Protokoll:
18153

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 18

  • date_rangeSitzungsnummer: 153

  • date_rangeDatum: 29. Januar 2016

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 09:01 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 14:48 Uhr

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 18/153 Textrahmenoptionen: 16 mm Abstand oben Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 153. Sitzung Berlin, Freitag, den 29. Januar 2016 Inhalt: Tagesordnungspunkt 21: a) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur Fortentwick- lung der parlamentarischen Beteiligung bei der Entscheidung über den Einsatz bewaffneter Streitkräfte im Ausland im Zuge fortschreitender Bündnisintegrati- on Drucksache 18/7360 . . . . . . . . . . . . . . . . . 15055 B b) Beratung der Unterrichtung durch die Kommission zur Überprüfung und Siche- rung der Parlamentsrechte bei der Manda- tierung von Auslandseinsätzen der Bundes- wehr: Abschlussbericht der Kommission Drucksache 18/5000 . . . . . . . . . . . . . . . . . 15055 B Roderich Kiesewetter (CDU/CSU) . . . . . . . . . 15055 D Dr . Alexander S . Neu (DIE LINKE) . . . . . . . . 15057 B Sonja Steffen (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15058 C Dr . Frithjof Schmidt (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15060 A Dr . Hans-Peter Uhl (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 15061 C Klaus Ernst (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . 15063 B Dr . Hans-Peter Uhl (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 15063 D Sevim Dağdelen (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 15064 A Niels Annen (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15065 C Dr . Alexander S . Neu (DIE LINKE) . . . . . . 15066 A Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE) . . . . . . . . . . 15067 C Niels Annen (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15067 D Katja Keul (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15068 B Wilfried Lorenz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 15069 C Rainer Arnold (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15071 A Dr . Andreas Nick (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 15072 D Tagesordnungspunkt 22: Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Intelligente Mobilität fördern – Die Chancen der Digitalisierung für den Ver- kehrssektor nutzen Drucksache 18/7362 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15073 D Dorothee Bär, Parl . Staatssekretärin BMVI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15074 A Sabine Leidig (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . 15076 A Arno Klare (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15077 B Stephan Kühn (Dresden) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15078 B Thomas Jarzombek (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 15079 C Stephan Kühn (Dresden) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15080 A Herbert Behrens (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 15082 A Andreas Rimkus (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15083 B Dr . Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15084 B Steffen Bilger (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 15085 D Sebastian Hartmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 15087 C Daniela Ludwig (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 15089 A Annette Sawade (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15090 A Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 153 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 29 . Januar 2016II Tagesordnungspunkt 23: Antrag der Abgeordneten Özcan Mutlu, Kai Gehring, Beate Walter-Rosenheimer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Mehr Bildungsgerechtigkeit für die Einwanderungsgesellschaft – Damit Herkunft nicht über Zukunft bestimmt Drucksache 18/7049 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15091 A Özcan Mutlu (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15091 B Cemile Giousouf (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 15092 C Dr . Rosemarie Hein (DIE LINKE) . . . . . . . . . 15094 D Dr . Karamba Diaby (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 15096 A Uda Heller (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . 15097 A Elfi Scho-Antwerpes (SPD) . . . . . . . . . . . . . . 15098 D Tagesordnungspunkt 24: a) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur Weiterentwicklung des Strom- marktes (Strommarktgesetz) Drucksache 18/7317 . . . . . . . . . . . . . . . . . 15100 B b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Energie zu dem Antrag der Abgeordneten Eva Bulling-Schröter, Caren Lay, Dr . Dietmar Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Deutscher Beitrag zu den UN-Klimaverhandlungen – Koh- lendioxid als Umweltschadstoff definie- ren, Betriebszeiten von Kohlekraftwer- ken begrenzen Drucksachen 18/3313, 18/7277 . . . . . . . . . 15100 B in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 7: Antrag der Abgeordneten Oliver Krischer, Annalena Baerbock, Dr . Julia Verlinden, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Zukunft des Strommarktes – Mit ökologischem Flexibi- litätsmarkt klimafreundliche Kapazitäten anreizen und Kohleausstieg einleiten Drucksache 18/7369 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15100 C Uwe Beckmeyer, Parl . Staatssekretär BMWi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15100 C Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE) . . . . . . . . 15101 B Thomas Bareiß (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 15102 B Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15103 D Johann Saathoff (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15105 A Karl Holmeier (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 15106 C Tagesordnungspunkt 25: Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Innovative Arbeitsforschung für eine Humanisierung unserer Arbeitswelt und mehr Beschäftigung Drucksache 18/7363 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15108 A Dr . Stefan Kaufmann (CDU/CSU) . . . . . . . . . 15108 A Ralph Lenkert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 15109 C René Röspel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15111 A Kai Gehring (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15112 C Thomas Rachel, Parl . Staatssekretär BMBF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15113 C Dr . Ernst Dieter Rossmann (SPD) . . . . . . . . . 15114 B Dr. Wolfgang Stefinger (CDU/CSU) . . . . . . . 15115 B Tagesordnungspunkt 26: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Wirtschaft und Energie zu dem Antrag der Abgeordneten Caren Lay, Eva Bulling-Schröter, Kerstin Kassner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Energienetze zurück in die öffentliche Hand – Rechtssicherheit bei der Rekommunalisie- rung schaffen Drucksachen 18/4323, 18/5274 . . . . . . . . . . . 15116 B Florian Post (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15116 C Caren Lay (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . 15117 A Dr . Matthias Heider (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 15118 B Dr . Julia Verlinden (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15119 D Johann Saathoff (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15120 D Dr . Andreas Lenz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 15122 A Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15122 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . . 15123 A Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Rede des Abgeordneten Christian Petry (SPD) zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtli- nie 2014/91/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23 . Juli 2014 zur Änderung der Richtlinie 2009/65/EG zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften be- treffend bestimmte Organismen für gemein- same Anlagen in Wertpapieren (OGAW) im Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 153 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 29 . Januar 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 153 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 29 . Januar 2016 III Hinblick auf die Aufgaben der Verwahrstelle, die Vergütungspolitik und Sanktionen (152 . Sitzung, Tagesordnungspunkt 14) . . . . . 15124 A Anlage 3 Amtliche Mitteilungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15125 C (A) (C) (B) (D) Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 153 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 29 . Januar 2016 15055 153. Sitzung Berlin, Freitag, den 29. Januar 2016 Beginn: 9 .01 Uhr
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    (A) (C) (B) (D) Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 153 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 29 . Januar 2016 15123 Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Albsteiger, Katrin CDU/CSU 29 .01 .2016 Feiler, Uwe CDU/CSU 29 .01 .2016 Fischer (Karlsru- he-Land), Axel E . CDU/CSU 29 .01 .2016 Freudenstein, Dr . Astrid CDU/CSU 29 .01 .2016 Gabriel, Sigmar SPD 29 .01 .2016 Gädechens, Ingo CDU/CSU 29 .01 .2016 Gohlke, Nicole DIE LINKE 29 .01 .2016 Groth, Annette DIE LINKE 29 .01 .2016 Hardt, Jürgen CDU/CSU 29 .01 .2016 Hitschler, Thomas SPD 29 .01 .2016 Holzenkamp, Franz- Josef CDU/CSU 29 .01 .2016 Hübinger, Anette CDU/CSU 29 .01 .2016 Jantz, Christina SPD 29 .01 .2016 Jung, Xaver CDU/CSU 29 .01 .2016 Karawanskij, Susanna DIE LINKE 29 .01 .2016 Kindler, Sven-Christian BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 29 .01 .2016 Kühn (Tübingen), Christian BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 29 .01 .2016 Launert, Dr . Silke CDU/CSU 29 .01 .2016 Lühmann, Kirsten SPD 29 .01 .2016 Maisch, Nicole BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 29 .01 .2016 Mattfeldt, Andreas CDU/CSU 29 .01 .2016 Möring, Karsten CDU/CSU 29 .01 .2016 Müller, Dr . Gerd CDU/CSU 29 .01 .2016 Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Murmann, Dr . Philipp CDU/CSU 29 .01 .2016 Notz, Dr . Konstantin von BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 29 .01 .2016 Özdemir, Cem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 29 .01 .2016 Pfeiffer, Sibylle CDU/CSU 29 .01 .2016 Rebmann, Stefan SPD 29 .01 .2016 Röring, Johannes CDU/CSU 29 .01 .2016 Rosemann, Dr . Martin SPD 29 .01 .2016 Scheuer, Andreas CDU/CSU 29 .01 .2016 Schlecht, Michael DIE LINKE 29 .01 .2016 Schwartze, Stefan SPD 29 .01 .2016 Silberhorn, Thomas CDU/CSU 29 .01 .2016 Spinrath, Norbert SPD 29 .01 .2016 Steinbach, Erika CDU/CSU 29 .01 .2016 Steinke, Kersten DIE LINKE 29 .01 .2016 Tank, Azize DIE LINKE 29 .01 .2016 Timmermann-Fechter, Astrid CDU/CSU 29 .01 .2016 Ulrich, Alexander DIE LINKE 29 .01 .2016 Veit, Rüdiger SPD 29 .01 .2016 Vogt, Ute SPD 29 .01 .2016 Wagner, Doris BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 29 .01 .2016 Warken, Nina CDU/CSU 29 .01 .2016 Wicklein, Andrea SPD 29 .01 .2016 Woltmann, Barbara CDU/CSU 29 .01 .2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 153 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 29 . Januar 201615124 (A) (C) (B) (D) Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Rede des Abgeordneten Christian Petry (SPD) zur Bera- tung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Richt- linie 2014/91/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Juli 2014 zur Änderung der Richtlinie 2009/65/EG zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften betreffend bestimmte Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren (OGAW) im Hinblick auf die Aufga- ben der Verwahrstelle, die Vergütungspolitik und Sanktionen (152. Sitzung, Tagesordnungspunkt 14) Christian Petry (SPD): Mit den umfangreichen Ge- setzen, die wir bislang im Bereich des Finanzmarktes in dieser Legislaturperiode umgesetzt haben, tragen wir den krisenhaften Entwicklungen der vergangenen Jahre im Fi- nanzmarktbereich Rechnung . Dabei liegt unser Fokus pri- mär auf dem Schutz der Anlegerinnen und Anleger . Bereits bestehende Regelungen im Bereich des Finanzmarktes gilt es dabei kontinuierlich zu hinterfragen, wo angebracht zu harmonisieren und gegebenenfalls anzupassen . Mit dem vorliegenden Umsetzungsgesetz tun wir heute genau dies und überarbeiten das seit nunmehr drei Jahrzehnten geltende europäische OGAW-Regel- werk . Durch Änderungen im Kapitalanlagegesetzbuch (KAGB) und im Kreditwesengesetz (KWG) stellen wir einen einheitlichen Standard beim Anlegerschutz im Be- reich des Fondswesens sicher und fördern zeitgleich die Marktintegrität . Dabei kommt es insbesondere mit Blick auf die Vergü- tungspolitik von Fonds und die Sanktionsmöglichkeiten der BaFin als nationaler Aufsichtsbehörde zu umfassen- den Neuerungen . Darüber hinaus werden die Vorgaben für bislang verschiedenartig regulierte Investmentvermö- gen vereinheitlicht . Mit der immer stärker werdenden Rolle der Invest- mentfondsbranche steigt deren systemische Relevanz für die Finanzstabilität – nicht nur in Europa, sondern auch in Deutschland . Der Investmentfondssektor stellt in der Bundesrepublik mittlerweile den größten Akteur im Schattenbankensektor dar . Im vergangenen Jahr konnten die deutschen Fonds- verbände neue Rekordstände vermelden . Dabei belief sich das von der Fondsindustrie verwaltete Vermögen auf über 2,6 Billionen Euro . Nicht erst seit den jüngsten Warnungen der EBA und der Bundesbank wissen wir um die Gefahren, die für Finanzstabilität und Realwirtschaft von Schattenbankenaktivitäten außerhalb des etablierten Bankensystems ausgehen können . Wir haben diesen sehr wichtigen Punkt kontrovers und offen diskutiert . Einen besonderen Dank an dieser Stelle an meinen Kollegen Fritz Güntzler für die guten und kollegialen Beratungen . Es ging uns bei den Gesprächen darum, sicherzustellen, dass Beteiligungskapital auch zukünftig in der Bundes- republik für den Wagniskapitalbereich generiert werden kann . Dabei war uns jedoch immer klar, dass der Anleger- schutz Priorität haben muss . Mit dem nun vorliegenden Gesetz haben wir einen guten Kompromiss erreicht . Zukünftigen europarechtlichen Regelungen im Fonds- bereich ebnen wir mit dem OGAW-V-Umsetzungsgesetz an entscheidenden Stellen den Weg . So wird erstmalig die Kreditvergabemöglichkeit für Fonds rechtlich verbindlich geregelt und kontrolliert . Offene bzw . geschlossene Fonds können zukünftig 30 bzw . 50 Prozent ihres Kapitals an Gesellschafter und „Nichtverbraucher“ in Form von Gelddarlehen vergeben . Aufgrund der umfangreichen re- gulatorischen Maßnahmen werden hierbei potenzielle Ri- siken der kreditvergebenden Fonds minimiert . Der gestiegenen ökonomischen Bedeutung, die Inves- tmentfonds einnehmen, stehen somit umfangreiche An- forderungen gegenüber, die einen umfassenden Schutz der Anleger sicherstellen . Daneben haben wir für bestimmte Investmentvermö- gen Bestandschutzregeln geschaffen und sind in einem wichtigen Punkt einer Forderung der Fondsindustrie und der Anlegerschützer entgegengekommen: Die BaFin muss zukünftig verbindlich innerhalb von acht Wochen die Übertragung eines Fonds von einer Kapitalverwal- tungsgesellschaft auf eine andere Kapitalverwaltungsge- sellschaft regeln . Diese Frist ist im Interesse aller betei- ligten Akteure . Sie schafft Rechtssicherheit . Basierend auf der BaFin-Verwaltungspraxis ist es seit Mai 2015 geschlossenen und offenen Fonds gleicherma- ßen möglich, Darlehensforderungen durch Prolongation oder Restrukturierung zu verwalten . Wir haben uns da- rauf geeinigt, dass dies auch weiterhin offenen Spezi- al-AIF möglich sein soll . Insbesondere in ökonomischen Krisensituationen ist es auch im Interesse der Fondsanle- ger, dass der Fonds seinen Fortbestand durch eine Ände- rung seiner Modalitäten sicherstellen kann . Die Sanktionsmöglichkeiten der BaFin als national zu- ständiger Aufsichtsbehörde haben wir im Sinne des Anle- gerschutzes in drei Bereichen ausgeweitet und verschärft: Erstens . Den Bußgeldrahmen bei Verstößen haben wir neu strukturiert . Zukünftig kann die BaFin die Höhe zu zahlender Strafen an die Umsätze eines Fonds koppeln . Zweitens . Daneben kann die BaFin beim Vorliegen schwerwiegender Verstöße einem Fonds die Geschäfts- erlaubnis entziehen und Berufsverbote aussprechen . Drittens . Maßnahmen der Bundesanstalt müssen im Internet publik gemacht werden und können dort bis zu fünf Jahre öffentlich einsehbar sein . Mit dieser umfangreichen Ausweitung der Sanktions- möglichkeiten durch die BaFin stellen wir auch weiter- hin eine umfassende Transparenz für Anlegerinnen und Anleger sicher . Für die innerhalb der parlamentarischen Beratungen aufgeworfene Kritik der Grünen, der Zertifikatemarkt sei nach wie vor nicht ausreichend reguliert, habe ich per- sönlich sehr viel Verständnis. Da Zertifikate dem KAGB aber nicht unterfallen, waren solche Maßnahmen inner- halb dieses Gesetzesvorhabens nicht möglich . Wir wer- den die Kritik aber aufnehmen . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 153 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 29 . Januar 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 153 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 29 . Januar 2016 15125 (A) (C) (B) (D) Darüber hinaus werden wir zusammen mit der BaFin und dem Bundesfinanzministerium die Entwicklung dar- lehensaufkaufender Fonds analysieren . Durch die Regu- lierung der Bank, die innerhalb dieses Vertriebsweges Darlehen vergibt, wurde die Regulierung darlehensauf- kaufender Fonds im aktuellen Gesetz nicht verfolgt . Da wir um die potenziellen Risiken wissen, die von solchen Investmentstrukturen für Anlegerinnen und Anleger aus- gehen, werden wir diese Fonds kritisch im Auge behalten . Eine wichtige Änderung, die der vorliegende Gesetz- entwurf formuliert, will ich an dieser Stelle nicht uner- wähnt lassen: Aufgrund europäischer Regelungen unterfielen einge- tragene Genossenschaften bislang den gleichen bürokra- tischen Anforderungen, die beispielsweise Investment- fonds zu erfüllen haben . Dies führte zu einer immensen Belastung bürgerschaftlichen Engagements in der Bun- desrepublik . Als zuständige nationale Aufsichtsbehörde hat die BaFin bereits im März des letzten Jahres ihre Verwal- tungspraxis bezüglich eingetragener Genossenschaften grundlegend geändert: Seitdem obliegt es den genossen- schaftlichen Prüfverbänden, Genossenschaften zu über- prüfen und zuzulassen . Genossenschaften unterfallen seitdem nicht mehr den Anforderungen, die beispielswei- se Hedgefonds erfüllen müssen . Mit dem OGAW-V-Umsetzungsgesetz wird die bishe- rige Verwaltungspraxis der BaFin nun in Gesetzesform gegossen . Für die rund 8 000 eingetragenen Genossen- schaften in Deutschland ist dies ein wichtiger Punkt; denn für das gesellschaftliche Engagement in unserem Land bedeutet dies Rechtssicherheit . Somit enthält das sehr technische Umsetzungsgesetz einen ganz praktischen Aspekt, der genossenschaftlich organisierte Bündnisse stärkt, die sich zusammenschlie- ßen und mit großem Engagement ökonomische, gesell- schaftliche, aber auch umweltpolitische Ziele verfolgen . Die Arbeit der genossenschaftlichen Prüfverbände werden wir aufmerksam begleiten . Die Verbände müs- sen sicherstellen, dass die Rechtsform der eingetragenen Genossenschaften nicht gezielt von schwarzen Schafen zur Umgehung gesetzlicher Anforderungen genutzt wird . Im Sinne eines einheitlichen europäischen Anleger- schutzes werden Anforderungen und Pflichten von In- vestmentgesellschaften mit dem vorliegenden Gesetz spürbar erhöht . Der Sanktionsrahmen bei Verstößen ge- gen Transparenzvorschriften wird dabei umfassend aus- geweitet . Differenzen zwischen unterschiedlichen Fondskate- gorien werden beseitigt, rechtliche Regelungen einander angepasst . Kurz: Die Produktstandards werden im Sinne des Anlegerschutzes innerhalb Europas vereinheitlicht . Die europaeinheitliche, kohärente Regelung im Be- reich der Investmentvermögen ist folgerichtig und nur zu begrüßen . Denn einheitliche Anforderungen dienen so- wohl der Rechtssicherheit der Investmentfonds als auch dem Schutz der Anlegerinnen und Anleger . Zudem ist es ausdrücklich zu begrüßen, dass einge- tragene Genossenschaften zukünftig nicht mehr den gleichen bürokratischen Anforderungen unterliegen wie Investmentvermögen . Hierdurch unterstützen wir Genos- senschaften nachhaltig und stärken das gesellschaftliche Engagement in Deutschland . Glück auf! Anlage 3 Amtliche Mitteilungen ohne Verlesung Die folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, dass sie ge- mäß § 80 Absatz 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu den nachstehenden Vorlagen absehen: Auswärtiger Ausschuss – Unterrichtung durch die deutsche Delegation in der Parlamentarischen Versammlung der OSZE 23. Jahrestagung der Parlamentarischen Ver- sammlung der OSZE vom 28. Juni bis 2. Juli 2014 in Baku, Aserbaidschan Drucksachen 18/6733, 18/6847 Nr. 2 – Unterrichtung durch die deutsche Delegation in der Parlamentarischen Versammlung der OSZE 24. Jahrestagung der Parlamentarischen Versamm- lung der OSZE vom 5. bis 9. Juli 2015 in Helsinki, Finnland Drucksachen 18/6734, 18/6847 Nr. 3 – Unterrichtung durch die deutsche Delegation in der In- terparlamentarischen Konferenz für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik und die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik Tagung der Interparlamentarischen Konferenz für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik und die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspo- litik am 5. und 6. September 2015 in Luxemburg Drucksachen 18/6899, 18/7276 Nr. 1 – Unterrichtung durch die Delegation des Deutschen Bundestages in der Ostseeparlamentarierkonferenz 24. Jahrestagung der Ostseeparlamentarierkon- ferenz vom 30. August bis 1. September 2015 in Rostock-Warnemünde, Deutschland Drucksachen 18/7033, 18/7276 Nr. 6 – Unterrichtung durch die Delegation der Bundesrepu- blik Deutschland in der Parlamentarischen Versamm- lung des Europarates Tagung der Parlamentarischen Versammlung des Europarates vom 21. bis 25. Januar 2013 in Straß- burg Drucksachen 18/7128, 18/7276 Nr. 9 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 153 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 29 . Januar 201615126 (A) (C) (B) (D) – Unterrichtung durch die Delegation der Bundesrepu- blik Deutschland in der Parlamentarischen Versamm- lung des Europarates Tagung der Parlamentarischen Versammlung des Europarates vom 22. bis 26. April 2013 in Straß- burg Drucksachen 18/7129, 18/7276 Nr. 10 – Unterrichtung durch die Delegation der Bundesrepu- blik Deutschland in der Parlamentarischen Versamm- lung des Europarates Tagung der Parlamentarischen Versammlung des Europarates vom 24. bis 28. Juni 2013 in Straßburg Drucksachen 18/7130, 18/7276 Nr. 11 – Unterrichtung durch die Delegation der Bundesrepu- blik Deutschland in der Parlamentarischen Versamm- lung des Europarates Tagung der Parlamentarischen Versammlung des Europarates vom 30. September bis 4. Oktober 2013 in Straßburg Drucksachen 18/7131, 18/7276 Nr. 12 Haushaltsausschuss – Unterrichtung durch die Bundesregierung Haushaltsführung 2015 Mitteilung gemäß § 37 Absatz 4 der Bundeshaus- haltsordnung über die Einwilligung in eine über- planmäßige Ausgabe bei Kapitel 11 02 Titel 636 85 – Zuschüsse zu den Beiträgen zur Rentenversi- cherung der in Werkstätten und Integrationspro- jekten beschäftigten Menschen – bis zu einer Höhe von 30,428 Mio. Euro Drucksachen 18/6323, 18/6605 Nr. 1.2 – Unterrichtung durch die Bundesregierung Haushaltsführung 2015 Mitteilung gemäß § 37 Absatz 4 der Bundes- haushaltsordnung über die Einwilligung in eine außerplanmäßige Ausgabe bei Kapitel 06 28 Ti- tel 532 06 – Unterstützungsleistungen des Bundes- amts für Bevölkerungsschutz und Katastrophen- hilfe bei der Verteilung von Flüchtlingen – bis zur Höhe von 32,7 Mio. Euro Drucksachen 18/6324, 18/6605 Nr. 1.3 – Unterrichtung durch die Bundesregierung Haushaltsführung 2015 Mitteilung gemäß § 37 Absatz 4 der Bundes- haushaltsordnung über die Einwilligung in eine überplanmäßige Ausgabe bei Kapitel 06 25 Ti- tel 532 06 – Verwendung, Einsätze und Maß- nahmen der Bundespolizei zur Bewältigung der Flüchtlingslage in Deutschland – bis zur Höhe von 42,981 Mio. Euro Drucksachen 18/6523, 18/6605 Nr. 1.10 – Unterrichtung durch die Bundesregierung Haushaltsführung 2015 Mitteilung gemäß § 37 Absatz 4 der Bundeshaus- haltsordnung über die Einwilligung in eine über- planmäßige Ausgabe bei Kapitel 05 01 Titel 687 10 – Beitrag an die Vereinten Nationen – bis zur Höhe von 39,540 Mio. Euro Drucksachen 18/6524, 18/6605 Nr. 1.11 – Unterrichtung durch die Bundesregierung Haushaltsführung 2015 Mitteilung gemäß § 37 Absatz 4 der Bundes- haushaltsordnung über die Einwilligung in eine überplanmäßige Ausgabe bei Kapitel 08 01 Ti- tel 699 31 – Abschließende Leistungen zur Abgel- tung von Härten in Einzelfällen – bis zur Höhe von 48,6 Mio. Euro Drucksachen 18/6953, 18/7116 Nr. 4 Ausschuss für Wirtschaft und Energie – Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Bundesregierung über ihre Exportpo- litik für konventionelle Rüstungsgüter im ersten Halbjahr 2015 Drucksachen 18/6460, 18/6605 Nr. 1.6 Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden Uni- onsdokumente zur Kenntnis genommen oder von einer Beratung abgesehen hat . Auswärtiger Ausschuss Drucksache 18/7127 Nr . A .1 Ratsdokument 14315/15 Finanzausschuss Drucksache 18/6855 Nr . A .3 Ratsdokument 13481/15 Haushaltsausschuss Drucksache 18/6855 Nr . A .4 Ratsdokument 13332/15 Ausschuss für Wirtschaft und Energie Drucksache 18/6607 Nr . A .17 Ratsdokument 13111/15 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 153 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 29 . Januar 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 153 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 29 . Januar 2016 15127 (A) (C) (B) (D) Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft Drucksache 18/7286 Nr . A .14 Ratsdokument 14867/15 Verteidigungsausschuss Drucksache 18/6855 Nr . A .6 Ratsdokument 13143/15 Drucksache 18/6939 Nr . A .2 Ratsdokument 13725/15 Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsi- cherheit Drucksache 18/7127 Nr . A .6 Ratsdokument 14381/15 Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Drucksache 18/6855 Nr . A .16 Ratsdokument 13486/15 Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de 153. Sitzung Inhaltsverzeichnis TOP 21 Parlamentsbeteiligung bei Bundeswehreinsätzen TOP 22 Intelligente Mobilität TOP 23 Bildungsgerechtigkeit TOP 24, ZP 7 Weiterentwicklung des Strommarktes TOP 25 Innovative Arbeitsforschung TOP 26 Rekommunalisierung von Energienetzen Anlagen Anlage 1 Anlage 2 Anlage 3
Gesamtes Protokol
Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1815300000

Nehmen Sie bitte Platz . Die Sitzung ist eröffnet .

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sie alle
herzlich . Es gibt heute keine Veränderung der Tagesord-
nung, keine Glückwünsche, Geburtstage oder andere
Feierlichkeiten, sodass wir gleich in die bekannte Tages-
ordnung eintreten können .

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 21 a und 21 b auf:

a) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/
CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Ge-
setzes zur Fortentwicklung der parlamentari-
schen Beteiligung bei der Entscheidung über
den Einsatz bewaffneter Streitkräfte im Aus-
land im Zuge fortschreitender Bündnisinte-
gration

Drucksache 18/7360
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäfts-
ordnung (f)

Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss

b) Beratung der Unterrichtung durch die Kommis-
sion zur Überprüfung und Sicherung der Parla-
mentsrechte bei der Mandatierung von Auslands-
einsätzen der Bundeswehr

Abschlussbericht der Kommission

Drucksache 18/5000
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäfts-
ordnung (f)

Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 77 Minuten vorgesehen . – Ich höre kei-
nen Widerspruch . Also können wir so verfahren .

Ich sehe auf der Tribüne Mitglieder der Kommission,
denen ich ganz herzlich danken möchte für die Arbeit,
die sie im Auftrag des Deutschen Bundestages geleis-
tet haben . – Ihr Bericht wird den zentralen Gegenstand
unserer heutigen Beratung und der weiteren Befassung
mit diesem Thema ausmachen . Herzlichen Dank . Schön,
dass Sie heute bei dieser Debatte dabei sind .


(Beifall)


Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem
Kollegen Roderich Kiesewetter für die CDU/CSU-Frak-
tion .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Roderich Kiesewetter (CDU):
Rede ID: ID1815300100

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her-

ren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir beraten heute
nach vielen Jahren wieder das Parlamentsbeteiligungsge-
setz . Wir sollten hier nicht nur an die Paragrafen des Ge-
setzes denken, sondern auch an den Geist des Gesetzes .
Die Soldaten und Soldatinnen, die wir mit mandatierten
Einsätzen beauftragen, schwören, der Bundesrepublik
Deutschland treu zu dienen und das Recht und die Frei-
heit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen . „Tapfer
zu verteidigen“ heißt, wenn es sein muss, unter Einsatz
ihres Lebens . Dessen sollten wir uns bei dieser Debatte
bewusst sein .

Wir erleben als Parlamentarier eine Gleichzeitigkeit
von Krisen und debattieren hier vielfach über Einsätze –
im Bewusstsein über die Werte und Interessen unseres
Landes . Genau zur Wahrung dieser Werte und Interessen
setzen wir unsere Soldatinnen und Soldaten ein . Diese
Gleichzeitigkeit von Krisen hat in dieser Koalition zu ei-
ner Reihe von aktiven Handlungen geführt, die ich kurz
umreißen möchte .

Im Auswärtigen Amt geht es um die Überarbeitung,
den sogenannten Review-Prozess, bei dem die Schwer-






(A) (C)



(B) (D)


punkte auf Frühwarnung, Krisenprävention und Stabi-
lisierung gelegt werden; im Verteidigungsministerium
geht es um den Weißbuchprozess, bei dem es um Auftrag
und Aufgaben der Bundeswehr geht, ressortübergreifend
aber auch um die Sicherheitspolitik der Bundesrepublik
Deutschland; und im Entwicklungsministerium geht es
um die Agenda 2030, bei der die entwicklungspolitischen
Ziele mit außenpolitischen Vorhaben verwoben werden .
Dies sind Dinge der Exekutive und der Bundesregierung .
Wir als Parlamentarier wollen aber nicht nur Schritt hal-
ten mit dieser Entwicklung, sondern wir wollen auch
besser informiert werden .

Volker Rühe als Vorsitzender der Kommission und
Walter Kolbow als sein Stellvertreter haben nach 14 Sit-
zungen, zwei öffentlichen Anhörungen, sieben nichtöf-
fentlichen Anhörungen und mehreren Dienstreisen bis
hin zu den Vereinten Nationen ein umfassendes Vor-
schlagspaket entwickelt . In dieser Gleichzeitigkeit von
Krisen geht es also um die Handlungsfähigkeit unserer
Regierung, um die Handlungsfähigkeit der Bundesre-
publik Deutschland im internationalen Verbund und um
die Verlässlichkeit in Bereichen, die nur noch gemein-
schaftlich zu finanzieren sind, beispielsweise Aufklä-
rung, AWACS, strategischer Lufttransport . Würde sich
Deutschland dort zurückziehen, wäre weder die EU noch
die NATO handlungsfähig .

Uns geht es um die Handlungsfähigkeit dieser Regie-
rung . Aber das hat seinen Preis . Wir erwarten deshalb
bessere Informationen und auch eine andere Beteiligung
des Parlaments . Das spiegelt der Kommissionsbericht
wider . Wir wollen dies im Rahmen der Anpassung des
Parlamentsbeteiligungsgesetzes erläutern . Ich möchte Ih-
nen das an vier Aspekten deutlich machen .

Zunächst fordern wir in dem Gesetzentwurf eine Eva-
luierung und Bewertung von Einsätzen . Das ist neu . Die
Evaluierung und Bewertung von Einsätzen hat drei Vor-
teile: erstens mehr Transparenz über das, was in den Ein-
sätzen geleistet wurde, zweitens mehr Handlungssicher-
heit für die Soldaten, weil sie aus den Einsätzen lernen,
und drittens – ich glaube, wir als Parlamentarier sollten
großen Wert darauf legen – eine bessere Außendarstel-
lung der Leistungen unserer Soldaten . Unsere Soldatin-
nen und Soldaten stehen mit ihrem Leben, mit ihrer Ge-
sundheit für diese Außen- und Sicherheitspolitik ein . Wir
wollen, dass das deutlicher und besser dargestellt wird .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Der zweite Aspekt ist, dass wir von der Bundesre-
gierung jährliche Berichte erwarten, die zeigen, in wel-
chen gegenseitigen Abhängigkeiten sich unser Land bei
der EU, bei der NATO und bei den Vereinten Nationen
befindet, indem wir viele Leistungen beistellen: Perso-
nal, Hauptquartiere und Fähigkeiten wie beispielswei-
se AWACS . Über diese Vernetzungen wollen wir einen
jährlichen Bericht, um zu wissen, was es bedeutet, wenn
sich Deutschland bei bestimmten Einsätzen beteiligt oder
heraushält . Wir wollen also einmal jährlich einen Bericht
über die wechselseitigen Abhängigkeiten und über die
Verbundfähigkeiten .

Es liegt dann an uns Abgeordneten, aus diesem Be-
richt Lehren zu ziehen . Wir wollen jenseits der jährlichen

Debatten über die 16, 17 einzelnen Mandate eine Ge-
samtaussprache über die Außen- und Sicherheitspolitik
unseres Landes durchführen . Das bietet der Koalition die
Chance, die Positionen darzustellen . Das bietet der Re-
gierung die Chance, Anregungen aufzunehmen, und das
bietet der Opposition die Chance zur Kritik . Ich halte es
für äußerst hilfreich, zusätzlich einmal jährlich über die
Einsätze insgesamt zu sprechen statt nur über die einzel-
nen Einsätze .

Der dritte Aspekt betrifft auch die Stärkung der Par-
lamentsrechte, indem wir einfordern, dass bei Einsätzen,
die der Geheimhaltung unterliegen, also beispielsweise
des Kommandos Spezialkräfte, das Parlament informiert
wird . Das ist bisher so nicht festgelegt . Auch das wollen
wir .

Der vierte Aspekt . Wir legen großen Wert darauf, dass
wir uns einmal Gedanken darüber machen, ob wirklich
alle Einsätze geprüft werden müssen . Nicht jeder Einsatz
muss unbedingt mandatiert werden, insbesondere wenn
es sich um Ausbildungsmissionen oder niedrigschwellige
Beobachtungsmissionen in nicht bewaffneten Konflikten
bzw . in befriedeten Gebieten handelt, wo keine Eskala-
tion und keine extreme Gefahr für Leib und Leben der
Soldatinnen und Soldaten zu erwarten sind .

Der Deutsche BundeswehrVerband hat sich mit eini-
gen Schreiben an uns Abgeordnete gewendet und macht
darin andere Vorschläge . Er geht sogar so weit, eine
Grundgesetzänderung vorzuschlagen . Dafür halte ich die
Zeit noch nicht für reif .


(Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Was heißt hier „noch nicht“?)


– Eine Grundgesetzänderung halte ich nicht für nötig,
weil wir mit der Anpassung des Parlamentsbeteiligungs-
gesetzes erheblich größere Fortschritte erzielen können .

Ich glaube, es ist sehr klug, bei der Parlamentsbeteili-
gung über zwei Bereiche nachzudenken . Ich sehe hier das
Bild der Waagschalen . Das eine ist die Waagschale des
Parlaments, und das andere ist die Waagschale der Regie-
rung . Da das Parlament die Regierung kontrolliert, muss
das Parlament etwas mehr Gewicht in seiner Waagschale
haben . Dieses höhere Gewicht erreichen wir, indem wir
frühzeitiger informiert werden, wir mehr – das halte ich
für ganz wichtig – über die Ausrichtung debattieren und
der Bundesregierung eben auch Evaluierungsberichte ab-
verlangen . Das ist die entscheidende Neuerung .

Nun möchte ich hier aber auch ganz offen ansprechen,
dass wir im Koalitionsvertrag Folgendes geschrieben
haben: „Der Parlamentsvorbehalt ist keine Schwäche
Deutschlands, sondern eine Stärke .“ Ich gebe ganz offen
zu, dass ich mit dem Kollegen Andreas Schockenhoff vor
vier Jahren einen Vorschlag gemacht habe, der sehr zuge-
spitzt war . Wir haben angeregt, zu überlegen, ob es nicht
Vorratsbeschlüsse geben sollte – wohl wissend, dass es
Vorratsbeschlüsse nie geben darf . Aber, liebe Kollegin-
nen und Kollegen, wir haben damit eine Debatte angesto-
ßen, die zu einer Selbstvergewisserung des Parlaments
geführt hat . Wir sollten deshalb Volker Rühe und Walter
Kolbow sehr dankbar sein, dass sie eine austarierte Lö-
sung angeboten haben . Sie haben im Ergebnis auf der ei-

Roderich Kiesewetter






(A) (C)



(B) (D)


nen Seite die Rechte des Parlaments nicht nur gesichert,
sondern den Parlamentsvorbehalt auch gestärkt, und auf
der anderen Seite unsere Handlungsfähigkeit in der inter-
nationalen Vernetzung eindeutig gestärkt .

Wir haben von Anfang an die Tür für die Opposition
offengehalten, sich an dieser Kommission zu beteiligen .


(Heike Hänsel [DIE LINKE]: Pseudooffenheit!)


Die Linke hat von Anfang an Bedingungen gestellt, die
unerfüllbar waren . Die Grünen waren durch Winfried
Nachtwei intensiv vertreten, auch wenn es sich dabei um
einen früheren Kollegen handelt . Ich möchte ihn aber an
dieser Stelle ausdrücklich loben; denn er hat erheblich
dazu beigetragen, dass wir das Thema der Evaluierung
und Bewertung von Einsätzen aufgenommen haben .

Des Weiteren gab es – da bin ich Frau Haßelmann und
Herrn Schmidt sehr dankbar – noch im November eine
umfassende Aussprache mit dem Ausschuss für Wahl-
prüfung, Immunität und Geschäftsordnung . Wir haben
ausgelotet, was geht und was nicht . Wir sind überein-
gekommen, dass die Opposition ihre Rolle sehr ernst
nimmt .


(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Wir haben auch festgestellt, dass wir als Regierungs-
fraktionen in einigen Punkten eine ganz klare Position
vertreten, die wir uns nicht wegverhandeln lassen . Aber
es ist wichtig, dass wir im Parlament darüber reden . Ich
ermutige Sie daher alle, wenn der Gesetzentwurf zur Par-
lamentsbeteiligung in die Ausschussberatung geht, kon-
struktive Vorschläge zu unterbreiten . Wir wollen, dass am
Ende ein Parlamentsbeteiligungsgesetz steht, das nicht
nur die Rechte des Parlaments sichert und in bestimm-
ten Teilen sogar stärkt, sondern wir wollen auch im Sin-
ne von Volker Rühe, Walter Kolbow und der gesamten
Kommission, dass wir die Verlässlichkeit Deutschlands
und die internationalen Abhängigkeiten so miteinander
verweben, dass die Handlungsfähigkeit unseres Landes
in einer Gleichzeitigkeit von Krisen gewahrt ist und –
auch wenn die Lage einmal noch schwieriger werden
sollte – unsere Bundeswehr von diesem Parlament mit
gutem Gewissen im Sinne unserer Interessen und Werte
eingesetzt werden kann .

Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1815300200

Für die Fraktion Die Linke erhält der Kollege

Alexander Neu das Wort .


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Alexander S. Neu (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1815300300

Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrter Herr

Präsident! Die Bürgerinnen und Bürger dieses Lan-
des – Sie da oben – werden heute Zeugen davon, wie
die Koalitionsfraktionen parlamentarisch-demokratische
Rechte beschneiden . Das wird natürlich mit Nebelker-

zen kaschiert, ganz nach dem Motto: Ja, wir werden eine
bessere Informationspolitik mit Evaluationsberichten
etc . machen . – Es sollte aber eigentlich eine Selbstver-
ständlichkeit sein, dass bei einem Einsatz regelmäßige
Berichte und nach Abschluss eines Einsatzes ein Evalua-
tionsbericht vorgelegt werden . Das wollen Sie uns jetzt
als eine positive Neuigkeit verkaufen . Das führt schon zu
einem gewissen Stirnrunzeln bei der Linken .

Aber warum wollen die Bundesregierung und die Ko-
alitionsfraktionen die Parlamentsrechte beschneiden? Es
gibt dafür drei Gründe, die sehr offensichtlich sind .

Der erste Grund ist folgender: Die Bundesregierung
hat den Überblick über die Vielzahl der Auslandseinsätze
quasi verloren . Daher auch die zunehmend peinliche Bit-
te um Fristverzicht . Ich kann Ihnen garantieren: Wir wer-
den niemals einem Fristverzicht zustimmen – und wenn
die Sondersitzung nachts um 3 Uhr stattfinden wird.


(Beifall bei der LINKEN)


Ich möchte Ihnen einen guten Rat geben, Herr
Steinmeier und Frau von der Leyen . Gegen einen Über-
blicksverlust, der offensichtlich ist, gibt es ein probates
Mittel: einfach weniger Auslandseinsätze oder vielleicht
auch gar keine Auslandseinsätze mehr .


(Beifall bei der LINKEN – Dr . Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist so was von schlicht! Es ist schon peinlich!)


Der zweite Grund: Die Bundesregierung will die
Vielzahl der Einsätze der Öffentlichkeit gegenüber nicht
mehr erklären .


(Dr . Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Geht es vielleicht noch schlichter? Das ist unglaublich!)


Mehr Freiraum für exekutives Handeln, so wird das ge-
nannt . Es ist ja auch peinlich, gegenüber den Partnern
erklären zu müssen, erst das Parlament fragen zu müssen .
Demokratie ist eben schwierig, aber nicht peinlich .


(Beifall bei der LINKEN – Niels Annen [SPD]: Peinlich sind Sie!)


Der dritte Grund: Liebe Kolleginnen und Kollegen
von den Koalitionsfraktionen, ich kann ja verstehen, dass
Sie keine Lust haben, quasi jede Woche im Wahlkreis
den Bürgerinnen und Bürgern erklären zu müssen, wa-
rum Sie wieder einmal einem Einsatz zugestimmt oder
einen laufenden Einsatz verlängert haben .


(Roderich Kiesewetter [CDU/CSU]: Erklärungen sind sinnvoll! – Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Überhaupt kein Problem!)


Das verstehe ich ja . Aber das ist der Preis der Demokra-
tie .


(Beifall bei der LINKEN – Roderich Kiesewetter [CDU/CSU]: Sie machen es sich viel zu einfach!)


Um welche Einsatzszenarien handelt es sich, die
künftig nicht mehr der parlamentarischen Kontrolle und
der parlamentarischen Entscheidung unterliegen sollen?
Dies betrifft zum Beispiel die logistische Unterstützung

Roderich Kiesewetter






(A) (C)



(B) (D)


von Partnerarmeen, die medizinische Versorgung, Aus-
bildungsmissionen – übrigens ein sehr heikles Thema –
und Beobachtermissionen .


(Rainer Arnold [SPD]: Im sicheren Umfeld! Lesen!)


Diese Ausnahmefälle zeigen aber auch die Konstrukti-
onsschwäche des bestehenden Parlamentsbeteiligungsge-
setzes. Ein Einsatz ist demnach nur mandatierungspflich-
tig, wenn Soldatinnen und Soldaten im ausländischen
Konfliktgebiet stehen und eine Einbeziehung in eine be-
waffnete Unternehmung besteht oder erwartbar ist .

Diese Konstruktionsschwäche wird jetzt von der Bun-
desregierung und von den Koalitionsfraktionen miss-
braucht, um die Entscheidungs- und Kontrollkompetenz
bei allen Einsatzszenarien zu beenden, die diesem Kri-
terium nicht entsprechen . Siehe die oben genannten vier
Fälle .

Ausgangspunkt für die Entscheidung darf aber doch
nicht die An- oder Abwesenheit von Soldatinnen und
Soldaten im Einsatzgebiet bzw . eine bewaffnete Unter-
nehmung sein . Der Ausgangspunkt muss doch politisch
sein . Die Frage muss doch in jedem Einzelfall sein: Darf
die Bundeswehr als Instrument deutscher Außen- und Si-
cherheitspolitik genutzt werden? Das ist doch die zentra-
le parlamentarische Frage, die in diesem Haus entschie-
den werden muss .


(Beifall bei der LINKEN – Zuruf von der CDU/CSU: Wird sie auch!)


Das heißt doch letztendlich: weg vom konkreten Ein-
satzszenario hin zur grundsätzlichen politischen Frage .
Um mit militärischen Mitteln politische Entscheidungen
herbeizuführen, bedarf es weder der direkten Gewaltan-
wendung – siehe logistische Unterstützung oder Beob-
achtermissionen – noch bedarf es der Anwesenheit oder
Abwesenheit von Soldatinnen und Soldaten im Ausland
und im Konfliktgebiet, und zwar dank waffentechnolo-
gischer Entwicklungen . Beispiel: unbewaffnete Waffen-
systeme, allgemein bekannt als Drohnen, oder Cyberat-
tacken .

In beiden Einsatzszenarien, also bei Drohneneinsät-
zen – es sollen ja künftig bewaffnungsfähige, sprich:
bewaffnete Drohnen angeschafft werden – und auch bei
Cyberattacken, sitzt die Soldatin bzw . der Soldat künftig
in Deutschland und kann von diesem Land aus weltweit
militärische und zivile Infrastruktur zerstören oder auch
Menschen töten .

Was fordert die Linke? Die Linke fordert mehr demo-
kratische Mitbestimmung in der Außen- und Sicherheits-
politik, aber nicht weniger, wie Sie es gerade anvisieren .


(Beifall bei der LINKEN)


Das heißt konkret: Wir fordern eine grundlegende Kor-
rektur des Entscheidungskriteriums . Das heißt, die Ent-
scheidung über Auslandseinsätze gehört ausnahmslos in
den Deutschen Bundestag,


(Beifall bei der LINKEN)


weil das Militär ein hochgefährliches politisches Instru-
ment darstellt .

Außerdem fordert die Linke eine Anhebung des
Quorums . Es kann doch nicht sein, dass im Zweifelsfall
mit einfacher Mehrheit über Krieg und Frieden entschie-
den wird . Die Linke fordert als Quorum die Zweidrittel-
mehrheit des Deutschen Bundestages .


(Beifall bei der LINKEN – Thomas Oppermann [SPD]: Warum nicht Dreiviertel?)


Die Menschen in diesem Land müssen wissen, ob,
wie und mit welcher Qualität Abgeordnete und Bundes-
regierung militärische Gewaltmittel befürworten oder
auch ablehnen . Die Menschen müssen wissen, ob ihre
Abgeordneten und die Bundesregierung rechtswidrige
Einsätze beschließen, wie dies im Dezember beim Syri-
en-Einsatz der Fall war . Daher wird die Linke demnächst
in Karlsruhe gegen den Beschluss zum Syrien-Einsatz
klagen .

Ich danke Ihnen .


(Beifall bei der LINKEN – Rainer Arnold [SPD]: Sehr gut! Jetzt haben wir das geklärt!)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1815300400

Das Wort erhält nun die Kollegin Sonja Steffen für die

SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Sonja Steffen (SPD):
Rede ID: ID1815300500

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Sehr geehrte Kommissionsmitglieder! Liebe
Gäste! Herr Dr . Neu, es ist einfach, sich vehement gegen
das Parlamentsbeteiligungsgesetz zu stellen, wenn man
jeden Auslandseinsatz der Bundeswehr grundsätzlich ab-
lehnt. Ich finde allerdings, dass das Wahrnehmen interna-
tionaler Verantwortung anders aussieht .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Heike Hänsel [DIE LINKE]: Immer mehr Krieg!)


Meine Damen und Herren, die Bundeswehr ist eine
Parlamentsarmee . Das heißt, der Deutsche Bundestag
stimmt darüber ab – und das soll auch so bleiben –, wenn
unsere Bundeswehr, unsere Soldatinnen und Soldaten, in
einen Einsatz bewaffneter Streitkräfte gehen soll . Wir,
der Deutsche Bundestag, übernehmen mit diesen Ent-
scheidungen die Verantwortung für den Einsatz unserer
Soldatinnen und Soldaten .

Wir alle wissen, dass es aktuell mehr Konflikte und
Kriege auf der Welt gibt als jemals zuvor . Die Welt ist
viel unfriedlicher geworden, und mehr denn je gilt es,
gemeinsam Verantwortung zu übernehmen . Nationale
Alleingänge sind der Anfang vom Ende für Europa .

Wenn Europa seine Interessen wahren und seiner zu-
nehmenden Verantwortung in einer globalisierten Welt
nachkommen will, dann wird es seinen wirksamen au-
ßenpolitischen und sicherheitspolitischen Beitrag dazu
leisten müssen . Es darf keine Alleingänge von Staaten
der Europäischen Union geben, wie gegenwärtig leider

Dr. Alexander S. Neu






(A) (C)



(B) (D)


von einigen Staaten im Zusammenhang mit Grenzschlie-
ßungen, sondern Integration und mehr gemeinsame Ver-
antwortung sind notwendig . Damit entstehen aber auch
mehr gegenseitige Abhängigkeiten . Das gilt auch für mi-
litärische Einsätze .

Genau wegen der zunehmenden militärischen Integra-
tion europäischer Streitkräfte hat die Große Koalition in
ihrem Koalitionsvertrag festgelegt, dass eine Kommissi-
on eingesetzt werden soll . Diese sollte prüfen, wie die
Parlamentsrechte auf dem Weg fortschreitender Bündnis-
integration gesichert werden können .

Die Kommission hat nun ihre Ergebnisse vorgelegt
und in einem Gesetzentwurf gebündelt . Dieser liegt uns
heute in überarbeiteter Form vor . Von den Einigungsvor-
schlägen möchte ich einige aufgreifen .

Ich beginne mit § 2 a, der neu ist . Die Überschrift lau-
tet: „Mitwirkung in militärischen Stäben und Hauptquar-
tieren“ . Ich zitiere kurz die Vorschrift . Es heißt hier, dass

die Wahrnehmung von Funktionen in integrier-
ten oder multinational besetzten Hauptquartieren,
Dienststellen und Stäben der NATO, der EU oder
einer anderen Organisation gegenseitiger kollekti-
ver Sicherheit . . .

keiner Zustimmung des Bundestages bedürfen soll – jetzt
hören Sie gut zu –,

sofern sie sich dabei nicht im Gebiet eines bewaff-
neten Konflikts befinden oder dort eingesetzte Waf-
fen unmittelbar bedienen .

Damit sind beispielsweise – darauf hat der Kollege
Kiesewetter vorhin schon hingewiesen – auch viele
Beobachteraufgaben im Rahmen einer UN-Mission ge-
meint .


(Zuruf der Abg . Heike Hänsel [DIE LINKE])


Das mag vielleicht auf den ersten Blick wie eine Be-
schneidung der Parlamentsrechte wirken, aber ein Blick
in die Entstehungsgeschichte des Parlamentsbeteili-
gungsgesetzes aus dem Jahr 2005 zeigt, dass wir eine
ähnliche Regelung schon immer hatten . Sie stand früher
allerdings in den Begründungen und nicht ausdrücklich
im Gesetzestext . Deshalb dient diese Vorschrift, also die
Einkleidung in das Gesetz, im Grunde genommen nur
der Klarstellung . Es geht um Präzisierungen und nicht
um die Einschränkung des Parlamentsvorbehaltes .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Widerspruch bei der LINKEN – Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hörte sich bei Herrn Kiesewetter aber anders an!)


Die größten Probleme bei den Debatten über den neu-
en Gesetzentwurf hat wahrscheinlich § 2 bereitet . Hier
geht es um den Einsatz bewaffneter Streitkräfte . In dem
neuen Entwurf gibt es nun einen Negativkatalog mit
Fällen, in denen eine Einbeziehung in eine bewaffnete
Unternehmung nicht zu erwarten ist, weshalb keine Par-
lamentsbeteiligung erforderlich ist .

Um welche Fälle handelt es sich hier? Neben den be-
reits im bestehenden Gesetz aufgeführten Fällen ist in
unserem jetzigen Gesetzentwurf neu, dass Ausbildungs-

missionen „in sicherem Umfeld“ keiner Mandatierung
bedürfen . Ich betone: „in sicherem Umfeld“ . Neu ist
auch, dass Logistikleistungen „ohne Bezug zu Kampf-
handlungen“ und die „Bereitstellung medizinischer Ver-
sorgung außerhalb des Gebiets eines bewaffneten Kon-
flikts“ nicht zustimmungspflichtig sein sollen. Sie sehen
also: Bei diesem Katalog hat sich die Kommission sehr
viele Gedanken darüber gemacht und darauf geachtet,
dass die Parlamentsrechte nicht beschnitten werden .

Allerdings ist hier nach Meinung meiner Fraktion, der
SPD-Fraktion, schon noch einmal eine genauere verfas-
sungsrechtliche Überprüfung erforderlich, weil es, wie
die meisten von Ihnen wissen, im September 2015 eine
Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Liby-
en-Einsatz gab .

Das Bundesverfassungsgericht hat den Libyen-Ein-
satz im Wesentlichen für rechtmäßig erklärt, hat sich aber
inhaltlich mit dem Begriff des „Einsatzes bewaffneter
Streitkräfte“ auseinandergesetzt . Es hat in diesem Urteil
festgestellt, dass es sich hier um einen verfassungsrecht-
lichen Begriff handelt, also nicht um einen unbestimm-
ten Rechtsbegriff, und dass dieser Begriff nicht durch ein
einfaches Gesetz verbindlich konkretisiert werden kann .
Das bedeutet also: Wir werden uns im Rahmen der nun
beginnenden Beratungen mit dieser Frage noch einmal
auseinandersetzen müssen .

