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ID1403201100

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 14/32 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 32. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 15. April 1999 I n h a l t : Eintritt der Abgeordneten Gudrun Roos in den Deutschen Bundestag................................ 2619 A Nachträgliche Glückwünsche zum Geburts- tag der Abgeordneten Carl-Dieter Spran- ger, Dr. Martin Pfaff, Hans-Eberhard Ur- baniak ............................................................. 2619 B Tagesordnungspunkt 1: Eidesleistung des Bundesministers der Finanzen .................................................... 2619 B Präsident Wolfgang Thierse............................. 2619 C Hans Eichel, Bundesminister BMF............ 2619 D Dank an den ausgeschiedenen Bundesminister der Finanzen, Oskar Lafontaine .................... 2619 D Tagesordnungspunkt 2: Abgabe einer Regierungserklärung des Bundeskanzlers Aktuelle Lage im Kosovo ......................... 2620 A Gerhard Schröder, Bundeskanzler ................... 2620 A Dr. Wolfgang Schäuble CDU/CSU ................. 2623 D Dr. Peter Struck SPD ....................................... 2627 B Dr. Wolfgang Gerhardt F.D.P.......................... 2629 C Rezzo Schlauch BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 2632 C Dr. Gregor Gysi PDS....................................... 2634 D Joseph Fischer, Bundesminister AA.......2638 B, 2641 D Dr. Gregor Gysi PDS................................... 2641 B Dr. Edmund Stoiber, Ministerpräsident (Bay- ern)................................................................... 2642 B Rudolf Scharping, Bundesminister BMVg...... 2645 C Heidi Lippmann PDS................................... 2648 C Karl Lamers CDU/CSU................................... 2649 A Gernot Erler SPD............................................. 2650 D Annelie Buntenbach BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ........................................................ 2653 A Christian Schmidt (Fürth) CDU/CSU.............. 2654 A Dr. Eberhard Brecht SPD ................................ 2654 D Otto Schily, Bundesminister BMI ..........2656 B, 2658 D Hans-Peter Repnik CDU/CSU..................... 2658 B Nächste Sitzung ............................................... 2659 C Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten ........... 2661 A Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 32. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. April 1999 2619 (A) (C) (B) (D) 32. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 15. April 1999 Beginn: 9.00 Uhr
  • folderAnlagen
    Bundesminister Otto Schily Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 32. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. April 1999 2661 (A) (C) (B) (D) Anlage zum Stenographischen Bericht Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt biseinschließlich Beck (Köln), Volker BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 15.4.99 Behrendt, Wolfgang SPD 15.4.99 * Belle, Meinrad CDU/CSU 15.4.99 Bindig, Rudolf SPD 15.4.99 * Dr. Blüm, Norbert CDU/CSU 15.4.99 Bühler (Bruchsal), Klaus CDU/CSU 15.4.99 * Dzembritzki, Detlef SPD 15.4.99 Eichhorn, Maria CDU/CSU 15.4.99 Eppelmann, Rainer CDU/CSU 15.4.99 Eymer (Lübeck), Anke CDU/CSU 15.4.99 Frankenhauser, Herbert CDU/CSU 15.4.99 Haack (Extertal), Karl-Hermann SPD 15.4.99 Hasenfratz, Klaus SPD 15.4.99 Dr. Haussmann, Helmut F.D.P. 15.4.99 Hornung, Siegfried CDU/CSU 15.4.99 * Hübner, Carsten PDS 15.4.99 Ibrügger, Lothar SPD 15.4.99 Imhof, Barbara SPD 15.4.99 Irber, Brunhilde SPD 15.4.99 Jaffke, Susanne CDU/CSU 15.4.99 Jelpke, Ulla PDS 15.4.99 Dr. Jens, Uwe SPD 15.4.99 Dr.-Ing. Jork, Rainer CDU/CSU 15.4.99 von Klaeden, Eckart CDU/CSU 15.4.99 Kolbow, Walter SPD 15.4.99 Lehn, Waltraud SPD 15.4.99 Maaß (Wilhelmshaven), Erich CDU/CSU 15.4.99 Manzewski, Dirk SPD 15.4.99 Möllemann, Jürgen W. F.D.P. 15.4.99 Abgeordnete(r) entschuldigt biseinschließlich Müller (Berlin), Manfred PDS 15.4.99 Müller (Kirchheim), Elmar CDU/CSU 15.4.99 Neumann (Bramsche), Volker SPD 15.4.99 Nolte, Claudia CDU/CSU 15.4.99 Ostrowski, Christine PDS 15.4.99 Raidel, Hans CDU/CSU 15.4.99 Dr. Ruck, Christian CDU/CSU 15.4.99 Dr. Schäfer, Hansjörg SPD 15.4.99 Schenk, Christina PDS 15.4.99 Scherhag, Karl-Heinz CDU/CSU 15.4.99 Schloten, Dieter SPD 15.4.99 ** Schmidbauer, Bernd CDU/CSU 15.4.99 von Schmude, Michael CDU/CSU 15.4.99 Schnieber-Jastram, Birgit CDU/CSU 15.4.99 Schuhmann (Delitzsch), Richard SPD 15.4.99 Dr. Schwarz-Schilling, Christian CDU/CSU 15.4.99 Seiters, Rudolf CDU/CSU 15.4.99 Singhammer, Johannes CDU/CSU 15.4.99 Steen, Antje-Marie SPD 15.4.99 Steiger, Wolfgang CDU/CSU 15.4.99 Thiele, Carl-Ludwig F.D.P. 15.4.99 Vaatz, Arnold CDU/CSU 15.4.99 Wiefelspütz, Dieter SPD 15.4.99 Willner, Gert CDU/CSU 15.4.99 Wimmer (Neuss), Willy CDU/CSU 15.4.99 Wissmann, Matthias CDU/CSU 15.4.99 Wolf, Aribert CDU/CSU 15.4.99 Würzbach, Peter Kurt CDU/CSU 15.4.99 Zapf, Uta SPD 15.4.99 ——————* für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versamm-lung des Europarates** für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union 2662 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 32. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. April 1999 (A) (C) (B) (D) Druck: Bonner Universitäts-Buchdruckerei, 53113 Bonn 53003 Bonn, Telefon: 02 28/3 82 08 40, Telefax: 02 28/3 82 08 44 20
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Wolfgang Gerhardt


