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ID1403202800

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 14/32 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 32. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 15. April 1999 I n h a l t : Eintritt der Abgeordneten Gudrun Roos in den Deutschen Bundestag................................ 2619 A Nachträgliche Glückwünsche zum Geburts- tag der Abgeordneten Carl-Dieter Spran- ger, Dr. Martin Pfaff, Hans-Eberhard Ur- baniak ............................................................. 2619 B Tagesordnungspunkt 1: Eidesleistung des Bundesministers der Finanzen .................................................... 2619 B Präsident Wolfgang Thierse............................. 2619 C Hans Eichel, Bundesminister BMF............ 2619 D Dank an den ausgeschiedenen Bundesminister der Finanzen, Oskar Lafontaine .................... 2619 D Tagesordnungspunkt 2: Abgabe einer Regierungserklärung des Bundeskanzlers Aktuelle Lage im Kosovo ......................... 2620 A Gerhard Schröder, Bundeskanzler ................... 2620 A Dr. Wolfgang Schäuble CDU/CSU ................. 2623 D Dr. Peter Struck SPD ....................................... 2627 B Dr. Wolfgang Gerhardt F.D.P.......................... 2629 C Rezzo Schlauch BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 2632 C Dr. Gregor Gysi PDS....................................... 2634 D Joseph Fischer, Bundesminister AA.......2638 B, 2641 D Dr. Gregor Gysi PDS................................... 2641 B Dr. Edmund Stoiber, Ministerpräsident (Bay- ern)................................................................... 2642 B Rudolf Scharping, Bundesminister BMVg...... 2645 C Heidi Lippmann PDS................................... 2648 C Karl Lamers CDU/CSU................................... 2649 A Gernot Erler SPD............................................. 2650 D Annelie Buntenbach BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ........................................................ 2653 A Christian Schmidt (Fürth) CDU/CSU.............. 2654 A Dr. Eberhard Brecht SPD ................................ 2654 D Otto Schily, Bundesminister BMI ..........2656 B, 2658 D Hans-Peter Repnik CDU/CSU..................... 2658 B Nächste Sitzung ............................................... 2659 C Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten ........... 2661 A Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 32. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. April 1999 2619 (A) (C) (B) (D) 32. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 15. April 1999 Beginn: 9.00 Uhr
  • folderAnlagen
    Bundesminister Otto Schily Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 32. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. April 1999 2661 (A) (C) (B) (D) Anlage zum Stenographischen Bericht Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt biseinschließlich Beck (Köln), Volker BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 15.4.99 Behrendt, Wolfgang SPD 15.4.99 * Belle, Meinrad CDU/CSU 15.4.99 Bindig, Rudolf SPD 15.4.99 * Dr. Blüm, Norbert CDU/CSU 15.4.99 Bühler (Bruchsal), Klaus CDU/CSU 15.4.99 * Dzembritzki, Detlef SPD 15.4.99 Eichhorn, Maria CDU/CSU 15.4.99 Eppelmann, Rainer CDU/CSU 15.4.99 Eymer (Lübeck), Anke CDU/CSU 15.4.99 Frankenhauser, Herbert CDU/CSU 15.4.99 Haack (Extertal), Karl-Hermann SPD 15.4.99 Hasenfratz, Klaus SPD 15.4.99 Dr. Haussmann, Helmut F.D.P. 15.4.99 Hornung, Siegfried CDU/CSU 15.4.99 * Hübner, Carsten PDS 15.4.99 Ibrügger, Lothar SPD 15.4.99 Imhof, Barbara SPD 15.4.99 Irber, Brunhilde SPD 15.4.99 Jaffke, Susanne CDU/CSU 15.4.99 Jelpke, Ulla PDS 15.4.99 Dr. Jens, Uwe SPD 15.4.99 Dr.-Ing. Jork, Rainer CDU/CSU 15.4.99 von Klaeden, Eckart CDU/CSU 15.4.99 Kolbow, Walter SPD 15.4.99 Lehn, Waltraud SPD 15.4.99 Maaß (Wilhelmshaven), Erich CDU/CSU 15.4.99 Manzewski, Dirk SPD 15.4.99 Möllemann, Jürgen W. F.D.P. 15.4.99 Abgeordnete(r) entschuldigt biseinschließlich Müller (Berlin), Manfred PDS 15.4.99 Müller (Kirchheim), Elmar CDU/CSU 15.4.99 Neumann (Bramsche), Volker SPD 15.4.99 Nolte, Claudia CDU/CSU 15.4.99 Ostrowski, Christine PDS 15.4.99 Raidel, Hans CDU/CSU 15.4.99 Dr. Ruck, Christian CDU/CSU 15.4.99 Dr. Schäfer, Hansjörg SPD 15.4.99 Schenk, Christina PDS 15.4.99 Scherhag, Karl-Heinz CDU/CSU 15.4.99 Schloten, Dieter SPD 15.4.99 ** Schmidbauer, Bernd CDU/CSU 15.4.99 von Schmude, Michael CDU/CSU 15.4.99 Schnieber-Jastram, Birgit CDU/CSU 15.4.99 Schuhmann (Delitzsch), Richard SPD 15.4.99 Dr. Schwarz-Schilling, Christian CDU/CSU 15.4.99 Seiters, Rudolf CDU/CSU 15.4.99 Singhammer, Johannes CDU/CSU 15.4.99 Steen, Antje-Marie SPD 15.4.99 Steiger, Wolfgang CDU/CSU 15.4.99 Thiele, Carl-Ludwig F.D.P. 15.4.99 Vaatz, Arnold CDU/CSU 15.4.99 Wiefelspütz, Dieter SPD 15.4.99 Willner, Gert CDU/CSU 15.4.99 Wimmer (Neuss), Willy CDU/CSU 15.4.99 Wissmann, Matthias CDU/CSU 15.4.99 Wolf, Aribert CDU/CSU 15.4.99 Würzbach, Peter Kurt CDU/CSU 15.4.99 Zapf, Uta SPD 15.4.99 ——————* für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versamm-lung des Europarates** für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union 2662 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 32. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. April 1999 (A) (C) (B) (D) Druck: Bonner Universitäts-Buchdruckerei, 53113 Bonn 53003 Bonn, Telefon: 02 28/3 82 08 40, Telefax: 02 28/3 82 08 44 20
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Hermann Otto Solms


