Gesamtes Protokol
Meine Damen und Herren, die Sitzung ist eröffnet.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die heutige Tagesordnung erweitert werden. Die Punkte sind in der Ihnen vorliegenden Zusatzpunktliste aufgeführt:
1. Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Neuorganisation der Marktordnungsstellen
— Drucksache 11/479 —2. Beratung des Antrags der Abgeordneten Frau Kelly und der Fraktion DIE GRÜNEN
Errichtung einer internationalen Begegnungsstätte für Frieden und Versöhnung in Gernika, Baskenland
— Drucksache 11/362 —3. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über den Schutz der Topographien von mikroelektronischen Halbleitererzeugnissen
— Drucksache 11/454 —4. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 11. Oktober 1985 zur Errichtung der Multilateralen Investitions-Garantie-Agentur
— Drucksache 11/466 —
Zugleich soll mit der Aufsetzung der Zusatzpunkte, soweit erforderlich, von der Frist für den Beginn der Beratung abgewichen werden. Sind Sie damit einverstanden? — Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich rufe nun Punkt 1 der Tagesordnung auf:
Beratung des Berichts des Petitionsausschusses
Bitten und Beschwerden an den Deutschen Bundestag
Die Tätigkeit des Petitionsausschusses des
Deutschen Bundestages im Jahre 1986
— Drucksache 10/6807 —
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die Beratung zwei Stunden vorgesehen. — Auch da sehe ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Pfennig.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren Kollegen! Der Tätigkeitsbericht des Petitionsausschusses für das Jahr 1986, den ich Ihnen hier als Vorsitzender vorstelle, ist gewissermaßen die letzte Ausgabe des gesammelten Werkes meiner Vorgängerin, meiner Berliner Kollegin Lieselotte Berger. Liebe Frau Berger, ich freue mich sehr, daß Sie heute in Ihrer neuen Funktion als Parlamentarische Staatssekretärin anwesend sind.
Mit der Übernahme Ihres neuen Amtes und mit der Übernahme des Vorsitzes des Petitionsausschusses durch mich ist gewiß eine Ära zu Ende gegangen, und eine neue hat begonnen. Ich weiß, daß es Ihnen nicht leichtgefallen ist, sich von diesem Ausschuß zu trennen. Mehr als 14 Jahre waren Sie Vorsitzende in diesem Ausschuß, mit blumigen Beinamen wie „Mutter Courage", „der Kummerkasten", „die Notrufsäule" oder „die Mutter der Nation" belegt. Ich nehme an, mich wird der Volksmund wohl kaum als „Vater der Nation" benennen, aber hoffentlich auch als „Kummerkasten" oder als „Notrufsäule" anerkennen.Liebe Frau Berger, Sie haben dem Ausschuß Ansehen und Profil verschafft. Ihre Arbeit, Ihre Leistung verdient Respekt. Sie haben dem Amt Ihren Stempel aufgedrückt.Ich möchte ein paar Fakten erwähnen, die das belegen.Im Jahre 1975, zwei Jahre nach Ihrem Amtsantritt, fand die damalige Reform des Petitionswesens ihren Abschluß. Der Petitionsausschuß wurde im Grundgesetz verankert. Das „Gesetz über die Befugnisse des Petitionsausschusses des Deutschen Bundestages" trat in Kraft.1975 wurde erstmals ein Bericht über die Tätigkeit des Ausschusses vorgelegt und veröffentlicht. Er erschien in der Reihe „Zur Sache", die das Presse- und Informationszentrum des Deutschen Bundestages herausgibt. Seitdem erscheint er jetzt wohl wieder regelmäßig.
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1136 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 18. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 16. Juni 1987
Dr. PfennigIm Juli 1979 wurde der Bericht über die Tätigkeit des Ausschusses erstmals als Bundestagsdrucksache veröffentlicht; im Plenum des Bundestages fand die erste Debatte über den Bericht statt.Im Jahre 1983 schließlich erteilte der Ausschuß einem Verfassungsrechtler den Auftrag, ein Gutachten zur Klärung von Inhalt und Schranken des parlamentarischen Petitionsbehandlungsrechts zu erstellen. Dieses Gutachten von Professor Graf Vitzthum liegt seit November 1984 vor.Ich spreche wohl im Namen aller Kollegen, insbesondere aber im Namen der Kollegen im Petitionsausschuß, wenn ich Ihnen, liebe Frau Berger, für die gute Zusammenarbeit, Ihr Engagement und Ihren Einsatz danke.
Wenn ich diesen Dank auch im Namen aller Bürger ausspreche, dann deswegen, weil ich aus den zahlreichen Dankesschreiben weiß, wie sehr sich die Bürger dem Ausschuß und auch Ihnen persönlich gegenüber zu Dank für die Arbeit verpflichtet gesehen haben.Vielleicht verbindet die Exekutive mit meiner Nachfolge neue Hoffnungen — die frühere Vorsitzende war für sie ein sehr hartnäckiger, unbequemer Partner bei der Petitionsbehandlung — . Ich sage gleich, daß diese Hoffnungen trügen werden. Auch unter meinem Vorsitz wird der Petitionsausschuß hartnäckig die — glücklicherweise nur sehr selten vorkommenden — Unglaublichkeiten aus aller Herren und Damen Ämter aufspießen, Ich hoffe, die Bürger werden es den Abgeordneten danken.Im Zusammenhang mit der Petitionsbehandlung möchte ich Sie, meine Damen und Herren Kollegen, und die Öffentlichkeit darüber informieren, daß wir im Zuge der notwendigen Maßnahmen zum Umbau des Bundeshauses von der Verlegung auch unserer Dienststelle betroffen sind. Die Abteilung Petitionen und Eingaben, der administrative Hilfsdienst des Petitionsausschusses, mußte nach Dottendorf umziehen. 61 Mitarbeiter haben diesen Umzug durchgeführt. Der Ausschußdienst und die Ausschußmitglieder werden alles tun, um dadurch bedingte Beeinträchtigungen der Arbeit so gering wie möglich zu halten. Auftretende Schwierigkeiten werden dadurch beseitigt, daß wir moderne Kommunikationssysteme einsetzen, um einen reibungslosen Informationsaustausch sicherzustellen. Ich kann versichern, daß, wenn diese Techniken bereitstehen, im Interesse aller Bürger die Arbeit wohl reibungslos wie bisher laufen wird.Viele meiner Kollegen sind im Ausschuß neu. Es ist bekannt, daß häufig Parlamentsneulinge in den Petitionsausschuß gelangen. Aber gerade in der 11. Wahlperiode ist die Zahl erfahrener Parlamentskollegen im Ausschuß sehr hoch. Dies ist sicher ein Ausdruck dafür, daß der Petitionsausschuß von allen Fraktionen als ein wichtiger Ausschuß angesehen wird. Man hat gelernt, daß sich auch hinter der unscheinbarsten Petitionsakte ein menschliches Schicksal verbergen kann. Im Ausschuß werden bekanntlich keine wohlklingenden Reden geschwungen, sondern es wird hart gearbeitet, gemeinsam zwischen den Fraktionen gearbeitet. Wir können nachmessen, ob und was wir bewirkt haben; und das ist häufig nicht sehr wenig.Dennoch sieht sich der Petitionsausschuß nicht als Überausschuß oder gar als Nabel des Parlamentarismus. Als Nahtstelle oder Klammer zwischen Parlament und Öffentlichkeit sind wir jedoch ein wichtiger Ausschuß. Wir sind in erster Linie ein Reparaturbetrieb, der im großen und ganzen im stillen arbeitet und nicht unmittelbar am politischen Geschehen beteiligt ist. Primär versuchen wir, Hilfe für den einzelnen in persönlichen Härtefällen zu geben, deren Ursachen meist im Handeln staatlicher Institutionen liegen. Wir müssen immer wieder feststellen, daß manchmal die Auslegung von Zuständigkeiten und gesetzlichen Vorschriften sowie das Berufen auf abgelaufene Fristen durch die Verwaltung im Ergebnis herzlos gegenüber dem Bürger wirken, nicht nur im Bund, wofür wir zuständig