfe Maßnahmen zur zusätzlichen Zinsverbilligung, Maßnahmen zur Marktentlastung und eine Verbesserung der Sozialleistungen.Im laufenden Wirtschaftsjahr 1971/72 wird sich die Situation für die Landwirtschaft erheblich verbessern. Dazu tragen die sehr gute Ernte sowie die verbesserten Einnahmen auf Grund der Brüsseler Preisbeschlüsse und die Erholung vom zyklischen Preistal bei Schweinen bei. Ich darf auch hier hinzufügen, daß sich die Bundesregierung bemüht hat, insbesondere dieses Preistal durch aktive Marktpolitik so schnell wie möglich zu beheben. Die Auswirkungen sind offensichtlich. Selbst die Getreidepreise sind trotz der sehr guten Ernte nicht abgeglitten, wie es zu Beginn des Wirtschaftsjahres von vielen Seiten befürchtet wurde.In diesem Zusammenhang muß ich richtigstellen, daß das Erzeugerpreisniveau nicht unter dem des Wirtschaftsjahres 1961/62 liegt. Der Index der Erzeugerpreise ohne Mehrwertsteuer war im September urn 2,6 % höher als 1961/62. Im August hatte er noch knapp unter dem Stand von 1961/62 gelegen. Der Index einschließlich Mehrwertsteuer und Aufwertungsteilausgleich, d. h. Mehrwertsteueranteil, überstieg im September das Niveau des Vergleichsjahres um 10,8% Dabei sind die direkten Ausgleichszahlungen für Aufwertungsverluste und die Liquidi- tätshilfe noch nicht berücksichtigt. Ich möchte sehr eindeutig darauf hinweisen, daß bei allen Preisindexberechnungen natürlich die auf Grund des Aufwertungsausgleichs gewährten direkten Leistungen nicht berücksichtigt sind, obwohl sie natürlich voll einkommenswirksam sind. Die Betriebsmittelpreise steigen zwar noch an, der Anstieg dürfte sich aber im Zuge dieses Jahres auf Grund der veränderten Konjunkturlage zumindest verlangsamen.Insgesamt gesehen erwartet die Bundesregierung für das laufende Wirtschaftsjahr 1971/72 einen Anstieg des Pro-Kopf-Einkommens, der ungefähr dem Zuwachs der übrigen Wirtschaft entspricht.Ich möchte diese Bemerkungen durch einige Zahlenhinweise ergänzen. Herr Abgeordneter, wenn Sie von dem Index der landwirtschaftlichen Erzeugerpreise ausgehen — ich betone: dabei sind Liquiditätshilfe und Ausgleichszahlungen im Rahmen des DM-Aufwertungsausgleichs nicht berücksichtigt —, dann haben Sie für 1961/62 bei Weizen beispielsweise einen Index von 99,2 % und kommen jetzt, wenn Sie den Teilausgleich berücksichtigen, d. h. die 8%iae Mehrwertsteuer einkalkulieren, auf 86,8% Dabei betone ich: Für die Senkungen der Getreidepreise infolge der Brüsseler Beschlüsse im Jahre 1962 trägt diese Bundesregierung sicherlich nicht die Verantwortung. Bei Getreide insgesamt kommen Sie zu folgender Bilanz: Im Wirtschaftsjahr 1961/62 war der Index 99,2 °/o, bei Berücksichtigung von 8 % Mehrwertsteuer betrug er im September 1971 89,8 %.Eine ganz andere Entwicklung daran sieht man,wie sehr sich die Getreidepreisentwicklung dersechziger Jahre bemerkbar macht haben wir beispielsweise bei den Veredelungsprodukten. Wir haben bei Milch 1961/62 einen Index von 97,8 % Im Vergleich dazu betrug er im September 1971 120,1 %. Insgesamt kann ich feststellen, daß beispielsweise allein der Milchpreis im September um 8,5 höher war als im Vorjahr.
Herr Kollege Peters zu einer Zusatzfrage.
Herr Minister, halten Sie diese positive Preistendenz, die sich jetzt im September /Oktober bemerkbar gemacht hat, für eine zeitweilige Erscheinung oder für eine langfristige Entwicklung?
Ich glaube, man kann hier nur sehr vorsichtig argumentieren. Ich würde sagen: soweit es gelingt, den Markt in dem Sinne, daß sich die Produktion dem Markt anpaßt, weiter funktionsfähig zu halten, halte ich es für möglich, diese verbesserte Preistendenz langfristig zu sichern. Das wird also sehr wesentlich davon abhängen, wie sich die Produktion auf den Markt ausrichtet.
Im übrigen wird es natürlich unterschiedliche Entwicklungen geben. Beispielsweise wird es Differenzierungen bei Bodenprodukten geben. Ich brauche hier nur darauf hinzuweisen, daß wir ganz andere Entwicklungen auf dem Braugerstenmarkt haben, weil sich hier erfreulicherweise die Funktionsfähigkeit des Marktes erweist und damit auch Preisverbesserungen für die Erzeuger möglich sind. Im Unterschied dazu besteht bei den Weizenpreisen ein Druck, und wir sind einfach nach wie vor gezwungen, wegen der zu hohen Produktion Überschüsse zu Interventionspreisen zu übernehmen. Umgekehrt haben wir, wie ich meine, im Augenblick eine erfreuliche Entwicklung auf dem Rinder- und Milchsektor, und zwar wiederum auf Grund der gestiegenen Nachfrage. So ist es wohl auch für eine absehbare Zeit auf dem Schweinesektor, obwohl ich auch hier sagen möchte: Es muß unsere gemeinsame große Sorge sein, die Schweineproduktion marktgerechter und marktkonformer zu gestalten.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Minister, stimmen Sie mit mir überein, daß die Preisentwicklung der landwirtschaftlichen Erzeugnisse, die wir im letzten halben Jahr beobachten konnten, beweist, daß das Preistal, das wir 1970 und auch im ersten Halbjahr 1971 hatten, nicht auf die Aufwertung der D-Mark 1969 zurückgeht, sondern völlig andere Ursachen hatte?
Ich würde das nicht so absolut darstellen. Aber ich möchte doch sagen: Überwiegend ist es marktbedingt. Das ergibt sich schon aus dem Rückgang der Globaleinnahmen durch das Ab-
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Bundesminister Ertlsinken der Schweinepreise. Das kann jedermann nachlesen. Die rückläufige Entwicklung bei den Schweinepreisen ist sicherlich auch mit die Hauptursache für die Unruhe in der Landwirtschaft gewesen. Aber das kann ich sagen: Überwiegend sind es marktbedingte und nicht unbedingt währungsbedingte Schwierigkeiten. Außerdem sind die währungsbedingten Verluste oder Einnahmerückgänge durch die Maßnahmen der Bundesregierung voll ausgeglichen worden.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Bewerunge!
Herr Minister, nach der umfangreichen Rechtfertigung, die Sie gegeben haben, nur eine kurze Frage: Bestätigen Sie mir, daß wir — die entsprechenden Zahlen für 1961/62 gleich 100 gesetzt im Juli 1971 beim Einkommen nur bei 98,3 % lagen, während die Betriebsmittel auf 114 % gestiegen sind? Sind diese Zahlen richtig, und halten Sie es für angemessen, sich den September herauszufischen, der offensichtlich etwas aufsteigende Tendenz hat?
Herr Abgeordneter, ich habe nichts herausgefischt -- ich betätige mich hier nicht in der Fischerei —, sondern ich habe Ihnen exakte Zahlen gegeben, die ich auch gern bereit bin, Ihnen in allen Details zu liefern, weil ich mir gerade von Ihnen eine Unterstützung bei dem Vorhaben verspreche für die richtige Aufklärung der Landwirtschaft zu sorgen. Ich brauche Ihnen gar nicht zu widersprechen, sondern ich muß Ihnen sagen, Sie haben in Ihrer Berechnung, wie leider viele Verantwortliche, auch in der Landwirtschaft, einfach den Teilausgleich durch die Mehrwertsteuer und die 920 Millionen schlichtweg übergangen, die direkt bezahlt worden sind plus die 480 Millionen Liquiditätshilfe. Wenn ich das zusammenrechne, komme ich zu einer ganz anderen Einkommensbetrachtung, als sie sich aus einem spezifischen Indexvergleich ergibt. Genau das habe ich zuvor gesagt, wobei ich noch einmal hinzufüge: Für den Rückgang der Getreidepreise infolge der Getreidepreissenkungsbeschlüsse der vorigen Regierung bin ich nicht bereit die Verantwortung zu übernehmen. Dafür muß die Opposition die Verantwortung selbst übernehmen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Ritz.
Herr Bundesminister, Sie haben im Zusammenhang mit diesem Thema von der Bedeutung der Mehrwertsteuer gesprochen. Ist es dann richtig, daß bei den Betriebsmitteln die Preise unter Einrechnung der Mehrwertsteuer, bezogen auf das Vergleichsjahr 1961/62 im Juni 1971 bei 124,3% gelegen haben? Glauben Sie nicht, daß hier eine eklatante Preis-Kosten-Schere sichtbar wird?
