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ID1403201500

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    Plenarprotokoll 14/32 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 32. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 15. April 1999 I n h a l t : Eintritt der Abgeordneten Gudrun Roos in den Deutschen Bundestag................................ 2619 A Nachträgliche Glückwünsche zum Geburts- tag der Abgeordneten Carl-Dieter Spran- ger, Dr. Martin Pfaff, Hans-Eberhard Ur- baniak ............................................................. 2619 B Tagesordnungspunkt 1: Eidesleistung des Bundesministers der Finanzen .................................................... 2619 B Präsident Wolfgang Thierse............................. 2619 C Hans Eichel, Bundesminister BMF............ 2619 D Dank an den ausgeschiedenen Bundesminister der Finanzen, Oskar Lafontaine .................... 2619 D Tagesordnungspunkt 2: Abgabe einer Regierungserklärung des Bundeskanzlers Aktuelle Lage im Kosovo ......................... 2620 A Gerhard Schröder, Bundeskanzler ................... 2620 A Dr. Wolfgang Schäuble CDU/CSU ................. 2623 D Dr. Peter Struck SPD ....................................... 2627 B Dr. Wolfgang Gerhardt F.D.P.......................... 2629 C Rezzo Schlauch BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 2632 C Dr. Gregor Gysi PDS....................................... 2634 D Joseph Fischer, Bundesminister AA.......2638 B, 2641 D Dr. Gregor Gysi PDS................................... 2641 B Dr. Edmund Stoiber, Ministerpräsident (Bay- ern)................................................................... 2642 B Rudolf Scharping, Bundesminister BMVg...... 2645 C Heidi Lippmann PDS................................... 2648 C Karl Lamers CDU/CSU................................... 2649 A Gernot Erler SPD............................................. 2650 D Annelie Buntenbach BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ........................................................ 2653 A Christian Schmidt (Fürth) CDU/CSU.............. 2654 A Dr. Eberhard Brecht SPD ................................ 2654 D Otto Schily, Bundesminister BMI ..........2656 B, 2658 D Hans-Peter Repnik CDU/CSU..................... 2658 B Nächste Sitzung ............................................... 2659 C Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten ........... 2661 A Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 32. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. April 1999 2619 (A) (C) (B) (D) 32. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 15. April 1999 Beginn: 9.00 Uhr
  • folderAnlagen