sind, sondern auch in den Ländern und Gemeinden — ich kann sagen, eigentlich überall in unseren westeuropäischen Demokratien, wie ich aus meiner früheren Tätigkeit als Europaabgeordneter weiß. Wir können so etwas in einer Demokratie nicht durchgehen lassen. Als Vertreter des Volkes haben die Abgeordneten den Bürger auch vor bürgerunfreundlicher Verwaltung zu schützen, die es zum Glück aber nicht unendlich häufiger gibt als Unzulänglichkeiten der Gesetzgebung, für die wir selbst verantwortlich sind.Im Jahresbericht wird der Fall eines fast erblindeten Kraftfahrers geschildert, der bei der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte vergeblich um eine Erwerbsunfähigkeitsrente nachgesucht hatte. Ein Gutachter hatte ihn für fähig gehalten, weiterhin als Kraftfahrer tätig zu sein. Im Verlauf des Petitionsverfahrens mußte die Bundesversicherungsanstalt zugeben, daß eine Fehldiagnose des Gutachters vorgelegen hatte. Der Petent erhielt später eine Erwerbsunfähigkeitsrente.Ein anderer Fall: Ein Flugzeug der Bundeswehr hatte beim Absturz ein Fabrik- und ein Wohngebäude zerstört. Der Ehemann der Petentin war dabei getötet worden — Sie alle werden sich an diesen Fall noch erinnern —; einer ihrer Söhne hatte schwere Verletzungen erlitten. Der Frau gelang es mit Mühe, den Bestand des Unternehmens zu erhalten. Die zuständige Wehrbereichsverwaltung gewährte zwar Schadensersatz hinsichtlich der entstandenen Sachschäden, lehnte es jedoch ab, den durch den Tod des Ehemanns verursachten Umsatzrückgang auszugleichen. Mit Hilfe des Petitionsausschusses konnte ein außergerichtlicher Vergleich erzielt werden, durch den alle Ansprüche der Petentin befriedigt wurden.Wie schon früher hervorgehoben, ist die Aufgabe des Petitionsausschusses nicht nur auf Abhilfe bei unrichtigem Verwaltungshandeln beschränkt. Die Auswertung von Petitionen verschafft dem Parlament einen Überblick über Unzulänglichkeiten der gesetzlichen Regelungen und über Mängel im Verhältnis von Bürger und Staat. Sie gibt dem Parlament Einblick in die Stimmungslage der Bevölkerung. Parlamentarische Petitionsinstanzen sind auf diese Weise auch ein „politisches Fieberthermometer" des Parlaments. Meine Vorgängerin, Frau Berger, hat sie auch einmal den „Resonanzboden der Gesetzgebung" genannt. Das zeigt sich in fast allen Petitionen zur Gesetzgebung.
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 18. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 16. Juni 1987 1137
Dr. PfennigDas Petitionsrecht ist kein Mitwirkungs- oder Mitgestaltungsrecht; auch darauf hat meine Vorgängerin schon des öfteren hingewiesen. Petitionen sind nichts anderes als Anregungen für die Entscheidungsfindung von Regierung, Verwaltung und Parlament, und in diesen Entscheidungen finden sie durchaus ihren Niederschlag. So bewirkten z. B. die Petitionen mehrerer alleinstehender Vollwaisen, die der Bundesregierung zur Berücksichtigung überwiesen worden waren, daß seit dem 1. Januar 1986 durch das 11. Gesetz zur Änderung des Bundeskindergeldgesetzes vorgesehen ist, daß nunmehr auch alleinstehende Vollwaisen Kindergeld erhalten; bis dahin hatten sie keinen Anspruch auf Kindergeld. Eine Änderung der Beihilfevorschriften bewirkte beispielsweise, daß an Schuppenflechte erkrankte Personen in den Genuß von Heilkuren am Toten Meer in Israel kommen können. Insoweit konnten also die Beihilfevorschriften auf Grund der vorliegenden Petitionen erfolgreich geändert werden.Ziel der Arbeit des Ausschusses ist es aber auch, den Staat und seine Institutionen für die Bürger aus einer gelegentlich vorhandenen Anonymität zu lösen. Wir können auf diese Weise versuchen, die Distanz zwischen Bürger und Staat zu verringern und die Einsicht in staatliches Handeln zu fördern.Der Petitionsausschuß hat in der vergangenen Wahlperiode das Gutachten des Verfassungsrechtlers Graf Vitzthum ausgewertet. Es liegen uns auch eine Reihe von Petitionen vor, die sich mit dem Petitionsrecht und auch mit dem Petitionsverfahrensrecht eingehend auseinandersetzen. Mit den Ergebnissen dieser schon vorgenommenen Auswertung wird sich der Ausschuß in der 11. Wahlperiode befassen. Damit kommt eine besondere Aufgabe auf ihn zu: Der Ausschuß wird an Hand des Gutachtens und der eingegangenen Petitionen zu entscheiden haben, ob und wie er seine Verfahrensgrundsätze neu gestaltet. Wir werden, so vermute ich, zu einer generellen Überarbeitung des Petitionsrechts und seiner Verfahrensgrundsätze kommen.Ich möchte ein paar Bemerkungen zu dem Umfang der Arbeit machen. Wir haben im vergangenen Jahr 12 000 Petitionen gehabt. Dies ist eine Zahl, die in der Mitte einer seit 1975 annähernd konstanten Zahl liegt. Wir haben von 1975 bis heute pro Jahr immer eine Anzahl von Petitionen zwischen 11 000 und 13 000 gehabt. Die Zahl ist jedoch keineswegs mit der Zahl der behandelten Anliegen identisch. Oft enthält eine Petition einerseits mehrere Anliegen — diese werden in unserer Statistik nicht gesondert erfaßt — , und andererseits gibt es auch Petitionen, sogenannte Massen- und Sammeleingaben, die sich bei der Zählung der Neueingänge zahlenmäßig letztendlich nur als eine einzige Petition niederschlagen, weil wir nur dem Wortführer einer solchen Massenpetition einen Bescheid mit der Bitte um Weiterleitung erteilen. Ich glaube, daß der Petitionsausschuß und die Verwaltung des Deutschen Bundestages überfordert wären, wenn in solchen Fällen allen ein Bescheid erteilt werden müßte. Der Vorschlag einer Petentengruppe, Massen- und Sammelpetitionen künftig einzeln zu erfassen und jedem Einsender einen Endbescheid zu erteilen, erscheint mir persönlich nur sehr schwer realisierbar, wenn es denn überhaupt realisierbar ist. Im vergangenen Jahr hatten wir z. B. 3 421 Eingaben zur Novellierung des Tierschutzgesetzes, die sehr oft auf einem vorgefertigten Formular eingingen und alle den gleichen Inhalt hatten. Zum Thema „Arzt im Praktikum" gingen insgesamt 2 754 Eingaben mit zusätzlich 2 882 Unterschriften ein. Und auf den Reaktorunfall in Tschernobyl reagierten 965 Bürger mit Petitionen. Allein diese Zahlen zeigen — mir jedenfalls — , daß es unmöglich sein wird, in Zukunft anders zu verfahren als so, wie wir bisher schon verfahren, nämlich daß dem Hauptpetenten einer solchen Massenpetition in einem Bescheid des Petitionsausschusses mitgeteilt wird, wie sein Anliegen behandelt worden ist.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Kühbacher?
Ja, bitte.
Herr Kollege Pfennig oder Herr Ausschußvorsitzender, halten Sie es eigentlich mit unserem Parlamentsverständnis für vereinbar, zu sagen, wir können 900 oder 3 000 Petenten nicht bescheiden, wenn gleichzeitig der Bundesregierung Gelder für Massenbroschüren zur Verfügung stehen, die sie 35 000fach verteilen kann? Wir können nicht 900 Briefe beantworten?!
Herr Kollege, Sie wissen aus Ihrer Arbeit im Petitionsausschuß doch selber, daß die Verteilung von Einzelschreiben im Unterschied zur Verteilung einer Massenbroschüre einen ganz anderen Verwaltungsaufwand bedingt. Wenn Sie es allerdings verantworten wollen — Sie sind ja auch Haushaltsausschußmitglied —, daß der Apparat des Petitionsausschusses dafür noch vergrößert wird, noch mehr Schreibautomaten und ähnliches bekommt, dann kommen wir vielleicht dazu.
