Protokoll:
14032

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 14

  • date_rangeSitzungsnummer: 32

  • date_rangeDatum: 15. April 1999

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 09:00 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 13:26 Uhr

  • account_circleMdBs dieser Rede
  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 14/32 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 32. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 15. April 1999 I n h a l t : Eintritt der Abgeordneten Gudrun Roos in den Deutschen Bundestag................................ 2619 A Nachträgliche Glückwünsche zum Geburts- tag der Abgeordneten Carl-Dieter Spran- ger, Dr. Martin Pfaff, Hans-Eberhard Ur- baniak ............................................................. 2619 B Tagesordnungspunkt 1: Eidesleistung des Bundesministers der Finanzen .................................................... 2619 B Präsident Wolfgang Thierse............................. 2619 C Hans Eichel, Bundesminister BMF............ 2619 D Dank an den ausgeschiedenen Bundesminister der Finanzen, Oskar Lafontaine .................... 2619 D Tagesordnungspunkt 2: Abgabe einer Regierungserklärung des Bundeskanzlers Aktuelle Lage im Kosovo ......................... 2620 A Gerhard Schröder, Bundeskanzler ................... 2620 A Dr. Wolfgang Schäuble CDU/CSU ................. 2623 D Dr. Peter Struck SPD ....................................... 2627 B Dr. Wolfgang Gerhardt F.D.P.......................... 2629 C Rezzo Schlauch BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 2632 C Dr. Gregor Gysi PDS....................................... 2634 D Joseph Fischer, Bundesminister AA.......2638 B, 2641 D Dr. Gregor Gysi PDS................................... 2641 B Dr. Edmund Stoiber, Ministerpräsident (Bay- ern)................................................................... 2642 B Rudolf Scharping, Bundesminister BMVg...... 2645 C Heidi Lippmann PDS................................... 2648 C Karl Lamers CDU/CSU................................... 2649 A Gernot Erler SPD............................................. 2650 D Annelie Buntenbach BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ........................................................ 2653 A Christian Schmidt (Fürth) CDU/CSU.............. 2654 A Dr. Eberhard Brecht SPD ................................ 2654 D Otto Schily, Bundesminister BMI ..........2656 B, 2658 D Hans-Peter Repnik CDU/CSU..................... 2658 B Nächste Sitzung ............................................... 2659 C Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten ........... 2661 A Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 32. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. April 1999 2619 (A) (C) (B) (D) 32. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 15. April 1999 Beginn: 9.00 Uhr
  • folderAnlagen
    Bundesminister Otto Schily Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 32. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. April 1999 2661 (A) (C) (B) (D) Anlage zum Stenographischen Bericht Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt biseinschließlich Beck (Köln), Volker BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 15.4.99 Behrendt, Wolfgang SPD 15.4.99 * Belle, Meinrad CDU/CSU 15.4.99 Bindig, Rudolf SPD 15.4.99 * Dr. Blüm, Norbert CDU/CSU 15.4.99 Bühler (Bruchsal), Klaus CDU/CSU 15.4.99 * Dzembritzki, Detlef SPD 15.4.99 Eichhorn, Maria CDU/CSU 15.4.99 Eppelmann, Rainer CDU/CSU 15.4.99 Eymer (Lübeck), Anke CDU/CSU 15.4.99 Frankenhauser, Herbert CDU/CSU 15.4.99 Haack (Extertal), Karl-Hermann SPD 15.4.99 Hasenfratz, Klaus SPD 15.4.99 Dr. Haussmann, Helmut F.D.P. 15.4.99 Hornung, Siegfried CDU/CSU 15.4.99 * Hübner, Carsten PDS 15.4.99 Ibrügger, Lothar SPD 15.4.99 Imhof, Barbara SPD 15.4.99 Irber, Brunhilde SPD 15.4.99 Jaffke, Susanne CDU/CSU 15.4.99 Jelpke, Ulla PDS 15.4.99 Dr. Jens, Uwe SPD 15.4.99 Dr.-Ing. Jork, Rainer CDU/CSU 15.4.99 von Klaeden, Eckart CDU/CSU 15.4.99 Kolbow, Walter SPD 15.4.99 Lehn, Waltraud SPD 15.4.99 Maaß (Wilhelmshaven), Erich CDU/CSU 15.4.99 Manzewski, Dirk SPD 15.4.99 Möllemann, Jürgen W. F.D.P. 15.4.99 Abgeordnete(r) entschuldigt biseinschließlich Müller (Berlin), Manfred PDS 15.4.99 Müller (Kirchheim), Elmar CDU/CSU 15.4.99 Neumann (Bramsche), Volker SPD 15.4.99 Nolte, Claudia CDU/CSU 15.4.99 Ostrowski, Christine PDS 15.4.99 Raidel, Hans CDU/CSU 15.4.99 Dr. Ruck, Christian CDU/CSU 15.4.99 Dr. Schäfer, Hansjörg SPD 15.4.99 Schenk, Christina PDS 15.4.99 Scherhag, Karl-Heinz CDU/CSU 15.4.99 Schloten, Dieter SPD 15.4.99 ** Schmidbauer, Bernd CDU/CSU 15.4.99 von Schmude, Michael CDU/CSU 15.4.99 Schnieber-Jastram, Birgit CDU/CSU 15.4.99 Schuhmann (Delitzsch), Richard SPD 15.4.99 Dr. Schwarz-Schilling, Christian CDU/CSU 15.4.99 Seiters, Rudolf CDU/CSU 15.4.99 Singhammer, Johannes CDU/CSU 15.4.99 Steen, Antje-Marie SPD 15.4.99 Steiger, Wolfgang CDU/CSU 15.4.99 Thiele, Carl-Ludwig F.D.P. 15.4.99 Vaatz, Arnold CDU/CSU 15.4.99 Wiefelspütz, Dieter SPD 15.4.99 Willner, Gert CDU/CSU 15.4.99 Wimmer (Neuss), Willy CDU/CSU 15.4.99 Wissmann, Matthias CDU/CSU 15.4.99 Wolf, Aribert CDU/CSU 15.4.99 Würzbach, Peter Kurt CDU/CSU 15.4.99 Zapf, Uta SPD 15.4.99 ——————* für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versamm-lung des Europarates** für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union 2662 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 32. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. April 1999 (A) (C) (B) (D) Druck: Bonner Universitäts-Buchdruckerei, 53113 Bonn 53003 Bonn, Telefon: 02 28/3 82 08 40, Telefax: 02 28/3 82 08 44 20
Gesamtes Protokol
Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1403200000
Guten Morgen, liebe
Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet.

Die heutige Sitzung habe ich auf Grund eines Antra-
ges der Fraktion der SPD und im Einvernehmen mit den
übrigen Fraktionen gemäß Art. 39 Abs. 3 Satz 3 des
Grundgesetzes in Verbindung mit § 21 Abs. 2 der
Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages einbe-
rufen.

Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, gebe ich
bekannt, daß nach der Mandatsniederlegung des frühe-
ren Kollegen Oskar Lafontaine, die am 16. März er-
folgte, die Abgeordnete Gudrun Roos als Nachfolgerin
am 29. März die Mitgliedschaft im Deutschen Bundes-
tag erworben hat. Ich begrüße die neue Kollegin sehr
herzlich.


(Beifall)

Sodann möchte ich einigen Kollegen, die in den zu-

rückliegenden Tagen einen runden Geburtstag feiern
konnten, gratulieren. Ihren 60. Geburtstag feierten der
Kollege Carl-Dieter Spranger am 28. März und der
Kollege Dr. Martin Pfaff am 31. März. Seinen 70. Ge-
burtstag konnte der Kollege Hans-Eberhard Urbaniak
am 9. April begehen. Ich spreche den Kollegen im Na-
men des Hauses nachträglich die besten Glückwünsche
aus.


(Beifall)

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf:

Eidesleistung des Bundesministers der Finanzen
Der Herr Bundespräsident hat mir mit Schreiben vom

18. März 1999 folgendes mitgeteilt:
Gemäß Artikel 64 Absatz 1 des Grundgesetzes für
die Bundesrepublik Deutschland habe ich heute auf
Vorschlag des Herrn Bundeskanzlers den Bundes-
minister der Finanzen, Oskar Lafontaine, aus sei-
nem Amt als Bundesminister entlassen.

Weiterhin hat mir der Herr Bundespräsident mit
Schreiben vom 12. April 1999 mitgeteilt:

Gemäß Artikel 64 Abs. 1 des Grundgesetzes für
die Bundesrepublik Deutschland habe ich heute

auf Vorschlag des Herrn Bundeskanzlers Herrn
Hans Eichel zum Bundesminister der Finanzen er-
nannt.

Nach Art. 64 Abs. 2 des Grundgesetzes leistet ein
Bundesminister bei der Amtsübernahme den in Art. 56
vorgesehenen Eid. Herr Bundesminister Hans Eichel,
ich darf Sie zur Eidesleistung zu mir bitten.


(Die Abgeordneten erheben sich)

Herr Bundesminister, ich bitte Sie, den Eid zu spre-

chen.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1403200100
Ich
schwöre, daß ich meine Kraft dem Wohle des deutschen
Volkes widmen, seinen Nutzen mehren, Schaden von
ihm wenden, das Grundgesetz und die Gesetze des Bun-
des wahren und verteidigen, meine Pflichten gewissen-
haft erfüllen und Gerechtigkeit gegen jedermann üben
werde. So wahr mir Gott helfe.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der F.D.P. und der PDS)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1403200200
Meine Damen und
Herren, Herr Bundesminister Hans Eichel hat den vom
Grundgesetz vorgeschriebenen Eid geleistet. Ich darf Ih-
nen im Namen des Hauses für Ihr Amt die besten Wün-
sche aussprechen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der F.D.P. und der PDS)


Zugleich danke ich dem ausgeschiedenen Bundes-
minister Oskar Lafontaine für seine Tätigkeit als
Mitglied der Bundesregierung und als Mitglied des
Hauses. Für seine weitere Zukunft wünsche ich ihm al-
les Gute.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU, der F.D.P. und der PDS)







(B)



(A) (C)



(D)


Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 2 auf:
Abgabe einer Regierungserklärung des Bundes-
kanzlers
Aktuelle Lage im Kosovo

Es liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion der
PDS vor.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache im Anschluß an die Regierungserklä-
rung drei Stunden vorgesehen. – Ich höre keinen Wider-
spruch. Dann ist so beschlossen.

Das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung hat
der Herr Bundeskanzler, Gerhard Schröder.


Gerhard Schröder (SPD):
Rede ID: ID1403200300
Herr Präsident!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Auf dem in-
formellen Treffen des Europäischen Rates gestern in
Brüssel, an der auf meine Initiative auch der Generalse-
kretär der Vereinten Nationen, Kofi Annan, teilnahm,
haben die Staats- und Regierungschefs der EU ihre Ent-
schlossenheit bekräftigt, das Morden und die Deporta-
tionen im Kosovo nicht hinzunehmen. Sie haben eben-
falls deutlich gemacht, daß hierzu der Einsatz militäri-
scher Mittel nach wie vor notwendig und moralisch und
politisch auch gerechtfertigt ist. Das Besondere liegt nun
darin, daß im Europäischen Rat ja nicht nur die Staats-
und Regierungschefs jener Mitgliedsländer der EU ver-
treten sind, die zugleich Mitglieder der NATO sind,
sondern auch jener, die als neutrale Länder diese Positi-
on unterstützt haben. Das macht einmal mehr deutlich,
wie sehr in dieser entscheidenden, wichtigen Frage die
westliche Staatengemeinschaft ohne Ausnahme zusam-
mensteht, weil der Anlaß für dieses Zusammenstehen
die Werte und die Grundorientierungen der Europäer,
des europäischen Zivilisationsmodells berührt. Wir wa-
ren uns auf diesem informellen Rat einig darüber, wie
wir gemeinsam mit unseren Partnern zu einer politischen
Lösung kommen können, wenn – das ist dick zu unter-
streichen – die Voraussetzungen dafür geschaffen wer-
den. Ich werde auf das Ergebnis dieses Treffens im ein-
zelnen später noch zurückkommen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, immer
noch und immer wieder hören wir die Frage, warum die-
ser militärische Einsatz sein mußte. Wir hören diese
Frage nicht zuletzt deshalb, weil noch keine Bundesre-
gierung vor diese schwere Entscheidung gestellt worden
ist, deutsche Soldaten – mit allem, was damit an Gefähr-
dungen für unsere Soldaten verbunden ist – zu einem
militärischen Kampfeinsatz gemeinsam mit unseren
Partnern innerhalb der NATO zu entsenden. Mir liegt
daran, auch hier vor dem Hohen Hause noch einmal zu
erläutern, warum wir letztlich um diesen schweren
Schritt, um diese grundlegende Entscheidung, die sich
wirklich niemand in der Bundesregierung und sicher
auch hier im Hohen Hause leichtgemacht hat, nicht her-
umgekommen sind und warum wir uns zu diesem
Schritt haben entschließen müssen. Der gelegentlich ge-
äußerte Einwand, daß man zuwenig auf die Möglich-
keiten der Diplomatie und zu schnell und zu stark auf
die Möglichkeiten des Militärs gesetzt habe, geht fehl.

In den Wochen und Monaten vor Beginn der Luft-
schläge hat die internationale Gemeinschaft nichts un-
versucht gelassen, um eine politische Lösung des Kon-
fliktes zu erreichen. Demjenigen, der versucht, in direk-
ten Gesprächen oder durch welche Instrumente auch
immer, eine Lösung zu erreichen, sei gesagt: Milosevic
ist es gewesen, der jegliche Lösung, die möglich gewe-
sen wäre, verhindert hat – und zwar deshalb verhindert
hat, weil dieser verbrecherische Präsident sein eigenes
Volk, die albanische Bevölkerungsmehrheit im Kosovo
und die Staatengemeinschaft, die nun wirklich bereit
war, auch mit ihm zu verhandeln und eine politische Lö-
sung des Konfliktes zu suchen, ein ums andere Mal
hintergangen, ja betrogen hat. Das ist die traurige Wahr-
heit, mit der man sich auseinanderzusetzen hat.

Monatelang haben der EU-Sonderbeauftragte Petritsch
und sein amerikanischer Kollege Hill, dann auch ge-
meinsam mit dem russischen Unterhändler Majorski, mit
den Konfliktparteien Gespräche geführt und dabei den
Boden für ein wirklich faires Abkommen bereitet.

In Rambouillet ist mehrere Wochen lang hartnäckig
verhandelt worden. Das dort vorgelegte Abkommen
sollte die Menschenrechte der albanischen Bevölke-
rungsmehrheit im Kosovo, aber auch – das gilt es zu
unterstreichen – die territoriale Integrität Jugoslawiens
gewährleisten. Diesem Abkommen hätten beide Parteien
– nicht zuletzt wegen der zuletzt genannten Passage –
zustimmen können und nach meiner festen Überzeugung
auch zustimmen müssen.

Wir haben eine weitere Frist von zwei Wochen einge-
räumt, um die Bedenken der Konfliktparteien zu zer-
streuen. Nach Ablauf dieser Frist haben wir uns erneut
in Paris zu Verhandlungen getroffen. Die Kosovo-
Albaner – das ist ein Stück Zeitgeschichte – haben dem
Abkommen schließlich zugestimmt.

Der Bundesaußenminister als EU-Ratspräsident, der
russische Außenminister Iwanow, der OSZE-Vorsit-
zende Vollebaek und schließlich Richard Holbrooke als
Sondergesandter der Vereinigten Staaten haben Milose-
vic bis zuletzt in Belgrad zur Annahme des Abkommens
gedrängt. Die Belgrader Führung aber hat alle, wirklich
alle politischen Vermittlungsversuche scheitern lassen.
Während sie vorgab, über den Frieden zu verhandeln,
hat sie jene Mord- und Vertreibungskampagne fortge-
setzt, die sie in den vergangenen Wochen systematisch
verschärft hat.

Die jugoslawische Regierung hat von Anfang an an
den Feldzug der ethnischen Säuberung geglaubt und
ihn geplant, einen Feldzug, dessen Zeuge wir heute sind.
Das, meine Damen und Herren, kostete bis jetzt Tausen-
de von Menschen im Kosovo das Leben.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wie alle
Deutschen sind wir hier im Deutschen Bundestag, bin
ich über die täglichen Bilder vom Flüchtlingselend er-
schüttert. Wir haben die Bilder von gesprengten Häusern
gesehen, und deportierte Augenzeugen haben uns
Schreckliches berichtet. Wer vor diesem Hintergrund
Ursache und Wirkung verwechselt und meint, er müßte
der NATO, der westlichen Staatengemeinschaft, vorwer-

Präsident Wolfgang Thierse






(A) (C)



(B) (D)


fen, sie habe zu dem Elend beigetragen, der begeht einen
schrecklichen Irrtum oder eine bewußte Verleumdung.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der F.D.P.)


Dies alles ist das Werk jugoslawischer Militär- und
Polizeikräfte. Gleichgültig, wen man trifft oder in wel-
chen Interviews man versucht, es zu bestreiten, es ändert
nichts an den Tatsachen: Vertreibung und Mord waren
längst im Gange, als die NATO ihre Militäraktion be-
gann, und sie hat sie nur begonnen, um der Deportation,
der Vertreibung ein Ende setzen zu können.


(Widerspruch bei der PDS)

– Sie müssen aufpassen, daß Sie sich nicht langsam den
Vorwurf einhandeln, von der fünften Kolonne Moskaus
zur fünften Kolonne Belgrads zu werden.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der F.D.P. sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Theodor Waigel [CDU/CSU]: Das gilt auch in Mecklenburg!)


Ich sage hier ohne Wenn und Aber: Diesem Verbre-
chen zuzusehen wäre zynisch und verantwortungslos
gewesen. Die NATO mußte auf die Eskalation der Ge-
walt reagieren. Wir wissen seit Kroatien, Bosnien und
Herzegowina mit über 200 000 Kriegsopfern, daß sich
Europa mit Zuwarten erneut schuldig gemacht hätte.

Die NATO ist eine Wertegemeinschaft. Gemeinsam
mit unseren Partnern kämpfen wir im Kosovo für unsere
Werte: für Menschenrechte, für Freiheit und für Demo-
kratie. Bei unserem Engagement geht es auch darum,
wie das Europa des nächsten Jahrhunderts aussehen soll.
Wollen wir Europäer es nach den Erfahrungen mit zwei
schrecklichen Weltkriegen in diesem Jahrhundert wirk-
lich zulassen, daß Diktatoren unbehelligt mitten in Eu-
ropa wüten können?

Die Bundesregierung hat klare Vorstellungen, die sie
gemeinsam mit ihren Partnern verfolgt. Wir wollen die
humanitäre Katastrophe und die schweren und systema-
tischen Menschenrechtsverletzungen möglichst schnell
beenden. Wir wollen eine friedliche politische Lösung
für den Kosovo erreichen.

Klar bleibt dabei: Die Bundesregierung wird auch
weiterhin mit ihren Partnern in der NATO und in der EU
fest zusammenstehen und Gewalt gegen unschuldige
Menschen nicht hinnehmen. Es ist uns klar, daß wir da-
bei nicht allein auf militärische Lösungen setzen dürfen;
das wollen wir auch nicht. Es ist uns klar, daß wir mit
unseren Bemühungen um eine politische Lösung des
Konfliktes nicht nachlassen dürfen.

Genauso klar ist jedem von uns – Gott sei Dank be-
steht darüber in diesem Hohen Hause auch kein Streit –:
Bei einer solchen Lösung sollte Rußland eine wichtige
Rolle spielen.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der F.D.P.)


Die Bundesregierung steht in engem Kontakt mit der
russischen Führung. Wir sind auch gern bereit, mit dem

neuernannten russischen Jugoslawien-Beauftragten
Tschernomyrdin sehr bald zusammenzutreffen und mit
ihm zusammen auszuloten, was unter Beteiligung Ruß-
lands geht und was nicht. Ich setze darauf, daß sich
Moskau noch stärker in die internationalen Bemühungen
um eine friedliche Lösung einschaltet. Dies gilt gerade
auch für den Beitrag Moskaus im Rahmen der Vereinten
Nationen, also für die Initiative, die der Generalsekretär
der UN ergriffen hat. Wir sind uns gewiß alle einig: Die
Krise auf dem Balkan darf die guten Beziehungen zwi-
schen Europa und Rußland und zwischen Deutschland
und Rußland nicht, aber auch wirklich nicht beeinträch-
tigen.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der F.D.P.)


Rußland ist ein wichtiger Faktor der Stabilität und der
Sicherheit auf unserem Kontinent. Wir wollen deshalb
auch den von der russischen Führung eingeschlagenen
Reformweg nach Kräften weiter unterstützen.

In diesem Zusammenhang ist in diesem Hohen Hause
auch klarzustellen: Eine Politik, wie ich sie gekenn-
zeichnet habe, funktioniert nur auf der Basis der festen
Einbindung in die westliche Staatengemeinschaft, in die
NATO.

Es bleibt unser Ziel, so schnell wie möglich die Vor-
aussetzungen dafür zu schaffen, daß die Flüchtlinge und
Vertriebenen sicher in ihre Heimat zurückkehren kön-
nen. Solange dies noch nicht der Fall ist, sollten die
Menschen vorrangig in der Region versorgt werden. Das
ist aus humanen Erwägungen gerechtfertigt und aus
politischen Gründen notwendig; denn Milosevic darf
nicht der Triumph gegönnt werden, seine Politik der
ethnischen Säuberungen auf indirektem Wege zu reali-
sieren.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der F.D.P.)


Das ist aber auch deshalb wichtig, weil die Menschen
dort kulturell eingebunden sind, dort im wahrsten Sinne
des Wortes ihre Heimat haben und ihre Heimat behalten
wollen. Jede andere Politik würde uns zum faktischen
Erfüllungsgehilfen der Belgrader Vertreibungspolitik
machen.

Albanien und Mazedonien, zwei kleine und wahr-
lich arme Länder, tragen derzeit die überwiegenden Fol-
gen der skrupellosen Politik Milosevics. Auch das
scheint Teil seines Planes zu sein: die Destabilisierung
dieser beiden Länder, ja die Destabilisierung der ge-
samten Region. Wir können die Anrainerstaaten mit
dem Problem nicht allein lassen. Eine solidarische An-
strengung der internationalen Gemeinschaft gegenüber
diesen Ländern ist unabdingbar. Auch dies war Gegen-
stand der gestrigen Beratungen in Brüssel und wird er-
neut Gegenstand der Beratungen im Rat der Innenmi-
nister und im Allgemeinen Rat, also im Rat der Außen-
minister, sein.

Gestatten Sie mir in diesem Zusammenhang ein Wort
der Anerkennung und des Dankes an die vielen Mitbür-
gerinnen und Mitbürger, die in dieser Notlage durch

Bundeskanzler Gerhard Schröder






(B)



(A) (C)



(D)


Spenden und anderweitige Hilfe ein Zeichen der Solida-
rität mit den Unterdrückten gesetzt haben.


(Beifall im ganzen Hause)

Das zeigt deutlich, daß es vielleicht doch nicht richtig
ist, wenn bezogen auf die Befindlichkeit der Deutschen
allzuviel von Materialismus und zuwenig von Solidari-
tät, von der Fähigkeit zum Mitleiden und zum Helfen
die Rede ist.

Die Bundesregierung hat ihrerseits erhebliche Mittel
für die Versorgung der Flüchtlinge und der Vertriebenen
bereitgestellt. Auch die Europäische Union hat Sonder-
mittel zur Verfügung gestellt, um das Flüchtlingselend
zu mildern und eine Destabilisierung der Nachbarländer
zu verhindern. Über eine Luftbrücke fliegt die Bundes-
wehr nach wie vor Nahrungsmittel, Zelte, Decken und
Ärzte in die Region.

Wir haben erklärt, daß wir bereit sind – darüber gibt
es zwischen den entscheidenden politischen Kräften in
diesem Haus und im Bundesrat keine Differenzen –,
eine angemessene Anzahl von Flüchtlingen vorüberge-
hend, bis zu einer Lösung der Krise dort, in Deutschland
aufzunehmen. Das ist bereits sichtbar geschehen. Auch
das ist ein Zeichen der Solidarität der Deutschen mit de-
nen, die unter Vertreibung und Krieg zu leiden haben.
Vor dem Hintergrund dessen, was wir leisten, erwarten
wir allerdings von unseren Partnern in Europa und in der
Allianz, daß auch sie einen angemessenen Teil der La-
sten zu tragen bereit sind.

Wir sind sehr besorgt über die Lage in Montenegro.
Wir unterstützen die demokratisch gewählte Führung
dieser jugoslawischen Teilrepublik unter Präsident Dju-
kanovic. Ich möchte an dieser Stelle die Belgrader Füh-
rung ausdrücklich davor warnen, die Lage in Montene-
gro zu destabilisieren. Eine solche Politik müßte weitere
ernsthafte Folgen für die jugoslawische Regierung ha-
ben.

Ich bin fest davon überzeugt, daß nur die Geschlos-
senheit der gesamten internationalen Gemeinschaft Mi-
losevic zum Einlenken bewegen wird. Vor dem Hinter-
grund unserer deutschen Geschichte darf es an unserer
Verläßlichkeit, an unserer Entschlossenheit und an unse-
rer Festigkeit keine Zweifel geben. Die Einbindung
Deutschlands in die westliche Staatengemeinschaft ist
Teil der deutschen Staatsräson. Einen Sonderweg kann
und wird es mit uns nicht geben.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


So schwer es dem einen oder anderen auch fällt: Wir
müssen erkennen, daß sich Deutschlands Rolle nach
dem Zusammenbruch des Staatssozialismus, vor allen
Dingen nach der Erlangung der staatlichen Einheit ver-
ändert hat. Wir können uns unserer Verantwortung nicht
entziehen. Das ist der Grund, warum deutsche Soldaten
zum erstenmal seit dem zweiten Weltkrieg in einem
Kampfeinsatz stehen. Sie erfüllen eine schwierige und
gefährliche Mission mit Gefahren für Leib und Leben,
die wir nicht ausschließen können. Ich möchte daher
auch vor diesem Hohen Hause noch einmal den Solda-
ten, aber auch ihren Familien, die um sie bangen, für ih-

re Arbeit, für ihren Einsatz und für das, was sie aushal-
ten müssen, herzlich danken.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der F.D.P. sowie der Abg. Angela Marquardt [PDS])


Sie sollen wissen – sie spüren es an Ihrem Beifall –, daß
dieses Hohe Haus ihren Einsatz für die Menschlichkeit
und einen dauerhaften Frieden wohl zu würdigen weiß.

Der Bundesregierung und allen NATO-Partnern ist
natürlich bewußt, daß die jetzige Krisenbewältigung im
Kosovo eine längerfristige Stabilisierungspolitik für
Südosteuropa nicht ersetzen kann. Unsere Politik richtet
sich nicht gegen die Menschen in Jugoslawien. Wir
wollen ihnen vielmehr eine Perspektive und die Zuver-
sicht geben, daß sie zu Europa gehören.

Der Balkan – das ist klar – braucht europäische Hilfe.
Jugoslawien braucht, wie Deutschland 1945, Demokrati-
sierung, wirtschaftliche Entwicklung und den Aufbau
einer wahrlich zivilen Gesellschaft. Umfassende Maß-
nahmen zur langfristigen Stabilisierung, zu Sicherheit,
zu Demokratisierung und zu wirtschaftlicher Gesundung
der Region sind notwendig. Eine Art Marshallplan für
den Balkan muß her. Mir ist bewußt, daß ein solcher
Plan nicht zum Nulltarif zu haben sein wird. Europa
kann und darf sich dieser Aufgabe aber nicht entziehen.

Wenn von Kosten die Rede ist, dann gilt allemal
mehr und allemal wieder, daß diejenigen Ressourcen,
die wir für die ökonomische und die soziale Entwick-
lung, für die Entwicklung der Infrastruktur in dieser Re-
gion zur Verfügung stellen, besser eingesetzt sind als
diejenigen Kosten, die wir für leider notwendige militä-
rische Interventionen zur Verfügung stellen müssen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Es muß jedem klar sein: Einen dauerhaften Frieden
wird es in dieser Region nur geben, wenn wir den Staa-
ten der Region klarmachen, daß sie ein Recht auf Annä-
herung an Europa haben und daß wir ihre ökonomische
und soziale Entwicklung nach vorne bringen wollen.
Wir wollen sie für das europäische Modell gewinnen
und der Demokratie auf dem Balkan und damit dem
Frieden endgültig zum Durchbruch verhelfen. Das ist
der Grund, warum die deutsche EU-Präsidentschaft in
der vergangenen Woche einen Stabilitätspakt für den
Balkan vorgeschlagen hat, einen Pakt, an dem die Part-
nerländer mitarbeiten wollen. Es geht der Bundesregie-
rung um eine echte Alternative zum fanatischen Natio-
nalismus, der die Region nach all den bitteren Erfahrun-
gen dieses Jahrhunderts erneut ins Unglück gestürzt hat.

Lassen Sie mich, meine Damen und Herren, zum
Schluß auf das gestrige Treffen der Staats- und Regie-
rungschefs der Europäischen Union im einzelnen zu-
rückkommen. Wir haben eine intensive und von großem
Ernst getragene Diskussion mit dem Generalsekretär der
Vereinten Nationen geführt und in vielen Punkten Über-
einstimmung festgestellt. Ich halte es für außerordentlich
wichtig, daß nicht nur die NATO und die neutralen
Staaten der Europäischen Union, sondern die Staaten-
gemeinschaft insgesamt in dieser so grundlegenden und

Bundeskanzler Gerhard Schröder






(A) (C)



(B) (D)


wichtigen Frage mit einer Stimme spricht. Wir waren
uns einig in unserer Entschlossenheit, das Morden und
die Deportationen im Kosovo nicht hinzunehmen. Wir
sind uns einig, daß der Einsatz schärfster Maßnahmen
einschließlich militärischer Aktionen nach wie vor not-
wendig und gerechtfertigt ist.

Wir wollen miteinander einen multiethnischen und
demokratischen Kosovo, in dem alle Menschen in Frie-
den und Sicherheit leben können. Die jugoslawischen
Behörden müssen wissen, daß wir sie für die Sicherheit
und das Wohlbefinden der Vertriebenen im Kosovo ver-
antwortlich machen. Die Staats- und Regierungschefs
unterstützen deshalb die Initiative des Generalsekretärs
der UN vom 9. April 1999, die die Forderungen der in-
ternationalen Gemeinschaft zusammenfaßt, und haben
klargestellt, daß von diesen Forderungen, die Ihnen be-
kannt sind und die ich hier nicht weiter erläutern muß,
nicht abgegangen werden kann und nicht abgegangen
werden wird. Die Forderungen lauten in der Substanz:
sofortige Beendigung aller Gewaltakte, Rückzug aller
militärischen Kräfte – auch der Sonderpolizei – und
Stationierung internationaler militärischer Kräfte sowie
die Rückkehr aller Flüchtlinge und Vertriebenen.

Die Staats- und Regierungschefs stimmen in der Auf-
fassung überein, daß es jetzt an den jugoslawischen Be-
hörden liegt, die internationalen Forderungen ohne Ab-
striche anzunehmen und umgehend mit ihrer Umsetzung
zu beginnen. Dies – nur dies und nur in dieser Reihen-
folge – würde eine Suspendierung der militärischen
Maßnahmen der NATO erlauben und den Weg für eine
politische Lösung öffnen. Dies und nur dies ist auch Ge-
genstand der Vorschläge, die der deutsche Außenmi-
nister entworfen, gemacht und eingebracht hat. Für diese
Initiative schulden wir ihm alle Dank.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie des Abg. Volker Rühe [CDU/CSU])


Wir werden uns für die Verabschiedung dieser Prinzipi-
en in einer Resolution des Sicherheitsrats der Vereinten
Nationen unter Kapitel VII einsetzen.

Die Staats- und Regierungschefs haben ihre Unter-
stützung für ein politisches Abkommen über den Koso-
vo erneuert, das auf dem aufbaut, was in Rambouillet
bereits erreicht war. Sie verständigten sich auf Eck-
punkte einer Übergangsordnung im Kosovo, die unmit-
telbar nach dem Ende des Konflikts hergestellt werden
soll. Insbesondere soll die Einrichtung einer internatio-
nalen Übergangsverwaltung vorgesehen werden; dabei
haben die Staats- und Regierungschefs deutlich ge-
macht, daß das Europa der 15 bereit ist, diese Über-
gangsverwaltung unter die Obhut der Europäischen
Union zu nehmen. Auch das macht deutlich, daß Europa
in außen- und sicherheitspolitischen Fragen mehr und
mehr mit einer Stimme spricht. Das ist eine Vorausset-
zung, um im Konzert der internationalen Staatengemein-
schaft noch ernster genommen zu werden, als es bislang
der Fall war.

Es geht um den Aufbau einer Polizei im Kosovo, die
die dortige Bevölkerung repräsentiert und nicht kujo-
niert. Es geht um die Durchführung von freien und fai-

ren Wahlen und um die Stationierung internationaler
Sicherheitskräfte, die für den Schutz aller Bevölke-
rungsgruppen im Kosovo sorgen sollen.

