Rede:
ID1403204000

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Metadaten
  • insert_drive_fileAus Protokoll: 14032

  • date_rangeDatum: 15. April 1999

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 14/32 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 32. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 15. April 1999 I n h a l t : Eintritt der Abgeordneten Gudrun Roos in den Deutschen Bundestag................................ 2619 A Nachträgliche Glückwünsche zum Geburts- tag der Abgeordneten Carl-Dieter Spran- ger, Dr. Martin Pfaff, Hans-Eberhard Ur- baniak ............................................................. 2619 B Tagesordnungspunkt 1: Eidesleistung des Bundesministers der Finanzen .................................................... 2619 B Präsident Wolfgang Thierse............................. 2619 C Hans Eichel, Bundesminister BMF............ 2619 D Dank an den ausgeschiedenen Bundesminister der Finanzen, Oskar Lafontaine .................... 2619 D Tagesordnungspunkt 2: Abgabe einer Regierungserklärung des Bundeskanzlers Aktuelle Lage im Kosovo ......................... 2620 A Gerhard Schröder, Bundeskanzler ................... 2620 A Dr. Wolfgang Schäuble CDU/CSU ................. 2623 D Dr. Peter Struck SPD ....................................... 2627 B Dr. Wolfgang Gerhardt F.D.P.......................... 2629 C Rezzo Schlauch BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 2632 C Dr. Gregor Gysi PDS....................................... 2634 D Joseph Fischer, Bundesminister AA.......2638 B, 2641 D Dr. Gregor Gysi PDS................................... 2641 B Dr. Edmund Stoiber, Ministerpräsident (Bay- ern)................................................................... 2642 B Rudolf Scharping, Bundesminister BMVg...... 2645 C Heidi Lippmann PDS................................... 2648 C Karl Lamers CDU/CSU................................... 2649 A Gernot Erler SPD............................................. 2650 D Annelie Buntenbach BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ........................................................ 2653 A Christian Schmidt (Fürth) CDU/CSU.............. 2654 A Dr. Eberhard Brecht SPD ................................ 2654 D Otto Schily, Bundesminister BMI ..........2656 B, 2658 D Hans-Peter Repnik CDU/CSU..................... 2658 B Nächste Sitzung ............................................... 2659 C Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten ........... 2661 A Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 32. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. April 1999 2619 (A) (C) (B) (D) 32. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 15. April 1999 Beginn: 9.00 Uhr
  • folderAnlagen
    Bundesminister Otto Schily Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 32. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. April 1999 2661 (A) (C) (B) (D) Anlage zum Stenographischen Bericht Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt biseinschließlich Beck (Köln), Volker BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 15.4.99 Behrendt, Wolfgang SPD 15.4.99 * Belle, Meinrad CDU/CSU 15.4.99 Bindig, Rudolf SPD 15.4.99 * Dr. Blüm, Norbert CDU/CSU 15.4.99 Bühler (Bruchsal), Klaus CDU/CSU 15.4.99 * Dzembritzki, Detlef SPD 15.4.99 Eichhorn, Maria CDU/CSU 15.4.99 Eppelmann, Rainer CDU/CSU 15.4.99 Eymer (Lübeck), Anke CDU/CSU 15.4.99 Frankenhauser, Herbert CDU/CSU 15.4.99 Haack (Extertal), Karl-Hermann SPD 15.4.99 Hasenfratz, Klaus SPD 15.4.99 Dr. Haussmann, Helmut F.D.P. 15.4.99 Hornung, Siegfried CDU/CSU 15.4.99 * Hübner, Carsten PDS 15.4.99 Ibrügger, Lothar SPD 15.4.99 Imhof, Barbara SPD 15.4.99 Irber, Brunhilde SPD 15.4.99 Jaffke, Susanne CDU/CSU 15.4.99 Jelpke, Ulla PDS 15.4.99 Dr. Jens, Uwe SPD 15.4.99 Dr.-Ing. Jork, Rainer CDU/CSU 15.4.99 von Klaeden, Eckart CDU/CSU 15.4.99 Kolbow, Walter SPD 15.4.99 Lehn, Waltraud SPD 15.4.99 Maaß (Wilhelmshaven), Erich CDU/CSU 15.4.99 Manzewski, Dirk SPD 15.4.99 Möllemann, Jürgen W. F.D.P. 15.4.99 Abgeordnete(r) entschuldigt biseinschließlich Müller (Berlin), Manfred PDS 15.4.99 Müller (Kirchheim), Elmar CDU/CSU 15.4.99 Neumann (Bramsche), Volker SPD 15.4.99 Nolte, Claudia CDU/CSU 15.4.99 Ostrowski, Christine PDS 15.4.99 Raidel, Hans CDU/CSU 15.4.99 Dr. Ruck, Christian CDU/CSU 15.4.99 Dr. Schäfer, Hansjörg SPD 15.4.99 Schenk, Christina PDS 15.4.99 Scherhag, Karl-Heinz CDU/CSU 15.4.99 Schloten, Dieter SPD 15.4.99 ** Schmidbauer, Bernd CDU/CSU 15.4.99 von Schmude, Michael CDU/CSU 15.4.99 Schnieber-Jastram, Birgit CDU/CSU 15.4.99 Schuhmann (Delitzsch), Richard SPD 15.4.99 Dr. Schwarz-Schilling, Christian CDU/CSU 15.4.99 Seiters, Rudolf CDU/CSU 15.4.99 Singhammer, Johannes CDU/CSU 15.4.99 Steen, Antje-Marie SPD 15.4.99 Steiger, Wolfgang CDU/CSU 15.4.99 Thiele, Carl-Ludwig F.D.P. 15.4.99 Vaatz, Arnold CDU/CSU 15.4.99 Wiefelspütz, Dieter SPD 15.4.99 Willner, Gert CDU/CSU 15.4.99 Wimmer (Neuss), Willy CDU/CSU 15.4.99 Wissmann, Matthias CDU/CSU 15.4.99 Wolf, Aribert CDU/CSU 15.4.99 Würzbach, Peter Kurt CDU/CSU 15.4.99 Zapf, Uta SPD 15.4.99 ——————* für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versamm-lung des Europarates** für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union 2662 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 32. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. April 1999 (A) (C) (B) (D) Druck: Bonner Universitäts-Buchdruckerei, 53113 Bonn 53003 Bonn, Telefon: 02 28/3 82 08 40, Telefax: 02 28/3 82 08 44 20
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Eberhard Brecht