Auf die weiteren Neuerungen des Gesetzentwurfes,
die im Wesentlichen die Stärkung der Informationsrechte
des Parlamentes beinhalten, hat Herr Kiesewetter schon
hingewiesen . Wir werden uns nun im federführenden
Geschäftsordnungsausschuss mit den bereits benannten
verfassungsrechtlichen Fragen beschäftigen müssen .

Der Bundestag hat nicht nur das Recht auf Beteiligung
bei militärischen Einsätzen, sondern auch die Pflicht. Ich
glaube, nicht nur wir, die wir hier sitzen, sondern alle
Parlamentarier wissen: Wenn es um den Einsatz bewaff-
neter Streitkräfte geht, dann ist die Entscheidung, die wir
hier zu treffen haben, eine der schwierigsten . Wir ma-
chen uns diese Entscheidung weiß Gott nicht leicht .


(Dr . Alexander S . Neu [DIE LINKE]: Deshalb wollen wir sie auch nicht treffen!)


Mit dem vorliegenden Entwurf eines Gesetzes zur Par-
lamentsbeteiligung werden wir diese Rechte auch nicht
beschneiden .

Ich möchte abschließend den Mitgliedern der Kom-
mission für ihre umfangreiche und sorgfältige Arbeit
danken .

Ich bedanke mich fürs Zuhören und freue mich auf
die Debatten .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1815300600


Frithjof Schmidt ist nun der nächste Redner für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen .

Sonja Steffen






(A) (C)



(B) (D)



(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen von den Koalitionsfraktionen! Bei der Bil-
dung Ihrer – das sage ich ganz bewusst – Kommission
zur Überprüfung und Sicherung der Parlamentsrechte
bei der Mandatierung von Auslandseinsätzen der Bun-
deswehr standen hochgesteckte Erwartungen im Raum,
wie die von Ihnen sogenannte „Abstufung der Intensität
parlamentarischer Beteiligung“ aussehen sollte . Daran
gemessen ist das Ergebnis recht überschaubar geworden .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Hätten Sie mal mitgemacht!)


Ich finde es gut, dass Sie auf jeden konkreten Vorstoß
zur Änderung der Verfassung verzichtet haben. Ich finde
es gut, dass die unselige Debatte über Vorratsbeschlüsse
oder die Delegation von Abgeordnetenrechten an spezi-
elle Ausschüsse nicht mehr vorgesehen ist .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Das haben Sie nach Prüfung der Umstände sicher aus gu-
ter Einsicht ad acta gelegt . Aber ich bin mir auch sicher,
dass Ihnen dabei die geschlossene und scharfe Kritik der
gesamten Opposition in diesem Haus an solchen Vorha-
ben eine große Hilfe war .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Wenn diese falschen politischen Ideen nun in Ihren Frak-
tionen nicht mehr herumspuken und dauerhaft politisch
entsorgt sind, dann hatte dieser politische Prozess auf je-
den Fall etwas Gutes .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Es gibt in Ihrem Gesetzentwurf drei politische Punk-
te, bei denen wir Ihrer Meinung sind . Wir begrüßen aus-
drücklich, dass Sie für Bundeswehreinsätze nun einen
Evaluierungsbericht vorsehen, der die Wirksamkeit der
militärischen und zivilen Komponenten der Mission be-
wertet . Das haben wir seit vielen Jahren immer wieder
gefordert . Es ist gut, dass Sie diese Position jetzt aufneh-
men .


(Dr . Alexander S . Neu [DIE LINKE]: Überfällig!)


Wir begrüßen auch, dass dem Bundestag jährlich ein
Bericht über bestehende multilaterale militärische Ver-
bundfähigkeiten vorgelegt werden soll . Das trägt zur
Transparenz darüber bei, was alles arbeitsteilig mit ande-
ren Ländern militärisch geplant und getan wird . Solche
Transparenz ist immer auch die Voraussetzung für poli-
tische Kontrolle .

Wir finden auch richtig, dass Sie die Vorgaben des
Bundesverfassungsgerichtes, die es im Urteil zu unserer
Klage zum sogenannten Pegasus-Einsatz in Libyen ge-
macht hat, wie denn bei Gefahr im Verzug mit Eilfällen

umzugehen ist, sofort übernommen haben . Das schafft
die notwendige Klarheit .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: So wie das bisher klingt, können Sie zustimmen!)


Aber das sind natürlich nicht die zentralen politi-
schen Punkte Ihres Gesetzentwurfes . Politisch im Zen-
trum steht Ihr Versuch, Einsatztypen zu definieren, die in
der Regel nicht mandatspflichtig sein sollen, bei denen
also die Möglichkeit einer Einbeziehung in bewaffnete
Kampfhandlungen auszuschließen ist .


(Henning Otte [CDU/CSU]: Das haben Sie falsch verstanden!)


Sie nennen zum Beispiel Ausbildungsmissionen in siche-
rem Umfeld, UN-Beobachtermissionen, logistische Un-
terstützung ohne Bezug zu Kampfhandlungen .


(Dr . Franz Josef Jung [CDU/CSU]: Ja!)


Sie wecken damit die Illusion, man könne mit einem
solchen Gesetzestext die notwendige Einzelfallprüfung
eines jeden Einsatzes umgehen oder wenigstens mini-
mieren .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Ihre These in diesem Gesetzentwurf ist: Der mandats-
pflichtige Ausbildungseinsatz ist atypisch, ist die Aus-
nahme von der Regel .

Schauen wir uns die Praxis an . Die Bundeswehr führt
zurzeit vier Ausbildungseinsätze durch: in Afghanistan,
Irak, Somalia und Mali . Welchen dieser Einsätze wollen
Sie denn ohne Mandat durchführen?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Zurufe von der SPD: Keinen!)


Das wäre dann offenkundig die Ausnahme von der Regel
und atypisch, also genau andersherum, als Sie es im Ge-
setzentwurf formuliert haben . Das ist der Fehler .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Sonja Steffen [SPD]: Das stimmt ja so nicht!)


Die Wahrheit ist: Sie sind mit dem Versuch gescheitert,
eine praxistaugliche Typologie zu finden. Ihre Konstruk-
tion ist auch rechtlich fragwürdig . Die Rechtsprechung
des Bundesverfassungsgerichtes verpflichtet uns zu einer
Einzelfallprüfung, und der Versuch, dies mit irgendwel-
chen Regelfällen zu unterlaufen, muss scheitern .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Politisch bedeutet Ihr Gesetzentwurf den Versuch ei-
ner Stärkung der Interpretationsmöglichkeiten der Exe-
kutive und einer Schwächung der Kontrollmöglichkeiten
und der Kontrollfähigkeit der Legislative, das heißt in
diesem Fall insbesondere der Opposition .


(Dr . Alexander S . Neu [DIE LINKE]: Das sehen wir auch so!)







(A) (C)



(B) (D)


Das ist politisch falsch, und das lehnen wir ab .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Dr . Alexander S . Neu [DIE LINKE]: Wir auch!)


Auch die Mitwirkung der Bundeswehr in multinati-
onalen Stäben oder Hauptquartieren wollen Sie durch
diesen Gesetzentwurf von der Zustimmungspflicht des
Bundestages bei Kampfeinsätzen ausnehmen .


(Dr . Franz Josef Jung [CDU/CSU]: Wer sagt denn das? Völlig falsch verstanden! Da liegen Sie völlig daneben! – Roderich Kiesewetter [CDU/CSU]: Das ist schon so falsch, dass es böswillig ist!)


Nur dann soll die Ausnahme nicht gelten, wenn die Sol-
daten sich direkt im Kampfgebiet befinden oder dort
eingesetzte Waffen direkt bedienen, also zum Beispiel
Kampfdrohnen steuern .

Das heißt, stabsleitende Funktionen von Waffenein-
sätzen sollen ausdrücklich keine Einbeziehung in die
bewaffnete Auseinandersetzung mehr bedeuten . Das ist
politischer Unsinn: Planung und Befehle sollen per Ge-
setz nichts mehr mit dem Einsatz vor Ort zu tun haben?
Wem wollen Sie das weismachen?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Dr . Alexander S . Neu [DIE LINKE]: Das ist lächerlich!)


Das widerspricht auch den einschlägigen Ausführungen
des Bundesverfassungsgerichtes . Deswegen sagen wir
Ihnen: Sie befinden sich damit auf ganz dünnem Eis.
Auch diese Gesetzesänderung lehnen wir ab .

Danke für die Aufmerksamkeit .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1815300700

Herr Kollege Schmidt, das Vorhandensein der Opposi-

tion ist demokratietheoretisch natürlich ein prinzipieller
Vorteil .


(Dr . Frithjof Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!)


Demokratiepraktisch ist deshalb wünschenswert, dass
die Opposition auch bei allen einschlägigen politischen
Beratungsprozessen beteiligt ist .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das hätten wir natürlich auch bei dieser Kommission au-
ßerordentlich begrüßt, und vielleicht hätte das eine oder
andere auch im Bericht seinen Niederschlag finden kön-
nen .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Nächster Redner ist der Kollege Hans-Peter Uhl von
der CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Hans-Peter Uhl (CSU):
Rede ID: ID1815300800

Herr Präsident, ich bedanke mich für den Hinweis an

die Opposition . Ich werde auch darauf zu sprechen kom-
men .

Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! „Der
Kaiser hat die Verfügung über die bewaffnete Macht .“ So
stand es in der Paulskirchenverfassung von 1849: „Der
Kaiser hat die Verfügung über die bewaffnete Macht .“


(Dr . Alexander S . Neu [DIE LINKE]: Wollen Sie zurück?)


Das ist eine lange Verfassungstradition, mit der wir bei
der Abfassung des Grundgesetzes demonstrativ gebro-
chen haben . Weder der Kaiser noch das Staatsoberhaupt,
sondern wir in diesem Saal, das Parlament, haben die
Verfügung über die bewaffnete Macht .

Der Ursprung der heutigen Debatte liegt im Jahr 1994,
als das Verfassungsgericht in Karlsruhe ein wegweisen-
des Urteil gesprochen hat, mit dem Tenor, der Einsatz
bewaffneter Streitkräfte bedürfe grundsätzlich der vorhe-
rigen Zustimmung des Bundestages . Das ist gut so .

Die demokratisch-rechtsstaatliche Verfassungsord-
nung ist der Rahmen, in dem entschieden wird, wie mit
dem Machtpotenzial der Bundeswehr umzugehen ist . Der
Gestaltungsspielraum der Exekutive, des Bundesaußen-
ministers und der Verteidigungsministerin, endet bei der
Anwendung militärischer Gewalt im Ausland . Bis dahin
sind sie selbstständig und eigenverantwortlich zuständig .

Nun haben sich die Dinge weiterentwickelt . Nach dem
rechtsschöpferischen Urteil aus dem Jahr 1994 hat der
Bundestag im Jahr 2005 das Gesetz zur Parlamentsbe-
teiligung beschlossen . Aber seither sind elf Jahre vergan-
gen . Die Welt hat sich weiterentwickelt . Deswegen ist
es gut, dass wir im Lichte zunehmender Bündniszusam-
menarbeit dieses Gesetz auf den Prüfstand gestellt haben .
Bei dieser Gelegenheit bedanke ich mich bei den beiden
Vorsitzenden Herrn Kolbow und Herrn Rühe, dass wir
uns mit diesem Gesetz sehr intensiv befasst haben . Ich
bedauere an dieser Stelle – genauso wie der Präsident
und die Koalition –, dass wir dies ohne die Opposition
machen mussten . Wir hätten gerne mit Ihnen diskutiert .
Viele Missverständnisse, die heute künstlich aufgebläht
werden, wären nicht entstanden, wenn wir in den letzten
14 Monaten mit Ihnen hätten diskutieren können .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Die weite Auslegung des Bundesverfassungsgerichtes
bei der Frage der Parlamentsbeteiligung birgt allerdings
eine Gefahr . Sie birgt die Gefahr, dass durch diese Be-
teiligung ein Einfallstor in zutiefst militärische Entschei-
dungen geschaffen wird, das heißt, dass sich Parlamenta-
rier in militärpraktische Details vertiefen, was nicht ihre
Aufgabe ist . Das ist die Aufgabe des Militärs, wenn es
um das Wie des Einsatzes geht .

Wir haben erreicht – davon bin ich überzeugt; das
werden Sie am Schluss auch zugeben müssen –, dass die
Parlamentsrechte durch das neue Gesetz abgeglichen und
nicht abgebaut werden . Jedenfalls war das die Leitlinie
für die Rühe-Kommission . Über bewaffnete militärische
Einsätze der Bundeswehr entscheidet also nach wie vor

Dr. Frithjof Schmidt






(A) (C)



(B) (D)


der Bundestag und niemand anderes . Wir haben uns mit
einer Reihe von Experten getroffen, NATO-Stützpunkte
besucht, unendlich viele Arbeitssitzungen abgehalten
und haben uns den Dingen im Detail gewidmet .

Ich möchte auf drei Dinge hinweisen . Es gibt nun eine
Pflicht zur Unterrichtung des Parlaments. Ich halte es für
wichtig, dass sich der Bundestag als Ganzes einmal im
Jahr mit den vielfältigen militärischen Verbundfähigkei-
ten und unserer diesbezüglichen Einbindung befasst .


(Heike Hänsel [DIE LINKE]: Das kann man zusätzlich machen!)


Nur gemeinsam im Bündnis können wir unsere Aufga-
ben lösen . Derzeit diskutieren wir über Flugzeugeinsätze
oder EU-Battlegroups . Das können wir nur im Verbund
machen .

Der Bericht zeigt, in welchen Bereichen wir uns zur
Bündnissolidarität verpflichtet haben. Wir werden mehr
Verantwortung in der Außenpolitik übernehmen müssen .
Wir werden ein verlässlicher Partner sein müssen . Da
darf die Parlamentsbeteiligung, die wir ohne Abstriche
bejahen, kein Störfaktor sein . Das war die Aufgabenstel-
lung .


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1815300900

Herr Kollege Uhl, darf der Kollege Ernst eine Zwi-

schenfrage stellen?


Dr. Hans-Peter Uhl (CSU):
Rede ID: ID1815301000

Ungern,


(Heiterkeit bei der CDU/CSU und der SPD)


weil ich mir von dem Kollegen nur wenig Konstruktives
erhoffe .

Lassen Sie mich fortfahren . Wir sollten mehr Verant-
wortung im Ausland übernehmen . Wir müssen ein ver-
lässlicher Bündnispartner sein . Dabei geht es darum, dass
Deutschland eine Bundeswehr hat, die einsatzfähig ist .


(Abg . Dr . Petra Sitte [DIE LINKE] meldet für Abg . Klaus Ernst [DIE LINKE] eine Kurzintervention an)


– Das ist eine gute Idee . Wenn Sie, Herr Ernst, eine Kurz-
intervention machen, dann können Sie alles darlegen .


(Dr . Petra Sitte [DIE LINKE]: Sie auch!)


Es gab in der Vergangenheit aufrüttelnde Berichte über
schwere Mängel bei der Ausrüstung der Bundeswehr .
Ich will nicht so weit gehen und das Wort von der Trüm-
mertruppe übernehmen . Aber die Bundesministerin der
Verteidigung, Frau von der Leyen, hat nun zu Recht ein
großes Programm mit einem Volumen von 130 Milliar-
den Euro für die nächsten 15 Jahre aufgelegt .


(Heike Hänsel [DIE LINKE]: Das ist ein Wahnsinn!)


Ich befürchte, dass wir die Bundeswehr in dieser Größen-
ordnung ertüchtigen werden müssen .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ich habe den Eindruck, dass auch der Bundesfinanzmi-
nister dem zumindest dem Grunde nach zustimmt .


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Er ist aber sicherheitshalber nicht gekommen! – Heike Hänsel [DIE LINKE]: Grausig!)


Es ging bei unserer Arbeit auch um den Einsatzbe-
griff, einen Begriff, den schon das Gericht vielfältig zu
definieren versucht hat. Diesen Begriff wollten wir noch
einmal schärfen: Was ist ein Einsatz, und was ist kein
Einsatz? Wenn wir diesen Begriff im Unklaren lassen,
riskieren wir, dass die Regierung nicht handlungsfähig
ist bei ihren vielfältigen Kontakten und Verhandlungen
mit den Bündnispartnern . Das Bundesverfassungsgericht
ist zunehmend mit der Frage befasst, was ein Einsatz ist .
Wir gehen fast regelmäßig davon aus, dass die Linke we-
gen jedes Einsatzes vor das Bundesverfassungsgericht in
Karlsruhe geht . Dann muss das Gericht entscheiden .

Hier befinden wir uns in einem Kernbereich des Poli-
tischen . Entscheidungen über Einsätze im Ausland sind
zutiefst politische Entscheidungen, die das Bundesver-
fassungsgericht nicht zu treffen hat . Das entscheiden wir
im Parlament und niemand anders . Es gilt der Grundsatz
des „judicial self-restraint“ . Das Gericht war bisher klug
beraten, sich bei diesen Fragen, ob ein Einsatz erfolgen
muss, zurückzuhalten . Ich hoffe, dass dies auch so bleibt
in Karlsruhe .

Wir haben uns also intensiv mit dem Begriff beschäf-
tigt, und wir werden uns jetzt auch weiter im Plenum und
in den Ausschüssen mit dem Gesetz befassen . Das ist
auch gut so .

Das, was kein Einsatz ist, haben wir auch herausge-
arbeitet: Logistische Unterstützungen oder medizinische
Versorgung außerhalb von Konfliktgebieten sind natür-
lich kein Einsatz . Selbst das Gericht hat bereits gesagt,
dass die bloße Möglichkeit der Einbeziehung in bewaff-
nete Unternehmungen kein Einsatz ist, sondern dass es
eine qualifizierte Erwartung an eine solche Verstrickung
in militärische Einsätze geben muss . Dann erst entsteht
die Mandatierungspflicht.

Auch reine Ausbildungsmissionen sind natürlich kein
Einsatz. So können wir – hoffe ich – schnell und flexi-
bel auf die Krisen des 21 . Jahrhunderts reagieren, indem
wir dort das Parlament befassen, wo es nach Gesetz und
Recht erforderlich ist, während in den anderen Fällen die
Exekutive handelt .

Lassen Sie mich zu einem dritten Punkt kommen: die
Spezialkräfte der Bundeswehr . Jederzeit weltweit ein-
satzbereit


(Dr . Alexander S . Neu [DIE LINKE]: Ja, genau!)


stehen sie uns zur Verfügung zur Rettung und Befreiung
deutscher Geiseln im Ausland, um verdeckte Operatio-
nen im Ausland durchzuführen – Spezialaufklärung –
oder zur Terrorismusabwehr . Ungeheuer wichtig in unse-
rer Zeit ist dieses Kommando Spezialkräfte .

Wie steht es nun mit der Frage: Was macht das Par-
lament in diesen Fällen? Auch hier hat das Gericht zu
Recht entschieden, dass natürlich keine vorherige Infor-

Dr. Hans-Peter Uhl






(A) (C)



(B) (D)


mation über einen solch hochgefährlichen Spezialein-
satz erfolgt, dass aber, nachdem der Einsatz hoffentlich
erfolgreich zum Wohle der betroffenen Menschen oder
Geiseln abgeschlossen ist, selbstverständlich das Parla-
ment, und zwar jeder Einzelne von uns, unterrichtet wer-
den muss . Und das ist eine kluge, weise Entscheidung,
der wir gern folgen .

Ich halte es auch für wichtig, dass wir darüber öf-
fentlich sprechen, welche Männer und Frauen wir in der
Truppe haben, die ihr Leben riskieren, um andere Men-
schenleben zu retten . Das sollte ruhig öffentlich disku-
tiert werden . Das steht ihnen zu .

Wir haben sechs neue Berichtspflichten geschaffen.
Das schafft Transparenz, und darum ist der Vorwurf der
Linken völlig unbegründet . Der Kollege Schmidt von
den Grünen hat gemeint, dass Sie, die Opposition, eine
große Hilfe für uns waren, weil Sie uns von bestimmten
Dingen abgehalten haben . Diese Dinge hatten wir übri-
gens gar nie vor,


(Heiterkeit bei der CDU/CSU – Lachen des Abg . Dr . Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


aber wenn Sie das heftig glauben, dann kann ich Sie nicht
daran hindern .

Nein, wir haben eine Vorlage gemacht, auf deren
Grundlage man die Probleme aus unserer heutigen Sicht
der verbundenen Bundeswehr in der NATO, in der EU,
in Aufgaben im Rahmen von UN-Resolutionen, die wir
weltweit erfüllen müssen, lösen kann . Dies ist ein Ge-
setz, mit dem wir gut weiterkommen, und ich würde Sie
einladen – zumindest die Kollegen der Grünen –, jetzt
mitzumachen,


(Lachen bei der LINKEN)


nachdem Sie gesehen haben, dass wir auf dem richtigen
Weg sind, Herr Schmidt .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1815301100

Für eine Kurzintervention erhält der Kollege Ernst das

Wort .


(Niels Annen [SPD]: Jetzt wird es ernst!)



Klaus Ernst (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1815301200

Herr Dr . Uhl, ich mache die Kurzintervention nur

sehr ungern, ich hätte mir eher einen direkten Dialog ge-
wünscht . Ich bin kein Militärexperte, aber Abgeordneter,
insofern geht es hier auch um meine Rechte . Deshalb
möchte ich Ihnen sagen, was mir jetzt eigentlich in der
Debatte fehlt .

Es sind im Wesentlichen von der Union zwei Einsatz-
formen vorgetragen worden . Ich hätte erwartet, dass da-
rauf irgendwie eingegangen würde .


(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Untertitel!)


Das Erste war der Drohneneinsatz . Er ist beschrieben
worden . Wie ist es nun? Was passiert, wenn derjenige,

der offensichtlich eine Kriegshandlung ausführt, näm-
lich eine Drohne steuert – dabei wissen wir, dass diese
Drohnen inzwischen nicht nur aufklären, sondern auch
etwas abwerfen bzw . schießen können –, dies nicht über
einem Einsatzgebiet tut, sondern über einem friedlichen
Gebiet? Dazu ist doch vorher eine ganz konkrete Frage
von Herrn Dr . Schmidt gestellt worden: Ist ein solcher
Einsatz nun zustimmungspflichtig durch das Parlament
oder nicht? Wenn man so ein Gesetz macht, muss man
doch eine klare Antwort geben können .

Eine zweite Frage wurde aus meiner Sicht ebenfalls
vollkommen zu Recht gestellt: Was ist mit den Einsät-
zen, die jetzt nicht mehr zustimmungspflichtig sein sol-
len? Der Kern dieses Gesetzes besteht doch darin, dass
bestimmte Einsätze nicht mehr zustimmungspflichtig
sein sollen . Jetzt ist von Ausbildungseinsätzen, die nicht
mehr zustimmungspflichtig sein sollen, die Rede gewe-
sen . Wir wissen, dass die Bundeswehr Ausbildungsein-
sätze durchführt . Meine konkrete Frage lautet: Welche
Einsätze, die gegenwärtig unter dem Titel „Ausbildungs-
einsätze“ oder unter anderen Titeln laufen – es sind über
zehn, wenn ich es richtig im Kopf habe –, sind nicht mehr
zustimmungspflichtig?

Das wären meine zwei ganz konkreten Fragen . Ich
würde Sie wirklich bitten, darauf einzugehen, damit sich
auch der Abgeordnete, der kein Militärexperte ist, ein
Bild machen kann, wie es künftig aussehen soll . Werden
wir dann noch beteiligt, oder werden wir dann nicht mehr
beteiligt?


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1815301300

Zur Erwiderung der Kollege Uhl .


Dr. Hans-Peter Uhl (CSU):
Rede ID: ID1815301400

Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und

Kollegen! An dem Wortbeitrag des Kollegen wurde über-
deutlich, wie falsch die Entscheidung war, sich an der
Diskussion in den letzten 14 Monaten nicht zu beteiligen .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Hätten Sie sich beteiligt, dann hätten Sie die Diskussion,
die wir über Drohneneinsätze geführt haben, mitbekom-
men und hätten sich einbringen können .


(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Sie können die Frage einfach beantworten!)


Das wollten Sie nicht . Sie wollten sich wahrscheinlich
die Chance nicht entgehen lassen, später im Plenarsaal
solche Reden zu halten, die am Thema vorbeigehen, wie
Sie es gerade getan haben .


(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Ich habe eine Frage gestellt!)


Wir haben über Drohneneinsätze gesprochen und uns
heftige Gedanken gemacht, wie man damit umzugehen
hat .


(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Was ist dabei herausgekommen?)


Dr. Hans-Peter Uhl






(A) (C)



(B) (D)


– Herr Kollege, bewaffnete Drohneneinsätze sind man-
datierungspflichtig. Das heißt, Ihren Überlegungen haben
auch wir uns gestellt . Deswegen ist es nur wünschens-
wert, wenn Sie fortan an der Diskussion teilnehmen und
sich nicht verweigern, um hinterher umso heftiger mit
Missverständnissen Opposition zu betreiben .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Klaus Ernst [DIE LINKE]: Was ist mit der Ausbildung? Nach der Ausbildung habe ich noch gefragt! – Dr . Alexander S . Neu [DIE LINKE]: Zwei Fragen waren das!)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1815301500

Nun erhält die Kollegin Dağdelen das Wort für die

Fraktion Die Linke .


(Beifall bei der LINKEN – Klaus Ernst [DIE LINKE]: Sie können sich noch nicht einmal zwei Fragen merken!)



Sevim Dağdelen (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1815301600

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Prä-

sident, Sie sagten hier in dieser Debatte, dass es zur De-
mokratie gehört, dass sich auch die Opposition an einer
Parlamentskommission beteiligt . Zu einer Demokratie
gehört aber im Wesentlichen, dass es auch Rechte der
Minderheiten gibt,


(Beifall bei der LINKEN)


und es gehört nicht dazu, dass die Regierungsfraktionen
einfach eine Kommission gründen, den Auftrag selber
bestimmen, einen Closed Shop machen und der Oppo-
sition sagen: Ihr könnt gerne zu dieser Kommission mit-
kommen .


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das ist doch kein Closed Shop!)


Das ist aus diesem Grund keine Parlamentskommis-
sion, sondern eine Regierungskommission . Das ist die
Wahrheit über den Sachverhalt, über den wir hier disku-
tieren .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Der ehemalige Staatssekretär im Verteidigungsminis-
terium aus der Partei CDU, Herr Willy Wimmer,


(Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU)


hat Folgendes zu diesem Vorgang hier gesagt:

Warum eigentlich eine Reform zur Beseitigung
des Parlamentsvorbehaltes? Seit dem sogenannten
Adria-Urteil des Bundesverfassungsgerichtes 1994
hat die jeweilige Bundesregierung letztlich alle ihre
Einsatzvorhaben zum Bundeswehreinsatz realisie-
ren können . … Die notwendige öffentliche Dis-
kussion über den Einsatz der Bundeswehr ließ die
Bundesregierung zögern, wo es wegen der Volks-
meinung ratsam zu sein schien . … Anders kann der
beabsichtigte Anschlag der Bundesregierung, mit-
tels einer „Vorwandkommission“ den letzten Rest
der Parlamentsbeteiligung und damit des Volksinte-

resses am Einsatz der Bundeswehr zu kippen, nicht
gewertet werden .

Herr Willy Wimmer sagt ganz eindeutig: Das Vorha-
ben von Union und SPD ist der größte Angriff auf die
Rechte des Parlaments seit Gründung der Bundeswehr
1955 .


(Beifall bei der LINKEN – Dr . Alexander S . Neu [DIE LINKE]: Recht hat er!)


Es ist nämlich der Anfang vom Ende der Parlaments-
beteiligung . Wenn deutsche Soldaten künftig in NATO-
und EU-Stäben an Kriegen teilnehmen, hat der Deutsche
Bundestag nichts mehr zu entscheiden . Ziel der Großen
Koalition ist es, hier in einem so wichtigen Punkt allein
die Bundesregierung über Krieg und Frieden entscheiden
zu lassen .

Wer diesem Gesetzentwurf zustimmt, entmachtet das
Parlament,


(Dr . Franz Josef Jung [CDU/CSU]: Nein, tut er nicht!)


und da macht die Linksfraktion nicht mit .


(Beifall bei der LINKEN)


Wer diesem Gesetzentwurf zustimmt, vergreift sich näm-
lich an dieser parlamentarischen Demokratie . Wer die-
sem Gesetzentwurf zustimmt,


(Henning Otte [CDU/CSU]: Genau nachdenken jetzt!)


will Deutschland deutlich schneller, möglichst ungestört,
möglichst unbeachtet in neue Kriege führen .


(Widerspruch bei Abgeordneten der CDU/ CSU)


– Darum geht es hier: um ein Vorhaben zur Beseitigung
des Parlamentsvorbehaltes . – Dieses Vorhaben wird auf
den entschiedensten Widerstand bei der Linken treffen .


(Beifall bei der LINKEN)


Wir sagen Nein zu diesem Angriff nicht nur auf die par-
lamentarische Demokratie, sondern auch auf die Souve-
ränität der Bevölkerung . Wir wollen diese Kriege nicht,
weder unter der Flagge der EU noch unter der Flagge der
NATO .

Bei Ihrem Vorhaben schrecken Union und SPD auch
nicht davor zurück, die Rechte des Bundestages, wie sie
in Artikel 23 des Grundgesetzes festgeschrieben worden
sind, direkt anzugreifen . Alles, was Sie dem Bundestag
in Angelegenheiten der Europäischen Union zugestehen
wollen, ist eine gravierende Verletzung des Grundgeset-
zes und auch des Gesetzes über die Zusammenarbeit von
Bundesregierung und Deutschem Bundestag in Angele-
genheiten der Europäischen Union, des EUZBBG .


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Unsinn! – Henning Otte [CDU/CSU]: Eine kühne Behauptung!)


Das Grundgesetz ist für Sie augenscheinlich eben
nichts mehr wert . Sie wollen nämlich ohne öffentliche
Diskussion, ohne das Licht der Öffentlichkeit deutsche

Dr. Hans-Peter Uhl






(A) (C)



(B) (D)


Soldaten in alle Welt entsenden können . Deshalb sa-
gen wir Nein zu dieser neuen, immer abenteuerliche-
ren Politik der Entsendung in Auslandseinsätze nach
Django-Manier .


(Beifall bei der LINKEN)


Eins muss man sich wirklich einmal vergegenwärti-
gen: Selbst im Zeitalter des deutschen Kaiserreichs wur-
de im Reichstag über Krieg und Frieden entschieden .
Heute wollen Sie die Bundesrepublik in vorparlamenta-
rische Zeiten zurückführen, nur damit keiner mehr hier
im Bundestag und auch in der Öffentlichkeit über neue
Kriege diskutiert .


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Lachen des Abg . Niels Annen [SPD] – Rainer Arnold [SPD]: Wo steht denn das, was Sie da behaupten?)


Darum geht es .

Von einer Zustimmung aufseiten der SPD und auch
der Union muss man bei den Militärinterventionen
zwangsläufig immer ausgehen. Sie gehen auch noch so
weit, den Rechtsbruch direkt in Ihren Gesetzentwurf hi-
neinzuschreiben . Während Sie die EU als ein kollektives
Sicherheitssystem bezeichnen, um den Bundestag nicht
mehr über die Entsendung von Bundeswehrsoldaten in
EU-Stäbe im Kriegseinsatz entscheiden lassen zu müs-
sen, hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil
über den Vertrag von Lissabon genau dies ausgeschlos-
sen . Die Europäische Union ist kein kollektives Sicher-
heitssystem, hat das Bundesverfassungsgericht in seinem
Urteil zum Vertrag von Lissabon gesagt .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Sehen Sie sich einfach einmal die Randnummer 390 die-
ses Urteils an .

Deshalb kann es eben nicht angehen, dass Sie die
rechtsstaatlichen Institutionen derart ignorant ins Abseits
stellen . Die parlamentarische Demokratie, liebe Kolle-
ginnen und Kollegen, gibt man nicht einfach weg . Wir
als Linke werden dafür kämpfen, dass diese parlamen-
tarische Demokratie gerade in Zeiten unsicherer Situati-
onen weltweit erhalten bleibt, um entscheidende Fragen
von Krieg und Frieden hier im Parlament und nicht nur in
der Regierung zu debattieren .

Vielen Dank .


(Beifall bei der LINKEN – Henning Otte [CDU/CSU]: Das war eine linke Kampfrede!)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1815301700


Das Wort erhält nun der Kollege Niels Annen für die
SPD-Fraktion .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg . Heiko Schmelzle [CDU/CSU])



Niels Annen (SPD):
Rede ID: ID1815301800

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach die-

sem Redebeitrag aus einem Paralleluniversum


(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


versuche ich jetzt, etwas zur Sache zu sagen .


(Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Der Pressesprecher des Auswärtigen Amts spricht!)


Wenn man Frau Dağdelen zuhört, dann gewinnt man den
Eindruck, dass allein meine Präsenz an diesem Redner-
pult eine große Überraschung ist; denn angeblich wollen
wir das ja unter Ausschluss der Öffentlichkeit diskutie-
ren .

Also, zur Sache . Ich will mich dem Dank an die Mit-
glieder der Kommission anschließen . Ich freue mich da-
rüber, dass Sie, Herr Rühe, Herr Kolbow, heute an dieser
Debatte teilnehmen . Ich glaube, dass Sie eine wichtige
Arbeit geleistet haben .

Ich will deswegen noch einmal daran erinnern, was
der Auftrag war . Dieses Parlament – nicht allein die
Koalitionsfraktionen; es war eine für alle offene Kom-
mission – hat eine Kommission zur Überprüfung und
Sicherung von Parlamentsrechten eingesetzt . Genau das
haben wir getan, und zwar unter dem Eindruck einer
Entwicklung, die wir alle miteinander in den letzten Jah-
ren begrüßt haben, nämlich einer Entwicklung, die man
als eine fortschreitende Bündnisintegration beschreiben
kann . Das klingt technisch, bedeutet aber eigentlich, dass
wir auf dem Weg der Europäisierung darin vorangehen,
auch unsere transatlantischen Strukturen zu stärken .

Natürlich hat es im Vorfeld dieser Einsetzung De-
batten gegeben . Wir haben auch innerhalb der Koaliti-
on über den Auftrag der Kommission gestritten . Es gab
Misstrauen . Das ist von den Oppositionsparteien artiku-
liert worden; das ist ihr gutes Recht .

Deswegen will ich an dieser Stelle sehr deutlich, auch
für meine Fraktion, sagen: Die SPD hat Wort gehalten .
Es gibt keine Vorratsbeschlüsse . Die Rechte des Parla-
ments werden nicht beschnitten, sondern sie werden aus-
gebaut; sie werden gestärkt . Das ist eine ganz wichtige
Entwicklung .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Weil man beim letzten Redebeitrag so ein bisschen
den Eindruck bekommen konnte, wir würden hier in
einer Geheimoperation die Rechte des Parlaments so-
zusagen zusammenstreichen, will ich doch noch einmal
zusammenfassen, was wir uns vorgenommen haben und
was Ihnen heute vorliegt .


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1815301900

Herr Kollege Annen, darf, bevor Sie das zusammen-

fassen, der Kollege Neu intervenieren?


Niels Annen (SPD):
Rede ID: ID1815302000

Ja, das darf er natürlich gern .

Sevim Dağdelen






(A) (C)



(B) (D)



Dr. Alexander S. Neu (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1815302100

Kollege Annen, ich weiß nicht, ob Sie in Ihrer Frak-

tion miteinander diskutieren . Jedenfalls hat der Kollege
Arnold gesagt, vor einigen Monaten im Verteidigungs-
ausschuss, dass er den Vorratsbeschluss schon drinhaben
wollte,


(Rainer Arnold [SPD]: Was? – Heiterkeit bei der SPD)


aber die Juristen der SPD abgeraten hätten .


(Rainer Arnold [SPD]: Jetzt hört es auf!)


Wie ist nun der Diskussionsstand in der SPD?


(Rainer Arnold [SPD]: Einen solchen Unfug habe ich noch nie gehört! Also wirklich!)


– Das lässt sich vielleicht im Protokoll des Verteidi-
gungsausschusses nachvollziehen, Kollege Arnold .


(Rainer Arnold [SPD]: Also wirklich! Auf so eine Schnapsidee käme ich nicht einmal besoffen!)



Niels Annen (SPD):
Rede ID: ID1815302200

Ich muss mich manchmal wirklich ein bisschen zu-

sammenreißen . Sie können die Protokolle des Deutschen
Bundestages lesen . Sie können die Presseausschnitte
über die Debatten lesen, die wir geführt haben . Es gab
niemals einen Zweifel daran, dass die SPD gegen Vor-
ratsbeschlüsse ist .

Ich glaube, es gibt da überhaupt kein Problem . Der
Kollege Kiesewetter hat in seiner Rede auch ein bisschen
den Diskussionsverlauf dargestellt . Es gab damals eine
öffentliche Auseinandersetzung über ein interessantes
Papier von Herrn Kiesewetter und Herrn Schockenhoff .
Dazu hat sich auch der Kollege Arnold geäußert; ich bin
gelegentlich dabei gewesen .

Es ist gar kein Problem, dass wir hier unterschiedliche
Meinungen haben . Das ist Teil einer parlamentarischen
Auseinandersetzung, Teil von Demokratie . Aber dass Sie
mit Ihren Fragen, mit Ihren Redebeiträgen diese Platt-
form hier nicht nur dazu nutzen, um Ihre Position zu ver-
treten – das tun wir auch; das ist in Ordnung –,


(Heike Hänsel [DIE LINKE]: Das ist aber großzügig! – Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Jetzt wollen wir mal hören, was der Pressesprecher zu sagen hat!)


sondern auch dazu nutzen, falsche Tatsachen zu präsen-
tieren,


(Dr . Franz Josef Jung [CDU/CSU]: Desinformation!)


die Öffentlichkeit so auch hinter die Fichte zu führen, das
ist nicht in Ordnung . Insofern, glaube ich, entlarvt sich
das selber .

Zu Ihrer ersten Frage kann ich Ihnen sagen: Die
SPD-Fraktion diskutiert immer . Wir haben auch hierüber
intensiv miteinander diskutiert . Insofern: Die Einladung
bleibt bestehen, auch an Ihre Fraktion . Wir kommen jetzt
ins Gesetzgebungsverfahren . Beteiligen Sie sich an dem

Gesetzgebungsverfahren . Als kleinen Einstieg in diese
Beteiligung lesen Sie vielleicht erst einmal das, was hier
zur Beratung vorliegt, meine Damen und Herren .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Dr . Franz Josef Jung [CDU/CSU]: Was im Gesetz steht! Sehr richtig!)


Weil sich gezeigt hat, dass es notwendig ist, will ich
noch einmal zusammenfassen, worum es geht . Es sollen
die Informationsrechte bei geheimhaltungsbedürftigen
Operationen – Stichwort „Kommando Spezialkräfte“ –
kodifiziert werden. Wir werden bisher über die Obleute
unterrichtet . Das ist eine bewährte Praxis, aber es ist eine
freiwillige Praxis . Die SPD-Fraktion war immer schon
der Meinung, dass es nicht einen Teil der Streitkräfte ge-
ben kann, der von der allgemeinen Unterrichtungspflicht
sozusagen ausgenommen ist . Wir verändern das jetzt . Ich
glaube, das ist ein großer Fortschritt .

Wir werden in diesem Gesetzgebungsverfahren auch
dafür sorgen, dass es eine erweiterte Unterrichtungspra-
xis zu abgeschlossenen Operationen des Kommandos
Spezialkräfte gibt . Das ist ein wichtiger Fortschritt .

Ich will unterstreichen, dass ich es für eine gute Ent-
scheidung halte, dass wir Ihnen, meine Damen und Her-
ren, vorschlagen, die Evaluierungspflicht, die bisher in
der Begründung des Parlamentsbeteiligungsgesetzes an-
gedeutet ist, in den Gesetzestext aufzunehmen . Das ist
dann übrigens auch eine Grundlage, um vor der gesamten
Öffentlichkeit darüber zu diskutieren, ob diese Entschei-
dungen vernünftig waren, ob der Einsatz richtig konzi-
piert war, und eine Grundlage für die weitere parlamen-
tarische Beratung und für die Begleitung der wichtigen
Arbeit unserer Soldatinnen und Soldaten .

Für die Frage der internationalen Zusammenarbeit ist
von besonderer Wichtigkeit – damit greifen wir eine Idee
aus der Kommission auf –, dass wir die Bundesregierung
auffordern, einen jährlichen Bericht – einen Bericht, kei-
ne Beschlussvorlage für einen Vorratsbeschluss; um das
an dieser Stelle noch einmal zu unterstreichen – über die
multilateralen militärischen Verbundfähigkeiten vorzule-
gen . Wir gehen davon aus, dass dieser Bericht nicht nur
hier diskutiert wird, nicht nur von der deutschen Öffent-
lichkeit wahrgenommen wird, sondern dass er auch von
der europäischen Öffentlichkeit, von den Kolleginnen
und Kollegen in anderen Parlamenten und Regierungen
zur Kenntnis genommen wird . Das sorgt für eine poli-
tische Absicherung . Das schafft das an Verlässlichkeit,
was wir erreichen wollen, und es nimmt vielleicht auch
ein bisschen von dem Misstrauen, das es in anderen Län-
dern gegenüber unserer parlamentarischen Beteiligungs-
praxis gibt .

Um es noch einmal deutlich zu sagen – Kollege Uhl
hat darauf hingewiesen, dass wir darüber sehr intensiv
miteinander diskutiert haben, übrigens auch mit Vertre-
terinnen und Vertretern anderer Staaten –: Wir möchten
nicht, dass sich eine Bundesregierung, wie immer sie zu-
sammengesetzt ist, hinter dem Parlament versteckt, wenn
es auf internationaler Ebene darum geht, über die Betei-
ligung an einem Einsatz zu entscheiden . Unsere Beratun-
gen haben nämlich ergeben, dass das gelegentlich doch
der Fall gewesen ist . Deswegen stellen wir klar: Eine






(A) (C)



(B) (D)


frühzeitige Unterrichtung über die konkreten Planungen
für bewaffnete Einsätze deutscher Streitkräfte im System
gegenseitiger kollektiver Sicherheit soll vor diesem Hin-
tergrund einen Beitrag leisten . Auch das ist eine Auswei-
tung der Informationsrechte des Parlamentes .

Insofern bin ich überzeugt davon – wir beginnen ja
jetzt mit dem Gesetzgebungsprozess –, dass diese Dis-
kussion die Kritiker, die wir heute ja auch wieder gehört
haben, widerlegt, die uns im Vorfeld der Einsetzung die-
ser Kommission unterstellt haben, dass die Große Ko-
alition den Abbau von Parlamentsrechten beabsichtige .
Deswegen kann man an dieser Stelle, glaube ich, eine
ganz sachliche Diskussion miteinander führen . Ich will
ohne jede Bitterkeit sagen: Wir haben es wirklich sehr
bedauert, dass die Opposition sich gegen die Mitarbeit in
dieser Kommission entschieden hat .


(Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Oh!)


Trotzdem haben wir das Gespräch gesucht . Wir haben
regelmäßig Angebote gemacht, und ich bin sehr froh da-
rüber, dass diese angenommen worden sind . Wir haben,
wie ich finde, vor allem mit den Kolleginnen und Kolle-
gen der Grünen sehr konstruktive Gespräche geführt . Wir
haben auch Anregungen aus diesen Gesprächen aufge-
nommen . Ich will Ihnen an dieser Stelle sagen: Wir wer-
den es im Gesetzgebungsverfahren genauso halten . Die
Tür für Anregungen, für Diskussionsbeiträge – über Ihre
ganz normalen parlamentarischen Rechte hinaus – bleibt
natürlich offen . Wir sind sehr daran interessiert, dass es
am Ende vielleicht doch noch dazu kommt, dass wir uns
aufeinander zubewegen .

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich will
noch einen weiteren Aspekt in die Debatte einbringen: Es
gibt in Europa nur wenige Parlamente, die über so viele
Beteiligungsrechte beim Einsatz bewaffneter Streitkräfte
verfügen wie der Deutsche Bundestag .


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das ist wahr!)


Der eine oder andere Abgeordnete anderer Parlamente,
mit dem wir gesprochen haben, hat keinen Hehl daraus
gemacht, dass er sich für sein Parlament manchmal ähnli-
che Rechte wünschen würde . Ich glaube, wir müssen mit
dem, was wir uns erarbeitet und auch erstritten haben,
sehr sorgsam umgehen; denn mit diesen Rechten geht ja
auch eine Verantwortung einher . Nicht jeder Einsatz der
Bundeswehr ist gleich gefährlich; aber kein Einsatz ist
ohne Risiko . Es geht immer auch um das Leben meist
junger Menschen . Deswegen dürfen wir in diesem Parla-
ment nicht in einen Routinemodus verfallen . Es ist leider
bei einigen Debatten manchmal fast vorhersehbar, wel-
che Diskussion wir führen . Ich glaube, dass das an dieser
Stelle ganz wichtig ist .

Ich möchte zum Schluss doch noch einmal sagen: Der
Parlamentsvorbehalt – auch diese Debatte zeigt das –
schafft Öffentlichkeit und Legitimität und stärkt den
Soldatinnen und Soldaten bei ihrer wichtigen Arbeit den
Rücken . Dabei soll es bleiben .

Vielen Dank .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1815302300

Frau Keul, einen Augenblick noch . – Der Kollege

Gehrcke möchte gerne noch eine Kurzintervention ma-
chen . Dazu soll er Gelegenheit haben . Bitte schön .


Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1815302400

Herzlichen Dank, Herr Präsident . – Ich möchte zu

einer Sache eine Klarstellung machen, weil sie immer
wieder, wie ich finde, in einer falschen Art und Weise
wiederholt wird – auch von Niels Annen gerade . Die Ab-
sicht ist erkennbar .

Wir haben bei der Einsetzung der Kommission – das
können Sie im Protokoll nachlesen; ich bedauere sehr,
dass wir nicht einmal den Präsidenten haben überzeugen
können – davon gesprochen, dass wir in den Auftrag der
Kommission auch die Frage nach der Stärkung und dem
Ausbau der Parlamentsrechte aufnehmen wollen .


(Niels Annen [SPD]: Das haben wir doch gemacht!)


Das wollten wir ausdrücklich in dem Auftrag der Kom-
mission haben – was Sie gemacht haben, ist eine andere
Sache –, das ist abgelehnt worden .


(Katja Kipping [DIE LINKE]: Hört! Hört!)


Man wollte nicht den Auftrag erteilen, dass die Parla-
mentsrechte auch gestärkt und ausgebaut werden . Das
war der Kern der Meinungsverschiedenheiten . Wir woll-
ten nicht das Feigenblatt in einer Kommission, die sich
dieser Aufgabenstellung verweigert, für Sie spielen . Das
hätten Sie gerne gehabt und hätten hinterher sagen kön-
nen: Die waren auch dabei und durften ihre Meinung äu-
ßern . – Entscheiden konnten wir ja sowieso nichts . Des-
wegen bleibt meine Fragestellung, ob dieses Parlament
bereit ist, seine eigenen Rechte auszubauen und damit
die Rechte der Regierung zu schmälern . Das ist der Kern
der Differenz . Dazu müssen Sie sich bekennen, und dazu
brauchen Sie nicht einen solchen Unsinn zu erzählen,
dass wir uns verweigert haben, dass wir nicht wollten
und, und, und .

Ich weiß, dass Sie sich Mühe gegeben haben . Herr
Rühe und Herr Kolbow waren bei uns in der Fraktion .
Das war eine ganz muntere Debatte . Die SPD hat uns
immer zum Kaffeetrinken eingeladen, um mit uns zu
reden . Darum geht es nicht . Es geht darum, ob diese
Kommission den Auftrag vom Parlament zur Stärkung
und zum Ausbau der Parlamentsrechte bekommen hätte
oder nicht . Das haben Sie nicht geleistet, und das wollten
Sie nicht . Das Ergebnis spricht dafür, dass es nicht erfüllt
worden ist . Das wollte ich hier noch einmal klarstellen .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1815302500

Kollege Annen zur Erwiderung .


Niels Annen (SPD):
Rede ID: ID1815302600

Vielen Dank, Herr Präsident . – Herr Kollege Gehrcke,

Sie können nicht von der Tatsache ablenken, dass Ihre
Entscheidung, sich nicht an einer Kommission zu betei-

Niels Annen






(A) (C)



(B) (D)


ligen, bei der es auch um die Sicherung von Parlaments-
rechten geht – das steht in der Aufgabenbeschreibung –,
vor allem darin begründet liegt – das sehen wir in vie-
len Debatten, wenn es um Außen- und Sicherheitspolitik
geht –, dass Sie die inneren Widersprüche in Ihrer Frak-
tion nicht vor der versammelten Öffentlichkeit darstellen
wollen, und dass Sie sich vor allem – ich bedauere das
ausdrücklich – nicht an der Detailarbeit, der Gesetzesar-
beit in der Kommission beteiligten wollen,


(Dr . Alexander S . Neu [DIE LINKE]: Absurd!)


weil das offengelegt hätte, was Sie selber eben präsen-
tiert haben: Frau Dağdelen hat gesagt, hier soll das Par-
lamentsrecht nicht nur beschnitten, sondern abgeschafft
werden, und Sie sagen, Sie haben sich deswegen nicht
beteiligt, weil in der Überschrift des Kommissionsauftra-
ges sozusagen ein Adjektiv fehlt . Ich glaube, das entlarvt
sich selber .

Beteiligen Sie sich an der Arbeit . Lesen Sie die Do-
kumente . Machen Sie konkrete Vorschläge . Dann wer-
den Sie in Ihrer eigenen Glaubwürdigkeit nur gewinnen
können .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Lautsprecher des Auswärtigen Amts!)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1815302700

Nun hat die Kollegin Keul das Wort .


Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1815302800

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen

und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Weil hier
mehrfach das Bedauern über die Abstinenz der Oppositi-
on angesprochen worden ist, will ich noch einmal darauf
hinweisen, dass es keine Kommissionen des Parlamentes
war, sondern eine Kommission der Regierung .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Zuruf des Abg . Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU])


Das parlamentarische Verfahren beginnt heute . Hier wer-
den wir uns jetzt auch beteiligen, wie Sie sehen .

Sie legen uns heute einen Gesetzentwurf vor, mit dem
Sie einen Begriff definieren wollen, den das Verfassungs-
gericht längst definiert hat. Es geht im Kern um den Be-
griff des bewaffneten Einsatzes . Dazu führt das Verfas-
sungsgericht in der aktuellen „Pegasus“-Entscheidung
aus – Zitat –: Es handelt sich beim Einsatz bewaffneter
Streitkräfte um einen verfassungsrechtlichen Begriff, der
nicht von einem unter der Verfassung stehenden Gesetz
verbindlich konkretisiert werden kann . Und weiter:

Mit dem Begriff „Einsatz bewaffneter Streitkräfte“
ist eine einheitliche rechtliche Schwelle parlamen-
tarischer Zustimmungsbedürftigkeit definiert. Für

eine zusätzliche militärische Erheblichkeitsschwel-
le im Einzelfall ist insoweit kein Raum …


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Sie versuchen jetzt trotzdem, mit dem neuen § 2 des
Gesetzentwurfes gesetzlich zu definieren, wann eine
Einbeziehung in eine bewaffnete Unternehmung nicht zu
erwarten ist . Dazu sollen unter anderem gehören humani-
täre Hilfsdienste, logistische Unterstützung und Ausbil-
dungsmissionen im sicheren Umfeld .

Nach dem bisherigen Wortlaut des Gesetzes sind hu-
manitäre Hilfsdienste dann nicht zustimmungspflichtig,
wenn eine Einbeziehung in eine bewaffnete Unterneh-
mung nicht zu erwarten ist . Das entspricht den Vorgaben
der Verfassung . Ob eine Einbeziehung in eine bewaffnete
Unternehmung zu erwarten ist, bleibt eine Frage der tat-
sächlichen Verhältnisse, und diese Voraussetzung können
Sie nicht gesetzlich wegdefinieren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Und noch einmal ausdrücklich das Verfassungsgericht
in der AWACS-Entscheidung von 2008 – Zitat –:

Insbesondere kann das Eingreifen des Parlaments-
vorbehalts nicht unter Berufung auf Gestaltungs-
spielräume der Exekutive maßgeblich von den
politischen und militärischen Bewertungen und
Prognosen der Bundesregierung abhängig gemacht
werden …

Einen solchen Gestaltungsspielraum gibt es auch nicht
bei logistischen Einsätzen oder bei Ausbildungsmissio-
nen in angeblich sicherem Umfeld .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Auch logistische Unterstützung ohne Bezug zu
Kampfhandlungen kann grundsätzlich zustimmungs-
pflichtig sein, weil es nach der Verfassungsrechtspre-
chung gerade nicht darauf ankommt, ob es tatsächlich
bereits Kampfhandlungen gibt .


(Rainer Arnold [SPD]: Deswegen schreiben wir auch: „in der Regel“!)


Und die Ausbildung von Streitkräften, die sich in ihrem
Land aktiv in einem bewaffneten Konflikt befinden, steht
auch dann im Zusammenhang mit diesem Konflikt, wenn
die Ausbildung aus Sicherheitsgründen beispielsweise in
einem Nachbarstaat stattfindet. Der Rückzug hinter geo-
grafische Landesgrenzen ist gerade kein Ausschlusskri-
terium für die Einbeziehung in eine bewaffnete Unter-
nehmung .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Deswegen knüpft auch Ihr neuer § 2 a – was die Mit-
wirkung in militärischen Stäben und Hauptquartieren
betrifft – an das falsche Kriterium an, wenn Sie darauf
abstellen, ob sich die Soldaten auf dem Gebiet eines be-
waffneten Konflikts befinden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Niels Annen






(A) (C)



(B) (D)


Wenn man sich die Kriegsführung der Moderne ansieht,
wirkt dieses Kriterium geradezu skurril .