Das glaube ich zumindest nicht so, wie Sie es dargestellt haben; denn, wie Sie wissen, haben wir im Ernährungsausschuß darüber eine detaillierte Rechnung vorgelegt. Die Differenz beträgt im Höchstfall noch nicht einmal knapp 1 %, die sich aus der größeren Vorbelastung ergibt. Das ist unsere Berechnung, die wir auch exakt nachweisen können.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Reinhard.
Herr Bundesminister, sind Sie mit mir der Meinung, daß das von Ihnen erwartete Steigen des Pro-Kopf-Einkommens nicht der Entwicklung des Gesamteinkommens der Landwirtschaft entspricht, sondern sich nur dadurch ergibt, daß viele Landwirte aus ihrem Beruf ausscheiden oder ausgeschieden sind, und daß dieses ProKopf-Mehreinkommen außerdem nur dadurch erwirtschaftet wird, daß die zurückgebliebenen Bauern mehr arbeiten und sich mehr anstrengen müssen?
Herr Kollege Reinhard, ich stimme Ihnen vollauf zu, daß dabei der Rückgang der Zahl der landwirtschaftlichen Arbeitskräfte mit zu erwähnen ist. Das hat auch noch niemand bestritten. Ich sehe auch von mir aus keine andere Möglichkeit, als diese Abwanderung sozial erträglich zu machen. Das ist ein neuer Akzent meiner Agrarpolitik im Vergleich zu der vorhergehenden, die das Abwandern nicht sozial erträglich gestaltet hat. Das ist der Unterschied. Insoweit darf ich das hier ergänzend sagen. Es ist selbstverständlich, daß man mit einer gewissen Abwanderungsquote rechnen muß, ich glaube auch, so wie ich es in der Projektion für die achtziger Jahre dargestellt habe, sogar zwangsläufig rechnen muß. Das ist im übrigen nicht nur bei uns so, wie Sie wissen, sondern in der gesamten Welt.
Eine letzte Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Schulze-Vorberg.
Herr Bundesminister, nach Ihrer Ubersicht über die Preisentwicklung, und da Sie als Abgeordneter hier wiederholt kostendeckende Preise für die Landwirtschaft gefordert haben, darf ich Sie fragen: Bei welchen Produkten sind Sie, vor allen Dingen angesichts der immens gestiegenen Betriebsmittel, Ihrem eigenen Ziel nähergekommen?
Bei sehr wesentlichen Produkten, wie Sie, Herr Kollege Schulze-Vorberg, sich z. B. bei cien Winzern in Ihrem Wahlkreis überzeugen können. Ich würde Sie bitten, sich einmal diesbezüglich mit den Winzern zu unterhalten.
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 147. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 3. November 1971 8479
Meine Damen und Herren, ich danke dem Herrn Bundesminister.
Ich rufe auf den Geschäftsbereich des Bundesministers für Städtebau und Wohnungswesen. Zur Beantwortung der Fragen steht der Parlamentarische Staatssekretär Ravens zur Verfügung. Die Frage 2 ist von Herrn Abgeordneten Höcherl gestellt:
Unterstützt die Bundesregierung immer noch die Antwort des Bundesministers für Städtebau und Wohnungswesen auf die Kleine Anfrage meiner Fraktion, obwohl in dem inzwischen vom gleichen Mitglied der Bundesregierung herausgegebenen „Wohnreport 1971" deutlich dargelegt wird, daß in den vergangenen 20 Jahren in der Bundesrepublik Deutschland pro 1000 Einwohner 192 Wohnungen gebaut worden sind, während es in Schweden nur 178, in Großbritannien 119 und in Frankreich 113 Wohnungen waren?
Herr Staatssekretär!
Herr Kollege, in dem Ende März dieses Jahres veröffentlichten Wohnreport 1971 werden unter der Überschrift „Weltrekorde im Wohnungsbau" die großen Wohnungsbauleistungen der letzten 20 Jahre hervorgehoben. Es war eine große Gemeinschaftsleistung, die zu den Erfolgszahlen des Wohnungsbaues der 50er und 60er Jahre geführt hat. Tatsache bleibt allerdings, daß der finanzielle Beitrag des Bundes zur Förderung des sozialen Wohnungsbaues 1966 praktisch dem Nullpunkt nahe war. Ich verweise hierbei auf die Angaben in der Antwort auf die Kleine Anfrage vom 1. Juli 1971. Die Bundesregierung hat sich wieder eine Verstärkung des sozialen Wohnungsbaues mit Hilfe eines vom Bund mitgetragenen langfristigen Wohnungsbauprogramms zum Ziel gesetzt und dafür auch die entsprechenden Mittel seit 1971 bereitgestellt. Wir rechnen daher in diesem Jahr mit einem Fertigstellungsergebnis von rund 520 000 Wohnungen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Höcherl.
Herr Staatssekretär, sind Sie nicht der Meinung, daß es darauf ankommt, daß Wohnungen gebaut werden, daß es nicht darauf ankommt, mit welchen Methoden — mit marktwirtschaftlichen, privatwirtschaftlichen oder öffentlichen Mitteln —, sondern auf die Bauleistung?
Herr Kollege, ich habe darauf hingewiesen, daß wir in diesem Jahr mil einer Fertigstellungszahl von 520 000 bis 550 000 Wohnungen rechnen. Ich habe darauf hingewiesen, daß die großen Aufbauleistungen der Nachkriegszeit eine Gemeinschaftsleistung der Bausparer, der Bauherren und der weiteren am Bau Beteiligten gewesen ist.
Eine weitere Zusatzfrage Herr Abgeordneter Höcherl.
Glauben Sie nicht, Herr Staatssekretär, daß es vor allem der guten Wirtschafts- und der guten Konjunkturpolitik dieser 20 Jahre zu verdanken war, daß dieses Ergebnis erzielt werden konnte?
Herr Kollege Höcherl, ich gehe davon aus, daß wir nach 1949 eine Riesenanstrengung unseres ganzen Volkes gehabt haben, um den im Krieg zerbombten Wohnraum wiederherzustellen; das war eine der großen Antriebsfedern.
Einer der Fehler, auf die diese Bundesregierung in ihrer Antwort auf Ihre Kleine Anfrage hinweist, und der in der Öffentlichkeit immer deutlicher wird, ist allerdings die Entscheidung der damaligen Mehrheit des Bundestages von 1956, die öffentlichen Mittel für den sozialen Wohnungsbau von 700 Millionen jährlich um 70 Millionen zu kürzen. Das hat dazu geführt, daß wir 1966 praktisch am Nullpunkt angelangt waren.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Erpenbeck.
Herr Staatssekretär, wenn Ihre Darstellung im „Wohnreport 1971" hinsichtlich des Weltrekords richtig ist und Sie auch bei dem Text der Beantwortung der Kleinen Anfrage bleiben, wie erklären Sie sich dann die Feststellung der gemeinnützigen Wohnungswirtschaft, daß Baukosten, Mietpreise und öffentliche Wohnungsbauförderung zur Zeit in einem unheilvollen Zusammenhang stünden und daß überproportional gestiegene Herstellungskosten im Wohnungsbau zu wachsenden Aufwendungen und höheren Mieten führten? Ist das mit einer „verfehlten Wohnungspolitik der 50er und 60er Jahre" zu beantworten, oder ist das auf eine Inflationspolitik in dieser Zeit zurückzuführen?
Herr Kollege Erpenbeck, Sie irren sich. Alle Fachleute sind sich darüber im klaren, daß die Baupreissteigerungen des vergangenen Jahres unter anderem Nachfolgekosten der nicht von dieser Bundesregierung zu vertretenden Rezession von 1966/67 gewesen sind. Diese Rezession hat dazu geführt, daß die Bauwirtschaft relativ früh in eine Krise geriet, eine erhebliche Zahl von Arbeitskräften verlor, erst relativ spät aus dieser Krise wieder herauskam und unter hohem Aufwand neue Arbeitskräfte anwerben mußte, was dann zu Kostenexplosionen führte. Das sind die Tatsachen, und das sind die Folgen.Daß die gemeinnützige Wohnungswirtschaft heute darauf hinweist, daß im Zusammenhang mit der Baukostensteigerung, mit den steigenden Bedürf-
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8480 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 147. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 3. November 1971
Parlamentarischer Staatssekretär Ravensnissen der Bewohner der neuen Sozialwohnungen und mit anderen Faktoren die Fragen der Finanzierung im Wohnungsbau neu geregelt werden müssen, halte ich für legitim. Das sind Fragen, die Bund und Ländern gemeinsam gestellt sind.
Eine letzte Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Vogt.
Herr Staatssekretär, hält es die Bundesregierung für legitim, in ihrer Zwischenbilanz „Reformen heute — Sicherheit für morgen" das von ihr versprochene langfristige Wohnungsbauprogramm 200 000 bis 250 000 Wohnungen jährlich — an den 165 000 Wohnungen des Jahres 1970 zu messen, wobei hinzugefügt werden muß, daß das in die Amtszeit Ihrer Regierung fiel?
Herr Kollege, ich bedaure, diese Frage steht nicht in dem nach der Geschäftsordnung erforderlichen unmittelbaren Zusammenhang mit der Frage.
Herr Staatssekretär? — Erledigt!
