Gesamtes Protokol
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! DieSitzung ist eröffnet.Wir setzen die Haushaltsberatungen – Tagesord-nungspunkt 1 – fort:a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes über dieFeststellung des Bundeshaushaltsplans für
Drucksache 18/2000Überweisungsvorschlag:Haushaltsauschussb) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre-gierungFinanzplan des Bundes 2014 bis 2018Drucksache 18/2001Überweisungsvorschlag:HaushaltsauschussAm Dienstag haben wir für die heutige Ausspracheeine Redezeit von insgesamt drei Stunden und 12 Minu-ten beschlossen.Wir beginnen die heutigen Haushaltsberatungen mitdem Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Ver-kehr und digitale Infrastruktur, Einzelplan 12. DasWort hat Bundesminister Dobrindt. – Bitte schön.
Alexander Dobrindt, Bundesminister für Verkehrund digitale Infrastruktur:Sehr geehrte Damen und Herren! Verehrte Kollegin-nen und Kollegen! Verehrte Präsidentin! Der aktuelleBundeshaushaltsplan leitet eine neue Ära ein. Wir ma-chen 2015 zum ersten Mal seit 1969 keine neuen Schul-den mehr. Diesen Kurs werden wir auch in den folgen-den Jahren halten. Es ist in der Tat ein historischesEreignis: Die große Haushaltswende ist geschafft wor-den. Die schwarze Null steht; die schwarze Null bleibt.Wir schaffen es mit dieser schwarzen Null, neue Gestal-tungsspielräume und Generationengerechtigkeit zusam-menzubringen.Von vielen Seiten sind Empfehlungen zu hören, derenUmsetzung neue Schulden und Steuererhöhungen nachsich ziehen würde. Angesichts der Debatten darüber, obman nicht einfach die Investitionen hochschraubenkönne, indem man mit günstigem Geld neue Schuldenam Kapitalmarkt aufnimmt, kann ich Ihnen nur sagen:Die Schulden von heute sind die Steuern von morgen.Wer heute auf Schulden und auf die Aufnahme weitererSchulden setzt, der wird mittelfristig immer wenigerMittel für Investitionen zur Verfügung haben. Das gehörtalso zusammen. Schwarze Null und Investitionen sindbei uns ein Paket.
Wir geben Wachstumsimpulse. Wir sorgen dafür, dassWachstum, Investitionen und Wohlstand auch in der Zu-kunft gesichert sind. Gerade Investitionen in die Infra-struktur sind die Grundvoraussetzung dafür. Die Siche-rung der Attraktivität und der Zukunftsfähigkeit desInnovations- und Investitionsstandortes Deutschland ste-hen für uns ganz oben auf der Agenda.
Wir werden die Infrastruktur stärken, Wachstum undWohlstand vorantreiben und auch weiterhin eine mo-derne Infrastrukturpolitik betreiben. Infrastrukturpolitikist aktive Wohlstandspolitik. Der Zusammenhang zwi-schen der Qualität der Infrastruktur und dem Wachstumeiner Gesellschaft ist inzwischen eindeutig bewiesen.All diejenigen, die gemeint haben, sie könnten Wachs-tum von Infrastruktur entkoppeln, sind der Lüge über-führt worden.
– Auch wenn Sie gerne dazwischenschreien, meine Kol-legen von den Grünen, Sie haben sich in der Vergangen-
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heit getäuscht. Die Investitionen in die Infrastruktur sindnotwendig für unseren Wohlstand und nicht hinderlich,wie Sie es immer formuliert haben.
Jede Milliarde, die in die Verkehrsinfrastruktur inves-tiert wird, schafft Wachstumsimpulse von bis zu 3 Mil-liarden Euro. Das wollen wir erreichen. Weil auch dieÖffentlichkeit dies inzwischen erkannt hat und nicht denfalschen Behauptungen glaubt, die Sie mit Ihrer Ent-kopplungstheorie über lange Zeit vertreten haben, stehtder Zustand der Infrastruktur ganz besonders im öffentli-chen Interesse.
Es ist inzwischen ein gesellschaftlicher Grundkon-sens, dass in unsere Infrastruktur deutlich mehr inves-tiert werden muss, auch in der Zukunft. McKinsey hatdas vor wenigen Monaten noch einmal sehr deutlich ge-macht. Es sind die globalen Ströme, es sind die Wirt-schaftsströme, es sind die Verkehrsströme und die Da-tenströme, die über den Wohlstand einer Region mitentscheiden. Deswegen ist es für uns ein gutes Zeichen,dass wir wieder Logistikweltmeister geworden sind unddass wir beim Weltwirtschaftsforum mit unserer Infra-struktur und unseren Innovationen ganz weit vorne ste-hen.
Wir haben in der Verkehrsprognose gezeigt, dass dieVerkehre weiter deutlich wachsen werden. 40 Prozent istdie Wachstumsprognose im Bereich des Güterverkehrs.Sowohl auf der Straße als auch auf der Schiene sowieauf den Wasserstraßen wird künftig ein deutlicher Zu-wachs verkraftet werden müssen. Deswegen ist es unswichtig, deutlich zu machen, dass wir mit Blick auf einezukunftsfähige Infrastruktur für alle Verkehrsträger ei-nen Investitionshochlauf starten. Wir bringen Haushalts-wende und Investitionsanstieg zusammen.Erstens. Das 5-Milliarden-Euro-Paket, das wir fürdiese Wahlperiode zur Verfügung haben, wächst bis zumJahr 2017 sukzessive auf.
Wir verstetigen dies übrigens mit der mittelfristigenFinanzplanung bis in die nächste Wahlperiode hinein.Zweitens. Wir steigern unser Engagement bei der Nut-zerfinanzierung. Drittens. Wir stärken die Einbindungvon privatem Kapital. Viertens. Wir setzen klare Priori-täten. Fünftens. Es gilt das Prinzip: Erhalt vor Neubau,
um dafür zu sorgen, dass unsere bestehenden Netze ineinem guten Zustand bleiben.
Dieser Investitionshochlauf führt dazu, dass wir imJahr 2017 eine Rekordinvestitionssumme von 12 Mil-liarden Euro haben, was in der Vergangenheit so nie er-reicht worden ist. Meine Damen und Herren, das heißt,jeder Euro, der an dieser Stelle in die Infrastruktur inves-tiert wird, fördert Arbeitsplätze, Wachstum und Wohl-stand in Deutschland. Das, was wir tun, ist vernünftig,richtig und gerecht.
Wir werden diese hohe Investitionsquote auch nachdieser Legislaturperiode immer wieder neu diskutierenund, hoffe ich, auch immer wieder absichern. Es werdenzusätzliche Mittel in die Infrastruktur fließen. Ich kannall denjenigen, die berechtigt immer wieder andere For-derungen stellen, wie man Geld und Mittel verwendenkann, nur zurufen: Wenn es in den nächsten Jahren inunseren Haushalten zusätzliche Mittel gäbe, dann solltenwir sie zuallererst in unsere Infrastruktur investieren undnicht andere Ideen diskutieren, meine Damen und Her-ren.
Die zweite Säule des Investitionshochlaufs ist dieStärkung der Nutzerfinanzierung. Wir sind auf demWeg, die Lkw-Maut auszuweiten.
– Ich weiß gar nicht, warum Sie sich da so aufregen. Wirwollen, dass die Unternehmen, die mit ihren Lkw einenNutzen aus den deutschen Straßen ziehen und erheblichzum Verschleiß der Infrastruktur beitragen, stärker anden Kosten beteiligt werden. Was ist denn die Kritik, dieSie daran haben? Wer nutzt, der zahlt – das ist die Auf-gabe, die wir hier erledigen.
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Deswegen werden wir im nächsten Jahr sowohl die Lkwzwischen 7,5 und 12 Tonnen in die Nutzerfinanzierungmit einbeziehen
als auch die Lkw-Maut auf weitere 1 000 Kilometervierspurige Bundesstraßen ausweiten. Das ist doch einrichtiges Konzept.
Wir werden in den nächsten Wochen noch einmal ak-tiv über die Infrastrukturabgabe, die sogenannte Pkw-Maut, diskutieren.
Ich kann Ihnen sagen, dass die Infrastrukturabgabe einehohe Akzeptanz in der Bevölkerung hat,
weil es um Gerechtigkeit bei der Finanzierung unsererStraßen geht.
Als Erstes muss die Gerechtigkeitslücke geschlossenund dafür gesorgt werden, dass all die, die auf unserenStraßen fahren, für die Nutzung zahlen; das ist die Reali-tät.
Die Infrastrukturabgabe ist erstens fair und zweitenssinnvoll.
Fair ist sie, weil es in fast allen unseren Nachbarländernauch so praktiziert wird. Gerade in den vergangenen Fe-rienwochen konnten sicherlich viele feststellen, dass siein unseren Nachbarländern einen Anteil an den Kostenfür die Nutzung der Straße erbringen müssen. Auch ichhabe in den letzten Wochen ein paar Tage in Italien ver-bracht, vier Stunden von meiner Heimat entfernt. ÜberÖsterreich bin ich nach Italien gefahren. Mein Anteil ander Finanzierung der Infrastruktur in diesen Ländern be-trug 64 Euro.
Ich finde, es ist eine Selbstverständlichkeit, dass ichmich mit diesem Beitrag an den Kosten beteilige,
denn ich bin auf einer guten Straße gefahren. Die gleicheSelbstverständlichkeit erwarte ich von allen anderen, dienach Deutschland kommen und gute Straßen nutzenwollen.
Die Infrastrukturabgabe ist deswegen sinnvoll, weiljeder Euro, der zusätzlich eingenommen wird, zweckge-bunden in den Straßenbau investiert wird – 2,5 Milliar-den Euro in einer Wahlperiode. Das ist in der Tat keineKleinigkeit. Wir haben vorher über ein 5-Milliarden-Euro-Paket gesprochen – 2,5 Milliarden Euro wären50 Prozent zusätzlich.
Ich glaube, dass dieses Thema es allemal wert ist, ak-tiv darüber zu streiten. Ich weiß, dass sich hier Mautbe-fürworter und Mautverweigerer wie seit jeher gegen-überstehen; das war so zu erwarten. Meine Damen undHerren, wir sind gefordert, Mittel für mehr Investitionenin unsere Straßen aufzubringen. Ich kann Ihnen an derStelle nur sagen: Vor dem Hintergrund all der anderenVorschläge, die mir gerne unterbreitet werden,
gerade auch in dieser Woche – die einen sagen: „Erhöhtdie Steuern, und ihr habt mehr Geld!“, die anderen sa-gen: „Macht mehr Schulden, und ihr habt mehr Geld!“ –,möchte ich sagen: Schafft Gerechtigkeit auf den Straßen,dann haben wir mehr Geld zum Investieren!
Wie erarbeiten jetzt den Gesetzentwurf. Wir werdendiesen Gesetzentwurf dann im Oktober vorstellen und indie Ressortabstimmung geben. Dann hat jeder die Gele-genheit, ausreichend darüber mit mir und meinem Hauszu diskutieren.Wenn wir uns die fünf Punkte des Investitionshoch-laufs anschauen, dann sehen wir, dass wir auf einen Mil-liardenbetrag kommen, den wir über die Jahre sukzes-sive aufbauen, und wir, was den Anteil des Bundesbetrifft, im Jahr 2018 sogar die von Daehre und Bodewigdefinierte Zielmarke erreichen. Es sei darauf hingewie-sen, dass sowohl Bund als auch Länder und Kommunen
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aufgefordert sind, die zusätzlichen Investitionen in dieInfrastruktur in Höhe von 7,5 Milliarden Euro, die im-mer im Raum stehen, zu erbringen. Unseren Anteil wer-den wir mit dem Fünf-Punkte-Plan „Investitionshoch-lauf“ erreichen. Das ist ein gutes Signal, vor allem anunsere Partner, die Länder und die Kommunen, die auchihren Anteil erbringen müssen, um mehr Investitionen indie Infrastruktur tätigen zu können, meine Damen undHerren.
Wir werden das private Kapital stärker einbinden, alsdas in der Vergangenheit möglich war. Wir haben in denvergangenen Tagen ein Projekt auf den Weg gebracht,bei dem auf der A 7 zwischen Hamburg und Bordesholmin Schleswig-Holstein auf einer Strecke von 60 Kilo-metern Autobahn ein fünfter und sechster Fahrstreifenzusätzlich gebaut werden soll. Die Gesamtfinanzie-rungskosten dieses ÖPP-Projekts betragen 1,6 Milliar-den Euro.
Damit klar ist, um welche Summe es geht, wenn wir da-rüber reden, dass wir unsere Autobahnen stärken wollen,sage ich Folgendes: Wir haben 13 000 Kilometer Auto-bahn. Für die genannten 60 Kilometer entstehen Kostenin Höhe von 1,6 Milliarden Euro. Die reinen Baukostenbetragen 700 Millionen Euro. Uns ist es jetzt zum erstenMal gelungen, bei so einem ÖPP-Projekt durch eine Pro-jektanleihe auch institutionelle Anleger an der Finanzie-rung zu beteiligen. 400 Millionen Euro kommen aus die-sem Bereich.Ich habe in der Vergangenheit nur feststellen können,dass wir gute Erfahrungen mit diesen ÖPP-Projekten ge-macht haben.
Deswegen werden wir eine dritte Staffel ÖPP-Projekteauf den Weg bringen, die einen Baubeginn noch in die-ser Wahlperiode möglich machen. Ich weiß, dass wir injedem Einzelfall die Wirtschaftlichkeit nachweisen müs-sen. Wir werden dies tun. Wegen der Kritik, die diesbe-züglich immer im Raum steht, will ich es sehr deutlichformulieren: Wer ÖPP grundsätzlich ablehnt, löst dieStauprobleme auf den deutschen Straßen nicht, und dengrößten volkswirtschaftlichen Schaden verursacht derStau in Deutschland. Dieses Problem muss gelöst wer-den.
Diese Bundesregierung steht für eine aktivierendeMobilitätspolitik. Dazu gehört nicht nur, dass wir dieKapazitäten im bestehenden Netz erhöhen, sondernauch, dass wir dafür sorgen, dass die moderne Technikstärker als bisher mit der Infrastruktur vernetzt wird.Deswegen bauen wir eine digitale Teststrecke auf, aufder die Vernetzung von Fahrzeugen und Straße und vonFahrzeugen mit Fahrzeugen angeboten wird. Mithilfedieser digitalen Teststrecke kann eine Fahrerunterstüt-zung entwickelt werden. Das heißt, dass, wenn sich aufder Strecke vor Ihnen, die Sie nicht einsehen können, et-was ereignet, ein Unfall zum Beispiel, Ihnen dies inEchtzeit in Ihrem Fahrzeug gemeldet wird. Durch dieseWarnung in Ihrem Fahrzeug werden Sie in die Lage ver-setzt, rechtzeitig zu reagieren.Das ist aber nur mit einem schnellen Internet möglich,mit einer schnellen Breitbandtechnologie. Deswegen istder Breitbandausbau eines der zentralen Elemente derDigitalen Agenda, die die Bundesregierung mit demBundesinnenminister, dem Bundeswirtschaftsministerund dem Bundesverkehrsminister vorgestellt hat. Sie ha-ben in der Vergangenheit immer danach gefragt, wie wirden Breitbandausbau in Deutschland unterstützen undfinanzieren wollen. Ich habe die Antwort darauf gege-ben:
Wir werden die freiwerdenden Funkfrequenzen imnächsten Jahr an den Markt bringen.
Der Erlös wird Milliarden betragen. Damit werden wirdafür sorgen, dass die Breitbandtechnologie dort ausge-baut wird, wo wir bisher weiße Flecken haben, wo eskeinen wirtschaftlichen Ausbau gibt. Damit werden wirdafür sorgen, dass die Menschen überall in Deutschlandein schnelles Internet bekommen, liebe Freunde.
Herr Minister, wenn Sie als Abgeordneter reden wür-den, wäre spätestens jetzt der Zeitpunkt, um Sie an IhreRedezeit zu erinnern und Sie darauf aufmerksam zu ma-chen, dass das alles zulasten Ihrer Fraktion geht.Alexander Dobrindt, Bundesminister für Verkehrund digitale Infrastruktur:Vielen Dank, dass Sie mich darauf aufmerksam ge-macht haben. Ich habe es für notwendig gehalten, dieKollegen von den Grünen mit Fakten zu versorgen,
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damit sie in die Lage versetzt werden, zu verstehen, wiedas mit dem Investitionshochlauf in Deutschland funk-tioniert.Wir schaffen die Wende im Haushalt, und wir schaf-fen den Investitionshochlauf.Danke schön.
Vielen Dank. – Nächster Redner in der Debatte ist
Roland Claus, Fraktion Die Linke.
Werte Frau Präsidentin! Ich habe den Eindruck, dassder Bundesverkehrsminister ständig zulasten seinerFraktion unterwegs ist.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Bun-desminister Dobrindt, wenn Sie einem regulären Jobnachgehen würden, hätten Sie, glaube ich, längst dieeine oder andere Abmahnung bekommen. Sie haben einHobby mit vier Buchstaben, das Sie mit Ihrem Parteivor-sitzenden teilen. Ja, ich meine die Maut. Eines kann ichnicht verstehen: Warum lässt man Ihnen durchgehen,dass Sie Ihrem Hobby während der Arbeitszeit nachge-hen?
Weiter noch: Warum lässt die Kanzlerin zu, dass Sie Ih-ren regulären Job als Infrastrukturminister nicht erledi-gen? Ich finde, das ist nicht in Ordnung.
Mindestens in der Schärfe, wie es die Opposition vor-getragen hat, gab es auch Kritik aus der SchwesterparteiCDU. Jetzt muss man sich einmal anschauen, mit wel-cher Sprache Horst Seehofer, der Parteivorsitzende derCSU, darauf reagiert hat. Horst Seehofer hat gesagt:Wenn die Landtagswahlen durch sind, ist das Ende derSchonzeit erreicht. Wenn ich das richtig verstehe, han-delt es sich hier um einen Begriff aus dem Jagdwesen.Nach der Schonzeit darf abgeschossen werden.
Wenn das Schwesternliebe ist, na dann gute Nacht.
Da kann man ja einmal mehr heilfroh sein, nicht Mit-glied der CDU zu sein.
Man muss Ihnen das einmal vorrechnen: Gesetzt denFall, wir würden dieses Monster Pkw-Maut in der Tateinführen, würde das 2 Prozent des Verkehrsetats ausma-chen. Wieso, frage ich mich, darf es sein, dass ein Mit-glied der Bundesregierung nur 2 Prozent Leistung bringtgegenüber 98 Prozent Arbeitsverweigerung? Das darfman nicht durchgehen lassen.
Die gesamte Verkehrsinfrastruktur des Bundes ist IhrJob, also auch die digitale Infrastruktur, aber diese gibtes in Ihrem Haushalt noch nicht, Herr Minister. Ich binauch für den Etat des Bundeswirtschaftsministers zu-ständig. In seinem Etat ist eine Reihe von Förderpro-grammen zur digitalen Wirtschaft vorhanden. Ich hatteden Eindruck, dass sich nach der ganzen Umsortierungin der Bundesregierung das eine oder andere jetzt imVerkehrsetat wiederfinden würde. Das ist nicht der Fall;das bleibt alles schön im Wirtschaftsetat. So war natür-lich das, was Sie, Herr Minister, hier zum Thema digitaleInfrastruktur vorgetragen haben, ausdrücklich nichts an-deres als dünne Suppe.
Ich will eine kleine Tour über Ihre Baustellen ma-chen. Ich beginne mit der Wasser- und Schifffahrtsver-waltung. Vier Jahre lang wurde unter dem Druck derFDP in der Vorgängerregierung versucht, sie zu privati-sieren. Sechs Berichte der Bundesregierung liegen unsinzwischen zur Wasser- und Schifffahrtsverwaltung vor.Wenn man sich den sechsten Bericht anschaut, bekommtman den Eindruck, dass wir alles wieder auf Start setzen.
Nun könnte man sagen: Es ist ja vielleicht nicht soschlimm. Trotzdem muss man natürlich die Folgen be-achten: Es gibt enorme Bauverzögerungen am Nord-Ost-see-Kanal. Sie haben eine unsägliche Generaldirektionder Schifffahrtsverwaltung in Bonn geschaffen, und dieWasserstraßen im Osten der Republik haben Sie alsRestwasserstraßen klassifiziert. Sie haben also bleibendeSchäden angerichtet.
Stichwort Lkw-Maut. Noch immer sind die Schaden-ersatzleistungen von Toll Collect, die vor vielen, vielenJahren bei der Einführung der Maut – oder besser: derNichteinführung – aufgelaufen sind, nicht eingeklagt.Hier bleiben dem Bund Milliardensummen vorenthalten.Das kann man doch nicht hinnehmen. Die Aufgabe, nunendlich einmal die Frage nach der zukünftigen Betrei-bergesellschaft zu beantworten – wer wird diese Auf-gabe wahrnehmen, nachdem die Verträge ausgelaufensind? –, lösen Sie nicht. Sie sitzen es aus. Das werdenwir als Parlament Ihnen nicht durchgehen lassen.
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Roland Claus
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Natürlich haben wir die Sanierung von Straßen, Brü-cken und Schienenwegen als gemeinsame Aufgabe zuschultern. Wir brauchen eine zukunftsfähige Infrastruk-tur. Wenn wir uns ehrlich in die Augen schauen, müssenwir sagen: Kein Haushalt des Bundes könnte diesen rie-sigen Stau beim Investitionsbedarf rasch überwinden.Aber eine Politik des Weiter-so wird die Probleme auchnicht lösen.
Nun sagen die Minister Gabriel und Dobrindt, dassSie privates Kapital heranziehen wollen. Die Linke sagt:Das geht in Ordnung. Da gibt es nur einen kleinen Un-terschied zwischen uns: Sie wollen bei den Privaten bet-teln gehen oder mit denen Geschäfte machen. Wir sagen:Lassen Sie uns über Einnahmen reden! Führen wir einegerechte Besteuerung ein, dann haben wir auch die Mög-lichkeiten, seitens des Bundes eine vernünftige Infra-struktur zu schaffen.
Der größte Investetat des Bundes und ein Riesen-durcheinander in diesem Ministerium – das beweist ein-mal mehr: Sie können nicht mit Geld umgehen undschon gar nicht mit viel Geld.
Vielen Dank. – Für die SPD-Fraktion erhält jetzt
Bettina Hagedorn das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kolle-gen! Guten Morgen! Herr Minister, Sie haben hier IhrenEtat vorgestellt, der der größte Investitionsetat innerhalbunseres Bundeshaushalts ist. Er umfasst über 23 Milliar-den Euro. Das ist eine große Summe, und gemeinsamstrengen wir uns an – Sie haben darauf hingewiesen –,diese Summe zu erhöhen. Wir wollen diese Summe des-halb erhöhen, weil wir alle wissen, dass wir die Infra-struktur in diesem Land als Teil der Daseinsvorsorgenicht vernachlässigen dürfen.
Darin sind wir uns einig. Das ist die eine Seite.Die andere Seite ist – auch darin sind wir uns einig –,dass wir dafür noch mehr Geld brauchen. Wie das Geldzu beschaffen ist, ist eine andere Frage. Sogar mit denGrünen – so habe ich gelesen – sind wir darin einig.Denn ihr Verkehrsminister Winfried Hermann, der jalange unser Kollege war, hat auf dem 2. Welt-Infrastruk-turgipfel jüngst verkündet, dass 7,2 Milliarden Euro proJahr zusätzlich benötigt werden. Das ist das Ergebnis derBodewig-Kommission. Das brauchen wir.
Darin sind wir uns einig. Aber woher nehmen und nichtstehlen?Herr Minister, Sie haben hier gerade ein paar Stich-worte angesprochen, die aus Ihrer Sicht hilfreich seinkönnen. Ein Stichwort ist PPP. Wir haben in der Vergan-genheit häufig darüber gesprochen. Ich will das heutenicht allzu sehr vertiefen. Denn unser Koalitionsvertraggilt. Das haben Sie gesagt. Sie haben auch gesagt, dassSie das im Einzelfall nachweisen werden.Sie haben auch das Beispiel der jüngsten PPP-Ver-gabe im Volumen von 1,6 Milliarden Euro angespro-chen. Der Wahrheit geschuldet ist aber, dass genau die-ses Projekt in dem Bericht des Bundesrechnungshofs,der im Mai veröffentlicht worden ist, noch mit 1,2 Mil-liarden Euro angegeben war. Vor dem Hintergrund wer-den wir uns genau anschauen müssen, dass es im Einzel-fall auch wirklich nicht teurer wird. Denn das wäre nichtim Sinne unserer Kinder und Enkel und wäre nicht gene-rationengerecht. Volkswirtschaftlich klug wäre es schoneinmal gar nicht.
Dazu muss man wissen, dass es bei diesem Streit, beidieser Auseinandersetzung immer um Wirtschaftlich-keitsbetrachtungen geht. Dazu hat das Verkehrsministe-rium in der Vergangenheit eine andere Auffassung alsder Bundesrechnungshof gehabt. Da ich Rechnungsprü-fungsausschussvorsitzende bin, will ich Ihnen allen abernicht vorenthalten, dass sich das Finanzministerium inder Vergangenheit auf die Seite des Bundesrechnungs-hofs gestellt hatte.