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (F.D.P.)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Herr Präsident!
    Meine Damen und Herren! Der Kollege Struck hat, per-
    sönlich verständlich und zu Recht, die Frage ausge-
    drückt, warum Demokratien eigentlich so lange ge-
    braucht haben, um einem Tyrann in den Arm zu fallen.

    Das führt mich zurück auf die Feststellung, daß, wie
    wir alle wissen, Europa selbst lange Zeit hat verstreichen
    lassen, bis es die tatsächliche Lage so bewertet hat, wie
    sie bewertet werden mußte. Wir erinnern uns an viele
    Debatten, die eher über die alten Bündnispartnerschaften
    des zweiten Weltkrieges, die heutigen Verbündeten in
    den westlichen Demokratien, ausgetragen wurden als
    mit Blick auf die tatsächliche Lagebeurteilung.


    (Dr. Helmut Kohl [CDU/CSU]: Ja!)

    Ich erinnere auch an viele Fehleinschätzungen der Ver-
    einigten Staaten von Nordamerika, die uns immer gerne
    Ratschläge erteilen, wie wir das in Europa handhaben
    müssen, aber damals mit einem Fernglas auf Jugoslawi-
    en gesehen haben, ohne einmal die Lupe zur Hand zu
    nehmen, um zu untersuchen, was sich dort wirklich
    vollzieht.

    Der Gang, den Kollege Struck erwähnt hat – über
    Slowenien, Kroatien und Bosnien-Herzegowina –, war
    ja erkennbar. Die Unverträglichkeit und der Haß breite-
    ten sich ja geradezu mit täglicher Steigerung aus – im
    übrigen nicht nur bei Milosevic, sondern auch bei ande-
    ren Erben des früheren Jugoslawien, aber bei Milosevic
    in ihrer brutalsten Form. Dies hat Europa lange ver-
    drängt, in der Kette von Slowenien über Kroatien bis
    Bosnien-Herzegowina. Das gilt auch für führende Per-
    sönlichkeiten, die unsere Verbündeten sind.

    Deshalb kann nicht darauf verzichtet werden, sich an
    Debatten, die wir 1995 in diesem Hause über Bosnien
    geführt haben, zu erinnern. Da war für diejenigen, die
    nicht blind waren, schon klar, was sich dort vollzieht.
    Trotzdem war die politische Bereitschaft, ein Mandat für
    Friedenserhaltung zu schaffen, auch in diesem Hause
    nur bei Teilen ausgeprägt. Ich erlebte damals, daß sich
    der jetzige Außenminister nach meiner Rede komplett
    gegenteilig aussprach. Das ist kein Vorwurf; denn sol-
    che Skrupel gehören zu den Wesensmerkmalen einer
    Demokratie. Aber manche, die heute auf der Regie-
    rungsbank sitzen, haben in den damaligen Debatten kei-
    ne Lorbeeren geerntet. Das muß eindeutig gesagt wer-
    den.


    (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

    Es ist zum Teil auch von daher verständlich, weil sich

    die Deutschen immer international klar geordnete Ver-
    hältnisse wünschen. Nur leider will sich die Wirklichkeit
    – das lernen wir ja jetzt wohl kennen – diesen Wünschen
    nach Ordnung, die von netten Leuten gehegt werden,
    nicht immer so beugen, wie das ordentlichen Leuten
    wünschenswert erscheint. Als dann urplötzlich die Zei-
    ten, in denen sich andere – Deutschland war geteilt; es
    gab die Vier-Mächte-Verantwortung – um die Probleme

    Dr. Peter Struck






    (B)



    (A) (C)



    (D)


    der Welt kümmerten, vorbei waren, da wurden die Fra-
    gen für uns sehr drängend, und sie stellten sich sehr klar.

    Jetzt erleben wir – das muß man doch ungeschminkt
    sagen –, daß die Reaktion der westlichen Staatenge-
    meinschaft am Ende einer Kette von vielen Verdrängun-
    gen, von zeitweiligem Wegschauen steht. Es sind in ei-
    ner Demokratie wichtige Sperren, wenn man Skrupel
    hat; sie gehören sogar zum Wesensmerkmal einer De-
    mokratie. Aber die Frage ist schon richtig, warum wir
    denn alles bis zur Neige durchleben müssen, bevor wir
    Entscheidungen treffen können. So ist die gesamte
    Nachkriegsgeschichte westlicher Demokratien abgelau-
    fen; so stellt sich ihre Fähigkeit zur Reaktion auf Tyran-
    nen und Despoten dar. Wie in einem Brennglas kann
    man darin auch die Geschichte der Reaktion auf das
    Auseinanderfallen des früheren Jugoslawien sehen.

