Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.Vor Eintritt in die Tagesordnung gebe ich folgendes bekannt.Die Vorlage des Bundesministers der Finanzen zum Beschluß des Deutschen Bundestages vom 27. Mai 1966 betreffend Mineralölsteuermehreinnahmen für das Rechnungsjahr 1966 - Drucksache V/990 soll nach § 76 der Geschäftsordnung an den Haushaltsausschuß als federführenden Ausschuß und an den Verkehrsausschuß zur Mitberatung überwiesen werden. - Kein Widerspruch; es ist so beschlossen.Der Herr Bundesminister der Finanzen hat am 10. Oktober 1966 die Zusammenstellung der über-und außerplanmäßigen Haushaltsausgaben im zweiten Vierteljahr des Rechnungsjahres 1966 übersandt, die den Betrag von 10 000 DM übersteigen - Drucksache V/991 -. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung wird diese Vorlage dem Haushaltsausschuß überwiesen. - Kein Widerspruch; es ist so beschlossen.Die folgenden amtlichen Mitteilungen werden ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:Der Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten hat am 19. Oktober 1966 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Schmidt , Marquardt, Fellermaier, Seither und Genossen betr. Landwirtschaftliche Veredelungswirtschaft - Drucksache V/973 - beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache V/1008 verteilt.Der Staatssekretär im Bundesministerium des Innern hat am 18. Oktober 1966 die Kleine Anfrage der Fraktion der SPD betr. Änderung des Ortsklassenverzeichnisses - Drucksache V/967 - beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache V/1014 verteilt.Der Vorsitzende des Ausschusses für Wirtschaft und Mittelstandsfragen hat unter dem 24. Oktober 1966 mitgeteilt, daß gegen die nachstehenden Verordnungen keine Bedenken bestehen:Verordnung Nr. 113/66/EWG des Rats vom 28. 7. 1966 betreffend die vorübergehende Abweichung von einigen Bestimmungen der Verordnung Nr. 111/64/EWG im Hinblick auf die Errechnung der Abschöpfung auf bestimmte Arten Milchpulver für Schmelzkäse;Verordnung Nr. 116/66/EWG des Rats vom 28. 7. 1966 zur Verlängerung für das Wirtschaftsjahr 1966/1967, der Verordnung Nr. 127/65/EWG zur Einführung eines Abschlags auf den Abschöpfungsbetrag, der bei Einfuhren von geschältem Reis aus dritten Ländern erhoben wird.Der Präsident des Bundestages hat entsprechend dem Beschluß des Bundestages vom 23. Februar 1962 die nachstehende Vorlage überwiesen:Verordnung zur Änderung von Zollsätzen
- Drucksache V/996 -an den Ausschuß für Wirtschaft und Mittelstandsfragen mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor dem Plenum am 1. Februar 1967.Der Präsident des Bundestages hat entsprechend dem Beschluß des Bundestages vom 25. Juni 1959 die nachstehenden Vorlagen überwiesen:Verordnung des Rats zur Änderung der Antragsfrist für die Gewährung von Zuschüssen aus dem Europäischen Ausrichtungs- und Garantiefonds für die Landwirtschaft, Abteilung Ausrichtung, für das Jahr 1967- Drucksache V/999 -an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor dem Plenum am 11. November 1966;Verordnung der Räte der EWG/EAG zur Änderung des Statuts der Beamten und der Beschäftigungsbedingungen für die sonstigen Bediensteten der Europäischen Atomgemeinschaft und der Europäischen WirtschaftsgemeinschaftVerordnung der Räte der EWG/EAG zur Änderung der Berichtigungskoeffizienten für die Dienst- und Versorgungsbezüge der Beamten- Drucksache V/1003 -an den Innenausschuß - federführend - und an den Haushaltsausschuß - mitberatend - mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor dem Plenum am 25. November 1966;Verordnung Nr. 140/66/EWG des Rats vom 30. September 1966 über eine zeitweilige Verringerung der Abschöpfungsbeträge für lebende Schweine und Schweinefleischan den Ausschuß für Wirtschaft und Mittelstandsfragen - federführend - und an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten - mitberatend - mit der Bitte um Berichterstattung innerhalb eines Monats, wenn im Ausschuß Bedenken gegen die Verordnung erhoben werden;Verordnung Nr. 137/66/EWG des Rats vom 22. September 1966 über besondere Maßnahmen zum Absatz von verarbeiteter Butter aus privater LagerhaltungVerordnung Nr. 138/66/EWG des Rats vom 22. September 1966 zur Änderung der Verordnung Nr. 111/64/EWG des Rats und zur Abweichung von Artikel 14 Absatz der Verordnung Nr. 13/64/EWG des Rats bezüglich Kondensmilchan den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mitder Bitte um Berichterstattung innerhalb eines Monats, wennim Ausschuß Bedenken gegen die Verordnungen erhoben werden.Zu den in der Fragestunde der 63. Sitzung des Deutschen Bundestages am 11. Oktober 1966 gestellten Fragen des Abgeordneten Dorn, Drucksache V/970 Nr. VI/3 und VI/4 *) ist inzwischen die schriftliche Antwort des Staatssekretärs Dr. Langer vom 14. Oktober 1966 eingegangen. Sie lautet:Das Projekt CASTEAU umfaßt drei Bauphasen. Die Arbeiten der ersten Phase müssen bis zum 1. April 1967 fertiggestellt sein, um den Umzug des Hauptquartiers SHAPE zu ermöglichen, das seinen bisherigen Sitz bei Paris bis dahin aufgegeben haben muß. Die zweite Phase ist bis zum 1. Oktober 1967 fertigzustellen. Ein Terminplan für die dritte Phase liegt der Bundesregierung noch nicht vor.Die „Gruppe der Vierzehn" hat am 13. September 1966 ein von der belgischen Regierung angebotenes Gelände angenommen und festgestellt, daß die Fertigstellung der Bauten der ersten Phase nur möglich ist, wenn von der Durchführung eines Ausschreibungsverfahrens abgesehen wird. Sie hat die Ausarbeitung der Pläne, die Vergabe der Arbeiten, die Unterzeichnung der Verträge, die Überwachung der Arbeiten und die Leistung von Zahlungen der belgischen Regierung übertragen. Diese arbeitet in Übereinstimmung mit den Entscheidungen des NATO-Rates und seines zuständigen Ausschusses.Dieses Verfahrengleicht dem, das für dringende InfrastrukturProjekte der NATO gilt. Diese Regelung erweist sich als notwendig wegen der kurzen für die Fertigstellung der Bauten zur Verfügung stehenden Frist. Eine Beschränkung der Arbeiten auf*) Siehe 63. Sitzung, Seite 3053 C
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3154 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 67. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Oktober 1966
Präsident D. Dr. Gerstenmaierbelgische Bauunternehmen ist in dem Beschluß nicht ausgesprochen. Interessierte Unternehmen können sich an den belgischen Planungsstab 1, Rue Defacq, Brüssel, wenden. Da die Bauten der ersten Phase in sogenannter Fertigteilbauweise ausgeführt werden sollen, erscheint es mir allerdings zweifelhaft, ob eine Beteiligung von Firmen in größerer Entfernung von der Baustelle wirtschaftlich ist. Nach einem mir am 12. Oktober 1966 aus Paris zugegangenen Bericht werden die Bauten der zweiten Phase von der belgischen Regierung im Wege einer beschränkten nationalen Ausschreibung vergeben, an der in Belgien ansässige oder zugelassene belgische und ausländische Firmen beteiligt werden können. Deutsche Firmen können sich in diesen Tagen noch an den oben angegebenen Planungsstab wenden, um in den Kreis der Bewerber einbezogen zu werden. Sie müssen jedoch gleichzeitig beim Minister für öffentliche Arbeiten in Brüssel ihre Zulassung in Belgien beantragen, falls dies noch nicht geschehen ist.Ich habe die Vertretung der Bundesrepublik Deutschland bei der Nordatlantikpaktorganisation beauftragt, darauf hinzuwirken, daß der von SHAPE eingesetzte Stab in Brüssel einer deutschen Delegation, der auch Vertreter der deutschen Wirtschaft angehören, Gelegenheit gibt, sich über die weiteren Phasen des Vorhabens CASTEAU zu informieren. Die Bundesregierung wird bei der Bewilligung von Mitteln für weitere Phasen darauf hinwirken, daß die Vorhaben nach den Regeln durchgeführt werden, wie sie für normale InfrastrukturProjekte der NATO gelten.Zu den in der Fragestunde der 63. Sitzung des Deutschen Bundestages am 11. Oktober 1966 gestellten Fragen des Abgeordneten Strohmayr, Drucksache V/970 Nr. VII/1, VII/2 und VII/3 *), ist inzwischen die schriftliche Antwort des Bundesministers Höcherl vom 13. Oktober 1966 eingegangen. Sie lautet:Mit dieser Frage sprechen Sie ein Problem an, das allen Industriestaaten von unserer Struktur eigen ist. So hat der Verband der Europäischen Landwirtschaft — CEA — auf seiner diesjährigen Generalversammlung in Lissabon — diese Bestrebungen anerkannt und gefordert, daß die neuen Belastungen und Nachteile, die den Waldbestizern durch den vermehrten Waldbesuch entstehen, durch angemessene Gegenleistungen von den Nutznießern der Erholungs- und Wohlfahrtsfunktion oder von der Allgemeinheit ersetzt wenden.Die Arbeitsgemeinschaft der deutschen Waldbesitzer e. V. hat als Vertretung des privaten Waldbesitzes zwar nicht die pauschale Abgeltung von Eintrittsgebühren durch die öffentliche Hand gefordert, sie erwartet aber den Ersatz von Aufwendungen und Schäden, die im Zusammenhang mit der Öffnung und dem Besuch des Waldes entstehen. Schließlich fordert die Vertretung des privaten Waldbesitzes auch den Ausgleich von Vermögensnachteilen im Falle von Nutzungsbeschränkungen zugunsten der Öffentlichkeit und die Förderung der Forstwirtschaft. Das freie Betreten des Waldes soll nach der Vorstellung des Waldbesitzes gesetzlich verankert werden, wodurch aber die Erhaltung und Bewirtschaftung des Waldes nicht beeinträchtigt werden darf.Nach Kenntnis der Bundesregierung hat die Arbeitsgemeinschaft der deutschen Waldbesitzerverbände e. V. eine solche Forderung nicht erhoben.Mit den genannten Bestrebungen sind sehr schwierige Fragen verknüpft, die eingehender rechtlicher Prüfung und insbesondere auch der Überlegung in finanzieller Hinsicht bedürfen. Die Prüfung dieser Fragen ist im Gange, aber noch nicht abgeschlossen. Die Bundesregierung kann dazu im einzelnen noch nicht Stellung nehmen, solange kein Gesetzesantrag vorliegt.Zu der in der Fragestunde der 65. Sitzung des Deutschen Bundestages am 13. Oktober 1966 gestellten Frage des Abgeordneten Wischnewski, Drucksache V/980 Nr. II **), ist inzwischen die schriftliche Antwort des Bundesministers von Hassel vom 14. Oktober 1966 eingegangen. Sie lautet:1. Im Februar 1966 wunden 90 aus Beständen der Bundeswehr ausgesonderte Flugzeuge F-86 Sabre 6 kanadischer Herkunft mit Bodendienst- und Prüfgeräten sowie mit Ersatzteilen über die deutschen Firmen VEBEG/MEREX an die Iranische Regierung verkauft. Der Verkaufspreis beträgt ein Vielfaches des Betrages, der ,bei einer Verschrottung der Flugzeuge hätte erlöst werdenkönnen.Entsprechend den Erfordernissen des deutschen Kriegswaffenkontrollgesetzes und im Verfolg eines von der kanadischen Regierung geäußerten Wunsches legte die iranische Regierung eine Endverbleibserklärung vor.Die Erfüllung des Vertrages erfolgt reibungslos. Das Material ist weitgehend ausgeliefert. Die noch nicht gelieferten 13 Flugzeuge werden voraussichtlich bis Anfang November 1966 von deutschen Piloten nadi dem Iran überflogen.2. Im Mai 1966 wurden erstmalig Nachrichten über eine angebliche Weitergabe von F-86-Flugzeugen durch den Iran an Pakistan bekannt.Vom gleichen Zeitpunkt an intervenierten in dieser Angelegenheit wiederholt indische Regierungsvertreter bei deutschen Re-1 Siehe 63. Sitzung, Seite 3053 B**) Siehe 65. Sitzung, Seite 3137 Dgierungsstellen in Bonn und New Delhi mit dem Ziel, die angeblich erfolgte Weitergabe der Flugzeuge an Pakistan rückgängig zu machen und künftige Weitergaben zu unterbinden.Die zur Klärung des Sachverhalts von der Bundesregierung sofort getroffenen Feststellungen ergaben folgendes:a) Die iranische Regierung besaß bereits v o r dem Kauf der 90 F-86 Sabre-6-Flugzeuge etwa 50 Flugzeuge des Typs F-86 F, die den in Deutschland gekauften Flugzeugen äußerlich fast gleichen. Zwischen Iran und Pakistan besteht seit mehreren Jahren ein Abkommen über die Wartung und Instandsetzung der iranischen F-86-Flugzeuge.b) Da der Iran nicht über ausreichende eigene Wartungsstätten für diese Flugzeuge verfügt und die deutschen Ersatzteillieferungen nicht den iranischen Bedarf decken, hat die iranische Regierung in kürzeren Zeitabständen auch in Deutschland gekaufte F-86-Flugzeuge nach Pakistan zur Wartung überfliegen lassen.c) Im Juli 1966 befanden sich nach iranischen Angaben etwa 60 der von Deutschland gelieferten Flugzeuge zur Wartung in Pakistan.d) Die iranische Regierung erklärte mit Nachdruck, daß die abgegebene Endverbleibserklärung eingehalten wird, d. h. daß die Flugzeuge Eigentum des iranischen Staates bleiben und sich nur für Wartungszwecke in Pakistan befinden.3. Zur Vermeidung weiterer Mißdeutungen in dieser Angelegenheit hat die iranische Regierung auf deutschen Wunsch folgendes veranlaßt:a) Die Zahl der 60 vorübergehend nach Pakistan zur Wartung überführten Flugzeuge ist bis auf eine kleine Anzahl nach dem Iran zurückgeholt worden.b) Diese zahlenmäßige Beschränkung wind auch in Zukunft eingehalten.c) Der deutsche Militärattaché wird von der iranischen Regierung jeweils über die Zahl und ,die voraussichtliche Aufenthaltsdauer der zu Wartungszwecken nach Pakistan überführten Flugzeuge unterrichtet werden.Damit kommen wir zu Punkt 1 der Tagesordnung: Fragestunde— Drucksachen V/1025, V/1029 —Zunächst die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern. Ich rufe die Frage III/1 des Herrn Abgeordneten Dr. Schulze-Vorberg auf:Auf welcher Rechtsgrundlage erfolgt — nach Kenntnis der Bundesregierung — die fortgesetzte politische Überprüfung vor allem bei Beamten, die für besondere Aufgaben ausersehen sind?Zur Beantwortung der Herr Bundesminister des Innern.
Ich darf feststellen, daß eine fortgesetzte politische Überprüfung der Beamten nicht vorgenommen wird. Daher kann auch keine Rede von einer fortgesetzten „Entnazifizierung" sein.
Eine Zusatzfrage.
Herr Minister, wenn Ihre Antwort den Eindruck erwecken könnte, als ob meine Frage gegenstandslos sei, so möchte ich doch gern wissen, ob die Bundesregierung mit mir darin übereinstimmt, daß die frühere Zugehörigkeit zur NSDAP und ihren Organisationen, vor allem dann, wenn sie in jugendlichem Alter begründet wurde, die Eignung für Ämter in unserem Staat grundsätzlich nicht beeinträchtigt. Weil wir Verbrechen und auch politische Verbrechen, von wem immer sie verübt werden, ausdrücklich verurteilen, muß es eine klare Trennung zum politischen Irrtum geben, und diese klare Trennung muß meiner Meinung nach aufrechterhalten bleiben.
Die Ernennungen und die Beförderungen der Beamten werden, wie es die §§ 8 und 23 des Bundesbeamtengesetzes vorschreiben — das ist zur Aufklärung wichtig zu wissen —, nach Eignung, Befähigung und fachlicher
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Bundesminister Lücker Leistung vorgenommen. Die Eignung muß also für jedes Amt, das einem Beamten übertragen wird, erneut geprüft werden. Im Rahmen dieser Prüfung können die Interessen des Staates — ich denke auch an die Außenpolitik — und die Interessen des Beamten selbst bei besonders hervorgehobenen Ämtern erfordern, daß die Vergangenheit und auch die frühere Tätigkeit des Beamten bei dieser Entscheidung über die Eignung mit berücksichtigt werden.Im übrigen teile ich Ihre Auffassung, daß Schluß gemacht werden sollte mit einer „Entnatifizierung", wie Sie es gerade in Ihrer Frage angesprochen haben.
Zweite Zusatzfrage.
Herr Minister, sieht die Bundesregierung die Gefahr, daß diese fortgesetzte Überprüfung bei höheren Beamten — jedenfalls bei denen für besondere Aufgaben - zu einer fortgesetzten Diffamierung zu werden droht und daß ein Zurückweichen vor gezielten Propagandawellen der Bundesrepublik nicht nutzt, sondern schadet?
Diese Eignungsprüfung, verehrter Herr Abgeordneter, wird
) nicht nur bei höchsten Beamten, sondern z. B. auch bei Ministerialräten vorgenommen, und zwar auf Grund der Paragraphen, die ich nannte.
Ich rufe die Frage III/2 des Herrn Abgeordneten Eckerland auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß das Orchester „Philharmonia Hungarica" in seiner Existenz gefährdet ist, weil die im Rahmen des Bundeshaushalts 1966 bereitgestellten Förderungsmittel zusammen mit den Förderungsmitteln der Stadt Marl und des Westdeutschen Rundfunks nur noch bis zum 31. Oktober 1966 reichen?
— Ich habe Sie nicht gesehen. Herr Abgeordneter, Sie
müssen sich rechtzeitig melden. Ich kann doch nicht
wissen, daß Sie noch eine Zusatzfrage stellen wollen.
Herr Präsident, sind Sie einverstanden, daß ich die drei Fragen nicht einzeln, sondern zusammen beantworte? Das würde die Debatte erleichtern. Die folgenden Fragen betreffen das gleiche Thema.
Die folgenden Fragen sind von Herrn Abgeordneten Westphal gestellt. Herr Abgeordneter Westphal, sind Sie einverstanden? — Dann rufe ich auch die Fragen III/3 und III/4 des Herrn Abgeordneten Westphal auf:
Welche Schnitte hat die Bundesregierung unternommen, um für 1966 und zukünftige Rechnungsjahre zu erreichen, daß das Land Nordrhein-Westfalen für das Orchester „Philharmonia Hungarica" Zuwendungen bereitstellt?
Ist die Bundesregierung bereit, allein oder gemeinsam mit anderen Stellen die Haushaltslücke des Orchesters „Philharmonia Hungarica" für 1966 durch eine zusätzliche Zuwendung zu decken und dem Deutschen Bundestag einen Vorschlag für die künftige Förderung dieses Orchesters zu unterbreiten?
Der Tatbestand ist der Bundesregierung bekannt. Sie hat deshalb bereits bei der Beratung des Bundeshaushalts 1966 im Haushaltsausschuß am 26. April 1966 darauf hingewiesen, daß der Ansatz 1966 infolge inzwischen eingetretener Tariferhöhungen erhöht werden müsse. Der Haushaltsausschuß hat jedoch eine Erhöhung abgelehnt und gleichzeitig beschlossen, daß überplanmäßige Ausgaben nicht zu genehmigen sind. Auch das Plenum hat in seiner Sitzung am 26. Mai 1966 einen Antrag auf Erhöhung des Bundeszuschusses an die Philharmonia Hungarica um 100 000 DM abgelehnt.
Zu der Frage des Herrn Kollegen Westphal, die in die gleiche Richtung geht: Auf meinen Vorschlag hin wird sich das Bundeskabinett mit dieser Frage beschäftigen. Eine endgültige Regelung wird 'in den jetzt laufenden Verhandlungen zwischen Bund und Ländern über die Finanzreform angestrebt werden müssen.
Zur zweiten Frage des Herrn Kollegen Westphal: Wie schon wiederholt seit Übernahme des Orchesters habe ich mich auf Grund des erwähnten Beschlusses des Haushaltsausschusses vom 26. April 1966 schon am nächsten Tag, nämlich am 27. April, erneut wegen des Zuschusses des Landes Nordrhein-Westfalen an die Philharmonia Hungarica mit dem Herrn Kultusminister dieses Landes in Verbindung gesetzt. In seiner Antwort vom 2. Mai 1966 erklärte er sich unter Hinweis auf einen Kabinettsbeschluß der Landesregierung vom 6. August 1963 außerstande, dieses Orchester zu unterstützen. Gleichwohl habe ich am 1. Juli 1966 den Herrn Kultusminister von Nordrhein-Westfalen um erneute Prüfung gebeten, weil bei Aufrechterhaltung seines Standpunktes der Bestand des Orchesters in Frage gestellt sei. Die Antwort war negativ.
Zusatzfrage!
Herr Minister, ist der Bundesregierung bekannt, daß das Orchester „Philharmonia Hungarica" bisher 19 Auslandstourneen durchgeführt hat und von Januar bis März 1967 für 59 Konzerte unter dem Aspekt einer Jubiläumstournee in die Vereinigten Staaten von Amerika verpflichtet ist, und sind Sie nicht mit mir der Meinung, daß dieses Orchester einen großen kulturellen und- politischen Beitrag für die Bundesrepublik leistet?
Ich teile voll und ganz Ihre Auffassung. Deshalb meine Kabinettsvorlage an die Bundesregierung. Ich hoffe, daß sich im Haushaltsausschuß eine befriedigende Regelung finden lassen wird.
Eine zweite Zusatzfrage.
Herr Minister, ist Ihnen bekannt, daß die im Regierungsentwurf für den Haushalt 1967 eingesetzten Mittel für das Orchester nicht ausreichen, und sind Sie nicht der Meinung, daß
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Eckerlandeine verbindliche Klarheit über die Förderung dieses Orchesters geschaffen werden muß, damit die Existenz dieses Orchesters auch in der Zukunft gesichert ist?
An der grundsätzlichen Regelung dieser Frage bin ich besonders interessiert. Sie betrifft auch das Philharmonische Orchester in Berlin.
Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Schmid.
Herr Minister, ich habe Ihren Worten entnommen, daß Sie der Auffassung sind — wie ich auch —, daß es sich hier nicht nur um eine kulturelle, sondern auch um eine moralische und politische Frage ersten Ranges handelt. Sind Sie nicht der Meinung, daß es dann doch besser wäre, wenn der Bund die Angelegenheit „Philharmonia Hungarica" an sich zöge, statt sie als eine kulturpolitische Länderaufgabe anzusehen?
Diese Frage, verehrter Herr Präsident, wird bei der Kabinettsvorlage mit geprüft werden.
Die zweite Frage: Halten Sie es nicht auch — wie ich es tue — für töricht, wenn man in den zuständigen Gremien etwa Stimmen hörte: „Wir fördern das Orchester X und Y, weil das Deutsche sind; aber das sind ja Ungarn, also brauchen wir da nicht so sehr viel zu tun."?
Ich darf hier erklären, Herr Präsident, es trifft nicht nur das ungarische Orchester,
sondern auch die Bamberger Sinfoniker und das Berliner Orchester. Bei allen dreien steht die Frage an, und ich hoffe, daß der Haushaltsausschuß die Regierung unterstützt, damit diese Frage befriedigend gelöst wird.
Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Westphal.
— Sie hatten zwei Zusatzfragen.
— Ja, aber nicht für Sie!
Der Fragesteller, der jetzt dran ist, ist der Herr Abgeordnete Westphal.
— Herr Abgeordneter,'— —
— Es tut mir leid — selbst Ihnen, verehrter Herr Kollege, kann ich das nicht konzedieren. Aber dafür kommt jetzt der Fragesteller Abgeordneter Westphal mit einer Zusatzfrage.
Herr Präsident, ich wäre gern bereit, dem Herrn Vizepräsidenten Schmid eine von den vier Zusatzfragen, die ich habe, abzutreten.
Der Handel ist leider in der Geschäftsordnung nicht vorgesehen.
Dann darf ich zu meinen Fragen kommen.
Herr Minister, würden Sie bestätigen, daß das, was Sie aus den Beratungen des Haushaltsausschusses für den Etat 1966 schildern, nicht ein Entwurf oder ein Vorschlag der Regierung im Hinblick auf die Erhöhung der Ansätze für das Orchester war, sondern daß es ein Vorschlag der Opposition war, der leider von den Mehrheitsfraktionen abgelehnt worden ist?
Der Begrenzung des Bundeszuschusses liegt ein Beschluß des Haushaltsausschusses zugrunde.
Weitere Zusatzfrage.
Herr Minister, würden Sie die Gründe, die die Landesregierung — ich sage ausdrücklich „Regierung", weil ich weiß, daß im Landtag Nordrhein-Westfalen auch andere Auffassungen zu diesem Thema vorhanden sind — für die Nichtförderung dieses Orchesters genannt hat, hier nennen können, und würden Sie uns auch sagen können, ob Sie diese Gründe akzeptieren können?
Ich kann Ihnen leider die Gründe nicht nennen, weil ich sie im einzelnen nicht kenne.
Keine weiteren Zusatzfragen.
— Ja, Sie haben vier Zusatzfragen; das weiß ich.
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Präsident D. Dr. GerstenmaierÜbrigens, meine Damen und Herren, in Ziffer 14 unserer „Richtlinien für die Fragestunde" steht — ich erinnere daran —: „Ein Abgeordneter ist berechtigt, wenn die Anfrage mündlich beantwortet wird, bis zu zwei Zusatzfragen zu stellen." Auch das gilt nur für den Fragesteller, der die Hauptfrage eingebracht hat. — Verehrter Herr Kollege Schmid, es ist mir ein Vergnügen, daß wir uns hier gemeinsam wieder einmal an den Wortlaut erinnern. Danke vielmals!Herr Abgeordneter Westphal, Sie haben noch zwei Zusatzfragen, wenn Sie unbedingt darauf bestehen.
Herr Minister, ich habe Ihrer ersten Antwort entnommen, daß Sie sich sehr darum bemühen werden — auch mit dem Kabinett —, uns einen neuen Vorschlag für den Haushaltsausschuß zu machen. Darf ich fragen, ob Sie in die Begründung für einen solchen Erhöhungsvorschlag, der die jetzt entstehende Lücke bei dem Orchester „Philharmonia Hungarica" schließt, die Tatsache einbeziehen werden, daß das Orchester, wenn ihm nicht geholfen wird, genau dann kaputtzugehen droht, wenn sich der Tag der ungarischen Revolution zum zehnten Male jährt?
Ich möchte von mir aus dazu erklären: ich halte es für unmöglich, daß wir hier keine Lösung finden. Das würde dem deutschen Ansehen nicht gerecht.
Ich rufe dann die Fragen aus ,dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz auf, zunächst die Frage IV/I des Herrn Abgeordneten Schmitt-Vockenhausen:
Hält die Bundesregierung auch nach der öffentlichen Reaktion auf die Antwort des Bundesjustizministers vom 27. April 1966 an der Auffassung fest, daß die niedrigen Gebührensätze für Rechtsanwälte und Rechtsbeistände in Sozialgerichtssachen die Suche eines Sozialversicherten nach einem versierten Rechtsbeistand nicht beeinträchtigen?
Zur Beantwortung der Herr Bundesminister der Justiz.
Auch in jüngster Zeit ist mir darüber nichts bekanntgeworden, daß Rechtsuchende Schwierigkeiten hätten, in Sozialgerichtssachen einen geeigneten Rechtsanwalt oder Rechtsbeistand zu finden. Von einer öffentlichen Reaktion auf meine Antwort vom 27. April 1966 habe ich, abgesehen von der Glosse im Anwaltsblatt 1966, Heft 8, nichts erfahren.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Schmitt-Vockenhausen.
Sind Sie bereit, Herr Minister, auf die Angelegenheit zurückzukommen, wenn ich Ihnen Zeitungsaufsätze und andere Reaktionen in dieser Sache zuleite?
Selbstverständlich, Herr Kollege!
Ich rufe dann die Frage IV/2 des Abgeordneten Matthöfer auf:
Trifft eine dpa-Meldung zu, in der es heißt, die Justizminister der Länder seien besorgt über die außergerichtliche Justiz in den Betrieben der Bundesrepublik, der schleswig-holsteinische Justizminister Leverenz habe auf der 34. Konferenz der Landesjustizminister erklärt, in den Betrieben scheine eine interne Regelung von Straftaten immer mehr um sich zu greifen, so seien in einem nordrhein-westfälischen Großbetrieb zahlreiche kriminelle Delikte — darunter 710 einfache und 153 schwere Diebstähle, 9 Unterschlagungen, 16 Betrugsfälle, 17 Sittlichkeitsverbrechen, 53 Körperverletzungen — „betriebsintern geahndet" worden?
Ich bitte, beide Fragen des Herrn Abgeordneten Matthöfer gemeinsam beantworten zu dürfen.
Sind Sie einverstanden, Herr Abgeordneter Matthöfer? — Dann rufe ich auch die Frage IV/3 auf:
Welche Ergebnisse hatten die Bemühungen der Bundesregierung, sich einen Überblick über die verfassungswidrige außergerichtliche Justiz in den Betrieben der Bundesrepublik zu verschaffen?
Bitte, Herr Minister!
Ich darf zunächst klarstellen: Die innerbetriebliche Ahndung von Verstößen gegen die Arbeitsordnung stellt keine Gerichtsbarkeit im Sinne des Art. 92 des Grundgesetzes dar. Es handelt sich vielmehr um Maßnahmen der Betriebe auf arbeitsrechtlicher Grundlage. Ein etwaiger Strafanspruch des Staates wird dadurch nicht berührt. Von einer „verfassungswidrigen, außergerichtlichen Justiz" kann demnach nicht gesprochen werden. Der Ausdruck „Betriebsjustiz" könnte also irreführen.Die letzte Justizministerkonferenz, die vom 11. bis 13. Oktober dieses Jahres in Kiel stattfand, hat sich mit dem genannten Problem befaßt. Dabei ergab sich, daß die innerbetriebliche Ahndung von Verstößen gegen die Arbeitsordnung in der Praxis eine unterschiedliche Rolle spielt. In mehreren Ländern hat das angeschnittene Problem nach den Erklärungen der Landesjustizminister praktisch keine Bedeutung. In anderen dagegen läßt die Entwicklung eine steigenden Tendenz erkennen. Sie wird vor allem deshalb sorgfältig beobachtet, damit die Rechte der Arbeitnehmer nicht geschmälert werden. Das in der Frage erwähnte Zahlenmaterial stammt aus dem Jahre 1961 und betrifft einen Großbetrieb in Nordrhein-Westfalen. Diese Zahlen sind bereits in den Fragestunden dieses Hohen Hauses vom 6. November 1964, vom 19. März 1965 und vom 19. Mai 1965 — also vor meinem Amtsantritt — Gegenstand der Erörterung gewesen.Auch die Bundesregierung verfolgt die Entwicklung auf diesem Gebiet sorgfältig. Weder der Bundesregierung noch den Länderregierungen sind jedoch bisher Umstände bekanntgeworden, die ein alsbaldiges Eingreifen erfordern. Falls Ihnen, Herr Kollege, Einzelfälle von Mißbräuchen bekanntgeworden sind, bin ich gern bereit, diese Fälle nachzuprüfen.Im übrigen hat die Bundesregierung hinsichtlich der arbeitsrechtlichen Grundlagen der hier behandelten innerbetrieblichen Maßnahmen einen
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3158 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 67. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Oktober 1966
Bundesminister Dr. JaegerForschungsauftrag erteilt. Dieses Gutachten, von dem die Bundesregierung eine weitere Klärung der erörterten Fragen erwartet, wird voraussichtlich in Kürze vorliegen.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Matthöfer.
Herr Minister, ist Ihnen entgangen, daß sich meine Frage ausdrücklich und nach dem klaren Wortlaut auf die betriebsinterne Ahndung krimineller Delikte bezogen hat?
Das ist mir nicht entgangen; aber ich möchte dazu sagen: Hier wird nicht kriminell geahndet, sondern hier wird nur im Rahmen der durch Tarifvertrag oder Betriebsvereinbarung gezogenen Grenzen geahndet. Der staatliche Strafanspruch bleibt unberührt.
Zweite Zusatzfrage des Abgeordneten Matthöfer.
Herr Minister, wäre es nicht erforderlich, daß die Bundesregierung eine Erscheinung wie etwa die interne Aburteilung von Diebstählen, Sittlichkeitsverbrechen usw., deren Existenz von ernst zu nehmenden Persönlichkeiten immer wieder behauptet wird, über die es eine ausgedehnte Literatur gibt und deren Verfassungswidrigkeit, glaube ich, evident ist, einmal genauer untersuchen ließe?
Ich habe Ihnen schon gesagt, daß wir einen Forschungsauftrag — —
Einen Forschungsauftrag über die arbeitsrechtlichen Grundlagen, Herr Minister! Ich spreche über die Untersuchung — —
— Meine dritte Zusatzfrage, Herr Präsident! — Ich spreche über die Untersuchung der Realität in den Betrieben.
Die Realität wird von den Ländern, wie ich soeben sagte, aufmerksam beobachtet. Sie trifft an sich die Landesjustiz, nicht die Bundesjustiz. Sie interessiert das Bundesjustizministerium sozusagen nur unter gesetzgeberischen Aspekten. Wenn die weitere Beobachtung erkennen läßt, daß ein gesetzgeberisches Eingreifen notwendig ist, dann wird die Bundesregierung die Angelegenheit in Angriff nehmen. Aber auf der Justizministerkonferenz in Kiel, auf der schließlich Minister aller drei Parteien dieses Hohen Hauses vertreten waren, hat keiner ein solches Eingreifen gefordert.
Vierte und letzte Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Matthöfer.
Herr Minister, Sie sind also nicht meiner Meinung, daß die Bundesregierung die Verpflichtung hat, eine verfassungswidrige Erscheinung in der Realität auch dann zu untersuchen, wenn sie in den Amtsstuben von Länderjustizministerien nicht bekannt sein sollte?
Ich bin selbstverständlich der Meinung, daß man gegen verfassungswidrige Erscheinungen nicht nur Untersuchungen einleiten, sondern auch sonst einschreiten sollte. Aber es ist mir bisher kein Anhaltspunkt dafür bekanntgeworden, daß hier ein Verstoß gegen die Verfassung vorliegt. Wenn Sie, Herr Kollege, einen solchen Anhaltspunkt haben, dann sind Sie bitte so nett, kommen Sie zu mir oder schreiben Sie mir einen Brief. Dann werde ich ganz bestimmt die Sache im Benehmen mit dem zuständigen Landesjustizminister prüfen.
Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Professor Schmid.
Herr Minister, man kann diese — sagen wir einmal — Betriebsgerichte als eine Art von vereinbarten Schiedsgerichten betrachten. Aber glauben Sie nicht, daß dann nur solche Sachen zum Gegenstand dieser „Gerichtsbarkeit" gemacht werden können, die auch Gegenstand des Arbeitsvertrages sein könnten?
Ich bin allerdings der Meinung, daß diese Betriebsjustiz, wie man sie nennt, allein im Rahmen von Tarifvertrag oder Betriebsvereinbarung zulässig ist. Aber es ist natürlich möglich, einen Diebstahl unter Kollegen, der das Arbeitsverhältnis berührt, auch tarifvertraglich zu ahnden.
Das ist eine Frage, die noch geklärt werden muß. Aber wenn man z. B. Sittlichkeitsdelikte und ähnliches mit dieser Gerichtsbarkeit abrügt, ist das doch zweifellos nichts, was Gegenstand eines Arbeitsvertrages oder eines Schiedsgerichtsvertrages sein könnte.
Es ist natürlich möglich, daß ein solches Sittlichkeitsvergehen — zumal unter Betriebsangehörigen — zur Entlassung führen könnte.
Keine weiteren Zusatzfragen.Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft. Frage VI/1 des Abgeordneten Dr. Kempfler:Hält die Bundesregierung die durch die jüngste Preisregelung auf dem Benzinmarkt hervorgerufene Differenzierung in der Weise, daß die Großstädte den niedrigsten, die großstadt- sowie markt- und revierfernen Regionen dagegen die höchsten Preise zu zahlen haben, für volkswirtschaftlich vertretbar?Zur Beantwortung der Herr Staatssekretär des Bundeswirtschaftsministeriums.
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Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident, gestatten Sie mir bitte, daß ich die Fragen 1 und 2 zusammen beantworte.
Einverstanden. Dann rufe ich auch die Frage VI/2 des Abgeordneten Dr. Kempfler auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die Tatsache, daß von dem in Frage VI/1 erwähnten Mißstand gerade die Fördergebiete besonders hart betroffen werden?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wie ich vor dem Hohen Hause bereits am 6. Oktober 1966 erklärte, hat die Bundesregierung keine Möglichkeit, die Preispolitik der Mineralölfirmen so zu beeinflussen, daß die Preise für Benzin überall im Bundesgebiet so stark sinken wie z. B. in Gebieten mit besonders starkem Wettbewerb. Im übrigen sind die Benzinpreise nach den mir vorliegenden Unterlagen nicht in der Weise differenziert, daß sie in den Großstädten generell am niedrigsten, in den ländlichen Gegenden oder gar in den Fördergebieten am höchsten sind. Es gibt vielmehr verschiedene Preiszonen, die gleichermaßen Städte und ländliche Gebiete umfassen. Beispielsweise liegen Städte im Zonenrandgebiet wie Passau, Hof, Lübeck und Flensburg in der gleichen verhältnismäßig ungünstigen Preiszone wie z. B. Ulm, Freiburg, Mannheim, Heidelberg, Hamburg. Die Preise in Salzgitter, Peine, Braunschweig und Wolfsburg —um einige andere Beispiele zu nennen — liegen dagegen in einer weit günstigeren Zone.
Zusatzfrage!
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß auch in Helmstedt, wo die Tankstellen praktisch ein Monopol für den Kraftverkehr nach Berlin haben, die Preise am höchsten sind und daß dadurch der Berlin-Verkehr mindestens benachteiligt ist?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, nach einer Unterlage, die ich hier in der Hand habe — es ist die Unterlage einer großen Firma; Sie ersparen mir bitte, den Namen zu nennen —, gehört Helmstedt nicht zur ungünstigsten Preiszone. Ich habe hier eine Einteilung in vier Zonen. Danach gehört Helmstedt zu der dritten Zone. Aber es muß zugegeben werden, daß Helmstedt offenbar nicht besonders große Preissenkungen hatte.
Zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist es richtig — oder irre ich mich —, daß die Bundesregierung auf die großen Mineralölgesellschaften auch in anderer Hinsicht — beispielsweise bei der Selbstbeschränkung — einen kräftigen Einfluß ausgeübt hat, und wäre das nicht auch bei der Preisgestaltung vertretbar und möglich?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, die Frage, die Sie hier anschneiden, hat das Hohe Haus sehr häufig beschäftigt. Ich erinnere nur an eine große Diskussion, die hier, ich glaube, im Jahre 1955 stattgefunden hat, bei der ähnliche Fragen angesprochen worden sind. Ich durfte am 6. Oktober darauf hinweisen, daß sich das Bundeskartellamt der Frage der Preisdifferenzierung angenommen hat und mit allen großen Firmen in Verbindung getreten ist. Ich mußte damals darauf hinweisen, daß diese Verhandlungen noch nicht abgeschlossen sind und ich darum — auch aus Achtung vor dem Kartellgesetz — nicht in der Lage war, hier eine abschließende Erklärung abzugeben. Das Bundeskartellamt wird die beteiligten Firmen in nächster Zeit zu einer mündlichen Erörterung einladen.
Eine weitere Zusatzfrage.
Beabsichtigt die Bundesregierung, falls diese Verhandlungen nicht zur Zufriedenheit ausfallen, weitere Schritte zu unternehmen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, ich möchte hier noch eine kleine materielle Bemerkung einschieben. Dieses Hohe Haus hat sich in früheren Jahren sehr häufig kritisch mit der Situation der zu wenig differenzierten Benzinpreise auseinandergesetzt. Wir haben heute als Ergebnis eines sehr scharfen Wettbewerbs große Preisdifferenzierungen. Wahrscheinlich liegt die Wahrheit irgendwo in der Mitte. Wir haben auch Grund zu der Annahme, daß sich die großen Differnzierungen wieder zusammenentwickeln werden.
Eine unmittelbare staatliche Einflußnahme von seiten der Regierung gibt es nicht, was selbstverständlich nicht ausschließt, daß ein so wichtiger Vorgang auch Gegenstand von Gesprächen ist.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Dröscher.
Herr Staatssekretär, wenn ich Ihre Antwort auf meine Frage vom 6. Oktober richtig verstanden habe, dann haben Sie damals erklärt, daß Maßnahmen des Bundeskartellamts zu einem Abbau überhöhter Preise in den ländlichen Gebieten führen sollten. Wie erklären Sie es sich, daß eine Preisdifferenz besteht, wie ich sie gestern erlebt habe? Ich habe Superkraftstoff derselben Qualität einmal in einem ländlichen Wahlkreis mit 64 Pf und dann hier im Raum Bonn mit 55 Pf bezahlt. Die Differenz ist heute noch nicht abgebaut worden, obwohl doch aus den höheren Preisen in ländlichen Gebieten Riesengewinne für die Gesellschaften entstehen müssen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, ich bin der festen Überzeugung, daß die Preissenkung, die wir
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3160 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 67. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Oktober 1966
Staatssekretär Dr. Langererlebt haben, Ergebnis eines besonders scharfen Wettbewerbs ist. Selbstverständlich profitiert davon der eine mehr als der andere; das ist nun einmal so. Eine Alternative dazu existiert, glaube ich, nicht. Aber ich habe mich ja dahin geäußert, daß das Bundeskartellanit zur Zeit gerade diese Preisdifferenzierung prüft.
Letzte Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung nicht verpflichtet, gegen Maßnahmen einzuschreiten, die offensichtlich auf einer strafbaren Preisabsprache beruhen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, wenn es sich um eine Preisdifferenzierung handelte, die Ergebnis strafbarer Handlungen wäre, dann wäre die Bundesregierung selbstverständlich verpflichtet einzugreifen. Aber niemand kann sagen, daß dieser Tatbestand gegeben ist. Das Bundeskartellamt ist auf Grund des Kartellgesetzes eingerichtet worden, um sich mit derartigen Vorgängen zu befassen. Ich habe zu wiederholten Malen erklärt, daß man sich zur Zeit damit befaßt. Aber vor Abschluß dieser Beratungen ist niemand berechtigt, eine derartige Aussage zu machen.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Unertl.
