Rede von
Dr.
Emmy
Diemer-Nicolaus
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(FDP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Herr Kollege Merkatz, ich glaube, das ist eine Frage, die man so generell überhaupt nicht beantworten kann. Ich habe ja vorhin gesagt, die Gegenseitigkeit soll keine Bedingung sein, sondern es wird jeweils zu fragen sein, ob sie in einer bestimmten politischen Situation angebracht ist oder nicht.
Da komme ich jetzt allerdings noch zu einer weiteren Frage. Ich darf das gerade im Zusammenhang mit Ihrer Frage noch einfügen. Wir Freien Demokraten sind auch insofern mit der Fassung des § 1 nicht ganz einverstanden, Herr Bundesjustizminister, als wir nicht nur meinen, daß der Abs. 2 zu starke politische Bindungen enthält, sondern der Auffassung sind, daß auch noch folgendes gewährleistet sein muß: Wenn es sich, wie ich am Anfang sagte, um ein ausgesprochen politisches Gesetz handelt, dann kann die politische Verantwortung für die Rechtsverordnungen, zu deren Erlaß in § 1 Abs. 1 die Ermächtigung gegeben wird, nicht von der Bundesregierung allein getragen werden, sondern dann muß sie von der Bundesregierung gemeinsam mit dem Parlament und seinem Gesamtdeutschen Ausschuß ,getragen werden. Diese Mitberatung halten wir für unbedingt erforderlich. Ich glaube, daß es auch der Bundesregierung dient, wenn sie entsprechende Rückenstärkung durch das Parlament und seinen Gesamtdeutschen Ausschuß hat. Deswegen werden wir uns dafür einsetzen, daß der Abs. 2 in § 1 gestrichen wird, daß aber diese parlamentarische Mitwirkung absolut gesichert wird.
Dann noch zu einem weiteren Punkt! Ich habe gesagt, man muß dieses Gesetz auch im Gesamtzusammenhang sehen, und Sie selbst, Herr Bundesjustizminister, haben auf den § 93 StGB hingewiesen. Ich weiß aus der Begründung zu der Strafrechtsnovelle, daß Sie die Meinung vertreten, § 93 müsse bleiben. Aber § 93 ist die materielle Grundlage für die unbefriegende Handhabung des Verbringungsgesetzes. Es muß doch sehr eingehend diskutiert werden, ob wirklich wegen der NS-Schriften der § 93 aufrechterhalten bleiben muß. Ich darf darauf hinweisen, daß Sachverständige, die im Sonderausschuß gehört wurden, § 93 für überflüssig gehalten haben.
Dann haben Sie sich auch, Herr Bundesjustizminister, dafür eingesetzt, daß das Verbringungsgesetz aufrechterhalten bleibt. Es ist etwa zwei Jahre her, da wurde in einer Panorama-Sendung, in „Spiegel"-Berichten, in der „Zeit" durch Richard Schmidt und auch sonst die Handhabung des Verbringungsgesetzes mit Recht beanstandet. Es wurde dargetan, daß heute Sendungen im objektiven Verfahren in großem Umfange eingezogen werden. Ich bin deshalb der Auffassung, daß dieses Verbringungsgesetz zum mindesten mit überprüft werden muß.
Ich darf noch das eine sagen: Ich halte es für eines Rechtsstaates einfach nicht würdig, wenn er aus zivilrechtlichen Erwägungen, weil nämlich bei der Aufgabe eines Briefes oder einer Zeitung der Vertrag von dem Absender mit der Post abgeschlossen wird, das Recht herleitet, den Empfänger von der Einziehung einer an ihn gerichteten Sendung nicht zu benachrichtigen. So, wie die Dinge im Augenblick gehandhabt werden, erfährt der Absender nichts davon, daß eingezogen wurde, — er sitzt
ja in der Zone — und der Empfänger, an den die
Sendung gehen sollte, erfährt auch nichts davon, wenn im objektiven Verfahren die Vernichtung erfolgt.
- Bitte, Herr Kollege!