— Wir werden uns im Ausschuß intensiv darüber unterhalten, wie in Zukunft dabei verfahren werden sollte. Ich habe ausdrücklich gesagt, was meine persönliche Meinung ist.Der Petitionsausschuß hat sich in der Behandlung von Sammel- und Massenpetitionen, wie gesagt, zunächst einmal entschlossen, daß dem Absender oder Initiator einer Eingabe mitgeteilt wird, wie seine Petition beschieden worden ist. Nur dann, wenn die Petenten keine gemeinsame Kontaktadresse angegeben haben, gehen wir auch mit Einzelbenachrichtigungen vor, die übrigens auch in Form einer öffentlichen Bekanntmachung erfolgen können. Dieses Verfahren wurde zumindest in der Vergangenheit so praktiziert, obwohl es in den Verfahrensgrundsätzen des Petitionsausschusses des Deutschen Bundestages noch nicht verankert ist.Sieht man von den Masseneingaben ab, so lagen die Schwerpunkte der Eingaben im vergangenen Jahr wiederum hauptsächlich in den Bereichen der Sozial-
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1138 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 18. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 16. Juni 1987
Dr. PfennigOrdnung mit rund 20 % und Arbeitsverwaltung mit rund 12 %. Dies muß natürlicherweise so sein, weil in diesem Bereich, wenn man einmal von Wehr- und Zivildienstverwaltung absieht, die umfangreichste bundeseigene Verwaltung besteht, nämlich durch die Rentenversicherungsträger und die Bundesanstalt in Nürnberg. Für diese Bundesverwaltung ist bekanntlich allein der Petitionsausschuß des Deutschen Bundestages zuständig.Im Bereich Sozialordnung betrafen die meisten Eingaben das Rentenversicherungsrecht. Es ging vor allem um die Anrechnung bestimmter Zeiten als Versicherungszeiten, um die Höhe der zu berechnenden Renten und um die Gewährung von Zahlungen in Krankheitsfällen. Ein weiterer Schwerpunkt lag im Bereich des Bundesministers der Finanzen mit 14% der Eingaben. Die Petitionen betrafen vorwiegend das Versicherungs- und das Kreditwesen, aber auch das Steuerrecht, insbesondere die Kraftfahrzeugsteuer und die mit den Ermäßigungen wegen Schadstoffarmut von Kfz verbundenen Probleme.Rund 10 % der Eingaben gingen zum Verteidigungsbereich ein, meist Eingaben, die im Zusammenhang mit der Ableistung des Grundwehrdienstes oder der Einberufung zu Wehrübungen standen.Um den Überblick abzurunden, möchte ich auch noch die Zahlen für die gesamte 10. Wahlperiode nennen. Insgesamt wurden beim Petitionsausschuß 50 024 Eingaben abgegeben, durchschnittlich, wie bereits angedeutet, 12 500 Eingaben pro Jahr. Rund 40 % der vom Bundestag sachlich behandelten Petitionen konnte durch einen Rat oder durch eine Auskunft, durch Übersendung von Material oder durch Verweisung an eine andere Stelle erledigt werden. In 16 % aller Fälle wurde dem Anliegen entsprochen. Dies ist eine Erfolgsbilanz von immerhin über 50 %. Sie zeigt jedem Bürger, daß es Zweck hat, von seinem Petitionsrecht Gebrauch zu machen.Wenn sich trotzdem weniger als 1 % der Bevölkerung in jedem Jahr an die Parlamente wendet — ich meine dabei nicht nur den Bundestag, sondern auch die Eingaben an die Länderparlamente, an den Wehrbeauftragten und auch direkte Eingaben an die Abgeordneten des Bundestages und der Landtage — , so ist dies in meinen Augen auch ein Ausdruck für das insgesamt gute Funktionieren unserer Demokratie. Schließlich ist die Petition der von der Verfassung garantierte Weg des eigentlichen Souveräns, des Volkes, zu seinen gewählten Vertretern.Ich kann als Vorsitzender des Petitionsausschusses nur sagen: Die Tür zu Beschwerden über uns, die Regierung und die Verwaltung steht jederzeit offen!
Das Wort hat der Abgeordnete Peter.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das „Beschwerdebuch der Nation" des Jahres 1986, ein, wie ich meine, angemessener Name für den jeweiligen Jahresbericht des Petitionsausschusses über seine Tätigkeit, trägt letztmalig dieUnterschrift „Frau Berger , Vorsitzende". Das ist mehr als der zum parlamentarischen Ablauf zu Beginn einer Legislaturperiode gehörende Wechsel im Vorsitz eines Ausschusses, das stellt für uns alle eine Zäsur dar.Ihr Name, Frau Staatssekretärin, liebe Frau Berger, ist mit der Entwicklung des Petitionswesens verbunden, nicht nur in der Bundesrepublik, sondern weit darüber hinaus. Jeder, der mit Ihnen, Frau Berger, im Petitionsausschuß zusammengearbeitet hat, hat sehr schnell begriffen, daß die Tätigkeit im Petitionsausschuß nicht Routine sein darf, daß es bei jeder Petition aufs neue notwendig ist, sich in die Sorgen, Nöte oder Anliegen von Petenten hineinzuversetzen und auch als Anwälte für deren Interessen Partei zu ergreifen, sei es für eine Person oder auch für mehrere.Ich meine, jeder von uns hat von Ihnen gelernt und dankt Ihnen persönlich über Parteigrenzen hinweg. Ich übermittle Ihnen heute den Dank der SPD-Fraktion, insbesondere auch der Mitglieder der Arbeitsgruppe „Petitionen".
Da die offizielle Verabschiedung im Ausschuß noch aussteht, haben wir alle in unserem Terminkalender dafür einen Termin freigehalten, auch wenn sie morgens früh um 7 Uhr stattfindet, und sei es, daß der Termin dadurch erzwungen wird, daß wir vom Befugnisgesetz — hier wird sich vielleicht eine übereinstimmende Meinung über die Anwendung des Befugnisgesetzes finden lassen — Gebrauch machen und einen Regierungsvertreter, in diesem Falle die Frau Staatssekretärin, vorladen.
Meine Damen und Herren, mit dem Dank an die Vorsitzende des Ausschusses verbindet sich der Dank an die Mitarbeiter, die es mit uns nicht immer leicht haben; aber es geht schließlich darum, die Verbindung zwischen Bürger und Parlament über das Petitionsrecht sicherzustellen, und dafür arbeiten wir alle, oft auch über die tariflich oder beamtenrechtlich festgesetzten Arbeitszeiten hinaus.Meine Damen und Herren, wichtige Dinge, die Frau Berger angestoßen hat, werden uns in der neuen Legislaturperiode weiter beschäftigen. Wir von der SPD-Fraktion empfinden das als Chance, das Petitionswesen und das Petitionsverfahren weiterzuentwickeln. Frau Berger hat mit dem Gutachten des Tübinger Staatsrechtlers Professor Dr. Graf Vitzthum „Petitionsrecht und Volksvertretung" einen Stein ins Wasser geworfen. Es wird unsere Sache sein, dafür zu sorgen, daß das Wasser zumindest so lange nicht wieder zur Ruhe kommt, bis wesentliche Fragen beantwortet sind: Wie stellt sich der Deutsche Bundestag zu der Politisierung des Petitionsrechts? Gibt es die überhaupt?