    Jetzt befinden wir uns in einer Situation, die man klar
    beschreiben muß, wie immer auch diese Beschreibung
    ausfällt. Wir befinden uns in der Situation, daß dort ein
    Krieg stattfindet, in den wir zum erstenmal deutsche
    Soldaten – legitimiert, mandatiert – entsandt haben. Wir
    müssen eigentlich unserer deutschen Gesellschaft ein
    großes Kompliment dafür machen, daß sie in einer der-
    artigen Klugheit, Vielfalt und Eindringlichkeit diese
    dramatische Situation diskutiert. Man sollte sich nicht
    öfter solchen Proben unterwerfen. Ich bewundere schon
    den Reifegrad vieler Diskussionen in einer stabilen
    deutschen Demokratie.


    (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


    Es gibt kontroverse Meinungen in der Sache, aber der
    Vorgang ist doch bemerkenswert. Hierbei handelt es
    sich ja nicht um eine der üblichen Debatten, die wir in
    Situationen des Streits über innenpolitische Vorgänge
    oder auch über andere große Themen führen. Hierbei
    handelt es sich zum erstenmal um eine Debatte, die auch
    zur Folge haben kann, daß sie Mitbürgerinnen und Mit-
    bürgern, sprich: die deutschen Soldaten bei einem Ein-
    satz, das Leben kosten könnte. Daß dies nicht geschehen
    ist, darüber freuen wir uns. Aber daß das Risiko hoch ist,
    das ist doch jedem bei diesem Thema bewußt. Deshalb
    muß der Deutsche Bundestag – da stimme ich mit Kol-
    legen Schäuble völlig überein; die deutsche Öffentlich-
    keit tut es ja auch – immer den Druck dahin gehend auf-
    rechterhalten, daß neben strategischen Luftoperationen
    auch politische Lösungen angestrebt werden. Es geht
    nur in einer Mixtur, in einer Zwei-Wege-Strategie.

    Ganz entscheidend wird sein, ob die Kräfte Rußlands
    ausreichen – oder ob man Rußland die Kraft dazu ver-
    schaffen kann –, einen Weg zu finden, der bewirken
    kann, daß man sich in diesem großen Land nicht nur
    ausschließlich damit beschäftigt, den Zusammenbruch
    der früheren Sowjetunion zu verarbeiten. Die Binnenori-
    entierung und die Fragmentierung der russischen Politik
    müssen überwunden werden. Man fragt heute ja so neu-
    deutsch, ob dieses Land die Kraft hat, die eigene Demo-
    kratie zu stabilisieren und andernorts in der Welt mit uns
    zusammen alles dafür zu tun, daß freiheitliche Gesell-
    schaften sozusagen implementiert werden. Diese ernst-
    hafte Frage stellt sich.

    Die alte Rolle kann Rußland nicht mehr spielen. Es
    kann nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion keine
    falsche Selbstvergewisserung mehr betreiben. Das so-
    zialistische System ist ja wie ein Gletscher gewesen, der
    sich über alles gelegt hat. Nachdem nun das Eis des
    Gletschers weg ist, suchen manche nach europäischer
    Orientierung, manche noch nicht. Manche betreiben eine
    falsche ethnische Selbstvergewisserung. Wir müssen
    den Kräften helfen, die eine europäische Orientierung
    suchen.


    (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


    Wir müssen sogar ein massives Interesse daran haben,
    daß sie sie finden, und wir müssen sogar alles dafür tun,
    damit unser großer Nachbar Rußland im übertragenen
    Sinne die Chance bekommt, auf dem Wege dorthin Er-
    folgserlebnisse zu haben. Das muß die Haltung deut-
    scher Politik sein.


    (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


    Diese müssen wir ausstrahlen; die müssen wir Rußland
    auch mitteilen. Es genügt nicht, wenn wir darüber nur
    im Bundestag debattieren. Jeder von uns muß bei allen
    Begegnungen – keine Reise dorthin darf uns jetzt eine
    Reise zuviel sein – den russischen Politikern das auch
    sagen. Wir müssen ihnen sagen: Wir brauchen euch; wir
    brauchen Rußland. Das müssen wir Rußland sagen. Oh-
    ne Rußland wird es zu keiner Lösung dieses Problems
    kommen. Das ist ausgeschlossen.


    (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


    Wer das weiß, muß dann entsprechend reagieren.
    Meine Damen und Herren, militärisch wird entschei-

    dend sein, ob Milosevic im Kosovo alsbald die Hände
    gebunden werden können. Meine größte Ungeduld gilt
    nahezu täglich der Frage, wann endlich die paramilitäri-
    schen Organisationen, das jugoslawische Militär auf
    dem Boden des Kosovo gestoppt werden können. Ich
    warte mit Ungeduld auf all das, was bisher angekündigt
    worden ist. Denn der Kosovo ist ein besonderes Pro-
    blem: Milosevic standen in allen Teilen Jugoslawiens
    bisher Strohmänner für den Einsatz von Gewalt zur Ver-
    fügung, während er jetzt selbst ganz klar der Verant-
    wortliche für das Vorgehen, und zwar nicht nur für die
    Repressionen, für die Plünderungen und Vertreibungen,
    für die Vergewaltigungen, sondern auch für den
    schlichten Mord, ist. Er ist kein Staatschef, er ist ein
    Kriegsverbrecher. Das ist ganz eindeutig und kein über-
    höhter Ausdruck.