(Dr . Alexander S . Neu [DIE LINKE]: Ja!)


Was Sie hier treiben, ist der untaugliche Versuch, auf
einfachgesetzlicher Ebene verfassungsrechtliche Grund-
sätze zu unterlaufen . Und wenn Sie glauben, Sie könnten
mit Ihrer 80-Prozent-Mehrheit die Verfassung ändern,
wie es Ihnen beliebt, kann ich Sie nur davor warnen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


In seinem Lissabon-Urteil aus dem Jahr 2009 hat das Ver-
fassungsgericht den Zusammenhang zwischen Demokra-
tie und Auslandseinsätzen noch einmal hervorgehoben
und festgestellt, dass der Parlamentsvorbehalt zu dem
nach Artikel 79 Grundgesetz geschützten, unantastbaren
Kern der grundgesetzlichen Verfassungsidentität gehört .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Leider habe ich in dieser Legislaturperiode zuneh-
mend den Eindruck, dass Sie unser bewährtes Grund-
gesetz nur noch als lästigen Bremsklotz betrachten, den
man halt argumentativ irgendwie aus dem Weg räumen
muss,


(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Sehr richtig!)


sei es beim Einsatz im Nordirak, beim Tornado-Einsatz
in Syrien oder beim AWACS-Einsatz über der Türkei .
Deswegen zum Schluss noch eine kurze politische Be-
wertung aus den Schlussfolgerungen der Kommission
„Europäische Sicherheit und Zukunft der Bundeswehr“
beim Institut für Friedensforschung und Sicherheitspo-
litik – Zitat –:

Das ParlBG stellt keinen Ballast für eine effektive
Sicherheitspolitik dar . Es verhindert auch nicht per
se eine stärkere militärische Integration im Bündnis


(Niels Annen [SPD]: So what?)


oder in der EU . … Im Idealfall verhindert die Parla-
mentsbeteiligung übereilte Entscheidungen, ermög-
licht öffentliche Kontrolle, erhöht die Legitimität
des Einsatzes und stärkt die Sicherheit Deutsch-
lands .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das bleibt auch so! – Niels Annen [SPD]: Wo ist der Widerspruch?)


In diesem Sinne verstößt Ihr Gesetzentwurf nicht nur
gegen die Verfassung, sondern geht auch politisch in die
völlig verkehrte Richtung .

Vielen Dank .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1815302900

Wilfried Lorenz ist der nächste Redner für die CDU/

CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Wilfried Lorenz (CDU):
Rede ID: ID1815303000

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine Damen und Herren! Vielleicht vorab eine kur-
ze Bemerkung zu meiner Vorrednerin . Nach meinem
Kenntnisstand ist die Rühe-Kommission vom Parlament
eingesetzt und damit eine Parlamentskommission und
keine Regierungskommission . Das sollte man vielleicht
einmal klarstellen .


(Beifall bei der CDU/CSU – Michael GrosseBrömer [CDU/CSU]: Sehr richtig! – Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Vielleicht noch eine weitere Bemerkung . Ich glaube,
man sollte mit unserem Grundgesetz ein bisschen zu-
rückhaltender umgehen .


(Dr . Alexander S . Neu [DIE LINKE]: Ja! – Weitere Zurufe von der LINKEN)


– Vielleicht hören Sie mal zu . Herr Dr . Neu, es wäre sehr
hilfreich, wenn Sie nicht nur reden, sondern auch mal zu-
hören würden .


(Dr . Alexander S . Neu [DIE LINKE]: Mache ich! Ich höre Ihnen gerne zu!)


Ich glaube, man darf mit der Verfassung nicht einfach so
sorglos umgehen und aus dem Beispiel AWACS-Einsatz
über einem NATO-Gebiet schließen, dass wir gegen die
Verfassung verstoßen . Ich glaube, das muss einmal klar
und deutlich formuliert werden .


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr . Alexander S . Neu [DIE LINKE]: Das habe ich nicht gesagt!)


Meine Damen und Herren, die Arbeit der Rühe-Kom-
mission hat gezeigt, dass die Beteiligung des Bundes-
tages bei Entscheidungen über den Einsatz bewaffneter
Streitkräfte im Ausland in der bisherigen Form vom
Grundsatz her erfolgreich war und unseren Bündnisver-
pflichtungen in keinster Weise im Wege stand. Warum ist
es trotzdem wichtig und richtig, Änderungen an diesem
Gesetz vorzunehmen? Erstens, weil natürlich die beste
aller Politiken auf Realitätssinn beruht, zweitens, weil
Geschwindigkeit keine Hexerei und schon gar kein Teu-
felswerk ist .

Was meine ich damit, meine Damen und Herren? Ich
meine damit, dass wir bei der Betrachtung der sicher-
heitspolitischen Lage wesentlich flexibler, schneller re-
agieren müssen . – Jetzt muss ich leider sagen, dass ich
meine Zettel ein bisschen durcheinandergebracht habe,
was mir leidtut .


(Dr . Alexander S . Neu [DIE LINKE]: Das passiert schon mal!)


Katja Keul






(A) (C)



(B) (D)


Das macht gar nichts . Ich bekomme das auch so hin, Herr
Neu . Machen Sie sich da mal keine Sorgen!


(Lachen bei Abgeordneten der LINKEN)


– Sie können sich darüber totlachen, aber machen Sie
sich keine Sorgen .

Ich glaube, meine Damen und Herren, wir müssen
schon genau betrachten, wie sich die sicherheitspoliti-
sche Lage um uns herum entwickelt hat . Es geht in dieser
Diskussion nicht ausschließlich um die einzelnen Aspek-
te des Parlamentsbeteiligungsgesetzes, die zu Recht vor-
getragen worden sind; rechtlich haben es Herr Uhl und
andere Kolleginnen und Kollegen im Detail beschrieben .
Ich glaube, obwohl sich dieses Verfahren bewährt hat,
erfordert eine zunehmend komplexe, unübersichtliche
Sicherheitslage – wie ich schon gesagt habe – mehr Re-
aktionsschnelligkeit, Flexibilität und Handlungsfähigkeit
Deutschlands . Die sicherheitspolitische Lage ist in der
heutigen Zeit von parallelen Bedrohungen und von der
häufig raschen Taktung der Entstehung neuer Gefähr-
dungslagen gekennzeichnet . Deshalb mussten wir das
Verfahren der Parlamentsbeteiligung auf den Prüfstand
stellen .

Die Fragen waren: Geht es einfacher und schneller?
Muss der Bundestag immer beteiligt werden? Die Ant-
wort auf die erste Frage ist: Ja, es geht . Die Antwort auf
die zweite Frage ist: Nein, nicht immer . – Genau das ist
im Gesetzesentwurf verankert worden: Zunächst einmal
wird der Bundestag künftig im Vorfeld schneller – Zi-
tat: „möglichst frühzeitig“ – über konkrete Einsatzpläne
informiert . Seine Wächterrolle beim Einsatz deutscher
Streitkräfte hat das Bundesverfassungsgericht bestätigt:
Wenn konkret zu erwarten ist, dass deutsche Soldaten in
bewaffnete Auseinandersetzungen einbezogen werden,
ist vorab die Zustimmung des Parlamentes einzuholen .

Entscheidend ist laut Gericht, ob die Soldaten in ei-
ner konkreten militärischen Gefahrenlage handeln, in
der ein Waffeneinsatz naheliegt, sowie ob Waffen mit-
geführt werden und eine Ermächtigung zum Gebrauch
der Waffen vorliegt . Aber: Bei Gefahr im Verzug darf
die Bundesregierung Streitkräfte in eigener Hoheit ent-
senden . Ein Bundestagsvotum ist dafür – auch nachträg-
lich – nicht notwendig . Das Parlament ist allerdings nach
Beendigung des Einsatzes – das ist hier schon gesagt
worden – unverzüglich und qualifiziert zu unterrichten.
Diese exekutive Eilkompetenz soll in kurzfristig auf-
tretenden Ausnahmesituationen die militärische Hand-
lungsfähigkeit Deutschlands sichern .

Mit dieser Ergänzung können unsere Bündnispart-
ner noch mehr darauf vertrauen, dass deutsche Anteile
an Einsätzen verlässlich und zeitgerecht zur Verfügung
stehen. Auch die differenzierte Definition des Einsatzbe-
griffes im vorliegenden Entwurf – auch das ist hier schon
thematisiert worden – dient dem Ziel der Sicherung des
Vertrauens innerhalb des Bündnisses . Gleichzeitig dient
sie natürlich auch der Klarstellung hinsichtlich der Kom-
petenzen von Parlament und Bundesregierung .

Nicht zustimmungspflichtig sind nach diesem Gesetz-
entwurf Einsatztypen, bei denen das Eskalations- und
Verstrickungspotenzial „in der Regel“ gering ist . Hier

sind Beispiele genannt worden: Erkundungsmissionen,
humanitäre Hilfe, logistische Unterstützung, Ausbil-
dungsmissionen . Aber dies gilt natürlich nur, soweit die
Einsätze nicht im Gebiet eines bewaffneten Konfliktes
oder mit Waffen durchgeführt werden . Diese Regelung
übertragen wir mit diesem Gesetzentwurf auch auf in-
tegrierte und multinational besetzte Hauptquartiere der
NATO, der EU oder anderer Organisationen gegenseiti-
ger kollektiver Sicherheit . Das Merkmal „in der Regel“
sollte, so finden wir, in der parlamentarischen Beratung
noch geschärft werden .

Neu ist auch, dass die Bundesregierung den Bundes-
tag über geheime Sachverhalte zu informieren hat . Auch
darüber ist schon gesprochen worden . Das muss hier
nicht mehr ausdefiniert werden.

Insgesamt wird das im Entwurf vorgesehene Berichts-
wesen – diesen Punkt möchte ich herausarbeiten – in der
weiteren parlamentarischen Beratung weiterzuentwi-
ckeln sein . Natürlich sind alle Kreise eingeladen, in der
parlamentarischen Beratung mitzuwirken und ihre Über-
legungen einzubringen .

Das Verfahren ist das eine . Damit aber aus dem opti-
mierten Verfahren Handlungsfähigkeit entsteht, braucht
es mehr . Wir müssen Einsatzentscheidungen mehr denn
je in einem größeren Kontext betrachten . Diese Gesamt-
schau muss den Krisenbogen vom afrikanischen Konti-
nent über den Nahen Osten bis nach Zentraleuropa im
Blick haben . So ist die Terrororganisation Daesh nicht
mehr nur in Syrien, dem Irak und in Libyen tätig, sondern
in mehr als 20 Staaten . Stark werden kann Daesh aber nur
dort, wo das Umfeld schwach ist . Zur Wahrheit gehört
dazu: Künftig werden wir weitere Staaten unterstützen
müssen, die Daesh nicht selbst stoppen oder zurückdrän-
gen können . Je nach Einzelfall werden wir schnell han-
deln müssen . Gerade hier helfen die neuen Regelungen
des Parlamentsbeteiligungsgesetzes .

Wir können zum jetzigen Zeitpunkt nicht sagen, wie
lange der Kampf gegen Daesh in den verschiedenen Län-
dern dauern wird . Aber: Wir kennen die gefährdeten Staa-
ten, wir kennen die Regionen der Welt, und wir kennen
die Stärke der Terroristen in den jeweiligen Ländern . Wir
kennen auch die auf Jahrzehnte angelegte Al-Qaida-Stra-
tegie, die vielen der aktuellen Gefährdungen in der Welt
zugrunde liegt . Damit haben wir alles in der Hand, um
systematisch und in längeren Zeiträumen zu planen .

Die sicherheitspolitische Realität zwingt uns dazu,
künftig in einem breiten Spektrum mehr für die Verteidi-
gungsfähigkeit unseres Landes zu tun . Deshalb ist es so
wichtig, entsprechende rechtliche und verfahrenstechni-
sche Grundlagen im neuen Parlamentsbeteiligungsgesetz
klipp und klar zu regeln .

Sehen Sie bitte das neue Parlamentsbeteiligungsge-
setz als einen Schlüssel zur Sicherstellung aktueller wie
künftiger Einsätze im Verbund mit unseren internationa-
len Partnern durch Vorgaben, die zeitgerechte Einsätze
ermöglichen, durch die Sicherung der Rechte des Deut-
schen Bundestages und durch ein rechtliches Gesamt-
konstrukt, das die Bündnis- und Handlungsfähigkeit
Deutschlands stärkt .

Wilfried Lorenz






(A) (C)



(B) (D)


Ich bedanke mich .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1815303100

Ich erteile das Wort dem Kollegen Rainer Arnold für

die SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD)



Rainer Arnold (SPD):
Rede ID: ID1815303200

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Nach elf Jahren Parlamentsbeteiligungsgesetz ist es ver-
nünftig und klug, wenn man angesichts der Veränderun-
gen in der Welt dieses Gesetz überprüft; vielleicht sollten
wir das öfter, auch bei anderen Gesetzen, tun . Genau das
war der Auftrag der Kommission .

Es gab von Anfang an viele Wünsche und auch vie-
le Befürchtungen . Keine der Befürchtungen ist am Ende
eingetreten . Der Wunsch nach einer Lockerung der parla-
mentarischen Rechte, der im Raum stand, der auch mal in
Brüssel diskutiert wurde, war für uns Sozialdemokraten
von vornherein ausgeschlossen, völlig ausgeschlossen .


(Beifall bei der SPD)


Das haben wir gesagt, und wir haben Wort gehalten . Es
war auch gar nicht nötig; denn die Gespräche, die wir
mit der Kommission und auch auf internationaler Ebene
geführt haben, haben eindrucksvoll gezeigt: Der parla-
mentarische Vorbehalt ist keinesfalls ein Hemmschuh für
deutsche Verantwortung in der Welt . Dass sich Regierun-
gen manchmal hinter dem Parlamentsvorbehalt versteckt
haben, ist für uns Parlamentarier sogar ein richtiges Är-
gernis, weil das den guten parlamentarischen Vorbehalt
in der Staatengemeinschaft diskreditiert und wir immer
wieder erklären müssen, was Sache ist .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg . Dr . Frithjof Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Insofern sage ich eindeutig: Der Parlamentsvorbehalt ist
gut, und er schützt auch Regierungen – da bin ich ganz
bei Ihnen – vor vorschnellen und möglicherweise auch
falschen Entscheidungen .

Es wurde auch befürchtet, dass der Parlamentsvorbe-
halt abgeschafft werden könnte . Davon wurde überhaupt
nichts realisiert . Wir haben den Parlamentsvorbehalt in
keiner Weise eingeschränkt . Im Gegenteil: An vielen
Stellen haben wir die parlamentarischen Rechte erweitert
und präzisiert .

Herr Kollege Neu, was Sie vorhin gesagt haben, das
ärgert mich jetzt schon; denn dieses angebliche Zitat ist
weit von meinem Denken entfernt . Um es klar zu sagen:
Ich war einer der wenigen, die damals, bei der ersten
Formulierung des Parlamentsbeteiligungsgesetzes, sehr
engagiert dabei waren . Schon damals war für mich ganz
klar: Wir wollen niemals Vorratsbeschlüsse . Ergänzend

habe ich immer gesagt: Sie sind rechtlich auch nicht
möglich . – Beides ist unsere Position .


(Beifall bei der SPD – Dr . Alexander S . Neu [DIE LINKE]: Das erinnert mich an Adenauer: Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern!)


Wir erweitern die Rechte, insbesondere an einem ganz
wichtigen Punkt, nämlich bei der Unterrichtung des Par-
laments . Es ist eine frühzeitige Unterrichtung vorgese-
hen, dann, wenn Regierungen anfangen, über Einsätze zu
reden und zu planen . Das ist wichtig, weil es nicht im
Ermessen von Regierungen liegt, darüber zu befinden, ob
ein Einsatz mandatspflichtig ist oder nicht. Das ist ein
parlamentarisches Recht . Deshalb ist es ganz eindeutig:
Es ist gut, dass wir dies gesetzlich verankern . Die Regie-
rungen müssen mit dem Parlament ventilieren, wie das
Parlament den einzelnen Einsatz bewertet . Ich sage es
deutlich: Bei allen Bundesregierungen gibt es, was das
Ventilieren anbelangt, Luft nach oben . Deshalb ist es gut,
dass wir hier Klarheit schaffen .

Wir stärken das Recht des Parlaments im Bereich der
Informationen über Einsätze des Kommandos Spezial-
kräfte . Auch das ist ein lang gehegter Wunsch . Und es
gibt die seit langem eingeforderten Evaluierungen am
Ende von Einsätzen . Das ist alles richtig .

Nun kommt dieser schwierige Punkt, über den wir
lange diskutiert haben: Ist es überhaupt möglich, eine
Grenze zu definieren, ab wann ein Einsatz als Einsatz be-
waffneter Streitkräfte anzusehen ist und damit als man-
datierungspflichtig? Wir haben viele Stunden darüber be-
raten . Wir haben gemerkt: Es wird nie eine harte Grenze
geben, sondern es wird immer einen Bereich geben, über
den man diskutiert, vielleicht auch politisch streitet . In-
sofern ist das, was wir formuliert haben, nur ein Schritt in
Richtung einer stärkeren Präzisierung . Das entbindet uns
aber in keinem Fall von der Pflicht – hier wurde gesagt:
das muss in jedem Einzelfall entschieden werden –, über
jeden Einzelfall zu diskutieren und zu entscheiden .

Frau Kollegin Keul, das Kritischste sind sicherlich
die Ausbildungsmissionen . Herr Schmidt hat ja ein paar
Beispiele genannt: Afghanistan, Mali, Nordirak . Um es
ganz klar zu sagen: Afghanistan ist kein sicheres Um-
feld und Erbil auch nicht . Es gibt ja Indikatoren: Wenn
Ausbildungsmissionen militärisch stark geschützt wer-
den müssen, wenn deutsche Soldaten von einer starken
eigenen Schutzkomponente begleitet werden, ist dies ein
starker Indikator dafür, dass das kein gesichertes Umfeld
ist . Deshalb sind diese Einsätze zu mandatieren . Da gibt
es doch überhaupt kein Vertun .


(Zuruf des Abg . Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE])


Daneben gibt es Einsätze, bei denen die Soldaten abends
womöglich sogar ins Hotel fahren und sich vom Objekt-
schutz des Hotels bewachen lassen oder sich selbst schüt-
zen . Das ist ein sicheres Umfeld . Manchmal wird ja auch
in Deutschland oder in Nachbarländern ausgebildet . Wir
haben die Ausbildung von somalischen Kräften in Kenia
auch nicht mandatiert . Damals gab es keine Diskussio-
nen . Insoweit ist das schon ein Stück weit abgrenzbar .

Wilfried Lorenz






(A) (C)



(B) (D)


Es gibt noch einen weiteren Aspekt bei Ihrer Ar-
gumentation, den wir nicht vergessen dürfen: Für den
Zweifelsfall – ich bekenne mich ja dazu, dass es immer
wieder Zweifel geben wird – hat uns das Verfassungsge-
richt etwas Wichtiges ins Stammbuch geschrieben . Das
Verfassungsgericht sagt nämlich in seinem Urteil: Im
Zweifel muss das Parlamentsbeteiligungsgesetz „parla-
mentsfreundlich“ interpretiert werden . Das ist juristisch
so definiert, und das ist – das sage ich deutlich – auch
eine sozialdemokratische Grundposition . Deshalb gibt
es keinen Grund, Ängste zu schüren oder gar mit Halb-
wahrheiten, wie die Linke es tut, die Öffentlichkeit zu
täuschen . So können wir über diesen Bereich nicht mit-
einander diskutieren . Dazu ist das alles viel zu wichtig,
viel zu ernst .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Wir haben ein paar Dinge präzisiert . Das gilt auch für
die Stäbe . Kollegen von den Linken, die Stäbe mussten
bisher auch nicht mandatiert werden . Bisher stand das in
der Begründung, und jetzt steht das im Gesetz . Was kann
ein Parlamentarier schlecht daran finden, wenn die Dinge
klargezogen werden? Im Prinzip nichts .

Die Kommission hat sich ein bisschen auch mit The-
men beschäftigt, die nicht zu ihrem Auftrag gehörten . Es
war aber richtig, dass die Kommission an der einen oder
anderen Stelle über den Tellerrand hinausgeschaut hat .
Ich will drei Bereiche erwähnen, die ich wichtig finde:

Erstens. Die Kommission hat sorgfältig reflektiert,
warum Deutschland bei UN-Friedensmissionen so wenig
beteiligt ist. Ich finde, dass dieses ein zentrales Thema
ist, dass das Gewaltmonopol der Welt bei den Vereinten
Nationen liegt – das müssen wir nicht nur verbal formu-
lieren, sondern wir müssen die UN auch konkret unter-
stützen, damit dieses Gewaltmonopol durchgesetzt wer-
den kann. Die Defizite der UN darf man nicht beklagen,
sondern man muss sie beseitigen – dies hat grundsätzli-
che Debatten im Parlament verdient .

Das Zweite, das die Kommission reflektiert hat, ist:
Müssten wir im Deutschen Bundestag nicht mehr über
Sicherheitspolitik reden?


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich war enttäuscht, dass die Kanzlerin dies im Verteidi-
gungsausschuss von sich gewiesen hat. Deshalb finde
ich das, was wir jetzt im Gesetzentwurf machen, sehr
geschickt . Denn wir sagen: Überall dort, wo es um ver-
bundene europäische oder NATO-Fähigkeiten geht, muss
sich das Parlament damit befassen, nicht im Sinne von
Vorratsbeschlüssen, dass man nicht mehr Nein sagen
kann . Es gibt keine juristische Bindung – das ist eindeu-
tig –, aber es gibt politische Einsichten, Verpflichtungen
und Diskussionen . Diese Diskussionen müssen wir füh-
ren . Ich glaube, über diese Brücke zwingen wir in Zu-
kunft einmal im Jahr uns alle selbst und die Regierung,
indem wir eine sorgfältige sicherheitspolitische Debatte
führen .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Ich glaube, das ist im Interesse von uns Parlamentariern
insgesamt .

Die dritte Reflexion ist zwar eine heikle, aber ich spre-
che sie trotzdem an . Es geht um die Frage: Muss man auf
Dauer damit umgehen und leben? Juristisch kann man
das . Verfassungsgerichtsurteile sind Verfassung . Aber ist
es auf Dauer richtig, ein solch wichtiges Thema wie den
Einsatz bewaffneter Streitkräfte auf Urteilen basierend
zu legitimieren? Wäre es nicht klug, eine Verfassungs-
debatte zu führen, die die Urteile, ohne die Rechte der
Regierung zu erweitern, im Prinzip eins zu eins in den
Verfassungsrang erhebt? Ich muss sagen: Ich treffe sehr,
sehr viele Soldaten, die diesen Wunsch haben . Denn un-
sere Soldaten sind Staatsbürger in Uniform .


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1815303300

Herr Kollege .


Rainer Arnold (SPD):
Rede ID: ID1815303400

Sie legen Wert darauf, dass nicht der geringste Zweifel

daran entstehen kann, dass das, was sie tun, verfassungs-
konform ist .

Um es klar zu sagen: Ich bin nicht der Meinung, dass
diese Koalition ihre satte Mehrheit in diesem Fall für
Verfassungsänderungen nutzen sollte . Ich würde das für
politisch unklug halten, und ich möchte dies auch nicht .
Ich bin aber sehr dafür, dass man einen Tag findet, an
dem Regierung, Opposition und Koalitionsfraktionen
über solche Themen miteinander ins Gespräch kommen .

Recht herzlichen Dank .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1815303500

Andreas Nick ist der letzte Redner zu diesem Tages-

ordnungspunkt .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Andreas Nick (CDU):
Rede ID: ID1815303600

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das

Parlamentsbeteiligungsgesetz ist 2005 in Kraft getreten .
Der Deutsche Bundestag hat seitdem über 90 Anträgen
der Bundesregierung auf Entsendung bewaffneter deut-
scher Streitkräfte ins Ausland oder deren Fortsetzung
zugestimmt. Auch eilbedürftige Entscheidungen fielen
nach sorgfältiger und intensiver Prüfung innerhalb we-
niger Tage . In keinem einzigen Fall haben wir die Zu-
stimmung verweigert . Jeder Einsatz fand eine oft breite
Mehrheit im Bundestag, getragen häufig nicht nur von
den Regierungsfraktionen, sondern auch aus den Reihen
der Opposition . Als Parlament können wir mit Fug und
Recht festhalten: Wir sind unserer außenpolitischen Ver-
antwortung gerecht geworden, und wir haben Verläss-
lichkeit auch gegenüber unseren Bündnispartnern unter
Beweis gestellt .

Mit Zustimmung des Bundestages befinden sich deut-
sche Soldatinnen und Soldaten seit Jahren an vielen
Krisenherden der Welt im Einsatz . Mit ihrer Leistungs-
fähigkeit und ihrer Einsatzbereitschaft leisten unsere
Soldatinnen und Soldaten einen vorbildlichen Beitrag für

Rainer Arnold






(A) (C)



(B) (D)


Frieden und Stabilität weltweit . Dafür sprechen wir unse-
ren herzlichen Dank aus .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Wir bekennen uns als Parlament zu unserer Bundes-
wehr, und wir sind uns unserer besonderen Verantwor-
tung für unsere Parlamentsarmee sehr bewusst . Dies
betrifft nicht nur die sorgfältige Abwägung von Notwen-
digkeit und Risiken jedes einzelnen Einsatzes . Es gilt
vielmehr auch für unsere ganz grundsätzliche Verantwor-
tung, nämlich erstens unseren Soldatinnen und Soldaten
die bestmögliche Ausrüstung zur Verfügung zu stellen
und zweitens im Ernstfall ihre optimale sanitätsdienstli-
che Versorgung zu gewährleisten . Ich stelle fest: Nicht
zuletzt deshalb genießt unser Sanitätsdienst weltweit ei-
nen hervorragenden Ruf .

Wir setzen unsere Streitkräfte grundsätzlich nur im
Rahmen von Mandaten der Vereinten Nationen oder
gemeinsam mit unseren Partnern in NATO und EU ein .
Dies entspricht unserer historischen Erfahrung und un-
seren Sicherheitsbedürfnissen als Land im Zentrum Eu-
ropas .


(Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was machen dann die Tornados in Syrien?)


Michael Stürmer ruft uns beständig den Leitsatz von
Helmut Kohl in Erinnerung: Bündnisfähigkeit ist Kern
deutscher Staatsräson . – Unsere Bündnisfähigkeit nach
außen und die demokratische Legitimierung nach innen
gehören deshalb zusammen . Sie sind der doppelte Impe-
rativ deutscher Sicherheitspolitik .

Wir müssen aber zur Kenntnis nehmen, dass der Par-
lamentsvorbehalt immer wieder als möglicher Unsicher-
heitsfaktor beschrieben wird, wenn es um die stärkere
Integration deutscher militärischer Schlüsselfähigkeiten
in multilaterale Strukturen geht . Es ist richtig: Partner
müssen darauf vertrauen können, dass Schlüsselfähigkei-
ten im Ernstfall auch tatsächlich zur Verfügung stehen .
Nur dann sind militärische Zusammenarbeit und Aufga-
benteilung mit den Verbündeten auch unter jeweiligem
Verzicht auf entsprechende eigene Fähigkeiten möglich .

Mit der Weiterentwicklung des Parlamentsbeteili-
gungsgesetzes tun wir deshalb zweierlei: Wir untermau-
ern Deutschlands Willen zur stärkeren multilateralen
Zusammenarbeit, und wir stärken gleichzeitig die Rechte
des Parlaments und die demokratische Legitimation un-
serer Parlamentsarmee .

Ein besonderer Dank gilt der Kommission unter dem
Vorsitz des früheren Verteidigungsministers Volker
Rühe, die im Auftrag des Bundestages – des Bundesta-
ges! – die Grundlagenarbeit für die Fortentwicklung des
Parlamentsbeteiligungsgesetzes geleistet hat .

Zunächst einmal verschafft die umfassendere Definiti-
on des Einsatzbegriffes mehr Klarheit . Nicht mehr man-
datspflichtig sind unter anderem: Beobachtermissionen
der Vereinten Nationen sowie Missionen anderer Syste-
me kollektiver Sicherheit, wenn sie keine Befugnis zur
bewaffneten Durchsetzung eines Einsatzauftrages haben,
die logistische Unterstützung ohne Bezug zu Kampf-
handlungen, die Bereitstellung medizinischer Versor-

gung außerhalb des Gebiets eines bewaffneten Konflikts
und Ausbildungsmissionen, wenn eine Einbeziehung in
bewaffnete Unternehmungen nicht zu erwarten ist . Ent-
scheidend – die Kollegen haben in der Debatte schon
darauf hingewiesen – ist aber vor allem, dass die Bun-
desregierung zukünftig in der Pflicht ist, einen jährlichen
Bericht darüber vorzulegen, welche konkrete Verantwor-
tung für multilaterale militärische Verbundfähigkeiten
aus der Bündnissolidarität folgt .

Die geplanten Veränderungen stärken deshalb das
Vertrauen in die Verlässlichkeit Deutschlands . Sie tragen
aber auch dem veränderten Charakter der Einsätze Rech-
nung; der Kollege Lorenz hat darauf schon im Einzelnen
hingewiesen . Internationale Missionen sind heute vorran-
gig nicht mehr nur Ad-hoc-Lösungen für akute Konflikte.
Es geht vielmehr immer mehr um die vorausschauende
Stärkung regionaler Sicherheitsstrukturen, etwa durch
Ausbildungsmissionen für lokale Einsatzkräfte .

Es ist wahr: Internationale Krisen treten nicht länger
singulär auf – wenn sie es denn je taten –, und sie vollzie-
hen sich auch keineswegs linear oder sequenziell . Auch
in der parlamentarischen Begleitung von Auslandsein-
sätzen der Bundeswehr müssen wir uns darauf stärker
einstellen . Als Parlament werden wir uns daher künftig
noch frühzeitiger, umfassender und nachhaltiger mit au-
ßen- und sicherheitspolitischen Entwicklungen befassen
können und müssen . Wir setzen damit einen Prozess fort,
der mit dem Review-Prozess und dem Weißbuch-Prozess
angestoßen wurde . Ich füge aus meiner Sicht hinzu: Wir
müssen auf Dauer stärker in Richtung einer nationalen
Sicherheitsstrategie gehen, die wir umfassend hier Jahr
für Jahr beraten .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Meine Damen und Herren, liebe Kollegen, mit der
Weiterentwicklung des Parlamentsbeteiligungsgesetzes
stärken wir unsere Bündnissolidarität nach außen und die
demokratische Legitimierung der Parlamentsarmee nach
innen . Damit erhöhen wir die Handlungsfähigkeit und
dienen den Sicherheitsinteressen unseres Landes .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1815303700

Ich schließe die Aussprache .

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen
auf den Drucksachen 18/7360 und 18/5000 an die in der
Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen .
Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall . Dann
sind die Überweisungen so beschlossen .

Wir kommen nun zum Tagesordnungspunkt 22:

Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/
CSU und SPD

Intelligente Mobilität fördern – Die Chancen
der Digitalisierung für den Verkehrssektor
nutzen

Drucksache 18/7362

Dr. Andreas Nick






(A) (C)



(B) (D)


Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor-
sicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Ausschuss Digitale Agenda
Haushaltsausschuss

Auch zu diesem Tagesordnungspunkt soll es nach ei-
ner Vereinbarung der Fraktionen eine Aussprache von
77 Minuten geben . – Das ist offenkundig unstreitig . Also
verfahren wir so .

Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort der
Parlamentarischen Staatssekretärin Dorothee Bär .


(Beifall bei der CDU/CSU)


D
Dorothee Mantel (CSU):
Rede ID: ID1815303800


Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zu-
nächst einmal ein herzlicher Dank an die Fraktionen der
CDU/CSU und der SPD . Wir sind dem Ministerium sehr
dankbar, allein schon für den Titel „Intelligente Mobilität
fördern“ . Denn man muss einmal daran denken, dass es
vor circa zwei Jahren, als das Ministerium nicht nur den
neuen Namen, sondern auch die neue Aufgabe bekom-
men hat, auf der einen Seite für Verkehrspolitik und auf
der anderen Seite für digitale Infrastruktur und für die
Digitalisierung insgesamt zuständig zu sein, immer noch
den einen oder anderen gab, der der Meinung war, dass
Digitalisierung und Infrastruktur weder zusammengehö-
ren noch zusammenpassen .

Ich denke, dass das Ganze sehr schnell Lügen gestraft
wurde . Man hat festgestellt, wenn irgendwo die Digita-
lisierung notwendig ist, wo sie auch perfekt zu vernet-
zen ist, dann ist das in der Infrastruktur der Fall . Wenn
man merkt, wie sich Lebensentwürfe ändern, wenn man
merkt, wie sich unser eigenes Leben, das Berufsleben
und das Privatleben, ändert und meines Erachtens sehr
zum Vorteil wandelt, dann ist das auf die Digitalisierung
zurückzuführen .

Menschen auf der ganzen Welt und gerade auch in un-
serem Land, wo die Mobilität so wichtig ist, verlangen
heute mehr denn je nach einer ungehinderten Mobili-
tät, dies vor allem auch in einer extremen Schnelligkeit .
Wir haben gleichzeitig eine immer dichter verflochtene
Weltwirtschaft . Wir brauchen verlässliche, planbare und
reibungslos fließende Güterströme. Darauf sind wir nicht
nur mit Blick auf unsere Wirtschaft angewiesen, sondern
wir haben auch einen Titel zu verteidigen . Weltweit weiß
jeder, dass wir Fußballweltmeister sind . Die wenigsten
wissen aber, dass wir auch Logistikweltmeister sind . Lo-
gistikweltmeister sind wir auch deswegen, weil unsere
Warenströme so gut funktionieren . Auf diesem Status
quo wollen wir uns aber nicht ausruhen, sondern wir
wollen das Ganze auch weiterführen, weil es immer we-
sentlich schwieriger ist, einen Weltmeistertitel zu vertei-
digen, als ihn zu erringen .

Deswegen werden wir in den kommenden Jahren so
viel Geld wie noch nie zuvor in die Weiterentwicklung
der Verkehrsinfrastruktur investieren . Wir haben dazu ei-
nen Fünf-Punkte-Investitionshochlauf gestartet . Diesen
werde ich jetzt nicht noch einmal im Detail erklären . Ich
denke, das hat der Minister schon so oft getan, sodass das
jeder nachbeten kann .


(Dr . Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Alles läuft hoch!)


– Auch Sie, Frau Wilms . – Durch die fortschreitende
Digitalisierung im Verkehrsbereich werden sich in den
kommenden Jahren deutliche Veränderungen zeigen .

Ein Weiteres ist mir sehr wichtig . Bei der Technik sind
wir uns relativ einig, auch wenn es sicherlich noch Nuan-
cen gibt, bei denen man die eine oder andere Stellschrau-
be anders drehen möchte .

Sorge bereitet mir nicht das Geld . Geld ist in unserem
Haushalt vorhanden . Darüber beschwert sich im Moment
zumindest niemand .


(Dr . Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es wird alles in die bayrischen Umgehungsstraßen gepumpt!)


Es ist auch nicht so, dass die Technik nicht funktioniert .
Auch da haben wir herausragende Firmen . Wir haben
Weltmarktführer . Der Bereich der Zulieferindustrie ist
herausragend .

Sorgen bereitet mir allerdings, wie wir es schaffen,
die Begeisterung und die Leidenschaft für die Digitali-
sierung insbesondere im Verkehrsbereich in die Bevölke-
rung hineinzutragen .

Schauen wir uns einmal Umfragen zum Thema des
autonomen Fahrens bzw . des automatisierten Fahrens an .
Bei der Frage nach dem Nutzen und der Begeisterung
stellt man fest, dass die Umfragen weltweit wesentlich
euphorischer ausfallen als im eigenen Land . Spannender-
weise sind die Frauen in Deutschland begeisterter als die
Männer . Auch das ist eine positive Nachricht .


(Zuruf: Oje, oje!)


– Wer sagt denn hier „Oje, oje“? Ich hoffe, das kam nicht
von hinten .


(Heiterkeit)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1815303900

Ich war es nicht . Ich weiß nicht, warum Sie sich zu

mir umschauen .


(Heiterkeit)


D
Dorothee Mantel (CSU):
Rede ID: ID1815304000


Sie können es auch nicht gewesen sein, weil Sie eh
nicht zugehört haben, weil Sie geschwätzt haben . Das
habe ich ja mitbekommen .


(Heiterkeit)


Deswegen weckt das vielleicht auch die Begeisterung
beim Präsidium .

Präsident Dr. Norbert Lammert






(A) (C)



(B) (D)


Ich bin der Überzeugung, nicht nur für die Gesell-
schaft, sondern auch für die Wirtschaft bieten sich enor-
me Chancen, die wir auch nutzen können .

Der Wirtschaftsstandort Deutschland ist auf der Basis
starker Netze ein Hochtechnologieland . Wir sind Export-
und Transitnation und stehen damit auch an der Spitze
in Europa . Die Digitalisierung sorgt insbesondere im
Verkehrssektor dafür, dass wir Wirtschaftswachstum und
damit mehr Beschäftigung haben . Außerdem werden wir
sicherer werden und umweltschonender sein . Darüber
hinaus werden wir inklusiver sein . Das sind doch alles
positive Nachrichten . Deswegen müssen wir die Skepsis
noch weiter abbauen .

Zum Sicherheitsgedanken im Verkehrsbereich . Es
wird immer gefragt, wie wir das mit dem automatisierten
bzw . autonomen Fahren machen . In Deutschland wird
darüber diskutiert, was passiert, wenn das Auto entschei-
den muss, ob es in den Kinderwagen reinfährt oder in
etwas anderes . Im Silicon Valley in Amerika spricht man
immer davon, was ist, wenn das Auto in drei Nonnen
reinfährt . Ich weiß nicht, ob das an einem Mentalitätsun-
terschied liegt . Zumindest werden immer irgendwelche
Schreckensszenarien an die Wand gemalt, wie sich das
Auto entscheidet .

Wenn man sich aber einmal die Zahlen anschaut und
feststellt, dass 95 Prozent aller Unfälle auf menschliches
Versagen zurückzuführen sind, dann muss man ganz
einfach konstatieren, dass der Risikofaktor Mensch im
Moment höher zu bewerten ist als der Risikofaktor Ma-
schine . Insofern kann die Digitalisierung für eine größere
Sicherheit sorgen und ist zudem wesentlich umweltscho-
nender und inklusiver . Insofern begrüßen wir diesen An-
trag der Koalitionsfraktionen ganz ausdrücklich .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Was kann durch die Digitalisierung noch getan wer-
den, was bislang nicht möglich war, um den Menschen
das Leben zu erleichtern? Ich nenne unser Ministerium ja
sehr gerne auch das „Lebenserleichterungsministerium“ .


(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Stephan Kühn [Dresden] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Kommen Sie auch zu politischen Maßnahmen? – Dr . Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jubelarien haben wir genug gehört! – Weitere Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Oh!)


Ich weiß ja nicht, wie es Ihnen geht, aber wir wollen
Chancen und Möglichkeiten eröffnen, beispielsweise
durch die Förderung einer möglichst nahtlosen Reiseket-
te – von der Fahrgastinformation über das Ticketing bis
zum „Tür zu Tür“-Service – und durch die Förderung
von Transportketten im Güterverkehr . Als Koordinatorin
der Bundesregierung für Güterverkehr und Logistik sage
ich: Gerade für den Güterverkehr, für die Logistik und
für die Zukunft des Landes braucht unsere erfolgreiche
Volkswirtschaft diese neuen Möglichkeiten noch wesent-
lich stärker .

Zukünftig wird es zum Beispiel immer mehr Wetter-
und Verkehrsinformationen geben . Mit dem Deutschen

Wetterdienst haben wir hier eine wirklich ganz heraus-
ragende nachgeordnete Behörde, die uns täglich sehr
wichtige Informationen liefert, und es gibt automatisierte
Systeme, die dazu beitragen, dass Gütertransporte und
logistische Abläufe effizienter und wesentlich umwelt-
freundlicher gestaltet werden können . Den gesamten Be-
reich „Automatisiertes und vernetztes Fahren“ habe ich
schon angesprochen .

Die Bundesregierung hat letzten September die „Stra-
tegie automatisiertes und vernetztes Fahren – Leitanbie-
ter bleiben, Leitmarkt werden, Regelbetrieb einleiten“
beschlossen. Dadurch wollen wir auch die Verkehrseffi-
zienz steigern . Es wird in Zukunft beispielsweise nicht
möglich und auch nicht nötig sein, jede sechsstreifige
Autobahn auf acht Streifen auszubauen . Schon jetzt wer-
den teilweise Seitenstreifen mitgenutzt, wenn besonders
viel Verkehr ist . Selbstverständlich kann die Anzeige für
den Seitenstreifen sofort wieder auf Rot geschaltet wer-
den, wenn beispielsweise ein Unfall passiert ist . Auch
dadurch können wir die Verkehrssicherheit erhöhen .

Wir stärken auch den Innovations- und Wirtschafts-
standort Deutschland . Deswegen hat unser Haus das
Digitale Testfeld Autobahn auf der A 9 eingerichtet,
was schon jetzt ein weltweites Erfolgsmodell ist . Wir
haben hier nicht nur national, sondern auch internatio-
nal sehr viele Anfragen . Man möchte „on the German
Autobahn“ – „die deutsche Autobahn“ ist nun einmal
weltweit ein absolutes Qualitätsmerkmal – testen . Die
Car-to-Car-Kommunikation, also die Fahrzeug-zu-Fahr-
zeug-Kommunikation, die Fahrzeug-zu-Infrastruk-
tur-Kommunikation und die Rastanlagen der Zukunft
werden getestet, und es erfolgen Falschfahrerwarnungen
und Baustellenoptimierungen . Das alles wird auf dem
Digitalen Testfeld Autobahn erprobt und bewertet, so-
dass daraus hoffentlich möglichst bald ein Regelbetrieb
für ganz Deutschland entstehen kann .

Wir haben ein weiteres Schatzkästchen . Wir sind ja
nicht nur das Lebenserleichterungs-, sondern auch das
Datenministerium .


(Dr . Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oh!)


Das Bundesministerium hat nämlich den sogenannten
MobilitätsDatenMarktplatz, den MDM, errichtet, um die
verschiedenen verfügbaren Onlineverkehrsdaten wei-
ter zu bündeln . Damit haben wir erstmalig ein zentrales
Onlineportal mit den online verfügbaren Verkehrsdaten .
Auch hier können noch einmal neue Potenziale erschlos-
sen werden, und zwar durch eine bessere Nutzung der
Datenbasis .

Für mich ist entscheidend, kein Schreckensszenario
an die Wand zu malen und zu sagen, dass „Big Data“
ein wahnsinnig böser Begriff ist . Wir nennen es „Smart
Data“ . Dabei geht es gar nicht darum, möglichst viele
Daten zu sammeln, sondern darum, die Daten, die vor-
handen sind, ganz intelligent und besser miteinander zu
vernetzen .

Ich komme zu meinem letzten Punkt . Auch wenn wir
zurzeit immer sehr stark auf die Großstädte schauen,
glaube ich, dass gerade die Digitalisierung im Verkehr

Parl. Staatssekretärin Dorothee Bär






(A) (C)



(B) (D)


eine Voraussetzung und eine sehr große Chance ist, um
die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse im ländli-
chen Raum und in den Großstädten, die uns wichtig ist,
wesentlich besser zu erreichen . Diese Gleichwertigkeit
der Lebensverhältnisse ist eine wichtige Grundlage für
den Zusammenhalt unserer Gesellschaft . Deswegen stel-
len wir mit dem Modernitätsfonds auch die strategischen
Weichen für eine gewinnbringende Nutzung von Smart
Data in Deutschland .

Im Herbst wird es dann unseren zweiten Hackathon,
unseren BMVI Data-Run, geben . Dabei geht es darum,
Daten, die schon erhoben wurden, öffentlich zur Verfü-
gung zu stellen, um neue Apps oder neue Anwendungen
entwickeln zu können .

Sie sehen also: Wir tun sehr viel . Ich bin sehr dankbar,
dass die beiden Koalitionsfraktionen das Ganze mit dem
Antrag auch unterstützen, und ich freue mich weiterhin
auf eine gute, gewinnbringende Zusammenarbeit .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1815304100

Nächste Rednerin ist die Kollegin Sabine Leidig für

die Fraktion Die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Sabine Leidig (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1815304200

Guten Morgen, Herr Präsident! Werte Kolleginnen

und Kollegen! Liebe Besucherinnen und Besucher! Vor
ungefähr 14 Tagen konnte man in der Frankfurter Allge-
meinen Zeitung die Überschrift lesen: „Google warnt vor
eigenen Roboterautos“ . Eigentlich dachte ich, damit ist
das Thema weitgehend vom Tisch . Aber nein, weit ge-
fehlt . Jetzt kommt die Große Koalition mit einem großen
Antrag und spricht von intelligenter Mobilität und Digi-
talisierung . – Aha!

Was steckt eigentlich dahinter? Sie haben es selber
gesagt, Frau Bär: Man muss die Idee in die Bevölkerung
hineintragen . – Das heißt, von dort kommt sie nicht . Ich
kenne keine einzige Bürgerinitiative, keinen Senioren-
klub, kein Rathaus, in dem die Leute sagen: Wir brau-
chen jetzt unbedingt mehr Digitalisierung im Verkehr .


(Beifall der Abg . Kathrin Vogler [DIE LINKE])


Nein, weit gefehlt . Diese Idee kommt von Bitkom, vom
Deutschen Verkehrsforum und von den einschlägigen
Wirtschaftsunternehmen, die sich von einem solchen Ge-
schäftsfeld neue Profitmöglichkeiten versprechen.


(Zuruf von der CDU/CSU: Wir wollen keinen Stillstand!)


Daher kommt auch die Überschrift . Frau Bär, dafür brau-
chen Sie niemanden zu loben . Sie haben „intelligente
Mobilität“ einfach von dem Aktionsplan abgeschrieben,
den Ihnen die großen Konzerne wie Telekom usw . prak-
tisch in die Feder diktiert haben .


(Beifall bei der LINKEN – Thomas Jarzombek [CDU/CSU]: Das sagt auch die Bundestagsverwaltung auf ihrer Homepage!)


Das kann man natürlich machen. Ich finde aber, das ist
falsch;


(Beifall bei der LINKEN)


denn intelligent sind diese Systeme nur für die Kassen
der Konzerne, nicht für die Allgemeinheit .


(Maik Beermann [CDU/CSU]: Arbeitsplätze!)


Sie wissen ganz genau, dass es 80 Prozent der Bevöl-
kerung als einen Zuwachs von Lebensqualität bezeich-
nen, wenn es weniger Autos und Verkehr in ihrer Um-
gebung gibt . Es gibt einen Beschluss des Europäischen
Parlamentes, der übrigens im Vorfeld der Klimakonfe-
renz von Paris mit Beteiligung Ihrer Kollegen zustande
gekommen ist, in dem eindeutig festgelegt ist: Wenn wir
die Klimaziele erreichen wollen, müssen wir Verkehr re-
duzieren .


(Beifall bei der LINKEN)


Weniger motorisierter Verkehr: Das ist intelligent, mo-
dern und zukunftsfähig .

Was Sie hier vorlegen, ist ein Plan für mehr Verkehr
auf der Straße . Sie machen das konkret und deutlich:
Wenn man diese intelligenten Informationssysteme
nutzt, können die Lkws in noch dichterer Folge fahren .


(Nadine Schön [St . Wendel] [CDU/CSU]: Noch mehr Arbeitsplätze schaffen!)


Noch mehr Autos, die durch automatisierte Systeme an
die richtige Stelle geleitet werden, können in den Städ-
ten parken . – Ich bitte Sie: Was ist das denn für eine Zu-
kunftsvision?


(Maik Beermann [CDU/CSU]: Wir haben wenigstens eine!)


Für mich ist das echt der Horror .


(Beifall bei der LINKEN)


Wir haben eine Zukunftsvision, aber die sieht anders
aus .


(Thomas Jarzombek [CDU/CSU]: Dampflokomotiven?)


Die sieht nämlich so aus, dass man die Bedürfnisse der
Menschen in den Mittelpunkt der Verkehrspolitik stel-
len muss . Dabei muss man zur Kenntnis nehmen: Drei
Viertel der Menschen in Deutschland leben in großen
und ganz großen Städten . Von diesen Menschen fahren
immer mehr mit dem Fahrrad – sie verhalten sich auto-
matisch intelligent und vernünftig;


(Dr . Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Autos fahren genug!)


denn es gibt kein effektiveres Verkehrsmittel in der
Stadt –, während die Autos zu über 95 Prozent stehen und
eigentlich als Stehzeuge, nicht als Fahrzeuge bezeichnet
werden müssen. Das ist überhaupt nicht effizient.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg . Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Parl. Staatssekretärin Dorothee Bär






(A) (C)



(B) (D)


Für diese Gruppe der intelligenten Verkehrsteilnehmer
haben Sie in Ihrem intelligenten Mobilitätskonzept kein
einziges Wort übrig . Fahrräder kommen da überhaupt
nicht vor . Auch Fußgänger kommen überhaupt nicht vor .
Was ist das denn für eine rückwärtsgerichtete, fossile
Denkart? Wir brauchen Parkraumkonzepte für diejeni-
gen, die ihre Kinder und ihre Einkäufe mit dem Fahrrad
transportieren . Wo sollen diese denn in Zukunft mit ihren
Fahrzeugen bleiben? Darüber haben Sie überhaupt kein
Wort verloren .


(Maik Beermann [CDU/CSU]: Radwege!)


Sie fabulieren von der fahrerlosen Straßenbahn, von
der Vollautomatisierung des öffentlichen Verkehrs . Ich
will Ihnen einmal etwas sagen: Die Sicherheit und der
Service des öffentlichen Nahverkehrs hängen nicht da-
von ab, dass noch mehr Kameras und Sensoren eingebaut
werden, sondern davon, dass qualifiziertes Personal zur
Verfügung steht, dass man Fragen stellen kann, dass es
vernünftige und bezahlbare Angebote gibt .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das ist intelligente Mobilität der Zukunft . Wir müssen
die sozialen Strukturen ändern . Wir müssen den sozial-
ökologischen Umbau angehen, statt auf Technologien zu
setzen, wie sie VW und andere Autokonzerne einsetzen,
um noch mehr Abgase in die Luft zu blasen, während sie
versuchen, etwas zu retten, was nicht mehr zu retten ist .

Vielen Dank .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1815304300

Für die SPD-Fraktion erhält nun der Kollege Arno

Klare das Wort .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Arno Klare (SPD):
Rede ID: ID1815304400

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her-

ren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will mit einem
ganz kleinen Beispiel beginnen: Wenn man auf der A 57
zwischen den beiden Anschlussstellen Neuss-Reuschen-
berg und Kaarst fährt


(Michael Donth [CDU/CSU]: Mit dem Fahrrad!)


– Herr Rimkus wird das schon kennen –, dann fährt
man in aller Regel, wenn der Verkehr normal fließt, fünf
Minuten . Aber zu Peak-Zeiten, wenn der Verkehr rich-
tig dicht ist, braucht man bis zu 18 Minuten . Das ist die
längste gemessene Zeit .

Das Ganze kann man global ausweiten . Ein großer
Hersteller von Navigationssoftware macht das jedes Jahr
mit einem sogenannten Pendlerindex . Er berechnet, wie
groß der prozentuale Unterschied zwischen der normalen
Fließgeschwindigkeit des Verkehrs auf einer Strecke und
der Geschwindigkeit bei ganz dichtem Verkehr ist . Top-
scorer unter allen Städten weltweit ist Istanbul mit 58 Pro-

zent Differenz, gefolgt von Mexiko City mit 55 Prozent .
Düsseldorf liegt leider dorfartig nur bei 22 Prozent, wobei
ich dort manchmal einen anderen Eindruck habe .

Richten wir den Blick auf Deutschland: Wir hatten im
Jahr 2014 474 000 Stauereignisse . Die Menschen stan-
den dabei 285 000 Stunden im Stau . Das sind umgerech-
net über 30 Jahre . Das muss man sich einmal klarmachen .


(Sabine Leidig [DIE LINKE]: Sehr intelligent!)


– Warten Sie ab, Frau Leidig! Ihre Zwischenrufe sind ät-
zend, ehrlich gesagt .


(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


1,2 Milliarden Liter Sprit wurden bei diesen Stauer-
eignissen vergeudet . Wenn man davon ausgeht, dass je-
weils 1 Liter Sprit zu 2,5 Kilogramm CO2-Ausstoß führt,
dann sind das bei 1,2 Milliarden Liter Sprit insgesamt
3 Millionen Tonnen CO2 . Das ist ein Drittel der Jahres-
menge der 10 Millionen Tonnen CO2, die wir bis 2020 im
Verkehrssektor einsparen müssen .