Insofern werden wir darüber noch genau reden müssen.Sie haben das Stichwort Lkw-Maut genannt. Das willich hier ausdrücklich auch tun. Denn in den letzten fünfJahren hat die Lkw-Maut mit Einnahmen von 22 Milliar-den Euro zur Verstetigung der notwendigen Investitio-nen beigetragen. Darum ist gerade die Lkw-Maut ein In-strument, bei dem wir uns zu Recht im Koalitionsvertragdarauf verständigt haben, dass wir da erheblich nachle-gen wollen.Sie haben angekündigt – das ist ein erster Schritt; wirsind uns da einig –, die Ausweitung um zusätzliche1 000 Kilometer Bundesfernstraße, die Absenkung auf7,5 Tonnen – super! –, aber verständigt haben wir unsauf die Ausweitung auf 41 000 Kilometer Bundesfern-straße. Zum Hintergrund: Wir sind jetzt bei 13 000 Kilo-metern. Da ist also noch eine Menge Luft.Um das hinzukriegen – das Thema Toll Collect wurdehier schon angesprochen –, spielt genau der Vertrag mitToll Collect, der bisher das nicht abdeckt, was wir unsgemeinsam vorgenommen haben, eine wesentlicheRolle. Herr Minister, wir wissen, dass Sie bis zum15. Februar Zeit haben, um dort die Call Option zu zie-hen. Wir haben von Ihnen noch nicht wirklich gehört, obSie das eigentlich tun werden
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Bettina Hagedorn
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oder welchen Plan B Sie verfolgen.Weil wir grundsätzlich über eine Verstetigung derEinnahmen in Ihrem Etat ab 2017/2018 um roundabout2 Milliarden Euro reden, und zwar auf Dauer und nach-haltig, kann ich Ihnen nur sagen: Wir sind koalitionstreu,und wir haben ein hohes Interesse daran, dass auch die-ser Passus unseres Koalitionsvertrages erfüllt wird. Da-bei unterstützen wir Sie.
Wenn man wenig Geld hat, dann geht es immer auchdarum, dass man mit dem, was man haben könnte,schlau umgeht. Da will ich den Blick auf eine andereEinnahmequelle lenken: Das sind die EU-Fördertöpfe.Verkehrskommissar Kallas hat gerade den Aufruf zurnächsten EU-Förderperiode veröffentlicht. Der Kuchen– so will ich mal salopp formulieren – ist in dieser För-derperiode sehr viel größer als in der Vergangenheit: Mit26 Milliarden Euro hat er sich nahezu verdreifacht. So-mit sind auch die Chancen Deutschlands, an diesem För-dertopf zu partizipieren, gestiegen; denn als Transitlandund große Exportnation im Herzen Europas haben wir zuRecht sehr viele Verkehrswege – insbesondere dieSchiene und die Wasserwege sind hier in den Fokus zunehmen –, für die wir Fördermittel einwerben könnten.Sie haben angekündigt, dass Sie – ich nenne, manmag es mir nachsehen, jetzt ein Beispiel aus dem Land,aus dem ich komme, aus Schleswig-Holstein; aber glau-ben Sie mir: man könnte viele andere Beispiele aus derganzen Republik nennen – die 485 Millionen Euro, dieder Haushaltsausschuss dieses Jahr für den Neubau derfünften Schleusenkammer des Nord-Ostsee-Kanals zurVerfügung gestellt hat, für die EU-Förderperiode anmel-den. Das freut uns. Im Hinblick auf die 265 MillionenEuro für die Begradigung der Oststrecke gibt es aller-dings noch keine Festlegung. Das verwundert uns, HerrMinister. Denn für diese zusammen 750 Millionen Eurokönnte man 200 bis 300 Millionen Euro CEF-Mittel ausEuropa einwerben.
Wir ermuntern Sie ausdrücklich, dies zu tun, und freuenuns darauf, dass Sie uns vorlegen werden, wie Ihr Planan dieser Stelle aussieht.
Nun komme ich zu einem Punkt, den man, wenn manüber knappes Geld redet, auch in den Blick nehmenmuss: Es geht darum, mit dem zur Verfügung stehendenGeld zielgenau umzugehen. Auch dazu trifft unser Ko-alitionsvertrag richtungsweisende Aussagen: dass wir ge-rade bei den Neubauten – da meine ich jetzt die Straße –80 Prozent der zur Verfügung stehenden Mittel auf prio-ritäre Maßnahmen – auf Knoten, auf Engpässe; viele an-dere Beispiele sind genannt worden – richten und nur20 Prozent für regional wirksame Verkehrsprojekte aus-geben wollen. Schon bei den Verhandlungen über denKoalitionsvertrag haben wir erkannt, dass wir da manchebittere Pille verteilen müssen; denn nicht alles, was inden Ländern gewünscht wird, kann verwirklicht werden.Ich will das hier vorab vortragen, weil wir alsHaushaltsausschuss leider konfrontiert wurden mit derTatsache, dass Sie im Sommer ohne Beteiligung desHaushaltsausschusses und der Fachpolitiker für1,645 Milliarden Euro 27 Neubauprojekte in ganzDeutschland freigegeben haben, indem Sie sie in denStraßenbauplan neu aufgenommen haben.
Ich kann verstehen, dass jeder einzelne Abgeordnete, derin einem Wahlkreis lebt, der von einem dieser Projekteprofitiert, sich freut, ebenso die Menschen vor Ort; daskann ich alles nachvollziehen. Es geht – das will ich aus-drücklich sagen – nicht um eine Neiddebatte. Diese Ent-scheidung von Ihnen ist final, das heißt, wir werden sienicht zurückholen können. Wir müssen aber darüber re-den, ob das eigentlich – auch im Sinne unseres Koali-tionsvertrages – der richtige Schritt war und das richtigeSignal.
Denn damit sind 1,645 Milliarden Euro festgelegt, wo-durch sie vielen anderen prioritären Projekten, die unsallen am Herzen liegen und die für unser Land wichtigsind, entzogen werden.Grundsätzlich sind die Haushälter sich einig: Solltenwir in den nächsten Jahren neue Gestaltungsspielräumegewinnen – im Moment lässt sich das nicht sagen –,dann wollen wir sie der Infrastruktur zugutekommen las-sen. Das setzt aber nicht nur ein vertrauensvolles Ver-hältnis zu den Haushältern und den Fachpolitikern vo-raus, sondern auch, dass Sie uns bei der politischenSteuerung, bei der Kontrolle und bei der Transparenzbesser beteiligen als bisher.Vielen Dank.
Vielen Dank. – Nächster Redner ist Sven-ChristianKindler, Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Sehr geehrter Herr Minister Dobrindt! Ichmuss schon sagen, ich mache mir nach Ihrer Rede ernst-hafte Sorgen. Sie haben hier behauptet, dass Sie über dieFakten reden würden. Sie haben sich für diesen Haushaltgelobt. Sie haben behauptet, Sie hätten nur gute Erfah-rungen mit ÖPP gemacht, obwohl der Bundesrechnungs-hof etwas völlig anderes sagt. Sie haben behauptet, dass
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Sven-Christian Kindler
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die Mehrheit der Bevölkerung die CSU-Maut unterstüt-zen würde. Da frage ich mich schon: In welcher Parallel-welt leben Sie eigentlich?
Das sieht alles nach einer großen Wahrnehmungsstörungaus. Da mache ich mir große Sorgen, Herr Dobrindt.Eine Parallelwelt herrscht bei Ihnen auch bei der digi-talen Infrastruktur. Die Digitale Agenda ist wenig kon-kret. Es gibt viele Überschriften, aber es passiert nichts.Es herrscht ein großes Kompetenzwirrwarr in der Bun-desregierung. Auch bei der Versteigerung der Lizenzenist wenig klar, und es gibt keine Einigung mit den Län-dern. Es ist nicht klar, wann sie kommen soll. Was klarist – so viel zu Haushaltsklarheit und Haushaltswahrheit –:Im Haushalt 2015 steht nichts zum Breitbandausbau.Damit verschärfen Sie die digitale Spaltung unserer Ge-sellschaft.
Aber Sie versagen nicht nur bei der digitalen Infra-struktur. Auch beim Erhalt von Verkehrswegen gibt esnichts. Auch da ist ein großes Versagen festzustellen.Worüber diskutiert dieses Land seit Monaten? Überdie unsinnige Schwachsinns-Pkw-Maut der CSU! Auchin der Regierung wird munter diskutiert. Der Innen-minister hält sie für verfassungsrechtlich problematisch.Der Finanzminister befürchtet Verluste. Der Wirtschafts-minister ist mal dafür, mal dagegen; er weiß nicht, waser will. Horst Seehofer droht schon jetzt mit dem Endeder Schonzeit – Kollege Claus hat gesagt, danachkomme die Jagdzeit – und wirft dem Finanzminister Sa-botage vor. Die Kanzlerin duckt sich weg, wird sie aberam Ende durchsetzen. Dieser Klamauk, diese Posse erin-nert mich sehr stark an das Jahr 2010. Das erinnert sehrstark an Schwarz-Gelb und „Gurkentruppe“.
Dabei ist schon jetzt klar: Die Pkw-Maut wird ein großesBürokratiemonster. Sie wird nicht zu mehr Einnahmenführen; da teilen wir die Ansicht des Finanzministers.Was ich fatal finde – das kommt in der Debatte häufigzu kurz –, ist, dass Sie als CSU sich am europäischenGedanken versündigen. Diese Woche hat der polnischeStaatspräsident hier im Deutschen Bundestag geredet.25 Jahre nach dem Fall des Eisernen Vorhangs wollenSie als CSU die Schlagbaummentalität in Europa inDeutschland wieder einführen.
Ich fordere Sie auf: Hören Sie auf mit dieser ausländer-feindlichen, dieser europafeindlichen Stimmungsma-che! Hören Sie auf mit dieser geistigen Brandstiftung!
Beerdigen Sie diese CSU-Maut! Stoppen Sie diese CSU-Maut! Sie bringt nichts außer Ärger für die Koalition.Sie können die CSU-Maut gerne für Miniaturautos in derBayerischen Staatskanzlei einführen. Aber auf deutschenStraßen hat sie nichts zu suchen.
Die Alternative ist doch klar: die Ausweitung derLkw-Maut. Jetzt zu den Fakten, Herr Dobrindt.Erstens. Die Einnahmen aus der Lkw-Maut sinken indieser Legislaturperiode; sie steigen nicht. Der Grunddafür ist ein großes Versagen von Herrn Ramsauer, derda nicht vorgesorgt hat.Zweitens ist es so, dass Sie da große Probleme haben;auch darauf haben Kollege Claus und KolleginHagedorn hingewiesen. Es gibt ein Problem mit TollCollect; das ist ein Milliardenproblem, mit dem sich dieGerichte beschäftigen. Wir wissen nicht, wie es mit derLkw-Maut weitergehen soll. Meine Befürchtung ist: Sielassen sich von den Konzernen erpressen.
Sie wollen die Call-Option nicht ziehen. Da gibt es rie-sige Risiken für die Einnahmeseite. Damit muss endlichSchluss sein. Wir brauchen eine konsequente Auswei-tung der Lkw-Maut.
Im Übrigen finde ich dieses Sommertheater um dieCSU-Maut auch nicht lustig, wie es manche in der SPDtun.
Ich denke, es lenkt von den zentralen und ernsthaftenstrukturellen Problemen ab, die wir bei der Verkehrsinf-rastruktur haben. Jeden Tag verliert die Infrastruktur imBereich der Bundesfernstraßen 3,6 Millionen Euro anWert. Jede zweite Brücke ist marode. Als Beispielenenne ich die Rader Hochbrücke, die Brücke bei Lever-kusen und die Brücken an der Sauerlandlinie. Wir wis-sen: Jede dritte Eisenbahnbrücke ist marode und mussdringend saniert werden. Es muss für einen Verkehrsmi-nister doch klar sein, was im Fokus stehen muss: Nichtdie bescheuerte Pkw-Maut, sondern der Erhalt vonSchienen und Straßen muss für den Verkehrsministerjetzt im Fokus stehen.
Aber Ihr Fokus liegt nicht auf dem Erhalt; da kann ichmich Bettina Hagedorn ganz klar anschließen. ImSommer haben Sie 27 neue Straßenprojekte begonnen,am Haushaltsausschuss und am Straßenbauplan vorbei.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 52. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. September 2014 4799
Sven-Christian Kindler
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Die Gesamtkosten betragen 1,6 Milliarden Euro. Dasmuss man sich einmal klarmachen: Elf Vorhaben davonsollten vor dem kommenden Bundesverkehrswegeplannoch geprüft werden, aber Sie schaffen einfach Fakten.Niemand wird Ihnen angesichts dieser Politik glauben,dass Sie ernsthaft priorisieren wollen. Niemand wird Ih-nen glauben, dass Sie das Motto „Erhalt vor Neubau“wirklich ernst nehmen, da es eine riesige Bugwelle ma-roder Straßen und Schienen gibt, die wir vor uns her-schieben, Sie aber immer neue Milliarden in neue Stra-ßen pumpen. Das ist doch komplett absurd.
Was auch keine Lösung ist, ist ÖPP. Der Bundesrech-nungshof hat es klar gesagt: ÖPP ist eine milliarden-schwere Verschwendung von Steuergeldern und eineUmgehung der Schuldenbremse. Im Rechnungsprü-fungsausschuss hat in der letzten Legislaturperiode auchdas Finanzministerium nicht zugestimmt. Ich kannBettina Hagedorn also nur unterstützen.Das Konzept von ÖPP von Herrn Dobrindt ist falsch.Aber auch ÖPP 2.0 von Herrn Schäuble und HerrnGabriel ist falsch. Denn die privaten Konzerne werdenviel höhere Zinskosten als der Bund haben. Die Versi-cherungskonzerne werden nachher eine riesige Renditeverlangen, die wir dann aus Steuergeldern bezahlen müs-sen.Für uns Grüne ist klar: Diese Schattenhaushalte unddiese Privatisierung öffentlichen Eigentums lehnen wirab. Das ist eine milliardenschwere Verschwendung vonSteuergeldern.
Wir treten jetzt in die Haushaltsberatungen ein. Wirwerden Ihnen klare Alternativen vorlegen und Ihnen zei-gen, wie man Erhalt im Haushalt umsetzen kann, wieman vom Neubau in den Ausbau umschichtet, wie mandie Lkw-Maut ausweiten, wie man die Schiene stärkenund wie man dafür sorgen kann, dass wir endlich eineVerkehrswende in Deutschland bekommen. Ich hoffe,Sie kehren von Ihrem Wahnsinnskurs noch ab.Vielen Dank.
Vielen Dank. – Für die CDU/CSU spricht jetzt der
Kollege Arnold Vaatz.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Liebe Frau, Hagedorn, da ich Ihre Kritik nichtganz nachvollziehen konnte, habe ich mich eben nochschnell schlaugemacht und bin zu dem Ergebnis gekom-men, dass das Recht der Bundesregierung, den Straßen-bauplan von 2014 unterjährig fortzuschreiben, auf einerklaren Rechtsgrundlage beruht, die im Übrigen bereitsseit dem Jahr 1960 existiert.
Diese korrespondiert mit einem Haushaltsvermerk, näm-lich dem Vermerk Nummer 5 aus dem Kapitel 1209, denSie mit beschlossen haben. Das wollte ich zur Ergän-zung Ihrer Ausführungen, liebe Frau Hagedorn, kurzmitteilen.
Wir reden in diesem Haushalt grundsätzlich über diePosition der Bundesregierung zu einem elementarenFunktionsprinzip der Gesellschaft, nämlich zu dem Prin-zip Mobilität. Wir wissen, dass die Mobilität eine der ab-solut grundlegenden Voraussetzungen für Wachstum,Wohlstand und eine gute Zukunft ist. Deshalb ist dieserHaushalt auch ein zentraler Teil unserer Arbeit. „Mobili-tät“ haben wir im Ministerium nun zum ersten Mal nichtnur als Mobilität für Personen und für Güter, sondernauch als Mobilität für Informationen verstanden. DieseZusammenfassung halte ich für sehr sinnvoll.
Wie ist diese Mobilität zu gestalten? Wir müssen siebezahlbar, sicher und umweltverträglich gestalten. Siemuss eine hohe Qualität haben. Das heißt, sie mussnachhaltig gestaltet werden, sodass auch morgen undübermorgen noch Mobilität möglich ist. Dazu brauchenwir eine Menge Investitionen.Wir alle in diesem Hause stellen übereinstimmendfest: Bei der Finanzierung unserer Mobilitätsinfrastruk-tur liegt manches im Argen. Wir sind etwas unterfinan-ziert.
Deshalb zählt es zu unseren zentralen Aufgaben, dasswir uns im Hinblick auf unsere Finanzierungsprinzipienumsehen, welche Möglichkeit wir haben, um erstens mitGeld rationeller umzugehen und zweitens unsere Aufga-ben so präzise zu formulieren, dass ein sehr guter Preis-Leistungs-Effekt herauskommt. Ich glaube, an der Stellesind wir tatsächlich weitergekommen.Zum Ersten. Wir werden selbstverständlich weiter un-sere konventionellen Mittel, unsere Budgetmittel, die öf-fentlichen Mittel, für den Ausbau der Verkehrsinfra-struktur nutzen müssen, und zwar effizient. Der KollegeEckhardt Rehberg wird in seinem abschließenden Bei-
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trag darauf hinweisen, wie wir mit den Mitteln, die wirhatten, teilweise wirklich umgegangen sind. Dann über-lasse ich es Ihnen, festzustellen, ob man das nicht auchetwas günstiger hätte gestalten können.Zum Zweiten. Neben den Haushaltsmitteln müssenwir uns auch noch nach anderen Finanzierungsquellenumsehen, und deshalb rückt das Thema Nutzerfinanzie-rung natürlich immer stärker in den Fokus.Wir haben hier in den letzten Jahren einiges getan,aber ich glaube, dass wir hier noch stärker voranschrei-ten müssen. Die Nutzerfinanzierung ist kein sensationel-ler, einmaliger Vorgang, sondern sie hat eine lange Tra-dition in Europa. Der größte Teil unserer Nachbarstaatengeht diesen Weg seit langem. Wir grenzen an Polen, anTschechien, an Österreich, an die Schweiz und an Frank-reich. All diese Länder praktizieren die Nutzerfinanzie-rung, zu der wir mit Fahrzeugen, die in der Bundesrepu-blik Deutschland zugelassen sind, übrigens schon seitlangem beitragen.Deshalb kann es kein derart kritikwürdiges Beginnensein, wenn wir uns darum bemühen, zu erreichen, dassauch Fahrzeuge, die aus diesen Ländern kommen undfür die in diesen Ländern Steuern gezahlt werden, beiuns zur Nutzerfinanzierung beitragen, und zwar nachMöglichkeit im selben Maße, wie wir das dort tun. Aus-länderfeindliches Reden oder eine Stimmungsmache ge-gen unsere Nachbarn kann ich darin nicht erkennen. Ichglaube, das ist ein weit überzogener Vorwurf.
Das ist eine grundsätzliche Frage der Gerechtigkeit, undman muss die Möglichkeit haben, das zu diskutieren,ohne ständig in die Ecke gestellt zu werden, was dazudienen soll, die Empörungsindustrie in diesem Land an-zukurbeln.
Die nächste Frage, die sich uns stellt, lautet: Werdenwir auch privates Kapital akquirieren können, um unsereInfrastrukturfinanzierung voranzubringen? Zu demThema ÖPP wird der Kollege Sendker gleich unsereVorstellungen für die nächste Zeit vortragen. Ich denke,auch das sind ganz wichtige Möglichkeiten zur Ergän-zung unseres gesamten Finanzierungskomplexes.Meine Damen und Herren, zum ersten Mal wird inDeutschland jetzt ein wichtiges Verkehrsinfrastrukturpro-jekt mit Projektanleihen finanziert, die durch die Projekt-gesellschaft ausgegeben werden. Neu daran ist, dass erst-mals nicht eine reine Kreditfinanzierung stattfindet,sondern dass sich institutionelle Anleger – Versicherungen,Förderbanken usw. – an einem langfristigen Engagementin Deutschland interessiert zeigen, sich auch tatsächlichengagieren und an unserer Infrastrukturfinanzierung be-teiligen.Auch die Europäische Investitionsbank hat ein Instru-ment zur Verbesserung der Kreditwürdigkeit bereitge-stellt, nämlich die EU-Projektanleiheninitiative. Sie wirderstmals in Deutschland eingesetzt. Seitens der Europäi-schen Investitionsbank wurde hier eine Garantie gege-ben, wodurch die Finanzierungsmargen für den Bunddeutlich gesenkt werden konnten.Das alles sind kleine, aber wichtige Schritte zur Ver-besserung unserer Infrastrukturfinanzierung.Die Verkehrsinfrastruktur – daran darf kein Zweifelaufkommen – wird in der öffentlichen Hand bleiben.Niemand denkt daran, sie zu privatisieren.
Herr Gysi hat sich ja mit dem Gedanken getragen, zurVerewigung seines Namens eine Straße zu kaufen. Daswird nicht funktionieren.
– Ich kann mir allerdings vorstellen, dass sich inDeutschland irgendwann eine Sackgasse oder vielleichtein Kreisverkehr finden wird, die bzw. den man nachGysi benennen könnte. Das ist kein Problem; das sindSachen, die wir ohne Weiteres ertragen können.
Die öffentliche Infrastruktur bleibt aber in öffentlicherHand. Herr Gysi braucht sich da also überhaupt nicht zubewerben.Meine Damen und Herren, ein Punkt ist mir nochganz besonders wichtig: Nicht nur der Bund hat Infra-strukturaufgaben, sondern auch die Länder haben Infra-strukturaufgaben. Wir haben im Augenblick noch keineEntscheidung darüber getroffen, wie es hier weitergeht.Es gibt drei zentrale Finanzierungsinstrumente, nämlicherstens die GVFG-Mittel, zweitens die Entflechtungs-mittel und drittens die Regionalisierungsmittel.Über die Zukunft dieser Zuwendungen müssen wir indieser Legislaturperiode eine Entscheidung fällen.
Diese Entscheidung sollten wir in großer Eintracht undmit großer Verantwortung fällen; denn an dieser Stelleentscheidet sich die Zukunft in unseren Kommunen. Esgeht auch um die Frage, wie bezahlbar die Mobilität fürdie Bürger in Zukunft sein wird. Das halte ich für eineganz wichtige Sache.Es ist eine Aufgabe und ein klarer Vorsatz der Regie-rung und unserer Fraktion, die Fortschreibung dieserMittel in angemessenem Maße zu garantieren. Das be-
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deutet natürlich auch, dass dann die entsprechende Infra-strukturfinanzierung in den Kommunen erforderlich seinwird, was wir unterstützen wollen. Das bedeutet, dassdie Länder, die im Augenblick die Anwendung derGVFG-Mittel noch nicht gesetzlich fixiert haben, dieseFixierung nach Möglichkeit so schnell wie möglich vor-nehmen sollen.Bei der digitalen Netzinfrastruktur – dazu eine letzteBemerkung – ist es besonders unbefriedigend, dass es inder Breitbandversorgung ein spürbares Ost-West-Gefällegibt. Da muss Abhilfe geschaffen werden. Die Internet-erreichbarkeit ist existenziell für die Zukunft der Räume,besonders der ländlichen Räume. Sie wird Arbeitsplätzeschaffen, auch dezentral.
Herr Kollege Vaatz.
Vielen Dank für den Hinweis; ich höre gleich auf. –
Das sind wir den Menschen schuldig. Ich glaube, wir ha-
ben auch in dieser Hinsicht einen guten Haushalt vorge-
legt und damit noch bessere strategische Voraussetzun-
gen für morgen geschaffen.
Vielen Dank, Frau Präsidentin.
Herr Kollege Vaatz, es war nicht geplant, dass Sie
sich so mehr als eine Minute Redezeit zusätzlich ver-
schaffen. So ist die Regel nicht.
Nächste Rednerin ist die Kollegin Sabine Leidig,
Fraktion Die Linke.
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!Ich will einen Punkt herausgreifen, den Gregor Gysi inder Generaldebatte mit „Entstaatlichung“ überschriebenhat. Wir haben gerade schon von dem Infrastrukturfondsgehört, und genau darum geht es.Sie haben eine heilige Kuh, und sie heißt „Dieschwarze Null“. Deshalb verzichten Sie seit Jahren da-rauf, die notwendigen Investitionen für die Reparaturvon Straßen, für Schienen, Bahnhöfe und Schulen aufzu-bringen. Das ist die eine Seite der Medaille. Die andereSeite ist: „Europas Banken ertrinken in Geld“, so titeltedie Tageszeitung Die Welt am 30. August dieses Jahres.Die Süddeutsche Zeitung schreibt: „Banken sollen amStraßenbau verdienen“.Meine Prognose ist, dass Sie mit diesem Konzept, mitdiesem großen Deal für große Banken, vor allen Dingengroße Straßen und große Autobahnprojekte bauen, aus-geführt von großen Konzernen. Aber das ist eigentlichgenau das Gegenteil von dem, was wirklich nötig ist.
Was ist geplant? Wirtschaftsminister Gabriel will ei-nen Fonds aufbauen, dem Banken und VersicherungenGeld leihen, um damit in Beton zu investieren – ÖPP:öffentlich-private Partnerschaft. Ich hoffe, KolleginHagedorn, dass Sie es als Vorsitzende des Rechnungs-prüfungsausschusses schaffen, den Männerseilschaften,die hinter diesem Projekt stehen, in die Quere zu kom-men.
Auf den ersten Blick scheint ÖPP eine clevere Idee zusein: Da ist Geld im Überfluss vorhanden, und hier fehltuns Geld. Auf den zweiten Blick aber ist es wieder einMilliardengeschäft für Banken und Versicherungen aufKosten der Allgemeinheit. Warum? Weil diese Kapital-anleger höhere Zinsen vom Staat und noch dazu Garan-tien bekommen sollen, dass diese höheren Zinsen derFinanzwirtschaft über Jahre hinweg gezahlt werden. EinAufschlag von 1 bis 2 Prozentpunkten auf die Verzin-sung von normalen Staatsanleihen wird von der Regie-rung in Aussicht gestellt: höhere Ausgaben also für denStaat und damit auch höhere Steuern und Abgaben fürdie Bürgerinnen und Bürger.Würden wir in einer normalen Welt leben, dann wür-den Bund, Länder und Kommunen die rekordniedrigenZinsen selbst nutzen, um ordentlich Kredite aufzuneh-men und in nachhaltige Infrastruktur und damit in dieZukunft zu investieren, so wie es jedes gute Unterneh-men tut.