Herr Staatssekretär, was sagen Sie zu folgendem? Im Jahre 1961 hat der Kollege Dr. Kempfler eine Frage ähnlich wie heute an Ihren Amtsvorgänger, Herrn Staatssekretär Westrick, gerichtet. Der Herr Staatssekretär hat damals zugesagt, daß diese Preisungleichheit durch die in Bayern zu errichtenden Ölraffinerien — was inzwischen sogar geschehen ist verschwinden wird.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, ich glaube, die Bemerkung, die der damalige Staatssekretär, Herr Minister Westrick, in diesem Flohen Hause gemacht hat, ging dahin, daß die Bundesregierung eine Preissenkung erwarte. Diese Aussage ist in vollem Umfang bestätigt worden.
Ich habe hier eine Aufstellung über die Entwicklung der Tankstellenpreise von 1955 bis in die letzten Tage in der Hand. Es ist außerordentlich eindrucksvoll, wie — das darf ich bemerken — trotz Anstiegs der staatlichen Belastung die effektiven Tankstellenpreise sehr erheblich zurückgegangen sind. Ich glaube, die tatsächliche Entwicklung bestätigt völlig, was damals Herr Dr. Westrick hier im Hohen Hause gesagt hat.
Zweite und letzte Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Unertl.
Herr Staatssekretär, wären Sie bereit, vielleicht einmal selber in diese revierfernen Gebiet zu fahren, um dort die übersteigerten Benzinpreise zu bezahlen? Dann erst werden Sie zugestehen, daß die revierfernen Gebiete trotz Preissenkungen schlechter gestellt sind als die Ballungsräume.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, ich bin nicht nur in Bonn, sondern komme auch eine ganze Menge in Deutschland herum. Aber ich glaube, man braucht nicht zu reisen, um zu wissen, daß in verschiedenen Orten die Preise unterschiedlich sind. Das kann ich hier alles ablesen.
Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Sander.
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung bereit, in Verhandlungen mit den Konzernen dafür einzutreten, daß diese Preiszonen überhaupt abgeschafft werden?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, ich möchte dabei auf frühere Erörterungen im Hohen Hause verweisen. Ich habe wohl diese Erörterungen richtig verstanden, wenn ich glaube, daß es ein weitverbreiteter Wunsch hier gewesen ist, zu einer gewissen Preisdifferenzierung zu kommen. Eine gewisse Preisdifferenzierung ist wahrscheinlich sehr vernünftig, sie darf aber nicht zu weit gehen. Ich sagte vorhin, wahrscheinlich liegt die Wahrheit in der Mitte zwischen Nichtdifferenzierung und der heute sehr weitgehenden Differenzierung.
Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Ertl.
Herr Staatssekretär, darf ich Ihre Antwort auf die Frage des Kollegen Unertl so verstehen, daß sich die Erwartungen, die man in die Ansiedlung der Ölraffinerien im bayerischen Raum gesetzt hat, nicht erfüllt haben?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nein, keineswegs.
Eine weitere Zusatzfrage.
Wie erklären Sie sich, daß dann die preislichen Auswirkungen, die man sich erhoffte, nicht zustande kamen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, darf ich noch einmal einige Beispiele nennen. Am 7. Dezember 1956 betrugen die effektiven Tankstellenpreise in Deutschland bis 70 DM je 100 1. Sie sind heute, in der kritisierten Differenzierung, auf 48,50 bis 58,50 DM gefallen. Ich glaube, das ist eine sehr bemerkenswerte Entwicklung nach unten.
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 67. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Oktober 1966 3161
Das sagt aber über das regionale Gefälle nichts.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Könen .
Herr Staatssekretär, sind Sie mit mir darin einig, daß es bei dieser Frage der Veränderung der Benzinpreise an den Tankstellen nicht darum geht, die Zonenabstufung zu sehen, die ja von den Firmen mit Transportkosten, weitem Anmarschweg usw. begründet wird, sondern daß es hier um das Durcheinander in einer Zone oder in einem Regierungsbezirk oder sogar in einer Stadt geht? Das sind doch grundsätzliche andere Dinge, die nichts mit der Preisentwicklung schlechthin zu tun haben. Darauf läuft doch die Frage immer wieder hinaus.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, die Tatsache, daß sich das Bundeskartellamt mit diesen Vorgängen beschäftigt, zeigt mir, daß die Bundesregierung als Einheit gesehen — einschließlich der Oberbehörden, einschließlich des Kartellamtes — der Meinung ist, daß das ein Zustand ist, der durchaus untersucht werden muß.
Ich rufe jetzt die Frage VI/3 des Herrn Abgeordneten Dr. Kempfler auf:
Ist sich die Bundesregierung darüber im klaren, daß bei einer eventuellen Erhöhung der Mineralölsteuer praktisch nur die in Frage VI/2 genannten wirtschaftlich schwachen Gebiete eine Erhöhung des Gesamtbenzinpreises zu erwarten hätten, während in den Ballungsgebieten der durch eine eventuelle Steuererhöhung verursachte Mehrbetrag durch die Preisermäßigung bereits aufgefangen .ist?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, ich glaube nicht, daß man die Situation so bewerten kann, wie es in Ihrer Frage geschieht. Voraussetzung für eine Beantwortung ist die Klarheit über eine eventuelle Erhöhung der Mineralölsteuer, über die, wie wir ja alle wissen, noch keine Entscheidung getroffen ist.
Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Kempfler.
Würde — für den Eventualfall, daß die Mineralölsteuer erhöht würde — denn auf diese Entwicklung in irgendeiner Form Rücksicht genommen werden?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, ich bin leider nicht in der Lage, Aussagen über eine Steuererhöhung zu machen, über die bekanntlich noch nicht entschieden ist. Aber darf ich noch eine Bemerkung machen. Herr Abgeordneter, ich bin nicht ganz sicher, ob subjektiv die Tankstellenkunden die Empfindung haben werden, die offenbar Ihrer Frage zugrunde liegt.
Eine zweite Zusatzfrage.
Darf ich dann die Bundesregierung bitten, sich für diesen Fall doch sehr gründliche Gedanken zu machen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, ich glaube, es ist selbstverständlich, daß die Bundesregierung vor jeder Steuererhöhung die Situation in dem betreffenden Sektor sehr, sehr gründlich prüft. Ich glaube, das geschieht gerade in diesen Tagen.
Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Unertl.
Herr Staatssekretär, sind Sie nicht der Meinung, daß die ganze Debatte und das Gerede über die Mineralölsteuererhöhung überflüssig sind, wenn in Ihrem Hause nicht vor vornherein auf eine Zweckbindung Wert gelegt wird?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, ich darf darauf verweisen, daß für die Steuern das Bundesfinanzministerium zuständig ist und nicht das Bundeswirtschaftsministerium.
Herr Staatssekretär, ich lasse mich gern belehren. Aber sind Sie nicht der Meinung, daß die Fragen der Wirtschaft neben dem Verkehrsminister und Finanzminister auch den Wirtschaftsminister etwas angehen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ganz selbstverständlich gehen diese Fragen den Bundeswirtschaftsminister an. Er wird nicht zögern, in den Beratungen seine Meinung zu sagen, Herr Abgeordneter.
Ich rufe die Frage VI/4 der Abgeordneten Frau Freyh auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung den kürzlich dem Bundeswirtschaftsministerium im Zusammenhang mit dem Großstadttarifzuschlag unterbreiteten Vorschlag, schadenfrei fahrende Kraftfahrer in Großstädten durch die Einführung einer großzügigeren Rabattstaffelung zu entlasten?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ein Wirtschaftsverband hat vor einigen Tagen vorgeschlagen, für Kraftfahrer mit Wohnsitz in Großstädten einen höheren Schadenfreiheitsrabatt vorzusehen als für die übrigen Kraftfahrer. Während die zur Zeit geltenden Unternehmenstarife eine Beitragsermäßigung von 10 % nach einem schadenfreien Jahr, von 30 % nach zwei schadenfreien Jahren und von 50 % nach drei und mehr schadenfreien Jahren vorsehen, schlägt dieser Wirtschaftsverband vor, daß für Fahrer in Großstädten bereits nach einem schadenfreien Jahr 30 % Rabatt gewährt werden soll. Bereits in der Fragestunde am 11. Oktober 1966 habe ich ausgeführt, daß die Versicherungsunternehmen in der Gestaltung ihrer Tarife frei sind und die Bundesregie-
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3162 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 67. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Oktober 1966
Staatssekretär Dr. Langerrung keine Möglichkeit hat, den Versicherern diesbezügliche Vorschriften zu machen. Nach den Bestimmungen der Preisverordnung PR 15/59 ist die Genehmigungsbehörde sogar verpflichtet, die Tarifanträge der Versicherungsunternehmungen zu genehmigen, wenn die in der Verordnung genannten Bedingungen erfüllt sind. Die Bundesregierung kann den Versicherungsunternehmen daher nicht vorschreiben, ihre Tarife entsprechend dem Vorschlag dieses Wirtschaftsverbandes zu gestalten.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, sind Sie nicht der Auffassung, daß bei der Einführung eines neuen Tarifs für Großstadtkraftfahrzeuge, der für die Kraftfahrzeughalter eine Erhöhung der Prämie um immerhin 13 % mit sich bringt, in den Erörterungen, die Sie doch sicherlich mit den Versicherungsgesellschaften pflegen, vor der Genehmigung — das haben Sie auch in einer anderen Fragestunde betont — ein neu aufgetauchter Gedanke hinsichtlich einer Entlastung der sonst doch sehr erheblich belasteten Kraftfahrzeughalter in Großstädten sorgfältig erwogen werden muß?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Abgeordnete, ich bin sehr entschieden der Meinung, daß neue, fruchtbare Gedanken auch erörtert werden sollen. Leider — das muß ich hier sagen — spricht die Statistik über den Schadenverlauf eindeutig gegen diesen neuen Gedanken. Ich könnte Ihnen das im einzelnen nachweisen; vielleicht darf ich das schriftlich tun. Der Schadenverlauf zeigt jedenfalls deutlich, daß eine Differenzierung zugunsten der Großstadtfahrer im Verhältnis von Großstädten, Mittelstädten und dem Lande nicht gerechtfertigt erscheint, wenn man sich den Schadenverlauf im ersten, zweiten und dritten Jahr ansieht.
Zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, sind Sie denn nicht der Auffassung, daß die Tatsache eines schadenfreien Fahrens in einer Großstadt über ein, zwei oder drei Jahre eine Anerkennung finden müßte gemessen an den sehr viel höheren Prämien, die durch diese neue Tarifregelung für Großstädter eintreten?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Abgeordnete, das Bundeswirtschaftsministerium war immer der Meinung, daß ein schadenfreies Fahren in der Versicherung unbedingt seine Anerkennung finden muß. Wir haben uns darum in den früheren Jahren, als wir die Tarifgestaltung mehr beeinflußten, auch für den Schadenfreiheitsrabatt eingesetzt. Ich verweise darauf, daß der Schadenfreiheitsrabatt ja nach dem ersten Jahr in Höhe von 10 %, nach zwei Jahren in Höhe von 30 % und nach drei Jahren in Höhe von 50 % gewährt wird. Wir sind der Auffassung,
daß die Gewährung eines Schadenfreiheitsrabattes gerade angesichts der großen Zahl der Unfälle auch eine sehr gute und vernünftige -erzieherische Maßnahme ist.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Ott.
Herr Staatssekretär, für den Fall der Genehmigung neuer Haftpflichttarife frage ich Sie: Sind Sie mit mir der Meinung, daß ein Teil der Unfälle im Großstadtverkehr nicht durch Fahrzeuge aus der Großstadt herrührt, sondern von Fahrzeugen aus dem Umland verursacht wird und deshalb eine unterschiedliche Gestaltung der Haftpflichttarife zwischen Großstädten und kleineren Gemeindan nicht gerechtfertigt wäre?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nein, Herr Abgeordneter, ich kann diese Auffassung nicht teilen. Ich habe in der Fragestunde am 11. Oktober eingehend darlegen müssen, daß es eine tatsächliche erhebliche Differenzierung zwischen den Schadensverläufen in den Großstädten, Mittelstädten und Landgebieten gibt, und diese große Differenzierung rechtfertigt auch nach unserer Auffassung die Differenzierung im Tarif.
Zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wollen Sie damit sagen, daß die in den Großstädten verursachten Unfälle ausschließlich von Versicherten innerhalb der Großstadt und nicht auch von denjenigen verursacht werden, die von draußen in die Großstädte hineinkommen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nein, Herr Abgeordneter, keineswegs. Ich bin mir völlig darüber im klaren, daß in den Großstädten Menschen fahren, die auf dem Lande wohnen; es gibt bekanntlich aber auch Großstädter — das ist die Erfahrung jedes Wochenendes —, die aufs Land hinausfahren.
Herr Abgeordneter Müller .
Herr Staatssekretär, sind Sie nicht der Meinung, daß die Vielzahl der Unfälle in den Großstädten auf die Verkehrsdichte und die schwierigen Verkehrsverhältnisse zurückzuführen ist? Sind Sie vielleicht auch der Meinung, daß hier ein Ausgleich für die höheren Prämien, die die Großstadtkraftfahrer zahlen müssen, dadurch erreicht werden könnte, daß der Bund zur Verbesserung der Verkehrsverhältnisse in den Großstädten beiträgt?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, ich glaube,
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 67. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Oktober 1966 3163
Staatssekretär Dr. Langerwir haben hier — wenn ich mir diese Bemerkung erlauben darf, Herr Präsident — eine Debatte über die Tarifgestaltung in der Kraftfahrversicherung. Daß es auf anderen Gebieten Möglichkeiten gibt, den Verkehrsablauf zu beeinflussen, ist eine Selbstverständlichkeit. Ich würde aber meinen, daß hier in erster Linie der Bundesverkehrsminister angesprochen wäre.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Fellermaier.
Herr Staatssekretär, sind Sie nicht der Meinung, daß der Anreiz des schadenfreien Fahrens wesentlich größer werden könnte, wenn im Bereich der Großstädte das eingeführt würde, wonach die Kollegin Freyh Sie vorhin gefragt hat?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, ich muß noch einmal generell darauf hinweisen, daß die Gestaltung der Tarife nicht Sache des Bundeswirtschaftsministeriums, sondern Sache der Versicherungsunternehmen ist. Das Bundeswirtschaftsministerium hat nach genau niedergelegten rechtlichen Vorschriften die Tarife zu genehmigen oder nicht zu genehmigen.
Darf ich auf die Antwort zur Frage 1 noch einmal zurückkommen. Die Unterlagen zeigen deutlich, daß es keine Differenzierung im Verlauf von mehreren Jahren zwischen den Großstädten — ausgehend von dem höheren Schadenbedarf — und den Mittelstädten sowie Landgemeinden — ausgehend von einem niedrigeren Schadenbedarf — gibt, jedenfalls keine wesentliche Differenzierung.
Zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, darf ich Sie fragen, ob Sie in Ihrem Hause diesen Komplex nicht noch einmal untersuchen wollen, um dann vielleicht zu dem Ergebnis zu kommen, daß Sie in Verhandlungen mit den Versicherungen diese Frage wohlwollend prüfen sollten?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, ich habe mehrfach angedeutet, daß wir in den vielen Verhandlungen, die wir führen, selbstverständlich die Möglichkeit haben und davon auch Gebrauch gemacht haben, Anregungen zu geben. Leider muß ich Ihnen sagen, daß die Unterlagen, die uns vorliegen, keine Begründung für eine derartige Differenzierung geben. Wenn irgendeine Versicherungsgesellschaft von sich aus einen solchen Antrag stellt, wird dieser selbstverständlich gründlich geprüft werden. Uns wäre es natürlich lieber, wenn die Versicherungsprämien kleiner wären, als sie auf Grund des leider hohen Schadensverlaufes nun einmal sind und sein müssen.
Herr Abgeordneter Unertl.
Herr Staatssekretär, habe ich die Fragen in diesem Zusammenhang richtig verstanden, wenn ich annehme, daß es besser wäre, wenn den ländlichen Bewohnern empfohlen würde, ihre Einkäufe auf dem Lande zu tätigen, um die städtischen Kraftfahrer nicht mehr zu gefährden und sie damit in den Genuß eines billigeren Tarifs kommen zu lassen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, ich glaube, daß wir auf keinen Fall in die Entscheidungsfreiheit der ländlichen Bewohner in diesem Sinne eingreifen sollten. Meine Achtung vor der ländlichen Bevölkerung ist viel zu groß, als daß ich nicht annehmen würde, ,daß sie schon weiß, was richtig ist und wo sie einkauft.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Haar.
Herr Staatssekretär, ist es nicht richtig, daß irgendwelchen Bemühungen um eine derartige Rabattstaffelung Bedenken der Versicherungsgesellschaften wegen des möglicherweise erhöhten Verwaltungsaufwandes gegenüberstehen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, ich kann nicht beurteilen, welche Bedenken in zweiter oder dritter oder vierter Linie bei den Versicherungen noch eine Rolle spielen. Aber ich kann Ihnen das Hauptbedenken sagen, und ich möchte nun doch einmal die Zahlen nennen, um zu zeigen, daß eben der tatsächliche Verlauf keine Rechtfertigung dafür gibt. Wenn man den Schadenbedarf im Ausgangsjahr gleich 100 setzt, ergibt sich nach dem ersten Jahr in der Großstadt ein Bedarf von 59, in der Mittelstadt von 56 und nach drei Jahren — um den Extremfall zu nehmen — von 36 und 34. Sie sehen also, daß es überhaupt keine nennenswerte Differenzierung gibt. Das scheint mir das Problem zu sein.
Eine zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wie erklären Sie sich denn, daß man einerseits die Prämien erhöhen will, andererseits aber eine Rabattgewährung mit derartigen Zahlen ablehnt?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, ich habe schon darauf hingewiesen, daß wir ja den Schadenfreiheitsrabatt haben, und ich habe die Zahlen genannt.
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3164 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 67. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Oktober 1966
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Erhard.
Herr Staatssekretär, glauben Sie nicht, daß ein stärkerer Rabatt möglich wäre, nachdem die Abschlußzahlen der Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung für das Jahr 1965 eine niedrigere Schadensquote und eine höhere Rendite ausweisen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, ich muß leider darauf hinweisen, daß die Erhöhung der Tarife in den Großstädten bei einer scharfen Kalkulation größer sein müßte, als sie mit dem Zuschlag von 5 % und mit der allgemeinen Erhöhung von 7,5 % vollzogen wird. Es ist sehr gut, daß man hier zu einer Mischung zwischen dem Ausgangstarif und der Gestaltung der Rabatte gekommen ist.
Eine zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, Sie haben wahrscheinlich meine Frage nicht genau verstanden; sonst hätten Sie sie wohl anders beantwortet. Ich darf wiederholen: Glauben Sie nicht, daß eine stärkere Rabattgewährung — differenziert möglich wäre, nachdem sich die Schadensquote und die Rendite im Jahre 1965 im gegensätzlichen Verlauf entwickelt haben, ,d. h. die Schadensquote im Verhältnis zur Einnahme kleiner geworden ist?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, 'da es keinen Zweck hat, mit allgemeinen Ausführungen zu antworten, und dieser Frage große Bedeutung zukommt, möchte ich sie gern unter Angabe von Zahlen schriftlich beantworten.
Einverstanden.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Haage.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß die Versicherungsgesellschaften mit einem Unkostenfaktor von 20 bis 40 % kalkulieren? Also auch hier wird das verschieden gehandhabt.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, wenn ich es recht in Erinnerung habe, liegt der Durchschnittssatz bei 28 %.
Eine zweite Zusatzfrage.
Diese Antwort kann mich nicht befriedigen, da ich klar die Frage gestellt habe, ob Ihnen bekannt ist, daß es Versicherer gibt, die 20 % einsetzen, und andere, die 40 % einsetzen.
Sie müssen fragen, Herr Abgeordneter!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Es trifft zu, daß die Differenzierung sehr erheblich ist, aber ich glaube, es gibt auch zwischen den Versicherungsunternehmen erhebliche Differenzierungen, es gibt alte und relativ junge Unternehmen in diesem Geschäft, so daß die Differenzierung durchaus gerechtfertigt sein kann.
Die Frage des Herrn Abgeordneten Dröscher — Drucksache V/1029 — soll eigentlich erst am Freitag beantwortet werden, betrifft aber den Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft. Kann sie beantwortet werden? Dann rufe ich diese Frage auf:
Sieht die Bundesregierung die Möglichkeit, den Kreis Birkenfeld wieder in das Bundesförderungsprogramm einzubeziehen. nachdem sich gewisse krisenhafte Entwicklungen, was die Versorgung mit Arbeitsplätzen angeht, sowohl durch die Stillegung einzelner Industriebetriebe im Randgebiet des Kreises als auch durch die Möglichkeit der Verringerung der Zahl der Arbeitsplätze bei den alliierten Truppen abzeichnen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Bundesausbaugebiete wurden 1963 nach bundeseinheitlichen Kriterien als die wirtschaftsschwächsten Landkreise der Bundesrepublik abgegrenzt. Die Statistiken wiesen für den Landkreis Birkenfeld sowohl im Bruttoinlandsprodukt wie bei den Industriebeschäftigten und im Wanderungssaldo Werte aus, die eine Einbeziehung in die Bundesausbaugebiete nicht rechtfertigten.
In den ausführlichen Gesprächen mit den Ländern über diese Neuabgrenzung erklärten sich die Länder, die primär für die regionale Wirtschaftsförderung zuständig sind, bereit, aus eigenen Mitteln zu fördern, soweit es in weiteren Landkreisen oder Teilen von Kreisen notwendig erscheint. Rheinland-Pfalz hat den Kreis Birkenfeld daraufhin in das sogenannte Landesergänzungsprogramm einbezogen. Eine Ausweitung der Bundesausbaugebiete erscheint insoweit nicht erforderlich.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, welches Instrumentarium hat eigentlich die Bundesregierung, wenn, wie jetzt im Kreis Birkenfeld, sich eine Entwicklung abzeichnet, die den plötzlichen Verlust einer Reihe von Arbeitsplätzen in Aussicht stellt?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, wir haben die diesem Hause bekannten Instrumente der Regionalpolitik. Sie wissen, daß wir im laufenden Haushaltsjahr dafür 140 Millionen DM und aus Krediten weitere 30 Millionen DM Kapitalmarktmittel — zinsvergünstigt — haben, zusammen also rund 170
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 67. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Oktober 1966 3165
Staatssekretär Dr. LangerMillionen DM. Ich darf hier sagen, daß die Bundesregierung voraussichtlich für den Etat 1967 das Hohe Haus um Bewilligung eines gleichen Betrages bitten wird.
Zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, besteht die Möglichkeit, daß eine Revision des seinerzeitigen Beschlusses erfolgt, wenn sich in diesem Fall die für die Eingruppierung maßgebliche Situation des Jahres 1963 entscheidend ändert?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, wenn es entscheidende Veränderungen innerhalb der Regionalstruktur gibt, dann wird selbstverständlich auch die Eingliederung der Gebiete überprüft werden. Ich muß hier sagen, daß der Kreis Birkenfeld mit den genannten Kriterien erheblich über der Obergrenze der Bundesausbaugebiete gelegen hat.
Keine Zusatzfrage.
Ich rufe die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten auf.
Frage VII/1 ist vom Fragesteller, Herrn Abgeordneten Fellermaier, zurückgezogen worden. Ich rufe Frage VII/2 — des Herrn Abgeordneten Dr. Wörner — auf:
Teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß im Grundstücksverkehrsgesetz die Bieterlaubnis bei der Zwangsversteigerung landwirtschaftlicher Grundstücke eingeführt werden sollte, um die in der Praxis zu beobachtenden Fälle zu unterbinden, in denen die Grundstücksverkehrsgenehmigung durch eine zweckentfremdete und mißbräuchlich betriebene Zwangsversteigerung umgangen wird?
Zur Beantwortung der Herr Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten.
Es gibt bereits eine Bestimmung in diesem Gesetz, die in diese Richtung zielt, und zwar die Bestimmung des § 37 des Grundstückverkehrsgesetzes, nach dem die Abgabe von Geboten und die Erteilung des Zuschlags an einen anderen als den Meistbietenden von einer Bieterlaubnis nur zur Verhinderung solcher Mißbräuche abhängig gemacht werden darf, welche die Wirksamkeit des Gesetzes „erheblich" beeinträchtigen. Das gibt natürlich noch keine zufriedenstellende Lage. Es sind Mißbräuche der Art festgestellt worden, wie sie von Ihnen zitiert werden. Aber die Einführung einer allgemeinenn Bieterlaubnis eröffnet so viele Schwierigkeiten sowohl zugunsten wie zum Nachteil der Landwirtschaft, daß eine solche Maßnahme, sosehr sie auch erwünscht sein mag, außerordentliche Schwierigkeiten bietet.
Zusatzfrage.
Könnten Sie sich vorstellen, Herr Minister, daß man durch entsprechende
Abgrenzungen — durch Verwaltungsverordnung oder Rechtsverordnung — sicherstellen könnte, daß eine solche Anwendung, wie Sie sie eben befürchtet haben, nicht eintritt?
Man müßte wahrscheinlich beim Zuweisungsverfahren die Stelle ansetzen, an der eine solche Kontrolle möglich ist. Beim Gebot selber halte ich sie für untunlich.
Zweite Zusatzfrage.
Herr Minister, bedeutet das, daß Ihr Ministerium nicht daran denkt, eine entsprechende Regelung zu treffen?
Das kann man nicht absolut sagen. Wir haben mit verschiedenen Ländern gesprochen. Die Meinungen sind dort geteilt. Das Justizministerium, mit dem wir ebenfalls gesprochen haben, ist gegenteiliger Meinung. Wir behalten die Sache im Auge. Sollten sich die Mißbräuche in einem größeren Umfang wiederholen, wird es sich nicht vermeiden lassen, nach Wegen für Abhilfe zu suchen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Ertl.
Herr Minister, stimmen Sie mir darin zu, daß die bisherige Handhabung des Grundstücksverkehrsgesetzes den sogenannten Ausverkauf der Landschaft in keiner Weise eingeschränkt hat?
Ich möchte nicht so kräftige Worte wie „Ausverkauf der Landschaft" gebrauchen. Ich möchte sagen, es gibt verschiedene Möglichkeiten, mit dem Gesetz zu operieren, die erst ausgeschöpft und ausgenutzt werden sollten.
Zweite Zusatzfrage.
Wie können Sie es erklären, daß Sie in einer Antwort auf eine von mir gestellte Anfrage zugegeben haben, daß Strukturmaßnahmen in landschaftlich schönen Gebieten durch diese Form des Verkaufs von landwirtschaftlichen Höfen zum Erliegen gekommen sind?
Einzelfälle und allgemeine Entwicklungen können sich durchaus widersprüchlich verhalten.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Prassler.
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3166 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 67. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Oktober 1966
Herr Bundesminister, sind Sie sich darüber im .klaren, daß es bei der Frage nicht primär um die Betriebe oder um die Grundstücksflächen geht, für die nach dem Gesetz das Zuweisungsverfahren gilt, sondern vielmehr um die Flächen und Betriebe, die eben nicht unter das Zuweisungsverfahren fallen, nämlich wo es sich um die Begründung von Erbengemeinschaften vor dem Termin des wirksam gewordenen Gesetzes handelt?
Ja, Herr Kollege, ich habe auch nur gesagt: Wenn man einen Ansatzpunkt finden will, müßte man ihn in der Konstruktion des Zuweisungsverfahrens suchen. Mehr habe ich nicht gesagt.
Eine zweite Zusatzfrage.
Herr Minister, sehen Sie denn eine Möglichkeit, bei dieser Konstruktion des Zuweisungsverfahrens gerade die vielen Fälle mit einzubeziehen, die im Gefolge des Krieges entstanden sind, wo also Angehörige gefallen, vermißt, verschollen, nicht mehr zurückgekehrt oder von der Umsiedlungsaktion betroffen sind?
Wir behalten diese Entwicklung im Auge.
Wir kommen zu den Fragen des Herrn Abgeordneten Wächter. Die Frage VII/5 ist vom Fragesteller zurückgezogen. Ich rufe die Frage VII/3 auf:
Auf welche Höhe muß nach Ansicht der Bundesregierung der Orientierungspreis für Schlachtrinder im Jahre 1967 angehoben werden, um auf Grund der in den letzten Monaten gesammelten Erfahrungen einem Preisrückgang in der diesjährigen Höhe begegnen zu können?
Bitte, Herr Minister!
Der Orientierungspreis kann für das nächste Jahr vor der einheitlichen Preisfestsetzung nur innerhalb einer Schere festgesetzt werden, die vom Ministerrat auf Vorschlag der EWG-Kommission festgelegt wird. Nach der Neufestsetzung des Milchpreises auf 39 Pfennig wird es zweckmäßig sein, den Orientierungspreis innerhalb dieser Schere in die Nähe von 2,65 zu bringen.
Zusatzfrage.
Herr Minister, werden Sie sich bei den Überlegungen für den Orientierungspreis 1967 besonders von der allseits anerkannten Preisrelation von Milch zu Schlachtrindern im Verhältnis 1 : 7 leiten lassen, die bei dem durch Kabinettsbeschluß festgelegten diesjährigen Orientierungspreis leider nicht berücksichtigt worden ist?
Herr Kollege, der ,diesjährige Orientierungspreis muß sich ja auf den gemeinsamen Preis hin entwickeln. Sie wissen, daß wir innerhalb von drei Jahren den Orientierungspreis von 2,34 auf 2,53 angehoben haben. Das ist zweifellos eine Entwicklung, die in der von Ihnen gewünschten Richtung läuft. Ich glaube, daß die Festsetzung auf 2,53 nicht die schlechteste war. Im übrigen sind durch die Neufestsetzung des Milchpreises neue Daten im Sinne Ihrer Fragen gesetzt worden.
Eine weitere Zusatzfrage.
Ist Ihnen bekannt, Herr Bundesminister, daß sich der Vizepräsident der EWG-Kommission, Herr Mansholt, vor dem Landwirtschaftsausschuß des Europäischen Parlaments zu dieser Relation bekannt hat und für 1968 einen gemeinsamen Orientierungspreis in der EWG von 2,73 als gerecht ansieht?
Ich habe davon gehört, und ich warte seinen Vorschlag ab.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Sander.
Herr Minister, müßte, von einem gemeinsamen Milchpreis von 39,2 Pfennig ausgehend, der Orientierungspreis 1968 nicht sogar bei 2,76 DM liegen, und, falls ja, werden Sie sich dafür einsetzen?
Bei 2,73. Ich werde dem Vorschlag der Kommission bestimmt nicht widersprechen.
Frage VII/4 des Abgeordneten Wächter:
Wann wird nach Meinung der Bundesregierung die bei der EWG-Kommission beantragte Zusatzabschöpfung für die Einfuhr von Gefrierfleisch aus Drittländern in Kraft treten können?
Wir haben gestern in der Ministerratssitzung in Brüssel einen derartigen Entschluß gefaßt. Danach wird uns in der Bundesrepublik Deutschland durch Verordnung eine Zusatzabschöpfung gegenüber Gefrierfleisch aus Drittländern in Höhe von 20 DM je 100 kg bis zum 27. November 1966 eingeräumt.
Bedarf die gestern vom Ministerrat beschlossene Zusatzabschöpfung in Höhe von 20 DM der Zustimmung des Bundesrats?
Nein, es handelt sich um eine Verordnung und nicht um eine Ermächtigung.
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 67. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Oktober 1966 3167
Eine weitere Zusatzfrage.
Glaubt die Bundesregierung, daß diese Zusatzabschöpfung noch einen preislichen Einfluß auf die Märkte zu Ende der Weideabtriebszeit haben kann?
Wir hoffen es. Das ist keine Glaubens-, sondern eine Hoffenssache.
Herr Abgeordneter Sander zu einer Zusatzfrage.
Herr Minister, weshalb hat die Bundesregierung die Zusatzabschöpfung nicht schon in der ersten August-Woche bei der EWG-Kommission beantragt, als erstmalig der Orientierungspreis unterschritten wurde?
Es war gestern schon sehr schwierig, obwohl der Preisverfall seit längerer Zeit anhält. Ermächtigungen oder Verordnungen auf Vorrat sind bei der Kommission schlecht zu holen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneter Unertl.
Herr Bundesminister, ist es möglich, diese Zusatzabschöpfung, die bis zum 27. November 1966 befristet ist, rechtzeitig zu verlängern, um dadurch Dispositionen, die getroffen werden müssen, rechtzeitig zu treffen?
Soweit die Frage abstrakt gestellt ist, möchte ich sagen: Wir sollten die Entwicklung abwarten, und wenn sich die Entwicklung so anläßt, daß eine Verlängerung notwendig ist, wird das Notwendige von uns geschehen.
Meine Damen und Herren, ich muß die Fragestunde abbrechen. Die restlichen Fragen aus dem Bereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten werden in der nächsten Fragestunde beantwortet. Offenbar bin ich zu konziliant bei der Zulassung von Zusatzfragen. Aber ich habe es niemals in der Hand, daß ein Gebiet abgeschlossen wird. Ich muß mich an die 60 Minuten halten.
Nun rufe ich Punkt 2 der Tagesordnung auf: Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung Das Wort hat der Herr Bundesminister des Innern.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Bundesregierung begrüßt es dankbar, daß das Hohe Haus die erste sich bietende Gelegenheitwahrnimmt, sich über das Ergebnis der wichtigen Übung „Fallex 66" unterrichten zu lassen.Die Stabsrahmenübung „Fallex 66" der NATO hat uns alle mit einer militärischen Situation konfrontiert, von der wir nur hoffen können, daß sie nie Wirklichkeit wird. Bei der Übung hat es sich um konventionell geführte und örtlich begrenzte Angriffe gehandelt. Uns allen wurde erneut bestätigt, daß das Ziel aller deutschen Politik sein muß, den Frieden zu erhalten. Ebenso deutlich wurde aber auch, daß der Frieden nur dann dauerhaft gesichert werden kann, wenn wir in der militärischen und in der zivilen Verteidigung dem Gegner entsprechend gerüstet sind. Es kann kein Zweifel daran sein, daß die Verhinderung eines weltweiten Krieges die einmütige Entschlossenheit der freien Welt voraussetzt, schon im Frieden alle notwendigen Vorkehrungen zu treffen, die jeden militärischen Angriff zu einem nicht abwägbaren Risiko für den Aggressor macht. Die Verteidigung Europas und Deutschlands erfordert das Zusammenstehen aller Mitglieder der Nordatlantischen Verteidigungsgemeinschaft.Die bei der Übung gesammelten Erfahrungen haben vor allem zu folgenden Erkenntnissen geführt:1. Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland muß sobald als möglich durch eine deutsche Notstandsverfassung ergänzt werden; sonst würde es im Ernstfall mit Sicherheit zu einer Anwendung der Vorbehaltsrechte der Drei Mächte nach Art. 5 Abs. 2 des Deutschlandvertrages kommen. Die Drei Mächte wären dabei — das soll kein Vorwurf sein — nicht an das Grundgesetz gebunden.2. Der Übung lag der Entwurf einer Notstandsverfassung zugrunde, der sich im wesentlichen mil dem Entwurf des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages der letzten Legislaturperiode deckt. Der Entwurf hat sich bewährt.3. Diese Feststellung gilt insbesondere für das Kernstück des Entwurfs, nämlich die Einrichtung eines Gemeinsamen Ausschusses — auch Notparlament genannt — aus Abgeordneten des Deutschen Bundestages und Vertretern des Bundesrates. Dieser Gemeinsame Ausschuß hat sich als ein wirksames Verfassungsorgan erwiesen. Er ist geeignet, die Grundprinzipien unserer parlamentarischen Demokratie und unserer bundesstaatlichen Ordnung auch in einem äußeren Notstand aufrechtzuerhalten.4. Es hat sich nicht bestätigt, daß das frei gewählte Parlament, also der Bundestag, durch den Gemeinsamen Ausschuß in seinen Rechten beeinträchtigt würde. In der Übung nahm der Gemeinsame Ausschuß erst dann seine Funktion als Gesetzgeber auf, als der Deutsche Bundestag durch äußere Einwirkung gehindert war, seine Rechte auszuüben. Ebenso selbstverständlich wurden am Schluß der Übung alle Rechte wieder an das Parlament zurückgegeben.5. Der Gemeinsame Ausschuß hat alle erforderlichen Notgesetze nach sorgfältiger Prüfung frist-
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Bundesminister Lückegerecht verabschiedet. Er war seinen Aufgaben als Gesetzgeber in der Stunde der Not vollauf gewachsen. Ferner wurde deutlich, daß alle Gesetze möglichst im regulären Gesetzgebungsverfahren schon in Normalzeiten durch Bundestag und Bundesrat verabschiedet werden sollten. Sie könnten sonst zu spät kommen. Nur wenige Gesetzentwürfe können nicht im normalen Gesetzgebungsverfahren verabschiedet werden; sie können nur dem Gemeinsamen Ausschuß zur Billigung vorgelegt werden, weil sonst entweder der Gesetzeszweck verhindert oder dem Gegner Rückschlüsse auf geplante Verteidigungsmaßnahmen ermöglicht würden.6. Der Gemeinsame Ausschuß hat sich jedoch nicht nur als funktionsfähiger Gesetzgeber, sondern auch als Kontrollorgan gegenüber der Bundesregierung erwiesen. Er hat zugleich die Bundesregierung bei allen wichtigen Entscheidungen wirksam unterstützt.7. Unsere parlamentarische Demokratie hat sich in dieser schwierigen Übung bewährt. Auch die Grundsätze der bundesstaatlichen Ordnung haben ihre Bewährungsprobe bestanden. Die Übungsstäbe der Landesregierungen und die mitübenden Verwaltungen der Länder und Gemeinden haben funktioniert.Vorbehaltlich der noch ausstehenden eingehenden Analyse der Übung darf ich im einzelnen folgendes feststellen:Erstens. Eine wirksame Verteidigung setzt voraus, daß die Bevölkerung die Möglichkeit hat, sich vor den Auswirkungen des Krieges so weit als möglich zuschützen. Dazu gehören alle Maßnahmen des Zivilschutzes, die weiterhin vordringlich betrieben werden müssen, insbesondere der Schutzraumbau. Den finanziellen Möglichkeiten und wirtschaftlichen Gegebenheiten entsprechend wird die Bundesregierung daher dem Hohen Hause in Kürze ein Stufenprogramm für den Zivilschutz vorlegen.Zweitens. Die NATO-Stabsrahmenübung hat personell, organisatorisch und auch verwaltungstechnisch wertvolle neue Erkenntnisse vermittelt. Die gesamte Befehlsstelle wird technisch besser ausgestattet werden müssen; dadurch werden personelle Einsparungen möglich. Gleichzeitig müssen die Arbeitsbedingungen des Gemeinsamen Ausschusses im Interesse seiner Funktionsfähigkeit wesentlich verbessert werden. Es muß ferner überlegt werden, ob neben den regelmäßig stattfindenden Stabsübungen der NATO nicht besondere Stabsübungen der zivilen Verteidigung durchgeführt werden sollten.Drittens. Die Maßnahmen und Planungen zur Aufrechterhaltung der inneren Sicherheit müssen überdacht werden. In stärkerem Umfange als bisher müssen wesentliche gesellschaftliche Kräfte unseres Volkes zur Mitarbeit an der Sicherung unserer demokratischen Grundordnung im Notfall gewonnen und eingesetzt werden. Ich denke dabei vor allem an die Verbände der freien Wohlfahrtspflege und ihre karitativen Hilfsorganisationen, an die deutschen Gewerkschaften und andere. In der Stunde der Gefahr kann auf ihre Mitarbeit nicht verzichtet werden.Viertens. Eine solche Mitarbeit setzt voraus, daß die Öffentlichkeit rechtzeitig und zugleich umfassend über die Lage und die daraus zu ziehenden Konsequenzen unterrichtet wird. Auch wird die Öffentlichkeit künftig früher und ausführlicher über solche Übungen informiert werden.Als Ergebnis der NATO-Stabsbrahmenübung wird die Bundesregierung den gesetzgebenden Körperschaften in Kürze ihren Entwurf einer Notstandsverfassung vorlegen. Sie wird alsbald u. a. mit der Zwölferkommission des Bundestages und des Bundesrates, den Innenministern und -senatoren der Länder, der Notstandskommission des DGB, den Frauenverbänden, den Beamtenorganisationen, den Verbänden der freien Wohlfahrtspflege wie vorgesehen sprechen.Ich darf, meine sehr verehrten Damen und Herren, diese Erklärung schließen mit einem Dank an die Damen und Herren Abgeordneten, die Mitglieder des Bundesrates, die Soldaten und die Angehörigen des Bundesgrenzschutzes. Ebenso Dank den Beamten und Angestellten und allen anderen Beteiligten, die mit großem Ernst an diese schwierige Arbeit herangegangen sind. In fast 100 Stunden wurde unter erschwerten Bedingungen in nahezu ununterbrochenen Beratungen eine große Aufgabe gemeistert.Nicht zuletzt hat die NATO-Stabsrahmenübung „Fallex 66" gezeigt, daß unsere Demokratie auch in der Stunde der Not ihren Aufgaben gewachsen ist. Erneut wurde bestätigt, daß Demokratie nicht Schwäche ist. Die Stunde der Not ist weder die Stunde der Exekutive noch die Stunde der Legislative — die Stunde der Not ist die Stunde der Bewährung des ganzen Volkes.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Schmitt-Vockenhausen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion hat mit Interesse soeben vernommen, daß die Bundesregierung in sachlicher und umfassender Weise die in der letzten Woche durchgeführte Stabsübung auswerten und die Erfahrungen auch im weiteren Gesetzgebungsverfahren berücksichtigen will.Für die SPD-Fraktion darf ich sagen, daß unsere Haltung in der Frage der Notstandsgesetzgebung seit vielen Jahren unverändert ist. Mit unserem hartnäckigen Beharren auf unseren Grundforderungen zur Sicherung und Festigung der demokratischen Grundordnung und des Rechtsstaates haben wir sicher für die Bürger dieses Landes einen wesentlichen Beitrag geleistet. Aus der Diskussion um eine Notstandsdiktatur der Exekutive ist in acht Jahren heute ein Ringen um die beste Form eines Gesetzes zum Schutze der Bürger und des freiheitlichen Rechtsstaates in Notzeiten geworden.
