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ID1403201300

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Metadaten
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  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 14/32 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 32. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 15. April 1999 I n h a l t : Eintritt der Abgeordneten Gudrun Roos in den Deutschen Bundestag................................ 2619 A Nachträgliche Glückwünsche zum Geburts- tag der Abgeordneten Carl-Dieter Spran- ger, Dr. Martin Pfaff, Hans-Eberhard Ur- baniak ............................................................. 2619 B Tagesordnungspunkt 1: Eidesleistung des Bundesministers der Finanzen .................................................... 2619 B Präsident Wolfgang Thierse............................. 2619 C Hans Eichel, Bundesminister BMF............ 2619 D Dank an den ausgeschiedenen Bundesminister der Finanzen, Oskar Lafontaine .................... 2619 D Tagesordnungspunkt 2: Abgabe einer Regierungserklärung des Bundeskanzlers Aktuelle Lage im Kosovo ......................... 2620 A Gerhard Schröder, Bundeskanzler ................... 2620 A Dr. Wolfgang Schäuble CDU/CSU ................. 2623 D Dr. Peter Struck SPD ....................................... 2627 B Dr. Wolfgang Gerhardt F.D.P.......................... 2629 C Rezzo Schlauch BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 2632 C Dr. Gregor Gysi PDS....................................... 2634 D Joseph Fischer, Bundesminister AA.......2638 B, 2641 D Dr. Gregor Gysi PDS................................... 2641 B Dr. Edmund Stoiber, Ministerpräsident (Bay- ern)................................................................... 2642 B Rudolf Scharping, Bundesminister BMVg...... 2645 C Heidi Lippmann PDS................................... 2648 C Karl Lamers CDU/CSU................................... 2649 A Gernot Erler SPD............................................. 2650 D Annelie Buntenbach BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ........................................................ 2653 A Christian Schmidt (Fürth) CDU/CSU.............. 2654 A Dr. Eberhard Brecht SPD ................................ 2654 D Otto Schily, Bundesminister BMI ..........2656 B, 2658 D Hans-Peter Repnik CDU/CSU..................... 2658 B Nächste Sitzung ............................................... 2659 C Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten ........... 2661 A Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 32. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. April 1999 2619 (A) (C) (B) (D) 32. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 15. April 1999 Beginn: 9.00 Uhr
  • folderAnlagen
    Bundesminister Otto Schily Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 32. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. April 1999 2661 (A) (C) (B) (D) Anlage zum Stenographischen Bericht Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt biseinschließlich Beck (Köln), Volker BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 15.4.99 Behrendt, Wolfgang SPD 15.4.99 * Belle, Meinrad CDU/CSU 15.4.99 Bindig, Rudolf SPD 15.4.99 * Dr. Blüm, Norbert CDU/CSU 15.4.99 Bühler (Bruchsal), Klaus CDU/CSU 15.4.99 * Dzembritzki, Detlef SPD 15.4.99 Eichhorn, Maria CDU/CSU 15.4.99 Eppelmann, Rainer CDU/CSU 15.4.99 Eymer (Lübeck), Anke CDU/CSU 15.4.99 Frankenhauser, Herbert CDU/CSU 15.4.99 Haack (Extertal), Karl-Hermann SPD 15.4.99 Hasenfratz, Klaus SPD 15.4.99 Dr. Haussmann, Helmut F.D.P. 15.4.99 Hornung, Siegfried CDU/CSU 15.4.99 * Hübner, Carsten PDS 15.4.99 Ibrügger, Lothar SPD 15.4.99 Imhof, Barbara SPD 15.4.99 Irber, Brunhilde SPD 15.4.99 Jaffke, Susanne CDU/CSU 15.4.99 Jelpke, Ulla PDS 15.4.99 Dr. Jens, Uwe SPD 15.4.99 Dr.-Ing. Jork, Rainer CDU/CSU 15.4.99 von Klaeden, Eckart CDU/CSU 15.4.99 Kolbow, Walter SPD 15.4.99 Lehn, Waltraud SPD 15.4.99 Maaß (Wilhelmshaven), Erich CDU/CSU 15.4.99 Manzewski, Dirk SPD 15.4.99 Möllemann, Jürgen W. F.D.P. 15.4.99 Abgeordnete(r) entschuldigt biseinschließlich Müller (Berlin), Manfred PDS 15.4.99 Müller (Kirchheim), Elmar CDU/CSU 15.4.99 Neumann (Bramsche), Volker SPD 15.4.99 Nolte, Claudia CDU/CSU 15.4.99 Ostrowski, Christine PDS 15.4.99 Raidel, Hans CDU/CSU 15.4.99 Dr. Ruck, Christian CDU/CSU 15.4.99 Dr. Schäfer, Hansjörg SPD 15.4.99 Schenk, Christina PDS 15.4.99 Scherhag, Karl-Heinz CDU/CSU 15.4.99 Schloten, Dieter SPD 15.4.99 ** Schmidbauer, Bernd CDU/CSU 15.4.99 von Schmude, Michael CDU/CSU 15.4.99 Schnieber-Jastram, Birgit CDU/CSU 15.4.99 Schuhmann (Delitzsch), Richard SPD 15.4.99 Dr. Schwarz-Schilling, Christian CDU/CSU 15.4.99 Seiters, Rudolf CDU/CSU 15.4.99 Singhammer, Johannes CDU/CSU 15.4.99 Steen, Antje-Marie SPD 15.4.99 Steiger, Wolfgang CDU/CSU 15.4.99 Thiele, Carl-Ludwig F.D.P. 15.4.99 Vaatz, Arnold CDU/CSU 15.4.99 Wiefelspütz, Dieter SPD 15.4.99 Willner, Gert CDU/CSU 15.4.99 Wimmer (Neuss), Willy CDU/CSU 15.4.99 Wissmann, Matthias CDU/CSU 15.4.99 Wolf, Aribert CDU/CSU 15.4.99 Würzbach, Peter Kurt CDU/CSU 15.4.99 Zapf, Uta SPD 15.4.99 ——————* für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versamm-lung des Europarates** für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union 2662 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 32. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. April 1999 (A) (C) (B) (D) Druck: Bonner Universitäts-Buchdruckerei, 53113 Bonn 53003 Bonn, Telefon: 02 28/3 82 08 40, Telefax: 02 28/3 82 08 44 20
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Rezzo Schlauch


