Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.Meine Damen und Herren, es liegt Ihnen eine Liste von Zusatzpunkten zur Tagesordnung dieser Woche vor. Ich bitte, auf dieser Liste die Punkte 7, 15, 18 und 24 zu streichen. Diese Zusatzpunkte können nicht behandelt werden. — Herr Kollege Mommer?
— Punkt 13 soll auch gestrichen werden? — Also die Punkte 7, 13, 15, 18 und 24 werden von der Liste gestrichen. Ist das Haus im übrigen damit einverstanden? — Kein Widerspruch; es ist so beschlossen.Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll Punkt 4 der Tagesordnung:Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über das Kreditwesen ,Schriftlicher Bericht des Wirtschaftsausschusses (Drucksachen 2563, zu 2563)an den Wirtschaftsausschuß zurückverwiesen werden. Ist das Haus damit einverstanden? — Kein Widerspruch; es ist so beschlossen.Die folgenden amtlichen Mitteilungen werden ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:Der Herr Bundesminister für Verteidigung hat unter dem 10. März 1961 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Katzer, Dr. Hesberg, Brück, Dr. Burgbacher und Genossen betr. PionierLandübungsplatz in Heumar und Eil bei Köln — Drucksache 2540 — beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 2600 verteilt.Der Ausschuß für Petitionen hat die Ubersicht 2 über die gemäß § 115 der Geschäftsordnung erteilten Auskünfte der Bundesregierung zu Petitionen, die der Deutsche Bundestag der Bundesregierung zur Berücksichtigung oder zur Erwägung überwiesen hat, zusammengestellt, die als Drucksache 2588 verteilt wird.Meine Damen und Herren, vor Eintritt in die Tagesordnung möchte ich noch eine alte Sache ausräumen. Es gab einmal eine Auseinandersetzung zwischen dem Vorsitzenden des Finanzausschusses und dem Herrn Abgeordneten Dr. Dehler. Zu dieser Sache, die in dem Protokoll vom 3. Dezember 1959 nachzulesen ist, teilt mir der Fraktionsvorsitzende der FDP mit, daß durch übereinstimmende Mitteilung des Vorsitzenden des Finanzausschusses, Herrn Kollegen Dr. Neuburger, und des Vorsitzenden der Bundestagsfraktion der FDP eine Erledigung herbeigeführt worden ist. Ich wünsche, daß alle Ehrenhändel in diesem Hause in ähnlicher Weise bereinigt werden.Wir kommen zu Punkt 2 a der gedruckten Tagesordnung:Fortsetzung der zweiten Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Rechnungsjahr 1961 (Drucksachen 2050, 2300)Berichte des Haushaltsausschusses
Ich rufe zunächst auf:Einzelplan 11Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung
Wünscht der Herr Berichterstatter das Wort? — Der Herr Berichterstatter verzichtet.Bevor wir zu der Begründung und Diskussion der Änderungsanträge kommen, frage ich, ob das Wort zur allgemeinen Aussprache über den Einzelplan 11 gewünscht wird. —
— Bei der Begründung Ihres Änderungsantrages Umdruck 829? Ist das zweckmäßiger? — Ich habe jedenfalls zur allgemeinen Aussprache eingeladen. Wortmeldungen liegen nicht vor. Die Aussprache ist geschlossen.Ich rufe jetzt zunächst den Änderungsantrag Umdruck 782 auf. Wird zur Begründung dieses Änderungsantrags der Abgeordneten Hoogen, Dr. Arndt, Dr. Bucher und Genossen das Wort gewünscht? — Keine Wortmeldungen. Wird sonst das Wort gewünscht? — Keine Wortmeldungen. Die Aussprache ist geschlossen.
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8518 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 150. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 14. März 1961
Präsident D. Dr. GerstenmaierWer dem Änderungsantrag Umdruck 782 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen.— Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das erste war die Mehrheit; der Änderungsantrag ist angenommen.Ich rufe auf den Änderungsantrag der Abgeordneten Hoogen, Dr. Arndt, Dr. Bucher und Genossen, Umdruck 783. Wird zur Begründung dieses Änderungsantrags das Wort gewünscht?
— Sie wollen, daß über die Ziffern 1 und 2 getrennt abgestimmt wird?
— Sie wollen dagegen sprechen? — Sprechen Sie dagegen, Herr Abgeordneter Dr. Götz!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ganz kurz die Stellungnahme dazu. Wir bitten, den Antrag Ziffer 1 auf Umdruck 783 abzulehnen. Der Zwölfte Senat ist mit einem Präsidenten und drei Richtern besetzt worden. Wir sehen keine Veranlassung, noch einmal weitere zwei Richter zu genehmigen, nachdem wir auch beim Bundesverwaltungsgericht einen ähnlich lautenden Antrag abgelehnt haben.
Zu Ziffer 2 schlagen wir Annahme vor.
— Nein! Es geht auch hier um eine Erhöhung des
Büchereititels beim Bundessozialgericht, genauso wie beim Bundesarbeitsgericht. Die Notwendigkeit der Erhöhung des Titels um 10 000 DM ist gegeben.
Wird weiter das Wort gewünscht? — Herr Abgeordneter Wittrock!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf in Erwiderung auf das, was soeben ausgeführt worden ist, darauf hinweisen, daß nach der Berichterstattung des Präsidenten des Bundessozialgerichts im Rechtsausschuß des Bundestages gerade im Bereiche der Sozialgerichtsbarkeit die Situation am schwierigsten ist.
Wenn man die einzelnen Bereiche der Gerichtsbarkeit betrachtet, muß für die Sozialgerichtsbarkeit, Herr Kollege Vogel, die Feststellung getroffen werden, daß die große Zahl von Gesetzesnovellierungen auf dem Gebiet des Arbeits- und Sozialrechts, insbesondere die Novellierung der Reichsversicherungsordnung und des Angestelltenversicherungsgesetzes durch die Rentenreform, zu einer Fülle von Sozialgerichtsverfahren geführt hat. Eine Fülle neuer grundsätzlicher Entscheidungen war zu treffen, und es kommt auf das Bundessozialgericht, ich möchte sagen, eine Revisionswelle zu.
Bitte, meine Damen und Herren, machen Sie es sich nicht zu leicht! Bedenken Sie, daß es insbesondere in der Arbeitsgerichtsbarkeit und auch in der Sozialgerichtsbarkeit entscheidend darauf ankommt, daß der rechtsuchende Staatsbürger schnell eine
Entscheidung erhält. Das wissen Sie, auch wenn Sie wegwerfende Handbewegungen machen, sicherlich ebensogut wie ich.
Gerade in der Sozialgerichtsbarkeit dreht es sich sehr oft darum, den Menschen das Existenzminimum durch richterliche Feststellung zu sichern und somit eine rechtlich umstrittene Existenzgrundlage zweifelsfrei zu gewährleisten. Deshalb sollte es eigentlich die gemeinsame Pflicht aller Mitglieder des Deutschen Bundestages sein, durch entsprechende personelle Entscheidungen — und in diese Richtung zielt der Antrag, verehrter Herr Kollege Ruf — die Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß schnell und zügig im Interesse der Rechtsuchenden durch das Bundessozialgericht entschieden werden kann.
Keine weiteren Wortmeldungen. Abstimmung über den Antrag Umdruck 783 Ziffer 1! Wer diesem Antrag zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das zweite war die Mehrheit; der Änderungsantrag ist abgelehnt.
Wer dem Änderungsantrag unter Ziffer 2 des Umdrucks 783 zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Ziffer 2 ist angenommen.
Jetzt rufe ich den Änderungsantrag Umdruck 829 der Fraktion der SPD auf. — Herr Abgeordneter Dr. Schellenberg!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn ich namens der sozialdemokratischen Fraktion die Streichung der Amtsbezüge des Herrn. Bundesarbeitsministers beantrage,
so geht es nicht um Werturteile persönlicher Art, sondern um die Bewertung der Politik, die der Minister als Repräsentant der Bundesregierung und der CDU/CSU getrieben hat. Wir beantragen die Streichung der Bezüge bis zum 30. September dieses Jahres;
nachher wird der Herr Bundesarbeitsminister ohnehin wohl nicht mehr im Amt sein.
Meine Damen und Herren, dem Bundesarbeitsminister waren große Aufgaben gestellt. Das Ministerium erhielt die Bezeichnung „für Arbeit und Sozialordnung". Das bedeutete eine Verpflichtung zur Neuordnung des sozialen Lebens, zur — um es mit den Worten des Herrn Ministers auszudrücken — Anpassung der Sozialpolitik an die grundlegend veränderten ökonomischen und gesellschaftlichen Verhältnisse des Industriezeitalters. So sagte es der Herr Bundesarbeitsminister. Meine Damen und Herren, eine solche Zielsetzung wird grundsätzlich
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 150. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 14. März 1961 8519
Dr. Schellenbergdie Zustimmung aller finden, denen es um die soziale Neuordnung geht.Aber in der Sozialpolitik kommt es nicht nur auf allgemeine politische Zielsetzungen, sondern vor allem auch auf die Auswirkungen an, die sich aus der Realisierung dieser Grundsätze für die Lebenshaltung der arbeitenden Menschen, ihrer Familien und derjenigen, die nicht mehr arbeiten können, ergeben. Nach unserer Auffassung — und das ist der Grund für unseren Antrag — steht der Stilwandel der Sozialpolitik nach den Absichten des Bundesarbeitsministers nicht im Einklang mit der Realität des sozialen Lebens und den Bedürfnissen der Menschen von heute. Ich will das hier im einzelnen begründen.Erstens. Der Bundesarbeitsminister hat wiederholt geäußert, daß die Eigentumsbildung den besonderen Bedürfnissen unserer Zeit entsprechen müsse, und er hat in diesem Zusammenhang die Feststellung getroffen — ich zitiere —:Der Zuwachs neugeschaffener Werte zu den vorhandenen Vermögensmassen geht schneller voran als die Eigentumsbildung der breiten Schichten.Mitarbeiter seines Ministeriums haben den Begriff „wahrhaft explosive Vermögensdifferenzierung" geprägt. Meine Damen und Herren, ich habe mich an dieser Stelle nicht mit den Versäumnissen der Wirtschafts- und Finanzpolitik auseinanderzusetzen, die zu einer solchen „explosiven Vermögensdifferenzierung" geführt haben. Ich habe nur festzustellen, daß der Gesetzentwurf, den der Bundesarbeitsminister zur Förderung der Vermögensbildung der Arbeitnehmer vorgelegt hat, in dieser und in jener Hinsicht zweckmäßig sein mag. Aber er wird nicht der Aufgabe, die sich der Bundesarbeitsminister selbst gestellt hat, gerecht, nämlich „Anpassung unserer Sozialpolitik an die grundlegend veränderten ökonomischen und gesellschaftlichen Verhältnisse des Industriezeitalters".
Zweitens. Der Bundesarbeitsminister hat erklärt, daß er eine Sozialpolitik für mündige Menschen betreiben wolle. Ich will hier nicht über den Begriff „mündige Menschen" in Zusammenhang mit der Sozialpolitik streiten. Sicher haben die arbeitenden Menschen schon längst vor Blank ihre soziale Mündigkeit errungen.
Aber offenbar sind nach Auffassung des Bundesarbeitsministers die Angestellten und Arbeiter heute noch nicht so mündig, daß er eine Weiterentwicklung der betrieblichen Mitbestimmung in Aussicht stellen konnte. Oder um ein anderes Beispiel zu nennen: Offenbar sind nach Auffassung des Bundesarbeitsministers die Arbeiter noch nicht so mündig, daß sie bei Krankheit den Angestellten gleichgestellt werden konnten. Jedenfalls sind in den Regierungsvorlagen darüber keine Vorschläge enthalten. Im übrigen ist das, was der Bundesarbeitsminister in der Regierungsvorlage zur Krankenversicherungsreform dem Hause unterbreitet hat, doch in wesentlichen Teilen durch Mißtrauen gegenüber den arbeitenden Menschen bestimmt; deshalb Kostenbeteiligung, deshalb Karenztage und deshalb Verschärfung des kontrollärztlichen Dienstes bis zur Nachuntersuchung am Krankenhausbett, wie im Regierungsentwurf vorgesehen. Wie lautete das Programm? „Sozialpolitik für mündige Menschen"!Drittens. Die Geschichte der Sozialpolitik ist eine Geschichte des Ringens um den Rechtsanspruch auf Sozialleistungen und des Ringens gegen eine Beeinträchtigung dieses Rechtsanspruchs durch Einkommensgrenzen, Einkommensprüfungen und Bedürftigkeitsprüfungen. Im Entwurf, den das Bundesinnenministerium für das Bundessozialhilfegesetz vorgelegt hat, hat sich der Grundsatz des Rechtsanspruchs weitgehend durchgesetzt. Aber für den Bundesarbeitsminister war der Stilwandel der Sozialpolitik Anlaß, die Einkommensgrenzen und Einkommensprüfungen stärker zu betonen und sogar Elemente der Bedürftigkeitsprüfung in das Sozialrecht neu einzuführen.
— Ich werde das selbstverständlich begründen.
— Ich werde es belegen, Herr Kollege Ruf.Zunächst einmal zu der stärkeren Betonung von Einkommensgrenzen. Zum Beispiel hat sich der Bundesarbeitsminister gegen die Erhöhung der Grundrenten in der Kriegsopferversorgung gewandt, also gegen die Erhöhung jener Renten ausgesprochen, die ohne Einkommensgrenzen und ohne Einkommensprüfung gewährt werden. Ich zitiere aus einer Rundfunkansprache des Bundesarbeitsministers:Man würde sonst die Rente auch Leuten gewähren — ich erläutere: Kriegsbeschädigten und Kriegshinterbliebenen —, die in völlig normalen, ja allerbesten Einkommensverhältnissen sind.Und dann fielen die Worte „Unsummen vergeuden", womit die Gewährung von Renten ohne Berücksichtigung von Einkommensgrenzen gemeint war.
Das sollte die neue Politik in der Kriegsopferversorgung sein.
Meine Damen und Herren, nun zur Einführung von Elementen der Bedürftigkeitsprüfung. Sie waren im Regierungsentwurf zur Krankenversicherung zu finden; denn die ärztliche Behandlung ohne Kostenbeteiligung sollte nur nach Prüfung der besonderen Umstände des Einzelfalls gewährt werden. Ich zitiere die Begründung des Regierungsentwurfs zu § 186 Abs. 4:Eine gesetzliche Befreiung von der Inanspruchnahmegebühr für Versicherte mit einem monatlichen Einkommen unter 200 DM ist nicht angezeigt, weil es Versicherte gibt, die zwar ein geringes Einkommen haben, denen aber eine Zuzahlung zugemutet werden kann.
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8520 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 150. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 14. März 1961
Dr. Schellenberg Meine Damen und Herren, das ist nichts anderes als die klassische Bedürftigkeitsprüfung des alten Armenrechts. Daran ändert auch die Tatsache nichts, daß der Gesetzentwurf, wie wir niemals bestritten haben, auch eine Reihe von Leistungsverbesserungen vorsah.Das neueste Beispiel für die Koppelung von Sozialleistungen an Einkommensgrenzen und Einkommensprüfungen ist der Gesetzentwurf über die Gewährung von Kindergeld an das zweite Kind, der uns demnächst zugehen wird. Die Zahlung von Kindergeld für Zweitkinder wird dort von einer Prüfung der Einkommensverhältnisse beider Eltern abhängig gemacht. Nach der allerneuesten Fassung wird diese Einkommensgrenze „folgerichtig" auch auf eheähnliche Gemeinschaften angewendet. In dem Regierungsentwurf heißt es — ich zitiere wieder -:Das Einkommen einer Person, mit der der Berechtigte in eheähnlicher Gemeinschaft lebt, ist ebenso zu berücksichtigen wie das Einkommen eines Ehegatten.Ich will mich hier nicht über die verfassungsrechtlichen Probleme, die damit zusammenhängen, auslassen; das werden wir noch tun. Aber gestatten Sie mir, meine Damen und Herren, die Sie Bedenken dagegen geäußert haben, daß die Methoden der Einkommensprüfung sozialpolitisch fragwürdig seien, daß ich diesem Abschnitt „Einkommensgrenzen und Sozialleistungen" eine persönliche Bemerkung anfüge.Der Altmeister unseres Fürsorgerechts, Herr Professor Muthesius, hat uns als jungen Fürsorgern vor einigen Jahrzehnten einmal deutlich gemacht, daß Einkommens- und Bedürftigkeitsprüfungen einen Eingriff in den persönlichen Lebensbereich darstellten und deshalb möglichst zu vermeiden seien.
Jetzt aber soll unter dem Motto „Stilwandel der deutschen Sozialpolitik" diesen Einkommensgrenzen und Bedürftigkeitsprüfungen wieder ein stärkeres Gewicht gegeben werden, was einen stärkeren Eingriff in die persönliche Sphäre des einzelnen bedeutet.Ein weiterer, vierter Gesichtspunkt! Der Bundestag hat am 26. Februar 1959 die Bundesregierung durch einstimmigen Beschluß beauftragt, unter Berücksichtigung der Untersuchungen von lohnintensiven Betrieben einen Gesetzentwurf zur Neuregelung der Mittelaufbringung für das Kindergeld so rechtzeitig vorzulegen — wörtliches Zitat! —, „daß ein Inkrafttreten anfangs des Jahres 1960 möglich ist." Die Bundesregierung hat diesen Auftrag des Bundestages nicht erfüllt. Daran ändert das Kindergeldkassengesetz nichts, da es nicht dem Auftrag „Beseitigung der ungleichmäßigen Belastung der lohnintensiven Betriebe" entspricht. Im Bundestag wurde von allen Parteien kritisiert, daß die Bundesregierung diesen Auftrag nicht erfüllt hat. Darauf hat der Herr Bundesarbeitsminister am 5. Mai vergangenen Jahres wörtlich folgendes erklärt:Änderungen der Vorschriften über die Aufbringung der Mittel, die sich im Rahmen des Systems halten, könnten also noch im Laufe der nächsten Monate mit Wirkung für das Jahr 1960 verabschiedet werden. Ich glaube daher,— so erklärte der Bundesarbeitsminister -daß es einer Mißbilligung nicht bedarf.Nunmehr bedarf es aber einer nachdrücklichen Mißbilligung;
denn jetzt steht fest, daß der Entwurf in dieser Legislaturperiode nicht mehr vorgelegt werden kann.Ein fünfter Gesichtspunkt! Bekanntlich wurde nach Ablehnung des SPD-Antrags auf Einsetzung einer unabhängigen Studienkommission beim Bundesarbeitsministerium ein Beirat zur Neuordnung der sozialen Leistungen eingesetzt. Als der gegenwärtige Arbeitsminister sein Amt übernahm, wirkten in diesem Beirat zur Neuordnung der sozialen Leistungen 70 Persönlichkeiten, Sozialwissenschaftler und Sozialpraktiker, in einer Hauptkommission und in fünf Unterausschüssen zusammen. Meine Damen und Herren, ich frage Sie: War das nicht ein Gremium, mit dem der Herr Bundesarbeitsminister wichtige Unterlagen für die Neuordnung der sozialen Leistungen hätte erarbeiten lassen können?Der gegenwärtige Arbeitsminister war aber noch nicht ein Jahr im Amt, da hatte er den Beirat zur Neuordnung der sozialen Leistungen stillgelegt.
Die letzte Sitzung dieses Beirats hat am 13. Oktober 1958 stattgefunden.
Das ist doch ein bemerkenswertes Verhalten eines Ministers, der einen Stilwandel unserer Sozialpolitik auf sein Programm geschrieben hatte. Offenbar wird — ich kann nur diese Folgerung nach der zutage getretenen Praxis des Ministers für die Vorbereitung einer sozialen Neuordnung ziehen — der Rat von Sozialwissenschaftlern und Männern und Frauen der sozialpolitischen Praxis nicht benötigt. Dazu bedarf es offenbar nach Auffassung des Ministers ausschließlich einiger tüchtiger Herren seines Ministeriums.
Meine Damen und Herren, nach all dem Durcheinander, das um die Sozialgesetzgebung eingetreten ist und das niemand von Ihnen bestreiten kann, hat der Minister nicht die Konsequenzen aus dieser unglücklichen Entscheidung, den Beirat stillzulegen, gezogen. Der Minister hat keine Anstalten gemacht, etwa die Tätigkeit des Beirates zu beleben. Sie finden in dem vorliegenden Haushalt eine weitere Reduzierung der Ansätze für den Beirat.Das einzige, was der Minister offenbar zur Überwindung der Schwierigkeiten, die offensichtlich in der Sozialgesetzgebung eingetreten sind, für erfor-
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 150. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 14. März 1961 8521
Dr. Schellenbergderlich hält, ist eine Intensivierung der Propagandatätigkeit.
Ich will Ihnen auch das begründen. In dem vorliegenden Entwurf des Haushalts heißt es in den Erläuterungen zu Kap. 11 01 Tit. 300 wörtlich:Die informationspolitische Vorbereitung der Gesetzesentwürfe des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung . . . muß vertieft und verstärkt werden.
Hierfür sind 226 000 DM zusätzlich vorgesehen bei einer Verminderung der Ansätze bei den übrigen Unterteilen . . .Meine Damen und Herren, ich frage Sie: Ist es nicht um die Zukunft unserer Sozialpolitik schlecht bestellt, wenn die wissenschaftlich-fachliche Vorbereitung der Gesetze offenbar durch ein Mehr an Propaganda für unausgereifte Vorschläge ersetzt werden soll?
Ein sechster Vorwurf gegen den Minister.
Der Herr Bundesarbeitsminister hat es nicht verstanden, mit den Repräsentanten der sozialen Gruppen, für die die Gesetze bestimmt sind, eine ersprießliche Atmosphäre zu schaffen.
Bei Gesetzentwürfen, durch die das soziale Leben neu geordnet werden soll, genügt nach unserer Auffassung die formale Anhörung der Beteiligten nicht. Schwierigkeiten hätten vorher gründlichst geklärt werden müssen. Das war die Verpflichtung des Bundesarbeitsministers. Wir erheben den Vorwurf, daß der Herr Bundesarbeitsminister dies bei der Vorbereitung der Unfallversicherungs-Neuregelung, bei der Vorbereitung seiner Verordnung über die Sonntagsarbeit, bei der Vorbereitung der Kriegsopfer-Neuregelung, bei der Vorbereitung der Krankenversicherungs-Neuregelung unterlassen hat. Meine Damen und Herren, Sie können doch nicht , bestreiten, daß der Bundesarbeitsminister offenbar über die tatsächliche Lage in diesen Bereichen nicht zureichend unterrichtet war.Ich möchte Ihnen das durch ein Zitat für die Krankenversicherung verdeutlichen, aber Sie könnten sich ähnliche Zitate auch für die Kriegsopferversorgung beschaffen. Nach der ersten Lesung des Krankenversicherungs-Neuregelungsgesetzes, als doch für uns alle offensichtlich war, daß sich aus dem Gesetzentwurf sehr erhebliche Probleme und Schwierigkeiten ergaben, erklärte der Herr Bundesarbeitsminister am 5. März 1960 wörtlich:Es gehörte zu dem größten Täuschungsmanöver der letzten Jahre, daß man der Öffentlichkeitvorspiegeln wollte, der Gesetzentwurf der Bundesregierung stoße auf eine Einheitsfront seiner Gegner und sei daher zum Scheitern verurteilt. Eine solche Einheitsfront— so sagte der Herr Bundesarbeitsminister —kann es aus der Sache heraus gar nicht geben. In den wichtigsten Fragen des Gesetzentwurfs stehen sich die Auffassungen seiner Widersacher diametral entgegen.
— Herr Kollege Ruf, ich gebe Ihnen gleich die Antwort.Statt rechtzeitig die Probleme mit den „Widersachern" — oder wie man das nennen will —
auszudiskutieren, lebte offenbar der Herr Bundesarbeitsminister in der Illusion, der Gesetzentwurf könne vielleicht durch Spannungen zwischen Ärzten und Gewerkschaften etwas attraktiver werden.Ähnlich war die Einschätzung der Lage durch den Bundesarbeitsminister bei der Kriegsopferversorgung.Nun, Herr Kollege Ruf, will ich auf Ihren Zwischenruf bezüglich der organisierten Gegenpropaganda gegen den Entwurf eingehen.
Meine Damen und Herren, niemand konnte doch darüber erstaunt sein, daß bei der Bedeutung sozialpolitischer Gesetze die Verbände versuchen würden, Einfluß auf die öffentliche Meinung zu gewinnen. Das war von jedermann, der sich mit der Lage beschäftigte, vorauszusehen. Gerade diese Erkenntnis aber hätte den Minister zu einer besonders sorgfältigen Vorbereitung seiner Vorlagen und zur besonders gründlichen Erörterung auch mit den Verbänden verpflichten müssen.
Das hat der Herr Bundesarbeitsminister versäumt. Derartige Versäumnisse konnten im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens nicht mehr nachgeholt werden.Geradezu verhängnisvoll war es., daß der Herr Bundeskanzler und der Bundesarbeitsminister auf dem Höhepunkt der öffentlichen Auseinandersetzung mit Verbänden, die am schärfsten opponiert hatten, Verhandlungen aufnahmen und sogar schriftliche Vereinbarungen über Änderungsvorschläge zur Regierungsvorlage trafen.
Das hat dazu geführt, daß in der Öffentlichkeit der Eindruck entstanden ist, die Verbände könnten, wenn sie ausreichend — gestatten Sie den Ausdruck — „Wirbel" machten, Einfluß auf die Entscheidungen des Parlaments nehmen.
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8522 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 150. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 14. März 1961
Dr. SchellenbergDas hat dem Ansehen des Parlaments nicht gedient.Siebtens — und damit der letzte Vorwurf —: Der Bundesarbeitsminister hat nicht ,den notwendigen Kontakt zum Parlament gehalten.
Auch das will ich Ihnen begründen. Gewiß hat der Herr Bundesarbeitsminister sich im Plenum der Beratung seiner Entwürfe gestellt. Aber die Erörterungen im Plenum haben doch gezeigt, daß die Ausschüsse nicht nur Beratungen in Detailfragen vorzunehmen hatten, sondern daß in den Ausschüssen auch Grundsatzfragen geklärt werden mußten. Ich erhebe den Vorwurf, daß der Herr Bundesarbeitsminister sich diesem Gedankenaustausch in den Ausschüssen nicht gestellt hat.
Ich will das begründen. Zu Beginn der Legislaturperiode hat der Herr Arbeitsminister den Ausschüssen ein umfassendes Programm vorgetragen, das aber in diesem Stadium noch zu unbestimmt sein mußte, um die Grundlage für einen konkreten Gedankenaustausch bieten zu können. Offenbar hat .der Herr Minister gemeint, daß er damit gewissermaßen sein Pensum gegenüber den Ausschüssen im wesentlichen erfüllt habe.Der Herr Minister hat zu keinem der umstrittenen Gesetzentwürfe im Ausschuß Stellung genommen. Ich zitiere hier auf Grund der Unterlagen aller beteiligten Ausschüsse.I) Im Ausschuß für Arbeit erklärte der Herr Bundesarbeitsminister am 16. Januar 1958 folgendes:Im übrigen will ich mich bemühen, nach Möglichkeit an den Sitzungen des Ausschusses teilzunehmen, und hoffe auf gedeihliche Zusammenarbeit.Ein guter Vorsatz! Das war vor mehr als drei Jahren. Seitdem war der Bundesarbeitsminister nicht einmal mehr im Ausschuß für Arbeit.
Er hat zu seinem Entwurf des Jugendarbeitsschutzgesetzes im Ausschuß kein Wort gesagt.
Ein weiterer Tatbestand: Im Ausschuß für Kriegsopfer- und Heimkehrerfragen erschien der Minister einmal auf Aufforderung des Ausschusses, und zwar am 21. Januar 1959, um zum SPD-Antrag betreffend die Kriegsonferversorgung Stellung zu nehmen. Bei dieser Gelegenheit erklärte der Minister in einem Schreiben an den Ausschußvorsitzenden:Sobald 'dem Ausschuß die Vorlage der Bundesregierung überwiesen sein wird, werde ich natürlich jederzeit für die Beratungen über die Pläne der Bundesregierung zur Verfügung stehen.Meine Damen und Herren, die Regierungsvorlage ist später im Ausschuß nicht vom Herrn Bundesarbeitsminister, noch nicht einmal, wie ich mich habe unterrichten lassen, von den Herren seinesMinisteriums, sondern von dem Referenten des Bundesfinanzministeriums vertreten worden.
Das ist der Tatbestand.
Nun komme ich zum Ausschuß für Sozialpolitik. Meine Damen und Herren, der Ausschuß für Sozialpolitik hat den Herrn Bundesarbeitsminister verschiedentlich begrüßen können, teilweise auch auf besondere Anforderung. Aber auch im Sozialpolitischen Ausschuß hat der Herr Bundesarbeitsminister nicht zu den umstrittenen Problemen seiner Gesetzentwürfe Stellung genommen und diese verteidigt. Das hat der Herr Bundesarbeitsminister im wesentlichen seinen Herren Ministerialräten überlassen.Meine Damen und Herren, ein Minister, der sich die große Aufgabe stellt, einen Stilwandel unserer Sozialpolitik herbeizuführen, darf nicht darauf verzichten, Gesetzentwürfe, die diesen Stilwandel einleiten sollen, in den Ausschüssen des Parlamentes in Rede und Gegenrede zu vertreten.
Wer als Minister darauf verzichtet, der verzichtet auf seine sozialpolitischen Zielsetzungen.
Meine Damen und Herren, das sind doch Gravierende Tatbestände für das Verhältnis des Ministers zum Parlament. Wer einen neuen Stil in der Sozialpolitik schaffen will, der muß zuerst einmal den richtigen Stil in seinem Verhältnis zum Parlament finden.
Meine Damen und Herren, das Fazit kennen Sie: Es sind gewiß einige wichtige sozialpolitische Gesetzentwürfe verabschiedet worden.
— Natürlich! Nur, zu der Verabschiedung dieser Gesetzentwürfe bedurften wir nicht der freundlichen Mitwirkung des Herrn Ministers in den Ausschüssen. Das haben wir allein geschafft. Aber die großen sozialpolitischen Fragen, die der Minister neu ordnen wollte, sind nicht bewältigt worden.
— Man konnte doch mindestens erwarten, daß sich der Minister in den Ausschüssen der Auseinandersetzung über seine Entwürfe stellt. Das war doch das mindeste, was wir erwarten mußten.
Wenn Sie nun sagen „durch unsere Schuld", dannvergessen Sie, daß Sie eine Reihe von Jahren dieabsolute Mehrheit in diesem Hause gehabt haben.
Meine Damen und Herren, die Neuordnung der Krankenversicherung ist gescheitert. Die Neuordnung der Unfallversicherung blieb liegen.
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 150. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 14. März 1961 8523
Dr. SchellenbergEs ist zwar ein erstes Gesetz zur Neuordnung der Kriegsopferversorgung verabschiedet worden, aber mit einer Konzeption, die im Gegensatz zu der der Regierungsvorlage steht; das ist unbestritten.Schütz [München]: Aber nicht von Ihnen stammt!)Für die Neuordnung der Kindergeldgesetzgebungwurde uns noch nicht einmal ein Entwurf vorgelegt.Deshalb kommen wir zu der Folgerung, daß der Herr Bundesarbeitsminister die Aufgabe, die er sich selbst gestellt hatte, Neuordnung und Stilwandel der Sozialpolitik, und die Aufgaben, die ihm das Parlament gestellt hatte, nicht gemeistert hat. Das Wirken des Bundesarbeitsministers in dieser Legislaturperiode widerspricht dem Bild, das wir von den Arbeitsministern der Weimarer Zeit hatten, dem Bild von Heinrich Brauns, dem Bild von Adam Stegerwald und dem Bild von Rudolf Wissell. Deshalb halten wir es für erforderlich, die Amtsbezüge des Arbeitsministers zu streichen,
um zu dokumentieren, daß seine Politik versagt hat.— Wir kommen sogleich zur Aussprache, und ich habe die herzliche Bitte an die Zwischenrufer, daß Sie durch Argumente antworten. Ich meine, das entspricht der gemeinsamen Aufgabe. Selbstverständlich werden Sie sich vor Ihren Minister stellen, und zwar aus Kollegialität,
aber auch aus schlechtem Gewissen, weil Sie mit die Verantwortung für das tragen, was in dieser Legislaturperiode versäumt wurde.
Das Wort hat der Herr Bundesarbeitsminister.
Herr Mommer, haben Sie diesen Zwischenruf gemacht?
— Herr Mommer, dann ist das genauso töricht wie neulich Ihre wider besseres Wissen aufgestellte Behauptung, ich hätte Beamten verboten, an einer Sitzung des Arbeitsausschusses teilzunehmen. Lassen Sie mich einmal diesen Brief vorlesen. Herr Mommer, gewöhnen Sie sich bitte endlich an, Sachliches und Persönliches zu trennen!
Ruhe, meine Damen und Herren!
Ich glaube, der ist mindestens so gut wie der, der bei Ihnen zu Hause herrscht.
Nun, meine Damen und Herren, ich bin enttäuscht.
Ich dachte, Herr Professor Schellenberg, Sie hätten heute und hier die Gelegenheit gesucht, eine politische Auseinandersetzung über die Sozialpolitik mit uns zu führen. Statt dessen versuchten Sie, sich in einer Weise, die mich nicht sonderlich beeindrucken kann, mit meiner Person zu beschäftigen.
Lieber Herr Schellenberg, ob Sie mir mein Amtsgehalt gönnen oder nicht läßt mich völlig gleichgültig. Ich bin sogar bereit, Ihnen einen Teil dieses Gehalts zu überlassen.
Herr Kollege Schellenberg, Sie werden sich ja daran erinnern, daß Sie selber eine Zeitlang Auseinandersetzungen mit der Krankenkasse Berlin in solchen Fragen gehabt haben. Ich will sie aber heute hier nicht behandeln, weil sie auf einem ganz anderen Blatt stehen.
— Ich bin gerne bereit, solche Auseinandersetzungen zu führen, auch mit Ihnen, Herr Mommer.
Jetzt wollen wir uns mal über die Sozialpolitik I unterhalten.
Beginnen wir einmal — —
— Dann warten Sie eben länger. Ich werde jedes Wort sprechen, das ich zu sprechen mir vorgenommen habe.
— Ich heiße doch nicht Mommer, habe ich doch schon ein paarmal gesagt!
Einen Augenblick, meine Damen und Herren — —
Meine Damen und Herren, ich appelliere an das Haus, aus den persönlichen Auseinandersetzungen herauszukommen und zur Sache überzugehen.
Diese Art von persönlichen Auseinandersetzungen ist der Würde des Hauses nicht angemessen.
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8524 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 150. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 14. März 1961
Herr Präsident, solange von dieser Seite des Hauses persönliche Anwürfe erfolgen, wie sie insonderheit Herr Mommer zu machen beliebt, werde ich — ich bemühe mich dabei, streng im Rahmen der Geschäftsordnung zu bleiben — sie auch persönlich zurückzahlen.
— Herr Killat, Sie haben noch einen merkwürdigen Befehlston; ich bin einigermaßen erstaunt.
— Ja, wir haben Zeit.
Nun komme ich zu dem Stilwandel. Ich habe — ich muß sogar sagen: leider — diesen Ausdruck nicht erfunden. Wenn ich mir aber so die Politik der Sozialdemokratie, ihre gesamte Politik und insonderheit ihre Sozialpolitik, ansehe, so muß ich sagen, daß sie zweifellos einem Stilwandel unterworfen war. Das Scheitern der Politik des Stilwandels, wie Sie sie zuletzt noch mit einem völlig neuen Programm dokumentiert haben, halte ich heute schon für ausgemacht. Im übrigen scheinen Sie an dem Ausdruck einige Freude gefunden zu haben, an diesem Ausdruck, den Sie immer polemisch gegen mich verwenden. Denn im Appell von Hannover forderten Sie eine Politik neuen Stils, und noch im Februar sagte der Herr Willy Brandt in Bad Dürkheim, es gehe um den neuen Stil in unserer Politik. Da ich nicht annehmen will, daß Sie eine Anleihe bei mir gemacht haben,
bitte ich einmal, zu überprüfen, Herr Schellenberg, was Sie mit Ihrer Ironisierung des „Stilwandels in der Politik" sagen wollen.Es geht, wenn man von altem und neuem Stil spricht, nur darum, was man unter alt und neu versteht. Was Sie, meine Herren da drüben, sozialpolitisch wollen, das ist alter Stil und das ist kein guter Stil; denn Sie nehmen in keiner Weise Kenntnis von den sozialen und wirtschaftlichen Veränderungen, die wir erlebt haben. Sie tun so, als ob die breite Masse der Bevölkerung wirtschaftlich schutzlos wäre, in jeder Weise hilfsbedürftig, unfähig zur Selbsthilfe und Selbstverantwortung, kurz, im Zustand der Unmündigkeit und der Abhängigkeit von staatlicher Fürsorge.
Das ist nicht die soziale Wirklichkeit unserer Tage. Aber Sie dürfen nicht offen eingestehen, daß die Menschen heute größere wirtschaftliche Bewegungsfreiheit und damit auch mehr Raum für eigene Initiative haben; das kann man auch nicht eingestehen, wenn man nicht zugleich die Aufbauleistung der Bundesregierung anerkennen will. Ihr Selbsterhaltungstrieb und Ihre eigene Programmatik gebietet Ihnen, allgemein Schutz- und Hilfsbedürftigkeit zu unterstellen, selbst auf die Gefahr hin, daß Sie tagtäglich durch die Realitäten widerlegt werden.Nun komme ich dazu, einmal einen Rechenschaftsbericht über die Sozialpolitik zu geben, und ich freue mich auf die Gelegenheit, die ich habe, das zu tun. Wir haben uns in der Sozialpolitik nicht einfach auf die segensreichen Wirkungen der sozialen Marktwirtschaft verlassen. Die Wirkungen haben zwar alle Erwartungen übertroffen. Aber wir haben sie auch absichtsvoll mit sozialpolitischen Maßnahmen herbeigeführt.Wir haben den niedrigsten Arbeitslosenstand in der ganzen deutschen Geschichte.
In der Zeit von 1950 bis 1959 hat sich — ich will nur einige wenige Zahlen nennen — die Zahl der Beschäftigten um über 40 % vermehrt. Kein Wort hat der Sozialexperte der SPD zu der erstaunlichen und erfreulichen Tatsache zu sagen gewußt, daß es in Deutschland nicht nur keine Arbeitslosigkeit gibt, sondern daß eine Überbeschäftigung in einem Ausmaße da ist, daß sie uns beginnt, ernste Sorgen zu machen.
Das Bruttosozialprodukt ist in der gleichen Zeit um 154 gestiegen, eine Tatsache, auf die man hinweisen muß, denn, meine sehr verehrten Damen und Herren, das scheint mit Sozialpolitik etwas zu tun zu haben. Der Kanzlerkandidat der SPD hat uns nämlich erklärt, daß es das Anliegen der SPD sei, dieses Einkommen, das Bruttosozialprodukt, in einer Generation zu verdoppeln. Wir haben es in wenigen Jahren — allerdings ausgehend von einer ungeheuren Not — um 154 % gesteigert.
Das ist eine Leistung, mit der wir vor dem deutschen Volk bestehen können.
— Herr Stammberger, mit Ihnen will ich gar nicht polemisieren. Das sollten wir auch nicht tun.
— Zugestimmt sogar! Herr Stammberger, wenn ich Sie bitten darf, auch das nicht zu tun; denn dann ärgert sich Herr Schellenberg.
Die Bruttolohn- und Gehaltssumme hat sich in der gleichen Zeit um 161 % erhöht. Die Pensionen, Renten und Unterstützungen sind in der gleichen Zeit um 173 % gestiegen, die Ausgaben für öffentliche Sozialleistungen insgesamt um 171 %.An diesen immensen Steigerungen ist auch die Sozialpolitik mit ihren Maßnahmen hervorragend beteiligt gewesen. Die Zunahme der Beschäftigten ist nicht nur automatisch eingetreten. Herr Schellenberg, Sie haben als Berliner kein Wort über die Tatsache gesagt, daß es uns gelungen ist — und dieser, wie Sie sagen, „so unfähige Arbeitsminister" hat einiges daran getan; fragen Sie die Berliner
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 150. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 14. März 1961 8525
Bundesarbeitsminister Blank Freunde —, die Schwerbeschädigten und die älteren Arbeitnehmer, die schwer zu vermitteln waren, bevorzugt in Arbeit zu bringen,
und zwar die Schwerbeschädigten in einem solchen Umfang, daß wir heute in Deutschland ein Vielfaches von Pflichtplätzen haben, die wir gar nicht besetzen können,
weil die Zahl der unbesetzten Pflichtplätze weitaus die Zahl der noch arbeitslosen Schwerbeschädigten überschreitet.Der Bundesarbeitsminister erkennt jedermanns Verdienst an dieser Sache an, aber er nimmt auch für sich, Herr Schellenberg, ein Quentchen Verdienst an dieser Leistung in Anspruch.