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Schmitt-VockenhausenDas „Handelsblatt" hat in seiner Betrachtung zur Fallex-Übung geschrieben: „Man wird fairerweise zugeben müssen, daß die SPD mit ihrer Hartnäckigkeit für den Staatsbürger allerhand herausgeholt hat. Dabei ist es nicht einmal notwendig, sich an den unseligen ersten Entwurf Schröderschen Andenkens zu erinnern."Über diese Wendung, die auch am letzten Freitag aus den Erklärungen der Fraktionen und des Bundesinnenministers nach dem Übungsabschnitt, an dem das Notparlament teilgenommen hat, und in der heutigen Regierungserklärung deutlich wird, sind wir Sozialdemokraten selbstverständlich froh. Für die weiteren Beratungen gelten nach wie vor zwei wesentliche Grundsätze, die auch in der Debatte vom 26. Mai 1966 von uns vorgetragen worden sind:Erstens. Solche wichtigen Verhandlungen dürfen nicht unter Zeitdruck stehen. Die Entwürfe müssen in Ruhe ausführlich beraten werden können. Der Staatsbürger darf nicht das Gefühl bekommen, er solle „überrollt" werden.Zweitens. Wenn es um Grundfragen der Verfassung und der Existenz eines Volkes geht, muß die Öffentlichkeit an den Erörterungen interessiert und beteiligt werden.Die Fallex-Übung hat deutlich gemacht und der Herr Minister hat es dankenswerterweise hier noch einmal ganz klar ausgesprochen, daß in solchen Fragen Wege gesucht und gefunden werden müssen, wie das Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit befriedigt werden kann. Meine Damen und Herren, wo die Quellen der Information nicht sprudeln und fließen, da finden sich immer Pfützen falscher und schlechter Informationen, und die Berichterstattung gerät dann in die Gefahr, sich im Bereich der Spekulation oder — wie es in diesem Falle sogar zu beobachten war — im Bereich der Fallex-Astrologie zu bewegen.In der Debatte vom 26. Mai 1966 hat der Herr Bundesinnenminister seine Vorstellungen über die Verfassungsergänzung und die unmittelbar damit zusammenhängenden Gesetze entwickelt. Mein stellvertretender Fraktionsvorsitzender Herbert Wehner und mein stellvertretender Fraktionsvorsitzender Helmut Schmidt haben damals noch einmal die Vorbehalte und die entscheidenden Forderungen der sozialdemokratischen Fraktion zusammengefaßt. Aus der Tatsache, daß der Herr Bundesinnenminister damals, in der Zwischenzeit und heute Grundsätze entwickelt hat, die diesen Vorstellungen Rechnung tragen, und aus den abgegebenen Erklärungen hoffen wir entnehmen zu können, daß die von ihm vorzulegenden Gesetzentwürfe an diesen Maßstäben gemessen werden können.Zweifel und Meinungsverschiedenheiten, ob der von der SPD seit acht -Jahren und später von allen Parteien und Fraktionen verfolgte gemeinsame Weg richtig und zweckmäßig sein kann, können nach dem Ergebnis der Stabsrahmenübung „Fallex 66", die im zivilen Bereich Maßnahmen zum Schutze und zur Versorgung der Bevölkerung und zur Aufrechterhaltung der inneren Sicherheit sowie die Zusammenarbeit zwischen zivilen und militärischen Stellen erprobte, eigentlich kaum noch geltend gemacht werden. In diesem Zusammenhang muß noch einmal festgestellt werden, daß das erste und oberste Ziel aller Politik die Aufrechterhaltung des Friedens sein muß.
Das entbindet uns aber nicht von der Pflicht, Maßnahmen zu treffen, die der Sicherung unserer Freiheit und des Friedens dienen.Als Erfahrung aus der Übung für die Gesetzgebung ist festzustellen:1. Das Notparlament ist als Gesetzgebungs- und Kontrollorgan als funktionsfähig anzusehen. Das besagt nicht, daß wir aus dieser Übung nicht auch manche zusätzlichen Erkenntnisse gewonnen haben.2. Ein Notverordnungsrecht ist nicht erforderlich.3. Von wenigen Ausnahmen abgesehen können die sogenannten Schubladengesetze im normalen Gesetzgebungsverfahren beraten und verabschiedet werden. Es ist auch nicht notwendig, mit der Erörterung aller dieser Gesetze bis zur Verabschiedung einer Verfassungsergänzung zu warten bzw. ihre Gesamtberatung von ihr abhängig zu machen. Es darf keine Geheimkanzleien mehr geben. Niemand hat aber, wenn so verfahren wird, das Recht, dann noch von einem „Dunkelkammerverfahren" zu sprechen.4. Die demokratische Grundordnung kann auch während eines Notstandes gesichert werden. Voraussetzung ist allerdings, daß die alliierten unumschränkten Vollmachten in vollem Umfange abgelöst werden und entsprechend eindeutige deutsche gesetzliche Regelungen bestehen.
5. Auf dem Gebiet des Schutzes und der Hilfe für die Bevölkerung fehlt es noch an wesentlichen Maßnahmen. Es ist nicht mehr möglich, die Versäumnisse von 15 Jahren aufzruholen. Das von der SPD geforderte Mindestprogramm sollte jedoch auch angesichts der hier bestehenden Schwierigkeiten in der Haushaltslage verwirklicht werden. Militärische Rüstung ist kein Selbstzweck. Sinn und Zweck ist vielmehr, die Bürger unseres Landes gegen einen Angriff zu schützen. Es wäre wenig sinnvoll, wenn die militärischen Anstrengungen einen Höchststand erreichten, während es an den dringlichsten Schutzmaßnahmen für die Zivilbevölkerung fehlen würde.
6. Die Presse- und Meinungsfreiheit darf nicht in Frage gestellt werden. Die Informationsträger sind auch vom Technischen her in den Stand zu versetzen, ihren Aufgaben nachzukommen.7. Die Rechte dei Arbeitnehmer und ihr Streikrecht müssen gesichert werden. Gerade hier wäre es erwünscht, daß die Gewerkschaften das Parlament durch konstruktive Mitarbeit unterstützten.
Der Entschluß, an der Übung teilzunehmen, ist durch die Ergebnisse gerechtfertigt worden. Die
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Schmitt-Vockenhausendabei gewonnenen Erkenntnisse werden im weiteren Gesetzgebungsverfahren von großem Nutzen sein. Niemand ist durch die Teilnahme an der Übung — das wurde von allen Beteiligten ausdrücklich festgestellt — in irgendeiner Form für die weiteren Beratungen präjudiziert worden. Wir wiederholen in dieser Stunde unsere Bereitschaft, konstruktiv an der Lösung dieser wichtigen Probleme auf der Grundlage unserer seit langem aufgestellten Grundsätze mitzuarbeiten.In der von uns geforderten Fassung ist ein Notstandsgesetz kein Gesetz gegen unsere demokratische Grundordnung, sondern es sind Regelungen zum Schutze der Menschen und der demokratischen Staatseinrichtungen in Zeiten, in denen dafür, wie Herbert Wehner in der Debatte vom 26. Mai sagte, die normalen Gesetze nicht ausreichen würden. Erst ein solches Gesetz sichert in Notzeiten unsere Grundrechte und die demokratischen Spielregeln.In den meisten anderen Ländern der westlichen Welt haben die Regierungen im Falle eines Notstandes weitgehende Vollmachten. Die von uns vorgeschlagene Lösung scheint uns ein vernünftiger Mittelweg zwischen Mißtrauen — man sollte aber besser von kritischer Wachsamkeit sprechen — und dem auch unbedingt notwendigen Vertrauen zu sein.Über all diese Dinge muß aber in der Öffentlichkeit gesprochen werden. Der Bürger muß sich selber ein nicht auf Gefühlen, sondern auf Tatsachen basierendes Urteil bilden können. Befürworter und Gegner der Notstandsgesetzgebung werden in öffentlichen Hearings vor den zuständigen Ausschüssen Gelegenheit haben, ihre Standpunkte vorzutragen. Die Kraft der Argumente wird sich dann erweisen. Diese öffentliche Diskussion soll die Voraussetzungen dafür schaffen, daß die dann erfolgende Entscheidung des Gesetzgebers auch von der Einsicht und der Mitverantwortung der Bürger in diesem Land getragen wird.
Das Wort hat der Abgeordnete Benda.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eine Reihe der an der NATO-Stabsrahmenübung „Fallex 1966" unmittelbar beteiligten Mitglieder des Deutschen Bundestages hat sich bereits sofort nach Abschluß der Übung am vergangenen Freitag mittag im Rahmen einer Pressekonferenz zu einer Reihe der ersten zunächst erkennbaren Ergebnisse geäußert. Das, was bei dieser Gelegenheit gesagt worden ist, soll hier nicht wiederholt werden. Heute geht es darum, daß für die Fraktionen die politischen Konsequenzen aus diesem Vorgang gezogen und hier dem Hohen Hause dargelegt werden.Meine Damen und Herren! Aus der Sicht der Fraktion der CDU/CSU möchte ich zunächst sagen: Die Teilnahme des Parlaments und der Mitglieder des Bundesrates an der NATO-Stabsrahmenübung 1966 war sicher ein ungewöhnlicher, zugleich aber ein völlig legitimer Vorgang. Es gibt — und das gibt mir Veranlassung, dies hier zu bemerken — eine Reihe von Äußerungen dazu, zu meinem Bedauern sogar von Professoren des Rechts, die ich — ich kann es hier nicht anders nennen — einfach für falsch, ja sogar für töricht halte.
Die Behauptung, daß die Teilnahme des Parlaments an einer solchen Übung außerhalb, ja unter Bruch der Verfassung vor sich gehe, ist völlig abwegig.Für das gesamte Parlament — das hat Herr Kollege Schmitt-Vockenhausen für seine Fraktion eben noch einmal wiederholt; es gilt genauso für alle anderen Fraktionen und genauso ,wie ich annehme, für die Herren des Bundesrates — ging und geht es darum, Erkenntnisse zu gewinnen und Erfahrungen zu sammeln. Wer dem Deutschen Bundestag und den gesetzgebenden Körperschaften — also Bundestag und Bundesrat — dieses Recht vor einer Entscheidung in einer so wichtigen Sache absprechen will, der verlangt, daß die gesetzgebenden Körperschaften in der Bundesrepublik Gesetze unter Verzicht auf das vorherige Nachdenken beschließen.
Diese Auffassung ist allgemein falsch. Sie ist um so abwegiger und falscher, wenn es sich um eine so wichtige Sache wie die Notstandsverfassung handelt.Die Erfahrungen, die wir gemacht haben, die Erkenntnisse, die wir gesammelt haben, sind positiv. Ich will nichts von dem wiederholen, was der Herr Bundesinnenminister und der Kollege Schmitt-Vockenhausen hier gesagt haben. Ich möchte noch einmal das Fazit wiederholen: daß die Grundvorstellungen des Entwurfs sich über alle Erwartungen bewährt haben.Zu dem Entwurf, Herr Kollege Schmitt-Vockenhausen, darf ich in einer Fußnote — quasi — noch folgendes bemerken. Ich will jetzt nicht über historische Urheberrechte reden. Ich meine die Grundvorstellungen des Entwurfs, so wie ihn der Rechtsausschuß des Deutschen Bundestages unter Vorsitz unseres früheren Kollegen Hoogen und später unter Vorsitz unseres Kollegen Dr. Wilhelmi in der vorigen Wahlperiode in dreieinhalbjährigen Beratungen erarbeitet hat. Ich erwähne den Namen des Kollegen Hoogen als Anmerkung zu Ihren Ausführungen, Herr Kollege Schmitt-Vockenhausen, deswegen, weil Herr Kollege Hoogen aus dem Bereich des Deutschen Bundestages der erste Sprecher war, der unmittelbar nach der Einführungsrede des damaligen Bundesinnenministers Dr. Schröder Grundgedanken entwickelt hat, die heute nach wie vor gültig sind und die im Kern in Ihren Ausführungen genauso enthalten waren, wie sie auch wohl in den Ausführungen der anderen Sprecher wieder auftauchen werden.
Aber dies als historische Randbemerkung. Ich haltedieses Thema im Augenblick nicht für sehr wichtig.Die Institution des Gemeinsamen Ausschusses, des Notparlaments, ermöglicht eine energische, der je-
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Bendaweiligen Lage angepaßte und selbstbewußte Mitwirkung einer parlamentarisch-politischen Vertretung. Dabei sind wir uns darüber einig, daß diese Tätigkeit die Funktion des Bundestages und des Bundesrats, soweit diese funktionsfähig sind, nicht ersetzen oder verdrängen soll, daß aber für den Fall der Funktionsunfähigkeit dieser gesetzgebenden Körperschaften jedenfalls der Kernbestand der parlamentarischen Demokratie gesichert werden soll.Das, meine Damen und Herren, ist vollauf gelungen. Ich glaube sagen zu können, es ist besser gelungen, als es alle Teilnehmer an der Übung erwarten konnten.Es scheint mir nicht meine Aufgabe zu sein, Herr Präsident, als Teilnehmer an dieser Übung hier Dank oder Anerkennung auszusprechen. Ich darf vielleicht aber, da ich immerhin in einer bestimmten Funktion daran beteiligt war, in Anspruch nehmen, hier bekunden zu dürfen, daß die unermüdliche Einsatzbereitschaft aller Kollegen des Bundestages und des Bundesrates, die unter sehr schweren Bedingungen teilgenommen haben, und ihr Mut zu einem selbständigen, auch der Regierung gegenüber selbständigen Urteil — auch unter extremen Situationen — für mich jedenfalls zu den eindrucksvollsten Erfahrungen der letzten Jahre in diesem Hause gehören.Ich hätte es gern gesehen, wenn mancher derjenigen Publizisten in unserem Lande, die über die „Krise des Parlamentarismus" reden und schreiben, Gelegenheit gehabt hätte, das einmal mitzuerleben. Ich hätte es begrüßt, wenn es für jene professionellen und professoralen Kritiker, die zu Unrecht eine Verschwörung der Fraktionen dieses Hauses gegen den Rechtsstaat und die Demokratie vermuten, eine solche Gelegenheit gegeben hätte.Eine wichtige Lehre, die schon angedeutet worden ist, ist: Wir alle sind zu dem Ergebnis gekommen, daß so weit wie irgend möglich mit der Geheimnistuerei um den Notstand Schluß gemacht werden sollte.
Überall dort, wo es keine zwingenden militärischen oder allgemein verteidigungspolitischen Gründe gibt, Geheimnisse zu wahren — natürlich gibt es einen solchen Bereich —, sollte in voller Offenheit dargelegt werden, wie die Situation ist.Niemand kann natürlich erwarten, daß die Verteidigungskonzeption der NATO, etwa die, wie sie zu einem nicht uninteressanten Teil in dieser Übung deutlich geworden ist -- der Herr Innenminister hat eben mit einem Satz, den ich für interessant hielt, eine Andeutung gemacht; aber dabei soll es bezüglich dieses Themas auch von mir aus bleiben —, nun vor der Öffentlichkeit dargelegt wird.Im übrigen aber darf, ja, muß der Staatsbürger wissen, welche Opfer von ihm in einem Zustand der äußeren Gefahr verlangt und erwartet werden.Es gibt eine Reihe völlig unsinniger und abwegiger Gerüchte über die sogenannten Schubladengesetze. Ich meine, die Gerüchte würden verschwinden, wenn einmal die wirklichen Vorstellungen der Bundesregierung, die den Mitgliedern des Ausschusses bekannt sind, offenlägen. Im übrigen darf ich dazu sagen: Wer den Entwurf der Grundgesetzänderung in der Fassung des Rechtsausschusses oder in Kürze den neuen Regierungsentwurf kennt und in der Lage ist, ein wenig darüber nachzudenken, was in einer solchen Situation notwendig ist, kann sich den Inhalt der sogenannten Schubladengesetze selber zusammenstellen. Dazu gehört nicht sehr viel mehr als die Kenntnis dessen, was öffentlich gedruckt vorliegt, und ein wenig Intelligenz, die man bei der Beratung einer solchen Materie in der öffentlichen Diskussion allerdings wohl voraussetzen darf.Es geht im Prinzip — es kann gar nicht anders sein — darum, daß man in einer Situation, in der das Wohl jedes einzelnen Bürgers und des ganzen Staates, ja, der Nation bedroht ist, nach dem alten, in der jüngeren Vergangenheit unseres Landes schrecklich mißbrauchten, aber dennoch immer wahren Grundsatz vorzugehen und zu handeln hat, daß Gemeinnutz vor Eigennutz geht. Nur damm geht es, daß der Egoismus nicht den Vorrang vor den zwingenden Erfordernissen haben darf, denen im Interesse des Überlebens des gesamten Volkes und des gesamten Staates Rechnung getragen werden muß.
Ich sage weiter — und ich freue mich, daß das auch Herr Kollege Schmitt-Vockenhausen schon angesprochen hat —: Auch wir sind bereit, mit jedem Fragen des Notstands zu diskutieren, der zu einer ehrlichen Diskussion bereit ist. Ich halte einen Kongreß von zu einem sehr großen Teil einfach unwissenden, zu einem weiteren Teil auch politisch böswilligen Notstandsgegnern nicht für ein geeignetes Mittel, diese Frage zu diskutieren; das kann nur Verwirrung stiften. Ich glaube, daß der Brief ides Kollegen Wehner, den er uns allen freundlicherweise mitgeteilt hat, das dazu Notwendige bereits gesagt hat. Ich brauche das nicht zu wiederholen.
Aber jeder unserer Bürger und jeder Vertreter einer Organisation, der bereit und willens ist, ernsthaft die Sicherung der äußeren wie der inneren Freiheit unseres Volkes und Landes mit uns zu diskutieren — und dieses genau ist die Aufgabe der Notstandsverfassung —, jeder, der bereit ist, das zu tun, soll uns willkommen sein.Wir werden Gelegenheit schaffen — etwa in der Form, wie es Herr Schmitt-Vockenhausen hier angedeutet hat —, in den Ausschüssen, wenn der neue Entwurf besprochen wird, eine solche Möglichkeit zu geben. Wir wollen dann das Gespräch auch mit den Vertretern der Wissenschaft, auch mit den Vertretern der Arbeitnehmer, den Gewerkschaftlern und allen anderen, die die Bereitschaft zu einer Diskussion zeigen, d. h. zu einem von beiden Seiten geführten Gespräch und nicht zu einer einseitigen Demonstration eines bestimmten Willens oder, genauer gesagt, Unwillens. Zu diesen Gesprächen sind wir bereit, ja, dazu fordern wir auf.
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Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Matthöfer?
Ja gern, Herr Matthöfer.
Herr Kollege Benda, sind Sie bereit zuzugeben, daß an dem Kongreß in Frankfurt außer den von Ihnen so genannten Böswilligen und Unwissenden auch Bürger teilnehmen, die ehrlich um unsere Demokratie besorgt sind?
Ich bin gern bereit — ohne die Zahlen, die verschiedenen Anteile hier im einzelnen untersuchen zu wollen —, dies zu konzedieren. Und zu diesen, Herr 'Kollege Matthöfer — ich hoffe, es deutlich gemacht zu haben —, versuchte ich eben zu sprechen. Genau die meine ich.
Ich sage schließlich, meine Damen und Herren — und ,die Erklärung des Herrn Bundesinnenministers, die ja für die Bundesregierung abgegeben worden ist, macht es lediglich erforderlich, diesen Teil seiner Erklärung noch einmal zu unterstreichen —: Wir sind der Auffassung, daß die Bundesregierung nun nicht zögern, sondern alsbald den Entwurf der Notstandsverfassung vorlegen sollte. Es mag hier und da bestimmte neue Erkenntnisse geben, über die man sprechen muß. Das kann, soweit es in dem Zeitablauf möglich ist, vorher geschehen. Wenn nicht, werden die Ausschußberatungen Veranlassung geben, eventuelle neue Erkenntnisse zu berücksichtigen.
Ich glaube aber im Ergebnis, daß nunmehr hohe Zeit dafür ist, die Diskussion dieser Frage dorthin zu bringen, wohin sie in Wirklichkeit gehört, nämlich vor die Vertretung des deutschen Volkes, vor dieses Parlament. Wir fordern daher die Bundesregierung nachdrücklich auf, nunmehr zu handeln und diesen Entwurf vorzulegen. Wenn sie das tut, wird sie hierbei unsere volle Unterstützung haben.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dorn.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bin der Auffassung, daß es heute noch zu früh ist, politische Konsequenzen aus dem Fallex-Manöver 1966 zu ziehen; denn man wird nicht daran vorbeikommen, im Rahmen dieser politischen Konsequenzen auch militärpolitische Überlegungen neuer Art anzustellen, wenn man hier wirkliche Konsequenzen aus dem ziehen will, was sich in dieser Übung vollzogen hat. Deswegen lassen Sie mich nur wenige Anmerkungen für die Fraktion der Freien Demokraten an dieser Stelle machen; auch einige sehr kritische Anmerkungen, das möchte ich gleich vorweg sagen. Wenn ich mir die Zeitungsartikel der letzten Tage zu Fallex und über Fallex ansehe, wenn man an die Äußerungen einiger Kollegen im Parlament und einiger Kabinettsmitglieder nach dieser Fallex-Übung denkt, dann kann man
den Eindruck gewinnen, daß die Regierung jetzt nur noch die Notstandsgesetze vorlegen müsse, um eine sofortige Zustimmung im Parlament zu erhalten, so gut sei alles gewesen, und es habe alles funktioniert.
Dazu lassen Sie mich offen sagen, daß ich ob dieser Einschätzung sehr betroffen bin, ja, daß bei uns vorhandene Bedenken sich nach der Teilnahme an dieser Übung in bestimmten Bereichen noch verstärkt haben.
Meine Damen und Herren, wir haben uns in der vorigen Legislaturperiode an dieser Stelle sehr deutlich für eine Verabschiedung von Notstandsgesetzen eingesetzt, und wir sind der Meinung, daß die Notstandsgesetzgebung in dieser Legislaturperiode verabschiedet werden sollte. Wir haben aber auch in der vorigen Legislaturperiode in einer Reihe von Anmerkungen bereits unsere Bedenken erhoben. Dazu gehörte die Frage der Geheimniskrämerei und das dadurch entstandene Mißtrauen in breiten Kreisen der Bevölkerung in unserem Lande. Wir haben von Anfang an die Auffassung vertreten, daß die „Schubladengesetze" bei der Beratung in den Ausschüssen dieses Hauses auf dem Tisch liegen müssen und nicht erst nach der Verabschiedung der Notstandsverfassung diesem Hause zur Beratung zugeleitet werden sollten.
Ich habe im vergangenen Jahr von dieser Stelle aus gegen die Verabschiedung der Sicherstellungsgesetze erhebliche verfassungsrechtliche und sachliche Bedenken vorgetragen. Die Erfahrung aus der Fallex-Übung im Bunker hat gezeigt, daß die Bedenken, die wir hatten, mehr als berechtigt waren. Das zeigte sich nämlich, als dort die Verordnungen zu diesen Sicherstellungsgesetzen vorgelegt wurden und mein Kollege Busse und ich einer Reihe solcher Verordnungen nicht zustimmen konnten.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Schmitt-Vockenhausen?
Herr Kollege Dorn, wären Sie bereit, dem gesamten Hause und der Öffentlichkeit klarzumachen, daß diese mit der Haltung der SPD übereinstimmende Haltung die Haltung nur einer Minderheit Ihrer Fraktion war, daß aber die Mehrheit damals den Gesetzen zugestimmt hat?
Herr Kollege Schmitt-Vockenhausen, ich habe ja gesagt, daß ich selbst an dieser Stelle im vergangenen Jahre dazu meine kritischen Bemerkungen vorgetragen habe.Es hat sich gezeigt, daß eine parlamentarische Einflußnahme durch den Gemeinsamen Ausschuß bei entsprechender Vorbereitung möglich gewesen ist. Wir bestätigen gern,' daß der Ausschuß in dieser Form funktioniert hat. Wir geben auch zu, daß die Regierung eine ganze Reihe von Anregungen, ganz gleich, von welcher Fraktion sie während der Fallex-Übung vorgetragen worden sind, akzeptiert und aufgenommen hat.
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DornMeine Damen und Herren, lassen Sie mich allerdings auch eine kritische Bemerkung zu der in der vergangenen Legislaturperiode heiß umstrittenen Frage machen, warum eigentlich ,dieser Ausschuß aus 33 Mitgliedern, nämlich 22 Bundestagsabgeordneten und 11 Vertretern der Länder, bestehen müsse. Während der Beratungen im Bunker hat sich eindeutig gezeigt, daß die Vertreter der Länder, in denen die SPD den Ministerpräsidenten stellt, an den Fraktionssitzungen der SPD und die Vertreter der Länder, in denen die CDU den Ministerpräsidenten stellt, an den Fraktionssitzungen der CDU teilgenommen haben. Es ist uns während der gesamten Beratungen nie klargeworden, warum eigentlich die CDU oder die SPD nicht gleich einige Vertreter mehr in den Ausschuß schicken sollte. Warum das Vertreter der Länder sein sollen, ist während der Beratungen nicht klargeworden.
Hinzu kommt, daß sowohl der Vertreter der SPD- als auch der der CDU-Fraktion in der Pressekonferenz am vorigen Freitag, die bereits angesprochen wurde, wörtlich folgende Erklärung abgegeben hat: „Diese Erklärung gebe ich im Namen der sozialdemokratischen" — im anderen Fall: „der christlichdemokratischen" — „Mitglieder des Bundestages und des Bundesrates im Notparlament ab."Meine Damen und Herren, ich will hier auf die Einzelheiten dieser Sachdiskussion jetzt nicht weiter eingehen; wir werden bei der Beratung der Notstandsgesetze diese Frage erneut auf ihren sachlichen Inhalt prüfen müssen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Even?
Herr Kollege Dorn, wären Sie bereit, uns mitzuteilen, warum, da die Vertreter des Bundestages in Fraktionen, also getrennt, zusammengetreten sind, dieses Recht den Vertretern des Bundesrates nicht auch gegeben sein sollte?
Herr Kollege Even, wenn es so gewesen wäre, daß die Vertreter des Bundesrates insgesamt als Vertreter des Bundesrates zu Sitzungen zusammengetreten wären, während wir Fraktionssitzungen machten, hätte ich das für richtig gehalten. Leider war es aber eben nicht so, sondern so, wie ich es soeben geschildert habe.
Aber ich will diese Frage hier gar nicht weiter vertiefen; wir werden sicher bei der Beratung der Notstandsgesetzgebung Gelegenheit haben, uns über dieses Thema ausführlich zu unterhalten.
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?
Nein, Herr Präsident. Ich bin gleich am Ende meiner Ausführungen.
Zu der verfassungsrechtlichen Kritik, die außerhalb dieses Hauses an der Teilnahme von Parlamentsmitgliedern geübt worden ist und zu der sich der Kollege Schmitt-Vockenhausen sowie der Kollege Benda hier geäußert haben, lassen Sie mich im Namen meiner Fraktion folgendes feststellen. Die gesamte Übung war eine Übung, die von hypothetischen Voraussetzungen ausging, um allen Beteiligten die Praktikabilität zu veranschaulichen und möglicherweise neue Erkenntnisse zu vermitteln. Solche für die Bildung der eigenen Meinung notwendigen Erprobungen sind das legitime Recht jeder Regierung und der Parlamentarier. Es ist selbstverständlich, daß diese Möglichkeiten völlig verfassungskonform sind.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Schluß kommen. Jedem politisch empfindenden Teilnehmer der Fallex-Übung müssen jedoch besorgniserregende Erkenntnisse erwachsen sein, wenn er an die militärische und zivile Entwicklung der Lage denkt, mit der er konfrontiert wurde. Darüber hinaus müssen sich für uns erhebliche politische Konsequenzen ergeben, wenn wir die uns im Bunker entwickelte Lage aufmerksam analysieren. Diese politischen Erkenntnisse sind für uns Freie Demokraten vorrangig, auch bei einer künftigen Beratung und Verabschiedung der Notstandsgesetze. Wir brauchen daher jetzt eine sachliche Beratung. Wir können weder eine Euphorie noch Großkundgebungen gebrauchen, bei denen die Sachdiskussion — wie gehabt — in den meisten Fällen durch entsprechende Polemik ersetzt wird.
Darüber hinaus bleibt es die primäre Forderung der FDP, daß die Zuständigkeit des Bundestages mit allen Möglichkeiten auch in kritischen Phasen garantiert wird.
Keine weiteren Wortmeldungen? — Die Aussprache ist geschlossen.Ich rufe Punkt 3 der Tagesordnung auf:Beratung der Sammelübersicht 8 des Petitionsausschusses über Anträge von Ausschüssen des Deutschen Bundestages zu Petitionen— Drucksache V/977 --Ich frage, ob das Wort gewünscht wird. — Keine Wortmeldungen. Ich stelle den Beschluß des Antrages auf Drucksache V/977 zur Abstimmung. Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das ist einstimmig angenommen.Punkt 4 der Tagesordnung:Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Erleichterung des innerdeutschen Vertriebs von Druckerzeugnissen— Drucksache V/870 —Zur Einbringung hat -der Herr Bundesminister der Justiz das Wort.
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3174 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 67. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Oktober 1966
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zu den bedauernswerten Begleiterscheinungen der deutschen Teilung gehört die Tatsache, daß die Demarkationslinie zwischen West- und Mitteldeutschland nicht nur für den Personenverkehr, sondern auch für die Verbreitung von Zeitungen und Zeitschriften ein weit größeres Hindernis darstellt als jede Auslandsgrenze. Auch unter dieser Tatsache leiden die Kontakte zwischen der Bevölkerung beider Teile Deutschlands. Zu ihrer Verbesserung würde der Austausch von Zeitungen und Zeitschriften nicht unerheblich beitragen. Es ist daher verständlich, wenn von Zeit zu Zeit der Ruf nach einem Zeitungsaustausch laut wird. Seine Realisierung ist jedoch bisher immer wieder daran gescheitert, daß die Machthaber der SBZ nicht ernsthaft bereit waren.Die Bundesregierung möchte dennoch die Hoffnung auf einen Zeitungsaustausch nicht aufgeben. Um ihn auf eine sichere rechtliche Grundlage zu stellen und dadurch seine Chancen zu verbessern, hat sie den Entwurf eines Gesetzes zur Erleichterung des innerdeutschen Vertriebs von Druckerzeugnissen vorgelegt, über den hier in erster Lesung beraten werden soll. Bevor ich jedoch auf Einzelheiten des Entwurfs eingehe, gestatten Sie mir ein paar Worte zum Verlauf der bisherigen Versuche, zu einem Zeitungsaustausch zu kommen. Dies erscheint mir vor allem deswegen notwendig, um das Problem nüchtern und ohne Illusionen zu sehen.Schon vor Jahren hat sich die Bundesregierung) bereit erklärt, für menschliche Erleichterungen in Mitteldeutschland alle in Betracht kommenden Gegenleistungen zu erbringen. Dazu gehört auch der Austausch von Zeitungen zwischen beiden Teilen Deutschlands. Sooft aber das Projekt eines Zeitungsaustausches ins Gespräch gebracht wurde, stellte sich bald heraus, daß es den Machthabern der SBZ nur darauf ankam, ihre politischen Ziele zu erreichen und durch Verhandlungen auf Regierungsebene der Anerkennung einen Schritt näher zu kommen.Erinnern wir uns! Es wurde weder das Angebot der Bundesrepublik, auf der Ebene der Treuhandstelle für Interzonenverkehr zu verhandeln, angenommen, noch gelang es den Zeitschriftenverlegern, Verhandlungen zu führen. Es erwies sich eindeutig, daß die SBZ keineswegs bereit war, Exemplare auch nur einer einzigen Zeitung der Bundesrepublik allein für die Gegenleistung der Verbreitung mitteldeutscher Zeitungen in der Bundesrepublik frei in ihr Gebiet hineinzulassen. Erinnern wir uns auch des erfolglosen Versuchs einer Hamburger Wochenzeitung, wenigstens zu einem bescheidenen Artikelaustausch mit dem „Neuen Deutschland", der Zeitung der SED, zu kommen. Nichts deutet darauf hin, daß die Situation zur Zeit eine andere ist und Ulbricht es in Kürze wagen wird, Zeitungen aus dem freien Teil Deutschlands in der SBZ verbreiten zu lassen.Unter solchen Umständen könnte man sich fragen, ob es überhaupt sinnvoll ist, auf seiten der Bundesrepublik Erleichterungen für einen Zeitungsaustausch zu schaffen;
dies um so mehr, als einem Austausch seitens der Bundesrepublik keinerlei Verbote entgegenstehen. Im Gegensatz zur SBZ gibt es in der Bundesrepublik kein grundsätzliches Verbot bestimmter Zeitungen und Zeitschriften, weder solcher, die in der Bundesrepublik erscheinen, noch anderer, die in der SBZ oder im Ausland hergestellt werden. Einzig und allein die für jedermann verbindlichen Vorschriften des Strafrechts und des Strafverfahrensrechts bilden den Maßstab für das Erlaubtsein oder Nichterlaubtsein der Verbreitung von Schriften. Nur wenn ihr Inhalt gegen Strafgesetze verstößt, können sie der Einziehung unterliegen. Aber hier liegt die entscheidende Schwierigkeit, die bei der Zulassung der Verbreitung von Zeitungen und Zeitschriften der SBZ in der Bundesrepublik durch diesen Entwurf überwunden werden soll. Wie die Erfahrungen der vergangenen Jahre gezeigt haben, verletzten sowjetzonale Zeitungen und Zeitschriften fast regelmäßig durch ihren Inhalt die Rechtsordnung der Bundesrepublik. Sie verstoßen in erster Linie gegen Vorschriften des strafrechtlichen Staatsschutzes, enthalten aber auch häufig Verunglimpfungen und Beleidigungen von Verfassungsorganen und von Persönlichkeiten, die im politischen Leben stehen. Die Verletzung solcher Strafvorschriften zieht zwangsläufig strafrechtliche Maßnahmen nach sich, gleichgültig, ob die Verletzung in Zeitungen der SBZ oder der Bundesrepublik enthalten ist. Läge den Machthabern der Zone ernstlich daran, ihre Zeitungen in die Bundesrepublik gelangen zu lassen, so dürfte es ihnen ein Leichtes sein, diese Verstöße gegen Strafvorschriften zu vermeiden.
Einer Verbreitung in der Bundesrepublik stände dann auch heute nichts im Wege.Trotz dieser Rechtslage hält die Bundesregierung eine Förderung des Zeitungsaustausches im gesamtdeutschen Interesse für wünschenswert. Es gilt daher, einen Weg zu finden, der es erlaubt, Zeitungen der SBZ trotz ihres strafgesetzwidrigen Inhalts in der Bundesrepublik zu verbreiten. Nach geltendem Recht kann eine zuständige Behörde zwar im Einzelfall eine an sich strafbare Verbreitung von staatsgefährdenden Publikationen nach pflichtmäßiger Güterabwägung mit rechtfertigender Wirkung erlauben. In der Bundesrepublik wird davon in weitem Maße Gebrauch gemacht, wenn z. B. Wissenschaftler, Politiker oder Journalisten, die SBZ-Zeitungen beruflich benötigen, den Bezug beantragen. Eine generelle behördliche Erlaubnis zum Vertrieb staatsgefährdender Publikationen ist aber nach geltendem Recht höchst zweifelhaft. Zumindest kann sie nicht mit Wirkung für alle diejenigen Strafvorschriften erteilt werden, die im Falle der SBZ- Druckschriften von einer Verfolgung ausgenommen werden müßten. Es bedarf daher einer besonderen gesetzlichen Regelung, um die Anwendung bestimmter Strafgesetze auf sowjetzonale Zeitungen und Zeitschriften auszuschließen und dadurch einen
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 67. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Oktober 1966 3175
Bundesminister Dr. Jaegerkünftigen Zeitungsaustausch trotz strafgesetzwidrigen Inhalts der in Betracht kommenden SBZ-Zeitungen auf eine sichere Grundlage zu stellen.Es liegt auf der Hand, daß diese gesetzliche Regelung nicht darin bestehen kann, die von den sowjetzonalen Zeitungen und Zeitschriften immer wieder verletzten Strafgesetze aufzuheben. Daß die erwähnten Staatsschutzstrafnormen, z. B. sowohl zur Bekämpfung der Umtriebe der illegalen KPD in der Bundesrepublik als auch zur Ahndung neonazistischer und antisemitischer Bestrebungen, unentbehrlich sind, brauche ich wohl nicht besonders zu betonen. Die im Entwurf der SPD zur Änderung der Bestimmungen des strafrechtlichen Staatsschutzes vorgesehene Streichung des § 93 des Strafgesetzbuches, der die Einfuhr und Verbreitung staatsgefährdender Schriften unter Strafe stellt, würde angesichts der Vielzahl anderer in Betracht kommender Gesetzesverletzungen nicht ausreichen, um den Zeitungsaustausch zu sichern, abgesehen davon, daß § 93 zur Bekämpfung bestimmter rechtsradikaler Schriften nicht entbehrt werden kann. Auch eine Aufhebung des Gesetzes zur Überwachung strafrechtlicher und anderer Verbringungsverbote vom 24. Mai 1961 kommt nicht in Betracht. Dieses Gesetz ist unentbehrlich, um — außerhalb des Bereichs eines etwaigen Zeitungsaustausches — auch und gerade die speziellen Zersetzungsschriften zu erfassen, die in Massen aus der sowjetisch besetzten Zone in die Bundesrepublik eingeschleust werden.Der von der Bundesregierung vorgelegte Gesetzentwurf schlägt daher eine andere Lösung der Probleme eines Zeitungsaustausches vor. Er sieht eine Ermächtigung der Bundesregierung vor, durch Rechtsverordnung die Verbringung bestimmter Zeitungen und Zeitschriften in den räumlichen Geltungsbereich des Gesetzes zuzulassen. Die Zulassung soll die Wirkung haben, daß die Verbringung und die anschließende Verbreitung dieser Zeitungen nicht nach den im Gesetzentwurf einzeln aufgeführten Vorschriften des Staatsschutzstrafrechts strafbar sind. Auch die Nachprüfung und die etwaige Sicherstellung dieser Zeitungen nach dem Gesetz zur Überwachung strafrechtlicher und anderer Verbringungsverbote sollen entfallen. Von der Verordnungsermächtigung darf die Bundesregierung nur dann Gebrauch machen, wenn sie dabei den erforderlichen Schutz unserer verfassungsmäßigen Ordnung und die angestrebten gesamtdeutschen Ziele eines Zeitungsaustausches berücksichtigt, auf die ich gleich noch eingehen werde.Der Entwurf konkretisiert die Verordnungsermächtigung in mehrfacher Weise. Er gibt die Möglichkeit, die Zulassung zeitlich und sachlich zu beschränken und das Verfahren des sogenannten Zeitungsaustausches zu regeln, insbesondere Vorkehrungen gegen einen Mißbrauch zu treffen. Für den Fall einer Umgehung der Verfahrensvorschriften sieht er Sanktionen und die Möglichkeit der Einziehung vor.Der Katalog der Straftaten, die nach einer Zulassung von SBZ-Zeitungen durch Rechtsverordnung der Bundesregierung nicht mehr strafbar sind, umfaßt die durch sowjetzonale Druckschriften besonders häufig verwirklichten Straftatbestände, die aus den mehrfach erwähnten Gründen bei einem Zeitungsaustausch nicht verfolgt werden sollen.Nicht von der Anwendung ausgeschlossen sind die zur Hochkriminalität gehörenden Tatbestände des Hochverrats und des Landesverrats, da deren Einbeziehung unvertretbar erscheint. Desgleichen sind die Strafvorschriften, die Individualrechtsgüter schützen, nicht in den Katalog aufgenommen, da die Rechtsgüter einzelner nicht schutzlos gestellt werden sollen und da die Presse der Bundesrepublik, die sich an die Strafvorschriften zum Schutze der Ehre halten muß, eine solche Regelung als diskriminierend betrachten könnte.Zu den Voraussetzungen, unter denen die Bundesregierung nach dem Gesetzentwurf sowjetzonale Zeitungen zulassen kann, gehört, wie ich sagte, die Berücksichtigung der angestrebten gesamtdeutschen Ziele. Der Entwurf nennt als solche die Förderung der Unterrichtung der Bevölkerung in der Bundesrepublik sowie die Verbreitung von Zeitungen und Zeitschriften, die in der Bundesrepublik erscheinen, in der sowjetisch besetzten Zone Deutschlands. Da beide Zwecke mit dem Gesetzentwurf erreicht werden sollen, wird Gegenseitigkeit vorausgesetzt. Auf diese hat die Bundesregierung beim Erlaß der Verordnungen zu achten.Da von verschiedenen Seiten Bedenken gegen eine Festlegung der Gegenseitigkeit im Gesetzentwurf geäußert worden sind, erscheint es mir notwendig, den Standpunkt der Bundesregierung näher darzulegen. Den Vertretern der Meinung, wir sollten auf Gegenseitigkeit verzichten, pflichte ich nur darin bei, daß wir Zeitungen und Zeitschriften der SBZ ohne wirkliche Gefährdung unserer verfassungsmäßigen Ordnung in der Bundesrepublik verbreiten lassen können. Bei ihrem Mangel an echtem Informationswert und bei der Primitivität ihrer Agitation stellen sie derzeit keine wirkliche Gefahr dar. Dennoch, glaube ich, kann die Forderung nach Gegenseitigkeit nicht aufgegeben werden. Der dargelegte Eingriff in den strafrechtlichen Schutz unserer verfassungsmäßigen Ordnung ist auch und gerade im gesamtdeutschen Interesse und als Schritt auf dem Wege zur Wiedervereinigung beider Teile Deutschlands nicht als einseitige Leistung der Bundesrepublik vertretbar, sondern nur dann, wenn dadurch die Bevölkerung im anderen Teile Deutschlands die Möglichkeit zu ungehinderter Information aus unseren Zeitungen und Zeitschriften erhält. Ohne eine Gegenseitigkeit wenigstens in dem Maße, wie sie der Entwurf vorsieht, entfiele die verfassungsrechtliche Legitimation, die dem in Satz 3 der Präambel und in Art. 146 GG verankerten Wiedervereinigungsanliegen entnommen werden kann. Nur 'dieses rechtfertigt es, die Verstöße gegen eine Anzahl von Staatsschutzstrafvorschriften, die bei der Verbringung und Verbreitung bestimmter sowjetzonaler Zeitungen und Zeitschriften zu erwarten sind, nicht zu ahnden. Es entfiele aber auch das politische Hauptanliegen des Entwurfs, nämlich zu erreichen, daß Zeitungen und Zeitschriften, die im freien Teil
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3176 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 67. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Oktober 1966
Bundesminister Dr. JaegerDeutschlands erscheinen, im unfreien Teil verbreitet werden können.Im übrigen verlangt der Entwurf keine Form der Gegenseitigkeit, die Vielleicht die praktische Durchführbarkeit eines Zeitungsaustauschs gefährden könnte. Er setzt nicht voraus, daß die Gegenseitigkeit bereits vor Erlaß der Verordnung rechtlich zwingend gewährleistet sein muß. Es genügt vielmehr, wenn im Zeitpunkt des Erlasses der Zulassungsverordnung mindestens die Aussicht besteht, daß damit auch eine Verbreitung von Zeitungen und Zeitschriften der Bundesrepublik Deutschland in der SBZ erreicht wird. Auf ,das eigentlich recht bescheidene Erfordernis der Gegenseitigkeit kann aber nicht verzichtet werden, wenn überhaupt noch von Zeitungsaustausch die Rede sein soll.Die Bundesrepublik ist bereit, mit dem vorgelegten Gesetzentwurf weitgehend auf ihr Recht der Verfolgung strafbarer Handlungen zu verzichten. Sie nimmt in Kauf, daß die in der Bundesrepublik erscheinenden Zeitungen in gewisser Hinsicht schlechter gestellt werden, und erwartet von ihnen Verständnis für diese Maßnahmen. Das alles können wir aber guten Gewissens nur dann vertreten, wenn die Aussicht besteht, daß die Deutschen in der SBZ wenigstens in bescheidenem Maße an unserer Meinungsfreiheit teilnehmen. Dieses Ziel werden wir nie erreichen, wenn wir auf Gegenseitigkeit verzichten. Wir können und dürfen daher auf dieses einzige Druckmittel, das wir haben, nicht von vornherein Verzicht leisten.