Im Gegensatz zu privaten Unternehmen braucht derStaat keine Renditeanreize, wenn er eine Straßenbahnbaut oder eine Brücke repariert.Das alles geht aber nicht, weil Sie mehrheitlich eineSchuldenbremse beschlossen haben, die verbietet, dassder Staat selbst Kredit für öffentliche Zukunftsinvestitio-nen aufnimmt. So wird ein Goldesel für die Finanzwirt-schaft geschaffen, die vor wenigen Jahren noch mitSteuermilliarden gerettet wurde, und die Allgemeinheitzahlt wieder drauf.Die Linke hat sich als einzige Partei gegen diese ver-kehrte Politik gestellt, und jetzt verlangen wir, dass mitgerechten Steuern und Abgaben wenigstens ein Teil die-ser gewaltigen privaten Geldvermögen zum Wohl derAllgemeinheit abgeschöpft wird.
Das ist auch notwendig für eine demokratische, sozialeund ökologische Infrastrukturpolitik.Das Umweltbundesamt hat gerade eine Studie präsen-tiert, die zeigt, wie eine Strategie für nachhaltige Mobili-tät in Deutschland aussehen kann. Von der CDU/CSU-Fraktion war niemand bei der Präsentation und aus demzuständigen Ministerium wohl auch keiner. Dabei wis-sen Sie so gut wie wir, dass der Verkehrssektor alsGanzes der schönen Nachhaltigkeitsstrategie der Bun-desregierung komplett zuwiderläuft. Was fehlt, sind ver-
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nünftige Ziele zur Reduzierung von schädlichem Ver-kehr, zur Verlagerung auf den öffentlichen Nahverkehr,zur Förderung von Fuß- und Radverkehr.Es fehlt die Beteiligung von Kommunen, von Stadt-planerinnen und Stadtplanern, von Sozialpolitikern, vonUmweltverantwortlichen und anderen gesellschaftli-chen Gruppen. Die Studie sagt auch: Viele kleinere Maß-nahmen, die in die richtige Richtung gehen, nützen derAllgemeinheit mehr als megateure Großprojekte. – Dasjedenfalls sagt das Umweltbundesamt, und wir könnendem nur zustimmen.
Die Weichen werden heute schon für 2050 gestellt. Ichbitte Sie: Hören Sie endlich auf, mit aller Gewalt in diefalsche Richtung zu ziehen!Zum Schluss kann ich Ihnen einen Sparvorschlagnicht ersparen, der sich auf ein solches Megaprojekt be-zieht. Die Bagger und Tunnelbohrer graben schon, aberes ist nach wie vor unklar, ob Stuttgart 21 jemals in Be-trieb gehen kann.
Es gibt bisher kein genehmigtes Brandschutzkonzept –der Skandalflughafen Berlin lässt grüßen! Von den4,5 Milliarden Euro, die als absolute Obergrenze galten,sind die Kosten jetzt schon auf 6,8 Milliarden Euro ge-stiegen. Das kann noch mehr werden. Bisher ist völligoffen, wer die Mehrkosten trägt. Alle Beteiligten wei-gern sich, aber sie können noch aussteigen. Jeder derVertragspartner – Stadt, Land, Bahn und Bund – kannden Ausstieg in die Wege leiten. Hauptverantwortlichwaren und sind die Bundeskanzlerin und der Verkehrs-minister. Als Eigentümer der Bahn muss der Bund Scha-den für Bahn und Bürger abwenden.Wir Linken sagen glasklar: Schluss mit dem teurenUnsinn!
Sorgen Sie dafür, dass aus dem privaten Kapitalüber-schuss öffentlicher Wohlstand wird, wie es das Grundge-setz verlangt! Legen Sie nachhaltige Ziele für die Ver-kehrspolitik fest, und lassen Sie in den Kommunendarüber entscheiden, was dafür notwendig ist! Denn diesozialökologische Verkehrswende geht nur mit mehr De-mokratie.
Vielen Dank. – Nächster Redner ist Sören Bartol,
SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen undHerren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eine gute Ver-kehrsinfrastruktur und eine flächendeckende Versorgungmit schnellem Internet sichern die Mobilität und dieWirtschaftskraft in unserem Land.
Gut ausgebaute Straßen und – man muss es in dieser De-batte sagen – Schienenwege sind die Voraussetzung da-für, dass Unternehmen Arbeitsplätze in Deutschlandschaffen. Der Breitbandanschluss an das schnelle Inter-net entscheidet inzwischen häufig über den Standort, andem sich Unternehmen ansiedeln. Damit sind Investitio-nen in Verkehrswege und das schnelle Internet gleichzei-tig auch Investitionen in die wirtschaftliche Zukunft.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, alle klugen Ideenund Pläne für die weitere Digitalisierung unserer Gesell-schaft werden wir nicht umsetzen können, wenn wir aufder Datenautobahn im Stau stecken bleiben. Angesichtsder zu erwartenden großen Datenmengen wird der wei-tere Ausbau des Breitbandnetzes über den Erfolg oderdas Scheitern der Digitalen Agenda der Bundesregierungentscheiden.Bei der flächendeckenden Versorgung mit schnellemInternet bis 2018 setzen wir auf eine intelligente Kombi-nation von mehr privaten Investitionen und zusätzlichenFördermitteln der öffentlichen Hand. In strukturschwa-chen Regionen gibt es eine Wirtschaftlichkeitslücke, diewir schließen müssen. Das erreichen wir teilweise durcheine bessere Regulierung und natürlich auch durch dieErschließung von Synergiepotenzialen. Am Ende brau-chen wir jedoch zusätzliche Mittel aus dem Bundeshaus-halt, um den Breitbandausbau voranzutreiben. Bundes-minister Dobrindt plant, durch die Versteigerung vonMobilfunkfrequenzen ungefähr 1 Milliarde Euro zusätz-lich zu erlösen und in den Breitbandausbau zu investie-ren. Das ist ein erster Schritt, den ich unterstütze. Da-rüber hinaus erwarte ich aber auch weitere Ideen, wiewir mehr staatliche Fördergelder mobilisieren können.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn sich aktuelldrei Bundesminister Gedanken über die Frage der zu-künftigen Investitionen in die Infrastruktur machen, sozeigt das zumindest eins: Der Zustand unserer Straßen,Schienen und Wasserwege steht bei dieser Koalitionganz oben auf der Agenda.
Ich sage es ganz deutlich: Der ist bei dieser Koalitionauch in guten Händen.
Es gehört zur Wahrheit der vergangenen Jahrzehntedazu, dass, egal welche Partei in Regierungsverantwor-tung war, zu wenig in die Verkehrsinfrastruktur inves-tiert worden ist. SPD, CDU und CSU haben das erkanntund beschlossen, bis 2017 die Investitionen in die Ver-kehrswege auf 12 Milliarden Euro pro Jahr zu erhöhen.Das sind im Vergleich zu 2013 dann immerhin 2 Milliar-den Euro mehr pro Jahr.
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Sören Bartol
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Uns ist bewusst, dass das nicht ausreicht.
Daher sind wir fest entschlossen, neben der Steuerfinan-zierung die Nutzerfinanzierung bei den Verkehrsinvesti-tionen auszubauen. Dabei sollten wir die Diskussionnicht darauf verengen, ob sich am Ende Ausländer ander Finanzierung deutscher Straßen beteiligen odernicht.
Wir brauchen ein neues Finanzierungskonzept, das sichnach meiner Meinung auf drei Säulen stützen muss: ers-tens eine klare Prioritätensetzung, wo wir investieren,zweitens eine verlässliche Steuer- und Nutzerfinanzie-rung, bei der wir uns selber verpflichten, spätestens ab2017 die 12 Milliarden Euro im Jahr zu investieren, unddrittens brauchen wir eine zusätzliche Mobilisierung pri-vaten Kapitals; denn mit Steuer- und Mautmitteln alleinwerden wir es am Ende nicht schaffen. Mit einem Aus-bau der Nutzerfinanzierung können wir notwendigeMehreinnahmen für mehr Investitionen in die Verkehrs-wege mobilisieren. Diese müssen dann aber auch umge-hend wieder zweckgebunden investiert werden. Ichglaube, nur das wird Akzeptanz beim Autofahrer schaf-fen.
Die im Koalitionsvertrag vereinbarte Ausweitung derLkw-Maut auf alle Bundesfernstraßen bringt uns jedesJahr zusätzlich 2 Milliarden Euro. Das Bundesverkehrs-ministerium muss so schnell wie möglich alle rechtli-chen und organisatorischen Voraussetzungen dafürschaffen. Ich glaube, ein weiteres Abwarten wäre gera-dezu fahrlässig.
Die Ausweitung auf weitere vierspurige Bundesfernstra-ßen und auf Fahrzeuge ab 7,5 Tonnen kann nur der ersteSchritt sein.Liebe Kolleginnen und Kollegen, bei der Pkw-Mautgibt es keinen Zweifel an der Vertragstreue der SPD.
Voraussetzung für unsere Zustimmung ist jedoch, dassder Bundesfinanzminister und der Bundesverkehrs-minister überzeugende Gesetzentwürfe vorlegen, die dievielfach bestehenden Zweifel auch ausräumen. Entschei-den wird am Ende der Deutsche Bundestag. Dabei geltenfür uns die Kriterien des Koalitionsvertrages: Kein deut-scher Autofahrer darf zusätzlich belastet werden, und dieRegelung muss am Ende mit europäischem Recht ver-einbar sein.
Damit auch das klar gesagt ist: Es ist für mich eigent-lich eine Selbstverständlichkeit, dass eine Pkw-Mautnennenswerte Einnahmen bringt
und nicht am Ende durch Bürokratiekosten wieder auf-gefressen wird.Liebe Kolleginnen und Kollegen, private Anleger wieVersicherungen, aber auch Kleinsparer suchen ange-sichts der geringen Zinsen nach neuen Anlagemöglich-keiten. Gleichzeitig – das sagte ich schon – werden wirden Investitionsstau allein mit Mitteln aus dem Bundes-haushalt wohl nicht auflösen können. Ich finde es gut,dass Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel sich desThemas annimmt und zusammen mit Experten und Wirt-schaftsvertretern beide Dinge zusammenbringen will.Dabei wird es aber nicht um eine schlichte Ausweitungvon sogenannten ÖPP-Projekten gehen. Hierzu gibt esganz klare Vereinbarungen im Koalitionsvertrag. EineBeschaffung unter der Beteiligung von privaten Unter-nehmen erfolgt nur dann, wenn der Bau dadurch für denSteuerzahler auch wirklich günstiger wird.
Das muss dann in jedem Einzelfall von unabhängigerSeite geprüft werden. Wenn jetzt der Bundesverkehrs-minister seine dritte Staffel vorlegt, werden wir beijedem einzelnen Projekt darauf achten. Ich finde, wirsollten sowohl die Methodik wie auch die Wirtschaft-lichkeitsuntersuchung für jedes Projekt veröffentlichen.Ich glaube, nur Transparenz an dieser Stelle schafft amEnde auch höhere Akzeptanz.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, SPD, CDU undCSU sind sich einig, dass der Erhalt unserer Verkehrs-wege die absolut erste Priorität hat.
Alles andere wäre gegenüber den nachfolgenden Gene-rationen unverantwortlich.Insbesondere bei der Schiene müssen wir mehr tun.
Dazu müssen wir zügig mit der Deutschen Bahn eineneue Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung ab-schließen. Der Finanzierungsbeitrag für die Sanierungzum Beispiel von Eisenbahnbrücken des Bundes musssteigen. Im Gegenzug erwarte ich aber von der Deut-schen Bahn, dass sie ihre Investitionen in den Erhaltebenfalls verstärkt und das Geld am Ende nach den Vor-gaben des Eigentümers verwandt wird.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben in derKoalition fest vereinbart, dass das Geld der Steuer- undMautzahler nicht wahllos nach Himmelsrichtung undHerkunft von Abgeordneten und Ministern
verteilt wird, sondern beim Neubau vorrangig in Pro-jekte mit überregionaler nationaler Bedeutung investiertwird. Mit dem neuen Bundesverkehrswegeplan muss ge-nau dieses System um- und durchgesetzt werden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, als direkt gewählterWahlkreisabgeordneter bekenne auch ich mich trotzvielfacher Wünsche der Bürgerinnen und Bürger vor Ort– ich kenne das – zu diesem Grundsatz. Und ich kannauch in diesem Forum nur sagen: Ich appelliere wirklichan jeden einzelnen Abgeordneten – unabhängig davon,ob er den Koalitionsfraktionen oder der Opposition an-gehört –,
dieses gemeinsame Ziel der Priorisierung endlich ernstzu nehmen.
Wir sind alle gemeinsam dem Anspruch verpflichtet,das Geld der Bürgerinnen und Bürger sinnvoll zu inves-tieren. Dazu – und das geht nur so – braucht es die Un-terstützung aller. Das heißt am Ende aber auch: Nichtjeder Wunsch in diesem Hause ist finanzierbar und um-setzbar.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Investitionen in dieInfrastruktur sind keine Frage der Ideologie, sonderneine Frage der Notwendigkeit. In diesem Sinne wünscheich mir konstruktive Beratungen des jetzt vorliegendenHaushaltsentwurfs.Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
Vielen Dank.
Das Wort hat Matthias Gastel, Bündnis 90/Die Grü-
nen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Wissen Sie, liebe Kol-leginnen und Kollegen, wissen Sie, Herr Minister, wasder Vorname Alexander bedeutet? – „Alexander“ kommtaus dem Griechischen und heißt so viel wie „der Vertei-diger“.Ich finde, dieser Name passt zu Ihnen, Herr Minister.Sie verteidigen Ihr Mautmodell gegen den Rest der Welt,gegen die EU-Kommission, gegen den ADAC, gegendie IHK, gegen den Koalitionspartner SPD, zunehmendauch gegen die Schwesterpartei CDU und gegen dieMehrheit der Bevölkerung.
An diesem Mautmodell gibt es aber nichts zu vertei-digen. Ob es mit dem Europarecht vereinbar ist, weiß ichnicht. Mit der Vernunft ist diese Maut jedenfalls nichtvereinbar.
Die CSU-Maut bringt viel Bürokratie und wenig Ein-nahmen. Gegen den weiteren Zerfall der Verkehrsinfra-struktur kann diese Maut nichts ausrichten; sie ist einTropfen auf den löchrigen Asphalt.Für den Erhalt der Straßen, Schienen und Wasserwegewerden jährlich zusätzlich 7,2 Milliarden Euro benö-tigt – der Bedarf für die Brücken ist darin noch gar nichtberücksichtigt. Bei den Brücken ist die Situation aberbesonders dramatisch. Deutschlandweit befinden sich1 000 Brücken in einem so schlechten Zustand, dassnichts anderes übrigbleibt, als sie abzureißen und neuaufzubauen. Den Fahrgästen drohen mehr Langsamfahr-strecken und längere Fahrtzeiten, dem Güterverkehrlange und teure Umwege. Da braucht sich niemand da-rüber zu wundern, dass das Weltwirtschaftsforum festge-stellt hat, dass die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlandsunter diesem Zerfall der Verkehrswege leidet.Und was macht diese Bundesregierung?Erstens. Sie veranschlagt eine Bahndividende in Re-kordhöhe als Einnahme in ihrem Haushalt. Gleichzeitigist das, was die Bahn vom Bund für den Erhalt der Infra-struktur bekommt, aber bei weitem nicht ausreichend.
Zweitens. Die Bundesregierung erteilt noch vor derPriorisierung im Bundesverkehrswegeplan Baufreigabenfür neue Straßen, anstatt bestehende Verkehrswege hin-reichend zu unterhalten.Drittens. Die Bundesregierung möchte im Straßenbauverstärkt auf ÖPP setzen. Wir Grünen teilen die Auffas-sung des Bundesrechnungshofs, dass uns all dies sehrteuer zu stehen kommt. Denn private Investoren wollenRendite sehen. Werte, die von Generationen geschaffenwurden, verlottern unter einer solchen Politik weiter.
Sehr geehrter Herr Minister, wie wäre es mit dem Ti-tel „Alexander, der Verteidiger der bestehenden Ver-kehrsinfrastruktur“? Gegen uns müssten Sie sich dannnicht mehr verteidigen. Sie hätten uns an Ihrer Seite.
– Super. – Ich fürchte aber, dass Sie eines Tages als derMinister in die Geschichtsbücher eingehen, der sichewig mit einer unsinnigen Maut beschäftigt hat, darüberhinaus aber viele wichtige und drängende Themen ver-nachlässigte. Sie sind der Minister für Mobilität, der fürden Stillstand steht.
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Matthias Gastel
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Wann kommt Bewegung in den Lärmschutz auf derSchiene? Ein Drittel der Menschen sieht sich Schienen-verkehrslärm ausgesetzt. Doch im Haushalt 2015 wer-den die Mittel dafür gekürzt, und vor allem steht zu we-nig für den Lärmschutz auf der Schiene zur Verfügung,um dem enormen Nachholbedarf gerecht zu werden.Das Ziel, den Schienenlärm bis 2020 zu halbieren, istso nicht zu erreichen. Wir alle reden davon, dass wirmehr Güter auf die Schiene verlagern wollen. Das setztaber die Akzeptanz der Anwohnerinnen und Anwohnervoraus, und dafür müssen wir mehr Geld in die Handnehmen, um einen guten und effizienten Lärmschutz aufder Schiene, vor allem den aktiven Lärmschutz, zufinanzieren.
Herr Minister, wann kommt Bewegung in die Förde-rung des Radverkehrs? Im Nationalen Radverkehrsplanist ein Ziel definiert. Der Radverkehrsanteil soll 15 Pro-zent betragen. Dieses Ziel war schon nahezu erreicht, alses festgelegt wurde. Wo bleiben neue und ehrgeizigeZiele für die Entwicklung des Radverkehrs, und wo blei-ben die konkreten Maßnahmen dafür?
Notwendig für den Radverkehr sind ausreichend aus-gebaute Radwegeverbindungen, auch entlang der Bun-desfernstraßen. Aber nur 40 Prozent dieser Straßen ha-ben einen begleitenden Radweg. Dennoch hält dieGroKo am gekürzten Etatansatz für den Radwegeausbauim Bundesetat fest. Dabei ist klar, was zu mehr Radver-kehr führt: gut ausgebaute Wege und sichere Abstell-anlagen. Der Bund könnte sich außerdem dafür starkma-chen, dass die Fahrradmitnahme in den Zügen einfacherwird als bisher.Wann kommt Bewegung in die Finanzierung des öf-fentlichen Nahverkehrs? Das GVFG läuft 2019 aus. DieKommunen sind ohne eine Nachfolgeregelung nicht inder Lage, die notwendigen Investitionen in die Infra-struktur von S-Bahnen und Straßenbahnen zu stemmen.Ähnlich sieht es mit den Regionalisierungsmittelnaus. Deren Niveau entwickelt sich weit unter den tat-sächlichen Kostensteigerungen für den Schienennahver-kehr. Für beides haben Sie Lösungen im Koalitionsver-trag vereinbart. Wir warten darauf. Die Zeit drängt.
Sehr geehrter Herr Minister, liebe GroKo, lassen Siedas mit der CSU-Maut sein! Weiten Sie stattdessen dieLkw-Maut aus, und setzen Sie die Mehreinnahmen fürden Erhalt der Verkehrsinfrastruktur ein! Gehen Sie denLärmschutz auf der Schiene an! Schaffen Sie die Grund-lage für mehr Radverkehr! Sichern Sie die Finan-zierungsgrundlage für den öffentlichen Nahverkehr!Beenden Sie den Stillstand! Leiten Sie endlich eine wer-teerhaltende und ressourcensparende Mobilitätspolitikein!
Vielen Dank. – Das Wort hat Reinhold Sendker,
CDU/CSU-Fraktion.
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnenund Kollegen! Es sind schon gewaltige Herausforderun-gen, vor denen unser Land und unsere Volkswirtschaft inder Verkehrsinfrastruktur in der Zukunft stehen. Dabeiwirken die 5 Milliarden Euro zusätzliche Mittel, die imKoalitionsvertrag vereinbart wurden, weiterhin sehrpositiv.So steigt gegenüber 2014 die Investitionslinie im Jahr2015 um 352 Millionen Euro auf 10,8 Milliarden Euro.Zum Ende der Legislaturperiode – das wurde eben schonangesprochen – werden wir dann etwa 12 MilliardenEuro erreicht haben. Das entspricht im Schnitt einer hal-ben Milliarde Euro pro Jahr mehr für unsere Verkehrs-infrastruktur. Sachlich gesehen ist das also eine sehrpositive Verstetigung der Investitionslinie.
Aber – das muss mit Blick in die Zukunft auch gesagtwerden – allein für die Erhaltung und Sicherung der Be-standsnetze fehlen Milliardenbeträge. Blicken wir ein-mal zurück auf den Zeitraum von 2001 bis 2013: In die-sen zwölf Jahren gab es bei unseren Bestandsnetzeneinen Gesamtbedarf von 83 Milliarden Euro. 60 Milliar-den Euro sind in etwa investiert worden. Bei diesem De-fizit wäre es allerdings vermessen, nur Kritik zu üben.Denn erstens ist in dieser Zeit tatsächlich enorm viel in-vestiert worden. Zweitens wollen wir nicht übersehen,dass die entstandene Leistungsdifferenz in all den Jahrenaufgebaut wurde, und drittens war eine Haushaltskonso-lidierung nach den Jahren der weltweiten Finanz- undWirtschaftskrise zwingend erforderlich. Die Konsolidie-rung hat nun mit dem ersten Haushaltsausgleich nach45 Jahren durch unsere Koalition ein ganz herausragen-des Ergebnis erreicht.
Es bleibt die Perspektive, durch Optionen in der zu-künftigen Haushaltsfinanzierung oder in der Nutzerfi-nanzierung Mehreinnahmen zu erzielen. Vor allem be-wahren wir durch eine gut aufgestellte Infrastruktur dieWettbewerbsfähigkeit unserer Volkswirtschaft. Deshalbkann es nur unser Ziel sein, im internationalen Rankingnicht weiter zurückzufallen, sondern diesen so wichtigenStandortfaktor erneut zu stärken.Deutschland ist zudem das große Drehkreuz für Per-sonen- und Güterverkehre in Europa, Logistikweltmeis-ter und Wachstumsmotor. Die Erfüllung des Anspruchs,dass das so bleibt, verlangt auch im Hinblick auf denprognostizierten Verkehrsaufwuchs in den nächsten Jah-
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Reinhold Sendker
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ren eine verbesserte Mittelausstattung. Die Bemautungaller Bundesstraßen wird in Zukunft dazu beitragen.Ferner weist der Bundeswirtschaftsminister auf den Ein-satz privaten Kapitals hin; das ist in der Tat ein sehrdiskussionswürdiger Vorschlag. Aktuell bleibt es aberdabei: Wir verfügen erstens über zu wenige Investitions-mittel, und zweitens ist und bleibt für uns die Öffentlich-Private-Partnerschaft eine starke Option. Da schaue ichaktuell auf den Ausbau der A 9 in Thüringen mit einerBauzeit von nur knapp drei Jahren. Wir können das über-all beobachten: ÖPP-Projekte im Straßenbau gehen deut-lich schneller vonstatten. Das schafft volkswirtschaftli-chen Nutzen. Genau darauf kommt es an.
Das sieht das Deutsche Verkehrsforum übrigens ge-nauso – ich zitiere –:Nur den Zinsnachteil von privaten Unternehmengegenüber der öffentlichen Hand zu betrachten undaus diesen höheren Finanzierungskosten die Un-wirtschaftlichkeit von ÖPP-Projekten abzuleiten, istpolemisch und falsch.Vielmehr seien alle Effekte einzubeziehen: die Qualität,die Bauzeit, die Folgekosten über den gesamten Lebens-zyklus sowie ferner der volkswirtschaftliche Nutzen.Folglich besteht mit dieser Beschaffungsvariante dieChance, in der laufenden Legislaturperiode netto mehrfür unsere Verkehrsanlagen zu erreichen.Verehrter Herr Kollege Kindler, die Menschen erle-ben keine Parallelwelt, sondern, dass sie jeden Morgenstundenlang im Stau stehen. Angesichts dessen sollenwir ihnen sagen, dass sie noch 12 oder 14 Jahre längerwarten sollen, obwohl ein schnellerer Ausbau erreichbarist? Nach unserem Koalitionsvertrag hat diese Beschaf-fungsvariante eine faire Chance im Wirtschaftlichkeits-vergleich verdient.
Darüber hinaus sind bei dringend notwendigen Erhal-tungsinvestitionen für Autobahnbrücken und Bundes-straßen Beschleunigungsverfahren sehr sinnvoll. Ichnenne als Beispiel die Brücke auf der A 1 bei Leverku-sen. Lieber Herr Minister, was Sie dort vor Ort mit HerrnLandesminister Groschek aus Nordrhein-Westfalen ver-einbart haben, spart uns möglicherweise anderthalbJahre; das ist bemerkenswert. Vielen herzlichen Dankdafür!
Ein anderes Thema ist die Verbesserung der Transpa-renz in der haushalterischen Erfassung. Hier leistet dieVerkehrsinfrastrukturfinanzierungsgesellschaft, die VIFG,in der Bewirtschaftung der Lkw-Mautmittel mit tages-aktuellen und projektbezogenen Informationen, die wirsonst nirgendwo bekämen, sehr gute Arbeit. Insofernfreue ich mich auf die Diskussion mit den Vertretern derVIFG in der nächsten Ausschusssitzung.Der vorliegende Etatentwurf 2014 enthält auch einigeOn-top-Positionen, darunter den Betriebsdienst „Straße“oder das Bundeseisenbahnvermögen mit Blick auf mehrBedarfe in der Tarifrunde. Erfreulich ist auch, dass dererhöhte Ansatz für unsere Radwege aus dem Jahr 2014auf 2015 übertragen wird.