    Bundesminister Otto Schily Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 32. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. April 1999 2661 (A) (C) (B) (D) Anlage zum Stenographischen Bericht Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt biseinschließlich Beck (Köln), Volker BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 15.4.99 Behrendt, Wolfgang SPD 15.4.99 * Belle, Meinrad CDU/CSU 15.4.99 Bindig, Rudolf SPD 15.4.99 * Dr. Blüm, Norbert CDU/CSU 15.4.99 Bühler (Bruchsal), Klaus CDU/CSU 15.4.99 * Dzembritzki, Detlef SPD 15.4.99 Eichhorn, Maria CDU/CSU 15.4.99 Eppelmann, Rainer CDU/CSU 15.4.99 Eymer (Lübeck), Anke CDU/CSU 15.4.99 Frankenhauser, Herbert CDU/CSU 15.4.99 Haack (Extertal), Karl-Hermann SPD 15.4.99 Hasenfratz, Klaus SPD 15.4.99 Dr. Haussmann, Helmut F.D.P. 15.4.99 Hornung, Siegfried CDU/CSU 15.4.99 * Hübner, Carsten PDS 15.4.99 Ibrügger, Lothar SPD 15.4.99 Imhof, Barbara SPD 15.4.99 Irber, Brunhilde SPD 15.4.99 Jaffke, Susanne CDU/CSU 15.4.99 Jelpke, Ulla PDS 15.4.99 Dr. Jens, Uwe SPD 15.4.99 Dr.-Ing. Jork, Rainer CDU/CSU 15.4.99 von Klaeden, Eckart CDU/CSU 15.4.99 Kolbow, Walter SPD 15.4.99 Lehn, Waltraud SPD 15.4.99 Maaß (Wilhelmshaven), Erich CDU/CSU 15.4.99 Manzewski, Dirk SPD 15.4.99 Möllemann, Jürgen W. F.D.P. 15.4.99 Abgeordnete(r) entschuldigt biseinschließlich Müller (Berlin), Manfred PDS 15.4.99 Müller (Kirchheim), Elmar CDU/CSU 15.4.99 Neumann (Bramsche), Volker SPD 15.4.99 Nolte, Claudia CDU/CSU 15.4.99 Ostrowski, Christine PDS 15.4.99 Raidel, Hans CDU/CSU 15.4.99 Dr. Ruck, Christian CDU/CSU 15.4.99 Dr. Schäfer, Hansjörg SPD 15.4.99 Schenk, Christina PDS 15.4.99 Scherhag, Karl-Heinz CDU/CSU 15.4.99 Schloten, Dieter SPD 15.4.99 ** Schmidbauer, Bernd CDU/CSU 15.4.99 von Schmude, Michael CDU/CSU 15.4.99 Schnieber-Jastram, Birgit CDU/CSU 15.4.99 Schuhmann (Delitzsch), Richard SPD 15.4.99 Dr. Schwarz-Schilling, Christian CDU/CSU 15.4.99 Seiters, Rudolf CDU/CSU 15.4.99 Singhammer, Johannes CDU/CSU 15.4.99 Steen, Antje-Marie SPD 15.4.99 Steiger, Wolfgang CDU/CSU 15.4.99 Thiele, Carl-Ludwig F.D.P. 15.4.99 Vaatz, Arnold CDU/CSU 15.4.99 Wiefelspütz, Dieter SPD 15.4.99 Willner, Gert CDU/CSU 15.4.99 Wimmer (Neuss), Willy CDU/CSU 15.4.99 Wissmann, Matthias CDU/CSU 15.4.99 Wolf, Aribert CDU/CSU 15.4.99 Würzbach, Peter Kurt CDU/CSU 15.4.99 Zapf, Uta SPD 15.4.99 ——————* für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versamm-lung des Europarates** für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union 2662 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 32. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. April 1999 (A) (C) (B) (D) Druck: Bonner Universitäts-Buchdruckerei, 53113 Bonn 53003 Bonn, Telefon: 02 28/3 82 08 40, Telefax: 02 28/3 82 08 44 20
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    Rede von: Unbekanntinfo_outline


