Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.
Vor Eintritt in die Tagesordnung habe ich dem Kollegen Goldhagen die Wünsche des Hauses und meine eigenen zu seinem 60. Geburtstag auszusprechen.
Eine amtliche Mitteilung wird ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:
Der Herr Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung hat unter dem 7. März 1961 die Kleine Anfrage der Fraktion der FDP betr. Durchführungsbestimmungen zum Ersten Neuordnungsgesetz zum Bundesversorgungsgesetz — Drucksache 2550 — beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 2586 verteilt.
Wenn ich das Haus übersehe, habe ich den Eindruck, es ist besser, wir beginnen nicht mit Abstimmungen, sondern vielleicht zuerst mit der allgemeinen Aussprache über den Einzelplan 06 im ganzen. Ist das Haus einverstanden?
Ich rufe also auf:
Fortsetzung der zweiten Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Rechnungsjahr 1961 (Drucksachen 2050, 2300) ;
Berichte des Haushaltsausschusses
Einzelplan 06 — Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern ; in Verbindung mit
Einzelplan 36 — Zivile Notstandsplanung .
Das Wort hat der Abgeordnete Schäfer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Beratung des Einzelplanes 06 ist Anlaß dafür, die politische Arbeit des Bundesinnenministers in den abgelaufenen Jahren einer Würdigung zu unterziehen. Das Ergebnis ist, von uns aus gesehen — ich darf es gleich vorwegnehmen —, unbefriedigend.
— Das ist sehr vorsichtig ausgedrückt, Herr Kollege Mommer. Ich möchte zur Schlußfolgerung erst später kommen.Zunächst das, was von diesem Ministerium im Laufe dieser Legislaturperiode Anerkennenswertes gemacht wurde! Die Verwaltungsgerichtsordnung wurde vorgelegt. Das ist eine alte Geschichte. Sie ist schon aus dem ersten Bundestag ererbt. Es geht ja nicht auf Ihr Schuldkonto, Herr Minister, wenn sich die Vorlegung so lange verzögert hat. Es wurde das Lebensmittelgesetz verabschiedet.
Auch das ist aus dem letzten Bundestag ererbt. Es wurden zwei weitere Gebiete geregelt: das Apothekenrecht und das Arzneimittelrecht; ohne Zweifel zwei sehr wichtige Gebiete. Aber es sind mehr die Sachverständigen, die auf diesem Gebiete zur Wirkung kommen, und nicht so sehr die Politiker.Auf dem Gebiete der Kulturpolitik, Herr Minister, hätte man einige Initiative von Ihnen erwarten dürfen. Allein schon die Tatsache, daß Sie diese so wichtige Abteilungsleiterstelle zwei Jahre unbesetzt ließen, zeugt dafür, welche Bedeutung bzw. Nichtbedeutung in Ihrem Haus Sie der Kulturpolitik zumessen. Und dann die Besetzung nach diesen zwei Jahren mit einem Ministerialbeamten der normalen Laufbahn! Man hätte füglich erwarten dürfen, daß auf diese Stelle ein Mann gekommen wäre, der Ausstrahlungskraft gehabt hätte und der von vornherein einige Gewähr dafür hätte bieten können, diese Aufgabe koordinierend zu gestalten. Man hat den Eindruck, daß die Kulturpolitik trotz des Ministerums Fortschritte macht,
und zwar trotz des Ministeriums, weil der Wissenschaftsrat ein recht gutes Gutachten vorgelegt hat, weil ganz andere Kräfte die Initiative in die Hand genommen haben. Und das ist ja letztlich ein Erfolg der Opposition.
— Ich darf daran erinnern: der Wissenschaftsrat wurde von uns angeregt und auf unsere Initiative hin geschaffen.
— Ja, meine Damen und Herren, wenn Sie die Wahrheit nicht hören können, bedaure ich das. Aber das ist so.
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8382 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 148. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1961
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Stoltenberg?
Bitte schön!
Wollen Sie mit diesem Anspruch der Opposition, den Wissenschaftsrat inspiriert zu haben, die Behauptung des Präsidenten der Deutschen Forschungsgemeinschaft, Professor Hess, und des Präsidenten der Rektorenkonferenz widerlegen, daß die Initiative für die Bildung des Wissenschaftsrates aus dem Kreis der Wissenschaft selbst gekommen Ist?
Herr Kollege Dr. Stoltenberg, was im politischen Raum geschieht, geschieht hier in diesem Hause. In diesem Raum kann weder eine Rektorenkonferenz noch eine Forschungsgemeinschaft zu Ergebnissen kommen. Vielmehr müssen sich hier politische Kräfte diese Aufgaben zu eigen machen.
Eine zweite Frage!
ist Ihnen bekannt, Herr Dr. Schäfer, daß die Gründung des Wissenschaftsrates nicht in diesem Hause, nicht durch einen Akt des Parlaments, sondern durch ein Verwaltungsabkommen der Regierung zustande gekommen ist?
Da darf ich Sie bitten, Herr Dr. Stoltenberg, die früheren Debatten nachzulesen. Dann werden Sie feststellen, daß die Regierung hier in diesem Hause beauftragt wurde, einen Wissenschaftsrat in dieser Weise zu schaffen.
Eine weitere Zwischenfrage von Herrn Abgeordneten Erler!
Herr Kollege Schäfer, wäre es Ihnen vielleicht möglich, mit ein paar kurzen Sätzen darzustellen, wie die Sozialdemokratische Partei dieses Problem seit ihrem Parteitag in München im Jahre 1956 in der Öffentlichkeit ganz entscheidend herausgestellt hat?
Ich will gern darauf eingehen, Herr Kollege Erler. Es sollte auch hier im Hause allgemein bekannt sein, daß sich die Sozialdemokratie der kulturellen Belange, der Belange der Wissenschaft und der Forschung ganz besonders angenommen hat, weil sie die Vorrangigkeit dieser Fragen vor anderen Fragen, denen Sie den Vorrang gegeben haben, von vornherein anerkannte. Ich darf den Präsidenten dieses Hauses zitieren, der vor einem Jahr vor der Studentenschaft der Universität Tübingen sprach. Er sagte — zu mir gewandt —, er beneide meinen Parteifreund von Knoeringen, der Kulturpolitik betreiben dürfe, während es ihm verboten sei.
Die CDU hat jetzt auf ihrem Kongreß in Gelsenkirchen versucht, nachzuziehen. Anerkennenswert, meine Damen und Herren, daß Sie die Problematik jetzt auch erkennen, daß Sie unsere Ansicht hinsichtlich der Vorrangigkeit dieser Fragen jetzt teilen und daß Sie auf diesen Gebieten mitmachen! Aber warum wollen wir uns darum streiten?! Wollen Sie nicht wenigstens anerkennen, daß wir das als erste in Bewegung gebracht haben? Mir geht es darum, meine Damen und Herren, festzustellen: nicht der Herr Bundesinnenminister hat die Initiative auf kulturpolitischem Gebiet ergriffen, obwohl es sein Ressort ist, sondern erfreulicherweise der Wissenschaftsrat, erfreulicherweise andere Gremien. Es geschieht einiges trotz des Desinteresses, des sehr deutlichen Desinteresses, des Herrn Bundesinnenministers auf diesem Gebiet.
— Ich habe Sie nicht verstanden, kann also darauf nicht erwidern.Ein anderes Gebiet, auf dem ich die Aktivität des Bundesinnenministers immer vermisse, ist das der Kommunalpolitik. Wir haben in diesem Hause im Dezember auf Grund einer Großen Anfrage unsererseits sehr ausführlich über die Kommunalfinanzen gesprochen. Der Herr Bundesinnenminister war nicht vertreten. Er wurde später durch seinen Staatssekretär vertreten. Ich habe noch in keinem Falle, in dem es um die Interessen der Gemeinden ging, auch nur die leiseste Äußerung des Herrn Bundesinnenministers irgendwo wahrnehmen können, gleichgültig ob es sich um die Verkehrsfinanzbelastung, um den Gemeindepfennig, um die Gewerbesteuerreform oder um die allgemeinen kommunalpolitischen Probleme handelt. Nirgends ist irgendwann der Herr Bundesinnenminister zu hören gewesen, auf nicht einem Gebiet der Kommunalpolitik. Wer anders sollte denn hier im Hause und bei den Entscheidungen, die wir auf Bundesebene zu treffen haben und die sich bis in die Kommunalpolitik auswirken, die Interessen der Gemeinden vertreten, wenn nicht der Innenminister! Ein vollkommenes Schweigen!Nun zum nächsten großen wichtigen Gebiet, dem Gebiet des zivilen Bevölkerungsschutzes. Es istges geschehen. Ich denke daran, daß der Staatssekretär im Innenministerium, Ritter von Lex, der in der Zwischenzeit ausgeschieden ist, am 10. Juni 1959, also vor zwei Jahren, von diesem Platz aus ein ausführliches Programm entwickelt hat. Wenn ich das vergleiche mit dem, was in der Zwischenzeit geschehen ist, dann kann ich nur sagen: unbefriedigend!Ritter von Lex hat damals vorgetragen, daß eine sorgfältige Planung der zivilen Notstandsmaßnahmen erfolgen müsse. Ich unterstelle, daß das erfolgt. Aber bei dem zweiten, was insbesondere Sache des Ministeriums wäre, ist recht wenig geschehen: bei der Vorbereitung einer umfassenden Gesetzgebung. Was gehört zu dieser Gesetzgebung? Dazu gehört die Abgrenzung zur Territorialverteidigung. Dazu
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 148. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1961 8383
Dr. Schäfergehört die Abgrenzung zum militärischen Bereich überhaupt. Dazu gehört die Sicherung und Bereitstellung der Kräfte, die dm Brandschutz, also bei der Feuerwehr, eingesetzt sind, die bei der Polizei eingesetzt sind, der Kräfte, die beim Technischen Hilfswerk eingesetzt sind, die beim Roten Kreuz eingesetzt sind.
— Nichts ist geregelt, Frau Kollegin Weber! Man hätte die Vorlage eines Gesetzes erwarten dürfen, das die Gleichrangigkeit mit dem Wehrdienst für diejenigen, die nicht zu langfristigem Wehrdienst herangezogen werden, feststellt. Die Erhaltung der Substanz des Volkes im Verteidigungsfalle ist doch das Entscheidende einer Sicherheitspolitik überhaupt.
— Gar nichts ist geschehen! Sie können mir nicht e i n Gesetz nennen, das das Ministerium hierzu vorgelegt hat. Sie können mir nicht e i n Gesetz nennen, Frau Kollegin Dr. Weber, nicht eine verbindliche Äußerung des Innenministers darüber, daß hier eine systematische, wesentliche Planung erfolge.
Ich habe von diesem Platz schon einmal gesagt: man hat den Eindruck, daß der Streit, der Interessenkonflikt zwischen dem Verteidigungsministerium und dem zivilen Sektor, der zwangsläufig ist — das ist gar kein Vorwurf —, bis jetzt einfach nicht gelöst werden konnte. Aber das Problem ist zu lösen!Betrachtet man einmal, wie sich das Ministerium für diesen Fall vorbereitet hat, dann stellt man fest: auch das ist sehr unbefriedigend.
— Das ist ein europäisches Problem, Frau Kollegin; ich bin durchaus mit Ihnen einig. Aber es wird nicht europäisch gelöst; das Problem der Garantierung der inneren Sicherheit wird von den einzelnen Nationen gelöst werden müssen. Daran, daß dieses Problem bei anderen Völkern genauso auftritt, besteht gar kein Zweifel.Wenn man nun untersucht, was das Ministerium für diesen Fall getan hat, dann kommt man zu der Feststellung, daß ein versteckter Leitungsstab geschaffen worden ist — die Betreffenden sind im Werkvertrag verpflichtet —, der aber nicht in der Weise aktionsfähig ist, wie er es an einem möglichen Tage X sein müßte. Im Werkvertrag geht das nicht, Herr Minister. Da muß schon von vornherein eine geeignete Leitungsstelle eingerichtet sein, und die Dinge müssen aufeinander abgestimmt sein. Sie sind doch hoffentlich mit mir darin einig, daß es nicht darauf ankommt, gesetzliche Vollmachten in der Hand zu haben, sondern darauf, die Dinge praktikabel zu machen und durchzuführen.Nun, was tat der Herr Innenminister Schröder? Er hat sich auf ganz andere Gebiete geworfen. Das begann mit seiner berühmt-berüchtigten Stuttgarter Rede vom 30. Oktober 1958. Sie ist in diesem Hause zur Genüge bekannt, so daß ich sie im einzelnen wohl nicht mehr zu behandeln brauche. Aber ein Punkt bedarf auch heute wieder der Erwähnung. Dem Herrn Innenminister ist damals — das war nicht ein Lapsus linguae, sondern das war ein Bekenntnis — etwas über die Lippen gekommen, was er nachher nicht mehr wahrhaben wollte. Ich muß es im Wortlaut vorlesen, sonst wird nachher behauptet, es sei nicht so gewesen, wie ich es vorgetragen habe. Der Herr Innenminister sprach von den Beamten. Es war sehr interessant und beängstigend zugleich, daß er sagte:Ich spreche hier von einer Haltung, die es den Beamten ermöglicht, jedem verfassungsmäßigen Träger der Staatsgewalt mit unwandelbarer Gewissenhaftigkeit bei der Verwirklichung von politischen Zielen zu helfen, die in den allgemeinen Wahlen die Billigung der Mehrheit gefunden haben.Damit sagt er klipp und klar — anders kann man es nicht auslegen, und deshalb wiederhole ich es hier —, daß die Partei, die in den Wahlen die Mehrheit bekommen habe, sich der Beamten bedienen könne, um ihre politischen Ziele durchzusetzen.Daß das in einem demokratischen Staat unmöglich ist und geradezu eine Unterwühlung des demokratischen Staates mit sich bringen würde, ist ganz selbstverständlich. Aber wir wissen ja — in vielen Presseartikeln ist das zur Sprache gekommen —, daß der Herr Innenminister eine etwas andere Vorstellung von Demokratie hat; bei ihm liegt mehr autoritäre Vorstellung drin. Diese Vorstellung ist wiederholt angesprochen worden, und eine Zeitung hat sie damit gekennzeichnet, daß sie über ein Portrait des Ministers die Oberschrift setzte: „Die Opposition wird nicht erwähnt". Das Selbstverständliche des geistigen Wandels, der geistigen Auseinandersetzung in einer Demokratie ist dem Herrn Innenminister offensichtlich im Grunde seiner Seele zuwider. Er kann sich gar nicht vorstellen, daß das ein selbstverständlicher Lebensvorgang ist.
— Das ist meine Meinung, und sie ist durch diese Dinge begründet, Herr Dr. Stoltenberg.Ich darf bei dem gleichen Thema bleiben. Der Herr Bundesinnenminister hat ein Notstandsgesetz vorgelegt. Die ganze Art und Weise, wie dieses Notstandsgesetz behandelt wurde, kennzeichnet das, was ich soeben gesagt habe und was ich damit noch einmal begründen darf. Es war gut und richtig, daß die Fraktion der CDU/CSU mit uns in Verhandlungen eintreten wollte, um dieses so schwierige Gebiet des Notstandswesens zu regeln. Wir waren uns einig, daß eine Regelung erfolgen muß, und es war richtig, daß sich die politischen Kräfte in diesem Raum zusammensetzen wollten, um die erforderliche Grundgesetzänderung oder -ergänzung vorzunehmen. Das hat aber dem Herrn Bundesinnenminister nicht gepaßt. Er hat, als die Verhandlungen gerade begonnen hatten, im Januar letzten Jahres seinen Gesetzentwurf auf den Tisch gelegt.
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Dr. SchäferSeither haben wir die Situation — ich bedaure, daß die CDU/CSU sich dafür vorspannen ließ —: Entweder diesen Gesetzentwurf oder gar nichts. Man hat den Eindruck, meine sehr geehrten Damen und Herren, daß die Frage meines Kollegen Arndt in der ersten oder zweiten Lesung beantwortet wurde, als er den Herrn Innenminister fragte: Wollen wir hier nun gemeinsam eine Aufgabe des demokratischen Staates lösen, oder wollen Sie Giftgas geben für den Wahlkampf? Offensichtlich das letztere, denn seit dem 28. September ist wiederum nichts passiert. Sie, meine Damen und Herren von der CDU/CSU, haben anerkennenswerterweise eine Verhandlungsdelegation unter dem Vorsitz Ihres Fraktionsvorsitzenden bestellt; die FDP hat eine Delegation bestellt; wir haben eine Delegation bestellt. Und wir warten bis heute auf die Einladung zu einer gemeinsamen Besprechung, obwohl wir Sie wiederholt gemahnt haben, obwohl Sie genau wissen, daß wir grundsätzlich bereit sind, über diese Fragen zu sprechen. Aber natürlich mit einer Einschränkung: daß man die Freiheit nur mit demokratischen, verfassungsmäßigen Mitteln schützen darf und nicht mit anderen Mitteln.Wie der Gesetzentwurf des Herrn Innenministers gewertet wird, das darf ich nochmals zitieren. Das hat der Bundesrat, nicht wir, einstimmig, also mit den Stimmen der CDU/CSU-Ministerpräsidenten, beschlossen. Dort heißt es z. B. in dem Bericht des Berichterstatters, eines CSU-Ministers:Die eben erwähnten verfassungsrechtlichen, aber auch die verfassungspolitischen Bedenken gegen die Gesamtkonzeption wie gegen die Einzelbestimmungen des Entwurfs erschienen der Mehrheit des Rechtsausschusses als so schwerwiegend, daß sie glaubte, den Regierungsentwurf als Ganzes ablehnen zu müssen.Und nachher, genau wie wir es nachher formuliert haben, wie es sich mit unserer Meinung deckt:Ein Teil der Mitglieder des Rechtsausschusses empfand den Entwurf offenbar in so hohem Maße als verfassungsrechtlich oder verfassungspolitisch bedenklich, daß er ihn nicht als eine geeignete Diskussionsgrundlage für einen Gegenvorschlag erachtete.Meine Damen und Herren von der CDU/CSU, gibt Ihnen das nicht zu denken? Hätte das nicht dem Herrn Innenminister zu denken geben müssen, wenn seine eigenen Parteifreunde eine so harte, scharfe Formulierung wählen müssen? Er hat keinen Anlaß genommen, das Gesetz dann neu zu bearbeiten; er hat sich auf seinen Entwurf hartnäckig festgebissen, offensichtlich — einige Zeitungen haben's ja dann geschrieben — mit der Tendenz, die SPD wiederum zu diskriminieren, daß man mit ihr doch nicht einmal eine vernünftige innenpolitische Sicherheitsfrage lösen könne. Und da war es so unangenehm für ihn, daß wir zugestimmt haben; da war es so unangenehm für ihn, daß wir sagten: Natürlich! Selbstverständlich! Wir sind bereit, über die Probleme zu sprechen, und wir sind bereit, auch wenn es unpopulär ist, eine solche Lösung mitzumachen.Der Herr Innenminister hat ein weiteres Gesetz vorgelegt: das Notdienstgesetz. Ich darf nur auf die vielen Beschwerden der Frauenverbände hinweisen, und es genügt, um zu sagen, wie dieses Gesetz in der Bevölkerung empfunden wird.Das Einreise- und Ausreisegesetz sei nur erwähnt. Wir erinnern uns noch an die Debatte in diesem Hause, als die Kritik von allen Seiten kam, als die Kritik vom Journalistenverband kam, als die Kritik aber auch aus Ihren eigenen Reihen kam, weil Sie dem Minister ebenfalls klipp und klar sagen mußten: So geht es nicht! Gerade bei diesem Ein- und Ausreisegesetz zeigte es sich doch, daß die Konzeption, die Vorstellungen über Verfassungsschutz, die der Herr Minister hat und die wir haben, sehr verschieden sind. Wir sind der Auffassung:Diesen Staat zu schützen ist eine Aufgabe aller politischen Kräfte. Alle politischen Kräfte müssen daran teilhaben, und alle müssen mit dafür sorgen, daß dieser Staat — da stimme ich mit dem Innenminister überein — eine wehrhafte Demokratie ist. Ja, eine wehrhafte Demokratie setzt aber ein Zusammenwirken voraus. Ein Zusammenwirken, meine Damen und Herren, das ist nun allerdings mit diesem Innenminister außerordentlich schwer. Wir haben uns seit Jahren darum bemüht, den Verfassungsschutz zur Angelegenheit aller politischen Kräfte zu machen. Er schnürt ihn ab. Er hat eine sehr neue, elegante Methode gefunden, eine Methode, die ihm auch sonst Liegt. Er übergab den Fraktionen den Lagebericht, wie ihn das Bundesamt aufstellt. Mit diesem Lagebericht, Herr Minister — das wissen Sie so gut wie ich —, ist recht wenig anzufangen. Sie wissen so gut wie ich, daß das das geringste, dürftigste Maß der Zusammenarbeit ist. Wenn Sie Ihrem eigenen Hause, ja sich selbst alles vorbehalten, dann ist eine Zusammenarbeit auf diesem Gebiet auf ein wirklich unerträgliches Mindestmaß begrenzt.Wir haben bei den Haushaltsberatungen gehört, daß die Mittel für den positiven Verfassungsschutz jedes Jahr geringer geworden sind. Wir waren davon sehr unangenehm berührt. Wir meinen nämlich, daß der positive Verfassungsschutz, daß die Stärkung des Staatsbewußtseins die stärksten Abwehrkräfte überhaupt hervorbringen kann und nicht polizeiliche Maßnahmen. Natürlich braucht man die polizeilichen Maßnahmen, und wir anerkennen die Leistungen der Verfassungsschutzämter und polizeilichen Organe. Daß das ja nicht in Zweifel gezogen wird! Aber die Entscheidung liegt auf dem Gebiet des aktiven Staatsbewußtseins.Wir haben vor einem Jahr beantragt, die Mittel bei der Bundeszentrale für Heimatdienst zu erhöhen. Das Haus hat damals unseren Antrag abgelehnt. Ich bin 'erfreut, daß der Haushaltsausschuß jetzt meinem Antrag folgte, bei der Bundeszentrale für Heimatdienst auf die Steigerung von 0,5 Millionen DM noch einmal 0,5 Millionen DM aufzustocken, so daß jetzt 8 Millionen DM zur Verfügung stehen. Aber, Herr Bundesminister, warum binden Sie denn dann die Bundeszentrale an? Warum geben Sie ihr nicht die notwendige Selbständigkeit, damit sie im gesamten politischen Raum arbeiten kann? Warum
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Dr. Schäfergeben Sie einen Erlaß heraus, der praktisch die Aktionsfähigkeit des Hauses einschränkt?Gestern sprachen Sie hier davon, daß das „Parlament" von allen Seiten getragen werde. Warum verboten Sie dann, daß unser Kollege Dr. Menzel im „Parlament" schrieb? War es Ihnen denn so unangenehm, daß im „Parlament" die Meinungen der Opposition vorgetragen würden und zur Geltung kämen? Das liegt alles im gleichen Rahmen.Warum haben Sie die Kollegin Renger aus dem Bundesluftschutzverband ausgeschlossen, nachdem sie von den Frauenverbänden — ohne Stimmrecht — dorthin delegiert worden war? Ist es Ihnen denn so unangenehm, wenn eine sozialdemokratische Abgeordnete dort mitspricht? Wäre es nicht gerade klug von Ihnen, sogar Wert darauf zu legen, daß auch wir dort vertreten sind, damit Sie darauf Bezug nehmen können? Das geht alles in die gleiche Richtung, in die gleiche autoritäre, ausschließliche Richtung, die wir bei Ihnen ja immer von einem Mal zum anderen zu beanstanden haben.Noch ein Wort zu Ihren verfassungsrechtlichen Vorstellungen über diesen Bundesstaat. In einer Äußerung zum Grundgesetz haben Sie zum Ausdruck gebracht, daß die föderale Struktur der Bundesrepublik eine der schwersten Belastungen sei, die das Grundgesetz uns aufgehalst habe. Meine Damen und Herren, es ist doch sehr interessant, daß der Verfassungsminister in einer offiziellen Stellungnahme eine solche Äußerung abgibt.Er handelt auch dementsprechend. Das fängt an mit seinem Vorschlag zur Gleichschaltung der Wahlen, alles an einem Tag zu wählen, und reicht bis zu der Handlungsweise, daß man wichtige Gesetzentwürfe vorher nicht mit den Bundesratsmitgliedern, mit den Ländern bespricht, sondern diese vor vollendete Tatsachen stellt. Das berührt auch dieses Haus; denn Herr Minister, wenn der Bundesrat, wie es jetzt wiederholt geschehen ist, nicht Stellung nehmen kann, weil er innerhalb der drei Wochen so wichtige Gebiete nicht behandeln kann, dann ist auch dieses Haus in seiner Aktionsfähigkeit gehemmt. Wir meinen, daß Sie diese Pläne zur Umgestaltung aufgeben sollten.Nun noch zu einem weiteren Gebiet! Mit der Notstandsgesetzgebung können Sie ohne die Opposition nicht durchkommen. Notdienst- und Bundesleistungsgesetz und das Wehrpflichtänderungsgesetz: das sind Ihrer Meinung nach Gesetze, mit denen man doch eine Art Notstandsgesetzgebung aufbauen kann. Da kommen solche Begriffe wie „Spannungsfall", „drohender Verteidigungsfall", „vor dem Drohen des Verteidigungsfalles", „im Hinblick auf den drohenden Verteidigungsfall". Und die Feststellung dieser Begriffe, die Feststellung, daß ein solcher Zustand vorliegt: was versteht man in Regierungskreisen darunter? In der Pressekonferenz vom 24. Oktober vorigen Jahres hat es der Pressechef, Herr Staatssekretär von Eckardt, gesagt; er sagte: in Zeiten höchster Spannung, die nicht Krieg, aber auch nicht sozusagen völliger Frieden sind. Meine Damen und Herren, steht das der Regierung zu, steht das den einzelnen Ministernzu? Ist es nicht genau das Gegenteil von Art. 59 a und ist es nicht ein ganz starker Eingriff in Art. 65 a? Praktisch wird Art. 65 a Abs. 2, der die Vollmacht im Verteidigungsfalle überträgt, von vornherein vollkommen ausgehöhlt.
Herr Innenminister, so kann man nicht indirekt Notstandsgesetzgebung machen. Ich habe sehr ernste Bedenken, daß das verfassungsmäßig ist, und Sie werden in wenigen Wochen in sehr angesehenen Kommentaren und in der Fachwelt darüber Ausführungen nachlesen können, die Ihnen zeigen werden, daß wir mit dieser Auffassung nicht allein stehen, sondern daß Staatsrechtslehrer der gleichen Auffassung sind, daß Sie sich hier auf einem verfassungsrechtlich außerordentlich bedenklichen Wege befinden, ich möchte sagen: daß Sie verfassungswidrig handeln, indem Sie erhöhte Pflichten des Bürgers durch Feststellung des Spannungsfalles oder des drohenden Verteidigungsfalles eintreten lassen und dieser Spannungsfall oder drohende Verteidigungsfall von der Regierung allein festgestellt wird. Meine Damen und Herren, so kann man die Verfassung nicht umgehen oder gar aushöhlen.Was hat aber der Herr Innenminister in diesen Zeiten ganz besonders getan? Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, daß er sich bemüht hat, sich selbst ins rechte Licht zu rücken. Ich darf nur an die Krise mit der Kandidatur des Bundeskanzlers auf das Amt des Bundespräsidenten erinnern.
Es ist notwendig, wiederum ins Gedächtnis zurückzurufen, welche Rolle der Innenminister damals gespielt hat.
Es gab Zeitungen, die damals schrieben, einen so unverhüllten politischen Ehrgeiz habe man schon lange nicht mehr gesehen.
Der Herr Bundeskanzler hat später selber indirekt gesagt, daß die Staatskrise, die die Bonner Republik samt ihrem Staatsoberhaupt zum Gespött der Welt werden ließ, von Gerhard Schröder eingefädelt und ausgelöst wurde.Und erinnern Sie sich noch an die Situation in diesem Hause, als der Herr Innenminister hier als Mitschreiber auftrat und zeigte, wie er seine Kollegen behandelt, wie er politische Auseinandersetzungen führt? Das war am 11. Juni 1959, als davon die Rede war, daß der Vizekanzler Professor Erhard erklärt habe, er habe nichts davon gewußt, daß der Kanzler doch nicht kandidieren wollte. Ich kann es Ihnen vorlesen, wenn es Sie interessiert.
— Sie wissen es auswendig? Das ist erfreulich — wenn ich an Ihr Gedächtnis appellieren darf.
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Dr. Schäfer— Das ist so wichtig, Herr Kollege Niederalt, und ich wundere mich, daß Sie es nicht erkennen. Das läßt die Gefahr noch größer erscheinen;
denn wenn Sie von der CDU/CSU-Fraktion nicht einmal merken, was da gespielt wird, dann ist meine Besorgnis noch begründeter. Sehen Sie, die Mitschreiber: Wer hier auftritt und sagt: „Ich habe hier eine Notiz aus der und der Sitzung an dem und dem Tag zu der und der Stunde, da hat der und der ein Wort gesagt, und deshalb ist er jetzt glaubwürdig, wenn er das sagt" — wer seine Freunde schon hier in diesem Hause so behandelt, von dem wissen wir, wie er eine Opposition zu behandeln in der Lage ist;
und deshalb ist es für uns wichtig.
— „Wer schreibt, bleibt", na schön, Herr Kollege Leonhard. Wir hoffen allerdings nicht, daß er bleibt, der Herr Innenminister.
Meine Damen und Herren, Herr Kollege Niederalt,es kam mir darauf an, Ihnen zu zeigen, wie die Tätigkeit des Bundesinnenministers sich politisch dar-stellt. Nach unserer Überzeugung hat er die Aufgabe, die ihm als Innenminister gestellt ist, nämlich Minister für das ganze Volk zu sein, nicht bewältigt.
Das Wort hat der Herr Bundesminister des Innern.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Opposition hatte urbi et orbi angekündigt, daß ich in dieser Haushaltsdebatte — wie sagt man doch so schön? — in der Luft zerrissen werden sollte,
— ich habe es gelesen, Herr Kollege Schoettle —, und das Hohe Haus hat já nun den ersten Teil dieses — Experiments, sage ich einmal, erlebt. Herr Kollege Schäfer, es wäre, glaube ich, nicht ganz richtig, wenn ich mit allzuviel Ernst auf das eingehen wollte,
was Sie gesagt haben. Denn sehen Sie: mein Verhältnis zur Opposition ist eigentlich ganz anders, als Sie sich das vorstellen. Ich glaube, daß der Innenminister so ein bißchen das Schicksal, vielleicht auch so ein bißchen die Aufgabe hat, doch das Salz in der Suppe der Opposition zu sein;
und daß Sie diese Haushaltsdebatte mir auch nach der Stundenzahl gemessen so liebevoll und umfassend widmen, ist ja wohl ein Zeichen dafür, daß ich ein bißchen — und das ist natürlich etwas sehr Bescheidenes — das Salz in Ihrer Suppe bin. Sie brauchen Salz in Ihrer Suppe, wir brauchen Salz in unserer Suppe, und da wollen wir uns das gegenseitig liefern.
— Ich höre gerade: „v e r salzen". Sie können unsere Suppe nicht versalzen, darauf passen wir sorgfältig auf; und es ist Ihre Sache, aufzupassen, daß Sie nicht zuviel Salz in Ihre Suppe bekommen, jedenfalls nicht mehr, als Sie vertragen können. Es hängt, wie Sie wissen vom Gesundheitszustand ab, welches Maß an Salz man verträgt.Die Gesetzgebung der Bundesregierung, die Sie hier angegriffen haben . . . Das möchte ich einmal pauschaliter sagen, damit nicht da und dort im Lande falsche Vorstellungen entstehen, wie das ja gelegentlich sein kann: Ich werde von Ihnen so geschildert — das ist schmeichelhaft, aber nicht nur schmeichelhaft —, als ob ich hier allein auf weiter Flur Alleingänge machte. Ich bekomme bei Ihnen jetzt schon das Prädikat der „einsamen Entschlüsse"; offenbar sind Sie dabei, dieses Prädikat „einsame Entschlüsse" nicht mehr ganz so einseitig zu verteilen.
— Nicht Sie! Ihr Nachrichtendienst vor einigen Tagen. Lesen Sie PPP; dann werden Sie es sehen. Das sind die „einsamen Entschlüsse". Ich habe sonst immer gelesen, daß jemand anders — —
— Herr Kollege Mommer, seien Sie unbesorgt! Die CDU ist eine große Familie, eine •sehr nette Familie, und wir vertragen uns in der CDU sehr gut.
— Herr Kollege Schmitt-Vockenhausen, auch darin täuschen Sie sich ganz. Das Verhältnis zwischen dem Herrn Bundeswirtschaftsminister und mir ist seit Jahren völlig ungetrübt und sehr herzlich.
Ob Sie das glauben wollen oder nicht, meine Damen und Herren, spielt keine Rolle. Ich sage Ihnen, daß es so ist, und es wäre vielleicht ganz nützlich, wenn Sie dabei von falschen Vorstellungen abgingen. Geben Sie sich dabei bitte keinen falschen Erwartungen hin.Aber lassen Sie mich auf meinen Punkt zurückkommen. Es handelt sich hier nicht um einsame Spaziergänge in die parlamentarische oder sonstige Ebene. Ich habe hier — 'and ich bitte das nun wirklich einmal für die Zukunft und richtig in die Akten zu nehmen — noch keine einzige Vorlage gemacht, die nicht einstimmigen Beschlüssen der Bundesregierung entsprochen hat. Ich bin dem Herrn Bundeskanzler aufrichtig dankbar für das, was er in dieser
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 148. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1961 8387
Bundesinnenminister Dr. SchröderBeziehung gestern an einem anderen Beispiel einmal klargestellt hat. Es ist nämlich sehr schlecht, wenn man glaubt, daß man eine Regierung aufsplittern könnte in die Guten und in die Bösen, in die Halbguten und in die ganz Bösen.
— „Halbstarke"? Stammt es von Ihnen, Herr Kollege Kühn? Es konnte nur von Ihnen stammen. Das ist eine ausgesprochen journalistische Bemerkung, und die mußte also kommen.Aber wir sind sehr viel weniger übelnehmerisch als Sie. Das hat natürlich mehrere Gründe. Sie solles eigentlich auch ein bißchen — ein bißchen nur — als ein Verdienst von uns anerkennen, daß wir eigentlich gar nicht so übelnehmerisch sind und daß wir nicht so häßlich und scharf zurückschießen, wie Sie das tun. Vielleicht entnehmen Sie daraus noch ein wenig, daß es uns um ein richtiges Verhältnis zwischen Regierung und Opposition viel ernster ist, als Sie das manchmal annehmen. Ich würde etwas sehr vermissen, wenn es Sie in diesem Hause nicht mehr gäbe; ich würde mich dann hier sehr unglücklich fühlen, und Sie sollten sich umgekehrt unglücklich fühlen, wenn es uns nicht mehr gäbe. Das ist doch wohl — ich sage damit gar nichts Neues und Originelles — eine ganz natürliche Betrachtung der Dinge.Damit Sie nun nicht glauben, ich müßte in irgendeinem der Punkte ausweichen, die hier vorgebracht worden sind, will ich sie mit Akribie behandeln. Zunächst einmal wurde attestiert, daß eine ganze Reihe wichtiger Gesetzgebungswerke, für die mein Haus federführend gewesen ist, hier verabschiedet worden sind. Die Verwaltungsgerichtsordnung ist genannt worden. Es hat ein bißchen lange gedauert. Die Schuld hat nicht beim Ministerium gelegen.
— Sie ist da. Was lange währt, wird gut. Das ist nicht immer so, aber von der Verwaltungsgerichtsordnung können wir uns, glaube ich, durchaus etwas versprechen. Sie gehört ja zu jenen Gesetzen, die etwas länger halten sollen als manche anderen Gesetze.Unbestreitbar ist doch, daß wir auf dem Gebiet der Gesundheitsgesetzgebung in dieser Legislaturperiode ein großes Stück weitergekommen sind. Das wird nicht immer so gewürdigt, aber dahinter steckt— das werden Sie hoffentlich von vornherein konzedieren — nicht nur etwa die vorzügliche Arbeit des Gesundheitsausschusses. Bei einem Blick nach rechts sehe ich leider den Kollegen Stammberger nicht, den ich in diesem Zusammenhang nur dankbar erwähnen kann. Herr Bucher ist sicher bereit, das entgegenzunehmen und zu vermitteln. Herr Kollege Stammberger hat in meinen Augen ein ganz großes Verdienst darum, dieses Stück Gesetzgebungsarbeit von der parlamentarischen Seite her neben allen anderen Kollegen des Hauses, aber doch mit einem großem persönlichem Einsatz gefördert zu haben.
Also das ist ein Stück solider Arbeit. Ich gebe zu: das ist ein Stück Arbeit, die nicht sozusagen im umkämpftesten Sektor stattfindet. Es gibt Sektoren, die mehr umkämpft, und andere, die weniger umkämpft sind. In den Sektoren, in denen die Arbeit des Ministeriums nicht so umkämpft ist, wird sie mit dem Minister in Verbindung gebracht; da läuft das unter „ferner liefen". Aber bei den paar umkämpften Sachen ist natürlich ausschließlich der Minister schuld.Herr Kollege Schäfer, Sie sind nun schon das zweite Zeugnis gegen dieses viel erwähnte Karlsruher Urteil geworden.
— Sie sind das zweite Zeugnis dagegen. Ich habe es gestern abend schon Ihrem Fraktionskollegen Lohmar gesagt. Sie kritisieren hier lebhaft unsere Betätigung auf dem Gebiet der Kulturpolitik. Sie sei, um es noch einmal zu resümieren, im Grunde doch mächtig unzulänglich. Und dieseselben Leute gehen nach Karlsruhe und, wie soll ich mich ausdrücken, — —
— Hier kommt gerade der Zwischenruf: „Ziehen uns in dieser Beziehung den Boden unter den Füßen weg". Ich möchte nicht ganz so weit gehen, sondern sagen: schaffen uns hier Steine statt Brot. Das ist das Ergebnis.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Herr Minister, Sie verkennen doch nicht, daß Sie nach Art. 74 Nr. 13 Zuständigkeiten auf dem Gebiet haben, und von denen ist die Rede.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Schäfer, Sie ziehen sich jetzt doch offensichtlich ein Stück zurück.
Denken Sie einmal an die ganzen Bemühungen auf dem Gebiet zum Beispiel der Studentenförderung. Wenn Sie das Karlsruher Urteil strikt auslegen wollen, können wir doch mit dem Honnefer Modell und diesen Sachen von heute an Schluß machen.
Sie verkennen doch eigentlich viel weniger, als wir es angeblich vielleicht manchmal tun könnten, daß das, was hier auf dem Gebiet der Kulturpolitik unternommen worden ist und nach meiner Meinung unternommen werden muß, einer gesamtdeutschen Forderung entspricht, einer Forderung, die im gesamten Bundesgebiet erhoben wird. Es ist doch kein Wunder, daß Ihr Parteifreund von 'Knoeringen in dieser Beziehung durchaus einer der Rufer im Streite gewesen ist. Warum sollten wir das nicht anerkennen? Das habe ich Herrn von Knoeringen selbst gesagt. Aber man kann nicht einmal so und
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8388 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 148. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1961
Bundesinnenminister Dr. Schröderdas andere Mal anders reden. Deswegen wäre es sehr gut, wenn man sich darüber verständigen könnte, wie in Zukunft Entwicklungen dieser Art entweder rechtzeitig vermieden oder in anderer Weise unmöglich gemacht werden.
— Herr Kollege Blachstein, Sie sagen „späte Erkenntnis". Wenn Sie alles so viel früher erkannt hätten, hätten Sie vielleicht Ihren Hamburger Parteifreunden einen Rat in dieser Beziehung geben können.
Und nun die Kommunalpolitik! Der Innenminister soll, wie auf allen anderen Gebieten, natürlich auch auf dem Gebiet der Kommunalpolitik versagt haben. Wenn Sie sich aber einmal unsere Bemühungen auf diesem Gebiet ansehen, wenn Sie das Grundgesetz zur Hand nehmen und wenn Sie die Meinungen der Länderregierungen und der Länderparlamente auf diesem Gebiet etwas studieren, dann gehört nicht viel dazu, hier aufzuzeichnen, wie gering der wirkliche Bewegungsspielraum ist, den wir auf diesem Felde haben.
Legen Sie doch nicht m i r etwas zur Last, was Sie in ungenügender Weise geregelt finden, sondern arbeiten Sie daran mit, daß sich die Grundlagen einer solchen Sache verbessern, und machen Sie nicht den armen Minister verantwortlich für unbefriedigende gesetzliche Verhältnisse.Das nächste Kapitel war das Kapitel des zivilen Bevölkerungsschutzes. Ziviler Bevölkerungsschutz ist ein weites Feld. Frau Kollegin Weber hat vorhin schon den Zuruf gemacht: „Europa!" Sie meinte also: eine europäische Regelung; man kann ein Stück weitergehen und kann sagen: eine NATO-Regelung. Zeigen Sie mir ein vergleichbar großes Land, das auf diesem Gebiet mehr als die Bundesrepublik geleistet hätte. Bitte, zeigen Sie es mir, dann wollen wir gern darüber diskutieren. Sie werden es mir nicht zeigen können. Das sind die Verhältnisse. Denn die Kraft der modernen Nationen oder, will ich genauer sagen, die Kraft der hochindustrialisierten Staaten, die einen hohen Aufwand für militärische Verteidigung haben, reicht finanziell einfach nicht aus, ein dem militärischen gleichwertiges ziviles Schutzpotential auf die Beine zu bringen.
Deswegen beruht auch die, sagen wir einmal, militärpolitische Theorie heute darauf, daß Krieg eben durch Abschreckung verhindert werden soll, weswegen ungeheuer viel Geld in diese Abschreckung gesteckt werden muß. Kein Krieg bedeutet: keine Inanspruchnahme des zivilen Bevölkerungsschutzes. Bei diesem Stand der Dinge hat der zivile Bevölkerungsschutz überhaupt nur die Chance, in einer gewissen verhältnismäßig bescheidenen Relation zu der militärischen Verteidigung zu stehen. Das sind nicht deutsche Erfindungen; der Blick auf Frankreich, England und die Vereinigten Staaten, um nur diesezu nennen, zeigt das mit voller Deutlichkeit. Dasselbe gilt cum grano salis für die Sowjetunion.Sie kamen dann auf meine Stuttgarter Rede. Meines Erachtens verlangen Sie vom Hohen Hause zuviel, sich an diese Rede noch erinnern zu sollen; denn sie liegt ja weit über zwei Jahre zurück. Sie haben diesmal ein anderes Stück daraus zitiert als üblich. Offenbar gibt diese Rede doch noch eine Menge Zitatstoff her. Sie haben diesmal zitiert, was ich über die Beamten gesagt habe. Sie stellen es dar, als hätte ich sie als Diener der Mehrheitspartei hingestellt; dieses Resümee haben Sie gezogen. Nichts falscher als das! Ich habe 'gesprochen von dem idealen Typ des Beamten, und erlauben Sie mir, wenigstens bei solchen Gelegenheiten ein Stück verborgenen Idealismus zur öffentlichen Darstellung zu bringen. Dafür werden Sie Verständnis haben.Ich sagte weiter, wir müßten es fertig bekommen, eine Beamtenschaft zu haben, die in unwandelbarer Treue zum Grundgesetz die Einstellung zu den jeweils durch Wahlen zum Regieren Legitimierten hat, daß sie nicht sozusagen Sabotage übt. Wir können nicht eine Beamtenschaft gebrauchen, die eine solche stille Sabotage übt.
Sie wissen, daß ich in diesem Zusammenhang stets England zitiere, und zwar Männer, die Ihnen parteipolitisch näherstehen wie beispielsweise den früheren Schatzkanzler und Innenminister Morrison und den jetzt verstorbenen Mr. Bevan. Bevan hat gesagt — und Morrison hat Ähnliches geschrieben —, er sei sehr erstaunt gewesen, daß er, als er als Gesundheitsminister sein Amt übernommen habe, eigentlich auf eine Beamtenschaft gestoßen sei, die nun wirklich nicht gerade sozialistisch erzogen gewesen wäre, die aber in großartigster Loyalität an seinem — ich sage es abgekürzt — Gesundheitsplan mitgearbeitet habe und der er sich tief dankbar zeigte für diese Unterstützung einer seiner politischen Ideen. 'Das habe ich erwähnt; ich weiß nicht, ob ich Mr. Bevan zitiert habe.
— Ich habe nichts dagegen, daß Sie das feststellen dürfen. Wir sind nicht so furchtbar eilig, das herbeizuführen.
Ich bin überzeugt, daß wir gegenüber der Beamtenschaft in keinem Augenblick eine andere Haltung einnehmen als die gerade von mir gekennzeichnete. Was da vorwerfbar sein soll, weiß ich wirklich nicht.Nun zu den autoritären Vorstellungen, die ich also haben soll! Das bleibt immer etwas im Nebel. Sie kommen da mit einem alten Zeitungsaufsatz, in dem es heißt, ich hätte die Opposition nicht genannt. Da kommt jemand zu mir, von dem ich mich zwei Stunden lang ausfragen lasse über vieles, ich hätte beinahe gesagt, über Gott und die Welt.
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 148. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1961 8389
Bundesinnenminister Dr. Schröder— Es waren sicher zwei Stunden, gnädige Frau, wenn nicht noch etwas mehr. Ich habe ihn mit großer Geduld angehört. Der Betreffende kommt nicht mit einem Wort darauf zu sprechen, wie ich z. B. über unsere sozialdemokratische Opposition denke. Ich würde das Beste gesagt haben, wie es sich versteht; aber er hat nicht mit einem Wort danach gefragt. Er geht dann weg und schreibt den Aufsatz: Opposition wurde nicht genannt. So kann man natürlich auch Berichte schreiben und Stimmung machen. Ob das ganz fair ist, weiß ich nicht. Der Betreffende wird keine Chance haben, sich mit mir nochmals zu unterhalten; dessen können Sie sicher sein.
Er wird keine Gelegenheit mehr haben; denn er hat sich nach meinem und nach dem Urteil meiner verläßlichsten Mitarbeiter — um es ,ganz deutlich zu sagen — absolut unfair verhalten,
und ich werde wohl nicht genötigt werden können, mich unter solchen Umständen auf eine nicht dienstliche Unterhaltung einzulassen.
Das sollten auch Sie mir nicht zumuten.
Allmählich nähern wir uns dem brennendsten Eisen, dem Notstandsgesetz. Gut! Ich sage noch einmal: Einstimmige Beschlüsse der Regierung, einstimmige Stellungnahme zu dem, was der Bundesrat gesagt hat! Also, bitte die Angriffe nicht so isoliert auf mich, sondern wenn schon, dann volle Ladung auf die Regierung!
Herr Kollege Arndt, der ja manchmal, auch in den Bildern, ein Stückchen — nun, ich sage mal liebenswürdig — dramatisch ist, hat die Frage gestellt, ob das nun Giftgas für den Wahlkampf sein sollte. Ich darf dem Hohen Hause folgendes mitteilen. Ich denke, daß ich in der nächsten Woche eine große Dokumentation über diesen Bereich werde herausbringen können, worin Sie dieses Zitat von Herrn Kollegen Arndt natürlich finden werden, weil wir umfassend und vollständig berichten. Meine Mitarbeiter haben mir vorgeschlagen, eine Stelle darin zu streichen; die werden Sie jetzt leider nicht mehr lesen können. Aber ich möchte sie dem Hohen Hause nicht vorenthalten. Auf das Giftgasbild paßte natürlich das Bild der Gasmaske bei der Opposition. Die Gasmaske — alle diejenigen von uns, die sie getragen haben, wissen das — hat manche Erschwerungen zur Folge, sowohl für die Atemtätigkeit wie für die Sicht.
Aber wir wollten liebenswürdiger sein, als wir angegriffen werden, und so haben wir die Geschichte mit der Gasmaske gestrichen. Ich hoffe, daß Sie trotzdem diese umfassende Broschüre als eine Klarstellung dieses ganzen sehr schwierigen Feldes werten und anerkennen werden. Sie wird Ihnen sicherlich nicht in allem gefallen. Das liegt dann aber nicht an mir. Sie finden dort Ihre eigenen Zitatewieder, wobei ich hoffe, daß wir uns auf diesem Feld vielleicht doch gemeinsam weiter nach vorn entwickeln können.
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Herr Minister, habe ich Sie recht verstanden, daß das eine Veröffentlichung Ihres Hauses wird und nicht der CDU? Sind Sie denn der Meinung, daß das, was Sie eben vortragen und ankündigen, eines Ministers würdig ist und einem Ministerium zusteht?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Aber, Herr Kollege Schäfer, nun wollen wir doch nicht anfangen, zimperlich zu werden. Das wäre doch wirklich ganz falsch.
Ich werde hier mit vollen Ladungen angegriffen,
und ich antworte darauf, wie Sie mir, glaube ich, zugeben müssen, doch wirklich nicht tief verletzt. Ich kündige Zitate an, die wie das Giftgaszitat von Herrn Arndt u. a. hier aus dem Hohen Hause stammen. Das soll ich nicht in einer Dokumentation verwenden dürfen, die ich herausbringe? Da wollen wir aber doch ganz klarstellen, daß ich dieses Recht unter allen Umständen habe!
Eine weitere Zwischenfrage, Herr Minister?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Bitte schön.
Herr Minister, halten Sie diese angekündigte Form der öffentlichen Auseinandersetzung für ein geeignetes Mittel um noch die Zustimmung der Opposition zu einer verfassungsrechtlichen Regelung der Notstandsfrage zustande zu bringen, oder sind Sie nicht der Meinung, daß Sie mit dieser Auseinandersetzung genau die Richtigkeit des Arndtschen Zitats bestätigen, daß es sich um Giftgas für den Wahlkampf handelt?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Erler, das ist eine berechtigte Frage. Ich habe über die Sache lange nachgedacht, und Sie bringen mich jetzt darauf. Vielleicht lege ich die Motive gleich dar. Beim Studium dieser Broschüre ist mir nicht nur das Auf und Ab in der politischen Diskussion eines Problems aufgegangen, sondern auch das ganz falsche Erinnerungsbild, das Leute, die diese Dinge zu kennen glauben, zum Teil haben. Deswegen ist das, glaube ich, nötig, wenn es nicht in einer polemischen Weise erfolgt. Das ge-
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8390 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 148. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1961
Bundesinnenminister Dr. Schröderschieht ja nicht, um gegen irgend jemanden zu polemisieren, sondern nur, um ihn zu beeindrucken. Dazu gehört, daß ich ihn—und das zeige ich darin — an eine bestimmte Stelle bringe, an der er unter Umständen — der Mensch braucht manchmal etwas Druck, um etwas zu tun, auch einen gewissen öffentlichen Druck — seine eigene Position anpaßt. Das ist ein legitimes Mittel der politischen Auseinandersetzung, wie Sie nicht bestreiten werden. Sie werden darin sehen, Herr Kollege Erler—und ich halte das für ein Verdienst von mir, das sage ich ganz offen —, daß ich die Opposition von einem völligen, wirklich ganz intensiven Nein schon bis zur Entschließung Ihres Hannoveraner Parteitages gebracht habe; jetzt können Sie sagen: mit gebracht habe, oder wie Sie das jetzt formulieren wollen.
— Ja, ich bin noch nicht direkt ein sozialdemokratischer Mitarbeiter. Aber soweit das gemeinsamen Interessen dient, halte ich mich da zur Mitarbeit durchaus verpflichtet. Und ich habe die feste Überzeugung, Herr Kollege Erler, daß wir zwar nicht in dieser Legislaturperiode — Sie wissen, wieviel Sitzungstage wir noch haben — mit diesen komplizierten Dingen zu Ende kommen, daß wir aber, gleichgültig, wie die Konstellationen sein werden, unter denen wir uns im Herbst — Mitte Oktober oder am 20. Oktober oder wann auch immer — hier neu versammeln werden, und zwar, wie ich hoffe, mit den alten, lieben vertrauten Gesichtern, dann auch in diesem Punkte schon ein gutes Stück weitergekommen sein werden, ganz gleichgültig, ob an jenem Tage Ihre Blütenträume in Erfüllung gegangen sein werden. Sie können von mir nicht verlangen, daß ich so weit gehe, es Ihnen zu wünschen. Das können Sie mir nicht gut zumuten.
Gleichgültig, ob unsere Erwartungen sich erfüllen, es wird so sein, daß wir hinsichtlich dieser Frage auf ein wesentlich abgerundeteres Bild stoßen werden. Ich habe in der Tat die Hoffnung, daß wir eine Formel werden finden können, die Sie, so möchte ich meinen, redlicherweise mitmachen sollten.Es ist ungeheuer schwer, das gebe ich zu, aus dem ganz einfachen Grunde: Wären wir hier eine verfassungsgebende Versammlung und wären wir nicht aktiv kämpfende politische Männer und Frauen, dann würde uns das sehr viel leichter fallen. Dann würden wir distanzierter sehen, wie sich ein Staat verhalten soll, wenn das und das eintritt. So aber sieht jeder immer den anderen: Wer wird das machen, wie wird das aussehen usw.? Deshalb wird er von der Sache etwas abgelenkt, und er sieht zu sehr Personen. Aber ich kann mir vorstellen, wenn man lange genug Personen relativ harmlos gesehen hat, dann findet man vielleicht doch eher dieses Stückchen Schwung, das man braucht, um über eine Hürde hinüberzuspringen. Ich hoffe, daß wir diese Hürde, wenn es sein muß, gemeinsam werden nehmen können.Ich bin jetzt etwas ausführlich geworden. Erlauben Sie mir deshalb, die anderen Dinge etwas kürzer zu behandeln. Vom Notdienstgesetz habe ich die Hoffnung, daß es tatsächlich noch in dieser Legislaturperiode verabschiedet wird. Ich habe die Zusage meiner politischen Freunde, daß sie sich — soweit Arbeitsintensität dazu etwas beitragen kann — ihrerseits dasselbe Ziel gesetzt haben. Deswegen rechne ich eigentlich damit, daß wir das Notdienstgesetz und das Bundesleistungsgesetz werden verabschieden können.Das sogenannte Ein- und Ausreisegesetz wird, wie ich hoffe, — vielleicht in etwas anderer Form — ebenfalls verabschiedet werden. Es wird dann, wenn es verabschiedet sein wird, einen Titel tragen, der nach meiner Meinung besser ist als der, den wir ursprünglich gewählt hatten. Wenn das Gesetz „Gesetz über den Mißbrauch des freien Reiseverkehrs" heißt, dann hört es sich vielleicht sehr viel besser an, als es sich im Augenblick anhört. Ich glaube auch, hier können Kompromißformeln heranreifen.
— Wir werden es ja erleben, aber das muß man einmal abwarten.Nun ein Wort zum Verfassungsschutz! Meine Damen und Herren! Der Verfassungschutz ist hier im Hause sehr oft nicht so ganz freundlich behandelt worden; er verdient in der Tat für seine Erfolge in der letzten Zeit nachdrücklich Dank und Anerkennung.
Das, was in zunehmendem Maße sowohl als Spionageaktivität wie an Untergrundaktivität entdeckt worden ist und was bisher in das Hohe Haus hineingereicht hat, ist eine Leistung, die ganz allgemein Anerkennung findet und die auch hier ausgesprochen werden muß. Deswegen ist es auf diesem Sektor ganz offensichtlich so, daß hier — wenn irgendwo — der Erfolg für mich spricht. Ich nehme den Erfolg gar nicht für mich in Anspruch. Aber wenn schon, dann spricht doch der Erfolg für mich in dieser mir unterstellten Institution.Sie sind nicht zufrieden damit, obwohl ich so weit gegangen bin, Ihnen die geheimen oder jedenfalls rein innerdienstlichen Lageberichte zugänglich zu machen. Damit bin ich doch sehr weit gegangen, wie ich glaube, um Sie wirklich Einsicht nehmen zu lassen in das, was da ist. Ich habe also den stillen Verdacht, daß das, was Sie eigentlich monieren, Personalpolitik ist.
Meine Damen und Herren! Ich habe gestern abend Gelegenheit gehabt, etwas am Rande hier über Personalpolitik zu sprechen. Ich halte etwas von einer nicht parteipolitisch gefärbten und deshalb dem Grundgesetz entsprechenden Personalpolitik.
Sie glauben, dies alles wäre für Sie besser, wenn Sie sozusagen mit Ihrem Vertrauen dorthin ent-
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 148. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1961 8391
Bundesinnenminister Dr. Schradersandte Mitarbeiter hätten. Das halte ich auf jeden Fall für falsch. Ich würde es für nicht verantwortbar halten, das zu tun. Die Menschen, die sich politisch direkt oder indirekt zu Ihnen bekennen, müssen mit allen anderen auf einer einzigen Basis konkurrieren, nämlich auf der Basis der Eignung für eine bestimmte Aufgabe und der Bewährung in einer bestimmten Aufgabe, auf gar keiner anderen Basis. Keinerlei Patronage parteipolitischer Art!Die Bundeszentrale für Heimatdienst ist in dieser Debatte zum zweitenmal aufgetaucht. Über den Erlaß vom August habe ich gestern abend ausführlich genug gesprochen, wenn auch leider vor einem weniger besetzten Haus. Das möchte ich hier nicht wiederholen.Aber, Herr Kollege Schäfer, der Herr Kollege Menzel hat Sie nicht ausreichend informiert. Sie sagen, der Kollege Menzel habe nicht im „Parlament" schreiben können. Ich kann Ihnen die Daten — sogar genau — geben. Die Sache ist so gewesen: Ich habe einen völlig unpolemischen Rundfunkvortrag von mir — nicht mit einer Spur Polemik gegen irgend jemand — am 2. Dezember im „Parlament" abdrucken lassen und darum gebeten, daß man in der nächsten Ausgabe den Aufsatz eines Ihrer Parteifreunde drucke, nämlich einen Rundfunkvortrag, den der Kollege Merten ebenfalls ungefähr in der selben Zeit gehalten hatte, einen, wie ich heute immer noch sage, vorzüglichen Vortrag. Und was war das Ergebnis? Die SPD teilt mir mit, der Vortrag Merten könne nicht abgedruckt werden.
Wer greift hier in die freie Meinungsäußerung ein?
Ich oder die SPD? Die SPD hat mir mitgeteilt, der Vortrag Merten könne nicht abgedruckt werden, statt dessen ein Vortrag Menzel. Dieser Vortrag Menzel war nun im Gegensatz zu meinem Vortrag rein polemisch, und ich habe gesagt: Dafür ist das „Parlament" zu schade, daß wir darin einen polemischen Aufsatz veröffentlichen. Wir wollen sachliche Beiträge zu einem Problem haben.
Deswegen ist die Sache — um gleich aufs Ende zu kommen — so ausgegangen, daß der Kollege Menzel das eingesehen und einen neuen Beitrag nichtpolemischer Art geschrieben hat. Dieser Beitrag des Kollegen Menzel ist dann bereits 14 Tage nach meinem Beitrag — Sie wissen, es ist eine Wochenzeitung — abgedruckt warden.Sie sehen also, wie prompt und bereitwillig wir sogar darauf 'eingegangen sind, das Veto zu honorieren, das Ihre Fraktion Herrn Merten erteilt hat.
Eine Zwischenfrage!
Herr Minister, ist Ihnen denn entgangen, daß es darum ging, daß die Meinungsäußerung des Herrn Kollegen Merten, dieseine private Meinung wiedergibt, Gefahr laufen könnte, als
offizielle Meinung der SPD dargestellt zu werden?
Sie wollten doch offensichtlich diesen Eindruck erwecken?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Schäfer, ich gehe gern auf die Sache ein. Genauso wenig wie alles, was ich sage, in den Verdacht kommen kann und wird, die Stimme der CDU zu sein — wieso komme ich dazu? —
— Ja nun, was ich unter meinem Namen erscheinen lasse — mindestens meine eigenen Artikel —, wird in vielen Fällen die Stimme des Innenministers und in vielen Fällen die der. Bundesregierung sein. Der Kenner merkt das immer am Zusammenhang; da ist keine Schwierigkeit.
Der Beitrag des Kollegen Merten sollte in der Tat abgedruckt werden als der eines hervorragenden, einsichtigen Mannes aus dem Lager der Linken. In der Tat! Was ist dagegen einzuwenden? Nichts, gar nichts! Einzuwenden ist allenfalls etwas gegen das Veto.
— Doch, doch!
— Nein, nein, meine Damen und Herren! Sonst müssen wir ernst werden in diesem Punkt! Es ist ausdrücklich ein Veto dagegen eingelegt worden, Wollen Sie das bestreiten?
— Das ist ja wirklich das allertollste, sage ich Ihnen. Ich spreche hier davon, daß ich bereit war, die freie Meinungsäußerung eines Kollegen aus Ihren Reihen abzudrucken, und dagegen votieren Sie!
Das schließt nicht aus — —
— Das verbitte ich mir ganz energisch, daß Sie mir den Versuch der Fälschung vorwerfen, Herr Kollege Arndt. Das verbitte ich mir energisch.
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8392 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 148. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1961
Bundesinnenminister Dr. SchröderAn diese Stelle gehörte eine andere Antwort als die, die ich im Rahmen dieser Debatte geben will.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Bitte sehr!
Herr Bundesminister, ist Ihnen nicht klar, daß es bei der Kontroverse in der Zeitschrift „Das Parlament" darum ging: „Was sagt die Regierung, was sagt die Opposition?"; und daß es deshalb eine völlig irreführende Darstellung gewesen wäre — das hat mit Meinungsfreiheit nicht das geringste zu tun —, wenn für die Opposition eine Stimme gestanden hätte, von der man weiß, daß sie in dieser Frage nicht die Meinung der Opposition wiedergibt, wie ich mir auch oft erlaube, eine andere Meinung als meine Partei zu haben? Ist Ihnen dieser ungeheuer einfache Sachverhalt nicht klar?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Arndt, hier ist eine Erregung völlig fehl am Platze. Ich hatte, zurückgreifend auf einen Rundfunkvortrag, der etwa gleichzeitig mit jenem er- wähnten gehalten war, in einer Sache eine Meinung in ganz urpolemischer Weise niedergelegt. Ich war sehr dafür, daß eine ebenso unpolemische Äußerung von der anderen Seite kommen sollte.
— Jetzt komme ich zu dem Punkt; lassen Sie mach doch aussprechen.
Sie würden unter einer einzigen Voraussetzung recht haben,. nämlich dann, wenn ich nicht berieit gewesen wäre, auf einen zusätzlichen Wunsch hin sozusagen die offizielle Meinung der SPD abzudrucken. Dazu bin ich aber immer bereit gewesen. Erinnern Sie sich an die Debatte hinsichtlich jener etwas berüchtigten Januar-Nacht, die wir hier einmal erlebt haben. Damals habe ich mich dafür eingesetzt, daß sowohl Ihre als auch die nachträglichen Beiträge dazu, die von anderer Seite abgedruckt wurden, wiedergegeben wurden. Ich habe — und es tut mir nur leid, daß Herr Kollege Merten der Leidtragende dabei war; aber das geht auf Ihr Konto — das, was Sie als eine offizielle Meinung wünschten, 14 Tage später, aber in nicht polemischer Form, zum Abdruck gebracht. Ich habe mich völlig korrekt verhalten. Von Ihrer Seite aus — das ist meine Überzeugung; die wird durch die Tatsachen erhärtet — ist eine Ihnen nicht genehme Stimme aus Ihren Reihen unterdrückt worden.