– Es stimmt, es sind 80 Millionen Euro.So fasse ich zusammen: Erstens. Der Einzelplan 12ist nach wie vor mit Abstand der größte Investitions-haushalt des Bundes. Zweitens. Unser Koalitionsvertraghat der Infrastruktur weitere Mittel zugeführt. Drittens.Um der vorhandenen Unterfinanzierung wirkungsvollentgegenzutreten, unterstützen wir mit Nachdruck unse-ren Minister beim Einwerben zusätzlicher Investitions-und Finanzmittel.Herzlichen Dank.
Vielen Dank. – Nächster Redner ist Andreas Rimkus,
SPD-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrtenDamen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Der britische Science-Fiction-Autor Arthur C. Clarkehat einmal gesagt:Was heute als Science-Fiction-Roman begonnenwird, wird morgen als Reportage beendet.Wenn dies gelingen soll, brauchen wir schon heute In-vestitionen in Technologien von morgen. Dazu gehörteine gesicherte Finanzierung der Projekte, die den Ver-kehr von morgen gestalten sollen. Gute Verkehrspolitikist insofern kein Selbstzweck; sie ist für die Menschenda. Mobilität ist doch eigentlich ein Grundbedürfnis, undes gilt, die damit verbundenen sozialen, ökologischenund ökonomischen Themenbereiche verlässlich zu ge-stalten. Fossile Brennstoffe sind endlich, und ihr Einsatzbelastet unsere Umwelt. Es ist deshalb Aufgabe der Poli-tik, die Energiewende gerade im Verkehrssektor zum Er-folg zu führen.
Ein besonderes Anliegen ist mir die Förderung derElektromobilität. Für eine zuverlässige und auskömmli-che Finanzierung von Förderprojekten im Bereich derElektromobilität sollte der Energie- und Klimafonds dieGrundlage sein. Diese Verlässlichkeit kann er allerdingsnicht bieten. Wie auch der Bundesrechnungshof bereitsam 31. März dieses Jahres feststellte, sind die unsicherenEinnahmen über den Emissionshandel – ich zitiere –„nicht geeignet, um die politisch gewünschten zusätzli-chen Ausgaben für die Energiewende und den Klima-schutz dauerhaft verlässlich zu finanzieren“.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 52. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. September 2014 4807
Andreas Rimkus
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Darüber müssen wir offen reden; denn wir haben jaein gemeinsames Interesse an der erfolgreichen Weiter-führung der laufenden Projekte.
Dazu zählen beispielsweise das Förderprogramm„Schaufenster Elektromobilität“ und die Modellregio-nen, aber auch das Nationale Innovationsprogramm, dassogenannte NIP, zu dessen Weiterführung sich Unionund SPD im Koalitionsvertrag bekannt haben. Mit demNIP haben wir ein Programm etabliert, das Leuchtturm-projekte im Bereich der Brennstoffzellen- und der Was-serstofftechnologie vorantreibt. Die für das NIP zur Ver-fügung gestellten Mittel sollten daher über den gesamtenFörderzeitraum stabil bleiben. Ich finde es folgerichtig,erfolgreich etablierte Strukturen und Expertisen inner-halb dieser Projekte zu erhalten und nicht abzubauen;denn diese müssten wir im nächsten Förderzeitraum erstwieder mühsam aufbauen. Daran kämen wir nicht vor-bei.Eine gesicherte Finanzierung des NIP bedeutet alsonicht nur, die Zukunft unserer Mobilität zu gestalten,sondern sie bedeutet auch Investitionen in zukunftsfä-hige Arbeitsplätze und den Standort Deutschland.
Nicht ohne Grund ist der Verkehrsetat der größte In-vestitionshaushalt des Bundes. Die Infrastruktur zuerhalten und bedarfsgerecht auszubauen, ist eine derwichtigsten Aufgaben unserer Zeit. Um den immer kom-plexer werdenden Mobilitätsbedürfnissen der Bürgerin-nen und Bürger gerecht zu werden und unseren Wirt-schaftsstandort zu stärken und zu sichern, dürfen wir beiden Innovationen aber nicht zurückbleiben.Das gilt auch für die Raumfahrt. Ich kann mich nochgut daran erinnern, wie ich als kleiner Junge gespanntvorm Fernseher saß und den Start der Apollo 11 verfolgthabe. Heute sind die Errungenschaften der Raumfahrt inunserem Leben angekommen. Satelliten weisen uns denWeg. Sie sagen uns, ob, wann und wo es regnen wird.Sie geben uns Aufschluss über Umweltschäden. Für dieVerkehrspolitik sind satellitengeleitete Verkehrsströmelängst keine Vision mehr, sondern zukunftsfähige Kon-zepte, an denen kluge Köpfe in Unternehmen und For-schungseinrichtungen bereits tagtäglich arbeiten.Erst kürzlich konnte ich mich in Bremen bei einemMittelständler von den hervorragenden und herausragen-den Leistungen der Ingenieure überzeugen. Ich habe dortEinblick in die Werkshallen bekommen, in denen dieGalileo-Satelliten zusammengebaut werden. Wir gestal-ten mit Galileo ein GPS-System, das die Navigation ins-gesamt verbessern soll. Das ist so, auch wenn man viel-leicht den Eindruck hat, es bräuchte geradezu ein solchesSatellitensystem, um die Satelliten in der richtigen Um-laufbahn abzusetzen.Wie auch immer: Am Ende sind telematische Verkehrs-leitung, -lenkung und -steuerung oder auch autonomesFahren nicht mehr Teil von Science-Fiction-Romanen,sondern reportagenreif. Anhand eines Modellprojektsam Frankfurter Flughafen sehen wir beispielsweise, wieauch im Luftverkehr durch genaue StandortbestimmungFlugzeuge verlässlicher auf definierte Flugrouten ge-steuert werden können und somit eine Lärmreduktion fürdie Anwohner möglich sein wird.Liebe Kolleginnen und Kollegen, Infrastrukturbraucht Akzeptanz. Akzeptanz wächst durch Vertrauen.Vertrauen wächst durch eine gute Geschichte. Lassen Sieuns diese schreiben, eine Geschichte der guten Infra-struktur, der modernen Mobilität, die wenige Ressourcenverbraucht und wenige Emissionen verursacht.Der Astronaut Edwin Aldrin sagte einmal: Wer aufdem Mond gewesen ist, für den gibt es auf der Erdekeine Ziele mehr. – Ich war noch nie auf dem Mond, alsobleibe ich doch eher bei den irdischen Herausforderun-gen, von denen ich einige wenige angesprochen habe.
Eine ganz persönliche Herausforderung war meineerste Rede hier in diesem Hause. Es war mir eine Freude.Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. Ich habe nocheine Minute Redezeit; ich hoffe, sie wird Ihnen gutge-schrieben.
Herr Kollege Rimkus, Sie waren vorbildlich, was die
Redezeit angeht. Wir alle gratulieren Ihnen ganz herzlich
zu Ihrer ersten Rede hier im Plenum des Deutschen Bun-
destages.
Jetzt freut sich die Kollegin Veronika Bellmann, wenn
Sie ihrer Rede lauschen. – Bitte schön, Frau Bellmann.
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrtenDamen und Herren! Auch wenn Deutschlands konjunk-turelle Aussichten nach wie vor gut sind, so zeigt uns diefragile politische und wirtschaftliche Lage um uns he-rum, dass eine gute wirtschaftliche Entwicklung keineSelbstverständlichkeit ist. Wir müssen uns sehr darumbemühen, dass Deutschland Stabilitätsanker in Europableibt. Ein wichtiger Beitrag dazu ist ein Haushalt ohneNeuverschuldung. Der Einzelplan 12 hat sich diesemZiel unterzuordnen.Ein weiterer wichtiger Beitrag sind zukunftsorien-tierte Investitionen. Zukunftsorientierte Investitionenfinden wir in unserem Haushalt in den Bereichen Ver-kehr und digitale Infrastruktur. Sie sind eine große He-rausforderung, ohne Zweifel. Bei der Digitalen Agendaüberwiegen im Wechselspiel von Chancen und Risikenvielleicht eher die Chancen, die Chancen hinsichtlich derEntstehung neuer Arbeitsplätze, der Entwicklung ländli-cher Regionen, der medizinischen Versorgung usw.Bei der Verkehrsinfrastruktur schieben wir einen sehrgroßen Investitionsbedarf aufgrund vieler alter Risiken
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4808 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 52. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. September 2014
Veronika Bellmann
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vor uns her. Auch wenn der Einzelplan 12 mit Abstandder größte Investitionshaushalt des Bundes ist, bestehthier doch ein erheblicher Nachholbedarf. Wir müssenganz entschieden den Substanzverzehr stoppen. Ja, diePolitik hätte früher gegensteuern können, wenn sie ge-wollt hätte, wenn sie zeitig genug erkannt hätte, welchegroße Bedeutung Verkehrsinfrastruktur für die Entwick-lung der Volkswirtschaft hat. Spätestens in den 90er-Jah-ren, als die Verkehrsprojekte „Deutsche Einheit“ imWesentlichen auf den Weg gebracht waren, hätte mandas machen können. Aber wir hatten Rot-Grün; das gehtvielleicht an Ihre Adresse, Herr Kindler.
Wir können uns noch alle an die damaligen Slogans erin-nern wie „Rasen für die Rente“.Ich möchte die Welt vom 3. September zitieren. Daheißt es:Nichts lag der damaligen rot-grünen Koalition fer-ner, als das zusätzliche Geld für die Sanierung vonStraßen und Brücken zu verwenden. Wenn daherheute Straßen und Brücken marode sind, dann istdas nicht die Folge einer übermäßigen Nutzungdurch Pkw- und Lkw-Fahrer … Es ist vielmehr dieFolge einer Umverteilung ihrer Steuern in infra-strukturfremde Bereiche … Der Sozialstaat frisstden Infrastrukturstaat.
Diesem Missverhältnis gegenzusteuern, das gelingtuns seit 2009 zunehmend; damals unter Verkehrsminis-ter Ramsauer und jetzt unter Verkehrsminister Dobrindt.Die Verkehrsminister seit 1998, Müntefering, Klimmt,Stolpe, Tiefensee, Bodewig – er hat immerhin in einerKommission, die seinen Namen trug, die eigenen Ver-säumnisse festgestellt – haben zu diesem Investionsstaudas Ihrige beigetragen.
Insofern ist das 5-Milliarden-Euro-Paket zusätzlicherVerkehrsinvestitionen bis 2017 als Verpflichtung ausdem Koalitionsvertrag zumindest ein Schritt in die rich-tige Richtung.Es ist gut, dass die Verkehrsinfrastruktur in der Priori-tätenliste ganz nach oben aufgestiegen ist. Ein umfassen-der Dialog ist angestoßen. Es gibt auch zunehmend Ak-zeptanz in der Bevölkerung für eine Reform derFinanzierung der Verkehrsinfrastruktur. Wann hat es dasschon gegeben, dass dem Wort „Reform“ jemals mit Ak-zeptanz begegnet wurde?Richtig und wichtig ist es, Denkanstöße zu geben undkeine Denkverbote auszusprechen. Kontroverse Diskus-sionen sind durchaus erwünscht. Tabu ist die Neuver-schuldung; tabu ist auch die zusätzliche Belastung in-ländischer Autofahrer. Es ist nicht einfach, aber derParadigmenwechsel ist möglich: hin zu niedrigeren Ver-kehrssteuern, hin zu zweckgebundener Nutzerfinanzie-rung, hin zu größerer Einbeziehung privater Kapitalge-ber und privater Beteiligungsgesellschaften, hin aberauch zur Kostenreduktion und zu mehr Kostentranspa-renz; denn nicht jede Kostensteigerung ist nur auf dieSteigerung von Baupreisen zurückzuführen. Wir müssenuns über die Qualität der Standards, über Planungsbe-schleunigung, über die konsequente Einsetzung vonKosten-Nutzen-Bewertungen bei Projekten aus demBundesverkehrswegeplan, aber auch über die Neuorga-nisation der Aufgabenträgerschaft und Auftragsverwal-tung zwischen Bund, Ländern und Gemeinden unterhal-ten. In dieser Legislatur legen wir den Grundstein dafür.Das, was der Koalitionsvertrag hergibt und was darüberhinaus haushalterisch möglich ist, sollten wir tun.Der Einzelplan 12 zeigt mit dem zusätzlichen Finanz-paket von 5 Milliarden Euro und vor allem mit dem Mit-teleinsatz, der flexibilisiert wird – Stichwort Überjährig-keit –, in die richtige Richtung. Hier könnte ich mir aucheine echte Mehrjährigkeit vorstellen, in deren RahmenProjekte über einen längeren Zeitraum als ein bis zweiJahre ausfinanziert werden.In den Ausschussberatungen zum Bundeshaushalt – Ein-zelplan 12 – gibt es noch viel zu tun. Auch hier gilt dasStruck’sche Gesetz: Keine Vorlage geht so aus dem Par-lament heraus, wie sie hineingekommen ist. Prämisse al-ler unserer Entscheidungen sollte sein: Mobilität ist einhohes Gut. Straßen, Schienen, Wasserwege und Luftver-kehrswege sind die Lebensadern unserer Wirtschaft undunseres Wohlstandes.
Frau Kollegin.
Wir sollten uns darauf konzentrieren, beides zu erhal-
ten, nicht nur im politischen Reden, sondern auch im
politischen Handeln.
Denken Sie bitte an Ihre Redezeit.
Mit Mut und Kreativität schaffen wir das auch im
Haushaltsjahr 2015.
Ich darf alle noch einmal daran erinnern, dass wir dieRedezeiten gemeinsam vereinbaren. Wenn jeder auchnur eine Minute länger spricht, warten die nachfolgen-den Redner oder irgendwann wird die Redezeit gekürzt.Dann läuft das Plenum nicht so, wie wir es vereinbarthaben.Die nächste Rednerin ist Dr. Birgit Malecha-Nissenfür die SPD-Fraktion. Sie kann jetzt mit gutem Beispielvorangehen.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 52. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. September 2014 4809
(C)
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Immer. – Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte
Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Preiswert, effizient, klimafreundlich: Kein anderes Ver-
kehrsmittel für den Gütertransport ist so effizient und
klimaschonend wie der Schiffsverkehr. Rund 10 Cent
kostet zum Beispiel der Transport eines iPads oder Tab-
lets, die wir hier immer auf den Tischen sehen, auf dem
über 20 000 Kilometer langen Seeweg von Schanghai
bis Hamburg. Seeschifftransporte sind umwelt- und kli-
mafreundlich, weil eine große Gütermenge über große
Distanzen transportiert wird. Laut Seeverkehrsprognose
2030 des Bundesministeriums für Verkehr und digitale
Infrastruktur wird der Umschlag der deutschen Seehäfen
von 2010 bis 2030 um 74 Prozent steigen. Deshalb sind
unsere See- und Binnenhäfen, unsere Bundeswasserstra-
ßen, ganz besonders der Nord-Ostsee-Kanal, von zentra-
ler Bedeutung für den Industriestandort Deutschland.
Es ist gut, dass das Geld für den Ausbau und den Neu-
bau der Schleuse des Nord-Ostsee-Kanals zur Verfügung
steht.
Jetzt muss vom Ministerium dringend ein klarer zeitli-
cher Ausbauplan vorgelegt werden. Sonst drohen durch
Zeitverlust weitere Kostensteigerungen.
Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen
und Kollegen, wir wissen: Für den reibungslosen Ver-
kehr auf den Bundeswasserstraßen ist die Wasser- und
Schifffahrtsverwaltung des Bundes zuständig. Sie hat die
notwendige Fach- und Regionalkompetenz. Und hier lag
das Problem: Jahrelang haben unausgegorene Reform-
pläne zu einem dramatischen Stellenabbau geführt; al-
lein von 2010 bis 2014 waren es 1 300 Stellen. Das hatte
vor Ort einen eklatanten Mangel an Fachpersonal zur
Folge.
2013 konnten 40 Prozent der Gelder für den Ausbau
unserer Bundeswasserstraßen nicht genutzt werden.
Deshalb begrüßen wir, die SPD und ich, ganz ausdrück-
lich den 6. Bericht des BMVI zur Reform der Wasser-
und Schifffahrtsverwaltung des Bundes.
Der Bericht bestätigt unsere jahrelangen Forderungen.
Viele Punkte, für die sich die SPD im Sinne der Beschäf-
tigten eingesetzt hat, sind jetzt berücksichtigt. Besonders
positiv ist, dass die Beschäftigten, die Personalräte in
den Reformprozess eingebunden sind.
Es wird keinen weiteren Personalabbau geben. In den
Haushaltsberatungen 2014 wurde die Kehrtwende be-
reits durch den Haushaltsausschuss eingeleitet und eine
Einstellungsoffensive gestartet. Als erster Schritt wurden
35 zusätzliche Planstellen geschaffen. Für 2015 sind nun
50 weitere Planstellen vorgesehen.
Auch unsere Forderung, die regionale Kompetenz zu
erhalten, wurde berücksichtigt – wenn man schon einmal
bei den Wasser- und Schifffahrtsämtern am Nord-Ost-
see-Kanal war, weiß man, wie dringend die Bitte war,
die an uns herangetragen wurde –: Es werden künftig
18 übergeordnete Wasserstraßen- und Schifffahrtsämter
geschaffen, bei Erhalt der bisherigen 39 Standorte. Da-
mit ist das Konzept im Vergleich zu früheren Vorschlä-
gen stark optimiert worden.
Es besteht nun die Chance, dass die auch in dieser Legis-
laturperiode für die Wasserstraße zusätzlich zur Verfü-
gung stehenden 350 Millionen Euro auch eingesetzt
werden können.
Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen
und Kollegen, die Effizienz und die positive Klimabi-
lanz der Schifffahrt stehen und fallen mit einer gut funk-
tionierenden Hinterlandanbindung für unsere See- und
Binnenhäfen. Die Wettbewerbsfähigkeit der Häfen hängt
entscheidend von einer bedarfsgerechten Transport- und
Logistikkette ab. Laut Verkehrsprognose 2030 des
Ministeriums wird der Güterverkehr gegenüber 2010
insgesamt um 38 Prozent zunehmen. Unsere Infrastruk-
tur steht somit vor erheblichen Belastungsproben und In-
vestitionserfordernissen. Nur durch den Aus- und Neu-
bau der Schiene und die Ertüchtigung bestehender
Anlagen können wir den wachsenden Güterverkehr
künftig bewältigen. Nur so können wir einen Verkehrs-
kollaps auf unseren Straßen verhindern.
Nicht zuletzt mit Blick auf die im Koalitionsvertrag
vereinbarten Ziele zum Klimaschutz kann die Devise bei
weiteren Transportwegen nur lauten: Weg von der
Straße, hin zur Schiene!
Deswegen benötigen wir dringend die Neuauflage des
Programms Seehafen-Hinterland-Anbindung, das 2015
beginnen und fünf Jahre dauern soll.
Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen
und Kollegen, unsere See- und Binnenhäfen mit ihrer
Hinterlandanbindung, unsere Bundeswasserstraßen,
ganz besonders der Nord-Ostsee-Kanal, haben für den
Industriestandort Deutschland eine herausragende Be-
deutung. Denn eines ist klar: Ohne unsere Häfen im Nor-
den bleiben auch die Regale der Supermärkte in Bayern
leer.
Vielen herzlichen Dank.
Vielen Dank. – Nächster Redner ist EckhardtRehberg, CDU/CSU-Fraktion.
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4810 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 52. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. September 2014
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Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir habenWort gehalten. Erstens: Trotz aller Unkenrufe haben wirnun die Überjährigkeit, die Mehrjährigkeit.
Herr Kollege, mit Kabinettsbeschluss, mit Erlass vomBMF haben wir im zweiten Haushaltsjahr die Überjäh-rigkeit, die Mehrjährigkeit. Jeder Cent, jeder Euro, dernicht verbraucht wird, wird beim Einzelplan 12 nicht ab-gezogen, sondern aus dem Gesamthaushalt finanziert.Das Geld bleibt erhalten für die nächsten Jahre.
Das bedeutet Investitionssicherheit.
Wir haben Wort gehalten beim Aufwuchs. Dieses Jahrgibt es aus dem 5-Milliarden-Euro-Programm 1 Mil-liarde Euro mehr. Ich glaube, es ist gut und richtig – Kol-lege Bartol ist auf das eine oder andere eingegangen –,dass wir eine schwarze Null haben. Wenn wir dieseschwarze Null in den nächsten Jahren halten wollen– wir müssen sie halten, mit Blick auf Nachhaltigkeitund Generationengerechtigkeit –, müssen wir uns Ge-danken darüber machen, wie wir im Bereich der Ver-kehrsinfrastruktur zu mehr Geld kommen.Kollege Bartol, natürlich gab es Sündenfälle. Als dieMaut eingeführt worden ist, hat Rot-Grün die Steuermit-tel für diesen Bereich gekürzt. Als wir den sogenanntenMautkreislauf Straße eingeführt haben, hat Schwarz-Gelb die Steuermittel gekürzt. Anfang der 2000er-Jahrehatten wir Steuermittel in Höhe von 4,6 Milliarden Eurozur Verfügung, und heute haben wir knapp 5 MilliardenEuro für die Straße insgesamt. Das heißt, wenn wir inZukunft über Nutzerfinanzierung sprechen, muss klarsein, dass dieses Geld obendrauf kommt. Im Gegenzugdürfen keine Steuermittel eingespart werden. Das mussin diesem Haus der Grundkonsens sein.
Noch ein Wort an uns alle und an das Bundesfinanz-ministerium: Bei der Maut ist die mittelfristige Finanz-planung um 200 Millionen Euro nach unten korrigiertworden. Grund ist die Verkehrsmengenminderung unddie Reduzierung der Maut für Euro-6-Lkws. Dies feh-lende Geld soll nicht ausgeglichen werden. Ich glaube,es ist eine gemeinsame sportliche Aufgabe von Ver-kehrspolitikern und Haushaltspolitikern, dafür zu sor-gen, dass wir wieder zur alten Finanzplanung zurück-kommen. Es bedarf einer gemeinsamen Anstrengung,dass die 200 Millionen Euro, die im kommenden Jahrfehlen und nur teilweise ausgeglichen werden, wiederobendrauf kommen. Die alte Finanzplanung muss dieBasis für die nächsten Jahre sein.
Nächster Punkt. Wir haben Wort gehalten bei „Erhaltvor Neubau“. Eine kleine Gedankenstütze: Rot-Grün hatim Jahr 2000 920 Millionen Euro in den Erhalt und2,5 Milliarden Euro in den Ausbau investiert. Im letztenJahr von Rot-Grün, 2005, waren es 3 Milliarden Euro fürden Neubau und 1 Milliarde Euro für den Erhalt. Heute,2014 – das sind die Fakten; das ist ein Paradigmenwech-sel, eingeleitet von Bundesverkehrsminister Dobrindt –,werden 2,6 Milliarden Euro in den Erhalt und 1,4 Mil-liarden Euro in den Neubau gegeben. Für das nächsteJahr, für 2015, stehen im Sollansatz 2,8 Milliarden Eurofür den Erhalt und 1,4 Milliarden Euro für den Neubau.Im Jahr 2018 wird das Verhältnis so aussehen: 3,1 Mil-liarden Euro für den Erhalt und 2 Milliarden Euro fürden Neubau. Wir haben mit Dobrindt in der deutschenVerkehrspolitik einen Paradigmenwechsel vollzogen. Eswird deutlich mehr für den Erhalt ausgegeben und weni-ger für den Neubau.
Das sind die Fakten. Der eine oder andere Blick in denBundeshaushalt hilft.Liebe Bettina Hagedorn, es ist seit 54 Jahren geübtePraxis – das ist niedergelegt in der Bundeshaushaltsord-nung und in den entsprechenden Haushaltsvermerken –,dass man als Ministerium unterjährig Neubeginne in denStraßenbauplan aufnehmen kann. Das hat Stolpe ge-macht, und das hat Tiefensee gemacht. Insbesonderenach einer Wahl, wenn eine Jährlichkeit der Haushalts-beratungen nicht möglich ist, ist das wichtig. Diese27 Projekte sind im Investitionsrahmenplan priorisiert.
– Sie sind priorisiert. Sie haben Baurecht. Das geht nichtnach Himmelsrichtungen. Die 182 Projekte, über die derMinister gesagt hat, dass sie unterfinanziert sind,
sind im Straßenbauplan zu finden.
Eines muss ich an die Adresse der Kolleginnen undKollegen sagen, die beklagen, dass in ihren Bundeslän-dern keine Neubeginne möglich sind. Beispiel Schles-wig-Holstein: In Schleswig-Holstein gibt es keinStraßenbauvorhaben, das planfestgestellt ist und dasBaurecht hat, kein einziges. Wenn Sie nachschauen, wer-den Sie feststellen, dass das bei dem einen oder anderenBundesland ebenso ist. Wenn ich kein Baurecht habe,kann ich auch keine Neubeginne vornehmen.
Eine letzte Bemerkung zum Thema ÖPP. Ich bedankemich bei Ihnen, Herr Kollege Hartmann, für die sachli-
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 52. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. September 2014 4811
Eckhardt Rehberg
(C)
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che Leitung der Arbeitskreise, die sich in den letzten Ta-gen mit dem Bundesrechnungshof und mit der VIFG un-terhalten haben und weiter unterhalten werden. Wieglaubwürdig ist eigentlich ein Bundesrechnungshof, derbei Gesamtkosten von 5,1 Milliarden Euro für fünf ÖPP-Projekte feststellt, dass man konventionell um 1,9 Mil-liarden Euro kostengünstiger gebaut hätte? Wie glaub-würdig ist so ein Bundesrechnungshof an dieser Stelle?