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Sehr geehrter Herr
    Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kolle-
    gen! Ich glaube, die erneute Debatte am heutigen Tage
    über das Thema Kosovo ist überfällig. Der Konflikt
    selbst ist so brennend, daß sich das Parlament nicht her-
    aushalten darf. Wir müssen die Exekutive bei diesem
    Prozeß kritisch begleiten. Die Entwicklung der letzten
    Tage und Stunden hat, wie ich denke, gezeigt, wie
    wichtig diese Debatte ist.

    Parallel dazu gibt es auch eine Debatte in der deut-
    schen Bevölkerung, die sehr emotional geführt wird,
    weil sie das eigene Selbstverständnis betrifft. Diese De-
    batte wird an Hand von drei Kriterien geführt: Es ist das
    Kriterium der völkerrechtlichen Legitimation, es ist das

    Annelie Buntenbach






    (A) (C)



    (B) (D)


    Kriterium der Effektivität dessen, was wir tun, und
    schließlich ist es das Kriterium der Moral.

    Zum ersten Kriterium: Ich warne davor, daß wir trotz
    persönlicher Betroffenheit und Emotionalität das Di-
    lemma hinsichtlich der völkerrechtlichen Legitimation
    einfach nicht anerkennen wollen, wie es eben bei Herrn
    Kollegen Schmidt der Fall war. Natürlich gibt es keinen
    seriösen Völkerrechtler, der sagt, diese Legitimation sei
    klar und eindeutig vorhanden. Es gibt sie in der ge-
    wünschten Eindeutigkeit nicht. Wir sind gut beraten,
    wenn wir diese rechtliche Debatte nicht beiseite schie-
    ben und sagen, das sei politikferner Legalismus und die
    Weltgeschichte sei kein Amtsgericht, sondern wir müs-
    sen uns dem Dilemma stellen. Die Debatte am 16. Okto-
    ber letzten Jahres hat ja auch gezeigt, daß die Mehrheit
    der Befürworter eines Einsatzes und seiner Androhung
    dieses Dilemma tatsächlich auch so gesehen hat.