    (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


    Ich sage deshalb für die Freien Demokraten: Es gibt
    keine Alternative zu der Strategie der NATO, zu dem
    militärischen Einsatz. Wir dürfen auch nicht zögern. Der
    Einsatz muß fortgesetzt werden, und er kann, solange
    dieser Tyrann wütet und politisch nicht einlenkt, keinen
    Tag ausgesetzt werden. Wir sind in einer Situation – so

    Dr. Wolfgang Gerhardt






    (A) (C)



    (B) (D)


    paradox das auch klingt –, in der für die Öffentlichkeit,
    für die Weltgemeinschaft, für die Menschen dort die
    Menschenwürde nicht anders als mit militärischen Mit-
    teln durchgesetzt werden kann. Alles andere ist in dieser
    Diskussion keine brauchbare Alternative.

    Meine Damen und Herren, für eine Lösung des Pro-
    blems wird es natürlich nicht reichen, die Flüchtlinge
    zurückzuführen. Für eine Lösung des Problems sehen
    wir heute schon weit über Rambouillet hinaus, daß für
    die gesamte Region ein Stück ökonomische Stabilität
    und Lebensperspektiven für die Menschen geschaffen
    werden müssen. Das ist seit Bestehen der Europäischen
    Union ihre größte Bewährungsprobe.

    Das ist eine schwierige Situation, aber es ist für die
    Europäische Union und für uns als Politiker in
    Deutschland gleichzeitig eine Chance, deutlich zu ma-
    chen, daß sich die Europäische Union in unserem Ver-
    ständnis nicht in den Themenbereichen Milchseen, But-
    terberge, Struktur- und Kohäsionsfonds, ja nicht einmal
    im deutschen Nettozahlerbeitrag erschöpft, sondern auch
    zu einer gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik fä-
    hig ist; denn sonst wird sie an Respekt und Ansehen
    verlieren. Ich sage trotz aller Bemühungen der Bundes-
    regierung: Die Stimme der Europäischen Union muß in
    dieser Situation kräftiger werden. Sie muß deutlich ma-
    chen, daß sie auf Krisen glaubwürdig reagieren kann.


    (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


    Der frühere Außenminister Hans-Dietrich Genscher
    hat einmal gesagt, die Europäische Gemeinschaft sei die
    moralische Konsequenz aus der Geschichte europäischer
    Bruderkriege. Er hat hinzugefügt, wenn sie nichts ande-
    res bewirkt hätten, als daß Kriege unter ihren Mitglie-
    dern niemals mehr möglich sein werden, dann hätte sich
    schon deshalb ihre Existenz gelohnt.

    Deshalb will ich die junge Generation in Deutschland
    und uns alle daran erinnern, daß es nicht ausreicht,
    kleinliche Kritik an der Brüsseler Bürokratie zu üben.
    Die Europäische Union ist entstanden, weil es Menschen
    gab, die nicht nur aus den Geschichtsbüchern Kenntnis-
    se über Hitler und Stalin hatten und nie mehr wollten,
    daß auf diesem Kontinent die alten Dämonen wieder
    aufwachen und sich Zutritt verschaffen. In einer solchen
    Situation leben wir. Wir haben es nicht für möglich ge-
    halten, daß am Ende dieses Jahrhunderts wieder Phäno-
    mene zur Erscheinung kommen, die den Beginn dieses
    Jahrhunderts so dramatisch gestaltet haben.

    Niemand darf in Europa mit Haltungen, wie Milose-
    vic sie prägt, am Ausgang dieses Jahrhunderts Men-
    schen bedrohen, und wenn es geschieht, darf die Völ-
    kergemeinschaft nicht tatenlos zusehen. Wenn es vorbei
    ist, muß den Gesellschaften geholfen werden, die sich so
    verblenden ließen. Auch dazu gibt es keine Alternative,
    wie wir Deutschen am eigenen Leib nach 1945 erfahren
    haben.


    (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


    Wir wissen, was dort getan werden muß, wenn auch das
    serbische Volk wieder eine Chance erhalten soll.

    Die deutschen Soldaten wie auch die Soldaten der
    Verbündeten und ihre Familien haben unseren Rückhalt.
    Wir danken ihnen und ihren Angehörigen. Wir bedan-
    ken uns bei den Hilfsorganisationen für ihre vielen
    humanitären Bemühungen. Wir sind – so hat es der
    Bundeskanzler gesagt – dankbar für die große Spen-
    denbereitschaft in Deutschland.

    Herr Bundeskanzler, die Bundesregierung hat die
    Unterstützung der F.D.P. für den unumgänglichen Ein-
    satz militärischer Mittel im Bündnis. Wir sind in einem
    selbstbewußten Parlament, das alle Mittel der parla-
    mentarischen Kontrolle hat, das Mandatierungen nach
    Lageeinschätzung begrenzt, erneuert oder verändert. Es
    bleibt aber ständiger Auftrag für das Primat des Politi-
    schen: Es gibt keinen Automatismus des Militärischen,
    und es kann ihn nicht geben. Es kann streckenweise Ein-
    sätze von militärischen Mitteln geben, um politische
    Ziele durchsetzungsfähig zu machen; am Ende müssen
    es aber politische Ziele sein. Das heißt – an die Adresse
    der Bundesregierung gesagt –: Dieser policy mix aus
    strategischen Luftoperationen der NATO, zugleich aber
    täglichen Versuchen politischer Initiativen ist die Regie-
    rungskunst, die jetzt erforderlich ist. Am Ende darf Mi-
    losevic nicht siegen. Ich füge sogar persönlich hinzu:
    Am Ende kann er auch nicht wieder Verhandlungspart-
    ner werden, nach all dem, was er getan hat.