Bei dem Treffen bestand Einigkeit über die große
Bedeutung einer engen Zusammenarbeit mit der Russi-
schen Föderation und über deren Beitrag für eine Lö-
sung des Kosovo-Problems. Diesen Beitrag halten wir
für eminent wichtig.

Bekräftigt wurden die Beschlüsse des Allgemeinen
Rats vom 8. April 1999 über die humanitäre Hilfe für
Flüchtlinge und Vertriebene und über die Unterstützung
für die Nachbarstaaten der Bundesrepublik Jugoslawien.
Diese können sich – ich sage das noch einmal – der So-
lidarität der europäischen Mitgliedstaaten sicher sein.

Schließlich waren wir uns darüber einig, daß die Eu-
ropäische Union zu einer Konferenz über Südeuropa
und Südosteuropa einladen wird, um weitere umfas-
sende Maßnahmen zur langfristigen Stabilisierung, Si-
cherheit, Demokratisierung und vor allen Dingen zur
wirtschaftlichen Gesundung dieser Region zu beschlie-
ßen. Alle Staaten der Region sollen nach unseren Be-
schlüssen das Recht haben, eine Perspektive auf Annä-
herung an die Europäische Union zu entwickeln. Die
Europäische Union ist dazu bereit.

Das heißt, die Vertreter der Europäischen Union, der
NATO und der Generalsekretär der Vereinten Nationen
sind sich in der Bewertung der Sachlage und der Vorge-
hensweise einig. An diesem Kurs, an dem die Bundesre-
gierung, an dem der Bundesaußenminister mitgewirkt
hat, wird die Bundesregierung ohne Abstriche und ent-
schlossen festhalten.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1403200400
Das Wort hat nun
der Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion, Kollege Wolf-
gang Schäuble.


Dr. Wolfgang Schäuble (CDU):
Rede ID: ID1403200500
Herr Präsi-
dent! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die
CDU/CSU-Bundestagsfraktion unterstützt die deutsche
Beteiligung an den NATO-Aktionen im Kosovo. Ver-
treibung, ethnische Säuberung und Völkermord dürfen
nicht geduldet werden, schon gar nicht in Europa. Es
wäre fatal, wenn die zynische Rechnung von Milosevic
aufginge.

Wir danken den Soldaten der Bundeswehr genauso
wie den Soldaten der Streitkräfte unserer Verbündeten
für ihren entschlossenen und zugleich beherrschten Ein-
satz.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der F.D.P.)


Die Soldaten und ihre Familien können sich auf unsere
Solidarität verlassen. Wir wissen um unsere Verant-
wortung.

Bundeskanzler Gerhard Schröder






(B)



(A) (C)



(D)


Wir begrüßen und unterstützen die Hilfe für Flücht-
linge und Vertriebene vor Ort. Die heimatnahe Versor-
gung muß Vorrang haben, damit eine rasche Rückkehr
der Flüchtlinge möglich ist und damit wir nicht am Ende
Milosevics Vertreibungspolitik noch unterstützen. Na-
türlich ist es selbstverständlich, daß auch bei uns in be-
grenzter Zahl Flüchtlinge und Vertriebene vorüberge-
hend Aufnahme finden müssen. Auch dies unterstützen
wir.

Ich finde übrigens, wir sollten darauf achten, daß die
Auswahl derjenigen, Herr Bundeskanzler, die für eine
vorübergehende Unterbringung nach Deutschland oder
überhaupt nach West- und Mitteleuropa kommen, nicht
so zufällig und willkürlich erscheint, sondern daß dieje-
nigen hierhergebracht werden, denen vor allen Dingen
medizinische Hilfe geleistet werden muß. Das macht
viel mehr Sinn, als wenn durch das Zufallsprinzip der
Auswahl noch mehr Familien auseinandergerissen wer-
den.

Im übrigen muß in diesem Zusammenhang klar sein,
daß sich europäische Solidarität auch darin verwirkli-
chen muß, daß die Europäische Union bei der vorüber-
gehenden Aufnahme von Flüchtlingen und Vertriebenen
als Ganzes in der Solidaritätspflicht steht und daß wir
deshalb auf eine faire und gerechte Lastenverteilung
unter allen Mitgliedsländern der Europäischen Union
Wert legen.

Die Spenden- und Hilfsbereitschaft unserer Bevölke-
rung ist groß. Dem Dank, den der Bundeskanzler dafür
ausgesprochen hat, schließen wir uns ausdrücklich an.
Wir danken auch für die Bereitschaft, den geschundenen
Menschen durch vorübergehende Aufnahme Schutz und
Zuflucht zu geben.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1403200600
Weil die
Spenden- und Hilfsbereitschaft und auch die Bereit-
schaft, in so schwieriger Zeit durch Aufnahme Hilfe und
Zuflucht zu gewähren, in unserer Bevölkerung so groß
sind, sollten wir vielleicht doch darüber nachdenken –
ich habe es Ihnen diese Woche schon einmal vorge-
schlagen –, ob wir angesichts dieser neuen Situation den
Streit, der mit der Neuregelung unseres Staatsangehö-
rigkeitsrechts bisher notwendig verbunden war, wirk-
lich fortsetzen sollen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Wäre es in dieser Lage nicht wirklich besser, sich für
Beratung und Verabschiedung dieses Gesetzes mehr
Zeit zu nehmen, als bisher vorgesehen?


(Hans Büttner [Ingolstadt] [SPD]: Damit Sie noch mehr hetzen können!)


Ich appelliere an die Koalitionsfraktionen, auf den
nicht zu begründenden Zeitdruck zu verzichten und ge-
meinsam einen Weg zu suchen, wie wir Integration
ausländischer Mitbürger und Integrationsbereitschaft der
deutschstämmigen Bevölkerung in einem breiten Kon-
sens verbessern können. Wenn Ihnen das nicht genug
ist, dann verweise ich auf die Erklärung, die der Bremer
Bürgermeister Scherf und sein Stellvertreter Perschau in
diesen Tagen abgegeben haben. Darin haben sie genau
dafür plädiert und im übrigen auch darauf hingewiesen:

Bei einigermaßen gutem Willen zum Konsens ist der
Unterschied zwischen den beiden Gesetzentwürfen, die
im Hause beraten werden, nicht mehr so groß, daß man,
wenn man einen Konsens will, ihn nicht auch finden
kann. Wir sind dazu bereit. Ich appelliere an Sie.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich habe, Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und

Kollegen, in der vergangenen Woche diese Regierungs-
erklärung, die wir begrüßen, und diese Debatte angeregt,
weil die Regierung bei aller grundsätzlichen Einigkeit in
einer die Menschen zu Recht so aufwühlenden Frage vor
dem Parlament als dem Forum der Nation immer wieder
Rechenschaft ablegen muß, damit im Pro und Kontra der
Argumente Transparenz hergestellt werden kann und
damit die Legitimation und die Akzeptanz dieses Einsat-
zes unter deutscher Beteiligung möglich bleiben.

Die militärischen Aktionen der NATO dauern inzwi-
schen schon über drei Wochen. Wir haben vor drei Wo-
chen, als wir hier das letzte Mal darüber geredet haben,
vermutlich die Hoffnung und die Erwartung gehabt, daß
diese Aktionen nicht drei Wochen dauern würden. Milo-
sevic hat die Entschlossenheit und die Geschlossenheit
der freien Völkergemeinschaft offensichtlich unter-
schätzt, aber, meine Damen und Herren, wir wohl auch
seine Hartnäckigkeit, seinem eigenen Volk Schaden zu-
zufügen. Auch das muß gesagt werden.

Die atlantische Gemeinschaft ist stark und entschlos-
sen genug, sich von Milosevic nicht das Gesetz des
Handelns aufzwingen zu lassen. Aber wohl kann ange-
sichts der Entwicklung auf dem Balkan niemandem sein.
Die Fernsehbilder von Flucht und Vertreibung und von
täglichen Bombardements wecken bei den Menschen
nicht nur Betroffenheit, Hilfs- und Spendenbereitschaft;
es wird auch die bange Frage laut, ob die NATO Krieg
führt oder ob wir dabei sind, in einen Krieg hineinzu-
schlittern.

Vor allem die älteren unserer Mitbürger erinnern sich
an die Grauen zweier Weltkriege und sind tief beunru-
higt. Ich sage ausdrücklich: Solche Parallelen sind un-
zutreffend. Nicht die NATO führt Krieg. Wenn Krieg
geführt wird, dann führt ihn Milosevic gegen seine eige-
ne Bevölkerung. Die Staatengemeinschaft hat sich
schwer genug getan und eher zu spät als zu früh ent-
schließen müssen, militärische Mittel einzusetzen, um
dem Grauen und den Verbrechen Einhalt zu gebieten.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Es geht auch nicht – das unterscheidet diese Lage von

früheren Zeiten, auch vom Beginn dieses Jahrhunderts –
um eine Veränderung von Einflußzonen auf dem Balkan
wie am Beginn des ersten Weltkriegs, sondern einzig
und allein darum, daß die internationale Gemeinschaft
Mord und Vertreibung nicht wieder tatenlos hinnimmt.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der F.D.P.)


Das Ziel aller Operationen ist und muß bleiben, den
Frieden in der Region wiederherzustellen und die Rück-
kehr aller Vertriebenen in ihre Heimat und in gesicherte
Verhältnisse zu gewährleisten.

Dr. Wolfgang Schäuble






(A) (C)



(B) (D)


Auch das bewahrt uns vor der Gefahr von Parallelen
zu früheren Zeiten: Wir handeln nicht allein, sondern
leisten unseren Beitrag zu internationaler Integration
und Verantwortung, nicht mehr und nicht weniger. So-
lange eine weltweit verbindliche Rechtsordnung mit ei-
ner ihre Durchsetzung ermöglichenden Gerichtsbarkeit
und mit einem entsprechend legitimierten Gewaltmono-
pol, solange ein solcher Zustand noch ein Traum bleibt,
sind wir zur Wahrung von Frieden und grundlegenden
Menschenrechten darauf angewiesen, militärische Ge-
walt notfalls, aber nur als Ultima ratio, einzusetzen. Ge-
gen zur Anwendung aller Mittel entschlossene Diktato-
ren und Verbrecher kann auch am Ende dieses Jahrhun-
derts darauf nicht verzichtet werden.

Aber die Ultima ratio der Gewaltanwendung nimmt
heute keiner mehr für sich allein in Anspruch. Vielmehr
handelt die europäische, die atlantische, die internatio-
nale Völkergemeinschaft gemeinsam und integriert. Sie
handelt nur dann, wenn sie und soweit sie gemeinsam
und integriert handelt. Das ist der eigentliche Friedens-,
Sicherheits-, ja Zivilisationsgewinn am Ende dieses
Jahrhunderts. Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ge-
nau dies würden wir verspielen, wenn wir unseren Bei-
trag dazu verweigern würden. Auch dessen muß sich je-
der bewußt sein.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Wenn selbst der Generalsekretär der Vereinten Na-
tionen von Völkermord im Kosovo spricht, dann, finde
ich, kann die Rechtsgrundlage der NATO-Aktionen ein-
schließlich der Beteiligung der Bundeswehr nicht wirk-
lich in Zweifel gezogen werden. Wer die Beschlüsse des
Sicherheitsrats der Vereinten Nationen dennoch nicht
für ausreichend und deshalb die Aktionen der NATO
nicht für mandatiert halten will, der kann seine rechtli-
chen Bedenken letztlich nur aus dem klassischen Inter-
ventionsverbot ableiten. Aber darf denn angesichts der
Universalität unseres Menschenrechtsverständnisses ei-
ne solche Interpretation des klassischen Interventions-
verbots am Ende zum Freibrief für Diktatoren werden,
ihre eigene Bevölkerung hinzumorden und zu vertrei-
ben, zum Elend der „ethnischen Säuberungen“ am Ende
dieses Jahrhunderts zurückzukehren?

Wie dünn die Argumentation aus dem Interventions-
verbot letztlich ist, kann man doch auch daran erkennen:
Mit der Anerkennung einer Unabhängigkeit des Kosovo
würden alle diesbezüglichen rechtlichen Argumentati-
onsketten aufgelöst. Im übrigen: Was heißt eigentlich
Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten am
Ende dieses Jahrhunderts? Sind das wirklich nur innere
Angelegenheiten der Jugoslawischen Föderation oder
des Kosovo? Ich finde, nicht nur die Flüchtlingsströme
beweisen doch, daß Völkermord und Vertreibung längst
über jedes betroffene Land hinauswirken. Auch die
Fernsehbilder lassen uns doch Tag für Tag spüren, daß
auf dieser einen Welt Völkermord und Vertreibung nicht
mehr innere Angelegenheit eines Landes sind, sondern
wirklich uns alle angehen und betreffen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Daraus folgt: Weil wir die Lehren dieses Jahrhunderts
nicht vergessen und niemals mehr wegsehen wollen
– wie oft haben wir dies versprochen und uns geschwo-
ren –, weil wir um die Unteilbarkeit von Frieden, Frei-
heit und Menschenrechten wissen, darf die Völkerge-
meinschaft nicht jedes Verbrechen im Zweifel aus nur
formalen Gründen hinnehmen. Hier erwächst geradezu
eine Pflicht zum Eingreifen. Dieses Handeln hat eigent-
lich mit Krieg nichts zu tun, sondern mit der Durchset-
zung fundamentaler Menschenrechtsprinzipien.

Ich sage es noch einmal: Wir werden nicht in einen
Krieg hineinschlittern, weil es auf dem Balkan nicht um
die Verschiebung von Einflußsphären geht und weil sich
die atlantische Gemeinschaft von Milosevic das Gesetz
des Handelns nicht aufzwingen läßt, nicht aufzwingen
lassen darf und auch nicht aufzwingen lassen wird. Aber
genau deshalb – auch diesen Punkt füge ich mit allem
Nachdruck hinzu – müssen wir eine militärische Eska-
lation vermeiden. Wir jedenfalls wollen sie nicht.

Aus diesem Grunde dürfen wir beim Einsatz, vor al-
lem beim Einsatz unserer deutschen Soldaten, unter gar
keinen Umständen das Entstehen von Grauzonen zulas-
sen. Es muß immer und in jedem Stadium der Entwick-
lung glasklar sein, wofür sie eingesetzt werden. Eine
schleichende Ausweitung ihres Auftrags darf es nicht
geben und würde auf unseren entschiedenen Widerstand
stoßen.

Deshalb erwarte ich von der Bundesregierung gerade
im Zusammenhang mit der Entsendung weiterer Solda-
ten nach Albanien, daß sie weiterhin jederzeit sorgfältig
prüft, ob eine Erweiterung des Einsatzmandates durch
den Deutschen Bundestag erforderlich wird. Selbst ein
rein humanitärer Einsatz kann ja auf Grund der Unüber-
sichtlichkeit der Verhältnisse im Kosovo schneller, als
uns lieb ist, zur Grauzone hinsichtlich des Einsatzes
werden, der dann durch das von uns erteilte Mandat
nicht mehr gedeckt wird. Wir, die CDU/CSU-
Bundestagsfraktion, werden sehr genau darauf achten,
daß keine Automatismen entstehen. Das sind wir alle
gemeinsam den Soldaten, ihren Familienangehörigen
und der Öffentlichkeit, aber auch unseren Rechten und
Pflichten als Abgeordnete des Deutschen Bundestages
schuldig.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Demokratisch verfaßte Staaten – auch das erleben wir
in diesen Wochen – tun sich mit der Anwendung militä-
rischer Gewalt schwer. Das ist gut so und muß so blei-
ben. Deshalb ist Öffentlichkeitsarbeit durch die NATO
und durch die Bundesregierung notwendig. Wenn aber
die Bundesregierung selbst schon einen Grund sieht, die
Öffentlichkeitsarbeit der NATO zu kritisieren, dann muß
alles daran gesetzt werden, daß diese Arbeit verbessert
wird. Ich füge noch die Bemerkung hinzu: Auch in der
Öffentlichkeitsarbeit besteht natürlich ein grundlegender
Unterschied zwischen einer Demokratie und einer Dik-
tatur.

Aber auch in diesem Bereich sollten wir selbstbewußt
sein und das nicht als Nachteil empfinden, sondern uns
dazu bekennen. Die NATO kann eben Auskünfte nur

Dr. Wolfgang Schäuble






(B)



(A) (C)



(D)


geben, wenn sie sicher ist, daß sie zutreffen. Wir würden
die Bundesregierung kritisieren, wenn sie um des propa-
gandistischen Erfolgs willen vorschnell Erklärungen ab-
geben würde, die sich hinterher als falsch herausstellten.
Der Diktator kann mit seiner Propaganda anders han-
deln. Wir sollten jeden Tag an Medien und Öffentlich-
keit appellieren, die Unterschiede zwischen verfälschen-
der Propaganda und den Versuch, möglichst klar und
schonungslos zu informieren, im Bewußtsein einer offe-
nen Informationspolitik niemals zu verwischen – auch
nicht in den Medien.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Bei aller Notwendigkeit von Öffentlichkeitsarbeit fü-
ge ich folgende Bemerkung hinzu: Wir sollten alle dar-
auf achten, daß wir uns nicht in ein Übermaß an zuspit-
zender Rhetorik hineinsteigern.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der F.D.P.)


Politische Lösungen könnten dadurch noch schwerer
werden, als sie es ohnedies sind.

Die Empörung über die entsetzlichen Verbrechen, die
Milosevic zu verantworten hat, ist gerechtfertigt. Nichts
darf verschwiegen oder bemäntelt werden. Aber jeder
durch politische oder militärische Verantwortungsträger
angedeutete Vergleich mit Hitler ist nicht nur historisch
schief, sondern auch gefährlich.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Auch das Entsetzen über Mord und Vertreibung auf dem
Kosovo darf Unvergleichbares nicht angleichen, weil
sonst aus einem moralischen Argument die sich selbst
rechtfertigende Konsequenz einer nicht mehr be-
herrschbaren Eskalation militärischer Gewalt begründet
werden könnte. Totaler Krieg und die Forderung nach
bedingungsloser Kapitulation hängen enger zusammen,
als mir angesichts solcher Reden gelegentlich bedacht zu
sein scheint.

Ich wiederhole: Die Ziele der NATO und der Völker-
gemeinschaft sind klar, und das ist die Grundlage für die
Teilnahme der Bundeswehr an diesen Aktionen. Wir
wollen, daß der Friede in der Region wiederhergestellt
und die Rückkehr aller Vertriebenen in ihre Heimat im
Rahmen gesicherter Verhältnisse gewährleistet wird.
Aber es reicht für die öffentliche Akzeptanz dieses mi-
litärischen Einsatzes – je länger er dauert, um so weni-
ger – nicht aus, diese Ziele nur zu proklamieren. Eine
solche Akzeptanz setzt vielmehr voraus, daß auch die
Erreichbarkeit unserer Ziele plausibel vermittelt wird.
Sonst wächst die Sorge der Menschen, man habe etwas
angefangen, ohne das Ende zu kennen. Auch darüber
müssen wir sprechen.

Es muß auch drei Wochen nach Beginn der NATO-
Aktionen klar sein, daß die militärische Entschlossenheit
und Geschlossenheit in der Unterstützung dieser Maß-
nahmen das eine ist. Die Bereitschaft aber, zu jedem
Zeitpunkt eine politische Lösung im Sinne unserer Ziele

zu suchen, ist das andere. Beide Ziele müssen uneinge-
schränkt vorhanden bleiben, und beide gehören im übri-
gen untrennbar zusammen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Deshalb sind neue politische Initiativen unverzichtbar.
Politische Lösungen werden ohne Beteiligung der Ver-
einten Nationen und damit auch Rußlands kaum zu er-
reichen sein.

Das Treffen der amerikanischen Außenministerin Al-
bright mit ihrem russischen Kollegen Iwanow in Oslo in
dieser Woche hat gezeigt, daß die Diplomatie noch nicht
abgedankt hat, auch wenn viele Fragen offenbleiben
mußten. Die Teilnahme des UN-Generalsekretärs am
Sondergipfel der EU gibt ebenfalls zu der Hoffnung
Anlaß, daß es einen Weg gibt, Milosevic nicht nur mit
militärischer Gewalt zum Einlenken zu bringen. Je mehr
militärische Gewalt mit der Einsicht verbunden ist, daß
die serbische Führung wirklich überall in der Welt iso-
liert ist, um so größer wird die Chance sein, daß er eher
früher als später zum Einlenken gebracht wird.

Ich begrüße auch ausdrücklich, daß sich die Bundes-
regierung in ihrer Funktion als amtierende Ratspräsi-
dentschaft verstärkt über eine politische Lösung dieses
Konflikts Gedanken macht. Aber ich warne vor der nai-
ven Annahme, Milosevic könnte mit einer Art Vertrau-
ensvorschuß dazu bewegt werden, seine verbrecherische
Politik ethnischer Säuberungen aufzugeben. Er hat
schon zu viele Ultimaten höhnisch verstreichen lassen.

Wer eine politische Lösung erreichen will, die auch
nur einigermaßen nachhaltig ist, darf keine Situation
entstehen lassen, die Zweifel an der Ent- und Geschlos-
senheit des Westens erlauben könnte. Diese Ent- und
Geschlossenheit ist vielmehr Voraussetzung dafür, zu-
sammen mit den Vereinten Nationen und Rußland zu ei-
ner Lösung zu kommen. Je früher das Ziel einer gesi-
cherten Rückkehr der Kosovaren in ihre Heimat durch
militärische Entschlossenheit und politische Bemühun-
gen erreicht werden kann, um so besser ist es.

Ich halte im übrigen wenig davon, jetzt öffentlich
über den künftigen Status des Kosovo zu spekulieren,
auch wenn ich hinzufüge, daß ich mir nur schwer vor-
stellen kann, daß eine Realisierung des Rambouillet-
Abkommens noch möglich ist. Aber eines scheint mir
unabhängig davon unverzichtbar: Für den Fall, daß die
vertriebenen Menschen zurückkehren sollen und kön-
nen, ist es – neben der militärischen Absicherung einer
Perspektive des Lebens im Kosovo in Sicherheit – vor-
rangige Pflicht der Europäischen Union, diese Rückkehr
auch durch ein umfassendes und wirksames Hilfspro-
gramm zum Wiederaufbau des Kosovo zu begleiten, zu
unterstützen, ja überhaupt erst möglich zu machen. Wir
fordern die Bundesregierung auf, auch in dieser Rich-
tung ihre Bemühungen zu verstärken.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Ich will noch einmal zusammenfassen: Die
CDU/CSU unterstützt die deutsche Beteiligung an den
NATO-Aktionen auf der Grundlage der Beschlüsse des

Dr. Wolfgang Schäuble






(A) (C)



(B) (D)


Sicherheitsrates der Vereinten Nationen und der Be-
schlüsse des Deutschen Bundestages. Wir danken den
Soldaten der Bundeswehr und der Streitkräfte unserer
Verbündeten für ihren Einsatz und sichern ihnen sowie
ihren Familien unsere Solidarität zu. Wir unterstützen
und begrüßen die Hilfe für Flüchtlinge und Vertriebene
vor Ort und sind bereit, bei gerechter europäischer La-
stenverteilung vorübergehend auch bei uns vor allem
kranken Flüchtlingen und Kindern in begrenzter Zahl
Aufnahme und Zuflucht zu gewähren. Wir wollen keine
militärische Eskalation. Deshalb werden wir sorgfältig
darauf achten, daß der Einsatz der deutschen Soldaten
stets klar definiert und durch das Mandat des Deutschen
Bundestags abgedeckt ist. Es dürfen keine Grauzonen
entstehen.

Ziel aller Operationen muß sein, den Frieden in der
Region wiederherzustellen und die Rückkehr aller Ver-
triebenen in ihre Heimat und in gesicherte Verhältnisse
zu gewährleisten. Dabei geht es nicht um eine Verände-
rung von Einflußsphären auf dem Balkan. Um bald-
möglichst das Leiden und Sterben im Kosovo zu been-
den, sind neue politische Initiativen unter Beteiligung
der Vereinten Nationen und damit unter Einschluß
Rußlands unverzichtbar. Gleichzeitig muß die Europäi-
sche Union ein umfassendes und wirksames Hilfs-
programm zum Wiederaufbau des Kosovo entwickeln.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, 50 Jahre nach
ihrer Gründung, die zugleich 50 Jahre gesicherten Frie-
dens in Freiheit waren, steht die NATO heute vor einer
neuen, einer schicksalhaften Herausforderung. Vertrei-
bung, ethnische Säuberung und Völkermord mitten in
Europa haben die NATO erstmals in ihrer Geschichte
zum militärischen Handeln gezwungen. Wir führen kei-
nen Krieg, und unsere Aktionen richten sich nicht gegen
das serbische Volk. Aber das Morden und die Vertrei-
bungen dürfen wir nicht hinnehmen, als gingen sie uns
nichts an.

Für uns Deutsche ist die Beteiligung an den NATO-
Aktionen einer der schwersten Schritte, die wir seit dem
Zweiten Weltkrieg gegangen sind. Aber wir schulden
ihn nicht zuletzt unserer Verantwortung vor der Ge-
schichte. Wir schulden ihn unserer Solidarität mit unse-
ren Verbündeten. Aber vor allen Dingen schulden wir
ihn unserer Zukunft, damit Mord und Vertreibung keine
Chance mehr, Menschenrechte, Frieden und Freiheit
hingegen alle Chancen haben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1403200700
Ich erteile das Wort
dem Fraktionsvorsitzenden der SPD, Peter Struck.


Dr. Peter Struck (SPD):
Rede ID: ID1403200800
Herr Präsident! Meine Da-
men und Herren! Es ist gut, Herr Kollege Schäuble und
liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU-
Fraktion und von der F.D.P.-Fraktion, daß wir uns in
dieser für unser Land sehr wichtigen Frage einig sind.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich möchte hier allerdings – der Kollege ist zwar ge-
rade nicht anwesend – für meine Fraktion deutlich aus-
drücken, wie peinlich ich den Vorgang des Besuches
von Herrn Gysi in Belgrad und seine Begegnung mit
Herrn Milosevic finde,


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der F.D.P.)


und darauf hinweisen, daß mir hier eine Zeitung vor-
liegt, herausgegeben von der PDS im Deutschen Bun-
destag, in der der Bundesminister der Verteidigung, Herr
Kollege Rudolf Scharping, als „Kriegsminister“ diskre-
ditiert wird.


(Zuruf von der CDU/CSU: Pfui!)

Ich weise diese Unerhörtheit deutlich zurück.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der F.D.P.)


Ich nehme das zum Anlaß, an dieser Stelle gerade auch
Herrn Verteidigungsminister Scharping für sein sehr be-
sonnenes Auftreten in der Kosovo-Krise zu danken.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der F.D.P.)


Seit unserer letzten Debatte haben sich die Ereignisse
im Kosovo dramatisch zugespitzt. Wir alle mußten mit
ansehen, wie das Morden, Zerstören und Vertreiben der
albanischen Bevölkerung im Kosovo durch die serbische
Soldateska eine kaum für möglich gehaltene Dimension
angenommen hat. Fast die Hälfte der albanischen Be-
völkerung wurde in die Nachbarstaaten vertrieben und
deportiert. Schätzungsweise 300 000 Kosovaren befin-
den sich im Kosovo auf der Flucht vor der serbischen
Gewaltmaschine. Tag für Tag ein nicht enden wollender
Strom zutiefst traumatisierter Menschen, die die Lan-
desgrenzen überqueren: verletzt, gedemütigt, beraubt, in
Trauer um ermordete Verwandte, Freunde und Nach-
barn, in Sorge um verschleppte Söhne und Ehemänner.

Am Ende dieses an Schrecken reichen Jahrhunderts
versucht noch einmal ein wahnwitziger, machtbesesse-
ner Diktator, eine ganze Volksgruppe zu vertreiben oder
auszulöschen und seinem rassistischen Ziel eines „eth-
nisch reinen“ Serbiens näherzukommen.

Diese Beschreibung der Lage wird von allen Mitglie-
dern meiner Fraktion geteilt. In der Beurteilung der
Konsequenzen und der zu ergreifenden Schritte gibt es
in meiner Fraktion und auch in meiner Partei jedoch ein-
zelne Mitglieder, die das, was ich dazu ausführe, nicht
teilen und eine andere Auffassung vertreten. Ich halte
dies nicht nur für legitim, sondern bekunde ihnen ge-
genüber meinen Respekt.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Der NATO ist es bisher nicht gelungen, Milosevic

von diesen Greueltaten im Kosovo abzuhalten. Dies al-
lerdings zur Begründung für eine Feuerpause oder einen
Waffenstillstand anzuführen bedeutet, Ursache und
Wirkung für die entstandene Lage zu verwechseln. Seit
1989 verfolgt Milosevic seine chauvinistische Idee eines
„ethnisch reinen“ Großserbiens. Er hat dafür bisher

Dr. Wolfgang Schäuble






(B)



(A) (C)



(D)


Kriege gegen Slowenien, Kroatien und Bosnien-
Herzegowina geführt.

Ich will an dieser Stelle sagen: Ich empfinde es als
einen großen Mangel unserer Politik, daß wir ihm nicht
früher, Herr Kollege Schäuble, in Sachen Bosnien-
Herzegowina in den Arm gefallen sind. Wir müssen jetzt
die Konsequenzen aus diesem Verhalten ziehen.


(Beifall bei der SPD)

Seit Frühjahr 1998 führt Milosevic in großem Stil

Vertreibungsaktionen und Dorfzerstörungen im Kosovo
durch. Nach und während des Holbrooke-Milosevic-
Abkommens ist der Vertreibungsplan „Hufeisen“ ent-
worfen und in die Tat umgesetzt worden, während
Milosevic seine Leute am Verhandlungstisch sitzen ließ.
Dieser Plan sieht die Entvölkerung des Kosovo von
Albanern vor. Dies darf nicht zugelassen werden.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die NATO-Luftangriffe setzten ein, als alle Versu-
che der friedlichen Konfliktbeilegung an der fortdauern-
den Gewaltpolitik der serbischen Führung gescheitert
waren. Sie jetzt auszusetzen bedeutet, Milosevic freie
Hand zu geben, ihn ungestört sein Werk zu Ende brin-
gen zu lassen. Wenn wir Europa als Kontinent des Frie-
dens, der Freiheit und der Demokratie bewahren wollen,
dann dürfen wir völkische Gewaltpolitik auf seinem Bo-
den nicht zulassen.


(Beifall bei der SPD)

Milosevic muß sich darüber im klaren sein: Er wird

seine politischen Ziele nicht erreichen. Wir lassen seine
barbarischen Verbrechen nicht ungestraft geschehen. Je
länger er daran festhält, um so höher wird der Preis, den
er bezahlen muß. Ein Ende der Gewalt- und Vertrei-
bungspolitik liegt auch im Interesse des serbischen Vol-
kes. Es bezahlt seit vielen Jahren für die Machtbeses-
senheit seines Präsidenten mit wirtschaftlicher Armut,
geringem Lebensstandard sowie politischer Unterdrük-
kung und Bevormundung.

Wir – ebenso wie die NATO – führen keinen Krieg
gegen das serbische Volk. Unser Ziel ist einzig und al-
lein die Beseitigung des Schreckensregimes der serbi-
schen Regierung im Kosovo.

Daher ist es richtig, daß die NATO die Luftangriffe
verstärkt und der Druck auf Milosevic erhöht wird. Es
geht uns nicht um die Kapitulation Serbiens, sondern um
die Schaffung von Voraussetzungen für eine politische
Lösung.

Daher unterstützt die sozialdemokratische Bundes-
tagsfraktion die Bemühungen der Bundesregierung, in
Übereinstimmung mit der Europäischen Union, der
NATO und dem Generalsekretär Kofi Annan, Belgrad
zu Abmachungen zu bewegen, die beinhalten, daß alle
Kampfhandlungen sofort und überprüfbar eingestellt
werden, alle militärischen und paramilitärischen Kräfte
sowie die Sonderpolizei nachprüfbar aus dem Kosovo
abgezogen werden, der Stationierung internationaler Si-
cherheitskräfte im Kosovo zugestimmt wird, die Rück-
kehr aller Deportierten bedingungslos ermöglicht sowie

den Hilfsorganisationen ein ungehinderter Zugang zu
den Opfern gewährt wird und daß der Versuch eines
politischen Rahmenabkommens für das Kosovo auf der
Basis der Abmachungen von Rambouillet unternommen
wird. Ein überprüfbares Angehen dieser Punkte würde
unmittelbar zu einer Aussetzung bzw. Beendigung der
NATO-Luftschläge führen.