    Als Konsequenz aus diesem Dilemma müssen wir
    uns die Frage stellen, wie wir in Zukunft mit ähnlichen
    Situationen umgehen. Wir sind gut beraten, wenn wir
    die vielen Vorschläge, die von seiten der Politikwissen-
    schaft und von Völkerrechtlern unterbreitet wurden, eine
    humanitäre Intervention völkerrechtlich zu legalisieren,
    auch aufnehmen und endlich in einen internationalen
    Diskussionsprozeß über diese ganz wichtige Frage ein-
    treten.

    Ein zweiter Diskussionsstrang betrifft die Effektivi-
    tät dessen, was wir tun. Auf der einen Seite besteht ein
    hohes Risiko für die Soldaten und das Risiko der Eska-
    lation. Das ist hier heute mehrfach erwähnt worden. Au-
    ßerdem haben die westlichen Staaten einen sehr hohen
    materiellen Aufwand zu erbringen.

    Auf der anderen Seite stehen die Ziele, die wir ei-
    gentlich erreichen wollen. Es ist zu Recht gesagt wor-
    den, diese Ziele sind bisher nicht erreicht worden. Das
    Abkommen von Rambouillet ist nicht unterschrieben,
    und das Töten und Vertreiben geht weiter.

    Umgekehrt muß man aber einmal fragen: Was hätte
    denn passieren sollen? Hätten wir mit Bodentruppen
    einmarschieren sollen oder die Belgrader Luftabwehr
    ignorieren und ein hohes Risiko für die deutschen Sol-
    daten eingehen sollen? Das wäre eine unverantwortliche
    Politik. Ich kann nur davor warnen, mit diesem Tot-
    schlagargument die NATO abstrafen zu wollen.

    Viel wichtiger ist – ich glaube, das ist der wichtigste
    Punkt in der innerdeutschen Diskussion – die Frage der
    moralischen Legitimation. Hier treffen zwei Grunder-
    fahrungen, die die Nachkriegsgenerationen gewonnen
    haben, aufeinander: Die eine besagt, Deutsche sollten
    nie wieder an einem Krieg beteiligt sein. Die andere be-
    sagt, nie wieder wegzuschauen, wenn man an Au-
    schwitz, Majdanek oder an andere Konzentrationslager
    denkt. Ich denke, beide Ansätze sind legitim. Man sollte
    sie sehr ernst nehmen, weil sie aus einer persönlichen
    Betroffenheit herrühren. Aber ich habe wenig Verständ-
    nis dafür, wenn die Gegner der NATO-Luftangriffe,
    Teile der Friedensbewegung in der PDS, die NATO kri-
    tisieren, aber die Vertreibungen und das grauenhafte
    Morden, die durch Milosevic und seine Soldateska ge-
    schehen, nicht einmal erwähnen. Diese Haltung hat der

    Entschließungsantrag der PDS wieder einmal deutlich
    gemacht.


    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der CSU/CDU und des Abg. Günther Friedrich Nolting [F.D.P.])


    Ich kann auch nicht akzeptieren, wenn Herr Kollege
    Gysi hier sagt, die Datenlage sei so schwach. Natürlich
    gibt es auch gefälschte Daten. Natürlich hat auch die
    UCK ein Interesse an gefärbten Informationen.


    (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die NATO auch!)


    Aber die Daten, die als gesichert angenommen werden
    können, reichen aus, um hier klar Position zu beziehen.

    Ich habe auch ein Problem mit der Reise von Herrn
    Gysi nach Belgrad. Man mag darüber schwadronieren,
    ob es sehr sinnvoll ist, als Vertreter einer sehr kleinen
    Oppositionspartei in dieser Situation mit Herrn Milose-
    vic zu reden. Aber ich habe kein Verständnis dafür,
    wenn Herr Gysi nach Belgrad reist und sich dort demon-
    strativ in einer zerstörten Autofabrik filmen läßt. Das
    bedeutet doch nichts anderes, als daß wir die These von
    Milosevic – so ist es auch im serbischen Fernsehen dar-
    gestellt worden – stützen, die NATO führe einen Krieg
    gegen das serbische Volk und gegen seine ökonomi-
    schen und zivilisatorischen Grundlagen. Genau das be-
    absichtigt die NATO nicht.


    (Widerspruch bei der PDS – Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das tut sie aber!)