Damit sind die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Städtebau und Wohnungswesen abgehandelt. Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit auf. Dazu liegt eine Frage des Herrn Abgeordneten Schedl vor. — Herr Kollege Schedl ist nicht im Saal. Die Frage wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt. Frau Staatssekretär, ich danke Ihnen.
Teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß die Kompetenzen der Kommunen in Umweltschutzfragen zu schwach sind, um eine wirksame Unterstützung der diesbezüglichen Bemühungen der Bundesregierung auf örtlicher Ebene zu gewährleisten, und welche Maßnahmen sind zur Stärkung der Gemeindekompetenzen in diesem Bereich im Programm der Bundesregierung zum Umweltschutz vorgesehen?
Herr Minister!
Herr Kollege, die Kompetenzen der Gemeinden werden durch die Länder bestimmt. Bei den von der Bundesregierung eingebrachten und geplanten Gesetzen zur Verbesserung der Umweltbedingungen wird im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens Gelegenheit gegeben sein, mit den Ländern darüber eine Klärung herbeizuführen, ob die Kompetenzen der Gemeinden oder Gemeindeverbände in Umweltschutzfragen ausreichend sind oder ob sie erweitert werden müssen.
Sollte sich hierbei die Notwendigkeit einer Kompetenzerweiterung zugunsten der Gemeinden bzw. Gemeindeverbände ergeben, werde ich mich für eine entsprechende Veränderung einsetzen. Der Bundesregierung liegt entscheidend daran, daß die von ihr eingeleiteten gesetzgeberischen Maßnahmen nicht an schlichten Kompetenzschwierigkeiten scheitern.
Eine Zusatzfrage.
Herr Minister, haben Sie schon einen Überblick, ob die Länder der Bundesrepublik das Problem Umweltschutz im Verhältnis zu den Gemeinden einigermaßen gleich, vor allem gleichrangig und gleichgewichtig beurteilen?
Ich gehe davon aus, Herr Kollege, daß die Bundesländer diese Problematik sehen. Wir wissen aber auch, daß angesichts der unterschiedlichen Kompetenzregelung in einzelnen Bundesländern die Problematik sehr vielschichtig ist.
Eine letzte Zusatzfrage.
Herr Minister, wie beurteilt die Bundesregierung die Möglichkeit, daß eine stärkere Kompetenz der Kommunen in Fragen des Umweltschutzes möglichst im Bereich der EWG harmonisiert wird?
Herr Kollege, ich bin sehr für EWG-Regelungen. Aber in einer Zeit, in der es uns zunächst einmal darum geht, in der EWG Verständnis für unser Umweltprogramm zu erreichen und ähnliche Anforderungen zu schaffen, würden wir uns übernehmen, wenn wir als Nahzielvorstellung Kompetenzfragen auf dem kommunalen Sektor zum Schwerpunkt erklärten. Ich halte aber eine solche Regelung langfristig für notwendig.
Ich rufe die Frage 5 des Abgeordneten Wolfram auf.
Hält die Bundesregierung die Förderung der Umsiedlung umweltbelästigender Betriebe aus Wohngegenden durch Mittel aus dem ERP-Programm oder anderen Haushaltsmitteln für eine sinnvolle Maßnahme, und gedenkt sie diese zu ergreifen?
Herr Bundesminister!
Die Bundesregierung hält es für sinnvoll, Herr Kollege, daß die notwendige Umsiedlung umweltbelästigender Betriebe aus Wohngegenden mit öffentlichen Mitteln gefördert wird, soweit sie nicht im eigenen Interesse dieser Betriebe liegt und aus deren Mitteln bewältigt werden kann. Obwohl solche Förderung nicht in erster Linie Sache des Bundes ist, wird dazu in geeigneten Fällen aus Bundesmitteln beigetragen.Aus ERP-Mitteln werden an Unternehmen der gewerblichen Wirtschaft Kredite für die Errichtung von Betrieben gewährt, wenn die bisher genutzten Räume infolge von Maßnahmen der öffentlichen Hand — also z. B. Auflagen zur Abstellung von Umweltbelästigungen — aufgegeben werden müssen.
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 147. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 3. November 1971 8481
Bundesminister GenscherAus dem Regional-Förderungsprogramm werden Bundeshaushaltsmittel für die Ansiedlung gewerblicher Betriebe in strukturschwachen Gebieten gegeben, soweit damit erkennbare regionalpolitische Effekte erzielt werden. Durch diese Förderung kommt es häufiger zum Auszug von Betrieben aus Wohngebieten und ihrer Ansiedlung in besonders ausgewiesenen Gewerbeflächen, wo sie keine oder nur unwesentliche Belästigungen verursachen.
Eine Zusatzfrage.
Herr Minister, sehen Sie außer den von Ihnen soeben genannten Möglichkeiten noch weitere Möglichkeiten, auf diesem Sektor Fehlentscheidungen aus der Vergangenheit zu korrigieren?
Herr Abgeordneter, es gibt eine Reihe von Problemen, die in der Prioritätenliste der Bundesregierung im Rahmen des Umweltschutzes gleichen Rang haben. Sie wissen selbst, daß die uns zur Verfügung stehenden Mittel auch in diesem Bereich begrenzt sind.
Aber die Tatsache, daß die Bundesregierung hier Mittel für einen Aufgabenbereich zur Verfügung stellt, der eigentlich nicht in ihre Zuständigkeit fällt, zeigt bereits, welchen Stellenwert die Bundesregierung gerade der von Ihnen angeschnittenen Frage beimißt.
Die Frage 6 des Abgeordneten Dr. Schmitt-Vockenhausen wird auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 7 des Abgeordneten Dr. Marx auf:
Kann die Bundesregierung die Informationen des ZDF-Magazins vom 20. Oktober 1971 bestätigen, wonach vom 1. Januar bis 19. Oktober 1971 die Zahl der aus der DDR Geflüchteten 700, die Zahl jener, die über andere Länder den sogenannten zweiten deutschen Staat als Flüchtlinge verlassen haben, 3760 beträgt?
Zahlen über die aus der DDR und Ost-Berlin in das Bundesgebiet gekommenen Deutschen werden von den Bundesnotaufnahmedienststellen monatlich zusammengestellt. Vorn 1. Januar bis 30. September 1971 sind 4391 Flüchtlinge registriert worden. Darunter befanden sich 631 Flüchtlinge, die Mauer und Stacheldraht überwanden. Die übrigen Personen sind über das Ausland geflüchtet oder haben als Angehörige von Delegationen usw. um Notaufnahme nachgesucht.
Außerdem kamen aus der DDR noch 8347 Übersiedler, die mit Genehmigung ausreisen durften. Bei diesen Personen handelt es sich fast ausschließlich um alte und hilfsbedürftige, aus dem Erwerbsleben bereits ausgeschiedene Menschen, überwiegend Frauen.
Die Gesamtzahl der Zugänge betrug in den ersten neun Monaten dieses Jahres mithin 12 738 Personen.
Keine Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 8 des Abgeordneten Dr. Marx auf:
Warum gibt die Bundesregierung keine amtlichen Mitteilungen mehr heraus, die der Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland ein ungeschminktes Bild über die Anzahl der Flüchtlinge und die Zwischenfälle an Zonen- und Sektorengrenze vermitteln?
Herr Minister!
Über die Fluchtbewegung und die Gesamtzugänge aus der DDR und Ost-Berlin in die Bundesrepublik wird jeweils im Jahresbericht der Bundesregierung, der jedem Staatsbürger zugänglich ist, berichtet. Außerdem werden diese Zahlen verschiedenen Gremien, auch Verbänden, periodisch und auf Anfrage jedermann mitgeteilt. Im übrigen wird über die Zwischenfälle im gleichen Maße wie früher von den zuständigen Grenzsicherungsorganen berichtet. Diese objektive Berichterstattung der Bundesregierung, Herr Kollege, entspricht unserer Absicht, ein ungeschminktes Bild der deutschen Wirklichkeit zu geben.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Marx.
Herr Bundesminister, kann nach dem, was Sie eben sagten, davon ausgegangen werden, daß die deutsche Öffentlichkeit regelmäßig regelmäßig heißt, in gewissem Turnus, alle Monate oder alle drei Monate — über die Fluchtzahlen durch Ihr Haus unterrichtet wird?
Herr Abgeordneter, die Bundesregierung hat mit der Regelmäßigkeit, die ich hier angegeben habe, diese Berichte gegeben. Monatliche Berichte sind zu keiner Zeit von der Bundesregierung gegeben worden. Die Bundesregierung muß auf der einen Seite zwischen dem Informationsbedürfnis der deutschen Öffentlichkeit nach einem ungeschminkten Bild der deutschen Lage auf der einen Seite und der Tatsache auf der anderen Seite abwägen, daß sie kein Interesse daran hat, durch eine Dramatisierung dieser Zahlen dazu beitragen, daß die Behörden in der DDR noch mehr Anstrengungen unternehmen, um es Deutschen aus ihrem Bereich unmöglich zu machen, in das Bundesgebiet zu gelangen.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Marx.
Herr Bundesminister, sind Sie mit mir der Meinung, daß es gerade in der gegenwärtigen Situation — ich spreche gar nicht von Dramatisierung —, um ein ungeschminktes Bild zu geben, auch zur deutschen Wirklichkeit gehört, die Fluchtbewegung von einem Teil Deutschlands in den anderen Teil aufzuzeigen?