Wir haben die Winterarbeitslosigkeit durch systematisch angewandte Mittel der Sozialpolitik weitgehend überwunden. Ich kann gar nicht erwarten, daß ich in allen Einzelheiten von der deutschen Presse gelobt werde und Zustimmung finde, aber wenn irgendeine Maßnahme, die insbesondere von mir und meinem Hause forciert worden ist — selbstverständlich haben die Sozialpartner mitgewirkt —, Widerhall im deutschen Volke gefunden und Erfolg gehabt hat, dann sind es die Maßnahmen zur Überwindung der Arbeitslosigkeit im Winter gewesen.
Das hat also auch dieser „unfähige Bundesarbeitsminister" zum Teil mitbewirkt.Unsere Arbeitsmarktpolitik war eine wesentliche Voraussetzung für die genannte Steigerung des Bruttosozialprodukts, des Volkseinkommens und der Bruttolohn- und -gehaltssumme. Ich habe geglaubt und wiederhole noch einmal, daß das gerade einen Berliner Abgeordneten ganz besonders beeindruckt haben müßte.Erst recht die Steigerung der Ausgaben für öffentliche Sozialleistungen um 171 °/o ist nicht ganz ohne Zutun der Bundesregierung erfolgt. Auf keinem Gebiet ist unsere sozialpolitische Aktivität deutlicher zutage getreten und nachhaltiger wirksam geworden als auf dem der Gewährung von Leistungen der Sozialversicherung. Sie haben uns immer verdächtigt, wir würden, nachdem die Rentenversicherungsreform im Jahre 1957 — vor den Wahlen — verabschiedet worden ist, nach den Wahlen nicht dazu stehen. Dieser nach Ihrer Auffassung „so unfähige Arbeitsminister" hat jeden Herbst, Jahr für Jahr, den Sozialbericht und das Rentenanpassungsgesetz vorgelegt. Jahr für Jahr haben wir die Renten der 7 1/2 Millionen Rentenbezieher in dem gleichen Ausmaß, in dem die allgemeine Bemessunggrundlage gestiegen ist, erhöht. Wir haben unser den Rentnern gegebenes Wort Jahr für Jahr erfüllt.
Aber das ist ja der Grundsatz unseres Rentenversicherungssystems. Was heißt demgegenüber „Reform der Rentenreform", die neuerdings von der Sosialdemokratie gefordert wird? Damit müssen wir uns doch ein wenig auseinandersetzen. Was ist eigentlich „Reform der Rentenreform"? Herr Schellenberg hat sich darüber geäußert. Ich habe das Material darüber bei mir. Es hat sich ferner geäußert der Kanzlerkandidat der SPD, Herr Willy Brandt. Herr Willy Brandt hat nunmehr, ebenso wie es im Programm der SPD steht, allen Bundesbürgern die Mindestrente versprochen. Ich war außerordentlich neugierig darauf, wie denn nun Herr Willy Brandt diese Forderung verwirklichen wollte, und siehe da: er hat einiges dazu gesagt; denn die Zeitschrift „Metall" hat ihn in einem Interview gebeten, dazu etwas zu sagen. Dieses Interview steht in der Zeitung der IG Metall. Wenn Sie das einmal lesen — ich brauche gar nicht zu zitieren —, werden Sie erstaunt sein. Herr Willy Brandt weiß zu der Frage nämlich gar nichts anderes als nur folgendes: daß eine so umfassende Aufgabe wie die Schaffung einer garantierten Mindestrente natürlich im Rahmen eines finanziell ausgewogenen Programmes verwirklicht werden müsse; es liege auf der Hand, daß dann natürlich umfangreiche Vorarbeiten geleistet werden müßten, und es sei daher gar nicht sinnvoll, jetzt und in diesem Augenblick darüber schon etwas zu sagen.
Als dann aber der Interviewer etwas neugieriger wurde und sogar die Frage stellte, ob man denn nicht, da es das doch in verschiedenen anderen Ländern gebe, von dort her die Erfahrungen übernehmen könne, meinte Herr Willy Brandt, ja, das gebe es, z. B. in Schweden, aber man müsse doch bedenken, daß man solche Beispiele nicht nachahmen könne; man müsse sie jedoch auswerten und aus ihnen lernen.Herr Schellenberg weiß darüber viel besser Bescheid, und daß muß ich Ihnen einmal vorführen. Herr Schellenberg hat sich auch geäußert. Er hat in der „Bunten Illustrierten" — „Münchner Illustrierten" vom 11. März 1961 gesagt: Die sogenannten reinen Beitragsrenten, so wie wir sie in unserem Rentensystem geschaffen haben, die nach einer gewissen Übergangszeit durch die Rentenversicherungs-Neuregelungsgesetze festgelegt wurden, ergeben neben unverkennbaren Vorteilen — vor Jahren haben wir uns noch darüber gestritten, da ergaben sie angeblich überhaupt keine Vorteile — doch eine Reihe von sozialen Härten. Er meinte deshalb, daß eine Reform der Rentenreform das Prinzip der Beitragsrente mit dem einer Mindestrente koppeln müsse, damit auf diese Weise bei der Rentenfestsetzung die Beitragsgerechtigkeit durch soziale Gesichtspunkte ergänzt werde.Eine Mindestrente! Mit diesem schillernden Begriff werden wir uns noch etwas genauer auseinanderzusetzen haben. Denn es steht im Grundsatzprogramm der SPD: Jeder Bürger hat im Alter bed Berufs- und Erwerbsunfähigkeit oder beim Tode des Ernährers Anspruch auf eine staatliche Mindestrente. Um nun zu hören, was eine staatliche Mindestrente ist, in welcher Höhe sie bemessen werden muß, habe ich sofort darüber Untersuchungen an-
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Bundesarbeitsminister Blankstellen lassen. Ich habe sofort einmal nachrechnen lassen, was das denn eventuell kosten sollte. Ich bin allerdings sehr vorsichtig gewesen und muß nun leider feststellen, daß ich mit zu geringen Beträgen gerechnet habe. Wie hoch soll denn diese Mindestrente sein? Wenn sie wenigstens 200 DM betragen sollte, müßten wir, um die darunterliegenden anzuheben, nicht weniger als 3,6 Milliarden DM zusätzlich aufwenden. Gegenwärtig wendet aber der Bundeshaushalt schon über 6 Milliarden DM für die soziale Rentenversicherung auf.Was eine Mindestrente ist, das ist sehr genau nachzulesen. Es gibt nämlich inzwischen von Herrn Fritz Sänger, weiland Chefredakteur von dpa, derzeit Kandidat der Sozialdemokratie für ein Bundestagsmandat, einen Kommentar, und in diesem Kommentar sagt er ganz deutlich folgendes — ich bitte Sie, Herr Präsident, mir zu gestatten, das Zitat, es ist nicht sehr lang, wörtlich zu bringen —; das Zitat lautet:Die Sozialdemokratie vertritt in ihrem Grundsatzprogramm die staatliche Mindestrente als einen Schutz im Alter und bei Arbeitsunfähigkeit, und sie will sie durchsetzen, wenn sie die staatliche Macht repräsentieren kann.Und nun:Auch der Tod des Ernährers soll die Familie nicht der Not überantworten, sondern auch hier soll die Rente beginnen. Sie soll eine Grundrente sein und wie eine allgemeine und ausreichende Pension gestaltet werden, die eine Lebenshaltung sichern soll, die der entspricht, die sich der Empfänger im Arbeitsleben erworben hat.So erklärte der Experte der SPD für Sozialpolitik 'im Bundestag, Professor Dr. Ernst Schellenberg, auf dem Godesberger Parteitag in der Begründung diese Forderung.
Das heißt, meine sehr verehrten Damen und Herren, die deutsche Sozialdemokratie verspricht durch die Worte ihres Kanzlerkandidaten, durch ihr Programm, durch die Interpretation eines ihrer geistig führenden Männer dem deutschen Volke nicht eine irgendwie geartete Sockelrente, sondern eine Mindestrente, die in jedem einzelnen Fall die gleiche Lebenshaltung garantieren soll, die der Betreffende früher in steinern Arbeitsleben gehabt hat.Ich frage, woher die deutsche Sozialdemokratie die dazu notwendigen Steuermittel nehmen will, und ich frage, wie sie mit einem solchen Programm werbend vor die deutsche Wirtschaft, insbesondere vor die mittelständische und vor das Handwerk, das ihr so sehr am Herzen liegt, treten will.
Das ist, meine Damen und Herren, nicht mehr Sozialpolitik eines neuen Stils, das ist auch kein gewandelter Stil, das ist auch kein schlechter Stil, das ist etwas anderes, das ist Utopia, wie es das vor hundert Jahren im Sozialismus gegeben hat.
Nun darf ich wieder zu unseren bescheidenen Leistungen zurückkehrten. Ich kann Ihnen solche Versprechungen nicht einmal, Herr Schellenberg, wenn ich nicht mehr da säße, für einen allenfallsigen Nachfolger machen; auch der könnte solche Versprechungen hier nicht geben.
— Herr Killat, Sie sind es mit Sicherheit nicht!
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte sehr.
Herr Minister, wieviel Menschen sind es denn, die nach Ihrer Zahl 3,6 Milliarden DM weniger als 200 DM Einkommen im Monat haben?
Zweitens: Finden Sie nicht auch, daß das ein sehr miserables Einkommen ist und unserer Wunderwirtschaft in Deutschland keinesfalls angemessen ist?
Als Antwort darauf muß ich Sie bitten, Ihren Kollegen Schellenberg genauer zu lesen; der war wenigstens noch so klug, zu sagen: Aus den statistischen Unterlagen ist nicht ersichtlich, ob die Bezieher von Renten, also auch von Kleinrenten, noch andere Einkünfte haben.
Wir wissen doch alle, woher diese Kleinrenten im wesentlichen kommen.Nun darf ich mich wieder unseren bescheidenen Leistungen zuwenden. Wir haben in der Unfallversicherung die Geldleistungen erhöht, und zwar durch Anpassung der Jahresarbeitsverdienste an die wirtschaftliche Entwicklung seit 1957. Für die Renten aus Unfällen vor dem 1. Januar 1957 ergab sich eine Steigerung der Jahresarbeitsverdienste um rund 18 v. H. Wir haben, Herr Schellenberg, das Fremd- und Auslandsrentenrecht zur allgemeinen Zufriedenheit neu geordnet. Deshalb fand ich dieses Gesetz auch nicht in Ihrem Katalog der Gesetze, die angeblich nicht hinreichend mit den Beteiligten besprochen worden sind. Wir haben das Handwerkerversicherungsrecht ,neu geregelt, und die Altershilfe für Landwirte hat trotz ihrer Defizite die in sie gesetzten Erwartungen erfüllt. Wir haben, entsprechend den Zusagen der Bundesregierung, mit der Einbeziehung weiterer Gruppen Selbständiger in eine gesetzlich geregelte Alters- und Hinterbliebenenversicherung, soweit sie eine solche wünschten, begonnen. Die Bundesregierung und insonderheit ich haben genau das getan, was ich in meinem Programm niedergelegt habe.Aber da wir gerade bei dem Programm sind: Herr Schellenberg, Sie haben mir soeben vorgeworfen,
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Bundesarbeitsminister Blankich hätte nicht genügend Kontakt mit den Bundestagsausschüssen gehalten. Auf Verlangen Ihrer Freunde — Frau Korspeter war es — habe ich Ihnen im Februar 1958, ausgehend von der Regierungserklärung, ein umfangreiches sozialpolitisches Programm vorgelegt.
Warten Sie mal ab! — Der Herr Vorsitzende der damals gemeinsam tagenden drei Ausschüsse — es präsidierte der Vorsitzende des Sozialpolitischen Ausschusses, Herr Schellenberg; die anderen Ausschüsse waren Gäste — hat es bis zum heutigen Tag nicht für nötig gehalten, dieses Programm in seinem Ausschuß auch nur zur Beratung zu stellen.
Und derselbe Mann stellt sich heute hier her und sagt, ich hätte keinen Kontakt mit seinem Ausschuß gehalten oder ich hätte ein Programm vorgelegt, das damals noch nicht zu überblicken gewesen sei.Ich habe ein Programm vorgelegt, das sich an die Regierungserklärung anschloß, und ich kann Ihnen heute sogar Punkt für Punkt zeigen, wie, ausgehend von diesem Programm, Gesetzesvorlagen an das Parlament gekommen sind.Aber Ihnen war ja an einer Grundsatzdebatte gar nichts gelegen. Sie haben — und das haben Sie öffentlich erklärt — nichts anderes gesucht als eine Möglichkeit, ein innenpolitisches Problem Nummer eins zu schaffen, und dafür schien Ihnen die Neuregelung der Krankenversicherung geeignet zu sein. Herr Schellenberg, sie ist nicht innenpolitisches Problem Nummer eins geworden, und Sie hatten keine Möglichkeit, daran zu einer großen Bedeutung zu gelangen. Sie sind noch nicht einmal Mitglied des „Fußballklubs der Elfermannschaft" geworden.
— Ja, Linienrichter geworden!Nun zur Neuregelung der Kriegsopferversorgung! Herr Schellenberg hat soeben erklärt, daß diese Neuregelung völlig anders gelaufen sei, als es che Bundesregierung vorgeschlagen habe. Ich darf mich ein wenig mit dieser Frage beschäftigen.Der 2. Deutsche Bundestag hat bei der Verabschiedung der Sechsten Novelle die Empfehlung ausgesprochen, es möge auch eine umfassende Reform der Kriegsopferversorgung vorgenommen werden. Obwohl das Bundesversorgungsrecht im Vergleich zu anderen Rechtsgebieten sehr jungen Datums war, hat die Bundesregierung diese Empfehlung respektiert und eine völlige Überarbeitung des gesamten Kriegsopferrechts vorgenommen. Bei dieser Reform schienen mir folgende Punkte von Bedeutung zu sein: die Neugestaltung des Rentensystems, die Anrechnung der sonstigen Einkommen, die stärkere Berücksichtigung des Berufsschadens, Leistungsverbesserung unter sozialen Gesichtspunkten, Änderung der Vorschriften über die Heilbehandlung und über die Kapitalabfindung. Ich gestehe auch heute noch freimütig, daß ich in diesem Zusammenhang die Frage einer Grundrentenerhöhung nicht als das Kernstück einer solchen Reform angesehen habe, schon allein aus der Überlegung, daß es hierzu einer umfangreichen Reform gar nicht bedurft hätte. Eine Erhöhung der Grundrenten hätte sich mit einer einfachen Novelle machen lassen. Von einer Reform läßt sich vernünftigerweise nur sprechen, wenn umgestaltende Rechtsgedanken zum Zuge kommen. Wir haben nahezu jede Vorschrift im Versorgungsrecht überarbeitet, neu gefaßt und, wenn es erforderlich und vertretbar war, in rechtlicher und leistungsmäßiger Hinsicht verbessert. Wir waren auch bestrebt, neuen entschädigungsrechtlichen Gedanken, wie sie insbesondere durch den Vorschlag der Einführung eines Berufsschadensausgleichs zum Ausdruck gekommen sind, zum Durchbruch zu verhelfen.Wenngleich das Hohe Haus mir in diesem Punkt nicht in allem gefolgt ist, hat es sich doch zu dem Grundgedanken einer solchen Regelung bekannt, indem es eine entsprechende Leistung für erwerbsunfähige Schwerbeschädigte beschlossen hat. Wer sich die Mühe macht, den Entwurf der Bundesregierung zu einer Neuregelung des Rechts der Kriegsopferversorgung mit den Beschlüssen des Bundestages zu vergleichen, der wird feststellen können, daß die allermeisten Vorschläge der Bundesregierung zur Weiterbildung des Versorgungsrechts auch die Billigung dieses Hohen Hauses gefunden haben.Wenn Herr Schellenberg mir wieder den Vorwurf macht, ich hätte die Bedürftigkeitsprüfung einführen wollen, so muß ich für ihn noch einmal meinen Grundsatz, den ich hier mehrfach ausgesprochen habe, mit aller Klarheit wiederholen. Zwischen Kriegsopfern und Kriegsopfern besteht ein Unterschied. Wenn zu der Verwundung nun auch noch materielle Not kommt, dann ist Bedürftigkeitsprüfung nichts Abwertiges, wenn ich sage, daß derjenige, der sich materiell wesentlich schlechter steht, eine größere Hilfe bekommen soll als derjenige, der sie in diesem Umfang nicht nötig hat.
Ich werde auch in Zukunft daran festhalten.Meine Damen und Herren, nun ein Wort zur Krankenversicherung. Ich habe vorhin den von mir hochverehrten Herrn Professor Schmid im Saale gesehen. Ich habe meine Ausführungen, die ich jetzt machen werde, nicht etwa beiseite gestellt, weil er anwesend war; ich konnte nicht wissen, daß er gehen würde. Herr Schellenberg, ich bitte um Ihre geschätzte Aufmerksamkeit; ich werde mir erlauben, noch einige Zitate zu bringen.
— Das hören Sie doch gerne, Sie sind doch wissenschaftliches Arbeiten gewöhnt, und die Zitate, die ich jetzt bringe, stammen doch von einem Ihrer Leute. Passen Sie bitte auf! Ich werde mich mit der Frage des Mißbrauchs und ähnlichen Dingen beschäftigen.
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Bundesarbeitsminister BlankNun zur Krankenversicherung! Ich halte die Bemühungen, die wir zur Regelung des Rechts der gesetzlichen Krankenversicherung unternommen haben, in keiner Weise für ergebnislos. Noch in dieser Legislaturperiode wird eine weitere Angleichung des Rechts der Arbeiter an das der Angestellten zur wirtschaftlichen Sicherung im Krankheitsfalle erreicht.
— Ach, die Regierung und die sie tragende Partei sind doch in ihrem politischen Wollen eins, das ist Ihnen doch längst bekannt.
— Ja, wir sind doch nicht in einem sozialistischen Staat, wo die Regierung zu kommandieren und das Parlament Befehle auszuführen hätte; wir sind ja noch in einer Demokratie!
Wir werden auch die Aussteuerung in der Krankenversicherung beseitigen.Das Ringen um eine neue gesetzliche Krankenversicherung hat uns wertvolle Erkenntnisse gebracht. Nicht jede große Aufgabe — und diese war vielleicht die größte — wird auf Anhieb gelöst. Schon Herr Kollege Erler hat, als er seine Rede zum Gesamtetat hielt, ganz gegen seine sonstigen Gewohnheiten einen Ausflug in die Sozialpolitik gemacht.
Ich weiß nicht, wer ihm die Unterlagen dazu geliefert hatte. Er gebrauchte denselben Ausdruck, den heute Herr Kollege Schellenberg gebrauchte: das sei vom Grundgedanken des Mißtrauens hinsichtlich des Mißbrauchs getragen gewesen. Herr Schellenberg, ich weiß, daß ich mich jetzt wiederhole, aber dennoch tue ich es; denn meine Freunde werden sicherlich die Fundstellen auch gerne wissen wollen. Ich haben Ihnen schon damals zu diesem Vorwurf gesagt: Im Sozialplan der SPD — ich nehme an, daß er trotz des Godesberger Programms noch in vollem Umfang gültig ist — können Sie, meine Damen und Herren, auf Seite 51 ein Kapitel legen, das die Überschrift „Arzneimittelmißbrauch" trägt. Wenn Sie in meiner Gesetzesvorlage einschließlich ihrer Begründung dieses Wort finden, dann, Herr Schellenberg, bin ich sogar bereit, Ihren Antrag zu unterstützen, den Sie in bezug auf mein Gehalt gestellt haben.
Hinsichtlich des Arzneimittelmißbrauchs macht der sozialdemokratische Sozialplan folgenden genialen Lösungsvorschlag: er kommt sogar dazu, zu erwägen, ob man nicht den Verbrauch vermeidbarer Arzneimittel von der Kostenübernahme in der sozialen Krankenversicherung völlig ausnehmen soll.
Ich will gar nicht im einzelnen behandeln, was dort über das Kapitel Mißbrauch gesagt ist. Dort wird sogar dargetan, daß solche Mittel ja nur gebraucht würden, weil man infolge unbesonnener Handlungen — die z. B. aus Genußmittelverbrauch, Koffein, Nikotin, Alkohol usw. herrühren — solche Arzneimittel brauche. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich möchte der deutschen Sozialdemokratie und insbesondere Herrn Schellenberg wirklich den Rat erteilen, man möge doch einmal mit Aufmerksamkeit jenen Aufsatz lesen, den Herr Professor Dr. Carlo Schmid geschrieben hat. Herr Professor Schmid hat eine Rede gehalten, die mein Pressereferent später abdrucken ließ. Er hat sie Herrn Carlo Schmid zugeleitet, und Herr Carlo Schmid ist mit einer Veröffentlichung dieser seiner Rede einverstanden gewesen. Ich sage also jetzt nichts, das, sagen wir einmal, unfair wäre. Ich sage: meine Auffassungen decken sich weithin mit denen, die Herr Kollege Schmid hier geäußert hat, — nicht in allem, aber weithin. Nur, wenn ich mir erlaubt hätte, eine einzige der hier gebrauchten Vokabeln zu verwenden, dann, meine sehr verehrten Damen und Herren — —!In dem Kapitel, das „Der Mensch, wie er ist" überschrieben ist, sagt Herr Carlo Schmid — darf ich zitieren, Herr Präsident —:Nun, gut, das wissen wir; es hat keinen Sinn, so zu tun, als sei es anders; es hat keinen Sinn, so zu tun, als sei jeder Arzt und sei jeder Patient genau so, wie man sich ihn malen würde, wenn man ihn sich malen könnte,
Beide sind es nicht. Dem muß man durch bestimmte Einrichtungen Rechnung tragen,
die es schwer machen, sich in Versuchung führen zu lassen, die vielleicht sogar gewisse Momente des „In -Versuchung -geführt -werdenKönnens" gegenstandslos zu machen vermögen.
Meine Damen und Herren, wäre ein Mann wie Carlo Schmid, der diesen Satz gesprochen, ihn vor sich liegen gehabt und korrigiert hat und der ihn in dieser Form kennt, an den Beratungen des Gesetzes beteiligt gewesen, hätte ich mir davon einigen Gewinn versprochen.An einer anderen Stelle, auch in diesem Aufsatz, hat er gesagt, es wäre vielleicht gut, wenn mal die Nichtsachverständigen, die auch nicht fachblind sind, die Laien, wie er sie genannt hat, sich zu diesem Problem äußerten.
Nun, Herr Professor Carlo Schmid hat noch mehr gesagt, und ich habe damals, bei der Behandlung unseres Krankenversicherungsneuregelungsgesetzes, das alles in vollem Umfang gekannt, aber nicht gebraucht, Herr Schellenberg; denn bis zum heutigen Tage war ich nicht der Meinung, daß Sie das zu
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 150. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 14. März 1961 8529
Bundesarbeitsminister Blanktun vermöchten, was Sie vorhin getan haben. Das ist der Grund, weshalb ich Ihnen nunmehr einmal darlegen will, wie die Auffassungen zu dieser Frage sind.Herr Schellenberg, ich wage einen Satz auszusprechen: Ich weiß sogar, daß selbst Sie in kleinstem Kreise, mit der Frage konfrontiert, meinen Entwurf für einen logischen, einen guten und in sich aufeinander abgestimmten Entwurf gehalten haben.
Ich gehe weiter.
— Bitte, gern!
Herr Minister, warum haben Sie sich eigentlich nicht der Beratung Ihres Entwurfs im Ausschuß gestellt?
Ihre Frage bittet
Herr Kollege, darf ich Ihnen darauf antworten, daß diese Meinungsverschiedenheiten in der Diskussion hätten geklärt werden können. Aber Auszug bedeutet doch, daß man überhaupt nicht über die Meinungsverschiedenheiten reden will! Und der Auszug blieb Ihnen vorbehalten!
Nun komme ich wieder zu der interessanten Rede.
— Auf diese Frage möchte ich antworten.
Herr Minister, darf ich Sie fragen, ob Ihnen nicht bekannt ist, daß dieser Auszug der sozialdemokratischen Fraktion aus dem Sozialpolitischen Ausschuß gerade darauf zurückzuführen /ist, daß eben wegen der widerstreitenden Meinungen in der CDU eine sachliche Verhandlungsplattform nicht gegeben war.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nein. das ist mir gar nicht bekannt. Mir ist bekannt. daß dieser Auszug deshalb erfolrrte. weil Sie im Grunde Ihres Herzens dieses Gesetz überhaupt nicht wollten.
Herr Wittrock. Sie haben mir den Zwischenruf gemacht, wir hätten die Mehrheit. Das hat Herr Schellenberg an diesem Platz bei einer Beratung auch einmal gesagt. Da kann ich nur eines sagen: das sollte sich die Christlich-Demokratische-Union — das ist ein Vorwurf, den nehme ich sogar an — ruhici merken und. wenn Sie wieder einmal filibustern wollen, von ihrer Mehrheit auch in Ausschußberatungen entsprechenden Gebrauch machen.
— Nein, Herr Wittrock, jetzt spreche ich weiter.
— Ich spreche weiter.
Keine Zwischenfrage!
—Herr Abgeordneter Wittrock, ich erteile Ihnen einen Ordnungsruf.
— Herr Abgeordneter Wittrock, Sie verlassen auf der Stelle den Saal! Das gibt es nicht!
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8530 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 150. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 14. März 1961
Präsident D. Dr. GerstenmaierHerr Abgeordneter Wittrock, verlassen Sie den Saal! Ich kann es unter keinen Umständen zulassen, daß der Präsident niedergeschrien wird.Fahren Sie bitte fort, Herr Minister!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich wende mich jetzt wieder der Rede zu, die ich vorhin behandelt habe. Da gibt es ein Kapitel, das heißt „Verantwortung und Demokratie". In diesem Kapitel sagt der Herr Professor Schmid:Und wenn wir eine Sozialversicherung wollen, überhaupt irgend etwas, in dem ich und du in ein Verhältnis von Leistung und Gegenleistung gestellt werden, dann müssen wir das Geschaffene unter das Gesetz der Verantwortung stellen. Wir sollten nicht glauben, daß auf dem Ersatzwege von Institutionen geleistet werden könnte, was nur Verantwortungsbewußtsein leisten kann.Ich habe in meinem Gesetzentwurf versucht, das Verantwortungsbewußtsein zu wecken. Herr Schellenberg hat mir bei der ersten Lesung gesagt — es war einer seiner Schlußsätze —: Ausgerechnet am Krankenbett verlangt der Bundesarbeitsminister Verantwortung! Herr Schellenberg, hier sagt es Ihnen Ihr eigener Kollege!Aber ich komme nun noch zu etwas anderem. Ich habe erstaunt gelesen, daß die deutsche Sozialdemokratie auch in ihrem neuen Programm wieder verkündet, daß jedermann den Anspruch, das Recht — der Kommentator Sänger sagt sogar: das unveräußerliche Recht — auf Gesundheit habe. Ich möchte mir doch einmal die Frage erlauben, gegen wen dieses Recht geltend gemacht werden soll, bei wem es einzuklagen wäre. Ich bin der Meinung, der Kranke hat ein Recht darauf, daß wir ihm so weit wie möglich die Mittel zur Verfügung stellen, deren er bedarf, um seine Gesundheit wiederzuerlangen. Weil ich das wollte — für die wirklich Schwerkranken —, darum wollte ich die Krankenversicherung von dem entlasten, was nicht in diese Kategorie gehört.
Und nun zitiere ich ,wieder. Professor Carlo Schmid sagt:Ich frage mich: sind wir jetzt nicht in eine Phase getreten, da viele Menschen glauben, als krank Deklarierte hätten sie ein Privileg aufs Kranksein, einen Rechtsanspruch an die Gesellschaft, der sich zu einer Art von Pfründe müsse ausweiten lassen. Es müsse sich auszahlen, was man so lange Zeit in die Versicherung eingezahlt hat? Das ist auch die Wirklichkeit. Ist es nicht so, daß dieses „Es-muß-sich-auszahlen" vielerorts als Normalzustand angesehen wird. Hier muß ein Paroli geboten werden.Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich bedauere nur, daß ich nicht einen so kenntnisreichen Mann wie Herrn Carlo Schmid gebeten habe, mir bei der Abfassung der Begründung zu meinem Gesetzentwurf zu helfen. Ich gestehe neidlos, daß dann diese meine Begründung mindestens in der Diktion und in der Schärfe der Beweisführung besser ausgefallen wäre, als sie durch meine und die Arbeit meiner Mitarbeiter ausgefallen ist.
Ich will noch einen einzigen Satz zitieren. Dann stecke ich es auf. Herr Schellenberg hat es soeben beklagt, daß die Vertreter der Ärzteverbände beim Bundeskanzler gewesen seien. Darüber haben wir uns hier doch schon ,einmal unterhalten, und darüber habe ich im Ausschuß Auskunft gegeben. Aber ich habe gehört, daß die Vertreter gleicher Ärzteverbände beim Kanzlerkandidaten Willy Brandt gewesen sind. Da werden sie sich doch sicher darüber unterhalten haben, wie denn nun die SPD zu diesen Fragen steht. Nun frage ich Sie, meine Damen und Herren, ob der Bundesarbeitsminister folgenden Satz- hätte gebrauchen dürfen — ich zitiere weiter ganz wörtlich —:Ein Arzt, der mir sehr nahesteht, der sehr viele Erfahrungen hat und ganz und gar dem Gedanken der Verpflichtung der Gesellschaft, für den Kranken zu sorgen, ergeben ist, sagte mir, die heutigen Vergütungsmethoden — um nur davon zu reden — machten leicht— meine Damen und Herren, ich bekomme einen Schrecken —Arzt und Patienten zu Betrügern.
Ich gebe wieder, was gesagt worden ist. Ich glaube, daß es stimmt. Damit will ich aufhören mit Zitaten aus dieser hervorragenden Arbeit.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn ich das zur Kenntnis nehme und abwäge mit dem, was soeben der Vorsitzende des Sozialpolitischen Ausschusses, der, wie der Kommentator Sänger sagt, „Sozialexperte der deutschen Sozialdemokratie", gesagt hat, abwäge, dann bin ich der Meinung, er hat es sich außerordentlich leicht gemacht.
Herr Professor Schellenberg, ich hatte damit gerechnet, daß Sie heute hier eine Polemik über die Sozialpolitik führen wollten. Natürlich habe ich mich darauf ein wenig gewappnet, so wie Sie. Aber Sie, Herr Kollege Schellenberg, wußten nichts anderes als mich persönlich kränken zu wollen,
als Punkte — 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7 — vor uns abzuzählen, weil Sie zur Problematik, um die es im sozialen Bereich geht, nichts zu sagen haben bei der CDU/CSU.)Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich bin noch nicht am Ende. Ich will jetzt abbrechen, um auch andere reden zu lassen. Ich bin aber noch nicht am Ende. Ich bin auch noch nicht am Ende mit meinem Leistungsbericht. Mir kam es nur darauf an, zu-
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Bundesarbeitsminister Blanknächst einmal die Diskussion auf die Basis zu führen, auf der sie geführt werden muß.Was meine Sozialpolitik ist, ist Ihnen, Herr Schellenberg, genau bekannt. Meine Sozialpolitik wird auch von meinen Freunden gebilligt.
Das heißt gar nicht, daß alles und jedes, was ich in einen Gesetzentwurf schreibe, nunmehr meine Freunde bedingungslos zu akzeptieren hätten. Wir sind eine Fraktion selbständig denkender, selbständig handelnder Persönlichkeiten.
Wir sind eine Fraktion aus den unterschiedlichsten Ständen und Schichten des deutschen Volkes. Wir haben echte, von der Sache her gegebene gegenteilige Auffassungen und Anschauungen in unserem eigenen Bereich zu diskutieren, und wir genieren uns gar nicht, auch einmal zu sagen: Wenn das Problem in seinem ganzen Umfang jetzt und diesmal nicht behandelt werden konnte, dann braucht es kein Fehler zu sein, wenn wir es eine Zeitlang reifen lassen. Die Christlich-Demokratische Union, die sich mit ihrer bisherigen Arbeit auf dem Gebiete der Sozialreform sehen lassen kann, wird auch mit dem Problem der Reform der sozialen Krankenversicherung fertig werden. Dessen bin ich gewiß.
Ich habe mir eben erlaubt, einiges aus Ihrem Programm, einiges aus diesem Kommentar zu zitieren.Ich habe noch einige andere Belegstellen. Im Bedarfsfalle können wir darauf zurückkommen. Was ich unter Sozialpolitik verstehe, habe ich in diesem Hohen Hause mehr als einmal vorgetragen. Ich weiche der Auseinandersetzung mit Ihnen, Herr Schellenberg, nicht aus. Ich führe sie hier im Angesicht des deutschen Volkes. Was wir wollen, ist folgendes. Wir wollen den veränderten wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Verhältnissen Rechnung tragen. Wir wollen auf der Basis notwendiger sozialer Rechte die Grundsicherung, die diejenigen haben müssen, die bis heute jedenfalls zum größten Teil aus ihrem Arbeitseinkommen leben müssen. Wir sind aber der Meinung, daß wir darüber hinaus neue Möglichkeiten schaffen müssen. Wenn wir Verantwortungsfreude, wenn wir Gemeinsinn, wenn wir Tatkraft fordern, ist es notwendig, die alte, klassische Sozialpolitik — und wer wollte ein abfälliges Wort über sie, die so notwendig war, sagen! — nunmehr mit einem Neuen zu krönen, nämlich damit, daß wir demjenigen, der bisher in abhängigem Verhältnis nur aus Arbeitseinkommen lebt, die Möglichkeit zur Vermögensbildung geben, damit er im Besitz eines eigenen Vermögens auch mit den Risiken des Lebens fertig wird. Das stelle ich mir als die Krone der in dieser Zeit möglichen Sozialpolitik vor:
auf der Basis gesicherter sozialer Grundrechte denfreien, selbstverantwortlichen Staatsbürger, der fürsich und die Seinen aus eigenen Kräften eintritt.
Ich will diesen Menschen deshalb, weil er nie und nimmer in die Fänge der Sozialdemokraten geraten kann.
Meine Damen und Herren, nach § 42 der Geschäftsordnung gebe sich bekannt, daß ich den Herrn Abgeordneten Wittrock für die Dauer der Sitzung aus dem Saal gewiesen habe. Ich habe das wegen Nichtbefolgung des § 32 Abs. 1 Satz 1 der Geschäftsordnung getan. Das ist ein Fundamentalsatz der Ordnung dieses Hauses; er heißt:
Kein Mitglied darf sprechen, — wer auch immer —
wenn ihm der Präsident nicht das Wort erteilt hat.
Wir können an dem eingeführten System der Zwischenfragen nur festhalten, wenn es dabei bleibt, daß der Befragte die Frage und die Antwort ablehnen kann. Es ist durchaus in der Hand des Befragten, ob er antworten will oder nicht. Wenn er das ablehnt, dann kann man ihm deshalb keine Vorwürfe machen. Vor allem aber geht es nicht, daß weitergeredet wird, wenn der Präsident sagt: „Sie dürfen jetzt nicht reden." Das geht unter gar keinen Umständen. Das ist eine so schwere Verletzung der Ordnung des Hauses, daß ich bedauerlicherweise zum erstenmal von dem § 42 der Geschäftsordnung Gebrauch machen muß. Ich lasse es bei dem Ausschluß für die heutige Sitzung bewenden.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Mischnick.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Antrag der Sozialdemokraten hat mich etwas überrascht, denn das Amtsgehalt des Ministers zu streichen, soll doch wohl eine Art Ersatz für ein Mißtrauensvotum gegenüber dem Bundesarbeitsminister sein, während wir doch immer davon ausgehen, daß die Richtlinien der Politik durch den Herrn Bundeskanzler bestimmt werden. Eine solche Einzelmaßnahme ist deshalb unserer Auffassung nach völlig falsch. Die Richtlinien der Politik sind auch für die Regierungsentwürfe maßgebend gewesen, die der Herr Arbeitsminister vertreten hat. Insofern glauben wir, daß dieser Schuß mit dem Antrag auf Streichung des Amtsgehalts fehlgegangen ist. Sollte wider Erwarten vielleicht der eine oder andere aus der CDU- Fraktion, der dem Herrn Bundesarbeitsminister ebenfalls nicht gewogen ist, den Antrag unterstützen, dann empfehlen wir, das Gehalt notfalls aus dem Tit. 300 zu bestreiten;
aber wir glauben nicht, daß eine Mehrheit dafür zustande kommt.Meine Damen und Herren, die Ausführungen von Herrn Professor Schellenberg und die Antwort des Herrn Bundesarbeitsministers brachten nunmehr das, was wir von einer allgemeinen Aussprache er-
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Mischnickwartet hatten. Der Herr Arbeitsminister hat gerügt, daß nicht auf die Leistungen der letzten Jahre eingegangen wurde. Dafür habe ich Verständnis. Aber es ist ja nicht Aufgabe der Opposition, hier darzulegen, was alles gut war, sondern sie wird mehr darauf bedacht sein, deutlich zu machen, wo dies oder jenes nicht richtig gelaufen ist.Ich muß offen gestehen, die Reden, die Herr Minister Blank gehalten, und die Artikel, die er geschrieben, und auch die Begründungen, die er zu manchem Gesetzentwurf gegeben hat, enthielten viele Gesichtspunkte, die wir Freien Demokraten begrüßt haben. Leider war es meistens so, daß es dann an der Konsequenz fehlte, wenn es an die Verabschiedung des Gesetzentwurfes ging oder wenn seine Gedanken in Gesetzesparagraphen formuliert werden sollten. Aus diesem Grunde haben wir in vielen Punkten an den sozialpolitischen Maßnahmen Kritik üben müssen.Wir haben das Gefühl, daß Herr Minister Blank oftmals mit seinen Auffassungen weder bei seiner Fraktion noch im Kabinett durchkam. Ich denke etwa an die Begründung des Regierungsentwurfs zur Kriegsopferversorgung. Wenn ich mir vor Augen halte, wie es damals ging, werde ich an einen Skatspieler erinnert — ich weiß nicht, ob der Herr Minister Skat spielt —, der „ohne Vieren" reizt, das Spiel machen will, nicht an den Skat denkt, dann hineinschaut. Wer liegt drin? — Der „Alte" liegt drin, das Spiel ist überreizt.
I) Wir haben es ja oft bei Entwürfen erlebt, daß der Herr Bundeskanzler eine ganz andere Meinung als der Herr Arbeitsminister vertrat, zum Beispiel bei der Kriegsopferversorgung. Das ist eine gewisse Tragik, und sie wird besonders deutlich, wenn ich an den angekündigten Stilwandel der Sozialpolitik denke.Diese Legislaturperiode hat uns leider nur eine Reihe von Reformversuchen gebracht; die Reformen konnten aber nicht vollendet werden. Ich denke da an die Regierungserklärung, in der angekündigt wurde:Die Sozialreform wird fortgeführt werden. In erster Linie wird neben der Korrektur etwa zutage tretender Mängel in der bisherigen Gesetzgebung eine Neuordnung der Krankenversicherung und der Unfallversicherung in Frage kommen. Die Sozialreform wird sich jedoch nicht in einer Neuordnung der Rentenversicherung und im Ausbau solidarischer Sicherungseinrichtungen erschöpfen können.So sagte damals der Herr Bundeskanzler. Wir müssen jetzt am Ende dieser Legislaturperiode feststellen, daß weder die Krankenversicherungsreform noch die Unfallversicherungsreform durchgezogen werden konnten, daß eine neue Art von Gesetzesmacherei, nämlich Vorschaltgesetze zu beschließen, Einzug hält, daß damit praktisch nur Rosinen aus dem Kuchen herausgepickt wurden, wie Kollege Stammberger einmal sagte,, aber keine dieser Fragen zu Ende behandelt wurde. Wir bedauern, daß man nicht den Mut hatte, von vornherein zu sagen: lieber eine einzige Reform gründlich durchdacht und zu Ende geführt, als zwei oder drei Reformen angefangen und dann mit Vorschaltgesetzen nur das eine oder andere herausgenommen und damit praktisch die ganze Frage vertagt zu haben.Aber nicht nur bei der Kranken- und Unfallversicherung ist die Reform nicht durchgeführt worden, sondern auch auf einer Reihe anderer Gebiete. Ich denke zum Beispiel daran, daß der Herr Bundeskanzler davon sprach, die Wählerschaft habe sich gegen den Kollektivismus, gegen die Allmacht des Staates ausgesprochen. Er warnte davor, daß man alles und jedes durch den Staat regele. Wenn wir aber das Sozialhilfegesetz ansehen, das im Ausschuß zur Beratung liegt, so scheint uns gerade dieses Gesetz der Regierungserklärung zu widersprechen.