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (PDS)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: ()

    Herr Präsident! Meine Da-
    men und Herren! Herr Bundeskanzler, Sie haben ange-
    merkt, wir als PDS müßten aufpassen, nicht von der
    fünften Kolonne Moskaus zur fünften Kolonne Belgrads
    zu werden.


    (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der F.D.P. – Zurufe von der SPD und der CDU/CSU: Wohl wahr! – Richtig! – Wo er recht hat, hat er recht!)


    Ich erinnere mich noch gut an eine Zeit, als die
    CDU/CSU der SPD vorwarf, die fünfte Kolonne Mos-
    kaus zu sein. Das war im Rahmen der damaligen Ent-
    spannungspolitik.


    (Dr. Wolfgang Gerhardt [F.D.P.]: So ändern sich die Zeiten!)


    Ich frage mich, was ein solcher Vorwurf eigentlich soll.

    Rezzo Schlauch






    (A) (C)



    (B) (D)


    Wenn ich mich heute auf eine Reise begeben, nach
    Tirana fahren, dort mit politischen Vertretern sprechen,
    Flüchtlingslager besuchen und mit Flüchtlingen spre-
    chen würde: Wäre die PDS dann die fünfte Kolonne Al-
    baniens? Was soll das?

    Sie wissen, daß es in Italien eine Regierungspartei –
    wir sind eine Oppositionspartei – gibt, deren Regierung
    den Krieg der NATO gegen Jugoslawien mit beschlos-
    sen hat. Italien nimmt also teil. Der Vorsitzende dieser
    zur Regierung gehörenden kommunistischen Partei heißt
    Cossuta. Er hat das kritisiert, ist dennoch in der Regie-
    rung und ist unmittelbar nach Beginn des Bombarde-
    ments nach Jugoslawien gefahren und hat dort mit vie-
    len gesprochen, auch mit Milosevic. Trotz dieser großen
    Differenzen innerhalb der Regierung käme dort niemand
    auf die Idee, ihn deshalb zur fünften Kolonne zu erklä-
    ren oder sein Verhalten auch nur schädlich zu finden. Im
    Gegenteil, es wurde begrüßt, und man hat über die Er-
    gebnisse diskutiert. Warum können wir nicht wenigstens
    soviel Kraft aufbringen?


    (Beifall bei der PDS – Zurufe von der CDU/CSU und der F.D.P.)


    – Sie haben im Laufe Ihrer Geschichte doch mit so vie-
    len Diktatoren und übrigens auch mit so vielen Men-
    schenschlächtern gesprochen!


    (Beifall bei der PDS)

    Wer hat denn zum Beispiel ständig Botha empfangen,
    als er noch in Südafrika metzelte? Ich verurteile das
    nicht einmal, weil ich sage: Nur über Gespräche, nur
    über Politik und Diplomatie kommt man letztlich zu
    Veränderungen, kann man Haltung und Verhalten in
    einer Gesellschaft ändern.


    (Beifall bei der PDS)

    Ich finde diesen Vorwurf auch deshalb völlig falsch,

    weil das Bemühen um Frieden, auch wenn es mit ande-
    ren Ansätzen erfolgt, doch nicht diskreditiert und dis-
    kriminiert werden kann, wie es hier der Fall ist.


    (Zurufe von der SPD: Scheinheilig! – Gucken Sie sich mal Ihre Zeitung an!)


    – Das mache ich gerne.

    (Zuruf von der SPD: Wer hat denn diese Zeitung geschrieben? – Ernst Schwanhold [SPD]: „Kriegsminister Scharping“! Die PDS im Bundestag!)


    In einer solchen Zeit kann es nicht nach dem Motto
    gehen, man kenne keine Parteien mehr, nur noch Deut-
    sche. Jedem, der sich gegen diesen Krieg stellt, wird
    dann vorgeworfen, sich gegen nationale Interessen zu
    wenden. Sie, Herr Schlauch, haben gerade gesagt, es ge-
    he gar nicht um nationale Interessen, sondern um die
    Menschenrechte, um die Rechte der Kosovo-Albaner.
    Dann frage ich Sie: Wie kann der Seeheimer Kreis er-
    klären, daß ich allein mit einem Besuch nationale Inter-
    essen verrate? Das ist doch absurd, wenn wir dort gar
    keine nationalen Interessen verfolgen.


    (Beifall bei der PDS)


    Es geht doch nur darum, den Weg für einen Frie-
    densprozeß zu öffnen. Der Krieg hat eben bisher nicht
    zum Frieden geführt. Es ist ein Paradoxon, davon aus-
    zugehen, daß Krieg zum Frieden oder zur Verwirkli-
    chung von Menschenrechten führt. Das hat es in der
    Geschichte noch nie gegeben,


    (Gernot Erler [SPD]: Im zweiten Weltkrieg auch nicht?)


    und das wird es auch in diesem Krieg nicht geben.
    Zum Beispiel hat der Bundeskanzler Milosevic davor

    gewarnt, die Situation in Montenegro zu destabilisieren.
    Aber ich darf darauf hinweisen: Im Augenblick ist für
    Montenegro weniger Milosevic das Problem als die
    Bomben, die ja auch auf Montenegro geworfen werden
    und natürlich zu einer Stimmungsveränderung in Mon-
    tenegro führen. Wie kann man gleichzeitig Montenegro
    bombardieren und hier seine Solidarität mit Montenegro
    zum Ausdruck bringen?