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als am
    Dienstag vergangener Woche die Meldung „Milosevic
    bietet einseitige Waffenruhe an“ über die Ticker lief,
    habe ich – genauso wie wahrscheinlich viele andere –
    Hoffnung geschöpft. Ich habe Hoffnung darauf ge-
    schöpft, daß die Vertreibung der Kosovo-Albaner und
    das ihnen von Milosevic zugefügte Leid und Leiden
    endlich ein Ende haben und die NATO ihre militäri-
    schen Einsätze beenden kann.

    Es war auch die Hoffnung darauf, daß sich die tag-
    tägliche Abwägung nicht mehr stellt, ob mit militäri-
    scher Gewalt den hunderttausendfachen Menschen-
    rechtsverletzungen an den Kosovo-Albanern Einhalt ge-
    boten werden muß. Weil diese Abwägung Tag für Tag
    neu getroffen werden muß, ist es wichtig, daß wir uns in
    dieser Sitzung mit diesem Thema beschäftigen. Dies ge-
    schieht auch in Verantwortung gegenüber den Soldaten
    und ihren Familien. Wir schulden den Soldaten für jeden
    Tag ihrer gefährlichen Einsätze Dank, den ich von hier
    aus zum Ausdruck bringen möchte.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


    Drei Wochen nach Beginn der Bombardierungen
    durch den NATO-Einsatz gilt es allerdings auch, poli-
    tisch darüber zu beraten, was bislang diplomatisch und
    militärisch erreicht werden konnte, was nicht erreicht
    werden konnte und was noch erreicht werden muß. In
    der Gesellschaft, aber natürlich auch innerhalb der
    Fraktionen gibt es Kritik, Sorgen und Ängste. Diese
    müssen wir immer wieder von neuem ernst nehmen,
    aufgreifen und auch immer wieder auf den Prüfstand
    stellen. Wir müssen immer wieder begründen, warum
    wir trotzdem so handeln, wie wir es tun.

    Viele Menschen sehen das Risiko einer Ausweitung
    des Konfliktes, fürchten eine Eskalation der militäri-
    schen Gewalt und fragen sich, wie die Waffen endlich
    wieder schweigen können.

    Wir alle fragen uns, ob es eine Alternative gibt. Wir
    alle sehen jeden Abend die geschundenen, vertriebenen
    Menschen im Kosovo und müssen feststellen, daß es
    nicht gelungen ist, die von Milosevic systematisch orga-
    nisierte Deportation einer ganzen Bevölkerungsgruppe
    zu stoppen. Annähernd 1 Million Menschen sind auf der
    Flucht; sie werden aus ihrer Heimat vertrieben und be-
    raubt; ihre Häuser werden zerstört und die Dörfer dem
    Erdboden gleichgemacht. Uns alle treibt die Frage um:

    Dr. Wolfgang Gerhardt






    (A) (C)



    (B) (D)


    Wie können wir das verhindern? Wie kann diese Bar-
    barei Milosevics gestoppt werden? Wie können wir die
    Voraussetzungen dafür schaffen, daß die Menschen in
    ihre Heimat zurückkehren können?

    Jeder Vorschlag muß aufgenommen, geprüft und
    dann verworfen oder auch umgesetzt werden. Ich re-
    spektiere die Motive derjenigen, die nach ernsthafter
    Abwägung vorschlagen, die NATO-Angriffe teilweise
    oder zeitweise auszusetzen, aber ich teile sie nicht. Für
    mich verkehrt sich diese Forderung nach einem einsei-
    tigen Waffenstillstand durch die zynische Logik Milo-
    sevics in ihr Gegenteil. Ein einseitiger Waffenstillstand
    durch die NATO würde nur dazu führen, daß Milosevic
    das Brandschatzen, das Morden und den von langer
    Hand vorbereiteten Plan der Vertreibung der Kosovo-
    Albaner ungestört und vor allem unsanktioniert fortset-
    zen könnte. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben
    gelernt: Dies ist nicht aus der Luft gegriffen. So hat er es
    in Bosnien gemacht, indem er Feuerpausen und Entge-
    genkommen ohne Bedingungen immer ausgenutzt hat,
    um militärische und strategische Vorteile aufzubauen.

    Krieg ist immer schrecklich. Wir müssen aber genau
    hinsehen, wer im Kosovo Krieg gegen wen führt und
    wie die Zielsetzungen dieses Krieges aussehen. Milose-
    vic führt Krieg gegen die eigene Bevölkerung. Sein Ziel
    sind die Zivilisten. Das Objekt der NATO-Einsätze ist
    das Militär, die militärische Unterdrückungsmaschinerie
    von Milosevic. Meine Damen und Herren, gerade von
    links, ich glaube, das ist der gravierende Unterschied,
    den Sie in Ihre Analysen nicht einbeziehen und auch im
    vorgelegten Entschließungsantrag nicht berücksichtigen
    bzw. so verwischen, daß Täter zu Opfern werden und
    Opfer zu Tätern.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P. – Zuruf von der PDS: Quatsch!)