Sind für einzelne Petitionskategorien besondere Verfahren notwendig? Entsprechen die in den Grundsätzen des Petitionsausschusses festgelegten Arten der Erledigung von Petitionen den sich aus dem Petitions-
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Peter
recht ergebenden Erfordernissen? Ist es notwendig, die Anwendung des Befugnisgesetzes als Recht der Ausschußminderheit zu normieren? Sollte das Befugnisgesetz auf Bitten ausgeweitet werden? Bieten schließlich das Petitionsrecht und der parlamentarische Umgang mit diesem die Chance, das Verhältnis der Bürger zum Parlament und des Parlaments zu den Bürgern zu verbessern?Ich werde mich an diesen Fragen reiben und vielleicht auch neue Steine ins Wasser werfen. Meine Kollegen von der Wiesche und Reuter werden auf wichtige Einzelelemente des Jahresberichts eingehen.Allein die Tatsache, daß seit dem Jahresbericht 1985 und der damit verbundenen Debatte die zunehmende Politisierung der Ausschußarbeit und der politischen Wahrnehmung des Petitionsrechts kritisiert wird, ist Zeichen dafür, daß in der politischen Wirklichkeit das Verständnis vom Petitionsrecht möglicherweise verkümmert ist.
Von Beginn an hatte das Petitionsrecht immer einen emanzipatorischen und partizipatorischen Akzent. Aber umstritten ist das Petitionsrecht immer genau dann, wenn es vom Petenten als Recht auf Einmischung, als Partizipationsrecht oder Kontrollrecht im politischen Sinne wahrgenommen wird.
Statt zu fragen, warum sich die Petitionen zu aktuellen politischen Fragen häufen — gleichgültig, ob als Einzel- oder Massenpetition — , ob das möglicherweise ein Zeichen dafür ist, daß Gruppen in der Bevölkerung zunehmend in Widerspruch zur herrschenden Politik geraten, ob sie möglicherweise in Einzelfragen wie Abrüstung, Ausstieg aus der Atomenergie, Tierschutz — um nur einige zu nennen — ihren Protest unabhängig von ihrer Parteipräferenz und -zugehörigkeit anmelden wollen, wird allzu leicht von Mißbrauch des Petitionsrechts gesprochen. Wäre da nicht die bessere Antwort, sensibel auf diese Anliegen der Petenten zu reagieren, statt die Methode des Aussitzens, die von der jetzigen Bundesregierung als wirksamstes Prinzip des Umgangs mit Bürgerprotesten praktiziert wird, parlamentarisch zu verlängern?Es war Franz Josef Strauß, der als Bundesratspräsident bei der Einführung unseres Bundespräsidenten am 1. Juli 1984 erklärte:Unsere Gesellschaft steht aller Wahrscheinlichkeit nach vor grundlegenden politischen Weichenstellungen, vielleicht vor einem neuen Abschnitt deutscher, europäischer und weltpolitischer Geschichte. Sind die Entscheidungen erst einmal getroffen, können sie entweder gar nicht mehr oder nur noch unter größten Schwierigkeiten rückgängig gemacht werden. Deshalb dürfen Weichenstellungen auch immer nur so erfolgen, daß die Mehrheit der nächsten Wahl noch Korrekturen vornehmen kann, die dann nach demokratischem Grundsatz vorgenommen werden müssen und vornehmbar sind ... Gerade deshalb sollten wir lernen,— immer noch Strauß —vor Entscheidungen, die wir heute für spätere Generationen treffen, wieder mehr aufeinander zuzugehen. Nur wenn wir uns dieser gemeinsamen Verantwortung stellen und ihr nicht aus falsch verstandener Furcht oder opportunistischer Haltung ausweichen, können wir hoffen, daß unsere Entscheidungen von den Bürgern, gerade auch von den jungen Bürgern, mitgetragen werden. Nur so wird es uns gelingen, verlorengegangenes politisches Kapital zurückzugewinnen, Politikverdrossenheit abzubauen und das Vertrauen in unsere staatliche Ordnung zu festigen . . .So weit Strauß.Ist die politische Wahrnehmung des Petitionsrechts nicht eine Chance für das Parlament, Bürgermeinungen in Entscheidungen rechtzeitig einzubeziehen,
Petenten als „alternative Experten" zu verstehen und damit Aussagen wie die eben zitierte aus dem Umfeld feierlicher Handlungen auf die Ebene konkreten parlamentarischen Tuns zu heben?
Damit es klar ist: Niemand will und kann aus dem Petitionsrecht ein im juristischen Sinne plebiszitäres Grundrecht konstruieren.
Aber wer versucht, das Recht auf Petitionen auf den Bereich der privaten Beschwer abzudrängen, wie es weite Teile der Juristen — die herrschende Meinung — tun, verkennt die politische Seite des Petitionsrechts
und drückt sich vor dem Nachdenken über die Ursachen der Zunahme der Zahl der Petitionen zu aktuellen politischen Themen.Die Politisierung des Petitionsrechts zu beklagen, mit der herrschenden Staatslehre zwischen „privaten" und „politischen" Petitionen zu unterscheiden, davor zu warnen, daß der Petitionsausschuß nicht zu einem Überausschuß werden dürfe, das Recht auf sachliche Prüfung restriktiv zu interpretieren kann für Abgeordnete nicht die angemessene Antwort sein, wenn sich Petenten politisch einmischen wollen.
Gesucht werden muß vielmehr nach Wegen, dem Recht, „sich einzeln oder in Gemeinschaft mit anderen mit Bitten und Beschwerden an die zuständigen Stellen oder die Volksversammlung zu wenden" , in einem allseits akzeptierten Verfahren gerecht zu werden. Die Diskussion des Vitzthum-Gutachtens dürfte uns für die Notwendigkeit dieser Suche nach dem angemessenen Verfahren sensibel gemacht haben.Die wichtigste Voraussetzung: Wir Parlamentarier müssen uns bemühen, den Blickwinkel der Petenten
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1140 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 18. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 16. Juni 1987
Peter
einzunehmen, nicht den der Bundesregierung oder den der Regierungsfraktionen und auch nicht den der Oppositionsfraktionen.Für Petenten — gleichgültig, ob „einzeln oder in Gemeinschaft mit anderen" — gibt es zwei prinzipielle Ansätze für Petitionen. Entweder wendet sich der Petent an die Volksvertretung, damit diese auf die zuständigen Stellen, die Bundesregierung, einwirkt, einer Beschwerde nachzukommen und den beklagten Mißstand abzustellen, indem sie ihrem Kontrollrecht nachkommt. Weder unterscheidet der Petent dabei zwischen Bitte und Beschwerde noch stellt er tiefgründige Überlegungen darüber an, ob das Private nun politisch oder ob das Private nur privat ist.Der zweite Weg ist: Die Petition wendet sich an das Parlament als zuständige Stelle, damit dieses in Wahrnehmung seiner Gesetzgebungskompetenz selbst Abhilfe schafft. In diesem Zusammenhang wird es erforderlich sein, Normen zu fassen, die klarstellen, daß solche Petitionen nur über die Fraktionen in den Gesetzgebungsgang des Bundestags einbezogen werden können.
Deshalb bedarf das in den Grundsätzen des Petitionsausschusses vorgesehene Votum „Überweisung an die Fraktionen zur Kenntnis" der Ausgestaltung. Die Petenten müssen erfahren, ob sich die Fraktionen eine Petition zu eigen machen bzw. ob sie in die Meinungsbildung bei eigenen Anträgen einbezogen wird oder nicht. Deshalb muß nach unserer Auffassung den Fraktionen eine Rückmeldungsfrist gesetzt werden, und das Ergebnis der Rückmeldung muß den Petenten mitgeteilt werden. Es sind immerhin 8 % der Petitionen, die sich an das Gesetzgebungsorgan als zuständige Stelle wenden.Dazu gehört in den Fraktionen aber auch die notwendige Sensibilität für die Wahrnehmung des Petitionsrechts. Das heißt, auch mancher Parlamentarische Geschäftsführer sollte darum kämpfen, die notwendige Zeit zur Beratung von Einzelpetitionen im Bundestag bereitzustellen und nicht zwischen dem Beschluß des Petitionsausschusses und der Beratung im Plenum eine für die Petenten unzumutbare Zeitspanne auftreten zu lassen.