In der Regierungserklärung wurde auch gesagt: Ohne größere Spartätigkeit sind beide Ziele-- gemeint sind ,der Wohlstand und die Vollbeschäftigung —nicht zu erreichen. Nur Arbeit und Sparen schafft Kapital und begründet und vermehrt den Besitz. Sparen ist in gleicher Weise wirtschaftlich und ethisch notwendig. Wir wollen aber nicht zu einem Feldzug für das Sparen aufrufen, wir wollen das Sparen durch gesetzgeberische Maßnahmen auch lohnend machen.Wir haben das Sparprämiengesetz erhalten. Das Gesetz zur Förderung der Vermögensbildung der Arbeitnehmer steht genau im Gegensatz zu dieser eben genannten Parole. Es wird nur eine Belohnung durch den Betrieb vorgesehen; eine eigene besondere Leistung wird nicht vorausgesetzt. Also auch hier besteht ein Bruch zwischen dem, was uns in der Regierungserklärung angekündigt wurde, und dem, was schließlich geschehen ist.An einer anderen Stelle der Regierungserklärung hat der Herr Bundeskanzler damals gesagt:Lohnerhöhungen, Arbeitszeitverkürzungen und Erhöhung des Sozialprodukts müssen miteinander verbunden bleiben, wenn nicht alle, auch Unternehmer und Arbeitnehmer, Schaden leiden sollen. Auf diese Zusammenhänge hinzuweisen, auf ihre Beachtung hinzuwirken, ist eine ernste Aufgabe der Bundesregierung. Arbeitszeitverkürzung und gleichzeitige Lohnerhöhung können eine untragbare Verminderung des Sozialprodukts bedeuten.Setzen wir einmal diese Stelle der Regierungserklärung in Vergleich zu der vorgesehenen Rechtsverordnung zur Regelung der Sonntagsarbeit, die eine Arbeitszeitverkürzung, Produktionsausfall und Lohnausfall oder Lohnausgleich zur Folge haben wird! Das steht doch dann genau wieder in Widerspruch zu dem, was in der Regierungserklärung gesagt wurde.Das alles muß uns zu der bedauerlichen Feststellung bringen, daß die Hoffnung, die wir hegten, in der Sozialpolitik werde ein Stilwandel eintreten und alle Maßnahmen würden aufeinander abge-
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Mischnickstimmt, nicht erfüllt wurde. Wir wissen, es ist nicht leicht, in der CDU/CSU-Fraktion alle diese Dinge unter einen Hut zu bringen, und bei dieser Spannweite ist es auch verständlich, daß manche Entwürfe nicht die entsprechende Mehrheit finden. Auf der anderen Seite müssen Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren von der CDU/CSU, dann aber auch den Mut haben, klipp und klar zu sagen: Wir gehen den oder wir gehen jenen Weg. Es hat keinen Sinn, z. B. draußen durch die Sozialausschüsse eine Tendenz zu vertreten, die hier im Bundestag bei offiziellen Erklärungen immer wieder abgestritten wird. Wir erleben, daß Gesetzentwürfe eingebracht werden, die in Widerspruch zu den Forderungen stehen, die z. B. der Herr Bundeswirtschaftsminister von diesem Podium aus verkündet hat; ich denke etwa an den Gesetzentwurf zur Vermögensbildung für Arbeitnehmer und an gewisse Passagen des Lohnfortzahlungsgesetzes. Hier kann man nur sagen: aus diesen Gesetzentwürfen schaut der blanke Katzer heraus.
Der Herr Arbeitsminister betont immer wieder -mit Recht, die Vorsorge des einzelnen müsse unterstützt werden. Das muß aber dadurch geschehen, daß derjenige, der selber Vorsorge treibt, steuerlich genauso gestellt wird wie derjenige, der sich auf die „staatliche" Versicherung verläßt. Wir müssen hier leider feststellen, daß die entsprechende Steuergesetzgebung nicht in der Weise bereinigt worden ist, wie wir Freien Demokraten in Unterstützung der Forderung des Herrn Arbeitsministers das immer wieder verlangt haben. Ich möchte in diesem Zusammenhang anführen, daß die Altlebensversicherungsbesitzer heute noch auf die Aufwertung warten. Das ist auch ein Teil der Vorsorgeunterstützung. Wir dürfen denjenigen, der früher diese Selbstvorsorge getroffen hat, nicht schlechter stellen als denjenigen, der sich auf die „staatliche" Versicherung verlassen hat.
Das ist auch eine Forderung, die man hätte erfüllen müssen, die aber bis zur Stunde noch nicht erfüllt worden ist.Ein letztes Kapitel! In diesem Haushaltsplan werden — durch den Nachtrag des Ausschusses — erstmals Mittel für die Kindergeldkassen bereitgestellt. Ich gestehe offen, daß es etwas schwierig ist, dazu Stellung zu nehmen. Wir begrüßen es, daß das Kindergeld im Haushaltsplan endlich mit einem eigenen Titel erscheint. Wir waren schon immer der Meinung: Es ist falsch, die Mittel für das Kindergeld durch eine Sondersteuer aufzubringen. Wir haben immer gefordert — der entsprechende Gesetzentwurf liegt im Sozialpolitischen Ausschuß —, daß das Kindergeld aus Steuermitteln gezahlt wird. Auf der anderen Seite halten wir es aber nicht für richtig, daß nunmehr mit der Einsetzung eines Teil- betrages zwar ein weiterer Schritt zur Kindergeldauszahlung getan werden soll, aber nicht gleichzeitig die Gesamtbereinigung des Aufbringungssystems erfolgen soll.
Diese Gesamtbereinigung haben wir gewünscht, und wir werden diesen Wunsch auch weiterhin verfolgen.
Es kommt noch ein Weiteres hinzu. Wir bedauern sehr, daß man, wenn man schon daran denkt, eine Umstellung vorzunehmen, auch hier wieder nicht so konsequent ist, das Gesamtsystem zu ändern, nämlich, wie wir sagen, die Finanzamtlösung zu wählen, sondern eine Zweiteilung vornehmen will: einmal die Familienausgleichskassen und zum anderen die Kindergeldkassen, die bei den Arbeitsämtern neu eingerichtet werden sollen. Wir haben das Gefühl, daß hier den Arbeitsämtern eine Art Lebensspritze verpaßt worden ist, damit sie entsprechend Beschäftigung haben, während die Offentlichkeit der Meinung ist: Wir sollten hier endlich einmal eine Behörde weiter abbauen, weil sie in diesem Umfang einfach nicht mehr notwendig ist.Wir Freien Demokraten sind der Überzeugung, daß ein Stilwandel unserer Sozialpolitik, der natürlich in vielen Bereichen einer gründlichen Vorbereitung bedarf, von dem Gedanken ausgehen muß, daß nicht derjenige Staat der sozialste ist, der den höchsten Sozialhaushalt hat, sondern derjenige Staat, der mit dem niedrigsten auskommen kann, weil er seinen Staatsbürgern die entsprechenden Möglichkeiten geschaffen hat, sich selbst zu helfen. Darauf sollten wir uns besinnen. Wir sollten das, was wir anpakken, gründlich anpacken, richtig lösen, aber Teillösungen, Vorschaltlösungen, wie sie bisher versucht worden sind, ablehnen, damit wir uns nicht eines Tages in dem Sozialgestrüpp, das wir aufgebaut haben, selbst verfangen und uns selbst ein Bein stellen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schellenberg.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bevor mein Kollege Rohde im einzelnen zur Sache antworten wird, will ich nur zwei Bemerkungen machen, um Gerüchte, die der Herr Bundesarbeitsminister hier vorgetragen hat, richtigzustellen. Wenn ich den Herrn Bundesarbeitsminister recht verstanden habe, so hat er bemerkt, daß in dem Gespräch des Kanzlerkandidaten Willy Brandt mit den Ärzten davon gesprochen worden sei, daß Ärzte und Patienten in betrügerischer Absicht zusammenwirken könnten. Ich möchte nur mitteilen, daß eine solche Bemerkung in der Besprechung, die Herr Brandt geführt hat, nicht gefallen ist. Ich habe an dieser Besprechung teilgenommen.
Eine zweite Bemerkung ist über meine Einstellung zur Beteiligung an den Kosten der ärztlichen Behandlung gemacht worden. Tatsächlich habe ich gesagt: Falls die CDU mit ihrer Mehrheit eine Kostenbeteiligung beschließen wolle, so sei es in sich logischer, nach dem Regierungsentwurf vorzugehen, nämlich die Kostenbeteiligung durch Gesetz zu regeln und nicht ihre Festsetzung auf die Selbstver-
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Dr. Schellenbergwaltung abzuschieben, wie das in einem der CDU Pläne vorgesehen war. Das habe ich erklärt. Ich habe niemals, in keinem Gespräch, eine Beteiligung an den Kosten der ärztlichen Behandlung, gleich in welcher Form, als diskutabel bezeichnet.Im übrigen möchte ich bezweifeln, ob einige Formulierungen persönlicher Art, die der Herr Bundesarbeitsminister hier gebraucht hat, der Sache dienen, für die er hier steht.
Das Wort hat der Herr Bundesarbeitsminister.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich muß sofort an Ort und Stelle etwas richtigstellen. Ich habe dein Herrn Kollegen Killat soeben erlaubt, das unkorrigierte Protokoll meiner Rede in die Hand zu nehmen, um sich seiner zu bedienen.
— Das ist nicht meine Sache. Ich habe es erlaubt, und die Erlaubnis bleibt. Sie wollen, Herr Kollege Schellenberg, sofort nachlesen, daß die Unterstellung, die Sie mir hier machen, unzutreffend ist.
Ich habe gesagt: die gleichen Ärzteverbände, die beim Herrn Bundeskanzler gewesen sind — ich gebe es jetzt sinngemäß wieder —, sind ja auch bei Herrn Willy Brandt gewesen. Ich weiß nicht, worüber sie sich unterhalten haben.
Und dann habe ich Schmid zitiert. Ich habe genau zitiert den Passus aus seiner Rede, wo er sagt, die heutige Vergütungsmethode mache leicht Arzt und Patienten zu Betrügern. Ich habe nichts unterstellt. Jetzt erst, in dieser Minute, bekomme ich ein anderes Blatt in die Hand, auf dem steht, was Willy Brandt bei dieser Besprechung gesagt hat. Ich wollte das gleich richtigstellen, damit in dieser Debatte nicht etwas Falsches stehenbleibt.
Das Wart hat der Abgeordnete Horn.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist zwar üblich und im Grunde gewiß guter Brauch
— ja, auch das! —, daß man mit den Beratungen über den Haushalt eine allgemeine politische Debatte verbindet. Das haben wir auch heute nachmittag wieder erlebt. Trotzdem werde ich diesem Brauche jetzt nicht folgen, sondern ich werde, nicht zuletzt mit Rücksicht auf die Geschäftslage dieses Hohen
Hauses, mich auf eine kurze, knappe Erklärung namens meiner politischen Freunde beschränken.
Die sozialdemokratische Fraktion hat den mehr als eigenartigen Geschmack besessen, zu diesem Haushalt des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung einen Antrag auf Streichung des Ministergehalts zu stellen, einen Antrag, von dem ich glaube, daß er in der deutschen parlamentarischen Geschichte ein erster Vorgang ist.
Ausgerechnet beim Sozialhaushalt beabsichtigen die Sozialdemokraten, dem Minister das Gehalt zu sperren.
Herr Abgeordneter Horn, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Schellenberg?
Von mir aus!
Sind Sie nicht den Beratungen der ersten und zweiten Legislaturperiode gefolgt, in denen häufig solche Anträge gestellt wurden?
Aber nicht beim Sozialminister!
Es kommt mir darauf an, das festzunageln, daß ausgerechnet beim Sozialminister die Sozialdemokratie diese Antrag heute gestellt hat.
Ich bleibe dabei: das ist ein mehr als eigenartiger Geschmack.Ich habe schon erklärt, daß ich mich auf die breiten Ausführungen, die der Herr Kollege Dr. Schellenberg hier gemacht hat, nicht einlasse. Denn ich bin der festen Überzeugung, daß die Art und Weise, wie dieser Antrag hier begründet wurde, draußen in der Öffentlichkeit bei der Bevölkerung nicht nur schlecht, sondern meines Erachtens überhaupt nicht ankommen wird.
Dagegen möchte ich dem Herrn Bundesarbeitsminister, unserem Parteifreund Theodor Blank, ausdrücklich im Namen der Fraktion den besonderen Dank dafür aussprechen, daß er hier einen so hervorragenden, von wirklich echtem Verantwortungsbewußtsein getragenen Tätigkeits- und Rechenschaftsbericht abgegeben hat.
Ich glaube, die deutsche Offentlichkeit wird diesen Tätigkeitsbericht und diese Arbeit besser honorieren als den Beitrag, den man hier heute liefern zu müssen geglaubt hat.
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HornLassen Sie mich nur noch einen Satz sagen.
— Ich bin nicht mehr zu sprechen, Herr Killat. — Lassen Sie mich nur noch einen Satz sagen.
— Wenn Sie noch einen Funken von parlamentarischer Fairneß in sich haben, dann sollten Sie nach diesem Rechenschaftsbericht den Mut haben, Ihren Antrag auf der Stelle zurückzuziehen.
Jawohl, Herr Scharnowski: auf der Stelle zurückzuziehen. Tun Sie das nicht, dann kennzeichnen Sie Ihre oppositionelle Haltung damit selbst, und dann werden wir dafür sorgen, daß diese Haltung in den kommenden Monaten dem deutschen Volke gegenüber genügend deutlich gemacht wird.
Das Wont hat der Abgeordnete Rohde.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Abgeordnete Horn hat gefragt, warum wir den Antrag gestellt hätten, dem Minister das Gehalt zu streichen. Einfach darum, Herr Kollege, weil wir der Auffassung sind, daß die deutsche Sozialpolitik ohne diesen Minister besser als mit ihm gedeihen würde!
Meine Damen und Herren von der CDU-Fraktion, wie anspruchslos sind Sie, daß Sie nach dieser Rede des Ministers erklären, er habe einen großartigen Rechenschaftsbericht gegeben!
Der Minister hat fast eine Stunde gesprochen, aber er hat noch nicht zehn Minuten dafür übrig gehabt, zu der eigentlichen Frage dieser Debatte Stellung zu nehmen, warum nämlich von dieser Regierung das Programm für die Sozialpolitik, das sie sich 1957 selbst gestellt hat, in den vergangenen Jahren nicht bewältigt worden ist. Meine sehr verehrten Damen und Herren, auf diesen Sachverhalt will ich die Debatte zurückführen.
Der Minister hat fast eine Stunde lang nur polemisiert und ist mit denselben Zitaten und dem gleichen Zettelkasten anmarschiert, die er uns schon vor einem Jahr bei der ersten Lesung der Krankenversicherungsreform präsentiert hat.Ich sagte, ich will die Debatte auf' den eigentlichen Sachverhalt zurückführen. Das sind die Erklärungen, die sowohl der Kanzler als auch der Arbeitsminister 1957 abgegeben haben. Sie sagten uns damals: Eine Krankenversicherungsreform soll stattfinden, die Unfallversicherung soll neu geordnet werden. Am Ende dieser Legislaturperiode sollte das ganze alte Buch der Reichsversicherungsordnung durch eine neue Sozialversicherungsordnung ersetzt sein. Sie wollten, Herr Minister, die Härten und Unebenheiten in den Rentengesetzen beseitigen, wie das der Kanzler bereits vor der letzten Bundestagswahl versprochen hatte. Sie wollten den Angestellten und Mittelschichten einen gesicherteren Platz in unserer Sozialordnung einräumen. Und schließlich sollte die Eigentumsbildung nicht nur beredet und nicht nur mit Pflästerchen bedacht werden, sondern Sie wollten die breiten Schichten unserer Bevölkerung an das Eigentum an Produktionsmitteln, wie Sie es damals formulierten, heranführen. Aus dieser Liste von Versprechungen des Jahres 1957 ist inzwischen eine Latte von Versäumnissen geworden, und darum wird heute die Debatte zwischen Regierung und Opposition geführt!
Der Herr Minister hat seinen Kritikern, wie schon häufig, auch von dieser Stelle aus wieder vorgeworfen, sie unterschlügen in ihren Angriffen auf die Politik der Regierung in demagogischer Weise die Verbesserungen der wirtschaftlichen Verhältnisse in der Bundesrepublik. Wer tut das?! Wer von der Opposition hat bestritten, daß sich in den letzten Jahren die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit und das Sozialprodukt vergrößert haben?! Zwischen uns, Herr Minister, ist doch eine ganz andere Frage kontrovers. Es geht darum, ob die Hochkonjunktur, die in unserem Land — wie übrigens auch in den anderen Ländern Westeuropas — herrscht, ausgerechnet in der Bundesrepublik zu sozialpolitischen Experimenten auf Kosten breiter Schichten unserer Bevölkerung mißbraucht werden darf; das ist kontrovers.
Wir sind der Auffassung, daß die Sozialpolitik mit der technischen und wirtschaftlichen Entwicklung Schritt halten sollte, während die CDU auf ihren Parteitagen erklärt hat, die Grenzen des sozialen Rechtsstaates seien bereits erreicht.Herr Minister, was bei Ihnen sichtbar geworden ist, das ist kein neuer Stil, sondern im Grunde genommen das Wiederaufleben des traditionellen Schlagworts der Konservativen „Schluß mit der Sozialpolitik".
Ich werde Ihnen zeigen, daß wir es 1957 auch aus dem Munde des Arbeitsministers noch anders hörten als heute. Damals wollte er den Wohlstand sozial kultivieren. Er erklärte uns, die Verteilung
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Rohdedes wachsenden Wohlstandes sei in der Bundesrepublik sozial höchst unbefriedigend. Herr Minister, wollen Sie im Ernst behaupten, daß diese Kritik, die Sie 1957 an unseren gesellschaftspolitischen Verhältnissen geübt haben, inzwischen gegenstandslos geworden ist? — „Die Arrivierten der Gesellschaft", so sagte der Minister 1957 noch, kehrten oft mehr den Egoismus als den Menschenfreund hervor; und er fügte hinzu, daß der heißgelaufene Motor der gesellschaftlichen Aktivität dringend des Öles der Nächstenliebe bedürfe.
Meine Damen und Herren, zu welchem Schluß kommen Sie heute, vier Jahre danach? „Wir haben es in der Bundesrepublik noch immer mit einer kapitalistischen Klassengesellschaft zu tun."
— Das sagte, meine Damen und Herren, nach Presseberichten der Vorsitzende der Sozialausschüsse der CDU, Johannes Albers, kürzlich in Königswinter.
Aber ich will korrekterweise hinzufügen, daß er sich damit in völligem Gegensatz zu den einflußreichen konservativen Kreisen in der CDU befindet, die der Auffassung sind, die Bundesrepublik gleite bereits in einen „totalen Versorgungsstaat" ab. In diesen beiden Begriffen der CDU von der kapitalistischen Klassengesellschaft und von dem „Abgleiten in den totalen Versorgungsstaat" wird die ganzesogenannte geistige Spannweite dieser Partei, werden ihre Gegensätze und ihre Widersprüche sichtbar. Meine Damen und Herren, wenn unter Ihnen mehr Offenheit und mehr innerparteiliche Demokratie herrschen würden, dann hätte bei Ihnen mindestens nach Königswinter die Diskussion über Wege und Ziele der Wirtschafts- und Sozialpolitik beginnen müssen.
— Natürlich, Sie haben anderes zu tun. Sie denken an den Wahltag.
Ich bin mir klar darüber, daß der Bundeskanzler diese Gegensätze mit dem Schleier der Wahlplakate zudecken wird. Aber diese Verschleierung der Gegensätze ist bisher immer auf Kasten der Arbeitnehmer erfolgt.Jetzt zitiere ich noch einmal Johannes Albers. Er erklärte schon vor der Wahl 1957 besorgt, daß die arbeitenden Schichten innerhalb der CDU davor bewahrt werden müßten, „Steigbügelhalter für andere Gruppen" zu sein.
Als er sich dann die CDU-Fraktion nach der Wahl besah, da mußte er feststellen, daß der Einfluß seiner Sozialausschüsse sowohl personell als auch sachlich zurückgegangen war.In Königswinter standen die Sozialausschüsse mit ihrer Kritik an der Wirtschafts- und Sozialpolitik den Bänken der SPD näher als den Sitzreihen der Regierungspartei.
Wie nimmt sich zu der Kritik, die in vielen Fragen von den Sozialausschüssen geübt worden ist, jene Feststellung des CDU-Abgeordneten Jaeger gegenüber meinem Kollegen Erler aus, die CDU sei die Partei der sozialpolitischen Taten?!
Ich will in dieser Debatte die sozialpolitische Entwicklung der letzten vier Jahre nicht noch einmal in allen Einzelheiten nachzeichnen. Aber nach der Rede des Herrn Ministers scheint es mir notwendig zu sein, die Gründe für das Scheitern seiner Politik sorgfältiger zu untersuchen, als er das getan hat. Nun sagte Herr Kollege Horn: Wir wollen hier nicht zu lange diskutieren. Ja, Herr Kollege Horn, das ist auch ein Zeichen für die Qualität Ihrer Politik, daß Sie sie möglichst wenig vor diesem Parlament diskutieren wollen.
— Herr Memmel, ich möchte zu drei Fragen noch einige allgemeine kurze Bemerkungen machen.Zunächst zur Methode der Arbeit des Ministers, zur zeitlichen Gestaltung der sozialpolitischen Beratungen. Als dieser Arbeitsminister im Jahre 1957 sein Amt übernahm, fand er in der Schublade bereits einen fertigen Gesetzentwurf zur Reform der Unfallversicherung vor, der dem Sozialpolitischen Ausschuß des Bundestages sofort hätte überwiesen werden können. Dann hätten wir im Ausschuß die Neuordnung der sozialen Leistungen zügig weiterführen können. Aber es hat dem Minister nicht gepaßt, den Entwurf seines Vorgängers dem Parlament unverändert zuzuleiten. Er hat vielmehr an diesem Unfallversicherungsgesetzentwurf zunächst seinen sozialpolitischen Stil erprobt. Als wir den Entwurf mit einem Jahr Verspätung im Parlament erhielten, stellten wir fest, daß in ihm die Rentenformel und viele andere Dinge gegenüber der Vorlage seines Vorgängers verschlechtert worden waren. Nachdem wir dann diesen Unfallversicherungsgesetzentwurf zur Hälfte beraten hatten, ist die CDU/CSU in Übereinstimmung mit der Regierung hergekommen. und hat diesen Entwurf wieder von der Tagesordnung abgesetzt, um zunächst die Krankenversicherungsreform durchzusetzen, was die Arbeit völlig in die Sackgasse geführt hat.Meine Damen und Herren, der Herr Minister hat sich darüber beschwert, daß im Sozialpolitischen Ausschuß Filibusterarbeit getrieben worden sei, und er hat meinem Kollegen Schellenberg schwere und, wie ich feststellen muß, unberechtigte Vorwürfe gemacht. Wie ist der Tatbestand? Wir sind doch mit der Reform der Krankenversicherung deshalb nicht weitergekommen, weil die CDU/CSU die Zeit von April bis Oktober vergangenen Jahres brauchte, um ihre Anträge auf Änderung der Regierungsvorlage zu formulieren.
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RohdeWir hatten schließlich im Oktober vergangenen Jahres, obwohl mehrere Monate Parlamentsferien gewesen waren, noch immer nicht ein komplettes Bündel von Änderungsanträgen auf dem Tisch liegen. Diese ganze Zeit vom April bis zum Oktober war für die CDU/CSU die Periode der „inneren Sammlung".
— Aber was Sie da zusammengesammelt haben, hatte auch im Oktober noch nicht die Qualität eines beratungsfähigen Gesetzentwurfs.Meine Damen und Herren, wir als sozialdemokratische Opposition haben uns — ich darf das gegenüber den Vorwürfen des Kollegen Horn hinsichtlich verantwortungsvoller Arbeit feststellen — nicht nur darauf beschränkt, Kritik an dem Unvermögen von Regierung und CDU/CSU zu üben. Wir haben im vergangenen Jahr — im Oktober — eine Alternative parat gehalten: nämlich zuerst die Unfallversicherungsreform vernünftig zu Ende zu beraten und in der Krankenversicherungsreform das zu tun, was noch erreichbar war, nämlich die dringendsten Leistungsverbesserungen vorzunehmen. Für diese Alternative haben Sie kein gutes Wort gefunden. Der Herr Minister hat es auch nicht für seine Pflicht gehalten, im Oktober/ November vergangenen Jahres in den Sozialpolitischen Ausschuß zu kommen und mit uns die Sachlage zu besprechen, zu untersuchen, ob bei all dem Hin und Her, das in den vergangenen Jahren geherrscht hat, nicht doch noch bis zum Ende der Legislaturperiode ein I) sachliches Arbeitsergebnis erreichbar war. Was hat dieser Minister gemacht? Er hat hinter dem Rücken des Parlaments, das ausschließlich für die Beratung der Gesetzentwürfe verantwortlich war, zusammen mit dem Kanzler und der CDU/CSU herumintrigiert. Seine Beamten wurden zu Postillionen gemacht, die zwischen den Verbänden, dem Bundeskanzleramt und der CDU/CSU im Bundestag vermitteln mußten.
Meine Damen und Herren, wer sich eines solchen Ränkespiels hinter dem Rücken des Parlaments bedient, der hat auch das Recht verwirkt, an dem sogenannten Druck der Interessenten Kritik zu üben.
Der Herr Minister hat uns hier erklärt, er sei 1958 doch in den Ausschuß gekommen und habe ein Grundsatzreferat gehalten und gefragt, warum wir das nicht diskutiert hätten. Nun, wenn der Minister die Geschäftsordnung des 'Bundestages gelesen hätte, auf die er sich sonst immer bezogen hat, dann wüßte er, daß der Sozialpolitische Ausschuß keine Institution für allgemeine sozialphilosophische Ausflüge ist. Der Ausschuß hat sich mit konkreten Gesetzentwürfen und Anträgen zu beschäftigen, die ihm von diesem Hause überwiesen werden.Wir, die Opposition, haben nach den allgemeinen Erklärungen des Ministers Anfang 1958 erst einmal abgewartet, was er aus diesen allgemeinen Erklärungen in der politischen Praxis machen würde. Das haben wir dann mehr als genug in den vergangenen Jahren gesehen. Ich muß im übrigen denHerrn Minister darauf hinweisen, daß schon 1958 die regierungsfreundliche „Frankfurter Allgemeine Zeitung" besorgt und wohlmeinend dem Minister die Frage gestellt hat, warum er denn nicht in den Ausschuß gehe und warum er nicht das ständige Fachgespräch mit dem Parlament suche. Ich will nicht prüfen, ob der Minister diesem Fachgespräch aus Hochmut oder aus Ängstlichkeit ausgewichen ist.
— Im Ergebnis, Herr Memmel, kommt beides auf eins heraus: So kann keine Gesetzgebung in der Demokratie gedeihen.Zusammengefaßt: Der Arbeitsminister dieser Regierung ist weder mit der zeitlichen Gestaltung seines Programms zu Rande gekommen noch hat er den Versuch gemacht, mit dem Parlament zu einer Zusammenarbeit zu gelangen. Wer nun aber auf die Frage „Mehrheit wozu?" nicht eine sinnvolle Antwort geben kann, der muß sich selbst einmal prüfen, ob er die Mehrheit und das Amt, das sie hergibt, eigentlich verdient.
Ich muß noch einige weitere Bemerkungen machen, weil der Kollege Horn bezweifelt hat, ob die sozialdemokratische Opposition ausreichende Gründe für den Mißtrauensantrag gegen den Minister habe. Dabei will ich mich dem Inhalt der Sozialpolitik dieses Ministers zuwenden. Ich werde mich dabei auf einige Tatbestände beschränken.Der Minister hat wiederum, wie schon oft, beklagt, daß in der Öffentlichkeit Aktionen gegen seine Politik stattgefunden haben. Es ist ja eine ihn immer sehr bewegende Klage gewesen, daß die Offentlichkeit seine Politik nicht widerspruchslos hingenommen habe. Aber, meine Damen und Herren, konnte er das erwarten,
wenn er in so drastischer Weise, wie das geschehen ist, mit Kostenbeteiligung, Rentenminderung in der Unfallversicherung, Schaffung kontrollärztlicher Dienste usw. in das Sozialrecht eingreifen wollte? Jedermann hat empfunden, daß die Auseinandersetzung in den vergangenen Jahren nicht nur um Einzelheiten geführt worden ist, sondern daß der Minister eine bedenkliche Periode deutscher Sozialpolitik einleiten wollte. Herr Kollege Horn, seien Sie versichert: das ist in der Öffentlichkeit genau zur Kenntnis genommen worden und wird politisch so bewertet, wie das notwendig erscheint.
In seiner Rede hat der Minister ferner zum Ausdruck gebracht, man könne dem Arbeiter heute mehr an sogenannter Eigenbelastung zumuten, weil er inzwischen mündig geworden sei. Man hat uns vielfach in den letzten Jahren gesagt, der Arbeiter sei jetzt — wohlgemerkt: jetzt — mündig geworden. Herr Minister, mündig ist der Arbeiter schon seit Jahrzehnten! In der Vergangenheit hat doch der Arbeiter nicht an einem Mangel an Mündigkeit gelit-
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Rohdeten, sondern an einem Mangel an sozialer Gerechtigkeit.
Sein Schicksal — das sollte dieser Arbeitsminister, der wie ich in einer Arbeiterfamilie groß geworden ist, wissen — war, daß er sich mit seiner Selbstachtung und seinem Selbstbewußtsein gegenüber einer widrigen gesellschaftlichen Umwelt durchsetzen mußte.
Mit seiner Mündigkeit kann sich der Arbeiter mit seinen Organisationen — auch der katholische Arbeiter, {der 1933 von seinem Gewerkschaftsbüro vertrieben worden ist — vor manchen sehen lassen,
die sich in {den vergangenen vier Jahren Debatte um die Krankenversicherungsreform ein hochmütiges Urteil über ihn erlaubten.
In welche Verirrung hat dieses Wort von der Mündigkeit des Arbeiters hineingeführt! Es hat dazu geführt, daß heute diese Mündigkeit dazu benutzt wird, Experimente mit seiner sozialen Sicherung zu machen. Das wirkt wie ein Hohn auf die Leistung, die der Arbeitnehmer in den vergangenen Jahren für den Wiederaufbau und die innere Stabilisierung der Bundesrepublik erbracht hat.
Zum anderen — damit will ich auf den Schluß derRede des Herrn Ministers zu sprechen kommen — hat der Minister seine Politik mit dem Hinweis zu rechtfertigen gesucht, Belastungen könnten vom Einzelnen heute auch darum eher getragen werden, weil ihm die Regierung vor allem durch eine breite Streuung des Eigentums eine bessere soziale Position schaffen wolle. Heute stehen wir der Tatsache gegenüber, {daß der Minister mit seinen sozialpolitischen Experimenten angefangen hat, ehe die breite Streuung des Eigentums in der Bundesrepublik überhaupt wirksam geworden ist.
Im übrigen muß ich die schlichte Frage stellen, ob es die Absicht dieser Regierung ist, mit einer Hand Volksaktien zu geben und mit der anderen die Kostenbeteiligung einzuführen.
— Herr Kollege, Sie brauchen sich gar nicht so zu entrüsten. Lesen Sie einmal die vielen Sonntagsreden nach, die immer wieder neu mit Schere und Leimtopf für den Minister zusammengebastel worden sind! Lesen Sie, was darin über dieses Thema gesagt worden ist.
Sollen, so muß ich fragen, die Maßnahmen zur Eigentumsbildung dadurch wieder fragwürdig werden, daß auf der anderen Seite die soziale Sicherung der Menschen angetastet wird? Können überhaupt, wie das der Minister auch heute in seinem Schlußwort getan hat, soziale Sicherung und breite Streuung des Eigentums gegeneinander aufgerechnet I werden? Ist nicht vielmehr neben dem Arbeitseinkommen auch die soziale Sicherung jenes Fundament, auf dem allein der überwiegende Teil unseres Volkes eine zusätzliche, persönliche und wirksame Eigentumsbildung aufbauen kann? Besteht im anderen Falle nicht die Gefahr, daß bei jedem Schicksalsschlag, Unfall, Krankheit usw., das zusätzlich erworbene Eigentum, mit dem sich doch die Hoffnung auf eine bessere Gestaltung des Lebens verbunden hat, unter Umständen in der Not aufgezehrt werden muß? Ehe mit sozialpolitischen Experimenten begonnen wird, müssen diese Fragen bis in die letzten Konsequenzen hinein zu Ende gedacht werden.Der Herr Minister hat heute wieder über Krankheitsziffern, Zunahme der Ausgaben in der Krankenversicherung usw., jedenfalls über die Problematik der Krankenversicherung und das Verhältnis der Menschen zu ihr gesprochen.
— Dann lesen Sie die Rede nach! — Meine Damen und Herren, ich will zu diesem Kapitel einige abschließende Bemerkungen machen. Ich werde niemals ein Gespräch vergessen, das wir im Sozialpolitischen Ausschuß des Bundestages nach einer Reise in die Schweiz hatten. Damals erklärten uns Regierungsvertreter und Abgeordnete der CDU/ CSU, daß die Krankheitsziffer in der Schweiz niedriger sei als bei uns. Sie wollten daraus die Notwendigkeit der Kostenbeteiligung herleiten. Abgesehen davon, daß in der Schweiz zum Teil andere statistische Methoden bei der Ermittlung dieser Ziffer angewandt werden, möchte ich sagen, daß ich aus einer höheren Krankheitsziffer in unserem Lande nicht den Hang unseres Volkes zu einem Mißbrauch sozialer Einrichtungen herleiten kann.Können wir uns denn einfach mit der Schweiz vergleichen? Hier komme ich zu einem ganz allgemeinen Problem. Wenn wir über Gesundheit und Krankheit, Krankheitsziffern und Ausgaben für Krankenbehandlung in der Bundesrepublik sprechen, müssen wir auch ein Wort dafür übrig haben, was dieses Volk in den letzten 20 Jahren erlebt hat.
Da sind Millionen von Kriegsbeschädigten und Kriegshinterbliebenen. Da sind Millionen von Menschen, die das Schicksal von Flucht und Vertreibung erlitten haben. Da ist eine junge Generation, die zum großen Teil durch Krieg und Gefangenenlager gegangen ist. Da ist eine Arbeiterschaft, die im Grunde genommen in den letzten 20 Jahren immer überfordert worden ist, durch Rüstungskonjunktur vor dem Kriege, durch den Krieg, die Hungerjahre danach und durch die großen Anstrengungen des Wiederaufbaus.
Das alles ist nicht spurlos an unserem Volke vorübergegangen, das alles muß mitgewürdigt werden, wenn man über Krankheit und Gesundheit in unserem Lande spricht.
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RohdeIch habe das Gefühl, Herr Kollege Ruf — und hier will ich an die Debatte vor zehn Tagen und an die Erklärung der CDU anschließen —, daß Sie offenbar noch immer nicht begriffen haben, wie Sie mit Ihrer Politik in der Krankenversicherungsreform weite Teile unseres Volkes gekränkt haben.
Unter Antrag auf Streichung des Ministergehalts ist keine Formalie. Mit der Abstimmung über ihn wird entschieden, wie sich die Kräfte dieses Parlaments zu der Politik, die unter diesem Minister getrieben worden ist, einstellen. D e r Gehalt der Politik des Ministers war so mangelhaft, daß wir d a s Gehalt dafür nicht bewilligen wollen.
Meine Damen und Herren, wird weiter dazu das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Dann komme ich zur Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD zu Kap. 11 01 auf Umdruck 829. Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Bei einigen Enthaltungen mit Mehrheit abgelehnt.
Ich rufe auf den Änderungsantrag der Abgeordneten Pohle, Maucher, Dr. Rutschke auf Umdruck 814 Ziffer 1 zu Tit. 652 und Ziffer 2 zu Tit. 653. Ist hierzu noch eine Aussprache notwendig? — Das 1 Wort wird nicht gewünscht.
Kann ich in einem darüber abstimmen lassen? — Kein Widerspruch. Wer dem aufgerufenen Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Keine Gegenstimmen. — Auch keine Enthaltungen. Einstimmig angenommen.
Damit komme ich zum Änderungsantrag der Fraktion der FDP auf Umdruck 817. Wird das Wort gewünscht? — Herr Abgeordneter Weber!
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Auf Umdruck 817 beantragt die Fraktion der FDP die Einfügung eines neuen Titels im Etat des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung für die Bundesmittel, die für die Altershilfe für die Landwirte notwendig sind. Morgen stellt die FDP einen entsprechenden Antrag zum Einzelplan 10, dieselben Mittel, die dort verplant sind, herauszunehmen und für den vorgeschlagenen Titel zu verwenden.
Ich möchte den Antrag nur kurz begründen und darlegen, was ihm zugrunde liegt. Die alte Forderung, diese Leistung des Bundes für die Altershilfe aus dem Landwirtschaftshaushalt herauszunehmen und hier einzusetzen, wurde von seiten der Regierung und der CDU bisher immer mit dem Argument abgelehnt, dies seien Mittel, die für die Agrarstruktur gegeben würden.
Hierzu ist folgendes zu sagen. Diese Mittel für die Altershilfe, die aus dem Bundeshaushalt gegeben werden, beruhen auf drei Faktoren, die diese Leistung rechtfertigen. Der tragende Faktor ist der, daß von den sich im Zuge des Strukturwandels auflösenden Betrieben die junge Mannschaft in andere Berufe abwandert und ihre Beiträge in andere Sozialversicherungen zahlt. Bei unseren heutigen Sozialversicherungsformen, bei der Rentenreform und auch bei der Altershilfe für Landwirte, welche beide auf dem Umlageprinzip beruhen, ergibt sich die weitere Tatsache, daß an Stelle derjenigen, die jetzt abgewandert sind, andere die Leistungen erbringen müssen. Infolgedessen wird die alte Last den weniger werdenden landwirtschaftlichen Betrieben aufgehalst.
Daß die Altershilfe als Nebenwirkung eine strukturfördernde Wirkung hat, wird gar nicht bestritten. Aber wesentlich ist, daß die Leistungen, die für die alte Last zu erbringen sind, infolge der Wanderung auf Grund des Strukturwandels in Wirklichkeit von den anderen Sozialversicherungsträgern übernommen werden müßten. Da dies nicht der Fall sein wird, geht der Anspruch eindeutig auf den Bund zu. Deshalb ist dieser Anspruch auch eindeutig in erster Linie sozialrechtlicher und nicht agrarstruktureller Natur.
Daher lautet unser Antrag heute wie im letzten Jahr, und er wird so lange so lauten, bis diese Dinge geändert sind: Einsetzung eines neuen Titels und Übernahme in den Sozialhaushalt.
Herr Abgeordneter Dr. Götz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zur Sache selbst nur einen oder zwei Sätze. Wir hatten uns schon im vorigen Jahr bei der zweiten und dritten Lesung des Einzelplans 11 mit dem gleichen Antrag zu befassen und lehnten ihn ab. Man kann eine lange Debatte darüber führen, ob diese 70 Millionen DM, die hier in den Einzelplan 11 eingesetzt werden sollen, ein echter sozialversicherungsrechtlicher Beitrag sind oder nicht. Ich stehe auf dem Standpunkt, daß sie es nicht sind. Denn unstreitig scheint mir zu sein, daß mit diesen 70 Millionen DM eine echte Strukturverbesserung bezweckt wird. Das kommt auch darin zum Ausdruck, ,daß die Erläuterungen zu dein entsprechenden Titel im Grünen Plan neben den strukturverbessernden Maßnahmen in einer . eigenen Nummer den Zuschuß an die landwirtschaftlichen Alterskassen ausweisen. Beide Titel sind gegenseitig deckungsfähig. Daraus geht meines Erachtens hervor, daß es sich hier auch um echte strukturverbessernde Elemente handelt. Diese Meinung wurde meines Wissens auch im Ausschuß vertreten. — Das ist der eine Grund, weshalb wir bitten, auch diesmal wieder den Antrag abzulehnen.Es kommt noch ein anderer, formeller Grund hinzu. Ich glaube, man kann nicht heute über einen solchen Antrag entscheiden, bevor nicht die Novelle zum Gesetz über ,die Altershilfe endgültig verabschiedet ist.
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8540 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 150. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 14. März 1961
Das Wort hat der Abgeordnete Frehsee.
Die Fraktion der Sozialdemokratischen Partei wird dem Antrag der Freien Demokraten auf Umdruck 810 zustimmen. Auch wir sind der Auffassung, daß diese 70 Millionen DM, die aus dem Bundeshaushalt zur Deckung des Defizits der landwirtschaftlichen Alterskassen gegeben werden, in den Etat des Ministeriums für Arbeit und Sozialordnung gehören und nicht in den Etat des Ernährungs- und Landwirtschaftsministeriums.
Wir bestreiten zwar nicht, daß das Gesetz über die Altershilfe für Landwirte auch eine agrarpolitische oder, wie hier gesagt wurde, agrarstrukturelle Seite hat. Aber in erster Linie handelt es sich dabei sicherlich um eine sozialpolitische Angelegenheit. In erster Linie ist ,die Einführung eines Altersgeldes für landwirtschaftliche Altenteiler zweifellos eine Maßnahme der sozialen Sicherung, und für Maßnahmen der sozialen Sicherung ist nach der Geschäftsverteilung in der Regierung und auch im Parlament nun einmal das Ministerium für Arbeit und Sozialordnung zuständig.