    (Beifall bei der PDS)

    Zum Beispiel gab es insofern ein interessantes Er-

    gebnis, als Milosevic gesagt hat, er sei bereit, im Beisein
    des UN-Generalsekretärs mit Rugova über die Situation
    im Kosovo zu verhandeln. Wenn das passieren würde,
    wüßten wir wenigstens, was an den Erklärungen von
    Rugova wahr ist und was nicht wahr ist. Denn in Anwe-
    senheit des UN-Generalsekretärs sieht die Situation na-
    türlich ganz anders aus.


    (Bundesminister Joseph Fischer: Er soll ihn doch ausreisen lassen!)


    – Ja, natürlich, an einem anderen Ort. Das können Sie
    doch gerne machen.


    (Dr. Wolfgang Gerhardt [F.D.P.]: Warum macht er es denn nicht?)


    Herr Bundesaußenminister, Sie haben uns in der
    Zeitung Zweckpazifismus vorgeworfen. Pazifismus ver-
    folgt selbstverständlich einen Zweck. Aber ich bin gar
    kein Pazifist.


    (Unruhe bei der SPD)

    Das habe ich nie behauptet. Aber nur weil eine Partei
    gegen diesen Krieg ist, darf man sie nicht diskreditieren.
    Ich glaube, Ihnen und auch Herrn Schlauch und Herrn
    Struck geht es weniger um die PDS. Vielmehr versuchen
    Sie, auf dem Rücken der PDS die Probleme, die Sie da-
    mit in Ihren eigenen Parteien haben, auszutragen. Das
    können wir nicht hinnehmen.


    (Beifall bei der PDS – Widerspruch bei Abgeordneten der SPD)


    Sie haben übrigens auch gesagt, daß wir gemeinsam
    mit serbischen Nationalisten zu Kundgebungen und
    Demonstrationen aufrufen. Das hat es in keinem einzi-
    gen Fall gegeben. Aber wenn wir zu einer Kundgebung
    aufrufen, Herr Bundesaußenminister, dann kommen na-
    türlich alle, die kommen wollen. Wir werden nicht Ord-
    nungskräfte aufstellen und nach Gesinnung, Staatsbür-
    gerschaft und Nationalität prüfen, wer an der Kundge-
    bung teilnimmt. Das wollen Sie nicht, und das wollen
    wir nicht, und das werden wir auch nicht tun.

    Dr. Gregor Gysi






    (B)



    (A) (C)



    (D)


    Ich muß etwas zum Völkerrecht sagen. Der Frakti-
    onsvorsitzende der CDU/CSU hat es letztlich als formal
    bezeichnet. Ich glaube, das ist gefährlich. Wenn man das
    Recht immer, wenn man es nicht auf seiner Seite hat, als
    formal abtut, aber es als schwergewichtig behandelt,
    wenn man in Übereinstimmung mit Recht handelt, dann
    verliert Recht seinen Zweck. Das gilt auch für das Völ-
    kerrecht. Es ist doch nicht so, daß die Charta der Ver-
    einten Nationen keine Ausnahmen von Gewaltverbot
    kennen würde. Nur: Die beiden Ausnahmen, wonach
    militärische Gewalt erlaubt ist, liegen nicht vor. Die eine
    Ausnahme ist durch Art. 51 in Kapitel VII der Charta
    der Vereinten Nationen gegeben, der besagt, daß man
    sich im Falle eines Angriffs, auch im Falle eines An-
    griffs auf einen Bündnispartner, verteidigen kann. Nur:
    Die Bundesrepublik Jugoslawien hat keinen NATO-
    Staat angegriffen.


    (Gernot Erler [SPD]: Sie hat die eigene Bevölkerung angegriffen! Das ist der Punkt!)