Wenn man dafür Sorge tragen kann, dass intelligente
Steuerung von Verkehr auch nur einen Teil – sagen wir,
die Hälfte – davon entflechtet, und zwar nicht nur da-
durch, dass der Verkehr verlagert wird, sondern durch ei-
nen Umstieg auf andere Verkehrsmittel in Rushhour-Zei-
ten, dann macht das durchaus Sinn . Dann ist das nicht
nur intelligente Mobilitätssteuerung, sondern auch ein
überaus intelligenter Antrag .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Der als Auto-Papst beschriebene Herr Dudenhöffer,
um nur ein Beispiel zu nennen, hat vor Jahren vor der
Grugahalle in Essen Autos die ganze Zeit im Kreis fah-
ren lassen . Sie fuhren bei geringer Geschwindigkeit mit
einem relativ geringen Abstand . Irgendwann trat die Si-
tuation ein, dass ein Fahrer nicht aufpasste und auf den
anderen zu dicht auffuhr . Er trat auf die Bremse . Was pas-
sierte? Der Nächste stand, und dann stand der ganze Kreis .
Was Herr Dudenhöffer beweisen wollte, war: Wenn man
diese Fahrzeuge elektronisch mit Car-to-Car-Kommuni-
kation koppeln würde und sie automatisch den gleichen
Abstand halten würden, dann würden die meisten Staus
auf den deutschen Autobahnen gar nicht erst entstehen .
Auch das ist Teil der intelligenten Mobilität .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1815304500

Herr Klare, darf die Kollegin Leidig eine Zwischen-

frage stellen?


Arno Klare (SPD):
Rede ID: ID1815304600

Nein, das möchte ich im Moment nicht . Danke .


(Heiterkeit bei der CDU/CSU)


Das Ganze funktioniert auch im Bereich des Trans-
portwesens bzw . der Logistik . Wenn wir von Logistik 4 .0
und davon reden, dass Güter zu cyberphysischen Syste-
men werden, die sich selbst ihren THG-optimierten Weg

Sabine Leidig






(A) (C)



(B) (D)


suchen, dann geht das nur mit intelligenter Verkehrssteu-
erung, und zwar wohlgemerkt mit einem enormen Ein-
sparpotenzial an THG .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Wenn wir die Umweltziele, die wir uns selber ge-
setzt haben und die jetzt im Vertrag von Paris kodifiziert
worden sind, erreichen wollen, dann wird es mit diesen
intelligenten Steuermodellen gelingen, einen Teil davon
hinzubekommen . Wenn wir dann sozusagen wieder in
die schöne Analogwelt zurückwollen, wo wir ein Vier-
ganggetriebe selber schalten und meinen, wir könnten es
besser als das elektronisch gesteuerte Getriebe, dann ist
das kein Fortschritt, sondern ein Rückschritt .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Noch ein Hinweis, damit der ganz große Rahmen
deutlich wird: Ende Oktober 2012 war „Sandy“ in New
York . „Sandy“ ist ein Hurrikan . Er hat dort große Zerstö-
rungen angerichtet . Ein Hurrikan gehört nicht nach New
York . Warum war er überhaupt da? Er war da, weil der
Jetstream, ein Nordpolarstrom, der von West nach Ost
weht, nicht wie sonst den Hurrikan auf den Atlantik ge-
trieben hat, wo er über dem kalten Wasser an Kraft ver-
liert . Wie wir alle wissen, ist der Jetstream, ökologisch
bedingt und menschengemacht, volatil geworden . Des-
halb war „Sandy“ in New York . Wenn wir dazu beitragen
wollen, dass so etwas nicht mehr passiert, dann müssen
wir die hier vorgestellten Modelle umsetzen . Insofern
steht unser Antrag in einem großen klimapolitischen und
globalen Zusammenhang . Diesen müssen wir begreifen .
Das Begreifen vermisse ich bei Ihnen, Frau Leidig .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Sabine Leidig [DIE LINKE]: Es ist nicht zu begreifen, wenn Sie mehr Verkehr auf die Straße bringen!)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1815304700

Ganz herzlichen Dank . – Als nächster Redner hat

Stephan Kühn von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
das Wort .

Stephan Kühn (Dresden) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN):

Sehr geehrte Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kol-
legen! Es ist richtig, dass wir über die Chancen der Digi-
talisierung im Verkehr reden . Allerdings ist der Zeitpunkt
mehr als verdächtig . Wir hätten erwartet, dass nach mehr
als vier Monaten VW-Betrugsskandal diese Koalition
endlich der Öffentlichkeit Vorschläge präsentiert, aus
denen hervorgeht, wie künftig Dieselfahrzeuge nicht nur
im Labor, sondern tatsächlich auch auf der Straße sauber
sind, wie wirksame Prüfungen und Kontrollen stattfinden
und wie die Stickoxidbelastung in Städten endlich sinkt .
Nichts haben Sie geliefert . Stattdessen befassen wir uns
mit diesem Thema .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Wir hätten erwartet, dass Sie sechs Wochen nach der
Klimakonferenz in Paris Vorschläge für eine Strategie
„Klimaschutz im Verkehr“ mit verbindlichen CO2-Re-
duktionszielen und konkreten Maßnahmen vorlegen .
Nichts! Sie lenken schlicht und ergreifend von Ihren
Versäumnissen ab . In Ihrem Antrag steht: Die Digitali-
sierung soll Deutschland zum „Leitmarkt und Leitanbie-
ter für die Zukunft der individuellen Mobilität“ machen .
Sie bekommen es noch nicht einmal hin, Deutschland
zum Leitmarkt und Leitanbieter der Elektromobilität zu
machen. Sie streiten sich wie die Kesselflicker über eine
Kaufprämie zur Förderung von Elektroautos .

Sie beschreiben in Ihrem Antrag des Weiteren die Po-
tenziale der Automatisierung und der Vernetzung für das
Carsharing . Sie bekommen aber noch nicht einmal ein
Carsharing-Gesetz hin, mit dem endlich rechtssicher ge-
regelt wird, wie Stellplätze im öffentlichen Raum ange-
ordnet werden können . All das legen Sie nicht vor .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Auch wir sehen die Potenziale und meinen, dass In-
frastruktur durch Digitalisierung besser genutzt werden
kann, beispielsweise Verkehrstelematik anstatt mehr
Beton in der Landschaft . Standspurfreigabe- und Stre-
ckenbeeinflussungsanlagen können auf Autobahnen die
Kapazität um 25 Prozent erhöhen und für 30 Prozent we-
niger Unfälle sorgen . Aber wie viele haben wir davon?
Wir haben gerade einmal 180 Kilometer von 13 000 Ki-
lometer im Autobahnnetz entsprechend ausgerüstet . Sie
wollen nun 50 Millionen Euro jährlich hier investieren .
Das ist doch nicht mehr als ein Tropfen auf den heißen
Stein .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Im öffentlichen Verkehr sehen Sie die Potenziale im
vollautomatischen Betrieb von U-Bahnen als Perspektive
und nennen das Beispiel Nürnberg, verschweigen aber
den Kostenaufwand für diese digitale Infrastruktur . Wir
haben einen Sanierungsstau von 4 Milliarden Euro bei
der analogen Infrastruktur im ÖPNV . Das GVFG-Bun-
desprogramm ist deutlich überzeichnet . Aber seine
Fortführung über 2019 hinaus ist nicht gesichert . Sie
haben zwar im Rahmen der Haushaltsberatungen einen
Entschließungsantrag eingebracht, aus dem hervorgeht,
dass Sie das fortführen wollen . Aber das heißt noch lange
nicht, dass jemand im Ministerium einen Stift in die Hand
nimmt und ein entsprechendes Gesetz vorlegt . Wenn
Sie in diesem Bereich etwas machen wollten, müssten
Sie zusätzliche Gelder für die digitale Infrastruktur im
ÖPNV bereitstellen . Das tun Sie nicht . Fehlstelle!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir sehen in der Tat für den öffentlichen Verkehr
Chancen durch die Digitalisierung . Zugangsbarrieren
können abgebaut werden . Der Tarifdschungel entfällt,
wenn bundesweit ein E-Ticket eingeführt wird . Einstei-
gen und Losfahren wie beim Auto wären dann möglich .
Die Verkehrsunternehmen könnten zu Mobilitätsdienst-
leistern werden . Es geht nicht nur um den Weg von A
nach B, sondern um die ganze Reisekette . Ich glaube,
dass die Verkehrsträger künftig nicht mehr so sehr kon-
kurrieren, sondern kooperieren . Gerade im ländlichen

Arno Klare






(A) (C)



(B) (D)


Raum, wenn es um aktive Bedienformen geht, kann die
Digitalisierung helfen . Es gibt das schöne Pilotprojekt
Mobilfalt im Nordhessischen VerkehrsVerbund, wo man
versucht, das Privatauto in den ÖPNV einzubinden, um
ein besseres Angebot für die Bürger zu schaffen . All das
wird möglich sein .

Wir sehen auch beim Auto einen Mehrwert durch Auto-
matisierung in Verbindung mit Vernetzung der Fahrzeuge
und der Infrastruktur, gerade im Bereich der Verkehrssi-
cherheitspotenziale . Nehmen Sie den Baustellenassisten-
ten, der Sie sicher durch die Baustelle führt, oder nehmen
Sie Fahrzeuge, die sich untereinander warnen, weil auf
der Straße eine Gefahrenstelle droht . Aber alles das ist
kurzfristig nicht erschließbar, weil die Marktdurchdrin-
gung der Systeme Jahre dauern wird . Wer also wirklich
bis 2020 die Zahl der Verkehrstoten um 40 Prozent re-
duzieren will, der muss andere Maßnahmen durchsetzen .
Warten auf die Digitalisierung reicht da nicht .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die Automatisierung wird in Stufen stattfinden. Im
Güterverkehr wird sie vermutlich schneller kommen
als im Personenverkehr . Aber es sind noch viele Pro-
bleme offen – bis hin zum automatischen Fahren . Und
das haben Sie, Frau Bär, leider ganz verschwiegen . Ich
nenne Beispiele: Mensch-Maschine-Interaktion, also der
Übergang, in dem das Fahrzeug die Kontrolle hat, dann
aber wieder der Mensch . Technik ist immer auch störan-
fällig . Es gab Hackerangriffe auf automatisierte Autos .
Das Thema Datenschutz ist aus unserer Sicht in keiner
Form geklärt . Wer ist Herr über die Daten? Wem gehören
sie? Wo werden sie gespeichert? Wir wollen nicht, dass
Bewegungsprofile von Bürgerinnen und Bürgern erstellt
werden können .


(Thomas Jarzombek [CDU/CSU]: Klar ist das geregelt! Im Bundesdatenschutzgesetz!)


Haftungsfragen sind offen . Wer ist schuld beim Unfall?
Haftet dann, wenn automatisiert gefahren wird, der Her-
steller des Systems oder die Versicherung? Und die ethi-
schen Fragen kann man auch nicht einfach wegwischen .
Wenn ein Unfall nicht mehr zu verhindern ist, wohin
weicht das Fahrzeug dann aus? Das muss auch geklärt
werden .

Der Minister für Modernität hätte längst eine Strategie
zur intelligenten Mobilität vorlegen können . Es ist ein
Armutszeugnis, dass es eines Koalitionsantrags bedarf,
der ihn auffordert, dies jetzt zu tun . Es ist ein reiner Fens-
terantrag, den Sie uns hier vorlegen, anstatt für die ei-
gentlichen Probleme konkrete Lösungen vorzuschlagen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1815304800

Ganz herzlichen Dank . – Als nächster Redner hat

Thomas Jarzombek von der CDU/CSU-Fraktion das
Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Thomas Jarzombek (CDU):
Rede ID: ID1815304900

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich darf

vielleicht damit anfangen, dass ich es begrüße, dass unser
Koalitionspartner die positiven Aspekte benannt hat, und
dass ich mich darüber wundere, dass die Opposition hier
nur Nachteile erkennen kann .


(Lachen der Abg . Sabine Leidig [DIE LINKE] – Stephan Kühn [Dresden] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann haben Sie mir nicht zugehört!)


Ganz im Ernst: Am Ende müssen Sie sich für irgend-
was entscheiden, was Sie jetzt kritisieren, Herr Kollege
Kühn . Zuerst haben Sie gesagt: Dass wir uns mit solchen
Themen hier beschäftigten, wo es doch viel Wichtigeres
gäbe! Zum Schluss haben Sie gesagt: Es kann doch nicht
wahr sein, dass wir uns erst jetzt damit beschäftigen . –
Also, einen Tod müssen Sie sterben, wenn Sie uns kriti-
sieren wollen .


(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU)


Peter Altmaier hat dazu einmal gesagt: Es ist in
Deutschland manchmal so, dass wir immer über die ganz
großen, wichtigen Fragen reden und für nichts anderes
Platz haben, und auf einmal, irgendwann, haben wir das
Ende einer Entwicklung und fragen: Wie konnte es ei-
gentlich so weit kommen? Deshalb ist es, – so glaube
ich, – ganz gut, dass wir heute auch einmal zur Primetime
anderthalb Stunden über ein Thema reden, das ich sehr
wichtig finde, nämlich: Wie digitalisieren wir unsere Ver-
kehrsinfrastruktur?

Es ist doch klar: Alles das, was heute an physischer
Struktur da ist, braucht parallel eben eine digitale Struk-
tur, um die Dinge besser zu machen .

Mich hat in dieser Woche mein Lokalradio angeru-
fen und gefragt, was ich denn dazu sage, dass Senioren
ohne weitere Tests weiterhin am Straßenverkehr teilneh-
men dürften . Da habe ich geantwortet: Diese Frage stellt
sich heute eigentlich gar nicht mehr . Wir haben so viele
technische Assistenzsysteme und die Entwicklung in den
nächsten Jahren wird dazu führen, dass Menschen viel
länger als heute weiter mobil bleiben und selbstbestimmt
mobil bleiben können . Und das ist eine extrem gute Ent-
wicklung .


(Beifall bei der CDU/CSU – Sabine Leidig [DIE LINKE]: Das hat mit Autos überhaupt nichts zu tun!)


Assistenzsysteme warnen den Fahrer, wenn Fußgän-
ger auf die Straße gehen, oder dann, wenn er einmal ab-
gelenkt ist und die drohende Kollision nicht sieht . Diese
Systeme wirken . Ich habe gerade in dieser Woche gese-
hen, dass in Japan, wo man auch die Nachrüstung solcher
Systeme unterstützt – das finde ich ganz interessant –,
durch den Einsatz von Assistenzsystemen die Unfallzah-
len um 60 Prozent zurückgegangen sind .


(Stephan Kühn [Dresden] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie ist die Marktdurchdringung dieses Systems in Deutschland?)


Stephan Kühn (Dresden)







(A) (C)



(B) (D)


– Stellen Sie gerne eine Frage .


(Abg . Stephan Kühn [Dresden] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] meldet sich zu einer Zwischenfrage)


– Gerne . – Frau Präsidentin, Sie sind dran, das zu ent-
scheiden . Ich will Ihnen hier nicht die Aufgabe wegneh-
men . Der Kollege würde gern eine Zwischenfrage stel-
len .


Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1815305000

Sie entscheiden natürlich, ob Sie die Zwischenfrage

zulassen . – Bitte .

Stephan Kühn (Dresden) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN):

Könnten Sie vielleicht etwas zur Marktdurchdrin-
gung der Fahrassistenzsysteme in Deutschland sagen?
Wir haben ja Fahrinformationssysteme, also, sage ich
einmal, Entertainmentpakete, die serienmäßig in den
Fahrzeugen sind . Und die Fahrassistenzsysteme, die Sie
ansprechen, sind nur zu einem Aufpreis – in der Regel
reden wir da von Beträgen von 1 000, 2 000 Euro – er-
hältlich . Können Sie sagen, welche Marktdurchdringung
wir bei diesen Systemen haben?


Thomas Jarzombek (CDU):
Rede ID: ID1815305100

Herr Kollege Kühn, wir haben gemeinsam daran ge-

arbeitet, dass eine Reihe dieser Assistenzsysteme eben
nicht mehr aufpreispflichtig sind, sondern inzwischen
zur Standardausstattung gehören . Ich nenne ESP als viel-
leicht eines der wichtigsten Assistenzsysteme, das viele
Unfälle verhindert . Ich glaube, dass viele Systeme, die
heute noch aufpreispflichtig sind, künftig in die Serien-
ausstattung übergehen . So ist die Entwicklung immer
gewesen .

Darüber hinaus, wenn Sie die Frage schon stellen, ist
es sinnvoll, dass wir über die Nachrüstung von älteren
Fahrzeugen diskutieren . Wir reden hier nicht nur über
Neufahrzeuge . Wir sollten darüber diskutieren, ob wir
bei der Nachrüstung älterer Fahrzeuge staatlicherseits
Anreize schaffen sollten .


(Stephan Kühn [Dresden] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Schreiben Sie das in Ihren Antrag!)


– Herr Kollege Kühn, wenn wir alles, was denkbar wäre,
in diesen Antrag geschrieben hätten, dann würden wir Ih-
nen heute ein Kompendium vorlegen .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Da ist die Frage schon, wo die Abgrenzung zwischen
der Regierungs- und der Parlamentsarbeit erfolgt . Ich
glaube, es ist gut, dass wir hier bestimmte Eckpunkte be-
nennen . In unserem Antrag steht klar, dass die Regierung
ein digitales Straßengesetz vorlegen soll . Darüber wer-
den wir gemeinsam beraten und alle Details eines um-
fangreichen Werks diskutieren können .

Ich glaube, die Digitalisierung ist für die Verkehrssi-
cherheit extrem hilfreich . Sie ist auch hilfreich für den

öffentlichen Nahverkehr; das wurde vorhin angespro-
chen . Der öffentliche Nahverkehr hat so viele Kunden
wie nie zuvor . Das liegt vor allem an der Digitalisierung .
Statt nachts ewig auf die Bahn zu warten, kann man mit
der App jetzt sehen, wann sie wirklich kommt, und dann
zielgerichtet zur Haltestelle gehen . Man kann auch se-
hen, ob der Bus, den man nehmen möchte, pünktlich
kommt oder ob er deutliche Verspätung hat . Dann muss
man nicht mehr herumstehen .

Es gibt viele Leute, die die Zeit in der Bahn gerne
dafür nutzen, um möglicherweise mit Facebook, Goo-
gle oder anderen Produkten irgendetwas zu machen . Sie
können das nutzen, und deshalb haben die Bahn und der
Bus an Attraktivität gewonnen . Wir müssen dahin kom-
men, dass auch das Auto mehr von der Digitalisierung
profitiert.

Ich sehe hier meinen Kollegen Andreas Rimkus aus
Düsseldorf . Bei uns in den Städten gibt es kaum ein grö-
ßeres Thema, mit dem Politik konfrontiert wird, als das
Thema Lärmschutz . Wie wollen wir mit Lärm, aber auch
mit Emissionen umgehen? Ich erinnere an die Stickoxide
und das Thema Feinstaub . Wie wollen wir die Werte sen-
ken, wenn Autos mit voller Geschwindigkeit an die Am-
pel heranfahren, bremsen und dann wieder beschleuni-
gen müssen? Das verursacht Emissionen, das verursacht
Lärm, und das verursacht hohe Verbrauchswerte .


(Dr . Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mit vernünftiger Abgasreinigung beschäftigen!)


Deshalb brauchen wir eine Vernetzung von Ver-
kehrsbeeinflussungssystemen, zum Beispiel von Am-
peln, damit ein Auto weiß, wann wo welche Ampelphase
ist, auch wenn man die Ampel vielleicht noch gar nicht
sehen kann, auch wenn die Ampel vielleicht gerade grün
wird, aber das Auto sie nicht erreichen kann . Dann kann
es vielleicht schon auskuppeln oder rekuperieren, wenn
es ein elektrisches Fahrzeug ist, oder es kann eine Ge-
schwindigkeit einstellen, mit der es, möglichst ohne zu
bremsen, durch die Stadt kommen kann . Es ist meine
persönliche Vision und mein Ziel, eine Infrastruktur be-
reitzustellen, die Fahrzeugen ermöglicht, durch die In-
nenstädte zu fahren, ohne bremsen und beschleunigen zu
müssen .

Dafür brauchen wir einen Open-Data-Plan . Deshalb
bin ich dankbar, dass auch der Bundesvorstand der CDU
in der Mainzer Erklärung, in der es hauptsächlich um die
ganz großen Fragen gegangen ist, deutlich gemacht hat:
Wir wollen ein Open-Data-Gesetz . Das brauchen wir
insbesondere, um Innovationen im Verkehrsbereich zu
ermöglichen . Das steht auch im Koalitionsvertrag . Das
gilt im Übrigen auch für den öffentlichen Nahverkehr .
Ich finde, es ist ein Unding, dass Anbieter von Verkehrs-
informationssystemen, von Apps, mit jedem einzelnen
Verkehrsanbieter einzelne Vertragsverhandlungen führen
müssen . Der eine bietet Fahrplanarten an, der andere aber
keine Echtzeitdaten . Es stellt sich auch die Frage, wie
man ein Ticketing-System machen kann . All das müssen
wir gesetzlich vereinheitlichen .

Wir müssen uns auch überlegen, wie wir mehr aus den
Daten, die wir haben, machen . In dieser Hinsicht war das

Thomas Jarzombek






(A) (C)



(B) (D)


Verkehrsministerium verdammt gut . Ich glaube, kein an-
deres Haus war so innovativ, mit der Gründerszene ge-
meinsam ein Hackathon zu machen, bei dem man junge,
innovative Gründer mit den Daten zusammengebracht
und einen Wettbewerb gestartet hat, um herauszufinden,
welche Innovationen daraus entstehen können . Das ist
der richtige Weg . Ich kann die Staatssekretärin nur be-
glückwünschen und ermuntern, diesen Weg weiterzuge-
hen .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ein weiteres Thema sind die Modellregionen . Wir
sehen, wie viel Wirbel aus Marketinggründen gemacht
wird, um zu zeigen, was in Kalifornien alles möglich ist .
Da fahren die Google-Autos, daher kommen die Tes-
la-Autos . Deshalb ist es ebenfalls extrem gut, dass auf
der A 9 das Testfeld für digitales Fahren ermöglicht wur-
de . In unserem Antrag fordern wir zusätzliche Modellre-
gionen, um auch innerstädtische Verkehrssysteme zu er-
proben . Mit UR:BAN gibt es da schon ein gutes Projekt,
und darauf kann man aufsatteln und weitere Modellregi-
onen benennen .

Außerdem müssen wir Geld in die Hand nehmen, um
die Nutzung dieser Daten zu ermöglichen . Dafür gibt
es im Ministerium 100 Millionen Euro im Moderni-
tätsfonds; sie werden dafür auch schon eingesetzt . Das
können wir an dieser Stelle ebenfalls nur begrüßen . Wir
werden die Kommunen dabei unterstützen müssen – das
ist für uns eine Herausforderung –, ihre Verkehrsleitzent-
ralen aufzurüsten . Mit UR:BAN in Düsseldorf, in Kassel
und in Braunschweig hat die Bundesregierung so etwas
gemacht .

Aber es reicht nicht, dass Autohersteller oder auch die
Hersteller von Informationssystemen eine Anbindung
programmieren. Deshalb müssen wir einen Weg finden,
den Kommunen zu ermöglichen, ihre Verkehrsleitzen-
trale auf den gleichen technischen Stand wie in Düssel-
dorf, Kassel und Braunschweig zu bringen . Dabei geht
es um eine Summe von 30 Millionen, 40 Millionen oder
50 Millionen Euro . Das ist nicht einmal so viel, wie eine
Ortsumfahrung kostet . Ich glaube, das muss schon drin
sein, um die Verkehrsleitzentralen zumindest in den 20
größten deutschen Städten zu ertüchtigen .

Darüber hinaus brauchen wir eine Dateninfrastruktur
bei der Schiene . Ich verweise auf ERTMS, also auf ein
Leitungssystem, das autonom fahrende Züge ermöglicht .
Wir müssen auch den öffentlichen Nahverkehr auf die-
sem Gebiet weiter unterstützen . Ich denke hier an ein ge-
meinsames Ticketing-System: Mit einer entsprechenden
App kann man dann nicht nur in Düsseldorf ein Rhein-
bahn-Ticket, sondern auch in Berlin ein BVG-Ticket zie-
hen .

Das alles mündet in unsere Forderung nach einem di-
gitalen Straßengesetz . Dieses digitale Straßengesetz soll-
te noch mehr leisten . Der Kollege Kühn hat die sehr rich-
tige Frage gestellt: Wem gehören eigentlich die Daten?
Im Übrigen ist der Datenschutz ziemlich gut geregelt .


(Daniela Ludwig [CDU/CSU]: Ja!)


Dafür gibt es ein Bundesdatenschutzgesetz . Gerade hat
das Europäische Parlament den Weg für die europäische
Datenschutz-Grundverordnung freigemacht . Darin ist bis
auf das Kleinste geregelt, was mit Daten passieren darf
und was nicht . Im Übrigen kann man auch immer mit den
Datenschützern reden und nach neuen Wegen Ausschau
halten .

Autos mit intelligenten Dämpfern – neue Luxusfahr-
zeuge haben sie schon; sie werden wahrscheinlich bald
in jedem Fahrzeug vorhanden sein – werden bald durch
die Stadt fahren und genau erfassen können, wo wie vie-
le Schlaglöcher sind . Das sind doch Informationen, die
für unsere Bundesverkehrswegeplanung extrem hilfreich
sind . Heute erneuern wir die Straßen erst dann, wenn
sie ein gewisses Alter erreicht haben . Aber wir möchten
doch eigentlich die Straßen erneuern, von denen wir wis-
sen, dass sie besonders bedürftig sind .

Auf unseren Straßen gibt es 40 Millionen Fahrzeuge .
Das sind 40 Millionen potenzielle Sensoren, mit denen
man Straßen vermessen kann . Die so erzeugten Daten
braucht auch unser Staat . Diese Daten müssen natürlich
anonymisiert sein – das unterstreiche ich dreimal –, in
Absprache mit dem Datenschutzbeauftragten . Das ist
ganz wichtig .

Am Ende brauchen wir eben auch eine digitale Struk-
tur im Bereich Breitband . Eins ist klar: Die Fahrzeuge,
die selber fahren, werden viel besser fahren können,
wenn beispielsweise 20 Fahrzeuge synchron und ohne
Verzögerung bremsen können . Vorgestern, am Mittwoch,
haben wir hier im Deutschen Bundestag über das Digi-
Netz-Gesetz diskutiert, das der Bundesminister hier prä-
sentiert hat . Dieses Gesetz ist der richtige Weg, um für
2020 Leitmarkt zu werden für die fünfte Mobilfunkge-
neration, die es als taktiles Internet, als Echtzeitinternet,
ermöglicht, selbstfahrende Fahrzeuge zu steuern . Daher
müssen wir anfangen, in jede Laterne, in jede Ampel, in
jede neue Baumaßnahme Glasfaserkabel zu legen, die für
dieses Internet die Infrastruktur sind .

Das brauchen wir im Übrigen auch im ländlichen
Raum . Ich wünsche mir schon, dass ein selbstfahrendes
Auto, das aus Düsseldorf herausfährt und dann irgendwo
in den Tiefen des Kreises Neuss unterwegs ist, genauso
gut funktioniert wie in unserer wundervollen Metropole .
Für den Breitbandausbau gibt es ein mit 2,7 Milliarden
Euro ausgestattetes Förderprogramm, das genau diese
Entwicklung unterstützt .

Ich glaube, wir haben den richtigen Grundstein gelegt .
Ich habe gemerkt: Bei den Grünen ist noch nicht alles
verloren . Ich freue mich, wenn sie uns begleiten . Jede
gute Idee ist willkommen . Ich freue mich auf die Aus-
schussarbeit .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1815305200

Liebe Kollegen, es sei mir auch an dieser Stelle ein

kleiner Hinweis auf die Uhr am Rednerpult gestattet .
Das Zeichen „Präsident“ heißt nicht, dass man einfach

Thomas Jarzombek






(A) (C)



(B) (D)


weiterreden sollte, sondern es heißt, dass man bitte zum
Ende kommt, und zwar zügig . So viel für alle, die das
noch nicht gewusst haben .

Jetzt hat der nächste Redner das Wort: Herbert Behrens
von der Fraktion Die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Herbert Behrens (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1815305300

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

„Wer kühne Pläne schmieden will, der sollte auch kühn
denken können“, habe ich gedacht, als ich diesen Antrag
las .


(Abg . Stephan Kühn [Dresden] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] hebt den Daumen – Heiterkeit)


Im Weiteren habe ich gemerkt: Dieses kühne Denken ist
auf keiner der 13 Seiten zu finden, obwohl es dieses Den-
ken bräuchte, wenn Sie den Titel wirklich ernst nehmen
wollten .

Gleich vorn heißt es:

Der digitale Wandel ist im Begriff, die Mobilität zu
revolutionieren .

Eine Revolution bedeutet, dass man etwas wirklich
grundlegend verändert, dass man möglicherweise das
Unterste zuoberst kehren muss, weil es verdeckt geblie-
ben ist . Aber im Antrag ist das alles anders . Es werden
lediglich vorhandene oder noch zu entwickelnde, fortzu-
schreibende Technologien angeführt und zu entwickeln-
de Computeranwendungen vorgestellt . Revolutioniert
wird aber gar nichts .

Beispiele: Verkehrstelematik soll die Parkplatzsuche
für Pkw in Städten erleichtern . Automatisiertes Autofah-
ren soll den Menschen als „Risikofaktor Nummer eins“ –
auch das steht im Text – ausschalten . Selbstfahrende
Züge sollen den Lokführer überflüssig machen. Auto-
fahrer sollen gläsern werden – dort, wo es für die Auto-
mobilindustrie von Nutzen ist . Mehr Vernetzung, mehr
Sensorik – das ist zwar auch eine Zukunft der Mobilität,
aber die sollten wir uns wirklich nicht wünschen .


(Beifall bei der LINKEN)


Sie gehen das Thema falsch an . Sie wollen die Zukunft
gestalten, ohne die Gegenwart begriffen zu haben; das ist
mein Eindruck . Wenn Sie den heutigen Stau auf der Au-
tobahn durch elektronische oder digitale Verkehrsbeein-
flussungssysteme lediglich besser managen wollen, dann
haben Sie doch den Stau schon akzeptiert . Das ist ein
grundlegender Fehler .


(Beifall bei der LINKEN)


Wenn Sie Voraussetzungen für automatisiertes Auto-
fahren schaffen wollen, dann müssen Sie doch vorher da-
rüber nachdenken: Warum fahren so viele Menschen mit
dem Auto? Das hat doch möglicherweise etwas damit zu
tun, dass Wohnort und Arbeitsort weit auseinanderliegen
und die Strecke anders kaum überwunden werden kann .
Das hat unter Umständen etwas damit zu tun, dass wir
in den kleineren Städten oder auf den Dörfern nicht jede

halbe Stunde einen Bus oder eine Bahn zur Verfügung
haben, um unsere Wege zurückzulegen . Wir müssen doch
erst sagen, ob wir die gegenwärtige Verkehrssituation so
akzeptieren, wie sie ist,


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


und dann darüber nachdenken, mit welchen Mitteln, die
wir heute möglicherweise noch nicht haben, man zu Ver-
besserungen kommen kann . So wie Sie das angehen, ist
es falsch .


(Beifall bei der LINKEN)


Mit Interesse habe ich das Kapitel „Automatisierung
des Schienenverkehrs“ gelesen . Ihr Ziel ist, Züge künf-
tig ohne Lokomotivführer fahren zu lassen . Das hat we-
nig mit den Mobilitätsinteressen der Menschen zu tun .
Die Bahnkunden im Nahverkehr und im Fernverkehr
wären doch schon sehr zufrieden, wenn sie vernünftige
und garantierte Anschlüsse hätten, wenn sie vernünfti-
ge Auskünfte darüber bekämen, wann man zu welchem
Zeitpunkt wo sein kann, wenn Verspätungen die Ausnah-
me und nicht die Regel wären . An dieser Stelle sollten
neue technische Möglichkeiten, neue technische digitale
Möglichkeiten genutzt werden, um die Sicherheit und
den Komfort zu erhöhen .

Lärmschutz . Schon heute ist es möglich, jedes ein-
zelne Rad eines Wagens im Betrieb zu kontrollieren, um
festzustellen: Gibt es Flachstellen? Gibt es raue Oberflä-
chen? Man kann den Wagen bei der nächsten Möglich-
keit rausziehen und instand setzen, damit der Lärmschutz
gesichert ist . Das ist ein Fortschritt für die Menschen, den
sie heute wollen . Dafür brauchen wir Investitionen und
keine großen Ideen wie die, mit denen hier umgegangen
wird . Wir brauchen das Geld, damit wir zu vernünftigen
Verkehrssystemen kommen . Es bedarf keiner – Zitat –
„sanften Einführung vollautomatischer Systeme“ .


(Beifall bei der LINKEN)


Sie liefern keine Vorschläge dazu, wie mit den techni-
schen Möglichkeiten schon im Hier und Jetzt handfeste
Probleme im Verkehrssektor beseitigt werden können .
Stattdessen gibt es ein Sammelsurium von Ideen ohne
wirkliche Perspektive . „Wo lassen sich per Computeri-
sierung und Vernetzung menschliche Entscheidungen
und der Mensch selbst überflüssig machen?“, das ist der
Kern Ihres Antrags, den wir nicht teilen .


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Die Autoren dieses Antrags haben ihrer Fantasie wirklich
freien Lauf gelassen – das ist nachzulesen –, aber sie ha-
ben sich nicht an der schnöden Gegenwart abgearbeitet,
und das geht nicht .

Sie beschreiben hier eine wahre Megamaschine, mit
der Probleme gelöst werden sollen, die mancher gar nicht
hat . Das ist altes Denken, und mit dem werden wir den
neuen Herausforderungen überhaupt nicht gerecht .


(Beifall bei der LINKEN)


Wir stehen vor der Aufgabe, Verkehrssysteme zu schaf-
fen, die für die Menschen einfach zu benutzen sind, die
sie sicher und bequem an ihren Wohnort bringen .

Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn






(A) (C)



(B) (D)


Einzig im Kapitel „Automatisierung in der Logis-
tik“ – ich komme zum Schluss – sind ansatzweise sinn-
volle Vorschläge zu finden, etwa die Forderung nach ei-
nem elektronischen Frachtbrief und nach verpflichtender
Einführung eines Toter-Winkel-Assistenten für Lkw, um
Unfälle beim Abbiegen zu verhindern .

Der Antrag vermittelt:

Erstens . Die Probleme sollen alle mit Technik lösbar
sein .

Zweitens . Der Mensch als Stör- und Risikofaktor
muss weitgehend ersetzt werden .

Das ist mit der Linken nicht zu machen . Ziehen Sie
deshalb Ihren Antrag zurück,


(Maik Beermann [CDU/CSU]: Niemals! – Arno Klare [SPD]: Wir denken darüber nach!)


um die wirklichen Probleme erkennen zu können und die
Instrumente zu finden, die wir brauchen, um das zu än-
dern .

Danke schön .


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1815305400

Vielen Dank . – Als nächster Redner hat Andreas

Rimkus von der SPD-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Andreas Rimkus (SPD):
Rede ID: ID1815305500

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herbert
Behrens, ich finde, dass man sich nicht nur über intel-
ligente Mobilität unterhalten kann, indem man sich ge-
genseitig vorwirft, was nicht in einem Antrag drinsteht,
sondern auch, indem man vielleicht einmal den Blick da-
rauf wirft, was gemacht werden muss, um den Menschen
eine gute Mobilität zu geben . Darum geht es doch am
Ende; denn es ist in der Tat so, dass die Automatisierung
und die Vernetzung der Verkehrssysteme zunehmen . Ich
bin sehr dankbar für die lokalen Bezüge, lieber Thomas
Jarzombek, weil Düsseldorf ein gutes Beispiel für die-
se Vernetzung in urbanen Räumen darstellt . Auch Arno
Klare hat darauf hingewiesen .

Zur Frage: Wann ist etwas entstanden? Ich weiß nicht,
ob Sie es wissen: Es war der Franzose Gabriel Voisin, der
ein System entwickelte, um bei landenden Flugzeugen
das Blockieren der Räder zu verhindern . Das war im Jahr
1920 . Das war die eigentliche Geburtsstunde des ABS .
Es war das erste Fahrassistenzsystem oder Sicherheits-
system, das serienmäßig in einem Fahrzeug eingebaut
wurde .


(Daniela Ludwig [CDU/CSU]: Genau!)


Seit 2004 ist es übrigens europäischer Standard . Insofern
brauchen die Dinge ihre Zeit . Aber manchmal ist der
Fortschritt dann auch sehr klar und deutlich und hilft uns,
die Sicherheit voranzustellen .

Mittlerweile sind wir fast hundert Jahre weiter . Wir re-
den über teil-, hoch- oder vollautomatisiertes Fahren . Die
Vision eines selbstfahrenden Autos liegt nicht mehr in ei-
ner irren Zukunft, sondern sie stellt ein realistisches Sze-
nario dar . Mit der Teststecke auf der A 9 ist die Bundes-
regierung einen ersten Schritt gegangen . Doch werden
wir in Zukunft den Blick auch von der Autobahn auf die
Landstraße und dann natürlich auf die Königsdisziplin,
den urbanen Verkehr, richten müssen . Auch das haben
wir im Antrag deutlich gemacht und damit die Forderung
nach weiteren Teststrecken verbunden .

Doch vergessen wir nicht, dass die Innovationen nicht
nur den Straßenverkehr berühren . Es ist schon gesagt
worden: In Nürnberg fahren vollautomatische Schienen-
bahnen . Dadurch konnte nicht nur die Taktzeit halbiert,
sondern auch der Energieverbrauch um fast 15 Prozent
gesenkt werden. Auch an Flughäfen finden wir bereits
fahrerlose Bahnen, die die Terminals miteinander verbin-
den . Diese Beispiele zeigen doch sehr deutlich, wie ich
finde, dass besonders der Schienenverkehr einen Innova-
tionsmotor für diesen Bereich darstellt .

Mit dem Fortschritt dieser Technologie müssen sich
aber auch die politischen Rahmenbedingungen ändern .
Die von uns formulierten Forderungen tragen auf der
einen Seite der Stärkung der Innovationskraft der deut-
schen Wirtschaft, auf der anderen Seite aber auch dem
Schutz der Nutzer Rechnung . Es war uns ein wichtiges
Anliegen, den im Koalitionsvertrag verankerten Grund-
satz noch einmal deutlich zu machen, dass personenbe-
zogene Daten nur mit Zustimmung der Betroffenen und
auf der Grundlage bestehender gesetzlicher Rahmenbe-
dingungen erhoben werden dürfen .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Bei aller Euphorie darüber, dass unser Alltag durch
eine gute Vernetzung deutlich erleichtert werden kann,
dürfen wir die Persönlichkeitsrechte der Menschen und
ihr Recht auf Privatsphäre nicht aus dem Blick verlieren .
Freiheit und Selbstbestimmung sollten für uns auch hier
immer an erster Stelle stehen . Es gibt auch Haftungsfra-
gen, die noch nicht abschließend geklärt sind: Wer haftet
bei einem Unfall? Wie lässt sich das bei unterschiedli-
chen Automatisierungsgraden überhaupt rechtlich re-
geln?

Liebe Kolleginnen und Kollegen, um die Weichen für
automatisiertes Fahren zu stellen, brauchen wir nicht nur
Klarheit in den Worten und einen gesetzlichen Rahmen
bei Datenschutz- und Haftungsfragen, sondern natürlich
auch einen Fortschritt beim Aufbau der digitalen Infra-
struktur . Es wäre fatal, den Blick auf die einzelnen Berei-
che zu richten, ohne das große Ganze zu betrachten . Na-
türlich wird es keine Automatisierung ohne ausreichende
Breitbandinfrastruktur geben, und auch die ökologischen
Vorteile automatisierter Verkehrsflüsse gehen parallel zur
Integration elektrisch betriebener Mobilität .

So ist, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, die
Einbeziehung intelligenter Stromnetze, Smart Grids,
eine Kernaufgabe intelligent organisierter Mobilität . Bei
der Integration dieser Smart Grids ist die Elektromobi-
lität, zu der sich die SPD-Fraktion in dieser Woche klar
positioniert hat, ein wichtiger Baustein . Der Blick auf

Herbert Behrens






(A) (C)



(B) (D)


das Gesamtsystem lohnt sich . Die Automatisierung auf
der einen und die Elektrifizierung auf der anderen Seite
gehen so Hand in Hand . So kann die Automatisierung
helfen, Reichweitenvorhersagen zu machen, die Nutzung
gemanagter Flotten und Carsharing-Dienste zu verbes-
sern . Automatisierte Funktionen können so den Nutzwert
und die Attraktivität von Elektrofahrzeugen erhöhen . So
trägt die Elektromobilität zur Energiewende im Verkehr
bei, aber gleichzeitig helfen auch die automatisierten
Verkehrsflüsse, diese Wende zu schaffen: Staus werden
reduziert und Fahrweisen effizienter.

Dazu gehört natürlich auch Vision Zero . Wir wollen,
dass wir möglichst wenig – am besten auf null gesetzt –
Tote und Schwerverletzte im Verkehr haben . Da helfen
uns telematische Innovationen natürlich besonders .


(Beifall bei der SPD)


Auch aus der ursprünglichen Idee von Voisin, mit der
Stotterbremse Flugzeuge sicher zu landen, ist doch am
Ende etwas entstanden – das ist vollkommen klar –, was
Leben schützt und Unfälle verhütet .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es wird sicher noch
einige Zeit in der Zukunft liegen, bis wir wirklich vollau-
tomatisiert fahren. Aber ich finde, wenn wir – da sollten
wir weniger Bedenken haben – die Fragen, über die wir
demnächst debattieren werden, in den Vordergrund stel-
len – Datenschutz, Cybersicherheit –, dann wird einiges
gelingen . Vielleicht klinge ich wie ein verrückter Profes-
sor, ich sage Ihnen aber eins: Wer Pionierarbeit leistet,
muss auch das Unbekannte wagen . Deshalb freue ich
mich auf die gemeinsame Arbeit .

Ich wünsche Ihnen einen schönen Freitag, ein schönes
Wochenende . Bis bald!


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1815305600

Vielen Dank . – Als nächste Rednerin hat Dr . Valerie

Wilms von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das
Wort .


Dr. Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1815305700

Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!

Meine Damen und Herren an den Fernsehern,


(Arno Klare [SPD]: Was?)


auf der Tribüne! Toll, dass Sie sich dieser Debatte wid-
men .

Bei dem Antrag stellt sich mir eine grundlegende Fra-
ge: Was will uns diese Große Koalition eigentlich damit
sagen?


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Fragen Sie sie doch einmal!)


Der Text hat jedenfalls recht wenig mit dem zu tun, was
uns ihr Noch-Verkehrsminister quasi täglich präsentiert .
Seine Politik ist weder intelligent, noch fördert sie die
Mobilität .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Jahrelang hat er uns mit seinem mehr als dummen Bier-
tischvorschlag CSU-Maut beschäftigt . Das Ding ist tot –
schon lange –, aber er reitet den Gaul einfach weiter .


(Zuruf von der CDU/CSU: Totgesagte leben länger!)


Bei den wirklich wichtigen Aufgaben liefert er dagegen
nichts Neues .

Zu Carsharing, werte Parlamentarische Staatssekre-
tärin – da hilft es nicht, in einer App zu tippen –, finde
ich noch keine neuen Entwürfe . Wir wollten hier eigent-
lich einen Gesetzentwurf haben . Ein Gesetzentwurf ist
irgendwann auch einmal sozusagen in Blei gesetzt, von
mir aus auch digital, aber er muss einmal da sein . Und wo
ist er? Nichts . Er kommt nicht . Dabei bräuchten wir das .

Die Elektromobilität, sozusagen Ihr Leitmarkt – ich
frage mich, ob das mit t oder d geschrieben wird, wahr-
scheinlich mehr mit d –, dümpelt so vor sich hin .


(Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: So wie man es spricht, wird es geschrieben! – Daniela Ludwig [CDU/CSU]: Fasching steht vor der Tür!)


Volkswagen wird trotz aller Betrügereien mit Samt-
handschuhen angefasst . Beim kombinierten Verkehr,
werte Parlamentarische Staatssekretärin – das ist ja Ihr
unmittelbarer Aufgabenbereich; irgendwie kann ich mich
daran erinnern, dass wir einmal auf einem Podium geses-
sen haben,


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Ehrlich?)


wo Sie als Logistikbeauftragte der Bundesregierung da-
bei waren –, hat Ihnen sogar der Finanzminister das Heft
aus der Hand genommen, weil die Mittel liegen bleiben .

Und der Bundesverkehrswegeplan als zentrale Aufga-
be in dieser Wahlperiode wird immer weiter verzögert
und gerät in die künftige Wahlkampfschlacht .


(Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau! Und die endet erst am Wahlsonntag um 18 Uhr!)


Da kann ich nur sagen: Das Fahren mit Autopilot wäre
wirklich besser, als den Geisterfahrer Dobrindt weiter am
Steuer zu lassen .


(Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, aus dem Antrag lese
ich ein gehöriges Stück Verzweiflung über den eigenen
Minister .


(Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo ist er überhaupt?)


Er kann so viel Geld ausgeben wie kein anderer Ver-
kehrsminister vor ihm . Dazu wurde ihm sogar noch die
Zuständigkeit für Digitales gegeben . Und jetzt? Nichts

Andreas Rimkus






(A) (C)



(B) (D)


macht er daraus . Er verhakt sich in der Maut von vorges-
tern und redet weiter wie ein Generalsekretär .


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Aber den Angriff nehmen Sie zurück! Das ist eine Beleidigung!)


Da kann ich nur sagen: Ein bisschen Grünen-Bashing,
welches wir ja immer wieder von ihm hören – auch von
Ihnen, Herr Kauder, kommt manchmal nichts anderes –,
kann Unfähigkeit auch nicht übertünchen . Es zeigt nur,
dass die Ideen in dieser GroKo fehlen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Das mit dem Generalsekretär nehmen Sie zurück!)


Das Einzige, was der Minister sehr schnell gelernt hat,
ist die Beglückung bayerischer Wahlkreise .


(Widerspruch bei der CDU/CSU – Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ist es! Genau so ist es!)


Man muss sich das mal auf der Zunge zergehen las-
sen: Der Minister schafft es nicht, Millionenbeträge für
Schienen und Wasserstraßen auszugeben . Und wo landet
das Geld? Zu über einem Drittel in fragwürdigen bayeri-
schen Umgehungsstraßen .


(Heiterkeit bei Abgeordneten der LINKEN)


Da frage ich mich wirklich, wie lange sich diese Koaliti-
on das noch von der CSU-Minderheit bieten lässt .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, intelligente Mobili-
tät – das klingt ja schön und gut . Leider fehlen die Grund-
lagen dazu . Es wäre schon ein großer Schritt, wenn man
Bus und Bahn ohne große Probleme einfach so nutzen
könnte . Werter Kollege Jarzombek, Sie sprachen vom di-
gitalen Straßengesetz . Kümmern Sie sich erst einmal um
das Analoge,


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Thomas Jarzombek [CDU/CSU]: Sie haben mir nicht zugehört!)


also darum, dass die Schlaglochpisten beseitigt werden,
dass wir keine gesperrten Brücken haben, dass es mittler-
weile ja ganze Gegenden gibt, in denen nur noch Schüler
mit dem Bus fahren können, dass wir kein durchgängiges
funktionierendes Ticketsystem für Bus und Bahn haben,
und vor allem darum, dass wir eine überteuerte Bahn ha-
ben, die zu spät oder gar nicht mehr kommt . Das sind
die Fakten . Da brauchen wir kein digitales Straßengesetz .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Statt sich also um handfeste Probleme zu kümmern,
schreiben Sie lieber wenig ambitionierte Schaufenster-
anträge .

Aber schauen wir doch einmal in die Details . Auch
da bleibt vieles fragwürdig . Der Minister hat ein neues
Spielzeug entdeckt: Sein digitales Testfeld Autobahn –
das natürlich in Bayern liegen muss . Ich bin gespannt,
was dabei herauskommt und ob der Test nicht längst von

innovativen Unternehmen überholt wird . Man kann ja
bereits Fahrzeuge kaufen, die quasi von allein fahren .


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Wo?)


Dazu braucht es keinen Spezial-Audi mit Minister drin .
Nutzen Sie einfach mal den Autopiloten von Tesla – der
funktioniert .


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Der fährt aber nicht allein!)


Wenn es dem Minister nicht nur um ein paar schö-
ne Bilder und weitere Millionen für sein Bayern gehen
würde, dann müsste er sich ernsthaft um den Datenschutz
kümmern . Da kommt wirklich eine Aufgabe auf die Po-
litik zu . Das wäre politisches Kerngeschäft . Hier gibt es
nämlich einen ganz klaren Grundkonflikt: Daten sind das
Kapital der Zukunft; die größten Konzerne der Welt ma-
chen ihr Geld damit . – Hierfür müssen wir den Rahmen
setzen . Wir müssen dafür sorgen, dass Nutzer jederzeit
„Stopp!“ sagen können . Das fehlt nämlich derzeit . Nut-
zer müssen bestimmen können, was sie in welchem Um-
fang nutzen wollen .

Also: Bleiben Sie nicht nur bei Ihren Floskeln – Herr
Jarzombek, da helfen auch 13 Seiten Papier nicht –, son-
dern machen Sie genau das, was wir brauchen . Geben
Sie also dieser Bundesregierung, die Sie ja tragen, einen
klaren Auftrag, sich endlich mal um die wichtige Kern-
aufgabe Datenschutz zu kümmern . Da gehen Sie mal ran!
Wenn Sie das machen wollen, dann kriegen Sie sicherlich
unsere Unterstützung, aber nicht für das Ding, das Sie da
auf 13 Seiten verewigt haben . Diese Beweihräucherung
tragen wir nicht mit .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1815305800

Als nächster Redner hat Steffen Bilger von der CDU/

CSU-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Steffen Bilger (CDU):
Rede ID: ID1815305900

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Eigentlich haben die Redner von der Koalition bereits
erklärt, worum es uns in diesem Antrag geht, liebe Frau
Wilms . Ich will aber trotzdem noch einmal einen Versuch
starten und dabei insbesondere fünf Bereiche ansprechen .

Zum einen: Die Umwelt- und Klimabelastung muss
reduziert werden . Als Frage formuliert: Womit bewegen
wir uns in Zukunft nachhaltig bzw. effizienter voran?

Zweitens . Die Zukunft der Automobilindustrie in
Deutschland beschäftigt uns alle . Hier geht es schließlich
auch um Arbeitsplätze . Der VW-Skandal stellt sicherlich
ein enormes Risiko für die deutsche Wirtschaft dar . Wir
können aber – wir haben verschiedentlich im Bundestag
schon darüber diskutiert – auch eine Chance in dieser
Krise sehen .

Drittens . Der Verkehrslärm stört die Menschen zuneh-
mend . Wie können wir Lärm und andere Belastungen
durch Fahrzeuge unterbinden und die Betroffenen besser

Dr. Valerie Wilms






(A) (C)



(B) (D)


schützen, um die Akzeptanz gegenüber der Infrastruktur
weiter zu erhalten?

Viertens . In Zeiten knapper Kassen und zunehmender
Verkehrsströme stellt sich die Frage: Wie können wir
weiter Infrastruktur bereitstellen und finanzieren bzw.
die bereits vorhandene Infrastruktur effizienter nutzen,
und wie kann dabei Mobilität für alle bezahlbar bleiben?

Und schließlich – wir haben immer noch zu viele
Verkehrstote und -verletzte –: Wie kann es insgesamt ge-
lingen, zu erreichen, dass es deutlich weniger Opfer im
Straßenverkehr gibt?

Wer unseren Antrag liest, meine Damen und Herren,
stellt fest, dass wir auf viele dieser Fragen schon Antwor-
ten haben . Die Digitalisierung des gesamten Verkehrs
bietet viele Vorteile für unsere Mobilität . Deshalb muss
sie nun konsequent vorangetrieben werden . Deswegen ist
es auch richtig, dass Alexander Dobrindt als Minister für
Verkehr und digitale Infrastruktur diese beiden so stark
zusammenhängenden Themen mit seiner Staatssekretä-
rin Dorothee Bär engagiert voranbringt .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Auf meine erste Frage, auf die Frage nach der Nach-
haltigkeit, heißt die Antwort erst einmal: Elektromobili-
tät – von elektrisch betriebenen Zügen über Elektroautos
bis hin zu – das ist nur langfristig erreichbar – Flugzeu-
gen, Schiffen und Lastwagen, die mit Wasserstoff und
E-Motor angetrieben werden . So wird nach allem, was
wir heute wissen, die Zukunft aussehen .

Die Digitalisierung der Mobilitätsmittel hat großes
Effizienzpotenzial. Aber wir brauchen zusätzlich eine
Umstellung auf Antriebsarten, die nicht nur umwelt- und
klimaschonend, sondern auch verträglich sind . Da drängt
sich derzeit vor allem der Gedanke an nachhaltig herge-
stellten Strom auf . Bis 2050 wollen wir in Deutschland ja
zu 80 Prozent regenerativ erzeugten Strom nutzen . Elek-
tromobilität und Digitalisierung sind somit zwei Seiten
einer Medaille . Denn obwohl regenerativ gewonnener
Strom nachhaltig ist, ist der beste Strom schließlich der-
jenige, der gar nicht erst erzeugt werden muss . Da kommt
die Digitalisierung ins Spiel . Nur mit ihr erhalten wir die
Effizienzsteigerungen, die wir zusätzlich benötigen.

Aber, meine Damen und Herren, auch von mir noch
ein Satz zur Elektromobilität . Wir alle haben mitbekom-
men, dass die zuständigen Ministerien zurzeit intensiv an
einer Einigung über sinnvolle Fördermaßnahmen arbei-
ten .


(Stephan Kühn [Dresden] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Na ja!)