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8482 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 147. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 3. November 1971
Herr Abgeordneter, meine auf Ihre Frage in präzisen Zahlen gegebene Antwort zeigt, daß die Bundesregierung keinen Anlaß sieht, diese Zahlen in irgendeiner Weise zu verschweigen. Es gibt keinen besseren Ort als den Deutschen Bundestag, um diese Zahlen zu nennen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Horn.
Herr Minister, stimmen Sie mit mir überein, daß eine zu starke Propagierung der Zahlen in der Öffentlichkeit schlechte Auswirkungen gerade für die Betroffenen haben könnte, denn nicht nur die DDR-Behörden, sondern auch die Behörden anderer Länder, über die diese Flüchtlinge kommen, könnten dadurch dazu bewegt werden, schärfere Maßnahmen zu ergreifen, die gerade den Betroffenen nicht zugute kämen, sondern sie sehr schwer behindern würden?
Herr Kollege, ich stimme mit Ihnen überein. Das ist der Grund dafür, warum die Bundesregierung vor einer sensationellen Aufmachung dieser Zahlen warnt.
Ich rufe die Frage 9 des Abgeordneten Hansen auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung den Bericht über die Praxis des Asylrechts in der Bundesrepublik Deutschland in der Zeitschrift „konkret" vom 21. Oktober 1971?
Die Bundesregierung, Herr Abgeordneter, ist jeder sachlichen Kritik gegenüber aufgeschlossen. Der in Ihrer Frage zitierte Artikel jedoch erfüllt diese Anforderung nicht.
Einer der in dem Artikel zu Worte gekommenen Rechtsanwälte hielt es nach Kenntnis des Artikels am 26. Oktober 1971 für notwendig, sowohl dem Leiter des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge als auch dem Präsidenten des Verwaltungsgerichts Ansbach eine Stellungnahme zuzuleiten, denn — ich zitiere wörtlich „der Bericht enthält journalistische Entstellungen, die weder fair noch wahr sind und von mir abgelehnt werden". Es heißt in der Stellungnahme des Rechtsanwalts dann weiter:
Ich habe diesbezüglich Herrn Weyland gerügt und um Richtigstellung ersucht, denn solche Ausdrücke sind nicht gefallen und gehören nicht in eine öffentliche Diskussion, es sei denn, daß man auf Sensationsberichte ausgeht und sich wichtig machen möchte.
Ich glaube, diese Ausführungen des Rechtsanwalts sprechen für sich.
Ausdrücklich möchte ich mit Entschiedenheit die in dem Artikel zum Ausdruck gekommene Unterstellung zurückweisen, deutsche Behörden oder gar unabhängige deutsche Gerichte würden sich unter Mißachtung unserer Verfassung und anderer Rechtsvorschriften, wonach politisch Verfolgten ein Rechtsanspruch auf Asylgewährung zusteht, bei ihren asylrechtlichen Entscheidungen von außenpolitischen Aspekten leiten lassen. Die Bundesrepublik Deutschland hat das Asylrecht als Grundrecht ausgestaltet. Ausländer, die die Anerkennungsvoraussetzungen erfüllen, haben einen Rechtsanspruch auf ihre Anerkennung, und zwar auch dann, wenn durch die Anerkennung möglicherweise außenpolitische Aspekte berührt werden.
Ich danke Ihnen, Herr Abgeordneter, daß Sie mir durch Ihre Frage Gelegenheit gegeben haben, die tendenziöse Darstellung in dieser Zeitschrift hier zu widerlegen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Hansen.
Herr Minister, ich danke Ihnen für die klarstellende ausführliche Beantwortung, möchte aber noch eine Frage zur Sache stellen, und zwar die: Halten Sie die personelle und materielle Ausstattung des Lagers Zirndorf für ausreichend?
Herr Abgeordneter, sowohl die personelle wie die materielle Ausstattung des Lagers bereiten mir große Sorgen. Die Bundesregierung ist bemüht, im Rahmen der ihr zur Verfügung stehenden haushaltsmäßigen Möglichkeiten entscheidende Verbesserungen eintreten zu lassen.
Ich rufe die nächste Frage des Herrn Abgeordneten Dr. Arnold auf:
Treffen Meldungen zu, wonach über 300 Angehörige der früheren SS-Division „Das Reich" vor kurzem einen Traditionsverband gegründet haben, mit dem auch politische Ziele verfolgt werden sollen?
Am 16. Oktober 1971 hat in Rosenheim ein Treffen von 250 ehemaligen Angehörigen der SS-Division „Das Reich" stattgefunden. Es wurde der Verband „Truppenkameradschaft der ehemaligen Soldaten der 2. SS-Panzerdivision Das Reich gegründet. Dieser Verband will nach seinen Angaben das Schicksal von über 2000 Vermißten klären, die Divisionsgeschichte fertigstellen, Kameradschaft pflegen und soziale Aufgaben erfüllen. Politische Bestrebungen sind bei dem Treffen bisher nicht erkennbar geworden.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Arnold.
Herr Bundesminister, darf ich fragen, wie die Bundesregierung insgesamt die Gründung solcher Traditionsverbände aus der früheren SS bewertet?
Herr Abgeordneter, die Bundesregierung würde es begrüßen, wenn sich gerade bei der Gründung derartiger Traditionsverbände die Beteiligten die sich aus der Natur der Sache ergebende Zurückhaltung auferlegten.
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 147. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 3. November 1971 8483
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Arnold.
Herr Bundesminister, trifft es zu, daß außer diesem einen Verband, der Gegenstand meiner Frage war, andere Verbände aus diesem Bereich bestehen? Trifft es insbesondere zu, daß hier durchaus auch politische Vorstellungen aus dem Bereich der früheren SS entwickelt werden? Hat die Bundesregierung darüber eine Übersicht, und kann sie die jetzt oder gegebenenfalls später bekanntgeben?
Herr Abgeordneter, mit diesem Problem hat sich nicht erst diese Regierung, sondern hatten sich auch frühere Regierungen zu beschäftigen. Ich bin gern bereit, Ihnen einen umfassenden Bericht über diese Veranstaltungen zu geben und dabei auch zum Ausdruck zu bringen, welche Haltung alle Regierungen in dieser Frage eingenommen haben und inwieweit Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens an diesen Veranstaltungen teilgenommen haben.
Ich danke Ihnen, Herr Minister. — Damit sind die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Innenministeriums beantwortet.
Ich rufe die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung auf. Zur Beantwortung der Fragen steht der Parlamentarische Staatssekretär Rohde zur Verfügung.
Die erste Frage wurde von Herrn Abgeordneten Dr. Müller eingebracht.
Herr Präsident, ich würde gern die Fragen 36 und 37 zusammen beantworten.
Der Fragesteller ist einverstanden. Ich rufe beide Fragen zusammen auf:
Entsprechen Pressemeldungen den Tatsachen, daß Bauarbeiter aus den Ostblockstaaten in der Bundesrepublik Deutschland nicht die gleichen Rechte wie deutsche Arbeiter besitzen und daß sie zum Beispiel keine Überstundenbezahlung und nicht genügend Freizeit haben sowie hohe Disziplinarstrafen bei kleinen Vergehen bezahlen müssen?
Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, sicherzustellen, daß die Ostblockarbeiter in der Bundesrepublik Deutschland die gleichen Rechte haben wie die deutschen Arbeiter?
Bitte sehr, Herr Staatssekretär.
Es ist bereits sichergestellt, Herr Kollege, daß ausländische Arbeitnehmer — gleich, welcher Nationalität — in der Bundesrepublik in arbeits- und sozialrechtlicher Hinsicht wie entsprechende deutsche Arbeitnehmer behandelt werden. Das gilt insbesondere für die Höhe der Löhne, für die Bezahlung von Überstunden und für die Arbeitszeit.
Arbeitnehmer aus osteuropäischen Ländern werden im allgemeinen auf der Grundlage von Werkverträgen osteuropäischer Firmen mit deutschen Unternehmen im Bundesgebiet beschäftigt. Für diese Fälle haben die an der Ausländerbeschäftigung beteiligten Bundesressorts bereits im Jahre 1969 die Bundesanstalt für Arbeit veranlaßt, die Erteilung der Arbeitserlaubnis davon abhängig zu machen, daß die osteuropäischen Arbeitnehmer die gleichen Lohn- und Arbeitsbedingungen wie vergleichbare deutsche Arbeitnehmer erhalten, die Beiträge zur deutschen Sozialversicherung abgeführt werden, sofern nicht im Einzelfall der zuständige Versicherungsträger Versicherungsfreiheit feststellt, und die Lohnsteuer entsprechend den gesetzlichen Vorschriften entrichtet wird.
Vor der Erteilung der Arbeitserlaubnis wird von den Arbeitsämtern geprüft, ob diese Voraussetzungen erfüllt sind. Ist dies nicht der Fall, soll eine Arbeitserlaubnis nicht erteilt werden. Stellt sich erst nachträglich heraus, daß die Arbeitsbedingungen ausländischer Arbeitnehmer offensichtlich ungünstiger sind als die vergleichbarer deutscher Arbeiter, so kann die Arbeitserlaubnis auf Grund der Arbeitserlaubnisverordnung des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung vom 2. März 1971 widerrufen werden.