Bei der Suche nach der Weiterentwicklung des Umgangs mit Petitionen aus dem Blickwinkel der Petenten ist ein zentrales Problem, ob das Petitionsinformationsrecht, das durch das Befugnisgesetz ausgestaltet ist, nachdem der Petitionsausschuß bei Beschwerden — in dem nach meiner Meinung zuvor umfassend beschriebenem Sinne — das Recht auf Auskunft, Akteneinsicht, Ladung, Anhörung von Petenten und Sachverständigen und Amtshilfe hat, durch Entscheid der Ausschußmehrheit verkürzt werden darf. Beispiele aus dem Berichtszeitraum zeigen die Brisanz auf, wenn die Mehrheit in der Absicht, der Regierung den Rücken freizuhalten — dafür hat auch die Opposition durchaus Verständnis — , die Anwendung des Befugnisgesetzes verweigert.Ein Hauptmann der Bundeswehr beispielsweise beschwerte sich über die Verhängung einer Disziplinarstrafe und seine damit im Zusammenhang stehende Versetzung an einen anderen Standort, weil er mitverantwortlich dafür gewesen sei, daß 20 Rekruten seiner Einheit bei einem feierlichen Gelöbnis erklärt hatten, sich an ihr Gelöbnis nur gebunden zu fühlen, solange die Bundesrepublik und ihre Verbündeten keine ABC-Waffen einsetzten.Ein Antrag der SPD-Fraktion, nach dem Befugnisgesetz den Petenten im Ausschuß anzuhören, wurde abgelehnt. Hier hätte ein Minderheitenrecht vielleicht verhindert, daß die Bundesregierung vor dem Bundesverwaltungsgericht eine Niederlage einstekken mußte. Ich habe das Urteil dabei.Ein anderer Fall: Ein Referatsleiter im Bundesverteidigungsministerium trug dem Petitionsausschuß seine Besorgnis vor, als Leiter des zuständigen Amtes abgelöst zu werden, weil er in einer wichtigen Rechtsfrage aus einem seiner Aufgabengebiete die Auffassung des Verteidigungsministers nicht teile. Die unterschiedliche Auffassung hatte der Beamte in einer Petition niedergelegt. Kollege von der Wiesche wird darauf eingehen.Die SPD wollte vom Befugnisgesetz Gebrauch machen, um herauszufinden, ob dem Petenten wegen der Wahrnehmung seines Petitionsrechts ein Nachteil entstanden sei. Auch hier verkürzte die Ausschußmehrheit — nach unserer Auffassung aus politischen Gründen — die Inanspruchnahme des Befugnisgesetzes im Interesse des Petenten.Mit Aufmerksamkeit und Neugierde werden wir bei künftigen Petitionen, bei denen die Inanspruchnahme des Befugnisgesetzes eindeutig im Interesse der Petenten liegt, beobachten, ob sich bei den Mehrheitsfraktionen ein Lernprozeß abzeichnet. Schon jetzt kündige ich an, daß wir bei einer Massenpetition, in der sich Petenten darüber beschweren, daß der Bundesumweltminister ohne ausreichende rechtliche Prüfung die Erteilung der Betriebsgenehmigung der Plutoniumfabrik Alkem betreibe, die Anwendung des Befugnisgesetzes beantragen werden. Wir hoffen jedoch, daß die im Ausschuß bei der Beratung des Vitzthum-Gutachtens angedeutete Bereitschaft von CDU-Abgeordneten, die Anwendung des Befugnisgesetzes als Minderheitenrecht zu normieren, sich zu einem gemeinsamen interfraktionellen Antrag auf Änderung des Befugnisgesetzes verdichtet. Das wäre ein wichtiger Schritt zur Weiterentwicklung des Petitionsverfahrens im Interesse der Petenten.
Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist abgelaufen.
Ich komme zu meinem letzten Abschnitt.
Einen Satz würde ich Ihnen noch gönnen, aber keinen ganzen Abschnitt.
Die zentrale Frage ist meines Erachtens die angemessene Behandlung von Petitionen zu aktuellen, politisch umstrittenen Fragen. Diese Petitionen dürfen nicht diskriminiert werden. Dahinter tritt der Umgang mit Massenpetitionen in seiner Bedeutung zurück. Wir sollten, meine Damen und Herren, die Chance nutzen, durch eine Erweite-
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Peter
rung des Petitionsverfahrens etwas weniger „Zuschauerdemokratie", dafür aber ein wenig mehr an „Beteiligungsdemokratie" zu erreichen.Schönen Dank.
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Dr. Segall.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Meine Vorredner haben bereits die Verdienste der Frau Berger hervorgehoben. Es kann aber nicht oft genug gesagt werden: Ohne die Arbeit der ehemaligen Vorsitzenden wären die vielen berechtigten Anliegen der Bürger nicht so zügig und effektiv bearbeitet worden. Doch nicht nur die geleistete Arbeit, sondern vor allem die Persönlichkeit von Frau Berger war für die Arbeit des Petitionsausschusses von ausschlaggebender Bedeutung. Ich möchte Ihnen, Frau Berger, dafür im Namen der vielen Petenten, denen Sie zu helfen versucht haben und in vielen Fällen auch helfen konnten, danken. Außerdem möchte ich auch noch einmal darauf hinweisen, daß Sie mit Ihrer ganzen Persönlichkeit und Ihrer Arbeit dem Ansehen des Deutschen Bundestages in den Augen der Bürger sehr geholfen und es sehr gestärkt haben.
Bevor ich sachlich auf die Inhalte der behandelten Fragen zu sprechen komme, möchte ich dem Hohen Hause einen anderen Punkt vortragen. Um es einmal ganz klar und ohne jede Beschönigung zu sagen: Die Verlegung des Petitionsausschußbüros nach Dottendorf halte ich nicht für eine räumlich zwingende Maßnahme.
Sie wirft vielmehr ein vielsagendes Licht auf das Ansehen und die Wertschätzung, die diesem Ausschuß beigemessen werden.
Die gesetzesvorbereitende Arbeit anderer Ausschüsse mag wichtig sein, Bürgerschicksale sind gleich wichtig.
Das ist eine Erkenntnis, die sich leider nur schwer durchsetzen läßt. Wie schon in einem gemeinsamen Brief der Obleute am 18. März 1987 mitgeteilt wurde, wird die Ausschußarbeit durch die Verlegung des Ausschußbüros erheblich erschwert, und es ist zu befürchten, daß der Petitionsausschuß die Anträge von Bürgern nicht mehr so behandeln kann wie bisher. Die Verantwortung dafür weise ich eindeutig denjenigen zu, die diesen unvertretbaren Umzug veranlaßt haben.
Einen allgemeinen Überblick über die Arbeit des Petitionsausschusses hat Herr Pfennig ja bereits gegeben. Einige Punkte möchte ich dennoch ergänzen. Bereits bei der Beratung des Berichts des Jahres 1985 hatte ich darauf aufmerksam gemacht, daß das Petitionsrecht vereinzelt dazu mißbraucht wird, allgemeine politische Anliegen vorzutragen. Grundsätzlich ist daran nichts auszusetzen; schließlich sieht Art. 17 des Grundgesetzes ausdrücklich die Möglichkeit vor, gemeinsam Petitionen einzureichen. Der Mißbrauch beginnt jedoch da, wo auf dem Umweg über den Petitionsausschuß schon erörterte politische Fragen erneut vorgebracht werden. Die Kapazitäten des Petitionsausschusses werden dann blockiert, Anliegen von Bürgern kommen dann zu kurz. Ich appelliere dringend an die Initiatoren solcher mißbräuchlichen Petitionen, die nicht zuletzt sicherlich auch bei den GRÜNEN sitzen dürften, dies zu unterlassen.
Oder sind den GRÜNEN Einzelschicksale von Bürgern weniger wichtig als öffentlich wirksame Massenpetitionen?