Ich will auch deutlich sagen: Jetzt muss endlich der
Durchbruch kommen . Wir benötigen jetzt die nötigen
Fördermaßnahmen, um der Elektromobilität in Deutsch-
land zum Durchbruch zu verhelfen! Als Bundestag gehen
wir mit gutem Beispiel voran . Ich freue mich sehr, dass
der Ältestenrat, wie uns der Bundestagspräsident gestern
mitgeteilt hat, nun beschlossen hat, unseren Fahrdienst

teilweise auf Elektroautos umzustellen . Vielen Dank al-
len, die sich dafür eingesetzt haben!


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Volker Kauder [CDU/ CSU]: E-Bikes!)


Zurück zur Digitalisierung . Warum sorgt sie für ein
deutliches Mehr an Effizienz, und zwar nicht nur beim
Energieverbrauch, sondern ebenfalls bei der Infrastruk-
turnutzung, beim Lärmschutz und bei der Verkehrssi-
cherheit? Digital vernetzte Verkehrsteilnehmer kommu-
nizieren sowohl mit anderen Verkehrsteilnehmern als
auch mit der Infrastruktur . Darin ist die Chance, um die
es uns geht, zu sehen . Ein Anfang ist bereits auf vielen
Bundesfernstraßen gemacht und da auch zu sehen . Wir
alle kennen die Telematikanlagen, die Stau und zähflie-
ßenden Verkehr erkennen können und durch neue Ge-
schwindigkeitsvorgaben den Verkehr besser steuern . In
Zukunft werden Autos wissen, wer noch auf der Straße
ist und wie schnell sich derjenige bewegt . Dadurch kann
die eigene Geschwindigkeit angepasst werden, können
Bremsvorgänge bei Staus hinter einer Kurve eingeleitet
werden und vieles andere mehr . Denkbar ist sogar, dass
Fußgänger und Radfahrer mit Fahrzeugen kommunizie-
ren und dadurch erkannt werden . Wir denken also durch-
aus auch an Fußgänger und Radfahrer . Weniger Staus
und Unfälle bedeuten nebenbei auch weniger Umweltbe-
lastungen und weniger Lärm .

Was auf der Straße nützt, ist in der Logistik, im Schie-
nen-, Luft- und Seeverkehr ebenfalls sinnvoll . Auch hier
schlummern Effizienzsteigerungen im Interesse aller
durch Digitalisierung .

Wie schon gesagt: Wir bewegen uns Schritt für Schritt
voran . Teildigitalisierungen sind bereits Standard . Für
Pkw sind automatisierte Vorgänge bei Automobilanbie-
tern im Angebot; über GPS-gestützte Navigationsgeräte
wird schon jetzt frühzeitig über Staus informiert und es
werden Ausweichrouten angeboten . In der Regel werden
solche Fortschritte zunächst in der Oberklasse angebo-
ten; aber wir sehen ja, dass mittlerweile alle von diesen
Angeboten profitieren können. So gut wie jeder nutzt
heute Navigationssysteme . Das zeigt, dass wir jetzt einen
richtigen Schritt unternehmen, indem wir unterstützen,
dass diese Technologien in Deutschland eingeführt wer-
den .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Trotzdem ist der Weg bis zum autonomen Auto auch
bei uns natürlich noch weit . Damit es überhaupt so weit
kommt, müssen zuerst die Weichen richtig gestellt wer-
den . Wir brauchen eine Vielzahl an kleinen und großen
Maßnahmen, um unsere Ziele zu erreichen .

Eines der großen Projekte liegt mir dabei besonders
am Herzen, und deswegen will ich es hier bewusst an-
sprechen: Galileo ist so eine große Maßnahme . Innerhalb
Europas treiben wir ein eigenes Satellitensystem voran,
mit dem wir haargenaue Ortsbestimmungen vornehmen
können . Außerdem sind wir damit vom US-amerikani-
schen GPS unabhängig . Trotz aller Rückschläge kom-
men wir bei Galileo voran .

Steffen Bilger






(A) (C)



(B) (D)


Ein weiteres großes Projekt ist die Änderung des Wie-
ner Übereinkommens über den Straßenverkehr von 1968 .
Unser Anpassungsvorschlag von 2014 muss nun von den
Mitgliedern angenommen werden . Nur so ist autonomes
Fahren letztendlich rechtlich auch erlaubt .

Neben Antworten auf weitere rechtliche Fragen brau-
chen wir aber auch noch viele Antworten auf technische
Fragen . Wir kennen sie noch nicht, müssen aber bereits
jetzt vorausdenken . Denn Verkehr in Deutschland hat
eine enorme Bedeutung für Industrie und Arbeitsplätze .
Wir sind Logistikmeister, Autobauerland, einer der gro-
ßen Flugzeughersteller und Schiffbauer . Genau deshalb
ist es unser Ziel, Leitmarkt und Leitanbieter zu sein . Wer
hierzulande sieht, was möglich ist, wird unsere Produk-
te kaufen . Von daher brauchen wir ebenfalls wie bei der
Elektromobilität die schon angesprochenen Modellregi-
onen, wo der digitalisiert-vernetzte Verkehr greifbar und
erprobt wird .

Wir haben bereits das bayerische digitale Testfeld A 9 .
In unserem Antrag fordern wir, dass auch andere Modell-
regionen initiiert werden . Für ein Modell zum Beispiel
mit Straßen unterhalb der Autobahn würde sich aus mei-
ner Sicht vielleicht auch eine Region etwas weiter west-
lich anbieten .


(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich glaube, unser Fraktionsvorsitzender hat auch schon
einen Vorschlag dazu gemacht . Ich bin jedenfalls gerne
bereit, bei der Suche zu helfen .


(Sebastian Hartmann [SPD]: Nordrhein-Westfalen!)


Nur wenn wir beim Standard-Setzen ganz vorne sind,
wird unser Standard sich durchsetzen . Das gilt auch für
Datenschutz und Datensicherheit; das wurde ja schon von
vielen Rednern angesprochen . Unternehmen im Markt
der Mobilität der Zukunft haben natürlich eigene Inte-
ressen, ganz klar . Das ist genauso wenig verboten, wie
man den Unternehmen verbieten kann, Profit zu machen.
Diese Interessen richten sich vor allem auf Daten . Unser
Antrag setzt die richtigen Akzente und weist meines Er-
achtens den gangbaren Weg zwischen dem Datenschutz-
bedürfnis der Europäer und der durchaus verständlichen
Notwendigkeit für Unternehmen, Daten zu erheben .
Deswegen will ich Ihnen noch einmal vortragen, was wir
ganz konkret in unserem Antrag festhalten:

Der Fahrer … sollte selbst entscheiden dürfen, wer
Zugriff auf seine personenbezogenen Daten hat .
Deshalb bedarf das Auslesen bzw . Übermitteln die-
ser Daten aus dem Fahrzeug einer Erlaubnis . Die
„Aktivierung/Deaktivierung“ der Datenübermitt-
lung muss jederzeit möglich und einfach auszufüh-
ren sein .

Damit, meine Damen und Herren, stellen wir sicher, dass
der Bürger die Hoheit über seine Daten behält .

Uns sind all die Bedenken, die der intelligenten Mo-
bilität entgegengebracht werden, bestens bekannt . Vor-
hin haben wir gehört, die Digitalisierung des Verkehrs
würde nicht zur Effizienz beitragen, weil der sogenannte
Rebound-Effekt nur dazu führen würde, dass dadurch

mehr Verkehr entstünde . Ja, grundsätzlich gibt es diesen
Effekt, und ja, wir können nicht ausschließen, dass durch
weniger Stau mehr Menschen ihr Mobilitätsverhalten
zulasten des Individualverkehrs ändern . Andererseits
zeigen solche Kommentare doch auch wieder, wie wenig
verstanden wurde .

Nachhaltige individuelle Mobilität ist doch zunächst
einmal nichts Schlechtes . Das prognostizierte Wachstum
der nächsten Jahre und Jahrzehnte im Verkehr müssen
wir eben nachhaltig gestalten und nicht durch Fahrverbo-
te oder Ähnliches zu verhindern suchen .

Mit dem vorliegenden Antrag zum bedeutendsten Ver-
kehrsthema der absehbaren Zukunft zeigt diese Koaliti-
on, dass wir Antworten auf die dringenden und wichtigen
Fragen haben . Ich freue mich auf die Diskussion mit Ih-
nen und bitte schon jetzt um Ihre Unterstützung .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1815306000

Als nächster Redner in der Debatte spricht Sebastian

Hartmann von der SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Sebastian Hartmann (SPD):
Rede ID: ID1815306100

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten

Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Es ist ja nun nicht so, dass es fraglich ist, ob die Digita-
lisierung und damit auch der digitale Wandel stattfinden
oder nicht. Er findet statt. Jetzt kommt es darauf an, ihn
so zu gestalten, dass wir die Vorteile durch diese Verän-
derung, die sehr viele von uns in ihrer Lebensumwelt,
auch in der Wirtschaft – das Stichwort „Industrie 4 .0“ sei
genannt – erleben, nutzen . Deswegen kann man es sich
nicht so einfach machen wie Teile der Opposition, näm-
lich einfach die Entwicklung zu negieren bzw . so zu tun,
als ob keine Veränderung stattfindet. Das ist aber auch
der Hauptunterschied zwischen Ihnen und mir .

Ich bin ein progressiver Sozialdemokrat .


(Stephan Kühn [Dresden] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die gibt es noch? – Dr . Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: „Progressiv“ und „Sozialdemokrat“, das schließt sich eigentlich aus!)


Für mich bedeuten Veränderungen in der Zukunft auch
Verbesserungen . Die Zukunft kann besser sein als die
Vergangenheit . Aber es kommt darauf an, den Wandel
zu gestalten . Das tut die Große Koalition, indem sie in
ihrem Antrag ganz klar definiert, welche Handlungsfel-
der es gibt und welche Maßnahmen wir jetzt ergreifen
müssen, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen
und Kollegen .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Derjenige, der behauptet, dass in diesem Antrag nichts
Konkretes steht und keine Handlungsfelder benannt sind,

Steffen Bilger






(A) (C)



(B) (D)


hat ihn wahrscheinlich nicht gelesen oder will es nicht
wahrhaben . Wir müssen uns aber jetzt auf den Weg ma-
chen, um auch die Chancen der intelligenten Mobilität zu
ergreifen . Wem es zu umständlich ist, 13 Seiten zu lesen,
dem kann man es etwas einfacher machen:

Erstens . Wir brauchen als Grundlage digitale Infra-
strukturen und damit die entsprechende Netzinfrastruk-
tur .

Zweitens . Wir brauchen verkehrsübergreifende Struk-
turen, was Smart-Data-Nutzung angeht . Sie müssen qua-
litätsorientiert und interoperabel sein . Es darf nicht mehr
darauf ankommen, wo diese Daten entstehen .

Erst auf dieser Basis werden intelligente Mobilitäts-
dienste entstehen . Die Große Koalition fängt dabei nicht
bei null an . Wir haben nun einfach das, was im parla-
mentarischen Raum debattiert wird, in einem Antrag zu-
sammengefasst, und bauen auch auf dem auf, was zum
Beispiel auf nationalen IT-Gipfeln entwickelt worden ist,
auch in Zusammenarbeit mit der Wirtschaft; denn das
kann man mit der Wirtschaft machen, aber nicht gegen
die Wirtschaft, meine Damen und Herren, liebe Kolle-
ginnen und Kollegen .


(Daniela Ludwig [CDU/CSU]: So ist es!)


Wir werden die entsprechenden Rahmenbedingun-
gen gestalten . Beide Bereiche stellen große Herausfor-
derungen dar, und wir werden uns anstrengen müssen .
Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel hat das vor
einigen Tagen sehr prägnant beschrieben: Wir werden in
den nächsten zehn Jahren Investitionen von 600 Milliar-
den Euro brauchen . Er hat im Zusammenhang mit seinem
Modernisierungspakt für Deutschland gesagt, dass allein
100 Milliarden Euro für die intelligente Netzstruktur zur
Verfügung gestellt werden müssen . Das sind ambitio-
nierte Ziele; aber wer möchte, dass wir mehr als 1,7 Pro-
zent Wachstum und mehr als die heute 43,3 Millionen
Erwerbstätigen haben, der muss jetzt investieren, damit
Deutschland vorne bleibt .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg . Andreas Rimkus [SPD])


Die intelligente Mobilität ist zentral dafür; denn ein
moderner Industriestaat, in dem Güter produziert wer-
den, muss auch für einen effizienten Transport sorgen.
„Güter“ und „Logistik“ sind als Stichworte in diesem Zu-
sammenhang zu nennen . Wir haben das Handlungsfeld
klar benannt . Ich sage deswegen: Wer 50 Mbit/s als Zwi-
schenziel ansieht, will in Wirklichkeit 500 Mbit/s . Wenn
man eine weitere 5 ergänzen möchte, kann man sagen:
Wir brauchen auch den 5G-Standard . Auch er wird in un-
serem Antrag als Ziel benannt, nämlich im Handlungs-
feld unter Buchstabe d .

Aber man darf Technik nicht allein als technische
Maßnahme begreifen . Es gibt vielmehr noch ein zwei-
tes Feld, in dem wir als Staat ebenfalls handeln können,
indem wir nicht nur Investitionen anreizen, sowohl der
öffentlichen Hand als auch privater Investoren – auch
andere Akteure als die öffentliche Hand müssen sich en-
gagieren; die Markteilnehmer müssen sich einbringen –,
sondern wir als Staat auch die Verantwortung wahrneh-
men, die entsprechenden Rahmenbedingungen zu schaf-

fen . Dafür haben wir der Regierung ganz klar Unter-
stützung signalisiert bei dem Vorhaben, internationales
Recht anzupassen und einen europaweit einheitlichen
Rahmen zu schaffen . Es wird nicht nur darum gehen, in
Deutschland die besten Rahmenbedingungen zu haben .
Wir wollen Leitmarkt sein und damit Standards definie-
ren, liebe Kolleginnen und Kollegen, damit die Akteure
in der Wirtschaft die Chance haben, ihre Produkte in ei-
nem freien Binnenmarkt, in einem freien Europa und des
Weiteren auf der ganzen Welt anzubieten .

Wir werden auch dafür sorgen müssen, dass es für na-
tionale Anbieter entsprechende Schutzstandards gegen-
über außereuropäischen Mitbewerbern gibt . Auch dafür
müssen wir den Rahmen schaffen . Das ist ein weiterer
Aspekt, den wir als Staat beim Setzen der Rahmenbedin-
gungen beachten müssen .

Ich sehe, dass die Zeit abläuft; das ist digital nachge-
wiesen .


(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU – Dr . Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Zeit ist abgelaufen für die Große Koalition!)


Deswegen möchte ich zum Schluss kommen und zusam-
menfassend sagen: Wer behauptet, dass es keinen klaren
Forderungsteil gibt, der hat den Antrag nicht gelesen .
Das Digitale-Straßen-Gesetz ist angesprochen worden;
das haben wir benannt . Wir haben hinsichtlich der in-
ternationalen Verhandlungen klare Wegmarken für die
Regierung benannt . Ferner haben wir – diesen Punkt
möchte ich herausstellen – die Standardisierung und die
offenen Schnittstellen als zentrale Herausforderungen
benannt, wenn wir Datensätze entsprechend verfügbar
machen wollen .

Ich will eines nicht verkennen – die TU Dresden hat
das in ihrer Studie, die für das Wirtschaftsministerium
unter Sigmar Gabriel angefertigt worden ist, prägnant zu-
sammengefasst –: Wir wollen nicht, dass das Unfallrisiko
zukünftig durch das Datenrisiko ersetzt wird .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg . Stephan Kühn [Dresden] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Das können wir gestalten, liebe Kolleginnen und Kolle-
gen .

Danke .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1815306200

Vielen Dank . – Man sieht, digitale Unterstützungssys-

teme – um nichts anderes handelt es sich ja bei dieser
Anzeige – können hilfreich sein, auch zur Einhaltung der
Redezeit .


(Sebastian Hartmann [SPD]: Fast auf die Sekunde genau! – Stephan Kühn [Dresden] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum nicht mal eine App?)


Sebastian Hartmann






(A) (C)



(B) (D)


Als nächste Rednerin hat Daniela Ludwig von der
CDU/CSU-Fraktion das Wort .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie der Abg . Annette Sawade [SPD])



Daniela Raab (CSU):
Rede ID: ID1815306300

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Wir haben gestern im Plenum bereits den Jahreswirt-
schaftsbericht beraten . Wir haben ihm entnehmen kön-
nen, dass unsere deutsche Wirtschaft auf einem soliden,
gesunden Wachstumskurs ist . Woran liegt das? Das liegt
natürlich zum einen – auch das haben wir gestern schon
feststellen dürfen – daran, dass wir hier im Land gut aus-
gebildete Fachkräfte haben, dass wir, auch in dieser Gro-
ßen Koalition, Herr Hartmann, gute politische Rahmen-
bedingungen geschaffen haben, und dass wir hier solide
Tarifpartnerschaften vorfinden. Aber das liegt natürlich
ebenfalls daran, dass eine gute Infrastruktur nicht nur un-
ser Ziel ist, sondern dass wir in den vergangenen Jahren
in diesem Bereich auch schon viel erreicht haben .

Wenn wir über eine gute Infrastruktur reden, dann
meinten wir in den vergangenen Jahrzehnten immer
Straße, Schiene, Luft und Wasser, also all das, was man
sozusagen befahren und nutzen konnte . Wer sich dem
Fortschritt nicht verweigert und in die Zukunft schaut,
wer Digitalität und Digitalisierung nicht als Bedrohung
sieht, sondern als Chance für den Wirtschaftsstandort
Deutschland, für unsere Jugend, für diejenigen, die bei
uns arbeiten und leben wollen, der muss sich natürlich –
das ist das Ziel dieses Antrages – auch mit intelligenter
digitalisierter Mobilität auseinandersetzen .

Ich glaube, dass wir es gut schaffen, in dieser Legis-
laturperiode einen wundervollen Ausgleich zwischen der
Ertüchtigung der Straßeninfrastruktur, der Schienen- und
Wasserwege und des Luftverkehrs und dem Ausbau der
digitalen Infrastruktur hinzubekommen . Es ist deshalb
gut und richtig, dass das Verkehrsministerium auch dafür
zuständig ist . Liebe Frau Staatssekretärin, Sie haben, wie
ich finde, in einem sehr runden Ausblick dargestellt, wo-
rum es uns da in den nächsten Jahren gehen muss .

Der Personen- und Warenverkehr ist ja für eine Ex-
portnation existenziell wichtig . Er ist nicht nur auf gute
Straßen angewiesen, sondern wird künftig auch von einer
guten Digitalisierung des Verkehrs in jeglicher Hinsicht
abhängen . Wir sprechen deswegen heute über die digi-
tale Vernetzung von Straße, Schiene, Wasserstraßen und
Luftverkehr . Wir sprechen heute auch darüber, dass es
Fahrassistenzsysteme geben muss, dass wir hochautoma-
tisiertes Fahren voranbringen wollen und dass wir Test-
felder geschaffen haben .

Ich kann mich gut daran erinnern: Als es hieß, dass wir
ein Testfeld auf der A 9 machen, ist der eine oder andere
zusammengezuckt und hat plötzlich Roboterautos fahren
sehen und vermutlich ganz fürchterliche Vorstellungen
vor Augen gehabt .


(Stephan Kühn [Dresden] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Von wem reden Sie denn?)


Jetzt sieht man, wie wichtig dieses Testfeld auf der
A 9 ist, und wie wichtig es ist, dass wir es ausbauen,

und wie wichtig es ist, dass wir versuchen, wie Kolle-
ge Jarzombek gesagt hat, nicht nur auf der Autobahn,
sondern auch im innerstädtischen Verkehr die Potenzi-
ale dieser Technik zu heben und zu nutzen . Ich glaube,
das zeigt, dass dieses Testfeld richtungsweisend für die
nächsten Jahre, richtungsweisend für den deutschen Ver-
kehr ist . Deswegen haben wir uns in unserem, wie ich
finde, sehr guten und ausführlichen Antrag dazu bekannt,
dass wir weitere Modellregionen ausweisen wollen . Ich
kann heute nur dazu aufrufen, sich Gedanken darüber zu
machen, wo man diese einrichten kann .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie der Abg . Annette Sawade [SPD])


Das dient nicht nur einem besseren, flüssigeren Ver-
kehr, das dient nicht nur der Lärmreduktion, über die wir
uns gestern im Bereich der Schiene so lange unterhal-
ten haben und worauf wir als Koalition, aber auch das
federführende Haus ein ganz großes Augenmerk legen,
sondern das dient natürlich auch dem Umweltschutz .
Deswegen kann ich nicht so ganz verstehen, meine lie-
ben Kolleginnen und Kollegen aus der Opposition, dass
Sie es sich so leicht machen und solch miesepetrigen und
ablehnenden Reden halten . Sie haben sich offenkundig
nicht mit unserem mehrseitigen sehr guten Antrag ausei-
nandergesetzt .


(Stephan Kühn [Dresden] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gerade weil wir ihn gelesen haben!)


Ich kann nur sagen: Ich bin dem Verkehrsminister sehr
dankbar, dass er den Runden Tisch „Automatisiertes Fah-
ren“ ins Leben gerufen hat und diesen auch weiterführen
wird . Ich bin sehr dankbar für das Forschungsrahmen-
programm „Selbstbestimmt und sicher in der digitalen
Welt“ . Auch hier sieht man: Wir schauen in die Zukunft,
wir verneinen den Fortschritt nicht, sondern wir stellen
uns ihm, und wir versuchen, für uns und für unsere Kin-
der und Enkelkinder das Beste daraus zu machen .

Deswegen sage ich: Der Modernitätsfonds und auch
der Projektplan Straßenverkehrstelematik weisen in die
richtige Richtung und haben unsere volle Unterstützung .
Wir als Koalition wollen uns nicht nur auf Regierungs-
handeln verlassen –


(Stephan Kühn [Dresden] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Da bin ich ja froh!)


das auch als Antwort auf diejenigen, die sich gewundert
haben, warum es jetzt eine Parlamentsinitiative ist –, son-
dern wir wollen mitmachen und mitgestalten .

Wir danken für die gute Zusammenarbeit mit allen
beteiligten Ministerien . Ich glaube, wir haben sehr viel
vor uns, um dieses weite Feld zu erschließen . Ich freue
mich auf die weitere Zusammenarbeit und auf weitere
gute Ideen, die wir als Koalition auf jeden Fall gerne ein-
bringen werden .

Danke schön .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn






(A) (C)



(B) (D)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1815306400

Annette Sawade von der SPD-Fraktion spricht als

letzte Rednerin in dieser Debatte .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Annette Sawade (SPD):
Rede ID: ID1815306500

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen

und Kollegen! Liebes Publikum auf der Tribüne! Vie-
les wurde von den Kolleginnen und Kollegen bereits
zum Thema „Intelligente Mobilität fördern“ gesagt . Ja,
es stimmt: Wir haben allein im letzten Jahrzehnt einen
technischen – präziser: einen digitalen – Wandel erlebt,
der weitreichender und umfassender ist als die vielen
technischen Innovationen zuvor . Der Einzug des Fern-
sehgerätes in die Wohnzimmer unserer Nation in den
50er-Jahren war für die Gesellschaft offenkundig nicht
so komplex und in allen Lebensbereichen wirksam wie
die Verbreitung des Internets und der Digitalisierung im
20 . und 21 . Jahrhundert .

Wir reden heute über fünf Trends, die unsere Gesell-
schaft prägen: Globalisierung, demografischer Wandel,
Urbanisierung, Nachhaltigkeit und Ressourcenknapp-
heit . Unser Antrag „Intelligente Mobilität fördern“
zeigt im Bereich der Mobilität Lösungsfelder auf: die
Digitalisierung der Verkehrssysteme, die dazu notwen-
dige Weiterentwicklung der Technik und flexibles Ma-
nagement . So weit die Theorie . Aber wir, Politik und
Industrie, wollen und müssen jetzt auch praktisch tätig
werden . Da gibt es auf allen Gebieten Handlungsbedarf .
Ich beschränke mich heute auf das Beispiel Schienen-
güterverkehr .

Bei der Mitgliederversammlung des Verbands Deut-
scher Verkehrsunternehmen in dieser Woche wurde da-
ran erinnert, welche letzten Innovationsdurchbrüche es
im Schienengüterverkehr bei der Bahn gab: 1903 kam
die durchgehende Druckluftbremse bei Güterzügen zum
Einsatz . Ab 1911 wurde dann auf elektrische Traktion
umgestellt . Diese ist übrigens bis heute noch nicht zu
100 Prozent umgesetzt .

Was ist in den nächsten 100 Jahren zu tun? Das Gü-
terverkehrsaufkommen in Deutschland und Europa steigt
und führt bereits heute zu Infrastrukturengpässen . Zu-
gleich aber sollen Verkehr und Logistik nachhaltiger und
energieeffizienter sein. Das passt nur zusammen, wenn
es ein Umdenken und Umlenken in der gesamten Kon-
zeption gibt .

Es ist schon lange unser erklärtes politisches Ziel und
auch Inhalt des Koalitionsvertrages, mehr Güter auf die
Schiene zu bekommen . Dazu müssen die Ressourcen
dieses Transportweges besser und effizienter genutzt
werden als bisher . Leerfahrten, Wartezeiten, Lärm und
nationale Sonderbestimmungen sollten der Vergangen-
heit angehören . Wie könnte das gehen?

Eine Lösung wäre autonomes Fahren beim Rangieren
von Güterzügen und später eine Ausweitung auf den Per-
sonenverkehr . Im Nahverkehr gibt es diese Züge bereits;
mein Kollege Rimkus hat es bereits erwähnt . Allerdings

wollen wir – das bitte ich zu beachten – oberirdisch blei-
ben und nicht überirdisch werden, wie im Antrag leider
falsch formuliert .


(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Es sind die geltenden Gesetze zu prüfen und gege-
benenfalls anzupassen . Darüber hinaus gibt es einen
enormen Bedarf an einer einheitlichen Regelung von
Sicherheitstechnik . Allein rund 20 verschiedene Zug-
sicherungssysteme gibt es in der EU . Unser Schienen-
güterverkehr bewegt sich aber nun einmal nicht nur in
Deutschland, sondern über die Grenzen europaweit hin-
weg .

Der intelligente Güterwagen von morgen sollte mit ei-
nem System ausgestattet sein, das Daten ermittelt, spei-
chert und verarbeitet . Diese Intelligenz setzt allerdings
Kommunikationsplattformen voraus, die einwandfrei
und schnell funktionieren, Stichwort „Mobilfunk 5G“ .
Ohne ein System, das EU-weit sicher und verbindlich
funktioniert, brauchen wir über Innovationen wie zum
Beispiel fahrerlose Züge gar nicht zu reden .

Ein kleines Beispiel: In der westaustralischen Pilba-
ra-Region gibt es ein interessantes Projekt . Die Firma Rio
Tinto setzt dort seit letztem Jahr autonome Züge – zum
Teil mit über 300 Wagen pro Zug – für den Transport von
Eisenerz ein . Überwacht wird das Ganze im 1 500 Kilo-
meter entfernten Perth . Die gesamte Strecke bis zu den
Häfen im Nordwesten wurde digital aufgerüstet; Bahn-
übergänge wurden mit aufwendiger Überwachungstech-
nik ausgestattet . Natürlich können wir die Lösungen in
Australien und den USA nicht mit unseren Gemischtver-
kehren in Deutschland vergleichen . Aber gerade deshalb
sind hier beste IT-unterstützte, intelligente und flexible
Systeme gefragt .

Auch die Berufsbilder in der Branche werden sich
wandeln . Dabei müssen wir Politikerinnen und Poli-
tiker jedoch auch die Menschen und ihre Arbeitsplätze
im Blick behalten . Deshalb dürfen wir Forschungsein-
richtungen nicht abbauen . Wir müssen sie aufbauen und
dringend dafür werben, dass sich unsere Jugend für eine
Ausbildung als Ingenieurin oder Ingenieur entscheidet .
Das richtet sich auch an die jungen Menschen hier auf
der Tribüne .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


In Sachen „technisch Innovation“ gäbe es viel aufzu-
listen: besserer Informationsaustausch zur Bündelung
von Transporten, durchgängige Elektrifizierung vom
Start bis zum Ziel, Multimodalität oder elektronische
Prüf- und Zulassungsverfahren für mehr Effizienz, mehr
Kapazität, mehr Flexibilität und auch weniger Kosten –
vorausgesetzt, sie werden entwickelt und kommen zum
Einsatz .

Wir brauchen den intelligenten Güterwagen und
eventuell auch einen Masterplan zur Stärkung des Gü-
terverkehrs, die Schiene 4 .0 . Wir müssen die intelligente
Mobilität vorantreiben, weil wir sie brauchen, um effizi-
enter und umweltschonender transportieren zu können .






(A) (C)



(B) (D)


Wir sind schon mittendrin; aber wir werden und müssen
weiterentwickeln, ausprobieren und vor allem umsetzen .

Ich schließe mit dem ersten Satz unseres Antrags:

Die Zukunft der Mobilität in der Digitalen Gesell-
schaft hat bereits begonnen .

Vielen Dank .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1815306600

Vielen Dank . – Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich

schließe die Aussprache .

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/7362 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen . Gibt es dazu Wider-
spruch? – Das ist nicht der Fall . Dann ist die Überwei-
sung so beschlossen .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 23 auf .

Beratung des Antrags der Abgeordneten Özcan
Mutlu, Kai Gehring, Beate Walter-Rosenheimer,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Mehr Bildungsgerechtigkeit für die Einwan-
derungsgesellschaft – Damit Herkunft nicht
über Zukunft bestimmt

Drucksache 18/7049
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung (f)

Innenausschuss

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . – Ich höre dazu
keinen Widerspruch . Dann ist auch das so beschlossen .

Ich eröffne die Aussprache . Wenn die Kolleginnen
und Kollegen ihre Plätze eingenommen haben, kann
auch der erste Redner in der Debatte beginnen . – Erster
Redner in der Debatte ist Özcan Mutlu von der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen .


Özcan Mutlu (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1815306700

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In der

Geburtsurkunde steht Kevin, Sevtap, Ludwig oder
Marie . Auf dem Papier sind sie alle gleich, in der Kita
auch noch, aber danach nicht mehr . Wahrscheinlich muss
Kevin doppelt so gute Noten haben wie Ludwig, um Abi-
tur machen zu können . Ob Sevtap eine Chance auf die
Ausbildung zur technischen Produktdesignerin bekom-
men wird, auch wenn sie sich mit dem gleichen Noten-
durchschnitt wie Marie bewirbt, steht in den Sternen .

Wie erklären Sie sich, dass Deutschland als wohlha-
bendes Land es nur selten schafft, die Kinder unabhängig
von ihrer Herkunft zum Erfolg zu bringen? Wir halten
das für problematisch .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Bildungsgerechtigkeit ist nach wie vor die Achillesferse
des deutschen Bildungssystems . Das leidige Kooperati-

onsverbot verfestigt diesen Missstand von Generation zu
Generation . Wir sagen: Damit muss Schluss sein!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg . Dr . Gesine Lötzsch [DIE LINKE])


Wir sagen: Alle jungen Menschen, die hier leben, die
in unserem Land aufwachsen, haben ein Recht auf gute
Bildung . Wir müssen unsere Bildungsinstitutionen nicht
nur fit für die Zukunft, sondern auch fit für die Einwan-
derungsgesellschaft machen . Die Fehler der strukturellen
Nichtintegration der Gastarbeitergeneration dürfen wir
heute nicht wiederholen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Sonst drohen uns hierzulande in wenigen Jahren fran-
zösische Verhältnisse, die keiner in diesem Saal haben
möchte . Gute Bildung ist meiner Ansicht nach nämlich
auch eine Investition in die Sicherheit unseres Landes
und in ein friedliches Zusammenleben .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Es ist daher unser aller Pflicht, alle jungen Menschen, in-
klusive der Geflüchteten, bestmöglich in unser Bildungs-
system zu integrieren und ihnen bestmögliche Chancen
zu bieten .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Bereits vor den aktuellen Herausforderungen durch
die Geflüchteten investierte unser Land zu wenig in Bil-
dung . Das haben uns etliche Studien mehrfach attestiert .
Für mich lautet daher die Frage: Wie kann der potenteste
Geldgeber, der Bund, bei dieser wichtigen gesellschaftli-
chen Aufgabe mit anpacken, anstatt sich einen schlanken
Fuß zu machen?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Koordinierungsstellen für Geflüchtete sind sicherlich
als erste Maßnahme ein richtiger Schritt . Das ist unse-
res Erachtens aber noch lange nicht ausreichend . Gerade
angesichts der großen Zahl der Kinder mit Migrations-
hintergrund – das sind ein Drittel der unter Sechsjähri-
gen in unserem Land – muss interkulturelle Bildung eine
Schlüsselkompetenz vor allem für unsere pädagogischen
Akteure sein .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg . Dr . Rosemarie Hein [DIE LINKE])


Die Vielfalt der Lebensrealitäten und der Lebenswel-
ten der Kinder muss sich unbedingt in den Rahmenplänen
und in den Schulbüchern abbilden . Gleiches gilt für die
Ausbildung der Lehrerinnen und Lehrer . Der Handlungs-
bedarf ist groß, wie die „Schulbuchstudie Migration und
Integration“ der Bundesregierung gezeigt hat . Auch heu-
te noch sind die Darstellungen in vielen Schulbüchern
tendenziös, überholt und bedienen Stereotypen . Wir sa-
gen: Auch hier haben wir einen großen Handlungsbedarf .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Meine Damen und Herren, nicht erst seit den aktuel-
len Entwicklungen – im letzten Jahr sind circa 1 Million

Annette Sawade






(A) (C)



(B) (D)


Menschen nach Deutschland geflüchtet, wie Sie wis-
sen – ist die Integration von allen Menschen in unser Bil-
dungssystem enorm wichtig und unabdingbar . Wir sagen
daher als Grüne: Statt über unsinnige und gesetzeswid-
rige Obergrenzen zu diskutieren, brauchen wir jetzt eine
konsequente und sofortige Bildungsoffensive; denn Bil-
dungspolitik ist Integrationspolitik .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg . Dr . Rosemarie Hein [DIE LINKE])


Auch der Deutsche Städte- und Gemeindebund for-
dert einen Masterplan für Integration auf Bundesebene .
Schließlich findet Integration vor Ort statt: in den Städ-
ten, Gemeinden und Kommunen; diese dürfen wir bei
dieser Mammutaufgabe nicht alleine lassen .

Das ABC der Integration ist meiner Ansicht nach In-
tegration in Arbeit, in Bildung und in Chancengerechtig-
keit . Daher muss dieser Masterplan langfristig sowohl
inhaltlich als auch finanziell aufzeigen, welche konkre-
ten Maßnahmen und Schritte einzuleiten sind, um Inte-
gration für alle insbesondere in Bildung und Arbeit zu
ermöglichen und zu fördern .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Deshalb fordern wir von dieser Bundesregierung und
von der amtierenden Koalition – hierbei sehe ich gerne
in die Richtung der SPD –: Sorgen Sie mit dafür, dass wir
endlich eine Bildungs- und Integrationsoffensive starten,
statt nur immer darüber zu reden!


(Dr . Daniela De Ridder [SPD]: Wir reden nicht nur!)


Wenn Sie schon nicht auf uns hören, liebe Kollegin-
nen und Kollegen von der Koalition, dann hören Sie
wenigstens auf die Wirtschaft . Wirtschaftsforscherinnen
und -forscher haben erst jüngst erklärt, dass in der aktu-
ellen Situation die Investition in eine Bildungsoffensive
höchste Priorität haben muss. Das finden wir Grüne auch.
Am Geld sollte es nicht scheitern . Schließlich haben wir
einen Überschuss von 12 Milliarden Euro .


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Jawohl!)


Unser Antrag zeigt detailliert auf, was dringend zu tun
ist . Ich kann nur an Ihre Vernunft appellieren: Stimmen
Sie unserem Antrag zu, damit wir bei dieser wichtigen
Aufgabe an einem Strang ziehen!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die Gesamtinvestitionen für eine Bildungsoffensive
in eine gute Zukunft für alle in unserem Land liegen bei
circa 6 bis 10 Milliarden Euro pro Jahr . Dieses Geld geht
nicht verloren . Im Gegenteil: Es sichert die Zukunft und
ist auch eine Investition in die Gegenwart . Es ist ein Kon-
junkturprogramm ohnegleichen . Lassen Sie uns deshalb
hier an einem Strang ziehen . Deutschland muss sich eine
Bildungsoffensive nicht nur leisten; sie muss sie auch
dringlich durchführen – für heute, für die Zukunft und im
Interesse der Kinder und Jugendlichen, und zwar unab-
hängig von ihrer Herkunft .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1815306800

Vielen Dank . – Als nächste Rednerin hat Cemile

Giousouf von der CDU/CSU-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Cemile Giousouf (CDU):
Rede ID: ID1815306900

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Lieber Kollege Mutlu, im Moment erleben
wir, dass sich die europäische Staatengemeinschaft mit
einer Bevölkerung von 508 Millionen Menschen weigert,
eine Anzahl von circa 1,5 Millionen Flüchtlingen in ihren
Ländern aufzunehmen und zu versorgen, und das liegt
nicht an Deutschland . Sie zeichnen in dieser Debatte ein
Bild, das eine Untergangsstimmung weckt . Dieses Bild
ist nicht nur falsch, sondern geht komplett an den Reali-
täten unseres Landes vorbei .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein! – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie sollten den Antrag lesen, bevor Sie das sagen! Lesen Sie einmal den Antrag! Vielleicht lernen Sie ja etwas!)


Deutschland ist ein Einwanderungsland . Wir beschu-
len nicht erst seit dem Jahr 2015 Flüchtlingskinder, und
die Integration von Deutschen mit einer Einwanderungs-
geschichte ist besser als ihr Ruf . Wir sehen das an den
Folgegenerationen der Einwanderer, ob es die Aussiedler,
die Gastarbeiter oder Kriegsflüchtlinge sind. Sie haben
ihre Elterngeneration überholt . Insbesondere die Mäd-
chen weisen erfolgreiche Schul- oder Berufsabschlüsse
vor . Auch die Anzahl der Studierenden mit einer Ein-
wanderungsgeschichte an Hochschulen nimmt zu . Die
Migranten und ihre Kinder sind im Bildungswesen und
auf dem Arbeitsmarkt zwar immer noch nicht gleichge-
stellt – das ist wahr –; aber der Trend geht nach oben, und
das zeichnet unser Bildungs- und Ausbildungssystem in
Deutschland aus . Die Integrationspolitik in diesem Land
ist ein Erfolg .

Vor dem Hintergrund der Neuzuzügler müssen wir uns
zu Recht die Frage stellen, ob das, was wir bislang an
Strukturen haben, tatsächlich ausreicht . Ja, unsere Lehrer
brauchen eine stärkere interkulturelle Kompetenz, und
auch die Geschichte der Einwandererkinder muss Einzug
in unsere Schulen halten .


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann stimmen Sie dem Antrag also zu?)


Sie müssen gemeinsam lernen, dass die Gastarbeiterge-
neration dieses Land mit aufgebaut hat,


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hört! Hört!)


dass es vor hundert Jahren Syrer waren, die den verfolg-
ten Armeniern Schutz gewährten, dass es Marokko war,
das im 11 . Jahrhundert Juden Schutz gewährte, und dass

Özcan Mutlu






(A) (C)



(B) (D)


vom 8 . bis zum 16 . Jahrhundert Christen, Muslime und
Juden in Andalusien friedlich zusammenlebten .


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Kommen Sie mal zur Gegenwart! – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was haben Sie denn 2016 vor?)


Dieses unser gemeinsames Erbe ist die Grundlage da-
für, dass wir Menschen zu selbstbewussten Demokra-
ten erziehen . Jeder in diesem Land soll stolz auf seine
Herkunft sein dürfen und gleichzeitig stark genug, um
unmissverständlich Demokratie und Menschenrechte zu
verteidigen, unabhängig davon, ob es sich um seine eige-
nen oder die eines anderen handelt .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie der Abg . Dr . Daniela De Ridder [SPD])


Sie müssen lernen, dass sie alle, die sie in diesem Land
leben, die Verantwortung für die Geschichte Deutsch-
lands haben, egal ob sie eingewandert oder hier gebo-
ren sind, und dieser Verantwortung auch gerecht werden
müssen . Wir müssen starke Persönlichkeiten in unseren
Schulen erziehen, die den Rattenfängern des islamisti-
schen Terrorismus genauso entgegentreten können wie
den Rattenfängern rechtsextremer Gruppen .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg . Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann stimmen Sie unserem Antrag zu! Da klatsche ich doch gleich mit!)


Aber was haben wir bislang alles auf den Weg ge-
bracht, um diese Zukunft zu sichern? Das Bildungsmi-
nisterium ist das Schlüsselministerium für Integration .


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat Frau Wanka selber noch nicht gemerkt! Wo ist Frau Wanka in dieser Integrationsdebatte?)


Mit dem Anerkennungsgesetz wurden die Weichen für
die Integration von ausländischen Fachkräften in den Ar-
beitsmarkt ermöglicht, und das eben nicht erst seit dem
Zuzug der Flüchtlinge . Es gibt noch Nachholbedarf bei
der Ausbildung Jugendlicher; das stimmt . Diese Analyse
ist für uns nichts Neues, lieber Herr Mutlu . Daran arbei-
ten wir mit unseren KAUSA-Servicestellen . Mit der Ini-
tiative Bildungsketten unterstützen wir Schülerinnen und
Schüler, indem wir sie im Übergang von der Schule in
den Beruf begleiten .

Es ist schade, dass das Avicenna-Studienwerk, die Be-
gabtenförderung für muslimische Studierende und die Is-
lamische Theologie an Hochschulen, womit Deutschland
einzigartig in Europa dasteht, in Ihrem Antrag nicht mit
einem Wort Erwähnung finden.


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Weil es das schon gibt! Uns geht es um Missstände, die behoben werden sollen!)


An diesen Hochschulen werden Islamkundelehrer und
Imame ausgebildet,


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was machen Sie denn in der Schule?)


die in unseren Schulen und den Religionshäusern als
Lehrer und Seelsorger arbeiten werden .

Das alles zeigt, dass die CDU/CSU-Fraktion bei der
Bewältigung der großen Integrationsaufgabe auf keine
Schnellschüsse setzt, sondern auf Strukturen


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja! Nur das dauert bei Ihnen!)


wie auch unsere Integrationskurse und die berufsbezoge-
ne Sprachförderung .


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir haben keine Zeit, zu warten, bis ihr mal zur Einsicht kommt!)


Zwei Maßnahmenpakete für die Integration von
Flüchtlingen hat unsere Bundesministerin Wanka im
Herbst 2015 vorgestellt; das haben Sie vielleicht mit-
bekommen . Das erste Paket konzentriert sich auf den
Erwerb der deutschen Sprache sowie den Zugang zur
beruflichen Bildung. Damit Flüchtlinge ein Studium
aufnehmen können, brauchen sie Beratung, sprachliche
Vorbereitung und fachliche Unterstützung . Genau hier
greifen die Maßnahmen des zweiten Paketes . Mehr als
230 Millionen Euro insgesamt stellt das BMBF für diese
Integrationshilfen in den nächsten Jahren zur Verfügung .
Auch dazu findet sich in Ihrem Antrag keine Zeile.

Seitens der Unionsfraktion wurde im Dezember 2015
ein von der AG Bildung und Forschung erarbeitetes und
mit den Innenpolitikern abgestimmtes Konzept auf unse-
ren Seiten veröffentlicht . Es wäre besser gewesen, wenn
Sie vor Erstellung Ihres Antrages einen Blick darauf ge-
worfen hätten . Im Vergleich zu Ihrem Wünsch-dir-was-
Katalog stehen da nämlich konkrete Punkte, die auch
umsetzbar und realistisch sind .


(Beifall bei der CDU/CSU – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und warum sind sie dann nicht umgesetzt? Wann wollen Sie sie denn endlich umsetzen? – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Regieren Sie eigentlich seit neun Jahren? Wo ist eigentlich Frau Wanka bei dieser Debatte?)


Sei es drum . Gehen wir die einzelnen Punkte Ihres An-
trags einmal durch .

Ihre Hauptforderung nach Aufhebung des Kooperati-
onsverbotes im Bildungsbereich ist altbekannt .


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo ist eigentlich Frau Wanka?)


Doch schon heute engagiert sich der Bund in der Bildung
finanziell so stark und umfassend wie nie zuvor: Stich-
wort „Hochschulpakt“, Stichwort „Qualitätsoffensive
Lehrerbildung“, Stichwort „Qualitätspakt Lehre“, Stich-
wort „vollständige Übernahme der BAföG-Finanzierung
durch den Bund“ .

Cemile Giousouf






(A) (C)



(B) (D)


Dann fordern Sie die Erleichterung des Zugangs zum
Arbeitsmarkt für Flüchtlinge . Diese Forderung ist gut;
sie kommt nur zu spät . Bereits im September 2015 hat
das BMBF ein erstes Maßnahmenpaket für Flüchtlinge
vorgestellt


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oh Mann! Ihr habt ja schon alles angepackt! Die ganzen Studien sagen Falsches aus! Die Gewerkschaften und Verbände träumen!)


– ich kann es Ihnen nicht ersparen; wenn Sie immer wie-
der die gleichen Anträge stellen, dann müssen Sie sich
auch immer wieder die Antworten anhören –,


(Beifall bei der CDU/CSU)


bei dem der Erwerb der deutschen Sprache sowie die In-
tegration in Ausbildung und Beruf im Mittelpunkt stehen .

Kommen wir zur Forderung nach Schaffung von Si-
cherheit für junge geflüchtete Menschen in der Ausbil-
dung . Durch die Neuregelung des am 1 . August 2015 in
Kraft getretenen Gesetzes zur Neubestimmung des Blei-
berechts wurde hier bereits Rechtssicherheit geschaffen .


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Märchenstunde!)


Genau das, liebe Kolleginnen und Kollegen, schafft Pla-
nungssicherheit, und zwar sowohl für die betroffenen
Auszubildenden als auch für die Ausbildungsbetriebe .
Wir sollten aufhören, den Handwerksmeistern vor Ort
Angst zu machen,


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das machen Sie gerade!)


ihre Schützlinge könnten in der Ausbildung abgeschoben
werden . Dem ist ein Riegel vorgeschoben .


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nehmen Sie endlich den Kopf aus dem Sand!)


Zu Ihrer Forderung nach schnellerem Zugang zum
BAföG für Geflüchtete. Notieren Sie es sich bitte noch
einmal: Die Koalition hat bereits dafür gesorgt, dass
Inhaber bestimmter humanitärer Aufenthaltstitel nicht
mehr eine Vierjahresfrist abwarten müssen . Sie können
bereits nach 15 Monaten die Unterstützung beantragen .

Ich kann es Ihnen nicht ersparen: Insgesamt sind
80 Prozent Ihrer Forderungen bereits erledigt . Wenn Sie
schon nicht auf unsere Fraktionsseite schauen, dann wer-
fen Sie zumindest einen Blick ins Bundesgesetzblatt .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der Antrag ist an die Regierung gerichtet, nicht an die Seite der CDU/CSU-Fraktion!)


So aber müssen Sie sich den Vorwurf gefallen lassen, in
den Chor derer einzustimmen, die behaupten, die Inte-
grationspolitik der letzten Jahre sei gescheitert . Sie ma-
chen es nur von einer anderen, sympathischeren Seite .
Die anderen sagen, wir sollten gar nichts mehr machen,

und sie wollen einfach mehr Geld reinblasen . Beides ist
falsch . Deutschland ist gut aufgestellt .


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben Sie den Antrag überhaupt gelesen? – Gegenruf von der SPD – Gegenruf des Abg . Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der Antrag besteht aus acht Seiten! Sie sollte ihn lesen! Dann lernt sie was!)


Sie sollten zur Kenntnis nehmen, dass die Bundesre-
gierung, dass das BMBF und auch ganz persönlich Mi-
nisterin Johanna Wanka dieses Thema mit einer großen
Ernsthaftigkeit behandeln, wie ich sie mir von allen poli-
tischen Akteuren wünschen würde .


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ganz schön dünn!)


Diese Konzentration auf das Wesentliche sollte stilbil-
dend sein und hätte möglicherweise auch Ihrem Antrag
gutgetan .

Das Einwanderungsland Deutschland ist zuversicht-
lich .


(Dr . Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Bis auf Bayern!)


Seien Sie es auch!

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Keinen einzigen Vorschlag gemacht! Keinen einzigen!)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1815307000

Vielen Dank . – Als nächste Rednerin hat Dr . Rosemarie

Hein von der Fraktion Die Linke das Wort .


(Beifall bei der LINKEN – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt ist die Märchenstunde vorbei! Jetzt hören wir mal Frau Hein zu!)



Dr. Rosemarie Hein (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1815307100

Frau Präsidentin! – Vielen Dank, Herr Mutlu . Ich gebe

aber zu, dass es mir heute ein bisschen schwerfällt, über
diesen Antrag zu reden, in dem es um Kinder und Ju-
gendliche geht, nachdem letzte Nacht die Koalition ihren
Asylkompromiss beschlossen hat .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Es ist ein schwarzer Tag zumindest für jene Familien, die
darauf warten, zu ihren Angehörigen nach Deutschland
ziehen zu können . Und das beschließt eine Koalition, die
ständig den Wert von Familie hochhalten will. Ich finde,
das ist ein Armutszeugnis .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Ja! Christlich vor allen Dingen! Immer „Wir als Christen“!)


Cemile Giousouf






(A) (C)



(B) (D)


Nach einer UNICEF-Studie aus dem Jahr 2014 sind
70 Prozent der asylsuchenden Kinder und Jugendlichen
unter zehn Jahre alt . Das sieht bei denen, die derzeit auf
Familiennachzug warten, ganz sicher nicht anders aus .
Kinder brauchen ihre Familien . Welches Recht haben
wir, ihnen das zu verweigern? Keines .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Nun haben Sie sich die Nacht um die Ohren geschla-
gen, um auszuhandeln, wie es gelingen kann, Asylsu-
chende davon abzuhalten, nach Deutschland zu kommen .
Bei der Frage einer besseren Integration und eines besse-
ren Bildungszugangs waren Sie nicht so erfolgreich . Das
aber wäre wichtiger gewesen;


(Beifall bei der LINKEN)


denn weder der Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz noch
die Durchsetzung der Schulpflicht ist heute in den meis-
ten Bundesländern zeitnah gesichert .


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist bei der CDU noch nicht angekommen!)


Aber alle Kinder haben die gleichen Rechte, egal wo sie
geboren sind .


(Beifall bei der LINKEN)


Darum finde ich es richtig, dass der Antrag der Grünen
die Bildungsfrage umfassend angeht . Denn nur ein gutes
und gut ausgestattetes Bildungssystem wird für alle Kin-
der und Jugendlichen gleiche Bildungschancen ermögli-
chen, und nur ein gut ausgestattetes Bildungssystem wird
die große Integrationsaufgabe leisten können .

Aber das bundesdeutsche Bildungssystem ist nicht
gut darauf vorbereitet . Im Antrag sind fast alle Fakten
benannt, und wir unterstützen auch die allermeisten For-
derungen. Weitere finden Sie in unserem Antrag „Glei-
cher Zugang zur Bildung auch für Geflüchtete“ vom Sep-
tember des vergangenen Jahres . Davon ist noch nichts
überholt . Zum Beispiel haben wir darin etwas ausführli-
cher die Forderung erhoben, die interkulturelle Bildung
als Bestandteil in die Lehrerbildung aufzunehmen . Des
Weiteren haben wir eine stärkere Integration des Faches
Deutsch als Zweitsprache gefordert .


(Beifall bei der LINKEN)


Etwas kritisch sehen wir die Hoffnung auf Institutio-
nen wie Jugendberufsagenturen . Da sind wir skeptisch,
zumal wenn sie nicht anders funktionieren als Jobcenter
für Jugendliche .

Auf einen Punkt möchte noch etwas umfassender ein-
gehen . Die Grünen fordern in ihrem Antrag die gesetzli-
che Verankerung eines Rechtsanspruchs auf einen Ganz-
tagsplatz in Kitas oder Tagespflege. Diese Forderung
teilen wir, und das seit Jahren . Wir wissen, wie schlecht
es um Ganztagsplätze im Bereich der Kinderbetreuung
bestellt ist, und zwar bundesweit und am allermeisten im
Westen .

Ich erinnere mich an die Topmeldung der Bundes-
regierung zu Beginn dieses Jahres: Bundesprogramm

„KitaPlus“. Ich finde, es ist das falsche Signal. Mögli-
cherweise wird es manchen Eltern und Familien als eine
Lösung erscheinen, dass nun Betreuung in Randzeiten,
Wochenendbetreuung und notfalls auch eine 24-Stun-
den-Betreuung in Kitas möglich sind . Aber können Sie
sich ernsthaft vorstellen, Ihr Kind zum Schlafen in die
Kita zu bringen? Ich nicht!


(Beifall bei der LINKEN – Dr . Daniela De Ridder [SPD]: Also, ich habe in der Kita immer geschlafen!)