Sollten Ihnen daher solche Fälle bekanntgeworden sein, bitte ich, sie mir mitzuteilen, damit die Bundesanstalt, die für die Erteilung und den Widerruf von Arbeitserlaubnissen zuständig ist, die entsprechenden Prüfungen einleiten kann.
Das Wort zu einer Zusatzfrage hat Herr Abgeordneter Dr. Müller.
Herr Staatssekretär, beobachtet das Bundesministerium diesbezügliche Pressemeldungen? Kennt es einen konkreten Fall in München, wo durch entsprechend groß aufgemachte Pressemeldungen bekannt wurde, daß anläßlich eines Arbeitsunfalles zu später Stunde festgestellt wurde, daß solche Arbeiten nicht unseren Bestimmungen entsprachen?
Herr Kollege, ich gehe davon aus, daß die Bundesanstalt ihre Verantwortung in diesem Bereich wahrnimmt und bei Pressemitteilungen, die ihr selbstverständlich zugänglich sind, auch die entsprechenden Nachprüfungen einleiten wird.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, sind Ihnen Meldungen bekannt, daß ein größerer Teil von Arbeitskräften aus Ostblockstaaten um Asyl in der Bundesrepublik nachgesucht und dies u. a. mit den Arbeitsbedingungen und den Disziplinarstrafen, die über sie verhängt worden sind, begründet hat?
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8484 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 147. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 3. November 1971
Herr Kollege, das kann ich hier nicht im einzelnen beantworten. Ich werde das nachprüfen und Ihnen darüber eine Nachricht zukommen lassen.
Die nächste Frage ist von dem Herrn Abgeordneten Dr. Gatzen eingebracht:
Hat die Bundesregierung Informationen darüber, in welchem Maße ältere Auslandsdeutsche durch konfiskatorische Maßnahmen südamerikanischer Staaten in ihrer Alterssicherung gefährdet sind, und was gedenkt sie zu tun, um den so Betroffenen zu helfen, die in die Heimat zurückkehren wollen?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Ich bitte um Ihr Verständnis dafür, daß es ohne nähere Angaben schwierig ist, Ihre Frage zu beantworten. Sollten Ihnen besondere Fälle bekanntgeworden sein, möchte ich Sie bitten, mir darüber eine Mitteilung zukommen zu lassen. Soweit es um die Arbeitsvermittlung rückkehrwilliger Auslandsdeutscher geht, werden wir uns mit der Bundesanstalt für Arbeit in Verbindung setzen und sie dabei auch auf das besondere Interesse, das in Ihrer Frage zum Ausdruck kommt, hinweisen.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, in dem mir bekanntgewordenen Fall, der sicher nicht singulär ist, geht es nicht um Arbeitsvermittlung, sondern praktisch um die Altersversorgung. Ich möchte Sie deshalb fragen, ob Sie mit mir darin übereinstimmen, daß diesem Personenkreis, der durch seine Tätigkeit im Ausland, zum Teil mit deutschen Firmen zusammenarbeitend, zum Teil für deutsche Firmen arbeitend, zum Aufblühen unserer Wirtschaft beigetragen hat, geholfen werden sollte, wenn er unverschuldet in Not gerät.
Herr Kollege, das müßte anhand der konkreten Umstände geprüft werden. Darauf kann ich keine pauschale Antwort, welche Lösungsmöglichkeiten vorhanden sind, geben.
Ich rufe die Frage 39 des Herrn Abgeordneten Varelmann auf:
In welchem Umfange wurden auf Grund des Arbeitsförderungsgesetzes überregionale Ausbildungsförderungszentren in den Ballungsräumen und in den Großstädten eingerichtet, und in welchem Ausmaß in den überwiegend ländlichen Arbeitsamtsbezirken?
Herr Präsident, ich möchte die Fragen 39 und 40 gern zusammen beantworten.
Der Herr Fragesteller ist einverstanden. Ich rufe ebenfalls die Frage 40 auf:
Wie hoch ist hierfür der finanzielle Aufwand in den Großstädten und in den ländlichen Arbeitsamtsbezirken?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Die Bundesanstalt für Arbeit hat unserem Hause mitgeteilt, daß von ihr in der Zeit vom Inkrafttreten des Arbeitsförderungsgesetzes bis zum 15. September 1971 192 Vorhaben der institutionellen Förderung der beruflichen Bildung mit Zuwendungen von insgesamt 69,4 Millionen DM finanziell unterstützt worden sind.
Davon entfielen drei Projekte mit 13,16 Millionen DM auf überregionale Zentren in Ballungsräumen und Großstädten, darunter vor allem das Berufsförderungszentrum in Essen. Im gleichen Zeitraum wurden 37 überregionale Bildungseinrichtungen in ländlichen Arbeitsamtsbezirken mit einem Gesamtbetrag von 20 Millionen DM gefördert.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist nicht im allgemeinen das Bedürfnis zur Förderung der beruflichen Weiterbildung in den ländlichen Räumen größer als in den Großstädten?
Herr Kollege, das ist schwer voneinander abzugrenzen. Sicherlich haben Sie aber damit recht, daß — insbesondere wegen der Strukturveränderungen — das Bedürfnis nach beruflicher Fortbildung in den ländlichen Räumen gewachsen ist.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, besitzt das Bundesarbeitsministerium eine Ubersicht darüber, in welchem Umfang gerade in ländlichen Arbeitsamtsbezirken günstige Voraussetzungen für die Schaffung von überregionalen beruflichen Förderungszentren gegeben sind? Nach den finanziellen Angaben liegen ja die ländlichen Räume gegenüber den Großstädten, jedenfalls in bezug auf den finanziellen Aufwand, erheblich im Rückstand.
Das ist der Fall, Herr Kollege. Nicht nur bei uns, sondern auch bei der Bundesanstalt für Arbeit wird dieser Aufgabenbereich ständig bearbeitet. Ich bin gern bereit, Ihnen entsprechende Unterlagen darüber zuzuleiten.
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 147. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 3. November 1971 8485
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, sind nicht schon von Grund auf die Voraussetzungen für die berufliche Weiterbildung in den Großstädten günstiger als in den ländlichen Gebieten, und besteht deshalb nicht in den ländlichen Arbeitsamtsbezirken ein erheblicher Nachholbedarf?
Herr Kollege, ich würde das nicht in einen Gegensatz zueinander bringen. Es gibt z. B. auch Ballungsräume, in denen sich auf Grund struktureller Veränderungen das Bedürfnis nach beruflicher Umschulung und Fortbildung verstärkt hat. Denken Sie beispielsweise an die Probleme, die aus der Strukturveränderung im Bergbau für die Arbeitnehmer auch im Berufsbildungsbereich erwachsen sind.
Vielen Dank für die Antwort.
Die Frage 41 ist von Herrn Abgeordneten Berberich eingebracht:
Da im Entwurf des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1972 des Geschäftsbereichs des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten und im Finanzplan des Bundes 1971 bis 1975 für das Jahr 1972 keine Mittel für Zuschüsse an die Träger der landwirtschaftlichen Unfallversicherung vorgesehen sind und im Finanzplan des Bundes 1971 bis 1975 ausgeführt ist, daß die bisher freiwillig gezahlten Bundeszuschüsse in einem Gesamt-Gemeinlastverfahren getragen werden können, frage ich die Bundesregierung, wie weit die Vorarbeiten für ein derartiges Gemeinlastverfahren gediehen sind?
Wollen Sie die Antwort mit der Antwort auf die Frage 42 verbinden, Herr Staatssekretär?
Ich würde das mit Ihrem Einverständnis, Herr Präsident, gerne tun.
Der Herr Fragesteller ist einverstanden. Ich rufe also auch die Frage 42 des Herrn Abgeordneten Berberich auf:
Welche Vorstellungen hat die Bundesregierung für den Fall, daß das beabsichtigte Gemeinlastverfahren im Jahre 1972 nicht Platz greifen kann, vor allem in bezug auf die Finanzierung der landwirtschaftlichen Unfallversicherung?
Ob und wie ein Lastenausgleich zwischen den landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaften und den gewerblichen Berufsgenossenschaften möglich ist, bedarf, Herr Kollege, einer eingehenden Prüfung. Wie Sie wissen, erschwert die unterschiedliche Struktur der beiden Versicherungsbereiche einen Vergleich. Es kann heute noch nicht übersehen werden, bis wann ein Ergebnis dieser Prüfung vorliegt, zumal damit sowohl verfassungsrechtliche als auch beitragsrechtliche Fragen der Unfallversicherung verbunden sind.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Bundesregierung geht davon aus, daß die landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaften zur Überbrückung des fehlenden Bundeszuschusses im Jahre 1972 auf ihre angesammelten Betriebsmittel zurückgreifen. Die Bundesregierung prüft zur Zeit, wieweit die Betriebsmittel der landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaften noch in diesem Jahr durch Bundeszuschüsse verstärkt werden müssen, um Beitragserhöhungen im Jahre 1972 zu vermeiden.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Berberich.