Sie haben die Einbringung der Vorlage gehört. Ich eröffne die Beratung der ersten Lesung. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Heinemann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die soeben vom Herrn Bundesjustizminister Dr. Jaeger begründete Vorlage entspricht nicht unseren Erwartungen. Wir sind mit Ihnen, meine Damen und Herren, einig, daß ein Austausch sein sollte, und zwar — um das gleich hier in Abweichung vom Titel des Gesetzes zu bemerken — zunächst jedenfalls ein Austausch von Zeitungen und Zeitschriften, also nicht von Druckerzeugnissen jeglicher Art. Klar ist auch, daß es sich um den Austausch von Originalausgaben der Zeitungen handeln soll, also nicht von Sonderausgaben. Insoweit besteht Einigkeit.Aber die politische Kernfrage setzt jetzt bei der Differenz ein, ob wir Zeitungen von drüben nur dann hereinlassen wollen, wenn gewährleistet ist, daß unsere Zeitungen nach drüben gelangen. Die Gegenseitigkeit als Bedingung, das ist die politische Kernfrage dieses Gesetzentwurfes.Wir haben soeben von Herrn Dr. Jaeger dazu Ausführungen gehört, von denen ich nur sagen kann, daß sie genauso schillern, wie die amtliche Begründung zu dem Gesetzentwurf in Widersprüchen zu dem steht, was schon im Bundesrat vorgetragen worden ist. Was heißt das denn: es müssebegründete Aussicht bestehen, daß unsere Zeitungen nach drüben kommen, ehe man solche von drüben nach hier hereinläßt? Das ist eine Bedingung, und genau das ist nicht der richtige Weg, um den Austausch der Zeitungen wirklich zu fördern. Die wirkliche Förderung des Zeitungsaustauschs ist keine Rechtsfrage, sondern eine Frage unseres politischen Handelns. Das heißt, wir wollen das Prinzip der Gegenseitigkeit in diesem Gesetz überhaupt nicht verankert wissen. Der Eingriff ins Strafrecht, so hören wir, soll nur dann vertretbar sein, wenn die Bevölkerung drüben die Möglichkeit des Bezugs westdeutscher Zeitungen wirklich erhält. Das alles macht den Zeitungsaustausch nicht aussichtsvoller, sondern beschwerlicher.Meine Damen und Herren, wenn wir so ansetzen, wie es der Gesetzentwurf tut, dann ist von vornherein Herr Ulbricht der Steuermann des ganzen Unternehmens. Dann hängt es von ihm ab, ob etwas zustande kommt. Er braucht ja nur zu proklamieren, daß er unsere Zeitungen nicht hereinläßt, und dann muß — das hörten wir ja gerade von Herrn Dr. Jaeger — die Bundesregierung die Anwendung der Ermächtigung unterlassen. Oder aber Herr Ulbricht sagt: ja, verhandelt bitte erst mit mir!, und dann wird wiederum nichts geschehen. Denn wir haben ja, so denke ich, die Vorgänge von 1964 noch nicht ganz vergessen. Damals wurde durch den Leiter des Presseamts bei der Regierung drüben das Bundespresseamt mit der Frage angegangen, ob man bereit sei, über Zeitungsaustausch zu verhandeln. Man wollte nicht verhandeln, also passierte nichts. So oder so also wird Herr Ulbricht die ganze Sache steuern, wenn wir hier der Regierung eine Bindung in Richtung Gegenseitigkeit auferlegen. Dann steht es nämlich im Belieben des Herrn Ulbricht, sich ein Alibi zu schaffen, nichts zu tun, und dann hat er genau die Situation verhindert, in der unsere Chance liegt.Unsere Chance ist die verwandelnde Kraft des positiven Beispiels freiheitlicher Ordnung.
Unsere Chance muß darin gesehen werden, daß drüben ein verstärktes Verlangen nach unseren Zeitungen entsteht. Wir lassen doch unsere Bürger frei in die DDR reisen, und die Folge ist, daß drüben immer wieder gefragt wird: Warum dürfen wir nicht frei nach dem Westen reisen?
Wir bemühen uns, den Westberlinern durch die Passierscheinabkommen einen Übergang nach Ostberlin zu ermöglichen, was zur Folge hat, daß man in Ostberlin fragt: Warum dürfen wir nicht nach Westberlin? Wenn unsere Bürger ostdeutsche Zeitungen lesen dürfen, dann wird drüben die Frage verstärkt sein — und darauf kommt es an —: Warum dürfen wir nicht westdeutsche Zeitungen lesen? Tausende von Rentnern besuchen uns. Wenn sie hier die ostdeutschen Zeitungen finden, werden sie das drüben erzählen, werden sie drüben die Frage, warum man nicht westdeutsche Zeitungen
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 67. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Oktober 1966 3177
Dr. Dr. Heinemann) lesen darf, unterstreichen und vertiefen, und genau diese Situation gilt es zu schaffen.
Wenn wir Ulbricht vorher fragen, ob er mitspielen will, dann hat er alles in seiner Hand. Wenn er aber drüben gefragt wird, von seinen eigenen Untertanen gefragt wird, warum sie westdeutsche Zeitungen nicht lesen dürfen — und er wird verstärkt gefragt werden, wenn wir die Zeitungen hereinlassen —, dann soll er nicht die Ausrede haben dürfen, daß er ja nur das gleiche täte wie wir hier.
Verehrte Damen und Herren, die Menschen drüben sind enttäuscht genug, daß wir nichts vom Fleck bewegen, daß wir immer auf Nummer sicher gehen wollen, daß wir uns abschließen, anstatt aufzuschließen und damit Wege ,der Besserung anzubahnen.Im Bundesrat haben mehrere Landesregierungen gegen die Fassung von § 1 der Gesetzesvorlage mit dem Prinzip der Gegenseitigkeit Stellung genommen. Wichtiger noch als das: heute vor einer Woche hat ein Landesparlament einstimmig seine Regierung aufgefordert, gegen dieses Prinzip der Gegenseitigkeit im Gesetz weiterhin vorstellig zu werden. Es ist das die Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg gewesen, die am 19. Oktober dieses Jahres einstimmig folgendes beschloß:In der Absicht, alle Bestrebungen zu unterstützen, die geeignet sind, Informationsfreiheit in ganz Deutschland zu fördern, ersucht die Bürgerschaft den Senat,1. ...2. ...3. sich im Bundesrat für eine baldige Verabschiedung eines Gesetzes zur Erleichterung des innerdeutschen Vertriebs von Druckerzeugnissen einzusetzen, das die Gegenseitigkeit bei der Liberalisierung der Einfuhr von Druckerzeugnissen nicht als Voraussetzung, sondern als anzustrebendes Ziel versteht.In dieser Aussprache des Hamburger Landesparlaments haben Sprecher aller drei Fraktionen, also auch Ihrer Regierungsparteien, immer wieder unterstrichen, daß das Prinzip der Gegenseitigkeit genau das hindert, wo wir hin wollen, weil es nämlich Herrn Ulbricht das Steuer in die Hand gibt. Sie haben alle ausgesprochen, daß wir nichts zu fürchten hätten von diesen langweiligen, von diesen eintönigen SED-Zeitungen. Ich denke, genau das hat eben auch hier der Herr Bundesjustizminister gesagt, als er ausführte, daß diese Zeitungen von drüben, die alle miteinander nur einen einzigen Chefredakteur haben, doch für uns keine Gefahr bedeuten. Aber wenn dem zuzustimmen ist — und ich denke, Sie sollten in diesem Punkte Ihrem Regierungsvertreter zustimmen —, dann ziehen wir eben daraus die Folgerung, daß auf das Vorwegprinzip der Gegenseitigkeit zu verzichten sei. Wir wollen die politische Auseinandersetzung um die Prinzipiender Freiheit. Verehrte Damen und Herren, das ist unsere Politik der Stärke und ohnehin die einzige, die uns offensteht. Auf diese Politik der innerdeutschen Auseinandersetzung vertrauen wir, nicht aber auf einen bundesrepublikanischen Isolationismus des Ausweichens. Das zu dieser Kernfrage.Nun eine kurze Bemerkung zu einer Einzelfrage. Sie zielt auf § 1 des Gesetzes, wonach einige Strafbestimmungen außer Kraft treten sollen in der Aufzählung, wie sie da steht. Diese Aufzählung ist unvollständig. Es fehlen in der Tat genau die Bestimmungen, die Herr Dr. Jaeger andeutete: §§ 185 ff. des Strafgesetzbuchs. Denn, Herr Dr. Jaeger, das überzeugt uns nicht, daß Verbreiter oder Verkäufer einer Zeitung strafbar bleiben müßten, wenn die Zeitung einen westdeutschen Bürger beleidigt oder verleumdet. Das trägt ja wiederum nur Unsicherheit in die ganze Sache hinein. Das gibt nur Anlaß, die Zeitungen auszusortieren, Unterschiede zu machen. Gerade das wäre drüben wieder eine schöne Masche, um an den Dingen vorbeizukommen. Aber das können wir im Ausschuß vertiefen.Ich schließe mit einer Erinnerung. Das Thema, die politische Frage, die jetzt hier zum Schwur steht, ist eine alte Frage. Schon vor zehn Jahren hat sie in diesem Parlament eine Rolle gespielt. Ich denke dabei an die Debatte vom 30. Mai 1956. Einer der damaligen Sprecher der SPD war Herr Dr. Mommer. Er wandte sich gegen den Mangel an demokratischem Selbstvertrauen und sagte damals u. a. wörtlich:Diese Praxis beweist auch, daß bestimmte Stellen in unserer Regierung die Urteilskraft unserer Bevölkerung gewaltig unterschätzen. Wir stehen nicht allein mit der Forderung, daß da Remedur geschaffen wird. Wir wissen uns einig mit vielen Kräften außerhalb der Sozialdemokratie. Namentlich hat das Kuratorium „Unteilbares Deutschland" vor einiger Zeit auch gefordert, daß man einseitig hier wie auf anderen Gebieten handle und dem Verkehr der Druckschriften keine Hemmnisse mehr in den Weg lege.Das war vor zehn Jahren.Ich denke, es ist an der Zeit, endlich aus diesen obrigkeitlichen Lösungen zur Bewährung demokratischen Selbstbewußtseins zu kommen. Aber nichts ist ja hier im Lande so schwer wie das Herunterkommen von obrigkeitlichen Lösungen' und Auffassungen. Es gilt, daß wir endlich nun in dieser Materie einen Schritt tun. Wenn von all den schönen Worten, die vorhin bei der Würdigung der FallexÜbung gesprochen worden sind, nämlich daß es auf das Selbstvertrauen, auf das Mitspielen der Bürger im Falle der Not ankomme, in diesen Zusammenhängen etwas zu halten ist, — bitte, hier ist ein Beispiel, es zu praktizieren!
Das Wort ha' die Abgeordnete Frau Dr. Diemer-Nicolaus.
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3178 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 67. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Oktober 1966
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bei dieser Gesetzesvorlage, die heute hier in erster Beratung zur Diskussion gestellt ist, handelt es sich um ein ausgesprochen politisches Gesetz. Es geht bei diesem Gesetz darum, die Grundrechte, die wir haben — nämlich die Freiheit von jeglicher Zensur, die Pressefreiheit, die Informationsfreiheit —, die uns ganz selbstverständlich sind, gerade auch für eine gegenüber dem Bundestag und seinem Tun sehr kritische Presse dahin gehend zu nutzen, daß sie eingebettet in unsere gesamtdeutsche Politik daran mitwirken, daß auch die Bürger und Bürgerinnen im anderen Teil Deutschlands merken, was eine freiheitliche Presse bedeutet. Für uns ist das ganz selbstverständlich. Aber in allen autoritären Staaten gibt es keine Pressefreiheit, gibt es keine Informationsfreiheit. Die Zensur herrscht dort. Da gibt es nur eine regierungsfromme Presse. Wie wirkt es gerade auf die Zonenbevölkerung, wenn sie sieht, in welcher Weise wir in unserem demokratischen Staat gegebenenfalls kritisiert werden, wie hier der Hauch der Freiheit überall zu spüren ist! Man sollte dieses politische Moment in gar keine Weise unterschätzen, wenn es darum geht, die Wege zu finden, die gefunden werden müssen, um einen derartigen Zeitungsaustausch zu ermöglichen — Zeitungsaustausch ist vielleicht nicht ganz das richtige Wort —, um die Möglichkeit, Zeitungen vom Westen nach dem Osten zu bringen, in einem anderen Umfang zu gewährleisten, als das heute der Fall ist.
Dieses Gesetz ist als ein Zeitungsaustauschgesetz bezeichnet worden. Herr Kollege Heinemann hat mit Recht darauf hingewiesen, daß mit der Gegenseitigkeit als Bedingung eine Grundfrage angeschnitten ist und daß wahrscheinlich sehr erhebliche Diskussionen darüber entstehen werden, Herr Bundesminister, ob die Gegenseitigkeit tatsächlich zur Bedingung für die Handhabung des Gesetzes gemacht werden soll. Wir Freien Demokraten sind der Auffassung, man soll nicht unnötig Bedingungen setzen, man soll sich nicht vorzeitig die Hände binden. Bei der Beurteilung der Frage, ob die Gegenseitigkeit verlangt oder nicht verlangt werden soll, muß das Kriterium sein, ob das im Rahmen unserer gesamtdeutschen Politik richtig ist oder nicht richtig ist, nützlich ist oder nicht nützlich ist.
Wir sind .der Meinung, daß wir, gerade weil wir hier die freiheitliche Demokratie haben, gegenüber den Kommunisten der SED in der Zone durchaus großzügig sein können. Ich stimme dem Herrn Bundesjustizminister wie auch dem Herrn Kollegen Heinemann in vollem Umfange zu: wir brauchen wahrhaftig keine ernstliche Gefährdung unserer freiheitlichen demokratischen Grundordnung zu befürchten, wenn die Druckerzeugnisse — ein nicht sehr populärer Ausdruck für Zeitungen, aber er umfaßt ja mehr als nur Zeitungen, er umfaßt auch andere Schriften — mit ihrer kommunistischen Propaganda hierher kommen. Die Kommunistische Partei ist — erinnern wir uns doch! —, bevor sie verboten war, demokratisch aus den Parlamenten her-ausgewählt worden. 'Das hat gezeigt, daß unser
Volk tatsächlich gegen den Kommunismus immun ist. Ich glaube, es ist jetzt noch stärker immun, als es seinerzeit war. Unsere freiheitliche demokratische Grundordnung hat sich entschieden gefestigt.
Wir sind allerdings weiterhin der Meinung, daß man 'dieses Gesetz nicht nur für sich allein sehen darf. Wenn mit diesem Gesetz jetzt ein Weg gefunden wird, unter Ausschaltung von bestimmten Straftatbeständen für Zeitungen einen Austausch zu ermöglichen, so muß man aber doch weiter gehen. Man muß doch auch sehen, wie wichtig es ist, auch die materiellen Straftatbestände, die heute hindern, einzuschränken. Das ist das Problem der Reform des materiellen Staatsschutzrechts, mit der wir uns zur Zeit in dem Sonderausschuß für die Strafrechtsreform befassen. Ich bin der Meinung, daß es wichtig ist, die notwendigen Einschränkungen vorzunehmen. Gerade der § 93 — Einfuhr von landesverräterischen Schriften — aber auch § 100 d, insbesondere Abs. 3, und § 100 e — die sich damit befassen, wann schon eine landesverräterische Beziehung zu Organisationen in der Zone vorliegt — haben u. a. doch dazu geführt, daß auch in der Begründung der Regierungsvorlage zur Reform des Staatsschutzrechts eine Einschränkung der Straftatbestände als dringend geboten bezeichnet wird. Es hat keine erste Lesung dieser Regierungsvorlage stattgefunden. Deshalb darf ich hier sagen: Mit den Zielen bin ich durchaus einverstanden; aber dieser Regierungsentwurf muß noch ganz erheblich durchforstet und eingeschränkt werden, damit das Ziel erreicht wird, daß tatsächlich nur das kriminell strafbar gemacht wird, was zur Sicherung unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung unbedingt strafbar gemacht werden muß.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte schön!
Gestatten Sie mir die Frage, wie Sie solche Gedankengänge motivieren angesichts einer immer härteren, immer aggressiveren Haltung des Regimes auf der anderen Seite? Ist das nicht etwas inkommensurabel und eigenartig? Bitte Ihre Erklärung!
Herr Kollege, ich bin der Auffassung, daß ich eine derartige Haltung nicht dadurch bessere, daß ich auf der anderen Seite die gleichen Prinzipien anwende, sondern nur dadurch, daß ich gerade die umgekehrten Prinzipien anwende, um mich damit von diesem autoritären Regime abzusetzen.
— Bitte sehr!
Glauben Sie, daß man einen harten Gegner dadurch milder stimmt, daß man gewissermaßen Großzügigkeit zeigt?
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 67. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Oktober 1966 3179
Herr Kollege Merkatz, ich glaube, das ist eine Frage, die man so generell überhaupt nicht beantworten kann. Ich habe ja vorhin gesagt, die Gegenseitigkeit soll keine Bedingung sein, sondern es wird jeweils zu fragen sein, ob sie in einer bestimmten politischen Situation angebracht ist oder nicht.
Da komme ich jetzt allerdings noch zu einer weiteren Frage. Ich darf das gerade im Zusammenhang mit Ihrer Frage noch einfügen. Wir Freien Demokraten sind auch insofern mit der Fassung des § 1 nicht ganz einverstanden, Herr Bundesjustizminister, als wir nicht nur meinen, daß der Abs. 2 zu starke politische Bindungen enthält, sondern der Auffassung sind, daß auch noch folgendes gewährleistet sein muß: Wenn es sich, wie ich am Anfang sagte, um ein ausgesprochen politisches Gesetz handelt, dann kann die politische Verantwortung für die Rechtsverordnungen, zu deren Erlaß in § 1 Abs. 1 die Ermächtigung gegeben wird, nicht von der Bundesregierung allein getragen werden, sondern dann muß sie von der Bundesregierung gemeinsam mit dem Parlament und seinem Gesamtdeutschen Ausschuß ,getragen werden. Diese Mitberatung halten wir für unbedingt erforderlich. Ich glaube, daß es auch der Bundesregierung dient, wenn sie entsprechende Rückenstärkung durch das Parlament und seinen Gesamtdeutschen Ausschuß hat. Deswegen werden wir uns dafür einsetzen, daß der Abs. 2 in § 1 gestrichen wird, daß aber diese parlamentarische Mitwirkung absolut gesichert wird.
Dann noch zu einem weiteren Punkt! Ich habe gesagt, man muß dieses Gesetz auch im Gesamtzusammenhang sehen, und Sie selbst, Herr Bundesjustizminister, haben auf den § 93 StGB hingewiesen. Ich weiß aus der Begründung zu der Strafrechtsnovelle, daß Sie die Meinung vertreten, § 93 müsse bleiben. Aber § 93 ist die materielle Grundlage für die unbefriegende Handhabung des Verbringungsgesetzes. Es muß doch sehr eingehend diskutiert werden, ob wirklich wegen der NS-Schriften der § 93 aufrechterhalten bleiben muß. Ich darf darauf hinweisen, daß Sachverständige, die im Sonderausschuß gehört wurden, § 93 für überflüssig gehalten haben.
Dann haben Sie sich auch, Herr Bundesjustizminister, dafür eingesetzt, daß das Verbringungsgesetz aufrechterhalten bleibt. Es ist etwa zwei Jahre her, da wurde in einer Panorama-Sendung, in „Spiegel"-Berichten, in der „Zeit" durch Richard Schmidt und auch sonst die Handhabung des Verbringungsgesetzes mit Recht beanstandet. Es wurde dargetan, daß heute Sendungen im objektiven Verfahren in großem Umfange eingezogen werden. Ich bin deshalb der Auffassung, daß dieses Verbringungsgesetz zum mindesten mit überprüft werden muß.
Ich darf noch das eine sagen: Ich halte es für eines Rechtsstaates einfach nicht würdig, wenn er aus zivilrechtlichen Erwägungen, weil nämlich bei der Aufgabe eines Briefes oder einer Zeitung der Vertrag von dem Absender mit der Post abgeschlossen wird, das Recht herleitet, den Empfänger von der Einziehung einer an ihn gerichteten Sendung nicht zu benachrichtigen. So, wie die Dinge im Augenblick gehandhabt werden, erfährt der Absender nichts davon, daß eingezogen wurde, — er sitzt
ja in der Zone — und der Empfänger, an den die
Sendung gehen sollte, erfährt auch nichts davon, wenn im objektiven Verfahren die Vernichtung erfolgt.
- Bitte, Herr Kollege!
Frau Kollegin, Sie sprachen vorhin davon, daß Sie Ihre Informationen „Panorama" entnommen haben.
Sind Sie der Meinung, daß „Panorama" ein Informationsmittel ist, dem man sich kritiklos anvertrauen kann?
Herr Kollege, ich entnehme meine Informationen nicht nur „Panorama". Ich stehe gerade derartigen Sendungen sehr kritisch gegenüber. Aber ich kenne auch die gesamte Rechtsprechung des Dritten Senats des Bundesgerichtshofes ausgezeichnet und weiß, wie ausdehnend diese Rechtsprechung bei diesen extensiven Tatbeständen im Augenblick noch ist.
Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage? — Herr Abgeordneter Könen.
Frau Kollegin, würden Sie mich als Informationsquelle bezeichnen, wenn ich Ihnen bestätige, daß mir genau das passiert ist, was Sie eben behauptet haben?
Selbstverständlich, Herr Kollege.Auch die Überprüfung des objektiven Verfahrens ist notwendig.Lassen Sie mich zum Schluß zusammenfassen, welche Forderungen wir Freien Demokraten stellen. Die wichtigste Forderung ist, daß der Bundestag und sein Gesamtdeutscher Ausschuß gemeinsam mit der Bundesregierung die politische Verantwortung für derartige Rechtsverordnungen und ihre Gestaltung tragen. Zweitens halten wir es für unbedingt notwendig, daß nicht nur dieses Zeitungsaustauschgesetz behandelt wird, sondern, daß vor allen Dingen— wie das auch im Sonderausschuß beabsichtigt ist— vordringlich eine Reform des materiellen Staatsschutzrechtes erfolgt, damit die Paragraphen, die in § 1 Abs. 1 aufgeführt sind — vom Herrn Kollegen Heinemann wurde die Aufzählung als unvollständig bezeichnet —, einen anderen Gehalt bekommen, als sie ihn zur Zeit haben. Drittens halten wir eine Überprüfung des Verbringungsgesetzes für notwendig. Viertens sollte eine Überprüfung des objektiven Verfahrens erfolgen. Fünftens sollte — wie in der Strafrechtsnovelle vorgesehen —, alsbald auch die
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3180 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 67. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Oktober 1966
Frau Dr. Diemer-NicolausLockerung des Verfolgungszwangs beraten werden, denn § 1 Abs. 1 dieses Gesetzes ist nichts weiter als eine ganz weitgehende Lockerung des Verfolgungszwanges.Ich hoffe, daß wir im Rahmen unserer gesamtdeutschen Politik dieses Gesetz dafür einsetzen, daß auch die Deutschen im anderen Teil Deutschlands spüren, was eine freiheitliche Demokratie ist, was Presse- und Informationsfreiheit für jeden einzelnen bedeuten.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete von Eckardt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es bestünde die Möglichkeit, in Zusammenhang mit der Beratung des Gesetzes über den Zeitungsaustausch eine gesamtdeutsche Debatte zu veranstalten. Ich glaube, wir sind uns von links bis rechts hier im Hause darüber einig, daß wir diese Debatte eines Tages — wahrscheinlich in naher Zukunft — führen und daß wir die Fragen dann mit großer Ausführlichkeit behandeln müssen. Dieses Gesetz — da es sich um Zeitungen handelt, darf ich einen journalistischen Ausdruck benutzen — ist dafür wohl nicht der richtige Aufhänger.
— Herr Kollege Wehner, mich hängen Sie nicht auf; bestimmt nicht.
— Na gut; in Ordnung. — Diese Debatte wird kommen.
In diesem Zusammenhang ist es notwendig, ein paar Bemerkungen zu dem zu machen, was in der bisherigen Aussprache von Herrn Kollegen Dr. Heinemann und von der Frau Kollegin Dr. DiemerNicolaus gesagt worden ist.
Die Fraktion der CDU/CSU unterstützt den Gesetzentwurf, so wie ihn der Herr Bundesminister der Justiz heute vorgelegt hat. Die Debatte wird ohne Zweifel damit enden, daß der Gesetzentwurf an die zuständigen Ausschüsse — ich denke im politischen Bereich besonders an den Gesamtdeutschen Ausschuß — überwiesen wird und dadurch Gelegenheit besteht, noch über viele Einzelheiten zu sprechen.
Es wurde gesagt ich glaube, vom Herrn Kollegen Heinemann —, daß die Ausführungen des Bundesjustizministers schillernd und vage gewesen seien. Ich finde das in diesem Fall außerordentlich begrüßenswert. Denn er hat genau das nicht getan, was man ihm oder seinem Gesetzentwurf vorwirft. Er hat nämlich keine Starrheit an den Tag gelegt, sondern das, was von uns unablässig verlangt wird, Flexibilität. Flexibilität ist es, wenn der Bundesjustizminister sagt, daß für einen Austausch — und ein Austausch ist, wenn dieses Wort überhaupt noch einen Sinn haben soll, ja wohl ein Hin und Her auf beiden Seiten — begründete Aussichten bestehen. Es gibt einen ganz weiten Spielraum von Möglichkeiten, mit diesem Instrument eines Tages richtig zu arbeiten.
Aber, Herr Kollege Heinemann, ich muß einem Ausspruch, den iSe hier getan haben, mit allem Nachdruck widersprechen. Sie haben gesagt: Wir schließen uns ab. Meine Damen und Herren, das kann man doch einfach nicht behaupten. Man kann doch nicht sagen: Wir schließen uns ab. Denn gleichzeitig steht doch die Mauer in Berlin.
Wir haben uns auch nicht abgeschlossen, wir haben uns bisher nicht abgeschlossen. Wir haben den Zeitungsaustausch versucht. Der Herr Justizminister hat schon einiges darüber gesagt. Aber das Merkwürdige ist, daß sich die Dinge jetzt völlig verschoben haben.
Es wurde immer von einem Austausch gesprochen. Der Deutsche Presserat hat wörtlich gesagt, die Bundesregierung möge „beschleunigt alle Schritte unternehmen, um westdeutsche Zeitungen und Zeitschriften in die Zone bringen zu können". Das, meine Damen und Herren, sollte einmal der Zweck des Zeitungsaustausches sein, wobei wir jederzeit bereit waren, dann als Gegenleistung hereinzulassen, was die Herren da drüben uns zu schicken gedenken.
Das ist plötzlich ganz verschwunden. Jetzt wird es so dargestellt, als ob wir verpflichtet seien, eine Vorleistung zu erbringen, indem wir einseitig, ohne Gegenseitigkeit die Zeitungen aus der Zone hier hereinlassen. Meine Damen und Herren, lassen Sie mich sagen: ich habe, was das praktisch anlangt, keinerlei Angst davor, daß die kommen. Ich kenne die Zahlen dessen, was hereinkommt. Das ist gering. Aber viel interessanter ist folgendes. Sie haben vorhin das Beispiel Hamburg erwähnt. In Hamburg wird die „Einbahnstraße" ja praktiziert. Sie werden staunen, wenn Sie hören, welches Resultat das gehabt hat. Die „Einbahnstraße" von Ost nach Hamburg hat den Erfolg gehabt, daß eine Abonnementsbestellung von 15 bis 20 Exemplaren eingegangen ist.
Nun, meine Damen und Herren, wir sollen also Vorleistungen erbringen. Wir sollen auf Austausch verzichten. Da darf ich mich an Sie wenden, meine Herren Kollegen von der Sozialdemokratischen Partei.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Herr Abgeordneter?
Bitte sehr, ja!
Herr Kollege, Sie haben das Hamburger Beispiel zur Begründung der Forderung nach Gegenseitigkeit gebracht. Sind Sie nicht mit mir der Meinung, daß das Erfordernis von Unbedenklichkeitsbescheinigungen, wie in Hamburg vorgesehen, doch manchem als unwürdig vorgekommen sein mag und er deshalb darauf verzichtet hat, ein solches Abonnement zu bestellen?
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Das halte ich für denkbar, Herr Kollege Genscher. Ob die Unbedenklichkeitserklärung ein Tabu dieses Gesetzes ist, das möchte ich noch dahingestellt sein lassen. Es ist für mich persönlich — ich spreche jetzt nur für meine Person — von keiner so besonderen Bedeutung. Vielleicht wird sich die Zahl verdoppeln, wenn man nicht verlangt, daß jemand hingeht und sich eine solche Bescheinigung abholt, die er übrigens ohne weiteres bekommt. Nach dem, was ich gehört habe, werden deswegen keine großen Ermittlungen angestellt. Es ist nur eine kleine Mühsal, die ihm auferlegt wird.
Meine Damen und Herren, ich komme noch einmal auf das Wort „Austausch" zurück und wende mich jetzt, wie ich eben begonnen hatte, mit einem Satz an unsere Kollegen von der Sozialdemokratischen Partei. Ist es denn nicht richtig, daß auch Sie in der Frage des Redneraustausches einen Austausch verlangt haben?
Sie haben doch nicht verlangt oder gefordert oder auch nur zugebilligt, daß ohne Gegenseitigkeit die Herren aus der Zone oder aus Ostberlin hierherkommen. Das ist doch in keinem Moment von Ihnen verlangt worden.
Jetzt wird es plötzlich bei den Zeitungen verlangt.
Meine Damen und Herren, Großzügigkeit ist natürlich eine begrüßenswerte Eigenschaft in beinahe allen Bezirken des menschlichen Lebens, und ich habe besonderes Verständnis für Großzügigkeit. Aber es geht hier gar nicht um Großzügigkeit, sondern es geht hier in einem verhältnismäßig kleinen Rahmen um die Frage von Vorleistungen.
Sie wollen eine Zwischenfrage stellen, Herr Abgeordneter Lemmer? — Bitte sehr!
Herr Kollege von Eckardt, Sie sprachen von der Großzügigkeit; ein sehr schönes Wort. Darf ich Sie fragen, ob Sie mit mir der Meinung sind — wenn man die Forderungen zur Abänderung des Gesetzes, die wir heute hier gehört haben, stellt —, daß man dann auch den rechtsradikalen Organen die gleiche Großzügigkeit gewähren muß? Denn in der Massivität der Zersetzung unserer freiheitlichen Demokratie sind sie nicht zu übertreffen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Genscher?
Herr Kollege von Eckardt, finden Sie nicht, daß Sie mit dem gesetzlichen Erfordernis der Gegenseitigkeit in der Praxis Ulbricht die Entscheidung darüber übertragen, welche Zeitungen wir hier lesen können und welche nicht?
Nein, das möchte ich in diesem Falle nicht sagen; denn das Gesetz ist, wie Sie ja wissen, ein Ermächtigungsgesetz für die Bundesregierung. Es gibt ihr die Möglichkeit — Sie können das im Gesetz lesen —, zu jedem Zeitpunkt unter der Bedingung, daß es begründete Aussichten für einen Austausch von beiden Seiten geben könnte, die Zeitungen hereinzulassen, die sie will. Das ist doch völlig offen.
Eine weitere Zwischenfrage.
Finden Sie nicht, daß Sie mit dieser Auslegung das gesetzliche Erfordernis der Gegenseitigkeit, so wie der Entwurf es vorsieht, relativieren? Dann könnten Sie im § 1 auf Abs. 2 verzichten.
Meine Damen und Herren, ich glaube, wenn wir uns bei der ersten Lesung in Rechtsfragen erschöpfen, werden wir nicht sehr viel weiterkommen. Ich glaube, daß wir diese Debatte in den Ausschüssen weiterführen sollten.
Herr Abgeordneter, das war keine Rechtsfrage, das war eine Zwischenfrage. — Nun Herr Abgeordneter Sänger!
Von Herrn Abgeordneten Sänger erwarte ich auch weniger eine Rechtsfrage.
Herr Kollege von Eckardt — in doppeltem Sinne Herr Kollege —, darf ich Sie fragen: Meinen Sie, daß es eine Vorleistung oder ein übermäßiges Entgegenkommen sei, wenn wir uns bemühen, in direkter Verbindung aus dem anderen Teil Deutschlands uns in breiter Front Informationen zu verschaffen?
Nein, das sind ja keine Informationen, Herr Kollege Sänger. Ich weiß nicht, ob wir uns darin einig sind, auch im doppelten Sinne als Kollegen. Die überwiegende Masse der Druckerzeugnisse von drüben sind keine Informationen.
Eine weitere Zwischenfrage.
Herr Kollege von Eckardt, fürchten Sie denn — wenn das keine Informationen sind, die herüberkommen, sondern Meinungen daß
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Sängerdiese Meinungen von den unsrigen nicht überwunden werden können?
Davon ist ja nicht die Rede, Herr Kollege Sänger. Da gibt es von rechts bis links in diesem Hause gar keine Meinungsverschiedenheiten. Es hat ja noch nie jemand — wenigstens nicht in überschaubarer Zeit — in diesem Hause behauptet, daß diese Zeitungen und Zeitschriften, die herüberkommen, eine wirkliche Gefahr darstellen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Borm aus Berlin?
Herr Kollege von Eckardt, würden Sie, wenn Sie so großen Wert auf die Gegenseitigkeit legen, diese Gegenseitigkeit auch dann in Anspruch nehmen wollen, wenn wir davon ausgehen, daß Reisen von uns in die Zone erwünscht sind, obgleich wir wissen, daß die Bewohner der SBZ nicht hierherkommen können? Halten Sie es dann nicht für konsequent, auch Reisen von uns in die Zone abzulehnen?
Herr Kollege Borm, ich glaube, wir sollten über dieses Thema politisch diskutieren.
Es ist eine Frage der politischen Zweckmäßigkeit, was wir auf diesem Gebiete tun. Wenn wir unsere Menschen hinübergehen lassen, so ist das politisch zweckmäßig. Und wenn wir versuchen, durch ein Gesetz, das hier nach den entsprechenden Beratungen verabschiedet werden soll, einen Austausch hervorzurufen, dann ist das eine politische Zweckmäßigkeit. Wenn wir diesen Austausch nicht zustande bringen, dann ist es politisch unzweckmäßig. Das ist meine Auffassung.
Man kann doch nicht liberaler sein, als es der Minister der Justiz ist mit der Formulierung: „wenn begründete Aussichten bestehen".
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Müller ?
Es wird aber noch dauern, wenn das so weitergeht. — Gerne!
Herr Kollege von Eckardt, stimmen Sie mit mir darin überein, daß sich in der SPD manchmal sehr kurzfristig Wandlungen im Denken vollziehen oder auch sehr große Meinungsunterschiede bei den Mitgliedern der SPD-Fraktion bestehen? Ich erinnere daran, daß Herr Kollege Mattick vor wenigen Tagen hier geglaubt hat, es stehe einem Mitglied dieses Hohen Hauses sehr schlecht an, wenn es seine Informationen aus dem „Neuen Deutschland" beziehe.
Ich habe dieser Frage nichts als meine Zustimmung hinzuzufügen.
Meine Damen und Herren, ich glaube, wir sollten doch zum Ende dieser Debatte kommen. Ich bin auch sehr für humorige Zwischenrufe, aber es handelt sich hier um ein ernsthaftes Problem. Wir werden diese Frage im Gesamtdeutschen Ausschuß und den anderen zuständigen Ausschüssen gründlich beraten.
Herr Kollege von Eckardt, Sie werden gewiß einer Dame eine Zwischenfrage nicht abschlagen?
Unter gar keinen Umständen.
Herr Kollege von Eckardt, darf ich Sie daran erinnern, daß Rundfunk und Fernsehen über die Mauer hinweggehen, und zwar sowohl hinüber wie herüber, und ,daß man da die Gegenseitigkeit auch nicht zur Bedingung machen kann?
— Ich habe gesagt: „Darf ich Sie daran erinnern" ; das war eine Frage.
Frau Diemer-Nicolaus, keine Polemik! Sie haben eine Frage zu stellen.
Ich habe gefragt: „Darf ich Sie daran erinnern?"
— Darf ich die Herren Kollegen darauf aufmerksam machen, daß in der Deutschstunde hinter meine Ausführungen unbedingt ein Fragezeichen käme; damit wäre ,das eine Frage.
Aber jetzt Scherz beiseite! Noch einmal meine Frage: Herr Kollege von Eckardt, darf ich Sie daran erinnern, daß dadurch, daß Rundfunk und Fernsehen über die Mauer hinweggehen, sowohl hinüber wie herüber, auch hier die Gegenseitigkeit des Austauschs -nicht zur Bedingung gemacht werden kann? Glauben Sie nicht — Sie werden meine Auffassung nicht teilen —, daß man, wenn man es bei diesen Massenmedien nicht zur Bedingung machen kann, es auch bei den Zeitungen nicht machen kann?
Erstens darf ich vorausschicken, Frau Kollegin, daß Sie mich selbstverständlich an alles erinnern dürfen, was Sie für richtig halten. Daß man einen Pressechef, der dieses Amt zehn Jahre lang ausgeübt hat, an die Funktion des Rundfunks und Fernsehens glaubt erinnern zu müssen, halte ich allerdings nicht für absolut notwendig.
Ich lasse keine Zwischenfragen mehr zu.
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Meine Damen und Herren, ich möchte aber doch auf diese Frage antworten. Die Technik ergibt in diesem Falle die Gegenseitigkeit.
Sollte es technisch möglich sein — ich will mich darauf gar nicht einlassen —, daß die Zone durch einen Störvorhang oder was auch immer — ich bin kein Techniker — die gesamte Übertragung von Rundfunk- und Fernsehsendungen aus der Bundesrepublik oder Westberlin in die Zone komplett absperrt, müßten wir meiner Ansicht nach darüber beraten, was wir dann zu tun haben. Denn es ist keineswegs sicher, daß man sich dann entschließt, alles offenzulassen und nichts dagegen zu tun.
Meine Damen und Herren, ich möchte Sie nun wirklich nicht länger aufhalten; aber ich habe Sie ja nicht aufgehalten, sondern die Zwischenfragen haben — ich möchte nicht so unhöflich sein, zu sagen: mich aufgehalten — Sie alle aufgehalten. Ich möchte Ihnen empfehlen, daß wir die aufgeworfenen Fragen — es sind ja im Grunde genommen, soweit es das Politische anbelangt, nur wenige — in aller Ruhe und in aller Sachlichkeit im Ausschuß beraten. Ihnen, meine Herren von der Opposition, möchte ich — das ist meine persönliche Ansicht — folgendes sagen. Der Herr Bundesminister der Justiz hat erklärt, es müßten begründete Aussichten bestehen. Ich meine, daß es auch auf dem Gebiet der Vorleistungen, mit denen wir bisher keine sehr guten Erfahrungen gemacht haben,
dennoch Situationen geben kann, in denen ich mich bereit finden würde, mit Ihnen zu stehen und zu sagen: Wir werden es versuchen. Eine solche politische Situation ist natürlich denkbar. Ich sage niemals: ,;niemals". Sie kann eintreten, und in einem solchen Fall werden wir uns verständigen. Ich glaube aber, daß das Prinzip der Gegenseitigkeit, das Prinzip des Austauschs, das Sie auch in Ihrer Politik aufgestellt haben, erhalten bleiben müßte.
Keine Wortmeldungen mehr.
Der Ältestenrat schlägt Ihnen Überweisung an den Ausschuß für gesamtdeutsche und Berliner Fragen als federführenden Ausschuß, an den Rechtsausschuß und den Innenausschuß als mitberatende Ausschüsse vor. Ist das Haus damit einverstanden? — Es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 5 a) und 5 b) der Tagesordnung auf:
a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Behrendt, Folger, Junghans, Lange, Liehr und der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anpassung des Arbeitsmarktes an die Entwicklung von Wirtschaft und Technik — Drucksache V/887 —
b) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, FDP eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Regelung der Berufsausbildung
— Drucksache V/1009 —
Meine Damen und Herren, ich schlage Ihnen vor, daß die beiden Entwürfe a) und b) hintereinander begründet werden und wir die Diskussion zusammen durchführen. Ist das Haus einverstanden? — Es ist so beschlossen.
Das Wort zur Begründung von Punkt 5 a) hat der Abgeordnete Behrendt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion legt dem Hohen Hause mit Drucksache V/887 den Gesetzentwurf zur Anpassung des Arbeitsmarktes an die Entwicklung von Wirtschaft und Technik vor. Die Initiative zur Einbringung dieses Gesetzentwurfs wurde allein deshalb entwickelt, weil die Bundesregierung, die von allen Seiten ständig aufgefordert wurde, einen geeigneten Gesetzentwurf vorzulegen, dazu nicht fähig war.