Bei einer Reform des Petitionsverfahrens werde ich darauf dringen, solchen Mißbräuchen im Interesse aller Bürger einen Riegel vorzuschieben.Es wurde schon gesagt, daß — wie schon in den Vorjahren — die meisten Eingaben den Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung betrafen. Einen dieser Fälle möchte ich herausgreifen: Ein nun 76jähriger Rentner hat im Jahre 1974 freiwillig Beiträge nachgezahlt. Die Beitragsklasse wurde ihm schriftlich in einem recht kompliziert gefaßten Rentenbescheid mitgeteilt. Darum bemerkte der Petent die falsche Einstufung nicht. Ohne jetzt weitere Details anzuführen — ich verweise dazu auf den Jahresbericht, Seite 25 — , kann festgestellt werden, daß dem Petenten durch die Anerkennung eines Amtshaftungsanspruchs seitens des Versicherungsträgers geholfen wurde. Damals hatte der Petitionsausschuß ganz allgemein um eine eindeutigere Erläuterung der Rentenbescheide gebeten; diese wurde dann ja auch zugesichert. Nun liegt dem Petitionsausschuß jedoch erneut ein ähnlich gelagerter Fall vor. Hier wie dort führt der Antragsteller den Verlust von Ansprüchen auf die Kompliziertheit von Rentenbescheiden zurück. Mag dieser Fall auch etwas anders gelagert sein, so gibt er doch dazu Anlaß, erneut die Versicherungsträger anzuhalten, Rentenbescheide noch klarer zu fassen.Ich tue dies von dieser Stelle aus, um der Wichtigkeit dieser Forderung Nachdruck zu verleihen.
Alle Versicherungsträger müssen begreifen, daß die Adressaten ihrer Bescheide nicht Volljuristen, sondern ältere Bürger aller Schichten sind, für die der Rentenbescheid von ausschlaggebender Bedeutung für ihren Lebensabend ist.Petitionen sind nur bedingt am Allgemeinwohl ausgerichtet. In den meisten Fällen werden Einzelschicksale vorgetragen, und es wird darum gebeten, Abhilfe
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1142 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 18. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 16. Juni 1987
Frau Dr. Segallzu schaffen. So verständlich dies ist und so sehr man akzeptieren muß, daß die Versagung von Ansprüchen eine soziale Härte darstellt, so besorgt bin ich doch darüber, in welch erschreckender Weise sich eine Mentalität durchgesetzt hat, vor allem den eigenen Besitzstand sichern zu wollen. Soziale Gerechtigkeit wird immer häufiger als Sicherung egoistischen Materialismus mißverstanden.Um es noch einmal ganz deutlich zu machen: Es geht hier nicht um die vielen Fälle, in denen sich aus dem Lebenslauf des Petenten soziale Härten ergeben, die oft nicht mehr auszubessern sind, ganz zu schweigen von den Fällen, in denen mit Hilfe des Petitionsausschusses Gerechtigkeit hergestellt werden kann. Es geht um etwas anderes: Es gibt Personen, die unabhängig von ihrer sozialen Stellung Ansprüche einklagen und Gesetzesänderungen, die diese Ansprüche nehmen, als grob ungerecht diffamieren. Werden hier nicht Ungerechtigkeit und Verteilungspriorität verwechselt? Ist es dem Bürger nicht klar, daß staatliche Verteilungsentscheidungen immer auch bedeuten, anderen Gruppen etwas zu nehmen?
Hier zeigt sich die ganze Problematik des Besitzstandsdenkens, das sich immer mehr zum Bremsklotz auf dem Weg zu den notwendigen Reformen unserer sozialen Sicherungen entwickelt. Nimmt man dazu noch die extensive Auslegung des Eigentumsbegriffs des Art. 14 des Grundgesetzes durch das Bundesverfassungsgericht, auch wenn es sich dabei — wie im System der Rentenversicherung — um Umverteilung im Rahmen des Generationenvertrages handelt, so wird es immer schwieriger, sozial gerechte Reformen durchzusetzen.Das Grundgesetz kennt aber nicht nur das Recht auf Eigentum, sondern auch die Sozialpflichtigkeit des Eigentums, wie sie in Art. 14 Abs. 2 des Grundgesetzes festgelegt ist. Diese Sozialpflichtigkeit dient dazu, hemmungsloser Ausnutzung von Besitzstandsgarantien entgegenzutreten. Eigentum findet hier eine verfassungsrechtliche Schranke, die genutzt werden muß, um einem schrankenlosen Besitzstandsdenken entgegenzuwirken.
Würde sich ein etwas liberaleres Selbstverständnis bei den Bürgern durchsetzen, so könnte man dieser Mentalität noch wirksamer entgegentreten. Diese Kritik richtet sich auch als Warnung an alle Parlamentarier. Ich denke nämlich, daß wir alle es waren, die der Anspruchsmentalität nicht entschieden genug entgegengetreten sind oder sie sogar gefördert haben.
Wir sollten uns da wirklich einmal an die eigene Brust schlagen.Meine Damen und Herren, es wird Ihnen auf gefallen sein, daß ich bisher zwei Arten von Petitionen erwähnt habe, zum einen Petitionen, bei denen Petenten in Einzelschicksalen vom Petitionsausschuß Hilfe erwarten, und zum anderen solche Petitionen, die allgemein einen Mißstand beklagen und allgemein umAbhilfe bitten. Daneben gibt es noch eine dritte Kategorie von Petitionen, deren Wichtigkeit man ebenfalls nicht unterschätzen sollte. Dabei handelt es sich um Petitionen, in denen ganz grundlegend Ängste von Bürgern zum Ausdruck kommen.Im Jahre 1986 wurden Bürger durch das Reaktorunglück in Tschernobyl veranlaßt, dem Petitionsausschuß ihre Besorgnis über die Kernkraft mitzuteilen.
Die Art der Petitionen zeigt sehr deutlich, daß es sich nicht um einen Mißbrauch des Petitionsrechts, sondern um tatsächliche Besorgnisse breitester Bürgerschichten handelte.
Die Kernenergie wurde in diesem Hause schon aus vielen Sichten beleuchtet. Ökonomische, ökologische und sicherheitstechnische Erwägungen wurden dabei angestellt. Sosehr diese Aspekte in der inhaltlichen Diskussion zu beachten sind, so sehr muß doch gesehen werden, wie wichtig ein energiepolitisches Vertrauen der Bevölkerung ist.
Ich bedaure es sehr, daß die Diskussion um die Atomenergie ideologisch derart überfrachtet ist, daß Argumente allein nicht mehr helfen,
zumal, wenn sie sich für die Atomkraft aussprechen.An die Bundesregierung appelliere ich darum, die Sorgen der Bürger, die in Petitionen hinsichtlich der Atomkraft zum Ausdruck gekommen sind, zum Anlaß zu nehmen, maßgeblich auf das Bewußtsein der Bürger einzuwirken. Es muß wieder möglich werden, über die Atomkraft sachlich zu diskutieren.
Dazu ist es notwendig, pure Angst zu reduzieren, und so auf das Bewußtsein der Bürger einzuwirken. Gerade in den Petitionen zur Atomkraft fiel mir nämlich auf, wie sehr die Angst und wie wenig die Argumente im Vordergrund stehen.
An das Ministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit richte ich daher meine Bitte, zur Versachlichung der Diskussion beizutragen und das Energiekonzept der Regierung dem Bürger verständlicher zu machen. Ein so herzustellender energiepolitischer Grundkonsens ist geeignet, Ängste abzubauen. Es wird sich in den weiteren Jahren der Arbeit des Petitionsausschusses zeigen, ob es gelungen ist, die Ängste der Bürger abzubauen.Zum Schluß möchte ich noch einmal in eigener Sache etwas zur Arbeit des Petitionsausschusses sagen. Ihnen allen dürfte bekannt sein, daß das Petitionsverfahrensrecht auf der Grundlage eines von Professor Dr. Graf Vitzthum vorgelegten Gutachtens und unter Berücksichtigung der Beratungen des Aus-
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Frau Dr. Segallschusses zu diesem Gutachten überarbeitet wird. Die Obleute des Petitionsausschusses sind übereingekommen, dieser Reform verstärkt ihre Aufmerksamkeit zu schenken. Gemeinsam werden wir darauf hinwirken, daß die Verfahrensgrundsätze des Petitionsausschusses im Sinne der Bürger reformiert werden. Es wird uns dabei darauf ankommen, das Grundrecht des Art. 17 des Grundgesetzes durch das geänderte Verfahren effektiver zu machen und es den Bürgern so zu ermöglichen, ihr Recht aus Art. 17 des Grundgesetzes in verstärktem Maße wahrzunehmen.Ich danke Ihnen.