    Deswegen denke ich, daß uns Herr Gysi hier einen
    schlechten Dienst erwiesen hat.


    (V o r s i t z : Vizepräsidentin Petra Bläss)

    Als jemand, der am 16. Oktober letzten Jahres aus

    grundsätzlichen Erwägungen heraus dem damals noch
    hypothetisch erscheinenden Einsatz der NATO nicht zu-
    gestimmt hat, möchte ich eines noch klarstellen: Ich
    halte nichts von der von Frau Kollegin Buntenbach und
    anderen Abgeordneten geforderten sofortigen Unterbre-
    chung der NATO-Luftangriffe. Genau dies würde dazu
    führen, daß die Vertreibungen weitergehen.


    (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gehen sie jetzt nicht weiter?)


    Genau dies würde wiederum den Druck zurücknehmen,
    den wir auf Milosevic ausüben müssen, um tatsächlich
    zu einer Annahme des Friedensplanes zu gelangen


    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

    Ich sehe in dem jetzt vorliegenden Fischer-Plan eine

    reale Chance für eine noch in weiter Ferne befindliche
    Befriedung des Kosovo. Es gibt zum einen die Gefahr
    des Kombattantentums der NATO. Mit jedem Tag, an
    dem dieser Krieg weitergeführt wird, mit jeder Bombe,
    die auf eine militärische Einrichtung fällt, und mit jedem
    zerstörten serbischen Panzer werden wir mehr zu Kom-
    battanten der UCK. Unser Ziel ist es nicht, Partei zu er-
    greifen oder die Kriegsziele der einen oder anderen

    Dr. Eberhard Brecht






    (B)



    (A) (C)



    (D)


    Konfliktpartei zu unterstützen; vielmehr haben wir ein
    Interesse an der Wiederherstellung der Menschenrechte,
    am Stopp des Vertreibens und am Ende des Tötens.

    Des weiteren sehe ich, daß Milosevic eine Chance
    hat, ohne Gesichtsverlust diesem Plan zuzustimmen. Die
    UNO ist einbezogen und damit auch Rußland. Schließ-
    lich ist die Frage des Status des Kosovo bewußt offen-
    gelassen worden, um ihn im Rahmen einer Friedenskon-
    ferenz zu klären. Die bisherigen Reaktionen auf den Fi-
    scher-Plan sind nicht so heterogen, als daß man mit ihm
    nicht Hoffnungen verbinden könnte. Ich hoffe, wir
    kommen zu einem guten Ende.

    Die offene Frage des Status ist natürlich ein Risiko.
    Kollege Lamers hat vorhin zu Recht auf einen Umstand
    hingewiesen: Es ist für uns heute sehr schwer, sich vor-
    zustellen, daß die Konfliktparteien, nachdem so viel Blut
    geflossen ist, wieder miteinander leben können und daß
    es wieder ein multiethnisches Miteinander gibt, das Op-
    fern und Tätern ein Zusammenleben ermöglicht. Das ist
    wirklich sehr, sehr schwer vorstellbar, auch nach den Er-
    fahrungen, die wir in Bosnien-Herzegowina gemacht
    haben.

    Unsere Zielstellung darf aber nicht sein, daß wir im
    Prinzip zu einer Atomisierung des Balkan kommen,
    sondern unsere Zielstellung muß sein, Menschenrechte
    und Minderheitenrechte durchzusetzen und nicht neue
    staatliche Einheiten, die möglicherweise zur Ursache für
    neue Instabilitäten werden.

    Ich kann der Bundesregierung und der NATO nur
    wünschen, daß sie mit der neuen Initiative des Bundes-
    außenministers erfolgreich ist. Wir als Parlament sollten
    die Bundesregierung zwar kritisch begleiten, sie auf die-
    sem Weg aber auch ganz ausdrücklich unterstützen.

    Vielen Dank.

    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Friedbert Pflüger [CDU/CSU])




Rede von: Unbekanntinfo_outline
Letzter Redner in
dieser Debatte ist der Bundesminister des Innern, Otto
Schily.


  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Otto Schily


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (None)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Frau Präsi-
    dentin! Meine Damen und Herren Kollegen! Herr Kol-
    lege Lamers, Sie haben sich mit Recht beeindruckt ge-
    zeigt von der großen Rede Rudolf Scharpings. Ich
    möchte Ihnen meinerseits zu Ihrem sehr nachdenklichen
    Beitrag gratulieren. Ich glaube, er hat diese Debatte be-
    reichert.