Am 11. April 1962 ersuchte meine Fraktion die Bundesregierung in einem Antrag, dem Deutschen Bundestag bis zum 1. Oktober 1962 den Entwurf eines Gesetzes über Berufsausbildung vorzulegen. Diesem Antrag entsprach das Hohe Haus durch einen einstimmigen Beschluß am 27. Juni 1962 mit der Maßgabe, daß die Bundesregierung bis zum1. Februar 1963 den Entwurf eines Gesetzes über die Berufsausbildung vorlegen solle.Kurze Zeit später überreichte die Kommission der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft der Bundesregierung „Allgemeine Grundsätze zur Durchführung einer gemeinsamen Politik der Berufsausbildung". Der Ministerrat der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft beschloß diese Grundsätze am2. April 1963. Sie wurden im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften vom 20. April 1963 verkündet.Für die Bundesregierung bestand damit alle Veranlassung, auf diesem Gebiet tätig zu werden. Nachdem dennoch nichts geschah, brachte meine Fraktion am 10. Dezember 1963 eine Große Anfrage ein, um zu erfahren, wann die Bundesregierung endlich dem einstimmig gefaßten Beschluß des Deutschen Bundestages entsprechen werde.In der Aussprache über diese Große Anfrage meiner Fraktion begnügte sich die Bundesregierung aber lediglich mit dem Versprechen, einen ausgereiften Gesetzentwurf vorzulegen. Das sollte damals noch im Laufe der 4. Legislaturperiode geschehen. Leider blieb auch diese Erklärung der Bundesregierung nur ein Versprechen, und dieses Versprechen konnte dann der Bundeskanzler Erhard in seiner Regierungserklärung vom 10. November 1965 noch einmal erneuern.Allgemein ist festzustellen: über die Notwendigkeit einer Neuregelung des Berufsausbildungsrechts besteht in Deutschland Einmütigkeit. Schon 1919 begann eine Kommission einen derartigen Entwurf aus-
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Behrendtzuarbeiten. Leider blieb es bis zum heutigen Tage bei der Diskussion. Weder dem Reichstag noch dem Bundestag gelang es bisher, sich auf eine entsprechende Regelung zu einigen.Hervorzuheben ist, daß es bisher nur in einem Land der Bundesrepublik, nämlich in Berlin im Jahre 1951, gelang, ein Gesetz zur Regelung der Berufsausbildung zu verabschieden.Wir halten jedoch die Materie für zu wichtig, als daß sie weiterhin partielles Recht in der Bundesrepublik sein könnte. Aus diesen Gründen beschloß die sozialdemokratische Bundestagsfraktion, nachdem wir die Vertröstung seitens der Bundesregierung miterleben mußten, einen eigenen Gesetzentwurf zu erstellen.Heute legen nun die Koalitionsfraktionen einen Gesetzentwurf vor, der allerdings nur die reine Berufsausbildung regeln soll. Wir müssen feststellen: durch die Vorlage eines sozialdemokratischen Gesetzentwurfs zur Anpassung des Arbeitsmarktes an die Entwicklung von Wirtschaft und Technik wurde die Bundesregierung über die Koalitionsfraktionen gezwungen, ebenfalls einen Gesetzentwurf vorzulegen.
Damit stehen durch die sozialdemokratische Initiative die Komplexe der Berufsausbildung und der damit zusammenhängenden Bereiche endlich und endgültig auf der Tagesordnung des Deutschen Bundestages.Aus dieser Feststellung ergibt sich aber eine besondere Frage an den Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung.
— Er kann nicht hier sein; er hat sich entschuldigt. Ich möchte ausdrücklich feststellen, daß uns das mitgeteilt worden ist.Minister Katzer erklärte am 1. Oktober 1966 in Nürnberg vor der christlich-sozialen Arbeitnehmerschaft u. a., daß in seinem Hause zwei Gesetze in Vorbereitung seien, und zwar eine große Novelle zum AVAG und ein Berufsausbildungsgesetz. Man darf doch sicherlich von der Auffassung ausgehen, daß die Bundesregierung für den Bereich der reinen Berufsausbildung jetzt keinen Gesetzentwurf mehr vorlegen wird. Oder täuschen wir uns? Die Regierungsparteien haben in ihrem Gesetzentwurf die Frage der Zuständigkeit des Ressortministers eindeutig entschieden. Wie will der Minister Katzer seine in Nürnberg zum Ausdruck gebrachte Auffassung mit dem vorliegenden Entwurf in Einklang bringen, wonach der Wirtschaftsminister und nicht der Arbeitsminister der zuständige Ressortminister ist? Denn wenn der Arbeitsminister einen Gesetzentwurf aus seinem Ministerium ankündigt, dann muß man doch wohl unterstellen, daß der Gesetzentwurf kein anderes als das Arbeitsministerium als zuständiges Ministerium vorsieht.Nun zu unserem Entwurf. Bei dem von uns vorgelegten Gesetzentwurf bestimmten für uns die Fakten des Arbeitsmarktes den Ausgang, den Aufbau und die Richtung des Gesetzentwurfs. Das geltendeBerufsausbildungsrecht — das ist unbestrittene Meinung — wird den Anforderungen unseres heutigen und noch viel mehr des zukünftigen Arbeitsmarktes nicht mehr gerecht. Das geltende Berufsausbildungsrecht ist auf zu viele Bereiche der Rechtsordnung verteilt und daher völlig unüberschaubar. Die geltenden Gesetze sind aber auch von dem immer rascher fortschreitenden Wandel in den beruflichen Anforderungen und in den Arbeitsbedingungen überholt. Die Beschleunigung der Rationalisierung mit den zum Teil grundlegenden Wandlungen der technologischen und organisatorischen Bedingungen in Fertigung und Verwaltung sowie die soziologische Entwicklung beeinflussen das Berufsleben immer mehr. Diese Entwicklung von Wirtschaft und Technik verändert die Arbeitsgegebenheiten, begründet neue Berufe und macht alte Berufsbilder überflüssig und entbehrlich.Nun kann man nicht sagen, daß die jetzigen Träger der Berufsausbildung nicht dazu beigetragen haben oder nicht dazu beitragen wollen, diesen Zustand zu beseitigen. Ich möchte das ausdrücklich betonen. Vielmehr wetteifern seit 1945 die Tarifvertragsparteien des Wirtschaftslebens jeweils in den eigenen Institutionen und Kursen miteinander, die Berufsausbildung effektiver und moderner zu gestalten. Die dazu von der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, dem Bundesverband der Deutschen Industrie und dem Deutschen Industrie- und Handelstag begründeten Institutionen wie z. B. der Gemeinschaftsausschuß „Arbeitskreis für Berufsausbildung" oder die „Arbeitsstelle für betriebliche Berufsausbildung" haben auf diesem Gebiet wertvolle Arbeit geleistet. Diese durchaus wertvollen Bemühungen, die wir anerkennen, sind jedoch leider nicht ausreichend.In diesem Urteil sind wir uns nicht nur mit dem Bundesarbeitsminister Katzer einig, der diese Notwendigkeit in mehreren Reden bekundete, sondern wir haben bei der Novellierung der Handwerksordnung in diesem Hohen Hause einstimmig folgenden Beschluß gefaßt, den ich mit Genehmigung des Herrn Präsidenten verlesen möchte:Mit den in der beschlossenen Novelle zur Handwerksordnung enthaltenen Änderungen hat der Bundestag nicht beabsichtigt, einer umfassenden gesetzlichen Regelung der Berufsausbildung vorzugreifen. Er sieht in den genannten Änderungen einen Schritt auf dem Weg zu einer solchen gesetzlichen Regelung.1. Die umfassende gesetzliche Regelung der Berufsausbildung muß alle Bereiche der Wirtschaft umfassen, um so der gesamten Volkswirtschaft die Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit zu gewährleisten.2. In einer solchen umfassenden Regelung ist den Bedürfnissen des Auszubildenden insoweit Rechnung zu tragen, als er gegenüber den aus der technisch-wirtschaftlichen Entwicklung sich ergebenden strukturellen Veränderungen anpassungsfähiger gemacht wird.
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Behrendt3. Die gesetzliche Regelung der Berufsausbildung sollte den technisch-wirtschaftlichen Notwendigkeiten und ihrer erkennbaren Entwicklung entsprechen.So weit unsere damalige Entschließung.Wie unser Gesetzentwurf den von diesem Hohen Hause einstimmig beschlossenen Vorstellungen der künftigen Arbeitsmarkterfordernisse gerecht wird, möchte ich mit vier Gesichtspunkten verdeutlichen.1. Durch eine Arbeitsmarkt- und Berufsforschung soll die ständige Anpassung des Arbeitsmarktes an die Entwicklung von Wirtschaft und Technik gefördert werden.2. Die Berufsausbildung soll der Entwicklung von Wirtschaft und Technik angepaßt werden.3. Die berufliche Qualifizierung der Arbeitnehmer soll durch die Teilnahme an beruflichen Bildungsveranstaltungen gefördert werden.4. Arbeitslosigkeit oder unterwertige Beschäftigung, die durch Strukturveränderungen oder Rationalisierungsmaßnahmen oder durch Betriebsveränderungen aus anderem Anlaß eintreten kann, soll verhütet werden.Diese vier Zielsetzungen sind die Kernpunkte unseres Gesetzentwurfs.In seinem ersten Teil befaßt sich der Entwurf mit der Arbeitsmarkt- und Berufsforschung. Die Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung soll zur Durchführung der Arbeitsmarkt-und Berufsforschung in Berlin ein Institut errichten. Dieses Institut soll die Entwicklung von Wirtschaft und Technik beobachten und ihre Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt mit Hilfe der Arbeitsmarkt- und Berufsforschung ermitteln. Unser Entwurf will diese Aufgabe durch einen kompletten Auftrag an die Bundesanstalt fördern, ohne ihr jedoch einen Ausschließlichkeitsanspruch einzuräumen. Die Errichtung eines Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung ist die logische Folge dieses der Bundesanstalt erteilten Auftrags. Es wäre jedoch nicht sinnvoll, nur den Kreis schon vorhandener Institute um ein neues zu vergrößern. Die Forschung sollte vielmehr in Verbindung mit anderen Instituten betrieben werden, wobei dem Institut der Bundesanstalt im wesentlichen die Aufgabe zufallen würde, Programme aufzustellen, Forschungsmethoden zu entwickeln und die Ergebnisse zu koordinieren.Unser Entwurf sieht ferner die Möglichkeit vor, daß die Bundesregierung der Bundesanstalt auch Aufgaben der Berufsausbildungsforschung übertragen kann. Der Gedanke an ein besonderes Institut für Berufsbildung ist damit nicht aufgegeben, zumal eine solche Forschung bisher kaum betrieben worden ist. Wir halten es jedoch für richtiger, wegen möglicher Überschneidungen der Aufgabenstellung eines Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung und der eines Instituts für Berufsbildung zunächst Erfahrungen zu sammeln.Einigkeit scheint prinzipiell zu bestehen, daß ein Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung notwendig ist. Wir halten es jedoch nicht für ausreichend, daß die Bundesanstalt ein solches Institut errichtet — wie sie es vorhat —, ohne daß man die gesetzlichen Grundlagen dafür schafft. Es ist ja bekannt, daß die Bundesanstalt zur Zeit eine Einrichtung der Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung ist. Für die Ermittlungen der Auswirkungen der technischen und wirtschaftlichen Entwicklung — mit Hilfe der Forschung — fehlt die gesetzliche Legitimation, und die wollen wir herbeiführen.So begrüßenswert es ist, daß nun auch die Bundesanstalt selbst zu dieser Erkenntnis gekommen ist und ein solches Institut errichten will, so dringend notwendig ist es, das Institut davor zu bewahren, etwa eine neue Verwaltungsabteilung zu werden. Ein solches Institut hat nur dann einen Sinn, wenn es eine Stelle freier wissenschaftlicher Forschung wird. Es ist ganz entscheidend, ob z. B. die Auftragserteilung statisch oder dynamisch angelegt wird, ob der Leiter des Instituts ein Wissenschaftler oder ein Verwaltungsfachmann sein wird. Ich hoffe, wir stimmen in dieser Beurteilung überein.Diese Überlegungen sprechen auch dafür, das Institut nicht in Nürnberg, sondern in Berlin anzusiedeln. Die geographische Lage wird dem Institut gut bekommen, — nicht nur wegen der räumlichen Trennung von der Nürnberger Anstalt, sondern auch wegen des viel gerühmten Berliner Klimas, wegen der vielen Möglichkeiten, die Berlin als Stätte der Kultur, Wissenschaft und Forschung mit seinen vielfältigen Einrichtungen bietet, nicht zuletzt aber auch, weil es einen Beschluß dieses Hauses gibt, neu zu schaffende Einrichtungen des Bundes nach Berlin zu legen. Dies ist jedenfalls unser Wunsch. Wir würden es sehr begrüßen, wenn der Bundesminister für Arbeit in dieser Hinsicht auf die Bundesanstalt einwirkte.Im zweiten, dem größten Teil des Gesetzentwurfs wird mit Hilfe der Ergebnisse der Arbeitsmarkt-und Berufsforschung die Berufsausbildung der Entwicklung von Wirtschaft und Technik angepaßt. Dieser Teil des Entwurfs enthält Ordnungsvorschriften, Regeln für die Berufsausbildung, Vorschriften über das Prüfungswesen, Organisationsvorschriften, Vorschriften über gleichgestellte Berufsausbildung und Vorschriften über Ausschüsse für Berufsausbildung. Wir wollen, daß der zukünftige Arbeitnehmer schon heute so ausgebildet wird, daß er auf die Dauer durch eine umfassende Grundausbildung in vielen Bereichen der Wirtschaft tätig sein und sich auf der Grundlage seines erlernten Berufs schnellstens umstellen und den veränderten Gegebenheiten des Arbeitsmarkts anpassen kann.Die dritte große Aufgabe dieses Gesetzes stellt die Teilnahme der Arbeitnehmer an beruflichen Fortbildungsveranstaltungen dar. Dazu haben die Arbeitnehmer nach unserem Gesetzentwurf Anspruch auf Freistellung von der Arbeit für die erforderliche Zeit zu ganztägiger Teilnahme an anerkannten beruflichen Bildungsveranstaltungen bis zu zehn Tagen im Jahr.Den vierten Schwerpunkt dieses Gesetzentwurfs bildet die Verhütung von Arbeitslosigkeit oder
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3186 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 67. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Oktober 1966
Behrendtunterwertiger Beschäftigung. Als eine unterwertige Beschäftigung wird die Ausübung einer Tätigkeit, die dem Arbeitnehmer eine Ausschöpfung der bisher erworbenen beruflichen Fertigkeiten und Kenntnisse nicht mehr gestattet, angesehen. Arbeitslosigkeit und unterwertige Beschäftigung als Folge unternehmerischer Dispositionen können aber nur verhindert werden, wenn die Arbeitsämter rechtzeitig von solchen für die Arbeitnehmer zu erwartenden Nachteilen Kenntnis erhalten. Doch heute schon möchte ich erklären: Nach einigen Jahren muß die Erfahrung Erkenntnisse darüber bringen, ob die berufliche Anpassung allein ausreicht, die soziale Sicherung des Arbeitnehmers herbeizuführen, oder ob weitere Maßnahmen — hier denke ich an Kündigungsschutz, Lohn- oder Gehaltsgarantie, Vorverlegung der Altersgrenze für das Altersruhegeld und Ähnliches — erforderlich sind. Erste Regelungen hierfür gibt es erfreulicherweise bereits heute durch die Tarifvertragsparteien.Falsch ist es auch, in diesem Falle mit dem Angebot und der Nachfrage zu operieren. Das ist zumeist überhaupt nicht gedeckt, und vielfach ist eine Deckung wegen der fehlenden geistigen, beruflichen oder räumlichen Mobilität mancher Arbeitnehmer oder der konventionellen Haltung mancher Arbeitgeber nicht durchführbar.An einem leider sehr aktuellen Beispiel möchte ich die große Bedeutung dieser längst überfälligen Regelung demonstrieren. Wenn im Steinkohlenbergbau „nur" weitere 20 Millionen Tonnen Förderkapazität stillgelegt werden sollen — und das sollals erste Teilmaßnahme ja schnellstens durchgeführt werden —, wird das eine Freisetzung von 60- bis 75 000 Beschäftigten im Bergbau zur Folge haben, denen weitere 20- bis 25 000 Entlassungen aus anderen Industrien und der Zulieferindustrie folgen. Dann wird allein schon das Problem der sozialen Sicherung von 80- bis 100 000 Menschen im Ruhrgebiet zu lösen sein.Bei dieser Ausrichtung des Gesetzentwurfs wird das Berufsausbildungsrecht — das möchte ich ganz besonders hervorheben — in einen sozialpolitischen Rahmen gestellt. Wir wollen die soziale Sicherung des Arbeitnehmers durch berufliche Anpassung an die Gegebenheiten des Arbeitsmarkts herbeiführen. Es ist sicherlich höchst zweifelhaft, ob alle, die einem Berufsausbildungsgesetz das Wort reden, auch diese Zielsetzung vor Augen haben.Die Fragen der Berufsvorbereitung durch die Hauptschule, bei dem vorherrschend dualen Ausbildungssystem um das Berufsschulwesen und mindestens noch um das Berufsfach- und Fachschulwesen, konnten wegen der Zuständigkeit nach dem Grundgesetz in diesem Gesetzentwurf nicht zum Tragen kommen.Für alle diese Fragen liegt die Zuständigkeit bei den Ländern, so daß wir uns darauf beschränken müssen, diese Kräfte wirkungsvoll in Bewegung zu setzen. Die Tatsache aber, daß Jahr für Jahr rund 500 000 junge Menschen in eine oft wenig zukunftsichere praktische Berufsausbildung eintreten, macht eine gesetzliche Regelung notwendig. Hierbei sage ich für uns — und das sage ich auch für Sie, meineDamen und Herren von den Regierungsparteien —: Die sozialpolitische Zielsetzung ist die zwingende. Dieser Entwurf kann und will nicht wirtschaftspolitische Maßnahmen zur Abwendung struktureller Krisen in der Wirtschaft und zur Sicherung der Vollbeschäftigung ersetzen.In der Abgrenzung der einzelnen Ausbildungsbereiche spricht der Entwurf zunächst nur die Berufsausbildung in der Wirtschaft an. Zur Wirtschaft gehören nach Art. 74 Nr. 11 unseres Grundgesetzes Bergbau, Industrie, Energiewirtschaft, Handwerk, Gewerbe, Handel, Bank- und Börsenwesen, privatrechtliches Versicherungswesen. Damit erfaßt der Entwurf zunächst 94 bis 96 % aller jungen Menschen in einer praktischen Berufsausbildung. Bewußt blieb der Bereich der Landwirtschaft und der freien Berufe aus diesem Entwurf ausgeklammert, obwohl nach Auffassung meiner Fraktion auch diese Bereiche in diesen Gesetzentwurf hineingenommen werden müssen. Ich bin fast verleitet, zu sagen, die FDP-Fraktion sollte ihre eigene Mitteilung vom 6. Oktober 1966 überprüfen, nachdem sie den Gesetzentwurf unterschrieben hat.Wir wollen die Beratungen dieses Gesetzentwurfs nicht an scheinbaren Kompetenzschwierigkeiten scheitern lassen. Im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens werden wir versuchen, die fehlenden Bereiche noch mit einzubeziehen. Wie notwendig es ist, in dieser Frage zu einer einheitlichen Auffassung zu gelangen, zeigen Ihnen die Forderungen des Deutschen Gewerkschaftsbundes und anderer Vereinigungen, deren bittere Klagen nicht nur für unser Ohr, sondern für alle in diesem Hause bestimmt sind.In der 4. Legislaturperiode nahm dieses Haus von den allgemeinen Grundsätzen zur Durchführung einer gemeinsamen Politik der Berufsausbildung Kenntnis. Ich betone mit Nachdruck: Unser Gesetzentwurf entspricht diesem EWG-Beschluß und auch den Empfehlungen des Europäischen Parlaments vom 11. März 1966 zur Berufsausbildung.Aus diesem Grunde und nicht zuletzt durch die vielen Ausführungen des Bundesarbeitsministers zur Frage der Neuordnung des Berufsausbildungswesens sind wir der Hoffnung, daß die Ausschußberatungen der Entwürfe mit einer fachgerechten Diskussion auch von Ihnen gefördert und unterstützt werden. Dabei legt meine Fraktion den ausschließlichen Wert darauf, zur besten Lösung des schwierigen, aber eminent wichtigen Problems der Berufsausbildung, Fortbildung und Umschulung zu gelangen, und hofft, daß uns im Rahmen von Hearings Sachverständige aus allen Zweigen unseres gesellschaftlichen Lebens ihre Auffassung über diesen Komplex vortragen werden.Wir legen diesen Gesetzentwurf vor — das möchte ich abschließend bemerken —, um eine Lösung für die moderne Berufsausbildung von morgen zu ermöglichen, die erstens der Wirtschaft die erforderlichen quantitativen und qualitativen Kräfte entsprechend der Entwicklung von Wirtschaft und Technik zur Verfügung stellen kann, zweitens durch diese Mobilität die soziale Sicherung der Arbeitnehmer entscheidend gewährleistet und drittens
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 67. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Oktober 1966 3187
Behrendtdamit neue Aufstiegschancen in unserer modernen technisierten Arbeitswelt erschließt.
Das Wort zur Begründung des Entwurfs unter Punkt 5 b der Tagesordnung hat der Abgeordnete Diebäcker.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit der heutigen ersten Lesung von Entwürfen zu einem Berufsausbildungsgesetz tritt die seit mehr als vierzig Jahren andauernde Diskussion um die Fragen der Berufsausbildung in ein entscheidendes Stadium. Wenn man den Ursachen nachginge, aus denen heraus eine Lösung in früheren Jahren nicht möglich war, könnte man feststellen, daß es immer wieder dieselben Ursachen waren, die ein konstruktives Ergebnis verhinderten. Übergroßer Perfektionismus, das Bestreben, auf dem hier in Rede stehenden Gebiet gesellschaftspolitische Auseinandersetzungen auszutragen, waren einige dieser Gründe. Um so erfreulicher ist es, daß heute die parlamentarische Diskussion um die Ordnung der Berufsausbildung mit dem allseitig anerkannten Ziel einer Verbesserunrg der Ausbildung beginnen kann.Ich will es mir ersparen, grundsätzliche Ausführungen über den Wert der Berufsausbildung zu machen. Von der Notwendigkeit einer guten und den Verhältnissen unserer modernen Zeit angepaßten Berufsausbildung sind wir alle überzeugt. Sie hat nicht nur für den einzelnen ihre ganz persönliche Bedeutung; sie ist, soweit es sich um ,die Berufsausbildung in der Wirtschaft handelt, das Fundament für die Wettbewerbsfähigkeit und die Leistungskraft unserer Wirtschaft von morgen.Manche Rufer nach einem Berufsausbildungsgesetz erwarten geradezu spektakuläre Dinge: eine völlige Änderung der heutigen Gegebenheiten. Der CDU/CSU-FDP-Entwurf, den ich zu begründen die Ehre habe, zielt nicht auf solche sensationellen Dinge ab. Den gleichen Eindruck gewinnt man übrigens, wenn man sich den SPD-Entwurf einmal näher ansieht. Unsere Vorstellungen stimmen im übrigen in manchen Punkten überein. Das erleichtert die Diskussion und läßt hoffen, daß wir hier zu einer Lösung kommen werden, die eine breite Mehrheit in diesem Hause finden wird. Wir streben eine solche breite Mehrheit gerade bei diesem Gesetz deswegen an, weil der Erfolg eines Berufsausbildungsgesetzes weitgehend davon abhängt, ob draußen alle Beteiligten auch innerlich ein Ja zu diesem Gesetz sagen und es mit Überzeugung praktizieren. Ein grundsätzlicher Umbau unserer Berufsausbildung wäre auch nur dann notwendig, wenn die Ausbildung in der Vergangenheit tatsächlich so schlecht gewesen wäre, wie das gelegentlich behauptet wird. Ich meine, hier sollten Tatsachen sprechen.Meine Damen und Herren, der Wiederaufbau nach dem Kriege, unsere Stellung auf dem Weltmarkt konnten nicht nur durch Unternehmerinitiative oder durch staatliche Anregung oder Unterstützung erreicht werden, sondern auch durch die Arbeitsleistung der nach unseren Ausbildungsgrundsätzen und unseren Ausbildungsmethoden herangebildeten Fachkräfte in allen Schaffensbereichen.
Ich stimme keineswegs mit dem im übrigen sehr geschätzten Herrn Kollegen Liehr überein, wenn er in einem Schreiben an den DGB-Bundesvorstand im Jahre 1963 erklärt, wir liefen Gefahr, auf diesem so wichtigen Gebiet in absehbarer Zeiet allenfalls noch für Entwicklungsländer beispielhaft sein zu können.
Das deutsche System der betrieblichen Ausbildung wird von den europäischen Nachbarländern in immer stärkerem Maße als erstrebenswert angesehen.
In der Schweiz, in Osterreich, in Luxemburg nimmt die Betriebslehre die gleiche beherrschende Position ein wie in Deutschland. In Italien müht man sich sehr um ,den Aufbau einer betrieblichen Lehre für Jugendliche; nach dem letzten Stand werden dort in betrieblichen Ausbildungsverhältnissen nach deutschem Muster etwa 800 000 Jugendliche erfaßt. In Frankreich wird mindestens im Bereich der handwerklichen Ausbildung in betriebseigenen Lehrlingszentren etwa die Hälfte der in Ausbildung befindlichen Jugendlichen im Wege der betrieblichen Lehre ausgebildet. England strebt im Rahmen seiner besonderen Gesetzgebung auf diesem Gebiete den Aufbau neuer Formen der betrieblichen Ausbildung an. Der Trend geht deutlich in eine Richtung, die den deutschen Verhältnissen entspricht. Das deutsche Leitbild der betrieblichen Ausbildung 'ist auch für die Anforderungen und für die Leistungsbewertung bei internationalen Berufswettbewerben maßgebend; berufspraktische Fähigkeiten und theoretische Kenntnisse halten sich auf der Höhe, wie sie bei unseren Facharbeiterprüfungen verlangt werden. Innerhalb der EWG werden bei der Fixierung europäischer Berufsbilder deutsche Vorstellungen von den übrigen Partnerstaaten akzeptiert.Selbstverständlich, meine Damen und Herren, wäre es völlig töricht, bestreiten zu wollen, daß auch unser System Mängel hat. Eben diese wollen wir ja mit dem vorliegenden Entwurf so weit wie möglich beseitigen.Bezüglich des Aufbaus unseres Gesetzentwurfs sind wir zu einem anderen Ergebnis gekommen als die SPD. Unser Entwurf behandelt lediglich die Berufsausbildung der Jugendlichen; Fragen der Erwachsenenbildung und der Berufsforschung sind darin nicht enthalten. Wir erkennen den Zusammenhang an, der zwischen der Berufsbildung und den genannten Bereichen besteht, meinen aber, daß dies nicht unbedingt in einem Gesetz geregelt werden muß. Schon vor einiger Zeit haben wir, eben weil wir diesen Zusammenhang sehen, angeregt, im Wege einer Novelle zum AVAVG die Berufsforschung neu zu ordnen. Ein Regierungsentwurf wird in Kürze dem Hohen Hause vorliegen. Im übrigen wird hierzu gleich mein Kollege Müller noch im einzelnen sprechen.
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3188 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 67. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Oktober 1966
DiebäckerWas den Geltungsbereich des Gesetzes anbetrifft, so sind wir der Meinung, daß die Berufsausbildung in der gewerblichen Wirtschaft erfaßt werden sollte. Nach einer Aufstellung des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung bestanden in der gewerblichen Wirtschaft 1964 1 194 300 Berufsausbildungsverhältnisse. Außerhalb der gewerblichen Wirtschaft — Landwirtschaft, Hauswirtschaft usw. — waren es 121 300 oder rund 10 %. Nach unserem Entwurf soll aber die Ausbildung außerhalb der Wirtschaft, soweit sie der Ausbildung innerhalb der Wirtschaft ähnlich ist, ebenfalls unter das Gesetz fallen. So sollen z. B. die Technikerlehrlinge der Bundespost oder die Betriebsschlosserlehrlinge in den Werkstätten der Bundesbahn oder der Bundeswehr in das Gesetz einbezogen werden. Das gleiche soll gelten für Lehrlinge und Anlernlinge in freien Berufen, soweit ihr Ausbildungsziel mit den Ausbildungszielen innerhalb der Wirtschaft übereinstimmt. Als Beispiel nenne ich den Teilzeichner im Architekturbüro oder den Bürogehilfen im Büro des Rechtsanwalts. Die Unterstellung auch dieser Gruppen unter das Gesetz erhöht die Mobilität der Arbeitskräfte, über die mit Recht in unserer Zeit lebhaft diskutiert wird. Zählt man diese Berufsausbildungsverhältnisse zu den soeben genannten in der gewerblichen Wirtschaft hinzu, dann gilt das Gesetz für gut 95 % aller in der Berufsausbildung stehenden Jugendlichen.Meine Damen und Herren, in unserem Entwurf gehen wir von dem System der betriebsgebundenen Lehre aus. Es sollten im Gesetz nicht einmal Ansätze0 vorhanden sein, dieses Grundsystem zu ändern. Das duale System der Betriebslehre und der berufsbegleitenden Schule hat sich bewährt und ist der Garant dafür, daß sich die Ausbildung den wandelnden Verhältnissen der modernen Wirtschaft und der modernen Technik anpaßt. Der Betrieb, der nicht auf der Höhe seiner Zeit ist, kann auf die Dauer in einer Wettbewerbswirtschaft nicht existieren. Die Betriebslehre wird sich also ganz zwangsläufig in Form und Methode ständig modernisieren müssen. Die laufende Überarbeitung der Berufsbilder, das Entstehen neuer und der Fortfall alter Berufsbilder, das Suchen nach neuen Ausbildungsformen — siehe Stufenausbildung —, sind der beste Beweis dafür, daß unser heutiges Ausbildungssystem nicht einen starren, einen statischen Charakter trägt. Gerade wegen der Dynamik, die der Berufsausbildung in unserer Zeit innewohnt, müssen wir uns hüten, mit einem Gesetz die Ausbildung hinsichtlich ihrer Methode in starre Formen zu pressen, die vielleicht heute gut, aber morgen schon überholt sein können.
Unser Entwurf — und darauf kommt es entscheidend an — ist durchlässig genug für moderne Formen der Berufsausbildung. Es wird weder die herkömmliche Methode der Berufsausbildung nach Berufsbildern zementiert, noch wird die Praxis auf eine Ausbildung nach Funktionen — sprich: Stufenausbildung — unbedingt festgelegt. Der Gesetzgeber ,sollte zeitgemäße Entwicklungen nicht verbauen. Wir wollen andererseits aber auch keine zwingenden Rezepte geben.
Wenn man schon die Betriebslehre bejaht, sollte man aber auch anerkennen, daß die Praxis über die beste Methode der Berufsausbildung befinden muß. Die Flexibilität der Ausbildungsmethode darf durch ein Gesetz nicht beeinträchtigt werden.Im übrigen muß ein Berufsausbildungsgesetz in besonderer Weise geradezu in erster Linie der Verbesserung der Ausbildung dienen. Das ist selbstverständlich. Dieser Gesichtspunkt geht oft unter in dem Streit über ressortmäßige Zuständigkeiten, in der Auseinandersetzung um den Grad der Mitwirkung der Arbeitnehmer, in Diskussionen über die Einbeziehung auch des letzten Splitterberufs in das Gesetz. Der vorliegende Entwurf sucht das Ziel einer Verbesserung der Berufsausbildung auf vielfältige Art zu erreichen.Erstens. Zunächst einmal kann künftig eine Ausbildung nur noch nach staatlich anerkannten Berufsbildern erfolgen. Eine mehr oder minder willkürliche Ausbildung außerhalb dieser Berufsbilder nach Maßgabe jeweiliger Einzelinteressen wird dadurch unmöglich gemacht.Zweitens. Der Gesetzentwurf stellt ganz konkrete Anforderungen an die Ausbildungsbetriebe und an die Ausbilder in persönlicher und sachlicher Beziehung. Fachliches Können, persönliche Integrität der Ausbilder, sachliche Eignung der Betriebe sind die Voraussetzungen für die Durchführung der Berufsausbildung. Sehr klare und sehr eindeutige Bestimmungen über die Aberkennung der Ausbildungsbefugnis sichern die schnelle Ausschaltung ungeeigneter Elemente.Drittens. Eine Vereinheitlichung aller heute noch unterschiedlichen Verhaltens- und Verfahrensweisen soll die Einheit der Berufsausbildung in ihrem Ablauf in den verschiedensten Bereichen der Wirtschaft sicherstellen.Dem gleichen Ziel dient die Aufnahme der Bestimmungen über die Rechte und Pflichten des Ausbilders und des Auszubildenden in ,dieses Gesetz.Unser Entwurf enthält weiterhin Bestimmungen über die Mitwirkung der Arbeitnehmer auf dem hier in Rede stehenden Gebiet, eine Frage, um die gerade in den letzten Jahren ganz heftig gerungen worden ist. Einer meiner Kollegen wird sich wahrscheinlich gleich noch mit diesem Problem besonders auseinandersetzen. Soviel sei aber schon hier gesagt: auch heute schon bestehen solche Mitwirkungsmöglichkeiten — davon müssen wir zunächst einmal ausgehen beispielsweise durch das Betriebsverfassungsgesetz, durch das Gesetz über Industrie- und Handelskammern oder auch nach der Handwerksordnung. Die Arbeitnehmer wirken in den Prüfungsausschüssen der Kammern ebenso mit wie bei den Beratungen der Arbeitsstelle für betriebliche Berufsausbildung, die bekanntlich die Ordnungsmittel für die Berufsausbildung erstellt.Diese schon jetzt vorhandenen Möglichkeiten sollen nach unserem Entwurf noch wie folgt erweitert werden:Vor Erlaß von Rechtsverordnungen auf Grund dieses Gesetzes ist ein aus Unternehmern und Ar-
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Diebäckerbeitnehmern paritätisch zu bildendes Bundeskuratorium für betriebliche Berufsausbildung zu hören. Darüber hinaus ist bei jeder Kammer — Industrie-und Handelskammer sowie Handwerkskammer -ein Arbeitsausschuß für Berufsausbildung zu errichten, dem im Gegensatz zu den dort schon bestehenden Ausschüssen mit allgemeiner Aufgabenstellung und beratenden Funktionen einzelne ganz konkrete Aufgaben zur Entscheidung übertragen werden. Es ist dafür Sorge getragen, daß ein Nebeneinanderarbeiten dieser Ausschüsse oder auch eine Überschneidung ihrer Aufgaben vermieden wird. Die hier und dort geltend gemachten Bedenken gegen die Justitiabilität dieser Vorschriften werden bei den Ausschußberatungen sicherlich noch einmal bedacht werden müssen.Alles in allein kann aber gesagt werden, daß der Arbeitnehmerschaft mit diesen Vorschriften und unter Beachtung der schon vorhandenen Möglichkeiten ein hohes Maß an Verantwortung für die Berufsausbildung übertragen worden ist. Der partnerschaftliche Gedanke des Zusammenwirkens von Unternehmern und Arbeitnehmern ist damit auf dem Gebiete der Berufsausbildung, wie wir meinen, weitgehend verwirklicht.Bei aller Notwendigkeit, durch dieses Gesetz die Berufsausbildung zu vereinheitlichen und sich dazu allgemeingültiger Rechtsverordnungen zu bedienen, haben wir aber auch die Gefahr gesehen, die in der Aushöhlung der Selbstverwaltung der Wirtschaft eben durch eine staatliche Normsetzung besteht. Auf ,die Initiative und den Einsatz der Selbstverwaltung mit ihren bewährten Arbeitsmethoden und ihrer umfassenden Erfahrung kann und darf unter gar keinen Umständen verzichtet werden. Der Gesetzentwurf beläßt der Selbstverwaltung ein weites Betätigungsfeld. Ja, ich meine, sie erhält sogar eine starke Stütze insofern, als sie sich bei ihren Entscheidungen in Zukunft auf eine Reihe von Rechtsverordnungen stützen kann, die als Rahmenvorschriften durch eigenes statutarisches Recht der Kammern zu ergänzen sind. Wir hoffen, damit einen Mittelweg zwischen den im Interesse der Einheitlichkeit der Berufsausbildung erforderlichen staatlichen Maßnahmen einerseits und dem auf diesem Gebiet ebenso notwendigen Eigenleben der Selbstverwaltung andererseits gefunden zu haben.In der Diskussion um das Gesetz spielte die Frage der ressortmäßigen Zuständigkeit oftmals eine große Rolle. Während die SPD in ihrem Entwurf die alleinige Zuständigkeit des Bundesarbeitsministers vorgesehen hat, wünschen wir eine zwischen dem Bundesarbeitsminister und dem Bundeswirtschaftsminister geteilte Zuständigkeit. Wir haben uns dabei von dem Gedanken leiten lassen, daß die Berufsausbildung in der Wirtschaft der Heranbildung von Fachkräften dient, die die Erstellung der volkswirtschaftlichen Leistung bewirken. Von ihrem Können ist der erzielte oder auch erzielbare Leistungsgrad unserer Wirtschaft entscheidend abhängig. Deshalb sind die Gestaltung und die Organisation der Berufsausbildung sehr stark wirtschaftlich motiviert. Auf der anderen Seite kann nicht bestritten werden, daß die Berufsausbildung neben ihrem wirtschaftspolitischen Charakter natürlich auch sozialpolitische Aspekte hat. Angesichts dieser Verhältnisse halten wir es für richtig, daß der ordnungspolitische Teil dieses Gesetzes beim Bundeswirtschaftsministerium ressortiert, jedoch mit der Maßgabe, daß Rechtsverordnungen im Einvernehmen mit dem Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung erlassen werden. Und umgekehrt sollte der arbeitsrechtliche Teil des Gesetzes in die Zuständigkeit des Arbeitsministeriums fallen, ebenfalls mit der Bestimmung, daß Rechtsverordnungen auf diesem Gebiet im Einvernehmen mit dem Wirtschaftsminister erlassen werden.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich abschließend noch sagen, daß dieses Gesetz — wie könnte es auch anders sein — noch manche Wünsche der einen oder der anderen Seite offenläßt. Insbesondere sind uns schon heute Änderungswünsche des Handwerks im Hinblick auf seine besondere Organisationsstruktur bekanntgeworden. Weitere Änderungswünsche der verschiedenen an diesem Gesetz interessierten Gruppen, der Unternehmer und der Arbeitnehmer, werden gewiß folgen. Wir müssen in den Ausschüssen darüber beraten. Seien Sie überzeugt davon, daß die Fraktion der CDU/CSU Änderungswünschen aufgeschlossen gegenüberstehen wird, wenn diese das Ziel des Gesetzes, die Einheitlichkeit und die Verbesserung unserer Berufsausbildung, nicht gefährden.
Ich beantrage im Namen meiner Fraktion, die Vorlage in Drucksache V/1009 dem Ausschuß für Arbeit — federführend — und dem Ausschuß für Wirtschaft und Mittelstandsfragen sowie dem Ausschuß für Familien- und Jugendfragen und dem Haushaltsausschuß zur Mitberatung zu überweisen.
Das Wort hat Herr Staatssekretär Langer.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Herren Minister Schmücker und Katzer bedauern außerordentlich, daß sie an dieser wichtigen Debatte über die beiden Entwürfe eines Berufsausbildungsgesetzes nicht, wie sie fest beabsichtigt hatten, teilnehmen können. Sie sind durch die andauernde dringende Kabinettssitzung leider verhindert.Ich darf mich in ihrer Vertretung auf einige wenige grundsätzliche Äußerungen beschränken. Die Bundesregierung begrüßt es, daß durch die beiden Entwürfe die Frage einer gesetzlichen Neuregelung auf politischer Ebene erneut in Gang gesetzt wird. Sie bestätigt damit, daß sie eine Neuregelung in einem bestimmten Umfange für notwendig hält. Es ist bekannt, daß auch die Bundesregierung an dem Entwurf eines Berufsausbildungsgesetzes arbeitet.
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Staatssekretär Dr. LangerDie Forderung, ein umfassendes Gesetz zu schaffen, hat diese Arbeiten so sehr verzögert, daß ein solcher Entwurf jetzt noch nicht vorgelegt werden konnte.Ich muß darauf verzichten, auf Sachfragen einzugehen. Die beiden Minister hätten es ganz bestimmt getan. Da zwei verschiedene Entwürfe vorliegen, bin ich überzeugt, daß die Ausschußberatungen jede gewünschte Gelegenheit bieten werden, Sach- und Fachfragen von allen Seiten zu beleuchten. Das gilt z. B. auch für das schwierige Problem der Einbeziehung oder Nichteinbeziehung des Handwerks.Eines darf ich abschließend betonen: die Bundesregierung mißt der gesetzlichen Neuregelung der Berufsausbildung allergrößte Bedeutung bei. Sie wird deshalb in den Ausschüssen aktiv mitarbeiten.
Die Entwürfe sind eingebracht. Wir treten in die allgemeine Beratung ein, und zwar beraten wir die Tagesordnungspunkte 5 a) und 5 b) gemeinsam.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Liehr.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Gesetzentwurf der Sozialdemokratischen Fraktion hat nach all den Jahren ergebnisloser Diskussion hier im Hause mindestens zwei verblüffende Wirkungen gezeigt: erstens die beschleunigte Vorlage des Entwurfs eines Berufsausbildungsgesetzes durch die Regierungskoalition, worüber wir uns sehr freuen, und zweitens die überaus emsigen Bemühungen der Bundesanstalt, ein Forschungsinstitut zu errichten und unseren Beratungen im Bundestag auch in bezug auf die Standortfrage eines solchen Instituts im letzten Augenblick zuvorzukommen. Herr Kollege Behrendt hat schon darauf hingewiesen.
Meine Damen und Herren, ein Vergleich beider Entwürfe offenbart gemeinsame Standpunkte in verschiedenen Sachbezügen. Viele Kriterien heutiger Berufsausbildung spiegeln sich in ihren Erkenntnissen wider. Dabei geht es nicht darum, sehr verehrter Herr Kollege Diebäcker, die Bemühungen etwa um die Verbesserung der Berufsausbildung herabzuwürdigen oder gar zu verkennen. Ganz im Gegenteil! Wir haben in all den Jahren gesagt — und ich stehe nicht an, das hier zu wiederholen —, daß wir allen Beteiligten, die sich um die Verbesserung der Berufsausbildung in unserem Lande verdient gemacht haben, großen Dank schulden.
Es kann jedoch nicht geleugnet werden, daß unser Berufsausbildungssystem viel stärker traditionell als zukunftsorientiert angelegt ist. Die Durchführung der Berufsausbildung klafft — je nach Art und Lage des Betriebes weit auseinander. Sie reicht von einer unelastischen, einseitigen und deshalb völlig ungenügenden „Ausbildung" hin zu einer gründlichen und soliden fundierten Vorbereitung für anspruchsvolle Tätigkeitsbereiche.