Ein Zweites will ich Ihnen auch noch gesagt haben.Eine Aussage des Bundesrechnungshofs letzte Wochelautete: Das Projekt A 7 hätte außer der bayerischenLandesbauverwaltung und außer der DEGES wohl keineweitere Landesbauverwaltung stemmen können. Denndie Länder haben in den letzten Jahren eines gemacht:Sie haben massiv Personal, besonders Ingenieurperso-nal, abgebaut und auf die DEGES übertragen. Wenn ichhinter verschlossenen Türen die Aussage höre, dass dasProjekt A 7, so wie es heute konzipiert ist, konventio-nell, also über die Landesbauverwaltung, einen Pla-nungs- und Bauzeitraum von zehn bis zwölf Jahren er-fordert,
sage ich nur: Gute Nacht, Deutschland! Dann stehen wirin zehn Jahren noch genauso im Stau wie heute.Herzlichen Dank.
Vielen Dank. – Weitere Wortmeldungen zu diesem
Einzelplan liegen nicht vor.
Wir kommen damit zur Schlussrunde.
Wenn jetzt der Plätzetausch zügig vonstatten geht, er-
teile ich dem Parlamentarischen Staatssekretär Steffen
Kampeter das Wort. – Bitte sehr, Herr Staatssekretär, Sie
haben das Wort.
S
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ein bisschenirreführend ist der Titel dieser Debatte schon: Schluss-runde. Wer glaubt, dass wir jetzt Schluss machen mitvernünftiger Haushaltspolitik, der ist falsch gewickelt.
Wir machen weiter. Das ist die Ansage zu Beginn dieserDebatte.
Wachstumsfreundliche Konsolidierung ist nicht nurein Ein-Tages-Geschäft, sondern eine kontinuierlicheEntwicklung. Die Kombination eines robusten, nicht an-fälligen Haushaltsausgleichs mit strukturellen Anpas-sungen ist ein besonderes Anliegen der von AngelaMerkel geführten Großen Koalition. Wir bringen diesenrobusten Haushaltsausgleich ohne Steuererhöhungen zu-stande – auch ohne Steuersenkungen –, und wir machendeutlich, dass wir den Anspruch haben, mit dem Geld,das die Bürgerinnen und Bürger uns nach der geltendenRechtslage zur Verfügung stellen, auszukommen. Wirmüssen zwischen dem, was ganz, ganz wichtig ist, unddem, was vielleicht nicht ganz so wichtig ist, unterschei-den. Diese Priorisierung ist ein Markenkern unserer Fi-nanzpolitik. Verlässlichkeit, Maß und Mitte, robusterHaushaltsausgleich – daran halten wir fest.
Ich will ganz klar sagen: Das ist kein Selbstzweck,sondern die notwendige Voraussetzung für die Aufrecht-erhaltung politischer Handlungsfähigkeit auf allen Ebe-nen. Wir machen das nicht nur aus statistischen, sondernvor allen Dingen aus politischen Gründen. Das gilt inter-national, das gilt national, das gilt föderal und auch lo-kal. Wir haben in den vergangenen Jahren in Europa er-leben müssen, dass einige Staaten nicht mehr politischhandlungsfähig waren, weil ihre Finanzen aus dem Ru-der gelaufen sind. Wir hatten auch in Deutschland schoneinmal diese Entwicklung. Wir waren Sünder vor demeuropäischen Stabilitätspakt. Wolfgang Schäuble hatseine Zeit als Finanzminister mit Prognosen von über80 Milliarden Euro neuen Schulden in einem Jahr be-gonnen. Diese hat er kontinuierlich abgebaut.Es passiert immer einmal etwas, das nicht vorhergese-hen ist. Ich will an dieser Stelle hervorheben: Als dieFlutkatastrophe kam und wir gemeinsam mit den Län-dern auf diese nationale Herausforderung eine Antwortfinden mussten, haben wir einen nationalen Nothilfe-fonds aufgelegt.Wir haben sogar die Kosten der Länder vorüberge-hend übernommen, ohne die Schuldenregel zu verletzen.Robuster Haushaltsausgleich bedeutet auch gute Vor-sorge, wenn es einmal nicht so läuft, wie man es geplanthat. Das, meine sehr verehrten Damen und Herren, sollteauch für die nächsten Jahre Maßstab sein.
Dass Schulden nicht die Lösung von Problemen brin-gen, sondern deren Ursache sind, zeigt ein Blick auf denFöderalismus. Ich bin Nordrhein-Westfale.
In Nordrhein-Westfalen haben wir Schwierigkeiten mitdem Haushalt; das mag mit der Regierung zusammen-hängen. Auf jeden Fall haben wir in Nordrhein-Westfa-len große Schwierigkeiten. Regelmäßig muss das Ver-fassungsgericht die Regierung zur Ordnung rufen.
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4812 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 52. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. September 2014
Parl. Staatssekretär Steffen Kampeter
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Wenn hier gesagt wird, wegen der schwarzen Nullwürde es bei den Schulen nicht mehr anständig laufen– es gibt noch weitere Argumente, die hier vorgetragenworden sind –, will ich Ihnen erwidern: In Nordrhein-Westfalen haben wir gerade Haushaltssperre.
Da werden Sozialprojekte gestoppt, da werden Schulrei-sen nicht mehr durchgeführt, da wird in diesem Zusam-menhang sogar die Sanierung des Kölner Doms einge-stellt.
Das zeigt: Wenn du zu viele Schulden hast, dannkannst du nicht mehr handeln. Wenn du den Haushalts-ausgleich schaffst, dann kannst du auch bei unvorherge-sehenen Ereignissen das Notwendige tun. Daran mussman sich messen lassen.
Herr Kollege Kahrs, ich muss ein zweites Beispielbringen. Es gibt ja auch andere Flächenländer, vergleich-bar mit meinem Heimatland, zum Beispiel das Land, ausdem der Bundesverkehrsminister kommt, Bayern.
Bayern hat einen ausgeglichenen Haushalt. Die denkenüber die Rückführung von Schulden nach.Jetzt lassen Sie uns einmal nach Bayern gucken.Sören Bartol hat vorhin in seiner Rede die digitale Infra-struktur angesprochen. Für die Länder gibt es rund2 Milliarden Euro Fördermittel für digitale Infrastruktur.Das ist auch nach meiner Auffassung eine wichtige Zu-kunftsinfrastruktur. Da muss man auf Länderebene auchhandeln. 1,5 Milliarden Euro von diesen rund 2 Milliar-den Euro Fördermitteln für den Ausbau der Breitbandin-frastruktur werden in Bayern eingesetzt.Sie sehen: Ausgeglichener Haushalt und Schwer-punktsetzung geht auch bei einem Flächenland inDeutschland zusammen. Liebe Freunde, wir sollten unsinsgesamt – Bund, Länder und Gemeinden – an diesenBeispielen orientieren und alle gemeinsam im föderalenBereich ausgeglichene Haushalte anstreben, weil wirhandlungsfähig bleiben wollen. Darum geht es.
Ein weiterer wichtiger Punkt in dieser Debatte wardie Rolle von Investitionen. Da konnte man ja gelegent-lich den Eindruck gewinnen, hier in Deutschland gingees drunter und drüber. Beispielsweise die Insolvenzver-walter des real existierenden Sozialismus haben die In-vestitionsqualität in Deutschland ausgesprochen negativgemalt. Und bei manchen Reden von den Grünen habeich mich gewundert, wie sehr sie jetzt plötzlich für Stra-ßen und Brücken eintreten.
In 24 Jahren Parlamentszugehörigkeit kann ich michnicht daran erinnern, dass diese Fraktion oder Vertreterdieser Partei für irgendeine Infrastrukturentscheidungauf die Straße gegangen sind. In der Regel sind sie dage-gen gewesen.
Aber in einer solchen Debatte muss es ja gelegentlichnoch Überraschungen geben. Durch manche Reden ha-ben Sie von den Grünen sich direkt für die Automobilin-dustrie als Geschäftsführer vorgeschlagen.
Tatsache ist, meine sehr verehrten Damen und Her-ren: Die Investitionen in Deutschland sind in den ver-gangenen Jahren relativ stabil bei 17 Prozent unsererwirtschaftlichen Leistungsfähigkeit gewesen. In Europaist das Bild sehr differenziert. Viele europäische Staatenhaben in den vergangenen Jahren ihre Investitionen zu-rückgefahren. Das bedeutet: Nicht Deutschland ist dasProblem bei den Investitionen in Europa, sondern Eu-ropa insgesamt.Deswegen ist es auch richtig, dass wir auf der heutebeginnenden Tagung des Ecofin – ich darf hierWolfgang Schäuble deswegen auch entschuldigen, deransonsten gern an dieser Debatte teilgenommen hätte –eine deutsch-französische Initiative für mehr Investitio-nen in Europa starten. Das deutsch-französische Papierverbindet das Bekenntnis zur wachstumsfreundlichenKonsolidierung mit Wegen zur weiteren Mobilisierunginsbesondere von privatem, aber auch von möglichemöffentlichen Kapital für die Infrastruktur und für anderewichtige Zwecke in Europa.Es geht dabei um rechtliche Rahmenbedingungen fürprivate Investitionen. Da kann man im Bereich der Tele-kommunikationsinfrastruktur oder beim Abbau von Bü-rokratie in Europa das eine oder andere noch verbessern.Weiter geht es darum, dass wir die finanziellen Vo-raussetzungen für die Finanzierung von Wachstum durchprivate Investitionen verbessern. Bei dem Vorschlag zurBankenunion, an dem wir im Finanz- und im Haushalts-ausschuss in vielen Sitzungen gearbeitet haben, geht esum nichts anderes als darum, ein stabiles Finanzsystemzu garantieren, das auch für private Investitionen fürmehr Wachstum insbesondere in der Peripherie sorgenkann. Es geht auch um die Verbriefung von Krediten, da-mit wir Kapital in den finanziellen Institutionen freibe-kommen. Das ist ein sehr differenzierter Ansatz, den ei-nes auszeichnet: Er wird nicht zu mehr Defiziten führen.Anders als hier in der Debatte gelegentlich behauptetwird, kann man nicht auf Dauer durch mehr Schuldenmehr Investitionen fördern. Stattdessen müssen wirschauen, dass wir das private Kapital, das derzeit hände-ringend nach Anlagemöglichkeiten sucht, dahin lenken,wo es den größten Wachstumsbeitrag leisten kann; dasist die Herausforderung für die europäische und die deut-sche Politik. Man kann nicht einfach mit Schulden
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 52. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. September 2014 4813
Parl. Staatssekretär Steffen Kampeter
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Wachstum finanzieren; das ist in der Vergangenheitschiefgelaufen, das wird in der Zukunft schieflaufen.Das intelligentere Konzept ist ein differenzierter Ansatz,wie wir ihn heute in Mailand vorgestellt haben, meinesehr verehrten Damen und Herren.
Ich glaube, man muss auch einmal an die Beschlüsseder Vergangenheit in Sachen Investitionen erinnern: Wirhaben die Europäische Investitionsbank mit zusätzli-chem Kapital ausgestattet, damit sie mehr europäischeGroßprojekte finanziert. Da ist noch Raum nach oben fürdie Europäische Investitionsbank, das Geld ist nochnicht vollständig ausgegeben. Wir haben viele EU-Mittel– die Strukturfonds wurden aufgestockt; wir haben indiesem Bereich Treffsicherheit –, sodass wir ohne zu-sätzliches Geld, durch eine bessere Umsetzung mehr fürInvestitionen in Wachstum in Europa tun können. LassenSie uns nicht jede Woche so tun, als würden wir das Radneu erfinden oder als sei in Deutschland alles in einerschlechten Verfassung! Nutzen wir die vorhandenenMittel! Wir haben in den vergangenen Monaten denWachstumsbeitrag von Investitionen in den Mittelpunktder europäischen Politik gestellt. Deutschland ist dabei,andere sind dabei: Gemeinsam werden wir mehr Wachs-tum durch private und öffentliche Investitionen in Eu-ropa schaffen.
Der Schlüssel bleiben jedoch die privaten Investitio-nen. Öffentliche Investitionen können nur Vorleistungensein. Alexander Dobrindt hat es für den Verkehrsetat ge-sagt: Die Investitionen steigen. – Auch die Investitionenim Etat insgesamt steigen. Wir stellen 5 Milliarden Eurofür die Infrastruktur zur Verfügung. Wenn Sie in die Zei-tungen blicken, werden Sie feststellen, dass sich auch imprivaten Bereich einiges tut: Die Ausrüstungsinvestitio-nen, viele private Investitionen gehen mit zweistelligenSteigerungsraten nach oben. Das gibt Vertrauen in dieZukunft. Das mag an der Bundesregierung liegen – ichweiß es nicht –; auf jeden Fall steigen die Investitionen.Noch nie ist privat so viel für Forschung und Entwick-lung ausgegeben worden wie im vergangenen Jahr. Dassind positive Signale, die deutlich machen: Es gibt auchin Deutschland ein Miteinander von öffentlichen undprivaten Investitionen. Trotz robuster Null, trotz klaremHaushaltsausgleich, werden wir in dem Bereich „Bil-dung und Forschung“ noch eine kräftige Schippe drauf-legen. Frau Wanka, Sie sind diejenige, die da eine großeVerantwortung trägt für das Geld der Steuerzahlerinnenund Steuerzahler. Gemeinsam mit den Ländern investie-ren wir in die Köpfe, aber eben im Verbund von privaterund öffentlicher Hand. Das ist ein intelligentes Konzept,das ist unsere Finanzpolitik, dafür sollten wir werben.
Im Rahmen unserer wachstumsorientierten Konsoli-dierung stellen wir auch den Gemeinden mehr Mittel zurVerfügung. Wenn Sie sich einmal die öffentliche Statis-tik anschauen, sehen Sie, dass gerade die Gemeindenderzeit eine Schippe bei den kommunalen Investitionendrauflegen. Das steht in einem gewissen Widerspruch zuder Klage, dass die Gemeinden zu wenig Geld hätten.Von Bund, Ländern und Gemeinden sind aber zurzeit dieGemeinden diejenigen mit den größten Überschüssen.Wenn wir die Finanzlage der Gemeinden verbessern,dann steigern wir auch ihre Investitionskapazitäten; manmuss auf diesen Zusammenhang einmal hinweisen.Übernimmt der Bund Sozialkosten, haben die Gemein-den mehr Möglichkeiten, in die kommunale Infrastruk-tur zu investieren. Das heißt, man kann nicht einfach sa-gen: Wir steigern die Sozialausgaben. – Nein, wirsteigern gleichzeitig auch die Investitionskapazitäten derGemeinden. Das wollen wir. Da ist überhaupt die größteInvestitionskraft im öffentlichen Bereich. Das werdenwir weiterführen. Wir sind eine kommunalfreundlicheund damit investitionsfreundliche Bundesregierung.
Wir haben auch verhandelt, dass die Länder mehrGeld bekommen, insbesondere für den Bereich „Bildungund Forschung“. Wir wollen aber, dass das Geld auchdort ausgegeben wird. Es hat in dieser Haushaltsdebattean der einen oder anderen Stelle auch Fragen gegeben:Wird es tatsächlich dafür ausgegeben, wofür es vorgese-hen war? – Ich appelliere nachdrücklich an die Länder:Wir können sicherlich viele Straßen bauen, die Breit-bandversorgung verbessern und Ähnliches mehr. Aberdas Wichtigste in einem schrumpfenden Land, in demdie Menschen immer älter werden, sind Investitionen inunsere Schulen und Kindergärten, in unsere Hochschu-len, in die Bildungs- und Forschungseinrichtungen. Wennich an der einen oder anderen Stelle sehe, dass die Gel-der, die dafür vorgesehen sind, in den Haushalten der16 Bundesländer versickern, dann stelle ich fest: Das isteine Sünde an den Zukunftsinteressen Deutschlands.Deswegen sollten wir nicht nur formal und auf dem Pa-pier sagen: „Wir geben Geld an die Länder für mehr Bil-dung und Forschung“, sondern wir sollten auch gemein-sam deutlich machen: Wir wollen, dass es auch dalandet. Verlässlichkeit und Vertrauen sind für diese Zu-kunftsinvestitionen wichtig und notwendig.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, Investitio-nen sind der Schlüssel für mehr Wachstum. Sie stelleneine Unterstützung privater Investitionen dar und sicherngute Rahmenbedingungen. Wir brauchen dieses wirt-schaftliche Wachstum, um die robuste Finanzpolitik fort-zusetzen. Die Haushaltspolitik allein hat nicht in allenBereichen Gestaltungsmöglichkeiten. Sie muss flankiertsein von stabilitätsorientierter Sozialpolitik. Wir sind da-rauf angewiesen, dass in vielen anderen Politikbereichenin der mittelfristigen Perspektive auf mehr Wachstumumgeschaltet wird. Nur wenn Deutschland stark bleibt– wir sind zum gegenwärtigen Zeitpunkt stark –, werdenwir auch die Herausforderungen der nächsten Jahre be-wältigen können. Ein robuster, ausgeglichener Haushaltist eben kein Selbstzweck. Er ist eindeutig die Grundvo-raussetzung dafür, dass wir handeln können. Wir wollen
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4814 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 52. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. September 2014
Parl. Staatssekretär Steffen Kampeter
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handeln, wir können handeln, und wir werden weiterhandeln.In diesem Sinne: Herzlichen Dank.
Vielen Dank, Herr Kollege Kampeter. – Schönen gu-
ten Morgen von mir!
Nächste Rednerin in der Debatte: Dr. Gesine Lötzsch
für die Linke.
Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Meine sehr geehrtenDamen und Herren! Am Mittwoch fand vor dem Bun-destag eine große Demonstration statt. 62 Linienbusseaus dem ganzen Land waren nach Berlin gekommen.Die Verkehrsunternehmen übergaben eine Resolution anBundestagsvizepräsident Singhammer, der sie dann anmich weitergab, verbunden mit freundlichen Worten fürden Haushaltsausschuss. – Wir werden dieses Problem jalösen müssen.In jedem Jahr müssen die öffentlichen Verkehrsunter-nehmen mehr Fahrgäste befördern. Aber die öffentlichenMittel sind seit Jahren rückläufig. Ich weiß nicht, meineDamen und Herren, ob jemand aus der Ministerriegeeinmal im Berufsverkehr S-Bahn gefahren ist. Wennnicht, sollten Sie das unbedingt einmal tun.
Wann die S-Bahn kommt, ist nie ganz sicher. Wenn siedann kommt, ist sie so überfüllt, dass viele aus diesemzweifelhaften Fahrerlebnis die Schlussfolgerung ziehen,wieder mit dem Auto zu fahren. Das ist eine fatale Ent-wicklung, die wir unbedingt stoppen müssen.
Wir alle wissen, dass nicht nur der Nahverkehr unterder schwarzen Null des Finanzministers leidet. Auch derFernverkehr ist von der anhaltenden Investitionsverwei-gerung der Bundesregierung betroffen.
Im Musterland Bayern, das sich ja immer besonders po-sitiv darstellt, sind 175 Bahnbrücken so beschädigt, dasseine Instandsetzung gar nicht mehr möglich ist. In Ba-den-Württemberg sind es 101 Brücken, die nicht mehrrepariert werden können. Man könnte diese Aufzählungfortsetzen; das will ich hier nicht tun. Es geht aber auchum die Sanierung von Schulen, von Stromnetzen, jaauch von Straßen. Denn ganz ohne Straßen – das wissenauch Linke und, wie ich schätze, auch Grüne – geht es inunserem Land nicht.
Meine Damen und Herren, das Institut für Makroöko-nomie und Konjunkturforschung hat errechnet, dass inden Jahren 2003 bis 2013 der Substanzverlust der Infra-struktur 35 Milliarden Euro betragen hat. Das heißtnichts anderes, als dass das Land zulasten einer schwar-zen Null auf Verschleiß gefahren wurde. Das ist nichtverantwortungsbewusst. Wir müssen den Investitions-stau endlich auflösen, um nicht die Zukunft unseres Lan-des zu verspielen.
Der Finanzminister hat in seiner Einbringungsredezum Haushalt häufig das Wort „Verlässlichkeit“ benutzt.Aber dabei dachte er augenscheinlich weniger an die27 Millionen Menschen, die jeden Tag mit dem öffentli-chen Nahverkehr zur Arbeit oder zur Schule fahren.Diese Menschen erwarten eine verlässliche Bundes-regierung, die sich darum kümmert, dass auch der Nah-verkehr verlässlich ist. Das ist eine der wichtigstenFragen, betrifft sie doch immerhin ein Viertel der Bevöl-kerung. Ihr gegenüber ist die Bundesregierung nicht ver-lässlich. Das muss sich ändern, meine Damen und Her-ren.
Herr Schäuble – er ist nicht anwesend – bezog dasWort „Verlässlichkeit“ auch auf die Finanzmärkte. Ichfrage: Warum können wir uns sechs Jahre nach der größ-ten Finanzkrise in der jüngeren Geschichte immer nochnicht auf die Finanzmärkte verlassen? Warum dürfen aufden Finanzmärkten wieder Produkte gehandelt werden,die diese Krise mitverursacht haben? Das ist nicht inOrdnung, und das muss beendet werden!
Ich würde es gut finden, wenn wir uns auf einen gutregulierten Finanzmarkt verlassen könnten, einenFinanzmarkt, der keine Glücksspiele veranstaltet, son-dern einen Beitrag zur Finanzierung unserer verschlisse-nen Infrastruktur leistet. Das wäre der richtige Weg. Icherinnere Sie alle nur an die Finanztransaktionsteuer, dieschon 2010 Bestandteil des Zukunftspaketes war. 2 Mil-liarden Euro sollten ab 2012 in die Bundeskasse fließen.Bis heute ist davon kein einziger Cent angekommen.Herr Schäuble hat jetzt einen bemerkenswerten Vor-schlag gemacht: Er will den Wegfall des Solidaritätszu-schlages durch die Erhöhung der Einkommensteuer aus-gleichen. Da fragen wir doch: Warum hat er denn diefehlenden Einnahmen aus der Finanztransaktionsteuernicht zum Beispiel durch eine höhere Besteuerung vonDividenden ausgeglichen? Allein die Familien Porscheund Piëch haben 2014 eine Dividendenausschüttung von335 Millionen Euro erhalten. Wäre es nicht die Pflichteiner Regierung, an der die SPD beteiligt ist, diesenüberbordenden Reichtum endlich zu begrenzen?
Aber zurück zum Solidaritätszuschlag. Die Idee vonHerrn Schäuble und Herrn Scholz ist es, die Einkom-mensteuer zu erhöhen und die kalte Progression abzu-schaffen. So weit, so gut. Aber im Ergebnis soll es fürden Steuerzahler ein Nullsummenspiel werden. Das wie-derum ist nicht gut.
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Dr. Gesine Lötzsch
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Ich sehe in der Abschaffung des Solidaritätszuschla-ges allerdings zwei Vorteile:Erstens besteht die Chance, dass wir endlich einmaldie Gelegenheit ergreifen, unser Steuersystem sozial ge-rechter zu gestalten.Zweitens – das ist für mich das Entscheidende – be-steht die Chance, der allgemein verbreiteten Auffassungzu begegnen, die Gelder aus dem Solidaritätszuschlagseien Mittel, die aus dem Westen in den Osten fließen.Das ist schon lange nicht mehr der Fall. Darum solltenwir auch mit diesem falschen Namen endlich aufhören.
Zurzeit speisen sich die Einnahmen aus dem Solidari-tätszuschlag zu 67 Prozent aus Lohnsteuerzahlungen.Ich denke, bei einer Neuregelung sollten endlich einmaldie Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer steuerlich ent-lastet werden. Es wäre an der Zeit, die Vermögensteuerwieder einzuführen, eine Millionärssteuer zu erhebenund endlich die Erbschaftsteuer zu erhöhen. Dann hättenwir auch mehr Geld in der Kasse.
Meine Damen und Herren, Herr Schäuble machte inseiner Rede deutlich, dass er doch bereit ist, über höhereInvestitionen nachzudenken. Das ist gut. Nicht gut istaber, dass diese höheren Investitionen in erster Linie alsRenditen für Kapitaleigner gedacht waren. Der Bundes-rechnungshof – das hat heute schon mehrfach eine Rollegespielt – hat Projekte, die in Öffentlich-Privater-Part-nerschaft durchgeführt wurden, genau unter die Lupe ge-nommen und kam zu dem Schluss, dass kommerzielleUnternehmen eben nicht wirtschaftlicher arbeiten als öf-fentliche Unternehmen. Im Gegenteil: Der Staat kanngerade zurzeit viel einfacher an billiges Geld kommenals kommerzielle Unternehmen.Es gibt eine lange Liste von Public-private-Partner-ship-Projekten, die zum Nachteil von Städten, Ländernund Kommunen waren. Wir müssen uns alle nur an Fol-gendes erinnern: Wie war es denn mit der Maut und TollCollect? Toll Collect, ein Konsortium von Deutscher Te-lekom und Daimler-Benz, schuldet dem Staat noch heuteUnsummen an Geld.
– Es sind 5 Milliarden Euro, ruft mein Kollege Clausdazwischen. – Allein die Anwaltskosten für das Schieds-verfahren betrugen für den Bund bisher 66,4 MillionenEuro. Davon hätte man eine Menge Schulen sanierenkönnen. Ich glaube, das wäre eine bessere Verwendungfür dieses Geld gewesen.
PPP-Projekte – so kann man zusammenfassen – sindein Fass ohne Boden und durch Parlamente eben nicht zukontrollieren. Darum raten wir als Linke Ihnen: LassenSie endlich die Hände von diesem Unsinn!
Der Finanzminister hat das Wort „Verlässlichkeit“noch an einer anderen Stelle in seiner Rede verwendet,und zwar ging es um das Wahlversprechen der Union,auf Steuererhöhungen zu verzichten. Er sagte, das ge-höre zu den verlässlichen Rahmenbedingungen für pri-vate Investoren. Ich glaube, hier muss er sich noch einbisschen mehr überlegen; denn der Chef des DIW, desDeutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, der gleich-zeitig neuer Investitionsbeauftragter von Herrn Gabrielist, sprach von 500 Milliarden Euro, die bei deutschenUnternehmen auf der hohen Kante liegen und eben nichtinvestiert werden. Ich glaube, hier müssen Sie tätig wer-den. Diese Investitionen werden in unserem Land sehrdringend gebraucht.