Daran ändert nichts, sehr verehrter Herr Kollege Dr. Götz, daß in den Erläuterungen ,des entsprechenden Titels des Einzelplans 10 ausdrücklich auf diese besondere Aufgabe hingewiesen wird. Ursprünglich
stand diese Erläuterung da nicht drin. Sie ist erst auf Grund ,der Anträge — sinngemäß genau die gleichen Anträge, wie sie heute die Fraktion der Freien Demokratischen Partei stellt, sind von der Fraktion der Sozialdemokratischen Partei in den früheren Haushaltsjahren schon mehrfach gestellt worden — hineingekommen, weil eine solche künstliche Begründung dafür, daß diese 70 Millionen DM im Ernährungshaushalt stehen, erst geschaffen werden mußte, nachdem immer wieder abgelehnt worden war, diesen Betrag in den Haushalt des Arbeitsministeriums zu übernehmen.
Auch soweit es den materiellen Inhalt dieses Antrages betrifft, stimmen wir voll zu. Es handelt sich bei den 70 Millionen DM um das Defizit, das bei den Alterskassen entstanden ist. Den Aufwendungen von 180 Millionen DM stehen Beitragseinnahmen von nur 110 Millionen DM gegenüber. Wir sind auch der Auffassung, daß man an eine Erhöhung des Beitrages, der jetzt 12 DM monatlich beträgt, nicht herangehen kann. Erst vor kurzem, nämlich am 24. Februar, haben wir lang und breit über die schwierige Lage der landwirtschaftlichen Betriebe gesprochen. Der Grüne Bericht der Bundesregierung, der von allen Seiten des Hauses als objektiv akzeptiert worden ist, hat das auseinandergesetzt. Die Lage der meisten landwirtschaftlichen Betriebe läßt eine Beitragserhöhung nicht zu.
— Ich kann ja warten.
Meine Damen und Herren, ich darf Sie bitten, Platz zu nehmen und die Ruhe zu bewahren.
In der Offentlichkeit sind vielfach Zweifel daran laut geworden, ob die Flugsicherung ausreichend sei. Ich darf in diesem Zusammenhang auf die Beschlüsse des Haushaltsausschusses hinweisen. .
Ich darf die Herren Beamten bitten, in Ruhe den Saal zu verlassen —
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 150. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 14. März 1961 8541
Vizepräsident Dr. Jaegeres ist ja verständlich, daß sie ihn verlassen wollen — und sich dabei nicht zu unterhalten.
Herr Abgeordneter, fahren Sie fort.
Ich habe zuletzt gesagt, daß in der Öffentlichkeit in letzter Zeit Zweifel daran laut geworden sind, ob die Flugsicherung ausreichend und befriedigend sei. Diese Zweifel gründeten sich auf ein Gutachten des Bundesrechnungshofes. In der Praxis ist der Haushaltsausschuß diesem Gutachten des Bundesrechnungshofes nicht gefolgt. Er hat die für einen wirklich ausreichenden Dienst der Flugsicherung notwendigen Stellen bewilligt.
Weiter ist aus dem Bericht die Tatsache hervorzuheben, daß endlich auf dem Gebiet des Ausgleichs von betriebsfremden Lasten der Deutschen Bundesbahn durch die Übernahme von Versorgungslasten in Höhe von 302 Millionen DM und durch die Übernahme der Verzinsung der Ausgleichsforderungen der Bundesbahn in Höhe von 34 Millionen DM eine Bresche in die bisherige ablehnende Haltung geschlagen wurde.
Meine Damen und Herren, ich darf um etwas mehr Ruhe bitten!
B)
Dann ist hervorzuheben, daß durch die Steigerung des Mineralölsteueraufkommens im Jahre 1961 gegenüber dem Jahr 1960 etwa rund 210 Millionen DM mehr dem Straßenbau zukommen.
Schließlich darf ich auf einen Antrag aufmerksam machen, der als Entschließungsantrag auf Grund der Vorschläge des Haushaltsausschusses dem Hohen Hause bereits vorliegen dürfte. Der Haushaltsausschuß schlägt vor, zu beschließen:
Die Bundesregierung wird aufgefordert, dafür Sorge zu tragen, daß bei allen Anleihen und Krediten oder Kreditbürgschaften der Bundesrepublik an das Ausland eine Vertragsbestimmung aufgenommen wird, durch die bei dem mit dem Vertragsobjekt zusammenhängenden Verkehrsaufkommen eine Diskriminierung deutscher Firmen, insbesondere der deutschen Luftfahrtunternehmen und der deutschen Seeschiffahrt, ausgeschlossen wird.
Das sind einige entscheidende Punkte aus dem Schriftlichen Bericht, die ich ergänzend hier vortragen wollte.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Bleiß.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! In der Zeitschrift für das Post- und Fernmeldewesen, die mit Unterstützung des Bundespostministers herausgegeben wird, ist eine recht interessante Graphik enthalten. Sie beschäftigt sich mit dem Gipfelhaushalt des Jahres 1961, und sie teilt die Mehrausgaben gegenüber 1960 in Höhe von 6,8 Milliarden DM nach den verschiedenen Haushaltsbereichen auf. Ich will den Katalog hier nicht aufzeigen; Sie können ihn freundlichst in der Zeitschrift nachlesen.Interessant scheint mir zu sein, daß der Mehraufwand für den Einzelplan 12 in Höhe von 210 Millionen DM bzw. — jetzt modifiziert — in Höhe von 242 Millionen DM an der vorletzten Stelle aller Haushaltsbereiche steht.Aus der Aufstellung ist noch eine weitere interessante Zahl zu entnehmen. Ein Vergleich des Einzelplans 12 mit den Gesamtausgaben ergibt, daß der Anteil des Verkehrshaushalts an den Gesamtausgaben von 1960 auf 1961 von 8,2 auf 7,6 v. H. zurückgegangen ist.
— Ich komme gleich darauf, Herr Kollege Conring.Diese Zahlen sprechen eine sehr nüchterne Sprache. Ich unterstelle, meine Herren Kollegen von der CDU/CSU-Fraktion, daß die Bedeutung der verkehrspolitischen Aufgaben, die wir zu bewältigen haben, auch von Ihnen erkannt wird. Ich fühle mich aber trotzdem zu der Feststellung verpflichtet, daß jedenfalls in dem zur Beratung anstehenden Haushalt — und das ist der entscheidende — noch in dieser Legislaturperiode die Vordringlichkeit der Verkehrsaufgaben von Ihnen leider nicht honoriert worden ist.Ich will mich heute im Rahmen dieser Haushaltsdebatte nicht mit der gesamten Verkehrspolitik der Bundesrepublik beschäftigen. Wir werden ohnehin bis zum Ende der Legislaturperiode noch genügend Gelegenheit haben, eine Reihe von strukturellen Verkehrsfragen vor dem Hohen Hause zu erörtern. Ich will auch nicht so sehr ¡in der Vergangenheit nachforschen und die Unterlassungssünden — es gibt davon eine ganze Reihe — kritisieren, sondern mich heute im Zusammenhang mit dem Haushalt nur mit zwei Kennproblemen der Verkehrspolitik auseinandersetzen, weil ich noch immer die Chance sehe, daß sich in den kommenden Monaten etwas ändern kann. Die zwei Probleme, auf die wir in diesen Tagen Einfluß nehmen können, sind der Straßenbau und die Modernisierung der Bundesbahn.Im letzten Jahr haben wir den Versuch unternommen, den Ausbau der Straßen wenigstens teilweise dadurch zu sichern, daß wir im Straßenbaufinanzierungsgesetz die teilweise Zweckbindung der Mineralölsteuer festgelegt haben. Nach diesem Gesetz, das, besonders was die Zweckbindung anlangt, mit einem Teil der Stimmen der CDU/CSU-Fraktion verabschiedet werden konnte, ist die Bundesregierung verpflichtet, die aufkommenden Mineralölsteuern nach Abzug eines Sockelbetrages von 600 Millionen DM dem Straßenbau zuzuführen. Nach Kap. 60 01 des Einzelplans 60 rechnet der Herr Bundesfinanzminister für das Jahr 1961 mit einem Mine-
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Dr. Bleißralölsteueraufkommen von 3300 Millionen DM. Das sind genau 505 Millionen DM mehr als im Jahre 1960.Im Einzelplan 12 sind die Ansätze für den gesamten Straßenbau nur um 210 Millionen DM erhöht worden. Die Erhöhung macht also nur zwei Fünftel des Mehraufkommens aus. Hieran knüpfe ich die Frage: Was geschieht mit den restlichen 60 °/o? Selbst wenn ich berücksichtige, daß etwa 50 Millionen DM nicht vom Straßenverkehr aufgebracht werden oder daß diese 50 Millionen DM an steuerlich bevorzugte Mineralölverbraucher zurückvergütet werden müssen, bleibt immer noch ein Betrag von rund einer Viertelmilliarde, der im Einzelplan 12, so wie er uns vorliegt, nicht verplant worden ist. Ich richte an den Herrn Bundesfinanzminister und auch an den Herrn Bundesverkehrsminister die Frage: Was geschieht mit diesem Betrag von etwa 250 Millionen DM, die im Einzelplan 12 noch nicht verankert sind?Wenn man das Mineralölsteueraufkommen und die Haushaltsansätze miteinander vergleicht, muß man nur feststellen, daß sich die Schere zwischen der Motorisierung und dem Straßenbau weiter zuungunsten des Straßenbaus öffnet. Das ist eine Entwicklung, das ist eine Politik, die von keinem Kraftwagenbesitzer und überhaupt von niemandem, der an der Verkehrssicherheit und an guten Straßen interessiert, ist, verstanden wird. Ich möchte sehr nachdrücklich dafür plädieren, daß die zweckgebundenen Mittel ohne jede Verzögerung dem Straßenbau zugeführt werden, so wie es das Gesetz vorschreibt.Einige Sätze zu einem anderen Problemkreis. Wir wollten mit dem Straßenbaufinanzierungsgesetz den Gemeinden helfen. Die Gründe dafür sind bekannt. Wir haben sie hier im Hohen Hause mehrfach erörtert. Die Unfallzahlen sprechen eine sehr deutliche und erschreckende Sprache. Die Gemeinden sind finanziell überhaupt nicht in der Lage, moderne Straßen zu bauen. Wir haben deshalb im Straßenbaufinanzierungsgesetz eine zusätzliche Steuererhöhung, den Gemeindepfennig, beschlossen. Seit der Verabschiedung des Gesetzes sind inzwischen neun Monate vergangen. Ich möchte den Herrn Bundesfinanzminister und den Herrn Bundesverkehrsminister fragen: Was ist bisher eigentlich von dem Gemeindepfennig bei den Gemeinden angekommen? Ich weiß nicht, ob der Herr Bundesverkehrsminister oder der Herr Bundesfinanzminister diese Frage exakt beantworten kann. Ich fürchte nur, wenn wir heute eine Bestandsaufnahme machten, wenn wir heute Bilanz zögen, würde das Ergebnis äußerst mager, vielleicht sogar deprimierend sein. Ich möchte also dem Herrn Bundesverkehrsminister sehr dringend ans Herz legen, dafür zu sorgen, daß der Gmeindepfennig endlich auch seiner Bestimmung, nämlich den Gemeinden zu helfen, zugeführt wird.Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang eine andere Straßenbaufrage anschneiden! Im ersten Vierjahresplan für den Straßenbau sollte den Gemeinden eine indirekte Hilfe durch die Höherstufung von Straßen zuteil werden. Im Vierjahresplan sind dafür 400 Millionen DM vorgesehen. Die indirekte Hilfe für die Gemeinden sollte durch die Höherstufung von Landstraßen erster Ordnung in die Last des Bundes erfolgen. Nun, darf ich fragen, was bis jetzt, Herr Bundesverkehrsminister, im dritten Jahr des Vierjahresplanes geschehen ist? Sind schon Höherstufungen erfolgt? Mit welchem Land oder mit welchen Ländern haben Sie bisher Abkommen oder Vereinbarungen getroffen? Es scheint mir dringend notwendig zu sein, daß hier eine schnellere und zielbewußtere Arbeit geleistet wird. Eine Vielzahl von Gemeinden sind an der Grenze ihrer finanziellen Leistungsfähigkeit, an der Grenze ihrer Belastbarkeit angelangt. Es ist leider zu befürchten, daß, wenn nicht schnelle Hilfe einsetzt, in den Gemeinden die Unfallkurve weiter erheblich ansteigen wird. Das ist eine Folge, die wir sehen und die wir verhindern müssen.Ich habe mit einiger Aufmerksamkeit die Aktion der Großstädte zur Schaffung des Zweiten Weges verfolgt. Ich hatte gehofft, daß nach den Verhandlungen, die hier in Bonn auch mit den Vertretern der CDU/CSU-Fraktion stattgefunden haben, den Großstädten wenigstens eine bescheidene Hilfe zuteil werden würde. Das Kommuniqué des Bundesverkehrsministers über die letzte Besprechung hat diese Illusion restlos zerstört. Das Kommuniqué des Bundesverkehrsministeriums erkennt die Notwendigkeit einer Hilfe und eines Ausbaues an, es verweist aber die Großstädte im wesentlichen an die Länder, weil, wie es heißt, grundgesetzliche Bedenken diese Haltung bestimmen.
— Ich komme gleich darauf. — Dieses Argument der Verfassungskonformität, das gern von Ihnen gebraucht wird, ist nicht ganz stichhaltig. Ich darf Sie daran erinnern, daß wir Ihnen schon vor einem Jahr einen Vorschlag unterbreitet haben, der die grundsätzlichen verfassungsrechtlichen Bedenken ausschließt. Wir hatten Ihnen damals vorgeschlagen, nicht unmittelbar den Großstädten, sondern den öffentlichen Nahverkehrsbetrieben langfristige zinsverbilligte Kredite einzuräumen und diesen Unternehmen damit praktisch in der gleichen Weise zu helfen, wie es bei den nichtbundeseigenen Eisenbahnen geschehen ist. Auch diese bekommen aus den Bundesmitteln langfristige, niedrig verzinsliche Kredite. Damals haben Sie unseren Antrag nicht aus grundgesetzliche Bedenken abgelehnt, sondern Sie haben argumentiert, man müsse erst prüfen, ob die Pläne baureif seien. Es waren also damals andere Gründe, diesmal sind es nun verfassungsrechtliche Gründe. Ihre Argumente ändern sich, aber bei der Ablehnung ist es leider geblieben. Die Stadtkerne bleiben weiter verstopft. Ich sehe, wie die Dinge heute liegen, für diese Legislaturperiode keine Möglichkeit einer Hilfe für die Großstadt, weil Sie ja jeden Antrag automatisch ablehnen werden.
Meine Damen und Herren, von Ihnen ist nun kürzlich angekündigt worden, es ist in der Presse angekündigt worden, daß die CDU/CSU-Fraktion den Entwurf eines Gesetzes einbringen wird, das
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 150. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 14. März 1961 8543
Dr. Bleißeine Untersuchung darüber einleiten soll, welche Maßnahmen zur Verbesserung der innergemelndlichen Verkehrsverhältnisse unter dem Gesichtspunkt einer gesunden Raumordnung und eines neuzeitlichen Städtebaus erforderlich sind. Die „Briefe zur Verkehrspolitik", die im allgemeinen zeitig und recht gut unterrichtet sind, sprechen von einer Brand-Kommission für kommunale Verkehrsfragen. Sie, meine Herren von der CDU, haben auch schon ,den Gesetzestext veröffentlicht. Ich kann Ihnen heute schon sagen, daß wir einer solchen Vorlage im Prinzip zustimmen werden. Wir sind nicht so skeptisch wie der Herr Bundesverkehrsminister, der früher in einem anderen Zusammenhang erklärt hat, daß so weitgehende Straßenbaupläne so kompliziert und so umfangreich seien und so viel Zeit in Anspruch nehmen würden, daß die Pläne und zusammenfassenden Übersichten im Zeitpunkt ihrer Fertigstellung schon überholt sein würden. Wir sind im Gegensatz zu dem Herrn Bundesverkehrsminister der Meinung, daß es sehr nützlich und wichtig ist, Untersuchungen vorzunehmen.Aber darf ich fragen: Warum bedarf es eigentlich erst der Gesetzinitiative, um den Herrn Bundesverkehrsminister zum Handeln zu veranlassen? Ihnen allen ist doch genauso gut wie uns seit Jahren zur Gewißheit geworden, daß der Bund den Ländern und den Gemeinden helfen muß, wenn das Straßenproblem gelöst werden soll, und daß es nicht nur darauf ankommt, das Bundesfernstraßennetz auszubauen, sondern daß auch die anderen Straßen und Wege ausgebaut werden müssen und daß das Verkehrsministerium in Kenntnis einer solchen Notwendigkeit seit langem schon hätte Verhandlungen mit den Gremien aufnehmen können.In den „Briefen zur Verkehrspolitik" sind zu dem Gesetzentwurf zur Brand-Kommission für kommunale Verkehrsfragen einige Ausführungen gemacht worden. Es heißt darin — ich darf mit Genehmigung des Herrn Präsidenten aus diesen Briefen zitieren —:MdB Müller- Herrmann und seine politischen Freunde in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion hatten bereits bei der vorjährigen Haushaltsberatung den Antrag gestellt, die Bundesregierung um die Einsetzung einer Art Brand-Kommission für ,den Gesamtkomplex Straßenbau zu ersuchen. Dieser erste Vorstoß zu einer Durchleuchtung der Straßenbeschaffenheit ist im Bundeshaus im Sande verlaufen.Nun, meine Damen und Herren, das ist zweifellos ein falscher Zungenschlag. Ich weiß nicht, wer ihn verschuldet hat. Ich möchte unterstellen, daß er von Ihnen ungewollt war. Denn bei der Aktion zu einer Durchleuchtung und zur Einsetzung einer „Brand-Kommission" handelt es sich nicht um ein Im-SandeVerlaufen im Bundestag. Diese Aktion ist im Bundesverkehrsministerium im Sande verlaufen.Ich darf mit Genehmigung des Herrn Präsidenten Ihren damaligen Antrag zitieren, Herr Kollege Müller-Hermann. Sie haben damals gefordert — und das Haus hat Ihnen zugestimmt —:Der Bundestag empfiehlt der Bundesregierung,daß sie zu diesem Zweck eine unabhängigeSachverständigenkommission einsetzt, die in Fühlungnahme mit den Baulastträgern bis zum 31. März 1961 einen Bericht vorlegt, in dem die noch ungelösten und ungeklärten Probleme eines umfassenden Straßenbaus analysiert werden sollten.Herr Bundesverkehrsminister, es sind bis zum 31. März ja noch einige Tage Zeit. Ich frage den Herrn Bundesverkehrminister, ob wir bis zu diesem Tage mit dem Bericht rechnen können.
Wenn der Bericht nicht rechtzeitig erstattet wird, werde ich den Herrn Bundesverkehrsminister fragen, warum er dem Entschließungsantrag nicht entsprochen hat. Weiter würde ich den Herrn Bundesverkehrminister fragen, ob er ein Gesetz mehr respektiert als einen vom Bundestag einstimmig angenommenen Entschließungsantrag.
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8544 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 150. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 14. März 1961
— Vielen Dank!So wertvoll eine Prüfung der Materie durch eine besondere Kommission sein kann, ich bin der Meinung — und das ist mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit ianzunehmen —, daß auch Teilergebnisse der neuen Kommission, Herr Kollege Müller-Hermann, diesem Bundestag nicht mehr vorliegen werden. Herr Kollege Müller-Hermann, eine an eine solche Voraussetzung geknüpfte Hilfe für die Großstädte ist praktisch keine Hilfe. Nun möchte ich etwas boshaft zurückgeben:. Habe ich nicht recht mit der Vermutung, daß Sie einen solchen Gesetzentwurf nur einbringen, um sich hinter einen solchen Vorwand zurückziehen und argumentieren zu können: Wir brauchen keine Mittel zu bewilligen, wir wollen erst diese Untersuchung abwarten; dann sind wir über diese Legislaturperiode hinweg. Mir scheint es eine realere Politik zu sein, auf dem Kreditwege zu helfen, zumal — das haben die Oberbürgermeister unter Beweis gestellt — baureife Projekte vorhanden sind.Meine Damen und Herren, lassen Sie mich in diesem Zusammenhang noch etwas zu dem Ausbau der Bundesstraßen sagen. Viele Bundesstraßen haben heute, im elften Jahr der Regierungspolitik, noch eine gewölbte Fahrbahn. Diese gewölbte Fahrbahn bedeutet eine ernste Gefahr besonders bei Nässe und bei Schneeglätte. Der Herr Bundesverkehrsminister sollte heute vor dem Bundestag die verbindliche Erklärung abgeben, daß er mit sofortiger Wirkung Maßnahmen einleiten wird, um diese Wölbungen und insbesondere die gefährlichen Rutschpflaster binnen eines Jahres zu beseitigen.
Meine Damen und Herren, auf vielen Bundesstraßen haben wir noch immer äußerst gefährliche Kurven. Die B 65, Herr Bundesverkehrsminister, zwischen Minden und Osnabrück ist ein Musterbeispiel dafür. Wenn Sie es einmal einrichten können, Ihren Abteilungsleiter für Straßenbau dort hinzuschicken, wird er sich davon überzeugen können, wie gefährlich die Straße ist. In meiner engeren Heimat zwischen Minden und Petershagen steht seit zehn Jahren — und das scheint mir auch bedeutungsvoll zu sein — eine Warntafel: Achtung! Todeskurve! Häufig, manchmal täglich, ereignen sich dort Unfälle, oft sogar mit tödlichem Ausgang und mit schwerem Sachschaden. Diese Warntafel steht immer noch, seit zehn Jahren bis zum heutigen Tag, aber die eigentliche Unfallursache, nämlich die Todeskurve, ist nicht beseitigt worden. Ich möchte den Herrn Bundesverkehrsminister fragen: Was muß eigentlich noch passieren, bis dieser schreckliche Unfallherd endlich beseitigt wird? Ich meine, die Warnung für den Fahrer sollte gleichzeitig eine Mahnung für den Baulastträger sein, endlich etwas zu tun, um den Gefahrenherd zu beseitigen.Meine Damen und Herren, wir werden uns nach der Osterpause mit der Novelle zum Bundesfernstraßengesetz zu beschäftigen haben. Ich will diese Debatte nicht vorwegnehmen, darf aber heute schon darauf hinweisen, daß diese Novelle für die Zuständigkeit des Bundes einen neuen, einen sehr weitgezogenen Rahmen schaffen wird. Wenn man diesen Rahmen ausfüllen will — und daß muß man tun, wenn die Novelle nicht nur eine reine Schablone bleiben soll —, wird der Bund in wesentlich größerem Umfange als bisher Mittel für den Aus-
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 150. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 14. März 1961 8545
Dr. Bleiß bau der vielen Zubringerstraßen bereitstellen müssen, als bisher im Haushaltsplan vorgesehen sind.Diese Novelle hat also in der 3. Legislaturperiode nur dann noch einen praktischen Wert, wenn Sie, meine Damen und Herren von der CDU-Fraktion, bereit sind, die Zweckentfremdung der Mineralölsteuer, also den Sockelbetrag, abzubauen, Wir werden Sie bei der Beratung der Novelle vor diese Frage stellen. Dann werden wir sehen, ob Sie bereit sind, nicht nur eine Schablone zu schaffen, sondern auch wirklich diese großen Möglichkeiten zu nutzen und sie zu finanzieren.Lassen Sie mich einige Sätze zu einem anderen Problem sagen, das in einem engen Zusammenhang mit der Haushaltsberatung steht, nämlich zu dem Problem der Modernisierung der Bundesbahn. Ich darf in Ihr Gedächtnis zurückrufen, daß der Bundestag zu Beginn der 3. Legislaturperiode eine Kornmission zur Untersuchung der Grundlagen der Wirtschaftlichkeit der Bundesbahn eingesetzt hat. Sie stand unter der Leitung von Herrn Präsident Brand, dem Vorsitzer des Wirtschafts- und Verkehrsausschusses der CDU, wenn ich recht unterrichtet bin. Die Kommission hat ein verkehrswirtschaftliches Leitbild entworfen. Das ist vom Bundeskabinett abgelehnt worden. Abgesehen von dem Leitbild aber enthält der Bericht der Kommission eine Fülle von Vorschlägen und Anregungen.Die einzige Konsequenz, die die Bundesregierung bisher gezogen hat, ist ein Sofortprogramm, man würde vielleicht richtiger sagen, ein Sofortminimalprogramm. Dieses Sofortprogramm, das Sie entwickelt haben, ist nicht auf die Modernisierung, sondern auf den Verlustausgleich abgestellt. Insoweit geht das Sofortprogramm an dem der Brand-Kommission Besetzen Ziel vorbei.Ich habe nicht die Absicht, mich heute mit den tarifpolitischen und verkehrswirtschaftlichen Vorschlägen im Brand-Bericht zu beschäftigen. Darüber werden wir im Zusammenhang mit den Verkehrsnovellen noch ausführlich reden müssen. Wichtig scheinen mir für die Haushaltsberatung die Finanzierungsmaßnahmen zu sein, die das Brand-Gutachten vorschlägt. Der Vierjahresinvestitionsplan kann nach meiner Auffassung nur finanziert und vernünftig abgewickelt werden, wenn der Bundesbahn frisches Kapital zugeführt wird. Sie haben auch Kapital aufgestockt, aber durch eine Schuldenstreichung. Meine Damen und Herren, eine Kapitalaufstockung durch Schuldenstreichung, wie sie im Sofortprogramm der Bundesregierung vorgesehen ist, führt zwar zu einer Verbesserung der Bilanzstruktur; eine solche Kapitalaufstockung führt aber der Bundesbahn kein frisches Kapital zu, und darauf kommt es an.Herr Oeftering, der Erste Präsident der Deutschen Bundesbahn, hat im Verkehrsausschuß bei der Beratung des Vierjahresplans und des Sofortprogramms eine ganz nüchterne Rechnung aufgemacht. Ich darf diese Rechnung in Ihr Gedächtnis zurückrufen und die Zahlen nennen. Der Vierjahresinvestitionsplan belief sich nach den damaligen Preisen auf 10,2 Milliarden DM. Herr Oeftering hat seinerzeit ausgeführt, daß die Bundesbahn aus eigener Kraft und durch verdiente Abschreibungen davon etwa 6 Milliarden DM aufbringen könnte; der Rest müßte zusätzlich finanziert werden. Es ist damals gesagt worden, die Bundesbahn hoffe, wenn sich der Kapitalmarkt bessere, etwa 2 Milliarden DM über den Kapitalmarkt finanzieren zu können. Es bleibt aber — und das ist das A und O des Vierjahresplans — eine Finanzierungslücke von 2 Milliarden DM, die geschlossen werden muß. Das bedeutet pro Jahr eine zusätzliche Finanzierung ,durch den Bund in 'Höhe von 500 Millionen DM.Der Brand-Bericht hat für die Kapitalzuführung auch die betriebswirtschaftliche und verkehrspolitische Unterlage geschaffen, indem er feststellt, daß die Bundesbahn einen Anspruch darauf hat, in angemessener Weise von der Altersversorgung entlastet und als kaufmännisch geführter Betrieb für die Beförderungsleistungen zu Sozialtarifen angemessen entschädigt zu werden. Diese Konsequenz hat die Bundesregierung bisher nicht gezogen.Die Tatsache der Finanzierungslücke kommt nicht überraschend. Sie war schon so rechtzeitig bekannt, daß sie bei der Aufstellung des Haushaltsplans für 1961 hätte berücksichtigt werden können. Es war Ihnen auch damals schon bekannt, daß es nach Lage der Dinge der Bundesbahn nicht möglich sein wird, Investitionen über den Preis zu finanzieren. Im Gegenteil, die Bundesbahn wird eine Anzahl von Tarifen drastisch senken müssen, wenn sie auf längere Sicht ihren Anteil am Verkehrsvolumen erhalten will.Die Bundesregierung hat einige Verkehrsnovellen eingebracht, die sich mit kleineren Tarifreformen beschäftigen. Darüber werden wir nach Ostern beraten. Aber heute, bei der Beratung dieses Haushalts, haben wir die Entscheidung zu treffen, ob die Bundesbahn ihre Anlagen modernisieren kann, wie es im Interesse einer vernünftigen Verkehrspolitik notwendig ist, oder ob sie weiterhin hinter der technischen Entwicklung einherhinken muß.Die Lösung dieser verkehrspolitischen Zentralprobleme, die ich hier im Zusammenhang mit dem Haushalt behandelt habe und die wir vor uns herschieben, macht erhebliche zusätzliche Aufwendungen erforderlich. Wir haben auf diesen Tatbestand seit Jahren hingewiesen. Wir haben in früheren Haushaltsberatungen auch Anträge gestellt, um das Tempo der Anpassung und das Tempo der Modernisierung zu beschleunigen. Diesmal haben wir darauf verzichtet, solche Anträge zu stellen, weil wir aus den früheren Erfahrungen und aus der diesjährigen Praxis wissen, daß Anträge, selbst wenn sie von den Verkehrsfachleuten der CDU/ CSU-Fraktion bejaht werden, bei den entscheidenden Abstimmungen immer dem numerus clausus der generellen Ablehnung unterliegen. Wenn man vorher weiß, daß eine sachliche Erörterung im Rahmen der Haushaltsberatung ohnehin nicht möglich ist, braucht man auch keine solche Arbeit zu leisten.Sie sind auch in diesem Jahre nicht bereit, den Verkehrshaushalt in dem erforderlichen Umfange zu erhöhen. Diese mangelnde Bereitschaft verpflichtet mich zu der Feststellung, daß Sie damit auch im
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8546 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 150. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 14. März 1961
Dr. Bleißletzten Jahr der 3. Legislaturperiode eine zögernde, die Verkehrswirtschaft vernachlässigende Politik treiben. Wir halten diese Politik für gefahrvoll. Wir sind der Meinung, daß die Verkehrspolitik mit ihren vielfachen Schwergewichten einen wesentlich stärkeren Vorrang verdient, einen Vorrang, den Sie ihr bisher nicht eingeräumt haben,
— Es ist sehr schön, daß Sie eine solche Frage stellen. Sie sind erstaunt, daß wir mit einer solchen Forderung kommen. Aber ich war genauso erstaunt, als ich eines Morgens hörte, daß der Haushalt um 3,75 Milliarden DM zusätzlich erhöht worden ist. Ich habe mich auch gefragt: Woher will man denn diese 33/4 Milliarden DM nehmen? Über Nacht hat der Herr Bundesfinanzminister gezaubert. Vielleicht wäre er auch hier, wenn er die Konten noch einmal etwas überrechnete, in der Lage, dafür noch die erforderliche Deckung zu finden.
Herr Abgeordneter Dr. Bleiß, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Niederalt?
Bitte sehr!
Herr Abgeordneter Niederalt!
Herr Kollege Blieiß, wären Sie so freundlich, mir zu sagen, woher Sie den Betrag von 3,75 Milliarden DM nehmen? Ist Ihnen entgangen, daß in diesem Betrag mit 1,5 Milliarden DM auch ein rein durchgehender Posten, nämlich der Posten für die Entwicklungshilfe, enthalten ist? Dann sieht nämlich diese Rechnung ganz anders aus.
Herr Kollege Niederalt, ich bin kein Haushaltsexperte. Ich habe hier nur als nüchterner Kaufmann subtrahiert und habe festgestellt, daß der Haushalt jetzt auf einen Gesamtbetrag von 48,8 Milliarden DM angestiegen ist, während er vorher bei 45,1 Milliarden lag. Wenn ich nach Adam Riese rechne — —
— Entschuldigung, ich bin bereit, das noch einmal nachzusehen, und würde mir dann erlauben, Ihnen diese Zahlen im einzelnen zu unterbreiten. Auf Grund meiner bisherigen Rechnung — ich habe diese Rechnung im Augenblick noch einmal geprüft
— bleibe ich bei diesen 3,75 Milliarden. Vielleicht kann ich Ihnen zur Unterstützung Ihres Gedächtnisses nachher die Zahlen liefern.
Meine Damen und Herren, wegen der Unzulänglichkeit der haushaltsmäßigen Ausstattung des Einzelplans 12 und — was ich hinzufügen muß — wegen der erheblichen Bedenken, die nach unserer Ansicht in der Person des amtierenden Ministers begründet sind, sehen wir uns leider nicht in der Lage, diesem Haushalt unsere Zustimmung zu geben.
Das Wort hat der Abgeordnete Müller-Hermann.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte gleich an die letzte Bemerkung des Kollegen Dr. Bleiß anknüpfen, in der er von der unzulänglichen Ausstattung des Einzelplans 12 sprach. Wenn man sich einen Überblick über die Zuweisung von Mitteln aus dem Gesamtetat an den Verkehrshaushalt im Laufe der letzten zehn Jahre verschafft, kann man nur den Schluß ziehen, daß nicht nur der Bundesverkehrsminister im Kabinett und auch gegenüber dem Bundesfinanzminister sehr gut abgeschnitten hat, sondern daß auch das Verkehrswesen zu seinem Recht gekommen ist.
Die Gesamtausgaben des Bundes über den Verkehrshaushalt haben im Jahre 1952 614 Millionen DM betragen. Im Haushalt des Jahres 1961 sind für diesen Sektor insgesamt 3,6 Milliarden DM an Ausgaben vorgesehen.
Bereits 1954 hatten wir einen Betrag von 1,1 Milliarden DM an Ausgaben erreicht, 1957 ist die 2-Milliarden-Grenze überschritten worden, und, Herr Kollege Dr. Bleiß, im Haushaltsjahr 1960 ist der Verkehrshaushalt um 857 Millionen DM angewachsen. Ich glaube, das sind Zahlen, die für sich sprechen. Dadurch erübrigt es sich wohl für mich, weiter auf den von Ihnen vorgebrachten Vorwurf der angeblich unzulänglichen Ausstattung des Verkehrshaushaltes einzugehen.
Aber einige weitere Fragen, die Sie berührt haben, möchte ich doch einmal aus einer anderen Sicht ansprechen.Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir nehmen es alle mit einer erstaunlich anmutenden Gelassenheit hin, daß wir in der Bundesrepublik im Jahr über 14 000 Verkehrstote haben.
Ich meine, auch die Offentlichkeit nimmt diese Zahl mit einer etwas zu großen Gelassenheit hin.
Wenn wir fragen, wie es dazu kommt, so wird darauf hingewiesen, daß der Straßenbau ungenügend sei. Sicherlich ist das mit ein Grund. Die noch immer unzureichenden Straßenverhältnisse tragen sicherlich nicht unwesentlich zu diesen Verkehrsunfallziffern bei.
— Aber ich glaube, das ist nicht der alleinige undnicht der Hauptgrund. Wir müssen auch in diesem
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Deutscher Bundestag -- 3. Wahlperiode — 150. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 14. März 1961 8547
Müller-HermannHohen Hause einmal darauf hinweisen, daß wires in der Bundesrepublik nötig haben, für einebessere ritterlichere Verkehrsgesinnung zu sorgen.
Ich habe gerade in diesen Tagen in einer französischen Zeitung Angaben über die Zahl der Verkehrstoten und der durch Unfälle Verletzten in Frankreich gefunden. Danach betrug in Frankreich im Jahre 1960 die Zahl .der Verkehrstoten 5804, die der durch Unfälle Verletzten 96 889. Dabei möchte ich nicht nur auf die von mir erwähnte Zahl der Verkehrstoten bei uns in der Bundesrepublik hinweisen — 1960 über 14 000 —, sondern auch auf den Tatbestand, daß die Zahl der zugelassenen Kraftfahrzeuge in Frankreich nicht unerheblich über der Zahl in der Bundesrepublik liegt, und daß auf 1000 Personen in der Bundesrepublik 69 Kraftfahrzeuge, in Frankreich 113 Kraftfahrzeuge kommen. Nun weiß ich nicht, ob man die Unfallstatistiken ohne weiteres miteinander vergleichen kann. Ich glaube, die Bemessungsgrundlagen sind etwas unterschiedlich. Aber selbst wenn die nach unseren Maßstäben gemessenen Unfallziffern in Frankreich über der Zahl von 5804 liegen, ist immer noch ein eklatanter Unterschied deutlich, über den wir nachdenken sollten.Ich möchte nicht, daß wir uns sagen lassen müssen — meine Damen und Herren, gestatten Sie mir, daß ich das einmal hier ausspreche —, diese Unfallziffern seien letzten Endes mit ein Ausdruck des deutschen Nationalcharakters. Wir müssen es uns zu einer Art nationaler Aufgabe machen, für eine 1) bessere, ritterlichere Verkehrsgesinnung in unserem Lande Sorge zu tragen. Ich möchte an dieser Stelle den Dank an die Automobilclubs, die Straßenverkehrswacht und auch an die Organisationen des Güternah- und Güterfernverkehrs aussprechen, die sich einer systematischen Verkehrserziehung in ihrem Bereich gewidmet haben.Aber all das genügt noch nicht. Ich möchte auch an Presse, Rundfunk und nicht zuletzt an das Fernsehen appellieren, sich dieser Aufgabe mehr als bisher zu widmen. Man muß meines Erachtens den Versuch machen, weniger über Reglementiererei und Schulmeisterei als durch einen verstärkten Appell an die Selbstverantwortung des einzelnen zu einem besseren Ergebnis zu kommen.Herr Kollege Dr. Bleiß hat natürlich — das gehört zu jeder Haushaltsdebatte über Verkehr — das Thema Straßenbau angesprochen. Er hat dabei von den „Unterlassungssünden" der Bundesregierung gesprochen. Auf der Verkehrskonferenz in Stuttgart ist das Wort gefallen, daß der Straßenbau durch die Bundesregierung „in unverantwortlicher Weise vernachlässigt" worden sei. Wir haben uns mit diesen Vorwürfen x-mal auseinandergesetzt, und sie werden nicht dadurch überzeugender, daß man sie wiederholt, Herr Kollege Dr. Bleiß. Wir wissen alle, daß wir auf diesem Gebiete noch große Anstrengungen zu machen haben. Aber wir wissen ebenso, daß wir in den ersten Jahren des Wiederaufbaus in der Bundesrepublik noch dringlichere Aufgaben als die Bewältigung des Straßenbaus vor uns hatten. Wenn man der Bundesregierung einenVorwurf machen kann, dann ist es vielleicht der, daß sie durch ihre Politik zu einer Produktionsausweitung und zu einem Wohlstand beigetragen hat, der die Motorisierung in einer für uns alle ungeahnten Weise vorangetrieben hat.