    Natürlich ist jede Rakete und jede Bombe, die ihr Ziel
    verfehlt und unschuldige Zivilisten trifft, schrecklich,
    aber dies ist auf tragisches technisches oder menschli-
    ches Versagen zurückzuführen. Bei Milosevic ist es aber
    Prinzip, die Zivilbevölkerung treffen und vernichten zu
    wollen. Dieses menschenverachtende und menschen-
    rechtsverletzende Prinzip muß durchbrochen werden.
    Deshalb sehen wir in der Mehrheit so lange keine über-
    zeugende Alternative zu den militärischen NATO-
    Einsätzen, bis es zu einer politischen Lösung kommt.


    (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


    Es gibt auch Stimmen, die sagen, NATO-Einsätze
    hätten das Leid der Kosovaren verschlimmert.


    (Wolfgang Gehrcke [PDS]: Sehr richtig!)

    Einige wenige sprechen sogar davon, sie hätten es her-
    vorgerufen.


    (Dr. Gregor Gysi [PDS]: Das ist nicht wahr!)

    Ich kann nur davor warnen, Ursache und Wirkung zu
    verwechseln. Es ist nicht die NATO, vor der die Men-
    schen fliehen. Es ist die Soldateska von Milosevic.


    (Dr. Peter Struck [SPD]: Richtig!)


    Nicht die NATO hat den Krieg begonnen, sondern die
    NATO will diesen Krieg zu Ende bringen.

    Ich bin, meine Damen und Herren, jedesmal beein-
    druckt, wenn ich abends Stimmen aus den Flüchtlings-
    kreisen höre, die, in ihrem tiefsten Elend befragt, uniso-
    no sagen: Wir sind dankbar, daß die NATO bombar-
    diert. Wir begrüßen die NATO.


    (Zurufe von der PDS)

    Dies müssen Sie bei Ihrer Abwägung mindestens genau-
    so mit einbeziehen


    (Zuruf von der PDS: Zynisch ist das!)

    wie die Frage, welche Schäden in Serbien und in Bel-
    grad entstehen.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Widerspruch bei der PDS)


    Es kann kein Zweifel daran bestehen, daß die Verbre-
    chen von Milosevic gegen die Menschlichkeit von lan-
    ger Hand geplant waren. Wir wissen, daß im Oktober
    letzten Jahres bereits 300 000 Menschen vertrieben wor-
    den waren – diese Situation hat dann zum Grundlagen-
    beschluß des Deutschen Bundestages geführt –, in den
    Wäldern des Kosovo auf der Flucht waren und dort aus-
    geharrt haben. Noch während sich die Völkergemein-
    schaft im Februar dieses Jahres intensiv um eine diplo-
    matische Lösung bemühte, hat Milosevic gezielt militä-
    rische Streitkräfte in großem Umfang in den Kosovo
    verlegt.

    Milosevic ist jemand, auf den man sich nicht verlas-
    sen kann. Das hat die Geschichte gezeigt. Das Abkom-
    men zwischen Milosevic und Jelzin ist sofort gebrochen
    worden. Das Friedensabkommen zwischen Holbrooke
    und Milosevic ist auch sofort gebrochen worden.


    (Dr. Gregor Gysi [PDS]: Das stimmt nicht!)

    Daran kann man erkennen, daß Milosevic auch die Zei-
    ten, in denen man sich um eine friedliche und politische
    Lösung bemüht hat, nur genutzt hat, um seine ethnische
    Kriegsführung vorzubereiten und durchzuführen. Des-
    halb können für eine Beendigung der NATO-Einsätze
    von Milosevic nicht mehr Worte, sondern nur noch Ta-
    ten zählen. Diese Taten bestehen in der sofortigen Ein-
    stellung der kriegerischen Handlungen und im soforti-
    gen Rückzug aller militärischen Kräfte aus dem Kosovo.


    (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)


    Der jetzt von der Bundesregierung vorgelegte Frie-
    densplan bietet noch einmal die Chance zu einer friedli-
    chen Lösung. Dabei ist es im Interesse der Kosovo-
    Albaner unverzichtbar, daß Milosevic mit dem Abzug
    der militärischen Kräfte verifizierbar beginnen muß, be-
    vor eine befristete Unterbrechung der NATO-Angriffe
    erfolgen kann.

    Diese Initiative zeigt auch, daß von seiten der Bun-
    desregierung nichts, aber auch gar nichts unversucht
    gelassen wurde und wird, um im Vorfeld, aber auch
    während der militärischen Auseinandersetzung eine

    Rezzo Schlauch






    (B)



    (A) (C)



    (D)


    politische Lösung zu erreichen. Aber eine politische Lö-
    sung setzt den glaubhaften Willen zur Politik auf seiten
    Milosevics voraus. Solange dieser Wille nicht zu erken-
    nen ist, sieht die überwiegende Mehrheit meiner Frakti-
    on keine andere Möglichkeit, als Milosevic mit militäri-
    schen Mitteln die Fähigkeit zur ethnischen Kriegsfüh-
    rung zu nehmen.