    (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD)


    Herr Bundeskanzler, die politischen Ziele, die not-
    wendige Haltung und die Bündnisfähigkeit, über die Sie
    vorgetragen haben, werden von der Opposition – ich er-
    kläre das jedenfalls für meine Kolleginnen und Kollegen
    aus der Bundestagsfraktion der Freien Demokratischen
    Partei – voll unterstützt. Ich habe manchmal sogar das
    Gefühl, daß unsere Unterstützung viel stärker und klarer
    ist als die Unterstützung aus den Reihen der Koalitions-
    partei, die Sie gewählt haben.


    (Beifall bei der F.D.P.)

    Darüber müssen Sie sich keine Sorgen machen; da kön-
    nen Sie sich in Ihrer Arbeit entlasten. Die Politik der
    Bundesregierung im Bündnis ist so stabil, weil die Op-
    position in diesem Hause so stabil ist.


    (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


    Eine solche Haltung hätte sich die frühere Bundesregie-
    rung von manchen Kolleginnen und Kollegen, die jetzt
    in der Verantwortung sind, gewünscht, als es ebenfalls
    um ernsthafte Fragen ging.


    (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

    Skrupel haben auch wir. Krieg mögen auch wir nicht.

    Deshalb sind die Einfachheit und Schlichtheit, die Herr
    Kollege Gysi in seiner Argumentation immer verwendet,
    so absurd. Hier sitzen sich doch nicht Lager in den Al-
    ternativen Krieg oder nicht Krieg gegenüber.

    Wahr ist aber auch, was Brzezinski, der Sicherheits-
    berater des früheren amerikanischen Präsidenten Carter,
    in einer großen deutschen Tageszeitung einfach, klar,

    Dr. Wolfgang Gerhardt






    (B)



    (A) (C)



    (D)


    streitig, aber wahrheitsgemäß, ausgeführt hat – ich zitie-
    re ihn –:

    Unzweideutig steht mittlerweile mehr auf dem
    Spiel als das Schicksal des Kosovo. Die Vorausset-
    zungen haben sich an dem Tag dramatisch verän-
    dert, an dem das Bombardement begann. Ohne zu
    übertreiben ist festzustellen, daß ein Scheitern der
    NATO das Ende ihrer Glaubwürdigkeit wäre und
    gleichzeitig die globale Führungsrolle der Verei-
    nigten Staaten in Mitleidenschaft geriete. Die Fol-
    gen wären verheerend für die globale Stabilität.

    Ich sage diese drastischen Worte ganz klar: Wir
    müssen dort gewinnen – und zwar militärisch wie poli-
    tisch –, um überhaupt Verantwortung in einer Welt, die
    auf freiheitliche Gesellschaften zugeht, wahrnehmen zu
    können. Der Tyrann darf nicht siegen – weder militä-
    risch noch politisch.


    (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


    Uns, allen Abgeordneten meiner Fraktion, ist das klar.
    Deshalb bleibt – mit der Begründung unserer Haltung

    zur Unterstützung der Bundesregierung – am Ende üb-
    rig, Ihnen, Herr Bundeskanzler, weiterhin viel Erfolg bei
    der Überzeugungsarbeit in Ihren eigenen Reihen, bei Ih-
    ren Koalitionsparteien, zu wünschen. Die F.D.P. hat, wie
    alle Demokraten, lange gezögert und sich nicht leicht-
    getan mit den Entscheidungen, wie wir sie dann treffen
    mußten. Der frühere Bundesaußenminister Kinkel und
    der frühere Bundeskanzler Kohl haben in ihrer Verant-
    wortung Abwägungsprozesse unternommen, die in der
    Qualität in nichts den Abwägungsprozessen nachstehen,
    die Sie heute bewältigen müssen und die immer positi-
    ves Kennzeichen von Demokratien sind. Aber sie und
    auch wir haben in dieser Zeit genau gewußt, daß Demo-
    kratien nicht nur Sonnenscheinveranstaltungen sind,
    sondern irgendwann – weil in manchen Völkergemein-
    schaften menschliche Charaktere das Licht der Welt er-
    blicken, die politisch nicht so denken, wie es ordentli-
    chen Menschen wünschenswert erscheint – notfalls auch
    zu letzten Mitteln greifen müssen, um denjenigen Ein-
    halt zu gebieten, die plündern, vergewaltigen und mor-
    den.

    Ich kann mich nur begrenzt in einer Diskussion auf-
    halten, in der feinsinnig bedauert wird, daß die alte
    Nachkriegsweltordnung nicht mehr möglich ist, weil
    dieser Einsatz vom Sicherheitsrat nicht in der klassi-
    schen Form mandatiert worden sei. Das kann ich keinem
    Menschen vermitteln, der mit einem Gewehr bedroht
    wird, dem mit dem Messer die Kehle durchgeschnitten
    wird, der auf einen Traktor gesetzt wird, fünf Minuten
    Zeit hat, sein Haus zu verlassen – beim Verlassen des
    Dorfes sieht er noch, daß es angezündet wird –, und der
    die Demokratien fragt, ob sie denn bei aller Freiheitlich-
    keit am Ende wehrlos gegenüber solchen Staatsmännern
    in Form von Terroristen sind. Diese Frage kann ich nur
    so wie Wolfgang Schäuble beantworten.