Herr Minister, der Abgeordnete Bausch möchte eine Zwischenfrage stellen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Bitte sehr!
Herr Kollege Dr. Arndt, ist Ihnen nicht bekannt, — —
Einen Augenblick, Herr Kollege Bausch! Sie können eine Zwischenfrage nur an die Person richten, die auf der Tribüne steht.
Herr Innenminister, ist es Ihnen bekannt, daß der Herr Abgeordnete Merten der Stellvertretende Vorsitzende des Verteidigungsausschusses ist?
Haben Sie sich nicht bei ihrer Argumentation auch davon leiten lassen, daß der Kollege Merten der prominenteste Sprecher der SPD in Fragen der Verteidigungspolitik ist? Haben Sie nicht auch deshalb Wert darauf gelegt, daß der Aufsatz des Herrn Kollegen Merten im „Parlament" abgedruckt wird?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Bausch, ich bin Ihnen dankbar dafür, daß Sie mein Gedächtnis an diesen Vorgang, der ja beinahe anderthalb Jahre zurückliegt, aufgefrischt haben. Es ist in der Tat so, daß Herr Merten mir nicht nur deswegen legitimiert erschien, weil er sich mit diesem Problem sehr intensiv gerade in der Öffentlichkeit auseinandergesetzt hatte, sondern auch, weil er eine hervorragende Stellung in diesem Hohen Hause einnimmt. Deswegen hatte er einen guten Anspruch darauf, daß seine Stellungnahme in diesem Hohen Hause auch in der Zeitschrift für dieses Hohe Haus, nämlich dem „Parlament", zum Abdruck kam. Ich danke Ihnen, daß Sie mich daran erinnert haben.Nun darf ich zu dem Kollegen Schäfer zurückkehren. Der Kollege Schäfer meint, meine verfassungsrechtlichen Vorstellungen hinsichtlich des Bundesstaates unterlägen kritischen Bedenken. Er ist auf eine Rede zurückgekommen, die ich ziemlich kurz nach Beginn dieser Legislaturperiode gehalten habe, wo ich mich über die Frage ausgelassen habe — meine Damen und Herren, das ist eine Frage, die sich eigentlich schon jedes Mitglied in diesem Hohen Hause gestellt hat —, wie sehr eigentlich unsere Arbeit dadurch belastet wird, daß wir bereits kurz nach den Bundestagswahlen vor neuen Wahlterminen stehen, in Hamburg, nach einer gewissen Zeit in Nordrhein-Westfalen usw. usw. Diejenigen, die wissen, in welchem Rhythmus sich die Arbeit in diesem Hohen Hause vollzieht, wissen auch, welche Erschwerung allzu zahlreiche und allzu ungünstig plazierte Wahltermine für unsere Arbeit bedeuten; denn es ist ja doch ganz klar, daß bei diesen Entscheidungen wahlpolitische Betrachtungen
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 148. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1961 8393
Bundesinnenminister Dr. Schröderangestellt werden und angestellt werden müssen, wie ich gleich ganz offen hinzufügen möchte. Ich spreche gar nicht einmal so sehr von der arbeitsmäßigen Beanspruchung und dergleichen, sondern einfach von der Frage, ob man bedeutende, einschneidende Gesetzesmaßnahmen gerade vor gro-Ben Landtagswahlen treffen kann. Man kann natürlich sagen: man kann! Von solchen Landtagswahlen hängt aber viel ab! Warum? Weil sie unter Umständen zu Veränderungen im Bundesrat führen, und von den Mehrheitsverhältnissen im Bundesrat hängt unsere Arbeit hier ganz außerordentlich ab, wie Sie ja ganz genau wissen. Deswegen habe ich gesagt, daß die Vielzahl von Landtagswahlterminen nicht sehr glücklich sei. Im übrigen habe ich sehr behutsam, sehr konservativ therapeutische Vorschläge gemacht, das zu beheben. Ich sage Ihnen mit Sicherheit voraus, daß wir spätestens Ende dieses Jahres wieder bei Betrachtungen dieser Art stehen werden. Das Problem rollt wieder auf uns zu, und wir können uns gern ,darüber unterhalten, was von Ihrer Seite dazu beigetragen werden kann, es in einer glücklichen Weise zu lösen.Was den Bundesrat und die Dreiwochenfrist, d. h. seine Wünsche auf Verlängerung angeht, so habe ich dafür einen Kompromißvorschlag gemacht, der sowohl den Bundestag befriedigen als auch die Arbeit des Hohen Hauses 'beschleunigen könnte. Ich habe nicht die Absicht und auch die Bundesregierung hat nicht die Absicht, diesen Vorschlag von sich aus aufzugreifen und hier zur Vorlage zu bringen. Sollte das von anderer Seite geschehen, würden wir es gern unterstützen.Über das Notdienstgesetz habe ich gesprochen. Ich brauche dem, wie ich glaube, nichts weiter hinzuzufügen. Alles andere wird sich bei den Auschußberatungen ergeben.Meine Damen und Herren, verzeihen Sie, daß ich Ihre Geduld etwas lange in Anspruch genommen habe. Das schien mir aber doch notwendig zu sein, nachdem die Opposition gerade mir soviel liebevolle Aufmerksamkeit zuwenden will. Natürlich, man muß Liebe mit Liebe vergelten, wenn es möglich ist. Das, was hier gegen mich gesagt worden ist, ist doch wohl cum grano salis und etwas aus der Grundkonzeption heraus zu verstehen. Ich bin dabei so liebenswürdig geblieben wie möglich. Bleiben wir dabei! Ich bleibe das Salz in Ihrer Suppe; werfen Sie nicht allzu viel Salz in unsere Suppe!
Das Wort hat Frau Dr. Lüders.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Verzeihen Sie, wenn ich mich bei einem Kapitel aus dem großen Bereich des Ministeriums des Innern länger aufhalten werde, über das wir schon mehrfach hier im Hause und vor allen Dingen im Ausschuß für Inneres gesprochen haben. Ich möchte aus dem weiten Arbeitsbereich des Ministeriums des Innern nur einiges herausgreifen, vor allen Dingen in bezugauf den Luftschutz und auf die Verteidigung der' Bevölkerung durch eigene Maßnahmen und durch allgemeine öffentliche Einrichtungen.Wir haben das Gefühl, daß die Entwicklung des 1957 geschaffenen zivilen Bevölkerungsschutzes, vorher nur ziviler Luftschutz genannt, nicht ausreicht. Ich habe schon am 3. Juni 1959 zu dieser Frage Stellung genommen, deren Entwicklung über das Leben von Millionen Deutschen entscheiden wird. Wir alle wissen, daß die Möglichkeiten gegenüber den immer mehr ansteigenden Wirkungen der teuflichen Zerstörungsmittel nur begrenzt sind und in keinem Lande der Welt, soweit uns bekannt ist, mit der technischen Entwicklung Schritt gehalten haben. Aber gerade weil das so ist und weil außerdem die weitere Entwicklung der lebensfeindlichen Angriffsmittel nicht vorauszusehen ist und diese auch die Verteidigungsmittel beeinflussen muß, wird die Verantwortung des Ministeriums des Innern für das Leben der Bevölkerung immer schwerer und immer umfassender. Das ist kein besonderer Vorwurf etwa gegen das Ministerium, sondern es ist einfach eine Folgeerscheinung der technischen Entwicklung. Wir alle wissen, daß es bisher nicht gelungen ist, mit der rasenden Entwicklung der Massenvernichtungsmittel und der Methoden ihrer Anwendung irgendwo in der Welt Schritt zu halten.Wir alle kennen die Gefahren, von denen Millionen bedroht sind, weit mehr bedroht sind, als sie es im letzten Kriege waren. Aber mir scheint, wir leben auch heute noch weitgehend unter der einlullenden Vorstellung des „Als ob" ; das heißt, „als ob" das alles gewiß nicht so schlimm werden würde, wie man es sich vielleicht in der Phantasie vorstellt. Das „Als ob" entspringt der Ansicht, daß keine Nation der Welt das Risiko der Vernichtung von Millionen Angehörigen des eigenen Volkes auf sich zu nehmen wagen würde. Denn das wissen wir ja alle — dafür lesen und hören wir genug von den Dingen —, daß die Bombenteppiche des letzten Krieges im Vergleich zu dem, was einem Volke heute bevorsteht, ein Kinderspiel gewesen sind. Die Bedrohung heute ist unendlich viel größer sowohl nach der Breite wie nach der Wirkung auf den einzelnen Menschen. Alle Lebensgebiete sind von dieser ausgedehnten Bedrohung betroffen: auf der Erde, unter der Erde, in der Luft, im Wasser. Unser Atmen, unsere Ernährung, alles ist mitbedroht. Niemand wird leugnen, daß von verschiedenen Seiten, vom Ministerium des Innern, vom Wohnungsbau-und vom Atomministerium laufend Versuche gemacht werden, vorzubeugen. Wir glauben aber, daß die Lektüre der Berichte des Ausschusses für Inneres jeden zu größter Skepsis veranlaßt, der sich der Verantwortung, die wir zu tragen haben, bewußt ist.Im Gegensatz zu dieser dieser Skepsis steht der Optimismus, den der Minister 1957 im Hinblick auf die für das Bundesamt vorgesehenen Aufgaben 'hatte. Herr Minister, darf ich einmal fragen: Haben Sie diesen Optimismus auch heute noch? Haben Sie ihn noch in bezug auf den Schutz der Bevölkerung im Hause, in 'bezug auf die Möglichkeit für die Bevölkerung, Schutzräume noch rechtzeitig zu errei-
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8394 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 148. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1961
Frau Dr. Dr. h. c. Lüderschen? Haben Sie diesen Optimismus bezüglich der Sicherheit und Lebensmöglichkeit großer Massen unter der Erde für längere Zeit, für ihre Verpflegung, für ihre allgemeine menschliche Versorgung? Für die besonderen Gefahren, denen die Bewohner von Hochhäusern ausgesetzt sind, scheint man bisher nur wenig Interesse zu zeigen. Diese Hochhäuser sind meines Erachtens geradezu vollendete Mausefallen für Hunderte und Tausende von Menschen, Mausefallen, aus deren Trümmern herauszukommen für die Bewohner völlig unmöglich ist. Haben Sie den damals gezeigten Optimismus heute noch im Hinblick auf die Durchführung z. B. auch der Evakuierung vieler Millionen Menschen? Wann soll evakuiert werden? Wohin soll evakuiert werden, nach Spanien oder nach den Ardennen, wie es ja wohl die Regierung für sich vorgesehen hatte? In welchem Tempo soll evakuiert werden, mit welchen Mitteln, mit Kind und Kegel?Niemand leugnet, daß besonders auf dem Gebiete der Warnämter ganz Wesentliches geleistet worden ist, selbstverständlich auch unter Mitwirkung des Ministeriums ,des Innern. Aber was nützt alle technische Vollkommenheit des Warnapparats, wenn die Zeit für das Aufsuchen rettender Schutzräume so minimal ist, daß man kaum damit rechnen kann, daß selbst jüngere, schnellfüßige Leute sie erreichen? Nützt die Warnung, wenn, soviel wir sehen, bisher so gut wie alles unterblieben ist, die Bevölkerung im breitesten Umfang durch aufklärende Schriften, durch Vorträge, durch Rundfunk- und Fernsehsendungen auf diese mögliche Situation vorzubereiten? Selbst die als Helfer bereiten Mitarbeiter beim Luftschutzhilfsdienst sind nur sehr unzureichend unterrichtet, obwohl viele zur Verbreitung der notwendigen Kenntnisse von Mensch zu Mensch weit mehr beitragen könnten, als wenn man der Bevölkerung zumutet, nur Broschüren zu lesen. Selbst fundierte wissenschaftliche Broschüren sind in der breiten Bevölkerung meistens ziemlich wirkungslos. Die aktiven Helfer können und müssen aber schon im Frieden durch die weiteste Verbreitung der notwendigen Kenntnisse zur Beruhigung der Bevölkerung und zu ihrer Befähigung, sich im Notfalle vernünftig zu verhalten, vieles tun.Durch die Verbreitung der notwendigen sachlichen Kenntnisse wird die Gefahr panikverbreitender Gerüchte vermindert. Wir wissen alle, wie schnell und unbesonnen die Bevölkerung bereit ist, irgendwelchen Panikgerüchten Glauben zu schenken und sie weiterzugeben. Die psychologische Wirkung sachlich begründeter Kenntnisse ist unseres Erachtens nicht zu unterschätzen.Oder fürchten wir solche Aufklärung? Ich kann es mir nicht denken, so unerfreulich auch vieles ist, was wir der Bevölkerung wahrheitsgemäß werden sagen müssen. Denn niemand kann voraussehen, wie schnell sich solche Kenntnisse im Volke mit Erfolg verbreiten werden. Aber niemand kann die Verantwortung für die Unterlassung solcher Aufklärung auf sich nehmen. Wir haben das schon am 3. Juni 1959 hervorgehoben.Was ist der Erfolg gewesen, Herr Minister? Ich habe das Gefühl: im allgemeinen: Fehlanzeige. DieVerhandlungen im Innenausschuß beweisen es. Sie beweisen es um so mehr, als die Kenntnis der möglichen Gefahren durch jedes neue Vernichtungsmittel laufend die Voraussetzung für die Bereitschaft der Bevölkerung auch zur Notstandsplanung ist.Diese Kenntnis fordert auch unsere Bereitschaft, Jahr für Jahr unzählige Millionen für den Wohnungsbau zu bewilligen, obwohl dieser bisher, soweit ich sehen kann, ,den berechtigten Schutzforderungen für die Bevölkerung auf keinem Gebiete gerecht wird. Wohnbauten, Industriegebäude, die öffentlichen Gebäude aller Art, Bahnhöfe, Theater, Schulen, Kinos, ja selbst Krankenhäuser entsprechen in keiner Weise unseren Schutzverpflichtungen gegenüber dem gesamten Volke.Die hierin liegenden Verpflichtungen auf diesem Gebiete sind auch im Ausschuß am 19. Oktober 1960 behandelt worden, unter besonderer Betonung der notwendigen Zusammenarbeit des Ministeriums des Innern mit dem Wohnungsbauministerium. In unserem Ausschuß wurde damals erklärt:Mehr denn je kommt es darauf an, vor allem für die Bevölkerung die Schutzmaßnahmen zu treffen, die das Überleben einer möglichst großen Anzahl von Menschen sicherstellen können.Weiter wurde im Ausschuß erklärt, „Auch würden Maßnahmen zu ergreifen sein, die das Funktionieren von Einrichtungen und Betrieben, deren Fortbestand für ein Überleben ausschlaggebend ist," auch während der Gefahrenzeit ermöglichen. Damals hat der Ausschuß die Gebiete aufgezählt, auf denen die notwendigen Maßnahmen ergriffen werden müssen: zum direkten Schutz des Menschen, für die Ernährungssicherung, für die Sicherung der Bevorratung sowie zum Schutz von Betrieben und Werken lebens- und verteidigungswichtiger Industriezweige, für den Schutz lebenswichtiger Versorgungsanlagen — Gas, Wasser, Elektrizität — und für eine Erhaltung der baulichen Substanz sowie für den Luftschutz im Städtebau. Für jedes Aufgabengebiet — so wurde damals erklärt — müßten eingehende theoretische Grundlagenforschung und umfangreiche Erprobung betrieben werden. Daneben seien alle erreichbaren Unterlagen des In- und Auslandes zu studieren und auszuwerten. Die verschiedenen Schutzraumbauten sollen je. nach Luftempfindlichkeit errichtet werden, mit dem Ziel, Verluste je Flächeneinheit so klein wie irgend möglich zu halten.All das ist, glauben wir, um so notwendiger bei der großen Bevölkerungsdichte in Deutschland. Man kann die Möglichkeiten z. B. auch der Evakuierung in weniger besiedelten Gebieten mit den Notwendigkeiten und Schwierigkeiten in Deutschland nicht ohne weiteres vergleichen. In Deutschland hatte man mit Rücksicht auf die vorgesehenen Bauten bis zum Oktober 1960 neun Schutzbauten nach amerikanischem Vorbild errichtet, in denen, wie es heißt, „die Menschen alle Wirkungen einer Kernwaffenexplosion unverletzt überleben könnten". Ob das heute noch richtig ist, vermag ich nicht zu beurteilen; aber vielleicht kann der Herr Minister darüber Auskunft geben, was hier inzwischen von
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 148. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1961 8395
Frau Dr. Dr. h. c. Lüdersder Wissenschaft eruiert worden ist. Wir sind selbstverständlich für die Fortsetzung solcher Versuche entsprechend der sich ändernden Explosionskraft nuklearer Sprengkörper, die mit ganz anderen Belastungen für die Baukörper verbunden sind und deshalb sich ständig ändernde Konstruktionen erfordern — auch mit Rücksicht auf die Durchlässigkeit radioaktiver Strahlung —, die den Aufenthalt von Menschen nach Bodenexplosionen für mindestens zwei Wochen im Schutzraum ermöglichen sollen.Man hofft — auch wir hoffen es, und mir scheint, das Ministerium hofft es ebenfalls —, in etwa 3000 alten Schutzbunkern etwa 3 Millionen Menschen schützen zu können. Aber, Herr Minister, diese Schutzbunker müssen ja zum allergrößten Teil erst wieder in einen Zustand versetzt werden, der ,einigermaßen die Gewähr dafür bietet, daß sie nicht ebenfalls nur Mausefallen sind. Sie werden mit ganz anderen technischen Einrichtungen zur Belüftung, Bewässerung, Entwässerung und Stromversorgung versehen werden müssen, weil der Aufenthalt im Bunker höchstwahrscheinlich sehr viel länger als im vergangenen Krieg wird dauern müssen. Wie schnell, Herr Minister, werden diese Bunker hergerichtet werden können? Sie sind nicht allein dafür zuständig; aber soviel ichweiß, besteht eine sehr enge Zusammenarbeit zwischen Ihrem Ministerium und dem Ministerium für Wohnungsbau. /Dazu kommt die Notwendigkeit des Schutzes gegen Brandempfindlichkeit. Wir brauchen hier nicht erregende Schilderungen von Brandwirkungen aus den Vorgängen von 1943/44 zu wiederholen. Sie sind uns allen — nicht zuletzt der Bevölkerung in Nordrhein-Westfalen — bekannt. Herr Minister, wir sind bereit, alles zu tun, um die notwendigen Maßnahmen auch finanziell zu unterstützen.Damit sollen die bisherigen Versäumnisse nicht entschuldigt werden. Wir hoffen aber, daß man nach dem Studium theoretischer Darstellungen, die wir nun jahraus, jahrein im Innenausschuß mit angehört haben, endlich mit Nachdruck zur Praxis übergehen wird. Wir haben immer nur Erklärungen gehört; darüber hinaus sind wir nicht gekommen. Das, was getan worden ist, reicht unseres Erachtens nicht im entferntesten, um auch nur einen Bruchteil an Menschen und am Sachwerten zu schützen.Die Regierung selber erklärte in der Ausschußsitzung vom 19. Oktober 1960, „ohne Schutzraumbauten sei ein ziviler Bevölkerungsschutz einfach ein Torso", zumal das gesamte bundesrepublikanische Gebiet gefährdet sei und in Zukunft — wie die Regierung wiederholt hat — keine Zeit mehr vorhanden sein würde, um größeren Bevölkerungsteilen die Möglichkeit zum Aufsuchen von Großschutzräumen zu geben. Damals wurde uns erklärt, im allgemeinen müsse „man annehmen, daß Warnung und erster Einschlag zeitlich zusammenfielen". Das würde bedeuten, daß Hunderttausende und Millionen ihr Leben lassen müßten.Wir sind aber auch der Meinung, daß alle Luftschutzförderung letztlich eine militärische Verteidigungsmaßnahme ist. Das wird hoffentlich auch dieNATO begriffen haben. In der zitierten Sitzung wurde klar, daß bis dahin noch nicht einmal das zugesagte „Minimalprogramm" durch die Regierung in Angriff genommen worden ist. Mit der Aufklärung der Bevölkerung ist es bis dahin nicht anders gegangen.Das erwähnte Thema, Herr Minister, hängt auch mit der Notstandsplanung zusammen. Einen Notstand zu erklären und sich für ihn die gewünschten Befugnisse geben zu lassen, hilft verhältnismäßig wenig. Die Bevölkerung hat von solchen Befugnis. sen nichts. Es wird ihr nur die Ausführung von Forderungen aufgetragen; dazu ist sie aber in vielen Fällen überhaupt nicht in der Lage. Wir sind aber bereit, den Willen und die Befähigung zum Selbstschutz der Bevölkerung mit allen Mitteln zu fördern. Auch dafür fehlt es noch an der notwendigen Aufklärung, um Männer und Frauen bereitzumachen, sich selber und den Nachbarn zu helfen, so erfreulich auch die bisherigen Meldungen für freiwilligen Hilfseinsatz sind. Auch auf diesem Gebiet sind psychologische Momente zu beachten; denn gesetzlicher Befehl allein, Herr Minister, tut es nicht, auch nicht die Einsetzung geldlicher Mittel.Auf weitere Gesetzesvorschläge möchte ich hier nicht ausführlich eingehen. Ich habe mich mehrfach im Einverständnis mit meinen Freunden über Ihren Gesetzesvorschlag zur Notdienstpflicht geäußert. Wir sind nach wie vor gegen dieses Notdienstpflichtgesetz in der uns vorgelegten Form. Ich möchte noch einmal ausdrücklich betonen, daß wir auch auf keinen Fall den behaupteten Versuch — ich weiß nicht, ob es wahr ist — unterstützen werden, das Notdienstpflichtgesetz in der parlamentarischen Behandlung vorzuziehen, d. h. erst das Notdienstpflichtgesetz erst im Parlament zu bearbeiten und dann das Notstandsgesetz. Die eventuelle Verpflichtung aus dem Notdienstpflichtgesetz setzt natürlich das Bestehen einer allgemeinen Notstandsgesetzgebung voraus. Das ist eine logische und gesetzliche Selbstverständlichkeit, die jedem von uns klar sein wird.Herr Minister, wir haben nun noch einen anderen Vorschlag von Ihnen erhalten, den Gesetzentwurf über Einreise und Ausreise. Ich bin nicht der einzige, weder hier im Hause noch, was Sie doch vielleicht beachten möchten, im Berliner Parlament, der erhebliche Bedenken gegen die in diesem Gesetzentwurf gemachten Vorschläge hat. Sie wissen, daß der Entwurf in Berlin auf erheblichen Widerstand und ernsthafteste Kritik gestoßen ist. Sie wissen auch, daß es Ihr Fraktionsfreund, der Kollege Benda in der Berliner CDU, gewesen ist, der nicht nur kritisiert, sondern auch sehr gute Gegenvorschläge unterbreitet hat. Warum hat man nicht vorher eingehend mit Berlin beraten, und warum hat man zu diesen Beratungen nicht vornherein die verantwortlichen Personen aus den Zonenrandgebieten hinzugezogen? Man hätte es Ihnen, Herr Minister, leicht ersparen können, auf eine so weitgehend ablehnende Kritik zu stoßen. Ich bin kein Freund der Kritik um der Kritik willen. Ich meine, man sollte einem Minister, auch wenn er nicht zur eigenen Partei gehört, behilflich sein bei der Durchführung seiner Gedanken. Das
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8396 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 148. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1961
Frau Dr. Dr. h. c. Lüdersverlangt aber, daß die Vorschläge vorher eben so durchgearbeitet werden, daß sie nachher eine Mehrheit finden.In Berlin und in den Zonenrandgebieten werden Sie auf schweren Widerstand stoßen. Auch meine Fraktion ist nicht bereit, den Gesetzentwurf, so wie er heute noch bekannt ist, mitzumachen. Wir werden wohl auch Ihren ganzen Etat ablehnen müssen.
Das Wort hat der Bundesminister des Innern.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Befürchten Sie nicht, daß ich Ihre Geduld zu sehr in Anspruch nehmen will. Ich möchte nur auf das, was Frau Kollegin Dr. Lüders gesagt hat, zwei, drei Sätze erwidern.
Zunächst das Kapitel Ziviler Bevölkerungsschutz. Ich habe dieses Kapitel vorhin schon etwas angesprochen. Frau Kollegin Dr. Lüders, ich glaube, daß in dieser Legislaturperiode umfassende gesetzgeberische Maßnahmen praktisch nicht mehr möglich sein werden. In der Tat wird sich die kommende Bundesregierung von neuem über ihre Grundhaltung in Fragen des zivilen Bevölkerungsschutzes schlüssig werden müssen. Alles, was in der Zwischenzeit vorbereitet wird, ist nach meiner Meinung eine solide Bodenarbeit, um es einmal so zu nennen: die Bevorratungen, die geschaffen werden, die Geräte, die beschafft werden, die Ausbildung, die läuft, alles Dinge, die man, ganz gleichgültig wie man sich insgesamt entscheiden wird, sehr wohl als nützlich empfinden und entsprechend verwerten wird. Die Dinge auf diesem Gebiet sind im Fluß wie das internationale Bild zeigt. Wir werden im Herbst von neuem darüber sprechen können und müssen.
Das zweite, was ich Ihnen, Frau Kollegin Dr. Lüders, erwidern möchte, bezieht sich ebenfalls auf die vorhin schon behandelte Gesetzgebung: Notstand, Notdienst usw. Ich möchte es nur klarstellen. Es ist ein Irrtum, wenn Sie meinen, wir hätten je den Standpunkt vertreten, daß erst die Grundgesetzergänzung kommen sollte und dann die mit einfacher Mehrheit zu verabschiedenden Gesetze. Ich habe immer den Standpunkt vertreten, daß das ganze ein sehr weites Feld ist und daß wir zuerst einmal die Dinge machen sollten, die wir mit einfacher Mehrheit verabschieden können, weil es natürlich doch sehr, sehr kompliziert ist, größere Mehrheiten als einfache zustande zu bringen, und wir sollten uns nicht übernehmen. Auch hier gilt das Wort: Schritt für Schritt weiter!
Das Gesamtprogramm liegt ja vor, und deswegen, das sage ich mit Nachdruck, werden wir den entschiedenen Versuch und eine große Anstrengung machen, das Notdienstgesetz noch in dieser Legislaturperiode zu verabschieden. Ich habe das vorhin schon gesagt.
— Um es noch einmal klarzumachen: Unser Programm ist es immer gewesen, diejenigen Gesetze, die lediglich eine einfache Mehrheit brauchen, zunächst zu verabschieden und die größere, das Grundgesetz verändernde Unternehmung daran anzuschließen. Das Thema der Grundgesetzänderung ist gesetzgeberisch offensichtlich nicht so reif wie das gerade besprochene andere Feld.
Nun noch ein paar Worte zu der Frage des Gesetzes über Ein- und Ausreise. Frau Kollegin Dr. Lüders, wir denken immer darüber nach, was in der Vorbereitung von Gesetzen der praktikabelste Weg ist. Wir würden sehr oft gern bereit sein, nach viel mehr Seiten hin Besprechungen zu führen und Vorfühlungen vorzunehmen, aber aus dem Gesichtspunkt der Geheimhaltung — und Kabinettsvorlagen müssen nun einmal unter großer Geheimhaltung entstehen — ist das doch sehr viel schwerer, als man es sich manchmal draußen vorstellt. Das möchte ich aus langer Erfahrung auf diesem Gebiet sagen. Die Berliner Kollegen sind uns selbstverständlich willkommene Ratgeber in dieser Sache, und seien Sie sicher, daß wir auch die Erfahrungen der zonennahen Grenzgebiete absolut berücksichtigen und berücksichtigt haben.
Im Augenblick läuft ein Versuch — an dem mehrere beteiligt sind —, das, was ,damals hier in der Debatte zum Ausdruck gekommen ist, in gewisse Kompromißformeln zu verwandeln. Ich habe vorhin schon gesagt, daß das, was uns vorschwebt, ein Gesetz ist, das etwa heißen könnte: „Gesetz über den Mißbrauch des freien Reiseverkehrs". Die Chance dafür, daß man hier Formeln findet, denen der größere Teil 'des Hauses zustimmen kann, halte ich für nicht schlecht. Denn alle Gruppen hier und im Bundesrat haben gesagt: Es muß auf diesem Gebiet etwas geschehen. Wenn ich alle Gruppen an diesem Wort: „Es muß etwas geschehen" wirklich redlicherweise festhalte, sollte es möglich sein, einen Kompromiß zu finden. Jedenfalls glaube ich, daß wir 'das in einigen Wochen werden schaffen können.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Werber.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte ausgehen von den vielen Themen, die von dem Abgeordneten der Opposition Dr. Schäfer angeschnitten worden sind. Seine Rede war ganz bestimmt eine lebhafte politische Schau, eine Schau, die ich ernst nehme. Ich habe nicht die Absicht, Polemik gegen Polemik zu setzen, weil die Themen, die er angeschnitten hat, viel zu ernst sind, als daß sie anders aufgenommen werden könnten. Mich hätte es noch mehr gefreut, wenn er mehr ins Konkrete gegangen wäre.
Die rein persönlichen Dinge, d. h. die Angriffe gegen den Minister des Innern, sind wir im allgemeinen gewohnt. Es wäre mir aber sehr wichtig gewesen, zu den Gesetzen, zu denen er gesprochen hat, einmal die konkrete Meinung der Opposition in sach-
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Dr. Werberlicher Beziehung zu hören. Darauf hat nämlich die deutsche Bevölkerung einen Anspruch,
und das wäre nach meiner Ansicht auch wirklich etwas für die Opposition gewesen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte schön!
Herr Kollege Dr. Werber, wollen Sie damit sagen, daß wir nicht am 28. September letzten Jahres unsere Ansicht sehr deutlich gesagt hätten, so deutlich, daß es Ihnen unangenehm war?
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Herr Dr. Schäfer, seit dem 28. September ist viel Wasser den Rhein hinabgeflossen. Seit dieser Zeit habe ich zweimal mit Ihnen in der Öffentlichkeit diskutiert. Ich habe mit Ihnen zwei Tage lang in Stuttgart diskutiert, und ich habe mit Ihnen vor dem Süddeutschen Rundfunk diskutiert. Sie haben auch die Stimmung festgestellt die klar und deutlich gezeigt hat, daß eine tiefe Sehnsucht nach innerer Sicherheit durch das deutsche Volk geht. Die will das Volk. Deshalb hätte die Bundesregierung nicht pflichtgemäß gehandelt, wenn sie im Deutschen Bundestag nicht die entsprechenden Gesetzesvorlagen eingebracht hätte.
Herr Schäfer, Sie haben, was das Persönliche angeht — das muß ich in diesem Falle sagen —, dem Bundesminister des Innern, wie schon oft, vorgeworfen, er sei nicht verfassungsfreundlich, er sei autoritär. Sie haben andere Vorwürfe mehr vorgetragen. Nun, ich gehöre seit Jahren dem Innenausschuß an und möchte jetzt doch einmal vor dem Deutschen Bundestag erklären, daß ich mich immer darüber gefreut habe, wie stark das Bundesministerium des Innern und seine Beamten in den Ausschüssen vertreten waren, wie offen und wie klar sie die Dinge dargelegt haben. In dieser Beziehung ist überhaupt nichts zu wünschen übriggeblieben. Ich darf diese Gelegenheit — gerade deshalb, weil dieser Mann angegriffen wird — dazu benutzen, dem Bundesminister des Innern und seinen Mitarbeitern für die klare und mutige Haltung in der Vergangenheit unseren Dank auszusprechen.
Ich meine, Herr Dr. Schäfer, gerade in diesem Punkte sollten Sie auch noch etwas anderes beobachten. Die Gesetzgebung, um die es sich hier handelt und über die wir in dieser Stunde diskutieren, ist eine Gesetzgebung, auf die auch gewisse Kreise des Ostens sehr genau hinschauen, bei der sie sehr genau beobachten, was geschieht. Gerade deshalb, weil von östlicher Seite gerade dieser Minister auf die Abschußliste kommt und seine Gesetzgebung von ihr immer und immer wieder angegriffen wird,müssen wir es uns besonders überlegen, ob wir in Tonfall oder Methode Veranlassung geben, diese Dinge zu unterstützen.
Ich kann Ihnen — um kurz zur Notstandsgesetzgebung überzugehen — mit ganz wenigen Worten sagen, Herr Dr. Schäfer, wie wir uns die Sache vorstellen.
— „Sehr interessant!" Ich danke Ihnen, daß Sie mir dieses Kompliment machen. Ich bin als Parlamentarier dafür empfänglich. Man hat das als Parlamentarier auch einmal nötig.Die Vorlage ist eine Vorlage der Bundesregierung, und wir haben zu keinem Zeitpunkt etwa nach dem Motto: „Vogel friß oder stirb!" zu Ihnen gesagt: „Entweder übernehmen Sie diese Gesetzgebungsvorlage wie sie ist, oder sie kommt nicht zustande." Wir haben vielmehr erklärt: Dieses Notstandsgesetz mit einer Grundgesetzänderung muß so abgefaßt sein, daß es seinen Zweck erfüllt; es muß praktikabel sein; es darf nicht mit Feinmechanik versehen sein; es muß rasch durchgreifen können in einer solchen Stunde der Not, und zwar deshalb — das ist das letzte Ziel —, damit so rasch wie möglich die normale politische Ordnung wiederhergestellt werden kann. Das ist doch das Entscheidende. Wenn dieses Gesetz nicht gut praktikabel ist, ist die Erfolgschance viel zu unsicher. Wir wollen, daß ein Notzustand so kurz wie möglich ist und daß so rasch wie möglich die alte Ordnung auf Grund der Verfassung wiederhergestellt wird. Deshalb brauchen wir ein praktikables und wirksames Gesetz.Es gibt in diesem Notstandsgesetzentwurf ganz bestimmte Dinge, über die wir diskutieren müssen. Ich denke jetzt z. B. an den Begriff des „drohenden Verteidigungsfalles"; das haben auch Sie angeschnitten. Aber daß rechtzeitig irgend etwas gemacht werden muß und daß hier Formulierungen gefunden werden müssen, das ist nach unserer Meinung absolut klar.Sie haben auf die Beschlüsse des Bundesrats bezüglich des Notstandsausschusses hingewiesen, ohne daß Sie diesen Vorschlag direkt genannt haben. Ich könnte mir für meine Person durchaus vorstellen, daß in einer solchen Lage ein Notstandsausschuß zur Beratung hinzugezogen wird. Wir werden darüber auch mit dem Bundesrat diskutieren. Aber wir können nie einem Gesetz zustimmen, das nicht in der Lage ist, jener Not gerecht zu werden, die vielleicht in einer schlimmen Stunde von uns gemeistert werden muß.Sie haben bei anderer Gelegenheit an den Ausführungen des Bundesministers des Innern Kritik geübt, weil er sagte, die Stunde des Notstands sei die Stunde der Exekutive.
— Nein, das haben Sie heute nicht getan, aber beianderer Gelegenheit, und es ist ja wohl erlaubt,etwas, was von Ihrer Seite aus bei anderer Gelegen-
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Dr. Werberheit eingewendet worden ist, hier aufzugreifen. Das ist durchaus Übung. Ich habe Ihnen bei anderer Gelegenheit in etwas populärer Form zum Ausdruck gebracht, daß ich durchaus auf dem Standpunkt stehe, daß — unter Wahrung der parlamentarischen Rechte, soweit es irgendwie möglich ist — hier die Exekutive nicht von der Pflicht befreit werden kann, im Interesse des Ganzen zu handeln. Bei einem Rundfunkgespräch habe ich es ganz populär ausgedrückt und gesagt: Wenn mein Haus brennt, dann rufe ich die Feuerwehr und nicht den Gemeinderat, dem die Feuerwehr untersteht.Zusammenfassend kann ich zu diesem Thema nur noch folgendes sagen. Wir sind bereit, schon um diesen Gesetzentwurf, wenn möglich, noch in diesem Bundestag zu verabschieden, im Ausschuß über diese Dinge zu verhandeln. Ich habe kein Verständnis dafür, daß Sie sagen, daß unbedingt außerhalb des Ausschusses vorher Verhandlungen geführt werden sollten. Diese Verhandlungen ergeben sich ja im Ausschuß von selbst, und wir sind dazu bereit. Aber wir müssen eine Aussicht haben, daß es nicht nur beim Gespräch bleibt, sondern daß diese wichtige Grundgesetzänderung auch durchgeführt werden kann, und zwar so, daß sie praktikabel ist und ihren Zweck erfüllt.Ich möchte noch zu einer zweiten Angelegenheit Stellung nehmen, nämlich zur Frage des Verfassungsschutzes. Der Innenausschuß war vor einiger Zeit in Berlin und besuchte dabei auch das Berliner Verfassungsschutzamt. Wir erlebten eine Situation, die nicht erfreulich war. Ich glaube, daß der Verfassungsschutz koordiniert und verstärkt werden muß. Ich benutze die Gelegenheit, dem Bundesamt für Verfassungsschutz und seinen leitenden Beamten sowie den Landesämtern 'für Verfassungsschutz unsere Anerkennung und unseren Dank auszusprechen. Aber es muß noch mehr getan werden als bisher. Hier sind unsere Kräfte gegenüber denen des potentiellen Gegners im Osten einfach zu schwach. Auf diesem Gebiet muß, was den Stellenplan, die Mittel und die Zusammenarbeit angeht, entscheidend Neues geschehen. Im letzten Jahr haben sich die Innenminister der Länder zum erstenmal bereit gefunden, auf einer Konferenz einen Vortrag der Verfassungsschutzleute entgegenzunehmen. Sie haben ihnen dreiviertel Stunden gewidmet. Das war ganz bestimmt nicht viel, gemessen an der Wichtigkeit des großen Problems.
Immerhin erkenne ich es gerne an, daß die Länder endlich sehen, daß auf diesem Gebiet noch mehr getan werden muß. Ich möchte hoffen, daß der Verfassungsschutz verstärkt wird und daß die Bundesregierung und das Bundesamt alles tun, was von ihrer Seite getan werden kann, um die Länder zu einer Koordinierung der Kräfte im Sinne des Gesetzes zu veranlassen. Vielleicht ist es notwendig, regionale Schwerpunkte zu bilden; darüber muß gesprochen werden. Nicht in jedem Land ist der Verfassungsschutz so wichtig wie in einem anderen. Die Länder an der Grenze sind wichtiger. Berlin ist sehr wichtig. Auf diesem Gebiet muß also mehr geschehen als bisher.Ich möchte schließlich noch sagen, daß es bei aller verschiedenen Auffassung, Herr Dr. Schäfer, die Sie vorgetragen haben und auf die ich hier erwidere, absolut notwendig ist, daß wir auf dem Gebiet des Notstandes — um das noch einmal aufzugreifen — sehr rasch und sehr sicher zu Ergebnissen kommen. Wir sind bereit, auf diesem Gebiet im Ausschuß alle mögliche Arbeit zu leisten, wenn eine Gewähr dafür besteht, daß der Zweck erreicht werden kann, der erreicht werden muß. Wir haben allerdings kein Verständnis dafür — um das einmal zu sagen —, wenn von vornherein unterstellt wird, daß diese Notstandsgesetzgebung, so wie sie die Bundesregierung vorlegt, praktisch, nichts anderes sei als eine Unterstützung der Mehrheit dieses Hauses.Ich habe vor mir einen Auszug aus der „Süddeutschen Zeitung" ; mit Genehmigung des Herrn Präsidenten darf ich ihn vortragen. Da hat sich Herr Wehner zu der Frage geäußert. Da heißt es, es sei Sache der Bundesregierung und der sie tragenden CDU/CSU, zu beweisen, daß es auch ihnen um die Sicherung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung gegen Gefahren gehe — es ist uns überhaupt noch nie um etwas anderes gegangen als um die Sicherheit der demokratischen Grundordnung! —
und daß es uns nicht darum gehe, diese Grundordnung zugunsten einer Mehrheit — d. h. der eigenen Mehrheit — zu manipulieren. Herr Schäfer, sagen Sie doch selbst: Wie können Sie aus diesem Gesetzentwurf der Bundesregierung, aus der Begründung, aus unseren Aussprachen im Bundestag und aus unseren Aussprachen draußen den Schluß ziehen, daß wir dieses Gesetz als ein Art CDU-Gesetz betrachtet haben? Das wird doch der Sache nicht gerecht. Das ist eine ausgesprochene Vergiftung der öffentlichen Meinung. Es handelt sich bei der Notstandsgesetzgebung um eine ganz wichtige Frage der Nation, die mit Sachlichkeit und mit gegenseitigem Vertrauen geregelt werden muß. Ich bedauere, daß diese Verdächtigungen in der Öffentlichkeit publiziert werden.
— Ja, das ist richtig, und ich habe es auch ausgesprochen. Man darf aber das Mißtrauen nicht so weit treiben, wie das von Ihrer Seite geschieht, sondern man muß erst einmal in den Ausschuß gehen und mitarbeiten. Wenn Sie dann feststellen würden, Herr Schäfer, daß es von unserer Seite nicht ernst oder etwa so gemeint sei, wie es Herr Wehner darstellt, dann hätten Sie ja immer noch die Möglichheit, hier im Plenum des Bundestags zu sprechen. Wir werden es Ihnen aber beweisen — das ist für uns eine klare Aufgabe —, daß diese Verdächtigungen völlig unberechtigt und unwahr sind.Wir möchten die Bundesregierung und den Herrn Bundesminister des Innern bitten, in ihren Bestrebungen, die innere Sicherheit der Bundesrepublik zu gewährleisten, fortzufahren, mutig und ohne sich durch solche Verdächtigungen irgendwie beirren zu lassen. Die Bevölkerung hat dafür Verständnis;
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 148. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1961 8399
Dr. Werberdenn sie verlangt die Sicherheit um ihrer selbst willen.
Das Wort hat der Herr Bundesminister des Innern.
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte zunächst dem Kollegen Dr. Werber sehr herzlich danken für die herzerfrischenden Worte
— warum das lächerlich ist, weiß ich nicht —, die er an mich und meine Mitarbeiter gerichtet hat. Ich bin ihm dafür aufrichtig dankbar, da wir ja leider einem Gewerbe nachgehen, das nicht immer viel freundliche Worte auf sich zieht.
Ich bin eigentlich bierhergekommen, um dem Hohen Hause folgendes zu sagen — ich hatte das gestern des längeren ausführen wollen, aber die Zeit wird knapp und knapper —: Man kann die Lage, in der wir auf dem Gebiet des Verfassungsschutzes sind, wenn man sie mit der militärischen Situation vergleicht, etwa so darstellen, daß wir, militärisch gesehen, gegenüber den potentiellen Gegnern ein Verhältnis von etwa 1 : 3 aufzuweisen haben, aber auf dem Gebiete des Verfassungsschutzes und der auf diesem Gebiet möglichen Aktivitäten ein Verhältnis von etwa 1 : 20. Das zeigt, meine Damen und Herren, was wir auf diesem Gebiet noch aufzuholen haben.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Heinemann.
Herr Präsident! Sehr verehrte Damen und Herren! Nachdem der Herr Bundeskanzler gestern hier das Karlsruher Urteil ebenso pauschal wie einstimmig für total falsch erklärt hat, nachdem Sie gestern die Kosten dieses rechtswidrigen Experiments dem Steuerzahler aufgelastet haben
und nachdem Sie gestern bei der Abwicklung der Kosten dieses Experiments sogar noch den Haushaltsausschuß ausschalten wollten, obwohl die Verpflichtungen aus dem Auftrag des Herrn Staatssekretärs von Eckardt schon zwei Jahre zurückliegen und längst in zwei Haushalten irgendwie einen Ausdruck hätten finden müssen, — nachdem das alles so gelaufen ist, ist es wohl notwendig, den Vorgang noch einmal näher zu durchleuchten. Dabei werde ich durchaus dem Wunsche Rechnung tragen, auch andere Urteile des Verfassungsgerichts nicht zu vergessen.
Sie haben gestern die Urteile des Bundesverfassungsgerichts zur Volksbefragung in die Diskussion hineingebracht. Dazu wäre daran zu erinnern, daß diese Volksbefragung seinerzeit dadurch provoziertworden ist, daß die Mehrheit dieses Hauses hier Entscheidungen vollzogen hatte, die im krassen Widerspruch zu den Wahlreden standen.
Im übrigen wäre daran zu erinnern, daß das Vorbild für jene Volksbefragungen die Abstimmungen gewesen sind, die auch mit politischen Freunden von Ihnen zum Thema Europa voraufgegangen sind.
— Welche Entscheidung?
— Ich respektiere die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in dieser Sache genauso, wie wir alle diese Entscheidungen — —
— Was wollen Sie denn nun eigentlich?
— Ach, meine Damen und Herren, ich bin nicht bereit, mich hier jetzt in die Erörterung der atomaren Bewaffnung oder der Volksbefragung ablenken zu lassen.
Sie haben gestern nach unserer Ansicht zu diesen Urteilen gefragt, und dazu habe ich meine Bemerkung gemacht!Das Fernseh-Urteil des Bundesverfassungsgerichts steht in einer langen Reihe von Urteilen, in denen Karlsruhe immer wieder die Notwendigkeit empfunden hat, Gesetze, ,die Sie hier beschlossen hatten, zu korrigieren. Es ist jetzt allmählich, nachdem das Bundesverfassungsgericht runde neun Jahre judiziert hat, einmal an der Zeit, einen Gesamtüberblick über seine Rechtsprechung und deren Verhältnis zu den hier beschlossenen Gesetzen zu vollziehen. Ich will Ihnen eine solche Gesamtbetrachtung heute nicht unterbreiten. Aber einige Beispiele sollten wohl doch genannt sein.Herr Dr. Schröder hat vorhin gesagt, daß er hier immer einstimmige Vorlagen des Kabinetts vertreten habe. Viel interessanter wäre es, in diesem Zusammenhang einmal zu hören, wie weit die Vorlagen, die er vertreten hat, oder wie weit überhaupt die Gesetze im Einklang mit der Verfassung gestanden haben. Dafür ist er ja in besonderer Weise verantwortlich, wie wir gestern abend von ihm hörten.Geht man die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nur kurz durch, fällt auf, daß gewisse Kapitel des Grundgesetzes offenbar noch gar nicht recht in das Bewußtsein des. Verfassungsministers oder der Mehrheit hier eingedrungen sind.
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8400 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 148. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1961
Dr. Dr. HeinemannSo mußte z. B. zu Art. 3 des Grundgesetzes, zu dem Grundsatz der Gleichheit, erst Karlsruhe die Gleichheit der Ehegatten in der Besteuerung durchsetzen.
So mußte die Gleichberechtigung der Mutter in der Erziehung der Kinder erst gegenüber dem hier 1957 beschlossenen Gesetz zur Änderung des Bürgerlichen Gesetzbuchs durchgesetzt werden.
Eine ganze Serie von Korrekturen mußte Karlsruhe auf Grund des Art. 12 des Grundgesetzes zu den Gesetzen vollziehen, die hier beschlossen worden waren für Apotheken, Kassenärzte, Kassenzahnärzte, Mietwagen und Droschken, Zulassung zum Milchhandel, kurzum, zu dem Thema der Berufsfreiheit oder der Zunftordnungen. Eine ganze Serie von Beschlüssen mußte Karlsruhe zu den Gesetzen fassen, die mit dem Art. 21 des Grundgesetzes zusammenhängen. Immer wieder mußte Karlsruhe unterstreichen, daß der Artikel 21 eine Chancengleichheit der politischen Parteien fordert. Das mußte das Bundesverfassungsgericht erstmalig schon bei dem Wahlgesetz des Bundestages zu den Wahlen 1953 aussprechen, vor allen Dingen aber dann, als Sie die Steuerfreiheit der politischen Spenden beschlossen hatten.
Es genügte auch noch nicht, daß Karlsruhe das einmal getan hatte; Karlsruhe mußte das wiederholt tun.Sie alle wissen, daß Ihnen und uns aus dem Artikel 21 noch ein Auftrag zum Erlaß eine Parteiengesetzes auflastet, ein unerledigter Auftrag. Ich darf daran erinnern, daß das Bundesverfassungsgericht bereits 1958 sagte, die Tatsache, daß der Auftrag aus dem Artikel 6 noch unerledigt sei, verstoße allmählich gegen die Verfassung. Bei Artikel 6 ging es um die Gleichstellung der unehelichen Kinder. Der Auftrag aus dem Artikel 21 hängt nun schon viele Jahre mehr über und ist unerledigt. Vielleicht wird Karlsruhe auch da eines Tages einmal aussprechen müssen, daß gegen die Verfassung verstoßen wird, wenn dieser Auftrag nicht endlich erledigt wird. Die Ladehemmung, die Sie dabei haben, ist uns ja allen bekannt.
Dazu, wie das Bundesverfassungsministerium, das Innenministerium, den Artikel 9 des Grundgesetzes praktiziert, möchte ich hier wenigstens eine Frage anmelden. In Artikel 9 geht es um die Vereinigungsfreiheit. In Artikel 9 steht, daß diejenigen Vereinigungen verboten sind, die gegen die verfassungsmäßige Ordnung verstoßen. Wir haben vor rund vier Wochen im Plenum erlebt, daß uns der Herr Bundesinnenminister
eine Übersicht über sogenannte kommunistische Tarnorganisationen vorlas.
Es war das am 10. Februar 1961. Ich möchte fragen, wie solches mit Artikel 9 in Einklang steht. Was ist eigentlich „Tarnorganisation" für ein Begriff? Heißt „Tarnorganisation", daß sich die darunter charakterisierte Vereinigung gegen die verfassungsmäßige Ordnung benimmt? Wenn ja, dann muß dementsprechend gehandelt werden, dann muß dementsprechend die Exekutive das tun, was die Sachlage erfordert. Wenn es das aber nicht heißt, ist dann die Aufzählung solcher Organisationen lediglich eine Anprangerung, und ist es Sache eines Ministers, solches zu tun und dabei dann auch noch eine Organisation zu nennen, die längst nach rechtskräftigem Gerichtsurteil aus diesem Umkreis hätte ausgeschieden bleiben müssen? Es ist auch die Westdeutsche Frauen-Friedensbewegung genannt worden, zu der das Oberverwaltungsgericht von Rheinland-Pfalz in einem rechtskräftigen Urteil vom vergangenen Jahr gesagt hat, daß sie nicht unter das Verbot des Artikels 9 falle. Das Land Rheinland-Pfalz wurde verurteilt, diese Organisation aus den einschlägigen Listen zu streichen und die Streichung öffentlich zu publizieren. Das Land Rheinland-Pfalz hat das getan. Aber nun erscheint diese Organisa, tion wieder hier in dieser Aufzählung sogenannter Tarnorganisationen. Was also soll dieses? Ist das überhaupt im Sinne dessen, was Artikel 9 will, und ist es überhaupt einem Bundesminister gemäß, so zu praktizieren?Bevor ich auf das Fernsehurteil im eigentlichen eingehe, muß ich Sie daran erinnern, daß ganz kurz zuvor, nämlich im Dezember, ein Beschluß des Bundesverfassungsgerichts ergangen ist, der von kaum weniger weittragender Bedeutung sein dürfte als das Fernsehurteil selbst. Am 20. Dezember 1960 hat das Bundesverfassungsgericht zu der Streitfrage Stellung genommen, ob § 25 des Wehrpflichtgesetzes im Einklang mit Artikel 4 des Grundgesetzes stünde.
Das Bundesverfassungsgericht hat gesagt: Ja. Es hat gesagt: § 25 steht im Einklang mit Artikel 4 des Grundgesetzes. Aber, verehrte Damen und Herren, das große „Aber" steht in den Gründen dieses Beschlusses, und daraus ist folgendes zu erheben.Punkt 1: Das Bundesverfassungsgericht sagt — im Gegensatz zu dem, was Sie hier unternommen haben —, daß das Grundgesetz durch einfaches Gesetz nicht verbindlich ausgelegt werden könne. Es hat gesagt: Das gibt es überhaupt nicht, daß eine Bundestagsmehrheit sich anheischig macht, das Grundgesetz verbindlich auslegen zu wollen. Solches sei und bleibe ausschließlich Sache des Bundesverfassungsgerichts.Punkt 2: Sie haben versucht, mit jenem § 25 des Wehrpflichtgesetzes die Gewissensgründe zu zerlegen in anerkennenswerte und nicht anerkennenswerte. Karlsruhe sagt: Das gibt es nicht. Das Bun-
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 148. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1961 8401
Dr. Dr. Heinemanndesverfassungsgericht sagt: Als Gewissensentscheidung ist jede ernste sittliche, 'd. h. an den Kategorien von Gut und Böse orientierte Entscheidung anzusehen, 'die der Einzelne in einer bestimmten Lage als für sich bindend und unbedingt verpflichtend innerlich erfährt. Mit anderen Worten: es gibt keine Bewertung von Gewissensentscheidungen von Staats wegen.Punkt 3: Sie wollten mit dem § 25 des Wehrpflichtgesetzes lediglich ,den dogmatischen Pazifismus zur Anerkennung kommen lassen. Karlsruhe sagt: Jede Gewissensentscheidung aber ist wesenhaft und immer situationsbezogen. Damit bestätigt Karlsruhe die Aussage der beiden großen christlichen Kirchen in der Vorbereitung und in der Diskussion um jenen § 25 des Wehrpflichtgesetzes, bestätigt es also einen Standpunkt, den Sie hier mehrheitlich ablehnten, als Sie nur den dogmatischen Pazifismus anerkannt wissen wollten.Das Ergebnis dieses Beschlusses von Karlsruhe vom 20. Dezember 1960 ist dieses: Das Bundesverfassungsgericht hebt den Willen auf, den Sie in den § 25 des Wehrpflichtgesetzes hineingelegt haben. Karlsruhe sagt: Dieser § 25 kann überhaupt nur von Bestand sein, ' wenn er verfassungskonform ausgelegt wird. Diese verfassungskonforme Auslegung widerspricht dem, was Sie gewollt haben. Karlsruhe ersetzt Ihren falschen Willen durch einen richtigen Willen in idem Sinne, daß unter Art. 4 des Grundgesetzes auch derjenige Kriegsdienstverweigerer fällt, der aus situationsbedingten Motiven — z. B.: Atomkrieg — den Waffendienst heute und hier generell ablehnt.Verehrte Damen und Herren, diese Entscheidung von Karlsruhe hat deshalb eine so ungeheure Bedeutung, weil damit wiederhergestellt wird, daß die Gewissensfreiheit ein tragendes Element unserer Gemeinschaftsordnung ist und bleiben muß.Der Beschluß von Karlsruhe zum Wehrpflichtgesetz läßt noch einige Fragen offen, die ich jetzt nicht nennen will. Wichtig ist, daß diese erste Korrektur Platz gegriffen hat.Nun zu dem Fernsehurteil, verehrte Damen und Herren. Ich sagte bereits: wir haben hier gestern eine sehr pauschale Kritik an diesem Urteil gehört. Ich muß sagen, daß gerade diese pauschale Art, wie Sie anscheinend dieses Urteil von Karlsruhe ablehnen, wie es jedenfalls der Bundeskanzler hier abgelehnt hat, die Sache nur noch schlimmer macht.
In dem Urteil zum Fernsehstreit geht es um dreierlei: um Zuständigkeitsfragen, um den Grundsatz der Freiheit von Presse und Rundfunk und um das bundesfreundliche Verhalten. Wollen Sie ernstlich sagen, diese drei Stücke seien im Karlsruher Urteil in Grund und Boden falsch judiziert?Ich habe ein gewisses Verständnis dafür, daß Sie über die Ausführungen zu den Zuständigkeitsfragen in diesem Urteil unglücklich sind. Das mag Ihnen mißfallen. Aber, verehrte Damen und Herren, dem ist nun nicht dadurch beizukommen, daß man sagt— wie in einigen Ihrer Blätter zu lesen steht —, daß hier der Besatzungsföderalismus noch um-geistere oder daß der Parlamentarische Rat seiner-seit, als er diesen und jenen Artikel so formulierte, wie er im Grundgesetz steht, keine Willensfreiheit gehabt habe, sondern sich einem Machtanspruch der Besatzungsmächte habe beugen müssen. Bitte, wenn das Ihre Meinung ist, dann bleibt nur eins übrig, nämlich das Grundgesetz zu ändern; aber niemals kann deshalb das Grundgesetz gebrochen werden.
Und noch eine Bemerkung zu den Zuständigkeitsfragen. Geht es denn hier wirklich um ein Gegenüber oder um eine Gegensätzlichkeit von Bund gegen Länder? Was ist denn eigentlich der Wille des Bundes, der Bundesrepublik, in puncto Fernsehen? Der Bund bildet seinen Willen durch drei Organe: Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat. Der Bundesrat als eines der sicherlich wesentlich beteiligten Organe hat das, was Sie in dem Fernsehstreit angestrebt haben, völlig abgelehnt, und es gibt und gab hier in diesem Hause von Anfang an keine Möglichkeit, den Willen des Bundesrats mit einer Zweidrittelmehrheit zu überspielen. Infolgedessen ist es zu einer echten Willensbildung des Bundes in diesem Streit überhaupt niemals gekommen,
und es ist einfach eine falsche Darstellung von Ihnen, wenn Sie sagen, hier gehe es um einen Gegensatz von Bund und Ländern. Nein! Hier geht es lediglich darum, daß die Bundesregierung als nur eines der drei Willensorgane etwas gewollt hat, was den Ländern nicht genehm war und was obendrein gegen die Verfassung verstoßen hat.Ich bitte Sie in diesem Zusammenhang ferner, nun nicht mit so billigen Argumenten wie dem Honnefer Modell zu kommen
und zu sagen, die Kulturhoheit liege nun derart bei den Ländern, daß das Honnefer Modell oder ähnliches nicht weiter praktiziert werden könnte. In dem ganzen 82seitigen Urteil des Bundesverfassungsgerichts kommt „Kulturhoheit" überhaupt nicht vor.
Und dann sagen Sie: Dieselben Leute gehen nach Karlsruhe und ziehen diesen Dingen wie etwa dem Honnefer Modell den Boden weg. Dieselben Leute? Wer ist nach Karlsruhe gegangen? Wollen Sie bitte endlich Respekt davor haben, daß nach Karlsruhe Bundesländer gegangen sind und nicht irgendwelche Leute!
Das zweite, was aus dem Karlsruher Urteil zu erheben ist, geht dahin, daß der Rundfunk in einer Weise geordnet sein muß, die dem Art. 5 gerecht wird. Verehrte Damen und Herren, der Art. 5 ent-
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8402 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 148. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1961
Dr. Dr. Heinemannhält mehr als nur ein individuelles Grundrecht des Bürgers gegen den Staat auf freie Meinungsäußerung oder auf freien Zugang zu Informationsquellen. Art. 5 fordert auch die Garantie einer institutionellen Eigenständigkeit von Funk und Presse. Mit anderen Worten, Art. 5 will mit Stumpf und Stiel ausschließen, daß wir wieder eine gelenkte Presse oder wieder einen Staatsfunk bekommen.
Um dies auszuschließen, fordert Karlsruhe, das Rundfunk und Fernsehen in einer gesetzlichen Sicherung und in einer ausgewogenen Weise der Repräsentation aller bedeutsamen Gruppen in unserem Volk geordnet werden. Die Deutsches Fernsehen-GmbH, dieses komische Gebilde, das die Bundesregierung da gegründet hat, paßt wie die Faust aufs Auge zu diesen Erfordernissen des Art. 5. Diese GmbH, völlig — hundertprozentig — in der Hand der Bundesregierung, umkleidet mit einem Aufsichtsrat — den ich wirklich nur als eine Tarnorganisation bezeichnen kann —
ein totales Instrument in der Hand des. Kanzlers, ohne die geringste gesetzliche Sicherung gegen die Allmacht des Einen, der in dieser GmbH herrscht! Sehen Sie, der Kanzler hat ja auch alsbald die Satzung dieser GmbH schon ganz allein geändert, als sein Paladin Schäffer die Treuhandschaft niederlegte. Damit allein ist ja dokumentiert worden, daß er ohne Rücksicht auf Geschäftsführer, ohne Rücksicht auf den Aufsichtsrat diese GmbH völlig beherrschte.Verehrte Damen und Herren, das ist in der Sicht des Karlsruher Urteils ein Staatsfunk, schlimmer als wir ihn im Dritten Reich hatten.
Das ist in den Augen des Karlsruher Urteils ein Sender in der Hand eines Parteivorsitzenden, und es genügt nicht, daß Sie sagen, so sei es nicht gemeint gewesen. Verehrte Damen und Herren, Karlsruhe ist offenbar sehr hellhörig geworden für das, was gemeint war oder was gespielt worden ist, angesichts dessen, was obendrein alles noch in diesem Prozeß zutage gekommen ist. Das gehört zu dem Thema bundesfreundliches Verhalten.
— Bitte, Herr Stoltenberg!
Herr Kollege Heinemann, muß man aus der Tatsache, daß Sie hier entgegen dem klaren Text der Urteilsbegründung auf Seite 33 behaupten, in diesem Urteil sei die Frage der Kulturhoheit nicht angesprochen, folgern, daß Sie selbst die Urteilsbegründung nicht gelesen haben?
Nein, das brauchen Sie gar nicht zu folgern, verehrter Herr Stoltenberg.
Dieser ganze Prozeß ist von den beteiligten Parteien auf nichts anderes zugeschnitten worden — und vom Karlsruher Gericht auch gar nicht anders beantwortet worden — als auf die eine Frage, wie es nämlich mit dem Fernsehen zu halten sei. Sie können daraus nicht die Folgerung ziehen, daß in diesem Urteil ,die Kulturhoheit in Bausch und Bogen mit allen möglichen Konsequenzen behandelt worden wäre.
Verehrte Damen und Herren, es hat einmal vor etwa 170 Jahren den berühmten Freiherrn von Knigge gegeben. Der schrieb ein dreiteiliges Buch über den Umgang mit Menschen, und Karlsruhe hat jetzt diesem Knigge eine Abhandlung über den Umgang mit Bundesländern hinzugefügt.
Diese einmal 'gründlich zu studieren kann nur heilsam sein, — selbstverständlich wechselseitig zu studieren.
— Das wundert Sie?