    Ich glaube, daß es an dieser Stelle notwendig ist – das
    haben auch alle meine Vorredner getan –, den Mitarbei-
    terinnen und Mitarbeitern der deutschen Hilfsorganisa-
    tionen, die in den Regionen, in die die Menschen flie-
    hen, einen unermüdlichen Einsatz leisten, und auch den
    Soldaten in Mazedonien, die ja humanitäre Hilfe leisten
    und damit das Leid der gepeinigten Menschen lindern,
    herzlich zu danken.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)


    Wir müssen alles tun, um die Länder zu unterstützen,
    in denen die Menschen Zuflucht suchen. Milosevics
    teuflischer Plan, durch Vertreibung auch die Nachbar-
    länder zu destabilisieren, darf nicht aufgehen. Um das zu
    verhindern, werden auch finanzielle Hilfen nicht ausrei-
    chen. Die Europäische Union ist aus unserer Sicht noch
    zu viel größeren Anstrengungen aufgefordert. Sie ist
    aufgefordert, einen geringen Teil – er ist winzig im Ver-
    gleich zum gesamten Flüchtlingselend – der Flüchtlinge
    vorübergehend aufzunehmen, bis sie wieder in ihre
    Heimat zurückkehren können. Die Zusage unseres Lan-
    des, 10 000 Menschen aufzunehmen, ist ein erster
    Schritt. Ich glaube, er wird nicht ausreichen.

    Auch und gerade in unserem Land gibt es eine große
    Welle der Hilfsbereitschaft. Menschen spenden Millio-
    nenbeträge. Viele sind bereit, Flüchtlinge bei sich auf-
    zunehmen. Das zeigt, daß Deutschland mit seiner Zusa-
    ge, 10 000 Flüchtlinge aufzunehmen, noch nicht am En-
    de seiner Hilfsbereitschaft angelangt ist. Wir dürfen und
    wir sollten die Hilfsbereitschaft der Menschen nicht ins
    Leere laufen lassen.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie des Abg. HansMichael Goldmann [F.D.P.])


    Meine Damen und Herren, insbesondere auch von der
    PDS, im Kosovo kämpft eine Staatengemeinschaft nicht
    aus egoistischen oder chauvinistischen Motiven, sondern
    für die Menschenrechte und die Interessen einer unter-
    drückten Bevölkerungsgruppe. Die Staatengemeinschaft
    entscheidet nicht aus deutschem, aus amerikanischem
    oder aus NATO-Interesse; sie entscheidet einzig und al-
    lein im Interesse der Menschen im Kosovo, der Kosovo-
    Albaner und des seit Jahren unterdrückten Volkes.

    Im Kosovo erleben wir auf unserem Kontinent nach
    Bosnien zum zweitenmal, was wir eigentlich längst für
    Geschichte gehalten haben, nämlich das Aufbrechen von
    Konflikten auf Grund eines hemmungslosen Nationa-
    lismus. Europa, ein integriertes Europa, das ist zugleich
    die – wenn auch langfristige – Antwort auf die Frage,
    wie der Balkan dauerhaft zur Ruhe kommen kann. Um
    Frieden dauerhaft zu schaffen, wird es darauf ankom-
    men, den Ländern in enger Abstimmung mit Rußland

    eine Perspektive zu geben. Wir wissen, daß nur eine
    politische Lösung eine dauerhafte Lösung sein kann,
    und müssen doch feststellen, daß Milosevic alle politi-
    schen Initiativen bisher nur dazu genutzt hat, seine
    Kriegsführung zu perfektionieren.

    Wir haben die Forderung „Nie wieder Krieg“ immer
    vertreten und damit natürlich auch gemeint: Nie wieder
    Völkermord. Milosevic zerreißt mit seinem verbrecheri-
    schen Handeln die Identität dieser beiden Forderungen.
    Wir müssen erkennen, daß sich die Durchsetzung der
    Forderung „Nie wieder Völkermord“ in diesem Fall lei-
    der nur mit militärischen Mitteln erreichen läßt.


    (Zuruf von der PDS: Mit Krieg!)

    Meine Damen und Herren Kollegen von der PDS,

    wenn ich lese, daß Ihr Vorsitzender eine Pressekonfe-
    renz unter dem Titel „Zur aktuellen Lage im Kosovo
    und die Mitgliederentwicklung der PDS“ abhält, dann
    muß ich sagen: Durch diesen Titel werden Ihre Meinung
    und Ihre Haltung zu diesem Konflikt klarer als durch
    viele Reden.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P. – Widerspruch bei der PDS)


    Der von Außenminister Fischer vorgelegte Plan weist
    einen Weg zum Frieden. Solange Milosevic keinen
    ernsthaften Willen zum Frieden zeigt, bleibt keine ande-
    re Wahl, als diesem brutalen Diktator militärisch die
    Möglichkeit zur Fortsetzung seiner ethnischen Kriegs-
    führung zu nehmen.

    Ich bin gerne bereit, meine Meinung zu revidieren,
    wenn mir jemand eine überzeugende Alternative nennen
    kann. Die Mehrheit unserer Fraktion sieht sie zum jetzi-
    gen Zeitpunkt nicht.

    Danke schön.

    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)




Rede von Dr. h.c. Wolfgang Thierse
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Das Wort hat nun
der Fraktionsvorsitzende der PDS, Gregor Gysi.


  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von: Unbekanntinfo_outline


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (PDS)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: ()

    Herr Präsident! Meine Da-
    men und Herren! Herr Bundeskanzler, Sie haben ange-
    merkt, wir als PDS müßten aufpassen, nicht von der
    fünften Kolonne Moskaus zur fünften Kolonne Belgrads
    zu werden.


    (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der F.D.P. – Zurufe von der SPD und der CDU/CSU: Wohl wahr! – Richtig! – Wo er recht hat, hat er recht!)


    Ich erinnere mich noch gut an eine Zeit, als die
    CDU/CSU der SPD vorwarf, die fünfte Kolonne Mos-
    kaus zu sein. Das war im Rahmen der damaligen Ent-
    spannungspolitik.


    (Dr. Wolfgang Gerhardt [F.D.P.]: So ändern sich die Zeiten!)