Können Sie eine Stellungnahme zu der Meldung in einem Informationsdienst abgeben, daß aus Restmitteln des Bundesernährungsministeriums 200 bis 250 Millionen DM Einsparungen möglich sind, die auf diese Weise verwendet werden sollen?
Herr Kollege, ich will mich nicht auf die Höhe des Betrages festlegen, darf aber in diesem Zusammenhang noch einmal auf den Schluß meiner Antwort hinweisen, in der ich die Verstärkung der Bundeszuschüsse genannt habe.
Herr Staatssekretär, ist der Bundesregierung nicht bekannt, daß die Betriebsmittel, die bei den landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaften vorhanden sind, dazu nötig sind, die Leistungen der Unfallversicherung bis zum Eingang der neuen Beiträge nach der Ernte überhaupt sicherstellen zu können, und daß bei vielen der landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaften auch heute noch zur Überbrückung bis zum Beitragseingang auf Kreditmittel zurückgegriffen werden muß?
Herr Kollege, das ist eine Frage, die im einzelnen an Hand von Zahlen zu erörtern wäre. Dann würde sich zeigen, daß die bei den Berufsgenossenschaften vorhandenen Finanzierungsmittel zuzüglich der von uns ins Auge gefaßten zusätzlichen Bundeszuschüsse so sind, daß im nächsten Jahr sowohl die Leistungen der Unfallversicherung in der Landwirtschaft gesichert sind als auch Beitragserhöhungen vermieden werden können.
Sie haben noch eine weitere Frage.
Herr Staatssekretär, es ist Ihnen doch sicher bekannt, daß diese Betriebs-
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8486 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 147. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 3. November 1971
Berberichmittel in sehr unterschiedlicher Höhe vorhanden sind, daß es Berufsgenossenschaften gibt, die bei einer entsprechenden Finanzhilfe zu einer Überbrükkung absolut in der Lage sind, daß aber auch Berufsgenossenschaften vorhanden sind, bei denen die Betriebsmittel noch nicht einmal zur Überbrückung von zwei Monaten ausreichen?
Herr Kollege, ich will in dieser Sache kein abschließendes Wort sagen, aber darauf hinweisen, daß in einem solchen Fall auch die Möglichkeit des Ausgleichs durch Rechtsverordnung bestehen würde.
Herr Kollege Berberich, Sie haben noch eine vierte Zusatzfrage. — Sie lassen Herrn Frehsee den Vortritt. — Herr Abgeordneter Frehsee!
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung bereit, so oder so dafür Sorge zu tragen, daß die landwirtschaftliche Unfallversicherung ihre Leistungen im Jahre 1972 in vollem Umfang aufrechterhalten kann, ohne daß die Beiträge erhöht werden?
Ja, Herr Kollege. Darauf habe ich auch ausdrücklich hingewiesen.
Herr Staatssekretär, ich danke Ihnen. Damit sind die Fragen aus dem Geschäftsbereich Ihres Hauses beantwortet.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Jugend, Familie und Gesundheit. Für die Beantwortung steht Herr Staatssekretär Dr. von Manger-Koenig zur Verfügung. Ich rufe die Frage 46 des Herrn Abgeordneten Schlee auf:
Ist die Bundesregierung bereit, der Aufforderung des Präsidenten der European Organization for Research on Treatment of Cancer , Professor Dr. D. W. van Bekkum, — ausgesprochen unter dem 23. Juni 1971 mit einer, auch an den Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland gerichteten Botschaft — Folge zu leisten und sich an einer von den europäischen Ländern gemeinsam zu errichtenden Anstalt oder Einrichtung zur Erforschung der Ursachen und der Behandlung der Krebserkrankungen zu beteiligen?
Dr. von Manger-Koenig, Staatssekretär im Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit. Die Bundesregierung hat die Anregung der EORTC, sich an einer von den europäischen Ländern gemeinsam zu errichtenden Anstalt oder Einrichtung zur Erforschung der Ursachen und der Behandlung von Krebserkrankungen zu beteiligen, geprüft. Sie begrüßt jede Initiative, durch die Krebsforschung und Krebsbehandlung gefördert werden. Eine endgültige Beurteilung ist jedoch erst möglich, wenn die Anregung der Europäischen Organisation durch genaue Angaben über Organisation, _Aufgabe, Finanzen und Sitz der Anstalt oder Einrichtung ergänzt worden ist. Die Bundesregierung wird bestrebt sein, die anstehenden Fragen, Herr Abgeordneter, in Verbindung mit den bereits bestehenden und sehr erheblichen Verpflichtungen gegenüber dem deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg, dem Internationalen Krebsforschungsinstitut in New York und der Internationalen Union gegen den Krebs zu klären.
Eine Zusatzfrage? — Danke.
Ich rufe die Frage 47 des Abgeordneten Wende auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die von dem Ernährungswissenschaftler Dozent Dr. H. J. Holtmeier von der Universität Stuttgart festgestellte und in der neuesten Ausgabe des Deutschen Ärzteblattes" veröffentlichte Tatsache, daß in der Bundesrepublik Deutschland handelsübliche Wurst im Durchschnitt 84,3 % Fett-Kalorien enthält und daß fettärmere Wurst zu einem hohen Anteil aus minderwertigen Bestandteilen wie Schwarten, Sehnen, Innereien, Speck und Fettgewebe besteht?
Meine Damen und Herren, jetzt geht es um die Wurst.
Herr Staatssekretär, bitte!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Der von Dr. Holtmeier angegegebene durchschnittliche Anteil an Fettkalorien bei Wurst ist zutreffend wiedergegeben. Wurst ist tatsächlich ein relativ hoher Kalorienträger. Für eine kalorienarme Ernährung ist sie nur begrenzt heranzuziehen. Andererseits entspricht es nicht den Tatsachen, daß fettarme Wurst durchweg aus minderwertigen Bestandteilen besteht. Der wertbestimmende Teil der Wurst ist vielmehr der Gehalt an Muskeleiweiß, der in den Leitsätzen des Deutschen Lebensmittelbuchs über Fleischwaren festgelegt werden soll. In den Leitsätzen sollen auch die übrigen Bestandteile der einzelnen Wurstsorten beschrieben werden.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, halten Sie es nicht für angebracht, möglicherweise, wie es bei anderen Lebensmitteln der Fall ist, z. B. bei Käse, die Fettbestandteile auch bei der Wurst anzeigepflichtig zu machen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das sollte für die einzelnen Wurstarten im Lebensmittelbuch festgelegt werden, Herr Abgeordneter.
Keine weitere Zusatzfrage. Dann rufe ich Ihre nächste schwergewichtige Frage, die Frage 48, auf:
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 147. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 3. November 1971 8487
Vizepräsident Dr. Schmitt-VockenhausenWelche Maßnahmen erwägt die Bundesregierung angesichts der Tatsache, daß bereits 60 % der Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland übergewichtig und damit leicht anfällig gegen Krankheiten geworden sind, um diese Entwicklung zu bremsen?Bitte, Herr Staatssekretär!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich fühle mich dabei besonders angesprochen,
Herr Abgeordneter, die Behauptung, daß bereits 60 % der Bevölkerung übergewichtig seien, steht im Widerspruch zu den im übrigen Fachschrifttum hierüber gemachten Angaben. In diesen Veröffentlichungen wird weitgehend übereinstimmend die Auffassung vertreten, daß etwa ein Drittel der Bevölkerung in der Bundesrepublik übergewichtig ist. Natürlich stellt auch dieser Prozentsatz ein ernstes medizinisches Problem dar, und zwar wegen der nachteiligen Folgen für die Gesundheit.
Das Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit bemüht sich daher um eine breite, auf gesichertem Wissen beruhende Information der Bevölkerung über richtige Ernährung und deren Bedeutung für die Gesundheit. Hierbei wird ausführlich auf die Gefahren des Übergewichts und auf eine richtige Ernährung zur Vermeidung bzw. zur Minderung des Übergewichts hingewiesen.
Eine Verordnung, Herr Abgeordneter, über kalorienarme Lebensmittel wird vom Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit vorbereitet. Die für die Lebensmittelüberwachung zuständigen obersten Landesbehörden sind um Stellungnahme gebeten worden, ob aus ihrer Sicht eine obligatorische Angabe des Fettgehalts bei bestimmten Würsten erforderlich und durchführbar erscheint. Im übrigen verweise ich auf das Lebensmittelbuch. Der Fettgehalt der Milch soll auf eine Initiative des Bundesministeriums für Jugend, Familie und Gesundheit Gegenstand einer EWG-Regelung werden. Neben einer Trinkmilch mit mindestens 3,5 % Fettgehalt soll auch eine fettarme Milch mit 1,5 bis 1,8 % Fettgehalt vorgesehen werden.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter.
Herr Staatssekretär, kann ich Ihrer Antwort entnehmen, daß Ihr Haus der Verbraucheraufklärung grundsätzlich noch größere Bedeutung beimessen und gegebenenfalls hier auch Aktionen vorbereiten wird?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, Sie wissen, daß gerade Frau Minister Strobel schon seit langem die Verbraucheraufklärung, und zwar nicht nur in Sachen Gesundheitsschutz, sondern Verbraucherschutz allgemein als eine Aufgabe von besonderem Rang ansieht.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Müller .