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Als
    nächster Redner hat das Wort der Bundesminister der
    Verteidigung, Rudolf Scharping.

    Rudolf Scharping, Bundesminister der Verteidi-
    gung: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist
    gut zu wissen, daß wir in vielen Punkten übereinstim-
    men. Das betrifft die klaren Voraussetzungen dafür, un-
    ter denen die militärischen Maßnahmen der NATO sus-
    pendiert werden können, nämlich nach dem Stopp des
    Mordens, dem Rückzug der Truppen und der Rückkehr
    der Flüchtlinge, zu deren Garantie eine internationale
    militärische Präsenz und die Vereinbarung eines Ab-
    kommens auf der Grundlage der Prinzipien von Ram-
    bouillet notwendig sind.

    Wir stimmen offenbar auch darin überein, daß es um
    eine dauerhafte Stabilität in dieser europäischen Region
    geht und daß zum Erreichen dieses Ziels nicht nur Fra-
    gen der direkten äußeren Sicherheit gehören, sondern
    insbesondere auch Fragen der kulturellen, der sozialen
    und der ökonomischen Zusammenarbeit. Wir stimmen
    offenbar auch darin überein, daß es dafür einer dauer-
    haften und langfristigen Perspektive und Politik bedarf.
    Nicht zuletzt stimmen wir darin überein, daß wir insbe-
    sondere den Menschen für ihre Hilfsbereitschaft, die
    sich in der Unterstützung der deutschen Hilfsorganisa-
    tionen oder in der Unterstützung der größten humanitä-
    ren Hilfsaktion in der Geschichte der Bundeswehr aus-
    drückt, Dank, Anerkennung und Respekt schulden.