Aus den allgemeinen Sätzen, die Kurlsruhe zu diesem Thema bundesfreundliches Verhalten entwickelt, sei folgendes hervorgehoben. Erstens: Länder sind Staaten, mit anderen Worten: nicht Befehlsempfänger des Bundes. Zweitens: Es gehört sich nicht, die Bundesländer unterschiedlich zu behandeln, je nach ihrer parteipolitischen Regierung zu bevorzugen oder zu benachteiligen. Es gehört sich nicht, wie Karlsruhe sagt, sie gegeneinander auszuspielen, und es gehört sich nicht, wie Karlsruhe sagt, sie unter Zwang zu stellen, um sie einem Willen der Bundesregierung zu beugen.Karlsruhe hat in diesem Zusammenhang eine Reihe von Vorgängen behandelt, von denen ich nur fragen kann, ob es ein Bundesminister oder eine Bundesregierung ihrer für würdig erachtet, sich so zu benehmen, wie es geschehen ist.Die Länder hatten zur Verhandlung mit der Bundesregierung über das Thema Fernsehen eine Kommission aus vier Ministerpräsidenten bestellt. Verehrte Damen und Herren, mit dieser Kommission hat die Bundesregierung nicht verhandelt. Wohl aber hat die Bundesregierung mit einer Reihe von Ländern, die ihr politisch nahestanden, mit Abgeordneten der CDU usw. eine große Serie von Konferenzen abgehalten. Das ist ihr gutes Recht. Natürlich können Sie Parteikonferenzen abhalten. Aber, verehrte Damen und Herren, diese Parteikonferenzen der CDU darf man dann dem Bundesverfassungsgericht nicht als Verhandlungen von Bundesregierung mit Landesregierungen schildern und darstellen wollen.
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 148. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1961 8403
Dr. Dr. HeinemannIch kann nur sagen, daß ich es eines Bundeisverfassungsministers für unwürdig erachte, derartige Verhandlungen parteiinterner Art dein Verfassungsgericht in Karlsruhe in dein Schriftsätzen als Regierungsverhandlungen vorzutragen.
Das Bundesverfassungsgericht hat in diesem Zusammenhang — Herr Dr. Stoltenberg, lesen Sie es bitte jetzt in dem Urteil mit — Bezug genommen auf den Brief des Herrn Ministerpräsidenten Altmeier vom 17. November 1960, gerichtet an den Herrn Bundesinnenminister Dr. Schröder, in dem Herr Altmeier sich dagegen verwahrt, daß die parteiinternen Konferenzen der CDU einfach in Regierungsverhandlungen umgedeutet werden.
Am Schluß des Briefes heißt es:
Ich beschränke mich auf diese Feststellungen, obwohl in nicht wenigen Stellen Ihres Schriftsatzes und der Anlagen Tatsachen eine Ausdeutung erfahren, die mit der Wirklichkeit nicht übereinstimmen.Ich will jetzt gar nicht die Frage aufwerfen, wie solche falschen Darstellungen in die Schriftsätze hineingekommen sind; aber das bleibt nun leider an dem Bundesinnenminister hängen, daß er diese falschen Darstellungen auch dann nicht korrigiert hat, als er von Herrn Ministerpräsidenten Altmeier darauf aufmerksam gemacht worden war, daß es falsche Darstellungen sind.
Glaubt man denn ernstlich, dem Bundesverfassungsgericht so etwas zumuten zu können, wie das hier geschehen ist?Das Bundesverfassungsgericht hat ferner seine absolute Ungehaltenheit darüber zum Ausdruck gebracht, daß die Bundesländer in den letzten Tagen vor der Gründung der GmbH so behandelt worden sind, wie sie behandelt wurden, nämlich daß auf die Gegenvorschläge, die sie machten, sofort mit der vollzogenen Tatsache der Gründung dieser GmbH geantwortet wurde, und daß der Brief der Bundesregierung oder des Bundeskanzleramtes, in dem den Ländern die Ablehnung der Gegenvorschläge mitgeteilt wurde, zu einer Zeit auf die Post gegeben wurde, als er gar nicht mehr rechtzeitig vor dem Gründungsdatum dieser GmbH ankommen konnte.Und weiter, meine Damen und Herren: Da hat ein Treuhänder eine Rolle gespielt, wissend, daß diejenigen, deren Interesse er als Treuhänder wahrnehmen sollte oder wollte, von dieser Sache nichts wissen wollten.
Karlsruhe sagt:Wenn es klar ist, wie hier, daß die Länder nicht willens sind, sich an der GmbH zu beteiligen, dann verstößt der Bund gegen das Gebot zu bundesfreundlichem Verhalten, wenn er sich einen „Treuhänder"— Treuhänder steht im Urteil in Gänsefüßchen — für die Länder aussucht und mit dessen Hilfe die von den Ländern abgelehnte Gesellschaft gründet.Alle diese Vorgänge, die Karlsruhe unter dem Thema bundesfreundlichem Verhaltens ausführlich behandelt hat, haben Karlsruhe zu dem Ergebnis geführt, daß die Verfassungswidrigkeit auch der Prozedur dem ganzen Gründungsakt oder — wie ich jetzt sage — diesem Wechselbalg von GmbH anhängt, bei dem der Bundesjustizminister und der Bundesverfassungsminister fröhlich oder zynisch Pate gestanden haben.
Zynisch deshalb, weil Rundfunksender, z. B. der RIAS, und Zeitungen, z. B. die „Süddeutsche Zeitung", berichtet haben, daß der Bundesinnenminister „mit schöner Selbstsicherheit", wie es da heißt, erklärte, die Bundesregierung sehe den Klagen von Hamburg, Niedersachsen und Bremen mit Ruhe entgegen; man werde unbeirrt am 1. Januar 1961 das zweite Programm starten, denn die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts werde ja doch ungefähr zwei Jahre auf sich warten lassen, und dann werde man weiter sehen. Verehrte Damen und Herren, das ist eine hanebüchene Brüskierung der Verfassungsrichter,
ihnen quasi zu sagen: ihr Trottel in Karlsruhe, ihr werdet ja zwei Jahre brauchen, um das ganze aufzurollen, was wir hier mit der GmbH an vollzogenen Tatsachen geschaffen haben.
— Jawohl, das sage ich jetzt.Ich füge jetzt aber noch folgendes hinzu. Alles, was sich da in diesem Fernsehvorgang so und so abgespielt hat, wäre freilich nicht möglich gewesen ohne das beflissene Mitmachen vieler, ahne das beflissene Mitmachen z. B. der Aufsichtsräte, die sich von Kanzlers Gnaden ernennen ließen,
ohne das beflissene Mitmachen der vielen Postenjäger, die bei der neuen Fernseh-GmbH ihren Job gesucht haben.
Auch ohne das Versagen der Regierungspartei wäre das nicht möglich gewesen.
Wenn man in Schleswig-Holstein anscheinend der Meinung ist, daß doch bei einem Mann alles in Ordnung sein müsse, wenn er bei Behörden arbeite, auch wenn er Dr. Heyde heißt, so scheint man in Bonn der Meinung zu sein, daß alles in Ordnung sein müsse, wenn der Bundesverfassungsminister dabeisteht, wenn eine GmbH gegründet wird, wenn der Bundesjustizminister die Interessen der Länder in seine treuen Hände nimmt
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8404 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 148. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1961
Dr. Dr. Heinemannund wenn der Bundeskanzler demonstriert, was es heißt, nicht pingelig zu sein.
Und wer diesen ganzen Schlamassel zu bezahlen hat, das ist in der Tat der Steuerzahler.
Ich spreche Herrn Bundesfinanzminister Etzel meine große Hochachtung dafür aus, daß er gestern in der persönlichen Erklärung sofort korrigiert hat, was Sie mit Ihrem Beschluß über die Nichteinschaltung des Haushaltsausschusses verhindern wollten.
Herr Dr. Heinemann, wollen Sie eine Zwischenfrage zulassen?
Enen Augenblick bitte. — Wir wollen Sie bei dem Konservenhandel nicht stören. Aber wir wollen wissen, wie diese Liquidation im Endergebnis aussieht, vor allen Dingen auch angesichts der hochdotierten Dienstverträge, die es nun abzuwickeln gilt.
Bitte!
Herr Abgeordneter Dr. Heinemann, ist Ihnen bekannt, daß der Zusatzantrag von Herrn Dr. Schäfer, den sie soeben angesprochen haben, völlig überflüssig war, weil die Einschaltung des Haushaltsausschusses —das wird der hier sitzende Vorsitzende ,des Haushaltsausschusses, Herr Kollege Schoettle, bestätigen — bei allen außer- und überplanmäßigen Ausgaben immer vorgesehen ist? Der Zusatzantrag war völlig überflüssig.
Da kann ich nur bedauern, daß Sie das gestern nicht gesagt haben, sondern daß das erst der Bundesverfassungsminister sagen mußte.
Soll die Kritik, die Sie an diesem Urteil so pauschal geübt haben — insbesondere der Herr Bundeskanzler —, wirklich so pauschal gelten, oder wollen Sie nicht wenigstens doch einiges aus diesem Karlsruher Urteil gelten lassen? Der Herr Bundeskanzler hat sich gestern darauf berufen, daß das Kabinett einstimmig seine Urteilsschelte billige. Er hat mit anderen Worten auch den Bundesjustizminister in diese Mitverantwortung eingebunden. Der Herr Bundeskanzler hat sich auf vier Professorengutachten berufen. Nicht ein einziges dieser Gutachten nimmt überhaupt zu dieser komischen GmbH in dem Sinne Stellung, daß sie verfassungsmäßig sei.Was heißt hier jetzt: Respekt vor dem Urteil? Sie wollen es erfüllen. Ja natürlich, das müssen Sie. Aber es wäre viel hilfreicher, wenn wenigstens aus einigen Stücken dieses Urteils sich eine Besinnung, eine Bestandsaufnahme und eine Gemeinsamkeit des weiteren Handelns ergeben würden. Die Kritik, die im Deutschland-Union-Dienst an dem Urteil geübt worden ist — genau genommen wares Herr Dr. Gerstenmaier; der Deutschland-UnionDienst berichtete über das, was er kritisch in Ihrer Fraktionssitzung darüber vorgetragen hat —, kann überhaupt nicht standhalten. Da heißt es in Ihrem Deutschland-Union-Dienst vom 7. März:Es sei doch die Frage, ob das Parlament seine Grenzen überschreite, wenn der Bundestagspräsident in Übereinstimmung mit dem Haus zu Existenzfragen der Nation Erklärungen abgebe. Der Bundestag als oberste, frei gewählte Vertretung des deutschen Volkes übe dann die vom Bundesverfassungsgericht neuerdings bestrittene nationale Repräsentation nach innen aus.Verehrte Damen und Herren, kein Wort davon in diesem Urteil, daß der Bundestag oder der Bundestagspräsident angetastet werde in ihrer Aufgabe, je und dann die nationale Repräsentation zu sein. Nein, es geht um ganz etwas anderes; denn schließlich will ja dieser Bundestag nicht ein Rundfunkstudio werden. Es geht darum, ob das, was sich hier in diesem Bundestag abspielt, was hier in diesem Bundestag an nationaler Repräsentation je und dann dargestellt wird, von den Sendern aufgenommen wird. Das allein ist die Frage, und nachdem Karlsruhe eben sicherstellen will, daß die Rundfunkanstalten nicht in eines Mannes Hand sind, sondern daß sie geleitet werden durch Organe, in denen sich alle Kräfte unserer Bundesrepublik darstellen, ist es ja gerade gewährleistet, daß solche repräsentativ-nationalen Darstellungen auch wirklich über den Rundfunk kommen.Herr Dr. Adenauer hat gestern auch noch gesagt, der Hauptleidtragende des Karlsruher Urteils sei das Publikum. Nun, verehrte Damen und Herren, wir freuen uns darüber, daß die Bundesregierung jetzt endlich ihre Bemühungen einstellen will, dem Publikum so schnell wie möglich das zweite Fernsehprogramm zu liefern. Durch diese Bemühungen hat sie es ja gerade jahrelang gehindert.
Was ist jetzt zu tun? Das Thema ist jetzt nicht: das Grundgesetz ändern, oder gar: das Verfassungsgericht ändern. Wenn etwas geändert werden soll, dann wäre das in einer anderen Richtung zu suchen.
— Ja, in bezug auf die Regierungsbank; aber das ist ja bei uns nicht üblich. Wie sähe es eigentlich bei uns aus, wenn es kein Bundesverfassungsgericht gäbe?, das je und dann die Grundordnung in seine Obhut nimmt?
Mit anderen Worten: Wie sähe es bei uns aus, wenn diese Obhut allein bei diesem Bundesverfassungsminister läge?
Dann würden wir erleben, daß sich die parlamentarische Mehrheit immer mehr in der verbindlichen Auslegung der Verfassung üben würde. Dann würden wir es erleben, daß die Akzente immer deut-
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Dr. Dr. Heinemannlicher auf Parteiinteressen hingeführt würden, — wie im Umkreis des Art. 21 des Grundgesetzes. Dann würden wir es erleben, daß die Gleichberechtigung von Frauen und Müttern abgebaut würde. Dann würden wir es erleben, daß sich die Zunftordnungen in den Vordergrund spielen würden.
Ja, das ist doch alles durch die Urteile belegt, die ich genannt habe.Vor allen Dingen: dann hätten wir den Staatsfunk, und die Staatspresse würde dann wahrscheinlich auch nicht mehr weit sein.
Was ist jetzt zu tun? Nun, ich denke, das ist sehr einfach. Jetzt hat nämlich der Bundespostminister endlich die jahrelang vorliegenden Lizenzanträge der Rundfunk- und Fernsehanstalten zu bewilligen und darüber zu entscheiden.
Dann freilich müssen die Länder handeln. Siege bedeuten Verantwortung; das ist klar. Die Länder haben jetzt die Verantwortung für den Fortgang der Dinge.Ich möchte aber noch eine ganz andere Schlußfolgerung aus dem Urteil für das praktische Weitergehen ziehen.
Karlsruhe hat gehandelt vom bundesfreundlichen Umgang, d. h. von dem Umgang des Bundes mit den Ländern. Man kann aber aus diesem Urteil wohl auch einiges entnehmen für einen guten Umgang zwischen Regierung und Opposition; denn es gibt Situationen, in denen die Opposition in diesem Hause genauso ein Partner ist, wie die Länder in vielen Stücken gegenüber dem Bund Partner sind. Partner ist die Opposition in bezug auf die Regierung und ihre Mehrheit in den Verfassungsfragen. Herr Dr. Arndt hat von dieser Stelle aus eh und je darauf hingewiesen, daß Verfassungsfragen von anderem Rang, von einer anderen Qualität sind als die Fragen der allgemeinen Gesetzgebung. Er hat immer wieder an Sie appelliert, die Opposition in den Verfassungsfragen als den Partner zu nehmen und zu würdigen, der sie ist. Verfassungsfragen sind nicht damit zu bewältigen, daß die Regierung — meinetwegen auch einstimmige — Vorlagen macht und diese hier durch eine Plenardebatte in irgendeinen Ausschuß dirigieren will. Die Verfassung muß bleiben das Instrument gemeinsamer Willensbildung und breiter und tiefverwurzelter gemeinsamer Überzeugungen. Dazu ist es notwendig, daß Veränderungen -der Verfassung auf einem politischen Weg erarbeitet werden und nicht einfach in der parlamentarischen Gesetzgebungsschablone, wie das mehrfach versucht worden ist.Verehrte Damen und Herren, es spricht für die Sachlichkeit Dr. Arndts, daß er, der er der Anwalt im Fernsehstreit in Karlsruhe war, es abgelehnt hat,im Bundestag zu dem Fernsehstreit Stellung zu nehmen. Ich muß jetzt daran erinnern, daß Herr Dr. Schröder es im Plenum einmal in einer sehr häßlichen Weise abgelehnt hat, mit Dr. Arndt überhaupt zu sprechen, indem er ihm hier vorhielt, mit einem Thersites spreche er nicht.
In Karlsruhe wird man auch mit Dr. Arndt sprechen müssen, selbst wenn es nicht beliebt.Es wäre doch eine bessere Nutzanwendung des Urteils unter dem Stichwort „bundesfreundliches Verhalten" oder — wie soll ich es hier sagen? —„regierungs- und oppositionsfreundliches Verhalten", wenn wir uns in Verfassungsfragen etwas anderes einfallen ließen als diesen kalten Krieg, der hier weithin üblich geworden ist.
— Wollen Sie immer noch das Karlsruher Urteil so pauschal in den Abgrund tun, wie das gestern geschehen ist?
Das ist jetzt die Testfrage, ob Sie das Urteil immer noch so pauschal abwerten.
Es ist hier von der Notstandsgesetzgebung gesprochen worden. Verehrter Herr Dr. Schröder, mit einer Dokumentation werden Sie die Situation, die hier entstanden ist, nicht beheben. Gerade bei der Notstandsgesetzgebung steht die Verfassung zur Diskussion, und deshalb fordern wir nach wie vor, daß darüber ein politisches Gespräch mit den von der SPD-Fraktion längst beauftragten Sprechern stattfindet, ehe die parlamentarische Maschine in Gang gesetzt wird. Das ist der Kernpunkt: daß wir die Verfassungsfragen in einer ganz anderen Schicht, in einer ganz anderen Tragweite sehen, als es Ihnen bisher aufgegangen ist. Nur wenn es gelingt, nachdem wir das Karlsruher Urteil noch einmal alle miteinander gelesen haben, in dieser Beziehung zu einer Annäherung zu kommen, wird dieses Stück besser.
Das Wort hat der Herr Bundesminister des Innern.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich gehe zunächst auf die einleitende Bemerkung meines Herrn Vorredners ein, um mich dann mit dem Kern dessen, was er gesagt hat, zu beschäftigen.Herr Dr. Heinemann hat eine Art Übersicht über die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gegeben. Mit dieser Übersicht will ich mich hier nicht im einzelnen auseinandersetzen. Die Rechtsprechung zum Beispiel des Supreme Court der
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Bundesinnenminister Dr. SchröderVereinigten Staaten umfaßt beinahe eine Bibliothek, und das Bundesverfassungsgericht wird es sicherlich bei den weiten Zuständigkeiten, die es hat, auch noch auf eine ganz schöne Bibliothek bringen. Das ist nichts Ungewähnliches bei uns und in anderen Ländern. Irrtum ist eine Begleiterscheinung des menschlichen Daseins.
— Herr Kollege Kanka, ich werde gleich noch auf die Juristen zu sprechen kommen. Der Irrtum gilt auch für manches, was hier gesagt wird; aber ich will das so liebenswürdig wie möglich behandeln.Eine ganz konkrete Anmerkung! Herr Kollege Heinemann hat auf das Parteiengesetz in Verbindung mit Art. 21 des Grundgesetzes hingewiesen. Nun, der Eifer der sozialdemokratischen Opposition, das Parteiengesetz, das bekanntlich schon seit langem hier im Ausschuß liegt, zu behandeln, ist, soweit meine Kenntnis reicht, nicht gerade übermäßig gewesen. Vom Standpunkt der Bundesregierung aus bestehen keinerlei Bedenken dagegen, daß das Parteiengesetz, das sie vor langem, einem Auftrag des Art. 21 entsprechend, eingebracht hat, so schnell wie möglich verabschiedet wird. Wenn wir heute sagen: so schnell wie möglich!, so müssen wir bedenken, daß wir beinahe Mitte März und nur noch wenige Sitzungstage bis zum 30. Juni haben; es ist also vielleicht etwas euphemistisch, darüber bin ich mir völlig klar. Aber der Bundestag ist kein Eintagsunternehmen, sondern eine langfristige angelegte Institution, und manche Regierungsvorlage, die jetzt nicht erledigt wird, wird halt wiederkehren. Wir haben heute morgen von Vorlagen gesprochen, die zum dritten Male hier waren und beim dritten Male schließlich den Weg ins Bundesgesetzblatt gefunden haben. Das Parteiengesetz, das weiß jeder, ist nicht so vordringlich, daß es übermorgen im Bundesgesetzblatt stehen müßte. Es gibt keinen einzigen Grund, den man für dieses „Übermorgen im Bundesgesetzblatt" vorbringen könnte. Im Rhythmus der Gesetzgebungsarbeit wird es sicher in absehbarer Zeit verabschiedet werden können. Herr Kollege Heinemann zeigt eine gewisse Empfindlichkeit auf einem anderen Gebiet, dem Gebiet der kommunistischen Rand- und Nebenorganisationen. Diese Empfindlichkeit kenne ich. Sie hat mancherlei Gründe. Ich will mich nur mit dem beschäftigen, was er zu einer konkreten Situation gesagt hat, und er befindet sich hier wirklich völlig im Irrtum.Wie ist die Sache? Ich habe hier vor einigen Wochen auf eine Frage hin in der Fragestunde wiederum eine Übersicht über jene Organisation gegeben, die nach unserer Meinung und nach dem Stand unserer Erkenntnisse in jenen dort bezeichneten Bereich hineinfallen, und ich habe gleichzeitig darauf hingewiesen — und das bringt mich genau zu dem Punkt, der angesprochen wurde —, daß wir auf diesem Gebiet — ich spreche jetzt von dem Feld des Art. 9 des Grundgesetzes — eine etwas unterschiedliche Landschaft und eine etwas unterschiedliche Praxis haben.Bekanntlich — wenn ich das hier mit Rücksicht auf die Öffentlichkeit erwähnen darf — genießen die Parteien in Art. 21 ein gewisses Privileg, indem gesagt wird, daß aus der Verfassungswidrigkeit von Parteien erst dann Folgerungen gezogen werden können, unter Umständen strafrechtliche Folgerungen, wenn diese Verfassungswidrigkeit durch ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts festgestellt ist. Das kann man in mancher Beziehung als eine Art Privileg der politischen Parteien bezeichnen. Das gleiche gilt nicht etwa für Organisationen, d. h. also für Vereine und irgendwie anders organisierte Personengruppen. Sie sind verboten, wenn sie gegen die Verfassung verstoßen.
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— Sie täuschen sich, Herr Kollege Wittrock; warten Sie einen Moment, ich werde Gelegenheit haben, das jetzt zu entwickeln.Bei dieser Sache ging es im Kern darum, ob der Bund nicht mindestens unter dem Gesichtspunkt der nationalen Repräsentanz eine Kompetenz habe. Das, was an diesem Urteil — Sie nötigen mich nun doch, da Sie es loben, mich im umgekehrten Sinne damit zu beschäftigen — tief betrüblich ist — in meinen Augen war das das erschütterndste Stück der Begründung —, ist, daß sozusagen Weimar noch nachträglich dementiert wird.
Diejenigen, die das Urteil wirklich gelesen haben, wissen, was ich meine. Das, wovon wir immer als von einem nationalpolitischen Minimum glaubten ausgehen zu können, war der Stand vor Hitler. Den Stand vor Hitler haben wir mindestens auf diesen Gebieten limmer als das angesehen, worauf wir uns — das gilt jetzt natürlich cum grano salis; wir haben manche Kritik daran — verlassen könnten, und nun geht das Urteil hin und zerschlägt noch nachträglich— lesen Sie es nach! — die in der Weimarer Zeit in jahrelanger Arbeit — 1924, 1925 bis 1932 — geschaffenen Rechtsfiguren und Institutionen und erklärt kurzerhand, das sei eigentlich in Weimar schon nicht richtig gewesen. Ich drücke mich jetzt einmal etwas abgekürzt aus.Meine Damen und Herren, wenn man aus einer solchen Perspektive die deutsche Gegenwart und die deutsche Zukunft sehen will, dann kann einem angst und bange werden. Das sage ich Ihnen ganz offen.
Sie haben, Herr Kollege Dr. Heinemann, gesagt, ich hätte vorhin in einer Zwischenbemerkung in der Diskussion dem Sinne nach etwa erklärt, dieselben Leute seien nun nach Karlsruhe gegangen. Es war eine Auseinandersetzung mit dem Kollegen Blachstein, der bekanntlich auf seiten des Rundfunks und gleichzeitig auf seiten Hamburgs eine sehr beträchtliche Rolle spielt. Ich kann sagen, wenn Sie nun nicht gerade parlamentarisch empfindlich werden wollen, es sind dieselben Leute. Ich kann vielleicht besser sagen — um mich einer gepflegterenAusdrucksweise angesichts Ihrer Darlegungen zu befleißigen —, es sind genau dieselben Kräfte. Es liegt ein Stück Tragik darin— das gebe ich Ihnen gerne zu —, daß gerade diejenige Partei, die nach Tradition und im Grunde auch nach ihrem inneren Lebensgesetz sicher eine Berufung dazu hat, vielleicht stärker den Blick auf den Gesamtstaat zu lenken als auf dieses oder jenes seiner Glieder, daß sie, wie ich meine, aus verblendeter Fehde gegen die Politik der Bundesregierung— die von Ihnen mißdeutet wird — nun wirklich ein Fundament zerstört.
Was wir, meine Damen und Herren, brauchen, ist das Gemeinsame, das auch der Herr Kollege Heinemann zum Schluß seiner Ausführungen an den Himmel malte. Das ist die politische Situation. Seien Sie ganz sicher, die Klügeren und Einsichtigeren und — so möchte ich sagen — die Nachdenklicheren in Ihren Reihen wissen das genauso gut, wie ich es hier offen ausspreche.
Wir haben jetzt einen Scherbenhaufen vor den Füßen. Aus diesem Scherbenhaufen werden Sie keinen Krug mehr machen können.
Der Appell an die Verantwortung der Länder spricht sich sehr leicht aus. Aber das Wesen des Bundesstaates — wenn er überhaupt existieren und sich vom Staatenbund unterscheiden soll —, ist doch. daß er letztlich Entscheidungen braucht, die irgendwo und irgendwie durch Mehrheiten herbeigeführt werden können, und daß er nicht getragen werden kann von dem Prinzip der Notwendigkeit der Einstimmigkeit der Länder. Das ist doch das Dilemma, in das wir gekommen sind,
daß man uns eine Sache, für die wir hier eine Mehrheit brauchen — ich lasse die Frage offen, wie groß die Mehrheit sein muß — und für die wir im Bundesrat um eine Mehrheit kämpfen müssen, einfach wegzieht und sagt: Diese Sache — nein! —. Es gilt jetzt der Satz: „cuius regio, eius televisio". Und daraus machen Sie einmal ein Bundesfernsehen, wie auch Sie sich es vorstellen würden!
Ich will mich nun nicht mit den einzelnen Schiefheiten auseinandersetzen, wie sie die Ausführungen des Kollegen Heinemann gekennzeichnet haben, aber ich muß ihm eins sagen: Nicht alles, was im Prozeß vorgetragen worden ist, und nicht alles, was in tatsächlicher Beziehung oder in einer Würdigung des Gerichts an Hand von Tatsachen dort zu lesen ist, stimmt mit den Tatsachen überein. Dieses Schreiben — ich habe das Datum nicht genau behalten, aber es ist wohl der 17. November gewesen— des Ministerpräsidenten Altmeier an mich stimmt mit meiner Sicht der Tatsachen absolut nicht überein. Leider hat das Bundesverfassungsgericht
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8408 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 148. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1961
Bundesinnenminister Dr. Schröderein solches, wie ich glaube, absolut einseitig falsch interpretierendes Schreiben sogar noch mit hineingezogen in seine Urteilsgründe. Ich kann das nur zutiefst bedauern. Was ist in Wirklichkeit der Vorgang? Bund und Länder haben — der Herr Bundeskanzler hat das gestern gesagt — über Jahre hinaus in einem mühseligen Verhandeln gestanden. Einer meiner früheren Mitarbeiter, der Staatssekretär Bleek — jetzt im Bundespräsidialamt —, hat Jahre seines Lebens darangegeben.
— Sie sagen, viel zu lange, aber er hat buchstäblich jahrelang den größten Bereich seiner Tätigkeit damit ausgefüllt. Sie wissen, er ist ein ungeheuer geduldiger und konzilianter Mann. Mir würden Sie das Kompliment nicht so leicht machen. Er ist ein geduldiger und sehr konzilianter Mann. Jahre seines Lebens hat er daran gegeben, für den Bund —natürlich auch, nicht nur für die Länder — brauchbare Vertragswerke zustande zu bringen. Er ist daran gescheitert, Wir sind daran gescheitert, d. h. letztlich ist, wenn Sie so wollen, auch der Bundestag daran gescheitert.Bei diesen Besprechungen und nachher, als die Bundesregierung sich entschloß, nun doch den Gesetzesvorstoß zu machen, hat es immer nur eine Linie gegeben. Für die Länder war Jahre hindurch der Ministerpräsident Altmeier der Sprecher, bitte, für alle Länder! Er blieb auch der Sprecher der Ministerpräsidenten-Konferenz, nicht der CDU-Länder! Der bequemste und billigste Weg, sich nun herauszudividieren — nicht für Herrn Altmeier selbst, aber für andere —, ist die Interpretation, Herr Altmeier sei nur der Sprecher der CDU-Länder gewesen. Davon ist gar keine Rede. Diesen Auftrag hatte er von der Konferenz der Ministerpräsidenten. Er hat diesen Auftrag auch behalten, nachdem der Vorsitz in der Konferenz der Ministerpräsidenten an Herrn von Hassel übergegangen war, der inzwischen, wenn ich nicht irre, in diesem Vorsitz von Herrn Kiesinger abgelöst worden ist. Mit anderen Worten: der berufenste und im übrigen auch, wenn Sie so wollen, für den Standpunkt der Länder freundlichste Sprecher — sonst würden ihn seine sozialdemokratischen Kollegen in dieser Funktion nicht so intensiv unterstützt haben — ist der Ministerpräsident Altmeier gewesen. Er war auch der Vorsitzende der später genannten kleinen Vierer-Kommission, die erst im allerletzten Stadium gebildet worden ist.Bei dieser ganzen Sache hat es ein Durchverhandeln gegeben. Hier ist nichts passiert, was Herr Altmeier — wozu er nicht nur legitimiert, sondern auf Grund des anderen Auftrages verpflichtet war— seinen sozialdemokratischen Länderkollegen vorenthalten hätte. Ich will Ihnen zum Beweis dafür nur ein Pressekommuniqué vorlesen, das wir nach einer der Sitzungen dort an Ort und Stelle vereinbart haben. Das hört sich alles sehr amtlich an, nicht wie eine Zusammenkunft von CDU-Politikern. Da heißt es folgendermaßen.
— Meine Damen und Herren, ich verstehe nicht, was Sie erheitert. Dies ist ja eine mit der Gegenseite vereinbarte Festlegung. Ich nehme nur ein Beispiel heraus. Hören Sie sich das Beispiel doch einmal an:Der von der Bundesregierung angebotene Entwurf eines Verwaltungsabkommens zwischen Bund und Ländern— nicht etwa zwischen Bund und CDU-Ländern! — über die Zusammenarbeit auf dem Gebiete des Fernsehens und 'der 'dazugehörige Gesellschaftsvertrag stellen nach allgemeiner Überzeugung eine geeignete Grundlage für die Lösung dieser Frage— Errichtung eines zweiten Fernsehprogramms usw. —dar.Meine Damen und Herren, wenn wir hier weiter solche falschen Darstellungen hören sollten, werden wir vielleicht eines Tages einmal das Stenogramm einer der letzten Sitzungen — ich glaube, sie war am 8. Juli — veröffentlichen. Wir lassen das jetzt aus dieser oder jener Rücksicht. Daraus würden Sie ganz klar ersehen, daß der Herr Bundeskanzler die Herren absolut nicht in ihrer Eigenschaft als Angehörige der CDU angesprochen hat — vielleicht gleichzeitig auch; das ist kein Gegenargument —, sondern in ihrer Funktion als Vertreter ihrer Länder und, da der Vorsitzende der ganzen Konferenz vertreten war, ihn natürlich in dieser Eigenschaft. Meine Damen und Herren, Sie können es bedauern, daß hier nicht Gesamtkonferenzen stattgefunden haben. Sie sind aber wohl mit mir der Überzeugung, daß Gesamtkonferenzen dieser Art die Sache bis zur Unmöglichkeit erschwert haben würden.
— Ja, was wollen Sie?
— Nein, versuchen Sie nicht, einen Seitenweg zu finden!
Ich fühle mich im vollen Schutz der Dokumente, ich fühle mich im vollen Schutz der Tatsachen, und die Tatsachen sprechen eindeutig für mich. Wir haben nie einen Entwurf gemacht — jedenfalls vor dieser prozessualen Zeit —, in dem nicht immer Bund und alle Länder vorgesehen gewesen sind. Wenn Sie jetzt in so harter Weise die GmbH tadeln, so muß ich Ihnen sagen, die GmbH geht nicht etwa davon aus, daß irgendein Land — sozialistisch oder christlich-demokratisch regiert — davon ausgenommen sein sollte.Es ist nicht sehr schön — um mich vorsichtig auszudrücken —, wenn Sie hier — Herr Heinemann hat das getan in einer Weise, die ich, wenn ich bei einem vorsichtigen Wort bleibe, nicht sehr schön finden kann; von sachgerecht ist schon gar keine Rede — eine Darstellung wählen, als ob der Bun-
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Bundesinnenminister Dr. Schröderdesregierung je vorgeschwebt habe, etwas zu machen, was nicht in diesem im Grunde in Jahren im voraus besprochenem Rahmen lag, als ob ihr je vorgeschwebt habe, nicht bis zum allerletzten Moment den Versuch zu machen, eine Gesellschaft zu gründen, in der der Bund den einen Teil, die elf Länder, Berlin eingeschlossen, den anderen Teil darstellen sollten. Deswegen geht auch alles, was über Artikel 5 gesagt worden ist, völlig an uns vorbei.
— Nein, es geht in der Sache an uns vorbei. Lieber Herr Kollege Schoettle, wollen Sie wirklich unsere Intelligenz unterbewerten? Das ist das einzige, was ich Ihnen eigentlich wirklich übelnehme, nichts sonst! Aber bitte halten Sie die derzeitige Bundesregierung nicht für so unintelligent, das nicht zu sehen.
— Doch, ich ziehe ja die Schlußfolgerung aus der Intelligenz.Ich komme gleich auf eine sehr häßliche Sache in der „Süddeutschen Zeitung" zurück. Herr Heinemann zitiert das so, als ob das ein Apostelwort wäre. Das ist eine ganz üble Erfindung der Zeitung. Ich komme gleich darauf zurück.Herr Kollege Schoettle, bitte trauen Sie unserer Intelligenz zu, — —
— Ich schildere Ihnen gerade, daß wir davon einen sehr angemessenen Gebrauch machen wollten, nämlich durch das Zusammenwirken von Bund und Ländern, gleichgültig, wie sich letztlich die Organisationsformen gestalten würden, alle Träger, sowohl die des Gesamtstaates wie die der Einzelstaaten, wie auch, da die Einzelstaaten gemischt sind, die verschiedenen politischen Meinungen zum Tragen zu bringen. Welche Art für die Repräsentanz des Überwachungsgremiums zum Schluß gewählt worden wäre, meine Damen und Herren, das lag doch wirklich im Willen der zur Mitwirkung bis zum letzten Moment aufgeforderten und gebetenen Länder. Argumentieren Sie doch bitte nicht gegen die Tatsachen! Was ich sage, sind nachweislich die Tatsachen. Deswegen werden wir mit einer Fülle von falschen Vorwürfen überschüttet! Glauben Sie doch nicht, es hätte uns je vorgeschwebt, wir seien in der Lage, in Deutschland sozusagen ein CDU-Bundesfernsehen einzurichten.
— Ihre Äußerung jetzt kann ich nicht als einen Ausdruck von Realpolitik empfinden.
— Lassen Sie mich, Herr Kollege Blachstein, diesenso vorzüglichen Gedanken doch bitte noch einenMoment ausführen. Ein CDU-Bundesfernsehen würde uns von der ganzen deutschen Öffentlichkeit einschließlich der sehr, sehr großen CDU-Wählerschaft überhaupt nicht abgenommen werden.
— Meine Herren, warum haben Sie denn Zweifel?
— Ich werde Ihnen einmal ganz offen sagen, was uns vorgeschwebt hat.
Herr Bundesminister, kann der Herr Abgeordnete Blachstein eine Frage stellen?
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Ich habe eigentlich meinen so schönen Gedanken noch nicht zu Ende. ausgeführt, aber bitte!
Herr Abgeordneter Blachstein!
Herr Bundesinnenminister, können Sie mir erklären, warum die AdenauerFernsehen-GmbH zu einem Zeitpunkt gegründet wurde, in dem die Verhandlungen zwischen Bund und Ländern so weit gediehen waren, daß man mit einem absehbaren Abschluß eines Vertrages rechnen konnte?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich will darauf gern eingehen, aber Sie müssen mir nachher helfen, den anderen Gedanken wieder zu finden. Es ist aber ein sehr interessanter Punkt, den Sie berühren, Herr Kollege Blachstein. Wenn wir die Überzeugung gehabt hätten, daß es auf allen Seiten wirklich auf Mitmachen und nicht auf stille Blockade berechnet gewesen wäre, hätten wir uns anders verhalten. Ich will Ihnen sagen, wie ich selbst in dieser Sache stehe. — Die Entscheidung ist überdies in meiner Abwesenheit gefallen. Also bitte, überbewerten Sie mich nicht ständig als den Einpeitscher! Ich war an dem Tag, an dem die Besprechung stattfand und an dem der Herr Bundeskanzler schließlich diesen Brief geschrieben hat, in Süddeutschland. Nachdem diese Briefe geschrieben waren, wurden sie mir durch Fernschreiber zugeschickt. Ich weiß jetzt noch die Stelle, wo ich sie im Auto gelesen habe.Meine Damen und Herren, ich will Ihnen sagen, was für mich das Schlimmste war: ich war nun davon überzeugt, daß wir es nicht mit Mitspielern zu tun hatten, denen es auf wirkliches Mittun ankam, sondern daß es sich um stille Blockade handelte, wie ich es gerade genannt habe. Das stand drin. Wir waren uns gerade mit dem großen Teil darüber einig geworden, daß man nicht den Weg des Staatsvertrages wählen wollte, weil die Staatsverträge eine ungeheure Zeit im Bundestag plus -und nicht nur im Bundesrat, sondern in elf Länderparlamenten — verlangt hätten. Da konnte man die Sache auf lange, lange Zeit begraben. Es bedurfte
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8410 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 148. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1961
Bundesinnenminister Dr. Schrödernur einer oppositionellen Schwierigkeit in irgendeinem dieser elf Gremien, und wir hätten das ganze Projekt wieder zu Grabe getragen.Das war der Punkt, an dem ich jedenfalls — und ich sage Ihnen: durchaus abwesend vom „Kampfplatz" — die feste innere Überzeugung hatte: so geht es unter gar keinen Umständen. Hier konnte man sagen: „Na, na Kinder, elf Parlamente! Wann und wie ihr das schaffen werdet, wollen wir einmal sehen."Deswegen bin ich der Meinung — und ich stelle mich in dieser Sache vor den Bundeskanzler —, daß der Bundeskanzler recht gehabt hat, als er festgehalten hat — und nun kommt die nächste Schiefheit der Sache — an dem bereits vorher festgesetzten Termin vom Montag vorher, dem 25.Das Jonglieren mit dem Brief, der da eingegangen ist! Herr Altmeier hatte in der Tat vorher einen Brief erhalten, in welchem stand, daß es bei diesem Montag blieb. Also man soll nicht mit Mitteln dieser Art arbeiten. Hier sollen ruhig die richtigen Karten und die richtigen Dokumente auf den Tisch! Verlassen Sie sich darauf: Die Darstellung, die ich hier gebe, ist durch Tatsachen gestützt.Aber nun — auch ohne Ihre Hilfe, Herr Kollege Blachstein — zurück zu dem Gedanken: Was hat die CDU wirklich vorgehabt? Ich sage Ihnen: was die CDU vorgehabt hat, weiß ich gar nicht.
— Ich weiß es nicht! Aber was die Bundesregierung vorgehabt hat, weiß ich. Die Bundesregierung hat vorgehabt, neben das bestehende — wenn ich mich so ausdrücken darf — auf Bundesebene kombinierte Fernsehen, neben diese Gemeinschaftsarbeit einen davon unabhängigen, auch von den Anstalten unabhängigen neuen Träger auf Bundesebene zu setzen, also etwas zu tun, was nach meiner Meinung eine richtige Belebung auch im Konkurrenzsinne bedeuten mußte. Das war aber nicht 'der für uns entscheidende Punkt. Der für uns entscheidende Punkt war etwas anderes. Glauben Sie mir, meine Damen und Herren, wir halten nicht ängstlich die Augen gerichtet auf diesen oder jenen Ort in Deutschland, sondern was wir sehen und was Sie von der Bundesregierung zu verlangen ein Recht haben, ist doch die Welt in einem größeren Maßstab. Wir sehen doch auch, welch einen entschlossenen, erbitterten Kampf unsere „Freunde" jenseits der Zonengrenze gegen uns auch auf diesem Gebiet, sogar besonders auf diesem Gebiet, führen. Unsere Aufgabe ist es, eine nationale Repräsentanz zu schaffen. Wenn diese nationale Repräsentanz aber schon keine Bedeutung nach innen 'haben soll, nach draußen m u ß sie sie auf diesem Gebiet haben; das ist doch eine bare Selbstverständlichkeit!
Jetzt aber so zu tun, als ob die Bundesregierung die Zuständigkeit habe, entlang der Zonengrenze oder der Bundesgrenze ein Fernsehsystem zu etablieren, — nun, das ist 'doch eine wohl recht törichte Idee. Denn wenn wir eine nationale Repräsentanz für die 17 Millionen Menschen in 'der Zone— soweit wir sie auf diesem Gebiet erreichen können — schaffen wollen, dann können wir sie doch nur schaffen, wenn das Ganze gleichzeitig ein im Innern lebendiger und wirksamer Faktor ist. Also die Idee, mehr oder weniger Schallkonserven über die Zonengrenze zu strahlen und sich vorzustellen, das sei ein Stück nationaler Repräsentanz, das ist doch eine völlig falsche und ganz und gar in die Irre gehende Idee.
Und deswegen hat uns zu keiner Zeit vorgeschwebt, daß etwa politische Einseitigkeit irgendwo betrieben werden sollte. Das liegt fest. Bis zu den letzten GmbH-Entwürfen waren immer alle elf Länder drin, und der ganz zu Unrecht befehdete verehrte Kollege Schäffer, der hierbei nun eine Menge Ärger auszuhalten gehabt hat, ist nie etwas anderes gewesen als ein Treuhänder; nicht im juristischen Sinne des Treuhänders, sondern als jemand, den man für besonders geeignet hielt,
— weil er nach seiner Ländervergangenheit wirklich so völlig unverdächtig ist —, eine Art Garant dafür zu sein, daß er ein redlicher Makler sei. Und wenn er in dieser Sache so mißdeutet wird, ist das sehr häßlich, wie ich meine.
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Wittrock?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Schäffer ist Manns genug, sich selbst gegen diese Sache zu verteidigen. Ich sehe es aber doch als eine Anstandspflicht an, das einmal so darzustellen, wie die Sache wirklich gemeint war, damit hier nicht weiter falsche Zungenschläge verbreitet werden.
Ich knüpfe an Ihre Äußerung an, jede parteipolitische Einseitigkeit habe Ihnen ferngelegen.
— Ich muß doch wenigstens, wenn der Minister eine ganze Reihe Sätze nach diesen Gedanken ausspricht, Ihnen den Ausganspunkt begreiflich machen. Ich darf an diesen Punkt anknüpfen und folgende Frage stellen: Bedeutet das, Herr Minister, daß Sie sich von den Äußerungen aus Ihrem parteipolitischen Bereich distanzieren, wonach es bei diesem Fernsehprogramm auf die Darstellung und primär auf die Darstellung der Politik der Bundesregierung ankomme?
Fragen Sie lieber die Herren von der CSU;
die werden es Ihnen sagen können!)
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Aber, lieber Kollege Wittrock, in welcher Eigenschaft soll ich jetzt antworten? In welcher Eigenschaft spreche
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 148. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1961 8411
Bundesinnenminister Dr. Schröderich hier überhaupt? Ich habe mich doch ganz deut-. lich von dem abgehoben, was ich vielleicht als ein Parteiangehöriger über dies oder jenes denken möchte, und habe mich wirklich auf die Pflichten bezogen, die eine Regierung hat, egal wer sie bildet und wie sie aussieht, und ich sage Ihnen von den Pflichten dieser Regierung: Hier ist niemals — und das ist ja nachweisbar, lesen Sie auch den letzten GmbH-Vertrag —, niemals etwas einseitig angestrebt worden. Aus diesem oder jenem etwa falschen politischen Zungenschlag machen Sie bitte nicht zuviel, genauso gut, wie wir das nach Ihrer Seite hin ja in großem Umfang und bereitwilligst übersehen. Halten Sie sich an die Dokumente! Die Dokumente belegen meinen Standpunkt.
— Bitte sehr!
Wie erklären Sie sich dann eigentlich, Herr Bundesminister, daß das Bundesverfassungsgericht, das doch offenbar die von Ihnen angesprochenen Dokumente auch kennt — denn wenn es sie nicht kennte, hätten Sie geradezu eine fahrlässige Prozeßführung getrieben —, diese Ihre so beredt vorgetragenen Ansichten sich nicht zu eigen gemacht hat? Woran liegt das eigentlich?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wissen Sie, Herr Kollege Erler, das ist eine in mancher Beziehung sehr amüsante Frage.
— Aber bitte, wollen wir die Sache hier trauriger machen, als sie unbedingt sein muß? Die klagenden Länder haben den großen Vorzug gehabt, durch jemanden in Karlsruhe vertreten zu sein, der nicht nur ein Anwalt, sondern ein sehr beredter Politiker ist. Und ich habe manches darüber hören müssen, ob wir nicht rhetorisch genauso brillant hätten vertreten sein können wie die Länder durch einen Prozeßbevollmächtigten, der hier aus dem Hause stammt.
— Herr Kollege Heinemann, das werde ich um keinen Preis tun aus Respekt vor der Funktion der Bundesregierung, damit das klar ist. Aus Respekt vor der Funktion der Bundesregierung tue ich das unter keinen Umständen. Sonst — mit dem betreffenden Kollegen die Klinge zu kreuzen, wäre sicher ein Vergnügen gewesen. Aber, meine Damen und Herren, ich bin der Überzeugung, daß bei der Grundposition, wie sie sich hier entwickelt hatte, auch eine Kompanie von Demosthenes — im Plural jetzt — kein anderes Urteil erstritten haben würde.
— Nein, nein, nein! Sie werden mir nachsehen, wenn ich meine letzten Gedanken darüber nicht ausbreite. Herr Kolleg Ritzel, ich könnte es tun; ich weiß, daß diese Gedanken in der Brust vieler Ihrer Freunde sind. Seien Sie versichert: meine letzten Gedanken darüber werde ich nicht ausbreiten, sondern ich sage Ihnen nur, der Standpunkt, den ich hier vertrete, ganz unabhängig von dem, was in Karlsruhe im einzelnen gewesen sein mag, belegt und beweist, daß die Bundesregierung in keinem Augenblick — ich sage, in keinem Augenblick — etwas Einseitiges angestrebt hat, aus Klugheit; weil sie wußte, etwas Einseitiges würde sie nie realisieren können, sei es hier, sei es im Bundesrat, sei es, meine Damen und Herren, worin wir sehr vorsichtig sind, gegenüber der deutschen Offentlichkeit. Die deutsche Offentlichkeit würde sozusagen — —
— Aber lieber Kollege Wittrock, Sie sind doch Jurist, und ich kann Ihnen nur eins sagen: Die publizistische Schaumschlägerei, die mit dieser „EinMann-GmbH" getrieben wurde, ist doch für einen Juristen abscheulich!
Es war publizistisch viel interessanter, hier von der „Adenauer-GmbH" zu sprechen, als ob das eine Art privater Wirtschaftsbetrieb des Bundeskanzlers gewesen wäre.
— Lassen Sie mich doch ausführen, was ich darlegen will. Sie werden sofort sehen, Sie müssen auf meinen Boden treten.Der Bundeskanzler ist in dieser Sache als Vertreter der Bundesrepublik Deutschland aufgetreten. Ich danke es ihm; denn er hat damit vor der ganzen Öffentlichkeit die Wichtigkeit dieses Anliegens der Bundesregierung, ein zweites Fernsehen auf Bundesebene für alle zu schaffen, dokumentiert.
In dem Moment hätten wir sie liebend gerne da gehabt: den Ministerpräsidenten von Kiel und, in einer etwas anderen Funktion, den Regierenden Bürgermeister von Berlin, bis hinunter zu dem Ministerpräsidenten von Bayern. Elf gleiche Anteile für alle Länder, das war eine beinahe paritätische Unternehmung. Da wir sie nicht da hatten, wir sie aber gewinnen wollten, haben wir den Kollegen Schäffer gebeten, es auf sich zu nehmen, den Versuch zu machen, diejenigen, die nicht von Anfang an mitziehen wollten, zu ihrem Anteil zu bringen. Lesen Sie das einmal selber im Vertrag nach! Dann werden Sie sehen, welches Maß von Fairneß darin steckt. In dem Vertrag war jeweils vorgesehen, daß alle, die einen Anteil übernähmen, sofort in die vollen Rechte hineinwachsen sollten.Meine Damen und Herren, hier ist es leicht, falsche Eindrücke zu erwecken. Aber diese Eindrücke halten den Dokumenten nicht stand.Herr Heinemann, Sie sind zu gebildet, als daß Sie nicht die Gefahr sähen, in die Sie ein ,solches Zitat bringen mußte. Sie zitieren aus der „Süddeutschen Zeitung", wenn ich richtig sehe, eine Glosse. In die-
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8412 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 148. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1961
Bundesinnenminister Dr. Schröderser Glosse wird eine ganz üble, brunnenvergiftende Behauptung über mich verbreitet
— ich sage Ihnen das, und sie hat ja auch so gewirkt, wie Sie merken —, nämlich die, ich hätte gesagt — so drückt sich Herr Heinemann aus —: Die sollen in Karlsruhe machen, was sie wollen, wir machen die Sache auf jeden Fall, und in zwei Jahren werden wir sehen. Das war eine Äußerung, die das Gericht — und man hat sie ihm todsicher zugespielt — sicherlich sehr irritieren mußte —, die aber zu töricht ist, als daß sie aus meinem Munde stammen könnte. Sie sollten zu klug sein, mir ernsthaft eine solche Äußerung zur Last legen zu wollen.
Meine Damen und Herren, nun ein Wort, das das Wesentliche von dem widerlegt, was Sie, Herr Heinemann, hier vorgetragen haben. Ich habe gestern und heute die Gefährlichkeit des Urteils für die weitere Betätigung des Bundes auf den Gebieten der nationalen Repräsentanz geschildert. Sie sagen, „Kulturhoheit" komme im Urteil überhaupt nicht vor. Herr Kollege Stoltenberg hat es Ihnen doch gerade vorgehalten, und ich darf Ihnen vorlesen — vergleichen Sie bitte Seite 33 —:Es kommt hinzu, daß der Rundfunk jedenfalls auch ein kulturelles Phänomen ist. Soweit kulturelle Angelegenheiten überhaupt staatlich verwaltet und geregelt werden können ..., fallen sie aber nach der Grundentscheidung des Grundgesetzes ... in den Bereich der Länder.
— Ich bin gern bereit ...
Aber was heißt denn „kulturelle Angelegenheiten"?
Wollen Sie wirklich einen Streit um Worte führen,wollen Sie wirklich mit Rabulistik hier herangehen?
Wenn hier Rabulistik betrieben werden soll, suchen Sie sich einen anderen Partner als mich.
Herr Minister, Herr Abg. Dr. Arndt wünscht eine Frage zu stellen.
Herr Bundesminister, ich würde Ihnen empfehlen, in Zukunft statt „Thersites" und „Rabulistik" zu sagen „jüdisch", denn das meinen Sie.
Einen Augenblick, Herr Minister! —
Herr Dr. Arndt, Sie haben die Möglichkeit der Fragestellung nicht in gemäßer Weise genutzt, möchte ich sagen. — Bitte, Herr Minister!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Arndt, wenn Sie ein bißchen von meiner wirklichen Vergangenheit kennen — und Sie kennen sie —, dann war das, was Sie gerade gesagt haben, mit das Übelste, was Sie überhaupt vorbringen konnten.
Meine Damen und Herren! Ich würde vorschlagen, daß ich mich jetzt zu dem letzten Teil dessen wenden darf, was Herr Dr. Heinemann vorgetragen hat. Herr Dr. Heinemann hat eine These vorgetragen, die Herr Dr. Arndt hier im Hause mehrfach entwickelt hat — gegen absoluten Widerspruch sowohl von mir als gerade auch, wenn ich mich an eine der letzten Sitzungen erinnere, des Kollegen Dr. Weber, der als Mitglied des Rechtsausschusses dafür in besonderer Weise berufen war —, die These nämlich, daß notwendig werdende Änderungen des Grundgesetzes, die ja nie seine Grundstruktur betreffen, sondern gewisse Auswirkungen von Schwierigkeiten — denken Sie z. B. einmal an atomare Gesetzgebung und dergleichen — eigentlich nicht — und hier hat sich Herr Dr. Heinemann sehr häßlich ausgedrückt — in die parlamentarische Gesetzesschablone und nicht — auch das ist jetzt sein Ausdruck — in die Maschinerie oder in die Maschine des Ganzen gehörten. Meine Damen und Herren, ich wehre mich dagegen, daß die Tätigkeit der Ausschüsse, das, was wir hier tun, so kurzerhand unter „parlamentarische Gesetzesschablone" und das ganze unter „Maschine" und „Maschinerie" gerechnet wird. Das ist auch keine angemessene Betrachtung dessen, was hier geschieht — keineswegs! Niemand wird doch im Ernste bestreiten wollen, daß sich sowohl der Verteidigungsausschuß in zurückliegender Zeit wie andere Ausschüsse sehr intensiv und in den Formen, die sie dafür jeweils wählen mögen, über notwendige Grundgesetzänderungen unterhalten können, unterhalten haben und unterhalten müssen. Aber, meine Damen und Herren, wenn Sie sich in einem wichtigen Problem, zu dem Ihre Stellung kennen zu lernen die deutsche Öffentlichkeit ein Recht hat, dem entziehen und sich mehr oder weniger in eine Dunkelkammer zurückziehen möchten: das können wir nicht mitmachen, das wird die Bundesregierung unter gar keinen Umständen mitmachen.Meine Damen und Herren! Ziehen Sie doch bitte einmal alle Konsequenzen! Hier ist eine parlamentarische Demokratie, dieses Haus hier ist das Kernstück der parlamentarischen Demokratie in Deutschland.
Hier in dieses Haus und auf den Tisch dieses Hauses gehören unsere politischen Vorstellungen. Wo sollten sie sonst hin?Glauben Sie bitte nicht, daß, wenn wir Vorschläge zur Änderung des Grundgesetzes in diesem Punkte
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 148. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1961 8413
Bundesinnenminister Dr. Schrödermachen, wir uns nicht überlegt hätten: kann die Opposition das mitmachen, oder kann sie das nicht mitmachen? In dieser Sache bleiben wir ein unendliches Stück hinter Weimar zurück — ganz bewußt —, weil wir nach Weimar einen so intensiven Gegenschlag und Rückschlag erlebt haben, daß wir genau wissen, es dauert so sehr lange, bis sich das nur wieder auf Weimar als die Mittelmarke eingependelt hat.Wir haben also einen Vorschlag gemacht, von dem wir nach kritischer Abwägung sagen könnten: wenn wir morgen die Regierungsbank verließen und Sie kämen übermorgen — ich will nicht ein Wort des Tadels sagen —, käme von Ihrer Seite übermorgen haargenau dieselbe Vorlage. Ich würde mich jedenfalls anders verhalten, als Sie sich jetzt verhalten. Ich würde Ihnen bei der Sache helfen. Ich würde Ihnen helfen, diesen Staat zu stabilisieren, auch in dem Stück, das das Grundgesetz unstabilisiert gelassen hat.
Damit bin ich bei dem- Letzten, was ich sagen wollte. Seien Sie sicher, daß wir gerade bei den Gesetzgebungsvorhaben, die die allgemeine Sicherheit betreffen, niemals auf den Gedanken kämen, allgemeine Sicherheit unter dem speziellen Gesichtspunkt der CDU zu sehen. Das ist eine Vorstellung, die so sachfremd ist und uns so fernliegt, daß sie überhaupt nicht in den Bereich vernünftiger Erwägungen bei uns und in den Versuch des Tadels von Ihnen kommen sollte. Sie sind noch einmal herzlich eingeladen, auf diesen Boden zu treten, auf einen Boden, auf den Sie redlicherweise treten können.
Das Wort hat der Bundesminister der Justiz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Den Ausführungen des Herrn Kollegen Schröder kann ich voll beitreten und ich kann sie voll unterstreichen. Ich hätte keinen Anlaß gehabt, überhaupt das Wort zu ergreifen, wenn nicht meine Person — als Bundesjustizminister — in Verbindung mit dieser Frage zitiert worden wäre. Ich darf folgendes feststellen.Erstens. Ich wurde am 25. Juli in die Verhandlungen einbezogen. Ich habe mich damals erkundigt und mußte feststellen, nach Gesprächen, die vorher stattgefunden haben, hätten Möglichkeiten für Verhandlungen mit den Ländern noch bestanden. Ich muß sagen, daß in dieser Richtung die sachliche Darstellung in dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts mir nicht voll zutreffend erscheint.Zweitens. Ich habe mich dann sofort an Herrn Ministerpräsidenten Altmeier gewandt in seiner Eigenschaft als Sprecher aller Länder, nicht etwa nur der CDU-Länder, wie das der Herr Bundesinnenminister auch betont hat. Ich darf einmal diesen Brief, der am 26. Juli geschrieben wurde — am 25. Juli bin ich dieser Gesellschaft,
dieser ersten Gesellschaft,
dieser GbmH, beigetreten —, vorlesen:Wie Sie inzwischen schon aus der Presse entnommen haben, bin ich als Gesellschafter der Deutschen Fernsehgesellschaft mbH beigetreten. Ich darf Ihnen die Satzung der Deutschen Fernsehgesellschaft in vierfacher Ausfertigung übersenden. Ich bitte, der Satzung zu entnehmen, daß ich nur beigetreten bin als Person und nur, um die Interessen der Länder der Bundesrepublik
bis zu ihrem Eintritt in die Gesellschaft zu wahren.Ich habe mich weiter verpflichtet, jedem Land, das mit der Bundesrepublik Deutschland ein Verwaltungsabkommen über die Beteiligung der Gesellschaft abschließt, den entsprechenden Teilgeschäftsanteil gegen Vergütung meiner Aufwendungen für diesen Teil abzutreten. Wenn ein Land der Gesellschaft beigetreten ist, gehen alle meine Stimmrechte auf dieses Land über.— Ich bemerke: Damit wäre jede Möglichkeit einer Satzungsänderung gegen den Widerspruch der Länder ausgeschlossen gewesen, weil zu einer Satzungsänderung eine Dreiviertelmehrheit gehört. —In diesem Fall steht mir ein Stimmrecht in der Gesellschafterversammlung nicht mehr zu.. Als erster geschäftsführender Vertreter wird zunächst Herr Ministerialdirektor Mercker bestellt, und zwar für die Zeit bis 31. Dezember 1960. Es geschieht dies in der Hoffnung, daß bis dahin die Länder beigetreten sind und dann ihre vollen Rechte aus dem Gesellschaftsvertrag selbst ausüben.— Im übrigen vermerke ich: Der Aufsichtsrat war damals festgesetzt: ein Drittel Länder, ein Drittel Bund und ein Drittel Persönlichkeiten anderer Art. —Ich bitte, in mich das Vertrauen zu setzen, daß ich entschlossen bin, die Rechte der Länder, solange ich stimmberechtigter Gesellschafter bin, zu vertreten und nicht auf Weisung der Bundesregierung und nicht als Mitglied des Kabinetts, sondern als Wahrer der Interessen der Länder zu handeln.Ich habe dann geschrieben, ich sei dankbar, wenn ich eine Besprechung mit ihm haben könnte, und dafür einen bestimmten Tag, Freitag, den 5. August, vorgeschlagen.
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8414 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 148. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1961
Bundesminister Schäffer — Sehr einfach: weil ich mußte, da die Länder meine Tätigkeit der Versöhnung und Übereinstimmung abgelehnt haben.
— Sehr richtig, in dem Moment war meine Tätigkeit, einen Frieden herzustellen und das ganze Werk zu gewährleisten, am Widerstand der Länder gescheitert.
Ich bitte zu entschuldigen, daß ich vor Abschluß des Gesellschaftsvertrages mit Ihnen nicht in Beziehung treten konnte. Ich war über den Gang der bisherigen Verhandlungen bis letzten Sonntag überhaupt nicht unterrichtet und wurde nur gestern überraschend vor diese Aufgabe gestellt.Ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn in der von mir angeregten Besprechung der Ministerpräsidenten in München die Festlegung der Länder in der Öffentlichkeit noch nicht erfolgen würde.Also das war mein Bemühen. Es war ein Bemühen, einen Frieden, eine Verständigung zwischen Bund und Ländern und allen Beteiligten herbeizuführen. Hier ist vom bundesfreundlichen Verhalten die Rede gewesen. Ich möchte fragen, ob das nicht ein bundesfreundliches Verhalten meinerseits gewesen ist.
Ich muß bedauern — ich bedaure das ehrlich, auch heute noch —, daß die Länder für dieses Bemühen des bundesfreundlichen Verhaltens kein Verständnis gezeigt haben.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Barzel.
Herr Präsident! Menne Damen und Herren! Bevor ich mich einigen der Ausführungen des Herrn Kollegen Heinemann zuwende, die ja wohl zum größeren Teil durch den Herrn Bundesinnenminister vorzüglich beantwortet worden sind, möchte ich auf den Zwischenfall mit dem Kollegen Dr. Arndt zurückkommen.
Ungerügt vom Herrn Präsidenten hat der Kollege
Herr Dr. Arndt das Wort „jüdisch" gebraucht. Ich
frage die Sozialdemokraten im Anschluß an die--
Herr Dr. Barzel, ich bitte, keine Kritik an der Person des Präsidenten zu üben.
Ob der Präsident Anlaß hatte, einzugreifen, oder nicht, untersteht nicht Ihrer Kritik.
Ich habe — — Nun gut, Herr Präsident, ich will diese Rüge einstecken, obwohl ich glaube, keine Kritik geübt zu haben.
Der verehrte Kollege Erler hat gestern früh hier eine Rede gehalten, in der er das ganze Haus ermuntert hat, persönliche und sachliche Angriffe zu scheiden.
Daran anschließend hat der Herr Bundeskanzler gestern nachmittag eine Erklärung abgegeben. Ich darf Ihnen sagen, daß wir uns sehr freuen würden, wenn zu Beginn der Nachmittagssitzung eine ähnliche Erklärung von der sozialdemokratischen Fraktion wegen dieses Ausdrucks abgegeben würde.
Herr Abgeordneter Dr. Barzel, gestatten Sie eine Frage des Herrn Abgeordneten Erler?
Bitte schön.
Darf ich Sie fragen, Herr Kollege Barzel, ob Sie sich über die jetzt von mir hier an dieser Stelle abgegebene Erklärung freuen würden, daß ich den Herrn Bundesinnenminister niemals für einen Antisemiten gehalten habe, weder jetzt noch in der Vergangenheit.