    Ich frage mich, was ein solcher Vorwurf eigentlich soll.

    Rezzo Schlauch






    (A) (C)



    (B) (D)


    Wenn ich mich heute auf eine Reise begeben, nach
    Tirana fahren, dort mit politischen Vertretern sprechen,
    Flüchtlingslager besuchen und mit Flüchtlingen spre-
    chen würde: Wäre die PDS dann die fünfte Kolonne Al-
    baniens? Was soll das?

    Sie wissen, daß es in Italien eine Regierungspartei –
    wir sind eine Oppositionspartei – gibt, deren Regierung
    den Krieg der NATO gegen Jugoslawien mit beschlos-
    sen hat. Italien nimmt also teil. Der Vorsitzende dieser
    zur Regierung gehörenden kommunistischen Partei heißt
    Cossuta. Er hat das kritisiert, ist dennoch in der Regie-
    rung und ist unmittelbar nach Beginn des Bombarde-
    ments nach Jugoslawien gefahren und hat dort mit vie-
    len gesprochen, auch mit Milosevic. Trotz dieser großen
    Differenzen innerhalb der Regierung käme dort niemand
    auf die Idee, ihn deshalb zur fünften Kolonne zu erklä-
    ren oder sein Verhalten auch nur schädlich zu finden. Im
    Gegenteil, es wurde begrüßt, und man hat über die Er-
    gebnisse diskutiert. Warum können wir nicht wenigstens
    soviel Kraft aufbringen?


    (Beifall bei der PDS – Zurufe von der CDU/CSU und der F.D.P.)


    – Sie haben im Laufe Ihrer Geschichte doch mit so vie-
    len Diktatoren und übrigens auch mit so vielen Men-
    schenschlächtern gesprochen!


    (Beifall bei der PDS)

    Wer hat denn zum Beispiel ständig Botha empfangen,
    als er noch in Südafrika metzelte? Ich verurteile das
    nicht einmal, weil ich sage: Nur über Gespräche, nur
    über Politik und Diplomatie kommt man letztlich zu
    Veränderungen, kann man Haltung und Verhalten in
    einer Gesellschaft ändern.


    (Beifall bei der PDS)

    Ich finde diesen Vorwurf auch deshalb völlig falsch,

    weil das Bemühen um Frieden, auch wenn es mit ande-
    ren Ansätzen erfolgt, doch nicht diskreditiert und dis-
    kriminiert werden kann, wie es hier der Fall ist.


    (Zurufe von der SPD: Scheinheilig! – Gucken Sie sich mal Ihre Zeitung an!)


    – Das mache ich gerne.

    (Zuruf von der SPD: Wer hat denn diese Zeitung geschrieben? – Ernst Schwanhold [SPD]: „Kriegsminister Scharping“! Die PDS im Bundestag!)


    In einer solchen Zeit kann es nicht nach dem Motto
    gehen, man kenne keine Parteien mehr, nur noch Deut-
    sche. Jedem, der sich gegen diesen Krieg stellt, wird
    dann vorgeworfen, sich gegen nationale Interessen zu
    wenden. Sie, Herr Schlauch, haben gerade gesagt, es ge-
    he gar nicht um nationale Interessen, sondern um die
    Menschenrechte, um die Rechte der Kosovo-Albaner.
    Dann frage ich Sie: Wie kann der Seeheimer Kreis er-
    klären, daß ich allein mit einem Besuch nationale Inter-
    essen verrate? Das ist doch absurd, wenn wir dort gar
    keine nationalen Interessen verfolgen.


    (Beifall bei der PDS)


    Es geht doch nur darum, den Weg für einen Frie-
    densprozeß zu öffnen. Der Krieg hat eben bisher nicht
    zum Frieden geführt. Es ist ein Paradoxon, davon aus-
    zugehen, daß Krieg zum Frieden oder zur Verwirkli-
    chung von Menschenrechten führt. Das hat es in der
    Geschichte noch nie gegeben,


    (Gernot Erler [SPD]: Im zweiten Weltkrieg auch nicht?)


    und das wird es auch in diesem Krieg nicht geben.
    Zum Beispiel hat der Bundeskanzler Milosevic davor

    gewarnt, die Situation in Montenegro zu destabilisieren.
    Aber ich darf darauf hinweisen: Im Augenblick ist für
    Montenegro weniger Milosevic das Problem als die
    Bomben, die ja auch auf Montenegro geworfen werden
    und natürlich zu einer Stimmungsveränderung in Mon-
    tenegro führen. Wie kann man gleichzeitig Montenegro
    bombardieren und hier seine Solidarität mit Montenegro
    zum Ausdruck bringen?


    (Beifall bei der PDS)

    Zum Beispiel gab es insofern ein interessantes Er-

    gebnis, als Milosevic gesagt hat, er sei bereit, im Beisein
    des UN-Generalsekretärs mit Rugova über die Situation
    im Kosovo zu verhandeln. Wenn das passieren würde,
    wüßten wir wenigstens, was an den Erklärungen von
    Rugova wahr ist und was nicht wahr ist. Denn in Anwe-
    senheit des UN-Generalsekretärs sieht die Situation na-
    türlich ganz anders aus.


    (Bundesminister Joseph Fischer: Er soll ihn doch ausreisen lassen!)


    – Ja, natürlich, an einem anderen Ort. Das können Sie
    doch gerne machen.


    (Dr. Wolfgang Gerhardt [F.D.P.]: Warum macht er es denn nicht?)


    Herr Bundesaußenminister, Sie haben uns in der
    Zeitung Zweckpazifismus vorgeworfen. Pazifismus ver-
    folgt selbstverständlich einen Zweck. Aber ich bin gar
    kein Pazifist.