    Wenn wir in all diesen Punkten übereinstimmen,
    dann muß man sich die Frage stellen, worüber hier im
    einzelnen gestritten wird. Ich will das zunächst an Hand
    der humanitären Situation deutlich machen, und zwar
    nicht im Sinne des Streits, sondern im Sinne der Vertie-
    fung der Debatte. Bis heute sind mindestens 900 000
    Menschen aus dem Kosovo herausgejagt worden. Das
    sind mehr als 50 Prozent der Bevölkerung, die dort leb-
    te. Das ist nicht das Ergebnis eines plötzlichen Vorge-
    hens, sondern einer langfristigen Planung. Ich will dar-
    auf aufmerksam machen, daß Milosevic in der Kraina,
    in Bosnien-Herzegowina und in vielen anderen Regio-
    nen Kriege vom Zaun gebrochen hat, immer mit dem
    Ziel der ethnischen Säuberung und der Vertreibung.

    Auf die Fragen, die auch in den Medien immer wie-
    der gestellt werden, will ich antworten: Es mag sein –
    aus meiner sehr persönlichen Sicht ist es auch so –, daß
    am Anfang der 90er Jahre der eine oder andere Fehler
    gemacht worden ist. Es mag sein, daß man bei den Ver-
    handlungen über das Dayton-Abkommen Milosevic ge-
    wissermaßen noch als Stabilitätsfaktor betrachtet hat.
    Das mag alles sein. Aber selbst wenn man das als Fehler
    begreift: Wer gibt uns eigentlich das Recht und wer
    verlangt von uns, diese Fehler dauernd zu wiederholen,
    anstatt aus ihnen Konsequenzen zu ziehen?


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)


    Ich denke, niemand gibt uns das Recht, beispielswei-
    se darüber hinwegzusehen, daß eine Schutzzone der
    Vereinten Nationen – ob in Zepa, in Srebrenica oder in
    anderen Orten – mit schrecklichen Folgen für die betrof-
    fenen Menschen überrannt worden ist, daß man Soldaten
    der Vereinten Nationen angekettet und zu ohnmächtigen
    Zuschauern der massenhaften Ermordung von Menschen

    Ministerpräsident Dr. Edmund Stoiber






    (B)



    (A) (C)



    (D)


    gemacht hat. Niemand gibt uns das Recht, darüber hin-
    wegzusehen.

    Vor diesem Hintergrund – der Kollege Gysi ist jetzt
    nicht mehr da; das ist bedauerlich; vielleicht kommt er
    noch zurück – möchte ich anmerken: Wer sagt, diese
    Menschen flöhen vor der NATO, der muß die Frage be-
    antworten, warum sie ausgerechnet in die Arme der
    NATO fliehen. Warum?


    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der F.D.P.)


    Der muß auch die Frage beantworten, ob er die Situation
    eigentlich noch ernst nimmt.

    Ich nehme niemandem das Recht zu reisen. Wie kä-
    me ich dazu? Ich frage mich nur, wieviel Zynismus man
    aufbringen muß, um sich nicht selbst die Frage zu stel-
    len: Warum versucht der Mensch, der nach Belgrad
    kommt, um mit Milosevic zu reden, nicht auch, für eine
    oder zwei Stunden durch den Kosovo zu reisen? Warum
    verlangt er das nicht von seinem Gastgeber? Warum
    nicht?


    (Beifall bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der CDU/ CSU und der F.D.P.)


    Soll plötzlich alles übersehen werden, was uns Tausende
    und Abertausende von traumatisierten Frauen und Kin-
    dern und alten Menschen erzählen? Sollen all die
    Schlächtereien, die es dort gibt, übersehen werden?


    (Michael Glos [CDU/CSU]: Da hat er recht!)