    Die NATO hat vielmehr die Bundesrepublik Jugoslawi-
    en angegriffen. Deshalb ist es kein Verteidigungs-, son-
    dern ein Angriffskrieg, der nach Art. 26 des Grundge-
    setzes verboten ist.

    Es gibt eine zweite Ausnahme, die durch Art. 39
    ebenfalls in Kapitel VII der Charta der Vereinten Natio-
    nen gegeben ist. Dort wird gesagt: Wenn der Frieden ge-
    fährdet ist oder wenn er sogar gebrochen ist, dann kann
    der Weltsicherheitsrat notfalls militärische Maßnah-
    men zur Beseitigung der Gefahr oder zur Wiederher-
    stellung des Friedens anordnen. Dieses Gewaltmonopol
    des Weltsicherheitsrates ist ganz bewußt geschaffen
    worden. Dieses Monopol hat die NATO aber eindeutig
    verletzt, indem sie gesagt hat: Wir pfeifen auf den Welt-
    sicherheitsrat; wir sind der Ordnungshüter in Europa und
    entscheiden, wann militärische Gewalt angewendet wird
    und wann nicht. – Diese Haltung soll ja sogar in die
    Strategie der NATO Ende April formal aufgenommen
    werden.

    Ich habe auch darauf hingewiesen, daß der NATO-
    Vertrag selbst verletzt worden ist, weil er nämlich an
    die UN-Charta gebunden ist. In diesem Zusammenhang
    wird immer gesagt, es gebe so etwas wie einen außerge-
    setzlichen Notstand, es gebe eine Nothilfesituation. Die
    Nothilfefälle sind in der Charta geregelt. Wenn sie nicht
    vorliegen, dann stützt das Völkerrecht das militärische
    Eingreifen und damit den Krieg eben nicht.

    Ich will noch auf einen anderen Punkt hinweisen.
    Selbst wenn es außerhalb der Charta der Vereinten Na-
    tionen eine solche Möglichkeit gäbe, dann, Herr Kinkel
    – das wissen Sie als ehemaliger Außenminister –, muß
    man sagen, daß Deutschland bewußt auf eine solche
    Möglichkeit verzichtet hat. Denn in Art. 2 des Zwei-
    plus-Vier-Vertrages, der die äußeren Bedingungen der
    Einheit regelt, heißt es am Ende:

    Die Regierungen der Bundesrepublik Deutschland
    und der Deutschen Demokratischen Republik erklä-
    ren, daß das vereinte Deutschland keine seiner
    Waffen jemals einsetzen wird, es sei denn in Über-
    einstimmung mit seiner Verfassung und der Charta
    der Vereinten Nationen.

    Andere Nothilfefälle und andere Situationen, die einen
    Einsatz gerechtfertigt erscheinen lassen könnten, sind
    dort nicht erwähnt.

    Es ist also eine klare Beschränkung, die durch das
    Grundgesetz und durch die Charta der Vereinten Natio-
    nen gegeben ist. Diese Bestimmungen haben Sie ver-
    letzt. Es ist nämlich ganz eindeutig, daß der Art. 2 des
    Zwei-plus-Vier-Vertrages verletzt ist. Wer aber die äu-
    ßeren Vertragsbedingungen, also die völkerrechtlich
    eingegangenen Verpflichtungen im Zusammenhang mit
    der Einheit Deutschlands, verletzt, der stellt natürlich
    alle äußeren Bedingungen dieser Einheit und damit den
    ganzen Vertrag in Frage. Das halte ich für einen höchst
    gefährlichen Prozeß.