Ich möchte nicht unterlassen, gerade auch auf die neuesten Statistiken hinzuweisen, die deutlich machen, wie stark der Anteil der Angestellten, der Beamten und vor allem der Arbeiter an dem Kraftfahrzeugbesitz geworden ist und wie sehr er wächst. Eine erfreuliche Entwicklung, wenn wir heute feststellen können, daß im Jahre 1960 44 % aller Personenkraftfahrzeuge im Besitz von Arbeitern gewesen sind!Ich glaube, wir können hier mit ruhigem Gewissen für die Regierungspartei und auch für die Bundesregierung davon ausgehen, daß der Bund durch die Gesetzgebung, die wir hier zum Teil mit Ihnen gemeinsam bewältigt haben, bis zum Ende des zweiten Vierjahresprogramms, also bis zum Jahre 1966, so weit sein wird, daß der Straßenbau die Motorisierung im wesentlichen eingeholt hat. Ich glaube, das ist eine erstaunliche Leistung, an der man nicht herumkritisieren, sondern die man anerkennen sollte.Wir wissen natürlich, daß mit der Lösung der Straßenbauprobleme beim Bund das Problem der Normalisierung der Straßenverkehrsverhältnisse noch nicht gelöst ist. Wir wissen, daß vor allem in den Gemeinden, und zwar nicht nur in den Großstädten, sondern in ähnlichem Umfange auch in den kleineren und mittleren Gemeinden, noch außerordentliche Probleme zu bewältigen sind. Ich möchte nicht verhehlen, daß es mir nötig erscheint, hier immer wieder zunächst einmal an die Zuständigkeit der Länder zu appellieren,
die hier eine ganz vordringliche Aufgabe haben, der sie sich — vor allem einige bestimmte Länder — vielleicht noch stärker, als es bisher geschehen ist, widmen sollten.Aber ich muß mich dagegen wenden, daß hier von seiten der Opposition der Eindruck erweckt wird, als hätte der Bund für die Gemeinden und Städte bisher nichts getan. Im Jahre 1961 sieht der Bundeshaushalt 462 Millionen DM Zuschüsse an fremde Baulastträger, für Ortsumgehungen, die nicht in der Baulast des Bundes stehen, und für Zwecke der Rufstufung vor. Im Bundesfernstraßengesetz ist auf unsere Initiative hin vorgesehen, daß die Ortsdurchfahrten bei Städten bis zu 50 000 Einwohnern in die Last des Bundes übernommen werden. Wir haben den Gemeindepfennig eingeführt. Wir haben im Bundesfernstraßengesetz vorgesehen, daß in Zukunft auch die Zubringerstraßen zu Bundesfernstraßen bezuschussungsfähig sind.Nun, Herr Kollege Dr. Bleiß, haben Sie diese schöne Entschließung angesprochen, die von meiner Fraktion am 8. März 1960 diesem Hohen Hause vorgelegt wurde. Es war gut, daß Sie das von sich aus getan haben; denn ich wäre ganz bestimmt darauf
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8548 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 150. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 14. März 1961
Müller-Hermann zu sprechen gekommen. Diese Entschließung empfahl der Bundesregierung, eine unabhängige Sachverständigenkommission, die in Fühlungnahme mit den Baulastträgern bis zum 31. März 1961 einen Bericht vorlegen sollte, in dem die noch ungelösten und ungeklärten Probleme eines umfassenden Straßenbaus analysiert werden und der Bundesregierung Empfehlungen für die Ausgestaltung und Abwicklung des Anschlußprogramms unterbreitet werden sollten. Unter Punkt 3 dieses Entschließungsantrages war insbesondere das Thema der Verkehrsprobleme in den Gemeinden und Städten angesprochen worden.Sehr verehrter Herr Kollege Dr. Bleiß, auf Ihren Wunsch hin wurde seinerzeit dieser Entschließungsantrag mit dieser Aufforderung an die Bundesregierung nicht im Plenum angenommen, sondern zur weiteren Beratung und zu einer nochmaligen Überprüfung dem Verkehrsausschuß überwiesen. Von meiner Seite wurden verschiedene Versuche unternommen, diesen Entschließungsantrag auf die Tagesordnung des Verkehrsausschusses zu bekommen. Aber leider liegt es in der Zuständigkeit des Ausschußvorsitzenden, was auf die Tagesordnung kommt, und erst zu Ende des Jahres 1960 haben Sie sich entschlossen, den Antrag auf die Tagesordnung zu setzen. Dann habe ich erklärt: Jetzt ist so viel Zeit verstrichen, daß wir die Materie am besten erst zusammen mit dem Bundesfernstraßengesetz behandeln. Ich glaube, wenn wir seinerzeit diesen Antrag im Bundestag angenommen hätten, wären wir heute, gerade was das Problem des Straßenbaus und der Verkehrsverhältnisse der Gemeindenbetrifft, ein wesentliches Stück weiter.
Denn wir hätten die Regierung dann veranlaßt, bis zum 31. März dieses Jahres einen Bericht vorzulegen, der uns in die Lage versetzen würde, vernünftige Beschlüsse zu fassen.Wir haben nun, wie Sie richtig gesagt haben, ein Enquete-Gesetz vorgelegt. Ich freue mich, aus Ihrem Munde zu hören, daß Sie den Grundgedanken dieser Enquete bejahen und unterstützen werden.. Wir sind uns darüber im klaren, daß die Verkehrsprobleme in den Städten und Gemeinden nicht nur mit dem Straßenbau zu lösen sind, sondern daß dazu auch die Frage gehört, wie der ruhende Verkehr bewältigt wird, wie die öffentlichen Verkehrsmittel in die Lage versetzt werden, preiswert, attraktiv und allen Erfordernissen entsprechend zu arbeiten, und wo sich Möglichkeiten ergeben, mit der Verlegung von Verkehrswegen in die zweite Ebene auch Maßnahmen des Bevölkerungsschutzes zu kombinieren. Aus diesem Grunde haben wir es für richtig gehalten, diesen Gesetzentwurf über eine Enquete einzubringen, Herr Dr. Bleiß, und nicht, um uns um Verantwortlichkeiten herumzudrücken. Es geschah in erster Linie, um den kommenden Bundestag in die Lage zu versetzen, daß er auf Grund einwandfreien und gut durchgearbeiteten Materials die nötigen Entscheidungen treffen kann. Wir lehnen es ab, jetzt irgendwelchen Anträgen, die nicht Hand und Fuß haben, zuzustimmen, nur weil auf diesem Gebiet „etwas getan werden muß". Wir können Entscheidungen nur treffen, wenn sie gut fundiert sind und wenn die getroffenen Maßnahmen mit Sicherheit auch die beabsichtigte Wirkung auslösen.
Sie haben auch das Thema Bundesbahn angesprochen. Diesmal aber, Herr Dr. Bleiß, haben Sie etwas, was man eigentlich erwartete, nicht gesagt, daß nämlich von der Bundesregierung und der Mehrheit im Bundestag nichts für die Bundesbahn getan worden sei. Tatsächlich hat die Bundesbahn in den Jahren 1952 bis 1961 vom Bund 6,7 Milliarden DM an Zuschüssen und Darlehen erhalten..Wir sind ja alle Eisenbahn- und Bundesbahnbenutzer, und ich meine, es wäre einmal an der Zeit, von diesem Platze aus der Bundesbahnleitung und den Eisenbahnern den Dank für das auszusprechen, was sie in den letzten Jahren geleistet und zu den Verbesserungen beigetragen haben.
Die Modernisierung und die Rationalisierung sind offensichtlich ein erhebliches Stück vorangekommen, und ich bin bezüglich der weiteren geschäftsmäßigen Entwicklung der Bundesbahn außerordentlich optimistisch. Ich glaube, daß das nicht nur der guten Konjunktur, sondern auch der Mitarbeit aller Eisenbahner sowie einer guten und klugen kaufmännischen Geschäftsführung zu verdanken ist.Nun haben wir — ich wende mich jetzt sowohl an den Herrn Verkehrsminister als auch an den Herrn Finanzminister — bezüglich der Bundesbahn einige Wünsche für den Bundeshaushalt 1962. Wir wünschen, daß den Empfehlungen der BundesbahnPrüfungs-Kommission in einigen Punkten noch weitere Beachtung geschenkt wird. Ich bitte darum, vor allem das Problem einer eventuellen Kapitalaufstockung zu prüfen und eine umfassende und endgültige Regelung der Altpensionen ins Auge zu fassen, ferner auch im Bundeshaushaltsplan die Verantwortlichkeiten zwischen Bahn und Bund klarzustellen.Wir sind der Auffassung, daß die Bundesbahn grundsätzlich durch ihre eigenen Anstrengungen zu einem Ausgleich ihrer Ausgaben und ihrer Einnahmen kommen muß, daß aber auf der anderen Seite der Bundesbahn die sogenannten betriebsfremden Lasten vom Bund abgenommen werden müssen. Wo die Bundesbahn gemeinwirtschaftliche Aufgaben zu erfüllen hat, d. h. wo Leistungen von ihr verlangt werden, die einer kaufmännischen Betriebsführung widersprechen, muß ihr ein Entgelt gewährt werden. Ich glaube, daß diese Handhabung auch im Haushalt Ausdruck finden müßte. Damit würde sich eine sehr viel bessere Klarstellung der Verantwortlichkeiten ergeben, als es die heutige Vermengung vieler Haushaltspositionen ermöglicht.Wir legen Wert darauf, meine Herren von der Opposition, hier deutlich zu machen, daß wir die Gemeinwirtschaftlichkeit der Bundesbahn dort, wo es notwendig ist, durchaus erhalten wissen wollen. Aber wir verstehen unter Gemeinwirtschaftlichkeit nicht, daß man leere Eisenbahnwaggons dort spazieren fährt, wo durch eine Verlagerung des Eisen-
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Müller-Hermannbahnverkehrs auch die Straße — ohne daß der Bezirk, der davon betroffen wird, Schaden erleidet — der Verkehr ebenso bewältigt werden könnte wie durch einen Schienenbetrieb, der unrentabel arbeitet.Herr Kollege Dr. Bleiß hat auf die Grundsatzentscheidungen hingewiesen, die wir in der Verkehrspolitik treffen müssen. Ich möchte auf die zur Diskussion stehenden Themen nicht im einzelnen eingehen; aber Sie werden es mir nicht verübeln, Herr Kollege Dr. Bleiß, wenn ich die Gelegenheit benutze, an Sie persönlich zu appellieren, der Sie zusammen mit dem „neuen Verkehrsfachmann", dem sozialdemokratischen Bundeskanzlerkandidaten, in Stuttgart von einer dynamischen Verkehrspolitik gesprochen haben, die an die Stelle des bisherigen Verkehrswirrwarrs treten sollte. Herr Kollege Dr. Bleiß hat in seinen Ausführungen auf der Verkehrskonferenz in Stuttgart die „kleine Verkehrsreform der CDU" — wie es dort hieß — abgelehnt. Aber er hat nicht etwa die Thesen abgelehnt, die wir zu dieser Verkehrsreform aufgestellt haben, sondern er hat diese Thesen weitgehend übernommen. Wir sind froh und der Sozialdemokratie dankbar, wenn sie unsere Programmpunkte übernimmt und unterstützt und möglichst auch noch als ihre eigenen ausgibt.
Das sind wir nicht nur auf dem Gebiet der Verkehrspolitik gewohnt.Sehr verehrter Herr Kollege Dr. Bleiß, über einen Punkt werden wir uns noch unterhalten müssen, und darauf bereiten Sie sich bitte einmal vor. In dieser Frage wird es offensichtlich doch noch erhebliche Meinungsverschiedenheiten geben. Es geht hier nämlich um das Problem, wie im Verkehr eine Aufgabenteilung durch einen geordneten Leistungswettbewerb, den auch Sie fordern, erreicht werden kann. Nach unserer Auffassung sollen die Beförderungsentgelte in Zukunft genehmigungspflichtig bleiben, um einen unbilligen Wettbewerb zu verhindern. Die Bundesregierung soll Richtlinien herausgeben, die klarstellen, welche Grundsätze bei der Bildung der Beförderungsentgelte zu beachten sind. Die Verkehrsträger sollen die Beförderungsentgelte jedoch aus eigener Verantwortung vorschlagen bzw. bestimmen. Angebot und Nachfrage sollen die Preisregulierung mit beeinflussen.Nach Ihrer Auffassung — und da liegt wohl ein eklatanter Unterschied — soll zunächst eine Art Kostenermittlung durch den Staat stattfinden. Dann soll der Staat auf Grund dieser statistisch ermittelten Kosten eine Aufgabenteilung vornehmen, indem er die Tarife festsetzt und den Verkehrsträgern aufgibt: die einen sollen diese Transporte bewältigen und die anderen jene.
Hier werden sich die Geister scheiden.
Wenn das Ihre Auffassung sein sollte, Herr Kollege Dr. Bleiß, dann würde ich darin nicht eine dynamische Verkehrspolitik sehen, sondern eine — entschuldigen Sie den harten Ausdruck — reaktionäre und dirigistische Verkehrspolitik.Wir sind uns darüber im klaren, daß in diesen Grundsatzfragen Neuland beschritten wird. Wir wollen vorsichtig vorgehen, auch wenn die Probleme nur im Rahmen einer „kleinen Verkehrsreform" angegangen werden. Wir legen jedoch Wert darauf, daß die ersten Schritte in dieses Neuland unbedingt noch in dieser Legislaturperiode getan werden. Der Druck von seiten der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft zwingt uns nämlich dazu, die Umstellung in der Verkehrswirtschaft unbedingt so bald wie möglich in ,die Wege zu leiten. Hier, meine sehr verehrten Damen und Herren von ,der Opposition und insbesondere sehr verehrter Herr Vorsitzender des Verkehrsausschusses, haben Sie die Möglichkeit, dafür Sorge zu tragen, daß die Zeit, die uns noch zur Verfügung steht, genutzt wird und daß die Verkehrsänderungsgesetze mit den Änderungsanträgen unserer Fraktion durchgezogen werden. Hier können Sie beweisen, daß Taten nützlicher sind als schöne Worte.
Das Wort hat der Abgeordnete Eisenmann.
Herr Präsident! Meine verehrten Damen und Herren! Herr Kollege MüllerHermann, Sie haben mit dem Spruch geendet, daß Taten schöner seien als Worte.
-- Wenn wir uns alle, vor allem Sie, verehrter Herr Zwischenrufer, in den letzten Jahren bei der Behandlung der Fragen der Verkehrspolitik an diese These gehalten hätten, dann wären wir vermutlich ein schönes Stück weiter, als wir es heute sind. Durch diese schöne Bemerkung reizen Sie mich geradezu dazu, einmal einen Rückblick zu tun. Wenn man einmal nach rückwärts blickt, dann muß man folgendes feststellen.
— Es ist auch nötig, daß man im Verkehr hier und da einmal rückwärts fährt.
Wenn man die Dinge einmal rückschauend betrachtet, muß man feststellen, daß man nicht immer die richtige Konzeption, die richtige Vorausschau und die richtige Zusammenschau der Dinge gehabt zu haben scheint. Man darf sagen: Wenn sich die dynamische Auffassung der Verkehrspolitiker in diesem Hause, die eine fortschrittliche Verkehrswirtschaft wollen, früher durchgesetzt hätte, könnten und müßten wir eigentlich bereits ein größeres Stück weiter sein. Eigentlich konnte gar nichts passieren; denn Sie hatten die gleiche Regierung, den gleichen Herrn Verkehrsminister, und Sie hatten die Mehrheit in diesem Hohen Hause. Eigentlich konnte also gar nichts passieren hinsichtlich
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Eisenmanndessen, was Sie heute 4, 5 Monate vor Abschluß der 3. Legislaturperiode hier nun immerhin sehr nett in den Raum gestellt haben.
— Es kann wohl keinen Zweifel darüber geben, daß der Verkehrspolitik bisher die Gesamtschau, die Vorausschau, die Konzeption unter Beachtung der technisch-ökonomischen, tarifwirtschaftlichen und marktwirtschaftlichen Umstände etwas gefehlt hat. In dieser Auffassung werden Sie mir, Herr Kollege Müller-Hermann, vermutlich nicht widersprechen; denn Sie haben selbst in etwa gesagt: Warum ist man nicht früher zu einer Gesamtschau, zu einer Vorausschau, auch auf tarifarischem Gebiet gekommen? Sie haben es vor kurzem bei der Behandlung der vier Verkehrsgesetze mit ausgesprochen: Mehr Leistungswettbewerb, behutsame Überleitung aus den staatsdirigistischen Vorstellungen in die mehr marktwirtschaftlichen Vorstellungen. Diese Frage muß man sich stellen. Man muß sich ferner fragen: Warum hat denn eigentlich die Bundesregierung diese vier Verkehrsgesetze erst knapp vor Abschluß der 3. Legislaturperiode hier vorgelegt? Wäre nicht Zeit und Gelegenheit gewesen, die Entwürfe etwas früher vorzulegen, damit man sich wirklich intensiv mit den Fragen einer Neuordnung des Verkehrs und einer Neuorientierungder Verkehrspolitik in genügender Zeit hätte beschäftigen können? Vor dieser Frage stehen wir.Herr Kollege Müller-Hermann, Sie haben seinerzeit in der Verkehrsdebatte Ihre Rede etwa mit den Worten beendet: Der Verkehrshaushalt 1950 schaffte gute Voraussetzungen zur Neuordnung in den Fragen der Verkehrspolitik. Leider sind wir in diesem Jahr nicht so weit gekommen, wie Sie es damals in Ihrem Optimismus gern gesehen hätten. Ich möchte sogar so weit gehen, daß ich sage: Der Begriff der Gemeinwirtschaftlichkeit — er ist heute auch schon von den Herren Vorrednern erwähnt worden — ist nach Auffassung der Fraktion der Freien Demokratischen Partei in den letzten Jahren in diesem Hohen Hause leider zu sehr und zu oft als Deckname für staatsdirigistische Maßnahmen benutzt worden, aber durchaus nicht zum Nutzen der Verkehrsbraucher, der verladenden Wirtschaft oder gar der privaten Verkehrsträgerschaft. Über diese Dinge wird man bei der Behandlung der Verkehrsgesetze sehr aufmerksam nachdenken müssen, damit dieser Begriff nicht zu sehr zur Diktion der Leitvorstellung derer wird, die hier Verkehrspolitik mit machen.Ein Weiteres. Der Herr Vorredner der CDU-Fraktion hat vorhin gesagt, daß der Verkehrshaushalt in diesem Jahre sehr beachtlich dotiert worden sei. Er weise sogar 741 Millionen DM mehr auf als der letztjährige Haushalt. Man wird dem nicht widersprechen können. Der Verkehrshaushalt ist offensichtlich gut dotiert hinsichtlich des Ausbaus der Autobahnen, weniger gut dotiert hinsichtlich des Ausbaus der Bundesstraßen. Wenn man aber weiß, daß der Bund nur bei 7,5 % des gesamten Straßenverkehrsraumes die Unterhaltungspflicht hat und rund 64 % der Verkehrsabgaben einnimmt, so muß man sich fragen: Wer trägt bei zur Deckung der Baulasten, die die Gemeinden, die Kreise und die Städte für einen Straßenverkehrsraum von rund 220 000 km tragen müssen? Hat der Bund da nicht auch eine Funktion im Sinne der Zuweisung von Mitteln an die unteren, schwächsten und mit am schlechtesten ausgestatteten Baulastträger zu erfüllen? Das ist eine Frage, die ohne Zweifel in diesem Hause bei der Behandlung des Bundesfernstraßengesetzes sicher noch eingehend mit behandelt werden müßte.
— Herr Kollege Conring, darin gebe ich Ihnen recht: Man wird sich über diese Dinge auch sehr ernsthaft mit den Ministerpräsidenten und den Verkehrsministern der Länder unterhalten müssen, insbesondere darüber, daß die vollen zweckgebundenen Mittel mindestens in der gleichen Höhe, wie die Kraftfahrzeugsteuer den Ländern zufließt, für den Ausbau der Straßen ausgegeben werden. Ich weiß, daß einige Länder in Deutschland vorbildlich sind. Andere sind noch nicht so weit. Auch darüber wird man sich unterhalten müssen, um zu einem zusammenhängend, leistungsfähig ausgebauten Straßennetz zu kommen.Wenn man sich allerdings die Investitionspolitik des Bundes vor Augen hält, so muß man sagen, daß die öffentliche Hand bei ihren Investitionen — die Gemeinden, die Städte und die Kreise nehme ich hierbei aus; die Länder nehme ich hinzu — in den letzten Jahren die Verkehrspolitik insgesamt im Rahmen der dort bestehenden Leistungsfähigkeit vernachlässigt hat. Das möchte ich ganz deutlich sagen.Vom Bund aus betrachtet kann man doch heute eines feststellen: Wir haben eine unrentable Bundesbahn -- warum, ist bereits durch die Herren Vorredner ausgeführt worden —, wir haben eine defizitäre Lufthansa, und wir haben darüber hinaus ein desolates Straßennetz, auf dem zum Teil an den Schwerpunkten alles ander als verkehrsgemäße Zustände herrschen. Ich nehme an, daß der Herr Bundesverkehrsminister zu diesen Fragen auch noch einmal Stellung nehmen wird.Noch ein Wort zu dem Gesetzgebungswerk! In wenigen Wochen ist die dritte Legislaturperiode dieses Parlaments beendet. Ich weiß nicht, Herr Kollege Müller-Hermann, wie wir die Gesetzentwürfe, die vorgelegt worden sind, in Verbindung mit den Vorstellungen, die vor wenigen Wochen bei der Behandlung dieser Gesetze aus Ihrer Mitte sowie von der SPD- und der FDP-Fraktion vorgetragen worden sind, in den wenigen für diese Fragen im Ausschuß noch zur Verfügung stehenden Tagen zu einer Synthese im Sinne einer fortschrittlichen Verkehrspolitik bringen sollen.Ich glaube, daß wir gut beraten sind, Herr Kollege Bleiß und meine Herren in der Mitte dieses Hauses, wenn wir uns über diese Frage in aller
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EisenmannKürze im Verkehrsausschuß noch einmal zusammensetzen, um zu prüfen, in welcher Reihenfolge wir die Vorlagen noch behandeln können, um das Bestmögliche für eine zukünftige Weichenstellung der Verkehrspolitik einzuleiten. Jedenfalls ist die FDP- Fraktion — das sage ich ausdrücklich — zu einer solchen Weichenstellung für die zukünftige Verkehrspolitik durchaus bereit.Ich möchte damit die allgemeinen Ausführungen beenden und mich detaillierter der Bundesbahn zuwenden. Es hat immerhin neun Jahre gedauert, bis man sich endlich durch die Initiative dieses Hohen Hauses veranlaßt sah, eine solche Kommission einzusetzen, geleitet durch den Herrn Präsidenten Brand, um eine Analyse darüber zu erarbeiten, welche speziellen Maßnahmen notwendig sind, um zu einer besseren Gesundung der Bundesbahn kommen zu können.
— Herr Kollege Conring, das ist richtig, aber Sie werden mir recht geben, wenn ich sage, daß es gerade die Brand-Kommission war, die doch immerhin beachtliches, detailliertes Material erarbeitet hat, das nicht abzuleugnen ist und das zu analysieren unsere Aufgabe sein könnte. Dieses Werk umfaßt über 700 Seiten, und es ist wirklich eine Fundgrube für jeden, der sich mit diesen Dingen beschäftigt.Allerdings ist nun ,die Frage: warum hat sich die Regierung die Erkenntnisse, die die Brand-Kommission erarbeitet hat, bei der Vorlage der entsprechenden Verkehrsgesetze nicht zunutze gemacht, die vor kurzem in diesem Hause vorgelegt wurden? Diese Frage wollte ich an den Herrn Verkehrsminister richten. Warum hat die Bundesregierung sich nicht das Prinzip, das die Brand-Kommission erarbeitet hat, zur Grundlage gemacht? Warum will man nicht von dem gemeinwirtschaftlichen Denken zum eigenwirtschaftlichen Denken bei der Bundesbahn kommen? Warum will man nicht die Weichen so stellen, daß aus der Verwaltungsbahn eine Kaufmannsbahn gemacht wird? Diese Chance liegt doch darin! Wenn ich an das denke, was Herr Kollege Müller-Hermann gesagt hat — daß ihr alle betriebsfremden Lasten abgenommen werden —, sehe ich darin die Chance für eine Eigenwirtschaftlichkeit bei der Bun-bahn.Darüber hinaus könnte man eine zweite Frage stellen. Warum ist man nicht bereit, die Bundesbahnorganisation an der Spitze so zu ändern, daß man von einem Kollegialsystem zu einem Präsidialsystem kommt, bei dem der Erste Präsident der Bundesbahn mehr Befugnisse hat.Die nächste Frage ist von dem Herrn Kollegen Bleiß und vielleicht auch von Ihnen, Herr Kollege Müller-Hermann, angedeutet worden. Warum kommt man nicht zu einer besseren Kapitalausstattung der Bundesbahn? Man weiß doch, daß zur Zeit jährlich ein Kapitaldienst von 340 Millionen DM von der Bundesbahn für die Fremdfinanzierung geleistet werden muß. Daß auf diese Weise dieBundesbahn nicht gesunden kann, kann sich jeder Kaufmann und Betriebswirt ausrechnen.
— Herr Kollege Conring, das ist eine ernste Frage, aber im Augenblick sind Sie in einer schlechten Ausgangsstellung, wenn Sie fragen, woher das Geld kommen solle. Sie wissen, wie schnell nicht nur Millionen, sondern sogar Milliarden bei Besuchsreisen aus dem Ärmel geschüttelt werden — ich möchte nicht deutlicher werden —, daß man sich nur wundert. Darüber hinaus wissen Sie als Mitglieder des Haushaltsausschusses, daß erhebliche Ausgabereste vorhanden sind.
— In verschiedenen Haushalten. Das wissen Sie so gut wie ich.
Herr Abgeordneter Eisenmann, der Herr Abgeordnete Dr. Conring möchte eine Frage an Sie stellen.
Bitte schön!
Sie sagen mit Recht: Auf dem Verkehrsgebiet muß vieles geschehen.
Jawohl.
Es müßte noch mehr geschehen, sagen Sie. Ich stellte deshalb an Sie die Frage: Wenn Sie der Auffassung sind, daß die Verkehrsangelegenheit die dringendste ist, warum stellen Sie dann in den Fachausschüssen Anträge für 2,3 Milliarden DM Ausgaben für andere Zwecke? Wenn Ihnen der Verkehr so vordringlich und allein notwendig erscheint, dann könnten Sie doch diese 2,3 Millionen DM, die Sie für andere Zwecke anfordern, auf den Verkehr lenken.
Herr Kollege Conring, ich bin einigermaßen erstaunt, daß die FDP-Fraktion Anträge in Höhe von 2,3 Milliarden DM gestellt haben soll.
Die FDP-Fraktion wird mit Ihnen sofort bereit sein, eine Mehrheit zu bilden, um den Haushalt von 48,8 Milliarden DM um 2,3 Milliarden DM zu kürzen, damit wir von oben zu einer Eindämmung der Staatsausgaben kämen.
— Herr Kollege, ich glaube, wir sollten uns über diesen Punkt sehr aufmerksam unterhalten. Soll ich Ihnen sagen, wie groß die Ausgabenreste beim Verteidigungshaushalt sind? Soll ich Ihnen sagen, wie groß die Vorauszahlungen an das Ausland sind?
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8552 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 150. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 14. März 1961
EisenmannAber das gehört nicht hierher. Ich bin gern bereit, es Ihnen unmittelbar zu sagen, wenn Sie es hören wollen.
— Ich wollte Ihnen sagen: kommen Sie doch nicht mit diesem Märchen, daß das Geld für Straßenbau nicht da ist! Das glaubt Ihnen heute doch kein Mensch.Meine verehrten Damen und meine Herren, ich komme auf die mangelhafte Kapitalausstattung der Deutschen Bundesbahn zurück.
— Es hat doch keinen Sinn, daß wir uns darüber echauffieren. Tatsache ist, daß 5% der gesamten Bundesbahnerträge zur Zeit für Kreditverzinsung ausgegeben werden müssen, weil die Bundesbahn unterkapitalisiert ist. Diese Frage anzupacken und zu lösen, ist doch eine gemeinsame Aufgabe des Parlaments und der Regierung. Da gibt es ganz klare Vorstellungen auch von der Brand-Kommission. Darauf habe ich hingewiesen. Das ist die Frage, die Herr Kollege Müller-Hermann angeschnitten hat. Das ist das Problem, von dem auch Herr Dr. Bleiß gesprochen hat. Das ist das Problem, das auch uns vorgeschwebt hat: daß wir in den nächsten Jahren zu einer Kapitalaufstockung, kommen müssen, damit die Fremdkapitalisierung verringert wird.Ich darf dieses Thema verlassen, das an sich des Nachdenkens wert ist und das nicht erschöpfend behandelt werden kann, und komme zu dem neuen Thema, das noch nicht behandelt worden ist: der Seeschiffahrt in der heutigen Zeit.Meine sehr verehrten Damen und meine Herren, soweit Sie nicht aus den deutschen Küstenstädten sind, muß ich Ihnen sagen, daß die deutsche Seeschiffahrt größte Sorgen hat, nicht nur deshalb, weil wir zur Zeit nur 35 % der Güter, die wir exportieren, unter deutscher Flagge befördern können, da wir 'zur Zeit eine Flaggendiskriminierung haben, die alles andere als erfreulich ist und weit über der liegt, die wir bei anderen Ländern vorfinden, sondern weil darüber hinaus eine latente Depression auf den Frachtenmärkten vorhanden ist, immer mehr nationale Flaggen auf dem deutschen Markt auftreten und — hören Sie genau zu — heute bereits die Tankerflotten der Welt mit 40 % in die Trockenfrachten eingedrungen sind. Das heißt 40 % der Getreidetransporte werden heute mit Riesentankern durchgeführt.Das sind die Sorgen, die die deutsche Seeschiffahrt und die deutschen Reedereien haben.Wenn man darüber hinaus weiß, wie gering die Kapitalausstattung der Seeschiffahrt ist, wenn man weiß, daß zwei Drittel aller Frachteinnahmen zur Zeit der Verzinsung und Tilgung des Fremdkapitals dienen, dann muß man darüber nachdenken, was man nun tun soll, nachdem das gekommen ist, was eigentlich nicht hätte kommen sollen, nämlich die D-Mark-Aufwertung. Mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten möchte ich das vorlesen, was hier bekanntgeworden ist. Der Herr Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, Berg, hat gesagt:Ich bin vom Herrn Bundeskanzler und dem Herrn Bundeswirtschaftsminister ermächtigt, zu erklären, daß die Regierung weitere konjunkturdämpfende Maßnahmen — Aufwertung der D-Mark, Aufhebung der Umsatzsteuerrückvergütung und Importausgleichsteuer — nicht durchführt, falls die Anleihe voll gezeichnet wird. Das hat der Herr Bundeskanzler mir in die Hand versprochen und mir erneut am 13. 12. bestätigt.Nun, die D-Mark-Aufwertung ist gekommen, trotz dieses in die Hand gegebenen Versprechens, trotz der schriftlichen Zusage. Ich frage Sie, meine Damen und Herren von der Regierungspartei, welche Vorstellungen Sie und welche Vorstellungen das Wirtschafts- und das Finanzministerium — weniger in diesem Falle das Verkehrsministerium — erarbeiten möchten, um diesen Tiefschlag gegenüber der deutschen Seeschiffahrt durch entsprechende Ausgleichsmaßnahmen aufzufangen. Denn Sie wissen doch hoffentlich, wie die Dinge, da die Valuta für Frachten nicht die D-Mark ist, dort laufen. Um rund 30 % des Rohertrages ist die deutsche Seeschiffahrt zur Zeit geschädigt. Sie kann nicht auf Inlandsabschlüsse ausweichen. Ich richte an Sie und an das Wirtschafts- und das Finanzministerium — sofern dessen Vertreter hier sind — die Frage, inwieweit man diese Schädigungen durch konkrete Maßnahmen aufzufangen gedenkt und welche Schritte man unternehmen will, die zu einem Ausgleich führen können. Es handelt sich hier um effektive Verluste, die irgendwie ausgeglichen werden müssen. — Das ist einer der Punkte.Der zweite Punkt ist folgender. Die Schiffe der Welt werden größer, die deutschen Häfen werden aber nicht in dem gleichen Ausmaß entsprechend dem Anwachsen der Größen ausgebaut. Ich frage den Herrn Verkehrsminister, wie und in welchem Zeitraum man die deutschen Seehäfen so auszubauen gedenkt, daß sie den wachsenden Größenverhältnissen der Schiffe gerecht werden. Die Frage hängt zusammen mit der anderen, welche Maßnahmen man zu ergreifen gedenkt, um die Küstenhäfen der Bundesrepublik vor der doppelseitigen Konkurrenz zu schützen: Auf der einen Seite besteht die Gefahr der Ausdehnung des Umschlagvolumens der Rheinmündungshäfen, auf der anderen Seite droht der Abzug von Tonnage durch die Ostseehäfen, Rostock, Wismar usw. Unsere Seehäfen müssen ausgebaut, ihre Zufahrten vertieft, ihre Ladeeinrichtungen verbessert werden usw. — Das sind Fragen, die die Binnenländer leider nicht interessieren — das kann ich verstehen —, aber Fragen, die die deutsche Volkswirtschaft unmittelbar berühren.Diese Probleme gehen den Verkehrsausschuß an. Es geht unter anderem um die Frage, inwieweit die Mittel im ordentlichen oder im außerordentlichen Haushalt ausgewiesen sind, die notwendig sind, um die Mündungen der Elbe, Weser, Ems und Trave so zu vertiefen, daß die Leistungsfähigkeit der deutschen Seehäfen erhalten bleibt.
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Deutscher Bundestag -- 3. Wahlperiode — 150. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 14. März 1961 8553
EisenmannIn diesem Zusammenhang ein paar Worte über den Nord-Ostsee-Kanal. Ich frage den Herrn Bundesverkehrsminister, ob ihm bekannt ist, daß die rund 65 Jahre alte Schleuse am Nord-Ostsee-Kanal dringend der Erneuerung bedarf. Das gilt hinsichtlich ihres Fassungsvermögens und hinsichtlich der Klapptore, die endlich durch Schiebetore ersetzt werden müssen. Ich frage den Herrn Bundesverkehrsminister, ob ihm der mittelalterliche Zustand bekannt ist, daß das Räderwerk dort noch aus Holz ist. Sie können sich das selber einmal ansehen und werden erstaunt sein, auf welchem Stande die Technik an diesen Einrichtungen des Nord-Ostsee-Kanals ist.Eine weitere Frage, die sich aus der Notwendigkeit ergibt, den Verkehr auf dieser größten Weltwasserstraße flüssiger zu gestalten, ist, inwieweit man bereit ist, im Raume Burg eine neue Ausweiche zu bauen, die Kurven zu begradigen und darüber hinaus die Technik der Lenk- und Leitdienste so zu vervollkommnen, wie es heute möglich und notwendig ist.Zur Binnenschiffahrt! Was für die Seeschiffahrt gilt, das sie nämlich nicht auf Rosen gebettet ist, gilt auch für die Schiffahrt auf den Binnenwasserstraßen.
— Ich weiß, Herr Kollege Stecker, daß Sie diese Frage nicht berührt.
Deswegen kann ich mir auch Ihren geistvollen Zwischenruf erklären. Sicher ist, Herr Kollege Dr. Stecker, daß es notwendig ist, die Leistungsfähigkeit der Binnenwasserstraßen zu verbessern. Der Mittellandkanal, auf dem heute Schiffe bis 700 t verkehren können, muß so ausgebaut werden, daß eines Tages die Europa-Schiffe mit 1350 t darauf verkehren können. Auch ,die anderen großen Binnenwasserstraßen müssen für diese Schiffe ausgebaut werden. Sie wissen doch, wie groß heute die Konkurrenz in der Binnenschiffahrt ist. Sie wissen genau, welche binnenschiffahrtsleeren Räume wir heute noch in Deutschland haben. Es muß Ihnen doch bekannt sein, wie die Situation ist. Sie wissen, daß die Seehäfen Kiel und Lübeck auf der einen und Hamburg auf der anderen Seite keinen Zugang zum Mittellandkanal haben und wie notwendig die Planung hinsichtlich des Baues eines Nord-Süd- oder eines Küstenkanals ist, wie notwendig es ist, diese Fragen im süddeutschen Raum weiterzutreiben, um den Rhein-Main-Donau-Kanal weiterzuführen, wie notwendig es ist, in wirtschafts- und raumpolitischer Hinsicht zu prüfen, inwieweit die Lahn kanalisiert, inwieweit am Hochrhein ein Kanal gebaut werden muß oder soll. Das sind doch Fragen, die in diese Problematik der Verkehrswirtschaft unmittelbar hineingehören.
Sie gestatten eine Frage?
Bitte.
Herr Kollege, wir unterhalten uns über den Haushalt. Darf ich einmal fragen, ob Sie auch noch Ausführungen über die Finanzierung dieser Dinge machen wollen oder ob man auch hierüber nicht sprechen darf, wie Sie das vorhin ausdrückten?Eisenmanne an Sie FDP : Ich werde die Frage ) zurückgeben, Herr Kollege Dr. Stecker. Sie sind doch ein sehr kluger Mann, Sie haben doch damals den Begriff des Gemeindepfennigs geprägt. Vielleicht finden Sie jetzt den Begriff des Schiffahrtspfennigs; dann wären wir einen Schritt weiter.
Darüber hinaus wissen Sie, meine Freunde, daß noch andere Dinge auf den Binnenwasserstraßen verbessert werden müssen. Ich brauche nicht zu sprechen von der nicht richtigen Ausstattung mit Feuerlöschgeräten — ich erinnere an das Unglück bei Emmerich —, ich brauche nicht zu sprechen über die nicht genügende Ausstattung beim Schiffslenk- und -leitdienst und alle diese Dinge. Ich weiß sehr wohl, daß es einen sehr großen Teil von Damen und Herren in diesem Hause gibt, die für diese Fragen wenig Interesse zeigen. Das kann mich nicht hindern, darauf hinzuweisen, welche Probleme noch ungelöst sind.Ein Wort zum Luftverkehr, dem jüngsten Verkehr. Nachdem wir die Lufthoheit seit 1955 wieder haben, ist dieser Verkehr relativ spät und eingeengt durch die Luftverkehrsrechte in Deutschland wieder zur Ausübung zugelassen. Sie wissen, daß man sagen könnte, die Flügel der Deutschen Lufthansa seien hinsichtlich der Kapitalausstattung zu kurz gehalten. Wer sich an die Besprechungen im Haushaltsausschuß und im Verkehrsausschuß und an die Ausführungen der maßgeblichen Herren der Deutschen Lufthansa erinnert, weiß sehr wohl, wie die Dinge heute liegen, welche Notwendigkeiten der Verbesserung hier noch bestehen, welche Fragen nach der Lösung harren. Er weiß, wie notwendig es ist, zu prüfen, wie man zu einer Verbesserung der Luftverkehrsrechte kommen kann, darüber hinaus zu prüfen, wie man die Luftsicherungs- und -lenkungsmaßnahmen verbessern kann, um die Dinge entsprechend dem zunehmenden und immer schneller werdenden Verkehr vorausschauend in Ordnung zu bringen. Vielleicht hören wir über diese Fragen von den Herren noch etwas, die sich anscheinend mit diesen Dingen beschäftigt haben.Ich möchte nur noch eine Bemerkung anknüpfen. Sie ist weniger an den Herrn Verkehrsminister gerichtet, aber ich könnte mir vorstellen, daß er sich vielleicht mit den Vertretern der Deutschen Lufthansa darüber unterhalten könnte oder sollte. Man hat den Eindruck, daß die große Stadt Hamburg durch die Entwicklung des Streckennetzes nach dem Mittleren und Fernen Osten und nach Afrika zur Zeit vernachlässigt wird. Man kann von Hamburg aus nicht direkt in diese Länder kommen. Man hat doch sicher nicht die Absicht, die große Handelsstadt Hamburg von diesem kontinentalen und interkontinentalen Flugverkehr abzuschneiden. Das sind Fragen und Sorgen, über die man sich hier wird
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8554 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 150. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 14. März 1961
Eisenmannunterhalten müssen, damit die direkte Verbindung von dieser Stadt aus wiederhergestellt wird.Ich könnte mir vorstellen, daß auch die neuen dreimotorigen Strahlflugzeuge in Hamburg durchaus zugelassen werden können und daß die Landebahnen in Hamburg ihnen genügen.Ein abschließendes Wort zum Straßenverkehr. Die Kollegen Dr. Bleiß und Müller-Hermann haben hier Ausführungen gemacht, die ich im wesentlichen unterstreichen kann. Herr Kollege Müller-Hermann, Sie haben gesagt, der Bund habe Entscheidendes für die Entwicklung der Autobahnen und der Bundesstraßen getan. Man kann sagen, er hat Entscheidendes für die Entwicklung der Autobahnen getan. Für den Ausbau der Bundesstraßen ist Entscheidendes im Verhältnis zu den Mitteln, die für den Straßenbau vorhanden gewesen sind oder vorhanden gewesen wären, nicht getan worden. Ich hoffe mit Ihnen, daß es noch gelingt, demnächst bei Verabschiedung des Bundesfernstraßengesetzes die notwendigen Aufpolsterungen durchzuführen und ein zusammenhängend ausgebautes Bundesfernstraßennetz zu schaffen. Dabei erhebt sich die zweite Frage, ob es uns gelingen wird, den unteren Baulastträgern, die in diesem Fall auch dem Kollegen Stecker angeblich sehr am Herzen liegen, das Kapital an die Hand zu geben, das sie brauchen, um zu einem leistungsfähigen, zusammenhängend ausgebauten Straßennetz kommen zu können.In diesem Zusammenhang berühren uns von der FDP-Fraktion drei Probleme: Wie kommen wir zu mehr Verkehrssicherheit? Wie kommen wir zu mehr Verkehrsraum? Wie kommen wir zu einer besseren Verkehrsgesinnung? Ich sage das ausdrücklich, Herr Kollege Müller-Hermann, ohne damit irgendwie ein Plagiat auszusprechen. Wir haben Ursache, all den Organisationen zu danken, die heute schon erziehliche Arbeit leisten, um zu einer besseren Verkehrsgesinnung auf den Straßen beizutragen. Wir sind allerdings auch der Auffassung, daß bisher noch nicht genügend für die Entmischung des Verkehrs getan ist, für den Bau von Radfahrwegen, Mopedwegen. Darüber hinaus müssen die Wege für die Fußgänger so ausgebaut sein, daß man wirklich eines Tages verkehrsgerechte Straßen für alle Verkehrsteilnehmer vorfinden kann.Ein weiteres Problem, das Sie angedeutet haben, Herr Kollege, ist das Problem der Lösung der Verkehrsballungszentren, der Verkehrsverhältnisse dort, wo der Verkehr am dichtesten ist. Da muß ich sagen, verehrter Herr Verkehrsminister, wir sind nicht der Auffassung
— die FDP-Fraktion, Herr Kollege! —, daß Geschwindigkeitsbegrenzungen auf Autobahnen, auf Bundesfernstraßen ein Allheilmittel sind.