    Ist das alles nur Erfindung und Propaganda, was Men-
    schen uns erzählen: daß man die Leichen mit Baseball-
    schlägern zertrümmert, daß man ihnen die Gliedmaßen
    abtrennt und die Köpfe abschlägt? Ist das alles nur Pro-
    paganda, wenn Frauen mit einem toten Kind in den Ar-
    men über die Grenze kommen? Wieviel Zynismus muß
    man haben, um so kalt über rechtliche Fragen zu reden
    anstatt über die Menschen, die Opfer einer mörderischen
    Maschine geworden sind?


    (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der F.D.P.)


    Ich weiß auch, daß Empörung kein Mittel der Politik ist;
    aber e i n Antrieb kann sie schon sein.

    Wenn der Kollege Gysi sagt, er habe keine Bilder ge-
    sehen, zeige ich Ihnen hier eines. Schauen Sie sich die
    Bilder aus den Tälern und den Wäldern des Kosovo an!
    Meinen Sie, die Menschen gehen dort hin, weil sie
    wollten? Meinen Sie, sie fressen Gras, weil sie wollten?
    Meinen Sie, wir würden uns überlegen, wie man sie ver-
    sorgen kann, mit hohem Risiko? Schauen Sie sich das
    an! Es gibt Dutzende solcher Bilder. Ich führe sie Ihnen
    gerne alle vor, so wie ich sie auch den Journalisten vor-
    führe.

    Wenn Sie sagen, es gebe Zerstörungen durch
    NATO-Bomben, sage ich Ihnen: Es ist schon zynisch
    genug, daß die Gegenseite Wohnblocks sprengt, um den
    Eindruck zu erwecken, eine Bombe habe ihr Ziel ver-
    fehlt und leider ein ziviles Objekt getroffen. Aber glau-

    ben Sie denn, das militärisch völlig unbedeutende Ört-
    chen Studencane sei von auswärtigen Truppen zerstört
    worden? Sie können auf solchen Bildern genau sehen,
    daß jedes einzelne Haus von innen verbrannt worden ist.
    Vergleichen Sie das einmal mit den Bildern und Erzäh-
    lungen der Flüchtlinge! Was, meinen Sie, wird bei den
    Menschen angerichtet, die irgendwo sicher gelebt haben,
    wenn ihre Türen eingetreten werden, wenn schwarz
    maskierte Männer in die Häuser eindringen, wenn die
    Mitteilung heißt: „In fünf Minuten wirst du das Haus
    verlassen, oder du wirst erschossen! Pack deine Kla-
    motten, aber bitte keine Ausweispapiere!“? Weder ein
    Ausweis noch eine Geburtsurkunde, noch eine Heirats-
    urkunde, nichts darf mitgenommen werden. Sogar die
    Kirchenbücher werden nach Belgrad gebracht, um sie zu
    vernichten, damit nur ja jeder Nachweis der Identität der
    betroffenen Menschen zerstört ist.

    Dann kommen Sie hierhin und halten solche Reden.
    Schauen Sie sich die Bilder an! Ich führe sie Ihnen alle
    vor. Es soll niemand den Eindruck haben, man habe das
    nicht gewußt. Diese faule Ausrede, nicht zu wissen, daß
    es Massenmord in Europa gibt, daß es ethnische Kriegs-
    führung in Europa gibt, die Augen zuzumachen, um sich
    hinterher als überraschter, durch sensationelle Enthül-
    lungen plötzlich aufgeklärter Mensch reuig zu zeigen,
    darf nicht sein, auch nicht in der innenpolitischen Aus-
    einandersetzung.


    (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der F.D.P. – Heidi Lippmann-Kasten [PDS]: Das tut niemand von uns!)


    Das alles hat mit den Erfahrungen in Bosnien und mit
    dem zu tun, was wir in der Vergangenheit schon erlebt
    haben. Auch ich weiß: Empörung ist kein Mittel der Po-
    litik, aber ein Antrieb. Dazu gehört ein klares Ziel – es
    ist hier mehrfach genannt worden und in der großen
    Mehrheit des Hauses unstreitig –, und dazu gehört ver-
    antwortungsbewußtes Handeln, damit man dieses Ziel
    erreichen kann.