Wieso eigentlich soll sich der Lebensrhythmus der Kin-
der an den Arbeitszeiten der Eltern orientieren? Eine kin-
derfreundliche Gesellschaft würde das genau andershe-
rum machen . Deshalb hätte ich es gut gefunden, wenn
Sie statt dieses Programmes einen Rechtsanspruch auf
ganztägige Betreuung im Gesetz verankert hätten – diese
Möglichkeit besteht –, wie es die Länder Sachsen-Anhalt
und Thüringen getan haben . Dort gibt es einen Anspruch
auf zumindest bis zu zehn Stunden; in anderen Ländern
gibt es das nicht . Dies wäre das richtige Signal gewesen,
um die Randbetreuungszeiten besser abzudecken und
damit auch die Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu
verbessern . Das ist der Weg, den wir gehen müssen . Man
sollte seine Kinder nicht dann abgegeben müssen, wenn
man gerade im Schichtdienst ist .


(Beifall bei der LINKEN – Dr . Daniela De Ridder [SPD]: Was sollen denn die machen, die im Schichtdienst arbeiten?)


– Hören Sie bis zum Ende zu! – Des Weiteren muss
man einen Rechtsanspruch verankern, wonach Eltern,
die Kinder in einem gewissen Alter erziehen, das Recht
haben, ihre Arbeitszeit entsprechend zu gestalten . Damit
könnten Sie die allermeisten Fälle tatsächlich lösen .


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Dr . Daniela De Ridder [SPD]: Aber welche? Da muss man auch konkret werden! – Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Was ist mit Krankenhäusern? – Weiterer Zuruf von der SPD: Polizei?)


– In einigen wenigen Fällen geht das nicht. Da findet man
dann andere Lösungen . – Mit dem, was Sie jetzt machen,
senden Sie das Signal aus: Wir sorgen dafür, dass Eltern
verfügbar sind, wann immer das Unternehmen sie benö-
tigt, und die Kinder entsprechend betreut werden . – Das
halten wir für grundsätzlich falsch .

Ich glaube, dass wir an dieser Stelle noch viel zu dis-
kutieren haben . Gerade an diesem Punkt wird deutlich,
dass es noch nicht im Bewusstsein ist, dass der Rechts-
anspruch auf einen Kitaplatz ein Rechtsanspruch auf
frühkindliche Bildung ist und nicht auf die Aufsicht in
Abwesenheit der Eltern .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der LINKEN)


Dr. Rosemarie Hein






(A) (C)



(B) (D)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1815307200

Vielen Dank . – Als nächster Redner hat Karamba

Diaby von der SPD-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Karamba Diaby (SPD):
Rede ID: ID1815307300

Werte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen

und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herkunft
darf nicht über Zukunft bestimmen . Weder der elterliche
Geldbeutel noch die vielfältigen eigenen oder familiären
Wurzeln dürfen zu Fesseln werden .


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Herkunft darf kein Stigma sein . Die sozialdemokratische
Idee hat sich immer am emanzipatorischen Wert von Bil-
dung orientiert: Bildung zur Entfaltung der Persönlich-
keit und Aufstieg durch Bildung . Dieser Weg soll für alle
offen sein .


(Beifall bei der SPD)


Wir sind ein Einwanderungsland . Wir sind vielfältig . Das
ist gut so . Da wir eine Einwanderungsgesellschaft sind,
muss diese Alltagsrealität von allen gesellschaftlichen
Einrichtungen nachvollzogen werden, auch von unseren
Bildungseinrichtungen .

Es hat sich schon viel in diesem Land bewegt – die
Grünen haben das wahrscheinlich nicht mitbekommen –:


(Lachen bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr . Daniela De Ridder [SPD]: Die haben in der Kita geschlafen! – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bisher fand ich Sie ja sympathisch!)


mehrsprachige Kitas und Schulen; Lernbegleiter, die Ge-
flüchteten beim Spracherwerb helfen; Schulsozialarbei-
ter; interkulturelle Öffnung der Bildungseinrichtungen
und mehr vielfältiges Lehrpersonal . – Frau Präsidentin,
die Lampe für die Zeit blinkt . Das irritiert mich ein biss-
chen .


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die sechs Minuten sind um!)


In dieser Debatte ist mir Folgendes wichtig: Hierzu-
lande gilt die Schulpflicht für jedes Kind, gleichwohl
ob es in einem Krankenhaus in Halle-Neustadt oder in
Palmyra geboren wurde . Deswegen ist es gut, dass vie-
le Kommunen und Länder die Beschulung aus den Not-
unterkünften heraus stemmen . Lassen Sie uns nicht die
gleichen Fehler wie mit der sogenannten Gastarbeiterge-
neration und ihren Familien wiederholen .


(Beifall bei der SPD)


Viele, die zu uns geflüchtet sind, bleiben erst einmal hier.
Wir müssen die Weichen stellen, damit die Kinder zur
Schule gehen, ihre Ausbildung absolvieren oder ihr Stu-
dium aufnehmen können .


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Welche Weichen stellt denn die Regierung?)


– Die Regierung hat sehr viele Weichen gestellt – das
wissen Sie ja auch –,


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Erzählen Sie mal! Ich kenne die nicht!)


die Weichen dafür, dass die geflüchteten Frauen und
Männer schnell in Arbeit kommen .

An dieser Stelle appelliere ich auch an meine Kolle-
ginnen und Kollegen der CSU: Kehren Sie bitte zurück
zur Sacharbeit! Lassen Sie uns das Asylpaket II umset-
zen, und stellen Sie Ihren Überbietungswettbewerb in
irreführenden Forderungen ein! Gestern haben sich die
Parteichefs geeinigt . Die Menschen in diesem Land er-
warten von uns, dass wir jetzt das umsetzen, was wir be-
schlossen haben .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Und nicht nur reden!)


Nun zu Ihrem Antrag, liebe Kolleginnen und Kolle-
gen der Grünen . Mich stört, dass Sie in Ihrem Antrag den
Eindruck erwecken, als müsste das Rad neu erfunden
werden . Dabei leistet diese Bundesregierung schon sehr
viel .


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das glaubst du doch selber nicht, was du da sagst!)


Im Antrag fordern Sie zum Beispiel die Verbesserung der
frühkindlichen Bildung . Ja, das ist eine sehr gute Idee .
Dabei übersehen Sie aber, was unsere Bundesfamilien-
ministerin Manuela Schwesig bereits alles in Gang ge-
bracht hat . Der Bund investiert weiter sehr stark in In-
frastruktur und Qualität der Kitas . Allein 2015 haben
wir knapp 1 Milliarde Euro ausgegeben . Hinzu kommen
künftig noch die Mittel aus dem Betreuungsgeld, die wir
auch in diesem Bereich einsetzen . Diese Maßnahmen
sind gut für die Kinder .


(Beifall bei der SPD)


Meine Damen und Herren, darüber hinaus will die
SPD die Länder und Kommunen dabei unterstützen, wei-
tere 80 000 Kitaplätze und 20 000 zusätzliche Stellen für
Erzieherinnen und Erzieher zu schaffen . Sie sehen, liebe
Grüne: Allein in diesem Bereich passiert schon so viel .

Oder schauen Sie doch einmal in den Hochschulbe-
reich . Bereits im Dezember hat das Bundesbildungs-
ministerium viele Maßnahmen auf den Weg gebracht,
um potenziellen Studierenden den Hochschulzugang
zu erleichtern . Der DAAD unterstützt die Hochschulen
dabei, vorhandene Kompetenzen und Qualifikationen
festzustellen oder auch die Sprachkenntnisse dieser Men-
schen zu verbessern . Und nicht zuletzt: Wir unterstützen
studentische Initiativen, die sich für die Geflüchteten
engagieren . Allein in diesem Jahr stehen für diese Maß-
nahmen im Hochschulbereich sage und schreibe 27 Mil-
lionen Euro zusätzlich zur Verfügung .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Lassen Sie mich kurz auf das Thema Kooperations-
verbot eingehen . Die SPD steht bekanntermaßen dafür






(A) (C)



(B) (D)


ein, dass das Kooperationsverbot aufzuheben ist . Das ist
ein langfristiges Ziel . Das würde einiges vereinfachen,
und der Bund könnte die Länder und Kommunen besser
im Bildungsbereich unterstützen . Das ist unsere Mei-
nung . Kurzfristig setzen wir aber darauf, in Abstimmung
mit den Ländern gezielt einzelne Bereiche zu fördern .
Ich kann mir gut vorstellen, dass wir Schulsozialarbeit
oder Integrationsarbeit an Schulen über ein Programm
stärken .


(Beifall bei der SPD)


Wir plädieren deshalb für einen Aktionsplan „Bildung“ .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Bildung zur Ent-
faltung der Persönlichkeit und Aufstieg durch Bildung:
Dieser Weg soll für alle offen bleiben . Lassen Sie uns
gemeinsam daran arbeiten!

Danke schön .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Dann stimmen Sie unserem Antrag zu!)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1815307400

Vielen Dank . – Als nächste Rednerin hat Uda Heller

von der CDU/CSU-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Uda Heller (CDU):
Rede ID: ID1815307500

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kol-

legen! Meine Damen und Herren vom Bündnis 90/Die
Grünen, Ihr Antrag ist ein breit gefächertes Potpourri von
unspezifischen Forderungen, zahlreichen Vorschriften
und vor allem von dem Verlangen nach mehr Geld . Hier
werden Sie Ihrem Ruf als „Vorschriftenpartei“ erneut ge-
recht .


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch unglaublich!)


Im Gegensatz zu Ihnen setzt die CDU/CSU-Fraktion
nach wie vor auf das Vertrauen in eine eigenverantwort-
liche Gesellschaft .

Am meisten wundere ich mich über Ihre Aussage,
dass Deutschland es angeblich jahrelang versäumt hat,
Geld in Bildung zu investieren .


(Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Völlig falsch!)


Ich frage mich, ob Sie unsere Haushaltsdebatten vom No-
vember schon wieder vergessen haben . Ich kann Ihnen
die Zahlen noch einmal in Erinnerung rufen: Für 2016
haben wir den Bildungs- und Forschungsetat nochmals
um weitere 1,13 Milliarden Euro auf insgesamt 16,4 Mil-
liarden Euro erhöht .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Rekordausgabe!)


Das zeigt doch eindrücklich, welchen besonderen Stel-
lenwert Bildung für uns hat .

Doch ich gebe zu, es gibt auch Punkte, bei denen wir
übereinstimmen . Deutschland ist ein Einwanderungs-
land .


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat lange gedauert, bis Sie das erkannt haben!)


Und ja – das haben viele Kolleginnen und Kollegen vor-
her auch gesagt –, die Integration erfolgt am besten über
Bildung . Es ist richtig, dass der Spracherwerb ein wichti-
ger Schlüssel für eine erfolgreiche Integration ist .

Wir alle sind uns darüber einig, dass die Flüchtlings-
bewegung für Deutschland und Europa zahlreiche He-
rausforderungen mit sich bringt . Aber sie birgt auch
Chancen, und die sollten wir nutzen .


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Erzählen Sie das mal Ihrer Fraktion!)


Es ist unsere Aufgabe als Bildungspolitiker, Rahmenbe-
dingungen zur Deckung des Fachkräftebedarfs zu schaf-
fen . Daher sollten wir die Potenziale der Zuwanderung
nutzen und eine erfolgreiche Integration über Bildung
und Beschäftigung unterstützen .


(Dr . Karamba Diaby [SPD]: Richtig!)


Aber das haben wir schon lange vor Ihrem Antrag er-
kannt, Herr Mutlu .


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach so! Nur nicht gehandelt!)


Daher werden wir in den nächsten Jahren rund
130 Millionen Euro zusätzlich investieren, um die zentra-
len Ziele umzusetzen . Erstens: Spracherwerb . Zweitens:
Anerkennung von Kompetenzen und Potenzialen . Drit-
tens: Integration in den Ausbildungs- und Arbeitsmarkt .

Ich kenne so viele Kooperationspartner aus allen Be-
reichen, die sich gemeinsam für den Erfolg dieser Ziele
starkmachen, beispielsweise die Volkshochschulen, die
Stiftung Lesen mit ihren Sprachprogrammen, die Ser-
vicestelle Bildungsketten, das KAUSA-Netzwerk, das
Programm „Kultur macht stark“ in den Kommunen, die
Transferagenturen mit den Bildungskoordinatoren, aber
auch die Bildungszentren, die Hochschulen mit den Stu-
dienkollegs oder auch die Wirtschafts- und Handwerks-
kammern mit ihrem Aktionsprogramm „Ankommen in
Deutschland – Gemeinsam unterstützen wir Integrati-
on!“ . Nicht zuletzt sollten wir die vielen ehrenamtlichen
Engagierten nicht vergessen, die beispielsweise im Rah-
men des Programms „Menschen stärken Menschen“ un-
begleitete minderjährige Flüchtlinge unterstützen .

Ich weiß das, weil ich in engem Kontakt zu Koope-
rationspartnern in meiner Region stehe . Beispielsweise
war ich im Bildungs- und Technologiezentrum der Hand-
werkskammer Halle . Das ist eines der größten und viel-
seitigsten Bildungszentren des Handwerks mit 15 000
kammerzugehörigen Betrieben und mehr als 700 Plätzen
für eine gewerblich-technische Ausbildung . Das BTZ
nimmt als einziges Bildungszentrum in den neuen Bun-
desländern an einem Pilotprojekt für junge Flüchtlinge
teil . Aktuell werden dort junge Menschen aus Syrien und

Dr. Karamba Diaby






(A) (C)



(B) (D)


Eritrea mithilfe einer Sozialpädagogin und eines Ausbil-
ders auf das Erwerbsleben vorbereitet .

Nach der Kompetenzfeststellung und einer dreimo-
natigen Schulung im Bildungszentrum konnten bereits
alle in ein Praktikum vermittelt werden – bitte hören Sie
zu! –,


(Beifall bei der CDU/CSU – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir hören zu!)


um dann fit genug zu sein, im August dieses Jahres eine
Berufsausbildung zu beginnen . Die Schulungen wurden
bereits begonnen, als der Sprachunterricht noch nicht ab-
geschlossen war . Denn man hat schnell festgestellt, dass
sich innerhalb kürzester Zeit die Sprachkenntnisse durch
den alltäglichen Austausch mit deutschen Jugendlichen
deutlich verbessert haben .

Machen diese Beispiele und die vielen anderen Pro-
gramme, die es bereits überall gibt, nicht deutlich, dass
die Integration von Flüchtlingen durchaus eine gesamt-
gesellschaftliche Aufgabe ist und auch so wahrgenom-
men wird?


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer hat denn das Gegenteil behauptet?)


Meine Damen und Herren, ich finde, all diese Anstren-
gungen haben unsere Anerkennung und unseren Respekt
verdient .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Richtig! Unsere Rede!)


Glauben Sie wirklich – hören Sie bitte zu! –, dass es
der richtige Weg ist, wenn Sie in Ihrem Antrag fordern,
dass jeder, der nach Deutschland kommt, ganz unabhän-
gig vom Herkunftsland und vom Aufenthaltsstatus, einen
gesetzlichen Anspruch auf eine Ausbildung, auf ausbil-
dungsbegleitende Hilfen sowie ein Bleiberecht während
der Ausbildung und danach hat?


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Lesen Sie einmal den Antrag!)


Da frage mich, Herr Mutlu, ob Sie sich über die Konse-
quenzen Ihrer Forderungen bewusst sind und einmal über
die finanziellen Folgen nachgedacht haben. Was wollen
Sie denn noch alles auf den Steuerzahler abwälzen?


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir wollen die Fehler der Vergangenheit nicht wiederholen! Haben Sie nicht zugehört?)


Ich sage Nein . Das ist nicht im Sinne unserer Bürger
und auch nicht im Sinne einer verantwortungsvollen Bil-
dungspolitik .

Gern möchte ich Sie an dieser Stelle auch darauf auf-
merksam machen, dass wir einige Ihrer Forderungen
längst umgesetzt haben – das hat auch Frau Giousouf
schon gesagt –, beispielsweise mit dem Anerkennungs-
gesetz oder dem Gesetz zur Neubestimmung des Bleibe-

rechts, allerdings für junge Menschen mit einer Bleibe-
perspektive in Deutschland .

Ich sehe es auch als großen Erfolg, dass das Anerken-
nungsgesetz als weltweit einziges seiner Art bereits im
April 2012 in Kraft getreten ist . Damit ermöglichen wir
einen einfacheren Zugang zur Anerkennung von im Aus-
land erworbenen Berufsqualifikationen, schnellere Ver-
fahren, einen barrierefreien Wechsel innerhalb der EU
und hohe Mobilität . Das Ziel von uns Unionspolitikern
ist es, Zuwanderer präventiv zu unterstützen und ihnen
neue Perspektiven aufzuzeigen, wie sie selbst für ihren
Lebensunterhalt aufkommen können und nicht auf Sozi-
alleistungen angewiesen sind .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Meine Damen und Herren, ich denke, zusammenfas-
send kann man sagen, dass die Koalition ihren Aufgaben
verantwortungsvoll nachkommt . Deutschland genießt
mit seiner dualen Ausbildung weltweit Anerkennung .
Lassen Sie uns diese Erfahrung auch für die Einwande-
rungsgesellschaft nutzen . Geredet wird viel . Lassen Sie
uns gemeinsam handeln .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Fangen Sie erst mal bei sich selbst an!)


– Herr Mutlu, hat man Ihnen in der Schule nicht beige-
bracht, dass man auch einmal ruhig ist, wenn jemand an-
deres spricht?


(Lachen und Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Zwischenrufe gehören zum Parlamentarismus! Haben Sie das schon mal gehört? Wir sind im Parlament hier!)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1815307600

Als nächste Rednerin hat Elfi Scho-Antwerpes von

der SPD-Fraktion jetzt das Wort .


(Beifall bei der SPD – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt zurück zur Sachlichkeit!)



Elfi Scho-Antwerpes (SPD):
Rede ID: ID1815307700

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen

und Herren! In der BRD leben Menschen aus 194 Nati-
onen . Wir sind schon lange ein Einwanderungsland, ein
Land kultureller Vielfalt, und das ist gut so –


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


nicht erst seit dem großen Zustrom von Flüchtlingen in
den letzten Monaten .

Dass wir auch international als weltoffen und gast-
freundlich wahrgenommen werden, das ist ein hohes
Gut – ein sehr hohes Gut .


(Beifall bei der SPD)


Uda Heller






(A) (C)



(B) (D)


Ich sage das hier durchaus auch mit Blick auf die Ge-
denkstunde, die wir vorgestern in diesem Hohen Hause
erleben durften und in der wir der Opfer des Nationalso-
zialismus gedacht haben .


(Beifall der Abg . Dr . Daniela De Ridder [SPD])


Umso wichtiger ist es, dass wir unsere teuer bezahl-
te Freiheit schützen . Das schaffen wir nur, indem wir
den gesellschaftlichen Zusammenhalt stärken . Niemand
darf sich alleingelassen oder vernachlässigt fühlen . Die
Grundlage dafür sind zweifelsfrei eine umfassende und
solide Bildung und ein Höchstmaß an Bildungsgerech-
tigkeit für jedes Kind, jeden Jugendlichen und jeden Er-
wachsenen in unserem Land .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


So ist Ihr Antrag, liebe Kolleginnen und Kollegen von
den Grünen, grundsätzlich natürlich zu begrüßen . – Ich
fände es gut, wenn Sie zuhören würden . –


(Dr . Karamba Diaby [SPD]: Die hören gar nicht zu!)


Wir bezweifeln nicht ernsthaft, dass Bildung ein wich-
tiger gesellschaftlicher Schlüssel ist und dass es beim
Zugang zur Bildung gerecht zugehen muss . Das gilt üb-
rigens auch für Kinder ohne Migrationshintergrund, die
aus anderen Gründen eine schwierige Bildungsbiografie
haben .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU sowie des Abg . Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Es wäre indes noch begrüßenswerter gewesen, wenn
Sie einen zustimmungsfähigen Antrag formuliert hätten,
der unserer Einwanderungsgesellschaft wirklich helfen
würde .


(Martin Rabanus [SPD]: Das war aber nicht zu erwarten!)


Vieles von dem, was dort angesprochen wird, ist ohne-
hin schon auf den Weg gebracht, wie wir ja eben gehört
haben .


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was da steht, steht in Ihrem Programm!)


Anderes vergessen Sie leider völlig, und ich frage mich,
warum .


(Dr . Karamba Diaby [SPD]: Die wollen das gar nicht! – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Lest doch mal das SPD-Programm!)


Ich vermisse beispielsweise die politische Bildung . Wir
können doch nur dann eine gefestigte, bunte Gesellschaft
sein, wenn wir uns selbst und den anderen kennen, wenn
wir nicht von Ressentiments geleitet werden, sondern
von gegenseitigem Respekt .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich spreche hier nicht nur von den Zugewanderten, die
politische Bildung benötigen und in unsere Gesellschaft
hineinwachsen müssen; ich spreche auch und vor allem
von der aufnehmenden Bevölkerung in Deutschland .

Meine Heimat ist Köln . Natürlich bin ich seit der
Silvesternacht viel vor Ort gewesen, habe mit den Men-
schen gesprochen . Seit jeher sind wir eine weltoffene,
tolerante Stadt .


(Dr . Daniela De Ridder [SPD]: Das soll Köln auch bleiben!)


Gleichwohl mehren sich – und das ist ein bundeswei-
tes Problem, kein kölsches und kein ostdeutsches – die
Stimmen derer, die scheinbar kein Wissen über politische
Zusammenhänge in unserem Land haben . Es gibt immer
mehr Menschen, die glauben, wir könnten uns abschot-
ten, und die über das so wichtige Asylrecht und über
die Flucht und deren Ursachen keinerlei oder zu wenig
Kenntnisse haben . Das geht so nicht . Das ist gesellschaft-
licher Sprengstoff, liebe Kollegen und Kolleginnen .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Wir müssen Bildung ganzheitlich denken . Die politische
Bildung kann und darf da nicht außen vor bleiben .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ CSU und der LINKEN)


Lassen Sie uns überlegen, wie weit wir beispielsweise
die Bundeszentrale für politische Bildung noch stärker
unterstützen und einbinden können . Dort wird auf her-
vorragende Art und Weise informiert und aufgeklärt . Un-
sere Gesellschaft muss für die Situation der geflüchteten
Menschen sensibilisiert werden . Wir müssen die Zusam-
menhänge verstehen . Aber wir müssen uns auch unserer
eigenen Kultur und Werte bewusst werden – ich will jetzt
nicht wieder auf Silvester eingehen; Sie alle wissen, was
ich meine –; immerhin verlangen wir das auch von den
zugezogenen Menschen .


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und von denen in Hoyerswerda und in Dresden!)


Überhaupt tauchen Mittlerorganisationen in Ihrem
Antrag gar nicht auf . Was ist zum Beispiel mit dem Goe-
the-Institut, mit den politischen Stiftungen? Was ist mit
der Alexander-von-Humboldt-Stiftung? Diese Organisa-
tionen erfüllen eine wichtige Funktion bei der Integrati-
on von Zugewanderten in unser Bildungs- und Wissen-
schaftssystem, damit die Menschen, die zu uns kommen,
eine gerechte Chance haben . Exemplarisch erwähne ich
hier auch Projekte wie RheinFlanke in Köln und in Ber-
lin oder Arrivo Berlin, die sich schon länger aktiv für die
Integration einsetzen, und das tun sie gut .

Lassen Sie uns gemeinsam an einem Strang ziehen!
Herr Mutlu hat das eben schon gesagt; wir haben es jetzt
dreimal gehört . Lassen Sie es uns aber auch tun, und
schauen wir, wie wir entsprechenden Einrichtungen fi-
nanziell oder personell helfen und sie unterstützen kön-
nen .


(Beifall bei der SPD)


Elfi Scho-Antwerpes






(A) (C)



(B) (D)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, Bildungsgerechtig-
keit ist ein sehr wichtiges Thema, bei dem wir, vor allem
mit Blick auf die Flüchtlingssituation, alle – – Sie wis-
sen, was ich meine .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Dr . Karamba Diaby [SPD]: Richtig! – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich weiß es nicht!)


– Ich zeige es dir nachher . – Wir alle sollten nicht drohen,
sondern tun! Lassen Sie uns alle guten Ideen bündeln,
auch Ihre! Der hier vorgelegte Antrag allerdings greift
zu kurz, –


Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1815307800

Frau Kollegin, Sie müssen jetzt wirklich zum Schluss

kommen .


Elfi Scho-Antwerpes (SPD):
Rede ID: ID1815307900

– und wir werden ihn daher ablehnen .
Danke schön .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber ich habe Ihre Zeichensprache wirklich nicht verstanden!)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1815308000

Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit schließe ich

die Aussprache zu diesem Tagesordnungspunkt .
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf

Drucksache 18/7049 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen . Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall . Dann ist die Überweisung
so beschlossen .

Wir kommen zu den Tagesordnungspunkten 24 a und
24 b sowie zu Zusatzpunkt 7:

24 . a) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Weiterentwicklung des Strommarktes

(Strommarktgesetz)

Drucksache 18/7317
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und
Reaktorsicherheit
Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96
der GO

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des
Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und
Energie (9 . Ausschuss) zu dem Antrag der
Abgeordneten Eva Bulling-Schröter, Caren
Lay, Dr . Dietmar Bartsch, weiterer Abge-
ordneter und der Fraktion DIE LINKE
Deutscher Beitrag zu den UN-Klimaver-
handlungen – Kohlendioxid als Umwelt-
schadstoff definieren, Betriebszeiten von
Kohlekraftwerken begrenzen
Drucksachen 18/3313, 18/7277

ZP 7 Beratung des Antrags der Abgeordne-
ten Oliver Krischer, Annalena Baerbock,
Dr . Julia Verlinden, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN

Zukunft des Strommarktes – Mit ökolo-
gischem Flexibilitätsmarkt klimafreund-
liche Kapazitäten anreizen und Kohle-
ausstieg einleiten

Drucksache 18/7369
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f)

Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor-
sicherheit

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . – Ich höre dazu
keinen Widerspruch . Dann ist das auch so beschlossen .

Ich eröffne die Debatte . Als erster Redner in dieser
Debatte hat der Parlamentarische Staatssekretär Uwe
Beckmeyer für die Bundesregierung das Wort .


(Beifall bei der SPD)


U
Uwe Beckmeyer (SPD):
Rede ID: ID1815308100


Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Wir beraten heute das Strommarktgesetz in ers-
ter Lesung . Es geht aus unserer Sicht um die wichtigste
und grundlegendste Reform des Strommarktes seit der
Liberalisierung der Energiemärkte . Mit gutem Grund:
Der Umbau der Stromversorgung ist eine der größten
Herausforderungen dieser Zeit . Wir brauchen deshalb ein
neues System, das dazu passt .

Schon heute wird rund ein Drittel unseres Stroms aus
erneuerbaren Energien erzeugt . Wir wissen, dass der
Volatilität, also den Schwankungen bei der Einspeisung
ins Netz, natürlich begegnet werden muss . Insofern ist
mit dem Strommarkt 2 .0 auch ein Instrument geschaffen
worden, ebendieser Aufgabe gerecht zu werden . Mit ihm
soll bei hohen Anteilen von erneuerbaren Energien eine
sichere, kostengünstige und vor allen Dingen umweltver-
trägliche Versorgung mit Strom gewährleistet werden .
Drei Punkte sind für uns dabei sehr wichtig .

Erstens . Wir wollen wieder mehr Markt in der Strom-
wirtschaft . Das ist ein klares ordnungspolitisches Be-
kenntnis . Wie erreichen wir das? Wir wollen mit dem
Strommarkt 2 .0 sicherstellen, dass sich die Anbieter
über den Markt refinanzieren. Dazu setzt auch dieser
Strommarkt 2 .0 auf eine freie Preisbildung . Der Abbau
von Überkapazitäten und der Ausbau der Erneuerbaren
werden dazu führen, dass die Preisbildung für Investi-
tionen auch die richtigen Signale setzt . Darum ist uns
dieses Thema der freien Preisbildung am Großhandels-
markt außerordentlich wichtig . Wir möchten diese auch
garantieren . So können Verkäufer von Strom in Zeiten
von Knappheit echte Knappheitspreise verlangen . Aber
auch für die Käufer von Strom gibt es verstärkte Anreize,
sich gegen hohe Preise durch langfristige Verträge abzu-
sichern . Diese Verträge wiederum sind die Grundlage für
Investitionen im Strommarkt . Somit werden nicht allein

Elfi Scho-Antwerpes






(A) (C)



(B) (D)


Niedrigpreise am Spotmarkt das Investitionsverhalten
bestimmen . Wir sind überzeugt, dass sich hierdurch auch
Investitionen in benötigte Kapazitäten refinanzieren las-
sen .

Zweitens . Wir wollen Stromerzeugung und Strom-
nachfrage kosteneffizient miteinander verbinden; denn
in einem modernen Strommarkt brauchen wir flexib-
le Stromerzeugung, aber auch eine flexible Nachfrage.
Dazu setzen wir auf einen offenen Wettbewerb dieser
Flexibilitätsoptionen . Wir werden erleben, dass sich neue
Geschäftsmodelle, ob bei Stadtwerken oder anderswo,
ob auf der Erzeuger- oder auch auf der Nachfrageseite,
entwickeln . Dieser Strommarkt 2 .0 sorgt dafür, dass sich
die effizientesten Lösungen durchsetzen, ohne den Wett-
bewerb durch neue Subventionen zu verzerren . Zugleich
werden wir mit den neuen Geschäftsmodellen aber auch
Anbieter am Markt haben . Akteursvielfalt ist unser Ziel .

Drittens . Wir wollen Versorgungssicherheit auf ho-
hem Niveau gewährleisten . Ein in einen europäischen
Binnenmarkt eingebetteter Strommarkt trägt dazu bei;
denn auch hier sind finanzielle Vorteile zu finden. Wir
müssen weniger Kapazität vorhalten . Versorgungssicher-
heit ist nicht mehr rein national buchstabiert . Zusätzlich
können so auch Extremsituationen abgesichert werden .

Sie sehen: Mit diesem Gesetz sind wir auf einem gu-
ten Weg, und wir haben ein gutes Instrument, das auch
funktioniert .

Ein Wort zu den Grünen: Der von Ihnen vorgeschlage-
ne ökologische Flexibilitätsmarkt wird wenig helfen . Er
würde das Preissignal der Märkte stören


(Thomas Bareiß [CDU/CSU]: Hört! Hört!)


und so den Strommarkt 2 .0 und damit auch die Versor-
gungssicherheit untergraben .


(Thomas Bareiß [CDU/CSU]: Genau! – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sind Ihre ganzen Reserven?)


Das vorliegende Strommarktgesetz, meine sehr geehr-
ten Damen und Herren, schafft einen stabilen Rechtsrah-
men mit einem klar marktwirtschaftlich und europäisch
ausgerichteten Blick . Die Stromversorgung wird kosten-
effizient umgebaut, zugleich Versorgungssicherheit ge-
schaffen und ein Mindestmaß an Regulierung auf hohem
Niveau gewährleistet .

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1815308200

Vielen Dank . – Als nächste Rednerin hat Eva Bulling-

Schröter von der Fraktion Die Linke das Wort .


(Beifall bei der LINKEN)



Eva-Maria Bulling-Schröter (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1815308300

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Herr Gabriel sagt dieser Tage gerne, der Welpenschutz
für erneuerbare Energien sei beendet, man müsse die Er-

neuerbaren jetzt durch Ausschreibungen in einen Wett-
bewerb bringen . Wir haben es ja gerade gehört . Ich sage
Ihnen: So wird das Fördersystem im EEG umgekrempelt
und nebenbei die Bürgerenergie totgemacht .


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Es geht längst um die Frage, wer die Energiewende
übernimmt . Sind es hauptsächlich große Investoren, die
nur am Profit orientiert sind, oder sind es dezentrale klei-
ne Akteure, die nah an den Menschen vor Ort sind? Das
müssen wir den Menschen sagen: Es geht wieder um die
großen Konzerne und um Profit.

Nach Gabriels Plan ist die Bürgerenergie bald raus, so
viel ist klar .


(Thomas Bareiß [CDU/CSU]: Das stimmt doch gar nicht! – Zuruf von der SPD: Wo steht das denn?)


Ich sage Ihnen: Die Befürworter der Bürgerenergie wer-
den es Ihnen nicht vergessen . Zudem muss ich mich
schon wundern: Welpenschutz für Erneuerbare wird ab-
geschafft, stattdessen pampern Sie die Dinosaurier der
Stromerzeugung .

Für einige Kohlekraftwerke sollen künftig unter dem
Deckmantel einer Sicherheitsreserve 230 Millionen Euro
jährlich gezahlt werden . Das zum Thema Preise und
dazu, wer das bezahlt . Eine solche Reserve brauchen wir
nicht . Diese sogenannte Sicherheitsreserve ist nichts an-
deres als eine Luxusalimentierung für Kohlekraftwerke .

Man muss sich immer wieder vor Augen halten: Zehn
Tage braucht ein Kohlekraftwerk in Sicherheitsreserve,
um hochzufahren und im Ernstfall Strom zu liefern . Ei-
nen solchen Fall hatten wir in der Bundesrepublik bisher
noch nie, und er wird voraussichtlich auch nicht eintref-
fen . Sie halten – ich meine das wirklich ernst – die Strom-
kundinnen und -kunden wahrscheinlich für bescheuert
und lassen sie für diesen Unsinn blechen . Ich sage Ihnen:
Das ist unerhört . Das wissen die Leute vor Ort auch .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Zur Wahrheit gehört auch, dass wir bereits im vergan-
genen Jahr einen Anteil des Ökostroms an der Stromer-
zeugung in Höhe von einem Drittel hatten . Super . Das
ist nicht schlecht . Aber leider: Unserer Klimabilanz
nützt dies gar nichts; denn die Braunkohlemeiler redu-
zieren ihre Produktion eben nicht aufgrund des Mehr an
Ökostrom . Sie qualmen munter wie nie und exportieren
mehr denn je . Kohlestrom ist viel zu billig und über-
schwemmt das europäische Ausland . Wenn die Bundes-
regierung jetzt den Strommarkt neu ordnen will, müsste
sie diese Fehlentwicklung eigentlich im Blick haben .

Wir wissen alle, dass die Dekarbonisierung des Strom-
sektors in Deutschland seit Paris im Hausaufgabenheft
der Bundesregierung steht . Frau Hendricks weiß dies .
Deshalb war sie diese Woche auch schon in der Lausitz .
Herr Gabriel lenkt momentan noch von seinen unerledig-
ten Hausaufgaben ab, indem er sagt, auch andere hätten
noch nachzuarbeiten, wie der Verkehrs- oder der Agrar-
sektor . Das stimmt zwar, aber auch er muss seine Haus-
aufgaben machen .

Parl. Staatssekretär Uwe Beckmeyer






(A) (C)



(B) (D)


Als Linke schlagen wir vor, der Realität ins Auge zu
blicken und als ersten Schritt CO2 wie in den USA als
Schadstoff zu deklarieren


(Beifall bei der LINKEN)


und dann ein Kohleausstiegsgesetz auf den Weg zu brin-
gen .

Das kluge Elf-Punkte-Programm zur Dekarbonisie-
rung der Agora Energiewende geht übrigens ebenfalls in
diese Richtung. Wir finden das gut. Dies hat den Vorteil,
dass alle sich auf ein Enddatum, zum Beispiel 2040 oder
besser noch 2035, einstellen können . Beschäftigte in den
Kraftwerken und Bürgermeister wüssten, welche Meiler
beispielsweise 2020 vom Netz gehen und welche 2030 .
Ein solcher schrittweiser Ausstiegsplan bietet Rechtssi-
cherheit und Planbarkeit . Genau das brauchen die Betei-
ligten endlich .


(Beifall bei der LINKEN)


Eine Neuordnung des Strommarkts, die der Energie-
wende dienen soll, müsste aus unserer Sicht dafür sor-
gen, dass nicht wieder zentralistische Großstrukturen
aufgebaut und große Player gestärkt werden . Sie müsste
vielmehr die Stadtwerke als Vertriebsakteure stärken, die
das Zusammenspiel von fossilen und regenerativen Ener-
gien vor Ort koordinieren .


(Beifall bei der LINKEN)


Stadtwerke könnten auch wunderbar Manager für
Lastmanagement sein, weil sie den direkten Draht zu
den großen Verbrauchern vor Ort haben . Bürgerenergie
und kleinere kommunale Versorger zu wollen, ist kein
Selbstzweck, sondern notwendig für die Akzeptanz der
Energiewende .


(Beifall bei der LINKEN)


Doch die Bundesregierung tut leider alles, um die Bür-
gerenergie zu killen . Ich sage: Das ist der falsche Weg .
Wir setzen uns dafür ein, die Bürgerenergie und kom-
munale Versorger zu stärken . Das wäre der richtige Weg .

Danke .


(Beifall bei der LINKEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1815308400

Das Wort hat der Kollege Thomas Bareiß für die

CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Thomas Bareiß (CDU):
Rede ID: ID1815308500

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen!

Meine Herren! Liebe Frau Bulling-Schröter, so sieht kei-
ne in sich konsistente Energiepolitik aus . Hier kämpfen
Sie immer für den Braunkohleausstieg, vor Ort sind Sie
dagegen . Hier kämpfen Sie für den Netzausbau, vor Ort
sind Sie dagegen .


(Eva Bulling-Schröter [DIE LINKE]: Ich komme aus Bayern!)


So ist keine konsistente Energiepolitik zu machen . Unse-
re Energiepolitik ist aus einem Guss und geht auch in die
richtige Richtung .


(Beifall bei der CDU/CSU – Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da müssen die eigenen Leute lachen! – Dr . André Hahn [DIE LINKE]: Ausguss!)


So ist auch das Strommarktpaket, das auf dem Tisch
liegt, zu verstehen . Wir sorgen dafür, dass diese Um-
wälzung, die in den nächsten Jahren vor uns liegt, auch
bewerkstelligt wird . Es kam in den Reden schon zum
Ausdruck: Wir haben einen enormen Umbruch in un-
serer Energielandschaft, und wir haben auch schon sehr
große Erfolge vorzuweisen . Wir haben einen Anstieg des
Anteils der erneuerbaren Energien an der Stromerzeu-
gung, der so gar nicht vorhersehbar war und den wir vor
drei oder vier Jahren in dem Umfang noch gar nicht vor-
hergesehen hatten . Wir sind schon bei einem Anteil von
33 Prozent . Ein Drittel unserer Stromversorgung geht auf
erneuerbare Energien zurück . Das heißt, wir sind schon
vier Jahre früher an unserem Ziel und können große Er-
folge vorweisen .

Auf der anderen Seite schrumpft der Kraftwerkspark
der konventionellen Kraftwerke Stück für Stück . Wir ha-
ben in den letzten Jahren acht Kernkraftwerke vom Netz
genommen, und es werden in den nächsten vier bis fünf
Jahren noch weitere acht Kernkraftwerke vom Netz ge-
hen. Auch Kohlekraftwerke – sie sind teilweise ineffizi-
ent, das ist richtig, Frau Bulling-Schröter – gehen vom
Netz. Als Ersatz dafür brauchen wir aber flexible und
saubere Kraftwerke . Auch deshalb machen wir jetzt die-
ses Strommarktgesetz und bringen damit die Grundlage
für neue Investitionen auf den Weg .

Trotz all dieser Umbrüche haben wir einen enormen
Grad an Versorgungssicherheit . Das ist wichtig; denn un-
sere Industrie braucht Stromsicherheit . Sie braucht Ver-
lässlichkeit und stabile Netze . In den letzten zwei Jahren
haben wir die Stromunterbrechungen noch einmal redu-
ziert . Das heißt, wir haben uns in puncto Verlässlichkeit
noch einmal gesteigert . Nur zum Vergleich, damit man
einmal sieht, was Stromverlässlichkeit bedeutet: Ein
Stromausfall in Berlin würde pro Stunde 23 Millionen
Euro kosten . Diese Summe wurde vor kurzem berech-
net . Das macht deutlich, wie wichtig Strom tagtäglich ist .
Deshalb hat Versorgungssicherheit für uns oberste Prio-
rität .

Trotz all dieser Erfolge, die ich gerade beschrieben
habe, gibt es Dinge, bei denen wir nachsteuern müssen .
Ein Thema ist die hohe umlagefinanzierte Vergütung
für die Einspeisung von Strom aus erneuerbaren Ener-
gien, was unsere Strommärkte, die Strombörsen durch-
einanderbringt, sodass die Strombörsen nicht mehr die
Impulse bringen, die wir dringend für Neuinvestitionen
brauchen .


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein! Die Überkapazität bei der Braunkohle macht das!)


Eva Bulling-Schröter






(A) (C)



(B) (D)


Allein in den letzten vier Jahren ist der Strompreis
auf 22 Euro gefallen . Wir sind derzeit bei knapp über
22 Euro je Megawattstunde . Das führt dazu, dass Gas-
und Kohlekraftwerke enorm unter Druck geraten, die in
den nächsten Jahren aber dringend gebraucht werden, um
unsere Versorgungssicherheit zu gewährleisten .

Das heute vorliegende Strommarktgesetz ist deshalb
ein wichtiger Schritt zur Sicherung unserer zukünftigen
Stromversorgung . Grundlage des Gesetzespakets ist –
der Herr Staatssekretär hat es schon angesprochen – dass
Markt und Wettbewerb die Impulse für die nächsten In-
vestitionen auslösen müssen . Es müssen auch Überkapa-
zitäten abgebaut werden . Wir brauchen eine bessere freie
Preisbildung, und wir brauchen ausreichend Signale für
notwendige Investitionen in Kraftwerke der Zukunft und
Investitionen für mehr Flexibilität . Denn eines ist klar:
Auch in Zukunft, auch dann, wenn der Anteil erneuerba-
rer Energien an der Stromerzeugung auf 40, 50, 60 oder
70 Prozent steigt, brauchen wir noch effiziente und sau-
bere Kraftwerke in Deutschland .

Mit dem vorliegenden Strommarktgesetz wollen wir
uns zum Markt bekennen . Der Markt ist der richtige Ort,
um Preise zu bilden, die dann auch Investitionsentschei-
dungen beeinflussen. Allerdings sind dazu – auch das
wurde schon vom Herrn Staatssekretär gesagt – dringend
regulative Maßnahmen notwendig, die dann vorgeschal-
tet werden und quasi als Sicherheit für den Strommarkt
dienen .

Ein Argument ist die Kapazitätsreserve . Diese soll
mögliche Kapazitätslücken decken . Die Braunkohle-
reserve soll die Klimalücke schließen


(Lachen bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da musst du ja selber lachen! Das ist unglaublich!)


und die Netzreserve, als bereits bestehendes Instrument
temporärer Netzanpassung, vor allem in Süddeutschland,
abgesichert werden . Alle Kraftwerkreserven, die ich ge-
rade beschrieben habe, werden eine ungefähre Größe von
15 Gigawatt erreichen . Das ist rund ein Fünftel unserer
Jahreshöchstlast . Diese Reserven dienen zukünftig der
Gewährleistung der Versorgungssicherheit .

Das ist ein starker Eingriff; aber dieser starke Eingriff
ist notwendig . Denn Märkte können auch einmal versa-
gen, und niemand möchte, dass dieses Versagen dann
zu größeren Stromausfällen führt . Aber ich sage auch,
dass das Instrument der Kapazitätsreserve, dieser große
Eingriff, den wir vornehmen werden, noch einmal ge-
nauestens im parlamentarischen Verfahren angeschaut
werden muss . Wir brauchen Verlässlichkeit . Es ist not-
wendig, dafür zu sorgen, dass die Kosten und auch die
Synergieeffekte, die im Markt wirken, nicht über Gebühr
strapaziert werden . Deshalb werden wir uns die Gesetze
im parlamentarischen Verfahren noch einmal genau an-
schauen .


(Beifall bei der CDU/CSU – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum klatscht die SPD da nicht?)


Ich nehme auch die Sorgen vieler Experten sehr ernst,
die davor warnen, dass die neuen Kapazitätsreserven zur
Regulierungsfalle werden und zu mehr Verstaatlichung
führen . Deshalb braucht das Instrument der Kapazitäts-
reserve klare Grenzen . Die Reserven dürfen nicht zum
eigentlichen Strommarkt werden . Das wäre ein Schritt in
die Planwirtschaft, was wir definitiv nicht wollen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Deshalb werden wir darauf drängen, dass der Bun-
destag auch zukünftig angemessen an der Ausgestaltung
der Reserve beteiligt wird . Im Übrigen ist ein wichti-
ger Schritt zu mehr Markt und mehr Verlässlichkeit im
Markt, dass wir die Bilanzkreisverantwortung stärken
und dafür sorgen, dass die Bilanzkreisverantwortlichen
den Strom, den sie gehandelt haben, auch anbieten . Auch
dadurch sollen in Zukunft mehr Markt und mehr Wettbe-
werb entstehen .

Meine Damen und Herren, ein weiterer Aspekt ist mir
zum Schluss noch wichtig . Ich glaube, wir brauchen auch
im Strommarkt einen stärkeren europäischen Ansatz . Das
bringt nicht nur Effizienzvorteile, sondern auch Verläss-
lichkeit und Sicherheit für unsere Stromversorger . Wir
haben hier in den letzten Jahren viele Alleingänge gese-
hen, nicht nur in Deutschland, sondern auch in unseren
Nachbarländern . Das muss sich in den nächsten Jahren
wieder ändern . Wir brauchen einen starken, abgestimm-
ten Rahmen in Europa . Denn wenn Dinge wie die Kapa-
zitätsreserve im Alleingang implementiert werden, kann
das auch negative Einflüsse auf uns haben. Instrumente
werden möglicherweise ausgehebelt oder laufen unseren
Vorstellungen sogar entgegen . Das wäre ein Schritt in die
falsche Richtung . Wir brauchen im Bereich des Strom-
marktes mehr europäische Ansätze . Das gilt auch für
andere Bereiche der Klimapolitik; auch hier sollten wir
mehr auf Europa setzen statt auf nationale Alleingänge .
Deshalb halten wir das Braunkohlegesetz, das Sie hier
vorschlagen, für einen Weg in die falsche Richtung .

Meine Damen und Herren, vor uns liegen wichtige
intensive Beratungen des vorliegenden Gesetzentwurfs .
Der Zeitplan ist sehr ambitioniert . Wir wollten eigentlich
im März fertig werden; aber das schaffen wir nicht . Wir
brauchen etwas mehr Zeit; das zeigt die Erfahrung der
letzten Jahre . Aber ich glaube, wir gehen den Weg in die
richtige Richtung, indem wir den Strommarkt verlässlich
mit guten Rahmenbedingungen ausstatten im Sinne einer
sicheren und auch wirtschaftlichen Energieversorgung .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1815308600

Der Kollege Oliver Krischer hat für die Fraktion

Bündnis 90/Die Grünen das Wort .


Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1815308700

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Bereits zu Beginn der Legislaturperiode, bei der Grün-
dung der Großen Koalition, wurde die Reform des
Strommarktes als das große Meisterwerk von Sigmar

Thomas Bareiß






(A) (C)



(B) (D)


Gabriel gefeiert . Es gab dann Grünbücher, Weißbücher,
Blaubücher, Violettbücher, und der Berg kreißte immer
schneller – und nun haben wir das hier vorliegen . Was
jetzt herausgekommen ist, hätte ich – das muss ich ehr-
lich sagen – nicht einmal von einer Großen Koalition er-
wartet, obwohl wir da schon einiges gewohnt sind .

Das Ergebnis Ihrer Reform des Strommarktes ist der
Einstieg in die subventionierte Braunkohle . Das ist un-
glaublich vor dem Hintergrund von Paris und dem über-
fälligen Kohleausstieg, den wir eigentlich im Konsens
machen müssten .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Herr Minister Gabriel hat zu Beginn der Debatte den
Satz geprägt – als Grüner, und das gilt wahrscheinlich
auch für die Linken, käme mir ein solcher Satz gar nicht
über die Lippen –: Es darf kein Hartz IV für Kohlekraft-
werke geben . – Ich würde solche Vergleiche nicht ziehen .
Aber wenn man in seinem Bild bleibt, dann macht die
Große Koalition jetzt genau das: Sie gibt Hartz IV für
Kohlekraftwerke . Es wäre ja schön, wenn es nur der Re-
gelsatz von 404 Euro wäre . Es sind aber 1,6 Milliarden
Euro, die Sie den Kohlekonzernen hinterherwerfen für
Kraftwerke, die niemand braucht und die die Konzerne
teilweise selber stilllegen wollten, und für eine Reserve,
die nicht erforderlich ist . Meine Damen und Herren, das
ist unglaublich . Das hat mit Markt nichts zu tun . Das ist
Planwirtschaft für Kohlekonzerne .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Wie Ihre Planwirtschaft aussieht – Herr Bareiß, Herr
Beckmeyer, Sie haben eben so viel von Markt geredet –,
das können Sie sich im Gesetzentwurf angucken .

Meine Damen und Herren, ich zeige Ihnen hier die
Formel,


(Der Redner hält ein Schaubild hoch)


nach der die Vergütung von RWE und Vattenfall berech-
net wird . Das Verrückte an dieser Formel ist: Die Kon-
zerne können in weiten Teilen selber bestimmen, wie viel
sie bekommen . Das ist ein Vorgang, der absolut unglaub-
lich ist .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg . Hubertus Zdebel [DIE LINKE])


Jetzt erzählen Sie – das haben wir gerade wieder ge-
hört –: Das Kernelement der Strommarktreform soll sein,
dass die Preisspitzen an der Börse für die nötigen Signale
für Investitionen in Erzeugungsleistungen, Speicherlast-
management und anderes sorgen . Zu der Überzeugung
kann man kommen, dann muss man aber konsequent
handeln wie zum Beispiel der Staat Texas in den USA .
Der macht das . Sie sagen: Der Markt soll es regeln, die
Preisspitzen sollen Anreize setzen . Das heißt dann in der
Konsequenz aber auch, dass der Strom auch einmal aus-
fallen kann, wenn Angebot und Nachfrage nicht in Ein-
klang zu bringen sind .

Sie schaffen jetzt eine Netzreserve, eine Kapazitäts-
reserve, eine Sicherheitsreserve, eine Braunkohlereserve
und eine Lastabschaltreserve . Meine Damen und Herren,
erklären Sie mir, was das mit Markt zu tun hat! Das ist
Planwirtschaft in der Energiewirtschaft par excellence,
an der Kohlekonzerne verdienen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg . Hubertus Zdebel [DIE LIN KE])


Ich sage Ihnen eines: Wenn sich dann an der Strom-
börse tatsächlich die hohen Preise zeigen sollten, dann
werden wir von Herrn Pfeiffer, Herrn Bareiß, Herrn
Fuchs, Herrn Seehofer und allen anderen aus der ener-
giepolitischen Todeszone doch wieder hören: Das kann
die Industrie nicht zahlen, die Strompreise sind zu hoch .


(Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Und was wird dann passieren? Dann werden wir die mit
Milliarden subventionierten Reservekraftwerke anwer-
fen, und dann hat sich das mit Ihrem Strommarkt erle-
digt . Das ist doch die Realität: Sie wollen gar keinen
Strommarkt!

Das eigentliche Problem an diesem Gesetzentwurf ist
alles das, was nicht drinsteht . Was drinsteht, ist schon
schlimm genug . Aber das, was nicht drinsteht, ist das
große Problem; denn eigentlich müssten Sie sich jetzt
auf ein Energiesystem einstellen, in das zu 60 oder
70 Prozent Strom aus erneuerbaren Energien eingespeist
wird . Das würde eine wirkliche Strukturreform bedeuten .
Dann müsste man aber über neue Finanzierungsmecha-
nismen jenseits der Börse reden . Das alles tun Sie aber
nicht . Ich sage Ihnen auch, warum Sie es nicht tun: Sie
wollen nämlich gar nicht in die Größenordnung von 60,
70 oder am Ende 100 Prozent Strom aus erneuerbaren
Energien kommen .

Wir haben vor ein paar Tagen einen Brief bekommen,
aus dem hervorgeht, dass es darauf hinausläuft, dass nach
Photovoltaik und Biogas auch der Ausbau von Windener-
gie an Land bei null ankommen soll . Das ist das Ziel Ih-
rer Politik . Das ist keine Energiewende, das ist das exakte
Gegenteil davon .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir brauchen ein Strommarktgesetz, in dem Flexibi-
lität wirklich die neue Währung ist . Wir brauchen eine
Reform der Netzentgelte . Wir brauchen vor allen Dingen
endlich Anreize für den Ausbau von Energiespeichern,
Herr Bareiß. Wir brauchen eine Speicherdefinition.


(Thomas Bareiß [CDU/CSU]: Haben wir doch!)


Von alldem ist in dem vorliegenden Gesetzentwurf nichts
zu finden. Sie haben dazu allerdings ein paar schlaue Vor-
schläge gemacht; das war einer der wenigen Lichtblicke,
die aus der Unionsfraktion kamen . Aber dann sorgen
Sie jetzt bitte schön dafür, dass in den Gesetzentwurf
aufgenommen wird, dass Speicher im Strommarkt eine
Zukunft haben, dass eine Entwicklung nicht weiter blo-
ckiert wird . Es kann doch nicht sein, dass im Moment
die Speicher, die wir in Zukunft brauchen werden, abge-

Oliver Krischer






(A) (C)



(B) (D)


schaltet bzw . stillgelegt werden, dass selbst Pumpspei-
cherkraftwerke stillgelegt werden .