Herr Staatssekretär, teilen Sie meine Meinung, daß dieses Problem nicht durch ein stellvertretendes Fasten von Mitgliedern der Bundesregierung, sondern nur durch Eigeninitiative nach dem Motto f. d. H. gelöst werden kann?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, ich glaube, dieses Problem entzieht sich dirigistischen Maßnahmen. Es geht hier ausschließlich um die Eigenverantwortung des Bürgers. Er bedarf aber ausreichender Information über Risiken und Chancen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Sperling.
Herr Staatssekretär, Sie meinten, die Bevölkerung sei nur zu einem geringeren Teil übergewichtig. Besteht etwa Anlaß zu der Sorge, daß die Definition von „Übergewichtigkeit" deswegen recht harmlos ist, weil sie von Übergewichtigen vorgenommen wird?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Um diese Frage zu beantworten, bedürfte es einer Übersicht über die Statur bzw. das Übergewicht der entsprechenden Ernährungsphysiologen, Herr Abgeordneter. Diese steht mir nicht zur Verfügung.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Hansen. Wir merken, wir nähern uns dem 11. 11.
Herr Staatssekretär, ich möchte Sie zur Klarstellung fragen, ob in der von Ihnen genannten geplanten Verordnung vorgesehen ist, alle Lebensmittel, was ihren Kaloriengehalt angeht, anzeigepflichtig zu machen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Diese Frage wird mit den Ländern erörtert und steht auch im Hinblick auf das Lebensmittelbuch zur Beratung an.
Die letzte Zusatzfrage stellt die Frau Abgeordnete Griesinger.
Metadaten/Kopzeile:
8488 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 147. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 3. November 1971
Herr Staatssekretär, sind Sie meiner Meinung, daß es — neben der Verbraucheraufklärung gegenüber den Erwachsenen — dringender denn je ist, auch in den Schulen den Unterricht stärker auf die richtige Ernährung abzustellen, damit all jene Gefahren nicht auch in Zukunft hier im Parlament so schwarz gemalt werden müssen? Sollte nicht auch von Ihrem Hause aus — nicht in Konkurrenz zum Herrn Bundesinnenminister — deutlicher gemacht werden, daß das Fett im Körper durch mehr Bewegung rascher abgebaut werden könnte und daß man gesünder bleiben könnte, wenn wir die Aktion „Trimm Dich durch Sport" — noch ernster nähmen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Abgeordnete, die Aufklärung über die Ernährung wird im Rahmen der Gesundheitserziehung auch in den Schulen vorgenommen. Das Bundesministerium hat über die ihm nachgeordnete Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung dazu eine Fülle von Informationsmaterial zur Verfügung gestellt. Im übrigen haben wir auch in unserer Aktion „Mehr Spaß in der Freizeit", die Sie vielleicht kennen, auf das Thema Bewegung besonderen Wert gelegt.
Meine Damen und Herren, damit ist natürlich noch niemand dünner geworden. Wir müssen uns erst im Sinne von Herrn Kollegen Müller bemühen.
Die Fragen 49 und 50 sind von dem Herrn Abgeordneten Dr. Kempfler eingebracht:
Welche Maßnahmen gedenkt die Bundesregierung gegen den immer größer werdenden Mangel an praktischen Ärzten , insbesondere auf dem flachen Land, zu ergreifen?
Ist die Bundesregierung nicht der Ansicht, daß die Anregung des Bundeswirtschaftsministeriums vom September 1971, den Landärzten den Verkauf von Arzneimitteln zu gestatten, geeignet wäre, die Attraktivität dieses Berufsstandes zu heben?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, der Bundesminister für Wirtschaft und Finanzen hat eine solche Anregung, den Landärzten den Verkauf von Arzneimitteln zu gestatten, nicht gegeben. Vielmehr hat der Vorsitzende des bei diesem Ministerium ressortierenden interministeriellen Arbeitskreises für Preisgestaltung auf dem Arzneimittelmarkt in einem Pressegespräch über die Aufgaben dieses Arbeitskreises gesprochen und erwähnt, daß auch strukturelle Fragen der Arzneimittelverteilung erörtert werden müßten. Dabei wurde das frühere sogenannte Dispensierrecht von Landärzten als ein Thema der Erörterungen des Arbeitskreises erwähnt.
Zusatzfrage!
Herr Staatssekretär, halten Sie dieses Thema für wert, weiterverfolgt und zumindest im Hinblick auf eine allgemeine Regelung geprüft zu werden?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, das Gesetz über das Apothekenwesen vom August 1960 hat diese Frage bewußt unberührt gelassen. Die seit langer Zeit bestehende Regelung dieser Frage hat die Abgabe von Arzneimitteln durch Ärzte nur in Ausnahmefällen — wie z. B. in abgelegenen Gebirgstälern oder auf wenig besiedelten Inseln — zugelassen. Nach den bestehenden landesrechtlichen Vorschriften ist, zumindest in einer Reihe von Ländern, auch heute noch eine derartige Ausnahmeregelung möglich.
Nach den bisherigen Erfahrungen, Herr Abgeordneter, besteht seitens der Landärzte keine große Neigung, Arzneimittel selbst abzugeben. Der damit verbundene Aufwand ist relativ groß, und ich muß darauf hinweisen, daß bei der bestehenden Apothekendichte auch auf dem Lande und bei den derzeitigen Verkehrsverhältnissen die Beschaffung von Arzneimitteln durch Apotheken kein Problem darstellt. Wir sind deshalb der Auffassung, daß die Attraktivität etwa der Landpraxen durch eine solche Berechtigung nicht gehoben würde.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wissen Sie, daß es in Bayern eine vorbildliche Einrichtung gibt unter anderem, nicht die einzige
vorbildliche Einrichtung in Bayern -, die die Arzneimittelabgabe bestens regelt, tadellos funktioniert
und sich noch einer starken Attraktivität erfreut?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich habe soeben darauf hingewiesen, daß in einer ganzen Reihe von Ländern die sogenannte ärztliche Hausapotheke — das Dispensierrecht — auch heute noch gegeben ist. Ich weiß aber, daß z. B. in Bayern neue Erlaubnisse im allgemeinen nicht mehr erteilt werden.
Herr Kollege Kempfler, sind damit Ihre beiden Fragen beantwortet? -- Danke schön.
Die Frage 51 ist von dem Abgeordneten Dr. Hubrig eingebracht:
Welche Auffassung hat die Bundesregierung über die weiteren Aufgaben und finanziellen Aufwendungen des Deutschen Krebsforschungszentrums in Heidelberg?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, das Deutsche Krebsforschungszentrum ist im Jahre 1964 als selbständige rechtsfähige Stiftung nach baden-württember-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 147. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 3. November 1971 8489
Staatssekretär Dr. von Manger-Koeniggischem Landesrecht errichtet worden, und die Bundesregierung ist dieser Stiftung beigetreten. Die Aufgaben dieses Krebsforschungszentrums ergeben sich aus der Satzung. Danach sind die Krebskrankheiten, ihr Wesen, ihre Verhütung und ihre Bekämpfung, zu erforschen. An diesen Aufgaben ist bisher in sieben Instituten gearbeitet worden. Dazu kommen jetzt zwei neue Institute, das Institut für Tumorgenetik und das Institut für Tumor-Immunologie. Auch künftig werden im Deutschen Krebsforschungszentrum Grundlagenforschung und Forschung zur Diagnose, zur Therapie und zur Prävention betrieben werden müssen.Der Bund hat sich verpflichtet, zwei Drittel der Baukosten einschließlich der Erstausstattung zu übernehmen und von den laufenden Betriebskosten die Hälfte zu tragen. Die erste Betriebsstufe hat im Jahre 1964 ihre Arbeit aufgenommen; die Betriebsendstufe wird zu Beginn des Jahres 1972 abgeschlossen sein. Insgesamt werden sich die Bau- und Einrichtungskosten der Betriebsendstufe voraussichtlich auf 118 Millionen DM belaufen. Davon hat der Bund insgesamt einen Anteil von rund 79 Millionen DM übernommen.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege.
Herr Staatssekretär, wie beurteilt die Bundesregierung die Bemühungen des Zentrums, mit dem dafür gefundenen Finanzierungsschlüssel 90:10 in die Großforschungszentren des Bundes übernommen und damit auch in die Kompetenzen des Bundesministeriums für Bildung und Wissenschaft überführt zu werden?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Über diese Anregungen aus dem Deutschen Krebsforschungszentrum, die zum Teil von den verantwortlichen Organen nicht voll gedeckt werden, laufen Gespräche im Krebsforschungszentrum mit dem Land Baden-Württemberg und mit dem möglicherweise beteiligten Bundesminister für Bildung und Wissenschaft und dem natürlich auch beteiligten Bundesminister für Wirtschaft und Finanzen. Ich möchte diesen Gesprächen nicht vorgreifen.
Herr Kollege, keine weitere Zusatzfrage?