    (Beifall bei der PDS)

    Ich habe schon über Glaubwürdigkeit gesprochen, die

    sich aus der Geschichte und auch aus der Gegenwart er-
    gibt. Im Zusammenhang mit dem Nachdenken über Bo-
    dentruppen höre ich, daß jetzt auf Grund ihrer Erfah-
    rungen im Umgang mit serbischen Soldaten in der Ge-
    schichte insbesondere an die Türkei gedacht wird.
    Wenn es nicht so tragisch wäre, müßte man sagen: Es
    wäre doch ein Aberwitz der Geschichte, daß am Ende
    dieses Jahrhunderts türkische Truppen in Jugoslawien
    für die Wiederherstellung von Menschenrechten einer
    nationalen Minderheit eintreten, die selbst eine Minder-
    heit im eigenen Land, nämlich die Kurden in der Türkei,
    seit Jahren jagen und töten und die Dörfer brandschat-
    zen, ohne daß jemals die NATO ernsthaft aktiv gewor-
    den wäre.


    (Beifall bei der PDS)

    In dieser Zeit des Krieges ist es ganz besonders

    schwer, zwischen Wahrheit, Gerücht und Unwahrheit zu
    unterscheiden. Das gilt eben nicht nur für eine Seite. Ich
    nenne Ihnen Beispiele: Es wurde gesagt, im Stadion von
    Pristina sei ein Konzentrationslager eingerichtet. Dann
    wird ein Bild veröffentlicht, das zeigt, daß das Stadion
    leer ist. Gestern hören wir, daß ein Flüchtlingstreck ver-
    sehentlich durch die NATO beschossen worden sei.
    Dann wird gesagt, es seien die Serben gewesen. Jetzt
    heißt es wieder, es sei doch die NATO gewesen. Man ist
    völlig verunsichert in dem, was man eigentlich glauben
    soll. Man hat keine Beweise. Es wird gesagt, daß es Bil-
    der gibt, die aber nicht gezeigt werden. Warum werden
    diese Bilder nicht gezeigt, wenn sie doch die Notwen-
    digkeit des eigenen Handelns unterstreichen könnten?
    Diese Tatsache spricht dafür, daß es sie nicht gibt. Die
    Situation ist ungeheuer kompliziert geworden.

    Es wird ein Hufeisen-Plan vorgelegt. Darf ich Ihnen
    sagen, was an diesem Plan merkwürdig ist? Der Gene-
    ralinspekteur der Bundeswehr hat die Originalüber-
    schrift dieses Planes vorgelesen. Diese Überschrift war
    in Kroatisch und nicht in Serbisch verfaßt. Kann man
    sich ernsthaft vorstellen, daß das serbische Militär in
    kroatischer Sprache einen solchen Plan verfaßt? Da sind
    doch Zweifel geboten. Man weiß einfach nicht mehr,
    was man glauben und was man nicht glauben soll.

    Auch ich gehe davon aus, daß Schreckliches im Ko-
    sovo passiert, auch wenn es eindeutige Belege und Be-

    Dr. Gregor Gysi






    (A) (C)



    (B) (D)


    weise nicht gibt. Eine Frage konnte mir in diesem Zu-
    sammenhang noch keiner beantworten: Warum berich-
    ten wir nicht auch über die Toten und Verletzten in
    Serbien? Warum kommen diese in Ihren Reden nicht
    vor? Von Rezzo Schlauch sind sie wenigstens einmal
    angesprochen worden, aber weder vom Bundeskanzler
    noch von Herrn Schäuble, auch nicht von Ihnen, Herr
    Fischer.

    Wir haben in Serbien bisher 3 000 Verletzte und 300
    Tote. Das sind überwiegend Zivilisten und bei Militär-
    angehörigen meistens Wehrpflichtige. Die haben gar
    keine andere Wahl. Ihnen droht nämlich schärfste Strafe,
    wenn sie nicht zum Militär gehen.


    (Zuruf von der SPD: Das hätten Sie Milosevic sagen müssen und nicht uns!)


    Warum kann man nicht auch darüber sprechen? Warum
    kann man sie nicht genauso erwähnen wie andere Ver-
    letzte und Tote? Das müßte doch in einer Demokratie
    eine Selbstverständlichkeit sein!