Herr Kollege Erler, das ist eine Erklärung, die Sie bewußt im Namen Ihrer Person abgegeben haben. Ich glaube, daß diese Sache auch zwischen dem Kollege; Arndt und dem Herrn Minister und zwischen den beiden Fraktionen bereinigt werden müßte. Ich bin sicher, daß der Ältestenrat sich damit befassen wird.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie mich nun zu einigen Ausführungen des Herrn Kollegen Dr. Heinemann kommen. Es war sehr interessant, welche Themen Herr Kollege Heinemann behandelt hat, bevor er zu der Frage des Fernsehurteils kam. Er hat sich beschäftigt mit der Volksbefragung gegen die atomare Bewaffnung, er hat sich beschäftigt mit einer angeblich ungerechten Zurückdrängung kommunistischer Tarnorganisationen, er hat sich beschäftigt mit einem Urteil bezüglich der Wehrpflicht. Wenn ich das wieder mit den Reden der Kollegen Erler, Deist und Lohmar vergleiche, stellt sich mir die Frage, ob sich nicht schon aus diesen Themen die Vermutung ergibt oder ob nicht wenigstens die Frage berechtigt sein könnte, ob der Kollege Heinemann wieder dabei ist, eine neue Gruppe links der SPD aufzubauen.
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 148. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1961 8415
Dr. BarzelDie Volksbefragung sei durch diese Mehrheit provoziert worden, so hat Herr Kollege Heinemann ausgeführt. Genau das Gegenteil aber war der Fall. Ihre Aktion der Volksbefragung wollte die Rechte des Parlaments und des Wählers rechtswidrig verkürzen. Darum ging es.Wenn Sie, Herr Kollege Heinemann, nicht darauf verzichtet hätten, eine vollständigere Aufzählung der Urteile des Bundesverfassungsgerichts und seiner verschiedenen Schritte zu geben, wären Sie sicherlich auch in eine Würdigung darüber eingetreten, welch klugen Beitrag dieses Geeicht zur Durchsetzung der Grundpositionen unseres Volkes in den Fragen der Wehr- und der Außenpolitik gegen viele Bemühungen der sozialdemokratischen Opposition geleistet hat.
Ich möchte zu der Frage der kommunistischen Tarnorganisationen nur zwei Worte sagen. Herr Kollege Dr. Heinemann, es handelte sich um eine Frage aus dem Hause, und der Herr Minister hat in der Fragestunde pflichtgemäß geantwortet. Er hat also eine Initiative des Parlaments pflichtgemäß erledigt. Wenn man einen Vorwurf erhebt, sollte man ihn also gegen den Fragesteller, nicht aber gegen den Minister erheben. Ich füge ausdrücklich hinzu, daß ich dem Fragesteller keinen Vorwurf anlasten möchte.Herr Kollege Dr. Heinemann, Sie haben in Ihren Ausführungen zu einer der speziellen Organisationen — der Herr Minister hat sich dazu geäußert — einige Maßstäbe angelegt. Ich bitte Sie um die Liebenswürdigkeit, nachzulesen, was der Kollege Lohmar gestern von dieser Stelle aus gesagt hat, als er glaubte, den verehrten Professor Peters wegen eines Vorkommnisses in der Vergangenheit rügen zu müssen. Er hat, glaube ich, den neuen Maßstab aufgestellt, daß schon die allerentfernteste Berührung mit den Kommunisten als so verwerflich bezeichnet werden müsse, daß man nicht einmal einem Beratergremium der Bundesregierung angehören dürfe.
Das alles sollten wir dann hier auch mit hineinnehmen.Herr Kollege Dr. Heinemann, Sie halben uns gebeten, nicht pauschal zu dem Urteil Stellung zu nehmen, sondern unsere Antwort auf das Fernsehurteil ein wenig konkreter, ein wenig spezialisierter und — so glaube ich, Sie verstanden zu haben — ein wenig verfassungspolitischer zu gestalten. Ich bin gern bereit, einen Punkt dazu gleich beizutragen.Ich möchte aber vorher einen Vorwurf zurückweisen. Herr Kollege Dr. Heinemann, Sie haben, wenn ich es richtig notiert habe — wenn nicht, dann widerrufen Sie es bitte gleich —, den Vorwurf des Verfassungsbruchs erhoben. Das ist, glaube ich, ein sehr starker, ein sehr unberechtigter Ausdruck, denn auch das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil der Bundesregierung ausdrücklich die subjektive Ehrlichkeit, die Überzeugung verfassungsgemäßen Handelns, gestützt auf die Auffassungnamhafter Rechtsgelehrter, bescheinigt. Wenn das der Fall ist, kann man schlechterdings nicht von einem Verfassungsbruch sprechen.
Ich möchte, wenn diese starken Töne angeschlagen werden, sagen, daß man sie dann nicht nur gegen die Bundesregierung anschlagen kann; denn das Urteil von Karlsruhe erklärt Teile eines hamburgischen Gesetzes für verfassungswidrig. Sie, Herr Kollege Dr. Heinemann, 'hatten angekündigt, Sie würden zu den Hamburger Vorkommnissen sprechen Sie haben es aber nicht getan.
Ich glaube, wenn man das Urteil einmal insgesamt sieht, muß man z. B. den Herrn Bundespostminister beglückwünschen, daß er damals, als das alles in der Schwebe war, nicht sofort die Lizenzanträge der Anstalten bewilligt hat. Er hätte dann vielleicht verfassungswidrige Einrichtungen gebilligt, und wir hätten heute einen finanziellen Schaden, gegenüber dem das, was gestern hier für den Notfall beschlossen worden ist, nur ein ganz kleiner Betrag sein würde. — Das vorweg zu diesen Fragen, Herr Kollege Dr. Heinemann!Nun möchte ich einen Punkt unserer Bedenken vortragen, ,die wir beim Lesen des Urteils haben, Bedenken, die sich auf einige Passagen der Begründung stützen, wobei wir natürlich wissen, daß die Rechtskraft und die Bedeutung der Begründung gegenüber dein Tenor sehr unterschiedlich sind. Hier gibt es, meinen wir, einige Sätze, die uns mit großer Sorge erfüllen. Enige Sorgen hat der Herr Minister berührt.Ich will eine Sorge ansprechen, die eigentlich mehr aus einem kulturpolitischen, einem verfassungspolitischen Zusammenhang kommt. Es ist eine Sorge nicht nur um den Gehalt unserer Demokratie, sondern auch uni die Lebendigkeit unserer Kultur; denn dieses Urteil enthält folgende Passagen, die ich wohl mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten verlesen darf:Art. 5 verlangt jedenfalls, daß dieses moderne Instrument der Meinungsbildung weder dem Staat noch einer gesellschaftlichen Gruppe ausgeliefert wird. Die Veranstalter von Rundfunkdarbietungen müssen also so organisiert werden,— und jetzt kommt das Entscheidende —daß alle in Betracht kommenden Kräfte in ihren Organen Einfluß haben und im Gesamtprogramm zu Wort kommen....Dann fährt das Urteil nach einer anderen Passage fort:Das läßt sich nur sicherstellen, wenn diese organisatorischen und sachlichen Grundsätze durch Gesetz allgemeinverbindlich gemacht werden.Hiergegen, Herr Kollege Dr. Heinemann, haben wir grundsätzliche und schwerwiegende Bedenken. Wir fürchten nämlich, daß hier — das ist ein sehr modernes Wort — der Pluralismus unserer gesell-
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Dr. Barzelschaftlichen Wirklichkeit zu einer Art Ideal erhoben wird. Es wird eigentlich absolut gesetzt und zum Wertmaßstab erhoben. Dagegen haben wir erhebliche Bedenken.Für den Rundfunk soll es also so sein, daß alle Meinungen grundsätzlich nur gereinigt und gefiltert über eine Institution, in der alle Gruppen vertreten sind, laufen dürfen. Das ist eine These dieses Gerichts. Ich glaube -- ich erinnere mich hier an eine ähnliche Praxis bei der Vergabe von Zeitungslizenzen in der US-Zone Deutschlands —, daß das im Grunde meinungsfeindlich ist. Ich glaube, daß es im Grund tödlich ist, tödlich für das Schöpferische, für Polemik, für Streit und Richtungskämpfe. Das ist im Grunde die Zementierung des Status quo und auch irgendwie der Langenweile.Lassen Sie mich, Herr Kollege Dr. Heinemann, Ihnen hier an einem Beispiel sagen, was ich mit diesen wenigen Sätzen meine. Unterstellen wir einmal, die Evangelische Kirche in diesem Lande käme auf die Idee, wegen des Kirchenkampfes in der Zone über den Äther zu den evangelischen Menschen dort direkt zu sprechen. Sie würde also sagen: Ich hätte gern eine Lizenz — sei es für den Rundfunk, sei es für das Fernsehen, welche Welle auch immer in Frage kommen mag —, um den evangelischen Menschen in der Zone im Kirchenkampf beizustehen, um sie auch dort zu erreichen, wo vielleicht keine Kirchen und Geistlichen usw. mehr sein können. Ich glaube, daß bei unserer Situation in den USA längst ein solcher Sender der Evangelischen Kirche bestünde. Nach diesem Urteil aber würde es hier,wenn ein solcher Antrag gestellt wäre, notwendig sein, erstens ein Gesetz zu machen und zweitens ein Aufsichtsgremium zu schaffen, dem auch die Juden, die Katholiken, die Arbeitgeber, die Gewerkschaften usw. angehören. — Das empfinde ich als einen höchst bedenklichen Punkt in diesem Urteil.Ich könnte Ihnen ein anderes Beispiel sagen, ein Beispiel, an dem wir, glaube ich, alle miteinander, auch wenn wir an die gestrige Debatte denken, vielleicht interessiert sein könnten: Unterstellen Sie, in Zusammenarbeit mit dem Staat Israel würden die deutschen Juden auf die Idee kommen, für sich hier ein Programm mit Richtstrahlern nach Israel haben zu wollen. Das wäre vielleicht eine gute Sache. Aber hier müßten wir ein Aufsichtsgremium schaffen, in dem wieder all diese Gruppen — —
Herr Kollege Schmitt-Vockenhausen, gestatten Sie, daß auch wir auf die Frage des Kollegen Heinemann in. einem Unterpunkt unsere Auffassungen zu dem Fernsehrurteil hier vortragen.
Ich glaube, die Beispiele zeigen, wie sehr Ihnen das auf die Nerven geht.Diese Beispiele zeigen aber auch, um welch grundsätzlichen Eingriff in unsere kulturpolitische Gestaltung es sich bei diesem Urteil handelt. In diesem Land darf jedermann eine Zeitung machen, einePartei gründen, einen Film drehen, einen Film vorführen, öffentliche Reden halten, Umzüge veranstalten, — überall also herrscht Meinungs- und Organisationsfreiheit. Nur für den Äther sollen andere Gesetze gelten. Da wird grundsätzlich der Filter dieser pluralistischen Organisation vorgeschaltet. Solange die Zahl der Frequenzen eine Konkurrenz einfach nicht ermöglichte, war das ein verfassungspolitisch und verfassungsrechtlich beachtlicher Gesichtspunkt. Da wir aber auf Grund der technischen Entwicklung viele Frequenzen zur Verfügung haben werden, ist hier ein verfassungsrechtlicher und verfassungspolitischer Grundsatz stipuliert durch unser oberstes Gericht, dem wir Respekt erweisen, aber dem wir mit allem Respekt sagen: Hier ist ein gefahrvoller Weg beschritten.In den Ländern mit gesicherterer demokratischer Tradition als bei uns gehört zur Meinungsfreiheit automatisch die Freiheit im Äther. Fahren Sie durch Amerika, ,sehen Sie, was es dort auf diesem Gebiet gibt, ja, fahren Sie schon in das nachbarliche Holland! Hier — durch das Gericht — wird, wie wir glauben, der Pluralismus zum Wert, zum Inhalt erhöht. Und hier beginne ich ein wenig zu verstehen, warum weite Teile der Opposition dieses Urteil mit so grundsätzlichen Vergnügen aufnehmen. Denn die Opposition hat— ich denke an alle diese kollegialen Gremien — eine gewisse Erfahrung und Meisterschaft darin entwickelt, solche paritätischen Gremien, pluralistischen Gremien durch eine Minderheit in ihrem Sinne beherrschen.
Vor allem aber — und das ist ein grundsätzlicher Punkt — hören wir seit dem Godesberger Parteiprogramm der Sozialdemokraten immer wieder — ich habe es zum erstenmal aus dem Munde des Kollegen Dr. Arndt gehört, inzwischen von vielen Ihrer Herren —, in der Politik gehe es darum, alles aus dem Vorletzten anzusiedeln, die Politik habe nie letzte Antworten zu geben. Das ist ein ungefähres Zitat dem Sinne nach.Wir meinen, daß eben für die Politik dieser Verzicht auf die letzte Wahrheit im Grunde auch den Pluralismus absolut setzt. Wir sagen als christliche Demokraten — das ist eine kulturpolitische Feststellung — diesem Säkularismus den Kampf an. Wir meinen, daß alle Bereiche, auch Staat und Politik, immer aus einer letzten Wahrheit zu gestalten sind. Wir meinen, daß man nicht scheiden kann: diesen Bereich des Lebens gestalten wir aus der letzten Wahrheit, den nächsten aus vorletztem Relativismus.
Wir fürchten, daß diesem Urteil ein Toleranzbegriff zugrunde liegt, dem ich für meine Person nicht zuzustimmen vermag. Denn Toleranz heißt doch nicht Relativismus, heißt doch nicht Verständigung um den Preis des Abstrichs aller Differenzen. Dann bleibt doch nur, was keinem heilig ist. Toleranz heißt doch, sich fair begegnen, im vollen Wissen der Andersartigkeit des anderem diesem gleichwohl mit Achtung begegnen. So entstehen Spannungen, Kräfte, gegenseitiges Verstehen, so wächst Kultur.
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 148. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1961 8417
Dr. BarzelVon daher sind Toleranz und Pluralismus als Formel, nicht aber als Inhalt ein Gut für dieses Volk.
Anders bliebe uns nichts als Leere, als Inhaltslosigkeit, als Relativismus, als Langeweile.Ich habe das wegen des Mittags nur kurz skizzieren können. Bevor ich zum Schluß komme — brechen Sie bitte noch nicht auf, meine sehr verehrten Damen und Herren! —, habe ich noch eine Delikatesse zu unterbreiten, damit wir in der Mittagspause noch eine Beschäftigung haben.Wir haben unseren Respekt vor diesem Urteil bekundet. Nun gibt mir ein günstiger Zufall — mit Genehmigung des Herrn Präsidenten möchte ich es hier ausbreiten — die Zeitschrift „Badenerland — Zeitschrift für badische Politik, Wirtschaft und Kultur" vom 28. Februar 1961 in die Hand. In dieser Zeitschrift ist eine Rede abgedruckt, die einer Ihrer führenden Parteifreunde, die auf diesem Gebiet vorzüglich in den Ländern gearbeitet haben, nämlich der frühere Innen- und Verfassungsminister Viktor Renner, am 24. Februar 1961 im Stuttgarter Landtag gehalten hat. Nun fragen Sie nicht: Was soll der Stuttgarter Landtag hier?! Es geht um dasselbe staatspolitische Problem. Es geht um ein Urteil des Bundesverfassungsgerichtes, das Herrn Renner nicht paßte. Und nun vergleichen Sie das, was gestern der Kanzler hier, was der Innenminister und was wir hier soeben gesagt haben, mit dem, was Herr Renner am 24. Februar 1961 im Stuttgarter Landtag gesagt hat. Ich verlese mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten nur einige Sätze:Das Urteil .des Bundesverfassungsgerichts so sagt Renner —vom 30. Mai 1956 ist ein schlechtes Urteil, weil es ein rechthaberisches Urteil ist.
Es heißt dann weiter:
Die Richter des Zweiten Senats,
— warten Sie dahinten mit dem Lachen! —die das 2. Neugliederungsgesetz für verfassungswidrig hielten, aber bei der Beratung des Urteils vom 23. Oktober 1951 in der Minderheit geblieben waren, wollten, nachdem sich durch verschiedene Umstände die Mehrheitsverhältnisse zu ihren Gunsten geändert hatten, das nach ihrer Ansicht ungerechte Urteil vom 23. Oktober 1951 korrigieren. Das konnten sie nur, indem sie die klar ausgesprochene Absicht des Gesetzgebers bei der Fassung des Art. 118 GG mißachteten.Der Vorwurf der Mißachtung des Grundgesetzes an die Adresse von Karlsruhe blieb einem früheren sozialdemokratischen Verfassungsminister vorbe- halten!
Meine Damen, meine Herren, ich könnte hier aus diesem Urteil weiter zitieren. Die Zeit ist vorgeschritten. Wir hatten uns vorgenommen, von 13 bis15 Uhr eine Mittagspause einzulegen. Ich möchtedeshalb zum Schluß kommen. Ich würde empfehlen,hochverehrter Herr Kollege Dr. Heinemann: Niedriger hängen und hier nicht jetzt alles einer Regie- rung anlasten, die in bester Absicht, mit bestem Willen und nach sorgfältiger Prüfung mit Sachverständigen versucht hat, einen Weg zu gehen, den unser Volk, wie wir glauben, in dieser Spannung zwischen Ost und West dringend notwendig hat.
Der Ältestenrat wird sofort zusammentreten. Ich lade dazu ein.
Ich unterbreche die Sitzung bis 15 Uhr.
Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Arndt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Erlauben Sie mir bitte zu Beginn meiner Ausführungen ein persönliches Wort, das sich zum Ziel gesetzt hat, das Meine zur Erledigung eines Zwischenfalles beizutragen. Ich will Ihnen dazu zweierlei sagen, vorweg erstens mein Ergebnis und zweitens danach auch meine Motive, die Sie kennen müssen.Mein Ergebnis sorgfältiger Überlegung ist das: Ich werde mich freuen, meinen Vorwurf gegen Herrn Dr. Schröder zurückzunehmen, und ich werde auch gern mein Bedauern vor diesem Hause erklären, vorausgesetzt, daß in gleicher Weise auf meine Bereitschaft hin nunmehr zuvor auch Herr Dr. Schröder nicht ansteht, die Ausdrücke, die ich als persönliche Kränkung empfinden mußte, seinerseits ebenso zu widerrufen und seinerseits ebenso zu bedauern.Ich werde Ihnen auch meine Motive dazu sagen. Ich kann nicht umhin, einen Ausdruck wie Rabulistik, auch wenn er ursprünglich aus dem Lateinischen stammt, dahin zu empfinden, daß er bei uns in Deutschland eine stark antisemitische Färbung angenommen hat. Das mag Herr Dr. Schröder nicht gemeint haben, das mag er nicht bedacht haben. Aber dann wird es an ihm sein, das zu sagen; und ich werde diese Erklärung gern akzeptieren. Aber Sie müssen mein Motiv kennen, daß für mich der Vorwurf der Rabulistik in jedem Fall ein kränkender persönlicher Vorwurf ist, auch dann, wenn es sich dabei nicht um einen antisemitischen Beigeschmack handelt, da ich, nach ,dem, wie dieser Ausdruck bei uns in Deutschland viele Jahre hindurch mindestens mißbraucht worden ist, ihn nicht ohne einen antisemitischen Akzent erleben kann. Sie werden einem Menschen, der zwölf Jahre hindurch aus Gründen der angeblichen Rasse mit seiner Frau und seinen Kindern bis zur Freiheitsberaubung und der Gefahr der Ermordung hin verfolgt worden ist, einem Menschen gegenüber, dessen jüdische Blutsverwandtschaft bis zum letzten in Deutschland ermordet wurde, nicht zumuten können, daß er sich
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8418 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 148. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1961
Dr. Arndteinen Vorwurf persönlicher Art gefallen läßt, der auch nur den leisesten Anklang an Antisemitismus hat. Ich glaube, das werden Sie mir zugestehen.
Ich glaube, Sie werden auch mit mir empfinden, daß mich das etwas gekostet hat. Aber ich tue es im Dienste an der gemeinsamen Demokratie und im Dienste an dem Ansehen dieses Hauses, daß ich sage, ich bin bereit, hier jede Genugtuung zu geben, wenn ich sie gleichzeitig von der anderen Seite in der von mir vorgeschlagenen Art auch bekomme. Ich glaube, daß niemand mir verweigern wird, auf eine solche Brücke treten zu können.Das mußte ich sagen, damit ich jetzt unbeschwert davon — ich überlasse es Herrn Dr. Schröder, wie er sich dazu stellen will — nun zur Sache kommen kann.Herr Kollege Barzel hat unsere Auseinandersetzungen über den Haushaltsplan des Bundesministers des Innern — und dabei spielt natürlich das Fernsehurteil des Bundesverfassungsgerichts eine beträchtliche Rolle — mit einem weltanschaulichen Tiefgang zu beschweren versucht, indem er meinte, die Sozialdemokraten könnten über das Urteil gewiß jubilieren, denn sie bekämen nun hier einen vorletzten Relativismus in den Sendungen, wie sie ihm huldigten. Nun, Herr Kollege Barzel, ich will Ihnen eines sagen: über vieles in diesem Urteil jubiliert niemand, und es ist gar kein Anlaß dazu, zu jubilieren. Das hat auch der Pressedienst meiner Partei sofort gesagt. Als wir die Begründung dieses Urteils gehört hatten und dann in kleinerem Kreise zusammensaßen, meinten wir untereinander — ich sage das hier mit aller Offenheit —, es sei doch für jeden deutschen Staatsbürger und Demokraten ein unangenehmes Erlebnis, daß eine Regierung — selbst wenn es eine gegnerische ist — sich von einem Gericht — nach meiner Auffassung legitim und berechtigt — so etwas sagen lassen muß. Das war unter allen Umständen zunächst ein niederschmetternder Eindruck. Also zum Jubilieren ist hier gerade nach solcher Richtung hin keine Veranlassung.Sie haben dann einiges über den vorletzten Relativismus und darüber gesagt, daß das Urteil jetzt Anlaß gebe — ich darf einmal einen etwas extremen Ausdruck gebrauchen —, die Sendungen des Hörfunks und des Fernsehfunks gewissermaßen geistig zu kastrieren. Das ist weder der Sinn des Urteils, noch würde die Sozialdemokratische Partei Deutschlands etwas Derartiges begrüßen.Was Sie aus meinem Wiesbadener Vortrag über Humanität glaubten zitieren zu können, war zu einem Teil verfehlt und zum anderen Teil genau das Entgegengesetzte dessen, was ich in Wiesbaden gesagt habe. Ich hörte schon gesprächsweise von Ihnen, daß Sie den Wortlaut meines Vortrages gar nicht kennen.
— Ich weiß nicht, ob der Wortlaut im „Vorwärts"abgedruckt war. Ich werde Ihnen gerne — der Vortrag ist gedruckt im Buchhandel erschienen — noch heute einen Abdruck meiner Rede übergeben; denn wie gesagt, es steht etwas anderes und im wesentlichen genau das Entgegengesetzte von dem darin, was Sie gesagt haben. Es heißt in meinem Vortrag weder, daß es in der Politik nur vorläufige Antworten gebe oder daß die Politik im Vorletzten angesiedelt sei, noch wird von mir ein „vorletzter Relativismus" vertreten, noch gar — und das ist das Gravierendste, was Sie mir, entschuldigen Sie, unterstellt haben — wird hier der Verzicht auf letzte Wahrheiten verlangt, sondern der Ausgang der Gedanken, die ich mit Zustimmung meiner Parteifreunde vertreten habe, ist ein ganz anderer. Ich bin bisher überzeugt gewesen und habe mich bisher in dieser Überzeugung auch nicht erschüttern lassen, daß nach der einmütigen Glaubensauffassung aller christlichen Bekenntnisse diese Welt eine Interimswelt ist. Ich habe noch nie gehört, daß eine der christlichen Konfessionen eine andere Meinung vertritt.In Anknüpfung an ein Wort über das Vorletzte habe ich dann Ausführungen gemacht. Dieses Wort vom Vorletzten stammt von Dietrich Bonhoeffer aus seinen Tagebüchern während des Krieges, und für diejenigen unter uns, die es nicht wissen sollten, darf ich hinzufügen: Dietrich Bonhoeffer war evangelischer Geistlicher und ist einer der Blutzeugen des 20. Juli. Ich habe in Anknüpfung an dieses Wort Bonhoeffers vom Vorletzten, in dem wir leben, und vom Letzten, an das wir glauben — so wörtlich Bonhoeffer in seinen Tagebuchnotizen — darauf hingewiesen, daß der demokratische Staat unserer Zeit und mithin notwendig auch die demokratische Partei in einem solchen Staat ihren Ort im Vorletzten haben, und zwar gerade zu dem Ziel hin, damit es den Menschen als Personen ermöglicht wird, aus den ihnen nach ihrem Glaubensbekenntnis offenbarten letzten Wahrheiten heraus zu sprechen und zu handeln. Diese Wesensart des demokratischen Staates und der demokratischen Partei, die nur verpflichten können und müssen auf gemeinsame, unabdingbare Grundwerte, ohne die ,das Zusammenleben nicht möglich ist, erfordert ja gerade die Offenheit zur Person hin, damit von der Person her die letzte Wahrheit, die nur der Person, dem leibhaften Menschen, offenbart sein kann, zur Auswirkung kommt.Also das Ziel dieser meiner Ausführungen, die meine Partei zu meiner Freude gebilligt und vollauf aufgenommen hat, ist gerade nicht, auf letzte Wahrheiten zu verzichten, sondern ist gerade entgegengesetzt, um von der Person her letzte Wahrheiten zum Klingen, zum Strahlen zu bringen, weil wir sie brauchen. Also von irgendeinem Relativismus oder gar Nihilismus ist dabei überhaupt nicht die Rede. Es ist nur die Unterscheidung gemacht, daß die letzten Wahrheiten nicht der Organisation anvertraut sind und nicht zur Verfügung einer Organisation stehen. Ich lasse jetzt einmal die Kirchen als Organisationen beiseite. Ich spreche von den weltlich-politischen Organisationen. Nicht dem Staat und nicht der Partei, nicht der Organisation, sondern der Person sind die letzten Wahrheiten offenbart je nach unserem unterschiedlichen Glaubensbekenntnis. Damit eine Person von ihrer letzten Wahrheit, an die
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 148. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1961 8419
Dr. Arndt sie glaubt, sprechen kann, brauchen wir diese Offenheit des Staates und des Parteiwesens.Das ist ,das, was meinerseits über Humanität gesagt wurde, und ich glaube, daß es keinen Anlaß gibt, der Sozialdemokratischen Partei den Vorwurf zu machen, sie stelle sich kastrierte Rundfunkanstalten vor, in denen es jetzt bloß so ein Wischiwaschi gebe, so einen Synkretismus von Unverbindlichkeiten, die so letzten Endes jedermann und niemand etwas geben.Herr Kollege Barzel, Sie irren auch ganz und gar, wenn Sie glauben, daß dies die Auffassung des Bundesverfassungsgerichts sei. Ich weiß nicht, ob es überhaupt gut ist, daß man ein verfassungsgerichtliches Urteil im Parlament in einer solchen Weise auseinandernimmt. Ich werde auch darüber später noch etwas sagen. Ich habe mich ja, wie mein Freund Heinemann eingangs erwähnte, zurückgehalten und wollte eigentlich nicht sprechen, weil es immer eine etwas schwierige Aufgabe ist, in derselben Sache anwaltlich und als Abgeordneter tätig zu sein. Nun, ich sehe in diesem Falle nicht einen unbedingten Konflikt, weil ich, worauf ich auch noch kommen werde, Vertretungen vor dem Bundesverfassungsgericht nur unter der Voraussetzung übernehme, daß ich mich auch persönlich und politisch mit dem identifizieren kann, was ich dort vertreten soll.Aber nun gut! Man ist eingetreten in die Erörterung dieses Urteils. Darum muß klargestellt werden, daß dem Urteil und dem Bundesverfassungsgericht eine solche Auffassung über das Wesen des Hörfunks und des Fernsehfunks und eine solche Auslegung des Art. 5 unseres Bonner Grundgesetzes durchaus fernliegt. Herr Kollege Barzel, ich kann Ihnen die Kritik nicht ersparen, daß ich es nicht für angemessen halte, ein solches Urteil in der Weise zu verballhornen, daß Sie hier das Beispiel bilden, nach dem Urteil müßten nun ,wenn die evangelische Kirche eine Sendung veranstalten und dafür vielleicht einen eigenen Sender haben wolle, im Aufsichtsrat ides Senders ¡der evangelischen Kirche auch ein Jude und ein Katholik sitzen.Die Dinge sind ganz anders. Das Bundesverfassungsgericht, das in dieser Angelegenheit sehr sorgsam verfuhr, hat in der dreitägigen mündlichen Verhandlung eingehend zwei in ihren Gutachten übereinstimmende technische Sachverständige vernommen, von denen einer ein leitender Ministerialbeamter im Bundesministerium für das Post- und Fernmeldewesen ist. Diese beiden Sachverständigen haben sich darüber geäußert, daß es gegenwärtig auf absehbare Zeit, soweit Menschen das beurteilen können, nicht möglich ist, im Bereich des Fernsehens einen — sagen wir einmal das scheußliche Fremdwort — technischen Pluralismus herzustellen, also eine Freiheitlichkeit des Fernsehens dadurch zu erreichen, daß man mit einem Konkurrenzprinzip arbeitet, ähnlich wie das bei ,der Presse ,der Fall ist. Das haben beide Sachverständige bestätigt.Dabei noch eine Nebenbemerkung. Beide Sachverständige haben übrigens in ihrem Urteil übereingestimmt, daß es ausgeschlossen ist, die Zone mit dem ersten oder zweiten Fernsehen zu erreichen, auch nicht mit den inzwischen von der Bundespost gebauten Sendetürmen. Das ist technisch ausgeschlossen. Es kann allenfalls ein sehr schmaler Streifen entlang der Demarkationslinie mit dem zweiten Programm des Fernsehens erreicht werden. Aber auch das scheidet praktisch weitgehend aus, weil nämlich der Staatssicherheitsdienst von außen am Haus sehen kann, ob die Fernsehantenne auf den Empfang von Westfernsehen eingestellt ist oder nicht.Auch mit dieser Frage hat das Gericht sich sehr gründlich beschäftigt und hat gerade den Sachverständigen der Bundesregierung gehört. Das politische Schlagwort, man brauche ein Programm der nationalen Repräsentation, um es in die Zone zu strahlen, oder man brauche es, um der Zone Paroli zu bieten, hat einfach in der Verhandlung so wenig Stand gehalten, daß das Gericht es nicht einmal für wert erachtete, dieses Ergebnis der Beweisaufnahme, an dem nicht der geringste Zweifel bestehen konnte, auch nur in seine Urteilsgründe noch aufzunehmen.Das Gericht mußte also anhand übereinstimmender Ausführungen beider technischer Sachverständiger und gerade auf Grund des Gutachtens, das der von der Bundesregierung beauftragte Bonner Staatsrechtslehrer Professor Scheuher erstattet hatte, feststellen, daß es in Deutschland jedenfalls gegenwärtig keine Möglichkeit gibt, die Freiheit des Geistes und die Freiheitlichkeit politscher, religiöser und weltanschaulicher Art im Rundfunk und im Fernsehen herzustellen, daß es deshalb nach dem Art. 5 dann ein Gebot sei, sie durch die organisatorische Struktur der Anstalten gesetzlich zu sichern. Das war ein ganz klares Ergebnis, und wenn Sie das Urteil sorgfältig und genau lesen, werden Sie auch finden, daß es auf dieser tatsächlichen Voraussetzung beruht. Sollten wir einmal dahin kommen, daß es technisch möglich ist, Hörfunk und Fernsehfunk nach gleichartigen Konkurrenzprinzipien wie bei der Druckpresse zu organisieren, so ist insoweit nichts verbaut.Nur eins sagt das Urteil, und das sagt es gerade in Übereinstimmung mit Professor Scheuher: daß Art. 5 unter allen Umständen verlangt, daß die Gesamtheit des Rundfunk- und des Fernsehwesens der Freiheit des Geistes offensteht, oder einmal negativ ausgedrückt, daß Rundfunk- und Fernsehen in einem demokratischen Staat niemals wieder Beherrschungsmittel seitens der Exekutive oder einer Machtgruppe zur Unterdrückung anderer gleichberechtigter und gleichrangiger Gruppen wird. Ich hoffe, daß sich niemand hier im Hause findet, der diesen Grundsatz des Bundesverfassungsgerichts, wie es den Art. 5 in Übereinstimmung wohl mit der einhelligen Meinung der deutschen Staatsrechtslehrer ausgelegt hat, zurückzuweisen wünscht.Um eine persönliche Erinnerung anzuknüpfen: In seinem Schlußwort hat Herr Professor Scheuner, der in dieser Sache einen sehr schweren Stand hatte, der Schwierigkeit der Sache wegen, die er vertreten sollte, die beherzigenswerten Worte gesprochen, er hoffe, daß aus diesem Rechtsstreit wenigstens ein gemeinsamer Gewinn bleibe, nämlich daß
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8420 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 148. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1961
Dr. Arndtder Art. 5 über das subjektive Grundrecht der Staatsbürger hinaus die konstitutionelle, die organisatorische Freiheitlichkeit des Rundfunk- und Fernsehwesens in Deutschland unverbrüchlich verbürge, damit diese wesentliche Institution niemals wieder einseitig machtmäßig zur Unterdrückung anderer mißbraucht werden dürfe. Ich glaube, es wäre für uns alle ,ein Gewinn — und darin könnten wir wohl alle übereinstimmen —, wenn diese Hoffnungen von Professor Scheuner in Erfüllung gingen.Nun hat sich Herr Kollege Barzel etwas darüber ereifert, daß Herr Kollege Heinemann das etwas harte Wort vom Verfassungsbruch gebraucht hat. Herr Kollege Barzel meinte, man könne doch einen solchen Vorwurf nicht erheben, weil sich ja die Bundesregierung auf die Gutachten vier namhafter Professoren des öffentlichen Rechts habe stützen können und weil man außerdem diesen selben Vorwurf an Hamburg zurückgeben müsse, denn das Gericht habe im gleichen Urteil auch ein hamburgisches Gesetz teilweise wegen Unvereinbarkeit mit dem Bonner Grundgesetz für nichtig erklärt. Nun, Herr Kollege Barzel, das ist etwas scherzhaft — scherzhaft deshalb, weil dieses hamburgische Gesetz nur ein Ratifizierungsgesetz ist und die materiellen Bestimmungen, nämlich das technische Sendemonopol des Norddeutschen Rundfunks, sich gar nicht in dem Gesetz, sondern in dem Staatsvertrag vom 16. Februar 1955 zwischen Niedersachsen, Hamburg und Schleswig-Holstein befindet. Dieser Staatsvertrag aber ist abgeschlossen von Ihrem stellvertretenden Parteivorsitzenden, Herrn Ministerpräsidenten von Hassel und von Herrn Bürgermeister Sie veking in Hamburg. Nur für Niedersachsen habe ich bisher nicht genau feststellen können, ob er von Ministerpräsident Kopf oder von Ministerpräsident Hellwege unterschrieben ist.
So kann man doch in diesen Dingen nicht operieren. Erlauben Sie mir die Mahnung: Verfassungsrechtliche Fragen sind zu ernst und gehen uns alle gemeinsam zu viel an, als daß man — :entschuldigen Sie — die Dinge mit Witzchen machen könnte. Das ist nämlich nur ein Witzchen.
Verfassungsrechtliche Fragen sind von einer derartigen Schwierigkeit, daß über sie viel Streit herrscht. Noch heute sind die meisten verfassungsrechtlichen Fragen aus der Zeit der Weimarer Republik nicht ausgetragen; es gibt keine einhellige Meinung darüber, obwohl sie bereits der Geschichte angehören. So ist es keine Schande, wenn einmal die eine oder andere Seite, die glaubt das Verfassungsgeeicht anrufen zu sollen, dort eine Enttäuschung erlebt, und ihr vom Gericht gesagt wird, sie befinde sich im Irrtum.Das gilt übrigens besonders von der hier von Ihnen so gern erwähnten Frage der konsultativen Volksbefragung, die ja nie ausgetragen worden ist. Denn darüber, ob es im Bunde eine konsultative Volksbefragung nach Art von Norwegen, Belgien und anderen konstitutionell vergleichbaren Staatengeben darf, gibt es ja bisher keine verfassungsgerichtliche Entscheidung. Es wird Sie vielleicht interessieren, daß in dem Neugliederungs-Gutachten, das der Herr Bundesminister des Innern selber nach jenem Urteil zu der Frage der Volksbefragung herbeigeführt hat, die drei von dem Herrn Bundesinnenminister beauftragten Professoren sich nicht darüber einigen konnten, ob nach Bundesrecht eine konsultative Volksbefragung zwecks Neugliederung zulässig ist oder nicht. So offen bleibt das.Es ist also keine Schande, sich über eine Verfassungsfrage zu irren. Es ist auch keine Schande, einmal von Karlsruhe zu hören, daß man nach der verbindlichen Auffassung des Gerichts sich im Unrecht befindet. Aber es gibt — und darin werde ich Sie enttäuschen — zwei Bemerkungen, die ich anknüpften muß: Es kann eine Schande sein, wie man sich dann dem Gericht gegenüber verhält; und: Das Recht auf verfassungsrechtlichen Irrtum findet eine Grenze dort, wo man mindestens in die Nähe der Fahrlässigkeit und Mutwilligkeit kommt. Und hier haben wir doch bei dem Vorgehen der Bundesregierung, auf das ich noch zu sprechen kommen muß, erhebliche Sorge, und wir haben auch deshalb Sorge, weil wir — wobei ich jetzt den bitteren Ausdruck „Schande" nicht wiederholen will — die Art, wie man hier in diesem Hause und wie man seitens der Bundesregierung mit einem Spruch des Bundesverfassungsgerichts umgeht, nur mit Entsetzen betrachten können.
Da hilft auch gar kein Hinweis auf eine Entgleisung meines lieben und verehrten Freundes Viktor Renner im Landtag von Baden-Württemberg;
denn schlechte Sitten im Landtag von Baden-Württemberg rechtfertigen nicht schlechte Sitten im Bundestag.
Sie können mit mir ruhig reden und mir sagen, der Ausdruck „eine Entgleisung" sei Ihnen zu wenig. Bitte, ich gebe Ihnen zu, es ist auch mir zu wenig. Von meiner Person aus mißbillige ich das, was Viktor Renner dort gesagt hat und wie er es gesagt hat; denn so kann man mit dem Bundesverfassungsgericht nicht reden, weder in jenem Landtag noch hier; und hier, glaube ich, am allerwenigsten, denn wir haben ja hier — worüber wir uns alle einig sind — die Aufgabe der nationalen Repräsentation. Aber dann sollte man nicht sagen, das Bundesverfassungsgericht richtet Scherbenhaufen an, und dann sollte man nicht sagen, das Bundesverfassungsgericht zerschlägt alles und demontiert selbst noch Weimar, und dann sollte man auch nicht hingehen und namens der Bundesregierung einen einstimmigen Beschluß fassen, durch den man sich aufwirft, ein Überverfassungsgericht zu sein, und feststellt: „Das Urteil ist falsch". Gelinde gesagt, macht sich eine Bundesregierung mit einem derartigen BeschlußDr. Arndtlächerlich. Das ist das mindeste, was man darüber sagen muß.
Aber ich glaube, man muß noch weiter gehen, und ich muß Ihnen sagen: einen Kabinettsbeschluß, der zwar sagt: „Wir werden das Urteil als verbindlich ansehen", aber sagt: „Wir erklären es amtlich als Bundesregierung einstimmig für falsch" — einen solchen Beschluß halte ich für eine Auflehnung gegen das Grundgesetz.
Meine Damen und Herren, es ist meinen Freunden und mir schon wiederholt widerfahren, daß wir durch eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts enttäuscht worden sind. Ich mache aus meinem Herzen auch gar keine Mördergrube, wenn ich sage, daß ich auch die Begründung mancher Urteile, durch die eine von mir vertretene Sache unrecht bekommen hat, nicht überzeugend finde. Aber eins haben wir getan, und darauf haben wir eisern gesehen: Es gibt in keinem Fall, in dem die sozialdemokratische Fraktion oder die von der sozialdemokratischen Fraktion gebildete Minderheit oder ein sozialdemokratisch regiertes Land oder die Sozialdemokratische Partei beteiligt war und in Karlsruhe nicht recht bekommen hat, irgendein Wort .der Kritik durch die beteiligte Prozeßpartei; denn es ist eine grobe Ungehörigkeit, etwas Derartiges zu tun. Niemals habe ich etwa ein solches kritisches Wort auf die Zunge genommen, und ich habe die volle Billigung meiner Freunde gefunden, die davon Abstand genommen haben, in eigener Sache zu erklären: Karlsruhe hat uns Unrecht getan; wir wissen es besser, sein Urteil ist falsch. Das ist ein unmögliches Verhalten in einem Rechtsstaat.
Gestatten Sie eine Frage des Herrn Abgeordneten Dr. Stoltenberg?
Bitte schön.
Herr Kollege Arndt, ist Ihnen bei dieser Bewertung nicht bekannt, daß es auch in Ländern mit einer gesicherteren demokratischen Tradition — um die Formulierung von gestern zu gebrauchen — als der Bundesrepublik üblich ist, daß Kabinette und auch Staatsoberhäupter scharf und deutlich Kritik an Entscheidungen der Verfassungsgerichte üben? Ist Ihnen z. B. nicht gegenwärtig, daß der amerikanische Präsident Roosevelt in den 30er Jahren in einer Entschiedenheit, die das hier gebrauchte Maß weit übertrifft, Entscheidungen des amerikanischen Gerichtshofs kritisiert hat, und würden Sie daraus folgern, daß dort die rechtsstaatliche Ordnung durch solche Äußerungen gefährdet wurde?
Herr Dr. Stoltenberg, mir ist nicht bekannt, daß Roosevelt eine amtliche Kritik an Urteilen des Supreme Court geübt hat. Es kannsein. Vielleicht entzieht sich das meiner Kenntnis. Mir ist das aber nicht bekannt, und ich kann es mir eigentlich auch nicht vorstellen. Aber wenn es geschehen sein sollte, so würde ich ,das in USA genauso mißbilligen. Ich glaube auch nicht, ,daß Roosevelt damit viel Erfolg in der Öffentlichkeit gehabt hat. Ich weiß, daß er, weil Gerichte zu einer konservativen Haltung zu neigen pflegen, zunächst mit seinen New-Deal-Gesetzen regelmäßig beim Supreme Court Schiffbruch erlitten hat. — Ja sicher, aber niemand in Amerika hat 'deswegen diese Urteile amtlich kritisiert. Sie ergingen in einer sehr kritischen Situation; denn Sie wissen: es war der Notstand, es war die Zeit, als die USA 10 oder 12 Millionen Arbeitslose hatten, als die New-Deal-Gesetze dazu dienen sollten, den Amerikanern ein Schicksal zu ersparen, wie wir es dann durch Hitler hier erlebt haben. Das ging denen an Herz und Nieren. Aber mir ist nicht bekannt, auch nicht aus der Literatur über das amerikanische Verfassungsrecht, daß sich Roosevelt die Erklärung angemaßt habe, ein Urteil des Supreme Court sei falsch. Davon weiß ich nichts.
Ich weiß etwas anderes; ich weiß, daß er es unternahm, durch eine Gesetzesvorlage die Zahl der Richter des Obersten Bundesgerichtshofs in Washington von 9 auf 15 zu erhöhen, weil er glaubte, durch einen derartigen Peersschub, so will ich einmal sagen, auf die Rechtsprechung einwirken zu können.
Mit diesem Vorhaben ist Roosevelt gescheitert, weil sich die gesamte öffentliche Meinung in Amerika, auch die seiner Parteifreunde, der Demokraten, dagegen aufgelehnt hat, die Autorität des Obersten Bundesgerichts auf diese Weise zu umgehen und auf die Rechtsprechung einen Einfluß zu nehmen.
Die Absicht von Roosevelt konnte wegen der ihm entgegenstehenden öffentlichen Meinung nicht zum Durchbruch kommen.Aber erlauben Sie mir eins, selbst wenn Sie mir aus irgendeinem Lande insoweit eine schlechte Sitte nachweisen könnten. . . . Ich glaube es nicht, denn ich kenne da andere Beispiele. Ich erinnere mich z. B., daß kein Geringerer als Washington persönlich — ich glaube es war Washington, oder war es Jeffersen? — ein Gutachten vom amerikanischen Obersten Bundesgericht haben wollte, so ähnlich, wie sich das hier in der Wehrfrage ereignete, woraufhin ihm der Oberste Bundesgerichtshof in Washington zurückschrieb, das Gutachten bekomme er nicht, denn das Gericht vertraue der Weisheit des Präsidenten, das Richtige zu finden; sollte er es aber nicht finden, so werde das Gericht ihn nachher darüber belehren, was das Richtige sei. Sehen Sie, in dieser Sprache pflegt das Oberste Gericht in Amerika mit dem Präsidenten, der zugleich Staatsoberhaupt und gegenwärtig der mächtigste Mann
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8422 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 148. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1961
Dr. Arndtder westlichen Welt ist, zu sprechen. — Bitte schön, I Herr Dr. Stoltenberg.
Ist Ihnen bekannt, daß zu der Zeit Jeffersons im amerikanischen Supreme Court aus Respekt vor dem Gesetzgeber die Auffassung vertreten wurde, gesetzgeberische Entscheidungen sollten nur dann für illegal erklärt werden, wenn sie eindeutig der herrschenden Rechtsauffassung, also allen vorliegenden Gutachten widersprechen?
Das ist mir zwar nicht bekannt, aber Sie erinnern mich genau an den Punkt, auf den ich jetzt kommen will. Ich muß noch einmal sagen: Von all den vorliegenden Gutachten, die ich sehr genau kenne und auf die Sie sich hier berufen, gibt es nicht eines, welches die Deutschland Fernsehen GmbH in der Gestalt, die sie durch die Verhandlung des Bundeskanzlers vor einem Bonner Notar mit Herrn Dr. Schäffer bekommen hat, irgendwie billigt oder dieser Gründung vorausgegangen wäre; denn die Gutachten beziehen sich auf ganz andere Fragen, und hier ist der Punkt, wo im Vorgehen der Bundesregierung mindestens das Stadium der Leichtfertigkeit und der Mutwilligkeit erreicht worden ist.
Man kann über die anderen Fragen streiten. Man konnte streiten darüber, wie das nun mit der Verteilung der Zuständigkeiten zur Gesetzgebung und zur Verwaltung zwischen Bund und Ländern ist, aber man konnte nicht streiten darüber, daß nach unserem Grundgesetz und nach Art. 5, der die Rundfunkfreiheit verbürgt als eine Freiheit für jedermann und für das Volks- und Staatsganze und für die Struktur unserer Gesellschaft, ein solcher Streich, ein Handstreich, durch den der gegenwärtige Bundeskanzler und Parteivorsitzende der gegenwärtigen Mehrheitspartei sich in den Alleinbesitz dieser Fernsehveranstaltungen setzte, indiskutabel ist. Sie können keine staatsrechtliche Stimme, keine Gutachten vorweisen, das einen derartigen Streich irgendwie billigt. Sie wissen doch selber ganz genau, wie unheimlich es Ihnen zumute war, als Sie das in der Zeitung lasen. Sie wissen doch selber ganz genau, daß der Bundeskanzler und Herr Dr. Schröder sich einen Zeitpunkt aussuchten, wo der Bundestag, der ja die Gesetzesvorlage noch in Beratung hatte, sich in den Ferien befand, und daß wir dann damit überfallen wurden.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wir, die Bundesregierung und ich, Herr Dr. Schröder, sind viel zu intelligent, als ,daß Sie uns zutrauen dürften, wir hätten eine CDU-Bundesfernsehen angestrebt und wir hätten etwas Einseitiges gewollt; denn alles, was da aus der institutionellen Rundfunkfreiheit des Grundgesetzes nach Art. 5 an Kritik geübt wird, geht an uns vorbei. — Ja leider, Herr Dr. Schröder, ist es an Ihnen vorbeigegangen, als Sie den verantwortlichen Rat dem Bundeskanzler gegenüber gaben, man könne mit diesem Handstreich, mit• einer solchen privaten und von der Exekutive und dem Parteivorsitzenden ausschließlich beherrschten Institution, hier alles aus den Angeln heben: die Entscheidung des Bundestages, die Entscheidung des Bundesrates und aller beteiligten Bundesländer.Das ist der Punkt, wo es sich nicht mehr nur um ein Recht auf verfassungsrechtlichen Irrtum handelt; das ist vielmehr ein Punkt, den Sie politisch zu verantworten haben und in dem Sie politisch diese Verantwortung nicht tragen können. Da helfen auch Ihre Ovationen nicht — mit einem betonten Händeklatschen —; denn Sie mögen solange klatschen, wie Sie wollen, Sie können weder das Grundgesetz noch das Karlsruher Urteil aus der Welt klatschen.
Das ist also der Punkt, bei dem es sich um mindestens einen unverzeihlichen Irrtum handelt, wenn es überhaupt ein Irrtum gewesen sein sollte, und es riecht doch danach, als habe man hier geglaubt, eine Veranstaltung für den bevorstehenden Bundestagswahlkampf, wie man ihn manipulieren könnte, in die Hand zu bekommen.
Sie werden reden können, was Sie wollen. Sie haben heute morgen ja längere Ausführungen ge- macht, nur nicht zur Sache, zu der Sache, auf die es ankommt, daß Sie sich ein Bundesfernsehen der CDU, beherrscht von der Exekutive, anschaffen wollen.
— Das ist keine Unterstellung; das ist meine Überzeugung und, so glaube ich, auch weitgehend das Urteil der öffentlichen Meinung, auch draußen in der Welt.
Man kann auch nicht mit dem Bundesverfassungsgericht so sprechen, daß man sagt: Na ja, was die uns dort ausführen über das verfassungswidrige Procedere — das ist noch etwas anderes als ein verfassungsrechtlicher Irrtum —, was da ausgeführt ist über das Ausspielen parteipolitischer Art der Länder gegeneinander, was dort ausgeführt ist über die Art und Weise, wie man einen Brief an den Ministerpräsidenten Altmeier geschrieben hat, der ihn erst erreichte, nachdem hier der Notariatsakt gestartet war, obgleich doch ein Telefonanruf in Mainz möglich gewesen wäre — nun, da sagt Herr Dr. Schröder, und das gilt auch dem Gericht gegenüber, „ein Jonglieren mit dem Brief des Ministerpräsidenten Altmeier", und man solle nicht mit Mitteln dieser Art arbeiten. Es gelte hier, die Dokumente auf den Tisch zu legen. Nun, dem Bundesverfassungsgericht haben die Dokumente auf dem Tisch gelegen, und alles, was Sie hier erzählt haben, daß es noch andere gäbe, haben Sie in Karlsruhe nicht gesagt, und Sie haben uns solche Dokumente auch hier nicht vorgewiesen. Der Brief des Ministerpräsidenten Altmeier ist am ersten Tage der dreitägigen Verhandlung vorgelegt worden, und der Gerichts-
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 148. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1961 8423
Dr. Arndt1 vorsitzende hat den Delegationschef der Bundesregierung, Herrn Staatssekretär Dr. Anders, gefragt: Herr Staatssekretär, was können Sie zu diesem Brief erklären? Das Gericht bekam von Herrn Dr. Anders die Antwort: Ich wußte nicht, daß sich dieser Brief auch in anderen Händen befindet. Das war alles.
Bis zum dritten Tage und bis zum Schluß der mündlichen Verhandlung haben Sie nichts an Urkunden oder Erklärungen beibringen können, was geeignet gewesen wäre, den Brief des Ministerpräsidenten Altmeier zu entkräften.
Noch am letzten Tage hat nicht nur der Vorsitzende, sondern haben auch mehrere beisitzende Richter an die Vertreter der Bundesregierung, die so zahlreich erschienen waren, daß die Stühle nicht ausreichten,
die Frage gestellt: Nun sagen Sie uns bitte, welcher konkrete Punkt in Herrn Altmeiers Brief ist nicht richtig? Diese Frage konnte nicht beantwortet werden; denn die Angaben in dem Brief des Ministerpräsidenten von Rheinland-Pfalz sind zutreffend, und es sind von Ihnen parteiinterne Besprechungen dem Gericht aufgezäumt und frisiert worden als Verhandlungen der Bundesregierung mit den Landesregierungen.
) Sie haben uns auch heute morgen wieder, Herr Dr. Schröder, die Dinge in einer Weise dargestellt, die nicht zutreffend ist. Gewiß war Herr Ministerpräsident Altmeier und ist noch Sprecher der Ministerpräsidenten in Fragen des Rundfunks und des Fernsehens. Er gibt der Öffentlichkeit bekannt, zu welchen Beschlüssen die Ministerpräsidenten, die Regierungschefs dier Länder, kommen, und richtet in dieser Eigenschaft auch Schreiben an die Bundesregierung. Aber er war nicht — und das betont er auch in seinem Brief — der alleinige Verhandlungsbevollmächtigte. Sie wußten ganz genau, daß die Ministerpräsidenten sofort, als der Bundeskanzler den Länderchefs erstmals eröffnet hatte — das ist die einzige Begegnung mit den. Landesregierungschefs gewesen —, er habe die Absicht, eine bundesgesetzliche Regelung des Hörfunks und des Fernsehfunks zu treffen, eine Verhandlungsdelegation eingesetzt haben, und zwar unter der Führung von Herrn Ministerpräsidenten Altmeier und Herrn Ministerpräsidenten Zinn, und daß dieser Delegation zwei christlich-demokratische Regierungsmitglieder und zwei sozialdemokratische Regierungsmitglieder angehörten. Mit dieser Vier-MannDelegation hat nicht eine einzige Verhandlung stattgefunden
in all den Jahren — ich glaube, es sind beinahe zwei Jahre gewesen —, seit der Bundeskanzler eröffnet hatte: Ich will eine bundesgesetzliche Regelung schaffen. Daran kommen Sie nicht vorbei. Das ist auch das, was in dem Urteil steht, und daskönnen Sie hier nicht mit solchen Redensarten wie „Jonglieren mit dem Brief" und „Dokumente auf dem Tisch" usw. aus der Welt schaffen.Ich will mich dazu nicht in allzu vielen Einzelheiten verlieren. Ich will Ihnen dazu nur etwas sagen, was Sie vielleicht etwas hart ankommt: Es gibt einen Unterschied zwischen Karlsruhe und Bonn in der Richtung, daß man in Karlsruhe nicht die Wahrheit durch die Mehrheit ersetzen kann.
Ich habe heute gern von Ihnen, Herr Dr. Schröder, gehört, daß Sie die, Sie werden mir zugeben: schnoddrige Randbemerkung, das Bundesverfassungsgericht möge in zwei Jahren dann seine Entscheidung treffen, nicht 'getan 'hätten. Ich habe keinen Anlaß, Ihren Worten zu mißtrauen. Aber ich habe nach einer anderen Richtung Kritik zu üben. Warum haben Sie, die Sie sonst bei der Bundesregierung und beim Bundespresseamt so dementierfreudig sind, das nicht sofort dementiert? Denn es ist keineswegs etwa, wie Sie sagen, eine brunnenvergiftende Behauptung der Süddeutschen Zeitung. Die Meldung in der 'Süddeutschen Zeitung beruht auf den Berichten mehrerer großen Nachrichtenagenturen. Diese Meldung ist nicht etwa allein in der Süddeutschen Zeitung erschienen. Sie ist nahezu über sämtliche Rundfunksender gegangen, und sie ist, wenn auch in variierter Form, nahezu in der gesamten deutschen Tagespresse zu finden. Es wäre also mindestens an Ihnen gewesen, damals zu sagen: Ich verwahre mich dagegen, daß man mir eine derartig saloppe und das Bundesverfassungsgericht herabsetzende Äußerung in den Mund gelegt hat. Heute war es dazu zu spät.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte schön.
Abgeordneter Gewandt.
Herr Dr. Arndt, ist Ihnen bekannt, daß Karlsruher Entscheidungen von einigen Ihrer Parteigenossen schon anders beurteilt worden sind, daß Herr Dr. Nevermann, der heutige Bürgermeister von Hamburg vor drei Jahren in der 18. Sitzung der Hamburger Bürgerschaft von der Regierungsbank aus ein Karlsruher Urteil als erbärmlich bezeichnete, nämlich das Karlsruher Urteil in Sachen Volksbefragung?
Aber, Herr Gewandt, ich habe mich ja vorhin schon über Herrn Renner ausgesprochen und kann Ihnen nochmals wiederholen, daß ungehörige und ebenso zu beanstandende Ausdrucksweisen in Länderparlamenten keine schlechten Sit-
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8424 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 148. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1961
Dr. Arndtten in diesem Hause, das der Bundestag ist, und bei der Bundesregierung erlauben. Es ist doch keine Entschuldigung, sich auf andere böse Buben zu berufen!
Bringen Sie das doch in der Bürgerschaft von Bremen und im Landtag von Baden-Württemberg zur Sprache und auch bei Ihren eigenen Parteifreunden, die meinem Kollegen Viktor Renner im baden-württembergischen Landtag heftigen Beifall geklatscht haben!
Mit solchen Dingen können Sie doch hier nicht kommen. Hier sollte man das nicht tun. Sie werden meiner Fraktion und meiner Partei in keinem Verfahren — so bitter uns das manchmal angekommen ist auch nur eine Silbe der Kritik an einem uns selbst betreffenden Urteil nachweisen können. Das gibt es nicht! Das ist doch das Entscheidende, wie wir uns hier in dieser Sache betragen.Noch eines zu dem Urteil, weil ich es katastrophal finde, daß Herr Dr. Schröder vor der deutschen Öffentlichkeit den Eindruck erwecken will, als ob es kein größeres Unglück gäbe als das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe, etwa indem er sagt, man habe noch das Wenige, was in Weimar gewesen sei, demontiert. Das stimmt doch einfach nicht. Das Urteil gibt einen objektiven Bericht über die Rechts- und Streitlage in der Zeit der Weimarer Republik; es gibt ihn aus dem sachlichen Grunde, um darzustellen, daß sich in den wenigen unglücklichen Jahren des Weimarer Rundfunks kein Staatsgewohnheitsrecht gebildet haben kann, das etwa noch überhängt und auf das man sich heute gegenüber den klaren Entscheidungen des Bonner Grundgesetzes berufen könnte. Also, diese Erklärungen hier, daß man Weimar demontiert habe, daß das Urteil einem mit Angst und Bange erfülle, daß es nach dem Urteil keine nationale Repräsentanz mehr gebe, das ist doch alles nicht wahr. Es findet sich in dem Urteil auch nicht das Wort von der Kulturhoheit. Das hat seinen sehr guten Sinn, den ich Ihnen jetzt erklären will.Ich komme damit auf das zurück, was ich eingangs sagte, daß ich nämlich verfassungsgerichtliche Vertretungen nicht zu übernehmen pflege, ohne mich selbst voll und ganz mit der Sache zu identifizieren. Daher bin ich auch gezwungen, solche Aufträge von ganz klaren Bedingungen abhängig zu machen. Ich habe, als ich den heiklen Auftrag bekam, ein Land in dem Konkordatsprozeß zu vertreten, zur Bedingung gemacht, daß in der mündlichen Verhandlung kein Angriff auf die katholische Kirche unternommen werden und daß kein Wort fallen dürfe, das einen Katholiken in seinen religiösen Gefühlen zu verletzen auch nur denkbar sei.
Sie werden in den vierbändigen Konkordatsprozeßverhandlungen auch kein solches Wort finden.
— Nein, das ist nicht erstaunlich, Herr Kollege Kanka. Ich wünsche nur, Klarheit zu haben, und, bitte, drehen Sie mir nicht in dieser Weise die Worte im Munde herum!
Ich habe in diesem Verfahren Gewicht darauf gelegt, daß das Wort „Kulturhoheit" in der mündlichen Verhandlung nicht fällt, weil es ein politisches Schlagwort mit äußerst unbestimmten Rändern ist; im übrigen ein verstaubtes und altmodisches Schlagwort. Es geht in diesem Verfahren ausschließlich um die nüchtern-rechtliche Frage der Zuständigkeit zur Gesetzgebung und Verwaltung im Bereich des Fernsehens nach dem Grundgesetz und um nichts anderes. Darum finden Sie das Wort auch nicht im Urteil; denn auch das Gericht hat sich offenbar eine gleiche Meinung zu eigen gemacht.Das Wort „Kulturhoheit" ist nur 'einmal erwähnt worden, als der Herr Chefdelegierte der Bundesregierung meinte sagen zu können, daß der Verzicht auf den Begriff der Kulturhoheit offenbar eine Art Rückzug der Länder ankündigen solle, womit er sich in voller Breite im Irrtum befand.Auf der berühmten Seite 33, die Sie immer zitieren, steht etwas völlig Selbstverständliches, worüber die ganze deutsche Staatsrechtswissenschaft einig ist, nämlich daß das Bonner Grundgesetz so verfährt, daß der Bund Kompetenzen zur Gesetzgebung und zur Verwaltung ausschließlich hat, soweit sie ihm nach dem Grundgesetz — dabei gewiß auch nach den allgemeinen Prinzipien des Grundgesetzes— verliehen sind. Das Gericht hat hinsichtlich der nationalen Repräsentanz, die Ihnen so viel Kopfzerbrechen zu bereiten scheint, lediglich erklärt, daß dieser Begriff politischer Art sei und rechtlich so wenig definierbar sei, daß man ihn nicht zum Ausgangspunkt einer Kompetenzverteilung machen könne, weil man andernfalls, da auch das gesamte Schul-, Erziehungs-, Unterrichts- und Hochschulwesen ja zur nationalen Repräsentanz gehöre, das ganze Grundgesetz in seiner Kompetenzverteiteilung aus den Angeln heben könne. Ich glaube, das ist eine Erwägung des Gerichts, gegen deren Richtigkeit nichts einzuwenden ist. Der Herr Bundesminister des Innern hatte keinerlei Veranlassung, hier in solche Kassandrarufe auszubrechen. Nicht Karlsruhe ist ein Unglück, sondern ein Unglück waren die Ratschläge, die Sie in einer nicht zu verantwortenden Weise im Sommer vorigen Jahres dem Bundeskanzler gegeben haben.