    (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

    Diese Frage ist natürlich schwierig. Man kann uns

    vorhalten, daß wir uns nicht auf rechtlich sicherer Seite

    befinden. Aber ich bin überzeugt, daß wir uns auf der
    menschlich sicheren Seite befinden. Darum geht es bei
    diesem Einsatz.

    Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

    (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)




Rede von Dr. h.c. Wolfgang Thierse
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Das Wort für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat Kollege Rezzo
Schlauch.


  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Rezzo Schlauch


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als am
    Dienstag vergangener Woche die Meldung „Milosevic
    bietet einseitige Waffenruhe an“ über die Ticker lief,
    habe ich – genauso wie wahrscheinlich viele andere –
    Hoffnung geschöpft. Ich habe Hoffnung darauf ge-
    schöpft, daß die Vertreibung der Kosovo-Albaner und
    das ihnen von Milosevic zugefügte Leid und Leiden
    endlich ein Ende haben und die NATO ihre militäri-
    schen Einsätze beenden kann.

    Es war auch die Hoffnung darauf, daß sich die tag-
    tägliche Abwägung nicht mehr stellt, ob mit militäri-
    scher Gewalt den hunderttausendfachen Menschen-
    rechtsverletzungen an den Kosovo-Albanern Einhalt ge-
    boten werden muß. Weil diese Abwägung Tag für Tag
    neu getroffen werden muß, ist es wichtig, daß wir uns in
    dieser Sitzung mit diesem Thema beschäftigen. Dies ge-
    schieht auch in Verantwortung gegenüber den Soldaten
    und ihren Familien. Wir schulden den Soldaten für jeden
    Tag ihrer gefährlichen Einsätze Dank, den ich von hier
    aus zum Ausdruck bringen möchte.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


    Drei Wochen nach Beginn der Bombardierungen
    durch den NATO-Einsatz gilt es allerdings auch, poli-
    tisch darüber zu beraten, was bislang diplomatisch und
    militärisch erreicht werden konnte, was nicht erreicht
    werden konnte und was noch erreicht werden muß. In
    der Gesellschaft, aber natürlich auch innerhalb der
    Fraktionen gibt es Kritik, Sorgen und Ängste. Diese
    müssen wir immer wieder von neuem ernst nehmen,
    aufgreifen und auch immer wieder auf den Prüfstand
    stellen. Wir müssen immer wieder begründen, warum
    wir trotzdem so handeln, wie wir es tun.

    Viele Menschen sehen das Risiko einer Ausweitung
    des Konfliktes, fürchten eine Eskalation der militäri-
    schen Gewalt und fragen sich, wie die Waffen endlich
    wieder schweigen können.

    Wir alle fragen uns, ob es eine Alternative gibt. Wir
    alle sehen jeden Abend die geschundenen, vertriebenen
    Menschen im Kosovo und müssen feststellen, daß es
    nicht gelungen ist, die von Milosevic systematisch orga-
    nisierte Deportation einer ganzen Bevölkerungsgruppe
    zu stoppen. Annähernd 1 Million Menschen sind auf der
    Flucht; sie werden aus ihrer Heimat vertrieben und be-
    raubt; ihre Häuser werden zerstört und die Dörfer dem
    Erdboden gleichgemacht. Uns alle treibt die Frage um:

    Dr. Wolfgang Gerhardt






    (A) (C)



    (B) (D)


    Wie können wir das verhindern? Wie kann diese Bar-
    barei Milosevics gestoppt werden? Wie können wir die
    Voraussetzungen dafür schaffen, daß die Menschen in
    ihre Heimat zurückkehren können?

    Jeder Vorschlag muß aufgenommen, geprüft und
    dann verworfen oder auch umgesetzt werden. Ich re-
    spektiere die Motive derjenigen, die nach ernsthafter
    Abwägung vorschlagen, die NATO-Angriffe teilweise
    oder zeitweise auszusetzen, aber ich teile sie nicht. Für
    mich verkehrt sich diese Forderung nach einem einsei-
    tigen Waffenstillstand durch die zynische Logik Milo-
    sevics in ihr Gegenteil. Ein einseitiger Waffenstillstand
    durch die NATO würde nur dazu führen, daß Milosevic
    das Brandschatzen, das Morden und den von langer
    Hand vorbereiteten Plan der Vertreibung der Kosovo-
    Albaner ungestört und vor allem unsanktioniert fortset-
    zen könnte. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben
    gelernt: Dies ist nicht aus der Luft gegriffen. So hat er es
    in Bosnien gemacht, indem er Feuerpausen und Entge-
    genkommen ohne Bedingungen immer ausgenutzt hat,
    um militärische und strategische Vorteile aufzubauen.