Wie wir mit großer Genugtuung verfolgen, Herr
Bundeskanzler, hat die Bundesregierung eine Reihe von
diplomatischen Aktivitäten in Gang gesetzt, um die Um-
setzung dieser politischen Ziele zu erreichen. Ihre In-
itiative, den Generalsekretär zum Sondergipfel einzula-
den, und Ihre Bemühungen, Herr Außenminister Fi-
scher, Rußland über eine G-8-Initiative wieder zur Mit-
wirkung am politischen Gestaltungsprozeß für das Ko-
sovo zu bewegen, begrüßen wir ausdrücklich. Sie haben
unsere volle Unterstützung.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich glaube, daß wir alle in diesem Haus uns einig
sind, daß eine tragende Rolle Rußlands und eine ent-
sprechende Beschlußlage des Sicherheitsrats der Ver-
einten Nationen die Aussichten für eine dauerhafte Frie-
densregelung für das Kosovo verbessern, wenn nicht gar
erst ermöglichen werden. Dies vor allem deshalb, weil
wir eine Lösung anstreben müssen, die die Interessen
und Rechte der albanischen Bevölkerungsmehrheit im
Kosovo mit den Stabilitätsanforderungen der Region
und ganz Südosteuropas verbindet. Das schließt bis auf
weiteres eine Eigenstaatlichkeit und Teilung des Kosovo
ebenso aus wie seine Unterordnung unter die serbische
Staatsautorität.

Daher teile ich die Überlegungen der Bundesregie-
rung hinsichtlich ihres Friedensplanes, für einen länge-
ren Zeitraum eine von den Vereinten Nationen autori-
sierte Übergangsverwaltung einzurichten, deren Autori-
tät durch entsprechend mandatierte Friedenstruppen si-
chergestellt werden muß. Ich stimme Ihnen zu, Herr
Kollege Schäuble, daß man nicht zu sehr auf die Details
eingehen sollte, was die künftige Regelung angeht. Die
Zielrichtung aber ist klar, und in der Zielrichtung sind
wir uns einig.

Ich will an dieser Stelle betonen, meine Damen und
Herren, daß wir nicht nur die Leistungen der mazedoni-
schen Regierung, sondern vor allen Dingen der maze-
donischen Bevölkerung mit großem Respekt zur
Kenntnis nehmen sollten, die die Flüchtlinge bei sich zu
Hause aufgenommen hat.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der F.D.P. und des Abg. Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU])


Wir wissen, wie schwer es gerade für dieses Land ist,
diese zusätzlichen Lasten zu tragen. Daß sich daraus für
uns eine politische und auch finanzielle Verantwortung
ergibt, muß uns allen klar sein.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Meine Damen und Herren, es ist richtig, daß im Au-

genblick alle Kräfte auf eine Rückkehr zu einer friedli-

Dr. Peter Struck






(A) (C)



(B) (D)


chen Konfliktbeilegung im Kosovo konzentriert werden.
Es ist richtig, daß wir versuchen wollen, die friedenstif-
tenden Wirkungen der europäischen Integration mit den
vertrauensbildenden Erfahrungen aus der Entspan-
nungspolitik zu verbinden. Wir müssen den Völkern und
Staaten in Südosteuropa eine europäische Perspektive
bieten, sie nachhaltig in den euro-atlantischen Strukturen
verankern. Davon darf kein Staat ausgeschlossen wer-
den.

Kofi Annan hat in seiner Rede vom 7. April in Genf
unter Bezugnahme auf die ethnischen Säuberungen im
Kosovo darauf hingewiesen, daß eine internationale
Rechtsnorm in der Entwicklung begriffen sei, die das
Verbot von gewaltsamer Unterdrückung von Minder-
heiten höher einstuft als Belange der Staatssouveränität.
Herr Bundeskanzler und Herr Bundesaußenminister, ich
wünsche mir, daß die Bundesregierung und die Europäi-
sche Union diese Einlassungen des Generalsekretärs der
Vereinten Nationen aufgreifen und durch eine eigene
Initiative verstärken. Wir müssen eine Völkerrechts-
situation erreichen, die zukünftig verhindert, daß sich
Völkermörder und völkische Gewaltverbrecher hinter
dem Schutzschild nationaler Souveränität verstecken
können, wie Kofi Annan es treffend ausgeführt hat.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der F.D.P.)


Dies entspricht nicht nur unseren Auffassungen, die wir
den Entscheidungen für den NATO-Einsatz im Kosovo
zugrunde gelegt haben, sondern würde auch dem Kampf
um den Schutz der Freiheit und der Würde des Men-
schen ein neues historisches Kapitel hinzufügen.

Meine Damen und Herren, zusammenfassend kann
ich – sicherlich für die überwältigende Mehrheit im
Haus – festhalten, daß der Deutsche Bundestag fest hin-
ter der Bundesregierung und der NATO steht, daß wir
die von der Bundesregierung angeregten diplomatischen
Bemühungen um eine politische Lösung außerordentlich
begrüßen und hoffen, daß sie möglichst bald zu einem
Ende der Gewalt im Kosovo führen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der CDU/CSU)


Unser Dank gilt den selbstlosen Helfern des Techni-
schen Hilfswerks und der Nicht-Regierungsorganisa-
tionen, die vor Ort den Menschen tatkräftig zur Seite
stehen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der F.D.P.)


Ich spreche sicherlich in unser aller Namen, wenn ich
abschließend besonders unseren Soldaten danke, die
durch ihren großen Einsatz zu einem unersetzlichen
Faktor der humanitären Hilfe für die vertriebenen und
geschundenen Kosovaren geworden sind.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der F.D.P.)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1403200900
Das Wort hat nun
Kollege Wolfgang Gerhardt, Vorsitzender der F.D.P.-
Fraktion.


Dr. Wolfgang Gerhardt (FDP):
Rede ID: ID1403201000
Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! Der Kollege Struck hat, per-
sönlich verständlich und zu Recht, die Frage ausge-
drückt, warum Demokratien eigentlich so lange ge-
braucht haben, um einem Tyrann in den Arm zu fallen.

Das führt mich zurück auf die Feststellung, daß, wie
wir alle wissen, Europa selbst lange Zeit hat verstreichen
lassen, bis es die tatsächliche Lage so bewertet hat, wie
sie bewertet werden mußte. Wir erinnern uns an viele
Debatten, die eher über die alten Bündnispartnerschaften
des zweiten Weltkrieges, die heutigen Verbündeten in
den westlichen Demokratien, ausgetragen wurden als
mit Blick auf die tatsächliche Lagebeurteilung.


(Dr. Helmut Kohl [CDU/CSU]: Ja!)

Ich erinnere auch an viele Fehleinschätzungen der Ver-
einigten Staaten von Nordamerika, die uns immer gerne
Ratschläge erteilen, wie wir das in Europa handhaben
müssen, aber damals mit einem Fernglas auf Jugoslawi-
en gesehen haben, ohne einmal die Lupe zur Hand zu
nehmen, um zu untersuchen, was sich dort wirklich
vollzieht.

Der Gang, den Kollege Struck erwähnt hat – über
Slowenien, Kroatien und Bosnien-Herzegowina –, war
ja erkennbar. Die Unverträglichkeit und der Haß breite-
ten sich ja geradezu mit täglicher Steigerung aus – im
übrigen nicht nur bei Milosevic, sondern auch bei ande-
ren Erben des früheren Jugoslawien, aber bei Milosevic
in ihrer brutalsten Form. Dies hat Europa lange ver-
drängt, in der Kette von Slowenien über Kroatien bis
Bosnien-Herzegowina. Das gilt auch für führende Per-
sönlichkeiten, die unsere Verbündeten sind.

Deshalb kann nicht darauf verzichtet werden, sich an
Debatten, die wir 1995 in diesem Hause über Bosnien
geführt haben, zu erinnern. Da war für diejenigen, die
nicht blind waren, schon klar, was sich dort vollzieht.
Trotzdem war die politische Bereitschaft, ein Mandat für
Friedenserhaltung zu schaffen, auch in diesem Hause
nur bei Teilen ausgeprägt. Ich erlebte damals, daß sich
der jetzige Außenminister nach meiner Rede komplett
gegenteilig aussprach. Das ist kein Vorwurf; denn sol-
che Skrupel gehören zu den Wesensmerkmalen einer
Demokratie. Aber manche, die heute auf der Regie-
rungsbank sitzen, haben in den damaligen Debatten kei-
ne Lorbeeren geerntet. Das muß eindeutig gesagt wer-
den.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Es ist zum Teil auch von daher verständlich, weil sich

die Deutschen immer international klar geordnete Ver-
hältnisse wünschen. Nur leider will sich die Wirklichkeit
– das lernen wir ja jetzt wohl kennen – diesen Wünschen
nach Ordnung, die von netten Leuten gehegt werden,
nicht immer so beugen, wie das ordentlichen Leuten
wünschenswert erscheint. Als dann urplötzlich die Zei-
ten, in denen sich andere – Deutschland war geteilt; es
gab die Vier-Mächte-Verantwortung – um die Probleme

Dr. Peter Struck






(B)



(A) (C)



(D)


der Welt kümmerten, vorbei waren, da wurden die Fra-
gen für uns sehr drängend, und sie stellten sich sehr klar.

Jetzt erleben wir – das muß man doch ungeschminkt
sagen –, daß die Reaktion der westlichen Staatenge-
meinschaft am Ende einer Kette von vielen Verdrängun-
gen, von zeitweiligem Wegschauen steht. Es sind in ei-
ner Demokratie wichtige Sperren, wenn man Skrupel
hat; sie gehören sogar zum Wesensmerkmal einer De-
mokratie. Aber die Frage ist schon richtig, warum wir
denn alles bis zur Neige durchleben müssen, bevor wir
Entscheidungen treffen können. So ist die gesamte
Nachkriegsgeschichte westlicher Demokratien abgelau-
fen; so stellt sich ihre Fähigkeit zur Reaktion auf Tyran-
nen und Despoten dar. Wie in einem Brennglas kann
man darin auch die Geschichte der Reaktion auf das
Auseinanderfallen des früheren Jugoslawien sehen.

Jetzt befinden wir uns in einer Situation, die man klar
beschreiben muß, wie immer auch diese Beschreibung
ausfällt. Wir befinden uns in der Situation, daß dort ein
Krieg stattfindet, in den wir zum erstenmal deutsche
Soldaten – legitimiert, mandatiert – entsandt haben. Wir
müssen eigentlich unserer deutschen Gesellschaft ein
großes Kompliment dafür machen, daß sie in einer der-
artigen Klugheit, Vielfalt und Eindringlichkeit diese
dramatische Situation diskutiert. Man sollte sich nicht
öfter solchen Proben unterwerfen. Ich bewundere schon
den Reifegrad vieler Diskussionen in einer stabilen
deutschen Demokratie.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Es gibt kontroverse Meinungen in der Sache, aber der
Vorgang ist doch bemerkenswert. Hierbei handelt es
sich ja nicht um eine der üblichen Debatten, die wir in
Situationen des Streits über innenpolitische Vorgänge
oder auch über andere große Themen führen. Hierbei
handelt es sich zum erstenmal um eine Debatte, die auch
zur Folge haben kann, daß sie Mitbürgerinnen und Mit-
bürgern, sprich: die deutschen Soldaten bei einem Ein-
satz, das Leben kosten könnte. Daß dies nicht geschehen
ist, darüber freuen wir uns. Aber daß das Risiko hoch ist,
das ist doch jedem bei diesem Thema bewußt. Deshalb
muß der Deutsche Bundestag – da stimme ich mit Kol-
legen Schäuble völlig überein; die deutsche Öffentlich-
keit tut es ja auch – immer den Druck dahin gehend auf-
rechterhalten, daß neben strategischen Luftoperationen
auch politische Lösungen angestrebt werden. Es geht
nur in einer Mixtur, in einer Zwei-Wege-Strategie.

Ganz entscheidend wird sein, ob die Kräfte Rußlands
ausreichen – oder ob man Rußland die Kraft dazu ver-
schaffen kann –, einen Weg zu finden, der bewirken
kann, daß man sich in diesem großen Land nicht nur
ausschließlich damit beschäftigt, den Zusammenbruch
der früheren Sowjetunion zu verarbeiten. Die Binnenori-
entierung und die Fragmentierung der russischen Politik
müssen überwunden werden. Man fragt heute ja so neu-
deutsch, ob dieses Land die Kraft hat, die eigene Demo-
kratie zu stabilisieren und andernorts in der Welt mit uns
zusammen alles dafür zu tun, daß freiheitliche Gesell-
schaften sozusagen implementiert werden. Diese ernst-
hafte Frage stellt sich.

Die alte Rolle kann Rußland nicht mehr spielen. Es
kann nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion keine
falsche Selbstvergewisserung mehr betreiben. Das so-
zialistische System ist ja wie ein Gletscher gewesen, der
sich über alles gelegt hat. Nachdem nun das Eis des
Gletschers weg ist, suchen manche nach europäischer
Orientierung, manche noch nicht. Manche betreiben eine
falsche ethnische Selbstvergewisserung. Wir müssen
den Kräften helfen, die eine europäische Orientierung
suchen.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir müssen sogar ein massives Interesse daran haben,
daß sie sie finden, und wir müssen sogar alles dafür tun,
damit unser großer Nachbar Rußland im übertragenen
Sinne die Chance bekommt, auf dem Wege dorthin Er-
folgserlebnisse zu haben. Das muß die Haltung deut-
scher Politik sein.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Diese müssen wir ausstrahlen; die müssen wir Rußland
auch mitteilen. Es genügt nicht, wenn wir darüber nur
im Bundestag debattieren. Jeder von uns muß bei allen
Begegnungen – keine Reise dorthin darf uns jetzt eine
Reise zuviel sein – den russischen Politikern das auch
sagen. Wir müssen ihnen sagen: Wir brauchen euch; wir
brauchen Rußland. Das müssen wir Rußland sagen. Oh-
ne Rußland wird es zu keiner Lösung dieses Problems
kommen. Das ist ausgeschlossen.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wer das weiß, muß dann entsprechend reagieren.
Meine Damen und Herren, militärisch wird entschei-

dend sein, ob Milosevic im Kosovo alsbald die Hände
gebunden werden können. Meine größte Ungeduld gilt
nahezu täglich der Frage, wann endlich die paramilitäri-
schen Organisationen, das jugoslawische Militär auf
dem Boden des Kosovo gestoppt werden können. Ich
warte mit Ungeduld auf all das, was bisher angekündigt
worden ist. Denn der Kosovo ist ein besonderes Pro-
blem: Milosevic standen in allen Teilen Jugoslawiens
bisher Strohmänner für den Einsatz von Gewalt zur Ver-
fügung, während er jetzt selbst ganz klar der Verant-
wortliche für das Vorgehen, und zwar nicht nur für die
Repressionen, für die Plünderungen und Vertreibungen,
für die Vergewaltigungen, sondern auch für den
schlichten Mord, ist. Er ist kein Staatschef, er ist ein
Kriegsverbrecher. Das ist ganz eindeutig und kein über-
höhter Ausdruck.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Ich sage deshalb für die Freien Demokraten: Es gibt
keine Alternative zu der Strategie der NATO, zu dem
militärischen Einsatz. Wir dürfen auch nicht zögern. Der
Einsatz muß fortgesetzt werden, und er kann, solange
dieser Tyrann wütet und politisch nicht einlenkt, keinen
Tag ausgesetzt werden. Wir sind in einer Situation – so

Dr. Wolfgang Gerhardt






(A) (C)



(B) (D)


paradox das auch klingt –, in der für die Öffentlichkeit,
für die Weltgemeinschaft, für die Menschen dort die
Menschenwürde nicht anders als mit militärischen Mit-
teln durchgesetzt werden kann. Alles andere ist in dieser
Diskussion keine brauchbare Alternative.

Meine Damen und Herren, für eine Lösung des Pro-
blems wird es natürlich nicht reichen, die Flüchtlinge
zurückzuführen. Für eine Lösung des Problems sehen
wir heute schon weit über Rambouillet hinaus, daß für
die gesamte Region ein Stück ökonomische Stabilität
und Lebensperspektiven für die Menschen geschaffen
werden müssen. Das ist seit Bestehen der Europäischen
Union ihre größte Bewährungsprobe.

Das ist eine schwierige Situation, aber es ist für die
Europäische Union und für uns als Politiker in
Deutschland gleichzeitig eine Chance, deutlich zu ma-
chen, daß sich die Europäische Union in unserem Ver-
ständnis nicht in den Themenbereichen Milchseen, But-
terberge, Struktur- und Kohäsionsfonds, ja nicht einmal
im deutschen Nettozahlerbeitrag erschöpft, sondern auch
zu einer gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik fä-
hig ist; denn sonst wird sie an Respekt und Ansehen
verlieren. Ich sage trotz aller Bemühungen der Bundes-
regierung: Die Stimme der Europäischen Union muß in
dieser Situation kräftiger werden. Sie muß deutlich ma-
chen, daß sie auf Krisen glaubwürdig reagieren kann.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Der frühere Außenminister Hans-Dietrich Genscher
hat einmal gesagt, die Europäische Gemeinschaft sei die
moralische Konsequenz aus der Geschichte europäischer
Bruderkriege. Er hat hinzugefügt, wenn sie nichts ande-
res bewirkt hätten, als daß Kriege unter ihren Mitglie-
dern niemals mehr möglich sein werden, dann hätte sich
schon deshalb ihre Existenz gelohnt.

Deshalb will ich die junge Generation in Deutschland
und uns alle daran erinnern, daß es nicht ausreicht,
kleinliche Kritik an der Brüsseler Bürokratie zu üben.
Die Europäische Union ist entstanden, weil es Menschen
gab, die nicht nur aus den Geschichtsbüchern Kenntnis-
se über Hitler und Stalin hatten und nie mehr wollten,
daß auf diesem Kontinent die alten Dämonen wieder
aufwachen und sich Zutritt verschaffen. In einer solchen
Situation leben wir. Wir haben es nicht für möglich ge-
halten, daß am Ende dieses Jahrhunderts wieder Phäno-
mene zur Erscheinung kommen, die den Beginn dieses
Jahrhunderts so dramatisch gestaltet haben.

Niemand darf in Europa mit Haltungen, wie Milose-
vic sie prägt, am Ausgang dieses Jahrhunderts Men-
schen bedrohen, und wenn es geschieht, darf die Völ-
kergemeinschaft nicht tatenlos zusehen. Wenn es vorbei
ist, muß den Gesellschaften geholfen werden, die sich so
verblenden ließen. Auch dazu gibt es keine Alternative,
wie wir Deutschen am eigenen Leib nach 1945 erfahren
haben.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Wir wissen, was dort getan werden muß, wenn auch das
serbische Volk wieder eine Chance erhalten soll.

Die deutschen Soldaten wie auch die Soldaten der
Verbündeten und ihre Familien haben unseren Rückhalt.
Wir danken ihnen und ihren Angehörigen. Wir bedan-
ken uns bei den Hilfsorganisationen für ihre vielen
humanitären Bemühungen. Wir sind – so hat es der
Bundeskanzler gesagt – dankbar für die große Spen-
denbereitschaft in Deutschland.

Herr Bundeskanzler, die Bundesregierung hat die
Unterstützung der F.D.P. für den unumgänglichen Ein-
satz militärischer Mittel im Bündnis. Wir sind in einem
selbstbewußten Parlament, das alle Mittel der parla-
mentarischen Kontrolle hat, das Mandatierungen nach
Lageeinschätzung begrenzt, erneuert oder verändert. Es
bleibt aber ständiger Auftrag für das Primat des Politi-
schen: Es gibt keinen Automatismus des Militärischen,
und es kann ihn nicht geben. Es kann streckenweise Ein-
sätze von militärischen Mitteln geben, um politische
Ziele durchsetzungsfähig zu machen; am Ende müssen
es aber politische Ziele sein. Das heißt – an die Adresse
der Bundesregierung gesagt –: Dieser policy mix aus
strategischen Luftoperationen der NATO, zugleich aber
täglichen Versuchen politischer Initiativen ist die Regie-
rungskunst, die jetzt erforderlich ist. Am Ende darf Mi-
losevic nicht siegen. Ich füge sogar persönlich hinzu:
Am Ende kann er auch nicht wieder Verhandlungspart-
ner werden, nach all dem, was er getan hat.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD)


Herr Bundeskanzler, die politischen Ziele, die not-
wendige Haltung und die Bündnisfähigkeit, über die Sie
vorgetragen haben, werden von der Opposition – ich er-
kläre das jedenfalls für meine Kolleginnen und Kollegen
aus der Bundestagsfraktion der Freien Demokratischen
Partei – voll unterstützt. Ich habe manchmal sogar das
Gefühl, daß unsere Unterstützung viel stärker und klarer
ist als die Unterstützung aus den Reihen der Koalitions-
partei, die Sie gewählt haben.


(Beifall bei der F.D.P.)

Darüber müssen Sie sich keine Sorgen machen; da kön-
nen Sie sich in Ihrer Arbeit entlasten. Die Politik der
Bundesregierung im Bündnis ist so stabil, weil die Op-
position in diesem Hause so stabil ist.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Eine solche Haltung hätte sich die frühere Bundesregie-
rung von manchen Kolleginnen und Kollegen, die jetzt
in der Verantwortung sind, gewünscht, als es ebenfalls
um ernsthafte Fragen ging.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Skrupel haben auch wir. Krieg mögen auch wir nicht.

Deshalb sind die Einfachheit und Schlichtheit, die Herr
Kollege Gysi in seiner Argumentation immer verwendet,
so absurd. Hier sitzen sich doch nicht Lager in den Al-
ternativen Krieg oder nicht Krieg gegenüber.

Wahr ist aber auch, was Brzezinski, der Sicherheits-
berater des früheren amerikanischen Präsidenten Carter,
in einer großen deutschen Tageszeitung einfach, klar,

Dr. Wolfgang Gerhardt






(B)



(A) (C)



(D)


streitig, aber wahrheitsgemäß, ausgeführt hat – ich zitie-
re ihn –:

Unzweideutig steht mittlerweile mehr auf dem
Spiel als das Schicksal des Kosovo. Die Vorausset-
zungen haben sich an dem Tag dramatisch verän-
dert, an dem das Bombardement begann. Ohne zu
übertreiben ist festzustellen, daß ein Scheitern der
NATO das Ende ihrer Glaubwürdigkeit wäre und
gleichzeitig die globale Führungsrolle der Verei-
nigten Staaten in Mitleidenschaft geriete. Die Fol-
gen wären verheerend für die globale Stabilität.

Ich sage diese drastischen Worte ganz klar: Wir
müssen dort gewinnen – und zwar militärisch wie poli-
tisch –, um überhaupt Verantwortung in einer Welt, die
auf freiheitliche Gesellschaften zugeht, wahrnehmen zu
können. Der Tyrann darf nicht siegen – weder militä-
risch noch politisch.


(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Uns, allen Abgeordneten meiner Fraktion, ist das klar.
Deshalb bleibt – mit der Begründung unserer Haltung

zur Unterstützung der Bundesregierung – am Ende üb-
rig, Ihnen, Herr Bundeskanzler, weiterhin viel Erfolg bei
der Überzeugungsarbeit in Ihren eigenen Reihen, bei Ih-
ren Koalitionsparteien, zu wünschen. Die F.D.P. hat, wie
alle Demokraten, lange gezögert und sich nicht leicht-
getan mit den Entscheidungen, wie wir sie dann treffen
mußten. Der frühere Bundesaußenminister Kinkel und
der frühere Bundeskanzler Kohl haben in ihrer Verant-
wortung Abwägungsprozesse unternommen, die in der
Qualität in nichts den Abwägungsprozessen nachstehen,
die Sie heute bewältigen müssen und die immer positi-
ves Kennzeichen von Demokratien sind. Aber sie und
auch wir haben in dieser Zeit genau gewußt, daß Demo-
kratien nicht nur Sonnenscheinveranstaltungen sind,
sondern irgendwann – weil in manchen Völkergemein-
schaften menschliche Charaktere das Licht der Welt er-
blicken, die politisch nicht so denken, wie es ordentli-
chen Menschen wünschenswert erscheint – notfalls auch
zu letzten Mitteln greifen müssen, um denjenigen Ein-
halt zu gebieten, die plündern, vergewaltigen und mor-
den.

Ich kann mich nur begrenzt in einer Diskussion auf-
halten, in der feinsinnig bedauert wird, daß die alte
Nachkriegsweltordnung nicht mehr möglich ist, weil
dieser Einsatz vom Sicherheitsrat nicht in der klassi-
schen Form mandatiert worden sei. Das kann ich keinem
Menschen vermitteln, der mit einem Gewehr bedroht
wird, dem mit dem Messer die Kehle durchgeschnitten
wird, der auf einen Traktor gesetzt wird, fünf Minuten
Zeit hat, sein Haus zu verlassen – beim Verlassen des
Dorfes sieht er noch, daß es angezündet wird –, und der
die Demokratien fragt, ob sie denn bei aller Freiheitlich-
keit am Ende wehrlos gegenüber solchen Staatsmännern
in Form von Terroristen sind. Diese Frage kann ich nur
so wie Wolfgang Schäuble beantworten.


(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Diese Frage ist natürlich schwierig. Man kann uns

vorhalten, daß wir uns nicht auf rechtlich sicherer Seite

befinden. Aber ich bin überzeugt, daß wir uns auf der
menschlich sicheren Seite befinden. Darum geht es bei
diesem Einsatz.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1403201100
Das Wort für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat Kollege Rezzo
Schlauch.


Rezzo Schlauch (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1403201200

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als am
Dienstag vergangener Woche die Meldung „Milosevic
bietet einseitige Waffenruhe an“ über die Ticker lief,
habe ich – genauso wie wahrscheinlich viele andere –
Hoffnung geschöpft. Ich habe Hoffnung darauf ge-
schöpft, daß die Vertreibung der Kosovo-Albaner und
das ihnen von Milosevic zugefügte Leid und Leiden
endlich ein Ende haben und die NATO ihre militäri-
schen Einsätze beenden kann.

Es war auch die Hoffnung darauf, daß sich die tag-
tägliche Abwägung nicht mehr stellt, ob mit militäri-
scher Gewalt den hunderttausendfachen Menschen-
rechtsverletzungen an den Kosovo-Albanern Einhalt ge-
boten werden muß. Weil diese Abwägung Tag für Tag
neu getroffen werden muß, ist es wichtig, daß wir uns in
dieser Sitzung mit diesem Thema beschäftigen. Dies ge-
schieht auch in Verantwortung gegenüber den Soldaten
und ihren Familien. Wir schulden den Soldaten für jeden
Tag ihrer gefährlichen Einsätze Dank, den ich von hier
aus zum Ausdruck bringen möchte.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Drei Wochen nach Beginn der Bombardierungen
durch den NATO-Einsatz gilt es allerdings auch, poli-
tisch darüber zu beraten, was bislang diplomatisch und
militärisch erreicht werden konnte, was nicht erreicht
werden konnte und was noch erreicht werden muß. In
der Gesellschaft, aber natürlich auch innerhalb der
Fraktionen gibt es Kritik, Sorgen und Ängste. Diese
müssen wir immer wieder von neuem ernst nehmen,
aufgreifen und auch immer wieder auf den Prüfstand
stellen. Wir müssen immer wieder begründen, warum
wir trotzdem so handeln, wie wir es tun.

Viele Menschen sehen das Risiko einer Ausweitung
des Konfliktes, fürchten eine Eskalation der militäri-
schen Gewalt und fragen sich, wie die Waffen endlich
wieder schweigen können.

Wir alle fragen uns, ob es eine Alternative gibt. Wir
alle sehen jeden Abend die geschundenen, vertriebenen
Menschen im Kosovo und müssen feststellen, daß es
nicht gelungen ist, die von Milosevic systematisch orga-
nisierte Deportation einer ganzen Bevölkerungsgruppe
zu stoppen. Annähernd 1 Million Menschen sind auf der
Flucht; sie werden aus ihrer Heimat vertrieben und be-
raubt; ihre Häuser werden zerstört und die Dörfer dem
Erdboden gleichgemacht. Uns alle treibt die Frage um:

Dr. Wolfgang Gerhardt






(A) (C)



(B) (D)


Wie können wir das verhindern? Wie kann diese Bar-
barei Milosevics gestoppt werden? Wie können wir die
Voraussetzungen dafür schaffen, daß die Menschen in
ihre Heimat zurückkehren können?

Jeder Vorschlag muß aufgenommen, geprüft und
dann verworfen oder auch umgesetzt werden. Ich re-
spektiere die Motive derjenigen, die nach ernsthafter
Abwägung vorschlagen, die NATO-Angriffe teilweise
oder zeitweise auszusetzen, aber ich teile sie nicht. Für
mich verkehrt sich diese Forderung nach einem einsei-
tigen Waffenstillstand durch die zynische Logik Milo-
sevics in ihr Gegenteil. Ein einseitiger Waffenstillstand
durch die NATO würde nur dazu führen, daß Milosevic
das Brandschatzen, das Morden und den von langer
Hand vorbereiteten Plan der Vertreibung der Kosovo-
Albaner ungestört und vor allem unsanktioniert fortset-
zen könnte. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben
gelernt: Dies ist nicht aus der Luft gegriffen. So hat er es
in Bosnien gemacht, indem er Feuerpausen und Entge-
genkommen ohne Bedingungen immer ausgenutzt hat,
um militärische und strategische Vorteile aufzubauen.

Krieg ist immer schrecklich. Wir müssen aber genau
hinsehen, wer im Kosovo Krieg gegen wen führt und
wie die Zielsetzungen dieses Krieges aussehen. Milose-
vic führt Krieg gegen die eigene Bevölkerung. Sein Ziel
sind die Zivilisten. Das Objekt der NATO-Einsätze ist
das Militär, die militärische Unterdrückungsmaschinerie
von Milosevic. Meine Damen und Herren, gerade von
links, ich glaube, das ist der gravierende Unterschied,
den Sie in Ihre Analysen nicht einbeziehen und auch im
vorgelegten Entschließungsantrag nicht berücksichtigen
bzw. so verwischen, daß Täter zu Opfern werden und
Opfer zu Tätern.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P. – Zuruf von der PDS: Quatsch!)


Natürlich ist jede Rakete und jede Bombe, die ihr Ziel
verfehlt und unschuldige Zivilisten trifft, schrecklich,
aber dies ist auf tragisches technisches oder menschli-
ches Versagen zurückzuführen. Bei Milosevic ist es aber
Prinzip, die Zivilbevölkerung treffen und vernichten zu
wollen. Dieses menschenverachtende und menschen-
rechtsverletzende Prinzip muß durchbrochen werden.
Deshalb sehen wir in der Mehrheit so lange keine über-
zeugende Alternative zu den militärischen NATO-
Einsätzen, bis es zu einer politischen Lösung kommt.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


Es gibt auch Stimmen, die sagen, NATO-Einsätze
hätten das Leid der Kosovaren verschlimmert.


(Wolfgang Gehrcke [PDS]: Sehr richtig!)

Einige wenige sprechen sogar davon, sie hätten es her-
vorgerufen.


(Dr. Gregor Gysi [PDS]: Das ist nicht wahr!)

Ich kann nur davor warnen, Ursache und Wirkung zu
verwechseln. Es ist nicht die NATO, vor der die Men-
schen fliehen. Es ist die Soldateska von Milosevic.


(Dr. Peter Struck [SPD]: Richtig!)


Nicht die NATO hat den Krieg begonnen, sondern die
NATO will diesen Krieg zu Ende bringen.

Ich bin, meine Damen und Herren, jedesmal beein-
druckt, wenn ich abends Stimmen aus den Flüchtlings-
kreisen höre, die, in ihrem tiefsten Elend befragt, uniso-
no sagen: Wir sind dankbar, daß die NATO bombar-
diert. Wir begrüßen die NATO.


(Zurufe von der PDS)

Dies müssen Sie bei Ihrer Abwägung mindestens genau-
so mit einbeziehen


(Zuruf von der PDS: Zynisch ist das!)

wie die Frage, welche Schäden in Serbien und in Bel-
grad entstehen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Widerspruch bei der PDS)


Es kann kein Zweifel daran bestehen, daß die Verbre-
chen von Milosevic gegen die Menschlichkeit von lan-
ger Hand geplant waren. Wir wissen, daß im Oktober
letzten Jahres bereits 300 000 Menschen vertrieben wor-
den waren – diese Situation hat dann zum Grundlagen-
beschluß des Deutschen Bundestages geführt –, in den
Wäldern des Kosovo auf der Flucht waren und dort aus-
geharrt haben. Noch während sich die Völkergemein-
schaft im Februar dieses Jahres intensiv um eine diplo-
matische Lösung bemühte, hat Milosevic gezielt militä-
rische Streitkräfte in großem Umfang in den Kosovo
verlegt.

Milosevic ist jemand, auf den man sich nicht verlas-
sen kann. Das hat die Geschichte gezeigt. Das Abkom-
men zwischen Milosevic und Jelzin ist sofort gebrochen
worden. Das Friedensabkommen zwischen Holbrooke
und Milosevic ist auch sofort gebrochen worden.


(Dr. Gregor Gysi [PDS]: Das stimmt nicht!)

Daran kann man erkennen, daß Milosevic auch die Zei-
ten, in denen man sich um eine friedliche und politische
Lösung bemüht hat, nur genutzt hat, um seine ethnische
Kriegsführung vorzubereiten und durchzuführen. Des-
halb können für eine Beendigung der NATO-Einsätze
von Milosevic nicht mehr Worte, sondern nur noch Ta-
ten zählen. Diese Taten bestehen in der sofortigen Ein-
stellung der kriegerischen Handlungen und im soforti-
gen Rückzug aller militärischen Kräfte aus dem Kosovo.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)


Der jetzt von der Bundesregierung vorgelegte Frie-
densplan bietet noch einmal die Chance zu einer friedli-
chen Lösung. Dabei ist es im Interesse der Kosovo-
Albaner unverzichtbar, daß Milosevic mit dem Abzug
der militärischen Kräfte verifizierbar beginnen muß, be-
vor eine befristete Unterbrechung der NATO-Angriffe
erfolgen kann.