Sie sind bestimmt kein Mittel, um den mangelnden Verkehrsraum zu ersetzen.
Ich wollte nur sagen: Wenn man weiß, wie die Unfallziffern hegen, wenn man weiß, wie die Verkehrsfrequenzen im Innerortsverkehr liegen, im Straßenverkehr der Landstraßen erster und zweiter Ordnung, werden Sie mir Recht geben, daß die Geschwindigkeitsbegrenzungen auf diesen Bundesstraßen und Autobahnen kein Allheilmittel auf diesem Gebiet sind, sondern sie sind ein sehr fragwürdiges Mittel.Der Herr Bundesverkehrsminister sagt dann: Ja, schauen Sie doch einmal nach Amerika! — Wenn wir dorthin schauen, stellen wir eines fest, daß wir drüben vier-, sechs- und achtspurige kreuzungsfreie Straßen haben, daß man drüben Mindest- und Höchstgeschwindigkeiten hat. Darüber sollte man auch einmal nachdenken, daß man über die Mindestgeschwindigkeiten auf diesen Straßen zu einer Entmischung des Verkehrs kommen kann.
Eine Zwischenfrage? Eisenmann : Bitte!
Herr Kollege Eisenmann, ist Ihnen bekannt, daß durch die Geschwindigkeitsbegrenzung zwischen Mannheim und Heidelberg und Mannheim—Frankfurt die Zahl der Unfälle wesentlich reduziert worden ist?
Ist Ihnen, Herr Kollege, bekannt, daß aus mancherlei Gründen, nicht zuletzt aus verkehrserziehlichen Gründen und anderen Gründen jeder Autofahrer, .der auf diese Strecke kommt, ganz genau weiß, was dort los ist? Halten Sie es für möglich, daß die Verkehrspolizei auf allen deutschen Bundesstraßen genau so aufmerksame Kontrollen und ähnliche Überwachungsorgane einsetzen wird, wie sie dort eingesetzt sind? Wenn Sie das für möglich halten, gebe ich Ihnen Recht.
Dieses Beispiel Frankfurt—Mannheim ist nicht die Beweisführung dafür, daß die Geschwindigkeitsbegrenzungen auf Autobahnen sich als richtig erweisen müssen. Das sage ich Ihnen ganz deutlich. Ich glaube, ich stehe da mit meiner Meinung nicht allein.
— Warum soll er nicht anderer Meinung sein? Ich weiß es nicht.
Wir sind doch eine Freie Demokratische Partei.Ein Problem, das von dem Herrn Vorredner schon angesprochen worden ist, ist ,das Problem des Abbaues des Sockelbetrags. Der Sockelbetrag ist im Straßenbaufinanzierungsgesetz enthalten. Wir von der FDP-Fraktion haben letztes Jahr gesagt, das Straßenbaufinanzierungsgesetz ist ein Mindestrahmenprogramm, es ist kein Allheilmittel. Man sollte versuchen, in den nächsten Jahren Zug um Zug die
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EisenmannA) 600 Millionen DM, die als Sockelbetrag von den Straßenverkehrsabgaben zweckentfremdet werden, zweckgebunden an die Gemeinden und Städte zur Lösung ihrer Innerortsprobleme weiterzuleiten. Es muß möglich sein, über ein Verwaltungsabkommen hier eine Lösung zu treffen, die sinnvoll, konstruktiv und darüber hinaus richtig ist.Das zweite wäre in diesem Zusammenhang — Herr Kollege Müller-Hermann, wir sind da gar nicht auseinander — das Problem der Aufstellung von Generalverkehrsplänen im Sinne der Koordinierung der Maßnahmen von Bund, Ländern und Gemeinden. Ich bin für Ihren Antrag durchaus dankbar — und wir werden ihm zustimmen —, eine Enquete darüber vorzulegen, entsprechend dem Einsetzen einer Straßenkommission, um diese Dinge zu koordinieren und zu analysieren. Ich bin allerdings der Meinung, man hätte diese Frage schon etwas früher von seiten des Ministeriums anpacken können.Ich komme zum Schluß, meine verehrten Damen und Herren.
— Es tut mir leid, daß ich Sie langweile. Ich kannes nicht ändern, weil Sie dafür kein Interesse haben.
Wir haben die beiden Dinge angedeutet: die Lösung der Verkehrsprobleme in den Ballungszentreund die Lösung der Probleme in den peripheren Gebieten. Ich glaube, wenn ich vor kurzem das Protokoll richtig gelesen habe, haben auch Sie, Herr Kollege Conring, Ihr Befremden darüber zum Ausdruck gebracht, daß z. B. das Emsland nicht genügend mit Bundesstraßen ausgestattet ist. Ich glaube, daß noch einige Kollegen in diesem Hohen Hause etwas darüber sagen können, daß die peripheren Gebiete auch nicht genügend mit Mitteln ausgestattet sind. Ich möchte den Herrn Bundesverkehrsminister gern einmal fragen, warum z. B. dem Land Schleswig-Holstein nicht mehr Mittel zum Ausbau seiner Bundesfernstraßen zur Verfügung gestellt werden können, als zur Zeit vorgesehen ist. Wenn ich recht informiert bin, steht der Betrag von 88 Millionen DM, den der Bund nach Schleswig-Holstein geben will, nicht voll für das Jahr 1961 zur Verfügung. Infolge Vorgriffsmaßnahmen aus dem letzten Jahr werden etwa 30 Millionen DM weniger zur Verfügung stehen. Ich frage die Bundesregierung und den Herrn Bundesverkehrsminister, wie man diesen Fehlbetrag ausgleichen will. Sie werden mir recht geben, daß wir in Schleswig-Holstein bestimmt nicht mit zuviel Bundesfernstraßen und mit Autobahnen — davon haben wir nur 64 km — gesegnet sind.Darüber hinaus 'ist in letzter Zeit sehr viel über die sogenannte Europastraße 3, über das Problem des Baus einer Autobahn durch Schleswig-Holstein, gesprochen worden. Ich wäre froh, wenn man sich erst einmal hier im Bundesverkehrsministerium und bei der Verkehrsabteilung der Landesregierung darüber klar wäre, daß es wichtiger ist, als im Augenblick über die Autobahn nachzugrübeln, in den Schwerpunkten der Europastraße von Eiderstedt nach Quickborn mit dem vierspurigen Ausbau dieser Straße zu beginnen. Man sollte darüber hinaus darüber nachdenken, daß dort, wo Umgehungsstraßen im Rahmen der Europastraße 3 gebaut werden, diese bereits vierspurig angelegt werden sollten. Auf Grund derselben Überlegungen sollte man darüber hinaus endlich zu einem vierspurigen Ausbau der Straße mit der höchsten Verkehrsfrequenz im ganzen norddeutschen Raum, der Bundesstraße 5 zwischen Hamburg—Rehlingen—Kummerfeld, kommen können. Des weiteren — Herr Kollege Wendelborn, da sind wir sicher der gleichen Auffassung — muß man sich Gedanken darüber machen, wie man die Autobahn von Hamburg nach Lübeck wenigstens bis Travemünde und dann diese Straße auf der Bundesstraße 207 über Neustadt nach Heiligenhafen weiterführen will.Ich darf in diesem Zusammenhang noch eine Bemerkung zu dem Raum im Schwarzwald machen. Wir sind dankbar dafür, daß in aller Kürze die Autobahn nach Basel ausgebaut sein wird. Der Raum um die Bundesstraße 294 — das ist die Straße von Offenburg über Alpirsbach nach Freudenstadt — und der Raum der Bundesstraße 33 von Offenburg über Gutach—Dillingen müßte dringend vom Verkehr her anders erschlossen werden, wenn die Fremdenverkehrswirtschaft in diesem Raum nicht lahmgelegt werden soll. Wir werden auch da bitten, uns Aufklärung zu geben, welche Vorstellungen man hat, um den Ausbau dieser beiden Bundesstraßen in Verbindung mit dem Weiterbau der Schwarzwaldhochstraße in Gang bringen zu können. Das sind nur einige Beispiele von vielen. Ich weiß, daß es verschiedene Kollegen in diesem Raum gibt, die genau die gleichen Sorgen jeweils aus ihren Bezirken vortragen könnten, wo die Dinge hinsichtlich des Ausbaus von Bundesfernstraßen und von Landstraßen I. Ordnung nicht in Ordnung sind.Zusammendfassend muß ich sagen, daß der Verkehrspolitik auch in diesem Haushaltsjahr hinsichtlich der Dotierung, der Konzeption, der Rangfolge, der Beachtung der technischen und ökonomischen Fortschritte nicht die Dringlichkeit beigemessen ist, die wir gern in diesem Verkehrshaushalt haben möchten. Ich möchte sagen: die Mittel-Dotierung entspricht nicht der Dringlichkeit der hier zu lösenden Staatsaufgabe. Wir von der FDP-Fraktion werden leider unsere Zustimmung zu diesem Verkehrshaushalt nicht geben können.
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Verkehr.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Gestatten Sie mir trotz der späten Abendstunde, zumal es sich um den letzten Haushaltsvoranschlag dieser Legislaturperiode handelt, Ihnen in
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Bundesminister Dr.-Ing. Seebohmgebotener Kürze aber leider doch nicht so knapp, wie ich es gern tun möchte, einen Überblick über die Leistungen zu geben, die der 3. Bundestag und die von ihm gebildete Regierung in den letzten vier Jahren auf dem Gebiet des Verkehrs vollbracht haben, und dabei auch auf die Fragen zu antworten, die heute hier gestellt worden sind. Dabei darf ich mich zuerst für die gute Zusammenarbeit mit dem Hohen Haus und seinen beteiligten Ausschüssen auch namens meiner Mitarbeiter aufrichtig bedanken. Dieser Dank gilt besonders am heutigen Tag den beiden Herren Berichterstattern des Haushaltsausschusses, ,den verehrten Herren Kollegen Ritzel und Dr. Conring. Zugleich darf allen gedankt werden, die durch ihre Arbeit die Entwicklung des Verkehrs und die Erfüllung der ihm gestellten schwierigen Aufgaben ermöglicht haben: unseren Eisenbahnern, den Mitarbeitern in der Seeschiffahrt, im Luftverkehr, auf der Straße und auf unseren Binnenschiffen, den Straßen- und Wasserbauern und allen, die sich um die sozialen Belange der Menschen im Verkehr und um ihre Sicherheit bemühen.Die Bundesregierung hat den technischen und organisatorischen Wiederaufbau und Ausbau des Verkehrswesens stets als eine ihrer wichtigsten Aufgaben angesehen, hierfür recht erhebliche Mittel bereitgestellt und dafür gesorgt, daß der Verkehr die Anforderungen der Wirtschaft jederzeit voll erfüllt hat, und zwar auch in den Zeiten des Spitzenverkehrs im Herbst und im Frühjahr. Wegen der engen Wechselbeziehungen des Verkehrs mit allen Zweigen des wirtschaftlichen Lebens ist die Verkehrspolitik der technischen, wirtschaftlichen und sozialen Dynamik im internationalen und im nationalen Raum stets angepaßt worden. Durch gesunden Wettbewerb, der durch Angleichen der Wettbewerbsbedingungen zweckmäßige Aufgabenteilung und möglichst enge Zusammenarbeit zwischen den Verkehrsträgern angestrebt wurde, konnte erreicht werden, daß die fünf Verkehrsträger auf der Schiene, der Straße, den Flüssen und Kanälen, den Meeren und in der Luft mit möglichst geringem Kostenaufwand den größten volkswirtschaftlichen Nutzen erzielten.Da die Verkehrsträger ihre Aufgaben nur erfüllen können, wenn sie wirtschaftlich gesund und leistungsfähig sind, war die Bundesregierung besorgt, sie vor ruinösem Wettbewerb zu schützen und ihnen angemessene Beförderungsentgelte zuzubilligen.Die Deutsche Bundesbahn, künftig noch mehr als bisher ein Wirtschaftsunternehmen, das als wichtigster Verkehrsträger zwar auch in Zukunft der gemeinwirtschaftlichen Verkehrsbedienung dienen soll, dem aber Verluste aus der Erfüllung gemeinwirtschaftlicher Aufgaben abgenommen werden sollen, konnte vor unwirtschaftlichem Substanzverzehr bewahrt werden.Seeschiffahrt, Binnenschiffahrt und zivile Luftfahrt wurden gefördert, so daß sie sich der technischen Entwicklung stets anpassen konnten.In dem Bemühen, ein in allen Teilen leistungsfähiges Straßennetz zu schaffen, das sich nach und nach dem ständig wachsenden Verkehr anpaßt, sind von Jahr zu Jahr steigende Bundesmittel bereitgestellt worden, konnten langfristige Straßenbaupläne und baureife Planungen erarbeitet und gleichlaufende Bemühungen der Länder und Gemeinden gefördert werden. Das Eis ist hier gebrochen, denn die Bundesrepublik steht jetzt mit ihren Straßenbauleistungen nach den Vereinigten Staaten in der Welt an zweiter Stelle und wesentlich über den entsprechenden Leistungen der einzelnen europäischen Länder, absolut wie relativ.
Eine besondere Sorge bleibt der InnerortsVerkehr in den Städten und Gemeinden. Hier werden in gemeinsamer Arbeit in absehbarer Zeit erhebliche Fortschritte erzielt werden können, wenn verschiedene eingeleitete Maßnahmen zum Tragen kommen.
Die wichtigste Sorge der Bundesregierung aber gilt von jeher der nachhaltigen Verbesserung der Verkehrssicherheit, vor allem auf den Straßen, und hier in den Städten und Dörfern dem Schutz der nichtmotorisierten Verkehrsteilnehmer, den Fußgängern und den Radfahrern. Sie arbeitet eng mit den auf ihre Initiative hin gebildeten Organisationen der Verkehrswachten und des Kuratoriums „Wir und die Straße" zusammen.Von den gesetzlichen Grundlagen, die zur Durchführung des Programms erarbeitet wurden, erinnere ich nur an das Verkehrsfinanzgesetz 1955, das Gesetz über den Ausbauplan für die Bundesfernstraßen, das Gesetz über die Statistik von Kosten und Leistungen im Verkehr, das Straßenbaufinanzierungsgesetz 1960, das Personenbeförderungsgesetz und das Reinhaltegesetz für die Wasserstraßen. Weitere Maßnahmen werden zur Zeit durchgeführt oder sind in Vorbereitung. Das Hohe Haus wird hierfür sicher noch die notwendigen gesetzlichen Voraussetzungen schaffen und sich die erforderliche Zeit nehmen. Es liegen Ihnen noch mehrere Gesetzentwürfe vor, die zur weiteren Verbesserung des Binnenverkehrs beitragen und den marktwirtschaftlichen Prinzipien auch im Verkehrsbereich stärker als bisher Geltung verschaffen sollen.Die Verkehrspolitik der Bundesregierung ist heute weniger umstritten als in vergangenen Jahren. Das bestätigt u. a. selbst der Bundesverband der Deutschen Industrie in seiner Denkschrift Nr. 52 vom März 1960, in der folgendes ausgeführt ist:Der Verkehrspolitik seit der Gründung der Bundesrepublik ist der Wiederaufbau eines leistungsfähigen Verkehrsapparates zu verdanken, der sich gegenüber jeder konjunkturell oder saisonbedingten Spitzenbelastung als voll funktionsfähig erwiesen hat . . . In diesem Zusammenhang sollen auch die außerordentlichen Leistungen gewürdigt werden, die zum Wiederaufbau der Seeschiffahrt und eines deutschen Luftverkehrs geführt haben. Von nicht minderer Bedeutung war für die industrielle Verladerschaft der Wiederaufbau bei Bundesbahn, Binnenschiffahrt und Güterfernverkehr sowie der Verkehrswege dieser drei Verkehrsträger.
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 150. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 14. März 1961 8557
Bundesminister Dr.-Ing. SeebohmSo weit der Bundesverband der Deutschen Industrie als repräsentable Vertretung der verladenden, also dem Verkehr in einer gewissen Gegenspannung gegenüberstehenden Wirtschaft.Die gemeinsam geleistete Arbeit des letzten Jahrzehnts spiegelt sich auch in den Verkehrsleistungen wider. Eisenbahnen, Binnenschiffahrt und Güterfernverkehr mit Kraftfahrzeugen beförderten 1950 rund 350 Millionen t Güter und leisteten 73,3 Milliarden tkm. 1960 beförderten sie zusammen 614 Millionen t und leisteten 128 Milliarden tkm. Das bedeutet eine Steigerung um mehr als 60 v. H. Im Jahre 1950 waren die Eisenbahnen an den Gütermengen mit rund 246 Millionen t und an den Leistungen mit 48,7 Milliarden tkm, 1960 dagegen mit 347 Millionen t und rd. 65 Milliarden tkm, die Binnenschiffahrt 1950 mit 71,9 Millionen t und 16,8 Milliarden tkm, 1960 dagegen mit 171 Millionen t und 40 Milliarden tkm, der Güterfernverkehr mit Kraftfahrzeugen 1950 mit 32,9 Millionen t und 7,8 Milliarden tkm, dagegen 1960 sogar mit 95 Millionen t und 221/2 Milliarden tkm beteiligt.Das Güterfernverkehrsgewerbe und das Binnenschiffahrtsgewerbe sind wirtschaftlich gesund; dies kann auch von der überwiegenden Mehrzahl der Betriebe im Güternahverkehr und in der Spedition und Lagerei ausgesagt werden.Die wirtschaftliche Situation der Bundesbahn konnte auf der Grundlage der von der Bundesregierung konsequent verfolgten Verkehrspolitik und dank der Rationalisierungs- und Modernisierungsmaßnahmen der Bundesbahn selbst, die umfangreiche Investitionen erforderten, erheblich verbessert werden. Das zeigt sich besonders in der Tatsache, daß die Deutsche Bundesbahn trotz Gehalts-und Lohnerhöhungen für 1961 einen nahezu ausgeglichenen Wirtschaftsplan vorlegen kann, nachdem die Höhe des Defizits, das 1957 als Spitze 678 Millionen DM erreicht hatte, von Jahr zu Jahr abgebaut werden konnte, trotz der erheblichen Steigerung der Löhne und Gehälter, die den Mitarbeitern, verbunden mit erheblichen Arbeitszeitverkürzungen, zu unserer Freude zugute kamen.Im Personen- und Güterverkehr ist das Leistungsangebot der einzelnen Verkehrsträger im Binnenverkehr wie auch im See- und Luftverkehr seit Beginn der Tätigkeit der Bundesregierung nicht nur quantitativ, sondern auch qualitativ erheblich gestiegen. Die Deutsche Bundesbahn setzt in vermehrtem Umfang Spezialwagen, Behälter und Ladegeräte ein, die der Rationalisierung und Modernisierung des Transportes und des Güterumschlags dienen. Güterschnellzüge, auch grenzüberschreitend, verkehren heute. Für den Personenverkehr ist das Netz der schnellfahrenden Züge, der grenzüberschreitenden Trans -Europa -Expreß- und der F-Züge, wesentlich ausgebaut.Eine ähnliche Entwicklung ist auch bei allen anderen Verkehrsträgern festzustellen, die sich ebenfalls in zunehmendem Maße darum bemühen, ihr Leistungsangebot den speziellen Wünschen der Verkehrsnutzer anzupassen und die Reise- und Transportdauer immer mehr zu verkürzen. Hierzudarf als Beispiel nur auf die Entwicklung im Luft-verkehr zum Düsenflugzeug hingewiesen werden.Die Leistungen der verkehrspolitischen Arbeit der Bundesregierung im einzelnen zeigen auch folgende Tatsachen und Zahlen: In den Jahren 1949 bis 1960 sind in der gesamten deutschen Volkswirtschaft in Anlagen und Ausrüstungen — ohne Vorratshaltung — rund 450 Milliarden DM investiert worden. Davon entfallen auf den Verkehrsbereich etwa 13 v. H. aller Bruttoanlageinvestitionen, das sind rund 60 Milliarden DM. Der jährliche Investitionsbetrag im Verkehr erhöhte sich dabei von 2,3 Milliarden DM im Jahre 1949 auf über 8 Milliarden DM im Jahre 1960. Das ist eine Steigerung in zwölf Jahren auf mehr als den dreifachen Investitionsbetrag. Das kann sich selbst im Hinblick auf die dynamische Verkehrsentwicklung durchaus sehen lassen.An den Verkehrsinvestitionen war der Straßenbau mit 19,6 Milliarden DM am stärksten beteiligt. In den kommenden Jahren werden diese Investitionen sogar noch weiter erheblich steigen, denn sie werden allein auf der Bundesebene in den 4 Jahren des 2. Ausbauplanabschnittes über 12 Milliarden DM erreichen. Zusammen mit rund 6,8 Milliarden DM, die auf den gewerblichen Personen- und Güterkraftverkehr kommen, betrug der Anteil des Straßenbaus und des Straßenverkehrs bisher schon rund 44 v. H. aller Verkehrinvestitionen.Vom Bund allein wurden in den Jahren 1949 bis Ende 1960 etwa 1200 km Bundesfernstraßen neu gebaut. Bis Ende 1960 wurden 564 km neue Autobahnstrecken in Betrieb genommen, so daß sich die Zahl der Autobahnen heute auf 2673 km beläuft. Weitere 400 km Autobahnen sind zur Zeit im Bau. Davon werden bis Ende 1962 insgesamt 342 km fertiggestellt sein. Das Betriebsnetz der Bundesautobahnen wird Ende 1962 also 3015 km umfassen; das entspricht einer Steigerung der Gesamtstreckenlänge des Autobahnnetzes im Bundesgebiet seit 1955 von etwa 47 v. H.Bis zu Beginn des ersten Vierjahresplanes sind rund 5000 km Bundesstraßen den heutigen Verkehrsverhältnissen angepaßt worden, das heißt, sie wurden verbreitert, frostsicher gemacht oder mit neuen Fahrbahndecken versehen. 600 km Bundesstraßen wurden neu erstellt. Im Rahmen des ersten Vierjahresplanes werden bis Ende 1961 rund 2100 km Bundesstraßen aus- und neugebaut sein, davon 450 km Ortsumgehungen und 75 km Ortsdurchfahrten. Seit 1949 wurden an Bundesfernstraßen Brücken gebaut, deren Gesämtlänge die gewaltige Zahl von 80 km überschreitet; das sind mehr Brücken, als in Deutschland etwa zwischen 1870 und 1940 erstellt wurden.
Bei der Deutschen Bundesbahn wurden bis Ende 1960 rund 17 Milliarden DM investiert. Erfolg dieser Investitionen sind die Fortschritte in der durchgreifenden Modernisierung und Rationalisierung der ortsfesten Anlagen und des umfangreichen Fahrzeugparks. 1949 waren 1593 km Eisenbahnstrecken elektrifiziert. Ende 1960 waren es bereits 3729 km, das
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8558 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 150. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 14. März 1961
Bundesminister Dr.-Ing. Seebohmsind mehr als 12 v. H. des Gesamtnetzes der Deutschen Bundesbahn. Weitere 400 km werden bis Ende 1961 auf elektrischen Betrieb umgestellt sein. Bis Ende 1965 sollen weitere 1200 km folgen.Die Rationalisierung des Eisenbahnbetriebes zeigt sich in der zunehmenden Umstellung der Triebfahrzeuge auf elektrischen und auf Dieselantrieb. So stieg von 1950 bis 1960 die Zahl der Elektrolokomotiven von 446 auf 1010 und die Zahl der Diesellokomotiven von 147 aus 976. Diese Umstellung der Zugkraft hat dazu geführt, daß heute bereits über 20 v. H. aller Triebfahrzeugkilometer mit elektrischen und rund 20 v. H. mit Dieselfahrzeugen gefahren werden; 1950 waren es hingegen nur 9 bzw. 3 v. H.Diese Umstellung der Triebfahrzeuge und andere umfassende Rationalisierungsmaßnahmen haben bei der Deutschen Bundesbahn, die sehr arbeisintensiv ist, zu einer wesentlichen Senkung des Personaleinsatzes geführt. Im Jahre 1951 war für 100 000 geleistete Wagenachskilometer der Einsatz von 2,71 Arbeitskräften nötig, 1959 nur noch der von 2,23 Arbeitskräften.Die auch, aber nicht nur in dem Abbau der Defizite deutlich zum Ausdruck kommende Verbesserung der wirtschaftlichen Lage der Deutschen Bundesbahn bedingt infolge der personalsparenden Auswirkungen der Investitionen eine Verminderung des Personalbestandes — die erfreulicherweise ohne soziale Härten durchgeführt werden konnte — seit dem Frühjahr 1958 bei steigenden Verkehrsleistungen um rund 43 000. Hierin zeigt sich deutlich, welche überragende Bedeutung der Sicherstellung eines ausreichenden Investitionsprogramms für die Gesundung der Deutschen Bundesbahn zukommt. Die Bundesregierung begrüßt daher das von der Prüfungskommission für die Deutsche Bundesbahn vorgeschlagene Vierjahresinvestitionsprogramm in Höhe von 10,2 Milliarden DM und wird seine Durchführung nach Kräften fördern. Auch schon die bisherigen Leistungen der Deutschen Bundesbahn auf diesem Gebiet sind recht beachtlich.Allein in den Jahren 1958 bis 1960 betrugen die Bruttoinvestitionen der Deutschen Bundesbahn rund 6 Milliarden DM. Für Rationalisierungs- und Modernisierungsinvestitionen wurden in diesem Zeitraum rund 2,7 Milliarden DM aufgewendet. Seit dem Jahre 1948 sind insgesamt rund 17 Milliarden DM investiert worden. Von diesem Betrag entfallen 9,4 Milliarden DM auf Ersatzinvestitionen und 7,6 Milliarden DM auf Wiederaufbau- und Modernisierungsinvestitionen. Der Zeitwert des Anlagevermögens der Deutschen Bundesbahn ist in der gleichen Zeit von 11,5 Milliarden auf 18,4 Milliarden DM angestiegen; immerhin eine bedeutende Leistung. Um rund 7 Milliarden DM, d. h. um über 60 °/o, ist also seit der Währungsreform der Zeitwert des Anlagevermögens der Deutschen Bundesbahn gestiegen.Der seit einigen Jahren immer deutlicher sichtbar gewordene wirtschaftliche Aufschwung der Deutschen Bundesbahn ist besonders an der Entwicklung ihrer Defizite zu erkennen.Im Jahre 1961 wird zum ersten Male seit 10 Jahren dank der im Bundeshaushalt vorgesehenen Leistungen ,aus dem Sofortprogramm der Bundesregierung — dies, obwohl es nach Auffassung des verehrten Herrn Bleiß nur ein Minimalprogramm ist — und infolge von Mehreinnahmen durch gezielte Tariferhöhungen eine ausgeglichene Rechnung vorgelegt werden. Noch im Jahre 1957 hatte die Bundesbahn unter der Auswirkung der damaligen Lohn- und Gehaltserhöhungen das bis dahin größte Defizit ihrer Geschichte, nämlich 678 Millionen DM, aufzuweisen. Das Ergebnis des Jahres 1958 konnte bereits unter dem Einfluß der Tariferhöhungen vom 1. Februar 1958 trotz rückläufigen Verkehrsaufkommens um 100 Millionen DM gegenüber 1957 verbessert werden. Die Auswirkungen des im Herbst 1959 einsetzenden Konjunkturaufschwungs und die wachsenden Rationalisierungserfolge haben dazu beigetragen, daß der Jahresverlust im Jahre 1959 um weitere 220 Millionen DM auf 356 Millionen DM vermindert werden konnte. Infolge der weiteren Steigerung der Güterverkehrsleistungen und der erfolgreich fortgeführten Rationalisierungsanstrengungen wird der Jahresverlust von 1960 erheblich weniger als 100 Millionen DM betragen. Dieses Ergebnis ist besonders bemerkenswert, weil die Bundesbahn in diesem Jahr Mehraufwendungen in Höhe von rund 250 Millionen DM aus Lohn- und Gehaltserhöhungen in Kauf nehmen mußte.Um darzulegen, was hier andererseits gleichzeitig vom Bund geleistet worden ist, darf ich darauf hinweisen, daß der Bund für die Erstattung betriebsfremder Sonderlasten der Bundesbahn seit 1949 den Betrag von 3,7 Milliarden DM zugeführt hat. Die Summe, ist jährlich gesteigert worden und soll im Jahre 1961 einen Betrag von über 650 Millionen DM erreichen.
— Das sind die betriebsfremden Sonderlasten, die wir abgenommen haben. Ich habe nicht gesagt, daß es alle betriebsfremden Sonderlasten waren, die die Bundesbahn erbracht hatte. Immerhin ist eine Summe von 3,7 Milliarden DM auch kein Pappenstiel. Der Bundesbahn ist es möglich gewesen, seit 1956 die Höhe ihrer Bruttoinvestitionen auf rund 2 Milliarden DM jährlich zu halten, eine immerhin beträchtliche Summe, wenn sie auch noch um 500 Millionen DM unter jenem Betrag liegt, der nach dem Vierjahresinvestitionsprogramm als notwendig erachtet wird.Der Herr Kollege Bleiß hat erklärt, wir hätten, nachdem uns der Brand-Bericht vor etwas über einem Jahr vorgelegt wurde, ein Sofort-Minimalprogramm vorgelegt. Herr Kollege Bleiß, da uns dieser Bericht nur fünf Vierteljahre vor Abschluß der Legislaturperiode zuging, mußten wir uns selbstverständlich bemühen, daß jene Maßnahmen, die noch in dieser Legislaturperiode durchgeführt werden können, in einem Sofortprogramm ihren Niederschlag fanden. Die Bezeichnung als Sofortprogramm zeigt ja, daß damit die Programmierung des BrandBerichts, den wir für sehr wesentlich halten, keineswegs zu Ende ist; ganz im Gegenteil. Aber es ist
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 150. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 14. März 1961 8559
Bundesminister Dr.-Ing. Seebohmja vor allem ¡die Frage, ob es möglich sein wird, die im Sofortprogramm vorgesehenen Maßnahmen und insbesondere die dem Hohen Hause vorliegenden Gesetzentwürfe noch durchzubringen. Ich hoffe, verehrter Herr Dr Bleiß, Sie werden sich darauf einstellen, daß das „Minimalprogramm", das die Bundesregierung vorgelegt hat, auch noch in dieser Legislaturperiode zur Verwirklichung kommt. Wir sind uns beide darüber einig, daß die Finanzierung des Investitionsplanes, die in Aussicht gestellt worden ist, eine der wichtigsten Aufgaben ist, mit der wir uns beschäftigen müssen. Aber ich darf Sie daran erinnern, daß die Sicherung der Finanzierung für die Straßenausbaupläne drei Jahre erfordert hat. Wir werden auch hier nicht von heute auf morgen zu disponieren vermögen. Immerhin ist bereits in diesem Jahr der Bundesbahn ein Mehrbetrag von über 300 Millionen DM zum Ausgleich der durch die Sozialtarife entstandenen Ausfälle und als Zuschuß zu den Pensionen zugeführt worden.Wenn man einigermaßen gerecht ist, muß man sagen, daß mit diesem Sofortprogramm schon erhebliche Leistungen erbracht worden sind, die für die Zukunft das Beste erwarten lassen, und zwar insbesondere für eine Zukunft, von der wir annehmen, daß in ihr unsere Politik konsequent und folgerichtig fortgesetzt werden wird.Die Empfehlungen der Brand-Kommission finden bei uns — dessen können Sie sicher sein — nach wie vor größte Beachtung. Wir sind mit den Herren dieser Kommission in ständigem Kontakt. Sie wissen, daß wir vorher eine ganze Reihe ausländischer und inländischer Gutachten gehabt haben. Sie wissen, daß es bei den Gutachten nicht darum geht, daß man mit ihnen Glück hat und sie einem das bringen, was man nachher in die Tat umsetzen kann. Sollten Sie etwa der Meinung sein, daß wir uns mit den verschiedenen Gutachten für die Bundesbahn Schwierigkeiten besorgt haben, so würde ich Ihnen empfehlen, sich einmal mit dem für die Landeshauptstadt München erstatteten Gutachtenwust zu befassen. Ich habe in dieser Angelegenheit seit 1950 drei große Gutachten für München bezahlt. Dann hatte ich aber keine Lust mehr, die weiteren Gutachten, die immer wieder verlangt wurden, vom Bund für die Landeshauptstadt München bezahlen zu müssen.Wir sind uns natürlich darüber im klaren, daß wir bei der Frage der endgültigen Behandlung der betriebsfremden und gemeinwirtschaftlichen Lasten, der Kapitalausstattung und der Altpensionen noch nicht am Ende ,sind. Wir sind jedoch der Auffassung, daß die vorgelegten Gesetzentwürfe — wir hoffen, daß sie unter den gegebenen Bedingungen verabschiedet werden — uns auch auf diesem Gebiet Ausgangspositionen schaffen, von denen aus weitere gute Entwicklungen in der Zukunft möglich sind.Von 1949 bis 1960 wurden zur Instandsetzung und zum Ausbau der Bundeswasserstraßen insgesamt 1,8 Milliarden DM investiert, davon in der dritten Legislaturperiode 500 Millionen DM, von denen 180 Millionen DM auf die See- und rund 320 Millionen DM auf die Binnenwasserstraßen entfallen.Die Höhe dieser Investitionen ist gegenüber der Höhe der Investitionen bei der Eisenbahn und bei den Straßen vergleichsweise gering. Die Bundesrepublik besitzt 4350 km schiffbare Flüsse und Kanäle. Hiervon wurden bis Ende 1960 über 1400 km ausgebaut und den derzeitigen Verkehrsbedürfnissen und technischen Entwicklungen angepaßt.Die Arbeiten der Bundeswasserstraßenverwaltung haben zum Ziel: Den Anschluß der Nordseehäfen an das westdeutsche Kanalnetz und den Ausbau dieses Kanalnetzes für 2,50 m Abladetiefe herzustellen, damit möglichst sogenannte Europakähne bis zu 1350 t Ladefähigkeit verkehren können, den Ausbau der infolge des Verkehrszuwachses unzureichenden Wasserstraßen durchzuführen, die Fortsetzung des durch Staatsverträge festgelegten Ausbaus von Wasserstraßen wie Neckar, Main, Donau und Mosel zu gewährleisten und im Küstenbereich durch den Ausbau und die Vertiefung der Zufahrten zu den deutschen Seehäfen der ständigen Vergrößerung der Schiffseinheiten in der Seeschifffahrt Rechnung zu tragen und die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Häfen gegenüber ausländischen oder ostzonalen Konkurrenzhäfen zu erhalten oder zu verbessern.Daß unsere besondere Aufmerksamkeit dem Nordostseekanal, dem einzigen großen Seekanal, den wir haben, gilt, ist seit Jahren bekannt. Ich nenne an besonders umfangreichen Bauten der letzten Zeit nur den Tunnelbau bei Rendsburg, der in diesem Jahr für den Straßenverkehr abgeschlossen werden wird, so daß dann die Drehbrücke als Schiffshindernis abgebaut werden kann, ferner den Bau eines Ölhafens bei Brunsbüttelkoog gemeinsam mit dem Land Schleswig-Holstein, die Begradigung der Pojensdorfer Kurve, den Ausbau der Weichen und die Erneuerung der alten Schleusen in Holtenau und Brunsbüttelkoog, von denen der Herr Kollege Eisenmann gesprochen hat. Dafür sind bereits die entsprechenden Raten vorgesehen. Herr Kollege Eisenmann hätte das aus dem Haushalt ersehen können.
— Nein, verehrter Herr Dr. Conring. Man muß doch annehmen, daß die Herren, die hier zu dem Verkehrshaushalt sprechen, sich mindestens vorher mit den Zahlen beschäftigt haben oder doch wenigstens die einzelnen Titel nachgesehen haben, bevor sie sich hier äußern. Sie können doch nicht den Haushalt ablehnen, ohne gelesen zu haben, was dort drinsteht!Der Ausbau neuer Wasserwege ist mit der Kanalisierung der Mosel, die Ende 1963 nunmehr sicher fertiggestellt sein wird und das bedeutendste wasserbauliche Vorhaben ganz Westeuropas ist, begonnen worden. Dazu gehört auch die Aufnahme der Arbeiten zur Herstellung der Schiffahrtsstraße von Bamberg nach Nürnberg.Der Wiederaufbau der deutschen Binnenschiffsflotte, die durch Kriegs- und Nachkriegseinwirkungen auf 2,7 Mill. t zusammengeschrumpft war, konnte bis 1960 abgeschlossen werden. Seit Anfang 1949 konnte im Jahresdurchschnitt die Tragfähigkeit un-
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Bundesminister Dr.-Ing. Seebohmserer Binnenschiffsflotte um je 200 000 t erhöht werden; sie beträgt jetzt wieder insgesamt 4,84 Mill. t. Sie hat damit den Vorkriegsstand überschritten. Auch hier ist die erfolgreiche Rationalisierung in besonders starkem Maße erkennbar. Sie zeigt sich vor allem in der zunehmenden Motorisierung der Binnenschiffsflotte. Am 1. Januar 1936 betrug der Anteil der Motorschiffe nur 6,9 v. H. der Gesamttonnage, heute dagegen sind bereits 48,3 v. H. der Gesamttonnage motorisiert. Hierdurch hat sich die Umlaufgeschwindigkeit in der Binnenschiffahrt erheblich gesteigert, so daß die in der Binnenschifffahrt vorhandene Ladekapazität weit stärker gestiegen ist, als es die reinen Tonnagezahlen erkennen lassen.Die Schlepperflotte ist im wesentlichen von Dampf- auf Dieselkraft umgestellt worden. Von insgesamt 302 000 PS Schleppkraft entfallen heute 84 v. H. auf den Dieselantrieb. 1949 waren es nur 28 v. H. Auch bei der Kanalflotte, die ja unserer besonderen Würdigung bedarf, weil sie durch die Zonengrenze gehemmt ist, hat sich der Motorisierungsgrad bei einem Bestand von 832 000 t auf 50,9 v. H. gesteigert, während er 1950 bei einer halb so großen Tonnage nur 19,2 v. H. betrug.Besonders große Anstrengungen waren in der Seeschiffahrt erforderlich, um die im Kriege nahezu völlig zerstörte deutsche Handelsflotte wieder aufzubauen. Rund 7 Milliarden DM sind hier bis Ende 1960 investiert worden. Der Aufbau der deutschen Handelsflotte kann mengenmäßig als abgeschlossen angesehen werden. Wir haben den Aufbau im privatwirtschaftlichen Rahmen genau wie bei der Binnenschiffsflotte durchgeführt und uns so den good will unserer Reeder erhalten. Dies bedingt jedoch, daß dieser Wiederaufbau zwar finanziert, aber noch nicht voll durch Eigenkapitalbildung bezahlt werden konnte. Dazu war der Druck auf den Frachtenmärkten der Seeschiffahrt in den letzten Jahren zu stark. Die Seeschiffstonnage ist von 248 000 BRT im Jahre 1949 auf 4,762 Mill. BRT im Jahre 1960 angestiegen und hat damit gleichfalls den Vorkriegsstand überschritten. Wir verfügen heute über eine junge und sehr leistungsfähige Handelsflotte, deren effektive Kapazität gegenüber der Vorkriegszeit weit mehr gestiegen ist, als es dem Zuwachs an Tonnage entspricht. Auch in der Seeschiffahrt ist die Motorisierung der Tonnage stark vorangetrieben worden. Der Anteil der Dampfschiffe mit Kohlenfeuerung betrug noch am 31. Dezember 1950 53 v. H.; er ist heute auf 1 °/o zurückgegangen.Besonders bemerkenswert ist dabei die Entwicklung zum größeren Schiff, das sich in zunehmendem Maße als wirtschaftlicher erweist. Am 31. Dezember 1953 besaß die deutsche Handelsflotte nur drei Schiffe, die größer als 10 000 BRT waren. Am 31. Dezember 1960 waren es hingegen 81 Schiffe mit zusammen 1,2 Millionen BRT, also fast ein Viertel der gesamten deutschen Handelsflotte. Übergroße Schiffe in Form von Tankern oder Massengutfrachtern mit mehr als 47 000 t Tragfähigkeit weist unsere Handelsflotte allerdings überhaupt nicht auf, und Schiffe zwischen 30 000 t und 45 000 t Tragfähigkeit sind noch eine große Ausnahme.Auch in der Luftfahrt mußte ein neuer Anfang gemacht werden, denn nach dem Kriege war jeder deutsche Luftverkehr grundsätzlich verboten. Erst 1955 konnte mit dem Aufbau eines deutschen Luftfahrtunternehmens begonnen werden. Seitdem sind rund 946 Millionen DM auf diesem Gebiet investiert worden.Die Deutsche Lufthansa verfügt heute wieder über einen Flugzeugpark von 36 Maschinen, mit denen sie regelmäßig ein Streckennetz von mehr als 100 000 km zu allen wichtigen Handelsplätzen der Welt bedient. Die Entwicklung der Technik und damit der Einsatz des Fluggerätes ist seit 1955 besonders stürmisch verlaufen. Die ersten von der Lufthansa eingesetzten Flugzeuge vom Typ Convair 340 verfügten über nur 44 Sitzplätze und eine durchschnittliche Reisegeschwindigkeit von 380 km/h. Sie kamen nur über kurze Strecken zum Einsatz. Heute werden diese Strecken mit Flugzeugen vom Typ Viscount 814 D mit 58 Sitzplätzen und 540 km/h Geschwindigkeit beflogen. Auch sie werden in den nächsten Jahren durch Düsenmaschinen ersetzt werden, und zwar vom Typ Boeing 727 mit 90 Sitzplätzen und bis zu 900 km/h Reisegeschwindigkeit. Im interkontinentalen Verkehr begann die Lufthansa mit der Super-Constellation mit maximal 80 Sitzplätzen und 450 km/h Reisegeschwindigkeit. Die seit März 1960 eingesetzten Düsenmaschinen vom Typ Boeing 707 können 145 Passagiere mit einer Reisegeschwindigkeit von 900 km/h und mehr befördern.Durch die Verbesserung des Flugzeugparks konnte die Tonnenkilometerleistung je Beschäftigten bei der Lufthansa von 25 000 tkm im Jahre 1957 auf 32 000 tkm im Jahre 1960 gesteigert werden. Dadurch haben sich die Gesamtkosten je angebotenen Tonnenkilometer von 1,44 DM auf 1,15 DM verringert. Der Sitzladefaktor des Gesamtbetriebes ist von 53 % auf 60 % gestiegen, im Verkehr über den Nordatlantik hat er im vorigen Jahr im Durchschnitt sogar 67 % erreicht.Die Aufbauarbeiten im Rahmen der Lufthansa bei dem Ausbau unserer Flughäfen — Frankfurt und Köln-Bonn sind zu Absprunghäfen für den Non-stop-Flug über den Nordatlantik ausgebaut — und unsere Flugsicherung, die für Höhen über 6000 m in die supranationale Eurocontrol-Organisation hineinwächst, sind als erfolgreich zu kennzeichnen.Die Aufwertung der D-Mark hat bei den Verkehrsträgern gewisse Probleme aufgeworfen, die natürlich in erster Linie den grenzüberschreitenden Verkehr betreffen. Für den Bundesminister für Verkehr ergeben sich dadurch neue Sorgen, von denen gerade die Verkehrsträger betroffen sind, die schon früher oder noch jetzt als Sorgenkinder gelten müssen. Das sind die fast ausschließlich auf den grenzüberschreitenden Verkehr angewiesenen Verkehrsträger Seeschiffahrt, Luftfahrt und Donauschiffahrt.Aber auch bei anderen Binnenverkehrsträgern können sich einige Schwierigkeiten durch die Wettbewerbsverschiebungen ergeben, auf die alle Dienstleistungsbetriebe besonders empfindlich reagieren.