    Niemand trifft solche Entscheidungen mit leichtem
    Herzen, im Gegenteil. Aber wenn wir es nicht schaffen,
    der Moral die politischen Instrumente zu geben und der
    Politik die Moral, dann haben wir genau jene Teilung,
    vor der ich persönlich Angst habe. Dann wird nämlich
    die Reklamation der Moral folgenlos, oder sie läuft Ge-
    fahr, folgenlos zu bleiben. Dann gerät die Politik zur
    kalten Technokratie.

    Was die Hilfsorganisationen und die hilfsbereiten
    Menschen leisten und was in ganz wenigen Stunden von
    Karfreitag nacht bis Ostersamstag morgen aus dem Bo-
    den gestampft wurde, die Betreuung von mittlerweile
    Tausenden Patienten, von Menschen, die mit Hunger-
    ödemen, mit schweren Erkrankungen anderer Art in die
    Lager gekommen sind, das aufgebaute, jetzt in der Er-
    weiterung befindliche Lager in Mazedonien, das, was
    wir in Albanien in einem strikt humanitären Einsatz tun:
    Wenn man wissen und hoffen könnte, daß dieser huma-
    nitäre Einsatz reichen würde, um die Probleme zu lösen,
    dann wäre es ja gut. Aber er wird nicht reichen.

    Albanien hat mehr als 10 Prozent seiner früheren Be-
    völkerung aufgenommen. Die Situation in Montenegro

    Bundesminister Rudolf Scharping






    (A) (C)



    (B) (D)


    ist außergewöhnlich risikoreich. Das zweite jugoslawi-
    sche Armeekorps ist mobilisiert. Die montenegrinische
    Regierung hat entschieden, sich an Maßnahmen der Re-
    krutierung nicht zu beteiligen. Sie hat ihre Polizeikräfte
    verstärkt. Es ist kein Zufall, wenn in Montenegro jugo-
    slawische Armeeverbände die Kasernen verlassen und
    an bestimmten Punkten postiert werden. Auch das kennt
    man aus der Vergangenheit. Es gibt vielfältige solche
    Risiken.

    Ich will auch hier im Deutschen Bundestag sagen: Sie
    können ganz sicher sein, die Bundesregierung wird sich
    um eine umfassende, gründliche Information so wie in
    der Vergangenheit bemühen. Gerade wegen der enor-
    men Belastungen für die betroffenen Menschen wird es
    keine rechtlichen und auch keine politischen Grauzonen
    geben. Daß zum Beispiel die NATO in einem entspre-
    chenden Hauptquartier humanitäre Maßnahmen in Al-
    banien koordiniert, hat exakt damit zu tun, daß der
    UNHCR leider nicht in der Lage ist, das zu tun, weil er
    nicht über die Kapazitäten verfügt. Daß diese Tätigkei-
    ten von jedem militärischen Einsatz strikt getrennt blei-
    ben müssen, versteht sich von selbst.

    Vor diesem Hintergrund wird vielleicht deutlich,
    warum diese von der Bundesregierung betriebenen Din-
    ge zusammengehören: die Voraussetzungen schaffen,
    um die militärischen Maßnahmen einstellen zu können,
    Stabilität in der Region auch durch humanitäre Hilfe
    voranbringen und gleichzeitig dem Balkan, dem südöst-
    lichen Europa eine Perspektive geben. Ich bin davon
    überzeugt: Gelingt uns das nicht, schaffen wir nicht in
    Bulgarien, in Rumänien, in Mazedonien, in Albanien
    oder andernorts gute Beispiele einer positiven wirt-
    schaftlichen Entwicklung und eines kulturell vielfälti-
    gen, toleranten Zusammenlebens, dann können wir auch
    nicht die demokratische Opposition, das europäische
    Potential innerhalb Serbiens ermuntern. Mit Flugblättern
    alleine, so wichtig sie sein mögen, wird das nicht
    gehen.