    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der F.D.P.)


    Die Kosovo-Krise – meine Damen und Herren, das
    wissen wir – hat der Bundesrepublik Deutschland und
    der internationalen Staatengemeinschaft eine sehr
    schwerwiegende Verantwortung auferlegt. Dieser Ver-
    antwortung werden wir nicht gerecht, wenn wir es nicht
    zugleich als unsere selbstverständliche Pflicht betrach-

    ten, den aus dem Kosovo Vertriebenen beizustehen so-
    wie die Not und das Elend nach Kräften zu lindern. Die
    Leiden der Menschen – unter ihnen viele Kinder und Ju-
    gendliche – dürfen uns nicht gleichgültig lassen.

    Meine Damen und Herren, die Kosovo-Krise hat
    nicht – wie wir alle wissen oder jedenfalls wissen kön-
    nen – erst in diesem Jahr begonnen. Auch die Vertrei-
    bungen haben nicht erst in diesem Jahr begonnen.

    Innerhalb der Europäischen Union besteht seit jeher
    Einmütigkeit, daß Hilfe für die Vertriebenen in erster
    Linie in der Region geleistet werden soll. Gleichwohl
    hat in der Vergangenheit eine große Anzahl von Flücht-
    lingen, die auf hunderttausend Menschen geschätzt wer-
    den, in Westeuropa Zuflucht gefunden. Der Grundsatz,
    daß die Hilfe vor Ort absoluten Vorrang haben muß,
    gilt nach wie vor. Ich habe in den Gesprächen mit der
    EU-Kommission, mit Frau Bonino und Frau Gradin, und
    den EU-Innenministern in dieser Frage volle Überein-
    stimmung festgestellt. Auch der UNO-Flüchtlings-
    kommissar stimmt diesem Grundsatz zu. Alle Hilfsmaß-
    nahmen für die Vertriebenen, die rasch und unbürokra-
    tisch in Gang gekommen sind, haben sich daher auf die
    Bereitstellung von Hilfsgütern und die Betreuung in der
    Region konzentriert.

    Die Gründe, die für den Vorrang der Hilfe vor Ort
    sprechen, hat Bundeskanzler Schröder in der heutigen
    Debatte bereits genannt. Ich muß sie nicht wiederholen.
    Ich darf aber hinzufügen, daß die Vertriebenen selbst
    und auch die albanische Regierung eine Evakuierung
    ausdrücklich ablehnen. Auch das sollte man, wie ich
    finde, zur Kenntnis nehmen.

    Kurz vor Ostern ergab sich in Mazedonien allerdings
    eine besondere Situation: Der Zustrom von Flüchtlingen
    nach Mazedonien war so angewachsen, daß die Lage
    unter den spezifischen politischen Bedingungen in Ma-
    zedonien außer Kontrolle zu geraten schien. In dieser
    Situation war die Evakuierung von Flüchtlingen aus der
    Grenzregion von Mazedonien in andere Länder unaus-
    weichlich.

    Ich habe daraufhin parallel zwei Hilfsaktionen in die
    Wege geleitet: Ich habe mich mit den Bundesländern der
    Bundesrepublik Deutschland auf die Aufnahme von
    10 000 Flüchtlingen geeinigt; zugleich habe ich die EU-
    Innenminister zu einer Dringlichkeitssitzung eingeladen.
    Im Vorgriff auf die Beratungen in dieser Dringlichkeits-
    sitzung habe ich telefonisch bei meinen EU-Innen-
    ministerkolleginnen und -kollegen dafür geworben,
    ebenfalls Flüchtlinge ohne vorherige Beschlußfassung
    aufzunehmen. Ich bin sehr dankbar dafür, daß unter an-
    derem Schweden und Österreich jeweils 5 000 Kosovo-
    Vertriebene aufgenommen haben.

    Dazu darf ich bemerken, daß wir sicherlich Anlaß
    haben, vielen Menschen in Deutschland für ihre Hilfsbe-
    reitschaft zu danken.


    (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der F.D.P.)