    (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


    Auch andere Widersprüche sind mir aufgefallen: Auf
    militärischem Gebiet ist genügend Geld vorhanden. Da
    klappt alles; da klappt die Organisation. Aber wenn es
    um humanitäre Hilfe geht, dann herrscht erst einmal
    ein großes Durcheinander. Dann berät man lange über
    Quoten. Dann bleiben Hilfsgüter erst einmal aus. Dann
    wird die Bevölkerung zu Spenden aufgerufen. – Ich be-
    grüße die große Bereitschaft, zu spenden, genauso sehr
    wie Sie. Ich finde es toll, wieviel gespendet wird, um
    leidenden Menschen zu helfen. – Hier wird deutlich: Für
    humanitäre Hilfe reichen die Mittel der Regierung nicht;
    da muß die Bevölkerung zahlen. Für das Militär reicht
    das Geld immer. Auf dem Gebiet der humanitären Hilfe
    hätte die Regierung wesentlich mehr leisten können.


    (Beifall bei der PDS – Widerspruch bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


    Hinsichtlich des Hufeisen-Planes stelle ich weiterhin
    fest: Herr Bundesaußenminister, wenn er echt ist und
    wenn er tatsächlich seit langer Zeit vorliegt, warum ha-
    ben Sie dies dann nicht vorher gesagt? Wenn es so ist,
    daß Milosevic wirklich geplant hat, die Bombenangriffe
    für Vertreibungen zu nutzen, dann hieße das ja – das wä-
    re ja noch absurder –, daß der NATO-Angriff in den
    Plan von Milosevic paßt. In diesem Falle hätten wir es
    mit einer fast absurden Konstruktion zu tun. Daher frage
    ich: Warum war man dann nicht auf diese Vertreibungen
    vorbereitet, und warum hat es so lange gedauert, bis man
    Mazedonien und Albanien diesbezüglich Hilfe zuteil
    werden lassen konnte?

    Sie sagen immer, alles sei ausgeschöpft worden, Sie
    hätten alles mit Ihrem Gewissen in Einklang bringen
    können. Sie sagen, es habe keine weiteren Möglichkei-
    ten gegeben, es habe bombardiert werden müssen. Darf
    ich Sie fragen: Wieso können Sie jetzt plötzlich eine
    UN-Hoheit auch für Truppen fordern, wieso war das
    in Rambouillet nicht möglich? Wie konnten Sie also
    sagen, Sie hätten alles ausgeschöpft?


    (Beifall bei der PDS)


    Für Milosevic wäre es doch viel schwerer gewesen, nein
    zur UNO als nein zur NATO zu sagen. Das heißt, Sie
    haben nicht alles ausgeschöpft. Angesichts des militäri-
    schen Teils des Rambouillet-Abkommens, in dem steht,
    daß die NATO die gesamte Hoheit über Jugoslawien er-
    hält, und zwar zu Lande, zu Luft und im Wasser, kann
    man doch nicht von Ausschöpfen sprechen. Auch eine
    demokratisch gesinntere Führung in Jugoslawien hätte
    so etwas niemals unterschreiben können. Deshalb sage
    ich Ihnen: Die Möglichkeiten in Rambouillet sind eben
    nicht ausgeschöpft worden.


    (Zuruf von der SPD: Das ist doch Unsinn!)

    Eine wirklich schwierige Situation entstand mit der

    Pause in Rambouillet, weil Milosevic schon wußte, daß
    er dieses Abkommen nicht unterschreiben wird, weil er
    auch wußte, daß er bombardiert wird. Daher galt für ihn
    das Abkommen mit Holbrooke nicht mehr, und dann ist
    er – auch aus militärischen Gründen – wieder in das Ko-
    sovo vorgestoßen.


    (Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das Abkommen ist doch schon vorher gewesen! Das war doch schon vor Rambouillet! – Weitere Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und von der SPD)


    – Ich habe ja gerade gesagt: Das war in der Pause von
    Rambouillet. Aber er hat ja das Abkommen mit Hol-
    brooke zunächst eingehalten. Auch Sie haben bestätigt,
    daß er sich zunächst zurückgezogen hat. Deshalb müs-
    sen wir zu Verhandlungen zurück und hin zu Ergebnis-
    sen.