    Auch darin wird deutlich, daß Politik sich nicht im
    Militärischen erschöpfen darf. Das tut sie Gott sei Dank
    auch nicht. Ich fand es richtig, daß viele, am beeindruk-
    kendsten wohl Erhard Eppler auf dem SPD-Parteitag,
    von der Tragik der Situation gesprochen haben. Diese
    Situation haben wir zwar nicht herbeigeführt, aber wir
    müssen auf sie reagieren. Wenn nach den jahrelangen
    Erfahrungen und den monatelangen Verhandlungen kein
    anderes Mittel mehr zur Verfügung steht, dann muß man
    auf diese Weise reagieren.

    Ich weiß doch, wie der Außenminister und andere
    verzweifelt versucht haben, in Kenntnis des Charakters
    der Politik von Milosevic zu einem Ergebnis zu kom-
    men. Ich weiß doch um das monatelange Hin- und
    Herreisen von Hill, Petritsch und anderen. Ich weiß
    auch, wie in den Tagen um Ostern herum das Außen-
    ministerium, die Mitarbeiter des Verteidigungsministe-
    riums und die des Ministeriums für wirtschaftliche
    Zusammenarbeit auch im Interesse der Stabilität der
    betroffenen Staaten versucht haben, gegen dieses ge-
    wissermaßen alptraumhafte Ansteigen der Flut von
    Vertriebenen einen Damm zu bauen und Hilfe zu orga-
    nisieren.

    Damit komme ich zu Fragen – es sind hier schon
    rechtliche Fragen erörtert worden –, die über den Tag
    und über den Konflikt hinausweisen: Hat denn nicht
    auch die DDR die Schlußakte von Helsinki unter-
    schrieben und ratifiziert? Steht nicht in der Schlußakte
    von Helsinki, daß die Menschenrechtssituation eines
    einzelnen Staates nicht mehr allein innere Angelegenheit
    dieses Staates ist? War dies nicht ein großer Fortschritt
    auf dem Weg hin zu einer europäischen Integration im
    Sinne von gewaltfreiem Austausch und dem Respekt vor
    den Menschenrechten und vor den Rechten der Minder-
    heiten?

    Ist es nicht so – es ist so –, daß die Regierungschefs
    der im Weltsicherheitsrat vertretenen Nationen 1992
    ausdrücklich und einstimmig beschlossen haben, daß zur
    Durchsetzung der Menschenrechte auch Einschränkun-
    gen der staatlichen Souveränität erforderlich sein kön-
    nen? Ist es nicht so, daß schon am 9. September 1948
    die Vereinten Nationen eine Konvention über die Ver-
    hütung und Bestrafung des Völkermordes verabschiedet
    haben? Diese Konvention ging auf die schrecklichen Er-
    fahrungen des zweiten Weltkriegs zurück. Kofi Annan
    ist schon zitiert worden, der mit Blick auf diese Kon-
    vention am 9. April davon sprach, daß wir unter der
    dunklen Wolke des Verbrechens des Völkermordes ste-
    hen. Er hat hinzugefügt: Der Weltsicherheitsrat darf
    nicht zu einem Refugium derjenigen werden, die unter
    dem Deckmantel der Souveränität schlimmste Verstöße
    gegen die Menschenrechte vornehmen.