    (Unruhe bei der SPD)

    Das habe ich nie behauptet. Aber nur weil eine Partei
    gegen diesen Krieg ist, darf man sie nicht diskreditieren.
    Ich glaube, Ihnen und auch Herrn Schlauch und Herrn
    Struck geht es weniger um die PDS. Vielmehr versuchen
    Sie, auf dem Rücken der PDS die Probleme, die Sie da-
    mit in Ihren eigenen Parteien haben, auszutragen. Das
    können wir nicht hinnehmen.


    (Beifall bei der PDS – Widerspruch bei Abgeordneten der SPD)


    Sie haben übrigens auch gesagt, daß wir gemeinsam
    mit serbischen Nationalisten zu Kundgebungen und
    Demonstrationen aufrufen. Das hat es in keinem einzi-
    gen Fall gegeben. Aber wenn wir zu einer Kundgebung
    aufrufen, Herr Bundesaußenminister, dann kommen na-
    türlich alle, die kommen wollen. Wir werden nicht Ord-
    nungskräfte aufstellen und nach Gesinnung, Staatsbür-
    gerschaft und Nationalität prüfen, wer an der Kundge-
    bung teilnimmt. Das wollen Sie nicht, und das wollen
    wir nicht, und das werden wir auch nicht tun.

    Dr. Gregor Gysi






    (B)



    (A) (C)



    (D)


    Ich muß etwas zum Völkerrecht sagen. Der Frakti-
    onsvorsitzende der CDU/CSU hat es letztlich als formal
    bezeichnet. Ich glaube, das ist gefährlich. Wenn man das
    Recht immer, wenn man es nicht auf seiner Seite hat, als
    formal abtut, aber es als schwergewichtig behandelt,
    wenn man in Übereinstimmung mit Recht handelt, dann
    verliert Recht seinen Zweck. Das gilt auch für das Völ-
    kerrecht. Es ist doch nicht so, daß die Charta der Ver-
    einten Nationen keine Ausnahmen von Gewaltverbot
    kennen würde. Nur: Die beiden Ausnahmen, wonach
    militärische Gewalt erlaubt ist, liegen nicht vor. Die eine
    Ausnahme ist durch Art. 51 in Kapitel VII der Charta
    der Vereinten Nationen gegeben, der besagt, daß man
    sich im Falle eines Angriffs, auch im Falle eines An-
    griffs auf einen Bündnispartner, verteidigen kann. Nur:
    Die Bundesrepublik Jugoslawien hat keinen NATO-
    Staat angegriffen.


    (Gernot Erler [SPD]: Sie hat die eigene Bevölkerung angegriffen! Das ist der Punkt!)


    Die NATO hat vielmehr die Bundesrepublik Jugoslawi-
    en angegriffen. Deshalb ist es kein Verteidigungs-, son-
    dern ein Angriffskrieg, der nach Art. 26 des Grundge-
    setzes verboten ist.

    Es gibt eine zweite Ausnahme, die durch Art. 39
    ebenfalls in Kapitel VII der Charta der Vereinten Natio-
    nen gegeben ist. Dort wird gesagt: Wenn der Frieden ge-
    fährdet ist oder wenn er sogar gebrochen ist, dann kann
    der Weltsicherheitsrat notfalls militärische Maßnah-
    men zur Beseitigung der Gefahr oder zur Wiederher-
    stellung des Friedens anordnen. Dieses Gewaltmonopol
    des Weltsicherheitsrates ist ganz bewußt geschaffen
    worden. Dieses Monopol hat die NATO aber eindeutig
    verletzt, indem sie gesagt hat: Wir pfeifen auf den Welt-
    sicherheitsrat; wir sind der Ordnungshüter in Europa und
    entscheiden, wann militärische Gewalt angewendet wird
    und wann nicht. – Diese Haltung soll ja sogar in die
    Strategie der NATO Ende April formal aufgenommen
    werden.

    Ich habe auch darauf hingewiesen, daß der NATO-
    Vertrag selbst verletzt worden ist, weil er nämlich an
    die UN-Charta gebunden ist. In diesem Zusammenhang
    wird immer gesagt, es gebe so etwas wie einen außerge-
    setzlichen Notstand, es gebe eine Nothilfesituation. Die
    Nothilfefälle sind in der Charta geregelt. Wenn sie nicht
    vorliegen, dann stützt das Völkerrecht das militärische
    Eingreifen und damit den Krieg eben nicht.

    Ich will noch auf einen anderen Punkt hinweisen.
    Selbst wenn es außerhalb der Charta der Vereinten Na-
    tionen eine solche Möglichkeit gäbe, dann, Herr Kinkel
    – das wissen Sie als ehemaliger Außenminister –, muß
    man sagen, daß Deutschland bewußt auf eine solche
    Möglichkeit verzichtet hat. Denn in Art. 2 des Zwei-
    plus-Vier-Vertrages, der die äußeren Bedingungen der
    Einheit regelt, heißt es am Ende:

    Die Regierungen der Bundesrepublik Deutschland
    und der Deutschen Demokratischen Republik erklä-
    ren, daß das vereinte Deutschland keine seiner
    Waffen jemals einsetzen wird, es sei denn in Über-
    einstimmung mit seiner Verfassung und der Charta
    der Vereinten Nationen.

    Andere Nothilfefälle und andere Situationen, die einen
    Einsatz gerechtfertigt erscheinen lassen könnten, sind
    dort nicht erwähnt.