Diese Initiative zeigt auch, daß von seiten der Bun-
desregierung nichts, aber auch gar nichts unversucht
gelassen wurde und wird, um im Vorfeld, aber auch
während der militärischen Auseinandersetzung eine

Rezzo Schlauch






(B)



(A) (C)



(D)


politische Lösung zu erreichen. Aber eine politische Lö-
sung setzt den glaubhaften Willen zur Politik auf seiten
Milosevics voraus. Solange dieser Wille nicht zu erken-
nen ist, sieht die überwiegende Mehrheit meiner Frakti-
on keine andere Möglichkeit, als Milosevic mit militäri-
schen Mitteln die Fähigkeit zur ethnischen Kriegsfüh-
rung zu nehmen.

Ich glaube, daß es an dieser Stelle notwendig ist – das
haben auch alle meine Vorredner getan –, den Mitarbei-
terinnen und Mitarbeitern der deutschen Hilfsorganisa-
tionen, die in den Regionen, in die die Menschen flie-
hen, einen unermüdlichen Einsatz leisten, und auch den
Soldaten in Mazedonien, die ja humanitäre Hilfe leisten
und damit das Leid der gepeinigten Menschen lindern,
herzlich zu danken.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)


Wir müssen alles tun, um die Länder zu unterstützen,
in denen die Menschen Zuflucht suchen. Milosevics
teuflischer Plan, durch Vertreibung auch die Nachbar-
länder zu destabilisieren, darf nicht aufgehen. Um das zu
verhindern, werden auch finanzielle Hilfen nicht ausrei-
chen. Die Europäische Union ist aus unserer Sicht noch
zu viel größeren Anstrengungen aufgefordert. Sie ist
aufgefordert, einen geringen Teil – er ist winzig im Ver-
gleich zum gesamten Flüchtlingselend – der Flüchtlinge
vorübergehend aufzunehmen, bis sie wieder in ihre
Heimat zurückkehren können. Die Zusage unseres Lan-
des, 10 000 Menschen aufzunehmen, ist ein erster
Schritt. Ich glaube, er wird nicht ausreichen.

Auch und gerade in unserem Land gibt es eine große
Welle der Hilfsbereitschaft. Menschen spenden Millio-
nenbeträge. Viele sind bereit, Flüchtlinge bei sich auf-
zunehmen. Das zeigt, daß Deutschland mit seiner Zusa-
ge, 10 000 Flüchtlinge aufzunehmen, noch nicht am En-
de seiner Hilfsbereitschaft angelangt ist. Wir dürfen und
wir sollten die Hilfsbereitschaft der Menschen nicht ins
Leere laufen lassen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie des Abg. HansMichael Goldmann [F.D.P.])


Meine Damen und Herren, insbesondere auch von der
PDS, im Kosovo kämpft eine Staatengemeinschaft nicht
aus egoistischen oder chauvinistischen Motiven, sondern
für die Menschenrechte und die Interessen einer unter-
drückten Bevölkerungsgruppe. Die Staatengemeinschaft
entscheidet nicht aus deutschem, aus amerikanischem
oder aus NATO-Interesse; sie entscheidet einzig und al-
lein im Interesse der Menschen im Kosovo, der Kosovo-
Albaner und des seit Jahren unterdrückten Volkes.

Im Kosovo erleben wir auf unserem Kontinent nach
Bosnien zum zweitenmal, was wir eigentlich längst für
Geschichte gehalten haben, nämlich das Aufbrechen von
Konflikten auf Grund eines hemmungslosen Nationa-
lismus. Europa, ein integriertes Europa, das ist zugleich
die – wenn auch langfristige – Antwort auf die Frage,
wie der Balkan dauerhaft zur Ruhe kommen kann. Um
Frieden dauerhaft zu schaffen, wird es darauf ankom-
men, den Ländern in enger Abstimmung mit Rußland

eine Perspektive zu geben. Wir wissen, daß nur eine
politische Lösung eine dauerhafte Lösung sein kann,
und müssen doch feststellen, daß Milosevic alle politi-
schen Initiativen bisher nur dazu genutzt hat, seine
Kriegsführung zu perfektionieren.

Wir haben die Forderung „Nie wieder Krieg“ immer
vertreten und damit natürlich auch gemeint: Nie wieder
Völkermord. Milosevic zerreißt mit seinem verbrecheri-
schen Handeln die Identität dieser beiden Forderungen.
Wir müssen erkennen, daß sich die Durchsetzung der
Forderung „Nie wieder Völkermord“ in diesem Fall lei-
der nur mit militärischen Mitteln erreichen läßt.


(Zuruf von der PDS: Mit Krieg!)

Meine Damen und Herren Kollegen von der PDS,

wenn ich lese, daß Ihr Vorsitzender eine Pressekonfe-
renz unter dem Titel „Zur aktuellen Lage im Kosovo
und die Mitgliederentwicklung der PDS“ abhält, dann
muß ich sagen: Durch diesen Titel werden Ihre Meinung
und Ihre Haltung zu diesem Konflikt klarer als durch
viele Reden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P. – Widerspruch bei der PDS)


Der von Außenminister Fischer vorgelegte Plan weist
einen Weg zum Frieden. Solange Milosevic keinen
ernsthaften Willen zum Frieden zeigt, bleibt keine ande-
re Wahl, als diesem brutalen Diktator militärisch die
Möglichkeit zur Fortsetzung seiner ethnischen Kriegs-
führung zu nehmen.

Ich bin gerne bereit, meine Meinung zu revidieren,
wenn mir jemand eine überzeugende Alternative nennen
kann. Die Mehrheit unserer Fraktion sieht sie zum jetzi-
gen Zeitpunkt nicht.

Danke schön.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1403201300
Das Wort hat nun
der Fraktionsvorsitzende der PDS, Gregor Gysi.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1403201400
Herr Präsident! Meine Da-
men und Herren! Herr Bundeskanzler, Sie haben ange-
merkt, wir als PDS müßten aufpassen, nicht von der
fünften Kolonne Moskaus zur fünften Kolonne Belgrads
zu werden.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der F.D.P. – Zurufe von der SPD und der CDU/CSU: Wohl wahr! – Richtig! – Wo er recht hat, hat er recht!)


Ich erinnere mich noch gut an eine Zeit, als die
CDU/CSU der SPD vorwarf, die fünfte Kolonne Mos-
kaus zu sein. Das war im Rahmen der damaligen Ent-
spannungspolitik.


(Dr. Wolfgang Gerhardt [F.D.P.]: So ändern sich die Zeiten!)


Ich frage mich, was ein solcher Vorwurf eigentlich soll.

Rezzo Schlauch






(A) (C)



(B) (D)


Wenn ich mich heute auf eine Reise begeben, nach
Tirana fahren, dort mit politischen Vertretern sprechen,
Flüchtlingslager besuchen und mit Flüchtlingen spre-
chen würde: Wäre die PDS dann die fünfte Kolonne Al-
baniens? Was soll das?

Sie wissen, daß es in Italien eine Regierungspartei –
wir sind eine Oppositionspartei – gibt, deren Regierung
den Krieg der NATO gegen Jugoslawien mit beschlos-
sen hat. Italien nimmt also teil. Der Vorsitzende dieser
zur Regierung gehörenden kommunistischen Partei heißt
Cossuta. Er hat das kritisiert, ist dennoch in der Regie-
rung und ist unmittelbar nach Beginn des Bombarde-
ments nach Jugoslawien gefahren und hat dort mit vie-
len gesprochen, auch mit Milosevic. Trotz dieser großen
Differenzen innerhalb der Regierung käme dort niemand
auf die Idee, ihn deshalb zur fünften Kolonne zu erklä-
ren oder sein Verhalten auch nur schädlich zu finden. Im
Gegenteil, es wurde begrüßt, und man hat über die Er-
gebnisse diskutiert. Warum können wir nicht wenigstens
soviel Kraft aufbringen?


(Beifall bei der PDS – Zurufe von der CDU/CSU und der F.D.P.)


– Sie haben im Laufe Ihrer Geschichte doch mit so vie-
len Diktatoren und übrigens auch mit so vielen Men-
schenschlächtern gesprochen!


(Beifall bei der PDS)

Wer hat denn zum Beispiel ständig Botha empfangen,
als er noch in Südafrika metzelte? Ich verurteile das
nicht einmal, weil ich sage: Nur über Gespräche, nur
über Politik und Diplomatie kommt man letztlich zu
Veränderungen, kann man Haltung und Verhalten in
einer Gesellschaft ändern.


(Beifall bei der PDS)

Ich finde diesen Vorwurf auch deshalb völlig falsch,

weil das Bemühen um Frieden, auch wenn es mit ande-
ren Ansätzen erfolgt, doch nicht diskreditiert und dis-
kriminiert werden kann, wie es hier der Fall ist.


(Zurufe von der SPD: Scheinheilig! – Gucken Sie sich mal Ihre Zeitung an!)


– Das mache ich gerne.

(Zuruf von der SPD: Wer hat denn diese Zeitung geschrieben? – Ernst Schwanhold [SPD]: „Kriegsminister Scharping“! Die PDS im Bundestag!)


In einer solchen Zeit kann es nicht nach dem Motto
gehen, man kenne keine Parteien mehr, nur noch Deut-
sche. Jedem, der sich gegen diesen Krieg stellt, wird
dann vorgeworfen, sich gegen nationale Interessen zu
wenden. Sie, Herr Schlauch, haben gerade gesagt, es ge-
he gar nicht um nationale Interessen, sondern um die
Menschenrechte, um die Rechte der Kosovo-Albaner.
Dann frage ich Sie: Wie kann der Seeheimer Kreis er-
klären, daß ich allein mit einem Besuch nationale Inter-
essen verrate? Das ist doch absurd, wenn wir dort gar
keine nationalen Interessen verfolgen.


(Beifall bei der PDS)


Es geht doch nur darum, den Weg für einen Frie-
densprozeß zu öffnen. Der Krieg hat eben bisher nicht
zum Frieden geführt. Es ist ein Paradoxon, davon aus-
zugehen, daß Krieg zum Frieden oder zur Verwirkli-
chung von Menschenrechten führt. Das hat es in der
Geschichte noch nie gegeben,


(Gernot Erler [SPD]: Im zweiten Weltkrieg auch nicht?)


und das wird es auch in diesem Krieg nicht geben.
Zum Beispiel hat der Bundeskanzler Milosevic davor

gewarnt, die Situation in Montenegro zu destabilisieren.
Aber ich darf darauf hinweisen: Im Augenblick ist für
Montenegro weniger Milosevic das Problem als die
Bomben, die ja auch auf Montenegro geworfen werden
und natürlich zu einer Stimmungsveränderung in Mon-
tenegro führen. Wie kann man gleichzeitig Montenegro
bombardieren und hier seine Solidarität mit Montenegro
zum Ausdruck bringen?


(Beifall bei der PDS)

Zum Beispiel gab es insofern ein interessantes Er-

gebnis, als Milosevic gesagt hat, er sei bereit, im Beisein
des UN-Generalsekretärs mit Rugova über die Situation
im Kosovo zu verhandeln. Wenn das passieren würde,
wüßten wir wenigstens, was an den Erklärungen von
Rugova wahr ist und was nicht wahr ist. Denn in Anwe-
senheit des UN-Generalsekretärs sieht die Situation na-
türlich ganz anders aus.


(Bundesminister Joseph Fischer: Er soll ihn doch ausreisen lassen!)


– Ja, natürlich, an einem anderen Ort. Das können Sie
doch gerne machen.


(Dr. Wolfgang Gerhardt [F.D.P.]: Warum macht er es denn nicht?)


Herr Bundesaußenminister, Sie haben uns in der
Zeitung Zweckpazifismus vorgeworfen. Pazifismus ver-
folgt selbstverständlich einen Zweck. Aber ich bin gar
kein Pazifist.


(Unruhe bei der SPD)

Das habe ich nie behauptet. Aber nur weil eine Partei
gegen diesen Krieg ist, darf man sie nicht diskreditieren.
Ich glaube, Ihnen und auch Herrn Schlauch und Herrn
Struck geht es weniger um die PDS. Vielmehr versuchen
Sie, auf dem Rücken der PDS die Probleme, die Sie da-
mit in Ihren eigenen Parteien haben, auszutragen. Das
können wir nicht hinnehmen.


(Beifall bei der PDS – Widerspruch bei Abgeordneten der SPD)


Sie haben übrigens auch gesagt, daß wir gemeinsam
mit serbischen Nationalisten zu Kundgebungen und
Demonstrationen aufrufen. Das hat es in keinem einzi-
gen Fall gegeben. Aber wenn wir zu einer Kundgebung
aufrufen, Herr Bundesaußenminister, dann kommen na-
türlich alle, die kommen wollen. Wir werden nicht Ord-
nungskräfte aufstellen und nach Gesinnung, Staatsbür-
gerschaft und Nationalität prüfen, wer an der Kundge-
bung teilnimmt. Das wollen Sie nicht, und das wollen
wir nicht, und das werden wir auch nicht tun.

Dr. Gregor Gysi






(B)



(A) (C)



(D)


Ich muß etwas zum Völkerrecht sagen. Der Frakti-
onsvorsitzende der CDU/CSU hat es letztlich als formal
bezeichnet. Ich glaube, das ist gefährlich. Wenn man das
Recht immer, wenn man es nicht auf seiner Seite hat, als
formal abtut, aber es als schwergewichtig behandelt,
wenn man in Übereinstimmung mit Recht handelt, dann
verliert Recht seinen Zweck. Das gilt auch für das Völ-
kerrecht. Es ist doch nicht so, daß die Charta der Ver-
einten Nationen keine Ausnahmen von Gewaltverbot
kennen würde. Nur: Die beiden Ausnahmen, wonach
militärische Gewalt erlaubt ist, liegen nicht vor. Die eine
Ausnahme ist durch Art. 51 in Kapitel VII der Charta
der Vereinten Nationen gegeben, der besagt, daß man
sich im Falle eines Angriffs, auch im Falle eines An-
griffs auf einen Bündnispartner, verteidigen kann. Nur:
Die Bundesrepublik Jugoslawien hat keinen NATO-
Staat angegriffen.


(Gernot Erler [SPD]: Sie hat die eigene Bevölkerung angegriffen! Das ist der Punkt!)


Die NATO hat vielmehr die Bundesrepublik Jugoslawi-
en angegriffen. Deshalb ist es kein Verteidigungs-, son-
dern ein Angriffskrieg, der nach Art. 26 des Grundge-
setzes verboten ist.

Es gibt eine zweite Ausnahme, die durch Art. 39
ebenfalls in Kapitel VII der Charta der Vereinten Natio-
nen gegeben ist. Dort wird gesagt: Wenn der Frieden ge-
fährdet ist oder wenn er sogar gebrochen ist, dann kann
der Weltsicherheitsrat notfalls militärische Maßnah-
men zur Beseitigung der Gefahr oder zur Wiederher-
stellung des Friedens anordnen. Dieses Gewaltmonopol
des Weltsicherheitsrates ist ganz bewußt geschaffen
worden. Dieses Monopol hat die NATO aber eindeutig
verletzt, indem sie gesagt hat: Wir pfeifen auf den Welt-
sicherheitsrat; wir sind der Ordnungshüter in Europa und
entscheiden, wann militärische Gewalt angewendet wird
und wann nicht. – Diese Haltung soll ja sogar in die
Strategie der NATO Ende April formal aufgenommen
werden.

Ich habe auch darauf hingewiesen, daß der NATO-
Vertrag selbst verletzt worden ist, weil er nämlich an
die UN-Charta gebunden ist. In diesem Zusammenhang
wird immer gesagt, es gebe so etwas wie einen außerge-
setzlichen Notstand, es gebe eine Nothilfesituation. Die
Nothilfefälle sind in der Charta geregelt. Wenn sie nicht
vorliegen, dann stützt das Völkerrecht das militärische
Eingreifen und damit den Krieg eben nicht.

Ich will noch auf einen anderen Punkt hinweisen.
Selbst wenn es außerhalb der Charta der Vereinten Na-
tionen eine solche Möglichkeit gäbe, dann, Herr Kinkel
– das wissen Sie als ehemaliger Außenminister –, muß
man sagen, daß Deutschland bewußt auf eine solche
Möglichkeit verzichtet hat. Denn in Art. 2 des Zwei-
plus-Vier-Vertrages, der die äußeren Bedingungen der
Einheit regelt, heißt es am Ende:

Die Regierungen der Bundesrepublik Deutschland
und der Deutschen Demokratischen Republik erklä-
ren, daß das vereinte Deutschland keine seiner
Waffen jemals einsetzen wird, es sei denn in Über-
einstimmung mit seiner Verfassung und der Charta
der Vereinten Nationen.

Andere Nothilfefälle und andere Situationen, die einen
Einsatz gerechtfertigt erscheinen lassen könnten, sind
dort nicht erwähnt.

Es ist also eine klare Beschränkung, die durch das
Grundgesetz und durch die Charta der Vereinten Natio-
nen gegeben ist. Diese Bestimmungen haben Sie ver-
letzt. Es ist nämlich ganz eindeutig, daß der Art. 2 des
Zwei-plus-Vier-Vertrages verletzt ist. Wer aber die äu-
ßeren Vertragsbedingungen, also die völkerrechtlich
eingegangenen Verpflichtungen im Zusammenhang mit
der Einheit Deutschlands, verletzt, der stellt natürlich
alle äußeren Bedingungen dieser Einheit und damit den
ganzen Vertrag in Frage. Das halte ich für einen höchst
gefährlichen Prozeß.


(Beifall bei der PDS)

Ich habe schon über Glaubwürdigkeit gesprochen, die

sich aus der Geschichte und auch aus der Gegenwart er-
gibt. Im Zusammenhang mit dem Nachdenken über Bo-
dentruppen höre ich, daß jetzt auf Grund ihrer Erfah-
rungen im Umgang mit serbischen Soldaten in der Ge-
schichte insbesondere an die Türkei gedacht wird.
Wenn es nicht so tragisch wäre, müßte man sagen: Es
wäre doch ein Aberwitz der Geschichte, daß am Ende
dieses Jahrhunderts türkische Truppen in Jugoslawien
für die Wiederherstellung von Menschenrechten einer
nationalen Minderheit eintreten, die selbst eine Minder-
heit im eigenen Land, nämlich die Kurden in der Türkei,
seit Jahren jagen und töten und die Dörfer brandschat-
zen, ohne daß jemals die NATO ernsthaft aktiv gewor-
den wäre.


(Beifall bei der PDS)

In dieser Zeit des Krieges ist es ganz besonders

schwer, zwischen Wahrheit, Gerücht und Unwahrheit zu
unterscheiden. Das gilt eben nicht nur für eine Seite. Ich
nenne Ihnen Beispiele: Es wurde gesagt, im Stadion von
Pristina sei ein Konzentrationslager eingerichtet. Dann
wird ein Bild veröffentlicht, das zeigt, daß das Stadion
leer ist. Gestern hören wir, daß ein Flüchtlingstreck ver-
sehentlich durch die NATO beschossen worden sei.
Dann wird gesagt, es seien die Serben gewesen. Jetzt
heißt es wieder, es sei doch die NATO gewesen. Man ist
völlig verunsichert in dem, was man eigentlich glauben
soll. Man hat keine Beweise. Es wird gesagt, daß es Bil-
der gibt, die aber nicht gezeigt werden. Warum werden
diese Bilder nicht gezeigt, wenn sie doch die Notwen-
digkeit des eigenen Handelns unterstreichen könnten?
Diese Tatsache spricht dafür, daß es sie nicht gibt. Die
Situation ist ungeheuer kompliziert geworden.

Es wird ein Hufeisen-Plan vorgelegt. Darf ich Ihnen
sagen, was an diesem Plan merkwürdig ist? Der Gene-
ralinspekteur der Bundeswehr hat die Originalüber-
schrift dieses Planes vorgelesen. Diese Überschrift war
in Kroatisch und nicht in Serbisch verfaßt. Kann man
sich ernsthaft vorstellen, daß das serbische Militär in
kroatischer Sprache einen solchen Plan verfaßt? Da sind
doch Zweifel geboten. Man weiß einfach nicht mehr,
was man glauben und was man nicht glauben soll.

Auch ich gehe davon aus, daß Schreckliches im Ko-
sovo passiert, auch wenn es eindeutige Belege und Be-

Dr. Gregor Gysi






(A) (C)



(B) (D)


weise nicht gibt. Eine Frage konnte mir in diesem Zu-
sammenhang noch keiner beantworten: Warum berich-
ten wir nicht auch über die Toten und Verletzten in
Serbien? Warum kommen diese in Ihren Reden nicht
vor? Von Rezzo Schlauch sind sie wenigstens einmal
angesprochen worden, aber weder vom Bundeskanzler
noch von Herrn Schäuble, auch nicht von Ihnen, Herr
Fischer.

Wir haben in Serbien bisher 3 000 Verletzte und 300
Tote. Das sind überwiegend Zivilisten und bei Militär-
angehörigen meistens Wehrpflichtige. Die haben gar
keine andere Wahl. Ihnen droht nämlich schärfste Strafe,
wenn sie nicht zum Militär gehen.


(Zuruf von der SPD: Das hätten Sie Milosevic sagen müssen und nicht uns!)


Warum kann man nicht auch darüber sprechen? Warum
kann man sie nicht genauso erwähnen wie andere Ver-
letzte und Tote? Das müßte doch in einer Demokratie
eine Selbstverständlichkeit sein!


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Auch andere Widersprüche sind mir aufgefallen: Auf
militärischem Gebiet ist genügend Geld vorhanden. Da
klappt alles; da klappt die Organisation. Aber wenn es
um humanitäre Hilfe geht, dann herrscht erst einmal
ein großes Durcheinander. Dann berät man lange über
Quoten. Dann bleiben Hilfsgüter erst einmal aus. Dann
wird die Bevölkerung zu Spenden aufgerufen. – Ich be-
grüße die große Bereitschaft, zu spenden, genauso sehr
wie Sie. Ich finde es toll, wieviel gespendet wird, um
leidenden Menschen zu helfen. – Hier wird deutlich: Für
humanitäre Hilfe reichen die Mittel der Regierung nicht;
da muß die Bevölkerung zahlen. Für das Militär reicht
das Geld immer. Auf dem Gebiet der humanitären Hilfe
hätte die Regierung wesentlich mehr leisten können.


(Beifall bei der PDS – Widerspruch bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Hinsichtlich des Hufeisen-Planes stelle ich weiterhin
fest: Herr Bundesaußenminister, wenn er echt ist und
wenn er tatsächlich seit langer Zeit vorliegt, warum ha-
ben Sie dies dann nicht vorher gesagt? Wenn es so ist,
daß Milosevic wirklich geplant hat, die Bombenangriffe
für Vertreibungen zu nutzen, dann hieße das ja – das wä-
re ja noch absurder –, daß der NATO-Angriff in den
Plan von Milosevic paßt. In diesem Falle hätten wir es
mit einer fast absurden Konstruktion zu tun. Daher frage
ich: Warum war man dann nicht auf diese Vertreibungen
vorbereitet, und warum hat es so lange gedauert, bis man
Mazedonien und Albanien diesbezüglich Hilfe zuteil
werden lassen konnte?

Sie sagen immer, alles sei ausgeschöpft worden, Sie
hätten alles mit Ihrem Gewissen in Einklang bringen
können. Sie sagen, es habe keine weiteren Möglichkei-
ten gegeben, es habe bombardiert werden müssen. Darf
ich Sie fragen: Wieso können Sie jetzt plötzlich eine
UN-Hoheit auch für Truppen fordern, wieso war das
in Rambouillet nicht möglich? Wie konnten Sie also
sagen, Sie hätten alles ausgeschöpft?


(Beifall bei der PDS)


Für Milosevic wäre es doch viel schwerer gewesen, nein
zur UNO als nein zur NATO zu sagen. Das heißt, Sie
haben nicht alles ausgeschöpft. Angesichts des militäri-
schen Teils des Rambouillet-Abkommens, in dem steht,
daß die NATO die gesamte Hoheit über Jugoslawien er-
hält, und zwar zu Lande, zu Luft und im Wasser, kann
man doch nicht von Ausschöpfen sprechen. Auch eine
demokratisch gesinntere Führung in Jugoslawien hätte
so etwas niemals unterschreiben können. Deshalb sage
ich Ihnen: Die Möglichkeiten in Rambouillet sind eben
nicht ausgeschöpft worden.


(Zuruf von der SPD: Das ist doch Unsinn!)

Eine wirklich schwierige Situation entstand mit der

Pause in Rambouillet, weil Milosevic schon wußte, daß
er dieses Abkommen nicht unterschreiben wird, weil er
auch wußte, daß er bombardiert wird. Daher galt für ihn
das Abkommen mit Holbrooke nicht mehr, und dann ist
er – auch aus militärischen Gründen – wieder in das Ko-
sovo vorgestoßen.


(Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das Abkommen ist doch schon vorher gewesen! Das war doch schon vor Rambouillet! – Weitere Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und von der SPD)


– Ich habe ja gerade gesagt: Das war in der Pause von
Rambouillet. Aber er hat ja das Abkommen mit Hol-
brooke zunächst eingehalten. Auch Sie haben bestätigt,
daß er sich zunächst zurückgezogen hat. Deshalb müs-
sen wir zu Verhandlungen zurück und hin zu Ergebnis-
sen.

Wenn solche Vorschläge jetzt möglich sind – mehr
habe ich nicht festgestellt –, heißt das, daß sie auch da-
mals schon möglich gewesen wären, daß die Möglich-
keiten damals eben nicht ausgeschöpft worden sind.


(Beifall bei der PDS)

Ich warne auch vor der Verwendung falscher Be-

griffe. Die Verwendung der Begriffe „Auschwitz“ und
„Hitler“ ist falsch. Das alles sollte man nicht tun. Man
bagatellisiert damit deutsche Geschichte, nur um einen
eigenen Rechtfertigungsgrund zu haben. Vertreibungen
sind doch schlimm genug. Auch Morden und Töten sind
schlimm genug. Warum muß man denn noch andere
Vokabeln benutzen, nur um zu beweisen: Deutsche Ver-
brechen sind nicht einmalig? Sie kommen auch bei an-
deren vor. – Das ist falsch. Das ist unangemessen.


(Beifall bei der PDS)

Juden, Sinti, Roma und andere sind eben nicht vertrie-
ben worden, sondern nach Auschwitz gebracht worden.
So schlimm Vertreibung ist: Ich glaube, wenn sie in ein
anderes Land vertrieben worden wären, wäre das heute
nicht mehr so ein Thema, wie es ein Thema ist, weil sie
in die Gaskammer geführt worden sind. Deshalb sage
ich: Vergleiche mit den von mir genannten Begriffen
sind unzulässig und führen uns überhaupt nicht weiter.
Sie wissen, daß man mit Übertreibungen politische Lö-
sungen nur erschwert und nicht herbeiführt.


(V o r s i t z : Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms)


Dr. Gregor Gysi






(B)



(A) (C)



(D)


Vertreibungen – das wissen Sie ganz genau – haben
auch die Siegermächte in bezug auf Hitler beschlossen,
und zwar die USA, Frankreich, Großbritannien und die
Sowjetunion in bezug auf die Deutschen in den Ostge-
bieten. Das war schlimm genug. Deshalb waren Vertrei-
bungen bei den Faschisten keine einmalige Sache. Auch
die Siegermächte haben damals leider – Sie wissen,
wieviel Leid das bedeutet hat – Vertreibungen beschlos-
sen.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1403201500
Herr
Kollege Gysi, ich bitte Sie, zum Schluß zu kommen.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1403201600
Vertreibungen sind
schlimm, und sie müssen im Kosovo beendet werden.

Aber ich sage Ihnen auch: Wir müssen aus der
Kriegslogik heraus und hinein in die Friedenslogik.


(Beifall bei der PDS)

Sie können eine Tatsache nicht leugnen: Noch keine
Bombe, die in Jugoslawien abgeworfen worden ist – ich
habe mir Verletzte, zerstörte Fabriken und Gebäude so-
wie ein Heizwerk angesehen, das beschädigt worden ist,
so daß 200 000 Menschen einer Stadt frieren, weil keine
Heizung mehr funktioniert –, hat etwas genutzt.


(Zuruf von der SPD)

– Nein, Sie haben den Einsatz von Bomben beschlossen.
Das nutzt keinem Kosovo-Albaner. –


(Beifall bei der PDS)

Noch keine einzige Bombe, die auf Serbien oder auf das
Kosovo gefallen ist, hat das Leid nur eines einzigen Al-
baners gelindert. Darum geht es doch. Deshalb werden
wir in unseren Friedensbemühungen fortfahren.


(Beifall bei der PDS)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1403201700
Herr
Kollege Gysi, ich bitte, nun wirklich zum Schluß zu
kommen.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1403201800
Ich sage Ihnen: Wir müssen
endlich den Wahnsinn stoppen und an die Stelle des
Wahnsinns des Krieges wieder die Vernunft setzen.


(Beifall bei der PDS – Zuruf von der SPD: Die Rede haben Sie wohl mit Milosevic abgestimmt!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1403201900

Als nächster Redner hat das Wort der Bundesaußenmi-
nister, Joseph Fischer.


Joseph Fischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1403202000

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege
Gysi, Ihre Rede hat nicht nur eine große Verwirrung der

Politik in Ihrem Kopf gezeigt, sondern auch eine Ver-
wirrung der Werte,


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)


auf denen dieses Europa seit 1945 Gott sei Dank steht.
Wenn Sie sich hier als Friedenslogiker hinstellen – ge-
stern war mit Lukaschenko noch ein weiterer Friedens-
logiker in Belgrad –,


(Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Der war auch schon in Hannover!)


dann kann ich Ihnen nur sagen: Krieg, Herr Kollege Gy-
si, ist eine furchtbare Sache.

Das Furchtbare am Krieg ist, daß er auch und vor al-
len Dingen die Unschuldigen trifft. Aber vor dem Hin-
tergrund der historischen Erfahrung, die unser Land ge-
macht hat, daß es den furchtbarsten Krieg auf dem Kon-
tinent, den furchtbarsten Krieg in der Geschichte zu ver-
antworten hat, haben die Europäer nach 1945 durch eine
werteorientierte, an Demokratie, Frieden und der Herr-
schaft des Rechts orientierte Antwort für alle beteiligten
europäischen Nationen in Westeuropa – und seit dem
Ende des Kalten Krieges mittlerweile auch in Gesamt-
europa – Erfolge erzielt. Diese Antwort ist die Grund-
lage eines dauerhaften Friedens, der nicht auf Unterwer-
fung und nicht auf einer menschenverachtenden Ideolo-
gie beruht.

Was Sie gemacht haben, ist keine Friedenslogik. Bert
Brecht nennt dies das Geschäft des Weißwäschers. Das
möchte ich Ihnen klipp und klar sagen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Wir sind am Ende einer Entwicklung angelangt, die
1989 im Kosovo begonnen hat.


(Widerspruch bei der PDS)

Dort hat Milosevic das Autonomiestatut aufgehoben.
Dort nahm die großserbische Ideologie ihren Anfang,
die wesentlich zur Zerstörung Jugoslawiens beigetragen
hat. Die Blutspur führt bis heute über mehr als 200 000
unschuldige Menschen. Diese kommen in Ihrer Rede
nicht vor. Sie sprechen vom Völkerrecht. Ich frage Sie:
Wo ist das Recht der Ermordeten in den Massengrä-
bern? Wo ist bei Ihnen das Recht der vergewaltigten
Frauen? Wo ist das Recht der Vertriebenen?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD, der CDU/CSU und der F.D.P.)


Ich sage das als jemand, der sich weiß Gott – Kollege
Gerhardt hat ein Recht darauf, dies anzusprechen –
schwer damit getan hat, diese Pest der europäischen
Vergangenheit, einen großserbischen Nationalismus wie
den, den wir mit dem großdeutschen Nationalismus auch
hatten, diese Form, die darauf setzt, daß das eigene Volk
das wichtigste ist und deswegen andere Völker vertrie-
ben, unterdrückt und massakriert werden dürfen, zu ak-
zeptieren. Das hatten wir auch. Ich hatte wirklich
Schwierigkeiten damit, zu akzeptieren, daß dies wieder
da ist, daß dies eine rohe Form von Faschismus ist. Das

Dr. Gregor Gysi






(A) (C)



(B) (D)


Europa der Demokratie kann diese rohe Form des Fa-
schismus nicht akzeptieren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Ich frage Sie: Wo sind die mehreren tausend Männer aus
Srebrenica? In welchem Massengrab liegen sie? Wer
trägt dafür die Verantwortung?

Sie mögen den Plan nennen, wie Sie wollen. Ent-
scheidend ist doch die Frage, daß es bereits im letzten
Jahr angefangen hat. Lesen Sie doch die Biographien der
heute nach Deutschland gekommenen Familien, ihre
Vertreibungsgeschichten. Lesen Sie sie doch! Dann
werden Sie feststellen: Es ging im letzten Jahr los, bei
manchen sogar im Frühjahr letzten Jahres.