Es gibt aber auch immer mehr wohlhabende Men-schen, die erkennen, dass sie einen größeren Beitrag fürunser Land leisten müssen. Ich finde, darauf sollten wirauf keinen Fall verzichten. Allerdings erkennen diesnicht alle. Steuerhinterziehung ist noch immer ein Sportder Vermögenden.
Trotz der großen Steuerskandale der letzten Jahre sagtder Finanzminister, die strafbefreiende Selbstanzeigehabe sich bewährt.
Es ist doch absurd, dass sich Steuerhinterzieher freikau-fen können, während sogenannte Schwarzfahrer wegenBeförderungserschleichung im Gefängnis landen. Dasist ein Zustand, den wir nicht mehr länger hinnehmenwollen.
In dieser Woche ist sehr viel über Außenpolitik ge-sprochen worden – zu Recht. Über Waffenlieferungen inKrisengebiete wurde häufig kontrovers diskutiert. Mei-ner Meinung nach haben wir aber zu wenig über dieEbolaepidemie gesprochen. 2 097 Tote – so viele Opferhat die Ebolaepidemie laut Weltgesundheitsorganisationallein in den drei am schwersten betroffenen LändernGuinea, Liberia und Sierra Leone bisher gefordert. DieExperten der Weltgesundheitsorganisation rechnen miteiner sehr viel größeren Dunkelziffer, und eine positiveTendenz ist bisher nicht in Sicht.Das ist doch wirklich eine humanitäre Katastrophe.Ich finde, hier reicht es nicht, nur wenige Kranken-schwestern und Ärzte hinzuschicken, hier müssen wirmehr tun. Das Mindeste ist auf jeden Fall, dass wir imEinzelplan des Gesundheitsministeriums die Kürzungder Mittel für internationale Aufgaben zurücknehmen.Wir müssen uns hier mehr engagieren und dürfen nichtimmer nur über Waffenlieferungen in Krisengebiete re-den.
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4816 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 52. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. September 2014
Dr. Gesine Lötzsch
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Ich will es Ihnen ganz deutlich sagen: Meine Fraktionwird sich nie damit abfinden, dass Waffenlieferungen inKrisengebiete für diese Bundesregierung immer eine hö-here Priorität haben als die direkte humanitäre Hilfe. Wirstehen für humanitäre Hilfe und gegen Waffenlieferun-gen in Krisengebiete.
– Herr Kauder, wenn Sie sich so erregen, dann kann das,was ich sage, ja nicht ganz falsch sein; das ist ja wohlganz logisch.
Meine Damen und Herren, der Haushalt 2015 sollteaus Sicht der Linken einen Beitrag dafür leisten, die so-ziale Spaltung in unserer Gesellschaft, in Europa und inder Welt zu verringern und unsere gemeinsame Zukunftzu sichern. Bisher erfüllt dieser Haushaltsentwurf diesenAnspruch nicht. Wir werden uns in den Haushaltsbera-tungen dafür einsetzen, dass die Menschen, die von Ar-beitslosigkeit betroffen sind, die eine bessere Bildungwollen und die sich für ihre Gesundheit eine solideGrundlage wünschen, von uns unterstützt werden.
Diese Menschen machen sich nicht in allererster LinieSorgen um die schwarze Null.Um es ganz klar zu sagen: Wir als Linke wollen keineneuen Schulden; wir sind für den Schuldenabbau. Aber – –
– Ich erkläre Ihnen das „Aber“ gleich, weil ich Ihnen sa-gen werde, wie wir uns das vorstellen.
Aber nicht mehr so lange, Frau Kollegin.
Ich bin sofort fertig. Durch die Zwischenrufe wurde
meine Redezeit ja etwas verlängert.
Ich bin aber sofort fertig.
Bitte, Frau Kollegin.
Wir wollen endlich ein gerechtes Steuersystem. Dann
ist unsere Zukunft auch zu sichern. Wir wollen, dass wir
mit einem gerechten Steuersystem genügend Einnahmen
haben, um unsere Zukunft für alle und nicht nur für ei-
nige wenige sozial gerecht zu sichern.
Vielen Dank.
Vielen Dank, Frau Kollegin. – Nächster Redner in der
Debatte: Johannes Kahrs für die SPD.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Da hätten bei der CDU/CSU eben ein paarmehr klatschen können, nicht wahr, Norbert Barthle,Bartholomäus Kalb?
– Jetzt rede ich, da könnten alle zuhören.Wir haben in den letzten Tagen gehört, wie sich dieOpposition diesen Haushalt vorstellt. Zur Erinnerung– kleiner Sprung zurück –: Am Dienstag haben wir einegrundsätzliche Debatte geführt. Da gab es zwischen al-len hier vertretenen Fraktionen Einigkeit darüber, dasswir keine neuen Schulden machen wollen. Ich fand dasgut, ich fand das bemerkenswert; da haben wir alle ge-klatscht. Dann habe ich mir die anderen Tage angeguckt:Mittwoch, Donnerstag und heute. In jeder dieser Debat-ten hat die Opposition erklärt, wofür sie dringend mehrGeld ausgeben möchte.
Ehrlich gesagt kann ich das teilweise sogar nachvoll-ziehen; ich finde das alles gut. Es gibt immer gute Be-gründungen, mehr Geld für Bildung, für Schulen, für Ki-tas und für Entwicklungshilfe auszugeben.
Im Einzelfall fällt mir immer eine gute Begründung da-für ein. Am Ende gibt es stets viele Gründe, Schulden zumachen. Die Frage ist: Will man am Ende Schulden ma-chen? Diese Frage sollte man ehrlich beantworten.
Wenn man keine neuen Schulden machen will, dannkann man nicht am Dienstag und auch am Freitag sagen,man wolle keine neuen Schulden machen,
aber in der Diskussion über jeden Einzelplan tränen-reich, mit etwas Pathos in der Stimme und mit viel Elanmehr Geld fordern. Das passt nicht; das ist unglaubwür-dig.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 52. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. September 2014 4817
Johannes Kahrs
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– Dass der Kollege Kindler jetzt mit „Oh“ anfängt, istschön. Aber Kollege Kindler, Ihre Grünen waren hierbeivorneweg, und Sie werden höchstwahrscheinlich gleichauch nichts anderes sagen.
Es ist doch so: Die Bundesregierung, wir alle, SPDund CDU/CSU, haben einen Haushalt vorgelegt, der imKern solide ist, der viele Aufgaben beinhaltet und derdurchfinanziert ist.
– Auch grundsolide! Ich lasse den Kampfwert meinerRede gern durch Anregungen des Koalitionspartnerssteigern, vom Kollegen Kauder sowieso gerne.
Also, der Haushalt ist grundsolide. Da sind wir uns dochwieder einmal einig. So einfach geht das in der Koali-tion. Davon könnte sich Herr Dobrindt einmal eineScheibe abschneiden.
Im Ergebnis ist es so: Wir haben einen grundsolidenHaushalt. Jetzt wird beklagt, dass wir hier und da nichtmehr Geld ausgeben. Ich kann hier klar sagen: Es istnicht so, dass wir nur gespart haben; wir haben auch in-vestiert. Das ist immer der Zweiklang. Es sind Investitio-nen in Höhe von 23 Milliarden Euro vorgesehen, und amDienstag habe ich durchdekliniert, wofür wir diesesGeld vernünftig und sinnvoll ausgeben und was wir indiesem Jahr in den entsprechenden Jahresscheiben dafürtun. Ich glaube, das hat auch jeder verstanden. DieserRegierung kann man deswegen positiv ins Stammbuchschreiben, dass sie einen grundsoliden Haushalt aufstelltund dass sie gleichzeitig da investiert, wo es notwendigist.
Natürlich kann man immer noch mehr verlangen. Dasverstehe ich; das hat die Opposition auch gemacht. Aberdas war ein fades Gemeckere. Angesichts der Presse-resonanz kann man feststellen: So richtig gejubelt habendie Zeitungen nicht, und so richtig nachvollziehbar fan-den sie das Gemecker auch nicht. Man muss sich diesenHaushalt einfach ansehen, durchlesen – ein Blick ins Ge-setz erleichtert die Rechtsfindung – und kann dann fest-stellen: Alles in Ordnung!Da ich aber meinen geschätzten Koalitionspartner im-mer lobe,
mit Norbert Barthle sehr gut zusammenarbeite
und auch die Reden von Steffen Kampeter immer gernhöre,
sei es mir jedoch erlaubt, dass ich die Stellen, an denenes schwierig wird, aufgreife. Der Kollege Brinkhaus hatwie viele seiner Kolleginnen und Kollegen in den letztenTagen Nordrhein-Westfalen kritisiert.
Er hat gesagt, dass die dortige Haushaltspolitik schwie-rig sei.
Auch der Kollege Steffen Kampeter hat das heute ge-macht und erklärt, dass es in NRW eine Haushaltssperreals Ausweis für unsolides Wirtschaften gebe.
Kollege Steffen Kampeter hat aber eine Haushaltssperrefür den Bund für das Jahr 2014 durchgesetzt, unter deralle Ministerien leiden.
Selbst der Kollege Ole Schröder kriegt gerade das Grin-sen nicht aus dem Gesicht.
Das heißt also: Wenn man argumentiert, SteffenKampeter, dann muss man sauber argumentieren. HalteDich an uns. Wir können das.
Im Ergebnis muss man einfach einmal klar sagen: Nurweil die Kolleginnen und Kollegen von CDU/CSU dieNiederlage in NRW immer noch nicht verschmerzt ha-ben
und weil sie sehen, was Rot-Grün dort macht – es wirdein solider Haushalt aufgestellt und die Misswirtschaftvon fünf Jahre Schwarz-Gelb wird korrigiert –,
und weil klar ist, dass Norbert Walter-Borjans einen gu-ten Job macht, müssen sie nicht jedes Mal eine guteRede dadurch versauen, dass sie einen koalitionsfeindli-chen Schlenker einbauen. Das kann doch keiner wollen.
Deswegen bitten wir inständig, diesen Unsinn zu lassen,damit wir weiterhin völlig konstruktiv im Bund zusam-menarbeiten können, was wir immer gerne wollen.
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4818 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 52. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. September 2014
Johannes Kahrs
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Der Kollege Steffen Kampeter – wenn er in Fahrtkommt, kommt er halt in Fahrt – hat gesagt, dass Privatealles das machen müssen, was man sich so wünscht. Ehr-lich gesagt – auch du warst einmal ein anständiger Haus-hälter –, das alles kann man tun. Das Problem bei der Sa-che ist nur: Am Ende muss es sich rechnen. BeimRechnen darf man nie ganz vergessen: Wenn Private in-vestieren, dann wollen sie meistens eine Rendite von3 bis 4 Prozent. Die sei jedem gegönnt.Man kann sich aber auch fragen, wie viele Zinsen derBund zahlt, wenn er Geld aufnimmt. Wenn es am Endestimmt, worauf sich CDU, CSU und SPD geeinigt ha-ben, nämlich dass sich betriebswirtschaftlich für denBund jede einzelne Maßnahme rechnen muss, dannsollte man jetzt nicht mit großem Getöse etwas ankündi-gen oder wie ein Tiger losspringen, nur um am Ende alsBettvorleger zu landen. Das heißt, wir müssen uns dasgenau anschauen, wir müssen genau nachrechnen. Ichpersönlich finde es gut, wenn wir das hinbekommen;aber wir müssen genau aufpassen, dass alles solide ist.Ansonsten bekommen wir einen Haufen Ärger.In den letzten Tagen gab es – das war zu hören und zulesen – einen Haufen Scheindebatten. Es wird gesagt,Schäuble wolle den Soli abschaffen und dafür anderwei-tig Steuereinnahmen erzielen. Heute wird ihm unter-stellt, er habe gesagt, die Schuldenbremse aufweichen zuwollen. Man kann dazu feststellen, dass weder der Bun-desfinanzminister noch sein getreuer Knappe hier
je irgendetwas Zitierbares zu diesem Thema gesagt ha-ben. Das heißt, die Presse schreibt irgendetwas, ohnedass es belegt ist. Das heißt, wir sind im Stadium derSpekulation.Der Hintergrund ist allerdings ernsthafter. Wir müs-sen die Bund-Länder-Finanzbeziehungen neu sortieren.Darüber sind wir gerade in ersten Gesprächen. Deshalbhalte ich es für unschön, wenn immer wieder kleine Ver-suchsballons gestartet werden, um zu schauen, über wes-sen Kopf sie denn zerplatzen. Deswegen ist es in Ord-nung, dass das Finanzministerium ganz sauber spielt undweder der Finanzminister noch der geschätzte KollegeSteffen Kampeter irgendetwas zu dem Thema sagen.Vielmehr werden wir intern eine Debatte vorbereiten,die am Ende für Bund und Länder gleichermaßen ver-nünftige Ergebnisse zeitigen muss; denn wir alle wissen,dass die Länder und die Kommunen Finanzprobleme ha-ben.Der Bund hat sie aber auch. Wenn man sich den Bun-deshaushalt anschaut, dann stellt man fest: Der ist grund-solide. Aber auch grundsoliden Dingen wohnen manch-mal Risiken inne. Schauen wir uns doch einmal diemomentanen Zinsen an, und überlegen wir uns, wie hochdie Zinsen vielleicht in drei, vier oder fünf Jahren sind.Wenn sie dann so hoch sind, wie es im Durchschnitt dervergangenen 20 Jahre üblich war, dann bekommen wirein Problem mit unserem Bundeshaushalt.Gleichzeitig müssen wir in Rechnung stellen, dassauch die wirtschaftliche Entwicklung nicht immer gutverläuft. Das heißt, bei all dem, was wir hier tun, müssenwir immer darauf achten, dass wir nicht nur die Wün-sche der Kommunen und der Länder befriedigen, son-dern dass der Bund auch seine Handlungsfähigkeit be-wahren muss. Das ist etwas – das haben wir allegesagt –, was wir richtig und wichtig finden. Deswegenmuss die Debatte, die in diesem und im nächsten Jahr zuführen ist, hochseriös und ernsthaft geführt werden;denn wenn man dem Bund zu viele Lasten aufbürdet undder Bund am Ende handlungsunfähig ist, dann ist dasweder für die Länder noch für die Kommunen gut.
Abschließend sei mir noch eine Bemerkung erlaubt:Wir alle, die wir hier sitzen, egal in welcher Partei wirsind, kennen die Länderhaushalte unserer Bundesländer.Die meisten sind einmal kommunal aktiv gewesen, wiralle kennen Kommunalhaushalte. Wir alle kennen Mi-nisterpräsidenten oder Erste Bürgermeister, die einemsagen, was sie so erwarten. Wichtig ist, dass man alsBundestagsabgeordneter nicht vergisst, dass man in ers-ter Linie eine Verantwortung für den Bund hat. Ichglaube, das ist etwas, was hier keiner vergessen darf, beialler Sympathie für Kommunen und für Länder. Wir ha-ben die verdammte Pflicht und Schuldigkeit, diesenHaushalt dauerhaft grundsolide aufzustellen.Vielen Dank.
Vielen Dank, Herr Kollege. Auch dass Sie grund-solide Ihre Redezeit eingehalten haben, ehrt Sie.Nächster Redner in der Debatte: Sven-ChristianKindler für Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Wir sind hier zwar im Deutschen Bundestag,aber wir haben eine Gesamtverantwortung für den Bund,für die Länder und für die Kommunen.
Das bedeutet dann eben auch, Johannes Kahrs, dass manfür gerechte Finanzbeziehungen zwischen Bund, Län-dern und Kommunen sorgen muss.Natürlich hat Herr Schäuble einen Testballon in Rich-tung Solidaritätszuschlag gestartet. Das macht dochnicht ein einfacher Verwaltungsbeamter im BMF. Natür-lich wurde das von Herrn Schäubles Pressestelle an dieSüddeutsche Zeitung gegeben.
Ich sage auch klar: Das ist eine Debatte zur falschenZeit. Das ist eine Scheindebatte, eine Nebelkerze. Auchin der Substanz ist der Vorschlag wenig aussagekräftig.4 Milliarden Euro entsprechen einem Verschuldungs-spielraum von 0,15 Prozent für die Länder. Das ist weni-
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 52. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. September 2014 4819
Sven-Christian Kindler
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ger als das, was Sie den Kommunen bis 2018 bei derEingliederungshilfe versprochen haben. Das ist sehr we-nig.Darüber hinaus muss man sich doch fragen: Wie kannman diese Finanzbeziehungen ordentlich regeln? Wiekann man dafür sorgen, dass Länder entlastet und struk-turschwache Regionen richtig unterstützt werden? Dabeigeht es auch um die Problematik der Altschulden, für de-ren Tilgung der Soli in Zukunft genutzt werden muss,gerade im Hinblick auf die Zinskosten. Das wäre einrichtiger Vorschlag für die Bund-Länder-Finanzbezie-hungen.
Sie als Große Koalition haben sich in dieser Woche inden Debatten die ganze Zeit für Ihren Haushalt gelobt.Es gab viel Selbstlob. Davon, dass man es oft wieder-holt, wird es nicht wahrer, liebe Kolleginnen und Kolle-gen. Man muss immer noch feststellen: Sie nehmen zwarkeine neuen Schulden bei der Bank auf, aber Sie nehmenimmer noch Schulden auf bei den Krankenversicherun-gen. Sie nehmen Schulden auf bei der Rentenversiche-rung.
Sie nehmen Schulden auf bei der Infrastruktur, bei denInvestitionen. Das ist nicht generationengerecht.
Stichwort „Investitionen“. Man hat ja an den Redender Kollegen Kampeter und Kahrs gemerkt, dass der An-griff ordentlich getroffen hat. Obwohl Sie Einzelplänegenannt haben, bei denen Sie kleine und mittlere Sum-men draufpacken, konnten Sie nicht erklären, warum derBund von 2014 bis 2018 in der Summe 111 MilliardenEuro mehr Steuern einnimmt, die Ausgaben um rund10 Prozent auf rund 330 Milliarden Euro steigen, abergleichzeitig die Investitionsquote von 10 auf 8 Prozentsinkt. Wieso? Wieso versickert das Geld im Etat? Wa-rum wird da nicht investiert? Das ist doch ein Armuts-zeugnis für Ihre Haushaltspolitik.
Ja, es ist richtig, es geht natürlich auch um private In-vestitionen, die wir anregen müssen. Da muss man sichaber auch einmal fragen: Was macht diese Bundesregie-rung eigentlich sonst noch? Viele private Investitionensind in den letzten Jahren vor allen Dingen in die Stär-kung der erneuerbaren Energien bzw. in die Energie-wende geflossen. Von 2000 bis 2012 waren es 166 Mil-liarden Euro. 370 000 neue Arbeitsplätze wurdengeschaffen. Was haben Sie gemacht? Sie haben einenriesigen Anschlag auf das EEG verübt und fahren dieEnergiewende mit Ihrem Kohlekurs an die Wand. Dakann ich einfach nur sagen: Das ist nicht nur ökologisch,sondern vor allen Dingen auch wirtschafts- und finanz-politisch schädlich.
Wir müssen, glaube ich, diese Debatte zur Haushalts-politik im europäischen Kontext sehen; darauf hat HerrKampeter ja auch abgezielt. Man muss aber sagen: DieInitiativen der Bundesregierung haben in den letztenJahren nicht dazu geführt, dass in Europa oder auch inDeutschland Investitionen gesteigert wurden, sonderndazu, dass sie gesunken sind.Wir haben schwierige Probleme in der Euro-Zone.Diese muss man sehr differenziert betrachten. Ich kannnicht auf alles im Einzelnen eingehen. Wir wissen auch:Es gibt eine Stagnation in der Euro-Zone. Es gibt einegroße Massenarbeitslosigkeit. Es gibt gerade eine Inves-titionsschwäche in der Euro-Zone, aber auch in Deutsch-land. Natürlich muss Deutschland nicht alle diese Pro-bleme allein lösen, aber Deutschland kann als größteVolkswirtschaft in der Währungsunion seinen Teil tun,indem man gerade jetzt Investitionen fördert und sichanschaut, was eigentlich mit dem Leistungsbilanzüber-schuss passiert. Deutsche Ersparnisse in Höhe von400 Milliarden Euro wurden in den letzten Jahren imAusland verbrannt, weil sie schlecht angelegt waren.Das ist weder gut für die deutschen Sparer noch fürEuropa. Was wir in der jetzigen Krise brauchen, ist einekonkrete sozial-ökologische Investitionsstrategie. Damuss Deutschland noch viel mehr machen – auch im ei-genen Land.
Ich will noch etwas zu den privaten Investitionen imVerkehrsbereich sagen. Herr Kampeter, der Finanzminis-ter hat unsere Unterstützung, wenn er diese unsinnigeAusländermaut torpediert. Die bringt nichts. Die gehörtgestoppt.
– Ja, wir arbeiten konstruktiv zusammen, KollegeKampeter; das ist schön.Aber der Alternativplan – das ist ja das Problem – vonHerrn Schäuble ist noch viel schlimmer. Sie wollen flä-chendeckend eine allgemeine Pkw-Maut für alle Auto-fahrer einführen und flächendeckend die Infrastrukturbei Verkehrswegen privatisieren. Dabei wissen wirschon jetzt: ÖPP im Verkehrsbereich – das hat der Bun-desrechnungshof klar aufgezeigt – ist ein Milliarden-grab, eine milliardenschwere Verschwendung von Steuer-geldern. Das wird auch bei ÖPP 2.0 von Herrn Gabrielund Herrn Schäuble so sein. Denn die großen Versiche-rungskonzerne erwarten eine hohe Rendite, aber habenviel höhere Zinskosten als der Bund. Diese milliarden-schwere Verschwendung von Steuergeldern ist nicht die
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Sven-Christian Kindler
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richtige Antwort auf den Investitionsstau in Deutsch-land.
Konkret, Kollege Kahrs: Man kann Investitionen indie Zukunft solide finanzieren und das auch konkret imHaushalt darstellen, nämlich mit einer Gegenfinanzie-rung. Gehen Sie doch einmal an die Ausgaben ran! Strei-chen Sie 2015 1 Milliarde Euro beim Betreuungsgeld!Und was ist mit der Verschwendung durch Rüstungspro-jekte? – Da sind Milliarden zu holen. Und was ist mit ei-nem Subventionsabbau im umweltschädlichen Bereich?– Der Staat gibt jedes Jahr 50 Milliarden Euro für um-weltschädliche Subventionen aus. Um 8 Milliarden Eurokönnte man sie sofort abbauen.
– Konkret: In den Bereichen stoffliche Nutzung vonErdöl, schwere Dienstwagen, Flugindustrie, Agrardiesel,Ausnahmen bei der Ökosteuer ist sehr viel zu holen. Damüssen Sie rangehen! Trauen Sie sich endlich auch anden Subventionsabbau!
Herr Kollege, Redezeit!
Auch auf der Einnahmeseite besteht Potenzial; zum
Beispiel gehört die ungerechte Abgeltungsteuer abge-
schafft. Wir wollen Kapitaleinkommen endlich wieder
progressiv wie Arbeitseinkommen besteuern. Das ist ge-
recht, und das ist notwendig.
Wir werden Ihnen gute, solide und gegenfinanzierte
Alternativen für Zukunftsinvestitionen vorlegen. Wir
freuen uns auf die Haushaltsberatungen. Hoffentlich fol-
gen Sie unseren Vorschlägen.
Vielen Dank.
Vielen Dank, Herr Kollege Kindler. – Nächster Red-
ner in der Debatte ist Dr. Peter Tauber für die CDU/
CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn mandas grundsolide Zahlenwerk des Bundeshaushalts 2015in den Blick nimmt, dann kann man es machen wie derKollege Kindler und sich im Klein-Klein verlieren
oder aber zunächst einmal einen Schritt zurück machen.In der Tat muss man mit großen Worten immer vorsich-tig sein; aber wenn man einen Schritt zurück geht unddann auf diesen Haushaltsentwurf schaut, stellt man fest,dass der Begriff „historisch“ angebracht ist.Ich will Ihnen auch sagen, warum. Ich bin vor kurzem40 geworden.
Als Kind dieser Republik habe ich nicht erlebt, dass esdie im Bundestag verantwortlichen Parteien bzw. dieBundesregierung geschafft haben, einen Haushalt vor-zulegen, der auf neue Schulden verzichtet hat. In über40 Jahren ist das nicht gelungen. Das hat gar nichts mitparteipolitischen Vorwürfen in die eine oder andereRichtung zu tun. Alle tun gut daran, sich an die eigeneNase zu fassen; zu den Kollegen von den Grünenkomme ich an entsprechender Stelle noch. Es ist histo-risch, dass wir es im Jahr 2015 schaffen, denen, diekünftig entscheiden, Spielräume zu eröffnen, und denen,die durch ihre Arbeit und ihre Steuern das Gemeinwesenfinanzieren, nicht noch zusätzliche Lasten aufzubürden.Erstmals seit 1969 steht die schwarze Null im Bundes-haushalt. Das ist eine große Leistung, die man gemein-sam wertschätzen darf. Auch das hat nichts mit partei-politischen Bewertungen zu tun.
Ich kann und will aber nicht verhehlen, dass wir alsChristdemokraten stolz darauf sind, dass wir mitWolfgang Schäuble als Bundesfinanzminister undAngela Merkel als Bundeskanzlerin daran einen maß-geblichen Anteil haben. Denn zur Wahrheit gehört, dasses in der Vergangenheit eben nicht gelungen ist, diesenKurswechsel herbeizuführen. Auch da mag sich der eineoder andere hier im Hause an die eigene Nase fassen.Auf der Homepage vom Bündnis 90/Die Grünen stehtgeschrieben – ich darf das zitieren –:Der Haushalt 2015 ist geprägt von der Mut- undIdeenlosigkeit der Bundesregierung.