    Wenn solche Vorschläge jetzt möglich sind – mehr
    habe ich nicht festgestellt –, heißt das, daß sie auch da-
    mals schon möglich gewesen wären, daß die Möglich-
    keiten damals eben nicht ausgeschöpft worden sind.


    (Beifall bei der PDS)

    Ich warne auch vor der Verwendung falscher Be-

    griffe. Die Verwendung der Begriffe „Auschwitz“ und
    „Hitler“ ist falsch. Das alles sollte man nicht tun. Man
    bagatellisiert damit deutsche Geschichte, nur um einen
    eigenen Rechtfertigungsgrund zu haben. Vertreibungen
    sind doch schlimm genug. Auch Morden und Töten sind
    schlimm genug. Warum muß man denn noch andere
    Vokabeln benutzen, nur um zu beweisen: Deutsche Ver-
    brechen sind nicht einmalig? Sie kommen auch bei an-
    deren vor. – Das ist falsch. Das ist unangemessen.


    (Beifall bei der PDS)

    Juden, Sinti, Roma und andere sind eben nicht vertrie-
    ben worden, sondern nach Auschwitz gebracht worden.
    So schlimm Vertreibung ist: Ich glaube, wenn sie in ein
    anderes Land vertrieben worden wären, wäre das heute
    nicht mehr so ein Thema, wie es ein Thema ist, weil sie
    in die Gaskammer geführt worden sind. Deshalb sage
    ich: Vergleiche mit den von mir genannten Begriffen
    sind unzulässig und führen uns überhaupt nicht weiter.
    Sie wissen, daß man mit Übertreibungen politische Lö-
    sungen nur erschwert und nicht herbeiführt.


    (V o r s i t z : Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms)


    Dr. Gregor Gysi






    (B)



    (A) (C)



    (D)


    Vertreibungen – das wissen Sie ganz genau – haben
    auch die Siegermächte in bezug auf Hitler beschlossen,
    und zwar die USA, Frankreich, Großbritannien und die
    Sowjetunion in bezug auf die Deutschen in den Ostge-
    bieten. Das war schlimm genug. Deshalb waren Vertrei-
    bungen bei den Faschisten keine einmalige Sache. Auch
    die Siegermächte haben damals leider – Sie wissen,
    wieviel Leid das bedeutet hat – Vertreibungen beschlos-
    sen.



Rede von Dr. Hermann Otto Solms
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Herr
Kollege Gysi, ich bitte Sie, zum Schluß zu kommen.


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    Rede von: Unbekanntinfo_outline


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (PDS)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: ()

    Vertreibungen sind
    schlimm, und sie müssen im Kosovo beendet werden.

    Aber ich sage Ihnen auch: Wir müssen aus der
    Kriegslogik heraus und hinein in die Friedenslogik.


    (Beifall bei der PDS)

    Sie können eine Tatsache nicht leugnen: Noch keine
    Bombe, die in Jugoslawien abgeworfen worden ist – ich
    habe mir Verletzte, zerstörte Fabriken und Gebäude so-
    wie ein Heizwerk angesehen, das beschädigt worden ist,
    so daß 200 000 Menschen einer Stadt frieren, weil keine
    Heizung mehr funktioniert –, hat etwas genutzt.


    (Zuruf von der SPD)

    – Nein, Sie haben den Einsatz von Bomben beschlossen.
    Das nutzt keinem Kosovo-Albaner. –


    (Beifall bei der PDS)

    Noch keine einzige Bombe, die auf Serbien oder auf das
    Kosovo gefallen ist, hat das Leid nur eines einzigen Al-
    baners gelindert. Darum geht es doch. Deshalb werden
    wir in unseren Friedensbemühungen fortfahren.


    (Beifall bei der PDS)