Wir hatten 300 000 Binnenvertriebene, das heißt,
die Sache war bereits in vollem Gange. Seselj, der stell-
vertretende Ministerpräsident in der Regierung, will und
wollte das albanerfreie Kosovo. Das wurde dann umge-
setzt. Es kam dann zur Bombendrohung der NATO, der
wir alle nur schweren Herzens zugestimmt haben. Es
kam zu einem Stillstand. Es gelang, die humanitäre Ka-
tastrophe zu unterbrechen – leider nur zu unterbrechen.
In der Endphase von Rambouillet hatten wir bereits
65 000 neue Vertriebene. Die Aufstellung des serbi-
schen Militärs ist heute nachzuvollziehen. Es läuft nach
der Devise, die sattsam bekannt ist: Das Militär macht
die militärische Arbeit. Anschließend kommen die Son-
dereinheiten – fast hätte ich gesagt: die „Einsatzgrup-
pen“ – des MUP und der Paramilitärs, die dann das
schmutzige Geschäft der Vertreibung erledigen.

Hätten Sie es für möglich gehalten, daß eine Kriegs-
führung wie die der Belgrader Regierung wieder mög-
lich wird, mit Deportation – ich wiederhole: Deporta-
tion –, also mit zwangsweiser Zusammenführung nach
dem Motto: rein in die Züge, raus aus dem Land? Hätten
Sie es für möglich gehalten, daß eine Großstadt wie
Pristina im Jahre 1999 Gegenstand von Krieg,
Kriegspolitik und von Vertreibungspolitik einer Regie-
rung in Europa ist? Ich hätte das nicht für möglich ge-
halten, aber es ist bitteres, blutiges Faktum, Herr Kol-
lege Gysi.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Es geht hier um die Frage: In welchem Europa wol-
len wir in Zukunft leben? Da sind wir an einem Punkt
angekommen, wo wir nicht weiter zurückkönnen. Ihnen
müssen doch die ganzen Spanienlieder, die Sie so seli-
gen Auges mit Ernst Busch gesungen haben, im Halse
stecken bleiben. „No passarán“, hieß es.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Sie beziehen sich doch auf eine Tradition, in der am
Manzanares mit der Waffe in der Hand – leider nicht er-
folgreich, aber mit großem kämpferischem Einsatz –
1936 bis 1938 versucht wurde, die spanische Republik
zu verteidigen. Und heute? Heute machen Sie sich hier

zum Weißwäscher der Politik eines neuen Faschismus,
der auf Vertreibung und ethnische Reinheit für eine
großserbische Politik setzt. Mit linker Politik und Frie-
denslogik hat das nichts zu tun.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich habe es vorhin gesagt: Es steht hier das Europa
des Nationalismus – wenn wir diesem nachgeben, dann
werden wir das Erreichte der vergangenen fünf Jahr-
zehnte in Frage stellen – gegen das Europa der Integrati-
on. Festigkeit auf der einen Seite und die Bereitschaft,
den Weg zum Frieden in jedem Augenblick zu betreten
auf der anderen Seite, müssen unsere Haltung kenn-
zeichnen.

Die Festigkeit stellt sich im westlichen Bündnis in
den fünf Punkten unseres Friedensplanes dar. Für uns
ist unannehmbar – darüber kann und darf nicht verhan-
delt werden, weil dies hieße, es zu akzeptieren –, daß
sich eine Politik der ethnischen Kriegsführung gegen die
Zivilbevölkerung durchsetzt. Für uns ist unabdingbar,
daß alle Flüchtlinge, alle Vertriebenen, alle Deportierten
in einen friedlichen und demokratischen Kosovo – ohne
Bedingungen und ohne Einschränkungen – zurückkeh-
ren können müssen. Dies ist nur möglich, wenn alle ser-
bischen Einheiten, alle bewaffneten Einheiten der Bun-
desrepublik Jugoslawien, alle Sonder- und Polizeiein-
heiten und Paramilitärs abziehen. Die Menschen werden
nicht zurückkehren, wenn die Mörder im Lande bleiben.
Das ist so sicher wie das Amen in der Kirche.

Aber es geht nicht nur um einen völligen Abzug, son-
dern gleichzeitig gilt auch: Wir brauchen eine robuste
internationale Friedenstruppe mit einem klaren Auftrag,
um diese Menschen in einem friedlichen, multiethni-
schen Kosovo tatsächlich zu schützen. Das sind die
Punkte, auf die sich die internationale Staatengemein-
schaft verständigt hat.

Die Europäische Union – ich möchte hinzufügen:
auch und gerade die neutralen Länder in der Union –
trägt diesen Entschluß mit. Für mich ist besonders wich-
tig, daß im Beschluß der Außenminister auch steht, daß
die Europäische Union nicht bereit ist, den Erfolg einer
Politik der Deportation und der Zerstörung eines Volkes
aus brutalen nationalistischen Gründen zu akzeptieren.

Die Europäische Union, die NATO und auch der VN-
Generalsekretär – das halte ich für sehr wichtig – stehen
zu diesen fünf Punkten. Das sind auch die Ziele, für die
unsere Soldaten gegenwärtig kämpfen, für die sie bereit
sind, ein sehr, sehr großes Risiko einzugehen. Ich
möchte unseren Soldaten dafür danken.

Ihnen, Kollege Gysi, möchte ich eines sagen: Sie ha-
ben als Oppositionsabgeordneter natürlich ein Recht auf
Urlaub. Ich finde es aber ziemlich übel, wenn Sie mit
Umweg über Belgrad direkt von Gran Canaria kommen
und den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern humanitärer
Hilfsorganisationen, des Auswärtigen Amtes und des
Innenministeriums vorwerfen, sie hätten versagt, sie
hätten sich nicht auf Milosevics Kriegsführung vorbe-

Bundesminister Joseph Fischer






(B)



(A) (C)



(D)


reitet, die Bundesregierung habe nicht mobilisiert, wir
seien auf die Spenden der Menschen angewiesen. Ich
bin froh, daß die Menschen spenden.


(Beifall bei der SPD und der F.D.P.)

Und ich kann Ihnen sagen: Die Bundesregierung, die
Europäische Union und der UNHCR haben seit Beginn
der Vertreibung rund um die Uhr gearbeitet. Wir haben
es nicht nötig, uns nachher von einem Abgeordneten,
der sich im Urlaub befunden hat, beschimpfen zu lassen.
Das will ich Ihnen im Namen der Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter sagen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zuruf von der PDS)


– Entschuldigen Sie, daß ich hier persönlich und emo-
tional reagiere. Ich möchte Ihnen aber einmal klipp und
klar sagen: Ich habe erlebt, daß die Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter aller Ministerien, auch der nachgeordneten
Behörden, der Bundeswehr wie auch der zivilen Teile
unserer Staatsverwaltung, der Europäischen Union, aber
auch des UNHCR von Beginn an rund um die Uhr gear-
beitet und Großartiges in bezug auf die Abwehr dieser
humanitären Katastrophe geleistet haben. Sie müssen
schon entschuldigen, daß ich Ihre Kritik dann als zutiefst
ungerecht zurückweise.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie des Abg. Dr. Heiner Geißler [CDU/CSU])


Meine Damen und Herren, eines muß völlig klar sein:
Wir werden im westlichen Bündnis nicht mehr den
Worten von Herrn Milosevic trauen, sondern nur noch
seinen Taten. Eine einseitige Verkündung einer Waffen-
ruhe würde nur zu unendlichen Verhandlungen mit dem
Ergebnis führen, daß Herr Milosevic seine Politik der
ethnischen Kriegsführung gegen die kosovo-albanische
Bevölkerung durchsetzen würde. Eine einseitige Vorlei-
stung kann es nicht geben.

Wir sind uns im Bündnis einig, daß es wichtig ist, ei-
ne Resolution des UN-Sicherheitsrats zu bekommen.
Da sich aber der Abgeordnete Gysi hier hingestellt und
gefragt hat: Warum habt ihr das nicht von Anfang an
gewollt?, muß ich sagen: Wir haben es von Anfang an
gewollt, Kollege Gysi. Rußland ins Boot zu holen ist
wichtig. Rußland ins Boot zu holen heißt aber, daß
Rußland seine Blockadehaltung im Sicherheitsrat der
Vereinten Nationen aufgibt. Und genau daran arbeiten
wir. Wir sind nach wie vor der Überzeugung, daß es un-
erläßlich ist, auf der Grundlage einer VN-Resolution ei-
nen politischen Lösungsansatz zu suchen; nur dies be-
deutet den Einschluß Rußlands. Es liegt aber an Ruß-
land, seine Blockadehaltung aufzugeben. Genau darüber
läuft gegenwärtig eine, wie ich finde, sehr konstruktive
Diskussion.

Die Friedensinitiative muß davon ausgehen, daß es
keine einseitigen Vorleistungen geben kann und darf.
Nach einer VN-Sicherheitsratsresolution nach Kapi-
tel VII muß Belgrad das Angebot gemacht werden, in-
nerhalb einer bestimmten Frist alle seine Truppen aus
dem Kosovo zurückzuziehen. Erst wenn mit diesem

Rückzug verifizierbar begonnen wird, nicht vorher –
dies zu begreifen ist wichtig –, halte ich eine einseitige
Waffenruhe für notwendig. Wird der Rückzug innerhalb
dieser Frist abgeschlossen, halte ich eine dauerhafte
Waffenruhe für notwendig.

Als nächster Schritt wird die Implementierung einer
internationalen Friedenstruppe, gründend auf einer
entsprechenden VN-Sicherheitsresolution nach Kapi-
tel VII, erfolgen. Sie wird eine sehr starke NATO-
Komponente beinhalten müssen – das wird sowohl von
der militärischen als auch von der politischen Seite her
nicht anders gehen können –, unter Einschluß Rußlands,
unter Einschluß der neutralen Staaten innerhalb der EU
und unter Einschluß der Ukraine, die ebenfalls eine sehr
wichtige Funktion hat. Mit Implementierung der inter-
nationalen Friedenstruppe wird es auch zu einer Rück-
kehr der humanitären Organisationen kommen können
und damit zu einer Rückkehr der Flüchtlinge in ein mul-
tiethnisches, friedliches Umfeld im Kosovo.

Das sind die Ziele, das ist der Plan. Das ist keine Ka-
pitulation Belgrads, sondern ein faires Angebot.

Darüber hinaus wollen wir einen „Stabilitätspakt
südlicher Balkan“ erreichen, der die ganze Region sta-
bilisiert und eine Perspektive hin zum Europa der Inte-
gration eröffnet. Es wird um drei Körbe gehen: erstens
um die Sicherheit aller – um die Sicherheit der Grenzen,
um die Sicherheit der Minderheiten und um die Herr-
schaft des Rechts statt der Gewalt –; zweitens um die
wirtschaftliche Entwicklung hin zum Europa der Inte-
gration – ein langfristiger Prozeß, bei dem wir in der
Verantwortung stehen –; drittens um Demokratie, um die
demokratische Implementierung von Institutionen und
eine demokratische Zivilgesellschaft in dieser Region.

Alle Nachbarstaaten in dieser Region haben auf die
Vorschläge der deutschen Präsidentschaft sehr, sehr
positiv reagiert. Die Voraussetzung dafür ist allerdings,
daß die Politik des Europas der Integration in dieser Re-
gion Einzug hält. Dazu gehört für uns, so betone ich,
auch und gerade das serbische Volk. Serbien wird von
Milosevic zerstört. Das ist eine große Tragödie. Das ser-
bische Volk hat selbst am meisten unter Milosevic zu
leiden. Die großserbischen Versprechen werden in ei-
nem Rumpfserbien enden; das ist eine große Tragödie.
Wir dürfen nicht müde werden, zu erklären: Dieser
Krieg richtet sich nicht gegen das serbische Volk. Das
serbische Volk gehört zu Europa. Wir müssen ihm den
Weg zurück nach Europa in Frieden wieder eröffnen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)


Wir haben mit dieser Friedensinitiative klargemacht,
daß wir nicht bereit sind, einer Eskalationsautomatik,
wie sie vor allem Milosevic betreibt, zu folgen. Die
Politik muß in diesem Konflikt, den wir alle nicht woll-
ten, die Verteidigung der Menschenrechte, die Freiheit,
das Europa der Integration bestimmen. Das muß auch in
Zukunft gelten. Keine Eskalationsautomatik, aber auch
kein Beugen der Knie vor einer Politik der ethnischen
Säuberung! Dies muß und wird der Vergangenheit an-
gehören.

Bundesminister Joseph Fischer






(A) (C)



(B) (D)


Eines sage ich Ihnen klipp und klar: Wenn Sie nicht
wollen, daß die nächste blutige Runde in Montenegro, in
Mazedonien stattfindet, dann muß im südlichen Balkan
die Logik des Krieges gebrochen werden.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Es wird dort nur dann Frieden geben, wenn die Logik
der ethnischen Säuberung gebrochen wird, wenn das
Vertreiben, wenn der Nationalismus dort endgültig eine
Niederlage erleidet.

Diese Niederlage werden wir Milosevic nicht erspa-
ren können und nicht ersparen dürfen. Wenn er Frieden
will, kann er jetzt unser Friedensangebot annehmen.
Wenn er Frieden will, dann ist die Rückkehr für Serbien
in ein Europa der Integration und des Friedens offen.
Wir haben ein Friedensangebot gemacht. Die Antwort
liegt jetzt bei Milosevic. Wenn diese Antwort weiter
Krieg bedeutet, dann, so kann ich Ihnen nur sagen, wird
er auf die Festigkeit, die Entschlossenheit und Geschlos-
senheit des Westens, der europäischen und der transat-
lantischen Staatengemeinschaft treffen. Die Bundesre-
publik Deutschland wird an diesem Punkt nicht wanken
und nicht wackeln. Wir sind davon überzeugt: Wenn wir
hier nachgeben würden, würden wir nicht Frieden be-
kommen, sondern eine weitere blutige Runde des Krie-
ges.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1403202100
Zu einer
Kurzintervention von höchstens drei Minuten hat der
Kollege Gysi das Wort.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1403202200
Herr Bundesaußenminister,
ich habe festgestellt, daß Sie den Weg der Sachlichkeit
verlassen und persönlich werden. Es ist richtig: Ich habe
über Ostern ein paar Tage Urlaub gemacht, wenn auch
nicht in Gran Canaria. Ich glaube, daß mir das nach weit
mehr als einem Jahr ohne Urlaub auch zustand. Das muß
ich mir von Ihnen nicht vorwerfen lassen – schon gar
nicht von Leuten, die ständig in der Toskana Urlaub ma-
chen.


(Widerspruch bei der SPD)

Was also soll das?

Nun zu unserer sachlichen Differenz: Sie haben sich
hier gegen Vertreibung, gegen Morden, gegen Nationa-
lismus ausgesprochen. Etwas anderes hat auch in der
PDS nie jemand getan, und wir werden das weiterhin
tun. Es gibt nicht die Alternative: das eine, was Sie
wollen, oder Krieg. Das ist einfach ein falscher Ansatz.
Herr Fischer, sagen Sie mir: Haben Ihre Bomben Ver-
treibung verhindert? Welche Bombe hat das Leid eines
einzigen Kosovo-Albaners auch nur gelindert?

Seit neun Jahren reise ich durch Europa. Es ist das er-
ste Mal, daß ich wieder eine richtig antiamerikanische,
eine richtig antideutsche, eine richtig antiwestliche
Stimmung in der Bevölkerung gespürt habe. Das wird
wiederum die Generation nach uns austragen müssen.

Wir wissen, daß es dieselben Stimmungen auch in der
russischen Bevölkerung gibt. Es geht doch nicht immer
nur um die Regierungen – die sind doch gar nicht wich-
tig –, es geht um die Bevölkerung. Bisher ist kein einzi-
ger Verantwortlicher in Jugoslawien durch eine Bombe
gestorben.


(Beifall bei Abgeordneten der PDS)

Darf ich Sie fragen, was ein Albaner davon hat, wenn
Arbeiter einer Nachtschicht wie die in jenem Pkw-Werk
verletzt werden? Der Krieg ist einfach das falsche
Mittel; damit lösen wir kein einziges humanitäres Pro-
blem.

Sie haben am Anfang gesagt, Sie wollen bombardie-
ren, damit Milosevic unterschreibt. Ich habe gesagt, ich
glaube nicht, daß er unterschreibt. Ich habe leider recht
behalten. Sie haben gesagt, Sie wollen bombardieren,
um eine humanitäre Katastrophe im Kosovo zu ver-
hindern. Ich habe gesagt, ich glaube nicht, daß man sie
zum Beispiel dadurch verhindern kann, daß man das
Zentrum von Pristina völlig zerbombt. Ich glaube viel-
mehr, daß das die Katastrophe zuspitzt. – So ist es ge-
kommen. Alles ist danach schlimmer geworden; nichts
ist danach besser geworden.

Jetzt sagen Sie: Die Bomben sollen das Morden im
Kosovo verhindern. Aber Sie können doch nicht Pisto-
len, Messer, Gewehre aus den Händen bomben. Auch
das wird nicht funktionieren. Deshalb sage ich: Die
Bomben haben noch keinem einzigen Albaner geholfen,
und deshalb stimmt Ihre ganze Logik nicht. Wir brau-
chen andere Ansätze, wenn wir Menschenrechte wirk-
lich durchsetzen wollen.


(Beifall bei Abgeordneten der PDS)

Die Demokratiebewegung in Serbien ist inzwischen

völlig kaputtgemacht worden. Dort steht man jetzt ge-
schlossen gegen die NATO und gegen den Westen. Das
ist eine Tatsache. Ich sage jetzt: Das ist noch verstärkt
worden. Wir hatten große Ansätze für eine Demokratie-
bewegung in Jugoslawien. Heute gibt es sie überhaupt
nicht mehr. Das ist das Problem.

In bezug auf alle die Ziele, von denen Sie vorgeben,
daß sie durch Ihre Mittel erreicht würden, muß man sa-
gen: Damit wird kein einziges Ziel erreicht; sie werden
alle nur beschädigt. Das ist die Wahrheit.


(Beifall bei der PDS)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1403202300
Herr
Bundesminister, wollen Sie erwidern? – Bitte schön.


Joseph Fischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1403202400

Mir liegt der Entschließungsantrag der PDS vor. Darin
heißt es:

Seit Aufnahme der Bombenangriffe der NATO auf
die Bundesrepublik Jugoslawien hat sich die Lage
der gesamten Zivilbevölkerung im Kosovo in ex-
tremer Weise verschlimmert. Die mit der Kriegs-
führung verbundene Brutalisierung hat zu massiven

Bundesminister Joseph Fischer






(B)



(A) (C)



(D)


Flüchtlings- und Vertriebenenströmen aus dem Ko-
sovo


(Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


in die übrigen Teile Jugoslawiens, nach Albanien
und Makedonien sowie innerhalb des Kosovo selbst
geführt.


(Zuruf von der SPD: Unglaublich!)

Berichte über von serbischen Sicherheitskräften
und paramilitärischen Verbänden an Zivilisten be-
gangene Grausamkeiten häufen sich. Zivile Gebäu-
de und Einrichtungen sowie die gesamte Infra-
struktur sind erheblichen Zerstörungen ausgesetzt.

Ich habe in diesem Antrag verzweifelt eine Verurtei-
lung der Politik der ethnischen Kriegführung gesucht.


(Dr. Gregor Gysi [PDS]: Das ist doch damit verurteilt!)


– Kollege Gysi sagt gerade, daß diese Beschreibung –
der durch das Bombardement hervorgerufenen Brutali-
sierungen – zugleich eine Verurteilung sei.


(Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)


Ich habe in diesem Antrag verzweifelt nach einer
auch nur ansatzweise erkennbaren Verurteilung der Po-
litik Milosevics gegenüber der albanischen Bevölkerung
gesucht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)


Insofern ist meines Erachtens jede weitere Gegenrede
überflüssig; ich empfehle die Lektüre dieses Antrags.


(Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Ich empfehle die Ablehnung!)


Es ist ein Dokument, Herr Kollege Gysi, von dem ich
nur sagen kann: Es ist das Dokument einer politischen
Weißwäscherei. Das wird nicht gelingen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1403202500
Als
nächster Redner hat das Wort der Ministerpräsident des
Freistaates Bayern, Edmund Stoiber.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1403202600

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine
Herren! Die heutige Debatte in diesem Hohen Hause
findet vor dem Hintergrund einer sehr schwierigen und
menschlich zutiefst bedrückenden und außerordentlich
gefährlichen Lage in Südosteuropa statt, der vielleicht
schwierigsten außenpolitischen und sicherheitspoliti-
schen Situation des wiedervereinigten Deutschland. Ich
begrüße diese Debatte, die auf Anregung der
CDU/CSU-Fraktion hier heute geführt wird, auch des-

wegen sehr, weil unsere Bürgerinnen und Bürger inten-
siv mit diesen außerordentlichen Belastungen leben. Sie
erwarten natürlich nicht nur die offizielle Information
durch die Regierung und die Parteien, sondern sie er-
warten natürlich auch die Debatte in diesem Hause, um
daraus Informationen zu ziehen.

Seien Sie mir nicht böse, Herr Gysi, aber eines muß
ich Ihnen schon vorhalten: Sie betreiben in der Tat eine
zynische Friedensrhetorik. Deswegen kritisiere ich das.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Angesichts der dramatischen Herausforderung, die
systematischen und organisierten Menschenrechtsver-
letzungen im Kosovo zu beenden, stehen CDU und
CSU geschlossen zu ihrer nationalen und europäischen
Verantwortung. Wir stehen deshalb hinter der Entschei-
dung der Bundesregierung, daß sich Deutschland am
Einsatz der NATO zur Durchsetzung der Menschen-
rechte im Kosovo mit militärischen Mitteln beteiligt.

Dieses Bündnis setzt sich gerade als Wertegemein-
schaft im Kosovo nachhaltig für die Wiederherstellung
und Einhaltung der grundlegenden humanitären Prinzi-
pien ein. Aus der Verantwortung vor der Geschichte
wissen wir als Deutsche ganz besonders: Denjenigen,
die diese Werte mißachten und denen Humanität, Tole-
ranz und das Leben von Menschen nichts gelten, darf
kein Freiraum gegeben werden.

Die Solidarität des Bündnisses war gerade für
Deutschland über Jahrzehnte hinweg in der Zeit des
kalten Krieges von existenzieller Bedeutung, vor allem
während der Berlin-Blockade und des Mauerbaus, als
Deutschland in vorderster Linie stand. Zu dieser Solida-
rität stehen wir voll und ganz. Diese Gemeinschaft ist
nicht nur eine europäische, sondern auch eine atlantische
Wertegemeinschaft. Die USA sind und bleiben deshalb
ein entscheidender Eckpfeiler für Frieden und Sicherheit
in Europa.

Zugleich hat der Kosovo-Konflikt erneut deutlich
gemacht, daß eine westeuropäische Friedensordnung
allein nicht ausreicht, sondern eine gesamteuropäische
Friedensordnung geschaffen werden muß. Diese Anlie-
gen genießen heute erfreulicherweise einen noch höhe-
ren Stellenwert in der Bevölkerung. Zu einer solchen
Friedensordnung gehören die gewachsenen und be-
währten Beziehungen zu unserem nordamerikanischen
Bündnispartner.

Bis auf die PDS gibt es eine nahtlose Solidarität in
unserem Land mit unseren Bündnispartnern, auch wenn
sich die Zustimmung zum Einsatz militärischer Mittel
niemand leichtgemacht hat.

Mit unseren Gedanken sind wir bei den Soldaten der
Bundeswehr und der NATO, die ihren schwierigen
Auftrag im Krisengebiet erfüllen, sowie bei deren An-
gehörigen. Ich habe, weil nichts besser ist als persönli-
che Information, mit den Soldaten im Lager Lechfeld
gesprochen. Es ist in der Tat eine Belastung, wie sie im
zivilen Leben überhaupt nicht vorkommen kann. Man
kann sich nicht vorstellen, wie sich diese Menschen für
uns, für die Menschenrechte einsetzen. Man kann das

Bundesminister Joseph Fischer






(A) (C)



(B) (D)


nicht oft genug wiederholen und den hohen Stellenwert
hervorheben.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P. und des Abg. Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Sie sind bereit, dafür größte persönliche Risiken auf
sich zu nehmen. Deswegen mein herzlicher Dank in die-
se Richtung.

Es blieb der PDS und ihren Sympathisanten vorbe-
halten, von einer „NATO-Aggression“ gegen Jugosla-
wien zu sprechen und der Bundesregierung im „Neuen
Deutschland“ imperialistische Absichten zu unterstellen.
Ich will hier in dieser Stunde wirklich keine Polemik
einführen, aber die SPD muß sich gerade heute ange-
sichts der harten Wortwahl des Bundeskanzlers, der von
der „fünften Kolonne Belgrads“ sprach, schon die Frage
stellen lassen, wie sie mit einem solchen Partner politi-
sche Bündnisse eingehen kann, der eine derartige Spra-
che spricht und Einstellung vertritt,


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

wenn es um den Einsatz gegen systematische Vertrei-
bung und massenhaften Mord geht.

Das menschenverachtende Regime Milosevics hat der
Staatengemeinschaft letztlich keine andere Wahl gelas-
sen, als nun als Ultima ratio den Verbrechen im Kosovo
mit militärischen Mitteln entgegenzutreten. Den Kriti-
kern, die demgegenüber die Verletzung der Souveräni-
tätsrechte Jugoslawiens in den Vordergrund stellen
– mein Vorvorredner hat das getan –, muß man entge-
genhalten: Das Völkerrecht rückt zunehmend – das ist
eine gute Entwicklung – den Schutz der Menschenrechte
und des Lebens in den Mittelpunkt. Die Fixierung auf
die Souveränität eines Staates verliert in Konfliktfällen
an zentraler Bedeutung, wenn es um grundlegende
menschliche Werte der Individuen und des Zusammen-
lebens geht. Das gilt besonders, wenn man es mit men-
schenverachtenden politischen Systemen zu tun hat.

Seit zehn Jahren bringt Milosevic Unglück über die
Völker Jugoslawiens. Mit seiner Rede auf dem Amsel-
feld vor zehn Jahren, am 28. Juni 1989 – hier ist darauf
hingewiesen worden –, entfesselte er vor 3 Millionen
Menschen den Ungeist des aggressiven serbischen Na-
tionalismus. Jahrelang ist mit ihm auf allen Ebenen ohne
Ergebnisse über den Kosovo verhandelt worden. Das
muß ich gerade an die Adresse derjenigen richten, die
jetzt den militärischen Einsatz kritisieren. Europa würde
seine Glaubwürdigkeit und seine Identität als ein Konti-
nent verlieren, der sich gerade aus den Lehren der Ge-
schichte unseres Jahrhunderts Frieden und Menschen-
rechten verpflichtet weiß.

Die militärische Komponente des NATO-Einsatzes
ist kein Selbstzweck. Sie war und ist immer nur ein
Mittel, ein Ende der systematischen Verletzung der
Menschenrechte im Kosovo zu erzwingen. Der Einsatz
militärischer Mittel ist ausschließlich zur Erreichung
klarer politischer Ziele verantwortbar. Unser Ziel ist ei-
ne dauerhafte Friedensordnung in Südosteuropa. Dieses
Ziel ist nicht ohne Einbindung und Einbeziehung Ruß-
lands zu erreichen. Deshalb muß – der Kollege Gerhardt

hat völlig recht – jedes Gespräch genutzt werden, die eu-
ropäische Mitverantwortung Rußlands deutlich zu ma-
chen.

Der Freistaat Bayern hat auf Grund der Situation nach
Ende der Sowjetunion eine besondere Beziehung zu der
Region Moskau. Ich hatte letzte Woche, vom 7. bis zum
10. April, zusammen mit dem Kollegen Lamers auf
Einladung des Moskauer Oberbürgermeisters Luschkow
Gelegenheit zu einer lange geplanten Reise in die russi-
sche Hauptstadt. Dieser Besuch fand nun im zeitlichen
und im politischen Kontext der dramatischen Zuspitzung
der Ereignisse in Jugoslawien statt.

In dieser schwierigen Situation habe ich mich – ich
sage das ganz deutlich – auch mit dem Bundeskanzler-
amt und mit dem Außenminister abgestimmt. Es war in
dieser besonderen Situation unser gemeinsames Ziel, das
gute deutsch-russische Verhältnis, das besonders Helmut
Kohl in den vergangenen zehn Jahren aufgebaut hat, ge-
rade in dieser angespannten Situation zu bewahren.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Dieses gute Verhältnis ist für uns kein Gegensatz zu

unserer atlantischen Solidarität. Dieses Verhältnis zwi-
schen uns und den Russen ist für uns von größter Be-
deutung und darf trotz der unterschiedlichen Bewertung
des NATO-Einsatzes nicht beschädigt werden.

Ich glaube, daß die These, die mein Vorvorgänger
Franz Josef Strauß aus historisch bemerkenswerter Sicht
schon zu Zeiten des kalten Krieges 1978 gegenüber Bre-
schnew zum Ausdruck gebracht hat, auch heute noch
richtig ist: Wenn das Verhältnis zwischen Rußland und
Deutschland gut ist, dann ist das immer gut für die Men-
schen in Rußland, in Deutschland und in Europa, und
wenn die Beziehungen zwischen diesen beiden Ländern
schlecht sind – leider waren sie im letzten Jahrhundert
immer sehr schlecht, phasenweise sogar außerordentlich
kritisch –, dann ist das schlecht für Europa und vor allen
Dingen für die Menschen in Europa, in Deutschland, in
Rußland und in allen anderen Ländern.

Ich habe in Moskau deutlich gemacht, daß sich die
politisch verantwortlichen Kräfte in Deutschland in die-
ser Frage einig sind. Diese Gemeinsamkeit ist ein großes
Gut. Es wäre geradezu fatal, wenn in unserer Bevölke-
rung und im Ausland ein anderer Eindruck entstehen
würde.

In meinen Gesprächen mit dem Ministerpräsidenten
Primakow, mit dem Außenminister Iwanow, vor allen
Dingen mit dem Moskauer Oberbürgermeister
Luschkow, dem Vorsitzenden der Staatsduma Selesnjow
und dem Vorsitzenden der Jabloko-Fraktion Jawlinskij
ist für mich deutlich geworden: Erstens. Rußland ist
ernsthaft darum bemüht, an der politischen Lösung die-
ses Konfliktes mitzuwirken. Moskau verweigert sich
nicht, auch wenn man sich dort, insbesondere zum da-
maligen Zeitpunkt – zu Recht oder zu Unrecht – ausge-
grenzt fühlte.

Zweitens. Die russische Führung will sich nicht in ei-
ne militärische Auseinandersetzung hineinziehen lassen,
obwohl starke Kräfte im Land dies fordern.

Ministerpräsident Dr. Edmund Stoiber






(B)



(A) (C)



(D)


Drittens. Die Kritik an Milosevic nimmt deutlich zu.
Die Menschenrechtsverletzungen werden zunehmend
verurteilt, jedenfalls von der russischen Regierung und
den demokratischen Kräften im Parlament.

Viertens. Rußland zeigt Bereitschaft, sich aktiv an
den Maßnahmen zu beteiligen, die zum Schutz der Men-
schen im Kosovo und zur Wiederherstellung der
Rechtsordnung notwendig sind. Das könnte die Beteili-
gung russischer Soldaten an einer gemeinsamen interna-
tionalen Schutztruppe bedeuten. Darüber wird ja erfreu-
licherweise seit dieser Woche intensiv verhandelt.

Fünftens. Aber mir wurde auch gesagt – und zwar
von allen, einschließlich der Demokraten, einschließlich
Jawlinskij – Rußland würde den Einsatz von Boden-
kampftruppen der NATO als eine sehr ernste Entschei-
dung mit weitreichenden Konsequenzen und Eskalati-
onsgefahren ansehen.

Die russische Regierung hat in der Krise bisher be-
sonnen reagiert, trotz anderer Mehrheiten im Parlament,
in der Duma. Dort verfügen die Kommunisten und die
Nationalisten, die etwas ganz anderes als die Verant-
wortlichen in der russischen Regierung wollen, über ei-
ne große Mehrheit. Die Bereitschaft Rußlands, an einer
politischen Lösung mitzuwirken, müssen wir ernst
nehmen. Natürlich bin ich über deutliche Signale des
Westens an Rußland froh, daß seine Mitverantwortung
gerade in diesem Raum, zu dem es besondere historische
und kulturelle Beziehungen hat, gebraucht wird.

Ich bin überzeugt, daß die russische Regierung ange-
sichts der innenpolitischen Lage in einer sehr schweren
Situation wäre, wenn es zu einem Einsatz von NATO-
Bodenkampftruppen im Kosovo käme. Aber auch dar-
über hinaus wären mit einer solchen Entscheidung der
NATO unkalkulierbare militärische Risiken verbunden.
Es wird immer wieder gefragt: Warum sagen Sie das in
der Situation? Sie signalisieren doch, daß wir es nicht
ganz ernst meinen, Milosevic konsequent zum Rückzug
zu bringen. – Nein, meine Damen und Herren, wir müs-
sen die Dinge aussprechen, über die in der Bevölkerung
außerordentlich intensiv diskutiert wird.