    Es ist also eine klare Beschränkung, die durch das
    Grundgesetz und durch die Charta der Vereinten Natio-
    nen gegeben ist. Diese Bestimmungen haben Sie ver-
    letzt. Es ist nämlich ganz eindeutig, daß der Art. 2 des
    Zwei-plus-Vier-Vertrages verletzt ist. Wer aber die äu-
    ßeren Vertragsbedingungen, also die völkerrechtlich
    eingegangenen Verpflichtungen im Zusammenhang mit
    der Einheit Deutschlands, verletzt, der stellt natürlich
    alle äußeren Bedingungen dieser Einheit und damit den
    ganzen Vertrag in Frage. Das halte ich für einen höchst
    gefährlichen Prozeß.


    (Beifall bei der PDS)

    Ich habe schon über Glaubwürdigkeit gesprochen, die

    sich aus der Geschichte und auch aus der Gegenwart er-
    gibt. Im Zusammenhang mit dem Nachdenken über Bo-
    dentruppen höre ich, daß jetzt auf Grund ihrer Erfah-
    rungen im Umgang mit serbischen Soldaten in der Ge-
    schichte insbesondere an die Türkei gedacht wird.
    Wenn es nicht so tragisch wäre, müßte man sagen: Es
    wäre doch ein Aberwitz der Geschichte, daß am Ende
    dieses Jahrhunderts türkische Truppen in Jugoslawien
    für die Wiederherstellung von Menschenrechten einer
    nationalen Minderheit eintreten, die selbst eine Minder-
    heit im eigenen Land, nämlich die Kurden in der Türkei,
    seit Jahren jagen und töten und die Dörfer brandschat-
    zen, ohne daß jemals die NATO ernsthaft aktiv gewor-
    den wäre.


    (Beifall bei der PDS)

    In dieser Zeit des Krieges ist es ganz besonders

    schwer, zwischen Wahrheit, Gerücht und Unwahrheit zu
    unterscheiden. Das gilt eben nicht nur für eine Seite. Ich
    nenne Ihnen Beispiele: Es wurde gesagt, im Stadion von
    Pristina sei ein Konzentrationslager eingerichtet. Dann
    wird ein Bild veröffentlicht, das zeigt, daß das Stadion
    leer ist. Gestern hören wir, daß ein Flüchtlingstreck ver-
    sehentlich durch die NATO beschossen worden sei.
    Dann wird gesagt, es seien die Serben gewesen. Jetzt
    heißt es wieder, es sei doch die NATO gewesen. Man ist
    völlig verunsichert in dem, was man eigentlich glauben
    soll. Man hat keine Beweise. Es wird gesagt, daß es Bil-
    der gibt, die aber nicht gezeigt werden. Warum werden
    diese Bilder nicht gezeigt, wenn sie doch die Notwen-
    digkeit des eigenen Handelns unterstreichen könnten?
    Diese Tatsache spricht dafür, daß es sie nicht gibt. Die
    Situation ist ungeheuer kompliziert geworden.

    Es wird ein Hufeisen-Plan vorgelegt. Darf ich Ihnen
    sagen, was an diesem Plan merkwürdig ist? Der Gene-
    ralinspekteur der Bundeswehr hat die Originalüber-
    schrift dieses Planes vorgelesen. Diese Überschrift war
    in Kroatisch und nicht in Serbisch verfaßt. Kann man
    sich ernsthaft vorstellen, daß das serbische Militär in
    kroatischer Sprache einen solchen Plan verfaßt? Da sind
    doch Zweifel geboten. Man weiß einfach nicht mehr,
    was man glauben und was man nicht glauben soll.

    Auch ich gehe davon aus, daß Schreckliches im Ko-
    sovo passiert, auch wenn es eindeutige Belege und Be-

    Dr. Gregor Gysi






    (A) (C)



    (B) (D)


    weise nicht gibt. Eine Frage konnte mir in diesem Zu-
    sammenhang noch keiner beantworten: Warum berich-
    ten wir nicht auch über die Toten und Verletzten in
    Serbien? Warum kommen diese in Ihren Reden nicht
    vor? Von Rezzo Schlauch sind sie wenigstens einmal
    angesprochen worden, aber weder vom Bundeskanzler
    noch von Herrn Schäuble, auch nicht von Ihnen, Herr
    Fischer.

    Wir haben in Serbien bisher 3 000 Verletzte und 300
    Tote. Das sind überwiegend Zivilisten und bei Militär-
    angehörigen meistens Wehrpflichtige. Die haben gar
    keine andere Wahl. Ihnen droht nämlich schärfste Strafe,
    wenn sie nicht zum Militär gehen.


    (Zuruf von der SPD: Das hätten Sie Milosevic sagen müssen und nicht uns!)


    Warum kann man nicht auch darüber sprechen? Warum
    kann man sie nicht genauso erwähnen wie andere Ver-
    letzte und Tote? Das müßte doch in einer Demokratie
    eine Selbstverständlichkeit sein!


    (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


    Auch andere Widersprüche sind mir aufgefallen: Auf
    militärischem Gebiet ist genügend Geld vorhanden. Da
    klappt alles; da klappt die Organisation. Aber wenn es
    um humanitäre Hilfe geht, dann herrscht erst einmal
    ein großes Durcheinander. Dann berät man lange über
    Quoten. Dann bleiben Hilfsgüter erst einmal aus. Dann
    wird die Bevölkerung zu Spenden aufgerufen. – Ich be-
    grüße die große Bereitschaft, zu spenden, genauso sehr
    wie Sie. Ich finde es toll, wieviel gespendet wird, um
    leidenden Menschen zu helfen. – Hier wird deutlich: Für
    humanitäre Hilfe reichen die Mittel der Regierung nicht;
    da muß die Bevölkerung zahlen. Für das Militär reicht
    das Geld immer. Auf dem Gebiet der humanitären Hilfe
    hätte die Regierung wesentlich mehr leisten können.