Aber die Hoffnung stirbt zuletzt . Vielleicht wird es in
den parlamentarischen Beratungen dazu kommen, dass
Sie aus diesem völlig vermurksten Strommarktgesetz
wenigstens in Teilen etwas machen, das uns in Zukunft
voranbringt, das Speicherung, Lastmanagement und Fle-
xibilität in einem Energiesystem mit Strom zu 100 Pro-
zent aus erneuerbaren Energien statt aus Kohle und Atom
ermöglicht . Bisher ist das noch nicht der Fall . Vielleicht
wird es, wenn wir den Gesetzentwurf verabschieden,
besser sein . Angesichts der Erfahrungen, die wir in der
Vergangenheit gemacht haben, habe ich allerdings wenig
Hoffnung . Aber wie gesagt: Die Hoffnung stirbt zuletzt .

Danke schön .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg . Eva Bulling-Schröter [DIE LINKE])



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1815308800

Das Wort hat der Kollege Johann Saathoff für die

SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Johann Saathoff (SPD):
Rede ID: ID1815308900

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Wir haben heute die erste Lesung . Wenn ich
höre, dass dies der Einstieg in die subventionierte Braun-
kohleindustrie sei und Hartz IV für Kraftwerke realisiert
sei,


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sigmar Gabriel!)


dann frage ich mich: Wie glaubwürdig ist das? Wie ist es
möglich, dass die Grünen in NRW, wo sie an der Regie-
rung beteiligt sind, das anders sehen als die Grünen, die
heute hier gesprochen haben?


(Thomas Bareiß [CDU/CSU]: Genau! – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ja Quatsch!)


Und mit Blick auf die Linken frage ich mich: Wie ist das
eigentlich in Brandenburg? Dort wird das auch ganz an-
ders gesehen .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zuruf von der LINKEN)


Letzten Endes können Sie über diese Reservekraftwerke
schimpfen, wie Sie wollen . Im Saldo – das müssen Sie
zugeben – wird weniger CO2 emittiert, und das ist eine
gute Maßnahme .

Statistisch gesehen haben wir in Deutschland weniger
als zwölf Minuten Stromausfall pro Jahr . Wir verfügen
also über eine enorm hohe Versorgungssicherheit, die
den internationalen Vergleich nicht zu scheuen braucht,
die durchaus als Eckpfeiler für den wirtschaftlichen Er-
folg Deutschlands definiert werden kann.

Diesen Wettbewerbsvorteil wollen wir natürlich er-
halten . In einem sich aufgrund der Energiewende schnell
und radikal ändernden Marktumfeld wollen wir die
Versorgungssicherheit auch für die Zukunft gewähr-
leisten . Menschen sollen sich darauf verlassen können:
Der Strom kommt immer aus der Steckdose – immer!
Langfristig wollen wir für den Strommarkt Möglichkei-
ten schaffen, den Verbrauch an die Erzeugung anpassen
zu können . Bislang folgte die Erzeugung von Strom
durch den fossilen Kraftwerkspark im Wesentlichen der
Verbrauchskurve . Im Zeitalter der Erneuerbaren mit ei-
ner umweltfreundlichen, aber eben auch fluktuierenden
Einspeisung soll sich die Verbrauchskurve auch an der
Stromproduktionskurve orientieren können .

Wir produzieren insgesamt mehr Energie, als wir in
Deutschland verbrauchen, und auf dem Papier haben
wir mehr Kraftwerke, als wir eigentlich brauchen; aber
daraus lässt sich nicht einfach schließen, dass damit die
Versorgungssicherheit automatisch gewährleistet ist . Wir
bilden einen Stromverbund mit unseren europäischen
Nachbarstaaten . Der Strom bewegt sich frei zwischen
diesen Ländern . Zum Teil haben Kraftwerke in Deutsch-
land Verträge mit dem Ausland, produzieren also gar
nicht mehr für deutsche Kunden . Deshalb müssen wir
Versorgungssicherheit europäisch denken . Das ist einer
der Leitgedanken dieses Gesetzentwurfs .

Mit der heutigen ersten Lesung stehen wir zwar erst
am Anfang des Gesetzgebungsverfahrens, aber nicht am
Anfang des Prozesses . Wir sind längst mitten im Prozess .
Das Bundeswirtschaftsministerium hat im vergangenen
Jahr zunächst das Grünbuch mit den ersten Überlegun-
gen vorgestellt . Aus den Ergebnissen der Konsultationen
entstand dann das Weißbuch, an das sich eine abschlie-
ßende Konsultationsphase anschloss . Von einem „Blau-
buch“ oder einem „Lilabuch“ ist mir nichts bekannt .


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo sind denn die Ergebnisse? Die sind aber nicht im Gesetzentwurf! Die sind alle nicht drin! Was ist mit Speichern? Was ist mit Flexibilität? Was ist mit Netzentgelten?)


Man kann also sagen, dass alle am Entscheidungsprozess
Beteiligten mehrfach die Möglichkeit hatten, ihre Anre-
gungen einzubringen .

Ergebnis des Prozesses war die Entscheidung, den
Weg in Richtung Strommarkt 2 .0 einzuschlagen . Dabei
wird davon ausgegangen, dass sich die notwendigen
Kraftwerke auf dem Markt refinanzieren können. Die
Alternative wäre gewesen, den Betreibern von Kraftwer-
ken Geld dafür zu geben, dass sie einfach da sind und
im Notfall einspringen können . Das wollen wir nicht .
Am Beispiel Großbritannien sehen wir die Folgen eines
solchen Kapazitätsmarktes: Es wird überwiegend Braun-
kohle verstromt,


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Großbritannien? Da gibt es überhaupt keine Braunkohle!)


und der Strom ist deutlich teurer als gedacht . Die ge-
wählte Variante „Strommarkt 2 .0“ ist quasi ein Flexibili-
tätsmarkt und aus unserer Sicht deutlich besser . Das ent-

Oliver Krischer






(A) (C)



(B) (D)


spricht auch den Erfahrungen, die im Ausland gemacht
wurden, zum Beispiel in Texas . Der Markt soll das mit
möglichst wenigen regulatorischen Eingriffen regeln .
Wenn es um die Preisbildung geht, regeln wir also im
Grunde, dass wir nichts regeln .

Nebenbei wollen wir mit dem Gesetz auch einen Bei-
trag zur Erreichung unserer Klimaziele leisten . Unter
der Überschrift „Sicherheitsbereitschaft“ werden Braun-
kohlekraftwerke faktisch stillgelegt . Dadurch kommt es
natürlich zu CO2-Einsparungen, die dazu beitragen, dass
wir unsere Klimaziele erreichen können .

Außerdem wollen wir für mehr Transparenz sorgen .
Im Grunde soll sich jeder Interessierte zu Hause an sei-
nem Computer über Stromproduktion, Stromverbrauch
und jede Menge andere Daten in Echtzeit informieren
können, also quasi ein aktiver Verbraucher werden kön-
nen .

Ein weiteres Ziel ist es, die Bilanzkreistreue der
Stromvertriebe zu stärken . Im Grunde sollen die Ver-
triebe durch die Bilanzkreistreue die Einspeisungen
und Entnahmen in und aus dem Stromkreis stets aus-
gleichen . Das gilt auch jetzt schon, ist aber unter ande-
rem wegen der in zunehmendem Maße fluktuierenden
Einspeisung nicht ganz einfach . Der Gesetzentwurf
hebt das vorhandene Verbesserungspotenzial . Differen-
zen zwischen Einspeisungen und Entnahmen werden
minimiert . Insbesondere soll durch höhere Strafen ein
Anreiz für mehr Bilanzkreistreue geschaffen werden .
Über die obligatorische Bilanzkreistreue wird bereits
jetzt stark diskutiert .

Ich möchte klarstellen, dass die Bilanzkreisverant-
wortlichen in Extremsituationen nicht für Abweichungen
haften sollen, für die sie nichts können .


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da geht es schon wieder los!)


Zum Beispiel bei dem Stromausfall im November 2006,
als die Papenburger Meyer-Werft ein Kreuzfahrtschiff
über die Ems in die Nordsee überführt hat und durch die
Abschaltung der Hochspannungsleitung in großen Teilen
Westeuropas der Strom ausfiel, mussten die ÜNBs, die
Übertragungsnetzbetreiber, die Bilanzkreise nicht ab-
rechnen . Nach Verabschiedung dieses Gesetzentwurfs
müssen sie das; denn dann ist das verpflichtend. Durch
die verpflichtende Abrechnung der Bilanzkreise soll ver-
mieden werden, dass ein Anreiz geschaffen wird, solche
Extremsituationen erst herbeizuführen . Also noch ein-
mal: Die Bilanzkreise müssen auch in Extremsituationen
künftig verpflichtend abgerechnet werden, aber die Bi-
lanzkreisverantwortlichen sollen nicht für Abweichun-
gen haften, für die sie nichts können .

Mit dem Strommarktgesetz, der Digitalisierung und
dem EEG 2016 haben wir eine ganze Menge Aufgaben
vor uns . Wir haben viel vor . Bei mir zu Hause sagt man:
Gifft keen Flees, wor neet ok bunken in sitten . – Es gibt
kein Fleisch ohne Knochen . Anders ausgedrückt: Nichts
ist ohne Haken . Im Rahmen der parlamentarischen De-
batten werden wir gemeinsam sicher die Knochen vom

Fleisch trennen können . Ich freue mich auf konstruktive
Diskussionen diesbezüglich .

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1815309000

Der Kollege Karl Holmeier hat für die CDU/

CSU-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Karl Holmeier (CSU):
Rede ID: ID1815309100

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen

und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Die Energiewende ist eines unserer größten energiepo-
litischen Projekte der Gegenwart und zurzeit natürlich
eine große Herausforderung . Wir gehen den Weg in ein
neues Energiezeitalter, und dieser Weg ist richtig . Wir
haben uns vor Jahren auf den Weg gemacht, die Strom-
versorgung in Deutschland komplett zu verändern . Wir
gehen weg von Großkraftanlagen hin zu deutschlandweit
verteilten Kleinanlagen . Wind, Sonne, Wasser, Biomasse
und Geothermie sind künftig die Hauptquellen unserer
Energie von morgen . Dies dient auch einem umfassenden
Klimaschutz .

Bei unseren Entscheidungen lassen wir uns insge-
samt von einem Zieldreieck leiten: Wirtschaftlichkeit,
Umweltverträglichkeit und vor allem – es wurde schon
einige Male angesprochen – Versorgungssicherheit . Al-
lein mit erneuerbaren Energien schaffen wir das nicht .
Wir brauchen Energie, die auch dann verfügbar ist, wenn
der Wind nicht weht . Wir brauchen Energie auch dann,
wenn die Sonne nicht scheint . Der Erfolg der Energie-
wende hängt ganz wesentlich davon ab, ob wir Energie
jederzeit liefern und damit stets Versorgungssicherheit
gewährleisten können .

Der Freistaat Bayern wird in den nächsten Jahren wei-
ter erhebliche Kernkraftwerkskapazitäten verlieren . Bis
2022 werden durch den Ausstieg aus der Kernenergie
deutschlandweit Kapazitäten in Höhe von etwa 10 Gi-
gawatt stillgelegt . Diese verlorenen Kapazitäten gilt es
sinnvoll zu ersetzen . Es ist daher ein zentrales Anliegen
der Union und vor allem auch von uns Bayern, dass die
Versorgungssicherheit stets gewährleistet ist . Was zum
Beispiel ein Stromausfall von einer Stunde kostet, haben
wir vorhin schon gehört . Die Versorgungssicherheit hat
für uns also oberste Priorität .

CDU, CSU und SPD haben mit den energiepolitischen
Grundsatzentscheidungen am 1 . Juli des letzten Jahres
den Weg in ein neues Energiezeitalter weiter abgesichert .
Durch das Strommarktgesetz, das wir heute in die Be-
ratung einbringen, werden die richtigen Rahmenbedin-
gungen geschaffen . Die Stromversorgung wird volks-
wirtschaftlich, kosteneffizient und umweltverträglich
weiterentwickelt . Mit dieser größten Reform des Strom-
marktes seit der Liberalisierung des Energiemarktes vor
20 Jahren machen wir den Strommarkt fit für die kom-
menden Generationen .

Johann Saathoff






(A) (C)



(B) (D)


Das Strommarktgesetz hat im Wesentlichen folgende
Schwerpunkte – auch das wurde bereits angesprochen –:
Die bestehenden Mechanismen des Strommarktes wer-
den gestärkt . Kern eines weiterentwickelten Strommark-
tes und entscheidendes Marktinstrument ist das Preissig-
nal . Benötigte Kapazitäten können sich am Strommarkt
refinanzieren. Marktpreissignale sollen künftig möglichst
unverzerrt wirken .


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie verhindern doch die Leitungen! Dann können die nicht wirken!)


Dazu werden die Ziele und Grundprinzipien des weiter-
entwickelten Strommarktes in das Energiewirtschaftsge-
setz aufgenommen . Wir sichern eine faire und freie wett-
bewerbliche Preisbildung .

Generell gilt: Nur wenn die Akteure dem Markt trau-
en, wird das Projekt gelingen . Wir müssen einen Markt
mit so wenig Regulation wie nötig und so viel Wettbe-
werb wie erforderlich schaffen . Wir bauen Eintrittsbarri-
eren für Anbieter von Lastmanagementmaßnahmen und
EEG-Anlagen im Regelleistungsmarkt ab . So können
bestehende Kapazitäten kosteneffizienter und umwelt-
verträglicher eingesetzt werden . Der Einsatz von Flexibi-
litätsoptionen wird damit erleichtert . Wir reduzieren die
Kosten des Netzausbaus durch effiziente Netzplanung.
Durch eine Anpassung des Energiewirtschaftsgesetzes
und des Erneuerbare-Energien-Gesetzes 2014 kann die
Abregelung von Erneuerbare-Energien-Anlagen in Zei-
ten hoher Stromeinspeisung bei der Netzausbauplanung
berücksichtigt werden .

Wir erhöhen die Transparenz am Strommarkt . Trans-
parente und aktuelle Strommarktdaten können künftig ef-
fiziente Erzeugungs-, Verbrauchs- und Handelsentschei-
dungen fördern . Ganz wichtig ist: Wir gewährleisten die
Versorgungssicherheit . Auch gerade wegen der veränder-
ten Bedingungen am Markt soll der Strommarkt 2 .0 mit
einer Kapazitätsreserve abgesichert werden .


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Netzreserve! Sicherheitsreserve! Kapazitätsreserve!)


Dies ist ein wichtiger Schritt hin zu einer sicheren und
wirtschaftlichen Stromversorgung in einem zunehmend
von erneuerbaren Energien geprägten europäischen
Markt . Die Reserve kommt zum Einsatz, wenn trotz frei-
er Preisbildung an der Strombörse kein ausreichendes
Angebot existiert, um einen Ausgleich zwischen Ange-
bot und Nachfrage zu ermöglichen .

Dazu werden wir Erzeugungskapazitäten außerhalb
des Strommarktes vorhalten und bei Bedarf einset-
zen . Die Regelungen der Netzreserve werden über den
31 . Dezember 2017 hinaus verlängert . In der Netzreserve
werden seitens der Betreiber zur Stilllegung vorgesehe-
ne, aber systemrelevante Kraftwerke zur Überbrückung
von Netzengpässen außerhalb des Strommarktes vorge-
halten .

Es ist wichtig, darauf hinzuweisen, dass der am 1 . Juli
2015 vereinbarte Bedarf von weiteren 2 Gigawatt gerade
in Süddeutschland, der durch neue Kraftwerke gedeckt
werden soll, verankert wird . Diese Kraftwerke sind für

Süddeutschland vorgesehen . Dabei ist wichtig, dass das
Gaskraftwerk in Irsching weiter betrieben wird .


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist das, was interessiert!)


Wir müssen bei der Fortentwicklung des Strommark-
tes und dem neuen EEG 2016 die Chancen nutzen, die
Biogas für die Grundlast bietet . Biogas muss eine Zu-
kunft haben . Dies gilt insbesondere für den Bestand, da
die 20-jährige Förderung in den nächsten Jahren aus-
läuft .


(Eva Bulling-Schröter [DIE LINKE]: Dazu steht da aber nichts!)


Weiter wollen wir das nationale Klimaschutzziel für
2020 erreichen . Dazu werden wir beginnend ab 2016
bestimmte Braunkohlekraftwerke schrittweise aus dem
Markt nehmen und auch vorläufig stilllegen. Das betrifft
Braunkohlekraftwerke mit einer Leistung von 2,7 Giga-
watt . Das sind etwa 13 Prozent der in Deutschland instal-
lierten Braunkohlekraftwerkskapazität .

Schließlich verbessern wir das Monitoring der Versor-
gungssicherheit . Der Bericht zur Versorgungssicherheit
an den Strommärkten soll künftig mindestens alle zwei
Jahre erscheinen . Vor allem soll er Deutschland im Kon-
text der europäischen Strommärkte betrachten .

Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Umset-
zung der Energiewende ist das bedeutendste energiepoli-
tische Großprojekt der Gegenwart . Es ist eine Herausfor-
derung für uns alle, und wir werden es packen .

Ich freue mich auf die anstehenden Beratungen . Ich
wünsche Ihnen noch einen schönen Nachmittag und ein
schönes Wochenende und bedanke mich für die Auf-
merksamkeit .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1815309200

Ich schließe die Aussprache .

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 18/7317 und 18/7369 an die in der
Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen .
Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall . Dann
sind die Überweisungen so beschlossen .

Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Ener-
gie zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem
Titel „Deutscher Beitrag zu den UN-Klimaverhandlun-
gen – Kohlendioxid als Umweltschadstoff definieren,
Betriebszeiten von Kohlekraftwerken begrenzen“ . Der
Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 18/7277, den Antrag der Fraktion Die Lin-
ke auf Drucksache 18/3313 abzulehnen . Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? –
Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Fraktion
Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen angenommen .

Karl Holmeier






(A) (C)



(B) (D)


Ich rufe den Tagesordnungspunkt 25 auf:

Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/
CSU und SPD

Innovative Arbeitsforschung für eine Huma-
nisierung unserer Arbeitswelt und mehr Be-
schäftigung

Drucksache 18/7363
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Ausschuss Digitale Agenda
Haushaltsausschuss

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . – Ich höre kei-
nen Widerspruch . Dann ist so beschlossen .

Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat der Kollege
Dr . Stefan Kaufmann für die CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Dr. Stefan Kaufmann (CDU):
Rede ID: ID1815309300

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine Damen und Herren!

Im Oktober 2014 titelte die Welt: „Eltern bereitet die
Digitalisierung große Sorgen“ . Die Digitalisierung wer-
de die Arbeitswelt radikal verändern . Eltern fürchteten
daher um sichere Jobs für ihre Kinder . So das Ergebnis
einer Umfrage des Allensbach-Instituts .

Damit sind wir auch schon mitten im Thema unserer
heutigen Debatte, meine Damen und Herren, nämlich
beim Antrag der Koalitionsfraktionen zur innovativen
Arbeitsforschung .

Drei Viertel aller Eltern rechnen mit zunehmendem
Leistungsdruck, 70 Prozent mit steigenden Anforderun-
gen für die Arbeitnehmer im Zuge der Digitalisierung .
Doch wird es tatsächlich auch so kommen? Wie wirkt
sich die Digitalisierung, aber auch der Trend zur Indivi-
dualisierung und zur Flexibilisierung auf die Arbeitswelt
von morgen konkret aus? Wie können wir die Prozesse
positiv beeinflussen?

Mit diesen wichtigen Fragen beschäftigt sich schon
von jeher die Arbeitsforschung . Ein erstes Programm
der Bundesregierung gab es bereits 1974 . Damals hieß
das „Humanisierung des Arbeitslebens“ . Das Programm
wurde 1989 abgelöst durch das Programm „Arbeit und
Technik“ . 2001 folgte das Programm „Innovative Ar-
beitsgestaltung – Zukunft der Arbeit“ . 2007 folgte „Ar-
beiten – Lernen – Kompetenzen entwickeln“ .

Bestimmendes Element für die tiefgreifenden Verän-
derungen der nächsten Jahre ist ohne Zweifel die Digi-
talisierung . Wie lassen sich zum Beispiel angesichts von
Arbeitsprozessen rund um die Uhr familienfreundliche
Arbeitszeiten sichern oder gute Weiterbildung organisie-
ren? Stichwort „lebenslanges Lernen“ .

Gerade global agierende Unternehmen haben oft den
Bedarf, dass die Beschäftigten über die Kernarbeitszeit
„nine to five“ hinaus verfügbar sind, beispielsweise um
die Kommunikation mit Zulieferern und Kunden in ande-
ren Zeitzonen zu gewährleisten . Information, Feedback
und Kommunikation erfolgen also zunehmend in Echt-
zeit .

Andererseits wollen aber auch immer mehr Menschen
nicht mehr zu den üblichen Zeiten arbeiten, zum Beispiel
um sich ihrer Kinder anzunehmen oder sich um ihre An-
gehörigen zu kümmern . Die zeitliche Entgrenzung der
Arbeit hat also viele Motive .

Klar ist: Hinter allen neuen Techniken steht letztlich
ein Mensch, der sich verändern möchte oder muss, der
Neues erdenkt und entwickelt, der nutzt, fühlt und ent-
scheidet .

Neben der Digitalisierung ist daher die Individuali-
sierung ein zentraler Trend. Biografien sind Multigrafien
geworden . Lineare Lebensstile und -wege verschwinden
zunehmend . Individualität ersetzt Uniformität . Dies zeigt
sich nicht zuletzt auch in der rasanten Zunahme der Zahl
individualisierter Produkte und Dienstleistungen in der
virtuellen, aber natürlich auch in der realen Welt .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Auch Unternehmensstrukturen und Arbeitsräume ver-
ändern sich . Wissens- und Kreativarbeiter rücken immer
mehr ins Zentrum des Wirtschaftens . Wir werden zuneh-
mend selbstständig, auch wenn wir fest angestellt sind .
Der Mitarbeiter wird zum Kunden, zum Partner oder
auch zum Mitgestalter . Traditionelle Strukturen von Hie-
rarchie lösen sich auf .

Damit sind beispielsweise auch die Entwicklung offe-
ner Arbeitsstrukturen und Managementkonzepte, die Au-
tomatisierung von immer komplexeren Arbeitsaufgaben
und flexible Modelle für Führung und Bindung gefragt.
Der Trend „New Work“ hebt den Arbeitsbegriff auf eine
ganz neue Ebene . Diese neue Arbeitswelt der Zukunft
verunsichert und fasziniert die Menschen gleichermaßen .
Diese Unsicherheit gilt es zu überwinden und überholte
Geschäftsmodelle loszulassen . Liebe Kolleginnen und
Kollegen, interessanterweise werden dabei Start-up-Kul-
turen zu Vorbildern für etablierte Unternehmen .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


All diese Themen fokussieren wir in dem Antrag, den
wir vorgelegt haben . Die fünf zentralen Punkte will ich
kurz herausgreifen .

Erstens . Wir unterstützen ausdrücklich das vom Bun-
desministerium für Bildung und Forschung im September
2014 angekündigte Rahmenprogramm „Innovationen für
die Produktion, Dienstleistung und Arbeit von morgen“ .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Zweitens . Wir wollen den Wissenstransfer aus dem
Arbeitsforschungsprogramm gerade zu den kleinen und
mittleren Unternehmen sicherstellen; denn diese sind

Vizepräsidentin Petra Pau






(A) (C)



(B) (D)


von ganz besonderer Bedeutung beim Wandel zur digi-
talen Gesellschaft .

Drittens . Wir wollen im Rahmen der Förderung von
Projekten zu Industrie 4 .0 Wissenslücken und Erkennt-
nisbedarfe im Bereich der Arbeitsgestaltung und auch
der Anforderungen an Sicherheit und Gesundheit der Be-
schäftigten identifizieren.

Viertens . Wir wollen, dass auch bei der Umsetzung
der Hightech-Strategie der Bundesregierung Fragen der
Arbeitswelt der Zukunft und der Arbeitsbedingungen,
beispielsweise eine verbesserte Vereinbarkeit von Fami-
lie und Beruf, stärker berücksichtigt werden .

Fünftens . Wir wollen die Fragen im Zusammenhang
mit der Arbeitsforschung auch europäisch adressieren,
das heißt, darauf hinwirken, dass sie in der EU-For-
schungsförderung stärker Berücksichtigung finden; denn
schließlich haben wir mit Horizon 2020 das nach wie vor
größte Rahmenprogramm für die Forschungsförderung
auf EU-Ebene aller Zeiten .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg . René Röspel [SPD])


Meine Damen und Herren, der Antrag trägt mit diesen
wichtigen Fragestellungen auch dazu bei, die Innova-
tions- und damit auch die Wettbewerbsfähigkeit unseres
Landes zu sichern . Apropos Wettbewerbsfähigkeit: Aus
aktuellem Anlass möchte ich noch drei Anmerkungen zur
Exzellenzinitiative und zu dem heute Morgen vorgestell-
ten Imboden-Bericht machen:

Erstens . Der Bericht hat nochmals klar bestätigt, was
Exzellenz bedeutet . Exzellenz besitzen in Deutschland
bisher nur einige wenige Universitätsstandorte, die in-
ternational von Bedeutung sind und als Aushängeschild
Deutschlands weltweite Bekanntheit haben .

Zweitens . Entscheidend für den Erfolg von Exzellenz-
konzepten ist eine starke Governance an den Hochschu-
len . Das hat Herr Imboden heute noch einmal ausdrück-
lich bestätigt . Diese ist nicht überall vorhanden . Das hat
er auch ausdrücklich so gesagt .

Drittens . Bei der Bildung von Forschungs- oder Zu-
kunftsclustern sollten wir auch darüber nachdenken, dass
mehrere Unis gemeinsam antragsberechtigt sind .

Im Lichte dieser Ergebnisse und auch der Diskussion
auf Bund-Länder-Ebene sollten wir uns hier im Parla-
ment rasch auf Eckpunkte für eine Neuausrichtung der
Exzellenzinitiative einigen . Eines sollte uns aber auch
klar sein – und das sollten wir auch kommunizieren –:
4 Milliarden Euro für diese Exzellenzinitiative sind ein
klares Signal dafür, dass wir, wenn es um die Exzellenz
geht, nicht nur kleckern, sondern auch in Zukunft weiter
klotzen wollen .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich darf noch einmal zur Arbeitsforschung zurück-
kommen . Mit der Gesamtausstattung des neuen Arbeits-
forschungsprogramms von immerhin 1 Milliarde Euro
setzen wir hier international Maßstäbe; das muss ich auch
einmal sagen . Wir sind hier wirklich mehr als ordentlich

aufgestellt, und ich finde, dazu dürfen wir uns als Parla-
mentarier auch einmal alle selbst beglückwünschen .

Abschließend noch ein ausdrückliches Lob für die
sehr gute Zusammenarbeit an Sie, Kollege René Röspel .
Man möchte sich fast wünschen, dass das häufiger so gut
funktioniert .

Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Kein Wort zu dem Haushalt!)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1815309400

Das Wort hat der Kollege Ralph Lenkert für die Frak-

tion Die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Ralph Lenkert (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1815309500

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geehrte Kolleginnen

und Kollegen! Es geschehen Wunder bei der Großen Ko-
alition . Ihr Antrag „Innovative Arbeitsforschung für eine
Humanisierung unserer Arbeitswelt und mehr Beschäf-
tigung“ benennt richtige und notwendige Schwerpunkte
für die Forschung im Bereich Arbeit und Beschäftigung .


(Zuruf von der CDU/CSU: Ist es zu glauben!)


Sie folgen damit endlich den Vorschlägen der Linksfrak-
tion,


(Beifall bei der LINKEN – Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Dr . Karamba Diaby [SPD]: Seit wann? – Uwe Schummer [CDU/CSU]: Was haben wir falsch gemacht?)


die beispielsweise in dem Antrag „Soziale Innovationen
und Dienstleistungen erforschen und fördern“ und in
dem Antrag „Europäische Forschungsförderung in den
Dienst der sozialen und ökologischen Erneuerung stel-
len“ eingebracht wurden . Opposition wirkt also .


(Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Tata, Tata, Tata!)


Hut ab! Nach dem Motto: „Überholen ohne Einzuho-
len“ gehen Sie in Ihrem Antrag weiter, als ich es Ihnen je
zugetraut hätte .


(René Röspel [SPD]: Siehst du!)


Dass Sie von der Union über Ihren Schatten springen und
sogar die Frage, wie Mitbestimmung bei Heimarbeit und
Industrie 4 .0 erfolgen soll, als Forschungsthema benen-
nen, überrascht .


(Rudolf Henke [CDU/CSU]: Kernthema der Union!)


Endlich auch eine Bestandsaufnahme zu starten, welche
Auswirkungen die Digitalisierung auf die Arbeitswelt

Dr. Stefan Kaufmann






(A) (C)



(B) (D)


und verschiedene Berufe und Branchen haben wird, was
längst überfällig war, findet unsere Fraktion auch gut.


(Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Ja! Wir sind immer an der Spitze des Fortschritts, Herr Lenkert!)


Allerdings vergessen Sie einen Bereich der Arbeits-
welt nach wie vor völlig .


(Dr . Stefan Kaufmann [CDU/CSU]: Machen Sie das doch nicht schon wieder madig!)


Zu einem innovativen und menschlichen Standort gehört
eben auch eine innovative und menschliche Verwaltung .


(Beifall bei der LINKEN)


Forschungsvorhaben bezüglich der Frage, wie die Di-
gitalisierung in Behörden und in der Verwaltung effizi-
ent, mitarbeiter- und bürgerfreundlich umgesetzt werden
kann, fehlen völlig, und auch die Forschung darüber, wie
sich die Digitalisierung auf die Arbeitsbedingungen, die
Mitbestimmung und die Arbeitsabläufe in Ämtern und
Ministerien auswirkt, haben Sie schlichtweg vergessen .

Betrachte ich also diesen Antrag für sich allein, könn-
te ich jetzt die Rede mit einem „Befriedigend“ und dem
Hinweis zur Überarbeitung zum öffentlichen Sektor be-
enden .


(Dr . Karamba Diaby [SPD]: Immerhin! – Gegenruf des Abg . Dr . André Hahn [DIE LINKE]: Ja, wir sind konstruktiv!)


Aber es reicht leider nicht, die richtigen Fragen zu stel-
len, und es reicht auch nicht, nur die richtigen Forschun-
gen in Auftrag zu geben . Entscheidend ist, wie die Ergeb-
nisse der Forschung dann in Form von Taten umgesetzt
werden .


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg . Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Da versagt diese Koalition komplett .


(Dagmar Ziegler [SPD]: Die Forschung ist ja noch gar nicht!)


So ist der Wissenschaft längst bekannt, dass Armut zu
Konflikten, zu Krieg, Vertreibung und Flucht führt. Was
macht diese Bundesregierung? Sie ignoriert das und ver-
fehlt das Ziel, 0,7 Prozent vom Bruttoinlandsprodukt für
Entwicklungshilfe bereitzustellen –


(Dr . André Hahn [DIE LINKE]: Seit Jahren!)


– seit Jahren –, konstant und klar mit 0,4 Prozentpunkten .


(Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Jetzt kommen Sie mal zum Thema, Herr Lenkert! – Gegenruf des Abg . Kai Gehring [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Ich glaube, er ist nur sehr gut vernetzt!)


Damit verursacht diese Regierung letztlich weitere
Flüchtlingsbewegungen .

Aus der Friedensforschung ist längst bekannt, dass
Diskriminierung zu schweren Konflikten führt.


(Eva Bulling-Schröter [DIE LINKE]: Genau!)


Trotzdem schweigt diese Regierung zur Diskriminierung
der Kurden in der Türkei .


(Dagmar Ziegler [SPD]: Was ist das denn jetzt? Falscher Zettel?)


Es ist schon erstaunlich, wie sich die Koalition hier feiert
und gleichzeitig die Ergebnisse ihrer Forschung locker
ignoriert .

Schauen wir auf das Thema Arbeit und Bildung .


(Dagmar Ziegler [SPD]: Ach, jetzt wieder?)


Die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin
und das Bundesinstitut für Berufsbildung ermittelten,
dass häufige Wochenendarbeit körperlich und emotional
stärker erschöpft, zu höherem Stresslevel und Schlafstö-
rungen führt und damit Gesundheitsrisiken wie Herz-
infarkte und Depressionen steigen . Doch statt Wochen-
endarbeit einzuschränken, fordert die Union in meinem
Heimatland Thüringen, das Gesetz, welches Beschäftig-
ten im Einzelhandel zwei freie Samstage je Monat garan-
tiert, wieder abzuschaffen .


(Eva Bulling-Schröter [DIE LINKE]: Pfui!)


So ignoriert die Union die Ergebnisse der Wissenschaft .


(Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Hat das der Landtag verabschiedet?)


Aber unsere linke Landesregierung wird den Beschäftig-
ten das Recht auf freie Samstage erhalten;


(Beifall bei der LINKEN)


denn wir berücksichtigen in unserem Handeln die For-
schungsresultate zum Wohle der Menschen .

Ein zweites Beispiel . Seit Jahren stapeln sich die Be-
lege, dass das Kooperationsverbot im Bildungsbereich,


(Dr . Philipp Lengsfeld [CDU/CSU]: Ah!)


also das Verbot, dass der Bund Gelder für Bildung an die
Länder zahlt, für unseren Nachwuchs schädlich ist .


(Ute Bertram [CDU/CSU]: Gut, dass der Begriff wieder kam!)


Trotzdem hat die Koalition dieses Verbot nur im Hoch-
schulbereich aufgehoben .


(Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Sinnvollerweise!)


Warum Sie erneut Erkenntnisse ignorieren, müssen Sie
einmal nachvollziehbar erklären .


(Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Vergeben Sie doch mal einen Forschungsauftrag! – Mechthild Rawert [SPD]: Das stimmt so nicht!)


Ralph Lenkert






(A) (C)



(B) (D)


Wir Linke sind für die Aufhebung des Kooperationsver-
botes in allen Bildungsbereichen .


(Dr . Karamba Diaby [SPD]: Wir auch!)


Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, den Antrag
werden wir im Ausschuss wohlwollend begleiten . Sie
können sich auf die starke Opposition verlassen . Wir
werden Sie an Ihre Vorhaben erinnern und zur Umset-
zung der Forschungsergebnisse treiben .

Vielen Dank .


(Beifall bei der LINKEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1815309600

Das Wort hat der Kollege René Röspel für die

SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



René Röspel (SPD):
Rede ID: ID1815309700

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Ich glaube, dass uns gerade ein sehr bunter
Strauß unterschiedlichster Themen, die mit dem eigentli-
chen Thema sehr wenig zu tun haben, präsentiert wurde .
Das hat wahrscheinlich damit zu tun, dass Sie schlicht
neidisch darauf sind, dass wir im Bereich Arbeits-,
Dienstleistungs- und Produktionsforschung wirklich ein
Stück weitergekommen sind .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Anders als die Linken warten wir nicht auf Wunder,
sondern wir krempeln die Ärmel hoch und setzen uns zu-
sammen, was in einer Koalition nicht immer einfach ist .
Aber, Herr Kaufmann, Ihr Lob kann ich Ihnen zurückge-
ben . Wir haben das geschafft . Wir sind auf dem Weg hin
zu einer guten Arbeitsforschung in den letzten Monaten
ein großes Stück weitergekommen . Das wird ein neuer
Impuls werden .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Schaffung menschengerechter Arbeitsbedingungen:
ein Ziel staatlicher Forschungsförderung . – Diesen Satz
hat vor 40 Jahren – ich will auf das Urheberrecht hinwei-
sen – der damalige Forschungsminister Hans Matthöfer
gesagt, als er das wirklich wegweisende Projekt – Kolle-
ge Kaufmann hat es erwähnt – „Humanisierung des Ar-
beitslebens“ auf den Weg gebracht hat .

Dabei ging es um die Frage: Wie gehen wir mit die-
sem technologischen Wandel, den wir erleben, um? Da-
mals bezog sich das Programm eher darauf, den Arbeits-
und Gesundheitsschutz für Arbeitnehmer tatsächlich
zu verbessern oder überhaupt erst herzustellen und den
Jugendarbeitsschutz zu berücksichtigen . Man war noch
nicht so weit, dem technologischen Wandel wirklich vo-
rauszugehen . Aber vielleicht war damals der technologi-
sche Wandel spürbarer als heute .

Ich erinnere mich – einige von Ihnen vielleicht auch –:
Meine Familie hat gegenüber einer Kohlenhandlung ge-
wohnt . Als Kind habe ich jeden Tag gesehen, wie zwei

oder drei starke, kräftige Kerle – wahrscheinlich Männer
ohne Ausbildungsberuf – jeden Tag Zentner von Kohlen
bewegt haben . Ich habe manchmal meiner Großmutter
Kohlen bis unter das Dach im fünften Stock geschleppt,
weil sie einen Kohlenofen hatte . Was war ich froh, als
endlich die Zentralheizung kam! Das bedeutete aber,
dass die Kohlenhandlung irgendwann verschwunden
war, weil keiner mehr Kohlen brauchte .

Das hatte einen großen Strukturwandel zur Folge . Ich
komme aus dem Ruhrgebiet, wo wir in den 50er-Jah-
ren 500 000 Bergleute hatten . Heute sind es knapp über
5 000 . Es hat also dramatische gesellschaftliche Auswir-
kungen, wenn man das nicht vernünftig begleitet .

Den Kohlenhändler gibt es nicht mehr . Aber im Be-
reich des Sanitär-, Klempner- und Heizungswesens hat
es einen richtigen Schub an Technologie gegeben . Das
heißt, Arbeitsbedingungen und Technologie wandeln
sich . Darauf muss sich die Gesellschaft vorbereiten .

Es ist übrigens richtig: Nachdem von 1974 bis 1980
das wichtige Programm „Humanisierung des Arbeits-
lebens“ gelaufen ist, wurde es in den 80er-Jahren, von
1984 bis 1989, von einem Forschungsminister fortge-
setzt, der dann das Programm „Arbeit und Technik“ auf
den Weg brachte, dem sogar ein breiter Innovations-
begriff zugrunde lag und das nicht nur die Technik im
Blick hatte . Wenn er anwesend wäre, würde ich Heinz
Riesenhuber jetzt persönlich dafür loben . Aber er kann
es im Protokoll nachlesen . Es war ein sehr weitsichtiger
Schritt, Arbeits- und Dienstleistungsforschung fortzuset-
zen . Er hat damals gesagt – ich zitiere –:

Wer immer nur an Technik denkt, wenn von Inno-
vationen die Rede ist, braucht sich über Misserfolge
nicht zu wundern .

Das heißt, der Innovationsbegriff ist beim Technologie-
wandel viel breiter zu sehen als nur unter dem Gesichts-
punkt, welche neuen Technologien wir haben .


(Beifall der Abg . Dagmar Ziegler [SPD])


Leider ist das in den 90er-Jahren in der Arbeitsfor-
schung in den Hintergrund gerückt und hat an Bedeutung
verloren . Deswegen bin ich sehr froh, dass es uns ge-
meinsam in der Koalition gelungen ist, in den Koalitions-
vertrag aufzunehmen, dass wir in enger Abstimmung mit
den Sozialpartnern, weil Arbeitgeber und Gewerkschaf-
ten wichtig sind und sich sehr gut damit auskennen, ein
neues Programm für Arbeits-, Dienstleistungs- und Pro-
duktionsforschung auf den Weg bringen werden, und das
machen wir . Mein Dank gilt dem BMBF, dass bis 2020
1 Milliarde Euro zur Verfügung gestellt werden, damit
wir erforschen können, wie sich Arbeit und Produktion
verändern werden und wie der Technologiewandel mög-
licherweise dazu beitragen wird, dass auch Lebenskon-
zepte sich verändern, weil bestimmte Berufe vielleicht
nicht mehr gebraucht werden .

Herr Kaufmann hat auf die Ängste hingewiesen, die
damit verbunden sind, und einige Beispiele genannt . Den
Kohlenhändler gibt es nicht mehr, und wir werden se-
hen, was sich noch alles verändern wird . Wir werden drei
Ebenen im Blick behalten, die betroffen sind: den Men-
schen – den Arbeitnehmer wie auch den Arbeitgeber –,






(A) (C)



(B) (D)


die Gesellschaft und den Staat . Wir müssen uns anschau-
en, wie sich die veränderten Produktionsbedingungen je-
weils auf sie auswirken .

Wichtig für den Menschen ist: Wie geht er mit einer
Digitalisierung des Arbeitsplatzes um? Wie ist es, wenn
auf einmal die Vorstellung einer menschenleeren Fa-
brik aufkommt? Von der Fraunhofer-Gesellschaft gibt es
schon ein Pilotprojekt zur menschenleeren Fabrik . Sind
dann nur noch Roboter am Werk? Was braucht man für
Qualifizierungen, um in einer solchen Arbeitswelt einen
Arbeitsplatz zu finden oder behalten zu können? Vor allen
Dingen ist es auch wichtig, zu beachten, welche Verände-
rungen das bei den Arbeitsbedingungen mit sich bringt .
Die Kohlenzentner brauchen nicht mehr geschleppt zu
werden, aber die Auswirkungen von großem Stress und
die Folgen der Digitalisierung können auch sehr negativ
sein . Das bekommen wir im täglichen Leben zu spüren .

Genau da setzen wir mit den Programmen an . Wichtig
ist es auch für Unternehmer, zu wissen, wie Arbeitsbe-
dingungen aussehen müssen . Was bedeutet es, wenn dem
Erfahrungswissen eines gut ausgebildeten Facharbeiters
die Algorithmen des Roboters gegenüberstehen? Wie
muss man das vernünftig vernetzen, damit gute Produkte
dabei herauskommen

Am Ende ist die Frage – das mag das Beispiel der
Steinkohle im Ruhrgebiet zeigen –: Was bedeuten diese
Veränderungen in der digitalen Welt, in der Technisie-
rung, bei neuen Technologien bis hin dazu, dass man mit
einem dreidimensionalen Drucker Unikate ausdrucken
kann und die große Fabrik, die Tausende von Produkten
herstellt, vielleicht nicht mehr gebraucht wird, für eine
Gesellschaft, und welche Antwort werden wir geben
müssen?

Deswegen ist es, glaube ich, ein großer Fortschritt,
dass wir das jetzt mit dem Programm „Innovationen für
die Produktion, Dienstleistung und Arbeit von morgen“
auf den Weg gebracht haben . Wir werden selbstverständ-
lich auch die Fragen von Partizipation, Teilhabe an Ent-
scheidungen und Mitbestimmung beleuchten . Das gehört
nämlich dazu .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Ich darf zum Schluss meiner Rede Hans Matthöfer zi-
tieren . Er hat 1976 gesagt:

Der Kampf um menschengerechte Arbeitsbedin-
gungen, um die Behauptung der Würde des Men-
schen in der industriellen Arbeitswelt wurde nicht
erst heute begonnen und wird morgen nicht beendet
sein . Er begleitet den gesamten Prozess der wirt-
schaftlich-technischen Entwicklung .

Heute würde man das vielleicht ein bisschen anders for-
mulieren . Aber recht hat er gehabt . Diese Mahnung neh-
men wir mit als Auftrag .

Vielen Dank .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1815309800

Das Wort hat der Kollege Kai Gehring für die Fraktion

Bündnis 90/Die Grünen .


Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1815309900

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Wenn Digitalisierung zu Umbrüchen in der Arbeitswelt
führt, dann muss sich auch die Arbeitsforschung wan-
deln . Der vorliegende Antrag der Koalition stellt hier-
zu eine sinnvolle Diskussionsgrundlage dar, die jedoch
ein paar blinde Flecken aufweist . Ihre Beschreibung der
arbeitspolitischen Chancen und Herausforderungen ist
leider recht selektiv . Deshalb möchte ich Sie auf einige
blinde Flecken hinweisen .

Erstens. Es findet sich kein Wort zur zunehmenden
Diversität und Vielfalt der Belegschaften . Dies ist gerade
angesichts unserer modernen Einwanderungsgesellschaft
und der Debatten über Flucht und Integration mehr als
erstaunlich .

Zweitens . Das Thema Gleichstellung von Frauen und
Männern taucht nur indirekt auf, und zwar wieder im
Zusammenhang mit der so wichtigen Vereinbarkeit von
Familie und Beruf . Es ist schade, dass die Koalition diese
wichtigen Felder von Arbeitsforschung – Diversity und
Gleichstellung – nicht als Forschungsgegenstand klar be-
nennt .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Dabei könnten Sie gerade hier Ratschläge der Wissen-
schaft dringend brauchen; denn eine gerechtere Arbeits-
welt und gute Arbeit für alle wird es nur geben, wenn wir
Benachteiligungen gezielt abbauen und Forschungskon-
zepte dies noch stärker berücksichtigen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Drittens . Neue Smart Services sind nur dann nach-
haltig, wenn sie neben effizientem Ressourceneinsatz
faire Beschäftigungsbedingungen bieten . Digitalisierung
droht sich genderspezifisch auszuwirken: Es ist auf dem
Weltwirtschaftsforum in Davos festgestellt worden, dass
besonders Arbeitsplätze von Frauen gefährdet sind . Es
kann also durchaus dazu kommen, dass es nicht, wie es
der Titel Ihres Antrags proklamiert, mehr Beschäftigung
geben wird, sondern weniger und anders verteilte . Wis-
senschaft muss solche vielschichtigen Entwicklungen
analysieren, Empfehlungen entwickeln und in den gesell-
schaftlichen Diskurs einspeisen . Sie müssen dann Konse-
quenzen ziehen in Ihrer Wirtschafts-, Arbeitsmarkt- und
Sozialpolitik .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Viertens . Wir teilen den Ansatz, die Forschungsagen-
den gemeinsam mit den Sozialpartnern zu entwickeln .
Das ist ein durchaus wichtiger Punkt .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Aber dabei dürfen Sie nicht diejenigen Betriebe und
Branchen vernachlässigen, in denen es keine oder kaum
Mitbestimmung gibt . Genau dort bleibt das Risiko, dass
die Digitalisierung nicht zur Humanisierung der Arbeit
führt, sondern zu Arbeitsverdichtung sowie zu Problemen

René Röspel






(A) (C)



(B) (D)


mit ständiger Erreichbarkeit und beim Datenschutz . Das
ist ein wichtiger Punkt der Arbeitsforschung und offen-
sichtlich ein blinder Fleck bei Ihnen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Zur Realität gehört auch, dass es weiterhin Jobs mit
geringen Qualifikationsanforderungen gibt, häufig dann
als prekäre Beschäftigungsverhältnisse . Die Arbeitsbe-
dingungen dieser Beschäftigten dürfen nicht ignoriert
werden, sondern müssen intensiver erforscht werden, um
Lösungen zu finden, ihre Arbeitsbedingungen zu verbes-
sern .

Fünftens . Für den Transfer der Arbeitsforschungser-
gebnisse nennen Sie als wichtige Zielgruppe kleine und
mittlere Unternehmen . Das teilen wir . Leider führen Sie
nicht aus, wie die KMUs erreicht werden können . Es
wäre hochgradig spannend, zu erfahren, wie das gelingen
soll . Im Forschungsausschuss haben uns Wissenschaft-
lerinnen und Wissenschaftler von der Schwerfälligkeit
der Antragsverfahren berichtet . Es wäre erfreulich, wenn
offenere Programmstrukturen zu schnelleren Fördermög-
lichkeiten führen würden .

Nicht vernachlässigt werden darf bei aller Praxisori-
entierung der Arbeitsforschung die Grundlagenforschung
an sich, die Sie ebenfalls in Ihrem Antrag nicht adres-
sieren . Deren Förderung ist vor allem unsere staatliche
Aufgabe, weil einzelne Unternehmen diese in der Regel
so breit nicht leisten . Bei der Suche nach kreativen Re-
aktionen auf epochale Veränderungen in der Arbeitswelt
können wir darauf nicht verzichten .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sechstens. Betrachtet man allein unsere Verpflichtung
nach der Pariser Klimakonferenz, wird deutlich, dass
wir unsere Produktionsweisen, Konsumgewohnheiten
und Arbeitsweisen grundlegend verändern müssen . Das
Forschen für den Wandel und die Schaffung arbeitsöko-
logischer Innovationen sind deshalb ein Gebot der Stun-
de . Plakativ gesagt: Wir brauchen auch mehr Arbeitsfor-
schung für eine Green Economy, damit wir den Wandel
schaffen .

Siebtens . Gerade bei der Technisierung personenbezo-
gener Dienstleistungen stellen sich verstärkt ethische und
soziale Fragen, zum Beispiel bei den Branchen Pflege und
Medizin, Stichwort „Pflegerobotik“. Diese Chancen und
Risiken müssen in unserer Gesellschaft breit und fundiert
diskutiert werden . Deshalb bedarf es gerade auch bei der
Arbeitsforschung ethischer und sozialer Fragestellungen .
Da kann sie einen wichtigen Beitrag leisten .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Es ist insgesamt, meine Damen und Herren, eine in-
teressante Initiative der Koalitionsfraktionen, die wir
jetzt hier im Plenum diskutiert haben . Wir sind gespannt,
wie die Bundesregierung die Ergebnisse der Arbeitsfor-
schung in ihrem politischen Handeln aufgreifen wird . Ich
freue mich auf die Debatte in den Ausschüssen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Ein versöhnliches Ende!)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1815310000

Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär

Thomas Rachel .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


T
Thomas Rachel (CDU):
Rede ID: ID1815310100


Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Deutschland ist eine der führenden Wirt-
schaftsnationen der Welt und ohne Zweifel ein sehr in-
novatives Land . Wir möchten, dass das so bleibt . Aber
unsere Art, zu wirtschaften, verändert sich – tiefgreifend,
schnell . 70 Prozent des Bruttoinlandsproduktes werden
in Deutschland mit Dienstleistungen erarbeitet, rund
25 Prozent an den Produktionsstandorten .

Die nun stattfindende Zusammenführung von Produk-
tion auf der einen Seite und Dienstleistung auf der an-
deren Seite führt zu einer neuen Art der Wertschöpfung,
übrigens über Regionen und Kontinente hinweg . Durch
höhere Informationsflüsse und Vernetzung übernehmen
Maschinen immer komplexere Aufgaben in den Unter-
nehmen . Wirtschaftliche Transaktionen können praktisch
in Echtzeit geschehen .

Zusammen mit den neuen Fertigungsmethoden wie
dem 3D-Druck führt dies auch zu einer stärkeren Flexi-
bilisierung der Produktion hin zur Individualisierung der
Produkte . Ja, unser Standort ist stark . Innovationsfähig-
keit, Sozialpartnerschaft, sozialer Zusammenhalt – all
dies zeichnet unser Land aus .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Wir möchten gern, dass der Produktionsstandort,
aber auch der Dienstleistungsstandort Deutschland stark
bleibt . Manche befürchten aber den Verlust von Arbeits-
plätzen durch die Digitalisierung der Arbeitswelt . Ja, es
werden auch Arbeitsplätze wegfallen, aber es werden
auch viele neue entstehen . Wir können und wir wollen
genau diese Entwicklung mitgestalten . Wir müssen die
Chancen der Digitalisierung durch kluge Innovationen
nutzen und gleichzeitig die Veränderungen so gestalten,
dass wir am Ende mehr Arbeitsplätze erhalten und diese
sogar noch menschengerechter gestalten können .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Wir haben mit dem großen Forschungsprogramm „In-
novation für die Produktion, Dienstleistung und Arbeit
von morgen“ bis 2020 eine Investition von 1 Milliarde
Euro vorgesehen . Das ist wahrlich ein großer Aufschlag .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie des Abg . Dr . Ernst Dieter Rossmann [SPD])


Mit unserer Forschungsförderung waren wir übrigens die
Ersten, die „Arbeiten – Lernen – Kompetenzen entwi-
ckeln“ integrativ gedacht haben . Ich denke an die Frage
des Verhältnisses von Stabilität und Wandel, die heute im
Kontext von Industrie 4 .0 gestellt wird, aber schon 2009
untersucht wurde, oder an die Rolle des präventiven Ar-
beits- und Gesundheitsschutzes, die heute in aller Munde
ist, die wir aber schon 2006 in unserer Forschungsförde-
rung bearbeitet haben .

Kai Gehring






(A) (C)



(B) (D)


Die nunmehr anstehende Veröffentlichung des For-
schungsprogramms „Zukunft der Arbeit“ greift die neu-
en Herausforderungen am Arbeitsmarkt auf; denn für uns
steht der einzelne Mensch im Mittelpunkt – und das auch
in der digitalisiert veränderten Welt .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Wir haben das Programm in enger Abstimmung mit
dem Arbeitsministerium, mit den Sozialpartnern, den
Gewerkschaften und den Arbeitgebern entwickelt und
konzipiert – ein neuer, ein qualitativer Schritt .

Ziel der Arbeitsforschung ist es, mit wissenschaft-
lichen Ergebnissen einen Beitrag zur Verbesserung
der Arbeitsbedingungen in Deutschland zu leisten und
gleichzeitig beschäftigungsfördernd zu sein . Das For-
schungsprogramm „Zukunft der Arbeit“ zielt darauf ab,
technologische und soziale Innovationen gleichermaßen
voranzubringen . Wir haben einen Gestaltungsanspruch,
nämlich neue Methoden der Qualifizierung, der Gesund-
heitsprävention, der Arbeitsgestaltung und -organisation
in und mit den Unternehmen und den Beschäftigten zu
entwickeln und sie in pilothafter Umsetzung in die Praxis
zu überführen – und dies möglichst branchenübergrei-
fend .

Qualifizierung und Kompetenzentwicklung sind nach
meiner festen Überzeugung die entscheidenden Schlüs-
sel, um sowohl die wirtschaftlichen als auch die sozialen
Potenziale, die in der Digitalisierung stecken, zu heben .
Die Kernfrage lautet deshalb: Welche Kompetenzen be-
nötigen Beschäftigte und Unternehmen, um den Struk-
turwandel für gute Arbeit und für wettbewerbsfähige
Produkte und Dienstleistungen zu nutzen?