Damit will ich diese Ausführungen abschließen. Ich bin überzeugt, daß Sie auch bei Ihrer demonstrativen Haltung der Verzweiflung, die Sie hier an den Tag legen
— manchmal kommt das Verzweifeln auch in einem übermäßigen Klatschen zum Ausdruck —,
in Ihrem Herzen — hoffentlich — sehr weitgehend auf der anderen Seite der Barrikade stehen
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 148. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1961 8425
Dr. Arndtund daß Sie auch in camera caritatis mit Ihrer Bundesregierung sprechen und sagen werden: Das sollte nicht mehr vorkommen. Das will ich doch hoffen.Aber nun zum Schluß noch zu einem ganz anderen Thema! Der Herr Bundesminister des Innern hat hier den sehr schwerwiegenden und ebenso unbegründeten Vorwurf erhoben, meine Freunde hätten meinem Kollegen Merten in einer die Meinungsfreiheit antastenden Weise den Mund verboten und seine Auffassung unterdrückt. Das ist doch einfach nicht wahr! Worum hat es sich gehandelt? Es ging darum, in der von der Bundeszentrale für Heimatdienst, die ein paritätisch zusammengesetztes Unternehmen ist, herausgegebenen überparteilichen Zeitschrift „Das Parlament" in der Streitfrage des Notstands die Stimme der Regierung und die Stimme der Minderheit einander gegenüberzustellen. Es gehört im Elementarsten zum ABC der Demokratie, daß die Mehrheit sich niemals gegenüber der Minderheit das Recht der Abwahl herausnehmen darf.Diejenigen unter uns, die im Wirtschaftsrat waren, werden sich noch an jenen Vorfall erinnern — es war damals im Wahlprüfungsausschuß —, daß die Hamburger Bürgerschaft eine Nachwahl zum Wirtschaftsrat vorzunehmen hatte und daß die Minderheit Herrn Bucerius vorschlug, die Mehrheit aber sagte: Nein, der Herr Bucerius paßt uns nicht; wir nehmen den Herrn Scharnberg, der ist uns lieber. Beide Herren, Herr Bucerius und Herr Scharnberg, kamen nach Frankfurt, und der Wahlprüfungsausschuß des Wirtschaftsrates sagte einstimmig, es gehöre zum Alphabet der Demokratie, daß die Mehrheit nicht in die Autonomie der Minderheit eingreifen dürfe und daß es ausschließlich Sache der Minderheit in der Hamburger Bürgerschaft sei, wen sie zu ihrem Delegierten im Frankfurter Wirtschaftsrat zu bestimmen wünsche.Und so ist es auch beim „Parlament". Wer dort für die Sozialdemokratie in der Weise zu Wort kommen soll, daß es heißt: Das ist mindestens die Mehrheitsmeinung oder die offiziöse Meinung der Partei als solcher, den muß die Partei selber vorschlagen. Da können nicht Sie als Minister erklären: Den suche ich mir aus, so wie es mir paßt. Damit greifen Sie in die Meinungsfreiheit und in die Autonomie einer Minderheit ein.
Sie können nicht uns den Vorwurf machen, wir hätten hier irgend etwas unterdrücken wollen. Denn es gilt natürlich in allen Parteien mit Recht, daß man Gewicht darauf legt, daß sich jemand, wenn er Sprecher für die Partei sein soll, auch mit der Mehrheitsmeinung der Partei in Einklang befinden muß.Ich sage Ihnen jetzt etwas Indiskretes. Aber es ist jetzt ein konkreter Fall. Die im Rechtsausschuß des Bundestages vereinigten Abgeordneten haben einstimmig eine Reihe von Änderungsanträgen zum Etat beschlossen und eingereicht, und wir haben auch einmütig in Abwesenheit der Frau Kollegin Dr. Schwarzhaupt den Wunsch ausgedrückt, Frau Kollegin Dr. Schwarzhaupt möchte zwei dieser Anträge demnächst bei den Haushaltsberatungen hierim Plenum begründen. Frau Kollegin Schwarzhaupt hat gebeten, als Stellvertretende Vorsitzende ihrer Fraktion von einem solchen Auftrag befreit zu bleiben, weil ihre Fraktion beschlossen habe, keinen Erhöhungsanträgen mehr zuzustimmen. Wir sehen das nicht als eine Unterdrückung der Meinung von Frau Kollegin Schwarzhaupt an, sondern wir respektieren, daß sie sich hier mit ihrer Fraktion, die sie als Stellvertretende Vorsitzende repräsentiert, nicht in einen Widerspruch zu setzen wünscht, obgleich sie hoffentlich bei den Anträgen konkreter Art anderer Auffassung ist als die Mehrheit ihrer Fraktion. Also lassen wir doch die Kirche im Dorf, reden wir doch fair miteinander und erzählen Sie hier nicht Dinge, daß wir uns an der Meinungsfreiheit versündigten, wenn wir nach dem handeln, was wir in einer parlamentarischen Demokratie als ein ABC ansehen, nämlich daß die Minderheit autonom ist und ihr Sprecher nicht von einem Minister oder von außen her bestimmt werden kann. Ich glaube und hoffe, daß diese ganzen sehr unerfreulichen Auseinandersetzungen einen Sinn haben könnten, wenn die Elementaria der Demokratie etwas besser begriffen würden als bisher.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Barzel.
Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Ich möchte nur ganz wenige Worte zu dem ausführen, was der Kollege Arndt eingangs an meine Adresse gesagt hat. Herr Kollege Arndt, über Mittag haben wir uns unterhalten, und ich sagte, daß ich Ihre Rede im Auszug im „Vorwärts" gelesen habe. Es hat mich verwundert, daß Sie hier behauptet haben, ich hätte die Rede nicht gelesen. Ich freue mich darüber, daß Sie mir nun die Lektüre des ganzen Vortrages durch Zusendung anbieten. Ich werde mit Vergnügen nachlesen, was Sie insgesamt gesagt haben. Im übrigen habe ich heute morgen — ich habe bewußt darauf hingewiesen — eine freie Rede mit Zitat aus dem Gedächtnis gehalten. Mit dieser ausdrücklichen Bemerkung habe ich es hier vorgetragen. Dazu stehe ich. Ich habe eben das Protokoll nachgelesen. Ich stehe zu jedem Wort, das ich da 'gesagt habe, insbesondere zum Vorwurf des Säkularismus in dieser Grundhaltung.Ich habe über Mittag aus Gründen, die ich Ihnen dartat, Herr Dr. Arndt, meine Akten und damit Ihr Zitat nicht nachsehen können. Ich habe nur aus anderem Zusammenhang hier ein „Vorwärts"-Zitat vom 20. Januar 1961. Danach hat der von ' mir hochverehrte Kollege Dr. Deist vor dem Collegium Academicum in Heidelberg eben diese Thesen genau mit den Worten wiedergegeben, die ich heute hier zitiert habe. Es gehe heute darum, sagt Dr. Deist, neue Werte für das ganze Gemeinschaftsleben zu finden. Es heißt dann wörtlich:Solche Werte könnten nur im Vorletzten angesiedelt sein, da der moderne Staat sich durchdie Vielfalt der in ihm vereinigten Gruppen
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Dr. Barzelnicht mehr auf letzte Wahrheiten berufen könne.Genau gegen diese These habe ich heute morgen polemisiert. Ich habe gesagt, daß ich zum ersten Male von Ihnen, Herr Dr. Arndt, davon gehört habe, inzwischen von vielen Ihrer Sprecher. Das ist damit, glaube ich, klar.Ich bedanke mich auch unter einem anderen Aspekt für diese Klarstellung, denn, Herr Dr. Arndt, es war eine Verdächtigung entstanden. Ich bin dankbar, daß das nun aufgeklärt ist. Bekanntlich hat das Zentralkomitee der deutschen Katholiken im November eine politische Erklärung an alle Parteien abgegeben. Nach Pressemeldungen hat der Vorstand oder das Präsidium der SPD — ich bitte, mich hier nicht festzulegen; also Ihr oberstes Gremium — in einer Presseerklärung dem ausdrücklich zugestimmt. In dieser Erklärung hieß es: „Darum halten wir daran fest, daß Staat und Gesellschaft nach letzten sittlichen Normen gestaltet werden müssen". Nunmehr ist wieder klar, daß dieses Zustimmungstelegramm der SPD nicht die Frage der vorletzten Werte — das war ja eine Kritik christlicher Kreise an der SPD — ausgeräumt hat.Ein zweiter Punkt, Herr Kollege Dr. Arndt. Ich halte meine Kritik an dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts in dem einen Punkt, in dem ich sie hier angesprochen und begründet habe, voll aufrecht. Ich habe auch vorher die Zitate aus diesem Urteil ausdrücklich verlesen. Ich stehe dazu und ich meine das sehr ernst. Ich bitte Sie um die Liebenswürdigkeit, selbst wenn Sie sich heute erregt haben, die Meinung eines Kollegen, der hier auch mit all diesen Problemen ringt, nicht als ein „Witzchen" abzutun. Mir ist es unverständlich, wie Sie mit diesem Mantel eines obersten Moralhüters auftreten und eine echte Meinung eines Kollegen dann als ein „Witzchen" abtun konnten.
Ich will auch nicht, Herr Kollege Arndt, auf die Dialektik eingehen, mit der Sie den Vorschlag des Herrn Renner als eine „Entgleisung", den viel zaghafteren Vorschlag der Bundesregierung aber als eine „Schande" bezeichnet haben. Das ist eine bemerkenswerte Dialektik, die doch eine gewisse Schule verrät.Wenn Sie, Herr Kollege Dr. Arndt, sagen, die Kritik an diesem Urteil sei unberechtigt, dann muß ich das zurückweisen. Zu dieser Demokratie und zu dem Grundgesetz gehört auch der Art. 1 des Grundgesetzes. In der Demokratie muß jedermann, wenn er gehandelt hat — und wir glauben, daß jeder pflichtgemäß und nach bestem Wissen und Gewissen handelt —, sich der öffentlichen Kritik stellen. Das ist das Lebensgesetz eines freiheitlichen Rechtsstaates. Dieses Gesetz gilt für jedermann, für jeden Abgeordneten, nicht nur für die Regierung, nicht nur für uns, nicht nur für Sie, auch für das Gericht in Karlsruhe.
Das Wort hat der Herr Bundesinnenminister.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich muß um Entschuldigung dafür "bitten, daß ich etwas zu spät in das Hohe Haus gekommen bin. Das hat mich um die Möglichkeit gebracht, alles zu hören, was Herr Kollege Arndt vorgetragen hat. Einen Teil habe ich gehört; dazu werde ich etwas sagen. Über einen Teil ist mir berichtet worden; dazu werde ich mich vielleicht noch später äußern.Durch eine Zwischenbemerkung des Kollegen Dr. Arndt ist hier eine Kontroverse entstanden, in der ich beleidigt worden bin. Ich habe darauf sofort erwidert; ich bitte, das im Protokoll nachzulesen. Ich habe das unkorrigierte Stenogramm vor mir; wenn es gewünscht wird, kann ich das noch einmal vorlesen. Für mich ist dieser Zwischenfall mit der Erklärung erledigt, die, wie ich annehme, im Namen der Fraktion der SPD Herr Kollege Erler unmittelbar danach dazu abgegeben hat. Ich werde auf diesen Vorfall nicht wieder zurückkommen.Aber wie soll man nun mit einem Mann argumentieren, der sich hier hinstellt und sagt, der Unterschied zwischen Karlsruhe und Bonn sei der, daß hier die Wahrheit durch die Mehrheit ersetzt würde? Damit zerstören Sie doch jeden Bodenich sage das mit Trauer, aber im vollen Gefühl meiner Verantwortung —, auf dem wir überhaupt mit Ihnen diskutieren können.
Ich will hier den Prozeß von Karlsruhe nicht noch einmal führen; darauf könnte diese Debatte in manchem hinauslaufen. Ich werde sehr sorgfältig prüfenund dazu bleibt ja einige Zeit —, ob in dieser Debatte Behauptungen übriggeblieben sind — soweit ich sie nicht bereits entkräftet habe —, die vom Standpunkt der Bundesregierung aus widerlegt, entkräftet werden müssen. Ich werde prüfen, ob ich der Bundesregierung vorschlagen kann und soll, eine komplette Dokumentation über diesen Prozeß und seine Vorgeschichte herauszubringen.Wir haben es nicht nötig — die Bundesregierung hat es nicht nötig —, irgend etwas zu verbergen oder irgend etwas gar noch mit ätzender Kritik belegen zu lassen, was sie in dieser Sache getan hat. Deswegen werde ich die Frage prüfen, ob wir in der Veröffentlichung der Dokumente nicht ein Stück weitergehen sollten, als wir das bisher aus gewissen Rücksichten unterlassen haben.Ein weiterer Punkt! Der Kollege Dr. Arndt zweifelt — indirekt mindestens —, daß das, was ich heute morgen zu einer brunnenvergiftenden Glosse der Süddeutschen Zeitung gesagt habe, mit den Tatsachen übereinstimme.
— Nein, Sie haben es in versteckter Form angezweifelt. Sie haben gesagt
bitte, hören Sie, was ich sage —, es gebe mehrere Agenturnachrichten mehr oder weniger desselben Inhalts. Das bestreite ich, soweit mein Wissen dafür
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 148. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1961 8427
Bundesinnenminister Dr. Schröderin Frage kommt, ganz energisch. Denn das wurde mit der Aufforderung verbunden: Na, wenn diese Agenturen so etwas gemeldet haben, hätte es die Bundesregierung ja vielleicht dementieren können. Die Frage, was die Bundesregierung alles dementieren soll und müßte, wenn sie alle falschen Meldungen laufend von früh bis spät dementieren wollte, möchte ich hier nicht anschneiden. Aber das sage ich Ihnen: Hätte ich irgendwo anders als in einer Glosse der Süddeutschen Zeitung diese brunnenvergiftende angebliche Äußerung von mir gelesen, wäre ich ihr so entschieden entgegengetreten, wie ich das hier gegenüber den Ausführungen des Kollegen Heinemann zu tun Anlaß hatte.Nun, meine Damen und Herren, was soll man weiter sagen, wenn hier — und das gehört zu dem Teil, den ich gehört habe — Herr Kollege Dr. Arndt es so darstellt— er hat das Wort gebraucht—, daß wir parteiinterne Besprechungen sozusagen umfrisiert hätten — und das heißt doch wohl: nachträglich in einen anderen Tatbestand verschönert hätten —?! Selbst wenn ich in dem, was ich jetzt sage, in meiner Auffassung irgendwie mit dem Ministerpräsidenten Altmeier nicht übereinstimme: es wird sich aus den Unterlagen, die wir darüber vorlegen können, erweisen, daß es so ist, wie ich gesagt habe, daß diese Besprechungen, über die lange Zeit hin, obwohl sie selbstverständlich gleichzeitig ein hohes Element von parteiinternen Fühlungnahmen enthielten, in den entscheidenden Teilen immer zwischem dem Bundeskanzler und den Ministerpräsidenten geführt worden sind, wobei der eine Ministerpräsident der berufene Sprecher aller war. Das ist eine Tatsache, die durch noch soviel dramatische Umschreibungen und Diskussionen nicht aus der Welt gebracht werden kann.Bevor ich zwei Worte zum Schluß sage, komme ich noch einmal auf jenen Vorfall „Parlament" und den Kollegen Merten zurück. Herr Dr. Arndt hat den schlechten Geschmack gehabt, mich heute morgen der Fälschung zu bezichtigen. Er wird Gelegenheit haben, in der über das Notstandsgesetz angekündigten Dokumentation die Tatsache nachzulesen; er wird sie in der nächsten Woche in der Hand haben. Aber, meine Damen und Herren, ich merke, daß hier eine Stelle ist, an der ein Angriff gegen die Bundesregierung, insbesondere natürlich den immer und ewig verantworlichen Innenminister, geführt werden soll, bei dem man doch im Interesse der geschichtlichen Wahrheit allmählich etwas wacher werden muß, als wir das bisher vielleicht in allzu großer Großmütigkeit gewesen sind.
Der Vorfall mit dem „Parlament" ist leider sehr typisch. und diejenigen, die heute morgen an der Debatte teilgenommen haben, werden mir zugeben, daß ich Herrn Arndt sofort entgegengehalten habe: Ja, wenn wir irgendwie auch nur den Schatten eines Versuches gemacht hätten, die, wie Sie sagen und wünschen, offizielle Stimme der SPD zu unterdrükken, hätten Sie recht. Aber was war geschehen? Beinahe zur selben Zeit wurden zwei Rundfunkvorträge gehalten, einer von mir und einer von dem Stellvertretenden Vorsitzenden des Verteidigungsausschusses dieses Hauses, einem Manne also, dem man doch .sehr wohl die Sorge um dasselbe Problem zutrauen kann, das ich gerade behandelt hatte. Bei den Ausführungen des Kollegen Merten handelte es sich um einen ganz uripolemischen, ganz nüchternen Vortrag, der sehr geeignet war, das Problem darzustellen. Bitte, kommen Sie doch nun nicht auf die Idee, ich machte den Versuch, etwa dem Vorstand der SPD und den riesenhaften Publikationsmöglichkeiten, die Sie haben, einen Maulkorb umzuhängen. Erstens würden wir es nie versuchen, zweitens würden wir es überhaupt nicht können. Wie können Sie den Eindruck erwecken, daß wir es gewesen seien, die die Stimme der SPD hätten unterdrücken wollen, die hier doch wirklich laut und klar genug täglich zu Gehör gebracht werden kann? Nein! Hier geschah etwas ganz anderes. Hier haben Sie tatsächlich verhindert, daß ein Beitrag des Kollegen Merten im „Parlament" gedruckt worden ist; ich habe Ihnen also nachgegeben. Sie haben es wirklich verhindert, daß der Beitrag des Stellvertretenden Vorsitzenden des Verteidigungsausschusses dieses Hohen Hauses, der nun auch, vielleicht mehr oder weniger zufällig, ein Mitglied der sozialdemokratischen Fraktion ist, im „Parlament", daß heißt in der Zeitschrift dieses Hauses, abgedruckt werden konnte, weil Sie dagegen ein Veto eingelegt haben. Wer hier wem einen Maulkorb angelegt hat, das mag das Publikum beurteilen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Herr Minister?
Herr Minister, sehen Sie nicht einen Widerspruch in Ihren Ausführungen, wenn Sie selbst vortragen, daß Merten einen Rundfunkvortrag gehalten hat — das ist sein gutes Recht —, und wenn Sie dann auf die bekannte Sache im „Parlament" eingehen, da bekanntlich nur offizielle Stellen im „Parlament" schreiben?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nein, darin liegt nicht der geringste Widerspruch. Das „Parlament" hat mehrere Teile. Es hat den einen Teil, in dem das, was wir hier sagen, mehr oder weniger vollständig gedruckt wird, und es hat einen anderen Teil, in dem Aufsätze, Betrachtungen, Besprechungen usw. erscheinen. Der zweite Teil ist sehr viel bunter und vielfältiger. Meine Damen und Herren, wem wäre etwas geschehen, wenn dort die Stimme Ihres prominenten Fraktionsmitgliedes, des Stellvertretenden Vorsitzenden des Verteidigungsausschusses des Hohen Hauses, des Kollegen Merten, abgedruckt worden wäre? Denn dem Wunsche der SPD-Fraktion — so sah das in meinen Augen aus —, eine Stellungnahme sozusagen parteioffiziell abzudrucken, habe ich sofort nachgegeben und entsprochen. Das ändert nichts daran, daß Sie die Stimme Merten an der Stelle unterdrückt haben. Wenn das Ihre Auffassung von freier Meinungsäußerung der freien Parlamentarier ist, bitte, dann machen Sie uns keine Vorwürfe!
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8428 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 148. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1961
Bundesminister Dr. SchröderZum Schluß nur noch zwei Worte! Ich sagte gerade schon, ich möchte den Karlsruher Prozeß hier nicht ein zweites Mal führen. Ich werde prüfen, wieweit es im Interesse der geschichtlichen Wahrheit und zur Vermeidung von vergiftenden Darstellungen erforderlich ist, daß wir eine Dokumentation über diesen Prozeß herausbringen. Aber Dokumentation ist etwas Rückwärtsgewandtes. Wir werden es höchstens tun, damit nicht durch die Unterlassung von etwas Rückwärtsgewandtem Gefahren für die Zukunft beschworen werden. Die eigentliche Sorge, die ich habe — und ich bin überzeugt, daß ich diese Sorge mit Mitgliedern der Opposition teile , ist diese: Was bedeutet dieses Urteil für die künftige Entwicklung, und wie können künftige Gefahren vermieden oder verringert werden? Deswegen wird sich morgen oder übermorgen für das deutsche Volk, für die deutsche Geschichte, für die deutsche Entwicklung erweisen, wo, geschichtlich gesehen, der Fortschritt lag: in dem — wie ich dargelegt habe — völlig überparteilich gedachten Projekt der Bundesregierung oder in der Zementierung des Satzes „cuius regio, eius televisio". Mit dem Satz „cuius regio, eius televisio" wird die zukünftige Entwicklung auf die Dauer bestimmt n i c h t übereinstimmen!
Das Wort hat Herr Abgeordneter Schmitt-Vockenhausen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nach § 17 — jetzt sind Sie wohl enttämscht — des Bundeswahlgesetzes bestimmt der Herr Bundespräsident den Termin des Hauptwahltages. Ich habe die Frage an den Bundesinnenminister, ob er in dieser Frage bereits eine Vorlage gemacht hat oder wann er eine Vorlage zu machen gedenkt. Wähler und Gewählte haben Anspruch darauf, in dieser Frage recht bald Klarheit zu haben.
Meine Damen und Herren, auf die vorhergehende Kontroverse sollten wir nicht noch einmal eingehen. Der Herr Minister hofft nämlich, daß durch stete Wiederholung das, was nicht wahr ist, zur Wahrheit wird. Möge er dabei bleiben! Wir glauben, daß die beste Dokumentation über die Tatsachen das Urteil und nicht seine sogenannten Dokumentationen sind.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Kanka.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Kollege Arndt, unsere persönliche Bekanntschaft, aus der heraus ich Sie jetzt anrede, ist etwa fünfzehn oder sechzehn Jahre alt, sie ist älter als dieses Hohe Haus, und ich wiederhole, es ist diese persönliche Bekanntschaft, die wir auf politischem und juristischem Felde geschlossen haben, aus der heraus ich jetzt zu Ihnen als Mensch zum Menschen sprechen will. Es geht dabei um die Beleidigung, deren Sie
sich gegenüber dem Herrn Innenminister schuldig gemacht haben.
Sie haben dem Herrn Innenminister unterstellt, daß er den Vorwurf der Wortklauberei und der Rabulistik in antisemitischem' Sinne gemeint habe; Sie haben ihm gesagt, er hätte eigentlich hinzufügen sollen: jüdische Rabulistik. Das ist vom ganzen Hause als Beleidigung empfunden worden,
und Sie empfinden es auch als Beleidigung. Aber Sie meinen, Sie könnten das, was man als Mensch zu leisten hat, wenn man jemanden beleidigt hat, nämlich die Entschuldigung, von einer Bedingung abhängig machen, die der Beleidigte vorher erfüllen müsse.
Sehr verehrter und lieber Herr Kollege Arndt, wir haben alle ein aufrichtiges und tiefes Mitgefühl für die Situation, in der Sie — und nicht nur Sie, sondern Hunderttausende und Millionen von Angehörigen des deutschen Volkes — sich während der zwölf Jahre befunden haben. Aus diesem tiefen Mitgefühl heraus sind wir auch keineswegs irgendwie besonders empfindlich. Wir halten Ihnen da unendlich viel zugute. Wir sind verpflichtet, es zu tun. Aber hören Sie bitte jetzt einmal genauer zu, Herr Kollege Arndt: Die Bedingung, die Sie dem Minister gestellt haben, war die, daß er, bevor Sie sich entschuldigen wollten, sich selbst entschuldigend oder seine eigenen Erklärungen kommentierend, hier oder an einer anderen Stelle sagen solle, er habe das Wort „rabulistisch" nicht mit dem antisemitischen Akzent gemeint, den Sie aus diesem Wort herausgehört haben. Sie haben sogar offengelassen, ob er es antisemitisch gemeint habe. Sehr verehrter Herr Arndt, sollten Sie, wenn Sie sich das, was ich Ihnen jetzt vorgetragen habe, noch einmal in aller Ruhe durchdenken, nicht die innere Kraft finden, bedingslos zu sagen: „Das, was ich heute vormittag dem Minister angetan habe, nehme ich als beleidigend mit dem Ausdruck des Bedauerns zurück"? Ich meine, Sie sollten das tun.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Frage?
Ja!
Herr Kollege, glauben Sie, daß Sie mit diesen Ausführungen dazu beitragen, einen bedauerlichen Zwischenfall, der beinahe erledigt ist, vollkommen und endgültig beizulegen?
Ich habe mich darum bemüht, auch im persönlichen Verhältnis zwischen Herrn Arndt und dem Minister eine Brücke zu schlagen — die Brücke, nach der Herr Arndt selbst gerufen hat, für die er aber von dem Minister Dinge verlangt hat, die er eigentlich vom Beleidigten nicht verlangen kann. Das ist meine Meinung.
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 148. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1961 8429
Glauben Sie nicht, daß es besser wäre, wenn die Helfer in dieser Sache nicht von dieser Tribüne aus tätig würden, sondern in camera caritatis mit den Beteiligten sprächen?
Nachdem er auf der Tribüne gesprochen hat, war es vielleicht richtig, daß man auch von der Tribüne aus etwas dazu sagte. — Meine Damen und Herren! — —
Einen Augenblick, Herr Abgeordneter! Der Präsident hat Zurückhaltung zu wahren. Ich kann mich jetzt aber doch auf § 40 der Geschäftsordnung berufen und bitten, zur Sache zu kommen.
Das wollte ich gerade tun!
Ja, dafür wäre ich Ihnen dankbar.
Meine Damen und Herren, der Herr Kollege Schäfer hat heute vormittag bei seinen Ausführungen zum Notstandsartikel Klage darüber geführt, daß die Fraktion der CDU/ CSU mit den übrigen Fraktionen, vor allem mit der Fraktion der SPD, noch nicht zu den interparlamentarischen Gesprächen zusammengetreten sei, die man auf allen Seiten geplant hat. Ich will dem Herrn Kollegen Schäfer dazu etwas aus dem Körbchen auf den Tisch legen, aus dem Körbchen unserer internen Fraktionserwägungen, einem Körbchen, das überdies gar keinen Deckel hat und in das jeder ziemlich frei hineinschauen kann. Ich kann ihm folgendes sagen.Was das interfraktionelle Gespräch anging, so waren bei uns in der Fraktion zwei Meinungen im Widerstreit. Die eine Meinung ging dahin: Es hat ja gar keinen Sinn, daß das interfraktionelle Gespräch versucht wird, weil die Differenz in den Auffassungen über den richtigen Inhalt des Notstandsartikels zu groß ist und weil wir die Zeit mit dem Gespräch einfach verplempern. Ich glaube, diese Meinung hat sehr viel für sich gehabt. Denn Sie meinen ja immer noch, es müsse in den Notstandsartikel eine Zweidrittelmajorität des Bundestages eingebaut werden, der den Notstandsfall proklamiert. Sie meinen ja immer noch, — —
— Sie haben es klar und deutlich gesagt, und Sie haben es wiederholt gesagt. — Ich will aber das Gespräch zu diesem Punkt, nachdem Sie durch das „Woher wissen Sie das?" zu erkennen gegeben haben, daß Sie vielleicht davon abgehen, jetzt nicht fortsetzen und will Ihnen sagen: Sprechen wir im Rechtsausschuß und meinethalben auch außerhalb des Rechtsausschusses über das Thema noch etwas ausführlicher! Vielleicht einigen wir uns wider Erwarten doch.Zum anderen. Der Herr Kollege Heinemann hat sich mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts befaßt. Er hat u. a. gesagt, das Bundesverfassungsgericht habe bemüht werden müssen, um die durch das Grundgesetz proklamierte Gleichstellung der Frau und Gleichstellung der Mutter herbeizuführen. Sehr geehrter Herr Kollege Heinemann, Sie wissen sehr genau, daß bei diesen Gleichstellungsartikeln auch noch der Artikel zu berücksichtigen ist, der den Bestand der Familie grundgesetzmäßig garantieren soll. Die Sorge, die nicht nur die Bundesregierung, sondern die vor allem der Bundestag bei seinen Bemühungen um die gesetzliche Ausführung dieser Verfassungsartikel gehabt hat, war eben die, beides — Garantie der Familie und Garantie der Gleichberechtigung — in einen guten Einklang zu bringen. Was wir Ihnen vorwerfen, ist eine diese Garantie der Familie geradezu auflösende Tendenz in der Anwendung des Grundgesetzes.Nun zum Fernseh-Urteil. Ich habe nicht vor, mich mit den einzelnen Gründen, die dem Fernseh-Urteil beigegeben worden sind, zu befassen, und habe auch nicht vor, mich mit dem langen Plädoyer zu befassen, das der Herr Kollege Arndt zum Fernseh-Urteil vorgebracht hat. Ich will nur einige Dinge sagen. Ich will einmal dem Versuch entgegentreten, der Bundesregierung und der hinter ihr stehenden Mehrheit dieses Hauses immer wieder den Vorwurf zu machen, daß sie die Verfassung breche, daß sie sich ein geradezu hochverräterisches Treiben zuschulden kommen lasse. Der Herr Kollege Heinemann hat im Zusammenhang mit der Fernsehfrage einen Satz gesagt, für den er sich eigentlich schämen sollte. Er hat gesagt, es sei der Bundesregierung auf einen Staatsfunk, schlimmer als wir ihn im „Dritten Reich" hatten, angekommen. In dieser Art sollten wir die politische Auseinandersetzung nicht führen. Das läuft geradezu auf eine Aufwertung Hitlers hinaus, die Sie ganz zweifellos nicht gewollt haben. So sollten wir unseren politischen Gegner, und wenn wir ihn noch so sehr bekämpfen, doch nicht verunglimpfen, daß wir sagen: Was da diese demokratisch gewählte Partei und die von ihr bestellte Regierung vorhaben, läuft auf etwas hinaus, was noch schlimmer ist als das, was dem deutschen Volk im „Dritten Reich" geboten wurde. Ich glaube sogar, daß auch in Ihrer Fraktion Männer und Frauen sitzen, die diese Töne nicht für richtig halten.Nun zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts selbst. Der zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts ist ein Kollegium, bestehend aus neun Richtern.
— Ja, das muß Ihnen aber einmal ins Bewußtsein gebracht werden.
Dieser zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts hat eine Entscheidung gefällt, die er auch noch mit Gründen, welche nicht in Rechtskraft erwachsen, versehen hat. Mit welcher Mehrheit diese Entscheidung gefällt wurde, weiß keiner, und da nach-
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8430 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 148. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1961
Dr. Kankazuforschen gehört sich auch nicht. Es kann eine Mehrheit gewesen sein von 9 : 0, es kann eine von 7 : 2, es kann auch eine von 5 : 4 gewesen sein. Jetzt spreche ich den Herrn Kollegen Arndt wieder an; aber hören Sie sachlich zu!
Wir haben uns bei den Beratungen über das Richtergesetz
— was meiner nicht würdig ist, haben Sie nicht zu beurteilen — Gedanken darüber gemacht, ob wir nicht dem Bundesverfassungsgericht das Recht geben sollten, daß die Minderheit ihr dissenting vote, ihre abweichende Entscheidung niederlegt. Warum haben wir das getan? Wir haben gesagt: Das kann der Rechtsentwicklung nur zur Förderung gereichen. Es kann durchaus sein, so wie das auf anderen Rechtsgebieten geschehen ist, daß die Minderheitsentscheidung eines Tages in der weiteren Entwicklung der Rechtsprechung zur Mehrheitsentscheidung wird. Wenn man sich nun bei solcher Sachlage erlaubt, zu sagen, daß man mit den in dem entscheidenden Teil stehenden Sätzen nur zum Teil und mit den in den Gründen stehenden Sätzen nur zum allergeringsten Teil einverstanden sei, daß man sie im wesentlichen für falsch halte, so tut man etwas, was in dieser demokratischen Ordnung, in der jede Kritik, solange sie sachlich bleibt, erlaubt ist, durchaus am Platze, ja sogar geboten ist.Herr Kollege Heinemann, Sie haben Ihre Rede damit beendet, daß Sie gesagt haben, daß irgend etwas bei uns, in unserem Staatswesen geändert werden müsse. Sie haben diese Forderung nach einer Änderung an die Regierungsbank gerichtet. Herr Kollege Heinemann, ich glaube, es muß etwas anderes geändert werden. Es muß geändert werden die Art, wie in diesem Hause Opposition betrieben wird.
— Die werden Sie uns nicht geben; Sie werden sie uns geben wollen, aber Sie werden das nicht hinbringen. — Ihre Art von Opposition muß geändert werden. Denn man kann sagen: die Reden, die heute gehalten worden sind, sowohl zur Notstandsfrage als auch zur Rundfunkfrage, wären allesamt nicht gehalten worden, wenn Sie in der Bundesregierung säßen. Wenn Sie einmal hineinkämen — was das deutsche Volk verhüten möge — würden dieselben Redner wohl auch Reden halten, aber dann in den hier diskutierten Anliegen für d i e Politik, die w i r für das deutsche Volk, für unsere Bundesrepublik für die einzig richtige halten. Die Art von Opposition, die Sie treiben, ist keine konstruktive, sie ist eine rein destruktive Opposition!
Das Wort hat der Herr Bundesinnenminister.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bitte keine Besorgnisse, daß ich die Debatte verlängern werde!
Herr Kollege Schmitt-Vockenhausen hat mich auf einen ganz konkreten Punkt angesprochen, nämlich darauf, ob die Bundesregierung dem Herr Bundespräsidenten bereits Vorschläge für seine Entscheidung über die Festsetzung des Wahltermins gemacht habe. Die Frage ist zu verneinen. Solche Vorschläge sind noch nicht gemacht. Wie Sie sich erinnern werden, ist der Wahltermin vor vier Jahren — ich habe das Datum nicht genau in Erinnerung — im Laufe des März — wenn ich das recht im Gedächtnis habe, war es mehr gegen Ende März als gegen Anfang März — festgelegt worden. Was meine persönliche Vorstellung angeht, so würde es ihr entsprechen, daß der Wahltermin etwa in den nächsten Wochen festgelegt werden sollte. Die Bundesregierung wird sich in einer ihrer nächsten Sitzungen mit dieser Frage beschäftigen.
Der Spielraum, der auf diesem Gebiet bleibt, ist, wie das Hohe Haus weiß, relativ eingeengt. Rein theoretisch können die Wahlen zwischen dem 15. Juli und dem 15. Oktober stattfinden. Da in Deutschland die Schulferien, ganz im groben gesehen, schon etwa Ende Juni anfangen und etwa bis zum Abschluß der ersten Septemberwoche dauern — in den einzelnen Ländern etwas auseinandergezogen —, werden sich praktisch als Wahltermine nur Termine nach Schluß ,der Schulferien anbieten. Das wird wohl auch am ehesten mit den Vorstellungen des Hohen Hauses in Einklang stehen. Ich möchte also, ohne der Entscheidung bzw. dem Rat der Bundesregierung an den Herrn Bundespräsidenten vorgreifen zu wollen, annehmen, daß es zu einem solchen Vorschlag in der nächsten Zeit kommen wird und daß er sich etwa innerhalb der Grenzen bewegt, die ich gerade vorsichtig skizziert habe.
Wünscht noch jemand zur allgemeinen Aussprache das Wort? — Herr Abgeordneter Dr. Görgen, bitte sehr!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich hoffe, hier nicht gegen die Bundesfreundlichkeit oder gegen die Länderfreundlichkeit zu verstoßen, wenn ich Sie kurz mit einem Thema vertraut mache, das uns auf Grund der Empfehlungen des Wissenschaftsrates zum Ausbau der wissenschaftlichen Einrichtungen alle angehen sollte. Es kann wohl kein Zweifel darüber sein, daß diese Empfehlungen, auf mehr als 500 Seiten, sicherlich eine ganz hervorragende organisatorische Leistung darstellen und daß man auf Grund dieser Empfehlungen in den nächsten Jahren mit dem Ausbau unserer wissenschaftlichen Einrichtungen bestimmt einen wesentlichen Schritt weiterkommen wird.Ich habe mir aber erlaubt, diese Empfehlungen einmal daraufhin zu prüfen, was sie für das Gebiet der Publizistik vorsehen. Da finde ich nun auf Seite 91 unter dem Titel „Zeitungswissenschaft" ganze zwei Zeilen, die besagen: „Es wird empfohlen, dieses Sondergebiet weiterhin an den Universitäten Berlin und München zu pflegen." Meine Damen und Herren, es ist etwas überraschend, daß in einer wissenschaftlichen Publikation — die Empfehlungen wollen ja als solche angesehen werden — Feststellungen dieser Art enthalten sind; denn
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 148. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1961 8431
Dr. Görgeneinmal ist die Zeitungswissenschaft kein „Sondergebiet" mehr, sondern ist längst in das allgemeine Gebiet der Publizistik einbezogen; zum anderen ist noch überraschender, daß der Wissenschaftsrat offenbar übersehen hat, daß es außer den Universitäten Berlin und München eine ganze Reihe von Hochschulen und wissenschaftlichen Institutionen gibt, die sich mit dem Gebiet der Publizistik befassen. Da haben wir das Hans-Bredow-Institut für Rundfunk und Fernsehen in Hamburg, das Institut für Publizistik an der Universität Münster, das Institut für Publizistik in Nürnberg, das Institut für Publizistik in Wilhelmshaven und noch einige Spezialinstitute für Publizistik. Nun, wenn diese Empfehlungen dem Ausbau der wissenschaftlichen Einrichtungen dienen, dann sollte doch diese sehr spärliche Erwähnung, dazu noch mit einer so einschränkenden Bezeichnung „Zeitungswissenschaft", hier einmal einer Prüfung unterzogen werden. Ich kann nur sagen, daß es sich um eine sehr unzureichende Charakterisierung handelt, andererseits aber um ein Problem, das nicht nur uns in diesem Hohen Hause, sondern ebenso selbstverständlich die Länder und vor allem die autonomen Hochschulen und Universitäten angeht; denn die Publizistik ist ja nun mittlerweile eine eigene Wissenschaft geworden. Sie hat eine eigene Theoretik entwickelt, die die Funktionsweise der Gesamtheit der publizistischen Mittel aufklärt, und sie hat vor allem in ihrem praktischen Teil eine Methodenlehre der publizistischen Arbeit aller Art sowie eine spezielle Verfahrenslehre für jedes einzelne publizistische Organ entwickelt.Diese Publizistik ist wichtig für unsere staatsbürgerliche Erziehung. Sie ist zum großen Teil die Voraussetzung für all das, was im öffentlichen Leben an politischer Erziehung geleistet wird. Die Bundeszentrale, die Politischen Akademien, die Staatsbürgerlichen Vereinigungen, sie alle greifen auf politisch gebildete Publizisten zurück, und ich darf darauf hinweisen, daß diese Publizistik mittlerweile für uns auch deshalb wichtig geworden ist, weil zahlreiche ausländische Studenten zu uns nach Deutschland kommen, um nicht nur das Handwerk der Massenmedien zu erlernen, sondern auch, um in die Forschung und Lehre der publizistischen Wissenschaften eingeführt zu werden. Da ist es doch sehr überraschend und zugleich beschämend für uns, daß zahlreiche dieser Studenten bei uns überhaupt keine Möglichkeit des Studiums finden, daß jedenfalls diejenigen, die das Handwerk der publizistischen Massenmedien erlernen wollen, keine Möglichkeiten dazu in Deutschland haben.Hier müssen wir feststellen, daß diese Studenten z. B. in die Ostzone abwandern, wo sie an der KarlMarx-Universität in Leipzig eine vollausgebildete Fakultät für Publizistik vorfinden, die sich schon im Jahre 1958 gerühmt hat, über einen Millionen-Etat zu verfügen, und die unter anderem 5 Professoren, 7 Dozenten, 5 Lektoren, 6 Oberassistenten, 28 Assistenten, insgesamt 60 wissenschaftliche Kräfte, außer 55 weiteren Arbeitern und Angestellten beschäftigt.In den Statuten dieser Fakultät ist etwas gesagt, was sicherlich zum Teil auch auf uns zutreffenkönnte, jedenfalls auf das Bildungsziel dieser wissenschaftlichen Einrichtung. Da heißt es, der Journalist solleein Höchstmaß an Kenntnissen und politischem Bewußtsein mit Ideenreichtum, schöpferischer Initiative und mitreißender Gestaltungskraft verbinden.Meine Damen und Herren, ich will hier nicht alle einzelnen Zahlen über das nennen, was heute auf diesem Gebiet sowohl in der romanischen als auch in der angelsächsischen Welt geschieht. Tatsache ist jedenfalls, daß wir doch sowohl den Wissenschaftsrat als auch die Länder und die Universitäten bitten sollten, dem Gebiet der Publizistik sehr große Beachtung zu widmen und dafür zu sorgen, daß sie in Zukunft endlich jene Stellung im Kreise der Wissenschaften an den deutschen Hochschulen erringt, die sie verdient. Es ist zweifellos, wie es Erich Feldmann einmal festgestellt hat, ein gewisses Mißtrauen in der gelehrten Welt gegen die Wissenschaft der Publizistik zu verzeichnen, ein Mißtrauen, das nur aus alten Vorurteilen erklärt werden kann. Er bezeichnete diese Priviligierung der Geisteskultur als das „humanistische Vorurteil". Es heißt dort weiter:Die Weigerung des Menschen, seinen Geist zur Regelung seines Lebens einzusetzen, ist in der Medizin überwunden, wo es um die Selbsterhaltung der leidenden Person geht. Sie muß der Einsicht Platz machen, daß auch für die Selbsterhaltung der Gesellschaft in einer vernünftigen Daseinsordnung der Geist verantwortlich bleibt und die Macht regulieren muß. ... Zu den geistigen Kräften, die auf das kulturelle Leben und Schaffen der Menschheit einwirken, gehören die Großmächte der Kommunikationsmittel Presse, Rundfunk, Fernsehen, Film. Ihrer Erforschung und Gestaltung muß sich zu ihrem Teile die Publizistik widmen, die damit zur sittlichen und kulturellen Lebensordnung aufgerufen ist. Die gewaltige geistige Rüstung der totalitären Mächte zur Beeinflussung und Lenkung der Massen durch Druck- und Bildkünste sollte uns endlich bestimmen, ihr eine eigene publizistische und kulturelle Rüstung entgegenzusetzen.Ich möchte daher hier der Meinung Ausdruck geben, daß es an der Zeit ist, daß sich der Wissenschaftsrat mit den Massenmedien beschäftigt und daß er ihnen endlich den Platz an den Universitäten sichert, den wir ihnen aus wissenschaftlichen und politischen Gründen gesichert sehen wollen.Es sei an dieser Stelle auch noch dem Bundesinnenministerium dafür gedankt, daß es bisher in sehr verständnisvoller Weise Forschungsaufgaben aus dem Gebiet des Films und des Fernsehens unterstützt hat.
Keine weiteren Wortmeldungen; ich komme jetzt zu den Abstimmungen. Wir werden zunächst mit der Wiederholung der Abstimmung über den Änderungsantrag Umdruck 790 Ziffer 2 beginnen. Die Begründung ist erfolgt, die Aussprache ist abgeschlossen. Das Haus
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8432 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 148. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1961
Präsident D. Dr. Gerstenmaierist über der Abstimmung über diesen Änderungsantrag auseinandergegangen.Für den, der sich notieren möchte, wie weiter verhandelt wird, sage ich folgendes: Zunächst also ohne weitere Debatte direkte Abstimmung über den Antrag Umdruck 790 Ziffer 2. Es folgt der Antrag Umdruck 804. Er ist begründet, aber die Aussprache ist noch offen. Dann geht es weiter mit den Anträgen auf den Umdrucken 790 Ziffer 3, 799 , 790 Ziffer 4 und 790 Ziffer 5.Zunächst zur Abstimmung über den Antrag Umdruck 790 Ziffer 2. Wer diesem Änderungsantrag der Fraktion der SPD zustimmen will, gebe bitte ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Änderungsantrag Umdruck 790 Ziffer 2 ist abgelehnt.Jetzt kommt der Änderungsantrag Umdruck 804 der Fraktion der CDU/CSU; Herr Abgeordneter Dr. Stoltenberg hat ihn begründet. Ich gebe das Wort Herrn Abgeordneten Dr. Schäfer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sie haben soeben unseren Antrag abgelehnt. Was Sie mit Ihrem Antrag Umdruck 804 einleiten wollen, können wir unter keinen Umständen billigen. Es ist gar nichts anderes als der Versuch, die Stipendienregelung des Honnefer Modells in eine Darlehensregelung umzumodeln. Sie selbst sagen gleich eingangs, ein Teil betrag von 4 Millionen DM aus den für das Honnefer Modell zur Verfügung stehenden Mitteln solle dafür verwendet werden. Ich darf daran erinnern, daß wir im Haushaltsausschuß über dieses Problem gesprochen haben. Ich darf daran erinnern, daß die Sätze von 200 auf 245 DM erhöht wurden. Wir hatten damals den Antrag gestellt, schon für das Wintersemester die erhöhten Sätze zu bewilligen. Die Mehrheit des Hauses hat, obwohl die Mittel zur Verfügung standen, dem nicht entsprochen. Demgemäß sind die Studenten für das Wintersemester 1960/61 nicht in den Genuß der erhöhten Sätze gekommen, sondern können sie frühestens zum Sommersemester bekommen; ein außerordentlich bedenkliches Verhalten der Mehrheit dieses Hauses!
Nun hat Herr Kollege Stoltenberg vor wenigen Tagen eine Pressekonferenz oder eine Presseverlautbarung gemacht, und da wird es nun so dargestellt, als ob man jetzt sogar noch etwas Zusätzliches tun wolle, indem man über das Honnefer Modell hinaus noch Darlehen geben wolle. Genau das Gegenteil tut man. Man baut das Honnefer Modell ab und wandelt es in Schulden für den Studenten um.
Wir haben heute — das kommt durchaus richtig an, meine Damen und Herren von der CDU/CSU — vom Verband Deutscher Studentenschaften ein Telegramm bekommen, das ich mit Genehmigung des Herrn Präsidenten vorlesen darf:
Sehr geehrter Herr Abgeordneter!
Wir dürfen Sie von dem am Abend des 8. März
von der Mitgliederversammlung des Verbandes
Deutscher Studentenschaften einstimmig gefaßten Beschluß unterrichten und Sie um Ihre Unterstützung bitten. Anläßlich der zweiten Lesung des Haushalts 1961 im Deutschen Bundestag protestiert der Verband Deutscher Studentenschaften gegen die Pläne der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, statt der bereits im Haushaltsjahr 1961 dringend notwendigen Erhöhung der Bemessungsgrundlage für die Studentenförderung nach dem Honnefer Modell eine zusätzliche Darlehensvergabe einzuführen. Der Verband Deutscher Studentenschaften weist darauf hin, daß er bereits genau begründete Vorschläge zu dieser als erforderlich anerkannten Maßnahme vorgelegt hat. Der Verband Deutscher Studentenschaften weiß sich in dieser Forderung einig mit der Westdeutschen Rektorenkonferenz und dem Wissenschaftsrat.
Meine Damen und Herren! Die Bemessungsgrundlage für das Honnefer Modell bedarf der Revision. Man hat, grobgesagt, ungefähr den dreifachen Richtsatz des Fürsorgerichtsatzes zugrunde gelegt. Durch das Anheben der Löhne und Gehälter ist nun ein Teil der Angehörigen der Familien nicht mehr in den Genuß der Stipendien gekommen. Statt 19 % der Studenten werden jetzt nur noch 15% gefördert. Sie sind nun offensichtlich der Meinung, daß es durchaus richtig ist, die Stipendien abzubauen. Wenn wir das tun, dann tun wir es im Gegensatz zu allen anderen europäischen Kulturnationen, bei denen es eine Ehre ist, Stipendiat zu sein, und bei denen man sich bemüht, möglichst viele auf diesem Wege noch zusätzlich zum Studium zu bringen.
Hier geht es um die sogenannten Mittelschichten, meine Damen und Herren, um die Mittelschichten, die nach ihrem Einkommen und nach den Richtsätzen des Honnefer Modells nicht in den Genuß der Stipendien kommen können. Unser Antrag, den Sie abgelehnt haben, geht ganz genau darauf hinaus, diesen Mittelschichten zu helfen, indem die Sätze im Wege der Richtlinien ungefähr so aussehen sollen, wie Sie hier in Ihrem Antrag sagen. Aber der grundsätzliche Unterschied ist der, daß wir der Auffassung sind, daß es zusätzlich geschehen soll und nicht zum Abbau des Honnefer Modells und der Studienförderung. Deshalb bitten wir Sie, den Antrag nicht anzunehmen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Stoltenberg.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben, wie schon erwähnt wurde, gestern im Rahmen der allgemeinen Aussprache und bei der Behandlung des Antrages der SPD dieses Problem erörtert; aber ich glaube, die Ausführungen des Herrn Kollegen Schäfer machen eine Klarstellung und eine Richtigstellung in einigen Punkten erforderlich. Zweifellos — darin sind wir uns einig — wird mit diesem Antrag eine Frage von grundlegender Bedeutung für die Entwicklung der Ausbildungsbeihilfen im allgemeinen und der Studienförderung im besonderen be-
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 148. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1961 8433
Dr. Stoltenbergrührt. Aber worum geht es? Es geht doch nicht darum, etwas zu demontieren oder abzubauen und zurückzudrehen, sondern es geht darum, daß wir einen neuen Kreis in eine Förderung einbeziehen wollen, die auch den besonderen Gegebenheiten und Voraussetzungen dieses Kreises gerecht wird, eine Gruppe, die bisher nicht gefördert wurde.
Hier — das möchte ich betonen — ist unseres Erachtens im Gegensatz zu der jetzt gültigen Form der allgemeinen Studentenförderung die Voraussetzung für eine Förderung unter dem Gesichtspunkt des Darlehens absolut gegeben.
Es handelt sich — das erkennen Sie, wenn Sie die Zahlen nachlesen, die unser Antrag wiedergibt — um Studierende aus den mittleren Einkommensgruppen, bei denen ganz zweifellos — das zeigen alle wissenschaftlichen Untersuchungen, die auch Sie, Herr Kollege Schäfer, durchaus kennen — eine stärkere Leistungsfähigkeit und erfreulicherweise auch Leistungswilligkeit der Familien vorausgesetzt werden kann.Ihre Ausführungen haben klargemacht, daß es hier Mißverständnisse gibt, vielleicht auch bei dem einen oder anderen ein Nichtverstehenwollen. Denn es kann überhaupt nicht die Rede davon sein, daß das Honnefer Modell, über das ich aus diesem Grunde auch ,gar nicht weiter zu sprechen brauche, durch diesen Antrag irgendwie berührt wird. Die allgemeine Studienförderung nach den geltenden Richtlinien bleibt so bestehen, wie sie bisher praktiziert wurde und wie wir sie auch in den Beschlüssen der zuständigen Parlamentsausschüsse — etwa durch die Erhöhung der Stipendiensätze — jetzt erneut bekräftigt haben.
— Die Bemessungsgrundlage bleibt so bestehen, wie sie bisher gegeben ist. Ich darf darauf verweisen, daß im Gegensatz zu Ihren Ausführungen, Herr Kollege Schäfer, dem Haushaltsausschuß keine formulierten Anträge zugegangen sind, diese Grundlage zu verändern.Nun sind hier Telegramme vorgelesen worden. Auch ich habe Telegramme und Stellungnahmen erhalten. Wir nehmen Stellungnahmen von Verbänden entgegen. Aber ich mußte doch während Ihrer Ausführungen an einen Hinweis unseres verehrten Vorsitzenden im Haushaltsausschuß, des Kollegen Schoettle, denken, der während der Ausschußberatungen bei einem anderen Punkt davor gewarnt hat, in solchen Finanzberatungen die Verbände allzusehr zu strapazieren.
Ich glaube, dieser Grundsatz sollte auch hier im Plenum des Bundestages gelten.
Worum geht es? Es geht um den Tatbestand, daß nach der Regierungsvorlage 20 Millionen DM mehr als im Vorjahr für die Aufgabe der Studienförderung veranschlagt sind. Der Ansatz im Haushalt des Bundesinnenministeriums hat sich gegenüber 1959 verdoppelt. Ich frage mich wirklich, ob man bei einer solchen Entwicklung des Betrags billigerweise von einer Demontage der Studienförderungsprechen kann.
Wir eröffnen hier einen neuen Weg, gestützt auf die bisherigen Erfahrungen, einen Weg, der den besonderen Gegebenheiten dieses Kreises, den wir zusätzlich fördern wollen, gerecht wird. Wir tun das — ich möchte das ausdrücklich betonen und brauche nicht das zu wiederholen, was ich gestern über die finanzielle Seite und auch über die Möglichkeit einer erneuten Überprüfung des Ansatzes sagte, falls es im Verlaufe des Jahres durch eine Regierungsvorlage im Haushaltsausschuß erforderlich werden sollte —, ohne das, was bisher geleistet wird, irgendwie anzutasten und in Frage zu stellen. Ich glaube, dieser Weg ist richtig. Dies ergibt sich auch, wenn wir die öffentliche Diskussion sowie die Debatten in manchen wissenschaftlichen Gremien und innerhalb der Universitäten selbst sorgfältig verfolgen.
Herr Abgeordneter Dr. Schäfer!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach dieser Erklärung des Herrn Kollegen Stoltenberg darf ich also feststellen, daß nach Auffassung der CDU/CSU an einen Abbau des Honnefer Modells nicht gedacht ist. Mehr als die Frage, ob es ein Teilbetrag ist, ist es uns ein Anliegen, daß die neue Gruppe mitgefördert werden kann. Deshalb werden wir nach diesen Erklärungen Ihrem Antrag zustimmen.
Das Wort hat der Abgeordnete Kreitmeyer.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es wird sicher nicht möglich sein, einen Kompromiß zu schließen. Aber es wird sicherlich möglich und nötig stein, daß wir in den Richtlinien und Erläuterungen, die zu dieser Vorlage erforderlich sind, noch einiges überprüfen. Ich habe versucht, mir bei den Antragstellern Weisheit und Rat zu holen. Dieser Versuch war nicht ganz erfolgreich. Ich habe dann versucht, die einschlägigen Dienststellen zu bekommen. Sie haben mir etwas Aufschluß geben können. Aber es wurde gleich gesagt: Wenn Sie jetzt im Plenum damit anfangen, in die Details zu steigen, versteht das doch wieder keiner.
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Kreitmeyer — Doch, Herr Stecker, auch Sie würden es trotz Verwaltungserfahrung nicht ganz begreifen. Ich bitte, doch zu überprüfen, ob wir es hinnehmen können, daß Alleinstehende so behandelt werden wie hier vorgesehen. Mir wurde bestätigt, daß es ein Witwer sogar noch schwerer hat als eine Witwe, daß aber auch einer Witwe unter Umständen die Wohltat, die wir beabsichtigen, nicht zugute kommt, weil sie vielleicht mit ihrem Einkommen die hier gesetzten Grenzen um 27 oder 37 DM überschreitet. Um der guten Sache zum Erfolg zu verhelfen, sollten geeignete Richtlinien erlassen werden. Wir würden dann zustimmen.
Keine weiteren Wortmeldungen! Abstimmung! Wer dem Antrag auf Umdruck 804 — Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enhaltungen? — Einstimmig angenommen.
Meine Damen und Herren, bevor wir fortfahren, muß ich eine ganz traurige Mitteilung machen. Ich höre soeben von meinem Büro, daß bis jetzt 110 Urlaubsanträge für morgen vormittag eingegangen sind.
Das zwingt den menschenfreundlichsten und kollegialsten Präsidenten dazu, diese Urlaubsanträge zu prüfen. Schließlich habe ich dafür zu sorgen, daß das Hohe Haus mit dieser seiner vornehmsten Aufgabe zu rechter Zeit fertig wird.
Alles, was links und rechts liegt, muß zurücktreten. Schließlich hat jeder ein Mandat übernommen, das nach dem Artikel 38 des Grundgesetzes auf seinem Gewissen steht. Dazu gehört, daß man sich in Gottes Namen bei der Haushaltsberatung vor allem hierher verpflichtet fühlt.
Ich bedaure also, sagen zu müssen, daß, wenn diese Urlaubsanträge nicht zum großen Teil wieder zurückgenommen werden, ich dann wahrscheinlich in den sauren Apfel werde beißen und prüfen müssen, ob der Präsident überhaupt frei ist, den Anträgen in Bausch und Bogen zu entsprechen. Das war seither die allzu großzügig geübte Praxis. Ich bitte um Verständnis für diesen Vorschlag, meine Damen und Herren — ich tue es ungern —, aber ich sehe keine andere Möglichkeit. Vor allem würde ich doch bitten, schon einmal gestellte Urlaubsanträge zu prüfen und nach Möglichkeit zurückzunehmen.
Jetzt geht es weiter. Es kommt der Änderungsantrag auf Umdruck 790 Ziffer 3. Zur Begründung Herr Abgeordneter Reitzner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundestagsfraktion der Sozialdemokratischen Partei stellt den Antrag, Titel616 g) 1 — Deutsche Künstlerhilfe — auf 600 000 DM zu erhöhen. Gestatten Sie mir einige erklärende Bemerkungen.Die Deutsche Künstlerhilfe wurde von Professor Heuß 1953 während seiner Amtszeit als Bundespräsident ins Leben gerufen, um Schriftstellern, Künstlern und Komponisten zu helfen, die sich um das deutsche Kulturschaffen Verdienste erworben haben und in Not geraten sind. Die Mittel der Deutschen Künstlerhilfe setzen sich zusammen aus Mitteln des Bundes — bis jetzt 100 000 DM im Haushalt des Innenministeriums, Titel 616 g) 1 —, aus Mitteln in Höhe von 100.000 DM der Länder, aus Verfügungsmitteln des Bundespräsidenten — das waren von 1953 bis 1960 315 000 DM — und aus privaten Spenden sowie aus Spenden der Rundfunkanstalten. Die Vorschläge werden dem Herrn Bundespräsidenten von unabhängigen Gremien bei den Landeskultusministerien gemacht. Danach entscheidet der Herr Bundespräsident. Die Mittel reichen jedoch nicht dazu aus, die dringendsten Notfälle u lindern.Das Problem bei diesem Personenkreis besteht nicht allein darin, daß die Leute alt, arbeitsunfähig werden, daß sie nicht mehr arbeiten können. Schwierig wird die Sache, weil hier ,die Qualitätsfrage eine Rolle spielt; es besteht sozusagen eine Verbindung mit der gesamten kulturellen und künstlerischen Entwicklung in der Bundesrepublik. Was die Schriftsteller, Künstler, Komponisten schaffen, unterliegt dem Urteil der Öffentlichkeit. Die Öffentlichkeit billigt ein Werk, lobt es, lehnt es ab oder verdammt es sogar. Da sich das gesamte Kultur-und Kunstleben in unserem Lande in einer ständigen Entwicklung befindet, wandelt sich auch das Urteil der Öffentlichkeit über das Werk eines Schriftstellers, Künstlers oder Komponisten. Das führt in vielen Fällen dazu, daß ein Werk schließlich als überholt, als nicht mehr gut, als nicht mehr modern betrachtet wird. Damit wird es in der öffentlichen Meinung wertlos. Es kann dabei von hohem Werte sein. Es wird aber wirtschaftlich ergebnislos. Das ist ein schlimmer Tatbestand. Das wirkt sich dann nicht nur auf das Werk, sondern auch auf die soziale Lage des Schriftstellers oder Künstlers aus. Ihm wird nun sein Bestes nicht mehr anerkannt. Er kann dadurch in Not geraten. Dann ist jedoch die Gemeinschaft verpflichtet, helfend einzuspringen.Trotz aller kulturellen Werte, die geschaffen werden und entstehen, ist die erstaunliche und betrübliche Tatsache festzustellen, daß sich viele Schriftsteller und Künstler schuldlos in einem fortwährenden wirtschaftlichen Dilemma befinden, ja daß sogar ihre Existenz gefährdet ist. Diese Frage beschäftigt meine politischen Freunde schon seit langem. Es muß doch möglich sein, daß jenem, der sich dem Wagnis kulturellen Schaffens aussetzt, wenigstens die ärgste Not erspart wird, wenn er alt wird.Mit Rücksicht auf die Kürze der Zeit will ich nur einige Fälle stellvertretend für viele hundert in der Bundesrepublik anführen. Ein anerkannter Berliner Schriftsteller schreibt:Ich bin erkrankt, zwei meiner Kinder liegenebenfalls erkrankt darnieder. Es ist mir schwer,
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 148. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1961 8435
Reitznermeine Kinder in die Schule zu schicken. Ich habe oft nicht das Geld für die Schuhsohlen, und es langt nicht für die Kohlen und morgen schon vielleicht nicht mehr für die Haferflocken.Oder ein bekannter Tierbildner schreibt:Glauben Sie mir, wenn ich Ihnen sage, ich bin 75 Jahre alt und in großer Not.Eine in vielen Ausstellungen bewährte Malerin schreibt:Gott sei Dank, daß Sie mir geholfen haben. Das Geld aus der Deutschen Künstlerhilfe brauche ich dringend für Kohlen.Das sind stellvertretend nur einige Beispiele für eine große Zahl von notleidenden Schriftstellern und Künstlern.Aber auch mit stark verbesserten Hilfsmaßnahmen, auch mit den Erhöhungen, die wir in unserem Antrag fordern, dem das Hohe Haus, wie ich zu hoffen wage, zustimmen wird, sind die sozialen Existenzfragen des Personenkreises der frei schaffenden Schriftsteller, Künstler und Komponisten noch nicht gelöst. Ich teile nicht die Auffassung, daß die Unsicherheit des Lebens die stärksten Impulse schöpferischen Wirkens in sich berge. Im Gegenteil, Elend und Not sind oft von tödlichen Folgen. Man sollte diese Fragen nicht so behandeln, wie es in der deutschen Öffentlichkeit und in der deutschen Presse geschehen ist. Ich meine hier z. B. einen Artikel der Deutschen Zeitung vom Mai vorigen Jahres, in dem man mich gefragt hat: Will der Herr Reitzner vielleicht, daß Mozart und Schubert mit dem Krankenschein nach Gastein gehen? Jawohl, wenn Mozart heute lebte, wäre es vielleicht gut für ihn gewesen, wenn er nach Gastein hätte gehen können; er hätte vielleicht länger gelebt.Jetzt soll als Zwischenlösung — darum bitte ich — der Betrag für die Deutsche Künstlerhilfe auf 600 000 DM erhöht werden. Aber wir sollten bemüht sein, nach der Zwischenlösung eine Dauerlösung, wenn diese möglich ist, zu finden. Die Bundesregierung wäre gut beraten, wenn sie diesem Hause bald einen Gesetzentwurf für die Alterssicherung freischaffender Schriftsteller, Künstler und Komponisten vorlegte, damit auch dieses Problem seiner notwendigen menschlichen und kulturellen Lösung zugeführt werden kann. Inzwischen bitte ich, unserem Antrag zuzustimmen.
Wird das Wort zu dem Antrag gewünscht? — Bitte, Herr Abgeordneter Conring hat das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Frage der Künstlerhilfe ist im Haushaltsausschuß eingehend behandelt worden. Wir haben uns dem Anliegen, das wir durchaus für berechtigt halten, in keiner Weise verschlossen. Es ist nun aber nicht so, daß es allein eine Angelegenheit des Bundes sei, sondern die Künstlerhilfe beginnt bekanntlich bei den Kommunen, vor allem bei
den großen Städten, geht dann zu den Ländern und endet in der „Künstlerhilfe" in Bonn.
Wir haben den Zuschuß für die Künstlerhilfe in diesem Jahr zunächst einmal verdoppelt, von 100 000 DM haben wir ihn auf 200 000 DM gesetzt. Wir haben bei der Erörterung im Haushaltsausschuß aber auch gehört, daß aus den Restmitteln, die der Herr Bundespräsident verwaltet, eine halbe Million D-Mark, jahraus jahrein größere Ausschüttungen an die Künstlerhilfe erfolgen, die bisher im großen und ganzen den Zweck erreicht haben, der mit der Künstlerhilfe beabsichtigt war. Ich bitte Sie daher, den Antrag auf Erhöhung dieses Titels abzulehnen.