Dies alles wiegt um so schwerer, als es sich hierbei um den normalen Bildungsweg des größten Teils unserer Jugend handelt. Man muß leider hinzufügen, daß die meisten von ihnen relativ unvollkommen aus der Berufsausbildung entlassen werden.
— Das ändert leider nichts daran, daß es so ist.
Wir haben deshalb das Ziel vor Augen gehabt, eine Vereinheitlichung und Verbesserung der Berufsausbildung herbeizuführen. Uns geht es im wesentlichen um gleiche Grundsätze und Maßstäbe, unbeschadet dessen, ob sich jemand in einem Ausbildungsverhältnis der Industrie, des Handels, des Handwerks oder — und da unterscheiden wir uns auch — in schulischen Einrichtungen befindet.
Meine Damen und Herren, es geht nicht zuletzt um einen größeren Gleichklang von Bundes- und Ländermaßnahmen, und ich möchte hier mit allem Freimut sagen: Manches von dem, was in den Entwürfen gewollt ist das trifft sicher in besonderem Maße für den Entwurf der Koalition zu — wird Stückwerk bleiben, wenn es nicht endlich auch gelingt, eine für die ganze Bundesrepublik harmonisierende Reform des Schulwesens, als des eigentlichen Unterbaus des beruflichen Bildungswesens überhaupt, anzustreben.
Trotz der Kompetenzschwierigkeiten, mit denen wir es hier zu tun haben, enthält unser Entwurf im Gegensatz zu dem der Koalition immerhin zwei beachtenswerte Ansätze zu einer Kooperation der beiden Teile unseres dualen Ausbildungssystems.
Erstens. Die Ordnungsmittel müssen u. a. auch Anforderungen an den berufsbegleitenden Unterricht umfassen und damit den Berufsschulen eine hinreichende Orientierung für ihre Lehrplangestaltung ermöglichen. Künftig dürfte daher der ewige Streit über den notwendigen Umfang des Berufsschulunterrichts entfallen; ein Streit um die Freistellung der Auszubildenden durch die Betriebe, ein Streit um die Bereitstellung von Lehrkräften und Haushaltsmitteln durch die Schulträger.
Zweitens. Unser Entwurf ebnet aber auch der Durchführung von Grundlehrgängen bis hin zu einer Vollausbildung durch Schule und ähnliche Einrichtungen den Weg. Die Ausbildung in solchen Ausbildungsstätten können die Landesregierungen der Ausbildung in den Betrieben je nach Umfang — ganz oder teilweise gleichstellen.
Jedenfalls wollen wir keinen Zweifel daran lassen, daß die Schule nicht länger als ein Anhängsel der betrieblichen Berufsausbildung empfunden werden darf, sondern daß es sich hier um zwei gleichwertige Komponenten ein und derselben Sache handelt.
Soweit wir in den Vereinheitlichungs- und Gleichstellungsbestrebungen zur Förderung unseres dualen Ausbildungssystems auch übereinstimmen mögen: beide Gesetzentwürfe — der Herr Kollege
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Liehr
Diebäcker hat dankenswerterweise schon darauf aufmerksam gemacht — haben dennoch sehr unterschiedliche Orientierungen. Der Entwurf der Koalition ist ein Entwurf zur Regelung der Berufsausbildung. Ohne jetzt schon näher auf ,seinen Inhalt einzugehen, läßt ,sich ganz generell sagen — das hat der Herr Kollege Diebäcker hier auch nicht bestritten —, daß er sich auf den jugendlichen Personenkreis der Schulabgänger bezieht, auf einen Zeitabschnitt der Vierzehn- bis Siebzehnjährigen bzw. Fünfzehn- bis Achtzehnjährigen, je nach dem Schulentlaßalter. Das heißt, er regelt einen unbestritten wichtigen Lebensabschnitt des Jugendlichen, aber am Gesamtproblem gemessen letzthin nur einen etwa dreijährigen Teilbereich ,eines lebenslangen Lern- und Fortbildungsprozesses des Arbeitnehmers.
Meine Damen und Herren, es muß die Frage erlaubt sein, ob es ausreicht, die Elementar-, die Grundphase in der Existenz des Arbeitnehmers gesetzlich isoliert und von den nachfolgenden beruflichen Entwicklungsstufen angesichts unserer arbeitsteiligen, hochindustrialisierten Gesellschaft zu sehen. Wir sagen: nein! Was spricht eigentlich dafür, abgesehen von der ohnehin vorwiegend sozialpolitisch orientierten Interessenlage der Arbeitnehmer, die Verantwortung für den Gesamtkomplex Berufsberatung, Berufsausbildung, berufliche Fortbildung, Umschulung, Rehabilitation unnötig auseinanderzureißen: Hie Wirtschaftsminister, dort Arbeitsminister? So wie wir von dem durch Umstellung betroffenen Arbeitnehmer ein Umdenken erwarten, ,sollte auch die Bundesregierung rationellen Lösungen nicht verschlossen sein.
Schon jetzt bietet unsere Wirtschaft genügend Anzeichen dafür, daß wir es künftighin verstärkt mit den Notwendigkeiten einer Harmonisierung von Lehre, Anpassung an veränderte Arbeitsplatzbedingungen und beruflicher Fortbildung zu tun haben werden, und zwar als einen das ganze Berufsleben begleitenden Ausbildungsprozeß. Eine ganz unerläßliche Voraussetzung für diese Harmonisierung des Ausbildungsprozesses ist die Arbeitsmarkt- und Berufsforschung. Es ist heute gänzlich unbestritten, daß es zu den wichtigsten Aufgaben der Arbeitsmarktpolitik überhaupt gehört, für eine den wirtschaftlichen, technischen, sozialen und beruflichen Verhältnissen und ihren Entwicklungsperspektiven entsprechende Eingliederung jugendlicher Berufsanfänger zu sorgen. Hierzu sind sehr detaillierte Kenntnisse nicht nur der augenblicklichen Berufsstrukturen, sondern auch der sie bestimmenden langfristigen Entwicklungstendenzen notwendig.
Der augenblickliche Stand von Berufsforschung und Berufsstatistik ist keineswegs ausreichend, die Zukunftsaussichten der einzelnen Berufe bzw. der Ausbildungsformen und -wege mit Sicherheit zu beurteilen. Die Berufsberatung, so qualifiziert und bemüht ihre Mitarbeiter auch sind, ist völlig überfordert, solange ihr für Berufsaufklärung und Berufsberatung nicht möglichst einwandfreie Daten insbesondere nach Art und Zahl des Nachwuchsbedarfs zur Verfügung stehen. Zwar hilft die Berufsberatung nach besten Kräften — und ich glaube, wir schulden ihr großen Dank dafür —, sie verfügt aber keineswegs über das auf berufskundlichen Forschungsergebnissen beruhende Grundlagenmaterial.
Der Leiter der Berufsstatistik im Statistischen Bundesamt äußerte sich dazu wie folgt — ich zitiere —:
Eine systematische Vervollständigung der Berufsanalysen ist, insbesondere mit den modernen Mitteln der Technik, noch nicht in Angriff genommen. Die Notwendigkeit einer amtlichen Koordinierung dieser Arbeiten und einer zentralen Dokumentation ist offenbar erkannt. Der Weg hierzu bedarf noch der Erschließung.
Meine Damen und Herren, die Folge dieser unzulänglichen Grundlagen statistischer und wissenschaftlicher Art ist ein kaum noch zu verantwortendes Maß beruflicher Fehlleitungen. Die betriebliche Bedarfsdeckung mit Nachwuchskräften ist seit Jahren weit entfernt von den volkswirtschaftlichen Erfordernissen. Ich will das hier nicht nur so pauschal sagen, sondern drei Beispiele dazu geben.
Das erste Beispiel ist einer vor einiger Zeit erschienene Veröffentlichung des Deutschen Industrie- und Handelstages entnommen, bezogen auf die Untersuchung eines großen Hüttenwerks in der Bundesrepublik. Von den ca. 5000 Beschäftigten, so hieß es darin, waren nur etwa 25 % Facharbeiter. Unter den 75 % der Arbeitnehmer, die ursprünglich nicht die Absicht hatten, in einem Hüttenwerk zu arbeiten, befanden sich etwa — ich nenne runde Zahlen —200 aus erlernten kaufmännischen oder Büroberufen; 1260 hatten als Metallhandwerker, 110 als Maurer, 260 als Zimmerer und Tischler gelernt. Außerdem befanden sich darunter 110 Maler, 220 Bäcker und Konditoren, 90 Fleischer, 40 Sattler, 90 Schneider und Schuhmacher, 50 Dachdecker, 40 Gärtner, 20 Köche und Kellner und 40 Friseure. Etwa die Hälfte aller in diesem Hüttenwerk beschäftigten Arbeitnehmer kommen aus Berufen, die ursprünglich nichts mit der Beschäftigung im Hüttenwerk zu tun haben, und zwar alles Berufe mit einer in der Regel dreijährigen Lehrzeit. Bitte sehr!
Herr Kollege Liehr, ist Ihnen nicht bekannt, daß es sich bei einer großen Zahl der Berufe, die Sie soeben aufgezählt haben, um Mangelberufe handelt, daß es dort an Arbeitskräften fehlt, daß es also nicht allein daran liegen kann, daß die Leute falsch ausgebildet sind, sondern daß sie vielmehr einen freien Willen haben und diesen Beruf einfach nicht mehr ausüben wollen?
Herr Kollege, ich bestreite gar nicht, daß es sich dabei auch um Mangelberufe handelt. Ich frage mich nur, warum jemand, der — ich will mich jetzt nicht auf einen bestimmten Beruf festlegen — Maler, Bäcker, Konditor oder Fleischer gelernt hat, eine dreijährige Lehrzeit absolvieren mußte, um nachher in einem Hüttenwerk beschäftigt zu werden.
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LiehrAber lassen Sie mich ein zweites Beispiel erwähnen. Nach Angaben der Firma Bosch GmbH, Stuttgart, sind 50 v. H. der Arbeitnehmer dieses Konzerns für Elektronik und Feinmechanik ursprünglich gelernte Friseure, Bäcker, Schuster, Fleischer, Sattler, Maler, Stellmacher oder Gärtner gewesen.In einem Metallbetrieb des Krupp-Konzerns — um auch dieses Beispiel noch in aller Kürze anzufügen — sind es sogar 60 v. H. der Arbeitnehmer, die ursprünglich Berufe erlernten, die nicht das geringste mit der jetzigen Beschäftigung zu tun haben.
Ich glaube, daß diese Beispiele eindrucksvoll genug sind. Es liegt nicht in meiner Absicht — vielleicht bin ich ein wenig durch die Zwischenrufe provoziert worden —, etwa gegen die genannten Berufe oder gar gegen ganze Handwerkszweige zu polemisieren. Mir kommt es hier nur darauf an, auf Tatbestände hinzuweisen, die von den Firmenleitungen selbst und in einem Fall von der Kammer festgestellt worden sind. Sie sollen verdeutlichen, meine Damen und Herren von der Koalition, daß wir mit unseren Maßnahmen, über die es hier zu befinden gilt, beim Schulabgänger beginnen müssen und nicht erst nach jahrelangen Irrwegen und Umwegen Umschulungsmaßnahmen bei den Erwachsenen treffen sollten.Auch in dieser Beziehung ist der Blick für das Ganze notwendig. Wenn wir die Chance haben, jetzt den ganzen Komplex gesetzlich neu zu regeln, dann sollten wir uns nicht nur auf die unmittelbare Berufsausbildung traditioneller Art beschränken, sondern in größeren, moderneren Zusammenhängen denken. Das haben wir mit unserem Entwurf versucht. Dazu gehört dann eben auch die Einbeziehung der Arbeitsmarkt- und Berufsforschung und ihre praktische Nutzanwendung, z. B. durch den Bundesausschuß für Berufsausbildung, wie wir das vorgesehen haben. Nicht einmal die Andeutung eines solchen Brückenschlages ist im Koalitionsentwurf zu entdecken.
Es kommt also sehr darauf an, die Auswirkungen von Wirtschaft und Technik möglichst frühzeitig zu erkennen und geeignete Schlußfolgerungen zu ziehen. Nach den Erklärungen, die der Kollege Diebäcker abgegeben hat, hoffen wir, daß bei der Koalition das letzte Wort noch nicht gesprochen ist und daß wir eine Möglichkeit finden werden, einander näherzukommen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte.
Herr Kollege Liehr, darf ich Sie fragen, ob Sie meine seinerzeit schriftlich abgegebene Begründung zu unserem Antrag,
das AVAVG zu novellieren — es lag nicht an uns, daß nicht diskutiert wurde —, gelesen haben? Dann würden Sie darin finden, daß die Fragen der Anpassung der Berufe, Berufsforschung, Arbeitsmarktforschung, Mobilität und alle diese Dinge erwähnt sind und Gegenstand des AVAVG sein sollen.
Herr Kollege Müller, ich habe nicht nur den ganzen Vorgang inhaltlich zur Kenntnis genommen, sondern ich hatte sogar die Absicht — ich komme darauf noch zurück —, ihn durchaus positiv hier zu zitieren.
Nur, Herr Kollege Müller, das ändert nichts daran, daß ich die Wahrheit gesagt habe. Es ist nicht einmal die Andeutung eines Brückenschlages von Berufsforschung und praktischer Berufsausbildung in Ihrem Entwurf zu finden.
Darum geht es. Das habe ich hier nur festgestellt.
— Wenn Sie, Herr Kollege Müller, sich noch einen Augenblick-bändigen könnten, dann würden Sie zugestehen müssen, daß ich gerade versuche, deutlich zu machen, daß wir der Meinung sind, daß ein Berufsausbildungsgesetz Ihrer Konzeption und Größenordnung nicht ausreicht, sondern wir andere, zusätzliche Elemente dabei haben müssen. Damit wir uns also recht verstehen — —
— Im übrigen, wenn hier von Erstgeburtsrecht die Rede ist, dann lassen Sie mich ganz offen sagen, was mittlerweile auch durch eine Vielzahl von Presseerklärungen an Ihre Ohren gekommen sein dürfte: daß wir seitens unserer Fraktion seit beinahe zwei Jahren daran arbeiten. Ihre Vorlage, Herr Kollege Müller, ist hier vor der Sommerpause verabschiedet worden. Ich habe nichts dagegen. Ich will nur sagen: so ist das also nicht, als ob es Ihrer Vorlage bedurft hätte, damit wir hier zum Arbeitsmarktanpassungsgesetz fänden.
Damit gar kein Mißverständnis entsteht in bezug auf die Berufs- und Arbeitsmarktforschung will ich unmißverständlich sagen: auch ein Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung wird keine letzten Sicherheiten für die Beseitigung vielfältiger Mängel des Arbeitmarktes bieten. Aber es eröffnet ganz gewiß neue Wege und Perspektiven. Es wird wesentliche Orientierungshilfen bieten — davon sind wir fest überzeugt — für alle am Wirtschaftsleben Beteiligten, vor allem aber für die mehr als 500 000 Jugendlichen, die jährlich in ein Berufsausbildungsverhältnis hineingehen. Darauf aufbauend müssen die Ausbildungen so geplant und gestaltet werden, daß sie offen sind für strukturelle Ver-
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 67. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Oktober 1966 3193
Liehränderungen der Wirtschaft und für eine optimale Entfaltung der jungen Menschen.
Aber es geht, wie gesagt, nicht nur um ,die Jugendlichen, sondern es geht auch um die erwachsenen Arbeitnehmer. Lassen Sie mich in Erinnerung rufen, daß das Internationale Arbeitsamt 1963 errechnet hat, daß 7 bis 8 Millionen Beschäftigte in der Bundesrepublik Deutschland bis 1970 ihre bisherige Beschäftigung wechseln müssen.
Im Auftrag des Rationalisierungskuratoriums der deutschen Wirtschaft ist dagegen errechnet worden, daß bis 1970 „nur" jeder vierte berufstätige Deutsche seinen Arbeitsplatz oder den überwiegend ausgeübten Beruf wechseln muß. Sind das nicht auch für die Bundesregierung — so muß man wohl fragen — alarmierende Angaben, die der öffentlichen Vorsorge bedürfen?
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte!
Herr Kollege Liehr, wollen Sie nicht zur Kenntnis nehmen, daß wir diese Dinge genauso sehen, daß wir Ihnen darin recht geben und daß wir der Meinung sind, diese Probleme sollten nicht im Berufsausbildungsgesetz, sondern im AVAVG und anderen Gesetzen gelöst werden?
Herr Kollege, ich nehme das natürlich zur Kenntnis, daß Sie das an anderer Stelle regeln möchten. Aber wenn Sie der Dringlichkeit der Probleme zustimmen, dann sind solche Zwischenrufe, daß das bekannt sei — verzeihen Sie, daß ich das so offen sage — völlig deplaciert. Denn wenn Sie ,das kennen würden, meine Damen und Herren, dann müßten Sie mit einer ungeheuren Ungeduld mit uns zusammen die Bundesregierung schon längst gedrängt haben, diesen Weg zu beschreiten und diese Regelung in die Wege zu leiten.
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?
Herr Kollege Liehr, ist Ihnen entgangen, daß vorhin der erste Sprecher Ihrer Fraktion darauf hingewiesen hat, daß der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung eben das, was Sie jetzt vorgetragen haben, seit geraumer Zeit zum Ausdruck gebracht hat? Dann können Sie doch jetzt hier nicht erklären, daß die Bundesregierung das nicht zur Kenntnis genonmmen habe.
Eine weitere Zwischenfrage.
Herr Kollege Liehr, sind Sie mit mir der Meinung, daß Sie durch ein Berufsausbildungsgesetz spätere Strukturwandlungen der Wirtschaft nicht vorwegnehmen können?
Um bei der letzten Frage anzufangen: Genau das hat uns bewogen, etwas vorzulegen, was nicht an die traditionellen — ich sage das gar nicht abwertend , überlieferten Elemente der klassischen Berufsausbildung anknüpft. Vielmehr wollten wir durch einen Gesetzentwurf, der die Überschrift „Anpassungsgesetz" trägt, eine größere Flexibilität und eine engere Verbindung zwischen dem jugendlichen Schulabgänger und dem erwachsenen Arbeitnehmer herstellen. Wir sagen unzweideutig, daß nach unserer Einschätzung Berufsausbildung ein lebenslanger Prozeß ist, dem der Arbeitnehmer künftig viel stärker als bisher konfrontiert sein wird.
Aber, meine Damen und Herren lassen Sie mich das sagen, damit wir uns nicht unnötig erregen —, fest steht doch dieses, und da werden Sie nicht umhin können, uns zuzustimmen: 1962 haben wir nach langer Zeit versucht, einen Ansatz zu finden, um in diesem Hause gemeinsam es bestand ja weitgehend Übereinstimmung — die Bundesregierung endlich zu bewegen, den Entwurf eines Ausbildungsgesetzes vorzulegen. Mutet es nicht auch Sie etwas komisch an ich bitte um Verzeihung, wenn ich das sage —, wenn heute, nachdem selbst die CDU/ CSU- und die FDP-Fraktion einen Gesetzentwurf vorgelegt haben — worüber wir uns sehr freuen — und nachdem vier weitere Jahre vergangen sind, der Herr Staatssekretär sich hier hinstellt und unbekümmert sagt: die Bundesregierung arbeitet noch an der Vorlage eines Gesetzentwurfs?! Da ist doch irgendwo etwas nicht in Ordnung. Entweder man erkennt das Problem — dann hätten die Dinge schon längst auf den Tisch des Hauses gehört. Oder es gibt hier Gründe die vielleicht auch innerhalb der Koalition zu suchen sind —, deretwegen man das nicht zuwege gebracht hat und die vielleicht auch das gute Wollen eines Teils Ihrer Fraktion in gewisser Weise bremsend beeinflußt haben.
Wir kommen doch nicht umhin, diese Dinge sachlich zur Kenntnis zu nehmen.Aber lassen Sie mich an die Adresse der Arbeitnehmer sagen: Ich habe den Eindruck — und vielleicht stimmen wir darin überein —, daß die meistender Arbeitnehmer trotz aller Bemühungen — vorallem im außerparlamentarischen Bereich — sichnicht bewußt sind, welche Probleme sie, ihre Familien und die Gesellschaft in ihrer Gesamtheit noch zu meistern haben werden. Der Ernst der Situation wird nach unserem Dafürhalten sehr stark durch die Tatsache vernebelt, daß in unserem Lande weit über 1 Million Gastarbeiter sind. Er wird auch durch den irrigen Glaubenssatz vernebelt, daß der einmal erlernte Beruf ein Lebensberuf sei. Bitte, darf
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3194 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 67. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Oktober 1966
Liehrich Sie darauf aufmerksam machen, daß der Herr Bundeskanzler Professor Erhard selber in einer Regierungserklärung vor diesem Hause wörtlich gesagt hat: Unser Berufsausbildungssystem ist mustergültig.Das Jahresgutachten 1965 des Sachverständigenrates für die Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung drückt es so aus — und ich bitte um Genehmigung, wegen der grundsätzlichen Bedeutung dieser Darstellung in dem Gutachten einige Passagen zitieren zu dürfen —:Eine Ausbildung, die sich auf einen Lebensabschnitt beschränkt, kann der Entwicklung des Wissens und dem Wandel der beruflichen Anforderungen nur unvollkommen gerecht werden. Bei dem schnellen Fortschritt in der Gegenwart verliert früher erworbenes Wissen oft ziemlich rasch an Wert, sofern es nicht durch formale oder informale Weiterbildung auf dem jeweils höchsten Stand gehalten wird. Die Aussicht, allein durch informale Weiterbildung, vor allem also durch Lernen am Arbeitsplatz, Schritt zu halten, wird wohl in Zukunft noch geringer sein als heute. Es erscheint daher notwendig, daß die formale Ausbildung, also die Ausbildung in Form organisierter Lernprozesse, auch in späteren Lebensjahren fortgesetzt wird.Und weiter unten:Die „zünftlerische" Vorstellung von einem Beruf, dem man gleichsam von der Wiege bis zurBahre verpflichtet ist, wird der Zukunft nochweniger gerecht als der Gegenwart. Immermehr ist damit zu rechnen, daß Menschen durchdie Umstände veranlaßt werden, den ursprünglich erlernten Beruf im Laufe des Erwerbslebensvielleicht sogar mehrmals — zu wechseln.Und schließlich:Maßnahmen, die Fortbildung und Umschulung anregen, erleichtern und begünstigen, werden deshalb in Zukunft für ein angemessenes Wirtschaftswachstum kaum entbehrlich sein. Diesem Gesichtspunkt entspräche es, wenn man einen Anspruch auf Bildungsurlaub gesetzlich oder tariflich begründete.Meine Damen und Herren, genau dahin zielt unser Entwurf.Wir reden — um an das letzte anzuknüpfen — nicht von Bildungsurlaub. Dieser Begriff beinhaltet, wie wir alle wissen, bedeutend mehr. Das müßte durch ein Sondergesetz geregelt werden; denn in erster Linie ginge es dabei doch wohl um kulturelle, politische, gesellschaftliche Bildung. Aber ein Arbeitsmarkt-Anpassungsgesetz — das ist unsere Überzeugung — wäre höchst unvollkommen, würde es nicht berufliche Bildungsmaßnahmen mit einbeziehen. Deshalb grenzen wir hier bewußt ab auf ganztägige Teilnahme an beruflichen Bildungsveranstaltungen, die zudem anerkannt werden müssen, wenn ein arbeitsmarktpolitisches Interesse gegeben ist. Außerdem ist die Teilnahme durch den Arbeitnehmer nachzuweisen. Deshalb ist das auch keinUrlaub, etwa zum Zwecke der Erholung, sondern eine Freistellung bis zu zehn Werktagen im Jahr zum Zwecke der beruflichen Fortbildung.Lassen Sie mich hier ganz offen sagen, meine Damen und Herren: Dieser ganze Abschnitt über berufliche Fortbildung, den wir in unserem Entwurf haben, könnte ganz erheblich ausgebaut werden, wenn die Bereitschaft des ganzen Hauses dazu gefunden werden könnte. Uns lag nicht daran, dogmatische oder perfektionistische Grundsätze aufzustellen, sondern lediglich daran, einen bedeutenden Merkposten moderner Arbeitswelt prinzipiell in ein Gesetz mit einzubeziehen. Um so mehr, als es bereits verschiedene Förderungsprogramme institutioneller und individueller Art gibt, die wir sehr begrüßen, die sich beachtlicher Resonanz bei den Arbeitnehmern erfreuen und die unser aller Anteilnahme erfordern.Wenn wir in diesem Zusammenhang z. B. auch das Leistungsförderungsgesetz zitieren und darauf Bezug nehmen, dann auch in der Hoffnung, dieses Gesetz vernünftig weiterentwickeln zu können, und wobei wir eine Vereinheitlichung der verschiedenen Programme und Förderungsgrundsätze anstreben.Zu erwägen wäre z. B. auch, an Stelle der ganztätigen Teilnahme an Kursen, Seminaren etc. eine Teilbarkeit der Freistellung herbeizuführen, um betriebliche Veranstaltungen ebenso zu ermöglichen wie die Nutzung von Schulen, die von den Nachmittagsstunden an in der Regel leerstehen. Da könnte man zu einer ganz wesentlichen Verbreiterung und zugleich auch Rationalisierung institutioneller und personeller Voraussetzungen für berufliche Bildungsmaßnahmen kommen.Daß dazu auch die quantitativen und qualitativen Ziele der Erwachsenenbildung mit abgesteckt werden müssen, versteht sich am Rande.Meine Damen und Herren, es ist unbestritten, daß sich mit dem wachstumsbedingten Strukturwandel der Wirtschaft auch ein Wandel im Bedarf an beruflichen Qualifikationen vollzieht. Die Freisetzung von Arbeitnehmern wird die Folge dieser Entwicklung sein. Die sich daraus ergebenden menschlichen und sozialen Probleme kann man nicht damit abtun, daß man auf statistische Daten über offene Stellen und Arbeitslosenzahlen verweist; denn allen ist bekannt, daß hierbei Angebot und Nachfrage oftmals nicht zur Deckung gebracht werden können und daß die Deckung auch vielfach wegen der fehlenden geistigen, beruflichen und räumlichen Mobilität unserer Arbeitnehmer oder auch wegen der konventionellen Haltung mancher Arbeitgeber nicht herbeigeführt werden kann. Da ist es kein Trost für den Arbeitnehmer, daß er einen, aber eben nicht seinen Arbeitsplatz behalten hat, wenn die neue Tätigkeit unterwertig ist, ihm also eine Ausschöpfung der bisher erworbenen beruflichen Fähigkeiten und Kenntnisse nicht mehr gestattet wird.Arbeitslosigkeit und unterwertige Beschäftigung aus Anlaß von Betriebsänderungen können überhaupt nur bekämpft werden, wenn die Arbeitsämter
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Liehrrechtzeitig von den unternehmerischen Dispositionen, die solche Nachteile für die Arbeitnehmer erwarten lassen, Kenntnis erhalten. Deshalb sehen wir im Entwurf eine Anzeigepflicht der Arbeitgeber bzw. der Unternehmer vor, so daß den Arbeitnehmern noch während des Bestehens ihres Arbeitsverhältnisses Leistungen gewährt werden können, wie sie zur Zeit nur Arbeitslose zur Förderung der Arbeitsvermittlung erhalten können. Es scheint mir ein überholter und mittlerweile auch abwegiger Grundsatz zu sein, daß finanzielle Mittel, zu denen auch die Arbeitnehmer beigetragen haben, erst einzusetzen sind, wenn Arbeitslosigkeit vorliegt, statt Arbeitslosigkeit gar nicht erst eintreten zu lassen.Hier, Herr Kollege Müller, komme ich gern auf Ihren Hinweis zurück und bekenne, daß das ganze Haus sich diesen Grundsatz bereits bei der Beratung der Vorlage V/752 zu eigen gemacht hat. Jedenfalls soll erreicht werden — mit Zustimmung der Arbeitnehmer —, daß berufliche Bildungsmaßnahmen, wenn notwendig, schon zu einem Zeitpunkt eingeleitet werden, wenn Arbeitslosigkeit nach dem geltenden Recht noch nicht vorliegt, jedoch der Arbeitnehmer voraussichtlich in seinem erlernten Beruf oder in der überwiegend ausgeübten Tätigkeit nicht weiterbeschäftigt oder nach Lage des Arbeitsmarktes nicht wieder entsprechend vermittelt werden kannMeine Damen und Herren, ich bin ganz sicher, daß die Ausschußberatungen und auch die Sachverständigenanhörung, von der Herr Kollege Behrendt schon gesagt hat, daß sie von uns gewünscht wird, Diskussionen auslösen werden, ob es gerechtfertigt ist, dem Arbeitgeber 75 % des von ihm gezahlten Lohnes oder Gehaltes durch das Arbeitsamt zu erstatten. Aber ich sage hier ganz freimütig, daß es darauf ankam und wohl auch ankommt, die Interessen der Beteiligten gegeneinander abzuwägen. Im Vordergrund stand jedenfalls für uns, der wirtschaftlich-technischen Entwicklung, vor allen Dingen aber der Bereitschaft der Arbeitgeber zur Beurlaubung ihrer Arbeitnehmer nicht erschwerende Hindernisse in den Weg zu legen. Das Ziel ist, den Arbeitnehmer vor dem beruflichen Abstieg zu bewahren, was in den meisten Fällen auch zur Wahrung seines sozialen Besitzstandes führen wird.Bei all unseren Maßnahmen müssen wir Schritt halten mit den Erfordernissen unserer Zeit. Es wird immer dringender, die dem Gesetzgeber in der Praxis davongelaufene Berufsausbildung nicht durch ein neues Gesetz zu versteinern, sondern den Entwicklungstendenzen von Wirtschaft und Technik ebenso freien Raum zu schaffen wie jeden bis zum höchsten Maß seiner Leistungsfähigkeit zu fördern. Wir sagen unmißverständlich und das bringt unser Gesetzentwurf zum Ausdruck —: Berufsausbildung ist eine öffentliche Aufgabe. Deshalb dürfen Prestigegründe nicht länger vorherrschend sein, wenn es um das Gemeinwohl geht. Die sozialpolitische, volkswirtschaftliche und gesellschaftspolitische Bedeutung der Berufsausbildung läßt nach unserem Dafürhalten ein Ressortdenken, welcher Institution und Gruppe auch immer, nicht mehr zu. Hier geht es weder darum, den Kammern nur Freundliches zusagen, noch etwa darum, an den gewerkschaftlichen Forderungen nach Mitbestimmung herumzunörgeln. Richtig bleibt, daß Arbeitnehmerinteressen erheblich berührt werden und daß sie nur ungenügenden Ausdruck in den Organen der Kammern finden.Richtig bleibt auch, daß der Deutsche Gewerkschaftsbund in seinem 1959 veröffentlichten Entwurf eines Berufsausbildungsgesetzes selbst nur die Forderung nach Mitwirkung der Arbeitnehmer erhob und sich im übrigen stark an dem Berliner Berufsausbildungsgesetz von 1951 orientierte. In der Tat verdient die positive Erfahrung mit diesem Berliner Gesetz unser aller Beachtung. Es kann kein einziges Beispiel in dem nun schon mehr als 15jährigen Bestehen dieses Gesetzes angeführt werden, daß die Mitwirkung der Arbeitgeber oder der Arbeitnehmer in unzulässiger Weise eingeengt worden wäre. Alle Stellungnahmen des Beirats, wie dieses Gremium nach dem Berliner Gesetz heißt, waren stets so fundiert, daß der zuständige Minister keine Veranlassung fand, jemals etwas anderes zu praktizieren. In Berlin ist also eine gleichberechtigte Zusammenarbeit beratender Art mit ganz erheblicher Effektivität praktiziert worden. Warum sollte das nicht auch auf Bundesebene in dem Ausschuß für Berufsausbildung möglich sein?Unser Entwurf geht allerdings im Gegensatz zu den Vorstellungen des DGB nicht von der paritätischen Mitwirkung der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer aus. Denn wenn man Berufsausbildung als eine öffentliche Aufgabe versteht, kann man letzten Endes nicht die öffentliche Seite draußen lassen, sondern muß sie gleichrangig berücksichtigen.Im übrigen gibt es ja auch gleichläutende Empfehlungen der EWG-Kommission; Herr Kollege Behrendt wies schon darauf hin.Aus allen diesen Gründen sieht unser Entwurf vor, daß die an der Berufsausbildung unmittelbar beteiligten Arbeitgeber. Arbeitnehmer und öffentlichen Körperschaften in einem Bundesausschuß und in Länderausschüssen für Berufsausbildung mitwirken sollen. Die Zusammensetzung des Bundesausschusses sichert nach unserem Dafürhalten die Wahrung der wirtschaftlichen, sozialen und bildungspolitischen Interessen an der Berufsausbildung unter übergeordneten Gesichtspunkten. Der Bundesausschuß hat nach unseren Vorstellungen bei der Neuordnung der Berufsausbildung eine wichtige beratende Funktion im Sinne einer Initiative. Er hat ferner das Recht, vor Erlaß von Rechtsverordnungen gehört zu werden und zu sonstigen einschlägigen Angelegenheiten von Bedeutung Stellung zu nehmen.Wir lassen auch keinen Zweifel daran, daß der Ausschuß beim Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung errichtet werden soll, um durch die Harmonisierung des gesamten Ausbildungsprozesses von Lehre, Anpassung und Fortbildung der sozialen Sicherung der Arbeitnehmer verantwortungsbewußter entsprechen zu können. Die Verantwortung für die Durchführung des Gesetzes muß beim zuständigen Minister liegen, der hierbei durch das Parlament kontrolliert wird.
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LiehrAus dem gleichen Grunde haben wir auch die Funktion der Landesausschüsse ähnlich gestaltet. Der Entwurf erwartet darüber hinaus aber von ihnen auch, daß sie eine aktive Tätigkeit zur Schaffung geeigneter Ausbildungseinrichtungen und optimaler Ausbildungsvoraussetzungen entwickeln.Lassen Sie mich hier einfügen: wir sind sehr überrascht und verwundert, daß in dem Entwurf der Koalition an keiner Stelle die Mitwirkung der Länder vorgesehen ist, obwohl sie in unserem dualen Ausbildungssystem ein Großteil der Verantwortung mindestens für den theoretischen Teil der Berufsausbildung tragen. Wir fragen die Koalition: Wie will sie eigentlich gewährleisten, daß das Berufsschulwesen sinnvoll eingebaut wird und eine entsprechende Würdigung im theoretischen Teil der Lehrabschlußprüfungen findet? Wie soll z. B. die betriebliche Berufsausbildung mit der schulischen Bildung abgestimmt werden? Hier werden, wie mir scheint, die Länder in höchst unzulässiger Weise an die Kette des Bundes gelegt, und wir gestehen Ihnen offen, daß wir dies für einen bedeutsamen Konstruktionsfehler des Koalitionsentwurfs halten.Nun noch einige Bemerkungen zu den Bezirksausschüssen der Kammern. Die Stellung dieser Ausschüsse ist anders gelagert als die der Bundes- und Länderausschüsse. Sie sollen mitwirken bei der Durchführung der den Kammern obliegenden Aufgaben. Nach unserem Entwurf sollen die Berufsschullehrer erstmalig Gelegenheit erhalten, auf die betriebliche Ausbildung Einfluß zu nehmen — eine längst fällige Verzahnung unseres dualen Ausbildungssystems. Der -Entwurf räumt den Bezirksausschüssen eine betontstarke Stellung ein. Ihnen sind von den Kammern die erforderlichen Auskünfte zu erteilen. Damit ist ihr Informationsrecht gesichert. In bestimmten Einzelfällen kann eine Beschlußfassung durch die zuständigen Kammerorgane verlangt werden. Unbenommen bleibt das Recht, die Behörde anzurufen, die die Rechtsaufsicht über die Kammern ausübt. Schließlich: auch die höhere Verwaltungsbehörde hat bei bestimmten Anlässen nicht die Kammern, sondern die Bezirksausschüsse zu hören.Lassen Sie mich zu diesem Teil zusammenfassend sagen: Die Forderung nach überbetrieblicher Mitbestimmung der Gewerkschaften kann nach unserem Dafürhalten nicht partiell für den Bereich der Berufsausbildung gelöst werden, weil sie im Grundsatz eine Reform der ganzen Unternehmensverfassung voraussetzt. Wir werden also die Diskussion darüber an anderer Stelle zu führen haben.Unser Entwurf soll nur die Rahmenvorschrift für eine Anpassung des Arbeitsmarktes an die Entwicklung von Wirtschaft und Technik sein. Auf diesen Grundsätzen aufbauend, muß nach unseren Vorstellungen der Bundesarbeitsminister im Zusammenwirken mit dem Bundesausschuß für Berufsausbildung die sinnvolle Ausfüllung des Arbeitsmarktsanpassungsgesetzes vornehmen. Wir möchten ausdrücklich betonen, daß unser Entwurf eine bewegliche Gestaltung der Ausbildungsberufe beinhaltet und daß er damit auch den notwendigen und möglichen Veränderungen der Zukunft Rechnung trägt.Ich darf schließen mit einer Feststellung des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung:Stetiges und angemessenes Wachstum erfordert den Wandel der Strukturen, der Wandel der Strukturen jedoch Menschen, die ihm gewachsen sind, die ihn treiben und ihn tragen. An den Menschen werden immer neue Anforderungen gestellt, denen er nur genügen kann, wenn zu einer breiten Grundausbildung die Möglichkeit ständiger Fortbildung kommt. Fortschritte auf dem Gebiet der Bildung, an der in unserer Gesellschaft alle Schichten der Bevölkerung teilhaben sollen, setzen sich auch in wirtschaftlichen Fortschritt um, allerdings erst nach langen Jahren, vielleicht sogar erst nach einem Menschenalter. Wenn es somit auf irgendeinem Gebiet öffentlicher Tätigkeit der langfristigen Vorausschau, der Planung und der Stetigkeit bedarf, dann auf diesem.
Das Wort hat der Abgeordnete Müller .