Die Frage 52 des Herrn Abgeordneten Dr. Hubrig:
Trifft es zu, daß 35 Millionen DM für das Deutsche Krebsforschungszentrum, darunter auch Mittel für einmalige Anschaffungen, 1971 gesperrt sind?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Es trifft zu, Herr Abgeordneter, daß die für das Deutsche Krebsforschungszentrum vorgesehenen Mittel für die Erstausstattung in Höhe von rund 35 Millionen DM bisher nicht bewilligt worden sind, weil das Votum des Wissenschaftsrates noch aussteht. Die für dieses Votum erforderlichen Unterlagen sind jetzt vom Lande Baden-Württemberg dem Wissenschaftsrat übersandt worden und müssen noch geprüft weiden. Es sind jedoch Vorkehrungen getroffen, daß Verzögerungen bei der Deckung des dringenden Bedarfs vermieden werden. Die Mittel für die Erstausstattung sind im übrigen übertragbar, so daß keine Gefahr besteht, daß die im Bundeshaushalt hierfür bereitgestellten Gelder mit Ablauf des Rechnungsjahres verfallen.
Keine Zusatzfragen?
Ich rufe dann die letzte Frage aus diesem Geschäftsbereich, die Frage 53 des Herrn Abgeordneten Niegel, auf:
Ist die Bundesregierung auch auf Grund des Abstimmungsergebnisses im Europäischen Parlament bereit, dem Vorschlag der Europäischen Kommission zur Angleichung der Rechtsvorschriften über Bier im EWG-Ministerrat zu widersprechen und das deutsche Reinheitsgebot bei der Bierherstellung, wonach Bier nur aus Gerste oder Weizenmalz, Hopfen, Hefe und Wasser hergestellt werden darf, mit Nachdruck zu verteidigen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, die Bundesregierung wird auch weiterhin einer Richtlinie zur Angleichung der Rechtsvorschriften über Bier im EWG-Ministerrat widersprechen, wenn die Erhaltung des Reinheitsgebots für Biere in der Bundesrepublik dadurch nicht gesichert ist.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, können Sie sagen, wie lange die Bundesregierung diesen löblichen Standpunkt aufrechterhalten kann?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das wird von dem Beratungsablauf, auch von der Argumentation im Ministerrat und in den Arbeitsausschüssen in der EWG abhängen.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Niegel.
Rechnen Sie, Herr Staatssekretär, mit einem Druck seitens der EWG-Kommission oder seitens anderer Staaten oder dahinter stehender Großbrauereien, daß Deutschland diesen Standpunkt aufgibt?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Bisher ist in der EWG im allgemeinen nicht mit Druck operiert worden. Auch in diesem
Metadaten/Kopzeile:
8490 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 147. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 3. November 1971
Staatssekretär Dr. von Manger-KoenigFall rechne ich zunächst mit Argumenten und nicht mit Druck.
Herr Staatssekretär, ich danke Ihnen. Damit sind die Fragen aus dem Geschäftsbereich Ihres Hauses beantwortet.
Ich kann noch eine Frage aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft aufrufen, die Frage 77 der Frau Abgeordneten Dr. Walz:
Geht aus dem Interview des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft — Pressedienst Nr. 32/71 vom 18. August 1971 — hervor, daß unbeschadet der 25 % jedes Geburtsjahrgangs, die nach dem Bildungsbericht der Bundesregierung nach dem Sekundarabschluß II in Wirtschaft und Verwaltung gehen sollen, diejenigen 25 %, die bisher an der integrierten Gesamthochschule studieren sollten, nun teilweise doch nicht an dieser, sondern an anderen Schulen sowie Fachhochschulen und Fachschulen ausgebildet werden sollen?
Bitte, Herr Staatssekretär von Dohnanyi!
Frau Kollegin Walz, die im Bildungsbericht 1970 angestrebte Größenordnung für den Ausbau des tertiären Bereichs ist unverändert gültig. Die gemeinsame Bildungsplanung im Rahmen der Bund-Länder-Kommission hat jetzt lediglich zu einer gewissen quantitativen Konkretisierung geführt. Es hat sich gezeigt, daß nicht alle post-sekundaren oder, wie man auch sagt, tertiären Ausbildungsgänge den wissenschaftlichen Anforderungen genügen müssen, die im Entwurf zum Hochschulrahmengesetz an die Ausbildungsgänge der Gesamthochschule gestellt werden. Dementsprechend sehen die jüngsten Überlegungen zum Bildungsgesamtplan vor, daß im Jahre 1985 etwa 22 bis 24 % eines Jahrgangs dies ist eine zeitlich weit entfernte Plangröße — in den Gesamthochschulbereich eintreten und wohl über 3 % eines Jahrgangs andere Ausbildungseinrichtungen im tertiären Bereich besuchen. Ob dies die richtigen Relationen für 1985 sein werden, kann erst die Entwicklung der neuen dreijährigen und anderen Studiengänge in den nächsten Jahren zeigen. Für alle Schüler der Sekundarstufe II, die nicht in den tertiären Bereich eintreten wollen, sieht der Bildungsgesamtplan eine gründliche praxisbezogene Ausbildung vor, die zum Berufseintritt unmittelbar nach dem SekundarII-Abschluß befähigt.
Zusatzfrage!
Herr Staatssekretär, nachdem Sie mir nicht meine Frage beantwortet haben, nämlich die Frage nach einem Interview von Herrn Bundesminister Leussink, wo die Sache anders dargestellt war — —
Frau Kollegin, darf ich mal unterbrechen? Der Herr Staatssekretär hat die Frage beantwortet. Ob Sie mit der Antwort auf die Frage zufrieden sind, ist natürlich etwas anderes.
Herr Präsident, ich entschuldige mich. Aber aus meiner Formulierung geht hervor, daß ich mich auf ein Interview des Bundesministers beziehe und nicht auf den Bildungsgesamtplan. Herr Staatssekretär, da in diesem Interview des Herrn Ministers Leussink gesagt war, daß von den 25 % in ferner Zukunft, wie Sie soeben sagten, aber doch ein Teil in solche Ausbildungsstätten gehen soll, und zwar in Schulen, Fachschulen und höhere Fachschulen, die auch in Zukunft nicht dem Sekundarbereich, dem Hochschulbereich oder der Weiterbildung zuzuordnen sind, darf ich Sie fragen, welche völlig neuen Ausbildungswege Herr Minister Leussink hier beschreiten will, wenn keine Zuordnung stattfindet.
Frau Kollegin Walz, ich weiß nicht, ob Sie den Bildungsbericht bei sich haben, auf den Sie sich in Ihrer Frage bezogen haben. Sie haben den Bildungsbericht in einen scheinbaren Gegensatz zu diesem Interview gestellt. Wenn Sie das Interview genau lesen, so setzt es sich auch mit dem Bildungsbericht auseinander; ich darf Sie auf Seite 74 des Bildungsberichts verweisen, wo im tertiären Bereich der Bereich' der Fachschule erwähnt ist. Hier ist also keinerlei Veränderung eingetreten. Es ist lediglich eine quantitative Konkretisierung versucht worden. Das, was früher vom Wissenschaftsrat mehr oder weniger allgemein mit 25 % bezeichnet worden ist, also ein Viertel eines Jahrgangs ist jetzt auf 22 bis 24 % konkretisiert worden. Keine Abweichung, eine Bestätigung!
Letzte Zusatzfrage!
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, da ich Ihnen wiederum nicht zustimmen kann, alldieweil der Minister, nachdem ich gefragt habe, ausgeführt hat, daß diese jungen Leute auf Schulen, Fachhochschulen und Fachschulen gehen sollen, die auch in Zukunft nicht der tertiären Bildung zuzurechnen sind, muß ich Sie trotzdem bitten, mir zu erklären, welche Ausbildungswege das nun eigentlich sein sollen, zumal Sie im Bildungsgesamtplan in dieser Form überhaupt nicht erscheinen.
Das ist nicht richtig, Frau Kollegin Walz. Entschuldigen Sie, wenn ich hier widerspreche. Aber sowohl im Bildungsgesamtplan als auch im Bildungsbericht 1970, auf den ich eben abgehoben habe, ist durchaus auf verschiedene Ausbildungswege Bezug genommen worden, die zum Teil direkt in die Gesamthochschule führen, die aber auch neben der Gesamthochschule bestimmte Fachschulbereiche umfassen, die in allgemeinerem Sinne ja vielfach auch als tertiärer Bereich bezeichnet werden und die an den Sekundarbereich II anschließen.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 147. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 3. November 1971 8491
Parlamentarischer Staatssekretär Dr. von DohnanyiDie schwierige Verständlichkeit der gesamten Materie, Frau Kollegin Walz, hängt natürlich auch mitdem „Bildungschinesisch" zusammen, das wir alle in dieser Frage sprechen, das auch heute, fürchte ich, gesprochen wurde und wir sollten uns nicht wundern, wenn die meisten Kolleginnen und Kollegen uns nicht verstehen können.
Meine Damen und Herren, wenn das Letzte eine Selbsterkenntnis für den Bereich der Bildungspolitik war und daraus Konsequenzen gezogen werden, sind wir alle sehr zufrieden. Vielen Dank! Wir stehen am Ende der Fragestunde.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Donnerstag, den 4. November, 9 Uhr, ein. Wir setzen dann die Debatte über Punkt 2 der Tagesordnung — betr. Lage der Städte und Gemeinden — fort.
Die Sitzung ist geschlossen.