Meine Damen und Herren, bevor ich das Wort weitergebe, möchte ich Sie davon unterrichten, daß auf der Ehrentribüne eine Delegation unter Leitung des Präsidenten der Großen Türkischen Nationalversammlung, Herrn Necmettin Karaduman, Platz genommen hat. Ich habe die Ehre, Sie im Deutschen Bundestag sehr herzlich zu begrüßen. Wir wünschen Ihnen noch einen angenehmen Aufenthalt und nützliche politische Gespräche in unserem Land. Wir danken Ihnen auch für Ihren morgigen Besuch in Berlin und das Interesse, das Sie damit der besonderen Lage der geteilten Stadt entgegenbringen. Sie haben sich dafür ein besonderes Datum ausgesucht. Vielen Dank für Ihren Besuch!
Das Wort hat nun die Abgeordnete Frau Nickels.
Lieber Herr Präsident Westphal! Sehr geehrte Damen und Herren! Zu Beginn dieser Legislaturperiode hat es einige mehr oder weniger große oder kleine Änderungen im Petitionsausschuß gegeben. Bemerkenswert finde ich allerdings alle. Zuallererst ist natürlich unsere Frau Vorsitzende Berger auf die Regierungsbank befördert worden. Das finde ich positiv, weil ich viel davon halte, daß tüchtige Frauen befördert werden und auch einmal Karriere machen. Zweitens ist es für mich auch ein Anzeichen dafür, daß der Petitionsausschuß eben nicht ein Abstellgleis und ein toter Bahnhof für hoffnungslos idealistisch gebliebene Menschen sein muß.
Obwohl Frau Berger also bei uns herausrotiert ist, ist der Frauenanteil im Petitionsausschuß erstaunlicherweise rapide angestiegen, aber nicht etwa durch die Benennung einer neuen Frau Vorsitzenden oder womöglich von vier Obfrauen. Nein, offensichtlich haben alle Fraktionen ihre neuen Frauen in die Siele des Petitionsausschusses geschickt. Ich fürchte nur, das ist nicht unbedingt ein Ausdruck von Wertschätzung der Frauen noch der einer besonderen Wertschätzung dieses Ausschusses. Es scheint mir vielmehr umgekehrt ein Beleg dafür zu sein, daß Frauen wie fast überall im öffentlichen oder privaten Leben eher dahin beordert werden, wo viel Arbeit und wenigEhre zu erwarten ist, während die Männerwelt, Herr Dr. Göhner, zu Höherem drängt.
Selbstverständlich ist uns allen klar und bewußt, daß der Petitionsausschuß Verfassungsrang genießt und damit aus der Mitte der anderen Ausschüsse hervorragt. Auch wenn in keiner Fraktion Mandatsträger in diesen Ausschuß drängen — ich will selbstkritisch sagen: auch bei uns nicht; wir hatten für zwei Vollausschußsitze genau zwei freiwillige Frauen, die dort hinein wollten —,
so ist uns doch allen klar, daß die Arbeit dieses Ausschusses sehr wichtig ist.
— Bei uns sind die Männer auch nicht viel besser als bei Ihnen in der Fraktion.
Weil aber alle diese Arbeit sehr schätzen und wir dafür auch sehr gelobt werden und uns notfalls selber loben, wie das jetzt wieder wie jedes Jahr bei der Debatte des Jahresberichts passiert,
haben uns dieses Mal unsere Parlamentarischen Geschäftsführer einen besonders herausgehobenen Termin für die Debatte unseres Jahresberichtes spendiert, quasi ein Solo für den Petitionsjahresbericht. Ich finde, liebe Geschäftsführerinnen und Geschäftsführer, das ist nicht mehr als recht und billig für diese schwere, harte und wichtige Arbeit.Für mich persönlich aber ist das so ähnlich wie Muttertag:
Einmal im Jahr werden die Mütter auf den Sockel gestellt und hoch gefeiert und geehrt, damit sie dann ein ganzes Jahr wieder fleißig malochen und für die anderen die Arbeit machen.
Das hat auch damit zu tun, daß die Mütter ja immer als unbezahlbare Frauen gerühmt werden und dann tatsächlich null DM kriegen.Ich möchte nicht, daß das beim Petitionsausschuß ähnlich gehandhabt wird. Ich glaube, daß dieses Parlament und natürlich besonders wir Mitglieder in diesem Petitionsausschuß sehr sorgsam darauf achten müssen, daß nicht mit wohlfeilen Worten von Lob und Ehre über die Petitionsausschußarbeit von Bestrebungen abgelenkt wird, diese Nahtstelle zwischen Parlament und Bürgern und Bürgerinnen einflußlos und machtlos zu halten.Bedenklich finde ich auch, daß nun, nachdem Frau Berger auf die Regierungsbank rotierte, der Ausschußvorsitz nicht von der Opposition eingenommen worden ist.
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Frau NickelsDaß die Opposition den Vorsitz 1983 nicht angestrebt hat, ist mir sehr verständlich. Frau Berger, Sie waren zu dem Zeitpunkt eine anerkannte Institution. Ich glaube, es ist verständlich, daß man dann Hemmungen hat und daß es auch etwas pietätlos ist, wenn man eine anerkanntermaßen sehr wichtige Frau, die eine sehr gute Arbeit gemacht hat, einfach vom Sockel stößt. Die Hemmungen fand ich 1983 berechtigt. Der demokratische Normalfall sollte aber sein, daß der Vorsitz im Petitionsausschuß der Opposition zusteht und auch von dieser eingenommen wird,
denn die Petitionen der Menschen sind in aller Regel gegen Regierungshandeln gerichtet.
So hat sich wohl auch kaum jemand gewundert — Frau Segall hat das schon angesprochen — , daß beim Anwachsen der Raumbedürfnisse der Fraktionen zu Beginn der 11. Legislaturperiode nicht etwa Teile der Verwaltung, sondern — wer denn sonst? — der Petitionsausschuß aus dem Regierungsviertel verbannt wurde.Diesen Äußerlichkeiten, die ich gerade genannt habe, entspricht die Aufgabenzuweisung und Arbeitsweise, auf die viele Mitglieder dieses Parlaments den Petitionsausschuß gerne festlegen möchten. Als Kummerkasten der Nation, wo der gebeutelte kleine Mann und die kleine Frau von der Straße ihr Herz ausschütten können, so liebt der Deutsche Bundestag seinen Petitionsausschuß. Unersetzlich für jede Regierung ist er auch als Fieberthermometer der Nation. Der Petitionsausschuß zeigt der Regierung sicher und blitzschnell an, wenn sie es mit Spar- und Kürzungsmaßnahmen auf Kosten der Schwachen zu toll getrieben hat, ob sie die Menschen mit militärischem Tieffluglärm und dem krebsartigen Wuchern von Truppenübungsplätzen gar zu schamlos malträtierte, ob der Umweltschutz nicht doch ein kleines bißchen mehr Platz in dieser Republik bekommen muß, damit die Volksseele nicht überkocht.Natürlich dürfen die empörten Massenpetenten nicht zu viel oder gar alles kriegen, was sie wollen. Die Regierung aber hat einen großen Koffer mit Fieberpillen parat, um den Zorn abzukühlen. Graf Vitzthum, der 1984 ein Gutachten über das Petitionsrecht und die Volksvertretung vorlegte, nennt dies vornehm — ich zitiere — „Hilfestellung bei der Integration des Gemeinwesens insgesamt".Mir ist noch eine Veränderung aufgefallen, eine Veränderung vieler Menschen. Die typischen Stammwähler und Stammwählerinnen sind im Schwinden begriffen. Viele Menschen haben keine Lust mehr, sich ein für allemal für eine Partei zu entscheiden und diese dann an ihrer Stelle denken zu lassen. Die Leute werden immer eigensinniger und politischer.