Wir haben in der Bevölkerung Gott sei Dank – die
neuen Zahlen werden heute abend wieder veröffentlicht
– eine große Mehrheit, die hinter unseren Entscheidun-
gen steht, Milosevic – das richtet sich nicht gegen die
Serben insgesamt – zur Einhaltung der Menschenrechte
mit militärischen Mitteln zu zwingen. Gleichzeitig hat
eine große, eine überwältigende Mehrheit der deutschen
Bevölkerung Sorge und Angst vor möglichen Einsätzen
von – so nenne ich sie immer – Bodenkampftruppen.
Dies spreche ich in diesem Hohen Haus, in dem Haus
der Nation, sehr deutlich aus, damit die Menschen die
Positionen kennen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Ein solcher Einsatz würde zwangsläufig gerade die

politischen Optionen verbauen, die wir zur Lösung der
Probleme benötigen. CDU und CSU haben sich deshalb
ebenso wie die Bundesregierung klar gegen den Einsatz
von Bodenkampftruppen der NATO in diesem Konflikt
ausgesprochen. Wir dürfen keine Mittel einsetzen, die

politische Lösungen erschweren oder sogar unmöglich
machen und die wir in den Konsequenzen nicht beherr-
schen können. Diesen Standpunkt müssen wir nicht nur
hier, sondern auch innerhalb des Bündnisses immer
wieder deutlich machen.

Wir stehen in einer schicksalhaften Auseinanderset-
zung und vor schwerwiegenden Entscheidungen, bei de-
nen das Parlament als Vertretung unseres Volkes gefor-
dert ist. Für den Fall – ich unterstreiche das, was der
Kollege Schäuble gesagt hat –, daß eine Beteiligung
deutscher Soldaten an einem NATO-Kontingent in Al-
banien, über humanitäre Maßnahmen im engeren Sinne
hinaus erwogen wird, gehe ich davon aus, daß dieses
Hohe Haus darüber neu entscheidet. Ein solcher Be-
schluß des Bundestages müßte Aufgaben und Grenzen
des deutschen Beitrages zu diesem NATO-Kontingent in
Albanien klar definieren.

Jetzt schlägt die Stunde der Politik; das ist heute
schon mehrfach angeklungen. Eine Lösung dieses Pro-
blems kann nur auf der Basis – Herr Außenminister, Sie
haben es angesprochen – von Kapitel VII der UN-Charta
gefunden werden. Für diesen Vorschlag habe ich jeden-
falls bei meinen Gesprächen in Rußland Aufgeschlos-
senheit gespürt. Der jetzt vorgelegte Plan der Bundesre-
gierung knüpft meines Erachtens in realistischer Weise
an diese Signale aus Rußland an und enthält die unver-
zichtbaren Bestandteile einer vor allem für die Men-
schen im Kosovo notwendigen Friedenslösung.

Unser Ziel muß es aber weiterhin sein, Präsident Mi-
losevic zu zwingen, seine Truppen zurückzuziehen, den
Völkermord und die Vertreibung der Bevölkerung zu
beenden. Er muß den ersten Schritt zu einer Lösung des
Konflikts machen und seine bewaffneten Einheiten ab-
ziehen. Nur dann ist es möglich, daß die Opfer von Ge-
walt und Vertreibung in ihre Heimat zurückkehren kön-
nen. Eine Rückkehr dieser Flüchtlinge ohne Absiche-
rung durch eine internationale Schutztruppe ist aller-
dings nicht vorstellbar. Das ist immer wieder das Pro-
blem. Natürlich sagen die Menschen ja zu einer Feuer-
pause. Vielleicht kann man 24 Stunden, vielleicht zwei
Tage verhandeln. Nur, wir haben doch Erfahrungen da-
mit gemacht: Das wäre eine Niederlage der NATO und
hätte unabsehbare Konsequenzen. Deswegen sage ich es
noch einmal: Den Schlüssel für den Frieden hat Milose-
vic und niemand anderes in der Hand.

Bis zu einer gesicherten Rückkehr der Flüchtlinge
muß die internationale Staatengemeinschaft die unsägli-
che Not und das Leid dieser Flüchtlinge lindern, soweit
dies irgendwie möglich ist. Vorrangig muß dabei dafür
gesorgt werden, daß diese Menschen möglichst in der
Nähe ihrer Heimat untergebracht werden. Albanien und
Mazedonien, die selbst unter großer Not leiden, leisten
hier Außerordentliches und Beispielhaftes. Es muß eine
Selbstverständlichkeit sein, daß die westlichen Indu-
striestaaten diesen Ländern bei der Lösung dieser großen
humanitären Aufgabe helfen und sie massiv unterstüt-
zen. Jeder ist an seiner Stelle gefordert. Als Beitrag zur
Linderung der Not hat beispielsweise der Freistaat Bay-
ern vor zwei Tagen beschlossen, 10 Millionen DM für
humanitäre Hilfsmaßnahmen in diesen Ländern zur Ver-
fügung zu stellen.

Ministerpräsident Dr. Edmund Stoiber






(A) (C)



(B) (D)


Militärische Solidarität im Bündnis, Herr Bundes-
kanzler und Herr Außenminister, verlangt auch humani-
täre Solidarität. Es darf nicht geschehen, daß Deutsch-
land wie im Konflikt in Bosnien-Herzegowina die über-
wiegende Zahl der Flüchtlinge aufnimmt und die damit
verbundenen Belastungen alleine trägt. Es darf sich
nicht wiederholen, daß wir mehr aufnehmen als alle an-
deren großen und kleinen Länder in der Europäischen
Union zusammen. Soweit eine Unterbringung in den
Nachbarstaaten nicht möglich ist, müssen andere Staaten
Flüchtlingskontingente aufnehmen. Deutschland hat bis-
her die Aufnahme von 10 000 Kosovo-Flüchtlingen zu-
gesagt. Wir vermissen aber gleichwertige Beiträge ande-
rer großer europäischer Partner.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich will, meine Damen, meine Herren, auch darauf

hinweisen – ich weiß daß das schwierig ist –, welchen
Eindruck ich bei der Landung der Menschen aus Alba-
nien in Nürnberg hatte. Natürlich stand nach ihrer Lan-
dung eine große Zahl von Ärzten und Pflegern bereit,
um die Flüchtlinge medizinisch und psychologisch zu
betreuen. Das war – ich sage: Gott sei Dank – erstaunli-
cherweise überhaupt nicht nötig. Diejenigen, die dort
gelandet sind, sind meines Erachtens mit Sicherheit
nicht diejenigen, die Hilfe am nötigsten brauchen. Da
haben sich vielleicht einige vorgedrängelt; vielleicht
wird auch das eine oder andere über den Tisch gescho-
ben. Wir müssen die Ressourcen unseres Landes für die
wirklich Bedürftigen verwenden, also für die Kranken,
die Alten und die Pflegebedürftigen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Deswegen geht meine herzliche Bitte und Aufforde-
rung dahin, in diese Richtung zu wirken.

So dringlich die Lösung des aktuellen Konflikts ist,
so wichtig ist auch eine langfristig angelegte Konzeption
zur Herstellung einer stabilen und dauerhaften Friedens-
ordnung in Südosteuropa. Dazu müssen sich alle Mächte
Europas an den Verhandlungstisch setzen, nicht nur die
unmittelbar betroffenen Staaten der Region.

Am Ende des 20. Jahrhunderts ist es für Deutschland
und für die europäische Staatengemeinschaft eine her-
ausragende Aufgabe, Rahmenbedingungen zu schaffen,
unter denen die Völker Südosteuropas eine Perspektive
für eine gemeinsame friedliche Zukunft haben.

Die Tür zum Frieden hat sich in den letzten Tagen ein
ganz klein wenig geöffnet. Ein kleiner Spalt ist sichtbar.
Jetzt müssen die NATO und Europa, jetzt müssen wir
alle zeigen, daß wir in der Lage sind, europäische Pro-
bleme zu lösen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge ordneten der F.D.P.)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1403202700
Als
nächster Redner hat das Wort der Bundesminister der
Verteidigung, Rudolf Scharping.

Rudolf Scharping, Bundesminister der Verteidi-
gung: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist
gut zu wissen, daß wir in vielen Punkten übereinstim-
men. Das betrifft die klaren Voraussetzungen dafür, un-
ter denen die militärischen Maßnahmen der NATO sus-
pendiert werden können, nämlich nach dem Stopp des
Mordens, dem Rückzug der Truppen und der Rückkehr
der Flüchtlinge, zu deren Garantie eine internationale
militärische Präsenz und die Vereinbarung eines Ab-
kommens auf der Grundlage der Prinzipien von Ram-
bouillet notwendig sind.

Wir stimmen offenbar auch darin überein, daß es um
eine dauerhafte Stabilität in dieser europäischen Region
geht und daß zum Erreichen dieses Ziels nicht nur Fra-
gen der direkten äußeren Sicherheit gehören, sondern
insbesondere auch Fragen der kulturellen, der sozialen
und der ökonomischen Zusammenarbeit. Wir stimmen
offenbar auch darin überein, daß es dafür einer dauer-
haften und langfristigen Perspektive und Politik bedarf.
Nicht zuletzt stimmen wir darin überein, daß wir insbe-
sondere den Menschen für ihre Hilfsbereitschaft, die
sich in der Unterstützung der deutschen Hilfsorganisa-
tionen oder in der Unterstützung der größten humanitä-
ren Hilfsaktion in der Geschichte der Bundeswehr aus-
drückt, Dank, Anerkennung und Respekt schulden.

Wenn wir in all diesen Punkten übereinstimmen,
dann muß man sich die Frage stellen, worüber hier im
einzelnen gestritten wird. Ich will das zunächst an Hand
der humanitären Situation deutlich machen, und zwar
nicht im Sinne des Streits, sondern im Sinne der Vertie-
fung der Debatte. Bis heute sind mindestens 900 000
Menschen aus dem Kosovo herausgejagt worden. Das
sind mehr als 50 Prozent der Bevölkerung, die dort leb-
te. Das ist nicht das Ergebnis eines plötzlichen Vorge-
hens, sondern einer langfristigen Planung. Ich will dar-
auf aufmerksam machen, daß Milosevic in der Kraina,
in Bosnien-Herzegowina und in vielen anderen Regio-
nen Kriege vom Zaun gebrochen hat, immer mit dem
Ziel der ethnischen Säuberung und der Vertreibung.

Auf die Fragen, die auch in den Medien immer wie-
der gestellt werden, will ich antworten: Es mag sein –
aus meiner sehr persönlichen Sicht ist es auch so –, daß
am Anfang der 90er Jahre der eine oder andere Fehler
gemacht worden ist. Es mag sein, daß man bei den Ver-
handlungen über das Dayton-Abkommen Milosevic ge-
wissermaßen noch als Stabilitätsfaktor betrachtet hat.
Das mag alles sein. Aber selbst wenn man das als Fehler
begreift: Wer gibt uns eigentlich das Recht und wer
verlangt von uns, diese Fehler dauernd zu wiederholen,
anstatt aus ihnen Konsequenzen zu ziehen?


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)


Ich denke, niemand gibt uns das Recht, beispielswei-
se darüber hinwegzusehen, daß eine Schutzzone der
Vereinten Nationen – ob in Zepa, in Srebrenica oder in
anderen Orten – mit schrecklichen Folgen für die betrof-
fenen Menschen überrannt worden ist, daß man Soldaten
der Vereinten Nationen angekettet und zu ohnmächtigen
Zuschauern der massenhaften Ermordung von Menschen

Ministerpräsident Dr. Edmund Stoiber






(B)



(A) (C)



(D)


gemacht hat. Niemand gibt uns das Recht, darüber hin-
wegzusehen.

Vor diesem Hintergrund – der Kollege Gysi ist jetzt
nicht mehr da; das ist bedauerlich; vielleicht kommt er
noch zurück – möchte ich anmerken: Wer sagt, diese
Menschen flöhen vor der NATO, der muß die Frage be-
antworten, warum sie ausgerechnet in die Arme der
NATO fliehen. Warum?


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der F.D.P.)


Der muß auch die Frage beantworten, ob er die Situation
eigentlich noch ernst nimmt.

Ich nehme niemandem das Recht zu reisen. Wie kä-
me ich dazu? Ich frage mich nur, wieviel Zynismus man
aufbringen muß, um sich nicht selbst die Frage zu stel-
len: Warum versucht der Mensch, der nach Belgrad
kommt, um mit Milosevic zu reden, nicht auch, für eine
oder zwei Stunden durch den Kosovo zu reisen? Warum
verlangt er das nicht von seinem Gastgeber? Warum
nicht?


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der CDU/ CSU und der F.D.P.)


Soll plötzlich alles übersehen werden, was uns Tausende
und Abertausende von traumatisierten Frauen und Kin-
dern und alten Menschen erzählen? Sollen all die
Schlächtereien, die es dort gibt, übersehen werden?


(Michael Glos [CDU/CSU]: Da hat er recht!)

Ist das alles nur Erfindung und Propaganda, was Men-
schen uns erzählen: daß man die Leichen mit Baseball-
schlägern zertrümmert, daß man ihnen die Gliedmaßen
abtrennt und die Köpfe abschlägt? Ist das alles nur Pro-
paganda, wenn Frauen mit einem toten Kind in den Ar-
men über die Grenze kommen? Wieviel Zynismus muß
man haben, um so kalt über rechtliche Fragen zu reden
anstatt über die Menschen, die Opfer einer mörderischen
Maschine geworden sind?


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der F.D.P.)


Ich weiß auch, daß Empörung kein Mittel der Politik ist;
aber e i n Antrieb kann sie schon sein.

Wenn der Kollege Gysi sagt, er habe keine Bilder ge-
sehen, zeige ich Ihnen hier eines. Schauen Sie sich die
Bilder aus den Tälern und den Wäldern des Kosovo an!
Meinen Sie, die Menschen gehen dort hin, weil sie
wollten? Meinen Sie, sie fressen Gras, weil sie wollten?
Meinen Sie, wir würden uns überlegen, wie man sie ver-
sorgen kann, mit hohem Risiko? Schauen Sie sich das
an! Es gibt Dutzende solcher Bilder. Ich führe sie Ihnen
gerne alle vor, so wie ich sie auch den Journalisten vor-
führe.

Wenn Sie sagen, es gebe Zerstörungen durch
NATO-Bomben, sage ich Ihnen: Es ist schon zynisch
genug, daß die Gegenseite Wohnblocks sprengt, um den
Eindruck zu erwecken, eine Bombe habe ihr Ziel ver-
fehlt und leider ein ziviles Objekt getroffen. Aber glau-

ben Sie denn, das militärisch völlig unbedeutende Ört-
chen Studencane sei von auswärtigen Truppen zerstört
worden? Sie können auf solchen Bildern genau sehen,
daß jedes einzelne Haus von innen verbrannt worden ist.
Vergleichen Sie das einmal mit den Bildern und Erzäh-
lungen der Flüchtlinge! Was, meinen Sie, wird bei den
Menschen angerichtet, die irgendwo sicher gelebt haben,
wenn ihre Türen eingetreten werden, wenn schwarz
maskierte Männer in die Häuser eindringen, wenn die
Mitteilung heißt: „In fünf Minuten wirst du das Haus
verlassen, oder du wirst erschossen! Pack deine Kla-
motten, aber bitte keine Ausweispapiere!“? Weder ein
Ausweis noch eine Geburtsurkunde, noch eine Heirats-
urkunde, nichts darf mitgenommen werden. Sogar die
Kirchenbücher werden nach Belgrad gebracht, um sie zu
vernichten, damit nur ja jeder Nachweis der Identität der
betroffenen Menschen zerstört ist.

Dann kommen Sie hierhin und halten solche Reden.
Schauen Sie sich die Bilder an! Ich führe sie Ihnen alle
vor. Es soll niemand den Eindruck haben, man habe das
nicht gewußt. Diese faule Ausrede, nicht zu wissen, daß
es Massenmord in Europa gibt, daß es ethnische Kriegs-
führung in Europa gibt, die Augen zuzumachen, um sich
hinterher als überraschter, durch sensationelle Enthül-
lungen plötzlich aufgeklärter Mensch reuig zu zeigen,
darf nicht sein, auch nicht in der innenpolitischen Aus-
einandersetzung.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der F.D.P. – Heidi Lippmann-Kasten [PDS]: Das tut niemand von uns!)


Das alles hat mit den Erfahrungen in Bosnien und mit
dem zu tun, was wir in der Vergangenheit schon erlebt
haben. Auch ich weiß: Empörung ist kein Mittel der Po-
litik, aber ein Antrieb. Dazu gehört ein klares Ziel – es
ist hier mehrfach genannt worden und in der großen
Mehrheit des Hauses unstreitig –, und dazu gehört ver-
antwortungsbewußtes Handeln, damit man dieses Ziel
erreichen kann.

Niemand trifft solche Entscheidungen mit leichtem
Herzen, im Gegenteil. Aber wenn wir es nicht schaffen,
der Moral die politischen Instrumente zu geben und der
Politik die Moral, dann haben wir genau jene Teilung,
vor der ich persönlich Angst habe. Dann wird nämlich
die Reklamation der Moral folgenlos, oder sie läuft Ge-
fahr, folgenlos zu bleiben. Dann gerät die Politik zur
kalten Technokratie.

Was die Hilfsorganisationen und die hilfsbereiten
Menschen leisten und was in ganz wenigen Stunden von
Karfreitag nacht bis Ostersamstag morgen aus dem Bo-
den gestampft wurde, die Betreuung von mittlerweile
Tausenden Patienten, von Menschen, die mit Hunger-
ödemen, mit schweren Erkrankungen anderer Art in die
Lager gekommen sind, das aufgebaute, jetzt in der Er-
weiterung befindliche Lager in Mazedonien, das, was
wir in Albanien in einem strikt humanitären Einsatz tun:
Wenn man wissen und hoffen könnte, daß dieser huma-
nitäre Einsatz reichen würde, um die Probleme zu lösen,
dann wäre es ja gut. Aber er wird nicht reichen.

Albanien hat mehr als 10 Prozent seiner früheren Be-
völkerung aufgenommen. Die Situation in Montenegro

Bundesminister Rudolf Scharping






(A) (C)



(B) (D)


ist außergewöhnlich risikoreich. Das zweite jugoslawi-
sche Armeekorps ist mobilisiert. Die montenegrinische
Regierung hat entschieden, sich an Maßnahmen der Re-
krutierung nicht zu beteiligen. Sie hat ihre Polizeikräfte
verstärkt. Es ist kein Zufall, wenn in Montenegro jugo-
slawische Armeeverbände die Kasernen verlassen und
an bestimmten Punkten postiert werden. Auch das kennt
man aus der Vergangenheit. Es gibt vielfältige solche
Risiken.

Ich will auch hier im Deutschen Bundestag sagen: Sie
können ganz sicher sein, die Bundesregierung wird sich
um eine umfassende, gründliche Information so wie in
der Vergangenheit bemühen. Gerade wegen der enor-
men Belastungen für die betroffenen Menschen wird es
keine rechtlichen und auch keine politischen Grauzonen
geben. Daß zum Beispiel die NATO in einem entspre-
chenden Hauptquartier humanitäre Maßnahmen in Al-
banien koordiniert, hat exakt damit zu tun, daß der
UNHCR leider nicht in der Lage ist, das zu tun, weil er
nicht über die Kapazitäten verfügt. Daß diese Tätigkei-
ten von jedem militärischen Einsatz strikt getrennt blei-
ben müssen, versteht sich von selbst.

Vor diesem Hintergrund wird vielleicht deutlich,
warum diese von der Bundesregierung betriebenen Din-
ge zusammengehören: die Voraussetzungen schaffen,
um die militärischen Maßnahmen einstellen zu können,
Stabilität in der Region auch durch humanitäre Hilfe
voranbringen und gleichzeitig dem Balkan, dem südöst-
lichen Europa eine Perspektive geben. Ich bin davon
überzeugt: Gelingt uns das nicht, schaffen wir nicht in
Bulgarien, in Rumänien, in Mazedonien, in Albanien
oder andernorts gute Beispiele einer positiven wirt-
schaftlichen Entwicklung und eines kulturell vielfälti-
gen, toleranten Zusammenlebens, dann können wir auch
nicht die demokratische Opposition, das europäische
Potential innerhalb Serbiens ermuntern. Mit Flugblättern
alleine, so wichtig sie sein mögen, wird das nicht
gehen.

Auch darin wird deutlich, daß Politik sich nicht im
Militärischen erschöpfen darf. Das tut sie Gott sei Dank
auch nicht. Ich fand es richtig, daß viele, am beeindruk-
kendsten wohl Erhard Eppler auf dem SPD-Parteitag,
von der Tragik der Situation gesprochen haben. Diese
Situation haben wir zwar nicht herbeigeführt, aber wir
müssen auf sie reagieren. Wenn nach den jahrelangen
Erfahrungen und den monatelangen Verhandlungen kein
anderes Mittel mehr zur Verfügung steht, dann muß man
auf diese Weise reagieren.

Ich weiß doch, wie der Außenminister und andere
verzweifelt versucht haben, in Kenntnis des Charakters
der Politik von Milosevic zu einem Ergebnis zu kom-
men. Ich weiß doch um das monatelange Hin- und
Herreisen von Hill, Petritsch und anderen. Ich weiß
auch, wie in den Tagen um Ostern herum das Außen-
ministerium, die Mitarbeiter des Verteidigungsministe-
riums und die des Ministeriums für wirtschaftliche
Zusammenarbeit auch im Interesse der Stabilität der
betroffenen Staaten versucht haben, gegen dieses ge-
wissermaßen alptraumhafte Ansteigen der Flut von
Vertriebenen einen Damm zu bauen und Hilfe zu orga-
nisieren.

Damit komme ich zu Fragen – es sind hier schon
rechtliche Fragen erörtert worden –, die über den Tag
und über den Konflikt hinausweisen: Hat denn nicht
auch die DDR die Schlußakte von Helsinki unter-
schrieben und ratifiziert? Steht nicht in der Schlußakte
von Helsinki, daß die Menschenrechtssituation eines
einzelnen Staates nicht mehr allein innere Angelegenheit
dieses Staates ist? War dies nicht ein großer Fortschritt
auf dem Weg hin zu einer europäischen Integration im
Sinne von gewaltfreiem Austausch und dem Respekt vor
den Menschenrechten und vor den Rechten der Minder-
heiten?

Ist es nicht so – es ist so –, daß die Regierungschefs
der im Weltsicherheitsrat vertretenen Nationen 1992
ausdrücklich und einstimmig beschlossen haben, daß zur
Durchsetzung der Menschenrechte auch Einschränkun-
gen der staatlichen Souveränität erforderlich sein kön-
nen? Ist es nicht so, daß schon am 9. September 1948
die Vereinten Nationen eine Konvention über die Ver-
hütung und Bestrafung des Völkermordes verabschiedet
haben? Diese Konvention ging auf die schrecklichen Er-
fahrungen des zweiten Weltkriegs zurück. Kofi Annan
ist schon zitiert worden, der mit Blick auf diese Kon-
vention am 9. April davon sprach, daß wir unter der
dunklen Wolke des Verbrechens des Völkermordes ste-
hen. Er hat hinzugefügt: Der Weltsicherheitsrat darf
nicht zu einem Refugium derjenigen werden, die unter
dem Deckmantel der Souveränität schlimmste Verstöße
gegen die Menschenrechte vornehmen.

Wir sollten nicht vergessen, daß das Europäische
Parlament am 20. April 1994 die Partner der Europäi-
schen Union ausdrücklich aufgefordert hat, an einem
rechtsbildenden Prozeß mitzuwirken, um das Völker-
recht so zu entwickeln, daß man aus humanitären Erwä-
gungen und aus Erwägungen bezüglich der Menschen-
rechte unter folgenden Bedingungen eingreifen kann:
eine außerordentliche und äußerst ernste humanitäre
Notsituation – diese liegt vor –, eine Lähmung der Ver-
einten Nationen – auch sie liegt zur Zeit leider vor –, die
Vergeblichkeit aller anderen Lösungsversuche – es ist
über Monate versucht worden, Lösungen zu erreichen –,
eine begrenzte militärische Operation unter Wahrung
der Verhältnismäßigkeit der Mittel. Ich will Ihnen sagen,
daß die NATO in den letzten 10 Tagen 50 Prozent ihrer
geplanten Angriffe nicht durchgeführt hat, weil das Ri-
siko ziviler Schäden nicht abgeschätzt werden konnte
oder zu groß war. Selbst wenn in Einzelfällen Fehler
passieren, was schrecklich und bedauerlich ist, so wun-
dere ich mich doch über eine Art der Diskussion, die den
Tausenden von Ermordeten eine geringere Aufmerk-
samkeit nur deshalb schenkt, weil die NATO propagan-
distische Fähigkeiten und Mittel Gott sei Dank nicht so
entwickeln kann und entwickeln will, wie es das Regime
Milosevic mit seiner skrupellosen Propaganda getan hat.

Zu den Kriterien des Europäischen Parlaments zählte
im übrigen auch, daß die Operation so angelegt sein
muß, daß sie nicht Anlaß gibt, von den Vereinten Natio-
nen verurteilt zu werden. Die weiterführende Frage wird
sein: Erlaubt die Souveränität des Staates im Konflikt
mit dem anderen Prinzip der Charta der Vereinten Na-
tionen, nämlich der Ächtung von Verbrechen gegen die
Menschlichkeit, daß in diesem Staat Menschenrechte

Bundesminister Rudolf Scharping






(B)



(A) (C)



(D)


mißachtet werden können? Haben wir es hier nicht
vielmehr mit einem objektiven Zielkonflikt zu tun, mit
dem man sich auseinandersetzen muß? Erlaubt die Sou-
veränität des einzelnen Staates, daß er durch Vertrei-
bung einer ganzen Bevölkerungsgruppe die Souveränität
und die Integrität seiner Nachbarstaaten in Gefahr
bringt, was im Fall von Mazedonien und Albanien ohne
Zweifel der Fall ist?

Brauchen wir nicht auch stärkere Mechanismen der
Krisenprävention? Denn der Kosovo – ich meine nicht
die letzten drei oder vier Wochen; ich meine auch nicht
die letzten drei oder vier Monate – ist ja auch ein Bei-
spiel dafür, daß man über Monate und Jahre hat sehen
können, was sich dort anhäufte und anbahnte. Wer heute
beispielsweise den Artikel von Felipe González in der
„Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ liest, der wird ent-
sprechende Hinweise aus der Sicht eines Beauftragten
der OSZE finden.

Brauchen wir nicht auch – ich stelle dies bewußt als
Frage – Mechanismen, um das Veto eines Atomwaffen-
staates im Weltsicherheitsrat der Vereinten Nationen
überwinden zu können? Oder wollen wir in Zukunft –
wie immer die Mechanismen im einzelnen aussehen –
wirklich hinnehmen, daß eines der wenigen stabilisie-
renden Elemente in dieser Region, nämlich die Grenzsi-
cherungsmission der Vereinten Nationen in Mazedo-
nien mit dem Namen Unpredep, nur deshalb von China
blockiert worden ist, weil Mazedonien in chinesischen
Augen die Leichtfertigkeit begangen hat, Taiwan völker-
rechtlich anzuerkennen?

Der Bundespräsident hat gesagt:
Indifferenz gegenüber Genozid zerstört die Grund-
lagen dessen, was die eigene Gesellschaft zusam-
menhält: das gemeinsame Verständnis von Recht
und Moral. Europa würde an seiner Seele Schaden
nehmen, wenn es Völkermord und ethnische Säu-
berungen auf seinem Boden hinnähme.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der F.D.P.)


Es haben schon entsetzlich viele Menschen Schaden
genommen. Vielleicht gelingt es uns, in einem jahrelan-
gen, dauerhaften Prozeß – angesichts dessen bitte ich
schon heute um die notwendige Aufmerksamkeit und
Konsequenz, die über Jahre hinweg aufrechterhalten
bleiben muß – diese Folgen bei denen zu lindern, die
überleben. Vielleicht sind diejenigen, die ermordet wor-
den sind, in diesen Jahren der dauerhaften Anstrengun-
gen eine stete Mahnung dafür, daß der Balkan und Süd-
osteuropa nur dann Frieden gewinnen, wenn die Prinzi-
pien der Schlußakte von Helsinki und die Erfahrungen
aus der europäischen Integration in geeigneter Weise auf
diesen Teil des europäischen Kontinentes übertragen
werden. Denn Frieden ist nicht allein die Abwesenheit
von Gewalt. Frieden ist die Anwesenheit von Versöh-
nung. Das wird verdammt schwer, ist unausweislich und
muß angepackt werden.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der F.D.P.)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1403202800
Zu einer
Kurzintervention erteile ich der Kollegin Lippmann von
der PDS-Fraktion das Wort.


Heidi Lippmann-Kasten (PDS):
Rede ID: ID1403202900
Herr Minister Scharping,
Sie haben unterstellt, die PDS-Fraktion habe nichts wis-
sen wollen. Wir würden die Augen verschließen und
einseitig Partei für Milosevic ergreifen.


(Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.)

Dies ist falsch, und dies weise ich im Namen der ge-
samten PDS-Bundestagsfraktion, aber auch im Namen
der Partei der PDS ausdrücklich zurück. Denn wir ver-
urteilen die Menschenrechtsverletzungen im Kosova
ebenso wie die in der gesamten Bundesrepublik Jugo-
slawien, und dies nicht erst heute, sondern schon seit
vielen Jahren.

Der Herr Bundeskanzler wird sich vielleicht daran
erinnern, daß ich 1996 – damals noch im Niedersächsi-
schen Landtag – für die Grünen einen Antrag einge-
bracht habe, der sich dagegen gerichtet hat, daß Bundes-
außenminister Kinkel im Mai 1996 das Rücknahmeab-
kommen mit Herrn Milosevic abgeschlossen hat, das die
Rücknahme aller Flüchtlinge mit jugoslawischem Paß,
darunter serbische Deserteure sowie zu 80 Prozent
Flüchtlinge aus dem Kosova, Muslime aus dem Sand-
schak sowie Roma und Sinti, die alle geflüchtet waren,
vorsah. Daran erinnern Sie sich vielleicht, Herr Bundes-
kanzler. Ihre Partei hat diesen Antrag, der darauf ab-
zielte, das Rücknahmeabkommen nicht zu unterzeich-
nen, sondern über eine Bundesratsinitiative und auf in-
ternationaler Ebene diplomatisch zu verhandeln, mit
dem Ziel, im Kosova eine gewisse Teilautonomie zu-
rückzugewinnen, abgelehnt.

Wir sind nach wie vor der Meinung – und erhalten
dafür viel mehr Unterstützung aus der Bevölkerung als
aus diesem Haus; aber es gibt ja mittlerweile auch eine
breite Unterstützung aus der SPD und den Reihen der
Grünen –, daß die Bombardierungen militärischer und
ziviler Ziele in Jugoslawien und im Kosova nicht das
geeignete Mittel sind, den Frieden, der dringend erfor-
derlich ist, herzustellen. Dadurch wird nicht ein Flücht-
ling nicht vertrieben, nicht ein Mord geschieht weniger.
Wir bedauern dies sehr. Doch Bomben sind nicht das
Mittel, diesen Frieden wiederherzustellen. Deswegen
appellieren wir, dringend politische Verhandlungen zu
führen und auf die UN und die OSZE zu setzen und
nicht weiter einseitig zu bombardieren.


(Beifall bei der PDS)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1403203000
Herr
Bundesminister Scharping, möchten Sie erwidern?

Rudolf Scharping, Bundesminister der Verteidi-
gung: Nein.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1403203100
Dann
erteile ich als nächstem Redner dem Kollegen Karl
Lamers von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.

Bundesminister Rudolf Scharping






(A) (C)



(B) (D)



Karl Lamers (CDU):
Rede ID: ID1403203200
Herr Präsident! Verehrte
Kolleginnen und Kollegen! Ich scheue mich nicht, es zu
sagen: Der eindrucksvolle Auftritt des Bundesverteidi-
gungsministers belegt noch einmal sehr nachdrücklich,
daß es nur äußerst selten – wenn überhaupt jemals –
eine kriegerische Auseinandersetzung gegeben hat, die
so ausschließlich von moralischen Motiven getragen
war, wie das im Kosovo-Konflikt für die NATO-Länder
zutrifft. Selbst in den USA – sonst gut für jeden Ver-
dacht – wird von keinem Ernstzunehmendem ein
geostrategisches Interesse oder ähnliches unterstellt –
welches wohl auch?

Von den Kosten, die uns im Prinzip vorher bekannt
waren, will ich ganz schweigen. Damit meine ich nicht
in erster Linie die finanziellen Kosten, obwohl sie be-
trächtlich sind; vielmehr meine ich die politischen und
vor allem die psychischen Kosten. Nein, dieser Konflikt
ist für den Westen, ist für seine Völker und ihren Zu-
sammenhalt eine außerordentliche Herausforderung. Er
ist eine große Anstrengung, deren Ergebnis ungewiß ist
und die im besten Fall in ziemlicher Zukunft erst nach
weiteren großen Anstrengungen Früchte tragen wird.