Das Wort hat der Abgeordnete Reitzner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich muß einige Äußerungen des Herrn Vorredners korrigieren. Es ist nicht richtig, daß die Mittel beim Bundespräsidialamt zur Verfügung des Herrn Bundespräsidenten ausreichen. Im Gegenteil, ich sage das jetzt mit allem Freimut: Das Bundespräsidialamt hat uns, auch mir und dem Kulturpolitischen Ausschuß, mit aller Deutlichkeit mitgeteilt, daß die zur Verfügung stehenden Mittel bei weitem nicht ausreichen. Ich wollte auf diese Dinge wegen der Kürze der Zeit nicht eingehen, muß aber jetzt noch einige erklärende Bemerkungen machen.
Im letzten Jahr wurden ungefähr 600 freischaffende Schriftsteller, Künstler und Komponisten aus den Mitteln der deutschen Künstlerhilfe betreut. Jeder hat im Durchschnitt jährlich 1200 DM bekommen. Das bedeutet 100 DM im Monat und langt vorn und hinten nicht. Aber über die 600 hinaus sind noch Hunderte da, die nicht beteiligt werden konnten, weil die Mittel nicht gereicht haben. Das ist ein Tatbestand. Zweitens ist es ein Irrtum, zu glauben, daß das die einzige Gruppe von Künstlern, Schriftstellern und Komponisten ist, die betreut wird. Die Länder tun das ihrige für einen anderen Kreis, der, sagen wir, qualitativ anders eingestuft ist als diese in der Deutschen Künstlerhilfe Betreuten. Es ist also nicht so, daß die Länder nur die 100 000 DM für die Deutsche Künstlerhilfe beisteuern, sondern sie führen darüber hinaus bedeutende Hilfsmaßnahmen auf ihren Gebieten für einen anderen Personenkreis durch.
Wenn wir also menschlich und kulturell handeln wollen, wenn wir im Jahre 1961 nur die schlimmsten Notfälle lindern wollen, dann müßte der Betrag mindestens auf 600 000 DM erhöht werden, worum wir bitten. Das ist auch der einstimmige Beschluß des Ausschusses für Kulturpolitik und Publizistik.
Keine weiteren Wortmeldungen. Dann kommen wir zur Abstimmung. Wer dem Antrag Umdruck 790 Ziffer 3 zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Das ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.Wir kommen zu dem Änderungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FPD auf Umdruck 799
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8436 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 148. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1961
Vizepräsident Dr. Schmidzu Tit. 617. Wird dieser Antrag begründet? — Das ist nicht der Fall. — Das Wort wird nicht gewünscht.Dann kommen wir zur Abstimmung. Wer zustimmen will, der gebe das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Immerhin zwei Mitglieder, die den Mut hatten, dem Sport etwas zu verweigern. Das ist fast Mannesmut vor Fürstenthronen.
Der Antrag Umdruck 799 ist angenommen.Ich rufe auf den Antrag Umdruck 790 Ziffer 4 zu Tit. 646. Das Wort zur Begründung hat der Abgeordnete Ritzel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Namen meiner Fraktion bitte ich das Hohe Haus, bei dem Tit. 646 des Einzelplans 06 Kap. 06 02 den Vorjahresansatz von 1 424 000 DM wiederherzustellen. Es handelt sich hier um die Förderung des volksgesundheitlichen Bestrebungen und der Bekämpfung menschlicher Krankheiten. Aus diesen unzureichenden Mitteln wurden bisher mit im wesentlichen unzureichenden Beträgen unterstützt — um nur einige Beispiele zu nennen —: der Bundesausschuß für gesundheitliche Volksbelehrung, die Deutsche Vereinigung zur Bekämpfung der Kinderlähmung, die Deutsche Zentrale für Volksgesundheitspflege, der Zentralausschuß für Krebsbekämpfung und Krebsforschung. Es werden daraus finanziert die Mittel für die Bekämpfung der Suchtgefahren, der Beitrag zum Deutschen Zentralkomitee zur Bekämpfung der Tuberkulose, der Zuschuß an die Robert-Koch-Stiftung usw.
Ende des Rechnungsjahres 1960 hat sich ergeben, daß für den Deutschen Diabetikerbund, der 500 000 Diabetiker in der Bundesrepublik betreut, mit Mühe und Not noch 10 000 DM zusammengekratzt werden konnten dank der Hilfe der Beamten des Bundesministers des Innern, die in allen Ecken gesucht haben. Für dieses Jahr ist für diesen Bund — um nur dieses Beispiel noch einmal zu behandeln — überhaupt nichts vorgesehen.
Wenn wir diese Erhöhung beschließen, werden dem Bundesminister des Innern 98 000 DM mehr für derartige Zwecke zur Verfügung stehen. Ich glaube, daß die Förderung der deutschen Volksgesundheit dieses kleine Opfer von 98 000 DM — Erhöhung auf den Vorjahresbetrag — wirklich wert ist, ohne daß ich dazu viele Worte verlieren muß. Es ist ein Anliegen aller Fraktionen, so hoffe ich; dementsprechend bitte ich um Ihre Zustimmung.
Wird das Wort zu diesem Antrag gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Dann stimmen wir ab. Wer dem Antrag Umdruck 790 Ziffer 4 zustimmen will, der gebe das Handzeichen. — Gegenprobe! — Das letzte ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Ich rufe auf den Änderungsantrag Umdruck 790 Ziffer 5 zu Tit. 973. Zur Begründung hat das Wort Frau Abgeordnete Renger.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich darf mir erlauben, meine große Freude darüber zu äußern, daß dieses Hohe Haus sich in seiner Gesamtheit so positiv zu den Bemühungen verhält, dem außerordentlichen Notstand auf dem Gebiete der Leibeserziehung und der Volksgesundheit zu begegnen. Die eindringlichen Appelle in diesem Parlament haben diese Einstellung sicherlich beflügelt, und auch die ausgezeichnete Aufklärungsarbeit der Deutschen Olympischen Gesellschaft und des Deutschen Sportbundes hat mit dazu geführt, daß die Haushaltsansätze für diesen Titel von Jahr zu Jahr gestiegen sind. Auf der letzten Jahresversammlung des Deutschen Sportbundes in Düsseldorf haben alle Sprecher der in diesem Hause vertretenen Fraktionen erklärt, die mit dem Goldenen Plan für Gesundheit, Spiel und Erholung gesteckten Ziele zu unterstützen, und wir hatten auch das Vergnügen, daß sich der Herr Bundeskanzler dazu bekannt hat.
Als Zuschuß des Bundes für diese Aufgaben wäre für das Jahr 1961 ein Betrag von 30 Millionen DM notwendig, um in etwa 15 Jahren im gesamten Bundesgebiet ausreichende Sport-, Spiel- und Freizeitstätten zu schaffen, die für die Gesunderhaltung unseres Volkes wirklich von höchster Bedeutung sind. Im Haushaltsentwurf ist leider nur der Betrag von 20 Millionen DM vorgesehen. Würde das Hohe Haus dieser Vorlage entsprechen, kämen wir gleich zu Beginn bei der Verwirklichung dieses Planes in große Schwierigkeiten, die sich von Jahr zu Jahr noch vermehren würden, weil wir dann ja immer noch entsprechend höhere Ansätze ausbringen müßten.
Sie wissen, daß diese Bewilligungen durch den Bundestag gute Ergebnisse im Sportstättenbau gebracht haben. Länder und Gemeinden haben sich verpflichtet gefühlt, in ihre Haushalte entsprechende Mittel einzusetzen, und es sind eine Reihe Turn-und Sportstätten entstanden, die ohne diese Spitzenfinanzierung nicht möglich gewesen wären. Um diesen Anreizfonds, um den es sich ja handelt, noch wirksamer zu machen — und ich möchte ausdrücklich erwähnen, daß es sich nicht um ein Wahlgeschenk an irgendeine Gruppe handelt, sondern um eine Maßnahme, die dem ganzen Volke dienen soll —, bitte ich sie herzlich, diesen Ansatz um 10 Millionen DM zu erhöhen, also 30 Millionen DM einzusetzen. Es geht hier nicht nur um die Bekundung des Willens, für diese Ziele einzutreten, sondern man muß sie auch finanziell untermauern. Deswegen bitte ich Sie herzlich, unserem Antrag zuzustimmen.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Josten.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Renger erwähnte den Bundestag des Deutschen Sportbundes, der am 10. Dezember vorigen Jahres im Plenarsaal des Landtages in Düsseldorf getagt hat. Ich darf Ihnen sagen, daß es zutrifft, daß dort die anerkennenden Worte unseres Herrn Bundeskanzlers verlesen wurden und daß
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Jostenfür die Parteien unseres Hauses Herr Prof. Schmid, unser zur Zeit amtierender Präsident, Herr Dr. Mende von der FDP und unser Fraktionsvorsitzender, Herr Dr. Krone, gesprochen haben. Der Präsident und die führenden Damen und Herren des Deutschen Sportbundes haben bei dieser Gelegenheit die Bitte geäußert, daß das Haus für dieses Jahr einen Ansatz von 20 Millionen DM bewilligen möge. Selbst in dem letzten Schreiben, das wir am 1. März vom Deutschen Sportbund bekommen haben — es ging an die Abgeordneten im Kreis der Freunde des Sports im Deutschen Bundestag —, war keine Rede davon, daß dieses Jahr noch weitere 10 Millionen DM in Ansatz gebracht werden sollten. Sicherlich würden sie es vielleicht begrüßen, wenn wir weitere 10 Millionen DM dazugäben; aber ich muß sagen, daß die Damen und Herren in der Führung des Deutschen Sportbundes, unter der Führung von Herrn Präsidenten Daume; volles Verständnis dafür haben und daß sie sehr dankbar sind, wenn wir dieses Jahr die 20 Millionen DM bewilligen. Das bedeutet eine Erhöhung um 10 Millionen DM.Ich bitte Sie daher, meine Damen und Herren, diesen Antrag abzulehnen und es bei dem Ansatz von 20 Millionen DM zu belassen.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Kreitmeyer.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist hier vorgetragen worden, daß es sich um einen Gesamtaufbauplan handelt, der sich auf etwa 15 Jahre erstrecken wird. Andererseits ist hier doch wohl auch einzuräumen, daß die Anträge, die vorlagen, als im Haushaltsausschuß über diesen Titel verhandelt wurde, mit dem Betrag von 20 Millionen DM gedeckt werden können. Ich stehe natürlich nicht an, den Gedanken zu unterstützen, daß man nicht früh genug an die Endsumme der 15 Jahre herankommen kann. Ich möchte deshalb fragen, ob die Herren Antragsteller bereit wären, ihren Antrag dahin gehend zu modifizieren, daß für die weiteren 10 Millionen DM eine Bindungsermächtigung erteilt werden soll. Wir arbeiten auch bei anderen langfristigen, lange Jahre laufenden Projekten mit dem haushaltstechnischen Mittel der Bindungsermächtigung, um gegebene Möglichkeiten und Situationen auszunutzen. Nach Meinung der Fraktion der Freien Demokraten sollten wir auch bei diesem „Aufrüstungsplan" — in Anführungsstrichen natürlich nur — für Gesundheit, Körperertüchtigung und Freizeitgestaltung der Erwachsenen den gleichen Weg gehen. Ich schlage vor, eine Bindungsermächtigung für weitere 10 Millionen DM auszusprechen.
Das Wort hat der Abgeordnete Seidel .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit unserem Antrag auf Erhöhung um 10 Millionen DM wollen wir das Hohe Haus nur bitten, ein Versprechen des Bundeskanzlers, das er im August vorigen Jahres gegenüber Vertretern des
Deutschen Sportbundes gegeben hat, heute einzulösen. Im August vorigen Jahres war noch das Olympische Jahr, und da hat man natürlich noch große Worte für den Sport gesprochen. Das verstehe ich sehr gut. Es sollte aber mindestens ein gegebenes Wort auch gehalten werden. Der Herr Bundeskanzler hat damals in der erwähnten Besprechung den Vertretern des Deutschen Sportbundes gesagt: „Überlassen Sie es meiner Sorge und meinem Einfluß, alles Mögliche zu tun. Wir machen einen großen Schritt vorwärts!" Der große Schritt vorwärts sollte sein: 30 Millionen DM im Jahre 1961, damit entsprechend dem „Goldenen Plan" die ersten Schritte des langen Weges getan werden können. Man sollte heute dem Herrn Bundeskanzler nicht in sein Wort fallen, sondern hier im Hohen Hause sein Versprechen einlösen. Dazu ist also dieser Antrag gestellt.
Herr Kollege Kreitmeyer hat angeregt, bezüglich dieser 10 Millionen DM den Weg der Bindungsermächtigung zu gehen. Wenn es Ihnen leid tut, jetzt gleich die 10 Millionen DM so auszuweisen, sind wir gern bereit, diesem Vermittlungsvorschlag zuzustimmen, damit in der Sache selbst kein Schaden entsteht.
Darf ich fragen: Ändern Sie Ihren Antrag entsprechend ab?
— Also ein Eventualantrag?
— Wollen Sie also Ihren Antrag zunächst lassen, wie er ist?
Das Wort hat der Abgeordnete Conring.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf zunächst daran erinnern, daß der Sporttitel des Bundeshaushalts in den Jahren 1958 und 1959 jeweils 5 Millionen DM betragen hat. Er ist im vorigen Jahr auf 10 Millionen DM erhöht worden. Das Wort des Bundeskanzlers,, welches hier soeben apostrophiert wurde, ist durchaus gehalten worden dadurch, daß der Titel von 10 Millionen DM in diesem Jahr auf 20 Millionen DM verdoppelt worden ist. Das ist eine nicht ganz unbeträchtliche Leistung. Und wenn Sie dann bitte daran denken wollen, daß nach dem Goldenen Plan Gemeinden, Gemeindeverbände und Länder — die ja bekanntlich nicht gerade unter Finanznöten leiden— ihre Mittel für den Sport auch verdoppeln könnten, so. werden Sie zugeben, daß dann für den Goldenen Plan in diesem Jahr schon eine ganze Menge Geld zusammenkommt.Im übrigen möchte ich darauf aufmerksam machen, daß während der Verhandlungen im Haushaltsausschuß, in welchem diese Position gründlich behandelt worden ist, weder von der SPD noch von der FDP ein Erhöhungsantrag gestellt worden ist, sondern daß beide der Vorlage der Regierung —
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Dr. Conringder Erhöhung auf 20 Millionen DM — zugestimmt haben. Es kommt mir etwas eigentümlich vor, daß man ausgerechnet im Plenum mit solchen Anträgen kommt.Ich bitte, beide Anträge abzulehnen.
Wird weiter das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Wir kommen zur Abstimmung. Ich lasse zunächst über den Antrag Umdruck 790 Ziffer 5 abstimmen, und zwar so, wie er ursprünglich gestellt worden ist. Wer zustimmen will, gebe bitte das Handzeichen. — Gegenprobe! Das ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Herr Dr. Schäfer, stellen Sie einen Eventualantrag? — Bitte!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Unser Antrag würde dann wie folgt lauten: „In Tit. 973 — für die Spitzenfinanzierung des Baues von Turn- und Sportstätten — wird neben dem Ansatz von 20 Millionen DM eine Bindungsermächtigung von 10 Millionen DM ausgebracht."
— In den Erläuterungen.
Wer diesem Antrag zustimmen will, gebe das Handzeichen. — Gegenprobe! — Das ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Ich rufe dann auf den Antrag Umdruck 779 zu Tit. 101. Wird er begründet? — Das Wort hat Herr Abgeordneter Bucher.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bitte um die Erlaubnis, sogleich den Antrag Umdruck 780 zu Kap. 06 04 — Oberbundesanwalt beim Bundesverwaltungsgericht in Berlin — mitzubegründen.
Der Rechtsausschuß ist sich über diese beiden Anträge einig gewesen. Beim ersten Antrag geht es darum, dem Bundesverwaltungsgericht in Berlin eine zusätzliche Richterstelle zuzubilligen. Der Präsident dieses Gerichts ist sehr stark durch Verwaltungsaufgaben in Anspruch genommen, was ihn weithin daran hindert, seine eigentliche richterliche Funktion auszuüben. Die zusätzliche Richterstelle soll vor allem dazu dienen, die Verwaltungsaufgaben auf mehr Köpfe zu verteilen.
Beim zweiten Antrag — Umdruck 780 — geht es darum, die Regierungsvorlage wiederherzustellen. Die Regierungsvorlage sah eine Planstelle der Besoldungsgruppe A 15 vor, während der Haushaltsausschuß diese Stelle auf A 14 heruntergesetzt hat.
Ich kann zu diesem Punkt unbefangen sprechen, weil ich selber an sich die Institution des Oberbundesanwalts abgelehnt habe. Aber nachdem sie nun einmal besteht, muß natürlich dieser Institution Gelegenheit gegeben werden, zu arbeiten und zu wirken. Ich muß offen sagen: das kann der Oberbundesanwalt mit seiner gegenwärtigen Besetzung nicht. Er ist nur in der Lage, sich an etwa 5 bis 10 % aller Fälle zu beteiligen, die vor das Bundesverwaltungsgericht kommen, während er, wenn er sein Amt wirklich sachgemäß ausübt, es bei 25 bis 35 % aller Fälle tun sollte.
Nun können Sie natürlich sagen: Ob es sich hier um A 15 oder A 14 handelt, das ändert nichts an der Möglichkeit, sich zu beteiligen. Der Antrag ist aber sozusagen auch nur ein Hinweis darauf, daß man in Zukunft die Behörde des Oberbundesanwalts personell etwas besser ausstatten sollte. Deshalb möchten wir schon in diesem Haushalt nicht, daß gegenüber der Regierungsvorlage noch weiter zurückgegangen wird.
Ich bitte, den beiden Anträgen zuzustimmen.
Dais Wart hat der Abgeordnete Conring.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei der Erörterung der Personalangelegenheiten ist der Haushaltsausschuß in diesem Jahre weitherzig gewesen. Ihnen ist vielleicht bekannt, daß insgesamt — außer dem zivilen Sektor des Verteidigungsministeriums — rund 2200 neue Stellen bewilligt worden sind. Davon entfallen auf Beamte etwa 400 und auf Angestellte etwa 1600 Stellen; der Rest sind Arbeiterstellen.Der Haushaltsausschuß hat sich zu dieser ihm nicht sehr leichtfallenden Entscheidung hin durchgerungen, weil er sich in zwei der letzten drei Jahre auf Grund der „Überrollung" zu einer zurückhaltenden Beurteilung hatte entschließen müssen und weil sich deshalb ein Personalbedarf angestaut hatte, dem jetzt Rechnung getragen worden ist.Ich wollte damit zum Ausdruck bringen, daß der Haushaltsausschuß die jetzige Situation im Personalkörper durchaus geprüft und sachlich erörtert hat. Er hat den Notwendigkeiten der Verwaltung in einer Weise Rechnung getragen, die sich jeweils nach Prüfung durch den Bundesfinanzminister, durch den Beauftragten für die Wirtschaftlichkeit der Verwaltung, durch das Ressort und durch den jeweiligen Berichterstatter ergeben hat.Meine Damen und Herren, hier sind jetzt vom Rechtsausschuß Anträge gestellt worden nicht nur zum Einzelplan 06, sondern auch zum Einzelplan 11, die Richterstellen sowohl beim Bundesverwaltungsgericht in Berlin wie beim Bundessozialgericht in Kassel zu erhöhen. Wir sind der Auffassung, daß es nicht gut wäre, wenn diesen Anträgen stattgegeben würde. Diese Anträge haben den Haushaltsausschuß gar nicht beschäftigen können, weil sie nicht vorgelegt wurden. Ein solches Anliegen steht weder in der Regierungsvorlage, noch ist es von irgendeiner anderen Stelle an uns herangebracht worden. Wenn .sich dadurch eine zwingende Notwendigkeit ergeben hätte und uns ein Antrag vorgelegt worden wäre, hätten wir einem solchen Antrag sicher das notwendige Gehör geschenkt. Jetzt aber im Plenum des Bundestages mit einem solchen Antrag zu erscheinen und in dem einen Fall eine, in dem ande-
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Dr. Conringren Fall zwei Richterstellen mehr zu beantragen, ohne daß das Finanzministerium, ohne daß der Beauftragte für die Wirtschaftlichkeit der Verwaltung, ohne daß der Berichterstatter Gelegenheit hatte, diese Angelegenheit zu prüfen, das scheint mir wirklich kein guter Weg zu sein.
Wenn wir in Personalangelegenheiten bzw. in Stellenangelegenheiten — denn wir beschäftigen uns im Haushaltsausschuß ja nur mit Stellen, nicht mit den Stelleninhabern — dahin kommen wollten, daß hier im Plenum, von welcher Seite auch immer, bei den Einzelplänen Personalvermehrungen vorgeschlagen werden, die von den zuständigen Stellen der Regierung und vom Parlament selbst, nämlich im Haushaltsausschuß und von dessen Berichterstatter, und vom Bundesrechnungshof nicht überprüft werden, so würden wir einen schlechten Weg einschlagen. Deshalb darf ich Sie dringend bitten, beide Anträge abzulehnen.Die Haushaltsverhandlungen der Ressorts für das kommende Jahr 1962 beginnen, glaube ich, im nächsten Monat. Dann wird Gelegenheit sein, diese Anträge für den Etat 1962 anzumelden und nach allen Richtungen zu prüfen. Wenn sie berechtigt sind, kann ihnen stattgegeben werden. Den Anträgen aber ohne eine Prüfung stattzugeben, das müssen wir vom Haushaltsausschuß allgemein ablehnen.
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Keine weitere Wortmeldung. Wir kommen zur Abstimmung. Ich denke, wir können über beide Anträge gleichzeitig abstimmen.
Wer den Anträgen Umdruck 779 und Umdruck 780 zustimmen will, der gebe das Handzeichen. — Gegenprobe! — Meine Damen und Herren, ich muß Sie bitten, die Abstimmung dadurch zu wiederholen, daß Sie sich erheben. Wer zustimmen will, erhebe sich! — Es scheinen sich inzwischen einige Damen und Herren anders besonnen zu haben. Gegenprobe! — Das ist die Mehrheit, das ist klar; der Antrag ist abgelehnt.
Ich rufe auf Antrag Umdruck 790 Ziffer 6 zu Tit. 300.
— Der Antrag ist schon begründet. — Soll dazu noch gesprochen werden? — Dann stimmen wir ab. Wer diesem Antrag zustimmen will, der gebe das Handzeichen. — Gegenprobe! — Das ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Ich rufe auf den Änderungsantrag Umdruck 790 Ziffer 7 zu Tit. 571. Zur Begründung Herr Abgeordneter Seidel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Antrag der sozialdemokratischen Fraktion auf Umdruck 790 Ziffer 7 sieht vor,daß in Kap. A 06 02 — Allgemeine Bewilligungen- bei der Zweckbestimmung, zu Tit. 571, die jetzt lautet:Darlehen zur Deckung des Nachholbedarfs freier gemeinnütziger Krankenanstalten und privater Krankenanstalten, die die Voraussetzungen der Gemeinnützigkeitsverordnung erfüllen,die Worte:sowie kommunaler Krankenanstalten und Knappschaftskrankenhäuserangefügt werden. Der Ansatz von 25 Millionen DM soll um 25 Millionen DM auf 50 Millionen DM erhöht werden. Im ersten Satz der Erläuterungen werden die Worte „im Gesamtbetrag von 150 000 000 DM" durch die Worte „im Gesamtbetrag von 275 000 000 DM" ersetzt.Meine Damen und Herren, bei diesem Antrag handelt es sich darum, daß bei der Darlehnsgewährung auch die kommunalen Krankenhäuser und die Knappschaftskrankenhäuser einbezogen werden sollen.Es ist etwas schwierig, in diesem Hohen Hause bei der Schranke, die sich die Mehrheitspartei bei der Haushaltsberatung hier wohl gesetzt hat, nämlich nur noch Anträge, die die Unterschrift von „Dr. Krone und Fraktion" tragen, anzunehmen, solche Anträge zu vertreten. Um der Sache willen tue ich es trotzdem; denn es ist eine Tatsache, daß die Entwicklung des Krankenhauswesens und unser Wirtschaftsaufstieg nicht recht zusammenpassen. Wir haben keine Rekordzahlen für Neubauten von Krankenhäusern, wir haben keine Rekordzahlen hinsichtlich der Rationalisierungs- und Modernisierungsbestrebungen für die Krankenhäuser; wir haben auch keine Rekordzahlen hinsichtlich der Anschaffung von Spezialausstattungen für die Krankenhäuser. Wir wissen das, und wir sind uns auch darüber im klaren, daß von Krankenhaus zu Krankenhaus sehr deutliche Niveauunterschiede bestehen. Die Öffentlichkeit hat an dieser Frage ein sehr großes Interesse; sie wünscht, daß diese Mängel, die im Krankenhauswesen heute noch vorhanden sind, beseitigt werden. Jede Haushaltsberatung in den Gemeinden wird das bestätigen.Meine Damen und Herren, daß die Öffentlichkeit dafür ein Interesse hat, liegt schon allein daran, daß mindestens 7 Millionen Kranke im Jahr stationär behandelt werden. Jeder dieser Kranken wünscht im Krankenhaus die Gewähr geboten zu bekommen, dem jeweiligen Stand der Medizin entsprechend behandelt zu werden. Wir alle wissen, daß im Krankenhauswesen noch große Mängel vorhanden sind. Einmal ist es die große Zahl fehlender Betten, die zwischen 30 000 und 40 000 liegt, zum anderen sind es die in erheblichem Maße fehlenden medizinisch-technischen Einrichtungen. Außerdem ist bekannt, daß der bauliche Zustand mancher Krankenhäuser sehr zu wünschen übrigläßt. Diese Mängel können natürlich nur durch den Bau neuer Krankenhäuser beseitigt werden, wobei es noch wichtig wäre, den Versuch zu machen, mehr Alterskrankenhäuser als bisher zu errichten. Was
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Seidel
wir also brauchen, ist vor allen Dingen der Bau neuer Krankenhäuser, die Substanzerhaltung und die Weiterentwicklung auf diesem sehr wichtigen Gebiet.Die Frage ist, ob der Bund hierbei eine Hilfe leisten kann. Schon im Mai 1957 wurde vom Bundestag ein Antrag angenommen, der die Regierung aufforderte, einen umfassenden Bericht über die gegenwärtige Situation des deutschen Krankenhauswesens vorzulegen. Dieser Antrag des Bundestages — der einstimmig angenommen worden war — wurde im Juni 1958 wiederholt. Das Bundesministerium des Innern hat am 8. April 1959 an den Ausschuß für Gesundheitswesen und für Sozialpolitik einen Zwischenbericht gegeben. Seitdem aber war von einem umfassenden Bericht in diesem Hohen Hause nichts mehr zu sehen. Deshalb ist meine Frage: kommt dieser Bericht noch einmal in dieses Hohe Haus, und welches Ministerium ist federführend und verantwortlich für diese Berichterstattung?Die Regierung hatte auf Grund des Zwischenberichts Konsequenzen in dieser Sache gezogen und im Jahre 1960 im Einzelplan 06 im außerordentlichen Haushalt Darlehen in Höhe von 25 Millionen DM ausgewiesen, die sechs Jahre lang wiederholt werden sollen; also ein Gesamtbetrag von 150 Millionen DM in sechs Jahren. Es handelt sich hier — noch einmal sei es gesagt — nicht um Zuschüsse, sondern um Darlehen. Diese Darlehen werden für einen Nachholbedarf gegeben, der unbestreitbar ist. — So weit, was diese ersten Ansätze von seiten der Bundesregierung betrifft, hier Hilfe zu leisten, so gut.Aber wie immer bei solchen von der Bundesregierung eingeleiteten Maßnahmen sind das im Grunde genommen nur halbe Maßnahmen. Denn von dieser Darlehnsgewährung können nicht alle Krankenanstalten profitieren, sondern nur die freien gemeinnützigen Krankenanstalten und die privaten, wenn sie die entsprechenden Voraussetzungen erfüllen. Ausgeschlossen bleiben bei der Regelung der Bundesregierung die kommunalen und die Knappschaftskrankenhäuser. Von den 550 000 Betten, die es in den Krankenhäusern im Bund gibt, befinden sich 56% im öffentlichen Bereich, 38% in den freien gemeinnützigen Krankenhäusern und 6% in den privaten. Bei diesem Verhältnis ist es doch ganz klar und unbestreitbar, daß ,die öffentlichen Krankenhäuser in diese Hilfe mit einbezogen werden müßten. Der Ausschluß der kommunalen und der Knappschaftskrankenhäuser erscheint nicht begründet. Vor allen Dingen hat die Öffentlichkeit kein Verständnis dafür.Meine Damen und Herren, wenn Steuermittel überhaupt für eine Sache dringend ausgegeben werden müßten, dann für diesen Zweck. Ich glaube, daß hier nicht mal große Mittel notwendig sind; denn die Darlehen fließen wieder zurück. Es ist aber ein billiges Geld, und gerade für diesen Zweck ist billiges Geld dringend notwendig. Weil dieser Antrag also, auf längere Zeit gesehen, keine wesentlichen Haushaltsmittel erfordert, weil diese Mittel einem Teil der 7 Millionen Kranken nutzen können und weil wir im allgemeinen unser Gesundheitswesenmehr fördern sollten, möchte ich das Hohe Haus bitten, diesen Antrag anzunehmen.
Das Wort hat Herr Staatssekretär Dr. Hettlage.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Für den Herrn Bundesminister der Finanzen möchte ich zu diesem Antrag eine kurze Bemerkung machen. Wir haben in jedem Jahr geprüft, ob neben den freien gemeinnützigen Krankenanstalten auch die gemeindlichen Krankenanstalten. aus Bundesmitteln finanziell gefördert werden sollten. In jedem Jahr sind wir im Einvernehmen mit dem Bundesinnenministerium und, soweit ich mich erinnere, auch mit dem Haushaltsausschuß zu der Feststellung gekommen, daß die gemeindlichen Krankenanstalten in erster Linie im Verantwortungsbereich ihrer Träger selbst liegen und zweitens, soweit es einer ergänzenden Finanzierung bedarf, im Verantwortungsbereich der Länder.
Sowohl die Gemeinden wie die Länder erfüllen diese ihre Verantwortung nach bestem Vermögen. Wir vom Bundesfinanzministerium haben in den letzten Monaten mit Genugtuung feststellen können, daß die meisten Länder einen wesentlichen Teil des großen Steuersegens in ihren Kassen nicht zuletzt dazu verwendet haben, mit erhöhten Landeszuschüssen sowohl die gemeindlichen Krankenanstalten wie vor allem auch den gemeindlichen Schulbau wesentlich stärker zu fördern, als es in früheren Jahren geschehen ist. Wir müssen aus verfassungsrechtlichen Gründen
für eine klare Aufgabentrennung zwischen Bund, Ländern und Gemeinden eintreten. Eigentlich nur der staatsrechtlichen Vollständigkeit halber möchte ich auf Art. 109 des Grundgesetzes hinweisen, der diese Trennung der Finanzbereiche eindeutig festlegt.
Die Bundesregierung hat deshalb verfassungsrechtliche Bedenken gegen diesen Antrag.
Keine weiteren Wortmeldungen. Wir stimmen ab. Wer dem Antrag auf Umdruck 790 Ziffer 7 zustimmen will, der gebe das Handzeichen! — Gegenprobe! — Das ist die Mehrheit. Der Antrag ist abgelehnt.
Damit kommen wir zur Gesamtabstimmung über den Einzelplan 06, an die unmittelbar anschließend die Abstimmung über die Änderungsanträge zum
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Vizepräsident Dr. SchmidEinzelplan 36 erfolgen wird. Wer dem Einzelplan 06, wie er nunmehr festgestellt ist, im ganzen zustimmen will, der gebe das Handzeichen! — Die Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das erste war die Mehrheit; der Einzelplan 06 ist angenommen.Nunmehr kommen wir zur Behandlung des Einzelplans 36, der schon aufgerufen ist und in die allgemeine Debatte zum Einzelplan 06 schon einbezogen wurde. Es liegen nine Menge Änderungsanträge vor. Sie finden sie auf Umdruck 815 und 795 .Ich rufe zunächst auf Umdruck 815 und bemerke, daß der Antrag Lenz und Fraktion seine Erklärungen in dem Antrag auf Umdruck 819 findet. Wird das Wort gewünscht? — Das Wort wird weder zur Begründung noch seitens anderer Fraktionen gewünscht. Wer dem Antrag auf Umdruck 815 zustimmen will, der gebe das Handzeichen! — Gegenprobe! — Das ist die große Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.Wir kommen nunmehr zum Änderungsantrag auf Umdruck 795 , und zwar zunächst zum Antrag unter Ziffer 1. Zur Begründung hat das Wort Frau Abgeordnete Renger.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Als die sozialdemokratische Fraktion mit der Drucksache 2408 an die Bundesregierung eine Kleine Anfrage richtete mit der Bitte, dem Parlament darüber Auskunft zu geben, wie die zivile Notstandsplanung vor sich gehen solle, hatte sie nicht zuletzt im Sinn, die Haushaltsberatungen möglichst wenig mit diesem außerordentlich schwierigen Problem zu belasten. Der Herr Bundesinnenminister hat das offensichtlich nicht verstanden, wie es ihm ja häufig schwerfällt, sich der Mithilfe des Parlaments zu bedienen, ganz besonders der Opposition, und im Gegensatz zu den Ausführungen, die er heute vormittag hier an das Parlament gerichtet hat.In einem uns freundlicherweise zugesandten Artikel aus der „Rheinischen Post" vom 12. 9. 1959 hatten Sie, sehr verehrter Herr Minister, erklärt: „Das Herzstück einer parlamentarischen Demokratie ist das Parlament". Als ich die Antwort auf unsere Kleine Anfrage las, die also wirklich absolut nichtssagend war, habe ich gedacht: bei dieser Antwort haben Sie sich an diesen Grundsatz gewiß nicht erinnert. So bleibt also nichts weiteres übrig, als hier zu dem Einzelplan 36 einige hinweisende Bemerkungen zu machen. Eine erschöpfende Diskussion ist nicht möglich.Sie haben im Einzelplan 36 die Ansätze im ordentlichen Haushalt mit 446 Millionen DM und im außerordentlichen Haushalt mit 104 Millionen DM vorgesehen. Ich muß sagen, wie in all den vergangenen Jahren entsprechen diese Ansätze nicht den zu lösenden Aufgaben und stehen nach wie vor in gar keinem Verhältnis zu den militärischen Verteidigungsausgaben.
Es sollte zwar schon gar nicht mehr erwähnt werden, aber ich will es doch lieber tun: ich bin davonüberzeugt, daß alle hier in diesem Hohen Hause einen Krieg verhindern wollen und einen Krieg verabscheuen. Aber erlauben Sie mir bitte, zu sagen: Mit Gefühlen kann man dieses schwierige Problem des zivilen Bevölkerungsschutzes nicht einfach beantworten.
Wir müssen uns darüber klar sein: solange die Spannungen in dieser Welt anhalten, ist es . die Pflicht dieses Hauses und der Regierung im besonderen, das Möglichste zu tun, um bei einer Katastrophe dem Überleben der Menschen eine Chance zu geben.Wir wissen alle, daß die militärische Planung von einer atomaren Kriegführung ausgeht, wie sie eben in diesem schrecklichen Zeitalter einkalkuliert werden muß. Dann muß aber auch die zivile Verteidigung in ihrer Planung davon ausgehen. In dieser Zivilverteidigung ist der bauliche Luftschutz ein entscheidendes, ich möchte sagen: das entscheidende Moment. Ohne baulichen Luftschutz ist eine Zivilverteidigung nicht möglich, und ohne Zivilverteidigung ist die Gesamtverteidigung sinnlos.Wir alle wissen nicht, wo, wenn diese Katastrophe einträte, diese schrecklichen Waffen hinfallen würden. Wir wissen nur, daß in jedem Falle das ganze Bundesgebiet gefährdet wäre. Die Gefahr in den Ballungszentren wäre noch größer.Im Jahre 1958 sagte die Bundesregierung in ihrer Antwort auf die Kleine Anfrage der FDP, daß sie in wenigen Monaten eine zusammenfassende Erklärung über den Schutzraumbau abgeben wolle. Nach den Nevada-Versuchen sprach sie von einem SofortProgramm, das, wie man wohl sagen kann, kaum in den Anfängen verwirklicht worden ist und das, wie mir scheint, in den Streitigkeiten der einzelnen Ressorts untergegangen ist. Wie uns hier berichtet worden ist, hat Nevada gezeigt — ich möchte sagen: glücklicherweise gezeigt —, daß eis Überlebenschancen gibt.Die Zeit der Erprobung ist aber inzwischen vorüber, und mit dem wirklichen Schutzraumbau hätte längst begonnen werden können. Wir haben inzwischen eine Fülle von Neubauten, öffentlichen und privaten Bauten, erlebt, bei denen dieser Schutzraumbau nicht erfolgt ist. Alles, was später eingebaut werden muß, ist ja doppelt und dreifach teuer.Auch der Herr Kollege Windelen hat im vergangenen Jahr gesagt, die Erprobungen seien jetzt vorbei und nun könne endlich begonnen werden. Das Wohnungsbauministerium hat zu verwirklichende Pläne vorgelegt. Anscheinend hat der Verteidigungsrat sich darüber nicht einigen können, denn seit über zwei Jahren liegen die Pläne dort vor und sind nicht abschließend beraten worden.Fest steht: die Finanzkraft und die Baukapazität ermöglichen es, bei einer langfristigen Planung einen Schutzraumbau sicherzustellen. Aber es ist in der Tat so gut wie nichts geschehen. Es sind jetzt etwa 80 Bunker wieder instand gesetzt worden.
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Frau Renger3000 haben wir aber, die noch instand zu setzen wären. Ich frage Sie, meine Damen und Herren von der Mehrheit des Hauses und besonders Sie, Herr Minister: Halten Sie das wirklich für die Erfüllung der Verpflichtung, die die Bundesregierung nach dem Gesetz hinsichtlich dieses Problems hat? Wo bleibt, bitte Ihre Vorlage, in der Sie sich entweder zu einer optimalen Lösung des Schutzraumbaus oder zu einem Minimalschutz in dieser Beziehung bekennen?Ich möchte auch gern einmal wissen: Wer ist eigentlich die hemmende Kraft bei all diesen Bemühungen, den zivilen Bevölkerungsschutz voranzutreiben? Es darf uns alle in diesem Hohen Hause nicht ruhen lassen, bis sich die Regierung, nicht durch Reden, sondern wirklich durch Taten zu einem Schutz der zivilen Bevölkerung bekennt. Wenn wir schon zu diesem Thema reden, muß gesagt werden: einen Verteidigungswillen können Sie doch nur erreichen, wenn die Menschen in der Heimat auch in der Tat geschützt werden können. Mir scheint auch, eine Abschreckungstheorie oder -strategie kann wohl nur ernst genommen werden, wenn auch dieser Teil mit berücksichtigt ist.Wir haben unter Ziffer 11 unseres Umdruckes einen Antrag auf 25 Millionen DM für Zuwendungen an die Länder und Gemeinden als erste Planungsrate für den Schutzraumbau in öffentlichen Bauten wie Kindergärten, Krankenhäuser, Polizeiwachen usw. gestellt. Die im außerordentlichen Haushalt unter Kap. 36 04 Tit. 714 ausgewiesenen Gelder reichen zur Erfüllung der Aufgabe, von der ich hier spreche, nicht aus. Ich habe bei vielen Gemeinden immer wieder die Frage gehört: Wann können wir denn selbst planen? Hätten wir das Geld vom Bund, das uns zusteht, wären wir längst viel weiter und hätten in Turnhallen und öffentlichen Gebäuden schon längst Schutzräume eingerichtet!
Deswegen, um das zu ermöglichen, wurde dieser Antrag unter Ziffer 11 auf Einfügung eines neuen Titels 711 eingebracht.Ebenso dringend erscheint meiner Fraktion, daß die Entschädigungsleistungen erhöht werden, um die wir unter Ziffer 1 unseres Antrages auf Umdruck 795 gebeten haben. Inzwischen ist das Gelände rund um vorhandene Bunker zugebaut worden. Es muß also das Land für Zufahrtswege und anderes erworben werden, wofür ein hoher Entschädigungsbetrag erforderlich ist. Mir ist ein Fall bekanntgeworden, bei dem die Entschädigung allein 1,5 Million DM beträgt. Ich meine, dann ist die Erhöhung, die wir fordern, doch wirklich sehr gering.Unter Ziffer 2 verlangen wir auch eine Erhöhung aus demselben Grunde, also auch zum Zwecke des Grunderwerbs. Ich möchte Sie daran erinnern, daß es langsam wirklich außerordentlich schwierig wird, einen Schutzraumbau zu erstellen, nicht zuletzt deshalb, weil das Raumordnungsgesetz fehlt und etwa getroffene Maßnahmen nachher gar nicht mehr revidiert werden können.Sie sprechen gerade in letzter Zeit oft von Ihren Bemühungen, dem Notstand zu begegnen, und von der Notdienstpflicht. Sie beklagen sich darüber, daß sich nicht genug Menschen freiwillig für diese Aufgaben zur Verfügung stellen, besonders auch für die Aufgaben des zivilen Bevölkerungsschutzes. Ich möchte Sie ernsthaft fragen, Herr Bundesinnenminister: haben Sie durch Ihre Vorstellungen von Maßnahmen zum Bevölkerungsschutz den Menschen wirklich die Situation klargemacht und ihnen Wege gezeigt, wie man möglicherweise einen Katastrophenfall überleben könnte? Sie weigern sich — ich weiß nicht, warum — seit Jahren, ein Merkblatt für die Bevölkerung herauszugeben. Ich weiß auch nicht, was mit den 1,5 Millionen DM geschehen ist. Herr Kollege Windelen, vielleicht sagen Sie das nachher. Vielleicht sind sie wieder übriggeblieben wie bei anderen Ansätzen auch. Aber auf keinen Fall ist ein Merkblatt erschienen. Ich habe gerade wieder in den letzten Tagen aus Schweden eine Aufklärungsschrift bekommen, nach der wirklich jeder weiß, was er im Katastrophenfall — das braucht nicht nur der Kriegsfall zu sein — zu tun und zu lassen hat. Ich vermag nicht einzusehen, warum das in der Bundesrepublik nicht möglich ist. Ich frage Sie also: warum tut das die 'Bundesregierung nicht? Würden Sie vielleicht hier einmal öffentlich sagen, welche Gründe Sie daran hindern? Wir haben den Antrag gestellt, die entsprechende Position auf 10 Millionen DM zu erhöhen.Desgleichen wollen wir die Planung und Vorbereitung einer Notstandsbevorratung vorantreiben. Die guten Erfahrungen der Schweiz haben uns dazu bewogen, hier noch weiterzugehen. Bitte, vergessen Sie dabei folgendes nicht: Wenn diese Maßnahme sinnvoll durchgeführt werden soll, muß auch an die Minderbemittelten gedacht werden, die sich nicht selber einen Vorrat anlegen können, sondern die dazu einer Stützung durch geeignete Maßnahmen bedürfen. Unter Ziffer 9 unseres Antrages finden Sie unseren Vorschlag dazu.Seit Jahren bemühen wir uns, Ihnen nahezubringen, wie dringend erforderlich die Errichtung von Hilfskrankenhäusern ist und wie sinnvoll Gelder für diesen Friedenszweck angelegt wären; wir möchten ja beides miteinander verbinden. Sie haben soeben einen Antrag abgelehnt. Ich bin sicher, daß Sie auch diesen Antrag ablehnen werden, obgleich er nicht auf verfassungsmäßige Bedenken stoßen kann.Herr Kollege Windelen, Sie haben im vorigen Jahr darüber geklagt, daß gerade aus diesem Haushaltsansatz wieder Ausgabereste vorhanden seien. Sie haben den Ländern gesagt, eigentlich seien diese doch mehr oder weniger schuld. Ich glaube, hier trifft das gleiche zu, was ich vorhin gesagt habe. Wenn es jahrelang dauert, bis die einfachsten Verwaltungsanordnungen und -bestimmungen an die Länder und Gemeinden kommen, können diese gar nicht planen.Sie haben in diesem Jahr einen beinahe lächerlichen Betrag von 1 Million DM in Tit. 960 eingesetzt. Ich habe mich gefragt, wieviel Hilfskrankenhäuser davon gebaut werden sollen. Sie müssen
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Frau Rengerdoch berücksichtigen, daß schon ein normales Einfamilienhaus heute 90 000 bis 100 000 DM kostet. Dazu kommen noch die Kosten für den Grunderwerb. Sehr viel kann man mit dem vorgesehenen Betrag also nicht anfangen. Darum bitten wir Sie, unserem Erhöhungsantrag zuzustimmen. Damit diese Hilfskrankenhäuser auch gleich eingerichtet werden können, haben wir in Ziffer 4 ebenfalls eine Erhöhung des Betrages beantragt.Kürzlich las ich die Äußerung einer sehr geschätzten Kollegin, die sich im Zusammenhang mit dem Notdienstgesetz mit dem Schwesternmangel beschäftigte. Auf die etwas vereinfachte Art, dieses Problem im Zusammenhang mit der Notdienstpflicht regeln zu wollen, möchte ich hier nicht besonders eingehen. Nur soviel möchte ich sagen: sehr ernst scheinen Sie es mit dieser Sache doch nicht zu meinen. Sie haben z. B. in Tit. 602 nur einen Betrag von 700 000 DM für die Ausbildung von Schwesternhelferinnen eingesetzt. Ich meine, hier könnte sehr viel mehr getan werden. Ich könnte mir vorstellen, daß sich gerade für diese Aufgabe eine große Zahl von Frauen und jungen Mädchen freiwillig zur Verfügung stellen würden. Um das zu erreichen, bitten wir Sie, der in Ziffer 3 beantragten Erhöhung des entsprechenden Titels zuzustimmen.Wir haben vermißt, daß im Einzelplan 36 Mittel für die Ausbildung von Ärzten auf dem Gebiet des Strahlenschutzes ausgewiesen sind; das ist ja von außerordentlicher Bedeutung. Die Ärzte sollten unbedingt eine genügende Ausbildung auf dem Gebiete des Strahlenschutzes erhalten. Wir bitten Sie, dem entsprechenden Antrag unter Ziffer 3 zuzustimmen.Nach Auffassung meiner Fraktion ist auch der Ausbau des Selbstschutzes der Bevölkerung sehr vernachlässigt worden. Jeder von Ihnen kann sich denken, daß das die wichtigsten Hilfskräfte im Katastrophenfall wären. Deswegen haben wir auch unter verschiedenen Ziffern eine Erhöhung für diese Aufgabe erbeten.Besonders dankbar wären wir Ihnen, meine Damen und Herren, für die Akzeptierung des unter Ziffer 10 gestellten Antrags zur Beschaffung und Unterhaltung von Hubschraubern in Höhe von 7 Millionen DM. Die Hubschrauber, die hier angeschafft werden sollen, sollen für den zivilen Bevölkerungsschutz zur Verfügung stehen, aber nicht nur für diesen, sondern für den gesamten Katastrophenschutz, auch für die heute so häufigen Verkehrsunfälle usw. Sie wissen, es gibt verschieden Organisationen, die sich damit beschäftigen. Über die Organisationsform der Sache kann man sich einigen. Wir bitten Sie, aber erst einmal diesen Titel zu schaffen.Abschließend möchte ich sagen: Ich habe hier nicht jeden einzelnen Änderungsantrag genau begründet. Die Anträge der sozialdemokratischen Fraktion können nur kleine Verbesserungen und Anregungen bei einigen Schwerpunkten sein. Ich darf mich auf den Herrn Berichterstatter, den Kollegen Kreitmeyer, für den Einzelplan 36 beziehen, der in seinem Bericht, wie auch im vergangenenJahr, wiederum sagt, daß ein geschlossenes Notstandsplanungsprogramm der Bundesregierung nicht vorhanden ist. Das ist ein Ausschußbericht und wohl nicht ein persönlicher Bericht.Vielleicht, meine Damen und Herren von der Mehrheit bzw. von der Regierung, werden wir im Laufe der Debatte wenigstens noch eine Antwort auf die Kleine Anfrage der SPD bekommen. Ich glaube, hier gehörte es sich nun wenigstens, daß das getan würde.Ich muß leider feststellen, daß die Bundesregierung ihrer gesetzlichen Verpflichtung aus dem ersten Gesetz für den zivilen Bevölkerungsschutz in keiner Weise nachgekommen ist, so daß die Bevölkerung noch auf Jahre hinaus im Katastrophenfall völlig schutzlos wäre, und daß die Bundesregierung der militärischen Verteidigung ein unverhältnismäßig höheres Interesse entgegenbringt als der zivilen Verteidigung. Man kann sicher diesen Tatbestand nicht damit abtun, daß es andere Länder gibt, die für die Zivilverteidigung nur genauso viel oder weniger getan haben. Entscheidend in diesem Zusammenhang ist doch wohl die Situation der Bundesrepublik, und da muß eben mehr getan werden, als bisher geschehen ist.Wenn Sie mir das nicht glauben, meine Damen und Herren, dann erlauben Sie mir bitte, Ihnen in Erinnerung zu rufen, daß die Herren Generale Spei-del und Heuringer sehr dringend darauf hingewiesen haben, ,daß der Aufbau des zivilen Bevölkerungsschutzes viel zu schleppend vorangehe. Auch die entsprechenden Stäbe der NATO haben das bemängelt, zwar nicht nur für die Bundesrepublik, aber im besonderen auch für die Bundesrepublik.Meine Damen und Herren von der Regierung, Sie tragen zwar die Verantwortung für Ihre Politik; aber Ihre Fehler gehen leider uns alle an, und in diesem besonderen Falle können sie möglicherweise tödlich sein. Bei unseren Vorschlägen handelt es sich um Erhöhungen von kaum 100 Millionen. Wenn ich an die Diskussion von heute vormittag denke und daran, daß das ins Wasser gefallene Regierungsfernsehprogramm wohl schon in der Vorplanung 100 Millionen DM und mehr gekostet hat, dann scheinen mir diese Ansätze für diesen Zweck äußerst gering zu sein. Ich bitte Sie darum, unseren Anträgen zuzustimmen und darüber hinaus, schnell das Notwendige für den Schutz der Zivilbevölkerung zu tun.
Das Wort hat der Abgeordnete Windelen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sehr verehrte Frau Kollegin Renger! Sie machen es mir nicht. leicht, es Ihnen recht zu machen. Wir haben uns soviel Mühe gegeben, und Sie haben mir schon das letztemal und auch diesmal einige freundliche Worte gewidmet. Wir haben auch dieses Jahr wie in den Vorjahren den Haushalt für die zivile Notstandsplanung wieder beträchtlich aufgestockt.
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8444 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 148. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1961
WindelenSie hatten im letzten Jahr in der zweiten Lesung etwa 30 Millionen DM mehr von uns gefordert. Wir haben die Beträge — ich darf Ihnen das in Erinnerung zurückrufen — in wesentlich stärkerem Maße, als Sie es gefordert haben, aufgestockt. 1958 waren 123 Millionen DM eingesetzt, 1959 waren es 262 Millionen DM, 1960 schließlich 446 Millionen DM. In diesem Jahre sind es, wenn ich das Kap. 06 19, die Bundesanstalt für zivilen Luftschutz, hinzurechne — das muß man tun — und wenn ich den außerordentlichen Haushalt hinzurechne — auch das muß man tun -, ohne Bindungsermächtigungen 717 Millionen DM, d. h. über 200 Millionen DM mehr gegenüber dem Vorjahr, in dem Sie 30 Millionen DM mehr von uns gefordert haben.Aus Ihren Reihen hat man uns einmal gesagt, die Aufwendungen für die zivile Notstandsplanung müßten in einem angemessenen Verhältnis auch zu den militärischen Verteidigungskosten stehen. Sie haben damit sicher nicht unrecht. Sie haben auch ungefähre Zahlen genannt und Angaben gemacht. Dabei waren Sie sich darüber klar, daß unsere Volkswirtschaft und unsere Finanzwirtschaft natürlich nicht beides im selben Umfange gleichzeitig würden tragen können. Aber man sagte uns, man müsse doch etwa 10 Prozent, und wenn das nicht ginge, wenigstens 5 Prozent der Verteidigungskosten für die Zivilverteidigung aufwenden. Nun, verehrte Kollegin Renger, in diesem Jahre sind es fast 7 Prozent, und wir hören immer wieder das gleiche, was wir auch in den Vorjahren gehört haben: Es ist eben immer noch zu wenig.Natürlich ist es zu wenig. Natürlich ist alles, was wir ausgeben, zu wenig. Aber seien wir uns doch klar darüber, daß wir jeden Pfennig, den wir ausgeben, zuerst einnehmen müssen! Sagen Sie uns doch einmal, woher wir die Beträge in der Größenordnung, wie sie Ihnen vorschweben, nehmen sollen, ohne unser ganzes Wirtschafts- und Finanzgefüge durcheinanderzubringen.
Ich möchte es mir ersparen, noch einmal auf die grundsätzlichen Fragen einzugehen, auch deswegen, weil wir ein wenig in Zeitnot sind, da sehr viel länger über vielleicht unwichtigere Dinge in diesem Hause gesprochen worden ist. Aber das ist ja nicht ausschließlich unsere Schuld.Wir sind uns, glaube ich, klar darüber, daß die Verteidigung den Krieg verhindern soll. Wir sind uns klar darüber, daß die Zivilverteidigung nur für den äußersten Fall, daß alle diese Bemühungen scheitern, einspringen soll, um Opfer in der Bevölkerung nach Möglichkeit zu mildern und zu vermeiden. Ich war ein wenig erstaunt, als Sie in der letzten Haushaltsdebatte vor einem Jahr mit großer Verwunderung meine Feststellung zur Kenntnis nahmen, daß aus diesem Grunde, und zwar nicht nur bei uns, sondern in der ganzen Welt, die militärische Verteidigung den Vorrang haben müsse. Ich glaube, darüber gibt es heute auch in Ihren Reihen, im Prinzip wenigstens, keinen Streit.
— Deshalb wird der Verteidigungsetat abgelehnt, ganz recht, Herr Conring!
Wir sind uns auch darüber klar, daß rein technisch ein sehr weitgehender Schutz möglich wäre. Sie haben soeben die Versuche von Nevada erwähnt. Ich möchte hier keine Ressentiments wecken. Aber im vorigen Jahr hat Ihr Kollege Professor Bechert hier gesprochen, und er hat uns deutlich gemacht, daß auch die Bunker von Nevada gegen Maulwurfbomben und all die anderen furchtbaren Dinge völlig sinnlos sind, daß es einen Schutz dagegen im Grunde genommen gar nicht gibt.Ich glaube, wir müssen uns aber in diesem Hause nun einmal darüber einigen: gibt es einen vernünftigen, einen sinnvollen Schutz oder gibt es ihn nicht? Ich meine, einen perfekten Schutz wird es nicht geben, oder er wird nicht zu bezahlen sein, und wir werden uns deswegen schon auf praktikable Vorschläge einigen müssen. Sie haben die Auffassung vertreten, daß man inzwischen doch so weit sei, daß technisch und auch finanziell die Dinge ausgekocht seien. Nun gut, wenn wir nur einen recht minimalen Ansatz zugrunde legen, der keineswegs einen perfekten Schutz garantieren würde, sagen wir: einen Kopfbetrag von 2000 DM für den baulichen Luftschutz — das 'entspricht nicht den Nevada-Erfahrungen —, dann würde das für unser gesamtes Volk — und wir können ja keine Unterschiede machen — eine Summe von 100 Milliarden DM bedeuten. Wenn Sie meinen, daß das im Rahmen unserer heutigen Volkswirtschaft in Zeiträumen, die realistisch sind, zu verkraften ist, dann frage ich Sie: wie wollen Sie das machen?Ich glaube aber, man ginge an den Problemen vorbei, wenn man die Schwierigkeiten vorwiegend im Grundsätzlichen oder im Materiellen suchen wollte. Einmal — und das ist ja das besondere Steckenpferd unseres Kollegen Kreitmeyer — handelt es sich hier um die Frage der strategischen Lage, der militärischen Planung und der Koordinierung zwischen militärischer Planung und Zivilverteidigung. Ich sage Ihnen kein Geheimnis, wenn ich Ihnen mitteile, daß gerade in den letzten Monaten diese Dinge wieder erheblich in Fluß gekommen sind, und ich sage Ihnen gleichfalls kein Geheimnis, wenn ich hier feststelle, daß gerade auch in den Reihen der sozialdemokratischen Fraktion einige neue verteidigungspolitische Überlegungen im Gange sind. Ich denke, Herr Kollege Schmidt wird uns morgen dazu weiteres erzählen.
Morgen sicher nicht!
Morgen nicht? Ich füge mich, Herr Präsident. — Wenn es aber so ist — und man kann dem schwer widersprechen —, daß ein enger Zusammenhang zwischen militärischer Planung und den Planungen der Zivilverteidigung besteht, dann werden Sie mir recht geben, wenn ich hier feststelle, daß es nicht allein böser Wille oder
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 148. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1961 8445
WindelenFaulheit oder mangelndes Verantwortungsbewußt, sein der Regierung ist, wenn sie bis jetzt noch keine langfristige und auf die Dauer gültige Planung vorgelegt hat. Die Dinge sind eben etwas schwierig, und ich glaube, wir müssen uns auch vor Fehlinvestierungen hüten, die sonst kaum zu vermeiden wären.Es ist gesagt worden — und ich danke Ihnen dafür —, daß wir diese Dinge auch nicht national für uns allein lösen können, daß wir sie in Zusammenhang mit unseren NATO-Partnern lösen müssen. Ich möchte mich jetzt gar nicht damit entschuldigen, wie Sie es schon vorweggenommen haben, daß wir vielleicht sagen könnten, die anderen tun noch weniger. Das wäre eine schlechte Beruhigung und wäre auch keine Entschuldigung, zumal wir am nächsten an den Gefahrenpunkten liegen und zumal unsere Regierung ja für unsere Bevölkerung zuständig ist. Immerhin sei aber doch die Feststellung erlaubt, daß wir im NATO-Bereich, jedenfalls unter vergleichbaren Nationen, mit unseren Bemühungen absolut an der Spitze rangieren. Ich habe dieser Tage eine Notiz gelesen, daß Holland jetzt erst beginnen wird, die nötigen Überlegungen anzustellen und eine Planung ins Auge zu fassen.Ebensowenig aber, wie wir diese Dinge im nationalen Alleingang werden bewältigen können, ist es möglich, daß der Bund im Alleingang mit diesen Fragen fertig wird. Wie sieht es auf diesem Gebiet aus?Sie haben auch dieses Jahr wieder den Antrag bezüglich der Hilfs- und Ausweichkrankenhäuser gesteilt. Ich habe Ihnen schon im vorigen Jahr gesagt, daß das Abfließen dieser Mittel weniger am guten Willen der Bundesregierung scheitert als einfach daran, daß wir bei diesen Objekten auf den guten Willen der Länder angewiesen sind, uns geeignete Objekte zur Verfügung zu stellen. Es handelt sich ja nicht darum, neue Häuser zu bauen, sondern darum, vorhandene Gebäude, die man im Notfall für diesen Zweck nützen könnte, vorsorglich einzurichten.Ein weiteres gerade zu dieser Frage: Wir haben mit Bedauern festgestellt, daß man in bestimmten Ländern — ich will nur ein Beispiel nennen — offenbar wenig Neigung hat, den Fragen der Notstandsplanung, des Luftschutzes das nötige Gewicht beizumessen. Wir haben z. B. gehört, daß im Freiherr-vom-Stein-Institut in Lindenfels — das ist die kommunale Ausbildungsstätte in Hessen — für Luftschutzvorträge kein Platz im Programm ist.
Das Programm sei schon so stark belastet, daß es leider nicht möglich sei, sich auch noch mit Luftschutz zu beschäftigen.
Wir hören von den großen Schwierigkeiten, vor allen Dingen auch aus den Großstädten — die ja vorwiegend von Ihnen bestimmt werden —, Luftschutzsirenen anzubringen. Wir sind da weitgehend auf den guten Willen der Stadtverwaltungen angewiesen, und ich möchte hier sehr herzlich an Sieappellieren, uns zu helfen, die notwendigen Maßnahmen auch dort durchzuführen, wo man über die Dinge etwas anders denkt.
Ich habe aber auch ein erfreuliches Beispiel zu vermelden. Ich habe mit Befriedigung festgestellt, daß das Kabinett des Landes Nordrhein-Westfalen am 7. Februar dieses Jahres beschlossen hat, im Landtag einen Gesetzentwurf einzubringen, der die Gemeinden und Gemeindeverbände zur Mitarbeit auf dem Gebiet der zivilen Verteidigung verpflichten soll. Nordrhein-Westfalen ist hier mit gutem Beispiel vorangegangen.Wir kommen ohne die Mitwirkung der Länder — nur diese haben ja ihrerseits unmittelbare Rechtsverbindungen auch zu den Gemeinden — nicht aus.
Ich möchte hier in diesem Hause den sehr herzlichen Appell an Sie richten, in den Ländern, in denen Sie die Verantwortung tragen, Ihren Einfluß geltend zu machen, daß auch diese Länder sich ent- schließen, die nötigen gesetzlichen Grundlagen für diese Arbeit zu schaffen.Aber unabhängig von diesen verwaltungstechnischen, von diesen planerischen, von den finanziellen Schwierigkeiten sind es ja — das wollen wir doch ganz klar sehen — in erster Linie die psychologischen Schwierigkeiten, mit denen wir, mit denen vor allen Dingen die Leute des Luftschutzverbandes draußen immer noch zu kämpfen haben. Hier geht eine Saat auf, die nicht von uns gesät worden ist
und die auch nicht von uns beseitigt werden kann. Auch hier müssen wir Sie herzlich bitten, mitzuhelfen, den Schutt wegzuräumen, der sich in den vergangenen Jahren angesammelt hat.
Ich habe mir mehrfach die Mühe gemacht, in Versammlungen zu gehen, in denen die Luftschutzhelfer, die Luftschutzlehrer versuchen, etwas Verständnis für das Problem des Bevölkerungsschutzes zu gewinnen. Ich muß Ihnen ehrlich sagen: ich habe diese armen Menschen bedauert. Sie wurden fast als Kriegshetzer und Kriegsvorbereiter bezeichnet und diffamiert. Es waren insbesondere die Kriegsdienstgegner, die Organisation der Kriegsdienstverweigerer, 'die teilweise geschlossen in diesen Versammlungen auftraten und diesen Menschen das Leben schwer machten.