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Bundesminister Dr.-Ing. SeebohmDiese Verschiebungen zugunsten der ausländischen Wettbewerber treffen den grenzüberschreitenden Güterkraftverkehr, dessen Anteil an diesem Verkehrszweig zwar mit 5 % nicht groß ist, der aber schon jetzt unter dem Wettbewerb des Auslandes in steigendem Maß gelitten hat. Andererseits genießt er den Schutz der Kontingentierung der Fahrzeuge im bilateralen Verkehr. Für die Eisenbahn kann sich eine Erlösminderung beim grenzüberschreitenden Verkehr ergeben. Von größerer Bedeutung dürfte eine Verkehrsverlagerung der Reise- und Güterströme auf ausländische Konkurrenzstrecken werden, so z. B. von den Rheinstrecken auf die belgisch-luxemburgisch-französischen Parallelstrecken. Auch unser Ausländerfremdenverkehr wird die indirekte Preiserhöhung negativ quittieren.Bei der Binnenschiffahrt bleibt trotz der niederländischen Aufwertung eine Wettbewerbsverschiebung zugunsten der anderen Nationen, die auf unseren Wasserstraßen Schiffart betreiben, und eine Erlösminderung im grenzüberschreitenden Verkehr festzustellen, von der vor allem die Donauschifffahrt betroffen wird.Schwer getroffen ist unser ziviler Luftverkehr. Hier lauten infolge der Bindung an die IATA-Abkommen alle Entgelte — ausgenommen innerdeutsche Dienste — auf ausländische Währung, so daß die Lufthansa gezwungen war, ihre Preise sofort um 5 % herabzusetzen. Zwar entfallen so Wettbewerbsverschiebungen. Aber da die Aufwendungen überwiegend in D-Mark zu leisten sind, klafft die Schere zwischen Aufwendungen und Erlösen, die sich schon zu schließen schien, plötzlich wieder auseinander. Der sich zusätzlich ergebende Saldo wird für dieses Jahr auf 12 Millionen DM veranschlagt. Sobald er feststeht, werden im Haushalt Nachforderungen erhoben werden müssen. Bei dem vorgesehenen Plan, die Flugleistungen weiter zu entwickeln, wird dieser Aufwertungsverlust möglicherweise noch ansteigen. Dabei sind die günstigen Auswirkungen durch Ersparnis bei Investitionen im Ausland, bei Auslandskrediten und die sich daraus ergebenden Verminderungen der Abschreibungen berücksichtigt. Natürlich wird die Lufthansa sich weiter äußerst anstrengen, ihre Aufwendungen herunterzudrücken; aber das ist bei den erforderlichen Sonderabschreibungen infolge der Umstellung auf den Düsenverkehr eine überaus schwere Aufgabe. Für die Leitung und dire Mitarbeiter, die schon die ausgeglichene Ertragslage greifbar vor sich sahen, ist dieser Rückschlag natürlich schwer und wirkt sich auch für unsere Partner bei der AIR-UNION aus.Besonders schwer getroffen ist die Seeschiffahrt, die schon jetzt infolge des drückenden, durch Subventionen verschiedener Art bei manchen Wettbewerbern beeinflußten Wettbewerbs wirklich kaum noch kostendeckend betrieben werden konnte. Ihre Lage war schon vor der Aufwertung schwierig, so daß Überlegungen über zweckmäßige Maßnahmen schon seit längerer Zeit zwischen dem Reederverband und der Bundesregierung schwebten. Dabei war bei der unverschuldet schlechten, durch Jahre sich nicht bessernden Ertragslage an eine Stärkung des Eigenkapitals und einen Abbau der hohen VerSchuldung gedacht. Da die Aufwendungen zu 3/4 in D-Mark gezahlt werden, die Einnahmen aber in fremden Währungen erfolgen, ergibt sich ein Aufwertungsverlust, der durch Eigenmaßnahmen kaum vermindert und bei dieser Ertragslage nicht aufgefangen werden kann. Er ist auf jährlich 76 Millionen DM vorsichtig zu veranschlagen, so daß die beiden Außenverkehrsträger zusammen an 90 Millionen DM Verluste zu verzeichnen haben.Die Überlegungen, durch welche Maßnahmen Härten ausgeglichen werden müssen und können, sind eingeleitet. Ob Maßnahmen im Rahmen der Gewerbesteuer und der Vermögensteuer ergriffen werden können oder ob es andere Möglichkeiten gibt, wird die Überprüfung ergeben. In den anderen schiffahrttreibenden Ländern kennt man Belastungen, wie sie Gewerbesteuer und Vermögensteuer für unsere Reeder bedeuten, nicht. Hier anzusetzen würde zugleich die bestehenden Wettbewerbsverzerrungen mindern. Ich bin der Ansicht, daß die hier aufgezeigte Entwicklung den Anstoß geben sollte, die Gesamtlage unserer Seeschiffahrt endgültig zu bereinigen und dabei besonders der mittleren und kleinen Reedereien zu gedenken, die am einschneidendsten betroffen sind. Hier muß aber schnell gehandelt werden.Lassen Sie mich zum Schluß auf die Frage der Verkehrssicherheit auf Straßen zurückkommen. Uns alle erfüllt dieses Problem nach wie vor mit sehr großer Sorge. Im Jahre 1960 starben über 14 000 Menschen den Unfalltod, — eine erschreckend hohe Zahl, die der Bevölkerung einer Stadt wie Bad Pyrmont oder Freudenstadt entspricht. 436 100 Menschen wurden verletzt, zu einem hohen Prozentsatz so schwer, daß sie teil- oder gar vollinvalid geworden sind. Das entspricht der Bevölkerungszahl von Nürnberg. Die Verluste der Volkswirtschaft, die durch Unfälle im Straßenverkehr entstehen, gehen in die Milliarden. Damit sind leider neue, vor wenigen Jahren noch für unmöglich gehaltene Höchstzahlen ,erreicht. Zwar ist vieles auf dem Gebiet der Unfallbekämpfung geschehen. Es ist auch zu bedenken, daß trotz wesentlich größerer Verkehrsdichte — denn der Kraftfahrzeugbestand ist in den letzten vier Jahren um 39 % gestiegen — die Zahl der Todesopfer um 6,5 %, die der Verletzten um 18,3 % höher liegt, das also die Zunahme der Unfallopfer erheblich geringer war als die Verdichtung des motorisierten Verkehrs.Blicken wir auf die letzten zehn Jahre zurück, so zeigt sich, daß sich die Zahl der Motorfahrzeuge mehr als verfünffacht, dagegen die Zahl der Verletzten verdreifacht und die der Getöteten verdoppelt hat. Das ist ein Vergleich, der beweist, daß wir immerhin nicht untätig gewesen sind.Angesichts der Höhe der absoluten Zahlen wird jede Bundesregierung — das versteht sich von selbst — weiterhin alles nur Denkbare tun und sich von eigensüchtiger Kritik Dritter nicht beeinflussen lassen. Die Unfallbekämpfung ist eine Aufgabe aller. Sie 'darf nicht parteipolitisch ausgewertet werden. Beispiel für einen Erfolg ist die Geschwindigkeits-
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Bundesminister Dr.-Ing. Seebohmbegrenzung ein sehr wirksames Mittel in diesem Kampf, Herr Kollege Eisenmann. 1957 für den Ortsverkehr eingeführt, hat sie die Zahl der tödlichen Opfer innerorts im Zeitraum vom September 1957 bis August 1958 gegenüber der vorangegangenen Jahresspanne um 30 % vermindert. Wenn auch inzwischen die Zahl der Opfer mit zunehmendem Verkehr wieder angestiegen ist, so wirkt diese sich innerhalb geschlossener Ortschaften doch bis zum heutigen Tag segensreich aus. Es ist zweifellos ein wirklich beachtlicher Erfolg dieser Maßnahme, daß von 1957 bis 1960 bisher mindestens 8000, wahrscheinlich 10 000 Personen durch ,die Geschwindigkeitsbegrenzung in den Ortschaften vor dem Verkehrstod bewahrt blieben, Das ist ein besserer Beweis als irgendeine andere Angabe.
Dabei ist interessant, daß die Erfolge in Großstädten günstiger sind als in kleineren Städten und außerorts. Setzt man die Zahl der Getöteten für das Jahr vor dem Einführen der Geschwindigkeitsbegrenzung gleich 100, so betrug die entsprechende Kennzahl im Zeitabschnitt 1959/60 in Großstädten über 500 000 Einwohner 86, in mittleren Städten und Ortschaften 92, aber außerorts 120.Ich hätte gewünscht, daß diese Zahlen bei der Verkehrstagung der Sozialdemokratischen Partei in Stuttgart zur Verfügung gestanden hätten. Dann hätte man nämlich nicht einen so großen Wert auf die Großstädte gelegt. Wir haben bewußt im Bundesfernstraßengesetz gerade die mittleren Städte besonders herangezogen, um ihnen stärker und gründlicher zu helfen. Die Zahlen zeigen, daß das notwendig ist.Diese Feststellungen verdienen besonderes Interesse im Hinblick auf die neue Diskussion über die Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit von Geschwindigkeitsbegrenzungen außerhalb geschlossener Ortschaften. Als es seinerzeit um die Einführung von Geschwindigkeitsbegrenzungen innerhalb geschlossener Ortschaften ging, wurde behauptet, und zwar von der Fülle der Experten, diese Maßnahme sei ein völlig untaugliches Mittel zur Verbesserung der Unfallsituation. Wir haben aber recht behalten. Es ist allerdings nicht beabsichtigt, außerorts tätig zu werden, solange nicht sorgfältige Versuche und Erfahrungen auch auf internationaler Ebene gezeigt haben, daß die Geschwindigkeitsbegrenzung außerorts sich positiv auf die Unfallentwicklung auswirken kann. Damit beschäftigt sich auch die Europäische Verkehrsministerkonferenz. Sollten diese Erfahrungen günstig sein, so sind wir im wohlverstandenen Interesse der Verkehrsteilnehmer verpflichtet, die notwendigen Folgerungen aus diesen Erkenntnissen zu ziehen, um dadurch Menschenleben zu retten und zu erhalten.In der Frage der Autobahn-Kurzstrecke Frankfurt —Mannheim habe ich neulich schon darauf hingewiesen, daß die Zahlen immer noch lebhaft dafür sprechen, daß sich die Geschwindigkeitsbegrenzung sehr gut bewährt hat. Denn auch heute noch ist dort die Zahl sowohl der Toten als auch der Verletzten erheblich niedriger, als sie in dem Jahr vor Einführung der Geschwindigkeitsbegrenzung war. Es ist auch eine merkwürdige Argumentation, wenn man in der Öffentlichkeit sagt, mit dem Beginn bestimmter Baumaßnahmen sei die Gefährlichkeit dieser Strecke gesunken. Mit dem Beginn dieser Baumaßnahmen wurde die Geschwindigkeitsbegrenzung eingeführt, und Baumaßnahmen können sich ja erst auswirken, wenn sie abgeschlossen sind, und nicht schon, wenn man sie soeben begonnen hat.Die Bundesregierung war und ist ständig bemüht. auf dem Gebiet der Verkehrssicherheit mit der Entwicklung Schritt zu halten. Dazu soll auch das dem Hohen Hause vorliegende zweite Gesetz zur Sicherung des Straßenverkehrs beitragen, das hoffentlich noch in dieser Legislaturperiode verabschiedet werden kann. Die Erfolge, die in Osterreich auf gleichem Wege erzielt wurden, lassen einen Erfolg für die Verbesserung der Sicherheit des Straßenverkehrs durch das Gesetz erhoffen.Aber gesetzliche Maßnahmen allein reichen nicht aus, die Unfallsituation im Straßenverkehr zu verbessern. Neben dem Straßenbau und der Kraftfahrzeugtechnik, die beide noch erheblich zu verbessern sind, vor allem auch durch den Einsatz der Sicherheitsgurte in den Kraftfahrzeugen, ist besonders das Verhalten der Menschen selbst im Verkehr von entscheidender Bedeutung. Die Erziehung der Menschen zum richtigen Verhalten im Straßenverkehr ist ein wichtiges Anliegen der Bundesregierung.
In jahrelanger mühevoller Kleinarbeit konnten wichtige Bundesgenossen für diese Arbeit gewonnen werden, so die Verkehrswachten und das Kuratorium „Wir und die Straße", in dem Wirtschaft und Behörden eng zusammenarbeiten. Damit wird ein rationeller Einsatz der vom Staat und der Wirtschaft zur Verfügung gestellten finanziellen Mittel gewährleistet. Auf dem Gebiet der Unfallursachenforschung wurden früher jährlich 40 000 DM ausgegeben; heute stellen Staat und Wirtschaft dafür 400 000 DM jährlich sinnvoll zur Verfügung.Kirche und Schule beteiligen sich dankenswerterweise in zunehmendem Maße an der Verkehrserziehung.
— Ja. Es war nicht einfach, die Schulen für diese Arbeit zu gewinnen. Ich bin, gnädige Frau, der Meinung, daß gerade die Tätigkeit der Frauen in den Verkehrswachten entscheidend dazu beigetragen hat, daß wir mit unseren Bemühungen in die kirchliche und die schulische Arbeit eindringen konnten.
Heute sind wir so weit, daß in allen deutschen Ländern die Verkehrserziehung als Unterrichtsprinzip für Volks- und Mittelschulen anerkannt ist. In allen Ländern sind Pläne für den Verkehrsunterricht aufgestellt, nach denen er erteilt wird. Eine bestimmte Anzahl von Unterrichtsstunden im Monat ist für den Verkehrsunterricht vorgesehen. Auch
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Bundesminister Dr.-Ing. Seebohm diese Tatsache hätte, glaube ich, ruhig in Stuttgart bei der Verkehrstagung der Sozialdemokratischen Partei Erwähnung finden dürfen; denn hier ist in den letzten Jahren wirklich Entscheidendes geleistet worden.
Wir sind noch nicht so weit, daß der Verkehrsunterricht als „benotetes" Unterrichtsfach anerkannt wird und daß alle Volksschüler am Ende einen Schein über eine Radfahrerausbildung erhalten.
— Nein, das kommt noch.Um die schulische Arbeit zu aktivieren, sind im vergangenen Jahr Mittel für 500 Verkehrsunterrichtszimmer für größere, zentral gelegene Schulen bereitgestellt worden. In diesem Jahr werden Mittel für weitere 1000 vereinfachte Verkehrsunterrichtsausstattungen für kleinere Schulen hergegeben. Mit Hilfe einer Mineralölfirma und mit Bundeszuschüssen sind in 100 Schulen des Bundesgebietes Verkehrsgärten eingerichtet worden. 125 Verkehrskindergärten, Zehntausende von Schülerlotsen und nicht zuletzt die dankenswerte Mitarbeit der Polizei helfen bei der Verkehrserziehung der Kinder.Der Verkehrsunterricht ist durchgesetzt, jetzt gilt es, ihn weiter auszubauen und auch auf die höheren Schulen und Berufsschulen auszudehnen, eine Forderung, von der wir nicht abgehen werden. Die Verkehrserziehung muß sich aber auch der Erwachsenen, vor allem der alten Menschen annehmen. Der Anteil der Menschen über 60 Jahre an den Verkehrsunfalltoten unter den Fußgängern ist erschreckend hoch. Erfreulicherweise setzt sich der Gedanke, Verkehrsunterricht durch die Polizei in den Altersheimen abzuhalten, mehr und mehr durch.Ich komme nun noch zu bestimmten Antworten auf Bemerkungen, die der verehrte Herr Kollege Bleiß zu Fragen des Straßenbaus allgemein und des innerstädtischen Straßenausbaus gemacht hat. Darf ich zunächst auf folgendes aufmerksam machen: Wenn er sagt, daß nicht alle Mittel, die zweckgebunden eingenommen werden, dem Straßenbau zugeführt werden, so befindet er sich dabei in einem Irrtum. Wir haben allein im Jahre 1960 einen Vorgriff in Höhe von 110 Millionen DM vorgenommen, und wir hatten aus dem Jahre 1959 sogenannte Sternchenmaßnahmen in etwa gleicher Höhe bedient, die wir natürlich nachher ausgleichen mußten. Diese 250 Millionen DM wären also praktisch durch die Vorgriffe schon annähernd gedeckt. Der verehrte Herr Kollege Bleiß weiß ja auch, daß der Vierjahresplan weiterläuft, daß weiter zulaufende Mittel nach dem Gesetz selbstverständlich dem Straßenbau zukommen, ferner daß wir keineswegs genötigt sind, dafür das Hohe Haus in Anspruch zu nehmen, weil wir nach dem Straßenbauplan ohne weiteres weiterarbeiten können.Wir sind durchaus der Meinung der Herren, die hier gesprochen haben, daß der Sockelbetrag, wenn ihn der Herr Bundesminister der Finanzen nicht mehr benötigen sollte, in dem Maße für den Straßenbau dargeboten werden soll, in dem er vom Straßenverkehr aufgebracht wird. Das kann in den nächsten Jahren langsam, nach und nach erfolgen, und das ist ja auch wiederholt besprochen worden.Der verehrte Herr Kollege Bleiß hat die Frage des Gemeindepfennigs angesprochen. Es ist ihm klar, daß diese Frage erst im Frühjahr 1960 durch das Straßenbaufinanzierungsgesetz aufgeworfen worden ist und daß damals der Bundestag gewünscht hat, daß ein Abkommen mit den Ländern geschlossen werde, das auch für die Aufstufung gilt. Die Länder sollen sich nämlich in diesem Abkommen bereit finden, die Mittel, die aus der Aufstufung und auch in anderer Weise zu ihrer Entlastung dienen, an die kommunale Ebene weiterzugeben, .und sie sollten sich dazu durch Unterschrift verpflichten. Ich darf dem Hohen Hause berichten, daß die meisten Länder dazu bereit sind. Zwei Länder sind bisher nicht dazu bereit, eines ganz widerstrebend und eines dreiviertel widerstrebend, sie heißen Hessen und Niedersachsen.
Ich darf den Herrn Kollegen Bleiß bitten, sich bei den dortigen Regierungen einmal um die Sache zu bemühen. Ich wäre ihm für diese Unterstützung sehr dankbar.Beim Gemeindepfennig ist es so gewesen, daß wir die Richtlinien herausgegeben haben, die Länder aber haben diese Richtlinien nicht nach unten weitergegeben.
Das Land Niedersachsen z. B. hat diese Richtlinien erst Ende Dezember letzten Jahres weitergegeben, so daß jetzt erst die Anträge für den Gemeindepfennig eingehen konnten.
So geht es in anderen Ländern auch. Ich will meine bayrischen Freunde nur ansehen, aber ich will ja nichts Besonderes sagen, weil ich weiß, daß sie mir dabei helfen werden, daß in Bayern die Dinge vernünftig laufen.Ich darf bemerken — weil der Herr Kollege Bleiß danach gefragt hat —, daß die Aufstufung der Landstraßen erster Ordnung im besten Laufen ist. Wir haben per 1. Januar 1961 2100 km in diesem Aufstufungssystem, die wir auch übernehmen wollen, abhängig von der Unterschrift unter die berühmten Verträge. Für 1. Januar 1962 sind bereits weitere 2000 km festgelegt, so daß innerhalb des ersten Vierjahresplans 4100 km von insgesamt 10 000 im Ausbauplan vorgesehenen Kilometern aufgestuft sein werden. Eine Nachlässigkeit kann uns also hier keineswegs zum Vorwurf gemacht werden.Und nun kommen wir zu dem berühmten Problem der Großstädte. Ich hätte gewünscht, daß der verehrte Herr Kollege Bleiß eine Bemerkung des Kanzlerkandidaten seiner Partei aus Stuttgart aufgenommen hätte; denn Herr Willy Brandt hat damals wohl
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Bundesminister Dr. -Ing. Seebohmgesagt, er wisse, daß eine Grundgesetzänderung erforderlich sei, um diese Probleme zu lösen, und daß diese Grundgesetzänderung — darin war er allerdings für einen Länderchef von einem ungewöhnlichen Optimismus erfüllt — sich auch durchführen lasse.
Nun, meine sehr verehrten Damen und Herren, wie ist die Lage? Der Bund hat auf dem Nahverkehrsgebiet auch bezüglich der Nahverkehrsunternehmungen, die der verehrte Herr Kollege Bleiß angesprochen hat, zwar gesetzgebende Funktionen: nach dem Grundgesetz ist aber die Verwaltung und damit natürlich auch die Finanzverantwortung vollständig den Ländern übertragen. Ergo ist es weiter gar nicht verwunderlich, wenn der Bundesminister für Verkehr den Herren Oberbürgermeistern der Großstädte sagt: Warum habt ihr denn nicht mit Euren Länderregierungen gesprochen? Und warum ist in Stuttgart das Wort „Länderregierungen" nicht mit dem gebührenden Nachdruck genannt worden, auch von dem Regierungschef eines Landes nicht, der zu diesen Fragen Stellung genommen hat?
Ich möchte darauf hinweisen, daß wir beim Bund in diesen Fragen keineswegs etwa engherzig gewesen sind. Ich habe neulich den Besuch des verehrten Herrn Oberbürgermeisters von München, Vogel, gehabt, und ich habe ihm 20 Minuten lang anhand einer Aktenzusammenstellung vorgelesen, welche Bemühungen die Bundesregierung und der Bundes minister für Verkehr seit 1950 unternommen haben, um die Verkehrsverhältnisse in München zu verbessern, daß nach der Sternenzeit, die zuerst dort aufschien — „Sternenzeit" nach dem Plan des berühmten Professors Höck, der jetzt Istanbul in vorzüglicher Weise durcharbeitet —, eine Zeit der Ringe kam und daß dann so viele weitere Verkehrsgutachten angebracht wurden, daß nur noch eine Zeit völligen Wirrwarrs anbrechen konnte. Wir hoffen aber jetzt, daß wir aus diesem Wirrwarr herauskommen werden.Es ist auch keineswegs so, daß der Bundesminister für Verkehr mit den Großstädten nicht gesprochen und sie nicht unterstützt habe. Ich darf Sie z. B. an Hannover erinnern, wo man im allgemeinen nicht erkennt, daß die Tangenten zu etwa 40% vom Bund bezahlt sind,
nämlich soweit sie anbaufreie Straßen sind.
Ich wünschte, daß er sich z. B. mit seinem verehrten Parteifreund, dem Herrn Oberbürgermeister Urschlechter in Nürnberg unterhalten möge, um zu erfahren, daß es der Bundesminister für Verkehr niemals abgelehnt hat, mit seinen Mitarbeitern in eine Großstadt zu kommen, um ihre Verkehrsprobleme mit den Herren eindringlich tagelang zu besprechen und mit ihnen Mittel und Wege zu überlegen, wie man diesen Problemen zu Leibe gehen kann, allerdings, meine sehr verehrten Damen und Herren, unter Beachtung des Grundgesetzes! Denn darauf ist der Bundesminister für Verkehr vereidigt, und die Bundesregierung ist nicht dazu da, das Grundgesetz, das sie schützen soll, ständig zu ändern,
sondern sie soll abwarten, bis die Verhältnisse es unausweichlich verlangen.
— Nun seien Sie man ganz zufrieden! Die Bundesregierung ist. nicht dazu da, am Grundgesetz Änderungen — die natürlich im Hohen Hause und im Bundesrat beschlossen werden müssen — vorzunehmen, sondern sie ist in erster Linie dazu da, das Grundgesetz zu beachten. Dabei möchte ich Ihnen eines sagen: bei der Beachtung der grundgesetzlichen Regeln für Gesetze, die erlassen werden, kommen Irrtümer nicht nur beim Bund vor. Ich darf Sie daran erinnern, daß die niedersächsische Landesregierung am nächsten Sonntag mit dem dritten Landeswahlgesetz wählen läßt, weil zwei verfassungswidrig waren. Bitte, also auch dort geschieht so etwas.
— So einfach wollen wir uns die Sache nicht machen, Herr Schmitt-Vockenhausen; Irren ist menschlich.
Haben Sie doch so viel Nachsicht und Einsicht mit Fehlern, die hier gemacht werden, wie wir sie mit dem verehrten Herrn Kopf und dem verehrten Herrn Bennemann in Niedersachsen haben. Ich habe dort noch keine Wahlversammlung abgehalten, wo ich ihnen diese Fehler bei ihren Wahlgesetzen vorgehalten hätte.
— Ja natürlich!
— Das Fernsehen habe ich ja nicht gemacht, Herr Mommer!Da der verehrte Herr Kollege Schmitt-Vockenhausen noch nicht das Wort hat, möchte ich zum Fernsehen nur sagen: ich sehe leider oft die Fernsehdarbietungen und muß Ihnen sagen: Ich bin wohl der Meinung, daß sie etwas mit Zivilisation, aber nur selten der Meinung, daß sie etwas mit Kultur zu tun haben.
Der Herr Abgeordnete Schmitt-Vockenhausen will eine Frage stellen.
Bitte!
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Herr Minister,
was die Aufhebung von Kommunalwahlgesetzen betrifft, so haben Sie die Panne der Regierung von Nordrhein-Westfalen ganz vergessen. Darf ich die wenigstens noch in Ihre Erinnerung zurückrufen?
Herr Schmitt-Vockenhausen, immerhin hat sich die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen nur einmal geirrt, die Landesregierung von Niedersachsen dagegen wiederholt. Aber wir wollen diese Dinge nicht weiter vertiefen.
Ich möchte zu den Anfragen nur folgendes bemerken: Die Bundesregierung und der Bundesminister für Verkehr sind in der Behandlung der Angelegenheiten des Straßenausbaus auch für Großstädte großzügig gewesen.
Sie haben sich auf den Standpunkt gestellt, daß dort, wo ein Sachzusammenhang besteht, auch eine Bundeshilfe geleistet werden kann.
Die Bundeshilfe betrug zunächst nur ein Drittel der nackten Baukosten. Sie ist in den letzten Jahren auf 50 % der nackten Baukosten gesteigert worden. Sie ist darüber hinaus für jene Städte, die in einer schwierigen Finanzlage sind, weiter gesteigert worden, weil wir ein Drittel der Freimachungs- und Grunderwerbskosten übernehmen können. Das sind
sehr erhebliche Beträge. Es ist natürlich klar, daß man dabei nicht unbedingt daran denken kann, daß dazu auch die Verlegung von Straßenbahnen unter die Erde oder in eine zweite Ebene gehört. Dieses Problem muß ebenso wie das des ruhenden Verkehrs anders gelöst werden.
Ich möchte aber doch noch auf eines hinweisen: Wir haben im zweiten Vierjahresplan für die Unterstützung der Großstädte — die Kosten für die Städte bis zu 50 000 Einwohnern übernehmen wir dann hoffentlich voll —, soweit ihre Straßen im Sachzusammenhang mit dem Bundesstraßennetz stehen, eine Milliarde DM vorgesehen.
Im vorigen Jahr hatten wir 105 Millionen DM vorgesehen, später sollen es 250 Millionen DM sein. Wir haben 1960 Planungen über 70 Millionen DM eingereicht bekommen und bewilligt, abgerufen aber haben die Städte nur 48 Millionen DM. Auch das muß man dazu wirklich einmal sagen.
Der verehrte Herr Kollege Bleiß ist dann auch noch außerhalb der Ortschaften gewandelt, und zwar auf den ihm naheliegenden Straßen seines Heimatgebietes. Lieber Herr Bleiß, Sie haben ja, wie ich mich erinnere, beim Straßenausbauplangesetz mitgewirkt, und Sie kennen die Karten, die dabei Gesetzeskraft erlangt haben. Darf ich Sie fragen, ob ihnen aufgefallen ist, daß die von Ihnen zitierten Strecken der Bundestraße 65 nicht zum Blauen Netz gehören? Es wäre mir interessanter gewesen, Sie hätten mir Fälle aus dem Blauen Netz angegeben. Trotzdem sage ich Ihnen, daß wir im zweiten Vierjahresplan auf Grund der Erkenntnis, daß diese nicht im Blauen Netz aufgenommenen Straßen nicht in ihrem Ausbauzustand zurückbleiben können, auch für sie einen wesentlich höheren Betrag im zweiten Vierjahresplan veranschlagt haben. Man sollte sich bei diesen Fragen dochimmer am wirklichen Stand der Dinge orientieren.
Auch die Schwarzwald-Hochstraße, die hier vorhin erwähnt wurde, ist ja keine Bundesstraße, sondern eine Landesstraße. Sie wird erst eine Bundesstraße, wenn das Land Baden-Württemberg sie uns im Rahmen der Aufstufungsaktion überträgt. Das soll aber erst später einmal erfolgen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich glaube, ich habe damit auf die verschiedenen Fragen, die hier gestellt worden sind, hinreichend geantwortet, und ich darf Ihnen sehr dafür danken, daß Sie mich so lange und freundlich angehört haben.
Vizepräsident Dr. Dehler: Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Bleiß.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Minister Seebohm hat eine sehr lange, eine sehr schnelle und zweifellos gut vorbereitete Rede gehalten.
Es ist mir nicht möglich, sofort auf die vielen angeschnittenen Fragen zu antworten. Herr Bundesverkehrsminister, ich werde mir erlauben, darauf zurückzukommen, wenn wir über das Bundesfernstraßengesetz sprechen. Ich werde in der Zwischenzeit Ihre Rede etwas genauer studieren.Ich möchte aber noch einige Punkte richtigstellen. Wenn Sie, Herr Bundesverkehrsminister, zitieren, muß man immer vorsichtig sein. Deswegen will ich den Herrn Regierenden Bürgermeister Brandt noch einmal so zitieren, wie es wirklich gesagt wurde. Ich würde Sie darum bitten, auch davon Kenntnis zu nehmen. Ich darf mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten zitieren:Ich stimme sinngemäß völlig mit dem überein, was hier in der kurzen Aussprache gesagt worden ist. Wir müssen das Grundgesetz respektieren, wir wollen es respektieren, wir stehen auf seinem Boden. Wir haben es mit-geschaffen. Das Grundgesetz hindert aber niemand daran, sich zusammenzusetzen, unbeschadet der Kompetenzregelungen, die getroffen sind. Das Grundgesetz hindert uns nicht am Reden darüber, wie wir die Dinge vernünftig anpacken und die den Aufgaben gemäßen gesetzlichen und finanziellen Regelungen entwickeln.
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8566 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 150. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 14. März 1961
Dr. BleißGerade darauf kommt es uns an: Sind Sie bereit, über eine Umverteilung der Steuern zwischen Bund und Ländern zu reden? Das ist die Grundsatzfrage. Immer dann, wenn wir Vorschläge für eine gerechtere Verteilung der Steuern gemacht haben, sind wir auf Ihre Ablehnung gestoßen.Herr Bundesverkehrsminister, Sie haben hier sehr viel von den Bundesfernstraßen gesprochen. Mitunter ist es ganz nützlich, sich die Größenordnungen ins Gedächtnis zurückzurufen. Von den 360 000 km Straßen sind nur etwa 27 500 in der Obhut des Bundes. Die übrigen etwa 332 500 km Straßen unterliegen letzten Endes der Obhut der Länder, die ja schließlich und endlich auch für die Gemeinden verantwortlich sind. Man sollte sich diese Größenordnungen vor Augen halten. Die Länder, auf die Sie immer wieder anspielen, geben ihre spezifischen Verkehrssteuern für den Straßenbau aus. Der Bund zweckentfremdet pro Jahr 600 Millionen DM. Wären Sie bereit, diese 600 Millionen DM echte Verkehrsabgaben den Ländern und Gemeinden zur Verfügung zu stellen? Darüber werden wir beim Bundesfernstraßengesetz sprechen, und ich glaube, dann müssen Sie Farbe bekennen.
Herr Bundesverkehrsminister, ich glaube, man kann solche Todeskurven und Gefahrenstellen nicht mit dem Hinweis abtun, daß sie nicht in dem Blauen Plan stünden. Wenn es darauf ankommt, Menschen- und Autofallen zu beseitigen, haben Sie auch die Möglichkeit, zu helfen. Wir wären jederzeit in der Lage, eine gewisse Umstufung vorzunehmen, um die Verkehrsgefährdung zu beseitigen. Ich glaube, das war ein sehr schlechtes Argument von Ihnen. Sie haben hier Niedersachsen und Hessen genannt. Ich bin der Meinung, man sollte nicht jemand beschuldigen, der sich nicht verteidigen kann. Aber ich werde bis zur Beratung des Bundesfernstraßengesetzes Gelegenheit haben, mit diesen Ländern Fühlung zu nehmen und Ihre Angaben zu prüfen.Wir haben leider feststellen müssen, daß unsere Sorgen wegen einer ausreichenden Hilfe für die Gemeinden nicht zerstreut worden sind. Diese Sorgen bestehen weiter. Man kann nur dann wirksam helfen, wenn die volle Zweckbindung aller Verkehrsteuern endlich erreicht ist.Ich habe mich aber besonders zum Wort gemeldet, um auf einige Bemerkungen von Herrn Müller-Hermann kurz zurückzukommen, die nicht unwidersprochen bleiben können.
— Darf ich bitten, zuerst zu diesen Bemerkungen Stellung nehmen zu dürfen. Ich bin nachher gerne bereit, auf Ihre Frage zu antworten.Herr Kollege Müller-Hermann, ich möchte zunächst noch einmal im Interesse einer guten Zusammenarbeit auch im Ausschuß den Vorwurf zurückweisen, daß Ihre Entschließung nicht berücksichtigt worden sei. Nach der Geschäftsordnung habenSie jederzeit die Möglichkeit, eine Änderung der Tagesordnung, die vom Vorsitzenden vorgeschlagen wird, vorzunehmen. Ich darf Sie daran erinnern, daß Sie von diesem Recht Ihrer Mehrheit sehr häufig Gebrauch gemacht haben. Ich darf Sie daran erinnern, daß wir zusammen mit Ihnen einen Dringlichkeitskatalog aufgestellt haben, in dem das Procedere mit Ihrer Mehrheit festgelegt worden ist. Darf ich Sie weiter daran erinnern, daß Sie eine Reihe von vordringlichen Beratungsgegenständen hatten, daß Sie unter anderem damals den größten Wert darauf legten, ohne jeden Zeitverzug das Personenbeförderungsgesetz auf die Tagesordnung zu setzen und zu behandeln. Ich darf Sie daran erinnern, daß nicht etwa von Ihnen, sondern auf meinen Vorschlag die Beratung des Entschließungsantrages auf die Tagesordnung gesetzt wurde und daß Sie den Antrag auf Absetzung gestellt haben.
Wollen Sie diese Sache wirklich noch vertiefen?
Sehr geehrter Herr Kollege Dr. Bleiß, wollen Sie bestreiten, daß nach Überweisung des Entschließungsantrages von mir in ein oder zwei Sitzungen der Antrag gestellt worden ist, die Entschließung zu beraten, und diesem Wunsche nicht entsprochen worden ist?
Zum zweiten: Wenn Sie die Angelegenheit für so dringlich halten wie wir, warum haben Sie dann nicht als Ausschußvorsitzender von sich aus den Punkt auf die Tagesordnung gesetzt?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Es hat ja keinen Sinn, daß wir immer hin- und herstreiten. Ich darf noch einmal ausdrücklich feststellen, daß derartige Anträge von Ihnen nicht gestellt worden isind. Das ergibt sich aus dem Protokoll. Dafür haben wir Ausschußprotokolle. Ich darf nochmals feststellen, daß diese Beratung von mir angeregt und von Ihnen von der Tagesordnung wieder abgesetzt worden ist.
— Zweifellos! Wir werden das feststellen, Herr Kollege Müller-Hermann. Wir werden uns darüber unterhalten.Ich darf ein Weiteres zu den Beratungen im Ausschuß sagen. Herr Kollege Müller-Hermann, es war Ihnen leider nicht immer möglich, bei den Beratungen teilzunehmen. Sie konnten häufig nur sporadisch da sein. Aber auch bei Ihren sporadischen Aufenthalten im Ausschuß haben Sie sich sicher davon überzeugen können, daß ein erhebliches Pensum absolviert wurde, selbst in Gesetzesmaterien, in denen der Ausschuß vor völlig überholten Entwürfen stand und in denen z. B. das Verkehrsministerium sich auf die Beobachterrolle zurückgezogen hatte. Es war uns also überlassen, mit einer völlig veränderten Situation fertig zu werden.Wenn Sie aber auch jetzt noch in den letzten Monaten fortfahren, laufend Gesetze in erster Lesung
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 150. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 14. März 1961 8567
Dr. Bleiß einzubringen — darin gebe ich Herrn Kollegen Eisenmann völlig recht —, dann ist es einfach nicht möglich, einen ganzen Wust von Entwürfen noch ordnungsgemäß abzuwickeln. In der Beschränkung zeigt sich der Meister.Herr Kollege Müller-Hermann, Sie haben unter anderem darauf hingewiesen, daß die Bundesbahn 6,7 Milliarden DM Zuschüsse und Kredite erhalten hat. Ich würde Ihnen vorschlagen, einmal auszurechnen, welche erheblichen Belastungen der Bundesbahn seit 1949 aufgeknallt worden sind, und sich zu vergegenwärtigen, in welche Situation die Bundesbahn dadurch gekommen ist. Hier wurden in einem sehr frühen Zeitpunkt die Weichen falsch gestellt.Herr Kollege Müller-Hermann, Sie haben von einem Verkehrsprogramm der CDU gesprochen. Offen gestanden, ich kenne kein Verkehrsprogramm der CDU. Soweit mir bekannt ist, pflegen Sie Ihre Konferenzen hinter verschlossenen Türen abzuhalten; Ihr Programm schlägt sich regelmäßig in Änderungsanträgen nieder. Ich darf heute erneut die Frage an Sie richten: Wer vertritt eigentlich die offizielle verkehrspolitische Linde, der Herr Bundesverkehrsminister oder die Müller-HermannGruppe? Mir ist das bis zum heutigen Tage nicht klar geworden.Ich darf Sie aber, Herr Kollege Müller-Hermann, weil wir gerade bei Verkehrsprogrammen sind, auf folgendes aufmerksam machen. Vielleicht lesen Sie einmal in dem Programm unseres Verkehrskongresses in Hamburg 1956 nach. Da werden Sie u. a. finden, daß darin schon von einem Kostenvergleich der Verkehrsträger und von einer Abgeltung betriebsfremder Lasten die Rede war, ferner daß darin die Zweckbindung der Steuern besprochen wurde. Das alles sind alte Bekannte von uns, die wir später nun — ich meine es nicht bös — in einem schwarzen Gewand wieder angetroffen haben.Wir Sozialdemokraten bekennen uns zu allen Maßnahmen, die der Verkehrssicherheit dienen. Aber ich glaube, Herr Kollege Müller-Hermann, es hat wenig Sinn, globale Dankadressen zu verteilen, besonders dann, wenn sie aus einem sehr durchsichtigen Grunde hier an die entsprechenden Institutionen gerichtet sind. Wir erstreben im Gegensatz zu der bisherigen „offiziellen" Verkehrspolitik der Bundesregierung eine Zusammenarbeit mit allen Verkehrsträgern. Unsere Verkehrskonferenz in Stuttgart hat, glaube ich, sehr eindeutig bewiesen, daß wir damit auf dem richtigen Wege sind.