    Krieg ist immer schrecklich. Wir müssen aber genau
    hinsehen, wer im Kosovo Krieg gegen wen führt und
    wie die Zielsetzungen dieses Krieges aussehen. Milose-
    vic führt Krieg gegen die eigene Bevölkerung. Sein Ziel
    sind die Zivilisten. Das Objekt der NATO-Einsätze ist
    das Militär, die militärische Unterdrückungsmaschinerie
    von Milosevic. Meine Damen und Herren, gerade von
    links, ich glaube, das ist der gravierende Unterschied,
    den Sie in Ihre Analysen nicht einbeziehen und auch im
    vorgelegten Entschließungsantrag nicht berücksichtigen
    bzw. so verwischen, daß Täter zu Opfern werden und
    Opfer zu Tätern.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P. – Zuruf von der PDS: Quatsch!)


    Natürlich ist jede Rakete und jede Bombe, die ihr Ziel
    verfehlt und unschuldige Zivilisten trifft, schrecklich,
    aber dies ist auf tragisches technisches oder menschli-
    ches Versagen zurückzuführen. Bei Milosevic ist es aber
    Prinzip, die Zivilbevölkerung treffen und vernichten zu
    wollen. Dieses menschenverachtende und menschen-
    rechtsverletzende Prinzip muß durchbrochen werden.
    Deshalb sehen wir in der Mehrheit so lange keine über-
    zeugende Alternative zu den militärischen NATO-
    Einsätzen, bis es zu einer politischen Lösung kommt.


    (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


    Es gibt auch Stimmen, die sagen, NATO-Einsätze
    hätten das Leid der Kosovaren verschlimmert.


    (Wolfgang Gehrcke [PDS]: Sehr richtig!)

    Einige wenige sprechen sogar davon, sie hätten es her-
    vorgerufen.


    (Dr. Gregor Gysi [PDS]: Das ist nicht wahr!)

    Ich kann nur davor warnen, Ursache und Wirkung zu
    verwechseln. Es ist nicht die NATO, vor der die Men-
    schen fliehen. Es ist die Soldateska von Milosevic.


    (Dr. Peter Struck [SPD]: Richtig!)


    Nicht die NATO hat den Krieg begonnen, sondern die
    NATO will diesen Krieg zu Ende bringen.

    Ich bin, meine Damen und Herren, jedesmal beein-
    druckt, wenn ich abends Stimmen aus den Flüchtlings-
    kreisen höre, die, in ihrem tiefsten Elend befragt, uniso-
    no sagen: Wir sind dankbar, daß die NATO bombar-
    diert. Wir begrüßen die NATO.


    (Zurufe von der PDS)

    Dies müssen Sie bei Ihrer Abwägung mindestens genau-
    so mit einbeziehen


    (Zuruf von der PDS: Zynisch ist das!)

    wie die Frage, welche Schäden in Serbien und in Bel-
    grad entstehen.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Widerspruch bei der PDS)


    Es kann kein Zweifel daran bestehen, daß die Verbre-
    chen von Milosevic gegen die Menschlichkeit von lan-
    ger Hand geplant waren. Wir wissen, daß im Oktober
    letzten Jahres bereits 300 000 Menschen vertrieben wor-
    den waren – diese Situation hat dann zum Grundlagen-
    beschluß des Deutschen Bundestages geführt –, in den
    Wäldern des Kosovo auf der Flucht waren und dort aus-
    geharrt haben. Noch während sich die Völkergemein-
    schaft im Februar dieses Jahres intensiv um eine diplo-
    matische Lösung bemühte, hat Milosevic gezielt militä-
    rische Streitkräfte in großem Umfang in den Kosovo
    verlegt.

    Milosevic ist jemand, auf den man sich nicht verlas-
    sen kann. Das hat die Geschichte gezeigt. Das Abkom-
    men zwischen Milosevic und Jelzin ist sofort gebrochen
    worden. Das Friedensabkommen zwischen Holbrooke
    und Milosevic ist auch sofort gebrochen worden.


    (Dr. Gregor Gysi [PDS]: Das stimmt nicht!)

    Daran kann man erkennen, daß Milosevic auch die Zei-
    ten, in denen man sich um eine friedliche und politische
    Lösung bemüht hat, nur genutzt hat, um seine ethnische
    Kriegsführung vorzubereiten und durchzuführen. Des-
    halb können für eine Beendigung der NATO-Einsätze
    von Milosevic nicht mehr Worte, sondern nur noch Ta-
    ten zählen. Diese Taten bestehen in der sofortigen Ein-
    stellung der kriegerischen Handlungen und im soforti-
    gen Rückzug aller militärischen Kräfte aus dem Kosovo.


    (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)


    Der jetzt von der Bundesregierung vorgelegte Frie-
    densplan bietet noch einmal die Chance zu einer friedli-
    chen Lösung. Dabei ist es im Interesse der Kosovo-
    Albaner unverzichtbar, daß Milosevic mit dem Abzug
    der militärischen Kräfte verifizierbar beginnen muß, be-
    vor eine befristete Unterbrechung der NATO-Angriffe
    erfolgen kann.

    Diese Initiative zeigt auch, daß von seiten der Bun-
    desregierung nichts, aber auch gar nichts unversucht
    gelassen wurde und wird, um im Vorfeld, aber auch
    während der militärischen Auseinandersetzung eine

    Rezzo Schlauch






    (B)



    (A) (C)



    (D)


    politische Lösung zu erreichen. Aber eine politische Lö-
    sung setzt den glaubhaften Willen zur Politik auf seiten
    Milosevics voraus. Solange dieser Wille nicht zu erken-
    nen ist, sieht die überwiegende Mehrheit meiner Frakti-
    on keine andere Möglichkeit, als Milosevic mit militäri-
    schen Mitteln die Fähigkeit zur ethnischen Kriegsfüh-
    rung zu nehmen.