Nun, ich glaube, Sie wissen von all diesen Dingen, und Sie wissen im Grunde auch, daß die Realisierung Ihrer maximalen Forderungen unsere wirtschaftliche, unsere soziale, unsere finanzielle Ordnung zerstören müßte. Sie haben ja schließlich selber die nötigen Erfahrungen sammeln können bei Studienreisen in das Ausland, nach Schweden und in die Schweiz, die in den letzten Monaten stattgefunden haben. Gestatten Sie mir, Herr Präsident, daß ich nur drei Sätze aus den Berichten verlese, die über diese Studienreisen gegeben wurden. An
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8446 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 148. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1961
Windelendiesen Studienreisen nach Schweden haben Sie, Herr Kollege Schmitt-Vockenhausen, teilgenommen; an der Reise in die Schweiz, glaube ich, Herr Kollege Faller. Drei Sätze nur, die zeigen, wie man dort diese Dinge sieht. Es geht — das ist ja die schwierigste Frage — um das Problem des baulichen Luftschutzes. In diesen Ländern ist diese Frage weitgehend gelöst. Wissen Sie, wie? Nun, ich will es Ihnen zitieren:Die zusätzlichen Kosten für diese Luftschutzmaßnahmen betragen 2 bis 3 % der Bausumme. Sie werden über die Miete auf alle Mieter abgewälzt, ,da die Schutzräume der Sicherheit der Mieter selber dienen.Im sozialistischen Schweden ruft man nicht nach dem Staat. Man sagt: Der Schutz ist die Sache der Mieter selbst; sie wollen ja schließlich geschützt werden.Ein zweiter Satz aus diesem Bericht:Baupolizeiliche Genehmigungen für Mietwohnhäuser werden nur erteilt, wenn die Baupläne die luftschutzmäßigen Mindestbedingungen erfüllen. Die normalen Luftschutzräume sollen vornehmlich gegen „fall-out", nicht aber gegen Druckwellen schützen.Das heißt: auch in Schweden ist man sich sehr wohl der Begrenzheit der Möglichkeiten, aber auch der Schwierigkeiten im Finanziellen bewußt, und man ist bereit, seiner Bevölkerung diese Belastung nicht nur zuzumuten, sondern ihr auch ganz offen zu1) sagen, daß es ihre ureigene Angelegenheit ist.Ein weiterer Satz:Die Zivilverteidigungspflicht in Schweden umfaßt alle Einwohner, Männer und Frauen vom 16. bis zum 65. Lebensjahr. Bisher ist jedoch über das 55. Lebensjahr nicht hinausgegangen worden. Zum Inhalt der Zivilverteidigungspflicht gehört auch die Verpflichtung der Hauseigentümer zum Bau von Luftschutzräumen.Soweit Schweden.Ein Satz zur Schweiz:Die durch den Schutzraumbau entstehenden Mehrkosten betragen etwa 2 bis 3% der gesamten Bausumme. Der Satz soll auf 4 % erhöht werden. Von diesen Mehrkosten tragen Bund, Kanton und Gemeinde jie 10%. Der Eigentümer der Luftschutzanlage muß also 70 % der Kasten selbst aufbringen.
Führt der Pflichtige die notwendigen Maßnahmen nicht durch, so werden diese auf seine Kasten angeordnet.Nun, meine Damen und Herren von der SPD, eine Frage: Sind Sie bereit, nicht nur immer wieder der Regierung und der CDU ihre Versäumnisse vorzuhalten, sondern auch der Bevölkerung zu sagen, daß der Schutz Geld und Opfer fordert, die von allen geleistet werden müssen,
Opfer, die eine sozialistische Regierung in Schweden von ihren Bürgern fordert und die in der Schweiz eine Selbstverständlichkeit sind? Eine solche Haltung, eine solche Gasinnung wird sich in unserem Volk nicht von heute auf morgen einstellen. Sie wird aber ohne Mithilfe der Opposition kaum zu erreichen sein.
Sie haben in Ihrem Wahlaufruf von Hannover u. a. diese Seite der Sache angesprochen. Sie haben neben der Verdoppelung des Lebensstandards, neben dem Recht aufs eigene Auto auch einen Passus über die Opfer eingebaut, die Sie von diesem Volk werden fordern müssen. Ich meine aber, es geht doch nicht an, daß man nach der Methode verfährt: Nicht Gewünschtes bitte streichen. Ich meine, daß man sehr deutlich sagen muß, wo man mit diesen Opfern ansetzen muß.
Gerade auf dem Gebiet der zivilen Notstandsplanung ist einfach wegen des Umfangs der Belastungen an einem Opfer nicht vorbeizukommen. Überlegen Sie sich doch noch einmal in Ruhe, ob wir uns nicht auf dieser Linie finden können. Bis dahin haben wir nur die Wahl, entweder zu resignieren oder wie bisher das finanziell und psychologisch Mögliche zu tun. Helfen wir der Regierung bei dieser Arbeit!
Ich möchte mich noch kurz den Anträgen auf Umdruck 795 zuwenden. Ich sagte schon: das letzte Mal waren es nur 8 in der zweiten Lesung, dann schließlich nur 5 Änderungsanträge. Diesmal finden wir trotz der beträchtlichen Erhöhung der Ansätze 12 Änderungsanträge auf dem Tisch.1. Entschädigungsleistungen. Die Leistungen hängen von der Zahl der Freistellungsanträge ab. Nach den Meldungen, die aus den Ländern vorliegen, reicht der Ansatz aus. Es wäre sinnlos, ihn zu erhöhen.2. fordern Sie 10 Millionen DM für Grunderwerb. Die Bundesregierung hat sich bisher bemüht, die Grundstücke durch Anmietung zu beschaffen. Sie sollte es im Interesse einer Wirtschaftlichkeit auch weiter tun.
— Herr Schmitt-Vockenhausen, wenn die Grundstücke durch Anmietung beschafft werden, ist ein Titel für Grunderwerb überflüssig. Ich glaube, Sie können mit gutem Gewissen mit uns stimmen und auf diesen Titel verzichten.3. Zuschüsse an zentrale Hilfsorganisationen. Hier bitten Sie darum, daß diese Zuschüsse auch den Ländern und Gemeinden für die gleichen Aufgaben zugute kommen. Sie wissen, Herr Schmitt-Vockenhausen — ich nehme an, daß Sie den Änderungsantrag redigiert haben —, daß die Hilfsorganisationen bis in die Gemeinden hinein mit ihren Körperschaften vertreten sind: das Rote Kreuz, die Johan-
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 148. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1961 8447
Windelenniter usw. Es wäre doch sinnlos, den Gemeinden zu gestatten, ihrerseits auch noch einmal Zuschüsse an zentrale Hilfsorganisationen zu leisten. Es ist vernünftiger, diese Aufgabe dem Bund zu überlassen.Sie wollen ferner die Ausbildung von Schwesternhelferinnen fördern. Ich habe mich nach dem Stand der Dinge erkundigt. Mir wird versichert, daß die Ausbildungskapazitäten, die bei den Körperschaften — vorwiegend wieder Rotes Kreuz usw. — vorhanden sind, ausgenutzt sind und auch nicht durch eine Erhöhung des Ansatzes sprunghaft ausgeweitet werden können.Sie haben dafür plädiert, daß Strahlenärzte ausgebildet werden. Sie haben betont, daß Ihnen daran liege, nicht nur spezielle Strahlenärzte auszubilden, sondern auch Praktiker mit diesem Geschäft vertraut zu machen. Ich darf Ihnen sagen, daß das bereits durch das Rote Kreuz geschieht. Die Mittel dafür sind in den Zuwendungen an das Rote Kreuz enthalten.5. Fernmeldetechnische Einrichtungen. Es handelt sich hier um einen Ansatz, der an sich für die Führung des zivilen Bevölkerungsschutzes durch den Bund vorgesehen ist. Für die Dienste, die die Länder und Gemeinden haben wollen, sind in Tit. 960, der insgesamt mit 67 Millionen DM ausgestattet ist, Mittel enthalten. Außerdem sind in Kap. 36 04 Tit. 958 und Kap. 36 08 Tit. 953 Ansätze in Höhe von 1,2 Millionen bzw. 4 Millionen DM vorhanden. Dazu kommen noch 0,73 Millionen DM Reste, so daß dieser Ansatz weit über Ihren Antrag hinaus bedient ist.6. Beschaffung der Ausrüstung für Selbstschutzgemeinschaften. Die Ausrüstung der Selbstschutzgemeinschaften kann nur in dem Rahmen vorgenommen werden, in dem die personelle Aufstellung vorangeht. Es ist unmöglich, Selbstschutzeinheiten auszurüsten, die noch gar nicht da sind. Die Mittel reichen für die Einheiten, die in dem vorgesehenen Zeitraum ausgestattet werden müssen, aus. Eine Erhöhung würde nur unnötigerweise Mittel binden.7. Herausgabe eines Merkblatts über luftschutzmäßiges Verhalten — Tit. 956 —. Sie haben hier, und zwar mit Recht, gesagt, daß dieser Titel bereits im letzten Haushaltsplan gestanden habe und daß die Mittel offenbar nicht ausgegeben worden seien. Ich glaube, ich brauche Ihnen nicht zu sagen, warum sie nicht ausgegeben worden sind. Die Entwürfe des Merkblatts haben Ihnen, glaube ich, auch im Innenausschuß vorgelegen. Sie haben keinen Beifall gefunden. Deswegen ist dieses Merkblatt nicht herausgegeben worden. Es soll aber in diesem Jahr geschehen. Die in dem Titel vorgesehenen Mittel reichen aus, um für 16 Millionen Haushaltungen — so viele haben wir in der Bundesrepublik — je ein Merkblatt herauszugeben. Das dürfte an sich genügen, vor allen Dingen, wenn man weiß, daß im Wirtschaftsplan des Bundesluftschutzverbandes weitere 4 Millionen DM für diese Werbungs- und Aufklärungsarbeit vorhanden sind.8. Bauliche Maßnahmen zur Herrichtung von Ausweich- und Hilfskrankenhäusern. Ich kann Ihnen hierzu sagen, daß neben den 5 Millionen DM Resten,die Sie kritisiert haben, die aber nicht durch Verschulden der Bundesregierung entstanden sind, sondern einfach wegen der Verhandlungsschwierigkeiten, Bindungsermächtigungen in Höhe von 2 Millionen DM vorgesehen sind. Außerdem stehen 1 Million DM im Haushaltsansatz. Insgesamt stehen also 8 Millionen DM zur Verfügung. Ich glaube, wir können alle zufrieden sein, wenn diese 8 Millionen DM am Ende des Rechnungsjahres tatsächlich belegt sein werden.9. Notstandsmaßnahmen auf dem Gebiete der Ernährung. Die Mittel dieses Titels dienen lediglich der Planung und Propagierung der vorgesehenen Maßnahmen. Das geht eindeutig aus der Titelbezeichnung und den Erläuterungen hervor. Es wäre sinnlos, für die Planung und Propagierung 20 Millionen DM aufzuwenden. Ich glaube, Sie werden das bei kritischer Prüfung selbst einsehen.10. Beschaffung von Hubschraubern. Ich will nicht bestreiten, daß man vielleicht auch Hubschrauber in der zivilen Notstandsplanung braucht. Ob es aber im gegenwärtigen Stadium so vordringlich ist, diesen Ansatz jetzt schon zu beschließen, wage ich doch zu bezweifeln, zumal im Bedarfsfall die Hubschrauber des Bundesgrenzschutzes für diese Zwecke zur Verfügung stehen.11. Maßnahmen des baulichen Luftschutzes zum Schutze der Zivilbevölkerung. Dieses Kap. 36 09 dient — das steht deutlich im Haushaltsplan — nur der Entwicklung und Erprobung. Wenn Sie also für diese Zwecke überhaupt etwas einsetzen wollen, würde das systematisch in das Kap. 36 04 gehören. Nun werden Sie bei genauer Prüfung feststellen, daß im außerordentlichen Haushalt Kap. A 36 04 Tit. 714 bereits ein Ansatz in Höhe von 35 Millionen steht. Darüber hinaus sind Reste von 39 Millionen DM vorhanden, so daß insgesamt für diesen Zweck 74 Millionen DM zur Verfügung stehen, die zweifellos reichen werden.12. Notstandsmaßnahmen im Aufgabenbereich des Bundesministeriums des Innern. Sie fordern hier weitere 2 Millionen DM für Neubau und Instandsetzung von ortsfesten Anlagen des Luftschutzhilfsdienstes einschließlich des Grunderwerbs. Dieser Titel ist an 'bestimmte Objekte gebunden; der Einsatz ist nur möglich, soweit geeignete Objekte vorhanden sind. Die Mittel sind mit den Möglichkeiten abgestimmt. Es sind noch 18,7 Millionen DM an Resten vorhanden.Aus diesem Grunde erlauben Sie mir die Feststellung, daß durch den Antrag auf Umdruck 795 ein Effekt für den Bevölkerungsschutz nicht erzielt wird. Es würden unnötigerweise Mittel gebunden, die anderswo wirksamer eingesetzt werden können. Allenfalls würde in der Bevölkerung die Illusion entstehen, einen höheren Grad an Schutz zu erreichen. Auf diesem Gebiet wäre aber — darin sind wir uns wohl alle einig — nichts verhängnisvoller, als solche Illusionen zu nähren.Deshalb muß ich Sie bitten, die Änderungsanträge der SPD auf Umdruck 795 abzulehnen.
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8448 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 148. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1961
Das Wort hat Herr Abgeordneter Schmitt-Vockenhausen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Windelen hat mit viel Mühe und Umsicht versucht,
die schwache Position der Regierungspartei und der Regierung in dieser Frage zu stützen.
— Herr Kollege Conring, lassen Sie mich gleich zu Eingang folgendes sagen! Er war sehr stolz auf den Satz von 7 °/o des Verteidigungshaushaltes. Wenn Sie in den kommenden Jahren noch größere Haushaltsreste aufkommen lassen, werden Sie demnächst mit noch größeren Erfolgsmeldungen hier aufwarten können. Über allem, was vorgetragen worden ist, steht das Motto: Zu wenig und zu langsam! Daran ist nichts zu ändern.
Sie sollten hier auch nicht von Fehlinvestitionen sprechen. Sie sind sonst doch nicht so pingelig, wenn ich an die 120 Millionen für die Fernsehkonserven denke. Sie sind ja auch sonst bei Fehlinvestitionen gar nicht so ängstlich.
Daß Sie uns nun vorwerfen, daß wir nur 30 Millionen beantragt haben — nun, wir wollen es Ihnen so leichter machen, unsere Anträge anzunehmen. Wir wissen, daß in den vergangenen Jahren so große Haushaltsreste vorhanden waren, so daß wir wenigstens gehofft hatten, die kleinen Ansätze würden Sie genehmigen. Nun machen Sie uns das in diesem• Jahr auch noch zum Vorwurf.
Meine Damen und Herren, wenn Sie sagen, durch die zivile Verteidigung komme unsere ganze Wirtschaft und unsere Finanzpolitik in Unordnung — —
— Aber entschuldigen Sie! Unsere Anträge sind so bescheiden; das haben Sie vorhin doch gesagt. Der Finanzminister arbeitet mit ganz anderen Größenordnungen, als daß Anträge über 30 Millionen DM unseren Haushalt in Unordnung bringen könnten.
Sie haben mit Recht die Frage der Länder und Gemeinden angesprochen. Da will ich Ihnen ein Beispiel geben. Das Land Bremen hat 10 Bunker und etwa 350 Sirenen instand gesetzt und aufgestellt. Schwierigkeiten, die der Senat hatte, gab es mit der Bundesvermögensverwaltung, um mit ihr einigermaßen klar zu kommen. Da mangelt noch vieles, und ich bin mit Ihnen der Ansicht, daß wir uns hier gemeinsam bemühen sollten. Um so mehr bedaure ich aber, daß wir auf unsere Kleine Anfrage keine Antwort bekommen haben. Vielleicht erhalten wir sie, Ida es jetzt nicht geschehen ist, weil die Stunde schon so weit vorgerückt ist, in der dritten Lesung. Insgesamt ist ja das Schweigen auch
eine Antwort. Wir hätten natürlich gern Ihre Untätigkeit schwarz auf weiß nach Hause getragen, Herr Minister, das werden Sie verstehen.
— Entschuldigen Sie, ich komme auf alles noch zu sprechen!
Sicher, wir stehen ja hier, um die Dinge in aller Ruhe zu prüfen. Sie 'haben an die Haltung und die Gesinnung der Opposition in der Frage der Lasten erinnert. Herr Kollege Windelen, Sie wissen ebenso wie wir alle, daß der Herr Bundeskanzler selbst es war, der jeden Appell in Fragen des zivilen Bevölkerungsschutzes bremste und die Sorge hatte, daß das psychologische Rückwirkungen auf die Wahlen und andere Dinge habe. Fragen Sie nun nicht die Opposition, wo diese Maßnahmen bleiben! Die müssen Sie. bei der Regierung fordern.
Sie haben dann an einzelnen Punkten unserer An- träge Kritik geübt und gesagt: Wir brauchen das Geld nicht, wir brauchen dies und jenes nicht; hier und dort haben wir noch etwas; wir wollen lieber anmieten und nicht Grundstücke ankaufen usw. Ja, meine Damen und Herren, dann mieten Sie aber an! Aber selbst das Geld halben Sie nicht ausgegeben.
— In wieviel Jahren denn, Herr Kollege Conring? Das ist doch das Entscheidende. Die Projekte sind nicht mit der notwendigen Dringlichkeit behandelt worden. Auch in diesem Haushaltsjahr müssen wir erneut die bedauerliche Feststellung treffen, daß es um den zivilen Bevölkerungsschutz mehr als still ist und es nach wie vor an der entscheidenden Initiative fehlt, diese Frage voranzubringen.
Ich sehe keine weiteren Wortmeldungen. Wir kommen zur Abstimmung. Wir werden wohl über die zwölf Einzelanträge auf Umdruck 795 einzeln abstimmen müssen.
— Sie lehnen ab, und Sie nehmen von vornherein an, daß alle Ihre Fraktionsmitglieder mit Ihnen ablehnen werden.
Aber ich bin als Präsident verpflichtet, ihnen eine Chance zu geben, sich anders zu besinnen. Ich glaube, Sie werden verstehen, daß es korrekter ist, über die Anträge auf Umdruck 795 einzeln abzustimmen.Ziffer 1. Wer dafür ist, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Das ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 148. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1961 8449
Vizepräsident Dr. SchmidZiffer 2. Wer dafür ist, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Abgelehnt.Ziffer 3. Wer dafür ist, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Abgelehnt.Ziffer 4. Wer dafür ist, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Abgelehnt.Ziffer 5. Wer dafür ist, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! --- Abgelehnt.Ziffer 6. Wer dafür ist, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Abgelehnt.Ziffer 7. Wer dafür ist, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Abgelehnt.Ziffer 8. Wer dafür ist, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Abgelehnt.Ziffer 9. Wer dafür ist, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Abgelehnt.
— Zur Abstimmung der Abgeordnete Schoettle.
Herr Präsident, ich glaube, es ist genug des grausamen Spiels. Ich könnte mir vorstellen, daß wir über den Rest dieses Antrags insgesamt abstimmen.
Sie können mir die Aufgabe erleichtern, wenn Sie mir sagen, daß Ihre Fraktion die Anträge Ziffern 9 bis 12 zu einem Antrag zusammenzieht.
— Das ist geschehen. Die Anträge Ziffern 9 bis 12 werden also als ein Änderungsantrag behandelt, der in verschiedene Absätze unterteilt ist. Wer für diesen Antrag ist, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer ist dagegen? — Das ist die Mehrheit; abgelehnt.
Wer nunmehr den gesamten Einzelplan 36 in der jetzigen Form annehmen will, den bitte ich um das Handzeichen. Gegenprobe! — Enthaltungen? — Ich stelle einstimmige Annahme fest. — Ich bitte um Entschuldigung; eine Stimmenthaltung. Das Haus bietet immer ein buntes Bild bei Abstimmungen.
Ich rufe auf
Einzelplan 07 — Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz .
Herr Dr. Schäfer ist Berichterstatter. Ich erteile ihm das Wort zur Berichterstattung.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte das Hohe Haus nur auf eine wesentliche Veränderung in diesem Haushaltsplan aufmerksam machen. Ich darf Sie daran erinnern, daß in den letzten Jahren wiederholt die Frage diskutiert wurde, ob das Bundespatentamt ein Gericht oder eine Verwaltungsbehörde ist. Die Frage ist in der Zwischenzeit durch das Bundesverwaltungsgericht entschieden worden. Der Bundestag hat die Konsequenzen daraus gezogen, indem er ein neues Bundespatentgericht geschaffen hat, das hier unter Kap. 07 06 ausgewiesen ist. Wir dürfen davon ausgehen, daß das gesamte Patentverfahren nunmehr juristisch unantastbar geregelt ist. Wir haben das Patentgericht im Haushaltsausschuß von vornherein so ausgestattet, daß wir annehmen dürfen, daß nicht neue Rückstände entstehen. Wir haben die Frage der Gebühren im Patentwesen geprüft und kamen zu der Auffassung, daß die Gebühren angemessen sind und daß sie dem Kostendeckungsprinzip entsprechen. Deshalb darf ich als Berichterstatter im Auftrage des Haushaltsausschusses Ihnen die Annahme des Entwurfs mit den Änderungen, die in dem Bericht enthalten sind, empfehlen.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Änderungsanträge zum Einzelplan 07 liegen nicht vor, aber es scheint eine allgemeine Aussprache gewünscht zu werden. Das Wort hat der Abgeordnete Wittrock.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich kann nicht darauf verzichten, noch einmal auf die Ausführungen zurückzukommen, die der Herr Bundesminister der Justiz heute morgen hier bei Gelegenheit der allgemeinen Aussprache zum Einzelplan 06 gemacht hat. Einige kritische Bemerkungen sind hierzu meines Erachtens erforderlich, und es fällt dabei gewiß schwer, diese Ausführungen ohne Ironie und Sarkasmus zu machen; denn die Rolle, die der Herr Bundesjustizminister bei dem staatspolitisch so folgenschweren Akt wie der Gründung der Deutschland-Fernsehen-GmbH gespielt hat, war nach unserer Auffassung äußerst kläglich.
Wir sind der Meinung, Herr Kollege Barzel, diese Rolle, die der Herr Bundesjustizminister bei jener Gelegenheit gespielt hat, entspricht nicht der Würde gerade dieses Bundesministers als Institution.Ich möchte mich auf einige kritische Feststellungen beschränken und ausgehen von einer Bemerkung, die der Herr Bundeskanzler gestern hier gemacht hat und die nun auf der Grundlage der Ausführungen, die der Herr Bundesjustizminister heute morgen machte, in einem recht eigenartigen Licht erscheint. Der Herr Bundeskanzler hat gestern hier versucht, das Verhalten der Bundesregierung bei der Gründung der Deutschland-Fernsehen-GmbH in einem etwas milderen Lichte erscheinen zu lassen, indem er darauf hingewiesen hat, daß eine Reihe von Gutachten eingeholt worden sei. Es ist wohl das beste, wenn ich einmal aus dem Protokoll der gestrigen Sitzung hier zitiere. Er hat folgendes ausgeführt:Damit Sie, meine verehrten Damen und Herren auf dieser Seite des Hauses, nun nicht glauben, daß wir uns etwas leichtfertig mit der ganzen Sache befaßt hätten, darf' ich Ihnen sagen, daß, ehe diese GmbH auf Beschluß des Kabinetts gegründet wurde, die Rechtsfragen durch das Innenministerium, durch das Justizministerium
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Wittrock— Hier bricht der Bundeskanzler ab. Es soll dann offensichtlich weiter heißen:gutachtlich geprüft worden ist.
Ich war über den Gang der bisherigen Verhandlungen bis zum letzten Sonntag— das war einen Tag vor der Unterzeichnung des Gesellschaftervertrages —überhaupt nicht unterrichtet und wurde nur gestern überraschend vor diese Aufgabe gestellt.Soweit diese beiden Äußerungen; einmal der Brief des Justizministers an den Ministerpräsidenten von Rheinland-Pfalz und auf der anderen Seite die Ausführungen des Bundeskanzlers, vorher sei das Ministerium des Herrn Schäffer gutachtlich gehört worden. Da ich unterstellen muß, daß der Minister Schäffer über das unterrichtet ist, was in seinem Hause an Gutachten, insbesondere zu einer so wichtigen Frage, erarbeitet worden ist, gibt es hier nur zwei Möglichkeiten. Entweder trifft es nicht zu, daß der Bundesminister Schäffer erst so ganz überraschend vor die Tatsache gestellt worden ist, daß ein derartiger Gesellschaftsvertrag abgeschlossen werden sollte, oder — die zweite Möglichkeit — die Äußerung des Bundeskanzlers ist unrichtig, daß vor der Gründung der Deutschland-FernsehenGmbH das Justizministerium gutachtlich gehört worden sei.
— Ja, ich überlasse es Ihnen, meine sehr verehrten Damen und Herren, die Schlußfolgerung zu ziehen, welche Äußerung zutreffend ist, ob die des Bundeskanzlers oder — —
— Hören Sie mal, Herr Kollege Weber, das ist doch wahrscheinlich nur ein scherzhafter Zuruf, den Sie hier machen. Denn ich kann mir einfach nicht vorstellen, daß „in Urlaub gehen" gleichzusetzen ist mit „aus ,der Welt sein". Auch ein Minister, der in Urlaub war, nach Bonn kommt und hier vor eine so wichtige Frage gestellt wird, wird von den Angehörigen seines 'Hauses darüber unterrichtet, was hier gespielt wird. Ich behaupte, daß die Schlußfolgerung erlaubt ist, daß man vorher ein Gutachten des Bundesjustizministeriums überhaupt nicht eingeholt hat.Es ergibt sich also - ich greife auf den Brief zurück, den Herr Schäffer an den rheinland-pfälzischen Ministerpräsidenten geschrieben hat — folgender Sachverhalt: Der Justizminister erscheint. Er wird überraschend — ich wiederhole seine Worte — vor die Aufgabe gestellt, einen Vertrag zu unterzeichnen. Er nimmt den Federhalter, ohne sich im mindesten mit der rechtlichen Problematik eines derartigen Unternehmens. zu befassen, ohne sich im mindesten darum zu kümmern, und er unterzeichnet, wie das Bundesverfassungsgericht gesagt hat, als Treuhänder in Gänsefüßchen. Ein seltsames Verhalten dieses Ministers, der frei und unbeschwert von der rechtlichen ¡Problematik seinen Namen für ein derartiges Unternehmen zur Verfügung stellt!Der Bundesjustizminister hat sich ja auch noch nach dem Unterzeichnungsakt über die rechtliche Problematik nicht im geringsten irgendwelche Gedanken gemacht. Nachdem Vollzug des Unterzeichnungsaktes fand eine Pressekonferenz statt, und in dieser Pressekonferenz kam es zu folgendem Frage-und Antwort-Spiel:Frage: Kann der Bundesjustizminister sagen, welche Möglichkeiten die Länder haben, gegen diesen Gesellschaftsvertrag rechtlich vorzugehen?Antwort des Ministers:Wollen Sie es rechtlich oder wollen Sie es politisch betrachten?Frage: Wenn Sie es in beiderlei Hinsicht beantworten können, wäre ich Ihnen dankbar!Antwort des Ministers:Rechtlich sehe ich überhaupt keine Möglichkeit des Streites.Diesem Minister schreibt das Bundesverfassungsgericht in seinen Ausführungen zu dem Begriff des Treuhänders — die entsprechende Stelle aus der Urteilsbegründung wurde bereits zitiert; ich habe sie im Moment hier nicht vorliegen — in das Stammbuch, daß Treuhänder für die Länder nicht derjenige sein konnte, der offensichtlich gegen den wiederholt erklärten Willen unterschreibt. Das ist ein hartes Urteil über das Verhalten des Bundesministers der Justiz, und es erhebt sich für uns die Frage — das ist eigentlich eine Frage, die auch Sie, meine Damen und Herren von ,der Mehrheitsfraktion, sich stellen müssen —, ob es politisch hingenommen werden kann, daß jener Akt, über den ein solches Urteil gefällt worden ist, ausgerechnet von dem Bundesminister der Justiz durch seine Unterschrift zu verantworten ist. Dem Bundesminister der Justiz kommt die primäre Aufgabe zu, die Rechtlichkeit in unserem Staate zu wahren und der Verfassungstreue, der Verpflichtung auf die Verfassung, seine besondere Aufmerksamkeit zu widmen. Da ist es einfach unvorstellbar und unbegreiflich, wenn sich dieser Minister über die rechtliche Problematik keinerlei Gedanken gemacht hat und schlankweg behauptet, er sehe überhaupt keine Möglichkeit eines Streites. Der Herr Bundesminister der Justiz hat sich damit für seine Funktion, die er im Kabinett innehat, praktisch disqualifiziert.Der Herr Bundesminister der Justiz hat es sicher selbst nicht ernst gemeint, als er heute morgen dem Hohen Hause die Erklärung angeboten hat, er habe nicht als Justizminister gehandelt, sondern als irgend etwas anderes. Es gibt keine verschiedenen Zylinder, die man sich je nach Bedarf aufsetzt und bei deren Besitz man in einem Falle Bundesmi-
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Wittrocknister der Justiz ist und im anderen Falle irgend etwas anderes. Der Herr Bundesjustizminister hat sich stets der Verpflichtung seines Amtes bewußt zu sein. Zu dem wesentlichen Kreis seiner Pflichten gehört immer und in allen Phasen seines Verhaltens die Wahrung und die Verteidigung der Rechtlichkeit. Er kann sich derartige Eskapaden, wie er sie sich hier geleistet hat, einfach kraft Amtes nicht leisten. Es handelt sich hierbei um Eskapaden, die nun offensichtlich für jenen Bundesminister charakteristisch sind. Ich erinnere Sie an die Eskapaden, die das Haus mitunter von dieser Stelle beschäftigt haben und auf die ich im einzelnen nicht zurückkommen will.Ich möchte bei der Beratung des Justizetats noch auf ein allgemein interessierendes Problem eingehen, das Anlaß zur Besorgnis bietet. Es handelt sich dabei um die Situation unserer Gerichtsbarkeit. Es handelt sich um die Frage, ob unsere Gerichte heute noch in der Lage sind, dem Rechtsuchenden schnell und zügig zu seinem Recht zu verhelfen. Das ist übrigens eine Frage, die nicht nur den Bundesminister der Justiz zum Nachdenken veranlassen sollte, sondern eine Frage, die die Bundesregierung in ihrer Gesamtheit angeht und die, glaube ich sagen zu können, auch für das Haus als gesetzgebende Körperschaft von einer wesentlichen Bedeutung ist, ebenso übrigens wie für die entsprechenden Institutionen draußen im Lande.Sie alle wissen, es gibt Verfahren, die sich über viele Jahre hinschleppen. Es gibt Prozesse, deren lange Dauer faktisch eine glatte Rechtsverweigerung bedeutet. Es handelt sich hierbei um ein Problem, das gelegentlich auch im Rechtsausschuß des Bundestages Anlaß zu besorgniserfüllten Betrachtungen gegeben hat; denn die lange Dauer der Gerichtsverfahren — es gibt Prozesse, die sich über fünf, sechs Jahre hinziehen — ist, ich sagte ,es schon, praktisch eine glatte Rechtsverweigerung. Sie ist im Grunde ein Schlag ins Gesicht einer jeden Rechtsstaatlichkeit. Deshalb stehen wir vor der Verpflichtung — und wir sollten eigentlich immer vor dieser Verpflichtung stehen und uns ihrer immer bewußt sein —, nach den Ursachen zu forschen und daraus den Versuch abzuleiten, die Situation unserer Gerichtsbarkeit zu verbessern. Die Richter — das zeigen die Untersuchungen — tun ihre Pflicht. Es besteht kein Anlaß, den 12 000 Richtern im Bereich der Bundesrepublik auch nur den mindesten Vorwurf zu machen. Die Gerichte klagen über eine maßlose Überlastung.Es erhebt sich die Frage, was die Ursache dieser Überlastung ist. Ich glaube, es ist die Feststellung erlaubt, daß eine wesentliche Ursache der Überlastung die Tatsache ist, daß der Umfang und die Zahl der gesetzlich normierten Gebiete ständig zunehmen, ohne daß gleichzeitig die hieraus für unsere Gerichte erwachsende neue Arbeitsbelastung hinreichend bedacht wird. Die Rechtsstaatlichkeit kann auf die Dauer nur gewahrt werden, wenn die Fülle der möglichen Fallgruppen in einem harmonischen Verhältnis zu den technischen Möglichkeiten einer Rechtsschutzgewährung steht.
Das ist ein Gebot, das wir alle, aber gerade auch Sie, meine Damen und Herren von der Mehrheit, bedenken sollten und bedenken müssen.
— Ob Sie es bedenken, verehrter Herr Kollege, dahinter möchte ich ein großes Fragezeichen setzen. Denken Sie beispielsweise an die ungeheure zusätzliche Arbeitsbelastung im Bereich unserer Sozialgerichtsbarkeit, die sich aus der komplizierten Konstruktion Ihrer sogenannten Rentenreform ergeben hat. Erkundigen Sie sich bei dem Präsidenten des Bundessozialgerichts, welche arbeitsmäßige Belastung sich für diese Gerichtsbarkeit gerade aus den letzten Endes von Ihnen wesentlich zu vertretenden komplizierten Regelungen ergeben hat. Ich glaube nicht, daß Sie hier so ohne weiteres behaupten können, daß Sie sich dieser Verpflichtung, eine Ausgewogenheit von möglichen Fallgruppen und Rechtsschutzmöglichkeiten zu wahren, immer bewußt sind.
Ich möchte hier die Feststellung treffen,
daß sich die Bundesregierung dieser Verpflichtung — jedenfalls nach ihrem bisherigen Verhalten — ebenfalls in keiner Weise bewußt ist.Die Exekutive pflegt sehr fix zu sein, wenn es darum geht, aus der gesetzlichen Regelung neuer Rechtsgebiete und aus der Erweiterung vorhandener Rechtsgebiete die stellenplanmäßigen Konsequenzen anzuregen. Wenn es aber darum geht, Konsequenzen für die arbeitsmäßige Ausstattung der Gerichte zu ziehen, dann schweigt die justizfremde Bundesregierung.Ich will auch dafür ein Beispiel anführen. Ich muß dieses Beispiel deshalb erwähnen, weil der Herr Bundesminister des Innern heute morgen mit Nachdruck den Willen betont hat, jenes Ein- und Ausreisegesetz noch in dieser Legislaturperiode verabschieden zu lassen. Der Präsident des Bundesverwaltungsgerichts hat sich in einer Sitzung des Rechtsausschusses zu der arbeitsmäßigen Belastung geäußert, die aus einem solchen Gesetz — und gerade aus diesem Gesetz — möglicherweise entsteht. Ich darf aus dem Protokoll folgendes zitieren:
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— Herr Kollege, das wurde abgelehnt. Es wurde behauptet, die Anforderung h abe haushaltsmäßig nicht entsprechend überprüft werden können usw. Ich möchte Ihre Argumentation nicht wiederholen. Aber seien Sie auf Grund dessen, was ich Ihnen vorhin gesagt habe, bitte überzeugt, daß kein interfraktioneller Antrag aus dem Rechtsausschuß gestellt wird, wenn nicht sehr sorgfältig geprüft worden ist, ob eine Stellenanforderung notwendig ist.
Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Conring?
Ja.
Frau Kollegin, wären Sie der .Auffassung, daß wir im Haushaltsausschuß gut verfahren würden, wenn wir ohne Einschränkung und ohne Prüfung die — etwaigen interfraktionellen — Anträge der einzelnen Fachausschüsse ohne weiteres akzeptieren wollten? Halten Sie es nicht für besser, daß der Haushaltsausschuß, der eine gewisse Übersicht über die verschiedenen Einzelpläne hat und deshalb einen Vergleich anstellen kann, die Anträge der einzelnen Fachausschüsse einer Prüfung unterzieht?
Herr Kollege, grundsätzlich haben Sie natürlich recht; aberman soll nie ein Prinzip zu Tode reiten, und so meine ich, man sollte doch überlegen, ob nicht bei den Gerichten, um die es sich hier handelt, bei den oberen Bundesgerichten, eine Ausnahme gemacht werden muß. Wir haben die Berichte, welche die Notwendigkeit dier Anträge zeigten, erst bekommen, als es nicht mehr möglich war, noch die haushaltsmäßige Überprüfung vorzunehmen. Wir haben die Anträge trotzdem für erforderlich erachtet.Und dann bitte ich Sie, Herr Kollege — Sie sind ja Jurist —, auch folgendes zu bedenken. Bereits Herr Kollege Wittrock hat darauf hingewiesen, daß eine Überlastung der oberen Bundesgerichte vorliegt. Wir haben uns von den Präsidenten der oberen Bundesgerichte in den vergangenen Jahren und auch in diesem Jahr die Zahlen über die dort anhängigen Verfahren geben lassen. Bei den eingehenden Diskussionen, die wir nicht nur in diesem Jahr, sondern auch in vergangenen Jahren hatten, kam zum Ausdruck, daß es bei den oberen Bundesgerichten nicht angängig ist, beliebig neue Senate zu schaffen und neue Richterstellen einzurichten,
und zwar deshalb, weil sonst die Gefahr besteht, daß die Einheitlichkeit der Rechtsprechung darunter leidet.
Gerade dieser höhere Gesichtspunkt der Einheitlichkeit der Rechtsprechung wird auch von den Gerichten selbst sehr stark beachtet.Wenn ich Ihnen das jetzt noch einmal vor Augen führe, dann möchte ich Sie bitten — Sie haben noch nicht alle Anträge abgelehnt —, sich zu überlegen, ob Sie nicht Ihre ablehnende Stellungnahme bezüglich der jetzt noch anstehenden zwei Richterstellen revidieren und hier den durchaus berechtigten Wünschen Rechnung tragen wollen. Herr Kollege Conring, Sie haben vorhin auf 2200 Stellen hingewiesen. Hier handelt es sich nur um zwei Stellen, deren Berechtigung sorgfältig geprüft ist und die wir unter diesem Gesichtspunkt beantragt haben.Für uns taucht aber darüber hinaus immer wieder die Frage auf, was wir tun können, um der Überlastung der Gerichte, insbesondere der Revisionsgerichte, zu begegnen.
Da sind wir bei den Revisionsgerichten in einer schwierigen Situation. Auf der einen Seite steht der Wunsch, durch die Revisionen eine Rechtsfortbildung vorzunehmen und deshalb nur solche Fälle zur Revision kommen zu lassen, bei denen es sich um die Entscheidung grundsätzlicher Fragen handelt. Auf der anderen Seite steht der berechtigte Wunsch des Bürgers, des Rechtsuchenden, in den Fällen, die für ihn von Bedeutung sind, auch dann noch die Revisionsmöglichkeit zu haben, wenn es sich nicht nur um eine Grundsatzentscheidung handelt, sondern wenn, wie es bei den ordentlichen Gerichten der Fall ist, ein entsprechend hoher Streitwert vorliegt. Ich bin der Auffassung, wenn wir vor diesem Dilemma stehen, dann müssen wir bei allem Ver-
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Frau Dr. Diemer-Nicolausständnis dafür, daß die rechtsfortbildende Tätigkeit der Revisionsrichter besonders erwünscht ist, zuerst einmal nach dem Gesichtspunkt der Rechtsgarantie für den Rechtsuchenden entscheiden.
— Aber, Herr Kollege, wir haben doch schon bei der Verwaltungsgerichtsordnung ganze Bereiche von den Berufungsverfahren ausgeschaltet!
— Nein, .das bedauere ich, und ich habe es damals abgelehnt. Wir haben jetzt in weiten Gebieten nur noch die Revision auf Grund einer besonderen Zulassung und die Zulassungsbeschwerde. Ich weiß nicht, ob wir nicht in dieser Hinsicht im Augenblick zu weit gehen in dem, was wir ,dem Bürger an Opfern zumuten, die er gegebenenfalls im Interesse einer geringeren Belastung der Gerichte bringen soll.Dabei ist etwas zu beachten, worauf Herr Kollege Wittrock schon hingewiesen hat. Auch ich habe mit Bedauern die Zahlen gehört, aus denen sich ergibt, daß gerade die öffentliche Hand die höchsten Prozentsätze an Fällen bis zur letzten Instanz treibt. Wenn die öffentliche Hand ihren Bürgern da nicht mit gutem Beispiel vorangeht, — wie will sie es dann den Bürgern verargen, wenn auch sie eine letztinstanzliche Entscheidung verlangen?
Ich möchte mich aber jetzt über diese Dinge nichtzu sehr verbreiten, sonst wird meine Rede zu lang; ich möchte wieder zu 'der eigentlichen Frage zurückkommen: Wie hat das Justizministerium gearbeitet?Ich glaube, in mancher Hinsicht hat sich das .Justizministerium bei der Einbringung von Gesetzen dann eine Beschränkung auferlegt, wenn es der Meinung war, seine Auffassung sei richtig, aber eine starke öffentliche Kritik einsetzte. Ich erinnere an das Gesetz über den Persönlichkeits- und Ehrenschutz. Gegen dieses Gesetz ist eingewendet worden, es bestehe die Gefahr, daß damit in die Pressefreiheit eingegriffen werde. Die Bedenken, die insofern geäußert wurden, 'haben gezeigt, daß es sich um eine Materie handelt, die sehr sorgfältig erwogen werden muß. In den letzten Monaten wurde auch von seiten des Bundesjustizministeriums über dieses Gesetz nicht mehr gesprochen. Ich habe den Eindruck, daß die Kritik, die geübt worden ist, auf fruchtbaren Boden gefallen ist und 'daß deshalb von seiten des Justizministeriums Zurückhaltung —wenigstens im Augenblick — gewahrt wurde. Ich begrüße es, wenn 'bei der Einbringung von Gesetzen in einer derart vorsichtigen Weise vorgegangen wird. Ich habe den Eindruck, daß der in der öffentlichen Kritik erhobene Einwand, es bestehe die Gefahr eines Eingriffs in die Pressefreiheit, also die Gefahr der Beeinträchtigung eines Grundrechtes, auf fruchtbaren Boden gefallen ist. Aber wenn hier unter diesem Gesichtspunkt dieses Gesetz zurückgestellt wurde, dann geht meine Forderung allerdings dahin, daß diese Achtung vor dem Grundgesetz auch bei allen übrigen Gesetzen gewahrt wird.Da komme ich natürlich, Herr Bundesjustizminister, zu einer Frage, an der ich in der heutigen Diskussion nicht vorbeigehen kann, auch wenn sie schon in der vielfältigsten Art und Weise angesprochen wurde. Sie sind — das hat ja Ihre Erklärung heute morgen erwiesen — überrascht worden, als Sie an jenem ominösen Julitag aus den Ferien nach Bonn gerufen wurden. Sie wurden praktisch vor eine vollendete Tatsache gestellt; es ist Ihnen gesagt worden — so habe ich wenigstens auch damals aus Presse und Rundfunk entnommen —: Hier kann ohne weiteres mitgemacht werden, das ist geprüft, und das geht nachher schon; das ist alles Rechtens. — Und da ist Ihnen nun allerdings etwas passiert, was Ihnen wahrscheinlich nicht oft in Ihrem Leben passiert ist: Sie sind überrumpelt worden und haben eine Unterschrift unter einen Vertrag geleistet, der jetzt für grundgesetzwidrig erklärt worden ist.
Das hat mich damals überrascht, Herr Bundesjustizminister, 1. weil Sie, soviel ich weiß, ein sehr erfahrener Anwalt gewesen sind, 2. weil Sie aus Bayern kommen, das ja sehr föderalistisch eingestellt ist, und 3. weil seinerzeit die CSU im Bayerischen Landtag, wenn ich mich recht erinnere, das Grundgesetz abgelehnt hat, da es ihr nicht föderalistisch genug gewesen ist. Hier wurde jetzt im Wege eines privaten Vertrages unter Umgehung der Parlamente versucht, eine öffentliche Aufgabe in einer zentralistischen Art und Weise zu lösen. Das hat auch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts ergeben.Als Sie Ihre Anteile zurückgegeben hatten, nachdem Sie feststellen mußten, daß sich alle Länder gegen diese Art des Prozedierens wehrten, dachte ich, Sie wollten damit „tätige Reue" üben. Herr Bundesjustizminister, leider haben Sie heute morgen in Ihrer Erklärung einen Satz, der mir Veranlassung gibt, zu sagen: ich kann das jetzt nicht mehr behaupten. Sie haben sich voll und ganz hinter die Ausführungen des Herrn Innenministers Schröder gestellt. Ich muß doch erklären: was heute morgen an Urteilsschelte von seiten des Herrn Innenministers geübt worden ist, geht nach meiner Auffassung über das erträgliche Maß hinaus, geht über das hinaus, was man dem Bundesverfassungsgericht, diesem zum Hüter des Grundgesetzes bestimmten Gericht, einfach an Achtung zubilligen muß. Ich halte es für unglückselig, daß jetzt gar noch versucht wird, nachträglich eine Dokumentation zu bringen. Ich sehe die Gefahr herannahen, daß sich ein echter Konflikt zwischen der Bundesregierung und dem Bundesverfassungsgericht entwickelt, und ich wäre Ihnen, Herr Bundesjustizminister, außerordentlich dankbar, wenn Sie jetzt auf Grund der guten juristischen Kenntnisse, die Ihrem Ministerium eigen sind, alles tun wollten, um einen derartigen Konflikt zu vermeiden. Wenn man von .dem einfachen Bürger verlangt, daß er sich mit einem Urteil abfindet, auch wenn er es für ungerecht hält — das wird ja auch bei den Petitionen immer wieder verlangt —, so muß man von der Regierung das gute Beispiel verlangen. Dann darf sie nicht sagen: Das Urteil ist falsch. Dann muß sie
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Frau Dr. Diemer-Nicolaussich auch einmal überlegen: War das, was ich getan habe, wirklich richtig? Dann muß sie sich vornehmen, den Grundsätzen, die in dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts ganz klar zum Ausdruck gekommen sind, in Zukunft auch in der Form des Prozedierens Rechnung zu tragen.Leider habe ich aus dieser zweitägigen Debatte den Eindruck gewonnen, daß eine derartige Einsicht nicht vorhanden ist, sondern bei der Bundesregierung die für den Deutschen leider typische Eigenschaft des Recht-haben-Wollens allzusehr zu Hause ist. Es wäre zu begrüßen, wenn trotzdem, nachdem der erste Arger verraucht ist, die Überlegung Platz griffe, daß ein demokratischer Rechtsstaat nur dann besteht, wenn die Richter wirklich unabhängig sind.Das war die Forderung bei der Schaffung des Grundgesetzes. Deswegen sind wir ja dabei, das Richtergesetz zu schaffen. Ich hoffe, daß es noch in dieser Legislaturperiode verabschiedet wird. Wir müssen diese Forderung des Grundgesetzes erfüllen. Nur unabhängige Richter geben die Garantie für einen wirklich demokratischen Rechtsstaat.Wenn ich an das Richtergesetz denke und mir überlege, was wir im Rechtsausschuß noch alles zu verabschieden haben und wieviel Gesetze noch in den übrigen Ausschüssen anhängig sind, so stellt sich mir allerdings die Frage: War das, was von den Ministerien eingebracht worden ist, tatsächlich alles notwendig? Auch die verschiedenen Ministerien haben doch in den letzten zwölf Jahren Erfahrungen genug gesammelt, um zu wissen, was ein Bundestag und seine Ausschüsse innerhalb einer Legislaturperiode verkraften können.Wenn ich daran denke, was an Reformen am Anfang dieser Legislaturperiode versprochen wurde, muß ich feststellen, daß zwar eine Reihe auch größerer Gesetze verabschiedet, aber die wirklich großen Reformen auf keinem Gebiet durchgeführt worden sind. Insofern bedauere ich auch, feststellen zu müssen, daß der Zeitplan, der ursprünglich beim Justizministerium für die Strafrechtsreform vorgesehen war, nicht eingehalten worden ist, trotz allem Fleiß wohl nicht hat eingehalten werden können.Noch etwas anderes hat mir zu denken gegeben. Als das Juristische Jahrbuch herauskam, hat der frühere Präsident Weinkauff den ersten Aufsatz geschrieben, und zwar über das Thema: „Warum und wie Große Justizreform?" Als ich diese Abhandlung gelesen hatte, wurde mir erst so richtig deutlich und klar, wie sehr wir bei diesen großen juristischen Problemen erst am Ansang einer Justizreform stehen. Mir wurde klar, daß diese Strafrechtsreform auch erst der Anfang einer großen Justizreform ist.Ich habe es begrüßt, daß seitens des Bundesjustizministeriums wenigstens eine kleine Strafprozeßnovelle eingebracht worden ist, und ich würde es außerordentlich bedauern, wenn selbst dieses Minimum, das zur Verbesserung des Strafverfahrens unbedingt notwendig ist, in diesem Bundestag nicht mehr verabschiedet werden sollte.Übriggeblieben ist auch die Aktienrechtsreform. Ich bezweifle, daß der Bundestag dieses vielschichtige Problem noch behandeln kann. Meine sehr verehrten Kollegen und Kolleginnen von der CDU/CSU, es genügt nicht, wenn Sie sich zunächst einmal innerhalb Ihrer Arbeitskreise und innerhalb Ihrer Fraktion einig werden. Das genügt nicht für eine kurzfristige Verabschiedung der Vorlagen. Wir sollten uns vielmehr angewöhnen, derart weitreichende Gesetzentwürfe mit aller Gründlichkeit und Sorgfalt auch in den Ausschüssen und im Plenum zu behandeln.Ich will gar nicht darauf eingehen, was an Finanzvorschlägen unerledigt geblieben ist. Aber ich muß doch darauf hinweisen, daß in einem Antrag vom November 1957 die FDP-Fraktion eine Vereinheitlichung der Rechtspflege gefordert hat. In diesem Antrag haben wir — ich will es für Sie ganz klar und deutlich aussprechen — ein Rechtspflegeministerium gefordert. Dieser Antrag ist bis heute nicht behandelt worden. Wir von der FDP haben diese Frage in verschiedenen Ausschüssen immer wieder aufgegriffen, und ich habe auch kein Hehl daraus gemacht, daß dieser Bundestag nicht auseinandergehen wird, ohne sich auf Grund unseres Antrages mit dieser Frage endlich einmal auseinandersetzen zu müssen.Die anderen Parteien sind bisher ausgewichen. Das ist in Zukunft einfach nicht mehr möglich. Als ich den Antrag im Rechtsausschuß bei der letzten möglichen Gelegenheit, nämlich sowohl bei der Beratung des Richtergesetzes als auch bei der Beratung der Finanzgerichtsordnung, wieder zur Diskussion stellte und eine Abstimmung herbeiführte, hatte diese ein erstaunliches Ergebnis. Ich glaube, das war einmalig. Außer mir — ich habe mit Ja gestimmt — haben sich alle anderen der Stimme enthalten. Dagegen wagte im Rechtsausschuß doch keiner mehr zu stimmen. Und warum? Weil nämlich in dieser Zeit, seit wir die Forderung nach einem Rechtspflegeministerium erhoben haben, soviel neues Material eingegangen ist!
— Es waren 16 Enthaltungen und eine Gegenstimme. Aber das Überraschende waren die vielen Enthaltungen.
Die Berechtigung unserer Forderung ist doch in derZwischenzeit von den verschiedensten Seiten hervorgehoben worden. Darauf möchte ich hinweisen.
— Aber, Herr Kollege Conring, ich betrachte nun einmal auch unsere Forderung als so wesentlich, daß wir es für notwendig halten, auf diese Dinge im Plenum zu sprechen zu kommen, ohne daß Sie auf die Uhr sehen. Es gibt andere Dinge, bei denen Sie das wieder tun können.Wir haben heute fünf Gerichtsbarkeiten. Was immer wieder angegriffen wird, ist doch die Tatsache, daß die Verwaltung mit den Hausgerichtsbarkeiten verknüpft ist. Also praktisch werden die Arbeitsgerichte, die Sozialgerichte, die Finanzgerichte, die
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Frau Dr. Diemer-NicolausVerwaltungsgerichte nicht vom Justizministerium verwaltet, sondern von dem betreffenden Fachministerium. Das wurde beanstandet, und zwar nach zwei verschiedenen Seiten.Es wird von der materiellen Seite her beanstandet. Ich darf dazu auf das Beispiel der Verwaltungsgerichtsbarkeit hinweisen, wo der größte Teil der Fälle, über die die Verwaltungsrichter zu entscheiden haben, letztlich auf Verwaltungsakten ihrer ' eigenen Verwaltung beruhen. Nicht anders ist es bei den übrigen Hausgerichtsbarkeiten. Hierdurch wird das Gefühl, daß die Unabhängigkeit der Gerichtsbarkeit gewahrt ist, beeinträchtigt. Ich muß schon sagen, daß es für mich ein bedenkliches Zeichen war, als ich erfuhr, daß ein Richter bei einem Sozialgericht eine Belobigung, die er in Form einer Urkunde oder etwas Ähnlichem erfahren sollte — ich glaube, auf Grund einer 25jährigen Tätigkeit —, ablehnte mit dem Hinweis darauf, das könne, weil es ja von seinem Fachministerium käme, so ausgelegt werden, als sei er in diesem Falle abhängig.Auch der weitaus größte Teil der Richter wehrt sich dagegen. Es ist von ihnen — ich darf das mit Genehmigung des Herrn Präsidenten vorlesen — folgendes ausgeführt:Es ist weiterhin mit rechtsstaatlichen Grundsätzen unvereinbar, daß Beamte, wie es leider bereits vorgekommen ist, nach ihrer Ernennung zum Richter über Maßnahmen ihrer bisherigen Dienststelle zu entscheiden haben, die sie selbst in eigener Verantwortung in die Wege geleitet oder an denen sie mitgewirkt haben.Das zeigt, daß die Dinge so nicht weitergehen können. Deshalb hat auch unser Antrag, ein Rechtspflegeministerium zu schaffen bzw. die Gesetze entsprechend zu gestalten, bei dein größten Teil der Richter und auch bei der Öffentlichkeit ein günstiges Echo gefunden. Es ist auch nichts Neues, was wir in dieser Hinsicht fordern; Neuland in dieser Hinsicht hatte 1956 schon das Land Schleswig-Holstein beschritten. Dort sind die Dinge absolut gut gelaufen.In diesem Zmsammenhang möchte ich noch auf etwas hinweisen. Hier wurde von der Überlastung der Gerichte gesprochen. Wir wissen auf Grund der Zahlen, die uns im Rechtsausschuß genannt wurden, daß auch die Sozialgerichtsbarkeit außerordentlich stark belastet ist. Daraus ergibt sich folgendes. Während im Bundesdurchschnitt aller Länder am Ende des Jahres 1960 63,33 % der insgesamt 56 309 unerledigten Streitfälle an den Landessozialgerichten länger als ein Jahr anhängig waren, betrug der Rückstand in Schleswig-Holstein nur 16,4 %.
— Das Rechtspflegeministerium ist eine Frage, die in diesem Zusammenhang doch behandelt werden muß!
— Wo denn sonst? — Es taucht im Zusammenhang mit dem Bundesjustizministerium selbstverständlich auch die Frage auf, daß auch der Bundesfinanzhof, der Verwaltungsgerichtshof, das Bundesarbeitsgericht und das Bundessozialgericht ebenfalls beim Justizministerium als Rechtsprechungsministerium ressortieren müßten. Sind Sie wirklich der Auffassung, daß ich in diesem Fall nicht darüber sprechen kann?
— Ich habe gleich Mitleid mit Ihnen. Aber ich kann Ihnen das eine nicht ersparen: Ihnen jetzt noch einmal zur Kenntnis zu bringen, daß die Rückstände in Schleswig-Holstein nur 16,4 % gegenüber 63,33 % in den sonstigen Ländern betragen. Der Grund dafür ist, daß auf Grund dieser Ressortierung mit vermehrten Kammern unter Heranziehung von anderen Richtern Rückstände aufgearbeitet werden konnten. Es konnten sehr schnell entsprechende organisatorische Maßnahmen getroffen werden.Im übrigen werden wir uns über die Frage der Rechtsprechungsministerien — das verspreche ich Ihnen schon heute — noch einmal, sei es beim Richtergesetz, sei es bei der Finanzgerichtsordnung, eingehend auseinandersetzen, und zwar ohne daß Sie auf die Uhr sehen, Herr Kollege Dr. Conring.Zum Schluß
- freuen Sie sich nicht zu früh, meine Herren! —habe ich noch folgende Frage zu stellen. Mir ist aufgefallen, daß eine Reihe von Bundesgesetzen — nicht erst jetzt die letzte Sache des Fersehens — vom Bundesverfassungsgericht als dem Grundgesetz widersprechend aufgehoben wurde. Da stellt sich für mich folgende Frage, die ich mir auch schon bei den Beratungen in den Ausschüssen gestellt habe.
— Jawohl, ich komme jetzt auch zum Schluß.
— Eben deswegen spreche ich jetzt. Dann sparen Sie sich das für die dritte Lesung.
Ich möchte jetzt folgende Frage stellen. Das ist ein Problem, das mich immer bewegt; auch der Kollege Wittrock hat es mit angesprochen. Wieweit — das habe ich bisher von mir aus nicht feststellen können — wird eigentlich das Bundesjustizministerium so quasi als Justitiar von den Fachministern eingeschaltet zur Überprüfung, ob ihre Gesetzentwürfe auch dem Grundgesetz standhalten? Es sind doch Dinge passiert, die, wenn eine sorgfältige Überprüfung von selten des Justizministeriums auf ihre Verfassungsmäßigkeit hin stattgefunden hätte, eigentlich nicht hätten passieren können. Ich brauche nur auf den letzten Fall hinzuweisen, auf das Gesetz über den Belegschaftshandel, das gestern in
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Frau Dr. Diemer-Nicolausder Fragestunde behandelt wurde. Ist es nun so, daß die Fachministerien gegebenenfalls nicht auf das Justizministerium hören, oder ist es so, daß das Justizministerium von den Fachministerien nicht in dem notwendigen Umfang zur Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit der Gesetzentwürfe eingeschaltet wird?Ich habe ein weiteres Beispiel; ich will jetzt nicht viele aufzählen, nur noch ein weiteres,
nämlich die Frage des Notstands- und Notdienstgesetzes. Es ist in der Zwischenzeit von vielen Seiten herausgestellt worden, daß die Bestimmungen des Notdienstgesetzes, soweit es sich um den Einsatz von Frauen handelt, mit ausdrücklichen Bestimmungen des Grundgesetzes nicht übereinstimmen. Diese Nichtübereinstimmung ist so offensichtlich, daß ich mir nicht vorstellen kann, daß das vom Bundesjustizministerium übersehen wurde, wenn es dabei gefragt wurde.Herr Bundesjustizminister, ich habe diesmal nicht nur Lob aussprechen können, sondern auch mein Mißfallen darüber zum Ausdruck bringen müssen, daß Sie bei der Unterzeichnung des Fernsehvertrages voreilig gehandelt haben, wie ich das sonst eigentlich bei Ihnen nicht gewohnt bin. Es ist nun einmal so, daß jeder Minister nachher für alles geradestehen muß. Aber als meine Fraktion vor der Frage stand, wie sie denn nun zu dem Gesamthaushalt des Justizministeriums steht, da sind wir zu der Auffassung gekommen: Wir sind Sünder allzumal. Es ist keiner so ohne Fehl, daß ihm nicht aucheinmal etwas passiert wäre, von dem er nachher gesagt hätte, eigentlich hätte mir ,das nicht passieren dürfen.
Da wir außerdem eine Partei sind, die durchaus nach christlichen Grundsätzen handelt und auch christliche Nächstenliebe walten läßt, wollen wir es auch in diesem Falle tun, und so werden wir Ihrem Haushalt zustimmen.
Herr Bundesjustizminister.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sie werden mir zunächst die persönliche Bemerkung verzeihen: Mir wäre es ein Vergnügen gewesen, der Vorrednerin noch länger zuhören zu können, aber ich habe Verständnis für Sie, wenn Sie wünschen, daß sich die Debatte heute nicht allzu sehr in die Länge zieht. Ich werde mich infolgedessen in meiner Antwort jetzt möglichst kurz fassen. Ich möchte zunächst auf die Fragen eingehen, die der Herr Kollege Wittrock aufgeworfen hat, und zwar in erster Linie wieder auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts.Ich stelle fest, Herr Kollege Wittrock — und damit sollte eigentlich unsere Debatte auch in der Zeit kurz sein —, es ist richtig, daß ich erst am 25. Juli in der Frühe — wenn Sie es wissen wollen, mit demMorgenzug, nämlich um 7.30 Uhr, glaube ich — nach Bonn gekommen bin, nachdem ich am Sonntag verständigt worden war, ich würde in Bonn benötigt. Wenn nun vom Justizministerium gesprochen wird, so ist das nicht der Minister allein, sondern mein Haus, und mein Haus hatte den betreffenden Gesetzentwurf zur Nachprüfung bereits am Samstag vorher erhalten.
— Nein, nein, ich meine den Gesellschaftsvertragsentwurf für die GmbH; darum ging es doch.
— Entschuldigen Sie, lassen Sie mich doch einmal weiterreden! Infolgedessen konnte ich über das Ergebnis der Untersuchung meines Hauses erst bei meiner Ankunft und nicht, als ich weg war, verständigt werden. Es waren Stunden, bevor die eigentliche Sitzung über den Vertragsentwurf begonnen hatte.Ich war also über die Rechtsauffassung meines Hauses völlig unterrichtet und habe sie geteilt, — damit Sie darüber im Bilde sind. Selbstverständlich sind die übrigen an der Sache beteiligten Ressorts gleichzeitig gutachtlich von der Stellungnahme des Bundesjustizministeriums verständigt worden.Zweitens stelle ich fest: Ich habe absichtlich in dem Schreiben an Herrn Ministerpräsidenten Altmeier betont, und zwar aus gutem Gewissen und aus innerer Überzeugung, daß, wenn der Privatmann Schäffer dem Vertrag als Gesellschafter beigetreten ist, dies mit seiner Eigenschaft als Bundesjustizminister gar nichts zu tun hat.
— Weil ich betont habe — haben Sie denn heute nicht gehört, als ich diesen Brief vorgelesen habe —, daß ich der Gesellschaft völlig unabhängig beitreten, daß ich in der Gesellschaft von dem anderen Gesellschafter unabhängig sein wollte. Das war doch die Voraussetzung, weil ich mich als Vertreter der Länder und der Länderinteressen gefühlt habe, bis eine Entscheidung darüber gefallen war: finden sich Länder, die beitreten, oder nicht?Drittens habe ich heute früh schon festgestellt — das können Sie in München und an anderen Orten jederzeit nachprüfen —, als ich beitrat, lagen Erklärungen von einzelnen Regierungsmitgliedern vor, daß sie dieser Lösung zustimmen könnten. Und als ich in München war, haben die Parteigremien meiner eigenen Partei dem Vorschlag, der damals gemacht worden ist, ausdrücklich, auch in der Presse, wenn Sie es wissen wollen, zugestimmt. Infolgedessen ist die Annahme — das stelle ich fest — auch im Urteil des Bundesverfassungsgerichts, daß damals meine Beteiligung sozusagen schon von vornherein gegenstandslos gewesen und der Versuch einer Einigung mit den Ländern aussichtslos gewesen wäre, sachlich unrichtig.Ich bemerke aber meiner liebenswürdigen Vorrednerin gegenüber: Ich habe mich in allem 'bemüht,
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Bundesminister Schafferzwar meine Überzeugung zu vertreten, aber ebenso darum, dabei das Ansehen des Bundesverfassungsgerichts nicht anzugreifen.Jetzt möchte ich auf Ihre weiteren Fragen eingehen. Sie haben gesagt, die Dauer der Prozesse nehme zu und die Rückstände mehrten sich. Herr Kollege Wittrock, es kann sich in diesem Fall nur um die Bundesgerichte handeln. Ich kann infolge- dessen nur bekanntgeben, wie der Stand der Revisionsverfahren — vom Eingang der Revisonsbegründung bis zur Verkündung des Urteils — bei dem Bundesgerichtshof ist.Ich stelle fest: In Strafsachen gibt es überhaupt keine Rückstände!