    (Beifall bei der PDS – Widerspruch bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


    Hinsichtlich des Hufeisen-Planes stelle ich weiterhin
    fest: Herr Bundesaußenminister, wenn er echt ist und
    wenn er tatsächlich seit langer Zeit vorliegt, warum ha-
    ben Sie dies dann nicht vorher gesagt? Wenn es so ist,
    daß Milosevic wirklich geplant hat, die Bombenangriffe
    für Vertreibungen zu nutzen, dann hieße das ja – das wä-
    re ja noch absurder –, daß der NATO-Angriff in den
    Plan von Milosevic paßt. In diesem Falle hätten wir es
    mit einer fast absurden Konstruktion zu tun. Daher frage
    ich: Warum war man dann nicht auf diese Vertreibungen
    vorbereitet, und warum hat es so lange gedauert, bis man
    Mazedonien und Albanien diesbezüglich Hilfe zuteil
    werden lassen konnte?

    Sie sagen immer, alles sei ausgeschöpft worden, Sie
    hätten alles mit Ihrem Gewissen in Einklang bringen
    können. Sie sagen, es habe keine weiteren Möglichkei-
    ten gegeben, es habe bombardiert werden müssen. Darf
    ich Sie fragen: Wieso können Sie jetzt plötzlich eine
    UN-Hoheit auch für Truppen fordern, wieso war das
    in Rambouillet nicht möglich? Wie konnten Sie also
    sagen, Sie hätten alles ausgeschöpft?


    (Beifall bei der PDS)


    Für Milosevic wäre es doch viel schwerer gewesen, nein
    zur UNO als nein zur NATO zu sagen. Das heißt, Sie
    haben nicht alles ausgeschöpft. Angesichts des militäri-
    schen Teils des Rambouillet-Abkommens, in dem steht,
    daß die NATO die gesamte Hoheit über Jugoslawien er-
    hält, und zwar zu Lande, zu Luft und im Wasser, kann
    man doch nicht von Ausschöpfen sprechen. Auch eine
    demokratisch gesinntere Führung in Jugoslawien hätte
    so etwas niemals unterschreiben können. Deshalb sage
    ich Ihnen: Die Möglichkeiten in Rambouillet sind eben
    nicht ausgeschöpft worden.


    (Zuruf von der SPD: Das ist doch Unsinn!)

    Eine wirklich schwierige Situation entstand mit der

    Pause in Rambouillet, weil Milosevic schon wußte, daß
    er dieses Abkommen nicht unterschreiben wird, weil er
    auch wußte, daß er bombardiert wird. Daher galt für ihn
    das Abkommen mit Holbrooke nicht mehr, und dann ist
    er – auch aus militärischen Gründen – wieder in das Ko-
    sovo vorgestoßen.


    (Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das Abkommen ist doch schon vorher gewesen! Das war doch schon vor Rambouillet! – Weitere Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und von der SPD)


    – Ich habe ja gerade gesagt: Das war in der Pause von
    Rambouillet. Aber er hat ja das Abkommen mit Hol-
    brooke zunächst eingehalten. Auch Sie haben bestätigt,
    daß er sich zunächst zurückgezogen hat. Deshalb müs-
    sen wir zu Verhandlungen zurück und hin zu Ergebnis-
    sen.

    Wenn solche Vorschläge jetzt möglich sind – mehr
    habe ich nicht festgestellt –, heißt das, daß sie auch da-
    mals schon möglich gewesen wären, daß die Möglich-
    keiten damals eben nicht ausgeschöpft worden sind.


    (Beifall bei der PDS)

    Ich warne auch vor der Verwendung falscher Be-

    griffe. Die Verwendung der Begriffe „Auschwitz“ und
    „Hitler“ ist falsch. Das alles sollte man nicht tun. Man
    bagatellisiert damit deutsche Geschichte, nur um einen
    eigenen Rechtfertigungsgrund zu haben. Vertreibungen
    sind doch schlimm genug. Auch Morden und Töten sind
    schlimm genug. Warum muß man denn noch andere
    Vokabeln benutzen, nur um zu beweisen: Deutsche Ver-
    brechen sind nicht einmalig? Sie kommen auch bei an-
    deren vor. – Das ist falsch. Das ist unangemessen.


    (Beifall bei der PDS)

    Juden, Sinti, Roma und andere sind eben nicht vertrie-
    ben worden, sondern nach Auschwitz gebracht worden.
    So schlimm Vertreibung ist: Ich glaube, wenn sie in ein
    anderes Land vertrieben worden wären, wäre das heute
    nicht mehr so ein Thema, wie es ein Thema ist, weil sie
    in die Gaskammer geführt worden sind. Deshalb sage
    ich: Vergleiche mit den von mir genannten Begriffen
    sind unzulässig und führen uns überhaupt nicht weiter.
    Sie wissen, daß man mit Übertreibungen politische Lö-
    sungen nur erschwert und nicht herbeiführt.


    (V o r s i t z : Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms)


    Dr. Gregor Gysi






    (B)



    (A) (C)



    (D)


    Vertreibungen – das wissen Sie ganz genau – haben
    auch die Siegermächte in bezug auf Hitler beschlossen,
    und zwar die USA, Frankreich, Großbritannien und die
    Sowjetunion in bezug auf die Deutschen in den Ostge-
    bieten. Das war schlimm genug. Deshalb waren Vertrei-
    bungen bei den Faschisten keine einmalige Sache. Auch
    die Siegermächte haben damals leider – Sie wissen,
    wieviel Leid das bedeutet hat – Vertreibungen beschlos-
    sen.