    Ich glaube, daß es an dieser Stelle notwendig ist – das
    haben auch alle meine Vorredner getan –, den Mitarbei-
    terinnen und Mitarbeitern der deutschen Hilfsorganisa-
    tionen, die in den Regionen, in die die Menschen flie-
    hen, einen unermüdlichen Einsatz leisten, und auch den
    Soldaten in Mazedonien, die ja humanitäre Hilfe leisten
    und damit das Leid der gepeinigten Menschen lindern,
    herzlich zu danken.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)


    Wir müssen alles tun, um die Länder zu unterstützen,
    in denen die Menschen Zuflucht suchen. Milosevics
    teuflischer Plan, durch Vertreibung auch die Nachbar-
    länder zu destabilisieren, darf nicht aufgehen. Um das zu
    verhindern, werden auch finanzielle Hilfen nicht ausrei-
    chen. Die Europäische Union ist aus unserer Sicht noch
    zu viel größeren Anstrengungen aufgefordert. Sie ist
    aufgefordert, einen geringen Teil – er ist winzig im Ver-
    gleich zum gesamten Flüchtlingselend – der Flüchtlinge
    vorübergehend aufzunehmen, bis sie wieder in ihre
    Heimat zurückkehren können. Die Zusage unseres Lan-
    des, 10 000 Menschen aufzunehmen, ist ein erster
    Schritt. Ich glaube, er wird nicht ausreichen.

    Auch und gerade in unserem Land gibt es eine große
    Welle der Hilfsbereitschaft. Menschen spenden Millio-
    nenbeträge. Viele sind bereit, Flüchtlinge bei sich auf-
    zunehmen. Das zeigt, daß Deutschland mit seiner Zusa-
    ge, 10 000 Flüchtlinge aufzunehmen, noch nicht am En-
    de seiner Hilfsbereitschaft angelangt ist. Wir dürfen und
    wir sollten die Hilfsbereitschaft der Menschen nicht ins
    Leere laufen lassen.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie des Abg. HansMichael Goldmann [F.D.P.])


    Meine Damen und Herren, insbesondere auch von der
    PDS, im Kosovo kämpft eine Staatengemeinschaft nicht
    aus egoistischen oder chauvinistischen Motiven, sondern
    für die Menschenrechte und die Interessen einer unter-
    drückten Bevölkerungsgruppe. Die Staatengemeinschaft
    entscheidet nicht aus deutschem, aus amerikanischem
    oder aus NATO-Interesse; sie entscheidet einzig und al-
    lein im Interesse der Menschen im Kosovo, der Kosovo-
    Albaner und des seit Jahren unterdrückten Volkes.

    Im Kosovo erleben wir auf unserem Kontinent nach
    Bosnien zum zweitenmal, was wir eigentlich längst für
    Geschichte gehalten haben, nämlich das Aufbrechen von
    Konflikten auf Grund eines hemmungslosen Nationa-
    lismus. Europa, ein integriertes Europa, das ist zugleich
    die – wenn auch langfristige – Antwort auf die Frage,
    wie der Balkan dauerhaft zur Ruhe kommen kann. Um
    Frieden dauerhaft zu schaffen, wird es darauf ankom-
    men, den Ländern in enger Abstimmung mit Rußland

    eine Perspektive zu geben. Wir wissen, daß nur eine
    politische Lösung eine dauerhafte Lösung sein kann,
    und müssen doch feststellen, daß Milosevic alle politi-
    schen Initiativen bisher nur dazu genutzt hat, seine
    Kriegsführung zu perfektionieren.

    Wir haben die Forderung „Nie wieder Krieg“ immer
    vertreten und damit natürlich auch gemeint: Nie wieder
    Völkermord. Milosevic zerreißt mit seinem verbrecheri-
    schen Handeln die Identität dieser beiden Forderungen.
    Wir müssen erkennen, daß sich die Durchsetzung der
    Forderung „Nie wieder Völkermord“ in diesem Fall lei-
    der nur mit militärischen Mitteln erreichen läßt.


    (Zuruf von der PDS: Mit Krieg!)

    Meine Damen und Herren Kollegen von der PDS,

    wenn ich lese, daß Ihr Vorsitzender eine Pressekonfe-
    renz unter dem Titel „Zur aktuellen Lage im Kosovo
    und die Mitgliederentwicklung der PDS“ abhält, dann
    muß ich sagen: Durch diesen Titel werden Ihre Meinung
    und Ihre Haltung zu diesem Konflikt klarer als durch
    viele Reden.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P. – Widerspruch bei der PDS)


    Der von Außenminister Fischer vorgelegte Plan weist
    einen Weg zum Frieden. Solange Milosevic keinen
    ernsthaften Willen zum Frieden zeigt, bleibt keine ande-
    re Wahl, als diesem brutalen Diktator militärisch die
    Möglichkeit zur Fortsetzung seiner ethnischen Kriegs-
    führung zu nehmen.

    Ich bin gerne bereit, meine Meinung zu revidieren,
    wenn mir jemand eine überzeugende Alternative nennen
    kann. Die Mehrheit unserer Fraktion sieht sie zum jetzi-
    gen Zeitpunkt nicht.

    Danke schön.

    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)