In Strafsachen ist praktisch alles erledigt! In Zivilsachen sind die Rückstände, die in früheren Jahren relativ hoch waren, auf ungefähr 7% zurückgegangen, die nicht in den ersten 18 Monaten erledigt werden konnten.Ich bemerke weiter — als Jurist werden Sie mir, nehme ich an, darin zustimmen —: Beim Revisionsgericht, beim Bundesgerichtshof, darf nach meiner Überzeugung eine bestimmte Zahl von Richtern und Senaten nicht überschritten werden; sonst ist es nicht mehr arbeitsfähig. Ich muß 'dem Gericht aber nachrühmen, daß es mit den vorhandenen Mitteln und mit dem vorhandenen Personal die anfallenden Arbeiten in Strafsachen restlos und in Zivilsachen gegenüber früher vollständiger durchgeführt hat.
Sie haben dann davon gesprochen, daß die Prozesse — insbesondere natürlich Strafprozesse — abgekürzt werden sollten. Da 'habe ich eine herzliche Bitte an Sie und an den ganzen Deutschen Bundestag. Fast 40 °/o der Fälle, die heute in Strafsachen anfallen, betreffen das Verkehrsstrafrecht. Das sind meistens Autounfälle usw. Die vorgelegte Novelle zum Verkehrsstrafrecht hat neben anderen Gründen den Hauptgrund, ,die Prozesse wegen dieser Straßenverkehrsdelikte abzukürzen, sie zu beschleunigen. Ich habe die eine Bitte: Wenn es Ihnen ernst ist mit 'dem Wunsch, die Prozesse abzukürzen, schauen Sie, daß diese von mir schon vor längerer Zeit vorgelegte Novelle zum Verkehrsstrafrecht endlich im Bundestag behandelt und zum Gesetz erhoben wird!
Was die Ausstattung der Gerichte betrifft, so kann ich auch hier verantwortlich nur für die Gebäude sprechen, ,die wirklich in Bundesverwaltung stehen. Da ist der Bundesgerichtshof in Karlsruhe. Sie wissen, daß der Bundesgerichtshof in Karlsruhe jetzt ausgebaut worden ist. Ich habe, als ich bei der Eröffnungsfeier anwesend war, von allen Richtern und allen Senatspräsidenten nur den Ausdruck der Befriedigung über diesen Bau gehört.
— Bitte!
Herr Bundesjustizminister, Sie weisen hier sehr betont auf die Bundeszuständigkeit hin.
Natürlich, weil Sie mich ansprechen!
Durchaus richtig, daß die Bundeszuständigkeit sich nur auf ganz bestimmte Gerichte bezieht! Das wissen wir alle. Sind Sie nicht der Meinung, Herr Bundesminister, daß es durchaus dem Bundestage ziemt, ein hinweisendes Wort zur Gesamtproblematik, adressiert an die gesamte Öffentlichkeit, ohne ständig die Scheuklappen der Zuständigkeit an den Augen zu haben, auszusprechen? Meinen Sie nicht, daß ein solches klärendes Wort zur legitimen Aufgabe einer solchen Institution wie des Bundestages gehört?
Herr Kollege, ich will Ihnen ein sehr offenes Wort sagen. Reden wir miteinander einmal rein in der Rolle, in der wir sind. Wir sind alle Angehörige einer politischen Partei. Die eine politische Partei hat in diesem Land die Mehrheit, die andere in einem anderen Land. Wollen wir das im ganzen Bundesgebiet, in allen Bundesländern einmal einheitlich sehen. Wenn es Ihnen so ernst ist — meinen Freunden ist es hoffentlich wirklich ernst —, wirken Sie in Ihrer Partei dahin, daß in den jeweiligen Landtagen für den Ausbau und die Verbesserung der Gebäude der Straf- und Zivilgerichte mehr geschieht als bisher.
Dann ist noch das Problem der Bundesanwaltschaft aufgeworfen. Für diese bin ich nur verantwortlich, soweit es sich um die Bundesanwaltschaft beim Bundesgerichtshof handelt — über das Bundesverwaltungsgericht kann ich kein Urteil abgeben; das ist ein fremdes Ressort —. Die Bundesanwaltschaft hat mir, als ich das letzte Mal an ihrer Tagung teilnahm, ausdrücklich den Dank dafür ausgesprochen, daß die Zahl der Staatsanwälte so bemessen worden ist, daß die Arbeit geleistet werden kann und der einzelne Staatsanwalt doch in der Lage ist, ein würdiges Leben zu führen, wie es sein Beruf verlangt.Die Äußerungen über die Prozesse der öffentlichen Gewalt bezogen sich auf Äußerungen der Präsidenten des Bundesarbeitsgerichtes und des Bundessozialgerichtes. Das liegt außerhalb meines Ressorts. Ich kann mich dazu nicht äußern. Ich darf aber zu den vom Bund aus geführten Zivilprozessen einiges feststellen. — Ich würde Ihnen gern einmal die Zahlen vorgelegt haben. — Erstens. Sie sind mäßig gehalten. Zweitens. Sie betreffen immer grundsätzliche Fragen. Drittens. Sie gehen bei mir alle in die Revisionsinstanz. In der Revisionsinstanz handelt es sich um Rechtsfragen, nicht um Tatfragen. Infolgedessen sind die Möglichkeiten für einen Vergleich sehr beschränkt, weil ich in erster Linie die Rechtsfragen klären will und muß. Viertens. Stellen Sie einmal den Prozentsatz fest, wieviel Revisionen im Namen des Bundes eingelegt und
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Bundesminister Schäffergewonnen wurden. Ich kann die Zahl nicht genau nennen. Aber Gott sei Dank, zur Ehre muß ich sagen, in der weitaus überwiegenden Zahl der Fälle war das Rechtsverfahren für den Bund erfolgreich.Jetzt darf ich mich einmal liebenswürdig und lächelnd an meine liebenswürdige und lächelnde Vorrednerin, Frau Diemer-Nicolaus, wenden. Frau Diemer-Nicolaus, ich stimme Ihnen in sehr vielem zu, aber Vorbehalte muß ich auch machen. Zunächst stimme ich vollkommen Ihren Ausführungen über die Beschleunigung der Arbeit an einer neuen oder besseren Gestaltung des Zivilprozeßrechtes zu. Ich kann Ihnen mitteilen, was Sie vielleicht erfreut, daß die vom Bund schon vor langer Zeit eingesetzte Zivilprozeßrechtskommission ihre Arbeiten fast beendet hat. Ich rechne damit, daß bereits zu Beginn der nächsten Session auf Grund dieser Arbeiten dem Bundestag die entsprechenden Gesetzesvorschläge vorgelegt werden können.Sie haben dann von dem Gesetz über Persönlichkeits- und Ehrenschutz gesprochen. Da gehen unsere Meinungen etwas auseinander, Frau Kollegin. Ich spreche mein Bedauern darüber aus, daß dieser Gesetzentwurf nicht im Bundestag behandelt worden ist. Ich glaube, daß viele, die sich dagegen gewehrt haben, innerlich heute auch ein Bedauern aussprechen
aus dem einfachen Grunde, weil die Rechtsprechung genau die Gedanken, die in dem Gesetzentwurf enthalten sind, bisher ausgeführt hat. Jetzt darf ich ein weiteres sagen. Die Rechtsprechung konnte aber unmöglich auch bereits die Bestimmungen anwenden, die im Gesetzentwurf enthalten sind, um ein Übermaß von solchen Klagen zu verhindern. Heute verfährt die Rechtsprechung in allen Fällen ohne die Beschränkungen, die der Gesetzentwurf vorgesehen hat. Ich wünsche allen Glück.Ich wünschte, die übrigen von mir vorgelegten Gesetze, die Sie erwähnt haben, wären im Bundestag so weit behandelt worden, daß man noch in dieser Legislaturperiode mit ihrer Verabschiedung rechnen könnte. Die Frage, ob Gesetze notwendig sind, habe ich mir bestimmt vorgelegt. Ich habe das bei jedem Gesetz sehr klar begründet. Ich wollte, ich hätte Gelegenheit, zum Beispiel zu begründen, daß es sehr gut wäre, wenn sich der Deutsche Bundestag wenigstens in einer Lesung einmal mit dem Entwurf des Strafgesetzbuches beschäftigte, damit dann die Öffentlichkeit zu dem Gesetzentwurf Stellung nehmen kann. Ich würde es sehr begrüßen —durch die Briefe, die ich ins Haus erhalte, werde ich darin bestärkt —, wenn wenigstens die Strafprozeßnovelle noch behandelt würde. Nach dem, was ich aus den beteiligten Kreisen höre, würde ich es sehr begrüßen, wenn das Aktienrechtsgesetz noch behandelt würde. Ich würde es sehr begrüßen, wenn die anderen Gesetzentwürfe, von denen ich schon gesprochen habe — Verkehrsstrafrecht usw. — bereits ins Leben getreten wären.Was die Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen anlangt, so darf ich Ihnen folgendes sagen. Sie haben das Gesetz über den Belegschaftshandel genannt. Bei diesem Gesetz handelt es sich um ein im Deutschen Bundestag eingebrachtes Initiativgesetz. Hier wird der Bundesjustizminister leider amtlich nicht gefragt. Er kann auf private Fragen eine Antwort geben; das hat er auch getan. Er hat eine Antwort gegeben, die seiner Überzeugung entsprach, auch wenn sie nicht gern gehört wurde. Derjenige, der die Verantwortung im letzten Moment mit seiner Unterschrift übernehmen muß — das ist der Bundespräsident —, wird sich mit der Frage der Verfassungsmäßigkeit des Gesetzentwurfs beschäftigen müssen.Was nun das letzte anlangt — um ganz versöhnlich zu schließen, Frau Kollegin —, das Rechtspflegeministerium! Ich stelle fest, daß in Juristenkreisen dieser Gedanke allseitig erwogen wird. Dort, wo die Verwirklichung dieses Gedankens versucht worden ist — wie in Schleswig-Holstein —, sind die Erfahrungen sehr gut. Es konnte erreicht werden, daß die gesamten Personalangelegenheiten in einem Ministerium statt in einer Vielzahl von Ministerien behandelt wurden, und das Entscheidende ist, daß sich in diesem Ministerium keine einzige Mehrstelle als notwendig erwiesen hat. Es wird eine größere Arbeit nach wie vor mit dem gleichen Personal geleistet. Ich würde mich sehr freuen, wenn wir im Bundestag wieder Gelegenheit hätten, nachzuweisen, daß vernünftige Gedanken, an einen Juristen herangetragen, sich auch finanziell lohnen.
Herr Abgeordneter Jahn!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Einige Bemerkungen zu den Ausführungen des Herrn Bundesjustizministers!Herr Minister, ich halte es für wenig passend, daß Sie sich heute, wenige Wochen vor der Beendigung der Tätigkeit dieses Hauses hier hinstellen und ständig erklären, Sie würden es außerordentlich begrüßen, wenn das und jenes und das dritte und vierte Gesetz hier im Hause noch verabschiedet würden, das in genauer Kenntnis der Tatsache, daß die Bundesregierung diesmal sehr spät darauf gekommen ist, daß das Ende der Legislaturperiode herannaht und es aus optischen Gründen vielleicht noch zweckmäßig sei, dieses Haus trotz seiner Arbeitsüberlastung zu sehr später Stunde noch mit einem ganzen Haufen von Gesetzesvorlagen zu bombardieren. Dabei muß jeder, der die Dinge im Hause etwas kennt, sich vorher genau sagen, daß ein wesentlicher Teil dieser Gesetze technisch gar nicht mehr bewältigt werden kann.Das gilt insbesondere für den Rechtsausschuß, Herr Minister. Das ist der Ausschuß, mit dem Sie eigentlich am engsten zusammenarbeiten sollten. Es kann aber niemanden wundern, daß Sie keine Kenntnis von der Geschäftslage dieses Ausschusses haben; Sie lassen sich dort kaum sehen. Wir haben höchstens ganz ausnahmsweise einmal das Vergnügen, mit Ihnen dort diskutieren zu können. Jetzt zu erklären, Sie hofften sicher, daß dieses und
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Jahn
jenes dringende Gesetz noch verabschiedet würde, ist bei dieser Methode, bei diesem außergewöhnlich schlechten Stil, den die Bundesregierung auch hier wieder angewandt hat, alles andere als passend.Nun aber noch einige Bemerkungen zu dem, was Sie hier über den Fernsehstreit und Ihre nicht sehr rühmliche Rolle dabei gesagt haben. Sie haben —und ich muß sagen, dafür könnte man beinahe ein gewisses Maß an Verständnis aufbringen — erklärt, es sei Ihnen schließlich von Ihren bayerischen Parteifreunden bestätigt worden, daß das so in Ordnung sei, wie Sie sich verhalten haben. Ich weiß nicht recht, was diese Bemerkung eigentlich soll. Wer regiert denn nun in Bayern, Ihre bayerischen Parteifreunde als Christlich-Soziale Union oder die bayerische Landesregierung? Ich denke, auf die Meinung Ihrer bayerischen Parteifreunde dürfte es doch in diesem Zusammenhang kaum ankommen. Aber so muß natürlich ein Mann reagieren, der in der peinlichen Lage ist, sich da Hilfe und Unterstützung zu suchen, wo er sie noch finden kann, bei einer so schlechten Sache, wie er sie nun leider vertreten hat.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, sehr aufschlußreich ist, was der Herr Justizminister hier über die Prüfung der Rechtsfragen dieses Gesellschaftsvertrages in seinem Hause gesagt hat. Eigentlich hat er nämlich von allen wesentlichen Dingen, die man von 'ihm dazu hätte hören mögen, nichts gesagt. Zum Beispiel wäre es doch recht aufschlußreich, Herr Minister, von Ihnen zu hören: Wie lange hatte eigentlich Ihr Haus Zeit dazu, diese Fragen zu prüfen, die ihm da vorgelegt worden sind? •
Die weitere Frage wäre: was ist denn dort nun geprüft worden? Ich habe das damals in der Zeitung gelesen, und ich habe jedenfalls aus dieser Pressemitteilung den Eindruck gewonnen: Geprüft worden ist die Ordnungsmäßigkeit, die rechtliche Ordnungsmäßigkeit dieses Gesellschaftsvertrages. Nun, es war sicherlich auch ganz nützlich, das nachzuprüfen. Wesentlich wäre aber auch gewesen, diesen Vertrag auf seine verfassungsmäßige Zulässigkeit zu überprüfen. Der Herr Bundespanzler hat zwar versucht, diesen Eindruck zu erwecken. Sie haben uns aber nicht gesagt, ob und in welchem Umfang und vor allen Dingen auf welche Fragen gerichtet die Überprüfung dieses Vertrages in verfassungsrechtlicher Hinsicht in Ihrem Hause erfolgt ist.Dabei ist es immerhin erstaunlich, daß es Ihnen dann möglich gewesen ist, innerhalb ganz weniger Stunden, wie Sie selber gesagt haben, die außerordentlich schwierige verfassungsrechtliche Problematik zu durchdenken und klar zu erkennen, für die das Bundesverfassungsgericht, in dem immerhin mehrere erfahrene Juristen zusammensitzen, doch recht geraume Zeit gebraucht hat. Das spricht immerhin nicht für eine besondere Intensität der Prüfung, die Sie da vorgenommen haben.Ich habe Verständnis dafür: Sie sind in einer schwierigen Lage, und man könnte auch versucht sein, Sie etwas zu bemitleiden, daß Sie sich als Bundesjustizminister in eine solche Rolle haben drängen lassen. Da haben Sie nun wieder versucht, uns das traurige Märchen, oder man möchte fast sagen, auch das andererseits wieder etwas erheiternde Märchen aufzutischen, Sie seien als Privatmann tätig geworden. Herr Minister, glauben Sie, ständige Wiederholung eines völlig unglaubwürdigen Sachverhalts mache ihn glaubwürdiger? Glauben Sie denn wirklich, das könne Ihnen irgend jemand abnehmen, daß der Privatmann Schäffer aus dem Urlaub zurückgeholt wird, um als Privatmann hier eine Treuhänderrolle zu übernehmen? Meinen Sie wirklich, das könnten Sie hier so verkaufen? Wollen Sie denn wirklich sagen, es hätte niemanden anders in der ganzen Bundesrepublik gegeben, der in der Lage gewesen wäre, diese Rolle des Treuhänders zu übernehmen? Mußte das nun gerade der im Urlaub befindliche Bundesjustizminister sein? Natürlich mußte er es sein, deshalb nämlich, weil nach außenhin der Eindruck eines seriösen Geschäfts erweckt werden sollte, das es dann schließlich gar nicht war.Zum Schluß noch ein Wort, Herr Minister, und das meine ich nun allerdings sehr ernst. Ich habe bereits die Frage gestellt: Was ist hier eigentlich an verfassungsrechtlichen Fragen geprüft worden? Ich bin der Meinung, hier wäre es gerade Ihre Aufgabe gewesen, einer Problematik mit besonderer Sorgfalt nachzugehen. Daß Sie und Ihr Haus gerade zum Art. 5 des Grundgesetzes ein sehr — ich will es einmal vorsichtig ausdrücken — eigenwilliges Verhältnis haben, das haben Sie in den Jahren Ihrer Zugehörigkeit zur Bundesregierung mehrfach erfahren müssen. Da gab es die Lex Soraya, da gab es das Ehrenschutzgesetz, alle diese Versuche, an den Bestimmungen des Art. 5 des Grundgesetzes herumzumanipulieren. Da hätten Sie doch wenigstens jetzt bei einer so schwerwiegenden Frage vorsichtig sein müssen und hätten sich sagen müssen: Das ist ein Gebiet, bei dem es mir schon einige Male schlecht ergangen ist; da muß ich besonders aufpassen. Daß Sie sich gerade in dieser Frage vom Bundesverfassungsgericht so deutlich haben die Meinung sagen lassen müssen, das ist bestimmt kein Ruhmesblatt für einen Bundesjustizminister.
Keine Wortmeldungen. Die Aussprache ist geschlossen.Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 07, Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz. Wer zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das erste war die Mehrheit; der Einzelplan 07 ist in zweiter Lesung angenommen.Ich rufe auf:Einzelplan 08 — Geschäftsbereich des Bundes-ministers der Finanzen .Änderungsanträge liegen nicht vor.
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 148. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 9. März 1961 8461
Präsident D. Dr. GerstenmaierWird das Wort gewünscht? — Bitte sehr, Herr Abgeordneter Jürgensen!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als Berichterstatter für den Einzelplan 08 bitte ich wegen der vorgeschrittenen Stunde das Hohe Haus um Einverständnis, daß ich mich auf den Mündlichen Bericht Drucksache 2507 beziehe.
Ich habe nur das Wort genommen, um Ihnen ergänzend mitzuteilen, daß es sich bei der Ziffer 2 des Ausschußantrages um einen einstimmigen Beschluß des Ausschusses handelt. Also auch die Mitglieder der antragstellenden Fraktion haben diesem Beschluß zugestimmt.
Im Namen des Haushaltsausschusses darf ich Sie bitten, dem Einzelplan 08 in der Fassung der Ausschußbeschlüsse zuzustimmen.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
Ich frage, ob das Wort gewünscht wird. — Herr Abgeordneter Seuffert!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vor einigen Tagen haben wir alle dem Herrn Bundesfinanzminister unser aller Freude zum Ausdruck gebracht, daß seine Gesundheit es ihm wieder erlaubt, seine Amtsgeschäfte wahrzunehmen. Wir haben dem Herrn Bundesfinanzminister auch für sein sehr mutiges und sehr gutes Wort gedankt, das er gestern in der Debatte dieses Hauses über die Behandlung der Kosten, die durch das Freie Fernsehen entstanden sind, gesprochen hat.Aber da wir heute die letzte Haushaltsberatung dieses Bundestages vor uns haben und da wir bei dieser Gelegenheit das, was im Haushalt des Bundesfinanzministers, der für die Steuerpolitik verantwortlich ist, geschehen ist, einer kritischen Würdigung zu unterziehen haben, können wir uns natürlich nicht ohne weiteres von unserem freundlichen Gefühl dabei leiten lassen.In diesen vier Jahren ist in der Steuerpolitik nicht viel geschehen. Aber ich gebe zu, daß das sicherlich nicht an der Krankheit des Herrn Ministers lag. Vielleicht lag es auch gar nicht so sehr an ihm. Ich will gar nicht davon sprechen, daß in der Regierungserklärung vom 29. Oktober 1957 eine echte Steuer- und Finanzreform — sogar eine echte, meine Damen und Herren — angekündigt worden war.Regierungserklärungen: Wir haben schon gestern davon gesprochen. Ich habe bereits eine ganze Reihe Regierungserklärungen in diesem Hause gehört, und meine Erfahrung hat mich gelehrt, daß in Regierungserklärungen vorzugsweise zwei Dinge behandelt werden: erstens diejenigen, die sowieso geschehen müssen und nichts Neues darstellen, und zweitens diejenigen, von denen man glaubt, daß man durch Erwähnung in der Regierungserklärungvielleicht von ihrer weiteren Behandlung entbunden sein könnte.
— Ja, es gab z. B. in dieser Regierungserklärung die Ankündigung einer echten Finanz- und Steuerreform, davon habe ich gesprochen. Und wollen Sie mir bitte einmal sagen, wo sie geblieben ist? Davon spreche ich.
Es gab auch programmatische Reden des Herrn Finanzministers. Aber außer dem Steueränderungsgesetz 1958, bei dem Sie den unteren Teil des Tarifs entsprechend den wiederholt gemachten Vorschlägen der SPD endlich halbwegs in Ordnung gebracht haben, damals auch auf massiven Druck eines Urteils des Bundesverfassungsgerichts hin— ohne Bundesverfassungsgericht ist es einigermaßen schwer, diese Regierung auf den rechten Weg zu bringen —
— Wenn ich gerade vom Bundesverfassungsgericht spreche: Sie und vielleicht Herrn Kollegen Jaeger, der so sehr an einer Statistik der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts interessiert zu sein scheint, sollte man bei dieser Gelegenheit auch einmal an die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts erinnern, welche die Verfassungswidrigkeit der Steuerbegünstigung von Parteispenden ausgesprochen hat.
Da sind nämlich Fördergesellschaften gegründet worden,
die als Berufsverbände auftreten wollen und in Wirklichkeit nichts anderes sind als Apparaturen, nach Maß zugeschnitten, um für die Wahlspenden steuerliche Abzugsfähigkeit zu erreichen.
— Ja, und macht der Wahlspenden?
— Das interessiert mich. Ich werde nachfragen. — Ich habe aber in den Fällen, von denen ich spreche und die wirkliche Maßarbeit darstellen, ganz unverhohlene Aufforderungen gelesen, einem solchen sogenannten Berufsverband nur eben für die Zeit der Wahl beizutreten, um die Wahlspende abzugsfähig abliefern zu können. Und dann wird auch gleich eine Veranlagung mitgeteilt: soundso viel pro Beschäftigten usw. — die berühmte Methode! Ich glaube nicht, daß sich derartige Gründungen im Ernst als steuerbegünstigte Berufsverbände aufspielen können. Es handelt sich vielmehr nach meiner Überzeugung um ganz bewußte Umgehungsmaßnah-
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Seuffertmen gegenüber dem Verbot, das das Bundesverfassungsgericht ausgesprochen hat.
— Ich danke dafür. Deswegen bringe ich es noch einmal in Erinnerung. Denn die Duldung dieser Dinge durch die Finanzämter, auf die man sich angeblich berufen kann, wirft nicht nur steuerrechtliche Probleme auf; diese Duldung, die ja nicht ohne Zustimmung des Bundesfinanzministers erfolgen könnte, wirft auch eine sehr ernste Frage des Verfassungsrechts und der Verfassungsverantwortung auf. Deswegen möchte ich mit allem Ernst die Aufmerksamkeit des Herrn Bundesfinanzministers auf diese Dinge gelenkt haben.Ich sprach vorhin von dem Steueränderungsgesetz 1958, bei dem Sie zwar, wie gesagt, unter dem Druck eines Urteils des Bundesverfassungsgerichts den unteren Teil des Tarifs einigermaßen in Ordnung gebracht haben, dafür aber den oberen Teil, der die hohen und höchsten Einkommen betrifft, und die Körperschaftsbesteuerung um so gründlicher verzerrt haben. Sonst ist von der angekündigten „echten Reform" nichts geschehen. Das heißt nicht, daß wir nicht recht viele Steuergesetze gehabt hätten. Aber wir haben zwar einige kleinere sachliche Fragen hier und da bereinigt, haben jedoch größere sachliche Forderungen unter politischem Druck zurückgestellt oder doch nur insoweit verwirklichen können, als sie gerade irgendwie politisch interessant gemacht werden konnten; und dafür sind aus politischen Gründen recht fragwürdige Entscheidungen getroffen worden.Ich glaube fast, der Herr Bundesfinanzminister gibt mir recht, wenn ich sage, daß wir nach den vier Jahren Tätigkeit dieses Bundestages das Steuerrecht zwar nicht viel schlechter, aber auch nicht viel besser zurücklassen, als es am Anfang dieser vier Jahre gewesen ist, daß aber der Abstand des Steuerrechts und des Steuersystems von den tatsächlichen Forderungen der Zeit und von den tatsächlichen Reformbedürfnissen in der Zwischenzeit durch diese Unterlassungen, durch dieses Nichtzustandekommen größer geworden ist.Von Konjunkturprogrammen, die mit viel Aplomb vorgetragen worden sind, und von dem, was davon übriggeblieben ist, will ich gar nicht weiter sprechen.
— Ja, ich wollte nun gerade von der Steuergesetzgebung sprechen. Und das gehört nicht unbedingt dazu;
aber vielleicht komme ich auch darauf im Zusammenhang noch kurz zu sprechen.
— Schön, trotzdem stören Sie mich in dem Plan, gemäß der Mahnung des Herrn Präsidenten zur Sache zu sprechen.
Nun, ich bin ja großzügig!
— In einer zweiten Lesung, Herr Kollege Dresbach. Diskussion muß sein in diesem Hause. Was glauben Sie, wenn überhaupt nicht mehr diskutiert würde
— was meinen Sie, wie die Leute aufpassen! Das hat also keinen Zweck. Es werden heute viel zu viel lange Reden gehalten. Sie könnten alle halb so lang sein. — Also, meine Damen und Herren: Fahren Sie fort!
Meine Damen und Herren, wir haben in dieser Steuergesetzgebung Ausnahmen über Ausnahmen gehäuft, Ausnahmen von Ausnahmen und Erweiterungen zu Ausnahmen. Wir haben das Flickwerk vergrößert. Wir überfordern die Steuerbeamten, und es entsteht langsam ein Zustand, wo die Steuerpflichtigen in zwei Klassen, die mit Steuerberater und die ohne Steuerberater, einzuteilen sind.
— Davon spreche ich; ich danke Ihnen für Ihre Zustimmung, Herr Kollege Niederalt. Es besteht die Gefahr,
daß aus diesen Dingen eine ungleichmäßige Behandlung der Steuerpflichtigen entsteht.Übrigens, Herr Bundesfinanzminister, da habe ich einmal ein bißchen in Archiven geblättert, und da habe ich festgestellt, daß Sie am 30. Oktober 1958 vor dem deutschen Handwerk Ihren Entschluß bekanntgegeben haben, eine Kommission mit der Durchforstung des Einkommen- und Körperschaftsteuerrechts zu beauftragen, damit auch der Durchschnittsbürger dieses Recht vielleicht wieder verstehen könnte. Ich glaube, diese Kommission muß irgendwo im wilden Forst steckengeblieben sein.
Man sollte einmal schauen, wo sie abgeblieben ist,und vielleicht eine Expedition nach ihr ausschicken.
Meine Damen und Herren, wir haben von praktischen Vorschlägen in dieser Hinsicht schon gesprochen, z. B. von dem Vorschlag der Selbstveranlagung zur Vereinfachung der Steuerfestsetzung und der Steuereinziehung, damit verbunden eine einheitliche und einfachere Regelung der Berichtigungsmöglichkeiten für Steuerbescheide und eine einheitliche Verzinsung der Steuerforderungen und Steuerrückforderungen. Das wären praktische Vorschläge, und vielleicht können wir Gelegenheit neh-
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Seuffertmen, sie demnächst in diesem Bundestag sogar noch zu vertiefen.Nun, wenn ich über Steuerpolitik spreche, so muß ich über die Einnahmeseite des Haushalts sprechen, und was diese betrifft, so muß sich gerade in diesen Tagen der Normalbürger in erster Linie darüber wundern, wie elastisch diese Einnahmeseite geworden ist.
Es scheint überhaupt kein Problem zu sein, den Rand des Defizits um 4 Milliarden hinaufzuschieben, und das binnen weniger Tage.
— Na, dann sind es vielleicht 3,9.
— 43 Milliarden und soundso viel Millionen und 48 Milliarden und soundso viel.
— Schön, aber Sie wissen ja, es kommt nicht so genau darauf an.
— Es hat sich um noch größere Beträge gehandelt. Der Normalbürger hat in der Presse gelesen, daß das, was nach der Erklärung des einen Ministers das äußerst Mögliche war, dann wenige Tage später leicht überboten werden konnte, und dann haben andere Minister noch angefangen, mit Milliarden nur so um sich zu schmeißen. Gott sei Dank waren das Minister, ,die da nicht so viel zu sagen haben.
- Darauf komme ich schon noch, Herr Kollege Dresbach.Diese Minister sollten sich immerhin an dem Herrn Bundeskanzler ein Beispiel nehmen. Der läßt es wenigstens in solchen Fällen immer bei ein paar hundert Millionen bewenden. Der Bundesbürger fragt sich: Welche Zahlen sind hier überhaupt noch echt? Sie wissen, abgesehen von der recht großzügigen Verwendung von einmaligen Einnahmen im laufenden Haushalt — das ist ein besonderes Kapitel —, besteht das Geheimnis in der unbändigen Konjunktur, die das Geld geradezu automatisch in die Steuerkassen scheffelt, was an sich logisch und notwendig ist. Bekanntlich sind jetzt vor der Verabschiedung des Haushalts für das laufende Jahr die Steuereinnahmen allein für den Bund um insgesamt rund 2,4 Milliarden DM höher eingeschätzt worden, und das ist sicher noch nicht zu hoch geschätzt. Wir leben also — und das ist das Geheimnis — von den derzeitigen Konjunktureinnahmen.Aber Konjunkturen, selbst wenn man nichts zu ihrer Abbremsung und zu ihrem Ausgleich tut, leben nicht ewig. Die ewige Hausse ist der alte Traum aller Börsenspekulanten. Natürlich, Leute, die nicht länger als 10 Jahre zurückdenken können, glauben wieder in großem Umfang daran. Aber es gibt keine ewige Hausse.
— Das ist sicherlich nicht der entscheidende Teil der Steuermehreinnahmen. Ich werde auf diesen Punkt — ich habe ihn mir an anderer Stelle vorgemerkt — noch zu sprechen kommen. Aber Sie wollen ja sicher auch nicht Lohnstabilität mit Konjunktur verwechseln. Es ist ja allgemeine und unbestrittene Meinung, daß die derzeitige Konjunktur von der Investitionsseite ausgeht.
Konjunkturen leben nicht ewig. Die Regierung hat, wie wir gerade gestern gehört haben, ihre Meinung über den Fortgang der Konjunktur mehrfach geändert. Das will man ihr gar nicht ankreiden; das kann mit guten Gründen geschehen.Man sagt: Die Konjunktur habe durch die Aufwertung eine kalte Dusche bekommen. Nun, wir sind uns doch wohl hier darüber einig, daß diese Aufwertungsmaßnahme, deren Auswirkungen ich keineswegs überschätzen möchte, niemanden und am allerwenigstens die Regierung von der Notwendigkeit entbindet, eine verantwortliche und langfristig planende Politik für die Stabilität des Haushalts und für die Deckung der öffentlichen Ausgaben zu betreiben. Die Aufwertung kann kein Ersatz für eine solche Politik sein, auch wenn diese schwieriger durchzuführen wäre als diese einmalige Aufwertungsmaßnahme.Zu dieser Tatsache, daß wir im Augenblick einfach von der Konjunktur leben, kommt die weitere Tatsache, daß wir offensichtlich noch eine ganze Reihe von Verpflichtungen haben, internationale Verpflichtungen, aber auch soziale Verpflichtungen im Innern, die man auf die Dauer nicht weiterhin so einfach durch Wegsehen erledigen kann, die man auf die Dauer auch nicht einfach so behandeln kann, daß man — unter Druck — jeweils ein Stück Geld, das die Konjunktur in die Steuerkassen schwemmt, dafür hingibt, aber keine Pläne dafür macht. Es kann auch einmal schlechteres Wetter für den Bundeshaushalt geben; das muß es sogar nach allen meteorologischen und wirtschaftlichen Gesetzen. Es kann auch nur so sein, daß das gute Wetter doch nicht mehr dazu ausreicht, die Früchte sozusagen von selbst in die Steuerkasse reifen zu lassen.Was geschieht dann?, fragt sich der Steuerbürger, und er wird immer mißtrauischer, je lautstärker man den Gedanken von Steuererhöhungen für diesen
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SeuffertFall von sich weist. Was geschehen könnte, wenn so verfahren wird, wie Sie, meine Damen und Herren von der Mehrheit, bisher verfahren sind und wie Sie sicherlich auch weiter verfahren wollen, das kann man wohl abschätzen, wenn man betrachtet, was im Jahre 1958, bei sehr gutem Wetter, als man noch durchaus aus dem Vollen zu schöpfen gewöhnt war — Sie wissen, daß wir damals den Rest von 3 Milliarden des Juliusturms verfrühstückt haben —, geschehen ist. Damals hat man die Gelegenheit benutzt, um Steuergeschenke zu machen, durch die man den Spitzentarif der Einkommen- und der Körperschaftsteuer so verzerrt hat, daß folgendes Bild entstanden ist. Von einem Einkommen in Höhe von 1 Million DM müssen in der Bundesrepublik etwa 52 % Steuern gezahlt werden. Bei dem gleichen Einkommen — ich nehme die Zahlen für kinderlos Verheiratete, um die Splittingwirkung einzubeziehen — müssen in den Vereinigten Staaten nicht 52 %, sondern 72 % Steuern gezahlt werden, und im konservativen Großbritannien sind es 76%. Ein Gegenbeispiel: Von einem Einkommen in Höhe von 12 000 DM muß man bei uns bereits 14,4 % Steuern zahlen; bei einem Einkommen von 5000 Dollar — was sicher nicht weniger ist — zahlt man in den Vereinigten Staaten nur 13,1% Steuern.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ist Ihnen bekannt, Herr Kollege Seuffert, daß die wirtschaftlichen Berater der von Ihnen so als modern und sozial gepriesenen Regierung Kennedy jetzt gerade vorgeschlagen haben, die Spitzentarife aus volkswirtschaftlichen Gründen auf unter 60 % zu senken?
Mir ist nicht bekannt, daß das vorgeschlagen wurde. Wenn sie den Tarif um 60 % senkte, wäre das immer noch ein ganzes Stück mehr als das, was wir uns in dieser Beziehung leisten.Auf der anderen Seite zahlt eine normal ausschüttende Kapitalgesellschaft in den Vereinigten Staaten auf ihren Gewinn 52 % Steuern, während sie bei uns 15 % Steuern zahlt. Wenn die Gesellschaft nicht ausschüttet, wenn sie thesauriert, zahlt sie in den Vereinigten Staaten auf den thesaurierten Betrag noch 27 % bis 38 % Strafsteuern hinzu. Und diese Körperschaften leben auch ganz gut.Noch ein Wort zu dem Tarif. Herr Kollege Dresbach, Sie kamen vorhin darauf zu sprechen. Man hat sich seinerzeit sehr viel darauf zugute getan, daß nun die Hälfte aller Lohnsteuerpflichtigen steuerfrei sei. Inzwischen sind die Leute in die Steuer hineingewachsen durch Erhöhung der Löhne, der Preise, des Durchschnittseinkommens.
— Nein, sehen Sie sich die Zahlen einmal genau an!Das Durchschnittseinkommen ist ziffernmäßig gestiegen, der Reallohn ist aber keineswegs in demselben Maße gestiegen. Die Leute wachsen also in die Steuer hinein, und jetzt ist es nicht mehr die Hälfte, jetzt ist es bloß noch ein Drittel, die steuerfrei sind. Die anderen wachsen mit einer ganz ordentlichen Progression in die Steuer hinein. Es ist ja die alte Geschichte. In der Nähe des Freibetrages wirkt einfach auch beim Proportionalsatz die abnehmende Wirkung des Freibetrages selber als Progression. Deshalb haben wie ja großen Wert darauf gelegt, in diesem Falle die Progression des Satzes selber beseitigt zu sehen. Sie wachsen mit ganz fühlbarer Progression, auf das ganze Lohneinkommen bezogen, in diese Steuern hinein. Die sechsstelligen Einkommen, die großen Einkommen, nehmen auch zu, und zwar sehr kräftig; aber bei ihnen wirkt sich das nicht mit der Progression aus, weil wir bei diesen Einkommen ja schon vorsorglicherweise die Progression in unserem Tarif abgeschaltet haben.Es ist schon ganz recht, zu sagen, wir seien kein reiches Land. Zugestanden! Wir sind es nicht. Aber sagen Sie nicht so einfach, wir hätten eine starke Steuerbelastung auf das Sozialprodukt; abgesehen davon, daß wir mit rund 23 % Steuern auf das Sozialprodukt durchaus nicht höher liegen als irgendwelche vergleichbaren Länder, selbst wenn man einmal nicht in Betracht zieht, daß besiegte Länder einen Teil ihrer Aufbaukosten ja vielleicht auch selber bezahlen müssen, — ist das eigentlich das richtige Argument? Zieht ein solches Argument, da doch jeder weiß, daß es nicht auf diese Zahl, sondern auf die Steuerverteilung ankommt? Natürlich sind wir nicht so reich wie andere Länder. Sollten wir aber deshalb so tun, als wären wir so reich? Ist denn eine solche Steuerverteilung ein Kennzeichen eines armen Landes, oder wird man nicht vielmehr sagen: es muß ein reiches Land sein, in dem die Millionäre so wenig Steuern zahlen?Meine Damen und Herren, muß da wieder jemand aus ,dem Ausland kommen, um Ihnen das zu sagen? Ist denn immer alles falsch, nur weil es die Opposition sagt? Also da sind noch Reserven. Rechnen Sie sich doch einmal aus, was allein in der Körperschaftsteuer steckt, wenn man hier dieselben Sätze zahlte wie in den Vereinigten Staaten, wo sie offenbar ganz gut hingenommen werden!
— Nein, Herr Kollege Vogel, damit können Sie mir nicht kommen. Die Abschreibungsmöglichkeiten sind auch dort nicht wesentlich größer.
— Es sind natürlich andere Systeme; aber bei dem Vergleich des Grund-Satzes auf die normal ausschüttenden Kapitalgesellschaften — 15 unid 52%— kommen Sie mit den Abschreibungsmöglichkeiten nicht hin. Außerdem wollen wir einmal in Erinnerung rufen, daß eine mindestens angemessene fühlbare Besteuerung eben dieser großen Gesellschaften tatsächlich das wirksamste Mittel ist, der übermäßigen Konzentration entgegenzutreten, und daß Steuergeschenke an solche Unternehmen das
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Seuffertwirksamste Mittel darstellen, eben diese Konzentrationen zu begünstigen.
— Herr Kollege Dr. Vogel, die Konzentration in den Vereinigten Staaten hat erstens zu einem großen Teil vor unserer Generation stattgefunden.
Die wirklich großen Unternehmen haben dort schon vor unserer Generation einen Umfang erreicht, von dem wir uns hier noch gar nichts träumen lassen und an dem man nun nachträglich mit Steuermitteln tatsächlich sehr wenig ändern kann. Zweitens gibt gerade Ihre Bemerkung meinem Hinweise eine weitere Nuance, daß auch sehr viel höhere Steuern von diesen Unternehmen und von einer sehr gesunden und florierenden Wirtschaft — von der Rezession will ich im Augenblick absehen; aber die hängt davon nicht ab — vertragen werden können, als man hier glaubt erheben zu können.
— Aber nein, den Gefallen kann ich Ihnen wirklich nicht tun. Ich werde Ihnen etwas sagen, Herr Kollege Dresbach. In diesem Zusammenhang ist mir das Problem der Organschaft, das auch nur ein Scheinproblem ist, gar keinen Satz weiter wert.
Das ist wirklich wahr, meine Damen und Herren. Der Nachteil ist nur der
— Moment, Moment, auch in einem umgebauten Plenarsaal muß es in der Diskussion natürlich der Reihe nach gehen; es können nicht mehrere zur gleichen Zeit sprechen —, daß Sie nicht am Mikrophon sind. Infolgedessen hört man hinten nichts. Aber wenn sich alles so ruhig verhält, könnte man alles mit der eigenen Stimme machen, und das wäre der Idealfall für ein Parlament.
— So? Das ist der Sachverstand des Parlaments, der hier leuchtet.
Also, meine Damen und Herren, da sind Reserven, und das sind Milliardenbeträge; rechnen Sie das nach!Dazu kommt noch anderes. Da ist die Vermögensteuer, deren Abzugsfähigkeit auf die Dauer nicht zu halten ist, weil es einfach so ist, daß der Große höchstens die Hälfte zahlt, aber nur der Kleine die ganze Steuer zahlt. Da ist die lächerliche Besteuerung des Grundvermögens auf Grund dieser fiktiven, rein nominellen Einheitswerte.
— Die machen bei der Beseitigung der Abzugsfähigkeit sofort mit.
— Da brauche ich keine Minute zu zögern. Diese Länder machen hier mit. Außerdem brauchen wir, wenn wir einig sind — ich weiß nicht, Herr Kollege Dresbach, wie das jedenfalls mit einem großen Teil Ihrer Fraktion ist —, die Länder bezüglich der Abzugsfähigkeit gar nicht mehr zu fragen.
Da ist also die Besteuerung des Grundvermögens. Die Korrektur dieser Einheitswerte ist aus rein politischen, aus rein parteipolitischen Gründen immer zurückgestellt worden, und das geht nun allerdings hauptsächlich — —
— Ja, nun, es muß auch jemand für die Interessenten sprechen, Herr Kollege.
— Aber ich bitte Sie, das läßt sich ja geradezu aktenmäßig nachweisen, wie diese Dinge liegen. Ich will nicht den Herrn Bundesfinanzminister herausfordern, zu dieser Frage zu sprechen. Ich will es absichtlich nicht. Er kann Sie vielleicht darüber aufklären. — Das geht leider hauptsächlich zu Lasten der Gemeinden.Aber der Kern der Sache, der Kern unserer Kritik ist doch folgendes: Bevor nicht diese Reserven ausgeschöpft sind, sollte niemand von sonstigen Steuererhöhungen sprechen oder an sie denken,
und solange diese Resereven nicht ausgeschöpft sind, gibt es keinen Grund,
die nur allzu berechtigten Forderungen auf Steuererleichterungen für das Durchschnittseinkommen zu verweigern. — Herr Kollege Niederalt, hoffentlich haben Sie mir auch jetzt zugestimmt.
— Was ist denn das, ein kommunaler Bauernverband? Gibt es das auch schon? Das scheint mir eine äußerst schlagkräftige Kombination zu sein, ein kommunaler Bauernverband.
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Seuffert— Ja eben, ich habe ja auch angedeutet, was los ist, Herr Kollege Dresbach. Soll ich noch deutlicher werden?
— Na, Gott sei Dank.Meine Damen und Herren, solche berechtigten Forderungen gibt es eine ganze Menge. Ich erinnere immer wieder an den Freibetrag für das Arbeitseinkommen. Das Arbeitseinkommen ist durch das Steuerverfahren benachteiligt. Es ist schwerer zu erzielen als anderes, es verbraucht den Menschen, es gibt keine Erneuerungsrücklagen. Das Arbeitseinkommen ist das Rückgrat des Masseneinkommens,. und das Masseneinkommen ist das Rückgrat einer gesunden Wirtschaft.Es gibt noch ein Gebiet, auf dem sicher etwas geschehen muß: das ist die steuerliche Behandlung der Ausbildungskosten. Ich brauche eigentlich kein Wort darüber zu verlieren, wie notwendig Bildung, Ausbildung und alles, was damit zusammenhängt, gerade in diesem Augenblick .für uns sind. Ich brauche nur die Stichworte Zweite industrielle Revolution und Entwicklungshilfe zu nennen. Wenn ich Kapital in ein Geschäft stecke, versteuere ich keine Einkünfte, solange ich mein Kapital nicht vollständig erhalten und zurückerhalten habe. Ich kann durch Abschreibungen dafür sorgen, daß es erhalten wird; sonst wird nichts versteuert. Wenn man Kosten aufwendet, um sich zu einem Berufe auszubilden, und auf Grund dieser Ausbildung dann Einkünfte bezieht, sind diese gesamten Kosten rein verloren und steuerlich nicht existent. Man muß alle Einkünfte, die man doch auf Grund dieser Ausbildung und dieser Kosten erst erzielt, vom ersten Augenblick an voll versteuern.Ich wäre Ihnen, Herr Kollege Dresbach, dankbar, wenn Sie mir auch hier zustimmten: Das ist unhaltbar. Das ist nicht nur ein Problem der Familie, sondern das ist geradezu eine Frage des Fortschritts. Wir müssen dazu kommen, daß die Kosten der Ausbildung von den Einkünften, die ja nur auf dieser Ausbildung beruhen, steuerlich abzugsfähig gemacht werden; sonst geraten wir hier in eine Sackgasse mit unserer ganzen gesellschaftlichen Entwicklung.
— Entschuldigen Sie, natürlich müssen hier gewisse Maßstäbe gefunden werden. Sie können die effektiven Kosten nehmen, Sie können Normpauschalen für die Kosten oder irgendwelche Formen von Abschreibungen nehmen. Irgend etwas muß in dieser Beziehung geschehen, sonst geraten wir in eine Sackgasse. Ich brauche nicht zu sagen, wie sehr das ein Problem der freien Berufe wie überhaupt ein Problem jeder qualifizierten Arbeit ist. Die Qualifikation der Arbeit ist ja das Problem der industriellen Revolution.Es gibt noch andere Forderungen: Umsatzsteuererleichterungen für die freien Berufe und für die Mittelschichten. Hierüber werden wir noch in diesem Bundestag zu beschließen haben.Wenn wir schon von der Umsatzsteuer sprechen, so muß ich sagen, diese viel beschriebene und öfters totgesagte Umsatzsteuerreform ist ja — soweit ist es nun gekommen — für diesen Bundestag kein Thema mehr; aber damit kann sie auf keinen Fall ad acta gelegt werden.
Es wird sich freilich die Frage stellen angesichts der Entwicklung des Gemeinsamen Marktes und der weltwirtschaftlichen Beziehungen überhaupt, ob es denn noch sinnvoll sein wird, eine Systemänderung nur auf nationaler Basis durchzuführen.
Denn wir stoßen ja bei fast jedem einzelnen Umsatzsteuerproblem heute immer darauf, daß die Frage des Grenzüberganges eigentlich das Entscheidende ist. Aber das darf unter gar keinen Umständen bedeuten, daß man das Problem fallenläßt oder auf die lange Bank schiebt, sondern die Lösung muß mit allem Nachdruck und allem Ernst eben unter diesem neuen Aspekt der Eingliederung in einen größeren Raum — Gemeinsamer Markt oder sonstwie — weitergetrieben werden.
— Selbstverständlich bin ich der Meinung. Auf diesen Prinzipalsatz wollte ich eben zu sprechen kommen. Diese Umsatzsteuer ist ja überdies und außerdem der Hauptrepräsentant der indirekten Steuern, und das Verhältnis der direkten zu den indirekten Steuern ist wieder so entscheidend für die Frage der Steuerverteilung überhaupt; es ist eine unmittelbare Frage der Belastung des Durchschnittseinkommens. Das haben wir ja schon so oft ausgeführt, daß ich es jetzt nicht zu wiederholen brauche.
— Man sagt neuerdings Steuern auf das Einkommen und Steuern auf die Einkommensverwendung, wie immer Sie auch wollen. Was gemeint ist, nämlich die Steuern, die man nach seiner Leistungsfähigkeit zahlt, und die Steuern, die man ohne Rücksicht auf seine Leistungsfähigkeit auf seinen Verbrauch zahlt, sollte hier im Grunde klar sein.Im Jahre 1948 haben wir ein Verhältnis von einem Drittel indirekten Steuern zu zwei Dritteln direkten Steuern übernommen, ein Verhältnis, das jahrzehntelang in Deutschland und fast in ganz Europa üblich war, das ganz allgemein für gesund gehalten wurde und das von uns auch heute noch für gesund gehalten wird.Es war die bewußte und erklärte Politik der Bundesregierungen, die seit 1949 und immer noch im Amte sind, dieses Verhältnis durch Vermehrung des Anteils der indirekten Steuern zu korrigieren. Das ist geschehen durch die massive Erhöhung der Um-
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Seuffertsatzsteuer um 25% im Jahre 1951, aus der ja fast all die drückenden Schmerzen herrühren, mit denen wir hier Tag für Tag zu kämpfen haben. Erhöhung der Umsatzsteuer nach vorhergegangenen linearen Einkommensteuersenkungen!
— Nein, aus Finanzmangel,
zur Aufbringung von Mitteln. Darüber, ob die Mittelaufbringung durch eine solche Umsatzsteuer oder durch eine andere Steuer zu erfolgen habe, spreche ich doch.
— Ja, offenbar kann man doch mehrere Gründe angeben. Ich sehe das bekanntlich so — ich glaube mich fast zu erinnern, daß wir schon mehrfach eine solche Diskussion gehabt haben —: Im Jahre 1949 oder unmittelbar nach der Wahl, Anfang 1950, hat man eine lineare Einkommensteuersenkung vorgenommen, die wir mehr oder weniger als einen Dank vom Hause Habsburg für die Wahl angesehen und vor der wir dringend gewarnt haben. Wir haben gesagt: Die Verpflichtungen, die auf diesen Bundeshaushalt zukommen — das waren damals die Kriegsopferverpflichtungen, die noch gar nicht geregelt waren, auch die ersten Rentenverpflichtungen und anderes mehr — sind hier nicht berücksichtigt; man kann sich diese Senkung nicht leisten.
Dann stellte sich heraus, daß man sie sich nicht leisten konnte und daß man das Loch durch die Umsatzsteuererhöhung zumachen mußte.Inzwischen, Herr Kollege 'Dresbach und meine Damen und Herren, ist der Umsatzsteuer durch die Preisentwicklung ein so übergroßes Gewicht gegeben worden, daß sie geradezu fast alle anderen Steuern auffrißt. Auch das Verhältnis der direkten zu den indirekten Steuern entwickelte sich natürlich durch die Fortdauer der Einkommensteuerbegünstigungen weiter in dem Sinne, wie es beabsichtigt war.
— Nein, ich spreche jetzt von dem Verhältnis zwischen direkten und indirekten Steuern.
— Das Gesamtbild — ich komme sofort darauf zu sprechen, Herr Kollege Conring — ist nach den Angaben der Bundesregierung jetzt ungfähr halb und halb.
— Der Bundesfinanzminister gibt zur Zeit ungefähr 52 % indirekte Steuern an.
— Einschließlich, selbstverständlich! Sogar einschließlich der Grundsteuer, die gar nicht zu den direkten, sondern zu den indirekten Steuern gehört.Es sind — das entnehme ich den Ausführungen des Herrn Bundesfinanzministers vom 16. Juli 1958 in den Finanzpolitischen Mitteilungen des Bulletins— in den Jahren 1953 bis 1958 allein 9 Milliarden DM für die Senkung der Einkommen- und Körperschaftsteuer aufgewandt worden. Ein großer Teil der individuellen Steuerbegünstigungen ist also eine sehr einseitige Maßnahme zur Steuersenkung gewesen. Nur 1,5 Milliarde DM sind in den Jahren 1953 bis 1958 für die Senkung von indirekten Steuern aufgewandt worden. Das sind natürlich keine Zahlen über das Steueraufkommen, sondern Zahlen, aus denen Sie das Verhältnis der Bemühungen zur Senkung der direkten und der indirekten Steuern ermessen können. Dieses Verhältnis ist 9 zu 1,5.
Meine Damen und Herren, ich habe vorher angesagt, daß ich eine gewisse Zeit zu meinen Ausführungen brauche; das war allen Fraktionen bekannt. Von Ihrer Fraktion ist der Wunsch ausgesprochen worden, daß die Debatte trotzdem begonnen wird. Sie werden Verständnis dafür haben, daß ich die Ausführungen, die ich für notwendig halte— ich bin gewiß nicht derjenige, der länger spricht als erforderlich —, trotzdem jetzt mache.
— Wir haben keine Fraktionsanträge.
Einen Augenblick, Herr Abgeordneter! Was meinen Sie? Sie wollen Ihre Ausführungen jetzt fortsetzen?
Ja.
Das Haus wird Ihnen in Geduld zuhören. Die Frage ist, ob wir den Einzelplan 08 heute noch verabschieden können.
Ich habe noch eine weitere Wortmeldung. Der Herr Bundesfinanzminister hat den verständlichen Wunsch, auch zu sprechen.
— Herr Abgeordneter, Sie wollen auch noch sprechen?
Ich bin überhaupt dafür, daß man abends länger arbeitet und morgens nicht so früh anfängt. In Ländern mit lateinischer Kultur ist das so üblich. Aber ich habe doch den Eindruck, daß diejenigen, die
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Präsident D. Dr. Gerstenmaierheute morgen um 9 Uhr zugegen waren, allmählich genug haben.
Wenn der Wunsch besteht, werde ich die Rede unterbrechen.
Ich bin jedenfalls dafür, daß der Herr Abgeordnete Seuffert seine Rede jetzt fortsetzt. Ich kann nicht beurteilen, wie lange Sie noch brauchen, Herr Kollege.
Seuffert (SPD) : 20 Minuten.
20 Minuten; Herr von Kühlmann-Stumm 20 Minuten; der Herr Bundesfinanzminister 20 Minuten; dem Herrn Dr. Dollinger 5 Minuten: zusammen 1 Stunde! Meine Damen und Herren, wollen Sie bis um 10 Uhr aushalten?
— Gut, ich verlange nichts Unmenschliches, aber ich mache darauf aufmerksam, daß Sie sich ganz langsam an den Gedanken gewöhnen müssen, daß, wenn es so fortgeht, wir noch in der übernächsten Woche beim Haushalt sein werden. Der Präsident dieses Hauses wird sich nicht bereit finden, die Haushaltsdebatte in irgendeiner unzulässigen Weise zu drängeln, zu treiben oder zu manipulieren. Hier soll eine freie Aussprache in der Sache stattfinden. Aber Sie müssen sich über die Konsequenzen im klaren sein. Ich bitte, sich dann darauf einzurichten und keineswegs zu grollen, wenn also unter Umständen auch am Montag, dem 20. und am Dienstag, dem 21. getagt werden muß. Im übrigen bin ich durchaus für das sachliche Gespräch, das wir hier heute abend exerzieren.
Ich werde nachher wahrscheinlich die Debatte abbrechen, wenn Herr Seuffert mit seiner Rede fertig ist. Morgen früh hat dann als erster Redner Herr von Kühlmann-Stumm das Wort. Bitte, fahren Sie fort!
Meine Damen und Herren, ich sagte eben, daß sich z. B. in den Jahren 1953 bis 1958 das Verhältnis der Bemühungen um die Senkung der direkten und der indirekten Steuern nach diesen Angaben wie 9 zu 1,5 verhielt. Dadurch ist schließlich erreicht worden, daß die indirekten Steuern zeitweise ungefähr zwei Drittel der gesamten Steuerlast ausmachten und heute nach den Berechnungen der Bundesregierung noch gut die Hälfte ausmachen. Das ist eben das Verhältnis, das die Regierung für gesund hält, das wir aber für ungesund halten, weil es in diesem Verhältnis eine direkte, und zwar übermäßige Belastung des Massen- und Durchschnittseinkommens darstellt. Dabei ist in den Berechnungen der Regierung sogar noch der Fehler enthalten, daß die Grundsteuer zu den direkten Steuern gerechnet worden ist. Es ist eine alte Sache, daß die Grundsteuer nicht von den Hausbesitzern, sondern von den Mietern gezahlt wird. Der Hausbesitzer zahlt sie nur so lange, wie er sein Hausselber nutzt, also als Hausbenutzer, nicht als Hausbesitzer.
— Nun, das kann ich hier nicht berücksichtigen, denn irgendwie muß ja der Bedarf, der durch die Mineralölsteuer gedeckt wird, gedeckt werden. Das muß ich nun schon zusammenrechnen, Herr Kollege Dresbach.Dieses Verhältnis halten wir in der Tat für ungesund. Sie brauchen sich nur einmal auszurechnen, wie es z. B. mit der Belastung des Durchschnittseinkommens in den Vereinigten Staaten steht. Dort holt man aus den Körperschaften normal diejenigen Steuern heraus, auf die man bei uns großzügig verzichtet, und kommt doch noch auf eine niedrigere Gesamtbelastung des Sozialproduktes. Das sind die Dinge, auf die es uns hier ankommt.Ich will jetzt zu den einzelnen indirekten Steuern nicht weiter sprechen. Ich könnte z. B. die Zuckersteuer einer Betrachtung unterziehen, mit deren Hilfe wir uns inzwischen einen recht kostspieligen Zuckerberg angelacht haben.Ich will nur noch wenige Worte zur Kaffeesteuer sagen, weil neulich in diesem Hause unser Antrag auf planmäßigen Abbau der Kaffeesteuer und der Teesteuer eine, ich muß schon sagen, höchst unzureichende und kurzsichtige Behandlung seitens der Regierung und vor allen Dingen seitens der Mehrheit erfahren hat. Diese Steuer muß über kurz oder lang fallen. Wir stehen sowieso ziemlich allein mit ihr da. Sie ist im Gemeinsamen Markt nicht zu halten, und wäre es nur, damit die Kaffeeschnüffelei an der Grenze aufhört. Es geht auch nicht, die Entwicklungshilfe dadurch zu finanzieren, daß man die Produkte der Entwicklungsländer mit Steuern belegt.Sie haben gesagt, ein Ausfall von 100 Millionen DM sei im Haushalt 1961 nicht zu ertragen. Vielleicht ist aber ein Ausfall von 60 oder 80 Millionen DM zu ertragen. Darüber läßt sich doch reden. Wir haben ja nichts anderes als den planmäßigen Abbau dieser Steuern beantragt. Einmal muß man ja damit anfangen.Dann ist davon gesprochen worden, die Entwicklungsländer verhielten sich falsch; sie machten die und jene Fehler. Das ist gerade die falsche psychologische Einstellung, mit der wir draußen so schlecht ankommen. Da ist vorgerechnet worden, das helfe den Entwicklungsländern gar nichts. Entschuldigen Sie, geben Sie unseren Bauern auch solche Belehrungen über richtiges Verhalten,
wenn Sie Ihnen die Gelder bewilligen? Oder würden Sie Ihnen solche Belehrungen geben, wenn Sie einmal solche Gelder wirklich nicht bewilligen wollten? Trauen Sie sich das? Oder haben Sie gefragt, ob die Landwirtschaft mit dem, was Sie ihr da bewilligen, oder mit den 300 Millionen wirklich geret-
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Seufferttet ist, die Sie ihr als Wahlspende noch so nachträglich vor die Tür geschmissen haben?
— Aber haben Sie da gefragt, ob sie damit gerettet ist? Der Milchpreis soll trotzdem höher werden; oder nicht? Haben Sie da erst gefragt, haben Sie da Beweise angeführt: Es hilft ja nichts; die verhalten sich falsch? Entschuldigen Sie, das wollte ich sagen: den deutschen Bauern muten Sie das nicht zu. Warum wollen Sie die anderen Leute anders behandeln?
— Wir sparen die Million nicht?
— Das sind gerade die Darlegungen, die Sie vielleicht auch mal den Bauern machen sollten.
Sie können doch nicht alle behandeln, wie Sie die Opposition behandeln.
— Zu gut! Ich wollte, es wäre ernster gemeint. — Im allgemeinen Interesse wäre, wie ich meine, eine ernsthaftere Einstellung zu diesem Problem, dem ich noch einige Worte widmen wollte, angebracht. Esgäbe andere Fragen, die es wert wären, gemeinsam angegangen zu werden. Es ist uns ja auch öfter in diesem Hause bescheinigt worden, daß wir jederzeit zu sachlicher Mitarbeit bereit sind.Aber, meine Damen und Herren, kommen wir zum Schluß. Nach unseren Erfahrungen sind Appelle zur Gemeinsamkeit bei der derzeitigen Mehrheit nicht Dinge, die auf Gegenliebe stoßen. Da muß man sich nach einer anderen Mehrheit umsehen.
— Es paßt gut zum Vordersatz. Um es Ihnen noch einmal klarzumachen: die Bereitschaft auf unserer Seite, solche Dinge nicht nur sachlich, sondern auch gemeinsam zu behandeln, ist jederzeit vorhanden. Aber nach den Erfahrungen, die wir machen, finden solche Appelle zur Gemeinsamkeit auf Ihrer Seite, Herr Niederalt, nicht immer Gegenliebe bei der Mehrheit, die wir vor uns haben. Daher muß man sich nach einer anderen Mehrheit umsehen.
— Diese Gegenliebe, Herr Niederalt, vermissen wir leider, und da muß man sich um eine andere Mehrheit bemühen. Da muß man ehrlich herausstellen, was uns unterscheidet und was uns von der derzeitigen Steuerpolitik dieser Mehrheit trennt. Das möchte ich hiermit getan haben.Es wird entschieden werden müssen, ob die Reserven, die noch vorhanden sind, ausgeschöpft werden und ob die Arbeitnehmer und die Mittelschichten mit ihren Forderungen zu ihrem Recht kommen oder ob das Durchschnittseinkommen durch weitere Steuererhöhungen eines Tages noch mehr belastet wird. Das müssen wir klar herausstellen. Das muß entschieden werden. Weil uns das trennt, werden wir auch dem Haushalt des Bundesfinanzministers, in dem diese Steuerpolitik sich verkörpert, nicht zustimmen können.
Meine Damen und Herren, ich breche die Beratung ab. Die allgemeine Aussprache über den Einzelplan 08 wird morgen vormittag um 9 Uhr fortgesetzt. Als erster Redner spricht Herr von Kühlmann-Stumm.
Die Sitzung ist geschlossen.