Ich will Ihnen sagen – und das mag Sie nicht verwun-dern –, dass ich zu einer völlig anderen Interpretationkomme: Dieser Bundeshaushalt ist im besten Sinne desWortes ein konservativer Haushalt; denn er zeichnet sichdurch einen maßgeblichen Wert aus, durch Ausgabendis-ziplin. Wir haben nämlich in dieser Großen Koalition da-rauf verzichtet, bei ständig steigenden Steuereinnahmen
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Dr. Peter Tauber
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ständig mehr Geld auszugeben. Das ist für sich genom-men nichts Besonderes, aber es ist diesmal gelungen.Anderen, die jetzt laute Reden halten, ist das nicht gelun-gen, als sie Verantwortung hatten.
Deswegen mahne ich immer ein bisschen zur Zurückhal-tung.Wir können noch einmal zurückblicken: Wie war es,als die Grünen Verantwortung für einen Bundeshaushalthatten?
Das ist Gott sei Dank schon eine Weile her; es war imJahr 2005. Damals hatten Sie in Regierungsverantwor-tung einen Bundeshaushalt zu verantworten, der eineNeuverschuldung von sage und schreibe 31,4 MilliardenEuro umfasste.
Ich darf daran erinnern: 2005 war von der Euro-Kriseund der Finanz- und Wirtschaftskrise noch nicht dieRede. Sie haben es einfach so geschafft, diesen Schul-denbatzen noch auf den bereits existierenden Schulden-berg obendrauf zu packen. Wenn man das in 10-Euro-Noten umrechnet – damit das, was Sie damals gemachthaben, einmal visualisiert wird –, dann kommen diese10-Euro-Noten auf ein Gewicht von 2 260 Tonnen.Wenn man sie aufeinanderstapelt, dann erreicht dieserStapel von 10-Euro-Noten eine Höhe von 314 Kilome-tern. Das entspricht dem, was Sie damals ohne einen er-kennbaren, nennenswerten Grund im letzten Jahr IhrerRegierungsverantwortung an neuen Schulden mit aufden Weg gebracht haben. Deswegen wäre ich an IhrerStelle ein bisschen leiser, wenn es darum geht, kleinzure-den, dass wir auf neue Schulden verzichten.
Andrea Nahles singt hier ganz gerne. Ich verkneifemir das, weil ich ähnlich gut singe wie sie. Sie hätten da-mals gesungen – das war Ihr Motto –: „Wir versaufenunser Oma ihr klein Häuschen“. – Wir verzichten auf dasSingen. Wir machen lieber eine grundsolide Haushalts-politik.Wozu führt es, dass wir jetzt auf neue Schulden ver-zichten? Das zeigt erstens, dass wir in Europa ein ver-lässlicher Partner sind, ein Land, in dem man investierenkann, weil die öffentliche Hand selbst auf ihre Ausga-benpolitik achtet. Deswegen sind wir in Europa ebenauch an der Stelle, wo wir derzeit stehen. Das ist hart er-arbeitet worden. Das muss man verteidigen und bewah-ren, und das führt wiederum dazu, dass andere in unse-rem Land investieren. Damit kommen wir zum zweitenSignal: Obwohl wir keine neuen Schulden aufnehmen,investieren wir selbst.
Auch das gefällt Ihnen vielleicht nicht in jedem Punkt.Die Investitionen in Bildung und Forschung waren nochnie so hoch wie jetzt, und wir schaffen das ohne neueSchulden. Das sind echte Investitionen in die Zukunft.
Die CDU hat bereits 2007 in ihrem Grundsatzpro-gramm beschlossen, dass wir ein Neuverschuldungsver-bot einführen wollen. Keine zwei Jahre später haben wirdiese Forderung im Grundgesetz verankert, und siegreift jetzt. Das ist eine echte politische Leistung, und esist die Grundlage für all das, was wir künftig erreichenwollen. Sie haben recht – an der Stelle sind wir nichtweit auseinander –: Sparen ist kein Selbstzweck. Daraufzu verzichten, neue Schulden zu machen, ist nur dannsinnvoll, wenn man die Spielräume für Investitionen indie Zukunft nutzt, und zwar gerade für Investitionen inBildung und Forschung, wie wir es aktuell tun. Es istauch deswegen sinnvoll, weil dadurch Vertrauen in diewirtschaftliche Stabilität und in die Zukunftschancenwächst.Volker Kauder hat es schon gesagt. Für die Union alstragende Säule dieser Koalition gilt: Um künftig Spiel-räume zu haben, müssen wir darauf achten, dass es, wiees Manfred Rommel einst formuliert hat, mehr um dieBestellung der Felder als um die Verteilung der Erntegeht. Deswegen investieren wir. Deswegen fragen wiruns, was wir tun müssen, um unsere Infrastruktur aufDauer zu sichern und aufrechtzuerhalten.
– Doch, dieser Haushalt ist eine Antwort darauf, HerrKindler.
Deswegen habe ich Ihnen geraten, einen Schritt zurück-zugehen und das Ganze in den Blick zu nehmen, stattsich im Klein-Klein zu verlieren.
Dass Ihnen das nicht gefällt, weil wir die Probleme lö-sen, kann ich verstehen.
Aber auch dabei gilt für Sie: Der Erfolg der Pädagogikliegt in der Wiederholung. Ich erkläre es Ihnen gernenoch einmal fernab der Rede. Wir können uns nachhergerne noch einmal zusammensetzen.
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Dr. Peter Tauber
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Es geht also bei diesem Haushalt nicht um blindesSparen, sondern um verantwortungsvolle Haushaltspoli-tik und um vorausschauendes Investieren. Ich sage Ihnenauch als Generalsekretär der CDU ganz ehrlich: Natür-lich macht mich das ein Stück weit stolz. Dafür, dass wirdas alles ohne neue Schulden schaffen, danke ichWolfgang Schäuble und den anderen Mitgliedern derBundesregierung, aber auch den Mitarbeiterinnen undMitarbeitern in den Ministerien, die mit spitzer Federdazu beitragen.Ich bleibe bei dem, was ich eingangs gesagt habe:Dieser Haushalt wird in die Geschichte eingehen. Ichfinde es sehr schön, dass die CDU dazu einen Beitraggeleistet hat.Herzlichen Dank.
Danke, Herr Kollege. – Nächste Rednerin in der De-
batte ist Ekin Deligöz für Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Sie wiederholen immer wieder, die Opposition könnesich nicht über den Konsolidierungskurs im Haushaltfreuen. Ich kann das schon. Ich finde das richtig. Ichfinde das sehr anerkennenswert. Das erfordert Disziplin.Das ist eine gute Leistung. Ich wäre eine schlechte Haus-hälterin, wenn ich das nicht gut finden würde. Aber ge-rade deshalb finde ich es komisch, dass Sie nun über dasAufweichen der Vorgaben der Schuldenbremse reden.Das passt nicht zusammen. Konsolidierung und Schul-denbremse gehören zusammen. Keines der beiden dür-fen wir aufgeben.
Als gute Haushälterin rede ich nicht nur über das Ob,sondern auch über das Wie. Wir müssen immer fragen:Wer bezahlt das eigentlich, diese Haushaltskonsolidie-rung? Auf wessen Kosten geht das eigentlich? Woherkommt das Geld? Das sind berechtigte Fragen. HerrTauber, ich glaube nicht, dass Sie etwas von Landwirt-schaft und Ernte verstehen; da können Sie Herrn Rom-mel noch so oft zitieren. Ich weiß aber, dass Sie Star-Wars-Fan sind. Deshalb übersetze ich Ihnen das in dieSprache der Jedis, damit auch Sie verstehen, worüberwir eigentlich reden. Ihre vielzitierte schwarze Null– das ist so etwas wie die schwarze Macht – wirft einenlangen schwarzen Schatten. Dieser Schatten senkt sichauf die Sozialversicherungen, die Bildungsstätten unddie Verkehrswege. Das ist das Problem, das wir haben.Das, was Sie hier machen, hat nichts mit dem zu tun,was Han Solo gemacht hat, und entspricht auch nichtden Grundsätzen des Jedi-Rittertums. Selbst Jabba theHutt würde das besser machen als Sie. Hören Sie auf,solche geschwätzigen Reden zu halten!
Sie wollen diesen Schatten irgendwie verstecken. Des-halb kommen Sie mit dem Lichtschwert der Haushalts-konsolidierung. Wir nehmen aber den Schatten wahr; erist da. Er wird uns etwas kosten. Heute, morgen undübermorgen wird diese Gesellschaft dafür bezahlen. Dasist das Problem.
Sie nehmen Geld aus der Rentenkasse. Sie nehmenGeld aus dem Gesundheitsfonds. Sie nehmen Geld, wowir eigentlich investieren müssten. Sie nehmen Geld ausden Rücklagen der Bundesagentur für Arbeit. Dann le-gen Sie auch noch einen Haushalt vor, der auf Sand ge-baut ist und bei der kleinsten Krise zusammenbrechenwird. Das sehen wir als Opposition. Da wir alle ständigund überall über Generationengerechtigkeit sprechen:Wir hinterlassen unseren Kindern nicht nur einen Haus-halt, sondern auch die Infrastruktur.
Selbstverständlich ist es wichtig, dass wir heute für mor-gen investieren. Wenn es in Schulen hineinregnet, wennviele Frauen nicht erwerbstätig sein können, weil Ganz-tagskindergarten- und Ganztagsschulplätze fehlen, undwenn Ausbildung nicht mehr finanziert wird und wirdeshalb morgen unter einem Fachkräftemangel leiden,dann ist das ein Problem, dessen wir uns annehmen müs-sen. Da können wir uns nicht hinter Ihrem Lichtschwertverstecken. Das wäre unverantwortlich und hieße, zukurz zu springen.
Wenn wir über Investitionen reden, meinen wir nichtnur Straßen. Nichtsdestotrotz reden wir auch – zu Recht –über Straßen. Ich will Ihnen auch sagen, warum. Wirsind auch gegen Geldverschwendung. Wir können imHaushaltsausschuss noch nicht einmal so schnell zwin-kern, wie Sie die Mittel für Berlin freigeben, ohne eineinziges Mal zu hinterfragen, was mit diesem Geld pas-siert und wie wir das besser kontrollieren können. Ja, wirsind für den Erhalt der Infrastruktur, auch von Straßen.Aber wir sind auch gegen die Verschwendung von Geld.Beides gehört zusammen.
Sie reden über die Anerkennung der Lebensleistungund haben entsprechende Änderungen bei der Rente vor-genommen. Sie lassen das aber vorsichtshalber nur vonden Beitragszahlern und nicht von den Steuerzahlern fi-nanzieren. Ihnen geht es nicht um eine echte Solidarisie-rung, sondern nur um eine Teilsolidarisierung. WorüberSie aber nicht reden, ist die Armut in diesem Land. EineDiskussion über Kinderarmut oder alte Menschen, dienoch nicht einmal eine Rente beziehen können, findetbei Ihnen nicht mehr statt. Wir reden nicht nur über In-vestitionen, sondern auch über Reformen. Wir Grünesind für eine Garantierente, weil wir heute schon dieProbleme der Zukunft erkennen und heute der besteZeitpunkt ist, darauf zu reagieren.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 52. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. September 2014 4823
Ekin Deligöz
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Bildung halten wir alle für wichtig. Die 6 plus 3 Mil-liarden Euro, die Sie da investieren, sind eine stolzeSumme. Die frühkindliche Bildung fällt dabei aber lei-der hinten herunter. Gestern musste die MinisterinSchwesig hier die doppelte Quadratur des Kreises hinzu-legen versuchen, um zu erklären, wie sie überhaupt aufdie vielbeschworene zusätzliche 1 Milliarde Eurokommt. Sie hat diese zusätzliche 1 Milliarde Euro ein-fach nicht; sie hat noch nicht einmal die Hälfte davonbekommen.Ihr Kollege hat hier gesagt, bei Ihnen zähle die beruf-liche Bildung genauso viel wie die Hochschulausbil-dung. Was machen Sie? Sie kürzen bei der beruflichenBildung. Ehrlichkeit gehört zu einer ehrlichen Haus-haltsplanung. Stehen Sie dazu: Sie sind an dieser Stellenicht ehrlich.
Ich glaube, dass wir zwar von einer Großen Koalitionreden können, aber nicht über einen großen Durchset-zungswillen. Sie machen die Politik des kleinsten ge-meinsamen Nenners. Nachdem ich jetzt die Vorrednerinund Vorredner der Koalition gehört habe, komme ich zudem Ergebnis, dass Ihnen nicht viel anderes übrig bleibt,als hier vorne Klamauk aufzuführen und die heute-showin den Vormittag zu verlagern; denn Ihnen fällt an dieserStelle einfach nichts Besseres ein.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, eines versprechenIhnen die Grünen definitiv: Wir machen Politik für öko-logische Nachhaltigkeit, für Generationengerechtigkeitund für die Zukunft. Das alles werden Sie an unserenVorschlägen wiedererkennen.
Danke, Frau Kollegin Deligöz. – Nächster Redner in
dieser Debatte ist Martin Gerster aus Biberach für die
SPD.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-gen! Ich denke, wir haben in dieser Woche eine intensiveBeratung hinter uns gebracht. Es war eine gute, ja, einesehr gute Woche hier im Plenum des Deutschen Bundes-tages – mit einer Ausnahme: Für die Opposition war eskeine gute Woche. Denn das, was wir, die Große Koali-tion aus CDU/CSU und SPD auf den Weg bringen, die-sen neuen Haushalt, kann sich wahrlich sehen lassen. Esist eine Erfolgsgeschichte; es ist historisch: Erstmals seitfast 50 Jahren liegt ein ausgeglichener Haushalt auf demTisch. Wir werden nun in die Beratungen darüber ein-steigen.Wie wichtig das ist, habe ich gestern gemerkt, als icheine Gruppe von 50 jungen Leuten aus meinem Wahl-kreis, aus Biberach und Umgebung, zu Besuch hatte, dieverschiedenen Jugendorganisationen angehören. Diesejungen Leute haben gestaunt und gesagt: Toll, dass ihrkeine weiteren Schulden mehr macht. – Das mag darangelegen haben, dass diese Gruppe aus Oberschwabenkam. Ich glaube aber, dass es bei der jungen Generationbundesweit gut ankommt, dass wir nicht zu ihren LastenPolitik machen, sondern ganz gezielt vorgehen, um un-sere Ziele zu erreichen.Natürlich haben wir das auch einer relativ günstigenWirtschaftsentwicklung, einer für den Bundeshaushaltguten Zinslage und den vielen fleißigen Menschen indiesem Land, die ehrlich ihre Steuern zahlen, zu verdan-ken. An dieser Stelle muss man einmal klar benennen,dass wir nur die Chance haben, einen ausgeglichenenHaushalt zu verabschieden, weil es so viele fleißigeLeute gibt, die bereit sind, ihren Beitrag für unsere Ge-sellschaft zu leisten.
Dazu gehört aber auch eine kluge Politik. Deswegen willich an dieser Stelle noch einmal sagen: Selbstverständ-lich ist ein solcher Haushalt nicht. Bei den Beratungenüber die einzelnen Etats merken wir schon, dass nichtalle Wünsche erfüllbar sind, dass zur schwarzen Nullhier und da ein dünner Rotstift gehört. Trotzdem glaubeich, dass die Opposition diese Woche und auch insge-samt einen recht schweren Stand hat. Da wird hier undda genölt und gemeckert. Gleichzeitig sagt man aber: Jaklar, auch wir wollen einen ausgeglichenen Haushalt.Konkrete Veränderungen haben wir nicht wahrnehmenkönnen. – Das war insgesamt alles.
Ich jedenfalls bin gespannt darauf, was in den Beratun-gen im Haushaltsausschuss an Änderungsanträgen ein-gehen wird. Darüber werden wir dann in den Beratungensprechen. Aber ich glaube nicht, dass das, was uns dieOpposition letztendlich vorlegen wird, substanziell an-ders sein wird.Ich denke, wir tun viel Gutes. Es ist doch nicht so,wie es jetzt von einigen an die Wand gemalt wird, dasswir alles kaputtsparen würden. Nein, im Gegenteil: Wirhaben, wenn man die ersten Monate der Großen Koali-tion Revue passieren lässt, viel Gutes getan, auch für densozialen Zusammenhalt in unserer Gesellschaft. Ichdenke an die Einführung des flächendeckenden gesetzli-chen Mindestlohns, an die Rente mit 63 oder die Miet-preisbremse. Wir haben im Haushalt – um es ganzkonkret zu sagen – die Mittel für das Zentrale Innova-tionsprogramm Mittelstand um 30 Millionen Euro auf-gestockt; darüber redet die Opposition natürlich nicht.Aus dem Bereich „Familie, Senioren, Frauen und Ju-gend“ will ich das Thema Mehrgenerationenhäuser nen-nen. Hier ein herzliches Dankeschön an die MinisterinManuela Schwesig dafür,
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Martin Gerster
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dass die 450 Mehrgenerationenhäuser in Deutschlandweiter finanziert werden. In meinem Wahlkreis in Bibe-rach an der Riß habe ich feststellen können, dass in die-sen Häusern hervorragende Arbeit gemacht wird. Siesind ein Dreh- und Angelpunkt im Stadtteil. Es wird In-tegration befördert. Das ist der soziale Kitt. Das ist einerichtig gute Sache. Ich bin froh, dass es gelungen ist, die-ses Programm fortzuschreiben. Danke dafür an die bei-den Haushälter Uli Gottschalck und Alois Rainer. Das istein Beispiel, an dem wir zeigen können, dass die GroßeKoalition gut zusammenarbeitet zum Wohle vieler Pro-jekte in Deutschland, insbesondere im sozialen Bereich.
Ich will gerne konkret auf den Haushalt des Innerneingehen, für den ich als Berichterstatter zuständig bin,und ein paar Beispiele nennen, die zeigen, dass dieGroße Koalition einfach gut unterwegs ist. Wir stehenim Bereich des Innenministeriums vor großen Heraus-forderungen. Es gibt zum Beispiel eine große Zahl vonMenschen, die einen Integrationskurs belegen wollen;das ist doch eine sehr positive Entwicklung.
Ich finde es gut, dass sofort nachgesteuert wird und imHaushalt 244 Millionen Euro zur Verfügung stehen, da-mit auch im nächsten Jahr die vielen Interessenten einenIntegrationskurs besuchen können. Ich finde, das ist einegute Sache; das wäre doch einmal ein Lob wert. Bei derBeratung zu diesem Einzelplan wurde das sogar nochkritisiert, weil der Kollege Volker Beck den Haushalts-plan nicht richtig lesen kann.
Das muss einmal erwähnt und entsprechend gewürdigtwerden.Ich nenne ein weiteres Beispiel. Uns stellt sich im Be-reich des Einzelplans 06 die große Herausforderung,dass man in diesem Jahr mit einer sehr hohen Zahl anErstanträgen auf Asyl rechnet; sie werden die Marke von200 000 wahrscheinlich überschreiten. Ich finde es vonder Bundesregierung klug und sehr vorausschauend, fürdas Bundesamt für Migration und Flüchtlinge wiederentsprechend mehr Stellen einzuplanen. Im letzten Haus-halt haben wir 300 Stellen zusätzlich auf den Weg ge-bracht; jetzt stehen noch einmal 50 drin. Ich meine, wirmüssten darüber beraten, ob wir über die Zahl von50 Stellen noch etwas hinausgehen können. Denn ich binschon der Meinung, dass wir es hinbekommen müssen,dass jeder einzelne Antrag individuell geprüft wird, dassaber die Menschen, die den Antrag stellen, nicht bis zueinem Jahr warten müssen, bis sie die Entscheidung mit-geteilt bekommen. Wir wollen – das haben wir im Koali-tionsvertrag entsprechend verankert – die Bearbeitungs-zeit auf drei Monate drücken. Deshalb steuern wir jetztbei der Stellenausstattung für das Bundesamt für Migra-tion und Flüchtlinge entsprechend nach.So setzt sich das fort bis in den Bereich des Sports, indem wir letztendlich auch wieder einen Mittelaufwuchshaben. Zum Beispiel wird die Nationale Anti DopingAgentur entsprechend finanziell ausgestattet. So kannman den ganzen Haushalt durchdeklinieren.Ich bin auf die Änderungsanträge von Bündnis 90/DieGrünen und von den Linken gespannt. So viel Spielraumwird da nicht sein.
Ich glaube, wir sind insgesamt gut unterwegs. Die GroßeKoalition arbeitet gut. Der vorgelegte Haushalt ist prima.Es war eine sehr gute Woche für SPD und Union undeine schlechte Woche für die Opposition. Das spiegeltsich in den Medien entsprechend wider. Mit diesen Ein-drücken können wir alle ins Wochenende gehen.Herzlichen Dank.
Vielen Dank, Herr Kollege. – Nächster Redner in der
Debatte ist Carsten Körber für die CDU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrtenDamen und Herren! In den vergangenen Wochen undMonaten hat sich die politische Weltkarte rasant verän-dert. Wir erleben heute neue dramatische Konflikte. Dasführt auch bei uns in Deutschland zu Verunsicherung.Bislang sind wir im eigenen Land durch diese Krisen mitall ihrer brutalen Gewalt nur mittelbar und indirekt be-troffen. Wir sind eines der sichersten Länder der Welt.Sicherheit entzieht sich aber einer objektiven Bewer-tung. Sie ist immer auch Vertrauenssache. In wirtschaft-licher Hinsicht ist Vertrauen die Voraussetzung für In-vestitionen und Wachstum. Es geht um Vertrauen inunsere Gesellschaft, Vertrauen in unseren Staat und Ver-trauen in unsere Werte. Als größte Volkswirtschaft Euro-pas tragen wir hier eine ganz besondere Verantwortung.Wir müssen dieses Vertrauen nicht nur erhalten. Nein,wir müssen es stärken und weiter fördern.Diese Prämisse muss sich auch in unserer Haushalts-politik niederschlagen, und ich sage Ihnen: Das tut sie.Wir legen einen ausgeglichenen Haushalt vor, den erstenseit 45 Jahren. Das ist eine historische Zäsur. Dieschwarze Null aber ist kein Selbstzweck, sondern Vo-raussetzung für Vertrauen. Unsere stabilitätsorientiertePolitik ist der richtige Weg für Deutschland. Sie ist derrichtige Weg für Europa.
Die Fakten strafen all jene Lügen, die fordern, Investitio-nen über zusätzliche Schulden zu finanzieren.Vor wenigen Tagen war ich mit einer Delegation derIHK in China. Dort schaut man voller Optimismus in dieZukunft, und dort schaut man auch auf Deutschland. Wir
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 52. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. September 2014 4825
Carsten Körber
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sind Vorbild. Ich will, dass das auch so bleibt. Aber wirhaben keine Rohstoffe. Wir haben eine alternde Gesell-schaft, und wir haben eine Gesellschaft, die schrumpft.Wie also können wir diesen Vorsprung halten? Wachs-tum durch Innovation, das muss unser Weg bleiben –heute, morgen und auch in Zukunft. Unser aller Wohl-stand hängt davon ab. Deshalb brauchen wir auch in un-serer Haushaltspolitik einen starken Fokus auf Investi-tionen. Die Welt wartet nicht auf uns. Sie ändert sichrasant. Das habe ich in China gesehen. Wir haben keineZeit, uns auszuruhen. Wir haben auch keine Zeit, uns aufdie Schultern zu klopfen.Investitionen in die Schlüsselbereiche Bildung, Wis-senschaft, Forschung, Entwicklung und Verkehrsinfra-struktur sind entscheidend für die Wettbewerbsfähigkeitunserer Volkswirtschaft. Wollen wir morgen noch mit ander Spitze stehen, so müssen wir in unsere Infrastrukturinvestieren und sie nicht nur in Schuss halten, sondernauch stetig ausbauen und modernisieren. Hier darf derStatus quo kein Maßstab sein, nicht heute, nicht morgenund auch nicht in Zukunft. Das weiß unsere Kanzlerin,das weiß unser Finanzminister, und das weiß auch dieRegierung. Deshalb hat sie einen soliden Etatentwurfvorgelegt.
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Grundsolide!)– Einen grundsoliden. Vielen Dank für den Hinweis. –Wir stärken die Infrastruktur, wir stärken Investitionen inForschung und Entwicklung, wir stärken Bildung. Wirtun dies, weil dies richtig und wichtig ist. Wir erhöhendie Mittelansätze dort, wo es den natürlichen Ressourcenin unserem Land, dem Wissen und den Fähigkeiten derMenschen, am meisten nützt.
Gerade als noch einigermaßen junger Haushälter sageich: Wir dürfen diesen Weg nicht verlassen. Im Gegen-teil: Wir müssen ihn noch energischer und mit noch grö-ßerer Bestimmtheit weitergehen, heute, morgen undauch in Zukunft.