Also könnte doch trotz aller Mühen oder gerade um
ihretwillen unser Gewissen ruhig sein. Das sagt uns un-
ser Verstand. Aber unser Herz will nicht recht darauf
hören. Wir alle sind unsicher und unruhig. Ich meine
nicht nur jene Unruhe, welche die Ungewißheit jeden
Krieges erzeugt. Es gibt noch eine andere Form von Un-
sicherheit in uns. Ich glaube, wir nähern uns ihr, wenn
wir uns die Frage stellen und zu beantworten suchen,
weshalb wir nicht von Krieg sprechen wollen, wenn wir
die Gewaltanwendung der NATO gegen Milosevic mei-
nen.

Wir verstehen unter Krieg die Auseinandersetzungen,
die von Motiven und Zielen im Sinne handfester Interes-
sen getragen sind und die hier eben fehlen. Auch die
Terminologie vom „gerechten“ Krieg ist uns verleidet,
hat sie doch allzuoft nur zur Bemäntelung solcher hand-
festen Interessen gedient. Aber natürlich müssen wir uns
darüber im klaren sein –, auch wenn dies kein Krieg im
herkömmlichen Sinne ist – daß doch die Regeln, die den
Krieg bestimmen, gelten. Etwa, daß erstens das Unvor-
hergesehene das Wahrscheinliche ist, daß zweitens der
Krieg zum Äußersten neigt und daß schließlich drittens
Klarheit und Wirklichkeitsnähe seiner Ziele über seinen
Erfolg oder Mißerfolg entscheiden. Das erste haben wir
bereits erlebt; vor dem zweiten erschrecken wir, und an
dem dritten mangelt es uns.

Ja, wir haben uns getäuscht, vielleicht weil wir es
wollten. Milosevic hat nicht schnell eingelenkt. Es mag
ebensogut sein, daß er es schnell tut oder daß es noch
sehr lange dauert. Es funktioniert nicht wie in Bosnien.
Das Unvorhergesehene war eben nicht das Unwahr-
scheinliche.

Böse überrascht sind wir durch das Anschwellen der
Flüchtlingszahlen seit den NATO-Luftschlägen. Zornig
sind wir wegen der Zahlen und des dahinterstehenden
Elends, des Leids und der Not, und zutiefst konsterniert
sind wir, weil Milosevic die NATO-Luftschläge nutzt,
um die schon lange geplante Vertreibung der Albaner
mit brutaler Konsequenz umzusetzen und so auch noch

den Schein eines ursächlichen Zusammenhangs zwi-
schen beiden herzustellen, der NATO das Gefühl zu
vermitteln, als habe sie das Gegenteil von dem erreicht,
was sie bewirken wollte. Meine verehrten Kolleginnen
und Kollegen von der PDS, genau diesen Eindruck be-
fördern Sie mit Ihrem Antrag. Deswegen bin ich übri-
gens dafür, daß wir ihn ablehnen und ihn nicht noch in
die Ausschüsse überweisen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der F.D.P.)


Unvorhergesehen – ich sage auch hier nicht: unvor-
hersehbar – ist schließlich die – soweit erkennbar – fast
totale Solidarisierung der Serben mit Milosevic. Wir alle
betonen – und dies vollkommen zu Recht –: Wir führen
keinen Krieg gegen die Serben. Aber die Serben sehen
das anders. Sie glauben zweifelsfrei, einen gerechten
Krieg zu führen. Sicher ist das eine der gefährlichsten
Folgen.

Wie sind diese Reaktionen möglich? Ich werde dar-
auf zurückkommen. Doch zuvor will ich auf die zweite
Regel des Krieges zu sprechen kommen, seine Neigung
zum Äußersten, wie Clausewitz sagt, was in unserem
Fall den Einsatz von Bodentruppen meint. Im Sinne der
grausamen Logik des Krieges läge es, zu behaupten:
Wer „A“ sagt, muß auch „B“ sagen. Brecht dagegen
meint: Wer „A“ sagt, muß nicht „B“ sagen. Er muß es in
der Tat jedenfalls dann nicht, wenn er es nicht kann. Die
demokratisch verfaßten Völker, die wohlhabenden Völ-
ker des Westens können es nicht, weil ihnen die psychi-
sche Disposition abgeht, die zum Kriegführen mit Toten
notwendig ist, wenn es nicht unmittelbar um ihre eigene
Existenz geht. Es ist müßig, darüber zu streiten, ob das
ein Zeichen von Schwäche oder gar Dekadenz oder im
Gegenteil von Reife ist. Es kommt darauf an, wie wir
damit umgehen. Jedenfalls will ich nachdrücklich fest-
stellen: Niemandes Verantwortung reicht weiter als sei-
ne Möglichkeiten reichen. Niemand muß mehr, als er
kann. Diejenigen, die uns jetzt sagen: „Dann hättet ihr
gar nicht erst anfangen sollen, überhaupt etwas zu tun“,
sind doch zumeist dieselben, die uns aufgefordert haben:
„Jetzt müßt ihr endlich etwas tun.“ Ich bin sicher, es wä-
ren auch dieselben, die uns auffordern würden, ganz
schnell Schluß zu machen, wenn es Tote gäbe. Daß es
diese in einer bestimmten Größenordnung gäbe, die ich
nicht näher bezeichnen will, dessen bin ich mir sicher.
Das gehört zur Ambivalenz der Stimmungen in demo-
kratisch verfaßten Gesellschaften. Weil das so ist, ver-
ehrte Kolleginnen und Kollegen, bin ich, wie Wolfgang
Schäuble, gegenüber einer allzu emotionalen Rhetorik
und einem gewissen moralischen Überschuß skeptisch.
Beide sind Elemente in dem Prozeß, der den Krieg zum
Äußersten treibt. Sie drohen damit, das außer acht zu
lassen, was möglich und damit das Eigentliche ist, das
heißt, das politisches Ziel sein soll und sein kann. Über
dieses kann man in den Verlautbarungen der NATO-
Länder nicht allzuviel lesen. Ich meine damit natürlich
nicht die klare und vollkommen selbstverständliche For-
derung nach dem Ende der Kämpfe, dem Abzug der
Streitkräfte der Serben, der Rückkehr der Flüchtlinge
und der Stationierung einer internationalen Schutz-
truppe. Ich meine nicht alle Anstrengungen zur Beendi-
gung von Vertreibungen und der Kämpfe und auch nicht






(B)



(A) (C)



(D)


das, was jetzt etwas großspurig, wie ich finde, „Frie-
densplan“ genannt wird. Das alles ist richtig. Wir unter-
stützen dies einschließlich der Bemühungen, die Russen
wieder stärker einzubeziehen. Nein, ich meine das, was
danach kommt, den politischen Zustand nach dem Ende
der Kämpfe. Ich meine eine tragfähige Grundlage für
den Frieden. Dazu reichen auch nicht – so richtig es ist
und sosehr wir es unterstützen – all die Pläne zur Unter-
stützung dieses Zustandes des Friedens, also das, was
jetzt unter den Stichwörtern Stabilitätsvereinbarungen
und Stabilitätspakt läuft. Solche Vorkehrungen können
nur ein Fundament sichern helfen, welches das Einver-
ständnis der Betroffenen findet, auch der Serben. Wie
wäre es um dieses Einverständnis aller Betroffenen be-
stellt, würden wir unsere Ziele nur gegen diese durch-
kämpfen, etwa mit Bodentruppen?

Wie steht es also mit diesem politischen Ziel, dessen
Klarheit und Wirklichkeitsnähe nicht nur über den Er-
folg und Mißerfolg des Krieges entscheidet – das zeigen
alle historischen Erfahrungen –, sondern natürlich auch
die Aussichten auf ein Ende der Kämpfe verbessert oder
verschlechtert? Wir lesen von einem demokratischen,
multiethnischen Kosovo auf der Basis des Rambouillet-
Abkommens.

Das multiethnische Kosovo wie auch das multiethni-
sche Ex-Jugoslawien gab es nur unter Druck, also un-
demokratisch. Wie soll ein solches erst nach alldem, was
vorgefallen ist, wieder möglich sein? Niemand kann
daran noch glauben. Das hat übrigens für die albanische
Seite der Außenminister Albaniens soeben in Bonn aus-
drücklich bestätigt. Welche Folgen hat das für den poli-
tischen Rahmen von Rambouillet, also für die Autono-
mie und die völkerrechtliche bzw. staatsrechtliche Zu-
gehörigkeit des Kosovo zu Jugoslawien? Beides haben
die Albaner, was ich absolut verstehen kann, nie wirk-
lich akzeptiert. Sie haben das Abkommen von Ram-
bouillet unterschrieben, weil sie wußten, daß die Serben
dies nicht tun würden. Aus ein und demselben Grund
haben die einen unterschrieben und die anderen nicht.
Von der vorgesehenen Stationierung einer NATO-
Truppe befürchteten die Serben, was die Kosovaren er-
hofften: daß dies ein erster Schritt zur Loslösung des
Kosovo von Jugoslawien sein könnte. In einem solchen
unabhängigen Kosovo als Zwischenschritt zu einem An-
schluß an Albanien würde mit Sicherheit kein Serbe
mehr leben wollen, selbst wenn wir jedem von ihnen
versprächen, ihm einen westlichen Polizisten an die
Seite zu stellen.

Übrigens gibt es auch kaum mehr Serben in der kroa-
tischen Krajina – etwas, was wir stillschweigend hinge-
nommen haben.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Genau!)


Und wie es mit der dauerhaften Rückkehr der bosni-
schen Flüchtlinge in ihre jeweiligen Heimatorte mit
einer inzwischen anderen ethnischen Zusammensetzung
bestellt ist, will ich, verehrte Kolleginnen und Kollegen,
nur als Frage aufwerfen.

Die Erinnerung an diese Tatsachen weist übrigens auf
den Zusammenhang der einzelnen Konfliktfelder im

früheren Jugoslawien hin. Deswegen brauchen wir end-
lich ein Konzept für den Balkan insgesamt, so verständ-
lich der Versuch war und ist, die einzelnen Brandherde
zu isolieren. Dies haben wir zuletzt im Dayton-
Abkommen mit der Ausklammerung des Kosovo ver-
sucht. Den Erfolg sehen wir jetzt.

Was also bleibt als Lösung für den Kosovo: etwa sei-
ne Teilung? Ich will dieser hier nicht das Wort reden,
sondern nur darauf aufmerksam machen, daß sowohl
unser moralisches Unbehagen, von dem ich eingangs
sprach, als auch die Unklarheit über unser politisches
Ziel ein und demselben Dilemma entspringen, nämlich
der Unvereinbarkeit unserer wechselseitigen Grundvor-
stellungen vom Zusammenleben der Menschen unter-
schiedlicher Herkunft in politischen Gemeinschaften.
Alle Völker dort, die Kroaten, die Serben, die Bosniaken
und die Albaner, wollen nicht gemeinsam in einem Staat
zusammenleben. Sie halten diese Einstellung, ein-
schließlich der Bereitschaft zu Repression und Gewalt,
für moralisch ebenso legitim wie wir das Umgekehrte.

Nicht, daß ich hier einem moralischen Neutralismus
das Wort rede. Die Frage ist nur: Lassen sich andere zu
ihrem Glück zwingen? Gibt es ein objektives Glück?
Oder bescheidener: Gibt es zumindest eine objektive
Vernünftigkeit?

Wir, der Westen, stoßen auf dem Balkan auf eine an-
dere Welt. Es ist die Ungleichzeitigkeit zweier Welten,
die die Lösung des Problems, vor dem wir im Kosovo
und in ganz Ex-Jugoslawien stehen, für uns so unglaub-
lich schwermacht. Wir werden es nur lösen, wenn wir
die Welt auch mit den Augen derjenigen zu sehen versu-
chen, die uns so fremd sind und doch so nah – nicht nur
räumlich, sondern auch in bezug auf unsere eigene Ver-
gangenheit. Müssen wir nicht auch Lösungen suchen,
die der jeweiligen Zeit entsprechen?

Ich hoffe wirklich sehr, verehrte Kolleginnen und
Kollegen, die emotionale, die moralische Erregung, in
der wir uns alle befinden, läßt Sie meine Worte nicht
mißverstehen, sondern läßt sie begreifen als die Auffor-
derung, auch das Schwerste zu wagen, um den Krieg,
die Vertreibung, das Elend und Leid zu beenden und
Frieden dauerhaft zu begründen, nämlich die eigenen
Vorstellungen in ihrer Absolutheit in Frage zu stellen:


(Beifall der Abg. Dr. Antje Vollmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


nicht unsere Werte, sondern unsere Vorstellung von ih-
rer Umsetzung in einer ihnen feindlichen Welt.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der F.D.P.)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1403203300
Als
nächster Redner hat der Kollege Gernot Erler von der
SPD-Fraktion das Wort.


Dr. h.c. Gernot Erler (SPD):
Rede ID: ID1403203400
Herr Präsident! Liebe Kolle-
ginnen und Kollegen! Von dieser Debatte muß ein dop-

Karl Lamers






(A) (C)



(B) (D)


peltes Signal der Entschlossenheit ausgehen: einerseits,
weiter dem Feldzug der serbischen Führung gegen die
eigene Bevölkerung entgegenzutreten, auch mit militäri-
schen Mitteln, bis Milosevic seine Entvölkerungspolitik
im Kosovo aufgibt; andererseits, alles zu tun, daß die
Notwendigkeit der Luftangriffe so schnell wie möglich
durch internationale politische Anstrengungen abgelöst
wird.

Der Friedensplan der Bundesregierung – es ist wirk-
lich ein Friedensplan, Kollege Lamers – kommt im rich-
tigen Moment. Es gibt Ernüchterung darüber, was die
Luftangriffe nach drei Wochen haben bewirken können.
Die Feststellung, daß die Ziele, die damit verbunden wa-
ren, nicht erreicht worden sind, ist richtig. Aber die Un-
nachgiebigkeit, die Entschlossenheit von Milosevic, das
verbrecherische Vorgehen fortzusetzen, dauert an. Auch
diese Erfahrung mußte der Kollege Gysi in Belgrad
noch einmal machen. Das bedeutet: Der Druck muß
fortgesetzt werden, weil es sonst überhaupt keine politi-
sche Lösung gibt.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Das Nadelöhr ist nach wie vor die Beendigung der mili-
tärischen Aktionen von Milosevic gegen die eigene Be-
völkerung und die Zulassung, daß ein sicheres Umfeld
für die Rückkehr der Flüchtlinge geschaffen wird. So-
lange dazu keine Bereitschaft besteht – die gibt es leider
bis heute nicht –, muß der militärische Druck fortgesetzt
werden.

Wenn es in dieser Düsternis einen Lichtblick gibt,
dann ist es der, daß in den letzten Tagen die Dynamik in
den politischen Prozeß hineingekommen ist, die wir uns
schon lange wünschen. Fast im Stundentakt finden Be-
gegnungen statt: zwischen Albright und Iwanow, zwi-
schen Fischer und Tarasjuk, zwischen den europäischen
Regierungschefs und Kofi Annan. Im Zentrum steht nun
ein deutscher Vorschlag, der ein UN-Mandat will, der
Rußland in die politische Arbeit zurückbringen will und
der eine Feuerpause bei Beginn des Abzugs der jugo-
slawischen Truppen vorsieht.

Was sind die besonderen Kennzeichen dieses Frie-
densplans? Zunächst: Es soll eine weltweite Verant-
wortung für den Konflikt etabliert werden. Der traditio-
nelle Freund und Vertrauenspartner Serbiens, nämlich
Rußland, soll eine entscheidende Rolle spielen. Und –
ganz wichtig – eine kontrollierte Unterbrechung der
Luftangriffe soll zum frühestmöglichen Zeitpunkt mög-
lich werden. Außerdem sieht dieser Vorschlag der Bun-
desregierung vor, Garantien gegen die Einseitigkeit zu
geben. Die UCK soll zum frühestmöglichen Zeitpunkt,
nämlich wenn die internationalen Friedenskräfte im Ko-
sovo einrücken, entwaffnet werden.

An dieser Stelle möchte ich einen Appell an die russi-
sche Regierung richten. Ich möchte zum Ausdruck brin-
gen, daß wir Grund für einen großen Respekt für die
Haltung von Primakow und der russischen Regierung
haben. Es gehört Mut dazu, dem proserbischen Populis-
mus im eigenen Land Widerstand entgegenzubringen.
Man muß anerkennen, welche Vermittlungsversuche
schon gemacht worden sind – mit der Reise von Prima-
kow selbst, aber auch jetzt mit der Einsetzung seines

Vorgängers Viktor Tschernomyrdin als Sonderbeauf-
tragten.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


Ich appelliere jetzt an die russische Führung, anzuer-
kennen, daß der Westen bei der Frage der Zusammen-
setzung der Sicherheitskräfte sich bewegt hat, daß jetzt
die Forderung nach einer Art von Teilnahmeverbot von
NATO-Ländern insgesamt keinen Sinn macht, weil ohne
die technischen Voraussetzungen und Fähigkeiten der
NATO eine solche große Operation im Kosovo zum
Schutz der Wehrlosen nicht möglich ist und – darauf
wurde schon hingewiesen – die Frage des Vertrauens
der Rückkehrwilligen tangiert ist. Man kann ihnen ja gar
nicht zumuten, in ein Umfeld zurückzukehren, wo sie
nicht eine internationale Garantie für ihre Sicherheit ha-
ben. Ich appelliere an die russische Führung, über ihre
Zustimmung zu dem Friedensplan nun nicht in Belgrad
entscheiden zu lassen. Das ist nicht möglich; wir wissen,
was das bedeutet.

Ich appelliere auch an die Vereinigten Staaten und an
unsere westlichen Partner: Es kann jetzt nicht um die
Frage des Vaterrechts für bestimmte Vorschläge gehen,
die uns aus dem Dilemma herausführen. Wir sind ja be-
reit, auch über Änderungen zu reden. Aber ich appelliere
an sie, daß sie jetzt den Abstimmungsprozeß über diesen
Friedensplan beschleunigen mögen.

Das Grundkonzept ist doch vernünftig und muß doch
konsensfähig sein, nämlich UN-Mandat, Einbeziehung
der Russischen Föderation und frühestmögliche Feuer-
pause. Das ist ein Konzept, das jetzt viele Hoffnungen
weckt, und sie dürfen nicht enttäuscht werden.


(Beifall bei der SPD)

Trotz vieler Hoffnungen, liebe Kolleginnen und Kol-

legen – Herr Lamers hat dies eben auch so ausgedrückt
–, gibt es ein tiefsitzendes Unbehagen bei vielen von uns
darüber, wie wir überhaupt in diese Situation geraten
sind. Wie kam es denn, daß nach und nach die politi-
schen Optionen immer weniger wurden, daß dann nur
noch eine militärische Drohung übrigzubleiben schien
und daß am Ende, weil diese Drohung nicht funktio-
nierte, das Angedrohte wahrgemacht wurde? Ein Modell
internationaler Politik, das nach diesen Abläufen funk-
tioniert, ist defizitär. Das haben wir nach Beendigung
dieses Konflikts aufzuarbeiten.

Aber einige wenige Punkte lassen sich heute schon
feststellen. Es gibt ein Mißverhältnis zwischen unseren
Fähigkeiten zu einer militärischen Intervention auf der
einen Seite und den Fähigkeiten zu vorausschauender
Friedenspolitik und Krisenprävention auf der anderen
Seite. Das ist eine gefährliche Entwicklung des interna-
tionalen Systems.

In der Tat war der Konflikt im Kosovo lange voraus-
zusehen. Er hat – das ist eben noch einmal gesagt wor-
den – 1989 durch die Abschaffung des Autonomiestatuts
angefangen. Danach aber hat schon Milosevic eine
strukturelle Vertreibungspolitik gegen die Kosovo-
Albaner durchgeführt. Sie hatten keine eigenen Schulen
mehr, keine eigenen Universitäten mehr; sie wurden aus

Gernot Erler






(B)



(A) (C)



(D)


ihren eigenen Krankenhäusern und von ihren Arbeits-
plätzen vertrieben. Lange Zeit hat die Vertretung der
Kosovo-Albaner im Westen dafür geworben, einen
Blick darauf zu werfen, etwas zu tun. Es handelte sich
um eine gemäßigte Führung.

An dieser Stelle möchte ich eine Forderung zum
Ausdruck bringen: Wir fordern von diesem Platz im
Deutschen Bundestag die serbische Führung auf, Herrn
Ibrahim Rugova, der der Führer dieser gemäßigten Ver-
tretung war, sofort die Freiheit zu geben und seine De-
mütigung zu beenden.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der F.D.P. und des Abg. Dr. Ilja Seifert [PDS])


Wir wissen, daß der Westen nicht die Kraft gefunden
hat, im Kosovo präventiv einzugreifen. Das hat nachher
zu der Radikalisierung auch der Kosovo-Vertretung und
zur Bildung der Ushtria Climentare e Kosoves, das heißt
der Befreiungsarmee des Kosovo, die wir unter der Ab-
kürzung UCK kennen, geführt. Das bedeutet: Die Vor-
geschichte ist auch die Vorgeschichte des Wegsehens,
des Scheiterns von Prävention gewesen. Anders ausge-
drückt: Wir sprechen beim Einsatz von militärischen
Mitteln von der Ultima ratio. Die Frage lautet: Wie ist es
um die Stärke der Ratio bestellt, die davorzustehen hat?
Wir stellen fest, sie ist zu nackt.

Ein Beispiel dafür gibt die OSZE, die Einrichtung,
die am ehesten in der Lage ist, präventiv tätig zu wer-
den. In diesem Konflikt war die OSZE nicht in der Lage,
2 000 unbewaffnete Beobachter innerhalb von fünf Mo-
naten in den Kosovo zu bringen. Als die Mission been-
det wurde, waren dort 1 380, das sind nur zwei Drittel.
Ich klage die OSZE nicht an. Ich sage eher: Für uns ist
es eine Mahnung, die OSZE endlich zu stärken, damit
die präventiven Aufgaben wahrgenommen werden kön-
nen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich begrüße ausdrücklich die wirklich notwendige
Initiative, einen Stabilitätspakt für den ganzen Balkan
zu begründen, aber in Zukunft dürfen die Stabili-
tätspakte nicht auf die Tagesordnung kommen, wenn es
darum geht, Zerstörungen aufzuarbeiten. Statt dessen
hätten wir ihn vorher gebraucht, aber auch das zeigt die
Schwäche der präventiven Fähigkeiten.

In diesem Zusammenhang möchte ich noch einen
Punkt ansprechen: In der Vorgeschichte des Konflikts
hat es die Isolierung der serbischen Regierung gegeben.
Die Hauptverantwortung – das möchte ich ausdrücklich
betonen – trägt dafür die serbische Führung selbst, es
war ein Akt der Selbstisolierung. Der Westen aber hat es
nicht vermocht zu verhindern, daß sich Isolierung und
Selbstisolierung zu einer Situation aufgeschaukelt ha-
ben, in der man Milosevic mit politischen Argumenten,
auch mit politischen Drohungen, nicht mehr erreichen
konnte. Man nennt so etwas eine No-win-Situation. Das
ist eine Situation, in der bei den besten Argumenten das
Motiv fehlt, um positiv zu reagieren, weil nichts mehr

vorhanden ist, mit dem politisches Wohlverhalten prä-
miert werden kann.

Diese Isolierungspolitik hat sich als verhängnisvoll
erwiesen. Man kann auch sagen: Aus dieser Aufschau-
kelung ist Serbien zu einem ersten europäischen „Schur-
kenstaat“ geworden. Ich habe den Bedarf, auch mit un-
seren amerikanischen Freunden die Rogue-Doktrin, die
Schurkenstaatstheorie zu diskutieren. Diese Politik hat
sich als nicht gerade hilfreich erwiesen.

Nach dem Systembruch von 1989, nach dem Ende
des kalten Kriegs, das mit soviel positiven Erwartungen
verknüpft war, müssen wir heute – zehn Jahre danach –
feststellen: Die Hemmschwelle, militärische Drohungen
oder sogar die Anwendung militärischer Gewalt zur
Verfolgung von politischen Zielen zu nutzen, ist gesun-
ken. Das ist eine sehr nüchterne Bilanz. Das heißt, es ist
zu einer Alltagserscheinung geworden, aber die Bilanz
ist fragwürdig und der Weg gefährlich.


(Beifall des Abg. Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Für mich heißt das: Es gibt keine Alternative zur
Weiterverfolgung eines Gewaltmonopols für die Ver-
einten Nationen. Es müssen aber andere Vereinte Natio-
nen sein als die, die wir jetzt haben. Das Vetorecht der
fünf Atomstaaten – ein Relikt aus dem zweiten Welt-
krieg – hat sich als verhängnisvoll erwiesen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN])


Das Verhalten der Chinesen ist schon angesprochen
worden. Wir müssen durch eine Reform der Vereinten
Nationen, die wirklich auf der Tagesordnung steht, end-
lich erreichen, daß diese wichtige Weltorganisation, die
unverzichtbar ist, tatsächlich die Verantwortung, die sie
über das Gewaltmonopol innehat, wahrnehmen kann.
Das ist eine wichtige Zwischenbilanz der Erfahrungen
der letzten Wochen.

Ich komme zu den Aufgaben des Tages zurück. Der
Friedensplan der Bundesregierung, die großen Leistun-
gen zur Flüchtlingshilfe und der perspektivisch ange-
legte Stabilitätsplan für den Balkan besetzen im Augen-
blick den Hoffnungsplatz in der aktuellen Situation.
Diese drei Ansätze sind eine Handschrift dieser Regie-
rung. Ich finde, sie verdienen das Vertrauen und die
Unterstützung des Deutschen Bundestages. Die SPD-
Fraktion jedenfalls unterstützt diesen Weg nachhaltig.


(Beifall bei der SPD)

Ich möchte abschließen, indem ich mich mit einem

Wort an die etwa 500 000 Serben in der Bundesrepublik
Deutschland wende: Ich finde, sie sind in einer sehr
schwierigen Lage. Sie haben zwischen verschiedenen
Solidaritäten zu entscheiden. Sie erleben übrigens auch
– das wird leider zu selten erwähnt –, daß Milosevic im
Windschatten der Kriegsereignisse einen radikalen Pro-
zeß mit der oppositionellen Intelligenz in Serbien macht
– ein Verlust, unter dem Serbien noch lange wird leiden
müssen und den wir ebenso anprangern müssen wie das

Gernot Erler






(A) (C)



(B) (D)


Vorgehen im Kosovo gegen die dortige albanische Be-
völkerung.

Ich möchte hier zum Ausdruck bringen: Wir wollen,
daß Serbien in Zukunft – so schwer das heute im Kon-
text der jetzigen Entwicklung und der Erfahrungen mit
Milosevic zum Ausdruck zu bringen ist – Teil der euro-
päischen Gesellschaft ist. Wir haben einen hohen Re-
spekt vor der Kultur der Serben aus vielen Jahrhunder-
ten, vor ihrem kulturellen Beitrag zur europäischen Ge-
schichte. Wir wollen den Integrationsprozeß sofort
nach der Beendigung des Konfliktes – dieser Punkt be-
trifft auch den Stabilitätspakt – fortsetzen. Das ist eine
Botschaft an die vielen serbischen Mitbürger unter uns,
die auch lauten soll: Es wird kein Krieg gegen Serbien
geführt, sondern ein Krieg gegen ein unverantwortliches
Regime.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1403203500
Als
nächste Rednerin hat die Kollegin Annelie Buntenbach,
Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir – hier spreche ich für eine Minderheit in meiner
Fraktion – fordern die sofortige Einstellung der Luftan-
griffe der NATO auf Jugoslawien und die Rückkehr an
den Verhandlungstisch.


(Beifall bei Abgeordneten der PDS)

Wir wollen die Einstellung aller Kampfhandlungen er-
reichen. Jede diplomatische Initiative, jede internatio-
nale Vermittlung, die zu einer politischen Lösung des
Konflikts führen kann, hat unsere Unterstützung. Nur
Politik kann die Logik der in ihren Konsequenzen un-
überschaubaren Eskalationsschritte, die jetzt vor unseren
Augen ablaufen, durchbrechen. Militärische Mittel wer-
den uns nicht aus der Sackgasse herausführen, sondern
nur immer tiefer herein.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Beifall bei der PDS)


Seit inzwischen 22 Tagen steht die Bundesrepublik
Deutschland zum erstenmal seit Ende des zweiten
Weltkrieges in einem Krieg, bombardiert die NATO Ju-
goslawien. Das formulierte Ziel, die humanitäre Kata-
strophe zu verhindern, hat sie damit nicht erreichen
können. Der unsäglichen ethnischen Vertreibungspolitik
von Milosevic hat sie nicht Einhalt geboten. Vielmehr
muß sie sich nach drei langen Wochen der Bilanz stel-
len, daß sich während der Luftangriffe die Situation ge-
rade für die Zivilbevölkerung und für die inzwischen
zahllosen Flüchtlinge noch verschlimmert hat. Auch
Krieg ist Menschenrechtsverletzung. Die chirurgische
Bombardierung, den sauberen Computerkrieg, der zivile
Opfer, Tod und Zerstörung ausschließen würde, gibt es
in der Realität nicht.

Auch das zweite formulierte Ziel hat die NATO nicht
erreicht, nämlich die jugoslawische Unterschrift unter
das Rambouillet-Abkommen herbeizubomben. Dieses
Ziel scheint inzwischen überholt; trotzdem wird weiter
bombardiert.

Daß die NATO auf das Scheitern ihrer politischen
Ziele mit der Verstärkung der Luftangriffe reagiert, er-
schreckt mich. Wo ist der Ausstieg aus dieser hochris-
kanten Eskalationslogik? Ist das Ziel der NATO erst er-
reicht, wenn die jugoslawische Regierung fällt? Das
hieße nicht nur Bombardierung bis zum Ende, das hieße
auch Einsatz von Bodentruppen mit den damit verbun-
denen Risiken, die kein Mensch wirklich verantworten
kann. Schon aus unserer historischen Verantwortung
heraus müssen wir alles tun, damit es nie mehr zum Ein-
satz von Bodentruppen in Jugoslawien kommt.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Beifall bei der PDS)


Das ist die rote Linie, die Rußland markiert hat. Schon
jetzt kann der Funke jederzeit in der Region übersprin-
gen: nach Albanien, nach Bosnien, nach Montenegro,
nach Mazedonien – ein Funke, der zum Brand werden
kann.

Wir müssen aus dieser militärischen Eskalationslogik,
die die Chancen zu einer tragfähigen politischen Lösung
verschlechtert, aussteigen. Die Position von Milosevic
ist durch die NATO-Angriffe gestärkt worden. Der
Handlungsspielraum der serbischen Opposition, die wir
doch genau wie die friedlichen kosovo-albanischen
Kräfte dringend stärken müßten, ist zunichte gemacht.

Der Kollege Hirsch hat von dieser Stelle aus bei der
Entscheidung zu „act ord“ der NATO am 16. Oktober
1998 seine Befürchtung formuliert, daß durch die völ-
kerrechtswidrige Selbstmandatierung der NATO das
Völkerrecht auf den Stand vor der Gründung der UN zu-
rückzufallen drohe. Wir beschädigen diejenigen Instru-
mente, die wir dringend brauchen, wenn wir internatio-
nal handlungsfähig sein wollen, auch und gerade zivil
international handlungsfähig. Wären sich die West-
mächte in den letzten Jahren in ihrer zivilen Jugosla-
wienpolitik so einig gewesen, wie es jetzt bei diesem
Krieg der Fall ist, dann sähe die politische Situation in
der Region mit Sicherheit ganz anders aus.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der PDS)


Um die schon seit langem schwelenden Konflikte
wirklich ernsthaft lösen zu können, brauchen wir eine
Balkankonferenz unter Federführung der UN und Un-
terstützung beim wirtschaftlichen Wiederaufbau. Aber
davor müssen wir alles für die humanitäre Hilfe der
Flüchtlinge und dann für ihre gesicherte Rückkehr tun.
Ein ausgehandeltes und unterzeichnetes Friedensab-
kommen, das wir uns alle wünschen, wird internationale
Absicherung brauchen. Allerdings kommt dafür nicht
die NATO in Frage; denn sie ist spätestens mit den
Luftangriffen zur Kriegspartei geworden.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Gernot Erler






(B)



(A) (C)



(D)


Auch wenn die OSZE oder die UNO diese Absiche-
rung übernehmen würde, sollten die NATO-Staaten
nicht die tragende Rolle bei einem solchen Einsatz über-
nehmen. Der erste Schritt hin zu einem solchen Szenario
ist die sofortige Einstellung der Luftangriffe, die Ein-
stellung aller Kampfhandlungen und die Rückkehr an
den Verhandlungstisch.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1403203600
Als
nächster Redner hat der Kollege Christian Schmidt von
der CDU/CSU-Fraktion das Wort.


Christian Schmidt (CSU):
Rede ID: ID1403203700
Herr Präsi-
dent! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe
mich noch einmal versichert, daß meine Vorrednerin für
eine Partei der Regierungskoalition gesprochen hat. Die
Töne, die sie angeschlagen hat, passen nicht gerade zu
dem, was ihr Außenminister zu Beginn dieser Debatte in
eindrucksvollen Worten gesagt hat.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P. – Jörg van Essen [F.D.P.]: Jetzt unterstützt die Opposition diese Politik!)