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich ein zweifaches Wort des Dankes an den Beginn meiner Ausführungen stellen: Ein erstes Wort des Dankes an Herrn Staatssekretär Langer dafür, daß er für beide Ministerien hier die eindeutige Erklärung abgegeben hat, daß die Ministerien für alle Vorschläge offen sein werden, die im Zusammenhang mit dem Berufsausbildungsgesetz gemacht werden. Ein zweites Wort des Dankes aber an die drei Herren, die auf der Pressetribüne sitzen,
dafür, daß sie diesem für unsere Jugend so wichtigen Bereich so viel Aufmerksamkeit schenken.Meine Damen und Herren, nachdem wir jahrelang darauf gewartet haben, einen Entwurf zur gesetzlichen Regelung der Berufsausbildung beraten zu können, sind wir heute in der glücklichen Lage, gleich zwei Gesetzentwürfe zu haben. Ich begrüße für die Fraktionen der CDU/CSU die heutige Gelegenheit, über Fragen der Arbeitsmarktanpassung und der Berufsausbildung zu diskutieren. Meine wesentliche Aufgabe wird es sein, dabei die Fragen der Arbeitsmarktanpassung, der Berufsforschung und beruflicher Umschulungsmaßnahmen zu behandeln.Zuvor jedoch einige Ausführungen zur Frage: Jugend und Arbeit, Jugend und Beruf, Jugend und Berufswahl!Die Internationale Arbeitskonferenz hat diesen Problemen vor einigen Jahren ein besonderes Kapitel ihrer Beratungen gewidmet. Nach der elementaren Feststellung, daß die Jugendlichen von heute als Arbeitnehmer die Grundlage der Gesellschaft von morgen bilden und verantwortlich sein werden für das gesamte wirtschaftliche und soziale Leben, sagt und fragt die Internationale Arbeitskonferenz:
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Müller
Um Beruf, Ausbildung, Arbeits- und Sozialprobleme der Jugend voll zu verstehen und bemüht zu sein, das Rechte zu tun, müssen wir uns immer wieder Fragen stellen, von deren Beantwortung für das Verhältnis von Jugend zur Arbeit, zum Beruf, aber auch zur Gesellschaft viel abhängt.Sorgen wir heute in ausreichender Weise dafür, daß die Jugend nicht nur gesund, gut genährt, in guten Wohnungen untergebracht und gut gekleidet ist, sondern daß sie auch gut vorbereitet ist für das Berufsleben und die ihr zukommende Rolle in der Gesellschaft?Tun wir genug, um der Jugend geeignete Erwerbsmöglichkeiten zu verschaffen und um siezu einer vernünftigen Berufswahl anzuleiten?Können wir mit gutem Gewissen behaupten, daß der jugendliche Arbeitnehmer in der wünschenswerten Weise in die Welt der Arbeit eingegliedert wird, Freude an der Arbeit hat und bei der Arbeit alle gebotene Fürsorge erhält?Verstehen wir die speziellen Probleme, die beim Übergang von der Schule zum Berufsleben an sie als Arbeitnehmer und Staatsbürger herantreten, und helfen wir ihnen, sie zu bewältigen?Fragen über Fragen! Die Jugendlichen treten heute, gleichviel, wo sie leben, in eine Welt, die ihnen immer zahlreichere und vielfältigere beruf- liche Möglichkeiten bietet. Ihrer Berufswahl sind aber auf Grund vieler wirtschaftlicher, sozialer, kultureller und menschlicher Faktoren, die Ausmaß und Art der vorhandenen Beschäftigungsmöglichkeiten bestimmen, reale Grenzen gezogen. Das Mosaik der Berufe wird immer komplizierter, die Berufsaussichten lassen sich immer schwerer erkennen, und das Problem der Berufswahl wird immer schwieriger und verwickelter. Wir hatten in den letzten Jahren zu wenig Nachwuchskräfte, um alle neuen Arbeitsplätze zu besetzen, die sich aus dem technischen Fortschritt und dem Entstehen neuer Industrien und Dienstleistungsgewerbe ergeben haben.Es ist heute hier nicht der Platz, die schulische Bildung und die Vorbereitung auf das Berufsleben im einzelnen zu behandeln. Wenn man aber in der Bundesrepublik erstmals daran geht, die Berufsausbildung in einem einheitlichen Gesetz festzulegen, dann wird es zumindest gestattet sein, auch auf die Notwendigkeit der genügenden schulischen Vorbereitung auf das Berufsleben hinzuweisen — ich betone: die Vorbereitung auf das Berufsleben —, zumal alle diese wichtigen Fragen bei der im Umbruch befindlichen industriellen Gesellschaft ein besonderes Schwergewicht erhalten.Herr Dr. Burkhard Lutz vom Institut für sozialwissenschaftliche Forschung in München bereitet zur Zeit ein Buch vor, in dem er nach einem Überblick über die wichtigsten Entwicklungstendenzen der Arbeitswelt eine Reihe neuer Entwicklungen und Ansätze auf dem Gebiet der Berufsausbildung darstellt und versucht, die institutionellen Möglichkeiten und Voraussetzungen für ein dynamisches System der Berufsausbildung zu skizzieren. Wir dürfen dieser Ausarbeitung, die voraussichtlich im Frühjahr nächsten Jahres erscheinen wird, mit besonderem Interesse entgegensehen. Ich bin in der glücklichen Lage — und daher Herrn Dr. Lutz zu besonderem Dank verpflichtet —, einige dieser Probleme hier heute behandeln zu können.Herr Dr. Lutz geht davon aus, daß die Entwicklung der Berufsausbildung in Deutschland sich bisher in zwei Phasen vollzogen hat. Er untersucht den Begriff der Meisterlehre als erste Phase, um dann den Begriff der industriellen Betriebslehre als zweite Entwicklungsphase in der Berufsausbildung durch die Entstehung eines neuen Ausbildungsprinzips, das mit dem Prinzip der Meisterlehre in Konkurrenz trat, zu zeichnen. Ohne der handwerklichen Meisterlehre Abbruch zu tun, die auch heute noch ein wichtiger Faktor der Berufsausbildung ist, kann gesagt werden, daß sie heute nicht mehr in allen Bereichen den technischen Qualifikationsansprüchen genügt, die von der sich entwickelnden und mit immer stärkerem Maschineneinsatz arbeitenden Industrie an ihren Facharbeiternachwuchs gestellt werden müssen.Dr. Lutz bezeichnet als die wesentlichen neuen Kennzeichen dieser zweiten Phase, der industriellen Betriebslehre, die Trennung von Arbeitslehre und produktiver Arbeit der Auszubildenden in der Lehrwerkstatt, die Entwicklung eigener Ausbildungsvorschriften und Berufsbilder für industrielle Lehrberufe, die entweder neu geschaffen wurden oder sich langsam von den gleichgenannten handwerklichen Berufen differenzieren, und ein zunehmendes Gewicht des theoretischen Unterrichtes bis hin zur Errichtung staatlich anerkannter Werkberufsschulen, in denen die Lehrlinge wesentlich mehr Unterrichtsstunden erhalten als in öffentlichen Berufsschulen. Diese zweite Entwicklungsphase, die der Entstehung einer spezifischen industriellen Lehrausbildung, ist eng mit der Entwicklung der industriellen Produktionstechnik verbunden. Es ist unbestreitbares Verdienst der industriellen Berufsausbildung, daß sie z. B. erstmals in großem Umfange versucht hat — weil sie dazu gezwungen wurde —, die Probleme der Arbeitspädagogik systematisch zu durchdenken. Damit hat sie der pädagogischen Forschung beträchtliche Impulse verliehen.Die industrielle Berufsausbildung entstand aus der Einsicht, daß die handwerkliche Meisterlehre nicht mehr ausreichte, um die Qualifikationsbedürfnisse des industriellen Facharbeiternachwuchses in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu befriedigen. Es wäre daher überraschend, wenn nicht durch die seither eingetretenen oder sich heute für die Zukunft abzeichnenden Veränderungen der industriellen Arbeitswelt neue, ähnlich grundlegende Entwicklungssprünge in der Berufsausbildung erzwungen würden.Dr. Lutz ist ferner der Meinung, daß die Idee eines solchen neuen Entwicklungssprungs, des Übergangs zu einer neuen, dritten Entwicklungsphase um so näher liege, als die handwerkliche Meisterlehre und die industrielle Facharbeiterausbildung, so verschieden sie in vielen Punkten sind, eine Reihe wich-Müller
tiger Gemeinsamkeiten aufweisen, deren Übereinstimmung mit den neu entstehenden industriellen Arbeits- und Tätigkeitsbedingungen zu überprüfen ist. Sowohl die Handwerkslehre wie die industrielle Facharbeiterlehre richten sich an Jugendliche, orientieren sich an festgefugten Berufsstrukturen und erfassen nur einen bestimmten, möglicherweise nicht einmal den größeren Teil der später von den jetzt Ausgebildeten geübten Tätigkeiten. Wenn die These vom Übergang zu einer neuen Entwicklungsstufe der beruflichen Ausbildung richtig sein sollte, so ist anzunehmen, daß sich die neuen Formen und Wege der Berufsausbildung von diesen gemeinsamen Kennzeichen der Handwerks- und der Industrielehre deutlich unterscheiden werden, so wie sich seinerzeit innerhalb der skizzierten Gemeinsamkeiten die Industrielehre von wichtigen Prinzipien der handwerklichen Meisterlehre absetzte.Meine Damen und Herren, ich möchte die eingehende Untersuchung der Zukunftsaussichten einer schon begonnenen dritten Phase der Berufsausbildung jetzt nicht mehr weiter erörtern. Ich wollte diese Ausführungen nur voranstellen, weil sie mir für .die Begründung der Arbeitsmarkt- und Berufsforschung von ausschlaggebender Bedeutung zu sein scheinen.Die Fraktion der CDU/CSU hat Anfang dieses Jahres auf Drucksache V/222 dem Hause einen Antrag vorgelegt, der die Anpassung des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung an den technischen Fortschritt und an die wirtschaftliche Entwicklung zum Inhalt hat. In diesem Antrag wurde die Bundesregierung ersucht,dem Bundestag eine Novelle zum AVAVG zuzuleiten mit dem Ziel, die Vorschriften des AVAVG an den technischen Fortschritt und an die wirtschaftliche Entwicklung anzupassen.Dieser Antrag ist in der 52. Sitzung des Deutschen Bundestages am 29. Juni 1966 nach Beratung im Ausschuß für Arbeit bei Stimmenthaltung der SPD-Fraktion angenommen worden.
Ich mußte diese Ausführungen über unseren damaligen Antrag, auf Grund dessen das Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung mit einem eigenen Arbeitsstab tätig geworden ist, voranschicken, um deutlich zu machen, daß wir die Fragen der Arbeitsmarkt- und Berufsforschung und der Anpassung der Arbeitskräfte an den technischen Fortschritt und die wirtschaftliche Entwicklung nicht in einem Berufsausbildungsgesetz, sondern in einem Gesetz geregelt wissen wollen, das für die Tätigkeit der Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung besonders geschaffen wurde.
Wir haben seinerzeit verlangt, daß das Instrumentarium der Maßnahmen nach dem AVAVG so ausgestaltet wird, daß unerwünschte soziale Folgen, die sich aus dem technischen Fortschritt und den Strukturveränderungen der Wirtschaft ergeben können, durch gezielte Beschäftigungs- und Berufspolitik verhindert werden. Wir haben die Bundesregierung außerdem ersucht, die Berufsforschung zu fördern und deren Erkenntnisse zu nutzen.Dieser Antrag der CDU/CSU-Fraktion ging zu Recht davon aus, daß die Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung auf dem Arbeitsmarkt d i e Ordnungsfunktion hat, so daß es im Rahmen dieser Funktion eine der wichtigsten Zukunftsausgaben der Bundesanstalt sein wird, die technische Entwicklung, insbesondere die Automation und ihre sozialen Begleiterscheinungen, zu beobachten, zu erforschen und durch geeignete Maßnahmen Vorsorge dafür zu treffen, daß negative soziale Auswirkungen des technischen und wirtschaftlichen Fortschritts nach Möglichkeit vermieden, zumindest aber aufgefangen werden.Wenn man der Bundesanstalt in den zukünftigen Entwicklungen in Erfüllung dieser ihrer Ordnungsfunktion eine so wichtige Aufgabe zuweist, dann muß man ihr selbstverständlich auch die rechtliche Grundlage dazu geben. Sicher können auch heute schon auf Grund der Bestimmungen des Gesetzes Maßnahmen getroffen werden, die eine drohende Arbeitslosigkeit verhindern. Im allgemeinen ist es jedoch so, daß die bisherigen gesetzlichen Bestimmungen für die weitergehende Aufgabe nicht ausreichen. Daher muß vor allem eine Neufassung des § 202 AVAVG kommen, die der heutigen Aufgabe der Bundesanstalt, über die herkömmliche Arbeitsmarktbeobachtung hinaus eine Arbeits- und Berufsforschung mit dem Ziel einer gewissen Vorausschau für die Zukunft zu betreiben, besser Rechnung trägt als bisher.
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Bitte schön!
Herr Kollege Müller, haben Sie vielleicht eine zeitliche Vorstellung, wann mit einer solchen Vorlage seitens der Bundesregierung wohl zu rechnen ist?
Herr Kollege Behrendt, ich komme gleich darauf.
Eine völlige Überarbeitung des vierten Abschnittes des Gesetzes, insbesondere der §§ 130 ff. ist geboten. Danach sollten Vorsorgemaßnahmen der Bundesanstalt auch für solche Arbeitnehmer vorgesehen werden, die noch nicht arbeitslos sind, deren Arbeitsplatz aber durch die technische Entwicklung gefährdet ist.Die SPD-Fraktion beantragt nun im § 3 ihres Entwurfs die gleiche Arbeitsmarkt- und Berufsforschung und will die Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung beauftragen, ein Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung zu errichten. Es ist heute schon davon gesprochen worden. Aus eigener Kenntnis, auch aus eigener Zeitkenntnis, Herr Kollege Liehr, aber auch aus
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Müller
Veröffentlichungen der Bundesanstalt ist bekannt, daß Vorstand und Verwaltungsrat der Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung — also die dreigeteilte Selbstverwaltung: Arbeitgeber, Arbeitnehmer, öffentliche Hand sich in den vergangenen Monaten sehr intensiv mit dieser Frage beschäftigt haben, und nicht erst seit der Einbringung des Gesetzentwurfes der SPD.
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Herr Kollege Müller, ist Ihnen entgangen, daß ich darauf hinwies, daß unsere Fraktion seit etwa zwei Jahren an diesem Entwurf gearbeitet hat?
— Ganz erstaunlich, Herr Kollege Müller. Und ist Ihnen bekannt — --
— Das hat er jetzt geschafft.
Und ist Ihnen bekannt, Herr Kollege Müller —
damit trete ich gewiß niemandem zu nahe —, daß es letztlich vor allem auf das Drängen der Gewerkschaften in den Selbstverwaltungsgremien der Bundesanstalt zurückzuführen ist, daß es überhaupt zu einem Punkt gekommen ist, wo auch die Anstalt selbst nun die Errichtung eines solchen Instituts für wünschenswert hält?
Herr Kollege Liehr, es ist wirklich rührend anzusehen, wie wir uns hier alle bemühen, das Erstgeburtsrecht für uns in Anspruch zu nehmen. Wir arbeiten ebenfalls seit langer Zeit an unserem Gesetzentwurf. Sie sind uns zweifellos mit der Einbringung dieses Gesetzentwurfs um eine Nasenlänge voraus. Mir scheint aber, dafür ist unser Gesetzentwurf um so besser.
Was die Bundesanstalt angeht, so weiß ich nicht, wer wen beflügelt hat — ob Ihre Beratungen die Bundesanstalt oder ob die Tätigkeit der Selbstverwaltung der Bundesanstalt Ihren Gesetzentwurf beflügelt hat. Im Grunde genommen ist das aber auch egal, weil es hier um die Sachfrage geht.
Die Bundesanstalt hat einen Sonderausschuß „Technischer Fortschritt und Arbeitsmarkt" eingesetzt, der sich bemüht, gestützt auf die Beratung von anerkannten Wissenschaftlern und Forschern, alle Materialien für einen sinngemäßen Einsatz der Bundesanstalt in den genannten Sachgebieten sicherzustellen. Die Selbstverwaltung ging dabei davon aus, daß sich heute immer mehr die Erkenntnis durchsetzt, daß eine längerfristige Vorausschau bei der Bildung und Ausbildung, bei der Arbeitsmarkt- und Berufsforschung notwendig ist. Daneben ist die Erkenntnis der Wandlungen der Berufe ein weiterer Schwerpunkt dieser Aufgaben.Die Bundesanstalt will Erkenntnisse sammeln, sie will also erkennen, wie die durch die technische Entwicklung bewirkten und zu erwirkenden Veränderungen in der Funktion des Arbeitsmarkts und der Berufe sind, um danach die gesamte künftige Arbeit der Bundesanstalt auf dem Gebiet der Arbeitsvermittlung und Berufsberatung zu orientieren. Sie hat inzwischen den Beschluß gefaßt, ein Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung zu errichten, und hat auch bereits notwendige Vorarbeiten eingeleitet. Mir scheint also, daß insoweit der SPD-Entwurf offene Türen einrennt.Aber ich möchte hier zur Frage der Forschung sagen, daß es uns nicht darauf ankommt, daß die Berufsforschung allein bei der Bundesanstalt betrieben wird. Auch hier soll die Forschung frei sein, und ich meine, hier sollte kein Monopol für die Bundesanstalt geschaffen werden. Hier scheint mir auch ein geeignetes Forschungsfeld für die Universitäten, z. B. die Ruhr-Universität, zu sein.
— Es gibt ja nicht nur die Ruhr-Universität, es gibt auch andere Universitäten, für die das ein wichtiges Feld der Forschung wäre. Ich vertrete die Auffassung, daß die Bundesanstalt für diese Aufgabenstellung eine ganz klare gesetzliche Grundlage haben muß. Nur um das noch einmal deutlich zu sagen: Uns scheint das geeignete Instrumentarium dazu die große Novelle zum AVAVG zu sein, von der auch der Herr Bundesarbeitsminister in vielen Reden und Veröffentlichungen schon gesprochen hat, so daß wir annehmen dürfen, daß die Bundesregierung entsprechend dem Antrag der CDU/CSU in absehbarer Zeit — ich schätze: etwa zum Frühjahr des kommenden Jahres — dem Hohen Hause die große Novelle zum AVAVG vorlegen wird.Lassen Sie mich den dritten Abschnitt des SPD-Entwurfs überschlagen und mich mit dem vierten Abschnitt — der Förderung der Teilnahme an beruflichen Bildungsmaßnahmen — beschäftigen. Hierzu hat der Kollege Liehr ja schon einschränkende Ausführungen gemacht.
— Einschränkend hinsichtlich des Bildungsurlaubs.Im § 46 sieht die SPD einen Urlaub für berufliche Bildungsveranstaltungen vor. Es ist Ihnen bekannt, meine Damen und Herren — in der Presse hat es gestanden —, daß mein Fraktionskollege Budde sich der Fragen des Bildungsurlaubs in besonderer Weise angenommen hat. Ich glaube nicht, daß man die Teilnahme an beruflichen Bildungsveranstaltungen, wie im SPD-Entwurf vorgesehen, im Berufsausbildungsgesetz losgelöst von der sonstigen Frage des Bildungsurlaubs behandeln kann. Die Frage des Bildungsurlaubs ist nicht nur unter dem Zeichen der beruflichen Weiterbildung, sondern vor
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allem auch der gesellschaftspolitischen und insbesondere der staatspolitischen Bildungsarbeit zu sehen. Meine Freunde und ich neigen daher dazu, diese Frage gesondert zu behandeln und einer für alle Seiten zufriedenstellenden Lösung zuzuführen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Behrendt?
Herr Kollege Müller, darf ich daraus entnehmen, daß wir in absehbarer Zeit — um in Ihrem Wortschatz zu bleiben — mit einem Gesetzentwurf Ihrer Fraktion über den Bildungsurlaub rechnen dürfen?
Sie dürfen damit rechnen, Herr Kollege Behrendt.
Der fünfte Abschnitt des SPD-Entwurfs enthält nun Vorschläge für die Verhütung von Arbeitslosigkeit oder unterwertiger Beschäftigung. Wenn wir auch grundsätzlich der Meinung sind, auch dieser Abschnitt gehöre in die große Novelle zum AVAVG, möchte ich doch einige Ausführungen zum Sachproblem machen, damit Sie erkennen, wie sehr wir diesen wichtigen Fragen der Wirtschaft und der in ihr beschäftigten Arbeitnehmerschaft Bedeutung beimessen.Sie wissen — es ist fast banal, das hier auszusprechen —, wir sind in ein neues Zeitalter der Technik eingetreten. Rationalisierung, Automatisierung und vor allem auch die Atomenergie sind im Begriffe, die Welt der Industrie und der Arbeit von Grund auf um- bzw. neuzugestalten. Neue Produktionsverfahren, neue Erzeugnisse werden entwickelt, neue Energiequellen werden erschlossen. Die Forschung bringt immer wieder Neuerungen, teils von größerer, teils von geringerer Bedeutung. Alle aber sind bezeichnend für die sich vor unseren Augen abwickelnde und vollziehende Revolution der Technik, die man teilweise als die „zweite industrielle Revolution" bezeichnet. Hinzu kommt das strukturelle Wirtschaftsproblem.Diese Entwicklung beherrscht das Geschehen im Bereich der Arbeit und der Sozialpolitik. Sie schafft ernste wirtschaftliche und soziale Anpassungsprobleme für die industrielle Gesellschaft. Sie stellt damit aber auch Wirtschaft und Gesellschaft auf eine entscheidende Probe. Im Grunde sind diese Probleme nicht neu; sie sind in anderer, wenn auch wesentlich milderer Form schon in früheren Etappen der Industrialisierung aufgetaucht. Sie scheinen jedoch durch das Tempo der heutigen Entwicklung einen dramatischen Akzent erhalten zu haben.Die Arbeits- und Sozialprobleme, die durch den technischen Fortschritt auftauchen, treten je nach Industrie, Berufszweig oder Unternehmen, aber auch in jedem Land verschiedenartig auf. Auch der Ursprung und das Tempo sind verschieden. Aber durch welche technische Änderung diese Probleme auch entstanden sein mögen, im Grunde sind sie alle darauf zurückzuführen, daß die Struktur der industriellen Welt sich rasch umwandelt, so daß wirdieser schnellen Wandlung der Technik unsere besondere Aufmerksamkeit schenken müssen, daß sich unser Denken darauf konzentriert und als Folge dieser Entwicklung umstellt. Das scheint mir eines der Grundprobleme zu sein, daß wir unser Denken umstellen müssen; denn es gibt heute kein Land und keine Industrie, die nicht vom technischen Fortschritt erfaßt wären. Ob wir das wünschen oder nicht wünschen, ist in dem Zusammenhang völlig uninteressant; denn der Gang der Dinge ist doch nicht aufzuhalten, und ich glaube, es ist sogar kaum denkbar, die Geschwindigkeit, mit der die Veränderung sich vollzieht, irgendwie zu regeln.Für unser Thema und für die weiteren Überlegungen im gesellschaftlichen Bereich geht es darum, die sozialen Probleme, die sich durch die Dynamik der technischen Umwälzung in unserer industriellen Gesellschaft ergeben, zu erkennen und entsprechende Folgerungen daraus zu ziehen.Man kann, ohne daß meine Darstellung Anspruch darauf erheben kann, vollständig zu sein, im wesentlichen folgende Einzelprobleme dabei erkennen: Die Auswirkungen der verstärkten Rationalisierung und der Automatisierung, insbesondere auch das Tempo dieses Fortschritts auf die Gesamtlage der Beschäftigung, die notwendig werdende berufliche Umschichtung, die Frage des Umsetzens von Arbeitskräften innerhalb eines Betriebes, eines Industriezweiges, oder gar von einem Industriezweig zum anderen.In diesem Zeitalter der technisch-wirtschaftlichen Strukturwandlungen gehen berufsstrukturelle Veränderungen bei Arbeitern und Angestellten vor sich. Denn diese Umstellung der Berufe hängt mit der Umstellung der Technik zusammen. Ich wollte damit nur deutlich machen, daß wir um der Mobilität der Arbeitskräfte willen rechtzeitige Umschulungsmaßnahmen sowohl durch die Betriebe als auch — übergeordnet — durch die Arbeitsverwaltung einleiten müssen.Die in ihrer Dynamik erst später voll auf uns zukommende Auswirkung der technischen Entwicklung wird neben solchen Folgerungen weitere Auswirkungen in der Arbeitsplatzwahl und der Arbeitsplatzgestaltung mit sich bringen. Wir sind daher dankbar, daß die Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung schon heute an die besondere Förderung von Umschulungs- und Anpassungsmaßnahmen für Arbeitnehmer denkt, deren Arbeitsplatz durch die technische Entwicklung bedroht ist. Wir sehen in diesem Zusammenhang bei der Novellierung des AVAVG folgende schwerpunktmäßige Aufgaben, die die Voraussetzung sein müssen für Maßnahmen zur Verhütung von Arbeitslosigkeit und unterwertiger Beschäftigung, so wie es im Gesetzentwurf der SPD gesagt wird: 1. Sammlung und Auswertung von Untersuchungen und Statistiken über die Entwicklung der Erwerbsbevölkerung, der Produktion und der Arbeitsproduktivität, 2. Beobachtung der technischen Entwicklung in den Betrieben und deren Auswirkungen auf die Arbeitnehmer, 3. systematische Untersuchungen von Wirtschaftszweigen über den Stand der Technisierung in den einzelnen Betrieben und die dadurch bedingten
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Müller
Anforderungen an die Arbeitnehmer, 4. Untersuchungen über den Wandel der Berufe, Wandel der Berufsverhältnisse, neue Berufe, Nachwuchs- und Arbeitskräftebedarf.Soviel, meine Damen und Herren, zu den Abschnitten des SPD-Entwurfs, deren Problematik nach unserer Meinung, um es noch einmal deutlich zu sagen, in der großen Novelle zum AVAVG behandelt werden muß.Lassen Sie mich abschließend noch einiges zur Frage des Berufsausbildungsgesetzes in der Gegenüberstellung des Entwurfes meiner Fraktion und des SPD-Entwurfes sagen. Ein modernes Berufsausbildungsgesetz hat vor allem dem Jugendlichen und seiner persönlichen und beruflichen Entwicklung zu dienen. Andere Erwägungen, etwa wirtschaftspolitische Gesichtspunkte — so wichtig sie auch in diesem Zusammenhang sein mögen —, haben zurückzutreten gegenüber den gesellschaftspolitischen Überlegungen und der Heranbildung der beruflichen Persönlichkeiten des Jugendlichen.Vor einigen Jahren hat ein namhafter Kommentator des Rundfunks überhaupt Zweifel an der Notwendigkeit der beruflichen Ausbildung bekundet. Er meinte damals, man könne den einzelnen Jugendlichen den in der freien Wildbahn auf der Lauer liegenden Arbeitgebern bei der augenblicklichen Arbeitsmarktsituation überlassen. Er könne eine Arbeit beginnen, und wenn er dann nach einiger Zeit feststellen sollte, diese Arbeit sei nichts für ihn, dann würde ja der Arbeitsmarkt genügend Möglichkeiten zum Wechseln bieten. Sollte eine solche Auffassung außer bei diesem Rundfunkkommentator auch noch bei anderen zu finden sein, dann müßte sie in aller Deutlichkeit und scharf zurückgewiesen werden. Die Berufsausbildung ist für die Mehrheit der jungen Menschen das Kapital ihres Lebens. Aus diesem Grunde muß eben die Vorbereitung auf das Berufsleben und die Berufsausbildung die beste sein, die man sich nur denken kann. Sie darf den weiteren beruflichen Weg des einzelnen nicht blockieren, sondern muß ihn fördern. Sie muß bei der laufenden Wandlung der Berufe Spielraum lassen für die auf der Grundbasis sich aufbauenden beruflichen Möglichkeiten des einzelnen.Wir müssen uns aus diesem Grunde davor hüten, ein allzu perfektioniertes Gesetz zu schaffen, das einengend wirkt.
Notwendig ist, ein Rahmengesetz zu schaffen, das den kommenden Entwicklungen gerecht wird und bei den jetzt laufenden Experimenten z. B. der Stufenausbildung, alle Möglichkeiten gibt, solche günstigen Entwicklungen mit zu erfassen, sowie Spielraum für die Entfaltung läßt. Unter diesem Gesichtspunkt ist auch der CDU/CSU-Entwurf geschaffen worden, wobei ich freimütig sagen kann — lasten Sie mir das jetzt bitte nicht an; ich sage es in allem Freimut —, daß uns in der sprachlichen Formulierung der in diesem Hause eingerichtete Redaktionsstab geeignete Vorschläge machen könnte, damit man unter Beibehaltung des sachlichen Inhalts in einem modernen Berufsausbildungsgesetzauch eine moderne Sprache spricht, die der Jugendliche von heute versteht.
— Wir haben in diesem Hause einen solchen Redaktionsstab. Bitte, ich stelle mich hier hin und bekenne ganz offen, daß eine solche Formulierung möglich ist.
Bei der Gegenüberstellung der beiden Gesetzentwürfe findet man manche Gemeinsamkeiten. Manches erscheint uns aber gerade im Sinne des letztgenannten Gedankens der Stufenausbildung zu perfektioniert. Wir möchten der Selbstverwaltung der Wirtschaft allerdings unter gleichverantwortlicher Mitarbeit der Arbeitnehmer ein möglichst weites Feld zur alleinigen Gestaltung überlassen und den Sachverstand der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerorganisationen in Fragen der Berufsausbildung für die Regierung nutzen. So sehen wir auch die Errichtung des Bundeskuratoriums für Berufsausbildung, das, um arbeiten zu können, selbstverständlich die notwendigen Grundlagen erhalten muß. Als einen besonderen Fortschritt aber sehen wir die verantwortliche Zusammenarbeit von Arbeitgebern und Arbeitnehmern unter Hinzuziehung von Lehrkräften der berufsbegleitenden Schule auf der bezirklichen Ebene der Kammern an. Hier ist, so scheint mir jedenfalls, im Sinne einer gesellschaftspolitischen Gleichstellung unter Wahrung der Verantwortlichkeit von Arbeitgebern und Arbeitnehmern meiner Fraktion eine bessere Lösung eingefallen, als sie der SPD-Entwurf zeigt.Nun haben Sie hier davon gesprochen, daß in unserem Entwurf ein Landesausschuß nicht vorgesehen sei. Ich darf hier erklären: das ist für uns kein Dogma. Wenn die weiteren Beratungen zeigen sollten, ,daß ein Landesausschuß gerade wegen der berufsbegleitenden Schule notwendig ist, dann werden wir da nicht zu eng sein. Auf der anderen Seite ist aber in unserem Entwurf vorgesehen, daß das Bundeskuratorium eng mit der Ständigen Konferenz der Kultusminister zusammenarbeiten soll, weil ja die Länder für die berufsbegleitende Schule zuständig sind.Beide Entwürfe stellen auf die Ausbildungseignung der Ausbilder ab. Ich möchte für meine Fraktion betonen, daß die berufspädagogische Eignung des Ausbilders, auch wenn sie nicht ausdrücklich aufgeführt ist, von uns als unbedingte Voraussetzung angesehen wird.
Auf weitere Einzelheiten beider Entwürfe möchte ich jetzt nicht mehr eingehen. Ich möchte aber betonen, daß auch wir bei den kommenden Beratungen für jede sachverständige Äußerung zum Problem der Berufsausbildung ,dankbar sind und daß wir für jede positive Mitarbeit und sachliche Kritik offen sein werden.
— Auch beim Kammerpräsidenten, Herr Schulhoff.
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Müller
Lassen Sie mich abschließend aber noch einen Gedanken in die Debatte werfen, der bisher weder in dem SPD-Entwurf noch in dem CDU-Entwurf seinen Niederschlag gefunden hat. In Zusammenarbeit zwischen der Bundesregierung und den Arbeitgeber- und Arbeitnehmerorganisationen, die an der Berufsausbildung interessiert sind, wurde vor einigen Jahren eine „Woche des Berufes" durchgeführt. Leider ist dieser an sich gute Gedanke dann nicht mehr weiter verfolgt worden. Die Organisationen der Arbeitnehmer führen seitdem in eigener Regie Berufsleistungsvergleiche oder Berufswettkämpfe durch, die aber teilweise auch unter dem Gesichtspunkt des organisationspolitischen Prestiges gesehen werden. Könnte es nicht möglich sein, daß wir bei der Beratung dieses Entwurfs die Wiedereinführung der „Woche des Berufes" vorgeschlagen, um einen gemeinsamen Träger für solche berufsvergleichenden Wettkämpfe zu erhalten, deren berufspolitische Bedeutung man keineswegs unterschätzen sollte?
Dies aber nur als Fragestellung und Anregung.Lassen Sie mich zusammenfassen. Die CDU/CSU-Fraktion sagt ja zu einem einheitlichen, möglichst alle Berufe umschließenden Berufsausbildungsgesetz, soweit das eben möglich ist. Sie ist dankbar für jede Anregung bei der endgültigen Beratung dieses Gesetzes. Wir anerkennen die Notwendigkeit der Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, wie wir es in unserem Anfang dieses Jahres gestellten Antrag zum Ausdruck gebracht haben, ebenso wie die erweiterten Aufgaben der Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung im Sinne der Verhütung von Arbeitslosigkeit und unterwertiger Beschäftigung. Wir sind aber der Meinung, daß diese Problemkreise in die große Novelle zum AVAVG gehören.Wir sind dankbar für diese Gelegenheit, unsere Auffassung von der großen gesellschaftspolitischen Bedeutung des Berufes zum Ausdruck zu bringen. Denn vornehmlich in seinem Beruf und durch seinen Beruf gelangt der Mensch zur vollen Entfaltung seiner Persönlichkeit. Die Sinngebung des Berufs steht in einem unlöslichen Zusammenhang mit der rechten Wertung der Arbeit. Dabei ist Berufsausbildung nicht einseitige Bildung für den Beruf. Sie ist auch nicht einseitige Bildung durch den Beruf. Dem Wesen der Bildung entsprechend, ist die Berufsbildung Bildung im Beruf, also in der technischen, wirtschaftlichen, sozialen und gesamtgeistigen Lebenssituation des Menschen. Der Beruf ist nicht nur an Ort und Zeit der Berufstätigkeit gebunden. Vom Beruf her wird eine lange Phase des Lebens einschließlich der Freizeit und des Familienlebens nachhaltig geformt. Daher ist Ziel der Berufsbildung auch eine Persönlichkeitsbildung. Diesem Ziel wollen wir durch diese Beratungen ein Stück näherkommen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Friderichs.
Herr Präsident! Verehrte Damen! Meine Herren! Ich möchte mich nicht in das scheinbare Wettrennen um zeitliche Probleme einlassen, da ich der Meinung bin, daß das Wettrennen um die Zeit — wer immer es gewinnt — das Unwichtigere ist gegenüber dem Wettrennen um die Qualität; denn das ist es, worum wir hier zu ringen haben.Ich darf an die letzten Worte des Herrn Kollegen Müller anknüpfen. Ich möchte vor allen Dingen darauf hinweisen, um welche Zahl von Menschen es sich handelt, für deren zukünftiges Leben wir hier Entscheidungen zu treffen haben. Wir haben im Jahre 1965 nicht weniger als 1,3 Millionen Jugendliche in Lehrverhältnissen gehabt. Das ist eine Zahl, die es allein schon rechtfertigt, sich mit dem Problem gründlich und ich sage es noch einmal — unter dem Gesichtspunkt der Qualität der Ausbildung und weniger unter dem Gesichtspunkt des Wettrennens um das Erstgeburtsrecht zu befassen.Ich möchte mich jetzt nicht damit auseinandersetzen, wo die einzelnen Gruppen beschäftigt sind. Aber eines kann man feststellen — und ich glaube, das gehört zur Situationsbedingtheit —: daß sich eine Konzentration auf bestimmte Berufsgruppen vollzogen hat. Immerhin hatten wir im Jahre 1964 bei den Industrie- und Handelskammern 741 000 Ausbildungsverhältnisse registriert, die es zu betreuen galt. Auf die industrielle Ausbildung entfielen rund 250 000, auf die kaufmännische rund 450 000 gegenüber ca. 35 000 Anlernlingen. Interessant scheint mir zu sein, daß wir zwar 455 anerkannte Ausbildungsberufe haben, daß aber von den rund 740 000 Lehrverhältnissen über 600 000 in nur 20 Berufen registriert sind. Es ist nicht ganz unwichtig, zu sehen, wie die Verhältnisse im einzelnen liegen.Wir können also feststellen, daß viel stärker, als das früher der Fall war, ein Entstehen und Absterben von Berufsgruppen in Erscheinung tritt, zusätzlich auch eine permanente Modifizierung von Berufsbildern. Lassen Sie mich es so ausdrücken: mit dem Ende der ständischen und vorindustriellen Gesellschaft und mit dem Ende des Zunftwesens setzte ein bis heute wirksamer Prozeß der Auflockerung der Berufsstrukturen ein. Die Gründe sind — ich finde, wir sollten es begrüßen in der geistigen Emanzipation, allerdings auch in der Betonung des materiellen Lebenserfolges und schließlich in einer fortschreitenden Technisierung und Automation zu suchen.Dieser Entwicklung laufen parallel — und das ist an sich logisch —steigende Anforderungen nicht nur an die Lehrlinge, sondern auch an die Ausbilder, an die Ausbilder, die neben ihren unternehmerischen Aufgaben — auch das sollten wir hier einmal anerkennend erwähnen — auch noch die Aufgabe der Ausbildung des Nachwuchses zu übernehmen haben und in der Vergangenheit, wie alle Berufswettkämpfe mit den benachbarten Staaten bewiesen, ausgezeichnet erfüllt haben. Das sollte man an dieser Stelle einmal an die Adresse derjenigen sagen, die sich um die Ausbildung des Nachwuchses bemüht
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Dr. Friderichshaben; Ausbilder, die zu einem großen Teil nicht nur Ausbilder sind, sondern als Unternehmer in Kleinbetrieben und Handwerksbetrieben in erster Linie ihren Betrieb führen mußten und gleichzeitig für den Nachwuchs zu sorgen hatten. Der moderne Ausbilder — und das gilt für den Unternehmer wie für den Ausbildungsleiter — muß die fachliche Befähigung mitbringen; er muß darüber hinaus eine beachtliche Allgemeinbildung besitzen neben Erfahrung und Charakter. Der vollzeitig beschäftigte Ausbilder — lassen Sie mich das an die Adresse der industriellen Ausbildungsplätze sagen — muß sich darüber hinaus im klaren sein, daß er tunlichst in regelmäßigen Abständen in die produktive Arbeit zurückkehren sollte, damit er weiß, was auf seine eigenen Lehrlinge nach Abschluß der Ausbildung zukommt.
Immerhin, auch die Zahl darf man nennen. Die Zahl der Ausbilder allein in der Industrie betrug im Jahre 1963 9050, was einem Verhältnis von 1 : 11 entspricht, ein Verhältnis, das angesichts der Tatsache, daß in der Industrie sehr häufig die Lehrlinge zusammengefaßt sind, sich auch gegenüber dem Verhältnis von Lehrern und Schülern in allgemeinen Schulen sehen lassen kann. Jeder zweite Lehrling der gewerblichen Industrie wird heute bereits in einer Lehrwerkstätte ausgebildet. Auf zehn Ausbildungsplätze kommt ein Ausbilder.Ich glaube allerdings, daß auch die Anforderungen an die Auszubildenden, d. h. an die Lehrlinge gestiegen sind. Sie sind darüber hinaus Einflüssen von außen ausgesetzt, insbesondere einer beachtlichen Ablenkung, die ihnen die moderne technisierte Welt entgegenbringt. Wir müssen das zur Kenntnis nehmen; wir werden es nicht ändern. Wir müssen nur den Versuch unternehmen, die Berufsausbildung auch auf diesen Umstand hin zu untersuchen und anzupassen. An dieser Stelle warne ich ebenso vor Ideologien wie vor Pseudoideologien. Hier sollten wir uns den Realitäten zuwenden. — Das an alle Seiten des Hauses.Aber wir müssen bei der Qualität derjenigen, die sich der Berufsausbildung unterziehen, und bei der Qualität derjenigen, die die Berufsausbildung absolviert haben, auch berücksichtigen, mit welcher Vorbildung sie die Berufsausbildung antreten. Hier muß man ganz einfach einmal zugeben, daß unser Schulwesen in vielen Bereichen den Anforderungen nicht oder mindestens noch nicht gerecht wird — ich meine unser allgemeinbildendes Schulwesen —, die der Beginn beispielsweise einer Facharbeiterlehre der Feinmechanik, der Elektrotechnik oder der Fernsehtechnik an sich bereits voraussetzt. Wir müssen also, wenn Klagen darüber geführt werden, immer sehr wohl unterscheiden, ob die Klagen hinsichtlich der Berufsausbildung im praktischen Teil oder im schulbegleitenden Teil berechtigt sind oder ob die Betreffenden bereits an den allgemeinbildenden Schulen nicht ausreichend für den Beginn einer Lehre vorgebildet worden sind. Von 700 000 Schulentlassenen hatten 1965 120 000 nicht einmal den Volksschulabschluß. 425 000 hatten den Volksschulabschluß; aber wir wissen, was das für mancheSpezialberufe bedeutet. Nur 100 000 waren Absolventen von Realschulen, und 48 500 hatten Abitur.Lassen Sie mich ein paar Worte zu dem Problem der Stufenausbildung sagen. Im Grunde genommen ist die Stufenausbildung, um die wir uns auch bei den Beratungen in den Ausschüssen bekümmern müssen, eine organische Fortentwicklung der Ausbildung im Betrieb. Die Anpassung von Ausbildungsinhalt, Ausbildungsmethode und Ausbildungsziel an die jeweiligen und, soweit vorausschaubar, an die zukünftigen Anforderungen, die durch die wirtschaftliche und technische Entwicklung gestellt werden, erfolgt kontinuierlich aus den Bedürfnissen der Praxis. Stufenausbildung will letztlich doch nur zwei Strukturmerkmalen entsprechen, einer Änderung des Qualifizierungsbedarfs in der industriellen Produktion — vollautomatische Fertigungsverfahren — und einer größeren Begabtenstreuung, die bei Jugendlichen festzustellen ist. Das Ziel der Stufenausbildung muß sein, auf dem Wege zum qualifizierten Facharbeiter mehrere vollwertige Abschlüsse zu erreichen.Die offene Frage ist — und man sollte den Mut haben, auch das zuzugeben —: Wird die zukünftige Arbeitskräftestruktur überhaupt so aussehen, wie wir es annehmen? Können wir das feststellen? Können wir es genau feststellen? Hier darf ich gleich eine Einschränkung machen, die sich an die Adresse derjenigen richtet, die glauben, man könne alles vorausberechnen. Beim Beruf und seiner Wahl spielt zunehmend auch das Sozialprestige eine Rolle, das mathematisch nicht vorausberechenbar ist.
— Einiges andere natürlich 'auch.
Die Entwürfe der Koalitionsfraktionen und der Opposition haben eine Abstimmung des Verhältnisses von theoretischer zu praktischer Ausbildung nicht vorgenommen. Ich bin auch der Meinung, daß das letztlich nicht genau fixierbar ist. Aber lassen Sie mich hier ein paar Worte zu den Ausführungen des Herrn Kollegen Liehr sagen. Ich glaube, wir sollten bei dem bewährten System der betriebsnahen praktischen Ausbildung mit der begleitenden Schule bleiben, da alle Berufswettkämpfe mit benachbarten Staaten, die andere Systeme haben, die Überlegenheit unseres Systems eindeutig erwiesen haben.
Auch aus der Statistik ist das eindeutig ablesbar.Wir verkennen nicht, daß die theoretischen Anforderungen gestiegen sind. Dem müssen wir durch eine bessere Ausbildung in der allgemeinen Grundschule und natürlich durch eine den Anforderungen an die Lehrlinge angepaßte berufsbegleitende Schule Rechnung tragen.Selbstverständlich wird auch die betriebliche Ausbildung den verstärkten Anforderungen an die theoretischen Kenntnisse Rechnung tragen müssen. Aber man kann hier ruhig sagen, daß sie das in der Vergangenheit getan hat. Allein die Tatsache, daß wir heute in der Industrie 2070 Lehrwerkstätten mit einem Zuwachs von rund 80 pro Jahr haben
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Dr. Friderichsund noch zusätzlich 800 Lehrwerkstätten im Handwerk, davon 20 überbetriebliche, zeigt, daß auch die Privatwirtschaft bereit ist, auf eigene Kosten den Erfordernissen Rechnung zu tragen.Die Berufsausbildung muß — das, glaube ich, müssen wir in aller Offenheit hier aussprechen — auch den Wechsel des Arbeitsplatzes durch eine breit angelegte Stufenausbildung ermöglichen. Sie soll aber auf der anderen Seite auch sicherstellen, daß der Wechsel des Arbeitsplatzes nicht notwendig wird, indem nämlich bei Veränderungen der Betriebsstruktur die Ausbildung so war, daß die Anpassung an die neue Betriebsstruktur ohne Schwierigkeiten möglich ist. Wir sollten vorbeugen, damit nicht gewechselt werden muß.Lassen Sie mich jetzt ein paar Worte zur Berufsforschung sagen und zu dem Teil, dessen Herr Kollege Liehr sich sehr breit angenommen hat. Herr Kollege Liehr, ich stehe der Berufsforschung und der Notwendigkeit, sie zu haben, um die Ausbildungsberufe danach auszurichten, mit meiner Fraktion sehr aufgeschlossen gegenüber. Nur eines: das Beispiel, das Sie gebracht haben, ist natürlich ein mehr als hinkendes Beispiel. Die Tatsache, daß in den Hüttenwerken ein bestimmter Prozentsatz, der sogar sehr hoch ist, aus Personen besteht, die in anderen Berufen ausgebildet worden sind, beruht u. a. darauf, daß es immer noch ländliche Gegenden gibt, in denen kein Hüttenwerk steht, in denen also derjenige, der in den Beruf eintritt, sich einer anderen Ausbildung unterzieht, nach Abschluß seiner Ausbildung aber erkennt, daß er dem Zug in ein Ballungszentrum nun folgen will, und daher seinen Beruf oder wenigstens seinen Arbeitsplatz wechselt. Auch das sollte man dabei berücksichtigen.