Je solider und vernünftiger unsere Haushaltspolitik,desto mehr Sicherheit und Vertrauen schaffen wir inner-halb der Europäischen Union.Viele Nationen der Welt nehmen sich an uns ein Bei-spiel. Unser Wirtschaftssystem, vor allem aber auch un-sere offene, freiheitliche Gesellschaft, unser Lebensmo-dell entfalten weltweit eine ungeheure Anziehungskraft.Doch es gibt auch andere, rückwärtsgewandte Kräfte:25 Jahre nach dem Ende des Kalten Krieges müssen wirwieder erleben, dass die Welt leider doch nicht so fried-lich ist, wie wir es in Europa seit dem Fall der Mauerlange glauben wollten. Fukuyamas These vom Ende derGeschichte ist falsch. Der Totalitarismus ist nicht amEnde. Nein, ein Blick auf die Weltkarte lehrt uns, dassdieser sich wieder auszubreiten beginnt – wenn, ja, wennman ihm nicht entschlossen entgegentritt.Unser Fraktionsvorsitzender Volker Kauder zitiertgerne den großen Sozialdemokraten Kurt Schumacher,wenn er sagt: Politik beginnt mit dem Betrachten derWirklichkeit. – Tun wir das, so müssen wir eben feststel-len, dass es auf der Welt Menschen gibt, die von Terror,Unterdrückung und Unfreiheit bedroht sind. Sie müssenum Leib und Leben fürchten, nur weil sie frei und unab-hängig sein wollen, so wie wir, oder weil sie einfach ihreWerte und ihren Glauben leben wollen, so wie wir. Wirmüssen zusammen mit unseren europäischen und inter-nationalen Partnern Antworten auf die Herausforderun-gen unserer Zeit finden. Einen Schritt in diese Richtunghaben wir im Deutschen Bundestag vergangene Wochegetan.Freiheit ist niemals kostenlos; sie hat ihren Preis. Ichhabe die Sorge, dass dieser Preis aktuell wieder steigt.Wir müssen uns in unserer Politik, auch in unserer Haus-haltspolitik, fragen, wie wir auf diese Herausforderun-gen reagieren wollen.Vielen Dank.
Vielen Dank, Herr Kollege Körber. – Nächste Redne-
rin in der Debatte: Doris Barnett.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Zu guter Letzt ist er eingebracht, der erste Haushalt ohneNeuverschuldung, zum ersten Mal seit 1969. Dabei hät-ten wir es ganz bestimmt schon in der letzten GroßenKoalition geschafft, wenn uns nicht die Lehman-Pleitedazwischengekommen wäre.Die daraus erwachsene Finanzkrise, die auch Europaganz schön erschüttert hat und unter der viele EU-Län-der heute noch leiden, hat uns aber gezeigt, dass einegute Vernetzung auch das Gegenteil von „gut“ sein kann:Weil unsere Volkswirtschaften so gut miteinander ver-woben sind, gab es diesen Dominoeffekt. Aber wir ha-ben daraus auch Konsequenzen gezogen, nämlich dassdie Banken nicht nur relevant sind, sondern auch mithaf-ten sollen. Die Finanztransaktionsteuer wäre ein proba-tes Mittel, um aus der computergesteuerten Raffgier undWettleidenschaft etwas Positives zu ziehen. Ich fürchteaber, dass wir darauf leider noch etwas warten müssen.
Zurück zur schwarzen Null im Haushalt 2015. Keineneuen Schulden – darüber sollten wir uns eigentlichfreuen, wurde doch in allen Jahren vorher in den Haus-haltsdebatten das Schuldenmachen, die Belastung dernächsten Generationen, gegeißelt. Jetzt machen wir ei-nen Haushalt ohne Schulden, und wieder ist es nichtrecht. Jetzt heißt es: Dass wir keine Schulden machen, istschlecht für die nachfolgenden Generationen. – Ja, was
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4826 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 52. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. September 2014
Doris Barnett
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soll es denn jetzt, bitte schön, sein: Schuldenmachenoder Kaputtsparen?Ich weiß sehr wohl, dass man mit viel mehr Geld auchviel mehr machen kann,
zum Beispiel ein paar Ortsumgehungen mehr außerhalbBayerns bauen.
Aber da unser Finanzminister nicht die Goldmarie ist,sollten wir unsere Wünsche genau prüfen. Schließlichgibt es Begehrlichkeiten und Notwendigkeiten, und umLetztere sollten wir uns kümmern.Angesichts der Krisen und menschlichen Katastro-phen in der Welt ist es notwendig, dass wir uns schon indiesem Jahr um mehr Geld für humanitäre Hilfe bemü-hen. Erst recht gilt das für den viel zu gering ausgefalle-nen Haushaltsansatz für 2015, den uns das Finanzminis-terium vorgegeben hat. Hier kann unser Außenministersicher sein, dass er die Unterstützung des ganzen Hauseshat. Ich bin der Meinung, dass die Regierung insgesamtweiß, dass hier mehr Geld zur Verfügung gestellt werdenmuss.Es ist dringend angezeigt, dass wir mehr Geld in diegesamte Infrastruktur stecken, haben wir doch einen er-heblichen Investitionsstau. Nicht nur die Autobahnenund Bundesstraßen gleichen streckenweise eher „Mogel-pisten“, sondern auch die kommunalen Straßen haben ei-nen hohen Sanierungsbedarf. In meiner HeimatstadtLudwigshafen ist die Hochstraße, die an die A 650 an-schließt, dringend sanierungsbedürftig. Knapp 300 Mil-lionen Euro kostet das, Stand heute. Baubeginn ist 2018,und es ist eine achtjährige Bauzeit vorgesehen. DieStadt, die die Baulast tragen muss, kann das gar nicht auseigener Kraft stemmen. Gott sei Dank hat das LandRheinland-Pfalz sich verpflichtet, 25 Prozent der Kostenzu tragen, und zwar unabhängig von der Höhe. Jetzt istes am Bund, sich zu verpflichten. Ich weiß aber auch,dass Ludwigshafen nicht die einzige Stadt am Rhein ist,die Hilfe für ihre Brücken vom Bund braucht.Da fragt sich der kühle Rechner – nicht nur dieschwäbische Hausfrau –, woher das Geld kommen soll.Klar, die Maut könnte Löcher stopfen helfen. Bevor wiraber das Pkw-Maut-Kind, das gerade geboren wurde,gleich mit dem Bade wieder ausschütten, sollten wir eswenigstens einmal richtig das Licht der Welt erblickenlassen. Entweder es geht an seinen Kinderkrankheitenein, was ja auch sein kann, oder es entwickelt sich dochvernünftig und gerecht. Der große Bruder, die Lkw-Maut, bringt da schon mehr mit auf die Waage. Das soll-ten wir nutzen.
Außerdem – das hat mein Fraktionsvorsitzenderschon vorgetragen – sollten wir in Sachen Verkehrsinfra-struktur wenigstens mal überlegen, die alten Trampel-pfade zu verlassen. Wir könnten ja einmal neue, kreativeWege finden, wie das reichlich vorhandene Geld in unse-rem Land statt höchst riskant höchst relevant angelegtwerden kann.
Zur Beruhigung der Gemüter will ich das wiederho-len, was Thomas Oppermann bereits gesagt hat: Auto-bahn und Schiene bleiben in öffentlicher Hand, und ÖPPkommt nur dann infrage, wenn dieser Weg eindeutig derwirtschaftlich bessere ist.
Damit meine ich nicht die privaten Billigheimer, die ihreArbeitnehmer so schlecht bezahlen, dass sie zum Sozial-amt gehen müssen.Deshalb wäre es praktisch, wenn auch der Bund aufTariftreue achten könnte, statt weiterhin als zweitesLohnbüro zu agieren. Klar, wir haben den Mindestlohn,aber Tariflöhne sind besser, und sie sind auch ein Signal.Schließlich sollen die jungen Menschen in der Schulewissen, dass sich Anstrengung lohnt, dass das eine guteInvestition in sie selbst, in ihre eigene Zukunft ist. Des-halb ist es gut, wenn es mehr Tarifverträge gibt, und esist richtig, dass wir dafür sorgen wollen, dass jeder miteinem Abschluss die Schule verlässt und nicht, wie bis-her, jedes Jahr 50 000 junge Menschen ohne Abschlussund somit ohne Perspektive von der Schule gehen. Wirwerden alle brauchen, Männer und Frauen ohne und mitMigrationshintergrund. Fachkräfte wachsen nun einmalnicht auf den Bäumen, und auch ArbeitsministerinNahles hat sie nicht auf Abruf im Schrank. Deshalb ist esnotwendig und richtig, den Ländern mehr Mittel für Bil-dung an die Hand zu geben. Deshalb trägt der Bundnächstes Jahr alleine die Kosten für das BAföG, das wirdarüber hinaus auch noch erhöhen.
Es ist auch wichtig, dass die Kommunen entlastetwerden. Das machen wir bei den Kosten der Grund-sicherung, den Kosten der Unterkunft und mit 1 Mil-liarde Euro im Vorgriff auf das Bundesteilhabegesetz;denn die Menschen wohnen nicht im Bund, sondern inStädten und Gemeinden. Dort wird für den Zusammen-halt gesorgt, für die Gemeinschaft, für das menschlicheMiteinander.In den Kommunen wird auch ehrenamtliches Engage-ment gelebt. Ich nenne hier ganz bewusst THW, Freiwil-lige Feuerwehren und Rettungsdienste.
Sie sind Teil des unverzichtbaren Zivil- und Katastro-phenschutzes, und das, wie gesagt, im Ehrenamt. Darumsollten wir alles tun, damit dieses Ehrenamt trotz Ab-schaffung oder Einstellung – wie auch immer man es sa-gen möchte – der Wehrpflicht nicht versiegt und derDienst attraktiv bleibt. Die Ausstattung, also der Fuhr-park, sollte keine Oldtimersammlung sein; denn dieMannschaften sollen ja Leben retten.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 52. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. September 2014 4827
Doris Barnett
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Deshalb gebe ich den Hinweis an das Finanz- und an dasInnenministerium, die zugesagten, vom Parlament be-schlossenen Mittel endlich freizugeben.
Preiswerter als durch diese Organisationen können wirMenschen und ihr Hab und Gut kaum schützen.All das und mehr wollen wir stemmen, ganz ohneneue Schulden. Das ist ein ehrgeiziges Ziel, aber wersich kein Ziel setzt, der strengt sich auch nicht an. Wirmüssen uns aber anstrengen; denn es geht schließlich umdie Menschen in unserem Land. Sie erwarten zu Recht,dass wir Politiker dafür sorgen, dass sie und auch ihreKinder sicher und gut leben können und ihre Kinder inihrer Zukunft auch noch etwas zum Gestalten haben.Das ist jetzt jede Mühe wert.Vielen Dank.
Vielen Dank, Doris Barnett. – Nächster Redner in der
Debatte: Dr. Hans Michelbach für die CDU/CSU-Frak-
tion.
Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Vor gutsechs Jahren, im Jahr des Ausbruchs der internationalenFinanz- und Wirtschaftskrise, schien das, was hier heutezur Beratung vorliegt, wie eine ferne Illusion: ein Haus-halt ohne neue Schulden, ohne Steuererhöhungen. Jetztist Wirklichkeit geworden, was die Union versprochenhat. Das ist ein Meilenstein, ein großer Erfolg für unserLand. Das sollten wir heute noch einmal betonen.
Dieser Haushalt 2015 ist vorbildlich, historisch undzukunftsorientiert. Er ist das Ergebnis von Konsolidie-rung, Wachstum und einer enormen Kraftanstrengungder Bürgerinnen und Bürger, der Arbeitgeber und derArbeitnehmer in unserem Land. Dank an unsere fleißi-gen Menschen, Dank an die Leistungsträger, Dank anunsere Steuerzahler!
Wir ernten die Früchte einer soliden Finanz- undHaushaltspolitik, die im Koalitionsvertrag vereinbartwurde. Wir halten gemeinsam Kurs. Wir haben auch ge-meinsam Kurs gehalten, als andere noch nach dem süßenGift von mehr Schulden riefen. Die Unbelehrbaren inder Opposition – das haben wir heute wieder gehört –tun es leider immer noch. Die Grünen haben die Neuver-schuldung in der Vergangenheit stets kritisiert.
Jetzt gibt es die Neuverschuldung nicht mehr. Promptfordern sie Mehrausgaben auf allen Ebenen.
Das ist unglaubwürdig und paradox. Straßenbau ist na-türlich keine Geldverschwendung. Merken Sie eigent-lich, dass Sie inzwischen nur noch die grüne Partei derWidersprüche sind? Sie sollten sich wirklich einmal da-rauf konzentrieren und einigen, in welche Richtung Siegehen wollen.
Es ist klar, dass wir auch Antworten geben, wie es inder Zukunft weitergehen muss. Die Aufgabe heißt jetzt,neues Wachstum in der Konsolidierung und neue Gestal-tungsfreiräume zu schaffen. Neues Wachstum in derKonsolidierung ist das Rezept. Diese Konzeption wirdjetzt verfolgt. Ich halte es für wichtig, dass wir Impulsesetzen. Wachstumsimpulse sind notwendig.Erstens. Wir brauchen Verlässlichkeit und eine Ver-trauensbasis für Investoren für eine erfolgreiche Investi-tionsoffensive. Ohne diese Vertrauensbasis geht es nicht.Zweitens. Die Erhaltung der Wettbewerbsfähigkeit.Die Grunddynamik der deutschen Wirtschaft darf nichtdurch neue Regulierungen und Belastungen geschwächtwerden. Volker Kauder hat zu Recht gesagt: Es soll nunmal gut sein. – Das ist genau das Richtige. Diese Bot-schaft brauchen die Investoren und braucht die deutscheWirtschaft in dieser Zeit.
Drittens. Neue Wertschöpfungsketten sind durch dieFörderung von Neugründungen, Wagniskapital sowie si-cherlich auch durch ein Freihandelsabkommen mit denUSA zu erreichen. Auch dieses wird zur Schaffungneuer Wertschöpfungsketten benötigt.Viertens. Die Erhaltung der Generationenbrücke fürBetriebe, Stichworte sind Erbschaftsteuer und Verfas-sungsklage. Wir müssen den Übergang im Betriebsver-mögen sichern, um auch hier Vertrauen zu schaffen unddas Einsetzen von Eigenkapital für Investitionen zu er-reichen.Fünftens. Natürlich keine Steuererhöhungen; Steuer-vereinfachung und Steuerbremse müssen auf der Agendableiben. Das erwarten die Menschen von uns. Natürlichbedarf es hierzu neuer Spielräume, neuer Freiräume. Esist richtig, wenn der bayerische Finanzminister in dernächsten Woche noch einmal einen Gesetzentwurf ausder Schublade holt, bei dem es letztlich um den Abbauder kalten Progression geht. Ich glaube schon, dass wirdiese Spielräume mit der Verfolgung unserer Konzeptionerreichen werden. Es ist ja jetzt bewiesen: NiedrigeSteuern bedeuten Steuermehreinnahmen. Das ist dochder Beweis, dass es eben zu Wachstum kommt, wenn
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4828 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 52. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. September 2014
Dr. h. c. Hans Michelbach
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man Anreize schafft, und damit auch zu Steuermehrein-nahmen.
Ich halte nichts davon – das ist ja auch nicht bestätigt –,im Rahmen der Länderfinanzausgleichsverhandlungengleichzeitig noch über eine Erhöhung der Einkommen-steuer und der Körperschaftsteuer zu sprechen. Wir wol-len keine Steuererhöhungen. Ich glaube, es ist wichtig,dass wir dies auch verdeutlichen.Sechstens. Die weitere Aufarbeitung der Finanzkrisemit stabilen Banken für ein stabiles Europa ist notwen-dig. Die europäische Staatsschuldenkrise fordert weitererhebliche Anstrengungen. Das alles ist noch nicht vor-bei. Mit Haushaltsdefiziten gibt es kein höheres Wachs-tum, und es bedarf Reformen und Ausgabendisziplin inganz Europa, meine Damen und Herren. Die EZB-Ret-tungsversprechen und Aufkäufe von Kreditverbriefun-gen dürften dazu führen, dass der Druck zu Reformen inEuropa nachlässt. Das wäre genau der falsche Weg, daswürde in Italien und in Frankreich nicht zu den notwen-digen Reformen führen.Die neueste Forderung der EZB nach Garantieüber-nahmen durch die Länder und damit durch die Steuer-zahler ist sicherlich kein Weg, den wir gutheißen, denwir unterstützen wollen. Wir wissen, die EZB ist unab-hängig. Wir müssen aber deutlich machen, dass wirgeldpolitische Maßnahmen verlangen und keine Staats-finanzierung. Es darf keine neue Sozialisierung der Risi-ken durch Finanztitel zur Staatsfinanzierung in Europageben, weil das ein Irrweg ist. Deutschland hat bewie-sen, dass es anders geht, dass es erfolgreicher geht unddass mit Konsolidierung Wachstum zu erreichen ist. Daskönnen wir mit diesem Haushalt ganz deutlich beweisen,meine Damen und Herren.
Zentraler Punkt für solides Wachstum bleibt die Re-gulierung des Finanzsektors, bleibt der Kampf gegen dieZocker im Finanzgewerbe. Man muss das so deutlich sa-gen; denn es gibt ja schon wieder viele, die zocken.Wir haben auf diesem Weg sicherlich vieles erreicht,40 Maßnahmen in den vergangenen Jahren. Wir müssenhier weiter vorangehen und jetzt zum ersten Mal dieBankenunion umsetzen. Künftig werden die europäi-schen Banken besser überwacht. Gefahren für dieFinanzstabilität werden frühzeitig erkannt. Das machtunser europäisches Finanzsystem sicherer. Selbst sys-temrelevante Banken können abgewickelt werden. Dasgehört zur Marktwirtschaft. Auch Banken müssen pleite-gehen können, ohne dass der Steuerzahler die Zechezahlt, meine Damen und Herren.Es gibt jetzt in der Bankenunion die Regelung, dasserst einmal die Eigentümer und die Gläubiger haften,wie sich das in einem marktwirtschaftlichen System ge-hört. Deswegen ist die Bankenunion ein richtiger Weg indie Zukunft. Deswegen müssen wir das in den nächstenWochen auch beschließen.
Das gilt gerade auch mit Blick auf den einheitlicheneuropäischen Abwicklungsfonds. Da ist es uns natürlichwichtig, dass das deutsche Drei-Säulen-Modell Berück-sichtigung findet, dass die deutschen Sparkassen, dieGenossenschaftsbanken nicht über Gebühr belastet wer-den. Denn sie finanzieren den Mittelstand. Es bedarf die-ser Unterstützung für den Mittelstand.Ich glaube, wir müssen natürlich insgesamt im Be-reich der Schattenbanken neue Regulierungen durchfüh-ren. Wir müssen den Schattenbankensektor auch trans-parent machen. Es kann nicht so sein, dass alles in dieHedgefonds fließt und dass Intransparenz die Systemegefährdet. Wir müssen Wettbewerbsverzerrungen zulas-ten der mittelständischen Wirtschaft wegnehmen. Dassind alles richtige Antworten –
Und wir müssen die Redezeit einhalten.
– zum Thema „Wachstum in der Konsolidierung“,
sehr geehrte Damen und Herren.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. Alles Gute!
Das wünsche ich Ihnen auch. Danke schön, Herr
Dr. Michelbach.
Letzte Rednerin in der Debatte ist Kerstin Radomski
für die CDU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir habenes geschafft: Wir machen keine neuen Schulden. Daraufsind wir als Koalition stolz; das haben wir – Herr Kahrshat es angedeutet – schon Anfang der Woche betont.Stolz sind, glaube ich, wir alle, auch die Opposition. Esist gut, wenn wir keine neuen Schulden machen; das be-deutet nämlich, dass wir unseren Kindern und Enkelkin-dern nicht länger die Handlungsspielräume beschneiden,sondern sie ein Stück von den Fesseln befreien, die wirihnen in der Vergangenheit durch immer mehr Schuldenauferlegt haben.
Nur auf dieser Grundlage werden kommende Generatio-nen überhaupt in der Lage sein, ihr Leben nach den eige-nen Vorstellungen zu gestalten. Insofern trifft zu, wasmein Fraktionskollege Norbert Barthle gesagt hat: Eshandelt sich um eine historische Zeitenwende.
Eine Politik ohne Schulden wirkt sich nicht erst inferner Zukunft aus. Wir haben in den vergangenen Jah-
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Kerstin Radomski
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ren überdeutlich erlebt, was es bedeutet, wenn Staatenaufgrund von Verschuldung in die Abhängigkeit derFinanzmärkte geraten: Ihnen wird dann auch jede Ge-staltungsmöglichkeit genommen. In diesem Zusammen-hang senden wir mit unserem ausgeglichenen Haushaltein wichtiges Signal nach Europa: Es ist möglich, ohneneue Schulden auszukommen.Schließlich ist es auch ein Gebot der Verantwortung,mit dem Geld, das die Bürgerinnen und Bürger erwirt-schaften, sorgfältig umzugehen. Politiker sind Treuhän-der der Steuergelder und als solche dazu verpflichtet, da-rauf zu achten, dass Gelder sinnvoll ausgegeben werden.
Während es lange Zeit als normal, fast schon unver-meidlich galt, dass der Staat sich immer weiter verschul-det, haben diese Bundesregierung und diese Koalition esgeschafft, die eigentliche Normalität wiederherzustellen,die Normalität, die wir unseren Kindern als verantwor-tungsvollen Umgang mit Geld beibringen, nämlich nichtmehr Geld auszugeben, als zur Verfügung steht.
Mit diesem Haushaltsentwurf nutzen wir vorhandeneVerschuldungsspielräume nicht aus und wahren gegen-über der rechtlich möglichen Verschuldung einen Sicher-heitsabstand. Mit unserer Haushaltspolitik übernimmtdie Koalition Verantwortung für nachfolgende Genera-tionen und für die Stabilität unseres Landes.
Wir verzichten nicht nur auf neue Schulden, wir inves-tieren auch.
– Wir investieren in Bildung und Forschung, HerrKindler. Der Etat des Bundesministeriums für Bildungund Forschung wird 2015 noch einmal um 1,3 Milliar-den Euro steigen. In der laufenden Legislatur stellen wirfür Bildung und Forschung insgesamt 9 Milliarden Eurozusätzlich zur Verfügung. Ab dem kommenden Jahrübernimmt der Bund – es ist mehrfach gesagt worden –die Finanzierung des BAföGs. Mit den Ländern ist ver-einbart – und wir hoffen, dass sich alle daran halten –,dass die freiwerdenden Mittel vollständig für Schulenund Hochschulen eingesetzt werden.
Die positiven Auswirkungen unserer Förderpolitik imBildungsbereich können wir auch in den Wahlkreisenganz konkret beobachten. In meinem Wahlkreis etwa er-hält die Hochschule Niederrhein bis 2018 voraussicht-lich 87 Millionen Euro zusätzlich und konnte bzw. kanndamit in den Jahren 2011 bis 2015 Studienplätze für4 350 Studierende schaffen. Das, meine Damen und Her-ren, ist ganz konkrete Unterstützung für Bildung vor Ortund für unser aller Zukunft.
– Herr Kahrs, das sind zum großen Teil Bundesmittel.Die Landesregierung gibt auch etwas dazu; aber der An-teil schwindet, könnte man sagen.
Vor zwei Wochen durfte ich gemeinsam mit Staatsse-kretär Rachel der Hochschule Niederrhein einen Förder-bescheid über 2 Millionen Euro übergeben für das Projekt„Wissenschaftliche Weiterbildung und Wissenstransferfür die Region“. Es soll deutlich werden, dass wir im Be-reich „Bildung/universitäre Ausbildung“ nicht nur diejungen Leute fördern wollen. Bei diesem Projekt geht esdarum, Berufstätige zu fördern und Menschen mit Fami-lienpflichten, die wieder in den Arbeitsmarkt einsteigenund sich auf den Stand der Zeit bringen wollen. Es sindProgramme, die die Innovationsfähigkeit unseres Landeserhalten.Um die Zukunft unseres Wirtschaftsstandortes zu si-chern, hat das Bundeskabinett zudem vor kurzem eineHightech-Strategie verabschiedet. Dafür stellen wir 14 Mil-liarden Euro zur Verfügung. Sie sehen: Im Bildungs- undForschungsetat geben wir Geld für – man könnte fast sa-gen – verschiedene Generationen aus. Es sind nicht nurdie Jungen, die davon profitieren, sondern alle Genera-tionen.
Ich kann unmöglich alle Maßnahmen und Projekte,die zukunftsweisend sind, in einer Rede darstellen. Ichbin nicht einmal in der Lage, alle Maßnahmen und Pro-jekte, die den Bildungsetat betreffen, zu erläutern. Abereines können Sie erkennen: Wir schauen mit Augenmaßdarauf, welche Maßnahmen für die Menschen in unse-rem Land richtig und zukunftsweisend sind und welcheMaßnahmen wir ohne neue Verschuldung umsetzen kön-nen.Gute Haushaltspolitik ist keine Selbstverständlichkeit.An dieser Stelle wird Johannes Kahrs sicherlich ganz inte-ressiert zuhören – ich nenne jetzt nur die Fakten –: Lan-desregierungen ohne CDU-Beteiligung fällt es manch-mal schwer, eine so gute Haushaltspolitik zu machen,wie wir es im Bund tun.
– Es geht weiter.Ich komme aus NRW; Sie haben das vorhin angespro-chen.
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4830 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 52. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. September 2014
Kerstin Radomski
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Dort hat der Finanzminister trotz steigender Steuerein-nahmen jüngst eine Haushaltssperre verhängen müssen.
Trotz massiver Verschuldung steigt der Forschungsetat– damit komme ich auf das ursprüngliche Thema zurück –nicht. Das, meine Damen und Herren, ist kein Ausdruckverantwortungsvoller Politik an dieser Stelle.
Kommen Sie bitte zum Ende?
Wir werden in den Haushaltsberatungen genau prü-
fen, wo wir Ausgaben reduzieren können und welche In-
vestitionen zum Wohle der Bürgerinnen und Bürger in
Deutschland und auch zum Wohle der nachfolgenden
Generationen sind.
Vielen Dank.
Vielen Dank, Frau Kollegin. – Ich schließe die Aus-
sprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 18/2000 und 18/2001 an den Haus-
haltsausschuss vorgeschlagen. Sind Sie damit einver-
standen? – Das ist der Fall. Dann sind die Überweisun-
gen so beschlossen.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tages-
ordnung und einer Mammuthaushaltswoche.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
destages auf Mittwoch, den 24. September 2014, 13 Uhr,
ein.
Die Sitzung ist geschlossen.
Kommen Sie gut nach Hause! Ein schönes Wochen-
ende und ein paar ruhige Stunden!