Wir verstehen dies als Gestaltungsauftrag . Unsere
Forschungsförderung will eben nicht nur das Phänomen
„Industrie 4 .0“ beschreiben oder neue technologische
Entwicklungen ermöglichen, nein, wir wollen gleichzei-
tig den Wandel gesellschaftsverträglich mitgestalten .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


So werden wir eine Industrienation sein, die an der Spit-
ze des Fortschritts steht, ein humanes Miteinander erhält
und gleichzeitig ihre Wettbewerbsfähigkeit stärkt .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1815310200

Der Kollege Dr . Ernst Dieter Rossmann hat für die

SPD-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD):
Rede ID: ID1815310300

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Kollege Kaufmann, Kollege Röspel, Sie haben Hans
Matthöfer erwähnt . Ich will das insoweit vertiefen, als
man von Hans Matthöfer wissen muss, dass er ausgewie-
sener IG-Metall-Gewerkschafter war und zuletzt die Bil-
dungsabteilung der IG Metall geleitet hat . Deshalb würde

er sich gefreut haben, wenn er gewusst hätte, dass es in
dem jetzigen Forschungsprogramm zu Dienstleistung
und Arbeit ein ausdrückliches Kapitel gibt – Staatsse-
kretär Rachel hat es eben angesprochen –, das den Titel
trägt: „Arbeiten – Lernen – Kompetenzen entwickeln“ .

Nun muss man dazu sagen: Das steht zunächst auf
dem Papier . Auch Hans Matthöfer würde kritisiert ha-
ben: Wenn das die Auffassung der Sozialpartner und der
Bundesregierung ist, weshalb war es dann, verdammt
noch einmal, möglich, dass die IG Metall in ihrem letzten
großen Tarifvertrag für die Metall- und Elektroindustrie
die Qualifizierung nicht so durchsetzen konnte, wie es
für die Zukunft nötig gewesen wäre? Wir müssen auch
den Schritt von der Forschung in die Wirklichkeit schaf-
fen . Das ist der Auftrag, auch vorgegeben durch das For-
schungskonzept .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Hans Matthöfer wäre im Übrigen auch jemand, der
auf der Basis der Mitbestimmung ein Konzept der Huma-
nisierung der Arbeitswelt mitentwickelt hätte . Uns fällt
auf, dass das Parlament hier präziser sein kann, als es die
Regierung wollte oder durfte; denn in dem Regierungs-
programm steht neben sehr vielem Guten als Adressat
immer die Wirtschaft . In unserem Antrag sprechen wir
von Sozialpartnern und Mitbestimmung . Das ist präziser .


(Beifall bei der SPD)


Das stellt einen Auftrag dar und ist eine Prämisse, un-
ter der wir dieses Programm mitentwickeln wollen . Ich
will allerdings der Regierung auch ausdrücklich Aner-
kennung zollen . Das Programm ist zusammen mit den
Sozialpartnern entwickelt worden, es ist mit den Ge-
werkschaftsvorsitzenden zusammen vorgestellt worden .
Aber der Geist, dass es keine nebulöse Wirtschaft gibt,
sondern dass auch Interessengegensätze im Bereich der
Entwicklung von Arbeit auszutragen sind und man nach
besten Wegen für gute Arbeit zu suchen hat, ist in unse-
rem Antrag stärker ausgeprägt .

Hier wurde viel Lob ausgesprochen . Der Kollege
Schulz wartet schon die ganze Zeit auf ein Lob für die
Haushälter . Ich muss das Lob für die Haushälter mit einer
kleinen Kritik verbinden . Schauen wir uns die Entwick-
lung von 1974 bis 2016 an . Da hat es eine Phase gegeben,
in der die Arbeits- und Dienstleistungsforschung nicht so
etatisiert worden ist, wie sie es verdient gehabt hätte . Es
hat dann einen neuen Einstieg mit einem neuen Rahmen-
programm in der Regierungszeit von SPD und Grünen
gegeben . Wir dürfen auch feststellen, dass dann, wenn
die SPD zusammen mit der CDU regiert, es besser für
die Arbeits- und Dienstleistungsforschung ist, als wenn
die CDU mit der FDP regiert .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Tankred Schipanski [CDU/CSU]: FDP war auch nicht schlecht!)


Wir haben jetzt wieder ein hohes Niveau mit Tendenz
nach oben . Das wollen wir gerne anerkennen . Wir wollen
gar nicht darüber sprechen, dass das noch weiter verste-
tigt werden muss, weil sich auch dieser Bereich durch
neue Fragestellungen erweitern wird .

Parl. Staatssekretär Thomas Rachel






(A) (C)



(B) (D)


Kollege Gehring, Sie haben vieles angesprochen, und
wenn die Opposition einen Fachantrag derart behandelt,
dann zeugt das schon von viel Zustimmung. Ich finde,
wir vergeben uns auch nichts, wenn wir akzeptieren, dass
Sie und Herr Lenkert darauf hinweisen, dass man die
Verwaltung mit einbeziehen könnte; denn die Produkti-
vitätssteigerung in Bezug auf die Dienstleistungen – ich
nenne die neuen Strukturen, neue Kommunikationssys-
teme, technologische Systeme, Arbeit, Entwicklung, Re-
paratur, Vermittlung und Vernetzung – betrifft auch die
Verwaltung .

Wenn wir eine leistungsfähige und moderne Verwal-
tung haben wollen, dann muss dies auch in der Arbeits-
forschung auftauchen . Das ist eine gute parlamentarische
Aufgabe . Das ist im Übrigen eine Aufgabe, die auch die
gesamte Regierung angeht .

Ich will dazu nur noch einen kleinen Hinweis geben .
Frau Staatssekretärin Lösekrug-Möller, Sie sitzen dort,
weil auch das Arbeitsministerium unter anderem mit
dem Grünbuch Industrie 4.0 Wesentliches mit entwickelt
hat, und das wird auch in diesem Konzept angesprochen .
Die Botschaft kann also eigentlich nur sein: Was die Re-
gierung vorgelegt hat, wird jetzt vom Parlament so ernst
genommen, dass es über einen differenzierteren Antrag
weiter begleitet wird . Ich will dazu nur sagen: Das hätte
auch Hans Matthöfer gefreut .

Im Übrigen gibt es einen wirklichen Wandel . Damals,
in den 1970er-, 1980er-Jahren – Kollege Röspel hat es
schon angesprochen –, ging es faktisch um Automa-
tisierung; jetzt geht es um Vernetzung . Damals, in den
1970er-Jahren, als diese Programme aufgelegt wurden,
konnte man vom Technologischen her noch gar nicht an
Vernetzungsstrukturen denken, wie sie jetzt allgegenwär-
tig sind . Insoweit geht es darum, den Ball aufzunehmen
und die Humanisierung der Arbeit in der Industriegesell-
schaft sowie in der Dienstleistungs- und Wissensgesell-
schaft voranzutreiben . Das ist die Botschaft dieser ge-
meinsamen Initiative .

Danke schön .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1815310400

Das Wort hat der Kollege Dr. Wolfgang Stefinger für

die CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Wolfgang Stefinger (CSU):
Rede ID: ID1815310500

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und

Kollegen! Digitalisierung und Vernetzung, mobile End-
geräte, selbstfahrende Autos, ständige Erreichbarkeit,
Nachrichten und Informationen in Sekundenschnelle
weltweit, Roboterproduktionsstraßen – wir haben in den
vergangenen Jahren durch die zunehmende Digitalisie-
rung einen rasanten Wandel erlebt, einen Wandel, der alle
Lebensbereiche umfasst .

Schauen wir nur in unser direktes Umfeld: Die Kom-
munikation verändert sich durch E-Mails und Kurznach-

richten, auch wenn, zugegeben, in den vergangenen Wo-
chen doch wieder der Brief an Bedeutung gewonnen hat .


(Dagmar Ziegler [SPD]: Der war gut! – Mechthild Rawert [SPD]: Aber das war ja nur einer! – Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Der wurde elektronisch verteilt!)


Die Kommunikation hat sich auf jeden Fall verändert .
Über Mobiltelefone können wir Wohnungen steuern .
Während man früher von Geschäft zu Geschäft laufen
musste, um Preise zu vergleichen, schaut man heute ins
Internet und bestellt vielleicht auch online .

Die Digitalisierung macht vor Fabrik- und Firmento-
ren selbstverständlich nicht halt, und das ist auch gut so;
denn die Digitalisierung, die Vernetzung von Wirtschaft
und Industrie bieten viele Chancen .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Die Fertigungsprozesse werden flexibler, effizienter,
nachhaltiger; sie lassen sich besser auf die Bedürfnisse
der Kunden abstimmen . Neue Tätigkeitsfelder und inno-
vative Geschäftsmodelle entstehen . Prozesse laufen in
einer nie dagewesenen Präzision und Geschwindigkeit
fast in Echtzeit ab . Für unser Land ist die Digitalisierung
von herausragender Bedeutung . Wir müssen die Chancen
nutzen, und wir können es auch . Wer, wenn nicht wir?

Viele fragen sich nun: Wie weit geht diese Digitalisie-
rung? Wie sieht der Arbeitsplatz von morgen, die Fabrik
von übermorgen aus? Das sind sehr berechtigte Fragen,
wie ich finde; denn schließlich sind fast 43 Millionen
Menschen in Deutschland erwerbstätig, so viele wie
noch nie in der Geschichte unseres Landes . Zwei Drittel
von ihnen erleben bereits heute den Wandel der Arbeits-
welt durch Digitalisierung .

Selbstverständlich erzeugen diese Veränderungen Un-
sicherheiten, Fragen, Ängste: Werden durch den Einsatz
von intelligenten Robotern massenhaft Arbeitsplätze
vernichtet? Wird es in Zukunft menschenleere Fabriken
geben? Wird der Mensch vielleicht sogar überflüssig in
der Produktion? Gerade deshalb ist es mir wichtig, zu
betonen: Wir wissen, dass der digitale Wandel nicht nur
eine technologische Dimension hat, sondern eben auch
eine soziale .

Wir sehen aber auch, dass die Digitalisierung viele
Chancen und Verbesserungen gerade auch für den Men-
schen bietet . Der Mensch wird auch weiterhin gebraucht
werden – davon bin ich überzeugt –, nur eben anders als
heute . Es werden neue Berufsbilder und Anforderungen
entstehen. Hier müssen wir vonseiten der Politik flexibel
reagieren und auch unterstützen . Gerade deshalb ist der
vorliegende Antrag zur Arbeitsforschung wichtig, näm-
lich um die Frage nach dem Wie zu beantworten: Wie
sieht die Arbeit in Zukunft aus?


(Beifall des Abg . Dr . Stefan Kaufmann [CDU/CSU])


Dabei ist es nicht so – das möchte ich betonen; es ist
auch schon angesprochen worden –, dass wir neu im
Feld der Arbeitsforschung sind . 1974 wurde das ers-
te Programm dazu auf den Weg gebracht . Jetzt stehen
dem Bildungs- und Forschungsministerium 1 Milliarde

Dr. Ernst Dieter Rossmann






(A) (C)



(B) (D)


Euro – auch der Staatssekretär hat es angesprochen –
für das Programm „Innovationen für die Produktion,
Dienstleistung und Arbeit von morgen“ zur Verfügung .
Im Haushalt 2016 sind für die Forschung für Produktion,
Dienstleistung und Arbeit 89 Millionen Euro vorgesehen .
Das sind nur zwei Zahlen aus dem Bildungsministerium .
Andere Projekte sind bereits angesprochen worden . Auch
das Arbeitsministerium hat hierzu Programme .

Mit unserem heute vorliegenden Antrag zur Arbeits-
forschung führen wir also konsequent fort, was wir
uns schon im Rahmen der Digitalen Agenda selbst ins
Hausaufgabenheft geschrieben haben . Wir wollen die
neuen Herausforderungen gemeinsam mit Wirtschaft,
Wissenschaft und Sozialpartnern angehen . Den digitalen
Wandel, den Wandel in der Arbeitswelt, können wir nur
gemeinsam schaffen . Ich bin davon überzeugt: Wir wer-
den die Megatrends der Arbeit wie Digitalisierung und
Vernetzung, Globalisierung, Flexibilisierung der Arbeit,
der Arbeitszeit und der Arbeitsabläufe, demografische
Entwicklung, Qualifizierung und Qualitätssicherung, Be-
schleunigung, Ökologie, Gesundheit und Kreativität der
Mitarbeiter, um nur einige Punkte zu nennen, hinbekom-
men . Wer, wenn nicht wir?


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Der vorliegende Antrag trägt wesentlich dazu bei .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1815310600

Ich schließe die Aussprache .

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/7363 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen . Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall . Dann ist die Überweisung
so beschlossen .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 26 auf:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Wirtschaft und Ener-
gie (9 . Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeord-
neten Caren Lay, Eva Bulling-Schröter, Kerstin
Kassner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
DIE LINKE

Energienetze zurück in die öffentliche Hand –
Rechtssicherheit bei der Rekommunalisie-
rung schaffen

Drucksachen 18/4323, 18/5274

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . – Ich höre kei-
nen Widerspruch . Dann ist so beschlossen .

Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat der Kollege
Florian Post für die SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD)



Florian Post (SPD):
Rede ID: ID1815310700

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!

Viele Kommunen stehen vor der Frage, ob sie ihre Netze
einem privaten Netzbetreiber oder einem kommunalen
Betrieb anvertrauen oder ob sie, als dritte Option, dazu
eine öffentlich-private Partnerschaft eingehen . Die SPD
glaubt, dass gut durchgeführte Rekommunalisierungen
von Stromnetzen den Bürgern, den Kommunen und nicht
zuletzt dem Wettbewerb dienen .

Allein in Bayern laufen 2017 circa 200 Konzessions-
verträge aus. Es gilt, eine effiziente und sichere Strom-
versorgung auch in der Zukunft zu sichern . Grundsätz-
lich können dies Kommunen genauso gut wie Private .
Seit 2007 haben 80 Kommunen eigene Stadtwerke neu
gegründet und haben bereits 200 Gemeinden eine Kon-
zession für das Stromnetz wieder selbst übernommen .

Es gibt aber auch noch eine dritte Möglichkeit; ich
habe es eingangs angesprochen . Ich nenne die bayerische
Mittelstadt Weiden in der Oberpfalz mit 42 000 Ein-
wohnern . Dort hat der SPD-Oberbürgermeister Kurt
Seggewiß den Weg gewählt, eine Kooperation mit der
privaten Bayernwerk AG einzugehen, wobei die Auftei-
lung so ist, dass die kommunale Gesellschaft die kauf-
männische Verantwortung trägt, aber die technische Be-
triebsführung dem privaten Partner übertragen wurde,
wodurch der Wunsch nach öffentlicher Kontrolle und der
Wunsch nach Expertise privatwirtschaftlicher Unterneh-
men am besten zusammengeführt werden konnten .

Die Rahmenbedingungen für Rekommunalisierungen
müssen klar geregelt sein . Ganz klar ist, dass wir gegen
eine bedingungslose Rekommunalisierung sind . Hier gilt
es, objektive und damit nachprüfbare Kriterien einzuhal-
ten .

Die von den Linken in ihrem Antrag geforderten Klar-
stellungen wird es geben . Schikanen von Altkonzessio-
nären – zum Beispiel zu hoch angesetzte Kaufpreise, zu
hohe Entflechtungskosten – werden von der SPD nicht
akzeptiert werden . Die Konsequenz wären jahrelange
Rechtsstreitigkeiten, die die Kommunen natürlich ver-
meiden wollen, weshalb sie oftmals von einer Rekom-
munalisierung Abstand nehmen .

Auch werden wir regeln, dass künftig für die Kauf-
preisermittlung grundsätzlich der Ertragswert maßgeb-
lich sein muss . Es geht um den optimalen Netzbetrieb in
Städten und Gemeinden . Mit „optimal“ meine ich: Die
Kriterien Effizienz, Verbraucherfreundlichkeit und Um-
weltverträglichkeit müssen im Mittelpunkt stehen und
gleichermaßen erfüllt werden . Einen Blankoscheck aller-
dings, wie ihn die Linke in ihrem Antrag fordert, können
und werden wir nicht ausstellen . Das Einzige, was nach
unserem Dafürhalten von den Kommunen verlangt wer-
den soll, ist, dass sie, wie gesagt, die Kriterien Effizienz,
Umweltverträglichkeit und Verbraucherfreundlichkeit
einhalten . Die Kommunen erhalten nach unserem Vor-
schlag sogar die Möglichkeit, diese Ziele frei zu gewich-
ten und darüber hinaus als Nebenkriterium kommunale
Eigeninteressen vorzusehen .

Aber das kann kein Selbstzweck sein . Sollte sich he-
rausstellen, dass eine Kommune diese Kriterien für eine

Dr. Wolfgang Stefinger






(A) (C)



(B) (D)


Rekommunalisierung schlechter erfüllen kann als ein
Privater, gibt es keine Rechtfertigung, warum trotzdem
die Kommune automatisch den Vorzug erhalten soll;
denn das wäre nicht im Interesse der Bürgerinnen und
Bürger . Wir sind für einen gesunden, offenen und dis-
kriminierungsfreien Wettbewerb, der keine Gräben zwi-
schen öffentlicher und privater Wirtschaft aufreißt . Die
Gemeinde- und Stadtwerke sorgen überall in Deutsch-
land für hohe Versorgungsqualität in vielen effizient
geführten Netzen . Damit das so bleibt, müssen wir den
Antrag der Linken ablehnen . Wir werben natürlich für
unseren Vorschlag, der hier noch beraten werden wird .

Danke schön .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1815310800

Die Kollegin Caren Lay hat für die Fraktion Die Linke

das Wort .


(Beifall bei der LINKEN)



Caren Lay (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1815310900

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Erst

gestern konnten wir in der Zeitung lesen, was passieren
kann, wenn private Konzerne die Energienetze in der
Hand haben: In Berlin steht Vattenfall im Verdacht, mit
einem simplen Buchhaltungstrick den Bürgerinnen und
Bürgern zu hohe Netzentgelte abgeknöpft zu haben . Hier
wird offenbar „geschummelt“ . Das ist ein Beleg dafür,
dass „Strom- und Gasnetze besser in öffentlicher als in
privater Hand aufgehoben sind .“


(Beifall bei der LINKEN – Widerspruch bei der CDU/CSU)


Meine Damen und Herren, an dieser Stelle hätte ich
nicht nur Zwischenrufe von der CDU erwartet, sondern
auch Applaus von der SPD . Denn das war gar nicht mei-
ne Wortwahl, sondern die des SPD-Kollegen aus dem
Berliner Abgeordnetenhaus, Nikolaus Karsten .


(Florian Post [SPD]: Das müssen wir erst prüfen! – Max Straubinger [CDU/CSU]: Da gibt es auch Irrläufer!)


Da hat er recht; denn Netze in öffentlicher Hand haben
viele Vorteile: Sie sichern den Verbrauchern bezahlbaren
Strom, den Kommunen eine gute Einnahmequelle . Wir
als Linke wollen ökologische, demokratische Stadtwerke
als zentrale Akteure der Energiewende . Das ist der Weg .


(Beifall bei der LINKEN)


Das Beste ist: Viele Kommunen wollen ihre Netze
zurückhaben, auch Kommunen, deren Bürgermeister ein
CDU-Parteibuch haben; das möchte ich an dieser Stelle
explizit sagen, bevor Sie uns, wie bei den letzten Debat-
ten zu diesem Thema, wieder die Zwangskollektivierung
der Energienetze vorwerfen . Viele Kommunen wollen

ihre Netze zurück, und sie sollen sie auch rechtssicher
zurückbekommen können .


(Beifall bei der LINKEN – Dr . Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Sie wollen die verstaatlichen!)


Vielen Kommunen bietet sich gerade jetzt eine gro-
ße Chance dafür . Die Konzessionen laufen aus . Bisher
scheitert es an der Rechtssicherheit, die sie bei der Re-
kommunalisierung nicht haben . Sie haben sie nicht, weil
die alte Bundesregierung unter Beteiligung der Union
das Gesetz ganz bewusst so geändert hat, dass den Pri-
vaten die Möglichkeit eröffnet wurde, immer wieder vor
den Gerichten gegen die Kommunen zu klagen . Das tun
sie häufig mit Erfolg.


(Florian Post [SPD]: Deswegen ändern wir das ja!)


Das muss geändert werden . Das steht auch im Koaliti-
onsvertrag. Das finde ich gut. Aber ehrlich gesagt: Bisher
haben Sie diese wichtige Chance verpasst .

Wir als Linke stellen jetzt schon zum dritten Mal die-
ses Thema hier zur Abstimmung . Ich selber frage seit
eineinhalb Jahren bei der Regierung nach, wo denn die
Novelle des Gesetzes bleibt . Man wurde vertröstet . Wenn
ich die Antworten ernst nehme, dann komme ich zu dem
Schluss: Es hätte hier schon vor einem Jahr ein Gesetz-
entwurf vorliegen sollen . Alles, was wir bisher haben, ist
ein Referentenentwurf, der irgendwo herumliegt, aber
noch nicht hier eingebracht ist und noch nicht einmal in-
nerhalb der Regierung fertig abgestimmt ist . So geht es
nicht, meine Damen und Herren .


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg . Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN])


Ich glaube inzwischen, dass diese Verbummelungsstrate-
gie nicht Unfähigkeit ist, sondern Absicht . Es scheint ja
Teile in der Koalition zu geben, die einfach nicht wollen,
dass die Kommunen in dieser Frage Rechtssicherheit ha-
ben . So sieht es doch aus .

Es stand schon vor ein paar Monaten in der Zeitung –
ganz konkret: im Spiegel, wo genau darüber berichtet
wurde –, dass selbst Minister Gabriel möglicherweise ein
Interesse hat, auf die Bremse zu drücken,


(Florian Post [SPD]: Nicht alles glauben, was in der Zeitung steht!)


um den privaten Energiekonzernen ihre lukrative Ein-
nahmequelle nicht zu nehmen . Die Netzentgelte sind
nämlich ein schöner Goldesel, mit einer sicheren Rendite
von 9 Prozent . Das sind die Interessen, die dahinterste-
hen .

Der Referentenentwurf, den Sie erwähnt haben und
der auch mir bekannt ist, wird nach meiner Lesart nicht
helfen . Die Inhousevergabe wird dort explizit abgelehnt .
Nun ehrt es mich und meine Fraktion, dass wir in der
Begründung des Gesetzentwurfs mit unseren parlamen-
tarischen Initiativen auch erwähnt sind . Besser hätte ich

Florian Post






(A) (C)



(B) (D)


es natürlich gefunden, die Argumente von uns und den
kommunalen Spitzenverbänden hätten Sie überzeugt .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die Inhousevergabe ist nach EU-Vergaberecht mög-
lich . Und das ist auch kein Blankoscheck, Herr Kolle-
ge, das ist kommunale Selbstverwaltung – kommunale
Selbstverwaltung, wie sie das Grundgesetz garantiert .
Und genau die wollen wir stärken .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Florian Post [SPD]: Planwirtschaft!)


Es ist richtig, dass kommunale Belange berücksichtigt
werden sollen, aber auch nur dann, wenn sie den markt-
freundlichen Zielen nicht widersprechen . Im Ergebnis
bleibt es für die Kommunen unklar; im Ergebnis wird
das weiter vor den Gerichten ausgetragen . Ich kann die
große Verbesserung für die Kommunen an dieser Stelle
beim besten Willen nicht erkennen .

Anderswo – ich komme zum Schluss – ist die De-
batte schon weiter . Zum Beispiel hat das Land Berlin
beschlossen, das Land möge im Bundesrat für klarere
rechtliche Regelungen einschließlich der Möglichkeit
der Inhousevergabe eintreten . Dieser Empfehlung einer
Enquete-Kommission haben alle Fraktionen zugestimmt,
außer der Union, aber auch der SPD, die in Berlin wie im
Bund mit der CDU gemeinsam regiert . Also: Fassen Sie
sich bitte ein Herz: Stimmen Sie heute unserem Antrag
zu! Die Kommunen werden es auch Ihnen danken .

Vielen Dank .


(Beifall bei der LINKEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1815311000

Das Wort hat der Kollege Dr . Matthias Heider für die

CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Matthias Heider (CDU):
Rede ID: ID1815311100

Vielen Dank . – Frau Präsidentin! Meine Damen und

Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In fünf Mi-
nuten ist so viel durcheinandergeraten, dass wir das erst
einmal sortieren müssen .


(Dr . André Hahn [DIE LINKE]: Wir haben Ihre Rede doch noch gar nicht gehört!)


Um es vorweg zu sagen: 750 Stadtwerke in Deutschland
sind ein verlässlicher Partner . Sie sind verlässlich beim
Netzbetrieb, bei der Energielieferung, beim Stromsparen
oder bei Energiedienstleistungen . Stadtwerke spielen in
der Gemeindewirtschaft eine große Rolle . Das tun sie
seit vielen Jahrzehnten: Etwa seit Mitte des 19 . Jahrhun-
derts sind Energieversorgungsdienstleistungen auch von
der öffentlichen Hand selbst angeboten worden . Nur, die
Rahmenbedingungen haben sich im Laufe der Jahrzehn-
te, insbesondere mit der Liberalisierung des Strommark-
tes in Europa, verändert .

Das unserer Wirtschaftsordnung zugrundeliegende
Leitbild ist das der sozialen Markwirtschaft . Es umfasst
insbesondere die Idee des Wettbewerbs auf den Märkten .
Seit den 90er-Jahren haben wir in Deutschland einen li-
beralisierten Strommarkt . Hier gibt es einen funktionie-
renden, wenn auch regulierten Wettbewerb . Die Linken
wollen mit Ihrem Antrag diesen Wettbewerb beseitigen .
Sie wollen mal eben das Grundprinzip unserer Wirt-
schaftsordnung beseitigen und auf dem Energiesektor
einfach außer Kraft setzten .


(Zurufe von der LINKEN)


Das Prinzip „fairer Wettbewerb“ muss jedoch auch bei
der Konzessionsvergabe gelten . Es muss oberste Priorität
haben .


(Sabine Leidig [DIE LINKE]: Das steht aber nicht im Grundgesetz!)


Auch die kommunalen Unternehmen müssen sich die-
sem Wettbewerb stellen . Das Europäische Parlament hat
eine Systementscheidung getroffen: Netze müssen im
Wettbewerb vergeben werden . Das gilt auch bei uns in
Deutschland .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Liebe Kollegen von der Linken: Haben Sie aus dem
Verfahren des Bundeskartellamtes gar nichts gelernt?
Das Bundeskartellamt musste mehrfach wegen Wettbe-
werbsbeschränkungen der Kommunen zulasten Dritter
in die Vergabepraxis bei den Kommunen eingreifen . Die
Kommunen sollten daher bei der Vergabe der Wegenut-
zungsrechte nicht ausschließlich zugunsten ihres eigenen
Stadtwerkes handeln .

Schauen wir uns einmal an, was zwei Jahre vor Ver-
gabe eines Konzessionsvertrages passiert . Die Vergabe
wird zunächst einmal bekannt gemacht . Es werden Aus-
schreibungen gemacht, es wird verhandelt, verschiede-
ne Anbieter werben für ihr Angebot . Meine Damen und
Herren, da findet Wettbewerb statt. Da wird nicht einfach
einer ausgeguckt, der dort zu Hause ist, nämlich das ei-
gene Stadtwerk, sondern es wird derjenige ausgesucht,
der das wirtschaftlichste Angebot macht . Das erwarten
die Verbraucherinnen und Verbraucher, nämlich dass ein
wirtschaftliches Angebot zum Zuge kommt .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Das hat auch der Bundesgerichtshof in seinem Urteil
vom Dezember 2013 so gesehen . Er hat entschieden, dass
eine Gemeinde, die den Netzbetrieb an einen Eigenbe-
trieb übertragen möchte, sich gerade nicht auf die Grund-
sätze der Inhousevergabe berufen kann . Nach Auffas-
sung der Kartellbehörden und des Bundesgerichtshofes
ist die Kommune bei der Vergabe der Konzession in ihrer
Stellung marktbeherrschend, da nur sie die Wegerechte
hat und diese an einen Netzwerkbetreiber vergeben kann .
In einem solchen Fall ist es daher zwingend, dass wir das
Verfahren der Vergabe diskriminierungsfrei ausgestalten .

Sie haben eben die Inhousevergabe genannt . Was
heißt das eigentlich, Inhousevergabe? Da gibt es zwei
Kriterien: Es gibt zum einen die Kontrolle: Sie müssen
über ein Netzversorgungsunternehmen die Kontrolle wie
über eine eigene Dienststelle haben . Jetzt frage ich Sie:

Caren Lay






(A) (C)



(B) (D)


Welcher Bürger möchte das denn schon, dass seine Ener-
gielieferung wie eine Dienststelle behandelt wird? Und
es gibt zum anderen das Wesentlichkeitskriterium: Der
Auftraggeber muss über den Auftragnehmer ganz we-
sentlich die Kontrolle behalten können . Auch das ist mit
Wettbewerb so nicht zu vereinbaren .

Die Einbeziehung der Grundsätze der Inhousevergabe
an dieser Stelle ist nicht nur risikoreich, sie ist auch euro-
parechtlich nicht möglich, weil das energierechtliche Re-
gime in Europa dort gerade diese Maßgabe nicht zulässt .

Unser Bestreben ist es, zu einer wettbewerbsgemäßen
Vergabe zu kommen . Die Kommunen sollen nach Ihrer
Auffassung weitere Ziele, weitere gemeindewirtschaftli-
che Ziele bei der Vergabe berücksichtigen können . Maß-
stab bei der Netzübergabe müssen aber gerade objektive
Kriterien sein, wie sie der Kollege Post gerade angespro-
chen hat . Diese sind im § 1 des Energiewirtschaftsgeset-
zes festgelegt: Versorgungssicherheit, Preisgünstigkeit,
Verbraucherfreundlichkeit und Umweltverträglichkeit .
Es sind Kriterien, die im Sinne der Verbraucherinnen und
Verbraucher sind . Die gehören in ein solches Gesetz hi-
nein .

Im Übrigen sieht das auch der Referentenentwurf des
Bundeswirtschaftsministeriums zur Änderung des § 46
EnWG vor, und die Frage ist, welche Interessen darüber
hinaus noch als kommunale Belange Berücksichtigung
finden können. Nun, das können ganz einfache Dinge
sein, etwa beim Straßenbau: Wer hat sich als Bürger nicht
schon mal darüber aufgeregt, dass achtmal die Straße
aufgerissen wird, um eine Gasleitung, eine Stromleitung,
eine Wasserleitung und auch noch ein Kabel zu verlegen?
All diese Dinge können bei einer Vergabe Berücksichti-
gung finden. Auch deshalb wird es an dieser Stelle etwas
mehr Rechtssicherheit geben .

Zum wettbewerbsrechtlichen Aspekt . Sie, die Linken,
suggerieren durch Ihren Antrag, die Rechtssicherheit
könne den Wettbewerb übertrumpfen, ja geradezu aus-
schalten. Dazu ist zu sagen: Es findet auch beim Netzbe-
trieb Wettbewerb statt . Stromlieferung und Netzbetrieb
sind schon getrennt . Es werden sich jedenfalls keine wei-
teren Vorteile durch eine Inhousevergabe ergeben . Der
Netzbetrieb ist an Regulierungsvorschriften gebunden:
Um die Netzentgeltverordnung und die Anreizregulie-
rungsverordnung kommt auch eine Gemeinde nicht he-
rum .

Als weiteres Moment nennen Sie die Investitionen in
die Netze . Wir werden in den nächsten Jahren, bis 2030,
23 Milliarden Euro in Netze investieren müssen . Da
wünsche ich mir als Bürger, dass solche Entscheidungen
im Wettbewerb getroffen werden und dass bei einer In-
housevergabe nicht etwa nur die eigene Gemeinde zum
Zuge kommt . Das ist auch im Interesse niedriger Netz-
entgelte . Denn sie wirken sich auf den Gesamtpreis aus,
zu dem der Haushalt mit Strom versorgt werden kann .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Meine Damen und Herren, es ist letztendlich auch
eine grundsätzliche Frage, wie weit die Gemeindewirt-
schaft ausgeweitet werden kann – gerade vor dem Hin-

tergrund, welche Züge das heute Morgen im Bundesrat
angenommen hat . Die Entsorgungswirtschaft stand da
in Rede . Die Mehrheit der Bundesratsvertreter forderte
einfach einmal eben die Verstaatlichung aller dualen Sys-
teme in Deutschland . Sie wissen: Das sind diejenigen,
die im Rahmen der Verpackungsverordnung die System-
dienstleistungen gewähren .


(Dr . Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Armes Deutschland!)


Wir brauchen nicht mehr Staat im Wettbewerb, wir brau-
chen weniger Staat im Wettbewerb, damit diese Leistun-
gen günstiger werden .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Ralph Lenkert [DIE LINKE]: So ein Quatsch! Sie haben keine Ahnung von Abfallwirtschaft! – Caren Lay [DIE LINKE]: Sie beten da wirklich einen Götzen an!)


– Ich freue mich, dass Sie das Thema auch als wichtig
erkannt haben und Sie sich noch einmal zu Wort melden
wollen .

Im anstehenden Gesetzgebungsverfahren – da komme
ich gerne zur Regelung des § 46 EnWG zurück – werden
wir keine Verstaatlichung der Netze weiter vorantreiben,
sondern werden die kommunalen Belange, die vertretbar
sind, mit einer besonderen Positionierung versehen . Es
kann nur um Regelungen gehen, die auf Kosteneffizi-
enz, auf Versorgungssicherheit gerichtet sind – jedenfalls
keine anderen . Wir werden als Koalition dazu beitragen,
dass es mehr Rechtssicherheit bei der Übergabe und
Übernahme von Netzen gibt . So haben wir es im Koaliti-
onsvertrag vereinbart .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1815311200

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun die

Kollegin Dr . Julia Verlinden das Wort .


Dr. Julia Verlinden (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1815311300

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten

Damen und Herren! Dieses Jahr droht die Energiewende
zum Stillstand zu kommen; denn dreckige Kohlekraft-
werke kriegen Milliardensubventionen und die erneu-
erbaren Energien eine Obergrenze . Wenn es nach den
Plänen der Union geht, dann sollte am besten gar kein
Windrad und gar keine Solaranlage mehr gebaut werden .
Was für ein herber Rückschlag, und was für eine wirt-
schafts- und klimapolitische Kurzsichtigkeit!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Heute beraten wir einen Antrag zur Rekommunalisie-
rung der Energienetze . Es existiert nach wie vor eine gro-
ße Rechtsunsicherheit für Kommunen bei der Übernah-
me der Verteilnetze . Das Engagement der Bürgerinnen
und Bürger und auch der Kommunen vor Ort ist enorm
wichtig für die Akzeptanz und auch für den Antrieb der
Energiewende . Das hört eben nicht bei den Versorgungs-

Dr. Matthias Heider






(A) (C)



(B) (D)


anlagen für erneuerbare Energien auf; die Menschen
wollen auch Mitbestimmung hinsichtlich der Infrastruk-
tur für die Energiewende erhalten . Das wollen wir Grüne
mit ermöglichen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das Volksbegehren in Hamburg im Jahr 2013 zum
Beispiel hat gezeigt: Die Hamburger wollen die Strom-,
Fernwärme- und Gasleitungsnetze wieder vollständig in
öffentlicher Hand sehen . Das Ziel einer sozial gerech-
ten, klimaverträglichen und demokratisch kontrollierten
Energieversorgung aus erneuerbaren Energien bekam die
Mehrheit . So viel zu dem, was Sie eben gefragt haben:
Wer von den Menschen will das denn? Sehr viele Men-
schen wollen das offenbar, wie das Hamburger Ergebnis
gezeigt hat .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Das überrascht mich in Zeiten von Handelsabkommen
wie TTIP und CETA auch gar nicht, in denen sich Kom-
munen vermehrt zu Wort melden und fordern, dass ihre
wirtschaftliche Betätigung im Bereich der Daseinsvor-
sorge und der kommunalen Infrastruktur nicht weiter
eingeschränkt wird und so zentrale Dinge wie die Trink-
wasserversorgung nicht liberalisiert werden .

Manche Kommunen arbeiten bezüglich der Energie-
netze gut mit privaten Betreibern zusammen . Ande-
re wollen es lieber selbst machen . Wieder dritte sehen
in einer gemeinsamen Partnerschaft das beste Modell .
Wichtig ist uns Grünen, dass a) die Kommunen selbst
entscheiden können, welchen Weg sie gehen möchten,
und b) dieser Weg dann auch rechtssicher ist . Denn das
gehört zu unserem Verständnis von verantwortungsbe-
wusster öffentlicher Daseinsvorsorge .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Nach unserer hitzigen Debatte vor knapp einem Jahr
sind wir bis heute nicht weitergekommen . Die Bundes-
regierung hat die Rechtsunsicherheit, die sich für Kom-
munen bei der Übernahme der Verteilnetze aus dem § 46
Energiewirtschaftsgesetz ergibt, immer noch nicht besei-
tigt . Im Übrigen sind diese Rechtsunsicherheiten auch
für Genossenschaften und private Unternehmen wenig
hilfreich .

Staatssekretär Beckmeyer hat uns im letzten März
versprochen, dass es bis zur Sommerpause einen Entwurf
der Bundesregierung und dann auch ein parlamentari-
sches Verfahren geben soll . Damals dachte ich, er meine
die Sommerpause 2015 . Da habe ich mich offenbar ge-
täuscht .


(Dr . André Hahn [DIE LINKE]: Das kann passieren!)


Inzwischen liegt zwar ein Entwurf vor, der vielleicht
nächsten Monat vom Kabinett beschlossen wird, aber
wann das parlamentarische Verfahren startet und wann
die neuen Regelungen in Kraft treten können, das steht
in den Sternen .


(Florian Post [SPD]: Vor dem Sommer!)


– Ja, ich bin gespannt, Herr Post . – Aber das ist doch kein
Zustand .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Die Koalition scheint in der Energiepolitik ausge-
brannt und zerstritten zu sein . Auch andere energiepoli-
tische Vorhaben werden immer weiter nach hinten ver-
schoben . Sie sollen aber doch die anstehenden Aufgaben
lösen und nicht ständig alles vertagen .

Sie von der Bundesregierung scheinen den Kommu-
nen nicht zuzutrauen, selbst zu entscheiden, ob Sie die
wichtige Aufgabe des Netzbetriebs übernehmen wollen .
Denn eine Inhousevergabe wollen Sie in Ihrem Entwurf
nicht zulassen .

Darüber hinaus schaffen Sie neue Rechtsunsicherhei-
ten . Zum Beispiel heißt es im Referentenentwurf zu § 46
Absatz 4 EnWG:

Bei der Gewichtung der einzelnen Auswahlkriterien
ist die Gemeinde berechtigt, den Anforderungen des
jeweiligen Netzgebietes Rechnung zu tragen .

Das wird in der Praxis zu einer erheblichen Rechts-
unsicherheit führen, weil dann in jedem Einzelfall ein-
gewandt werden kann, dass die Gewichtung den Anfor-
derungen des Netzgebiets womöglich nicht Rechnung
getragen hat . Ich frage Sie: Soll das die neue Rechtssi-
cherheit sein? Das ist nicht Ihr Ernst!

Dass Sie die Rekommunalisierung der Verteilnetze
nicht erleichtern wollen, das haben Sie von den Koali-
tionsfraktionen ja schon in der ersten Lesung zu diesem
Antrag im März letzten Jahres mehrfach angemerkt .
Aber mehr Rechtssicherheit schaffen Sie mit diesem Ge-
setzentwurf auch nicht .


(Beifall der Abg . Caren Lay [DIE LINKE])


Wir setzen uns seit Jahren dafür ein, dass endlich
eine Rechtslage herbeigeführt wird, die Klarheit für die
Kommunen schafft, die die Stromnetze selbst betreiben
wollen . Denn Energiewende, sei es bei den erneuerbaren
Energien, bei der Energieeffizienz oder bei den Energie-
netzen, geht nur zusammen mit den Bürgerinnen und
Bürgern und gemeinsam mit den Kommunen .

Vielen Dank .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1815311400

Der Kollege Johann Saathoff hat für die SPD-Fraktion

das Wort .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Johann Saathoff (SPD):
Rede ID: ID1815311500

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Im vergangenen Jahr haben wir an dieser Stel-
le oft über die Verfahren zur Konzessionsvergabe gespro-
chen . Wir Koalitionsabgeordnete haben betont, dass wir
das, was wir im Koalitionsvertrag vereinbart haben, bald

Dr. Julia Verlinden






(A) (C)



(B) (D)


umsetzen wollen . Wir sind jetzt auf der Zielgeraden, man
kann auch sagen: quasi einen Wimpernschlag vom Ziel
entfernt .


(Dr . Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Schauen wir mal!)


Der Referentenentwurf aus dem Ministerium ist Ih-
nen nicht nur vermutlich, sondern, wie wir heute in der
Debatte gehört haben, allen bestens bekannt . Die Län-
der- und Verbändeanhörung ist abgeschlossen, und jetzt
laufen die Arbeiten für einen Kabinettsbeschluss . Das ist
sehr wichtig für uns; denn es kann für die Legislative kein
befriedigender Zustand sein, wenn die Gesetzgebung der
Rechtsprechung hinterherhinkt . Deshalb bin ich froh,
dass wir diesen Zustand in diesem Jahr beenden werden .

„De Driever un de Esel denken selten gliek“ – der
Treiber und der Esel denken selten gleich –, das gilt auch
für das Verhältnis von Alt- zu Neukonzessionär .


(Dr . André Hahn [DIE LINKE]: Ich dachte, von CDU und SPD! – Heiterkeit bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir wollen, dass es in vielen Bereichen der Konzessions-
vergabe mehr Rechtssicherheit geben wird, sei es beim
Auskunftsanspruch von Gemeinden, bei der Vergütung
beim Netzübergang oder bei den Rügeobliegenheiten .
Außerdem muss die Konzessionsabgabe bei einer Ver-
zögerung des Netzübergangs vom Altkonzessionär unbe-
fristet weitergezahlt werden . Hier einfach zu behaupten,
es sei keine Rechtssicherheit eingetreten, finde ich ge-
rade in diesem Punkt nicht angemessen und nicht fair .
Damit wären viele Streitpunkte in dem Entwurf und die
rechtlichen Unsicherheiten entschärft .

Beim Bewertungsverfahren – das gebe ich zu – sehe
ich dringenden Handlungsbedarf, gerade im Fall einer
Rekommunalisierung . Egal ob die Kommune einen viel
zu hohen Betrag an den Altkonzessionär zahlen muss
oder ob sie wegen des vermeintlich zu geringen Betra-
ges verklagt wird: Beide Fälle bedeuten für Städte und
Gemeinden ein enormes finanzielles Risiko. Von diesem
Damoklesschwert wollen wir sie befreien . Gerade in Zei-
ten, in denen die Kommunen ohnehin schon vor enormen
Herausforderungen stehen, haben es die Kommunen ver-
dient, dass wir sie in solchen Verfahren vor Unsicherhei-
ten schützen .

Beim Netzübergang vom Alt- auf den Neukonzessio-
när besteht der Streit meist darin, dass sich Ersterer auf
den Sachzeitwert beruft . Vereinfacht dargestellt bleibt
das Netz Eigentum der Gemeinde; denn diese entscheidet
am Ende des Konzessionszeitraums darüber, wie es wei-
tergeht . Der Neukonzessionär wird zwar formal Netz-
eigentümer, es ist ihm aber eben nicht möglich, das Netz
zu verkaufen und so den Sachzeitwert auch tatsächlich zu
erlösen . Daher ist es für einen Konzessionär maßgeblich,
welchen Gewinn er im Konzessionszeitraum erzielen
kann, und deswegen wollen wir den objektiven Ertrags-
wert als Richtschnur für den Netzübergang vorgeben .
Davon unberührt bleiben sollen natürlich einvernehmlich
Regelungen zwischen dem Alt- und dem Neukonzessi-
onär . Dass Altkonzessionäre die Zahlungen einstellen

können, obwohl sie selbst der Bremsklotz sind, das hal-
te ich für falsch . Auch hier wollen wir die Stellung der
Städte und Gemeinden verbessern .

Manchmal waren die Altkonzessionäre auch deshalb
ein Bremsklotz, weil sie sich geweigert haben, Kom-
munen, die die Absicht hatten, ihre Netze neu auszu-
schreiben, die notwendigen Daten über das Gas- und
das Stromnetz zur Verfügung zu stellen . Ich habe diese
Erfahrung selbst gemacht . Als ich vor einigen Jahren als
Bürgermeister die Konzession neu ausschreiben wollte,
haben wir vom Altkonzessionär über Jahre hinweg keine
Daten über das Netz erhalten . Wir mussten uns behel-
fen und anhand der Straßen die Länge der Leitungen ab-
schätzen . Das ist aber zum Beispiel in einer Fehngemein-
de äußerst kompliziert, wo auf beiden Seiten der Kanäle
Straßen verlaufen . Das ist fast nicht möglich, zumindest
mit enormen Unsicherheiten verbunden . Rechtssicher-
heit im Sinne der Kommunen herzustellen, ist also drin-
gend geboten . Es kann nicht sein, dass Kommunen durch
die Vorenthaltung der Daten und die damit verbundenen
Unsicherheiten davon abgehalten werden, ihr Netz tat-
sächlich zu rekommunalisieren .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Energieversorgung
ist Daseinsvorsorge; darüber sind wir uns einig . Auch
in ländlichen Regionen, wo die Landschaft zwar toll,
die Menschen aber rar sind, sollen alle mit Strom und
Gas versorgt werden, und zwar möglichst störungsfrei .
Ich habe das eben in meiner Rede zum Strommarktge-
setz schon einmal gesagt: Strom muss aus der Steckdose
kommen – immer . Dazu muss das Netz in einem guten
Zustand sein, und die Frequenz muss stimmen .

Aber einem ökologischen Anspruch, den Sie im ver-
gangenen Jahr auch schon gefordert haben, liebe Kol-
leginnen und Kollegen von den Linken, kann man mit
dem Netzbetrieb nicht gerecht werden; denn den Fluss
des Stroms kann man nicht beeinflussen. Einem ökolo-
gischen Anspruch kann man nur durch den Ausbau der
erneuerbaren Energien gerecht werden .


(Caren Lay [DIE LINKE]: Wir sind auch dafür!)


Das soll aber nicht bedeuten, dass die Kommunen bei
der Ausschreibung keine weiteren Kriterien berücksich-
tigen können oder sollen als die fünf Ziele in § 1 EnWG:
möglichst sichere, preisgünstige, verbraucherfreundli-
che, effiziente und umweltverträgliche Energieversor-
gung . Das können sie sehr wohl . Es kommt aber auf die
Art und die Gewichtung der Kriterien an . Hier herrscht
meiner Meinung nach erhebliche Unklarheit . Mit dieser
Frage müssen wir uns im weiteren Verfahren noch be-
schäftigen . Hier halte ich eine Klarstellung für dringend
notwendig .

Nachdem wir im vergangenen Jahr mehrfach über den
§ 46 EnWG gesprochen haben, werden wir das auch in
diesem Jahr wieder tun, allerdings mit einem Gesetzent-
wurf als Gesprächsgrundlage . Ich freue mich auf kon-
struktive Diskussionen .

Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Johann Saathoff






(A) (C)



(B) (D)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1815311600

Das Wort hat der Kollege Dr . Andreas Lenz für die

CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Dr. Andreas Lenz (CSU):
Rede ID: ID1815311700

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen

und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In dem
Antrag der Linken geht es um eine Bevorzugung der
Kommunen bei der Vergabe von Netzen . Die Linken
wollen wieder einmal den Wettbewerb einschränken, ja
aushebeln . Dabei schafft Wettbewerb Wohlstand .


(Caren Lay [DIE LINKE]: Ja, für die Energiekonzerne!)


Damit Sie mich nicht falsch verstehen: Ich habe über-
haupt nichts gegen Rekommunalisierung, aber nur dann,
wenn sich die Kommunen bzw . die kommunalen Unter-
nehmen dem Wettbewerb mit den privaten Unternehmen
stellen . Sie fordern in Ihrem Antrag eine grundsätzliche
Rekommunalisierung der Energienetze, konkret sollen
etwa Direktvergaben ohne Auswahlverfahren an kom-
munale Unternehmen zulässig sein, die sogenannten In-
housevergaben . Das würde zu einer Einschränkung des
Wettbewerbs um die Strom- und Gasnetze führen . Es ent-
stünde so die Gefahr steigender Nutzungsentgelte, also
steigender Strompreise für die Letztverbraucher . Anders
gesagt: Sie wollen Staatswirtschaft, wir wollen Markt-
wirtschaft . So schaut es doch aus .


(Beifall bei der CDU/CSU)

Bei der Auswahlentscheidung ist die Gemeinde den

Zielen des § 1 Energiewirtschaftsgesetz verpflichtet; wir
hörten es gerade . Ziel ist eine möglichst sichere, preisgüns-
tige, effiziente und umweltverträgliche Versorgung der All-
gemeinheit mit Elektrizität und Gas . Das schließt wirksa-
me Klimaschutzkonzepte überhaupt nicht aus . Schon jetzt
haben die Kommunen bei der Vergabe nach § 46 EnWG
Spielraum bei der Formulierung von Auswahlkriterien . Sie
können natürlich auch selbst per Eigenbetrieb oder durch
ein kommunales Unternehmen an der Vergabe teilnehmen .
Letztlich geht es darum, dass nicht die Kommune von der
Ausschreibung profitiert, sondern der Kunde.

Zweifelsohne gibt es einen Trend zur Rekommunali-
sierung . Über 120 neue Energieversorgungsunternehmen
wurden seit 2005 gegründet, mehr als 200 Konzessionen
von kommunalen Unternehmen übernommen . Das ist
überhaupt nicht schlecht, das ist sogar sehr oft sehr gut .
Rekommunalisierung muss möglich sein und wird auch
möglich bleiben . Aber es ist immer eine Einzelfallent-
scheidung . Die Kommune muss immer prüfen, ob sie ein
Netz übernehmen kann, die Mittel und das Know-how
dazu hat . Das ist eben nicht immer der Fall .

Ich möchte noch auf Ihren Vorwurf der Missachtung
der kommunalen Selbstverwaltung eingehen . Kommunale
Selbstverwaltung heißt nicht, dass eine Rekommunalisie-
rung erfolgen muss . Ziel muss es sein, den Regulierungs-
rahmen so zu setzen, dass eine sichere, preiswerte und um-
weltverträgliche Energieversorgung gewährleistet wird .

Der Bundesgerichtshof hat in mehreren Urteilen –
Kollege Heider hat darauf hingewiesen – klargestellt,

dass sowohl die Pflicht der Gemeinden zur Durchfüh-
rung eines Vergabeverfahrens wie auch die Bindung an
die Ziele des § 1 Energiewirtschaftsgesetz mit der kom-
munalen Selbstverwaltung in Einklang stehen . Es ist
nicht so, dass der Netzbetrieb eine kommunale oder eine
hoheitliche Aufgabe wäre . Die aktuelle gesetzliche Rege-
lung beschränkt also die Gemeinden nicht, sondern stellt
sie mit privaten Unternehmen gleich . Jede Kommune
kann mit einem eigenen Unternehmen oder einem Eigen-
betrieb am Wettbewerb teilnehmen und den Netzbetrieb
gegebenenfalls selbst übernehmen .

Im Koalitionsvertrag ist vorgesehen, die Vergabe und
den Netzübergang hinsichtlich der Verteilnetze eindeutig
und rechtssicher zu regeln . Das Bundeswirtschaftsminis-
terium hat hierzu einen Referentenentwurf vorgelegt . Im
Rahmen der parlamentarischen Behandlung des Gesetz-
entwurfes können wir hierzu gerne noch einmal diskutie-
ren . Es gibt durchaus bei der einen oder anderen Stelle
Diskussionsbedarf .

Der Entwurf sieht insgesamt eine Konkretisierung
der Vorschriften zur Vergabe von Wegenutzungsverträ-
gen vor . So werden für die beteiligten Unternehmen und
Gemeinden die Rechts- und auch die Planungssicherheit
beim Netzübergang verbessert . Außerdem wird dadurch
die für die Energiewende notwendige Modernisierung
der Verteilnetze beschleunigt .

Wir stehen also für Wettbewerb, Sie für Zwangsver-
waltung . Wettbewerb hat eine heilsame Wirkung; denn
er zwingt zu Effizienz und Kostendisziplin und sichert
dadurch den Verbrauchern die beste Leistung zum besten
Preis . So ist das in der Marktwirtschaft . Ihren Antrag leh-
nen wir deshalb ab .

Schönes Wochenende und herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1815311800

Ich schließe die Aussprache .

Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Ener-
gie zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel
„Energienetze zurück in die öffentliche Hand – Rechts-
sicherheit bei der Rekommunalisierung schaffen“ . Der
Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 18/5274, den Antrag der Fraktion Die Lin-
ke auf Drucksache 18/4323 abzulehnen . Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? –
Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion
gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und der Frak-
tion Bündnis 90/Die Grünen angenommen .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind damit am
Schluss unserer heutigen Tagesordnung .

Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes-
tages auf Mittwoch, den 17 . Februar 2016, 13 Uhr, ein .

Die Sitzung ist geschlossen . Ich wünsche Ihnen alles
Gute bis dahin .