Die Leistungen im Straßenbau, die von dem Herrn Bundesverkehrsminister hier angesprochen worden sind, entsprechen bei weitem nicht dem, was an Verkehrsabgaben aufgebracht worden ist. Es ist Ihnen wiederholt von fachkundiger Seite, so z. B. von der Straßenliga, von der Automobilindustrie, von der Verkehrswacht und auch von den Automobilklubs, die Sie angesprochen haben, gesagt worden, daß die Zweckentfremdung seit 1950 einenBetrag von 8 Milliarden DM überschritten hat. Gerade diese Zweckentfremdung ist härtester Kritik unterzogen worden. Herr Kollege Müller-Hermann, Sie können Ihren Dank bei den Verbänden dadurch abstatten, daß Sie sich mit einer vollen Zweckbindung einverstanden erklären.Ich wollte Ihnen noch eines sagen. Seien Sie etwas vorsichtig gegenüber der — —
Herr Abgeordneter Dr. Bleiß, der Herr Abgeordnete Dr. Conring wollte schon seit längerem eine Frage an Sie richten. Sind Sie einverstanden?
Bitte!
Bevor Sie abtreten, Herr Bleiß, möchte ich Ihnen doch gern folgende Frage stellen. Sie reden mit großer Deutlichkeit von einer Zweckentfremdung. Sie wissen aber doch genauso gut, wie wir alle das wissen, daß von den 600 Millionen DM — Sockelbetrag — über die Hälfte nicht aus dem Kraftverkehr, sondern aus anderen Quellen fließt?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Conring, diese Frage haben wir geprüft, und ich bin weiß Gott nicht sicher, ob da keine Doppelrechnung vorgenommen wird. Denn alles — ich habe vorhin auch in meiner ersten Rede darauf hingewiesen —, was diejenigen, die steuerlich begünstigt sind, an Kraftstoff beziehen, wird nachher wieder abgegolten. Ich würde Ihnen empfehlen, das Gesetz etwas genauer zu lesen. Es steht darin: einmal unterliegen der Zweckbindung die Mineralölsteuern, die der Kraftverkehr aufbringt. Dann heißt es in Buchstabe a: Davon sind abzusetzen ein Sockelbetrag von 600 Millionen DM. Dann folgt Buchstabe b, der die verschiedenen Rückvergütungen aufführt. Lesen Sie bitte genauer das Gesetz. Wenn Sie das getan hätten, hätte sich Ihre Frage erübrigt.Ich möchte den Herrn Kollegen Müller-Hermann bitten, etwas vorsichtig mit dem Wort Dirigismus zu sein. Herr Kollege Müller-Hermann, wer hat eigentlich die Verbotsgesetze im Bundestag eingebracht? Wer war eigentlich für das Verbot der Beförderung von bestimmten Massengütern auf den Landstraßen? Wer hat den Entwurf für die Beschränkung der Berufsausübung eingebracht?Meine Damen und Herren von der Regierungspartei, wenn man selber diese Verbote will, kann man nicht eine andere Partei des Dirigismus bezichtigen. Das ist eine Rechnung mit mangelnder Fairneß, die auf die Dauer nicht aufgeht.Lassen Sie mich noch ein Letztes sagen!
— Ja, das ist wirklich das Letzte. — Herr Kollege Müller-Hermann, Sie haben dem Herr Bundesverkehrsminister Ihr Vertrauen ausgesprochen. Ich habe
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8568 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 150. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 14. März 1961
Dr. Bleißdas mit großem Interesse zur Kenntnis genommen. Liege ich richtig, wenn ich hier feststelle, daß nichts konstanter ist als der Wechsel?Ich danke Ihnen sehr für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Besold.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor? — Soll der Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Umdruck 792 noch begründet werden?
Meine Damen und Herren, Sie könberuhigt sein, ich werde Ihre Zeit nicht länger als 2 Minuten in Anspruch nehmen; dafür bin ich bekannt, auch im Ausschuß.
Herr Kollege Müller-Hermann, ich danke Ihnen für Ihre Empfehlung, unsere Zeit im Ausschuß nutzbringend zu verwenden. Ich empfehle Ihnen, etwas mehr von dieser nutzbringenden Zeit im Verkehrsausschuß zuzubringen.
Und nun zum Umdruck 792! Ich glaube, daß ich hier offene Türen einrenne, oder wenigstens hoffe ich es; denn der Verkehrsausschuß hat in seiner 95. Sitzung diesen Antrag, so wie wir ihn jetzt erneut einbringen, einstimmig angenommen, also auch mit den Stimmen der Regierungskoalition. Der Verkehrsausschuß hat beschlossen, dem Haushaltsausschuß zu empfehlen, diese höhere Summe in den Haushalt einzuplanen. Nach dem Protokoll des Haushaltsausschusses wurde dieser Empfehlung nicht stattgegeben. Man argumentierte so: das Gutachten des Bundesrechnungshofes sei zu spät eingetroffen, man könne es nicht mehr berücksichtigen,
Meine Damen und Herren, Sie haben nun 4 Wochen Zeit gehabt, das Gutachten des Bundesrechnungshofes durchzusehen und die Konsequenzen daraus zu ziehen. Der Bundesrechnungshof stellt eindeutig fest, daß, wenn diese Mittel nicht zusätzlich bewilligt werden, der größte Teil der zur Verfügung stehenden Mittel für die reine Organisation und Verwaltung benutzt werden muß und der eigentliche Zweck, nämlich die Werbung für den Reiseverkehr in der Bundesrepublik, nicht erreicht werden kann.
Sie machen ja auch alle des öfteren Auslandsreisen. Dabei werden Sie immer wieder die bewegten Klagen unserer Konsulate gehört haben, daß für die Reisetätigkeit viel zuwenig geworben wird, ganz im Gegensatz zu der Ostzone, die in all diesen Ländern eine lebhafte Werbung betreibt. Ich bitte Sie deshalb, diesem Antrag, der im Verkehrsausschuß einstimmig angenommen wurde, zuzustimmen.
Der Herr Abgeordnete Dr. Conring hat das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Antrag ist in der Tat im Haushaltsausschuß behandelt worden, nachdem er im Verkehrsausschuß angenommen worden war. Aber es ist Ihnen bekannt, daß nicht sämtliche Anträge, die in den Fachausschüssen angenommen werden, damit auch die Billigung des Haushaltsausschusses finden. Der Haushaltsausschuß hat sich sehr eingehend über diese Dinge unterhalten und ist zu dem Ergebnis gekommen, daß der Antrag — wie schon im Haushaltsausschuß — auch hier abgelehnt werden sollte.
Wir können dann über den Änderungsantrag auf Umdruck 792 abstimmen. Wer zuzustimmen wünscht, gebe bitte das Handzeichen. — Gegenprobe! -- Das letzte war die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Wir stimmen dann über den Einzelplan 12 bzw. über den Antrag des Ausschusses auf Drucksache 2511 ab. Wer zuzustimmen wünscht, gebe bitte das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Mit Mehrheit angenommen.
Das Wort hat der Abgeordnete Margulies zu einer persönlichen Erklärung.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin im Laufe der Verkehrsdebatte als Zeuge für Geschwindigkeitsbegrenzungen auf den Autobahnen zitiert worden. Es freut mich selbstverständlich, daß ich in CDU-Kreisen auch als Autorität für Verkehrsfragen gelte. Aber in diesem Punkte handelt es sich um einen ,der vielen Irrtümer, die sich in letzter Zeit bei der CDU so bedenklich häufen.
Ich fahre jetzt seit 1949 regelmäßig auf der Autobahn von Mannheim nach Bonn und kann auf Grund dieser zwölfjährigen Erfahrung sagen, daß die Geschwindigkeitsbegrenzung außerhalb geschlossener Ortschaften kein geeignetes Mittel ist, Verkehrsunfälle zu vermeiden, daß durch sie vielmehr der Überholvorgang gefährlich verlängert und die Aufmerksamkeit der Fahrer vermindert wird. Wie sehr die Urteile der Sachverständigen schwanken, das sehen Sie vielleicht am besten daran, daß ich einmal einen der hervorragenden Sachverständigen, nämlich den Herrn Bundesverkehrsminister,
im Jahre 1951 darauf angesprochen habe, ,auf den Autobahnen Blendstreifen anlegen zu lassen. Damals hat er geantwortet, das ginge nicht wegen der Schneeverwehungen.
Jetzt werden sie angelegt.
Ich kann also nur feststellen, daß ich mich entgegen der hier aufgestellten Behauptung nicht für Geschwindigkeitsbegrenzungen auf Autobahnen ausgesprochen habe.
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 150. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 14. März 1961 8569
Ich rufe auf:
Einzelplan 13 — Geschäftsbereich des Bundesministers für das Post- und Fernmeldewesen
Das Wort hat der Abgeordnete Cramer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren!
— Die Post ist aber nicht immer so schnell, daß Ihr Etat auch so schnell durch diese Mühle hier gedreht werden könnte. Sie müssen schon ein paar Minuten zuhören; wir werden in dieser Zeit das vorbringen, was wir zu dem Etat des Bundesministeriums für ,das Post- und Fernmeldewesen zu sagen haben. Das ist nicht sehr viel, und darüber sprechen wir auch nicht sehr oft. Aber das eine Mal müssen Sie schon zuhören.
In dem uns vorliegenden Einzelplan 13 — Bundesministerium für das Post- und Fernmeldewesen — interessiert haushaltsmäßig eigentlich nur das Amtsgehalt des Ministers und der Voranschlag für die Bundesdruckerei, die jetzt — außer in Berlin — in Frankfurt und Bonn Zweigbetriebe eingerichtet hat. Wir dürfen mit Befriedigung feststellen, daß sowohl die Roherträge als auch die Betriebsüberschüsse der Bundesdruckerei in den letzten Jahren gesteigert werden konnten. Anzuerkennen ist auch, daß die Bundesdruckerei ihre Investitionen für die Betriebe in Berlin, Frankfurt und Bonn 'aus eigenen Überschüssen bestreiten konnte. So viel also zur Bundesdruckerei, die als wirtschaftliches Unternehmen des Bundes keinen Anlaß zu politischen Bemerkungen gibt.
Anders verhält es sich mit Tit. 101 des Einzelplans 13, der das Amtsgehalt des Herrn Ministers betrifft. Dieser Etatposten ist hier alljährlich der Aufhänger dafür, das auszusprechen und anzusprechen, was zur Gesamtführung der Deutschen Bundespost gesagt werden muß. Die Offentlichkeit ist im Laufe des letzten Jahres immer wieder beunruhigt worden durch Äußerungen des Ministers oder Veröffentlichungen des Ministeriums, in denen gewisse Gebührenerhöhungen angekündigt wurden.
— Das ist ja nicht wahr.
— Daß es jetzt bestritten wird, schließt doch nicht aus, daß die Gebührenerhöhungen immer und immer wieder angekündigt worden sind. Einmal ist davon die Rede gewesen, daß die Postkarten abgeschafft werden sollten, dann wieder davon, daß die Ortsbriefgebühr abgeschafft werden sollte. Dann waren es die Drucksachengebühren oder die Gebühren im Postzeitungsdienst, und zuletzt waren es die Paketgebühren, nachdem die Bundesbahn ihrerseits die Expreßgutgebühren erhöht hat. Von all dem, was als Notwendigkeit hingestellt worden ist, ist gegenwärtig — da haben Sie recht — keine Rede mehr. Im Gegenteil, der Herr Minister erklärt seit kurzem, daß er nicht daran denke, einzelne Gebührenerhöhungen vorzunehmen.
Wir haben im Ausschuß die Herren Staatssekretäre gefragt, was uns in dieser Beziehung erwartet. Herr Staatssekretär Dr. Steinmetz hat erklärt, es sei nicht beabsichtigt, in absehbarer Zeit die Gebühren auf irgendeinem Sektor zu verändern. Es sei zur Zeit, so erklärte er wörtlich, kein Mensch im Ministerium mit der Frage der Gebührenerhöhung beschäftigt. Er fügte hinzu, daß zunächst überhaupt erst eine neue Postordnung, ein neues Postscheckgesetz und andere Gesetze, das Postwesen betreffend, verabschiedet werden müßten, um die Grundlage für die grundsätzliche Reform der Tarife und eine Gebührenbereinigung herbeizuführen.
Wir wissen, daß der Wirtschaftsplan der Bundespost, der für 1961 vorgelegt wird, wieder einen Überschuß ausweist. Wir wissen aber auch, daß darin die ab 1. Januar in Kraft getretene Erhöhung der Beamtengehälter und die mit Sicherheit kommenden Lohn- und Gehaltserhöhungen, die einige 100 Millionen DM ausmachen werden, noch nicht berücksichtigt worden sind. Darin liegt also ein Risiko; denn dieser Betrag ist höher als der ausgewiesene Überschuß. Es muß also im Jahre 1961 zu einem Defizit kommen, wenn nicht auf der Einnahmeseite die Beträge zu niedrig eingeschätzt worden sind.
Da dies aber kaum anzunehmen ist, glauben wir nicht daran, daß die Bundespost und ihr Minister auf die von ihr für notwendig erachtete Gebührenerhöhung verzichtet und erst, worüber Jahre vergehen können, die Voraussetzung für eine allgemeine Gebührenbereinigung zu schaffen ist. Wir glauben vielmehr — das werden Sie nicht bestreiten können —, daß der 17. September 1961 ein psychologischer Hinderungsgrund für eine sofortige Gebührenerhöhung ist.
— Damit wollen Sie also sagen: Wenn Gehaltserhöhungen kommen, müssen auch Gebührenerhöhungen kommen?! Dann können Sie nicht bestreiten, daß Sie mit Gebührenerhöhungen rechnen.
Können wir uns nicht ein bißchen mäßigen?
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8570 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 150. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 14. März 1961
Sie werden sich das anhören müssen, genauso wie wir uns das anhören mußten, was Sie uns zu sagen haben.
— Nun, ist das keine Zumutung, wenn man immer wieder von Erhöhungen spricht und das nachher wieder abstreitet, weil der Wahltag vor der Tür steht, so daß dann nach den Wahlen doch die Erhöhungen kommen?!
Wir haben doch die Erfahrungen von 1957. Wir hatten doch die Versprechungen, daß keine Preiserhöhungen kommen sollten, und nach dem Wahltag waren sie prompt da.
— Regen Sie sich nicht auf. Der Herr Minister Seebohm, der hier soeben gestanden hat, hat auch abgelesen. Es ist richtiger, man sortiert vorher seine Gedanken, als daß man hier wirres Zeug redet.
Ich bitte doch, den Herrn Abgeordneten zu Ende sprechen zu lassen.
Wir haben deshalb auch :im Ausschuß gefragt, ob nach dem 17. September die jetzt zurückgestellten Erhöhungen kommen würden, vorausgesetzt daß diese Regierung wider Erwarten noch zu bestimmen hätte.
Herr Staatssekretär Dr. Steinmetz hat klugerweise und wohl auch ein wenig doppelsinnig geantwortet: „Welcher Minister ist in der Lage, über eine Wahl hinaus eine solche Erklärung abzugeben?" Nun, soweit die Person deis Herrn Ministers in Frage kommt, ist das verständlich; denn er weiß in der Tat ja nicht, ob er nach dem 17. September noch dafür zuständig ist.
Aber als Chef einer so großen Verwaltung, die nach kaufmännischen Gesichtspunkten zu führen ist, müßte er eigentlich sagen können, was in absehbarer Zeit preispolitisch und gebührenpolitisch in seinem Hause beabsichtigt ist.
Immerhin, Staatssekretär Dr. Steinmetz hat seiner Erklärung noch hinzugefügt:•,Das ist nicht so zu verstehen: bis zum 17. September gibt es nichts, aber danach gibt es einige Überraschungen. Ich stelle also heute nur fest: es gibt jetzt und in absehbarer Zeit nach Erklärungen des verantwortlichen Ministeriums keine Einzelaktionen auf dem Gebührensektor.
An diese Worte werden wir uns nach dem 17. September erinnern.
— Nein, ich meine, die Erklärung von Staatssekretär Dr. Steinmetz war ja vorsichtig genug, indem er sagte: Welcher Minister kann über eine Wahl hinaus Erklärungen abgeben?Ein besonderes Anliegen, das wir bei jeder Etatberatung wieder vorbringen, betrifft das Fernmeldewesen. Wir begrüßen die Einstellung der Bundespost, bei ihrer Investitionspolitik den Fernmeldesektor besonders zu bedenken, was um so verständlicher ist, als wir wissen, daß sich diese Investition am schnellsten amortisiert. Leider haben wir im Ausschuß aber auch hören müssen, daß das größte Hindernis auf diesem Gebiete nicht etwa die Frage der Finanzierung, sondern die Kapazitätsgrenze der Fernmeldeindustrie sei. Zur Zeit liegen — das sollten Sie und das sollte auch die Öfentlichkeit ruhig einmal hören — bei der Bundespost noch 140 000 nicht erledigte Anträge auf Errichtung von Fernsprechanschlüssen vor. Man hofft, diesen Rückstand bis 1962 beseitigen zu können. Bis dahin liegen natürlich neue Anträge vor. Denn das Telefon gehört nun heute einmal zum gehobenen Lebensstandard.
Wir erwarten deshalb von der Deutschen Bundespost, daß sie alle Anstrengungen macht, sich dem tatsächlichen Bedarf anzupassen. Ich könnte jetzt Zahlen nennen darüber, wie es im Ausland aussieht. Da ist bei uns noch etwas aufzuholen. Man sollte nicht immer sagen:,, Daran ist die Industrie schuld." Es liegt auch ein wenig bei der Deutschen Bundespost selber.Der Selbstwähldienst macht gute Fortschritte. Rund 80 °/o aller Ferngespräche werden heute bereits über die Selbstwahl abgewickelt.
Aber für alle Teilnehmer, die sich noch über das Amt verbinden lassen müssen, gibt es eine unangenehme Begleiterscheinung. Ich nenne ein Beispiel. Ein Teilnehmer, der von A nach B, Entfernung etwa 50, 60 km, telefonieren will und sich selber verbinden kann, zahlt in der ersten Gebührenstufe nur 16 Pf. In umgekehrter Richtung zahlt der Gesprächspartner für dasselbe Gespräch, also für die gleiche Leistung der Bundespost 96 Pf. Dieser Preisunterschied ist durch nichts gerechtfertigt. Er wird um so größer, je weiter die Entfernung zwischen den beiden Teilnehmern ist. Wenn es wahr ist, was man uns gesagt hat, daß erst in fünf Jahren der letzte Teilnehmer an den Selbstfernwähldienst angeschlossen wird, sollte die Bundespost ernsthaft erwägen, den benachteiligten Fernsprechteilnehmern mit einem Gebührenausgleich entgegenzukommen.
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 150. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 14. März 1961 8571
CramerVielleicht sind Sie, soweit Sie zur Regierungspartei gehören, alle dem Selbstfernwahldienst angeschlossen, wir leider noch nicht. Ich meine also, diese Möglichkeit wäre dem Minister gegeben. Man sollte das im Bundespostministerium ernsthaft erwägen.Nun noch ein Wort zur Personalpolitik. Ich habe vor einem Jahr an dieser Stelle ein Wort des Dankes an die Postbediensteten ausgesprochen, die oft unter den schwierigsten Verhältnissen ihren verantwortungsvollen, volkswirtschaftlich und gesellschaftspolitisch wichtigen Dienst bei unzureichender Bezahlung und gegenüber anderen Berufen unter ungünstigen Arbeitszeitverhältnissen verrichten. Fragen Sie einmal den Herrn Bundespostminister, warum er keine Bediensteten bekommt, warum sie in die Industrie gehen, warum sie in die freie Wirtschaft gehen! Das hat doch alles seinen Grund.Meine Damen und Herren, eine Flut von Dankschreiben ist mir daraufhin zugegangen. Ein Zeichen dafür, daß diese Worte des Dankes und der Anerkennung für den namenlosen Postbediensteten einmal auch von dieser Stelle aus ausgesprochen werden mußten.
Ich will deshalb meinen Dank an die Bediensteten der Deutschen Bundespost bei dieser Gelegenheit wiederholen.
— Sind Sie neidisch, daß die Bundespostbediensteten zu uns stehen?
Wir sitzen uns für sie ein.
Bei der Bundespost sind im vergangenen Jahr 20 000 Bedienstete ausgeschieden. Demgegenüber erfolgten 22 000 Neueinstellungen. Das ist trotz allem überraschend. Aber wegen des erhöhten Verkehrs fehlen immer noch 6000. Wenn wir unsere Briefe, Drucksachen, Zeitungen und Pakete trotzdem pünktlich und zuverlässig zugestellt bekommen, so zeigt das, daß die Postbediensteten eine ganz besonders gute Arbeitsmoral haben. Die Bundespost sollte daraus aber auch die Konsequenzen ziehen, die jeder private Arbeitgeber zu ziehen hat, nämlich ihre Gehalts-, Lohn- und Arbeitsbedingungen so attraktiv gestalten, daß auch in Zukunft junge Leute
den Beruf eines Postbeamten, Postangestellten, -handwerkers oder -facharbeiters wählen
und sich nicht durch verlockendere Angebote der Industrie und der freien Wirtschaft angezogen fühlen. Sie mögen es hören wollen oder nicht, meine Damen und Herren, Arbeitszeitverkürzung, ein freies Wochenende gehören ebenfalls dazu.
Der Lohn ist nicht allein ausschlaggebend. Auch dasProblem des Wohnungsbaues ist zu beachten. DemPostbediensteten ausreichenden Wohnraum zu tragbaren Mieten zu beschaffen, sollte eine der vordringlichsten Aufgaben der Personalwirtschaft sein.Meine Damen und Herren, es ist nicht allein mit sozialpolitischen Maßnahmen getan; das weiß ich. Es muß auch versucht werden, die Dienstleistungen der Bundespost zu rationalisieren. Ich brauche darauf nicht einzugehen. Es ist auch nicht die Aufgabe des Bundestages; dafür sind andere Instanzen da. Dafür ist vor allem der Postverwaltungsrat da. Aber es sollte von dieser Stelle aus ausgesprochen werden, daß die Personalknappheit bei der Bundespost auch auf dem Wege der Rationalisierung und Technisierung behoben werden sollte.Zum Schluß bleibt noch eine andere Angelegenheit vorzutragen. Die hören Sie wahrscheinlich auch nicht gern. Herr Bundesminister, wie ein vorsichtiger Kaufmann haben Sie nicht gehandelt, als Sie die rund 40 Millionen DM in ein faules Geschäft hineinsteckten. Ich meine jene 40 Millionen DM, für die Sie Fernsehsender für das totgeborene Kind des Herrn Bundeskanzlers gebaut haben.
Sie mögen sagen, daß der Gegenwert ja vorhanden sei und die nun arbeitslosen Sender später für ein drittes, viertes oder fünftes Programm tätig werden könnten.
Sie haben uns heute freundlicherweise einen Brief mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts geschickt und haben uns darauf aufmerksam gemacht, daß das Bundesverfassungsgericht Ihnen im sogenannten Fernsehurteil das Recht, technische Einrichtungen zum Sendebetrieb zu errichten, nicht abgesprochen, sondern zugesprochen hat. Aber, Herr Bundesminister, Sie haben ja die Sender nicht für irgendwelche Sendegesellschaften, sondern speziell für den Sendebetrieb des Herrn Bundeskanzlers errichtet.
Herr Abgeordneter Cramer, gestatten Sie eine Frage des Abgeordneten Dr. Besold?
Bitte sehr!
Herr Kollege Cramer, halten Sie es nicht für einen sehr leichtfertigen Vorwurf, zu sagen, daß 40 Millionen DM umsonst für das Fernsehwesen ausgegeben worden seien, wenn diese Millionen lediglich für technische Einrichtungen ausgegeben worden sind, für die sowieso das Bundespostministerium zuständig ist?
Herr Besold, Sie wissen ganz genau, daß auch die Länderrundfunkanstalten Sendeeinrichtungen gebaut haben und daß jetzt ihre Sender oder die Sender der Bundespost in den nächsten Jahren arbeitslos sein werden. Da meine
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8572 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 150. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 14. März 1961
Cramer.) ich, mit Recht den Vorwurf erheben zu können, daß diese 40 Millionen DM falsch investiert sind.
Das werden Sie nicht bestreiten können,Ich will hier über die Fernsehpläne nicht sprechen. Darüber ist genug gesagt worden. Aber, Herr Bundespostminister, wir haben Ihnen schon im vergangenen Jahr im Ausschuß nicht die beruhigende Erklärung abgenommen, daß dieser Betrag — damals waren es wohl 30 oder 35 Millionen DM — nicht falsch investiert sein würde. Wir stehen auch heute auf dem Standpunkt, daß Sie als verantwortlicher Leiter der Bundespost die politischen Wünsche und Absichten des Kanzlers über das Eigeninteresse der Bundespost gestellt haben. Deshalb werden wir trotz aller positiven Kritik, die wir der Bundespost angedeihen ließen, und trotz aller unserer Anerkennung für die Leistungen der Deutschen Bundespost und ihrer Bediensteten Ihnen als politischem Minister
— jawohl, Sie haben schon erkannt, was jetzt kommt —, Ihnen als politischem Minister des Kabinetts Adenauer den uns vorliegenden Etat nicht bewilligen; wir werden ihn ablehnen.
Das Wort hat der Herr Bundespostminister für das Post- und Fernmeldewesen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es wäre natürlich sehr reizvoll, Herr Kollege Cramer, eine halbe Stunde darauf zu verwenden, zu Ihren Ausführungen Stellung zu nehmen. Da ich aber die Bitte ausgesprochen habe, diesen Haushalt noch heute zu behandeln, möchte ich aus Fairneß gegenüber den Kolleginnen und Kollegen, die ausgehalten haben, heute abend auf diese längere Antwort verzichten.Ich darf mit dem Letzten beginnen. Herr Cramer, Sie haben der Deutschen Bundespost den Vorwurf gemacht, sie habe 40 Millionen DM — es wäre gut, wenn Sie als stellvertretendes Mitglied des Verwaltungsrats in dessen Sitzungen kämen, damit Sie die genauen Zahlen kennenlernen — für ein faules Geschäft hinausgeworfen. Herr Kollege Cramer, ich darf mir nur die eine Bemerkung erlauben: Während die Rundfunkanstalten gegen die Warnungen, die von der Deutschen Bundespost ausgesprochen worden sind, auf illegale Weise oder auf den Verdacht hin, hierzu berechtigt zu sein, Millionen für Fernsehsende- und -übertragungsanlagen investiert haben, die vom Bundesverfassungsgericht als nicht verfassungsmäßig bezeichnet worden sind, hat die Deutsche Bundespost vom Verfassungsgericht, dem höchsten Gericht, das wir haben, bescheinigt bekommen, daß sie ihre Anlagen völlig legal erstellt hat.
Es wäre eine gute Sache, Herr Kollege Cramer, wenn man das Urteil des Bundesverfassungsgerichts in vollem Umfang respektierte, auch in den Teilen, die für Sie und Ihre Parteifreunde oder andere nicht gerade angenehm sind.
— Entschuldigen Sie mal, dieser Teil des Urteils ist auf jeden Fall richtig.
Herr Kollege Cramer, ich darf nun zu einer Sorge Stellung nehmen, die mich außerordentlich stark beschäftigt. Sie betrifft die Personallage, die nicht allein bei der Bundespost, sondern auch bei den anderen öffentlichen Verwaltungen und Dienststellen, besonders aber auch in der freien Wirtschaft schwierig ist. Es ist ja kein Geheimnis, daß wir über 500 000 offene Stellen haben und nur vermutlich 130 000 nominell oder statistisch erfaßte Arbeitslose. Ich möchte sacien, daß ich es außerordentlich bedaure, die 140 000 Personen, die einen Antrag auf Errichtung eines Hauptanschlusses im Fernsprechverkehr gestellt haben, nicht so bedienen zu können, wie ich das möchte. Ich habe bereits im vergangenen Jahr in diesem Hause auf die Schwierigkeiten hingewiesen. Sie bestehen darin, daß die Firmen Lieferschwierigkeiten, daß sie nicht genügend Kapazität haben und daß sie der Deutschen Bundespost nicht einen genügenden Ausstoß zur Verfügung stellen können. Ich habe darauf hingewiesen, daß die Planungskapazitäten bei uns und bei der Industrie nicht ausreichend sind. Ich habe weiter darauf hingewiesen, daß bei der Industrie auch die Montagetrupps nicht vorhanden sind. Das sind allein die Gründe, warum die Deutsche Bundespost diese 140 000 Anträge nicht umgehend erledigen kann, und ich glaube, Herr Kollege Cramer, daß hier eine Polemik absolut am falschen Platz ist.
Ich habe einen Kollegen aus einem größeren Lande hier in der Bundesrepublik gehabt. Ich habe mich auch über diese Frage unterhalten und ihm gesagt, daß das meine ernsthafteste Sorge ist, weil ich weiß, was es bedeutet, wenn jemand einen Fernsprechanschluß haben will und ich ihm schreiben muß, daß es ein halbes Jahr oder gar ein Jahr dauert, bis er diesen Anschluß bekommt. Ich sagte ihm, daß wir 140 000 unerledigte Anträge haben. Da wunderte er sich und erklärte, das sei etwas hoch. Ich sagte ihm, daß wir alle, die länger als vier Wochen warten müssen, erfaßt hätten. Darauf sagte er mir: Wenn wir alle erfaßten, die nach vier Wochen nicht zum Zuge kommen, hätten wir Hunderttausende. Er nimmt nur diejenigen auf, die länger als ein halbes Jahr warten müssen. Wenn wir das als Grundlage nehmen, haben wir 40 000 bis 45 000, die warten müssen, und das ist noch schlimm genug.Nun ein Wort zur Wohnungsfürsorge. Ich muß leider ohne Zusammenhang einige Bemerkungen von Ihnen beantworten. Herr Kollege Cramer, die Deutsche Bundespost hat seit 1945 71 000 Wohnun
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 150. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 14. März 1961 8573
Bundespostminister Stücklengen für ihre Bediensteten gebaut und allein in den letzten fünf Jahren 22 000 Wohnungen für ihre Bediensteten errichtet. Ich glaube, daß dieser Vorwurf außerordentlich peinlich ist, weil er völlig deplaziert ist und den Tatsachen widerspricht.
Herr Minister, der Abgeordnete Cramer will eine Zwischenfrage stellen.
Ja, bitte.
Herr Minister, ich habe Ihnen doch wegen der Wohnungen keinen Vorwurf gemacht. Ich habe gesagt, daß es nicht nur Lohn- und Gehaltsfragen sind, sondern daß dazu auch der Bau von Wohnungen zu tragbaren Mieten für die Postbediensteten gehört, um neue Bedienstete zu bekommen. Das war doch gar kein Wort des Vorwurfs, sondern eine reine Feststellung.
Ich bin sehr beruhigt, daß Sie auch an einem Minister wenigstens einmal irgend etwas Gutes lassen. Ich darf also feststellen, daß wir uns bemühen, die Wohnungen für die Bediensteten der Deutschen Bundespost so billig zu erstellen, wie das unter den heutigen Verhältnissen überhaupt möglich ist.
Nun darf ich noch darauf zurückkommen, daß Sie versucht haben, mir — beinahe mit Engelszungen — einzureden, ich müßte doch unter allen Umständen bei der schwierigen Ertragslage, hervorgerufen durch die Gehalts- und Lohnerhöhungen des Jahres 1961, die Gebühren erhöhen. Ich muß Sie bitter enttäuschen, Herr Kollege Cramer. Ich werde trotz Ihrer Rede die Gebühren für dieses Haushaltsjahr nicht erhöhen. Ich sage Ihnen, es wäre unverantwortlich von einem Minister, wenn er über das Haushaltsjahr hinaus auf Jahre sich hier festlegen wollte. Er kennt die Entwicklung nicht, die sich im Laufe dieses Jahres ergibt, und er weiß nicht, was er im Haushaltsjahr 1962 zu tun hat. Sie spekulieren immer auf den 17. September und sagen: Aber nach den Wahlen werden Sie die Gebühren erhöhen. Eines bewundere ich dabei: Ihren politischen Realismus, der darin besteht, daß Sie annehmen, daß wir wieder an der Regierung sind.
Nun haben wir im Jahre 1961 einen Haushaltsüberschuß, einen Gewinn von rund 106 Millionen DM. Diese 106 Millionen DM reichen nicht aus, um die Gehalts- und Lohnerhöhungen des Jahres 1961 abzudecken. Ich kann Ihnen aber trotzdem die erfreuliche Mitteilung machen, daß die Verkehrsentwicklung der Deutschen Bundespost über den Haushaltsansatz hinaus gestiegen ist, so daß ich mit Sicherheit heute schon annehmen darf, daß der Haushalt am Ende des Jahres 1961 trotz der Erhöhung
der Beamtengehälter und trotz der Erhöhung der Löhne für Arbeiter und Angestellte ausgeglichen sein wird. So glaube ich, Herr Kollege Cramer, daß einfach kein Raum und kein Platz ist, über Gebührenerhöhungen zu sprechen. Ich habe nie verheimlicht, daß eine Gebührenreform notwendig ist; eine Gebührenreform kann aber nicht aus dem Herauspicken der einen oder anderen Gebühr bestehen, sondern muß ein in sich geschlossenes und auch organisch gegliedertes Gebührensystem sein. Daran arbeiten wir, und wir werden noch sehr lange daran arbeiten müssen, bis wir auch international unsere Gebühren so abgestimmt haben, daß sie tatsächlich auch vertretbar sind.
Nun hat Herr Kollege Cramer die Leistungen der Deutschen Bundespost, besonders des Personals, gewürdigt. Ich habe auch von dieser Stelle aus bereits wiederholt darauf hingewiesen, daß es der ausgezeichneten Arbeitsmoral und dem Arbeitseinsatz unserer Postbediensteten zu verdanken ist, daß wir die bisherigen Verkehrssteigerungen bei der Deutschen Bundespost mit wesentlich geringerem Personalzuwachs meistern konnten. Ich möchte von dieser Stelle auch im Jahre 1961 den Postbediensteten dafür in aller Öffentlichkeit vor diesem Parlament meinen Dank aussprechen.
Herr Kollege Cramer, Sie wissen, daß wir auf dem Gebiete der Rationalisierung und Automatisierung nicht nur in der Vergangenheit gearbeitet haben, sondern auch im Augenblick arbeiten und daß wir auch die Dienste, die bisher als nicht automatisierungsfähig angesehen worden sind, im Jahre 1961 bereits einen wesentlichen Schritt näher an die Automatisierung heranbringen werden: die elektronische Steuerung im Briefverteildienst und die Automatisierung im Postscheck- und Postsparkassendienst.
Ich hoffe, daß ich mit diesen Maßnahmen in der Lage bin, die Personalschwierigkeiten etwas einzudämmen, und daß die Deutsche Bundespost in der Lage sein wird, auch in der Zukunft die großen und schweren Aufgaben, die ihr übertragen sind, zur Zufriedenheit der deutschen Offentlichkeit zu bewältigen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Blachstein.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nur einige wenige Worte zu der Behauptung des Herrn Bundespostministers über die illegalen Investitionen der Landesrundfunkanstalten. Die Investitionen ,der Landesrundfunkanstalten sind auf Grund von Gesetzen und Staatsverträgen erfolgt, ,die bis zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts Recht und Gesetz waren.
8574 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode 150. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 14. März 1961
Blachstein
Ich glaube, daß es keine sehr glückliche Formulierung war, die Sie hier gewählt haben.
— Mein Kollege Cramer hat eine andere Frage angesprochen, zu der ich auch ein Wort sagen möchte, die Frage der Fehlinvestitionen durch die Bundespost.
— Ja, ja, ich komme auf das „faule Geschäft" zu sprechen. Es ist bedauerlich, daß tatsächlich Postgelder zum Teil für Sender ausgegeben worden sind, die für das besondere Programm des Herrn Bundeskanzlers vorgesehen waren und die heute neben Sendern stehen, die bereits seit einigen Jahren die gleiche Möglichkeit der Ausstrahlung von Fernsehprogrammen haben. Nicht der ganze Betrag, der hier genannt worden ist, dürfte verloren sein; aber ohne Zweifel würden, wenn man nach technischen Gesichtspunkten geplant hätte, für die beste Strahlungsmöglichkeit im Bundesgebiet und mit Berücksichtigung wesentlicher Aufgaben, die darüber hinausgehen, zum Teil andere Standorte gewählt worden sein. Ich glaube nicht, Herr Minister, daß Sie das ernsthaft bestreiten werden. Durch die anders vorgenommene Planung für ein anderes Programm sind tatsächlich nach meiner Überzeugung erhebliche Fehlinvestitionen vorgenommen worden.
Aber lassen wir das; es gibt, glaube ich, heute
3) eine wichtigere Seite der Sache. Sie werden den Teil des Urteils natürlich mit Vergnügen akzeptieren, der der Post gewisse Rechte zurückgibt. Wir werden alle das ganze Urteil akzeptieren und eine Lösung finden müssen, die das Problem des Deutschen Fernsehens in der Zukunft in die Ordnung bringt, die staatsrechtlich gegeben ist und die für die Befriedigung der Bedürfnisse zweckmäßig ist.
— Darüber reden wir jetzt nicht; das haben wir schon zwei Tage getan.
— Sie können soviel sagen, wie Sie wollen. Sie können ja hier auch reden. Nur ich rede zur Zeit von etwas anderem. Vielleicht hören Sie erst einmal zu.
Sie können dann heraufkommen und heute abend auch über Rundfunkfragen reden.
— Aber entschuldigen Sie, Herr Kollege, darüber habe ich überhaupt nicht zu befinden, ob Sie Zwischenrufe machen.
— Ich bin doch nicht empfindlich. Ich bin doch ganz freundlich zu Ihnen. Ich habe mir nur erlaubt, darauf hinzuweisen, daß ich von etwas anderem rede.
Ich bitte, die Dinge doch in Ruhe zu Ende zu bringen. Ich finde den Ton, der in der letzten Stunde geherrscht hat, nicht erfreulich.
— Ich bitte, keine Kritik an meiner Amtsführung zu üben; das ist ungehörig.
Ich glaube, wir dürfen jetzt erwarten — und die Hoffnung möchte ich hier aussprechen —, daß die Bundespost das ihre tut, damit das zweite Programm technisch so gut wie möglich in die Wohnungen der Empfänger gelangt, und daß die Landesrundfunkanstalten gemeinsam mit der Bundespost nach Lösungen suchen, um das, was an technischem Potential auf beiden Seiten vorhanden ist, so bald wie möglich für diese Aufgabe zur Verfügung zu stellen und in eine Ordnung zu bringen, die uns durch den Spruch des. Gerichts vorgeschrieben ist. Ich glaube, wenn heute, gerade nach diesem Urteil, bei der Post das richtige Verständnis für die Bedürfnisse des Zuschauers vorhanden ist, wird sich auch bald ein praktikabler Weg finden lassen.
Ich schließe die Beratung des Einzelplans 13. Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag auf Drucksache 2512. Wer ihm zuzustimmen wünscht, der gebe bitte ein Zeichen. — Gegenprobe! — Der Einzelplan 13 ist mit Mehrheit angenommen.
Ich behandle nunmehr noch einen Antrag des Herrn Vorsitzenden des Haushaltsausschusses, den Antrag der Fraktion der FDP betreffend den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Beförderungsteuergesetzes — Drucksache 1520 — nach § 9€ der Geschäftsordnung dem Haushaltsausschuß zu überweisen. Der Antrag ist am 16. März 1960 dem Finanzausschuß — federführend — und dem Ausschuß für Verkehr, Post- und Fernmeldewesen — mitberatend — überwiesen worden. Der Finanzausschuß beabsichtigt, die Vorlage dem Plenum in wesentlich geänderter Form zuzuleiten. Durch das Gesetz in dieser Form würde eine Belastung des Bundeshaushalts entstehen, weil Steuerausfälle eintreten würden, die nach Schätzungen von Sachverständigen auf etwa 7,5 Millionen DM berechnet werden. — Ich stelle fest, daß das Haus mit der Überweisung dieses Antrages an den Haushaltsausschuß einverstanden ist.
Wir sind am Ende der Sitzung. Ich berufe die nächste Sitzung auf Mittwoch, den 15. März 1961, 9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.