    Wir sollten nicht vergessen, daß das Europäische
    Parlament am 20. April 1994 die Partner der Europäi-
    schen Union ausdrücklich aufgefordert hat, an einem
    rechtsbildenden Prozeß mitzuwirken, um das Völker-
    recht so zu entwickeln, daß man aus humanitären Erwä-
    gungen und aus Erwägungen bezüglich der Menschen-
    rechte unter folgenden Bedingungen eingreifen kann:
    eine außerordentliche und äußerst ernste humanitäre
    Notsituation – diese liegt vor –, eine Lähmung der Ver-
    einten Nationen – auch sie liegt zur Zeit leider vor –, die
    Vergeblichkeit aller anderen Lösungsversuche – es ist
    über Monate versucht worden, Lösungen zu erreichen –,
    eine begrenzte militärische Operation unter Wahrung
    der Verhältnismäßigkeit der Mittel. Ich will Ihnen sagen,
    daß die NATO in den letzten 10 Tagen 50 Prozent ihrer
    geplanten Angriffe nicht durchgeführt hat, weil das Ri-
    siko ziviler Schäden nicht abgeschätzt werden konnte
    oder zu groß war. Selbst wenn in Einzelfällen Fehler
    passieren, was schrecklich und bedauerlich ist, so wun-
    dere ich mich doch über eine Art der Diskussion, die den
    Tausenden von Ermordeten eine geringere Aufmerk-
    samkeit nur deshalb schenkt, weil die NATO propagan-
    distische Fähigkeiten und Mittel Gott sei Dank nicht so
    entwickeln kann und entwickeln will, wie es das Regime
    Milosevic mit seiner skrupellosen Propaganda getan hat.

    Zu den Kriterien des Europäischen Parlaments zählte
    im übrigen auch, daß die Operation so angelegt sein
    muß, daß sie nicht Anlaß gibt, von den Vereinten Natio-
    nen verurteilt zu werden. Die weiterführende Frage wird
    sein: Erlaubt die Souveränität des Staates im Konflikt
    mit dem anderen Prinzip der Charta der Vereinten Na-
    tionen, nämlich der Ächtung von Verbrechen gegen die
    Menschlichkeit, daß in diesem Staat Menschenrechte

    Bundesminister Rudolf Scharping






    (B)



    (A) (C)



    (D)


    mißachtet werden können? Haben wir es hier nicht
    vielmehr mit einem objektiven Zielkonflikt zu tun, mit
    dem man sich auseinandersetzen muß? Erlaubt die Sou-
    veränität des einzelnen Staates, daß er durch Vertrei-
    bung einer ganzen Bevölkerungsgruppe die Souveränität
    und die Integrität seiner Nachbarstaaten in Gefahr
    bringt, was im Fall von Mazedonien und Albanien ohne
    Zweifel der Fall ist?

    Brauchen wir nicht auch stärkere Mechanismen der
    Krisenprävention? Denn der Kosovo – ich meine nicht
    die letzten drei oder vier Wochen; ich meine auch nicht
    die letzten drei oder vier Monate – ist ja auch ein Bei-
    spiel dafür, daß man über Monate und Jahre hat sehen
    können, was sich dort anhäufte und anbahnte. Wer heute
    beispielsweise den Artikel von Felipe González in der
    „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ liest, der wird ent-
    sprechende Hinweise aus der Sicht eines Beauftragten
    der OSZE finden.

    Brauchen wir nicht auch – ich stelle dies bewußt als
    Frage – Mechanismen, um das Veto eines Atomwaffen-
    staates im Weltsicherheitsrat der Vereinten Nationen
    überwinden zu können? Oder wollen wir in Zukunft –
    wie immer die Mechanismen im einzelnen aussehen –
    wirklich hinnehmen, daß eines der wenigen stabilisie-
    renden Elemente in dieser Region, nämlich die Grenzsi-
    cherungsmission der Vereinten Nationen in Mazedo-
    nien mit dem Namen Unpredep, nur deshalb von China
    blockiert worden ist, weil Mazedonien in chinesischen
    Augen die Leichtfertigkeit begangen hat, Taiwan völker-
    rechtlich anzuerkennen?

    Der Bundespräsident hat gesagt:
    Indifferenz gegenüber Genozid zerstört die Grund-
    lagen dessen, was die eigene Gesellschaft zusam-
    menhält: das gemeinsame Verständnis von Recht
    und Moral. Europa würde an seiner Seele Schaden
    nehmen, wenn es Völkermord und ethnische Säu-
    berungen auf seinem Boden hinnähme.

    (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der F.D.P.)