Ich werde allerdings im einzelnen zu diesen Problemen noch Stellung nehmen.Es zeichnet sich ein zunehmender Trend zu einer Dienstleistungsgesellschaft ab. Zunehmende Kompliziertheit des Zusammenlebens bringt steigendes Organisationsbedürfnis, höherer Lebensstandard kompliziertere Investitionsgüter. Wir müssen uns dieser Tatsache bewußt sein. Die „éducation permanente" gewinnt wachsende qualitative und quantitative Bedeutung, insbesondere auch für die Lehrkräfte.Die richtige Berufsausbildung — das hat Herr Kollege Müller sehr deutlich hervorgehoben — ist die beste Gewähr für eine soziale und für eine wirtschaftliche Sicherheit. Ich möchte auf die gemeinsamen Bestrebungen der EWG nicht mehr eingehen; hierzu hat sich Herr Kollege Liehr ausführlich und, ich finde, hinreichend geäußert. In den Beratungen der Ausschüsse werden wir über diese Fragen noch sprechen müssen. Ich möchte aber einen anderen Aspekt erwähnen. Wir sollten uns bei allen Bestrebungen auch darüber klar sein, daß wir in einer echten Wettkampfsituation mit der Wirtschaft des Ostblocks stehen und daß wir auch auf dem Gebiet der Berufsausbildung Konsequenzen daraus zu ziehen haben, wenn wir nicht unterlegen sein wollen.Die berufliche Bildung hat zwei Richtungskomponenten. Sie zielt erstens — und ich wage das auch in dieser Reihenfolge zu sagen — auf eine wirtschaftliche Effizienz und zweitens auf die Persönlichkeitsförderung des einzelnen. Sie hat also einen ökonomischen Nutzen — wenn Sie wollen: Bildung als Kapitalumweg —, und sie hat auf der anderen Seite einen sozialen Nutzen. Das Ineinanderwachsen von Bildung und Ausbildung macht zweifellos ständige Fortschritte. Die Interdependenz zwischen Gesellschaft, Wirtschaft und Individuum ist so eng, daß man die verschiedenen Lebens- und Wirkungsbereiche nicht mehr getrennt sehen darf. Berufsbildung ist daher eine ethisch geforderte permanente kritische Auseinandersetzung mit der technischen, ökonomischen und gesellschaftlichen Entwicklung. Deshalb kann die Persönlichkeit durch sie nur zur optimalen Entfaltung gelangen und konstruktiver Teil der Gesellschaft werden.Der Mangel beider Entwürfe — beider Entwürfe! — besteht darin, daß wir immer noch nicht — vielleicht auch niemals — in der Lage sind, die Fort- und Weiterbildung entscheidend voranzutreiben. Das Problem des „life-long learning" werden wir in den Ausschußberatungen sehr eingehend untersuchen müssen. Wir werden untersuchen müssen, wie wir sicherstellen können, daß mit Abschluß der Lehrausbildung nach der Facharbeiterprüfung oder der Gesellenprüfung eine weitere Ausbildung und Fortbildung im Interesse des Ganzen erfolgt. Ich bin daher der Meinung — bevor ich zu Einzelheiten der Gesetzentwürfe etwas sage —, daß die Berufsausbildung drei Komponenten hat — und wir müssen diesem dreigeteilten Charakter gerecht werden —: sie ist Sozialpolitik, sie ist Wirtschaftspolitik, und sie ist Bildungspolitik. Vielleicht haften den beiden Entwürfen die beiden ersten Komponenten zu sehr an — Ihrem die Sozialpolitik, unserem die Wirtschaftspolitik —; bei beiden ein bißchen wenig Bildungspolitik. Das sollten wir ruhig einmal kritisch hier ausführen. Die Wirtschaft hat aber im eigenen Interesse und im Verantwortungsbewußtsein der Wichtigkeit der Berufsausbildung für die Gesamtwirtschaft Milliarden investiert, die wir hier auch einmal erwähnen sollten.Lassen Sie mich nun zu den beiden Entwürfen einige kurze Anmerkungen machen, wobei ich der Meinung bin, daß es in einer ersten Lesung nicht Aufgabe sein kann, im Detail alle Fragen anzusprechen; das ist eine typische Aufgabe für die Ausschüsse.Ich begrüße es, daß die sozialdemokratische Opposition einen Entwurf vorgelegt hat. Ich bin fast versucht, den Namensbestandteil „Anpassungsgesetz", wenn es von der Opposition kommt, irgendwie meditierend hier auszulegen, aber vielleicht sollte ich das unterlassen.
— Ich habe ja gesagt, daß ich es nicht tun will, Herr Kollege.Der Teil, der sich mit der Berufsausbildung befaßt, wird Gegenstand der Beratung im Ausschuß
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Dr. Friderichssein. Der Teil, der überschrieben ist: „Fünfter Abschnitt — Verhütung von Arbeitslosigkeit oder unterwertiger Beschäftigung" gehört nach unserer Auffassung nicht in ein Berufsausbildungsgesetz.
— Ich bin bereit, Herr Kollege Liehr, das zur Kenntnis zu nehmen. Wir erstreben aber ein Berufsausbildungsgesetz; deswegen sind wir der Meinung, daß dieser Teil in diesem Gesetz nichts zu suchen hat, und deswegen haben wir zusammen mit der Koalitionsfraktion diesen Entwurf eingebracht.
— Ich bin bereit, es mir anzusehen, Herr Kollege Behrendt. Ich bin sogar der Meinung, ich kenne es. Ich bin aber der Meinung, daß das, was sich im Augenblick im Ruhrgebiet tut, nicht primär eine Frage der Berufsausbildung, sondern eine Frage der Strukturveränderung in der Wirtschaft ist, und das hat mit der Berufsausbildung unmittelbar überhaupt nichts zu tun. Eine breite Berufsausbildung muß so angelegt sein, daß die Betroffenen umschulen können. Sie können diese Wirtschaft nicht konservieren, was Sie im Augenblick wollen.
— Ja, ich wollte die eben mit Verstand lösen, Herr Kollege Wehner, und das ist vielleicht auch richtiger.
— Das habe ich ja sofort zugestanden, daß das sogar das Primäre sei, Herr Wehner. Ich habe mich nur gegen eine Energiepolitik gewandt, die nicht mit Verstand gemacht wird; dazu stehe ich auch nach wie vor.Mehr möchte ich im Moment zu dem Arbeitsmarktanpassungsgesetz nicht sagen, als daß der Abschnitt 5 von uns abgelehnt wird.Lassen Sie mich ein paar Worte zu dem Entwurf der Koalitionsfraktionen sagen, den wir selber unterschrieben haben. Wir glauben, daß dieser Entwurf, verbessert in den Ausschußberatungen, eine mehr als brauchbare Grundlage ist, um den Anforderungen, die heute an die Berufsausbildung gestellt werden, gerecht zu werden.Die Bedenken meiner Fraktion, die ich hier in aller Klarheit zum Ausdruck bringe, gelten dem § 43 des von uns mit unterzeichneten Entwurfs. Sie sind rechtzeitig vor der heutigen Beratung dem Vorsitzenden der CDU-Fraktion zur Kenntnis gebracht worden. Wir halten es für schlecht, wenn § 43 in seiner Zielrichtung mehr auf eine Mitbestimmung als auf eine sachgerechte Mitwirkung der Arbeitnehmer der kammerzugehörigen Firmen in den zuständigen Ausschüssen gerichtet ist. Wir anerkennen, daß die Mitwirkung der Arbeitnehmer der kammerzugehörigen Betriebe im § 8-Ausschuß und inden Prüfungsausschüssen ausgezeichnete Erfolge gebracht hat. Der Versuch, sie zu institutionalisieren, sie zu einem Organismus der Kammer zu machen und damit das Spannungsfeld auf Kosten der Jugendlichen zu vergrößern, halten wir für problematisch und, meine Kollegen, für falsch. Deswegen behalten wir uns vor, insoweit in den Ausschußberatungen entsprechende Änderungsanträge einzubringen.Das vorrangige Ziel muß sein und bleiben, die Ausbildung zu fördern und nicht den Versuch zu machen, Ideologien oder Pseudoideologien in Form eines Berufsausbildungsgesetzes zum Durchbruch zu verhelfen.Der Mangel des Entwurfs — und auch insoweit behalte ich mir vor, in den Ausschußberatungen Veränderungen anzuregen — liegt darin, daß die Berufsforschung und -prognostik im Entwurf nicht berücksichtigt ist. Wir können in den Ausschußberatungen gern darüber sprechen, ob eine gleichzeitige Verabschiedung eines anderen Gesetzes das sicherstellt. Jedenfalls halten wir als Basis für die zukünftige Gestaltung der Berufsausbildung eine ausreichende Forschung für erforderlich, das möchte ich hier in aller Klarheit sagen.Mehr auch zu diesem Entwurf im Augenblick nicht, abgesehen von dem einen, daß ich meine, daß wir auf der Basis eines einmal von allen Fraktionen angenommenen Antrages prüfen sollten, ob es nicht noch Lehrverhältnisse gibt, die in unserem Entwurf nicht berücksichtigt sind, die aber nach ihrer Art geeignet wären, in diesen Entwurf mit aufgenommen zu werden. Wir sollten versuchen, so viele Lehrverhältnisse wie möglich in den Entwurf hineinzunehmen, soweit sie dort sachgerecht untergebracht werden können. Ich denke beispielsweise an heilpflegerische Berufe, an die Landwirtschaft und an einige Spezialberufe, etwa der Schiffahrt, die durchaus ausbildungsähnlichen Charakter haben.Das Verhältnis von theoretischer zu praktischer Unterweisung, von dem ich gesprochen habe, werden wir in dem Entwurf nicht expressis verbis regeln können, auch aus verfassungsrechtlichen Gründen. Wir sollten aber bei der Schaffung der Berufsbilder dieser Relation eine zunehmende Bedeutung beimessen und darauf achten, daß die richtigen Relationen im Einvernehmen der beiderseitig Betroffenen gefunden werden.Lassen Sie mich zum Schluß zum Procedere sagen, daß ich mit meiner Fraktion der Meinung bin, daß dieser Entwurf und später dieses Gesetz seine Ressortierung primär bei dem Bundesminister für Wirtschaft haben muß. Es handelt sich in der Mehrzahl der Bestimmungen des Koalitionsentwurfs ganz eindeutig um ordnungspolitische Fragen des Wirtschaftsrechts. Sie sind dem Handelsgesetzbuch, der Gewerbeordnung, der Handwerksordnung entnommen. Wir sollten daher den Mut haben, konsequent so wie im Entwurf vorgesehen die primäre Zuständigkeit des Wirtschaftsministers beizubehalten. Dabei ist natürlich der Arbeitsminister bezüglich der Bereiche, für die seine Zuständigkeit gegeben ist, zu beteiligen. Daraus folgt notwendig und logisch, daß
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Dr. Friderichsdie Beratung federführend im Ausschuß für Wirtschaft zu erfolgen hat, mitberatend in den Ausschüssen für Arbeit sowie für Jugend und Familie und außerdem nach unserer Auffassung eine gutachtliche Äußerung des Ausschusses für Wissenschaft, Kulturpolitik und Publizistik bezüglich der allgemeinen Bildungsfragen, die in diesem Entwurf enthalten sind. Ich darf daher namens meiner Fraktion beantragen, eine entsprechende Ausschußüberweisung vorzunehmen.
Das Wort hat der Abgeordnete Wieninger.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen, meine Herren! Die Christlich-Soziale Union, die der wirtschaftlichen und soziologischen Struktur des Landes Bayern entsprechend mittelständisch orientiert ist, begrüßt es, daß das Berufsausbildungswesen nun durch unseren Koalitionsantrag neu geregelt werden kann. Wir werden in den Ausschüssen loyal an der Gestaltung dieses wichtigen Gesetzes mitarbeiten.
Allerdings verhehlen wir nicht, daß nach unseren Vorstellungen die Einbeziehung des Handwerks in den Geltungsbereich der Vorlage uns bedenklich erscheint. Durch die Deutsche Handwerksordnung vom Jahre 1953 und durch die Novellierung des Gesetzes vom Jahre 1965 sind die gesetzlichen Bestimmungen der Berufsausbildung der Lehrlinge im Handwerk befriedigend geregelt und den erforderlichen modernen Gegebenheiten angepaßt worden. In aller Welt werden wir darum beneidet, daß wir über ein Handwerksrecht aus einem Guß verfügen, das die Organisation des Handwerks, die Berufsausübung und die handwerkliche Berufsausbildung umfaßt. Das Handwerk bildet 64 % der gewerblichen Lehrlinge aus, fast doppelt soviel wie die Industrie. Daß die Berufsausbildung im Handwerk nicht schlecht sein kann, erhellt aus der Tatsache, daß 90% aller Teilnehmer an den Gesellenprüfungen diese bestanden haben. Die internationalen Berufswettkämpfe, bei denen die deutschen Handwerkslehrlinge fast immer am besten abschneiden, beweisen den Hochstand des handwerklichen Berufsausbildungswesens. Aus diesem Grunde möchte ich nachdrücklich davor warnen, das Herzstück der Handwerksordnung, die Bestimmung über die Berufsausbildung, aus dieser herauszulösen.
Wir sind gern bereit, in den Ausschüssen darüber zu reden, ob die Berufsausbildungsvorschriften der Handwerksordnung in der Fassung von 1965 im Sinne der hier in Rede stehenden Vorlage angepaßt werden können, so daß kein Bruch im allgemeinen Berufsausbildungswesen entsteht. Somit hätte unsere Vorlage die Funktion eines Rahmengesetzes.
Zur Frage der Ausschußüberweisung möchte ich feststellen, daß wir eigentlich die Zuständigkeit des Ausschusses für Wirtschaft und Mittelstandsfragen für gegeben erachten, und zwar aus folgenden
Gründen; darauf hat auch der Herr Kollege Dr. Friderichs schon hingewiesen.
Erstens. Die Gesetzesmaterien sind bisher im Handelsgesetzbuch, in der Gewerbeordnung und in der deutschen Handwerksordnung geregelt gewesen. Das sind Gesetze des Wirtschaftsrechts. Eine Herauslösung und Zusammenfassung ändert nichts an ihrem Rechtscharakter.
Zweitens. In besonders hohem Maße wird das Kammerrecht berührt. Den Industrie- und Handelskammern und den Handwerkskammern werden durch die Prüfungsordnungen, durch das Lehrvertragswesen und durch die Führung der Lehrlingsrollen Verpflichtungen auferlegt. All dies sind Materien der Wirtschaftsgesetzgebung. Die Kammern unterliegen darüber hinaus ausschließlich der Aufsicht der Landwirtschaftsministerien.
Drittens. Beide Gesetzentwürfe, der der SPD und der der Koalition, haben das Ziel, die Anpassung der Berufsausbildung an die Entwicklung von Wirtschaft und Technik zu sichern. Das ist Wirtschaftsrecht, dafür wäre der Ausschuß für Wirtschaft und Mittelstandsfragen zuständig.
Viertens. Selbst der Entwurf der SPD würde eigentlich unter dem Gesichtspunkt in die Zuständigkeit des Ausschusses für Wirtschaft und Mittelstandsfragen fallen, daß sich von 68 Paragraphen 42 mit der Regelung von Berufsausbildungsfragen befassen. Auch hier ist ein unabweisbares Übergewicht des Wirtschaftsrechts gegeben.
Trotz dieser Umstände hat die Mehrheit der Fraktion der CDU/CSU es für zweckmäßig erachtet, die Überweisung der Anträge an den Ausschuß für Arbeit vorzuschlagen. Wir, die wir anderer Meinung sind, beugen uns in demokratischer Haltung diesem Mehrheitsbeschluß. Wir geben uns aber der Hoffnung hin, daß der Ausschuß für Arbeit seine Beratungen in einer wirtschaftskonformen Haltung durchführt. Die Überweisung der Vorlage an den Ausschuß für Arbeit bedeutet kein Präjudiz hinsichtlich der Zuständigkeit des Bundeswirtschaftsministers; meine Freunde und ich halten diese Zuständigkeit für zweifelsfrei gegeben. Der mitberatende Ausschuß für Wirtschaft und Mittelstandsfragen wird seine Beratungen mit besonderer Sorgfalt und in besonderer Ausführlichkeit durchführen müssen.
Das Wort hat der Abgeordnete Porten.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Liehr, ich wäre eigentlich versucht wenn dadurch nicht eine Verzögerung eintreten würde, die die abendliche Freizeitgestaltung in Gefahr bringen könnte —, auf Ihre vielen Bemerkungen jetzt näher einzugehen. Ich melde aber jetzt schon an, daß wir uns in ,den Ausschußberatungen über diese nicht unibedeutenden Bemerkungen, mit denen Sie die verschiedenen Handwerkszweige angesprochen haben, sehr eingehend unterhalten werden.
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Porten
Ich darf nun aus dem Blickfeld des Handwerkers noch einige Bemerkungen zu dem anstehenden Thema machen. Ich glaube, es ist notwendig, daß wir gerade aus der Sicht des Handwerks, wo das Ziel vor uns liegt, ein einheitliches Berufsausbildungsgesetz zu finden, in dieser Stunde trotz der vorgeschrittenen Zeit noch einige Anmerkungen machen.
In Industrie, Handel, Handwerk, im Bank- und Versicherungsgewerbe, bei den freien Berufen und in der Landwirtschaft hat sich das Berufsausbildungswesen in der Vergangenheit jeweils eigenständig entwickelt und mußte sich so entwickeln, um den Besonderheiten der verschiedenen Wirtschaftsbereiche zu entsprechen.
Als man die Gewerbeordnung schuf, hat man die Ausbildung in Industrie und Handwerk gemeinsam geregelt. Bald hat sich jedoch gezeigt, daß im Handwerk der Zusammenhang der Berufsausbildung mit den anderen handwerksrechtlich geregelten Bereichen — nämlich Berufsausübung und Berufsorganisation — so eng ist, daß man die Berufsausbildungsvorschriften für das Handwerk zu einem eigenen Bestandteil des Gesetzes machte. Der Prozeß der rechtlichen Neuordnung des Handwerks hatte 1953 durch die Handwerksordnung ihren Höhepunkt gefunden. Seitdem besteht für einen ganzen geschlossenen Wirtschaftsbereich eine gesetzliche Regelung, deren Güte, Zweckmäßigkeit und Erfolg wohl kaum in Zweifel gezogen werden können. Die Novellierung 1965 hatte zum Ziel, auf Grund der bei den allgemeinen Verwaltungsbehörden sowie bei den Handwerkskammern gewonnenen Erfahrungen Änderungen und Verbesserungen einzubauen und vor allem, wie es das Handwerk seit je getan hat, seine Berufsordnung der modernen Entwicklung anzupassen.
In diesem Rahmen wurde deshalb auch der Berufsausbildungsteil novelliert, weil, wie aus dem Bericht des Ausschusses für Mittelstandsfragen hervorgeht, „für den Ausschuß der unverkennbare innere Zusammenhang zwischen Berufsausübung und Berufsausbildung für die dringend notwendigen Korrekturen maßgebend gewesen ist".
Dem steht die Forderung nach einer gesetzlichen Regelung der Berufsausbildung für alle Wirtschaftsbereiche, wie sie vom Mittelstandsausschuß des letzten Bundestages erhoben wurde, nicht entgegen. Die Frage ist jetzt nur, ob man, um die Berufsausbildung in allen Bereichen zu regeln, bewährte Regelungen ändern muß oder ob man, der Besonderheit des Handwerks Rechnung tragend, diesen Bereich dort belassen soll, wo er seiner Bedeutung nach hingehört, nämlich in der Handwerksordnung, oder aber ob man die Bestimmungen der Handwerksordnung geschlossen in diese neu zu findende gesetzliche Ordnung hineinnehmen soll.
Ich betone in dieser Stunde ausdrücklich, das Hauptelement der Ordnung des Handwerks ist, daß das selbständige Handwerk nur von solchen Personen ausgeübt werden darf, die den Nachweis der Befähigung für ihr Gewerbe erbracht haben. Dieser Befähigungsnachweis beruht ausschließlich auf der
Ordnung der Berufsausbildung des Handwerks. Die Regelung der Berufsausbildung in den einzelnen Handwerken ist also die entscheidende Grundlage für die Regelung der selbständigen Handwerkerausübung. Sie bestimmt auch die Funktionen der Handwerksorganisation und die gesetzlich geregelte Mitwirkung der Gesellen.
Von Bedeutung ist hierbei die soziale Schichtung des Handwerks, das nicht in Arbeitgeber und Arbeitnehmer gegliedert ist, sondern in Lehrling, Geselle und Meister, wobei ein Überwechseln in die jeweils nächste, höhere Stufe jedem im Handwerk Tätigen möglich ist. Eine Berücksichtigung dieser Besonderheit des Handwerks ist für viele Wirtschaftsbereiche bedeutungslos, für das Handwerk jedoch eine Existenzfrage.
Der Entwurf der SPD ist für das Handwerk und darüber hinaus für die Gesamtwirtschaft — ich will es sehr vorsichtig ausdrücken, meine Herren von der SPD, besonders Herr Kollege Behrendt — sehr problematisch. Man muß hier die Tätigkeit der Selbstverwaltungsorgane der Wirtschaft einmal näher betrachten und man muß prüfen, ob man nicht mit einem gewaltigen Aufwand an Apparatur und Finanzmitteln der öffentlichen Hand und der bekannten Schwerfälligkeit bei einer bürokratischen Abwicklung etwas anstrebt, was vielleicht im letzten als gemeinsames Ziel nicht zweckmäßig wäre. Der Entwurf der CDU/CSU-Fraktion bewahrt zwar diese Rechte mehr in 'der Selbstverwaltung und gibt dem Staat lediglich die Zuständigkeit für den Erlaß der Ordnungsmittel.
Ich möchte abschließend sagen, daß noch zu prüfen ist, ob die schon erwähnten Zusammenhänge ausreichend berücksichtigt sind: a) Geschlossenheit der Handwerksordnung, b) Zusammenhang von Berufsausbildung, Berufsausübung und Berufsorganisation im Handwerk und c) Mitwirkung der Gesellen im Rahmen der Innungen und Handwerkskammern bei der Berufsausbildung. Wir müssen diese Zusammenhänge bei den kommenden Ausschußberatungen sehr ernsthaft prüfen. Gewachsene geschlossene Ordnungen sollten ohne Not nur dann geändert werden, wenn sie sich hier nicht bewährt haben. In der Handwerksordnung hat sich die Berufsausbildung bestens bewährt.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Rollmann.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube, wir sind uns alle darüber im klaren, daß dieses Berufsausbildungsgesetz für die Kodifizierung und für die Modernisierung des Berufsausbildungsrechts außerordentlich bedeutungsvoll sein wird. Die Qualität der Berufsausbildung wird aber mehr von den ordnungspolitischen Entscheidungen bestimmt werden, die auf Grund dieses Gesetzes in der Zukunft getroffen werden müssen, und von der Praxis der Berufsausbildung im Lande draußen selbst.
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RollmannNun ist hier sehr vieles Richtiges und Zutreffendes bereits gesagt worden. Ich möchte zur Frage der Eingliederung der Ausbildungsvorschriften für den Bereich des Handwerks nur sagen, daß es die Meinung unserer Fraktion ist, daß wir ein einheitliches und umfassendes Ausbildungsgesetz schaffen wollen, das für alle Ausbildungsbereiche Geltung haben und auch ,den Bereich des Handwerks mit umfassen soll.Lassen Sie mich nun am Ende dieser langen Debatte zu einigen Punkten hier noch etwas Zusätzliches sagen.Die deutsche Wirtschaft bringt Jahr für Jahr beträchtliche Summen für die von ihr getragene Berufsausbildung der jungen Generation auf. Die notwendige und mögliche Vermehrung der Zahl der betrieblichen und überbetrieblichen Lehrwerkstätten nicht nur der Industrie, sondern gerade auch des Handwerks erfordert auf der anderen Seite aber steigende finanzielle Aufwendungen. Die Firmen, die oft mit sehr hohen Kosten eine qualifizierte Lehrlingsausbildung betreiben, sind im Nachteil gegenüber den Firmen, die selbst auf eine solche Lehrlingsausbildung verzichten, aber bei der Anwerbung ihrer Arbeitskräfte von der Lehrlingsausbildung ihrer Konkurrenz profitieren.Ich meine, daß wir aus diesem Grunde einen Gedanken prüfen sollten, der in Großbritannien durch den Industrial Training Act von 1964 verwirklicht worden ist. Dort zahlen alle Unternehmen jeweils eines Industriezweigs einen ganz bestimmten Prozentsatz ihrer Lohnsumme als Ausbildungsumlage an einen gemeinsamen Fonds. Aus diesem Fonds fließen dann Mittel an die Unternehmen, die eine qualifizierte Lehrlingsausbildung betreiben. Im übrigen stehen dann aus diesem Fonds genügend Mittel für die Errichtung von überbetrieblichen Lehrwerkstätten und die Einrichtung von Lehrgängen durch die Selbstverwaltungskörperschaften der Wirtschaft zur Verfügung.Ich meine, daß auf diese Weise auch in Deutschland die Kosten für die Berufsausbildung, die doch der gesamten Wirtschaft zugute kommt, auch in gerechter Weise von der gesamten Wirtschaft getragen werden könnten. Die notwendigen Mittel für eine wesentliche Verbesserung der Berufsausbildung der jungen Generationen könnten auf diese Weise aufgebracht werden.Es sind hier bereits einige sehr zutreffende Ausführungen über die Notwendigkeit der Stufenausbildung gemacht worden, und es ist über die Konzentration auf wenige Ausbildungsberufe gesprochen worden, die angeblich eingetreten ist. Wenn wir allerdings die Frage der Konzentration genau untersuchen, dann müssen wir feststellen, daß diese Konzentration auf breit angelegte Ausbildungsberufe sich in den letzten Jahren nicht verstärkt hat und bei uns noch nicht jenen Grad erreicht hat, wie er beispielsweise bereits in Frankreich und in der Schweiz Wirklichkeit geworden ist. Wir wollen hoffen, daß gerade durch das neue Berufsausbildungsgesetz dieser Prozeß der Konzentration auf wenige,breit angelegte Berufe begünstigt und beschleunigt wird. Denn nur dann wird unsere Berufsausbildung sich immer wieder erneut modernisieren können und eine Stufenausbildung für immer größere Teile der jungen Generation ermöglicht werden.Lassen Sie mich noch einige wenige Worte zu der Frage der Ausbildungszeit für Lehrlinge sagen, die heute bekanntlich drei bis dreieinhalb Jahre beträgt. Es besteht wohl weitgehend Einigkeit darüber, daß diese Ausbildungszeiten zu schematisch festgelegt sind und die Anforderungen der verschiedenen Berufe und die persönlichen Leistungen der Lehrlinge nicht genügend berücksichtigen. Diese Ausbildungszeit ist unter den gegenwärtigen Ausbildungsbedingungen für einige Berufe zu kurz, für andere Berufe zu lang. Wissenschaftler sind in ihren Untersuchungen zu dem Ergebnis gekommen, daß hier in Zukunft stärker variiert werden muß.In der Vergangenheit bestand die Berufsausbildung in unserem Lande und in den anderen Ländern aus der Weitergabe eines gesicherten Schatzes von Erfahrungen und Erkenntnissen, mit denen man das Berufsleben bestehen konnte. Heute ist Berufsausbildung mehr als das. Sie muß den Menschen befähigen, in einer sich ständig erneuernden Welt sein täglich Brot und mehr als das zu verdienen. Das Beste, was wir unserer jungen Generation heute in der Berufsausbildung für die Zukunftmitgeben können, ist darum vielleicht dieses: die Fähigkeit, immer wieder neu zu lernen.
Ich schließe damit die Debatte.Nach den gemachten Äußerungen besteht bei der Mehrheit der Wille, den Ausschuß für Arbeit als federführenden Ausschuß zu bestimmen. — Kein Widerspruch; es ist so beschlossen. Mitberatende Ausschüsse sollen der Ausschuß für Wirtschaft und Mittelstandsfragen und der Haushaltsausschuß sein, der Haushaltsausschuß bei Punkt 5 a auch gemäß § 96 der Geschäftsordnung. Weiterhin ist noch Überweisung an den Ausschuß für Familien- und Jugendfragen sowie an den Ausschuß für Wissenschaft, Kulturpolitik und Publizistik beantragt. Ich darf das wohl dahin umdeuten, daß von diesen Ausschüssen eine gutachtliche Äußerung eingeholt werden soll. — Es ist so beschlossen.Ich rufe Punkt 8 der Tagesordnung auf:Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu der Konvention vom 14. Mai 1954 zum Schutz von Kulturgut bei bewaffneten Konflikten— Drucksache V/979 —Der Ältestenrat schlägt vor, den Entwurf an den Innenausschuß — federführend —, den Auswärtigen Ausschuß, den Haushaltsausschuß und den Ausschuß für Wissenschaft, Kulturpolitik und Publizistik — mitberatend — zu überweisen. — Es ist so beschlossen.
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Vizepräsident Dr. DehlerPunkt 9 der Tagesordnung:Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Gewerbeordnung— Drucksache V/1007 —Hier schlägt der Ältestenrat Überweisung an den Ausschuß für Wirtschaft und Mittelstandsfragen — federführend — und an den Ausschuß für Kommunalpolitik, Raumordnung, Städtebau und Wohnungswesen sowie den Ausschuß für Sozialpolitik — mitberatend — vor. — Es ist so beschlossen.Punkt 10 der Tagesordnung:Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über das am 22. Januar 1965 in Straßburg unterzeichnete Protokoll zu dem Europäischen Abkommen vom 22. Juni 1960 zum Schutz von Fernsehsendungen— Drucksache V/1016 —Nach dem Vorschlag des Ältestenrates soll an den Rechtsausschuß — federführend — und an den Ausschuß für Wissenschaft, Kulturpolitik und Publizistik — mitberatend — überwiesen werden. — Es ist so beschlossen.Punkt 11 der Tagesordnung:Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 9. Juni 1965 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Dänemark über die Zusammenlegung der Grenzabfertigung und über die Einrichtung von Gemeinschafts- oder Betriebswechselbahnhöfen an der deutsch-dänischen Grenze— Drucksache V/1017 —Der Ältestenrat schlägt Überweisung an den Innenausschuß — federführend — und an den Finanzausschuß — mitberatend — vor. — Es ist so beschlossen.Punkt 12:Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Protokoll vom 8. Februar 1965 über die Ergänzung des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens durch Einfügung eines Teils IV über Handel und Entwicklung— Drucksache V/1018 —Auch hier wird der Überweisung nach dem Vorschlag des Ältestenrates zugestimmt. Damit ist der Entwurf an den Ausschuß für Wirtschaft und Mittelstandsfragen überwiesen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 13 auf:Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 21. Mai 1965 über den Handelsverkehr und die technische Zusammenarbeit zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und den Mitgliedstaateneinerseits und der Libanesischen Republik andererseits— Drucksache V/1019 —Das Haus stimmt dem Überweisungsvorschlag des Ältestenrates zu. Damit ist der Gesetzentwurf an den Ausschuß für Wirtschaft und Mittelstandsfragen als federführenden Ausschuß sowie an den Ausschuß für Entwicklungshilfe und den Auswärtigen Ausschuß als mitberatende Ausschüsse überwiesen.Tagesordnungspunkt 14:Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 31. August 1961 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Marokko über die Förderung von Kapitalanlagen— Drucksache V/1020 —Auch hier werden gegen den Vorschlag des Ältestenrates auf Überweisung an den Ausschuß für Wirtschaft und Mittelstandsfragen — federführend— und den Auswärtigen Ausschuß — mitberatend— keine Bedenken erhoben. Es ist so beschlossen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 15 auf:Erste Beratung des von den Abgeordneten Bauknecht, Reichmann und Genossen eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Zuckersteuergesetzes— Drucksache V/1021 —Wird das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Dem Überweisungsvorschlag des Ältestenrates wird zugestimmt. Damit ist der Gesetzentwurf an den Finanzausschuß — federführend — sowie an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten und den Haushaltsausschuß gemäß § 96 der Geschäftsordnung — mitberatend — überwiesen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 auf:Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Verwaltungsgerichtsordnung— Drucksache V/307 —Schriftlicher Bericht des Rechtsausschusses
— Drucksache V/795 — Berichterstatterin: Abgeordnete Frau Dr. Kuchtner
Ich danke der Berichterstatterin. Eine Aussprache wird nicht gewünscht.Ich rufe auf Art. 1, — Art. 2, — Einleitung und Überschrift. — Wer zustimmt, gebe bitte Zeichen. -Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmige Annahme.Ich schließe die zweite und eröffne diedritte Beratung.
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3210 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 67. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Oktober 1966
Vizepräsident Dr. DehlerWer dem Gesetz in der vorliegenden Form zustimmt, möge sich erheben. — Das Gesetz ist in dritter Beratung angenommen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 17 auf:Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 29. April 1965 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweizerischen Eidgenossenschaft über die Erleichterung von Rettungseinsätzen und Rücktransporten mit Luftfahrzeugen— Drucksache V/404 —Schriftlicher Bericht des Finanzausschusses
— Drucksache V/992 —Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Müthling
Ich danke dem Herrn Berichterstatter für seinen Bericht. Eine Aussprache wird nicht gewünscht.Wir kommen zur Abstimmung über Art. 1, — Art. 2, — Einleitung und Überschrift. — Wer zustimmen will, gebe Zeichen. — Die Gegenprobe! Enthaltungen? Einstimmig angenommen.Ich schließe die zweite und eröffne diedritte Beratung.Wer dem Gesetz zustimmt, erhebe sich. — Gegenprobe! — Ich kann einstimmige Annahme feststellen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 18 auf:Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung von Vorschriften auf dem Gebiet der Landbeschaffung
— Drucksache V/725 —Schriftlicher Bericht des Innenausschusses
— Drucksache V/1002 —Berichterstatter: Abgeordneter Kunze
Ich danke dem Herrn Berichterstatter.Ich rufe Art. 1, — Art. 2, — Art. 3, — Art. 4, — Einleitung und Überschrift auf. — Wer zustimmt, gebe bitte Zeichen. — Gegenprobe! — Einstimmige Annahme.Ich schließe die zweite und eröffne diedritte Beratung.Wer dem Gesetz zustimmt, möge sich erheben. — Das Gesetz ist einstimmig angenommen.Ich rufe die Punkte 19 und 20 auf:19. Beratung des Schriftlichen Berichts des Finanzausschusses über den von der Bundesregierung zur Unterrichtungvorgelegten Vorschlag der Kommission der EWG für eine Richtlinie des Rats zur Vereinheitlichung der Vorschriften über die abgabenfreie Einfuhr des in den Treibstoffbehältern der Nutzkraftfahrzeuge enthaltenen Treibstoffs— Drucksachen V/859, V/1006 —Berichterstatter: Abgeordneter Ahrens
20. Beratung des Schriftlichen Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten über den von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschlag der Kommission der EWG für eine Verordnung des Rats zur Festsetzung der gemeinsamen Schwellenpreise für Reis in den Mitgliedstaaten ohne eigene Erzeugung für die Zeit vom 1. Dezember 1966 bis 31. August 1967— Drucksachen V/966, V/997 — Berichterstatter: Abgeordneter Dr. GiuliniDas Wort wird nicht gewünscht. Das Haus ist damit einverstanden, daß wir der Einfachheit halber gemeinsam abstimmen. Wir kommen also zur Abstimmung über die Ausschußanträge auf den Drucksachen V/1006 und V/997. Wer zustimmt, gebe bitte Zeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Herr Kollege Wehner hat sich überhaupt nicht beteiligt.
— Aber ich nehme an, er hat ebenfalls zugestimmt.
— Um Gottes willen.
— In dieser Form können Sie es geschäftsordnungsmäßig nicht.Die Ausschußanträge sind einstimmig angenommen.Wir kommen zu Punkt 21 der Tagesordnung:Beratung des Schriftlichen Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten über den Entschließungsantrag der Abgeordneten Ertl, Schmidt (Kempten), Reichmann, Dr. Effertz, Logemann, Peters (Poppenbüll), Walter und Genossen zur Aussprache über den Bericht der Bundesregierung über die Lage der Landwirtschaft gemäß §§ 4 und 5 des Landwirtschaftsgesetzes— Drucksache V/981, Umdruck 21 —Berichterstatter: Abgeordneter HorstmeierIch danke dem Herrn Berichterstatter für seinen Schriftlichen Bericht.
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Vizepräsident Dr. DehlerWir stimmen ab über den Antrag des Ausschusses auf Drucksache V/981. Wer zustimmt, gebe bitte das Handzeichen. Gegenprobe! — Der Antrag ist angenommen.Ich rufe auf Punkt 22 der Tagesordnung:Beratung des Mündlichen Berichts des Innenausschusses über den Antrag der Fraktion der SPD betr. Verstärkung der dienstlichen und staatspolitischen Fortbildung der Angehörigen des öffentlichen Dienstes des Bundes— Drucksachen V/644, V/995 —Berichterstatter: Abgeordneter Berger Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Even.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir bitte, daß ich an Stelle des verhinderten Kollegen Berger den mündlichen Bericht erstatte.
Der Antrag ist in der 50. Sitzung des Deutschen Bundestages am 23. Juni 1966 an den Innenausschuß zur Einzelberatung überwiesen worden.
Der Innenausschuß hat den Antrag in seiner 28. Sitzung am 13. Oktober 1966 abschließend behandelt. Er hat einmütig die Bedeutung der dienstlichen und staatspolitischen Fortbildung der Angehörigen des öffentlichen Dienstes anerkannt. Er hält diese Fortbildung im Interesse einer fortschrittlichen, den neuen Anforderungen gewachsenen Verwaltung, im Hinblick auf die demokratische Festigung ,der Exekutive und nicht zuletzt im Interesse der Angehörigen des öffentlichen Dienstes selber für dringlich.
Gegenüber dem ursprünglichen Text des Antrages hat 'der Innenausschuß darauf verzichtet, von der Bundesregierung einen gesonderten Bericht über den „Umfang der dienstlichen und staatspolitischen Fortbildung der Angehörigen des öffentlichen Dienstes des Bundes" anzufordern. Entsprechend den umfangreichen Vorarbeiten des Bundesministers des Innern hinsichtlich eines besonderen Kapitels für den vom Bundestag angeforderten Bildungsbericht hat sich der Innenausschuß darauf beschränkt, die Bundesregierung zu ersuchen, innerhalb dieses Bildungsberichtes gesondert über die dienstliche Fortbildung der Angehörigen des öffentlichen Dienstes zu berichten. Über die staatspolitische Fortbildung der Angehörigen des öffentlichen Dienstes wird dieser Bildungsbericht im Zusammenhang mit der allgemeinen staatspolitischen Fortbildung berichten.
Da der Bildungsbericht erst Ende des ersten Quartals des nächsten Jahres vorgelegt werden kann, war der Ausschuß damit einverstanden, daß der Zeitpunkt für die Vorlage des Berichtes vom 1. Januar 1967 auf den 30. April 1967 hinausgeschoben wurde.
Ich bitte Sie, dem einstimmig beschlossenen Antrag des Innenausschusses zuzustimmen.
Ich danke dem Herrn Abgeordneten Dr. Even für seinen Bericht.Wir stimmen ab über den Antrag des Ausschusses auf Drucksache V/995. Wer zustimmen will, gebe bitte das Handzeichen. — Der Antrag ist angenommen.Ich rufe auf Punkt 24 der Tagesordnung:Beratung des Mündlichen Berichts des Innenausschusses über den Bericht des Präsidenten des Bundesrechnungshofes betr. Übertragung von Aufgaben auf das Bundesverwaltungsamt— Drucksachen V/417, V/1013 —Berichterstatter: Abgeordneter KunzeIch nehme an, daß das Haus auf die Berichterstattung verzichtet.Wir stimmen ab über den Antrag des Ausschusses auf Drucksache V/1013. Wer zustimmt, gebe bitte das Zeichen. — Der Antrag ist angenommen.Wir kommen zu Punkt 27 der Tagesordnung:Beratung des Schriftlichen Berichts des Ausschusses für das Bundesvermögen über den Antrag des Bundesministers der Finanzen betr. Veräußerung des ehemaligen Standortübungsplatzes Worms-Hochheim an die Stadt Worms— Drucksachen V/769, V/986 — Berichterstatter: Abgeordneter GraaffIch danke dem Abgeordneten Graaff für seinen Schriftlichen Bericht.Wir stimmen ab über den Antrag des Ausschusses auf Drucksache V/986. Wer zustimmt, gebe bitte das Zeichen. — Ich stelle einstimmige Annahme fest.Die Tagesordnungspunkte 28 bis 33 können wir gemeinsam behandeln. Auch hier handelt es sich wie bei Punkt 27 um Berichte des Ausschusses für das Bundesvermögen betreffend Veräußerungen. Mündliche Berichterstattung wird nicht gewünscht.Dann rufe ich auf:28. Beratung des Schriftlichen Berichts des Ausschusses für das Bundesvermögen über den Antrag des Bundesministers der Finanzen betr. Veräußerung von Teilflächen der ehemaligen Telegrafen-Kaserne in Karlsruhe an den Katholischen Kirchenfonds St. Konrad— Drucksachen V/672, V/987 —Berichterstatter: Abgeordneter Graaff29. Beratung des Schriftlichen Berichts des Ausschusses für das Bundesvermögen über den Antrag des Bundesministers der Finanzen betr. Veräußerung des Grundstücks in Berlin-Charlottenburg, Heubner-
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3212 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 67. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 26. Oktober 1966
Vizepräsident Dr. Dehlerweg 2, an den Kaufmann Wolfgang Seidel in Tokio— Drucksachen V/874, V/988 —Berichterstatter: Abgeordneter Graaff30. Beratung des Schriftlichen Berichts des Ausschusses für das Bundesvermögen über den Antrag des Bundesministers der Finanzen betr. Veräußerung des bundeseigenen Dorfes Dalherda/Rhön an die Hessische Heimat, Siedlungsgesellschaft mbH in Kassel— Drucksachen V/882, V/989 —Berichterstatter: Abgeordneter Graaff31. Beratung des Schriftlichen Berichts des Ausschusses für das Bundesvermögen über den Antrag des Bundesministers der Finanzen betr. Veräußerung einer Teilfläche des ehemaligen Flugplatzes Blexen bei Nordenham an die Firma Titangesellschaft mbH in Leverkusen— Drucksachen V/917, V/1022 —Berichterstatter: Abgeordneter Graaff32. Beratung des Schriftlichen Berichts des Ausschusses für das Bundesvermögen über den Antrag des Bundesministers der Finanzen betr. Veräußerung einer Teil-fläche der ehemaligen Kaserne Ruhleben in Berlin-Spandau an das Land Berlin— Drucksachen V/939, V/1023 —Berichterstatter: Abgeordneter Graaff33. Beratung des Schriftlichen Berichts des Ausschusses für das Bundesvermögen über den Antrag des Bundesministers des Finanzen betr. Veräußerung des bundeseigenen Grundstücks der sogenannten Flötenteichschule in Oldenburg (Oldb), Flötenstraße/Hochheider Weg 169 an die Stadt Oldenburg— Drucksachen V/953, V/1024 —Berichterstatter: Abgeordneter GraaffDas Haus ist damit einverstanden, daß wir der Einfachheit halber gemeinsam abstimmen, also über die Ausschußanträge auf den Drucksachen V/987, V/988, V/989, V/1022, V/1023 und V/1024. Wer zustimmt, gebe bitte Zeichen. — Die Anträge sind angenommen.Damit sind wir am Schluß der heutigen Tagesordnung.Ich berufe die nächste Sitzung ein auf morgen, Donnerstag, den 27. Oktober, 14.30 Uhr.Die Sitzung ist geschlossen.