Wir jedenfalls unterstützen in tatsächlicher und rechtli-
cher Hinsicht das, was Bundesverteidigungsminister
Scharping auch zu rechtlichen Fragen dargelegt hat.

Ich möchte eines unterstreichen: Frau Kollegin Bun-
tenbach, Ihr Verdikt, die Weltordnung würde auf die
Zeit vor der Verabschiedung der Charta der Vereinten
Nationen zurückgeworfen, entbehrt jeder Realität, weil
die Lückenhaftigkeit dieser Ordnung – sie war schon in
ihrem Zustandekommen angelegt – bis heute nicht völlig
beseitigt ist. Ich bin dem Verteidigungsminister sehr
dankbar, daß er hier einige Fundstellen genannt hat, die
darauf durchaus bezogen werden können.

Gehen wir von der uns alle bewegenden Frage, wie
wir die Menschenrechte dort schützen können, über zur
Frage, welche Gefahren für den Frieden in Europa, für
Montenegro, möglicherweise für Albanien und für Ma-
zedonien von einer uneingedämmten Entwicklung im
Kosovo à la Milosevic ausgehen. Wir kommen zur Fra-
ge des europäischen Interesses an der Eindämmung ei-
nes solchen Konfliktes.

Die Gefahr der Internationalisierung, die nicht nur
theoretisch-abstrakt besteht, sondern seit dieser Woche
mit den Übergriffen auf albanische Dörfer praktisch ge-
worden ist, haben wir bereits vor einiger Zeit, bei unse-
ren Diskussionen im letzten Jahr, behandelt. Damals ha-
ben wir gesagt: Hinsichtlich einer tragfähigen Rechts-
grundlage kommen wir in die Reichweite des Art. 51 der
Charta der Vereinten Nationen, den Sie alle gut kennen.
Es geht dort um das Recht auf kollektive Selbstvertei-
digung, also um den Schutz vor Aggressionen.

In diesem Punkt stimmt das europäische Interesse
durchaus mit dem Interesse der Weltgemeinschaft über-
ein. Deswegen ist es nicht mehr als konsequent, daß der

Generalsekretär der Vereinten Nationen der NATO-
Initiative nicht widersprochen hat, sondern ganz im Ge-
genteil bereit ist, mit seinen Mitteln und Möglichkeiten
für eine Vermittlungsaktion zur Verfügung zu stehen.
Diese Aktion kann nur dann als vermittelnd bezeichnet
werden, wenn das Recht durchgesetzt wird. Nicht nur
die Tatsachen, sondern auch das Völkerrecht sprechen in
diesem Vorgehen der NATO für sich.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Man braucht hier kein schlechtes Gewissen zu haben.
Das schlechte Gewissen liegt bei Herrn Milosevic. Die
Schuld für die Toten liegt auch bei Herrn Milosevic.

Um aber der Gefahr einer stufenweisen Eskalation bis
hin zu einem Pulverfaß Balkan, das nicht nur in diesem
Jahrhundert, sondern auch schon in den vergangenen
Jahrhunderten viele Konflikte in Europa verursacht hat,
zu entgehen, müssen wir in unserem eigenen Frie-
densinteresse jetzt handeln. Daß es dabei keine Auto-
matik des Handelns geben darf gemäß der Vorstellung,
ein erster Schritt ist getan und im Sinne eines unerbittli-
chen Ablaufes müßte die Eskalation ad infinitum voran-
gehen, ist ein anderer Punkt. Die Politik muß nach wie
vor die Aktivitäten beherrschen und auch die Weisheit
und Klugheit besitzen, sie zu kanalisieren, wenn sie
nicht mehr kontrollierbar sind. Diese Frage ist nach
dem, was wir hören, berücksichtigt. Wir unterstützen die
Bundesregierung und das Bündnis, die NATO insge-
samt, in dieser Frage.

Wir wissen, daß bei allen weiteren Entscheidungen
der Bundestag noch einmal gehört werden und entschei-
den muß. Wir werden dann, wenn der Bundestag noch
einmal gefragt werden muß, in aller Sorgsamkeit und
mit Bedachtsamkeit autonom entscheiden, welche an-
gemessenen Möglichkeiten und welchen Rahmen wir
für unser Handeln im Kosovo sehen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge ordneten der F.D.P.)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1403203800
Als
nächster Redner hat der Kollege Eberhard Brecht von
der SPD-Fraktion das Wort.


Dr. Eberhard Brecht (SPD):
Rede ID: ID1403203900
Sehr geehrter Herr
Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kolle-
gen! Ich glaube, die erneute Debatte am heutigen Tage
über das Thema Kosovo ist überfällig. Der Konflikt
selbst ist so brennend, daß sich das Parlament nicht her-
aushalten darf. Wir müssen die Exekutive bei diesem
Prozeß kritisch begleiten. Die Entwicklung der letzten
Tage und Stunden hat, wie ich denke, gezeigt, wie
wichtig diese Debatte ist.

Parallel dazu gibt es auch eine Debatte in der deut-
schen Bevölkerung, die sehr emotional geführt wird,
weil sie das eigene Selbstverständnis betrifft. Diese De-
batte wird an Hand von drei Kriterien geführt: Es ist das
Kriterium der völkerrechtlichen Legitimation, es ist das

Annelie Buntenbach






(A) (C)



(B) (D)


Kriterium der Effektivität dessen, was wir tun, und
schließlich ist es das Kriterium der Moral.

Zum ersten Kriterium: Ich warne davor, daß wir trotz
persönlicher Betroffenheit und Emotionalität das Di-
lemma hinsichtlich der völkerrechtlichen Legitimation
einfach nicht anerkennen wollen, wie es eben bei Herrn
Kollegen Schmidt der Fall war. Natürlich gibt es keinen
seriösen Völkerrechtler, der sagt, diese Legitimation sei
klar und eindeutig vorhanden. Es gibt sie in der ge-
wünschten Eindeutigkeit nicht. Wir sind gut beraten,
wenn wir diese rechtliche Debatte nicht beiseite schie-
ben und sagen, das sei politikferner Legalismus und die
Weltgeschichte sei kein Amtsgericht, sondern wir müs-
sen uns dem Dilemma stellen. Die Debatte am 16. Okto-
ber letzten Jahres hat ja auch gezeigt, daß die Mehrheit
der Befürworter eines Einsatzes und seiner Androhung
dieses Dilemma tatsächlich auch so gesehen hat.

Als Konsequenz aus diesem Dilemma müssen wir
uns die Frage stellen, wie wir in Zukunft mit ähnlichen
Situationen umgehen. Wir sind gut beraten, wenn wir
die vielen Vorschläge, die von seiten der Politikwissen-
schaft und von Völkerrechtlern unterbreitet wurden, eine
humanitäre Intervention völkerrechtlich zu legalisieren,
auch aufnehmen und endlich in einen internationalen
Diskussionsprozeß über diese ganz wichtige Frage ein-
treten.

Ein zweiter Diskussionsstrang betrifft die Effektivi-
tät dessen, was wir tun. Auf der einen Seite besteht ein
hohes Risiko für die Soldaten und das Risiko der Eska-
lation. Das ist hier heute mehrfach erwähnt worden. Au-
ßerdem haben die westlichen Staaten einen sehr hohen
materiellen Aufwand zu erbringen.

Auf der anderen Seite stehen die Ziele, die wir ei-
gentlich erreichen wollen. Es ist zu Recht gesagt wor-
den, diese Ziele sind bisher nicht erreicht worden. Das
Abkommen von Rambouillet ist nicht unterschrieben,
und das Töten und Vertreiben geht weiter.

Umgekehrt muß man aber einmal fragen: Was hätte
denn passieren sollen? Hätten wir mit Bodentruppen
einmarschieren sollen oder die Belgrader Luftabwehr
ignorieren und ein hohes Risiko für die deutschen Sol-
daten eingehen sollen? Das wäre eine unverantwortliche
Politik. Ich kann nur davor warnen, mit diesem Tot-
schlagargument die NATO abstrafen zu wollen.

Viel wichtiger ist – ich glaube, das ist der wichtigste
Punkt in der innerdeutschen Diskussion – die Frage der
moralischen Legitimation. Hier treffen zwei Grunder-
fahrungen, die die Nachkriegsgenerationen gewonnen
haben, aufeinander: Die eine besagt, Deutsche sollten
nie wieder an einem Krieg beteiligt sein. Die andere be-
sagt, nie wieder wegzuschauen, wenn man an Au-
schwitz, Majdanek oder an andere Konzentrationslager
denkt. Ich denke, beide Ansätze sind legitim. Man sollte
sie sehr ernst nehmen, weil sie aus einer persönlichen
Betroffenheit herrühren. Aber ich habe wenig Verständ-
nis dafür, wenn die Gegner der NATO-Luftangriffe,
Teile der Friedensbewegung in der PDS, die NATO kri-
tisieren, aber die Vertreibungen und das grauenhafte
Morden, die durch Milosevic und seine Soldateska ge-
schehen, nicht einmal erwähnen. Diese Haltung hat der

Entschließungsantrag der PDS wieder einmal deutlich
gemacht.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der CSU/CDU und des Abg. Günther Friedrich Nolting [F.D.P.])


Ich kann auch nicht akzeptieren, wenn Herr Kollege
Gysi hier sagt, die Datenlage sei so schwach. Natürlich
gibt es auch gefälschte Daten. Natürlich hat auch die
UCK ein Interesse an gefärbten Informationen.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die NATO auch!)


Aber die Daten, die als gesichert angenommen werden
können, reichen aus, um hier klar Position zu beziehen.

Ich habe auch ein Problem mit der Reise von Herrn
Gysi nach Belgrad. Man mag darüber schwadronieren,
ob es sehr sinnvoll ist, als Vertreter einer sehr kleinen
Oppositionspartei in dieser Situation mit Herrn Milose-
vic zu reden. Aber ich habe kein Verständnis dafür,
wenn Herr Gysi nach Belgrad reist und sich dort demon-
strativ in einer zerstörten Autofabrik filmen läßt. Das
bedeutet doch nichts anderes, als daß wir die These von
Milosevic – so ist es auch im serbischen Fernsehen dar-
gestellt worden – stützen, die NATO führe einen Krieg
gegen das serbische Volk und gegen seine ökonomi-
schen und zivilisatorischen Grundlagen. Genau das be-
absichtigt die NATO nicht.


(Widerspruch bei der PDS – Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das tut sie aber!)


Deswegen denke ich, daß uns Herr Gysi hier einen
schlechten Dienst erwiesen hat.


(V o r s i t z : Vizepräsidentin Petra Bläss)

Als jemand, der am 16. Oktober letzten Jahres aus

grundsätzlichen Erwägungen heraus dem damals noch
hypothetisch erscheinenden Einsatz der NATO nicht zu-
gestimmt hat, möchte ich eines noch klarstellen: Ich
halte nichts von der von Frau Kollegin Buntenbach und
anderen Abgeordneten geforderten sofortigen Unterbre-
chung der NATO-Luftangriffe. Genau dies würde dazu
führen, daß die Vertreibungen weitergehen.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gehen sie jetzt nicht weiter?)


Genau dies würde wiederum den Druck zurücknehmen,
den wir auf Milosevic ausüben müssen, um tatsächlich
zu einer Annahme des Friedensplanes zu gelangen


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich sehe in dem jetzt vorliegenden Fischer-Plan eine

reale Chance für eine noch in weiter Ferne befindliche
Befriedung des Kosovo. Es gibt zum einen die Gefahr
des Kombattantentums der NATO. Mit jedem Tag, an
dem dieser Krieg weitergeführt wird, mit jeder Bombe,
die auf eine militärische Einrichtung fällt, und mit jedem
zerstörten serbischen Panzer werden wir mehr zu Kom-
battanten der UCK. Unser Ziel ist es nicht, Partei zu er-
greifen oder die Kriegsziele der einen oder anderen

Dr. Eberhard Brecht






(B)



(A) (C)



(D)


Konfliktpartei zu unterstützen; vielmehr haben wir ein
Interesse an der Wiederherstellung der Menschenrechte,
am Stopp des Vertreibens und am Ende des Tötens.

Des weiteren sehe ich, daß Milosevic eine Chance
hat, ohne Gesichtsverlust diesem Plan zuzustimmen. Die
UNO ist einbezogen und damit auch Rußland. Schließ-
lich ist die Frage des Status des Kosovo bewußt offen-
gelassen worden, um ihn im Rahmen einer Friedenskon-
ferenz zu klären. Die bisherigen Reaktionen auf den Fi-
scher-Plan sind nicht so heterogen, als daß man mit ihm
nicht Hoffnungen verbinden könnte. Ich hoffe, wir
kommen zu einem guten Ende.

Die offene Frage des Status ist natürlich ein Risiko.
Kollege Lamers hat vorhin zu Recht auf einen Umstand
hingewiesen: Es ist für uns heute sehr schwer, sich vor-
zustellen, daß die Konfliktparteien, nachdem so viel Blut
geflossen ist, wieder miteinander leben können und daß
es wieder ein multiethnisches Miteinander gibt, das Op-
fern und Tätern ein Zusammenleben ermöglicht. Das ist
wirklich sehr, sehr schwer vorstellbar, auch nach den Er-
fahrungen, die wir in Bosnien-Herzegowina gemacht
haben.

Unsere Zielstellung darf aber nicht sein, daß wir im
Prinzip zu einer Atomisierung des Balkan kommen,
sondern unsere Zielstellung muß sein, Menschenrechte
und Minderheitenrechte durchzusetzen und nicht neue
staatliche Einheiten, die möglicherweise zur Ursache für
neue Instabilitäten werden.

Ich kann der Bundesregierung und der NATO nur
wünschen, daß sie mit der neuen Initiative des Bundes-
außenministers erfolgreich ist. Wir als Parlament sollten
die Bundesregierung zwar kritisch begleiten, sie auf die-
sem Weg aber auch ganz ausdrücklich unterstützen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Friedbert Pflüger [CDU/CSU])



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1403204000
Letzter Redner in
dieser Debatte ist der Bundesminister des Innern, Otto
Schily.


Otto Schily (SPD):
Rede ID: ID1403204100
Frau Präsi-
dentin! Meine Damen und Herren Kollegen! Herr Kol-
lege Lamers, Sie haben sich mit Recht beeindruckt ge-
zeigt von der großen Rede Rudolf Scharpings. Ich
möchte Ihnen meinerseits zu Ihrem sehr nachdenklichen
Beitrag gratulieren. Ich glaube, er hat diese Debatte be-
reichert.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der F.D.P.)


Die Kosovo-Krise – meine Damen und Herren, das
wissen wir – hat der Bundesrepublik Deutschland und
der internationalen Staatengemeinschaft eine sehr
schwerwiegende Verantwortung auferlegt. Dieser Ver-
antwortung werden wir nicht gerecht, wenn wir es nicht
zugleich als unsere selbstverständliche Pflicht betrach-

ten, den aus dem Kosovo Vertriebenen beizustehen so-
wie die Not und das Elend nach Kräften zu lindern. Die
Leiden der Menschen – unter ihnen viele Kinder und Ju-
gendliche – dürfen uns nicht gleichgültig lassen.

Meine Damen und Herren, die Kosovo-Krise hat
nicht – wie wir alle wissen oder jedenfalls wissen kön-
nen – erst in diesem Jahr begonnen. Auch die Vertrei-
bungen haben nicht erst in diesem Jahr begonnen.

Innerhalb der Europäischen Union besteht seit jeher
Einmütigkeit, daß Hilfe für die Vertriebenen in erster
Linie in der Region geleistet werden soll. Gleichwohl
hat in der Vergangenheit eine große Anzahl von Flücht-
lingen, die auf hunderttausend Menschen geschätzt wer-
den, in Westeuropa Zuflucht gefunden. Der Grundsatz,
daß die Hilfe vor Ort absoluten Vorrang haben muß,
gilt nach wie vor. Ich habe in den Gesprächen mit der
EU-Kommission, mit Frau Bonino und Frau Gradin, und
den EU-Innenministern in dieser Frage volle Überein-
stimmung festgestellt. Auch der UNO-Flüchtlings-
kommissar stimmt diesem Grundsatz zu. Alle Hilfsmaß-
nahmen für die Vertriebenen, die rasch und unbürokra-
tisch in Gang gekommen sind, haben sich daher auf die
Bereitstellung von Hilfsgütern und die Betreuung in der
Region konzentriert.

Die Gründe, die für den Vorrang der Hilfe vor Ort
sprechen, hat Bundeskanzler Schröder in der heutigen
Debatte bereits genannt. Ich muß sie nicht wiederholen.
Ich darf aber hinzufügen, daß die Vertriebenen selbst
und auch die albanische Regierung eine Evakuierung
ausdrücklich ablehnen. Auch das sollte man, wie ich
finde, zur Kenntnis nehmen.

Kurz vor Ostern ergab sich in Mazedonien allerdings
eine besondere Situation: Der Zustrom von Flüchtlingen
nach Mazedonien war so angewachsen, daß die Lage
unter den spezifischen politischen Bedingungen in Ma-
zedonien außer Kontrolle zu geraten schien. In dieser
Situation war die Evakuierung von Flüchtlingen aus der
Grenzregion von Mazedonien in andere Länder unaus-
weichlich.

Ich habe daraufhin parallel zwei Hilfsaktionen in die
Wege geleitet: Ich habe mich mit den Bundesländern der
Bundesrepublik Deutschland auf die Aufnahme von
10 000 Flüchtlingen geeinigt; zugleich habe ich die EU-
Innenminister zu einer Dringlichkeitssitzung eingeladen.
Im Vorgriff auf die Beratungen in dieser Dringlichkeits-
sitzung habe ich telefonisch bei meinen EU-Innen-
ministerkolleginnen und -kollegen dafür geworben,
ebenfalls Flüchtlinge ohne vorherige Beschlußfassung
aufzunehmen. Ich bin sehr dankbar dafür, daß unter an-
derem Schweden und Österreich jeweils 5 000 Kosovo-
Vertriebene aufgenommen haben.

Dazu darf ich bemerken, daß wir sicherlich Anlaß
haben, vielen Menschen in Deutschland für ihre Hilfsbe-
reitschaft zu danken.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der F.D.P.)


Ich habe sicherlich auch Anlaß, dafür zu danken, daß
wir zwischen Bund und Ländern bei der Frage der Auf-

Dr. Eberhard Brecht






(A) (C)



(B) (D)


nahme von Flüchtlingen schnell zu einer Einigung ge-
langt sind. Aber zu Überheblichkeit besteht kein Anlaß.
Wir sollten nicht übersehen, daß andere Länder mit einer
sehr viel kleineren Bevölkerungszahl vergleichsweise
sehr viel mehr Flüchtlinge aufgenommen haben als wir
bisher. Auch das sollte, denke ich, an dieser Stelle nicht
übersehen werden.

Die Aufnahme der 10 000 Vertriebenen in Deutsch-
land ist zügig umgesetzt worden. Ich habe eine Gruppe
von Beamten des Bundesgrenzschutzes nach Skopje ent-
sandt, die ihre Aufgabe in sehr engagierter und umsich-
tiger Weise erfüllt hat, so daß bis Ende dieser Woche die
Verbringung der Flüchtlinge nach Deutschland abge-
schlossen sein wird. Den BGS-Beamten möchte ich für
ihre hervorragende Arbeit sehr herzlich danken,


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der F.D.P.)


insbesondere dem Leiter der BGS-Gruppe, Herrn
Seeger, der sich auf meine Bitte am Samstag vor Ostern
spontan bereit erklärt hat, diese schwierige Aufgabe zu
übernehmen. In den Dank schließe ich auch die Mitar-
beiter meines Hauses ein, die sich in Tag- und Nachtar-
beit bei der Steuerung der Hilfsmaßnahmen wirklich
bewährt und Verdienste erworben haben.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der F.D.P.)


Meine Damen und Herren, die Auswahl der Flücht-
linge, die in Deutschland aufgenommen wurden, ist
selbstverständlich nicht willkürlich erfolgt. Ich weiß
nicht, wie der Kollege Schäuble – er ist nicht mehr da –
zu dieser Behauptung gelangt ist. Die Auswahl wird von
Vertretern des UNO-Flüchtlingskommissars vorgenom-
men. Ich habe in meiner Verantwortung angeordnet,
darauf hinzuwirken, daß in erster Linie Kranke, Kinder,
Frauen und ältere Menschen berücksichtigt werden. Es
mußte aber auch beachtet werden, daß nach Möglichkeit
Familien nicht auseinandergerissen werden.

Die Mitarbeiter des Bundesgrenzschutzes haben sich
in Zusammenarbeit mit dem UNO-Flüchtlingskommis-
sar nach Kräften dafür eingesetzt, daß diesen Kriterien
genügt wurde. Sie haben dafür das ausdrückliche Lob
einer in humanitären Fragen wirklich sachverständi-
gen Persönlichkeit, nämlich Rupert Neudeck von Cap
Anamur, erhalten. Auf dieses Lob können die Kollegen
des Bundesgrenzschutzes besonders stolz sein. Sie kön-
nen daher kleinliche Kritik von dem Vorsitzenden einer
Oppositionsfraktion ertragen.


(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Was soll denn das?)


– Herr Repnik, ich sage Ihnen das, und ich beziehe
Herrn Stoiber in den Vorwurf ein. Herr Stoiber hat sich
nicht gescheut, sogar von Bestechung zu reden. Was ist
das für eine Unterstellung gegenüber diesen Beamten,
die unter Einsatz ihres Lebens in Skopje ihre Pflicht ver-
richten?


(Beifall bei der SPD)


Da muß ich mich vor die Beamten stellen. Herr Repnik,
das werden Sie sicherlich verstehen.


(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Herr Schäuble hat lediglich eine Sorge zum Ausdruck gebracht! – Christian Schmidt [Fürth] [CDU/CSU]: Völlig überzogen!)


Meine Damen und Herren, in der Dringlichkeitssit-
zung der EU-Innenminister konnten sich einige EU-
Mitgliedsländer aus grundsätzlichen Erwägungen leider
nicht zur Festlegung von Kontingenten für die Aufnah-
me von Vertriebenen entschließen. Ich bitte Sie aber, zu
verstehen, meine Damen und Herren, daß es mit Blick
auf das Flüchtlingselend der denkbar ungeeignetste
Zeitpunkt war, einen Grundsatzstreit auszutragen.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1403204200
Herr Minister, ge-
statten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Repnik?


Otto Schily (SPD):
Rede ID: ID1403204300
Nein, ich
lasse keine Zwischenfragen zu.

Deshalb haben wir uns wie andere Staaten dazu ent-
schlossen, Flüchtlinge ohne Rücksicht darauf aufzu-
nehmen, ob andere es uns gleichtun.

In Befolgung des Grundsatzes, daß die Hilfe vor Ort
absoluten Vorrang hat, habe ich mich parallel zu den
Bemühungen, Flüchtlinge in Westeuropa aufzunehmen,
dafür eingesetzt, daß zur Entlastung von Mazedonien
das Nachbarland Albanien weitere Flüchtlinge auf-
nimmt. Bei meinen Gesprächen mit der albanischen Re-
gierung am Ostersonntag konnte ich erreichen, daß sich
Albanien bereit erklärt, weitere 100 000 Flüchtlinge aus
der Grenzregion von Mazedonien aufzunehmen.

Selbstverständlich war diese Zusage Albaniens an die
Bedingung geknüpft, daß die technischen, organisato-
rischen und finanziellen Voraussetzungen für die Un-
terbringung der Vertriebenen von der internationalen
Staatengemeinschaft übernommen werden. Dementspre-
chend habe ich dafür gesorgt, daß der personelle Einsatz
des Technischen Hilfswerks in Albanien erheblich ver-
stärkt wird und daß andere humanitäre Organisationen,
wie unter anderem der Arbeiter-Samariter-Bund, massiv
unterstützt werden. Vom Technischen Hilfswerk und
von anderen deutschen humanitären Organisationen
werden in diesem Zusammenhang etwa 40 000 Plätze
unter schwierigsten Bedingungen zur Unterbringung von
Flüchtlingen bereitgestellt. Das ist eine großartige Lei-
stung, für die ich und wir alle dankbar sein müssen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der F.D.P.)


Die EU-Innenminister, aber auch die Innenminister
der deutschen Bundesländer haben ausdrücklich be-
grüßt, daß auf Grund der von mir in Tirana geführten
Gespräche eine zusätzliche Unterbringung der Flücht-
linge in Albanien ermöglicht wird. Es war in diesem Zu-
sammenhang ein Zeichen ungeteilter europäischer Soli-
darität, daß sich alle EU-Mitgliedstaaten verpflichtet
haben, durch finanzielle, personelle, logistische und or-

Bundesminister Otto Schily






(B)



(A) (C)



(D)


ganisatorische Hilfsmaßnahmen für die Umsetzung der
albanischen Zusage zu sorgen.

Ich warne davor, die Hilfe anderer EU-Mitglied-
staaten geringzuschätzen. Nicht zuletzt Italien hat große
Anerkennung für die umfassende Hilfe verdient, die es
in Albanien zur Verfügung stellt. Ich habe deshalb auch
die enge Zusammenarbeit mit der italienischen Regie-
rung bei den Hilfsmaßnahmen gesucht und in diesem
Zusammenhang Gespräche mit meiner Kollegin Jervoli-
no und dem italienischen Ministerpräsidenten D´Alema
geführt.

Aber ebenso haben sich alle anderen EU-Staaten
massiv bei der humanitären Hilfe engagiert. Auch die
EU-Kommission ist daran in vorbildlicher Weise betei-
ligt. Ich darf darauf hinweisen, daß die EU-Kommission
150 Millionen Euro für die humanitären Organisationen
und weitere 100 Millionen Euro für Hilfsmaßnahmen
zugunsten der in großen Schwierigkeiten befindlichen
Nachbarstaaten des Kosovo zur Verfügung stellen wird.
Wenn hier also von der PDS-Fraktion der Vorwurf
geäußert worden ist, es werde nur auf die private Hilfe
gesetzt, dann ist das die reine Unwahrheit.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Die von mir genannten Länder brauchen unsere Un-
terstützung übrigens auch hinsichtlich einer sehr wich-
tigen Frage, die manchmal übersehen wird, nämlich
hinsichtlich der Frage der Gewährleistung der inneren
Sicherheit. In einer so schwierigen und komplizierten
Situation, in der sich beispielsweise Albanien befindet,
ist es hilfreich – jenseits aller anderen Fragen, die in die-
sem Zusammenhang berechtigterweise diskutiert wor-
den sind –, daß die NATO in Albanien Militärkräfte sta-
tioniert. Das Kontingent, das jetzt nach Albanien ent-
sandt wird, ist gerade für die Unterstützung der huma-
nitären Arbeit hinsichtlich der Gewährleistung der inne-
ren Sicherheit von großem Wert.

Meine Damen und Herren, wir wissen, daß alles Geld
der Welt nicht ausreicht, wenn sich nicht Menschen be-
reit finden, tatkräftig persönlich vor Ort die notwendige
humanitäre Hilfe zu leisten. Deshalb gilt zum Ab-
schluß mein Dank noch einmal den vielen Mitarbeite-
rinnen und Mitarbeitern der humanitären Organisatio-
nen: des Deutschen Roten Kreuzes, der Organisation
Cap Anamur, des Technischen Hilfswerkes, der GTZ,
des UNHCR, des Arbeiter-Samariter-Bundes, der vie-
len kirchlichen Hilfsorganisationen, des Malteser-Hilfs-
dienstes und vieler anderer Organisationen.

Sie dienen in exemplarischer Weise dem Frieden und
der Menschlichkeit. Diese Friedensarbeiter sind für mich
eine Hoffnung für die Gegenwart und für die Zukunft.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der F.D.P.)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1403204400
Zu einer Kurzinter-
vention erteile ich dem Kollegen Repnik das Wort.


Hans-Peter Repnik (CDU):
Rede ID: ID1403204500
Herr Bundesmini-
ster Schily, ich bedauere, daß Sie, wie ich finde, in einer

Überreaktion auf den Debattenverlauf an einem Punkt
eine gewisse Schärfe hineingebracht haben, die wirklich
nicht angezeigt ist.

Deshalb möchte ich zunächst auf folgendes hinwei-
sen: Unser Fraktionsvorsitzender Wolfgang Schäuble
hat völlig zu Recht auf die bedrängte Situation der
Flüchtlinge in der Krisenregion hingewiesen und hat
angesichts des starken Andrangs dieser Flüchtlinge in
Richtung Westeuropa und die Bundesrepublik Deutsch-
land seine Sorge dahin gehend zum Ausdruck gebracht,
daß man mit ganz besonderer Sorgfalt darauf achten
möge, vordringlich solche Menschen bei uns aufzuneh-
men, die krank sind und die einer besonderen medizini-
schen Betreuung bedürfen. Dies ist doch selbstverständ-
lich. Ich billige es jedem Kosovaren in dieser Region zu,
daß er den Versuch unternimmt, hierher nach Deutsch-
land bzw. Westeuropa zu kommen. Wir können nicht
alle aufnehmen. Dies hat Herr Schäuble zum Ausdruck
gebracht.

Ich möchte auf einen weiteren Sachverhalt hinweisen:
Er hat gerade den Beamten und Hilfsorganisationen, die
unter schwierigsten Bedingungen ihrer Verantwortung
vor Ort gerecht werden, gedankt. Es kann nicht die Rede
davon sein, daß hier ein Zweifel an der Integrität dieser
Menschen gesät worden ist. Daß das Gegenteil der Fall
ist, können Sie der Rede von Herrn Schäuble entneh-
men.

Ferner möchte ich folgendes feststellen – nur deshalb
habe ich jetzt noch um das Wort für diese Kurzinterven-
tion gebeten –: Zumindest was das Verhalten zwischen
der Regierung und der größten Oppositionsfraktion an-
belangt, haben Sie doch eigentlich allen Grund, die Un-
terstützung, die Sie von uns erfahren, dankbar zur
Kenntnis zu nehmen. Deshalb habe ich Ihre Schärfe so
sehr bedauert.


(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1403204600
Zur Erwiderung,
Herr Bundesminister Schily, bitte.


Otto Schily (SPD):
Rede ID: ID1403204700
Herr Kolle-
ge Repnik, ich bedanke mich für Ihren sachlichen Bei-
trag. Aber ich muß auf folgendes hinweisen: Ich habe
ein gutes Gedächtnis. Kollege Schäuble hat davon ge-
sprochen, die Menschen, die bei uns aufgenommen wür-
den, seien willkürlich ausgesucht worden. Ich habe auch
noch die Worte von Ministerpräsident Stoiber im Ohr,
der sich sogar zu der Behauptung verstiegen hat, es
könnten dabei Geldzuwendungen eine Rolle gespielt
haben.

Ich habe die Pflicht – für den Fall, daß meine diesbe-
zügliche Anmerkung zu scharf ausgefallen ist, bemühe
ich mich jetzt um einen sachlichen Tonfall –, die Be-
amten, die in der Krisenregion wahrlich gute Arbeit ver-
richten, vor jedem Vorwurf – auch nur Anschein des
Vorwurfs –, daß eine solche Willkür herrsche oder daß
bei der Art und Weise, wie die Flüchtlinge zu uns kom-
men, womöglich strafbare Tatbestände eine Rolle ge-
spielt hätten, zu schützen.

Bundesminister Otto Schily






(A) (C)



(B) (D)


Deshalb bitte ich Sie, Herr Kollege Repnik, die Rede
Ihres Fraktionsvorsitzenden noch einmal nachzulesen


(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Ich kenne sie!)


und Herrn Schäuble vielleicht zu veranlassen, diesen
Vorwurf zurückzunehmen, den er wahrscheinlich in Un-
kenntnis des Sachverhalts – das kann ich ihm mögli-
cherweise zugute halten – gemacht hat. Vielleicht kann
er diesen Vorwurf korrigieren. Denn das bin ich meinen
Beamten, die in Skopje tätig sind, wahrlich schuldig.

Danke schön.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1403204800
Ich schließe die Aus-
sprache.

Wir kommen zum Entschließungsantrag der Fraktion
der PDS auf der Drucksache 14/755. Die Fraktionen der

SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN haben
beantragt, den Entschließungsantrag zur federführenden
Beratung an den Auswärtigen Ausschuß und zur Mitbe-
ratung an den Verteidigungsausschuß zu überweisen.
Die Fraktion der PDS verlangt hingegen sofortige Ab-
stimmung. Nach ständiger Übung geht die Abstimmung
über den Überweisungsvorschlag vor. Ich bitte diejeni-
gen, die dem Überweisungsvorschlag der Koalitions-
fraktionen zustimmen, um das Handzeichen. – Wer
stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Damit ist der Über-
weisungsvorschlag gegen die Stimmen der PDS–Frak-
tion angenommen, und wir stimmen heute in der Sache
nicht ab.

Wir sind am Schluß unserer Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-

destages auf Montag, den 19. April 1999, 12 Uhr ein.
Diese Sitzung findet, wie Sie alle wissen, in Berlin statt.

Die Sitzung ist geschlossen.