    Es haben schon entsetzlich viele Menschen Schaden
    genommen. Vielleicht gelingt es uns, in einem jahrelan-
    gen, dauerhaften Prozeß – angesichts dessen bitte ich
    schon heute um die notwendige Aufmerksamkeit und
    Konsequenz, die über Jahre hinweg aufrechterhalten
    bleiben muß – diese Folgen bei denen zu lindern, die
    überleben. Vielleicht sind diejenigen, die ermordet wor-
    den sind, in diesen Jahren der dauerhaften Anstrengun-
    gen eine stete Mahnung dafür, daß der Balkan und Süd-
    osteuropa nur dann Frieden gewinnen, wenn die Prinzi-
    pien der Schlußakte von Helsinki und die Erfahrungen
    aus der europäischen Integration in geeigneter Weise auf
    diesen Teil des europäischen Kontinentes übertragen
    werden. Denn Frieden ist nicht allein die Abwesenheit
    von Gewalt. Frieden ist die Anwesenheit von Versöh-
    nung. Das wird verdammt schwer, ist unausweislich und
    muß angepackt werden.


    (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der F.D.P.)




Rede von Dr. Hermann Otto Solms
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Zu einer
Kurzintervention erteile ich der Kollegin Lippmann von
der PDS-Fraktion das Wort.


  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Heidi Lippmann-Kasten


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (PDS)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (PDS)

    Herr Minister Scharping,
    Sie haben unterstellt, die PDS-Fraktion habe nichts wis-
    sen wollen. Wir würden die Augen verschließen und
    einseitig Partei für Milosevic ergreifen.


    (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.)

    Dies ist falsch, und dies weise ich im Namen der ge-
    samten PDS-Bundestagsfraktion, aber auch im Namen
    der Partei der PDS ausdrücklich zurück. Denn wir ver-
    urteilen die Menschenrechtsverletzungen im Kosova
    ebenso wie die in der gesamten Bundesrepublik Jugo-
    slawien, und dies nicht erst heute, sondern schon seit
    vielen Jahren.

    Der Herr Bundeskanzler wird sich vielleicht daran
    erinnern, daß ich 1996 – damals noch im Niedersächsi-
    schen Landtag – für die Grünen einen Antrag einge-
    bracht habe, der sich dagegen gerichtet hat, daß Bundes-
    außenminister Kinkel im Mai 1996 das Rücknahmeab-
    kommen mit Herrn Milosevic abgeschlossen hat, das die
    Rücknahme aller Flüchtlinge mit jugoslawischem Paß,
    darunter serbische Deserteure sowie zu 80 Prozent
    Flüchtlinge aus dem Kosova, Muslime aus dem Sand-
    schak sowie Roma und Sinti, die alle geflüchtet waren,
    vorsah. Daran erinnern Sie sich vielleicht, Herr Bundes-
    kanzler. Ihre Partei hat diesen Antrag, der darauf ab-
    zielte, das Rücknahmeabkommen nicht zu unterzeich-
    nen, sondern über eine Bundesratsinitiative und auf in-
    ternationaler Ebene diplomatisch zu verhandeln, mit
    dem Ziel, im Kosova eine gewisse Teilautonomie zu-
    rückzugewinnen, abgelehnt.

    Wir sind nach wie vor der Meinung – und erhalten
    dafür viel mehr Unterstützung aus der Bevölkerung als
    aus diesem Haus; aber es gibt ja mittlerweile auch eine
    breite Unterstützung aus der SPD und den Reihen der
    Grünen –, daß die Bombardierungen militärischer und
    ziviler Ziele in Jugoslawien und im Kosova nicht das
    geeignete Mittel sind, den Frieden, der dringend erfor-
    derlich ist, herzustellen. Dadurch wird nicht ein Flücht-
    ling nicht vertrieben, nicht ein Mord geschieht weniger.
    Wir bedauern dies sehr. Doch Bomben sind nicht das
    Mittel, diesen Frieden wiederherzustellen. Deswegen
    appellieren wir, dringend politische Verhandlungen zu
    führen und auf die UN und die OSZE zu setzen und
    nicht weiter einseitig zu bombardieren.


    (Beifall bei der PDS)