    Ich habe sicherlich auch Anlaß, dafür zu danken, daß
    wir zwischen Bund und Ländern bei der Frage der Auf-

    Dr. Eberhard Brecht






    (A) (C)



    (B) (D)


    nahme von Flüchtlingen schnell zu einer Einigung ge-
    langt sind. Aber zu Überheblichkeit besteht kein Anlaß.
    Wir sollten nicht übersehen, daß andere Länder mit einer
    sehr viel kleineren Bevölkerungszahl vergleichsweise
    sehr viel mehr Flüchtlinge aufgenommen haben als wir
    bisher. Auch das sollte, denke ich, an dieser Stelle nicht
    übersehen werden.

    Die Aufnahme der 10 000 Vertriebenen in Deutsch-
    land ist zügig umgesetzt worden. Ich habe eine Gruppe
    von Beamten des Bundesgrenzschutzes nach Skopje ent-
    sandt, die ihre Aufgabe in sehr engagierter und umsich-
    tiger Weise erfüllt hat, so daß bis Ende dieser Woche die
    Verbringung der Flüchtlinge nach Deutschland abge-
    schlossen sein wird. Den BGS-Beamten möchte ich für
    ihre hervorragende Arbeit sehr herzlich danken,


    (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der F.D.P.)


    insbesondere dem Leiter der BGS-Gruppe, Herrn
    Seeger, der sich auf meine Bitte am Samstag vor Ostern
    spontan bereit erklärt hat, diese schwierige Aufgabe zu
    übernehmen. In den Dank schließe ich auch die Mitar-
    beiter meines Hauses ein, die sich in Tag- und Nachtar-
    beit bei der Steuerung der Hilfsmaßnahmen wirklich
    bewährt und Verdienste erworben haben.


    (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der F.D.P.)


    Meine Damen und Herren, die Auswahl der Flücht-
    linge, die in Deutschland aufgenommen wurden, ist
    selbstverständlich nicht willkürlich erfolgt. Ich weiß
    nicht, wie der Kollege Schäuble – er ist nicht mehr da –
    zu dieser Behauptung gelangt ist. Die Auswahl wird von
    Vertretern des UNO-Flüchtlingskommissars vorgenom-
    men. Ich habe in meiner Verantwortung angeordnet,
    darauf hinzuwirken, daß in erster Linie Kranke, Kinder,
    Frauen und ältere Menschen berücksichtigt werden. Es
    mußte aber auch beachtet werden, daß nach Möglichkeit
    Familien nicht auseinandergerissen werden.

    Die Mitarbeiter des Bundesgrenzschutzes haben sich
    in Zusammenarbeit mit dem UNO-Flüchtlingskommis-
    sar nach Kräften dafür eingesetzt, daß diesen Kriterien
    genügt wurde. Sie haben dafür das ausdrückliche Lob
    einer in humanitären Fragen wirklich sachverständi-
    gen Persönlichkeit, nämlich Rupert Neudeck von Cap
    Anamur, erhalten. Auf dieses Lob können die Kollegen
    des Bundesgrenzschutzes besonders stolz sein. Sie kön-
    nen daher kleinliche Kritik von dem Vorsitzenden einer
    Oppositionsfraktion ertragen.


    (Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Was soll denn das?)


    – Herr Repnik, ich sage Ihnen das, und ich beziehe
    Herrn Stoiber in den Vorwurf ein. Herr Stoiber hat sich
    nicht gescheut, sogar von Bestechung zu reden. Was ist
    das für eine Unterstellung gegenüber diesen Beamten,
    die unter Einsatz ihres Lebens in Skopje ihre Pflicht ver-
    richten?


    (Beifall bei der SPD)


    Da muß ich mich vor die Beamten stellen. Herr Repnik,
    das werden Sie sicherlich verstehen.


    (Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Herr Schäuble hat lediglich eine Sorge zum Ausdruck gebracht! – Christian Schmidt [Fürth] [CDU/CSU]: Völlig überzogen!)


    Meine Damen und Herren, in der Dringlichkeitssit-
    zung der EU-Innenminister konnten sich einige EU-
    Mitgliedsländer aus grundsätzlichen Erwägungen leider
    nicht zur Festlegung von Kontingenten für die Aufnah-
    me von Vertriebenen entschließen. Ich bitte Sie aber, zu
    verstehen, meine Damen und Herren, daß es mit Blick
    auf das Flüchtlingselend der denkbar ungeeignetste
    Zeitpunkt war, einen Grundsatzstreit auszutragen.