Dabei ist es natürlich nur logisch, daß die Arbeit des Petitionsausschusses — das einzige Türchen der vielbeschworenen Aktivbürger und -bürgerinnen zum Parlament — politisiert wird. Es ist auch im Jahresbericht des Petitionsausschusses niedergelegt worden,daß häufiger als früher Petitionen mit politischen Anliegen eingebracht werden.Bereits bei der Debatte des Jahresberichts 1985 — am 19. Juni 1986 — wurde diese Tendenz von den Regierungsparteien heftig beklagt. Die Forderung meines Kollegen Horst Fritsch nach Minderheitenrechten und Minderheitenvoten im Petitionsausschuß sowie der Möglichkeit, das Befugnisgesetz auch für Bitten zur Gesetzgebung zu eröffnen, statt dieses einseitig auf Beschwerden zu reduzieren, trug ihm harsche Vorwürfe z. B. von Herrn Dr. Göhner ein. Herr Dr. Göhner mutmaßte, die GRÜNEN wollten
„die Schaffung eines Sonderrechts für bestimmte Petitionen dieser Art,
ein Sonderrecht, das dann für die Petitionen einzelner Bürger nicht zur Verfügung stände".
Frau Segall hat diesen Vorwurf ausgedehnt und unsder Herzlosigkeit gegenüber dem Einzelanliegengeziehen. Ich will das ganz energisch zurückweisen.
Darum geht es hier überhaupt nicht. Sie haben damit ganz falsch gelegen, Herr Dr. Göhner.Umgekehrt wird allerdings ein Schuh daraus. Heute sind nach dem Befugnisgesetz die Beschwerden gegenüber den Bitten eindeutig bevorzugt. Massenpetitionen sind in aller Regel Bitten zur Gesetzgebung und damit benachteiligt. Die Forderungen nach Gleichstellung der Bitten mit den Beschwerden und Aufnahme eines Minderheitenschutzes in das Befugnisgesetz von 1975 sind nicht einmal auf unserem eigenen grünen Mist gewachsen. Bereits 1975 plädierten viele Abgeordnete der CDU dafür. Gucken Sie einmal in den Protokollen nach. Die damalige Regierung aus FDP und SPD sprach sich seinerzeit genauso vehement dagegen aus, wie die heutige FDP/CDU-Regierung das tut.Ich weiß tatsächlich nicht, was es hier zu fürchten gibt. Wir wissen doch alle — leider wissen das offensichtlich viele Petenten noch nicht, sonst würden sie uns noch viel mehr scheuchen, als das zur Zeit der Fall ist — , daß die Regierung durch unsere hart erarbeiteten wunderschönen Petitionsbeschlüsse zu nichts verpflichtet wird, wenn die Regierung etwas nicht will.
Deshalb ist das Mindeste, was wir Ausschußmitglieder einfordern müssen, als hochpolitischer und selbstbewußter Ausschuß arbeiten zu können. Dazu muß das Befugnisgesetz erweitert werden. Ebenso müssen die Verfahrensrichtlinien des Petitionsausschusses um Minderheitenrechte erweitert werden. Sehr viele fundierte Anregungen dazu liegen mit der Petition vom Komitee für Grundrechte und Demokratie und mit den Vorschlägen der Vereinigung zur Förderung des Petitionsrechts in der Demokratie vor. Ich habe gestern erfahren, daß diese Vereinigung sogar Klage gegen den Petitionsausschuß vor dem Verwaltungs-
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Frau Nickelsgericht führen will. Ich selber bin deshalb nicht beleidigt. Denn gegen das, was einem egal ist, wehrt man sich nicht. Daran übt man keine Kritik. Wenn der Petitionsausschuß von Bürgerinnen und Bürgern für wert erachtet wird, daß Zeit, Geld und Nerven für Petitionsbelange aufgewendet werden, dann betrachte ich das als ein Lob und eine Aufwertung dieses Ausschusses.Zum Schluß möchte ich noch eines sagen. Frau Berger, die Ära, die Sie in den vielen Jahren geprägt haben, in denen Sie Vorsitzende waren, ist zu Ende gegangen. Der Stil, den Sie maßgeblich mitgeprägt haben — nämlich sich nicht en passant mit den vielen Einzelfällen zu befassen, sondern mit Tatkraft und auch mit Herz dabeizusein — , ist uns eine Verpflichtung, die wir uns zu Herzen nehmen wollen; in diesem Stil wollen wir weiterarbeiten. Aber ich bin nicht der Meinung wie Herr Dr. Pfennig, daß die Reform des Petitionswesens in Ihrer Ära zum Abschluß gekommen ist. Gerade die Tatsache, daß Sie befördert worden sind, ist für mich ein Beweis dafür, daß jetzt der Petitionsausschuß endlich einmal befördert werden muß
und daß die Bitten — also die sogenannten politischen Petitionen — den Beschwerden der Bürger gleichgestellt werden müssen.
Das Wort hat der Abgeordnete Haungs.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch heute wurde der Petitionsausschuß zu Recht wieder als Kummerkasten und Notrufsäule bezeichnet. Es ist sicherlich die eine Seite, die private Seite unserer Arbeit, wenn sich Menschen an uns wenden, denen Behörden und Gerichte nicht zu ihrem Recht verhelfen, wie sie meinen. Von vielen großen und kleinen Hilfen, die der Petitionsausschuß — übrigens meistens mit sehr großer Mehrheit über die Parteigrenzen hinweg — den Petenten geben konnte, bleiben bei der Rückschau auf die Arbeit eines Jahres einige in Erinnerung.
Ich erwähne den spektakulären Unglücksfall eines jungen Mädchens, das beim Überqueren der Bahngleise von einem Triebwagenzug der Deutschen Bundesbahn erfaßt worden war. Ein Zugrad hatte ihren linken Unterschenkel zertrümmert — mit der Folge, daß er zehn Zentimeter unterhalb des Knies amputiert werden mußte. Zu dem Unfall war es gekommen, weil die Schülerin das Anfahren des Zuges im Bahnhof nicht bemerkte, als sie, 60 m vom Bahnhof entfernt, einen ungesicherten Bahnübergang betrat.
Es war sicher nicht einfach, nach abgeschlossenem Gerichtsverfahren in zwei Instanzen ein gutes Ergebnis zu erreichen. Es spricht für den Ausschuß und seine ehemalige Vorsitzende, daß in konzentrierter Arbeit gemeinsam vieles für die Verunglückte und deren Familie erreicht werden konnte, was zwar den Unfall nicht ungeschehen machte, wohl aber dessen Folgen erträglich gestaltete.
Aber auch ein solcher Fall von persönlicher Wiedergutmachung hat politische Dimensionen: Wieder einmal wurden wir auf die Gefahren bei unbeschrankten Bahnübergängen hingewiesen. Die Sicherheitssituation in diesem Bahnhof ist inzwischen entscheidend verbessert worden. Ähnliche Gefahrenquellen im Bereich der Deutschen Bundesbahn wurden überprüft.
In den letzten Jahren und auch heute wurde und wird sehr engagiert darüber diskutiert, wie politisch der Petitionsausschuß sein darf oder sein soll. Kann ein Ausschuß, der im Regelfall eine Stunde in der Woche — und dies noch frühmorgens — tagt, mehr tun als dem einzelnen in persönlichen Notlagen, bei Ungerechtigkeiten und Härtefällen Hilfe leisten? Kann er — um zwei Beispiele zu nennen — nach langen kontroversen Debatten im Sozialausschuß ein dort mit Mehrheit beschlossenes Gesetz zum Thema Arbeitslosigkeit oder zum Thema Streikrecht wieder aufgreifen, oder kann er eine Massenpetition zur Abrüstung sinnvoll behandeln? Er wird es wohl müssen, denn der Petent hat unabhängig davon, wie der Gesetzgebungszeitplan der Ausschüsse und des Plenums aussieht, ein Recht darauf, daß sein Thema auf die Tagesordnung gesetzt wird. Da aber der Petitionsausschuß kein Überausschuß sein kann und nach eigenem Selbstverständnis auch nicht sein will, resultiert seine Stärke auch aus einer weisen Selbstbeschränkung.
Bei vielen politischen Petitionen kommt es auf den richtigen Zeitpunkt der Eingabe an. Im Vorfeld von Gesetzesberatungen können Petitionen von Erfolg gekrönt sein, wie ein Beispiel aus dem Bundesfernstraßenbau zeigt: Als Verbindung zwischen Rhein und Bodensee war der großzügige Ausbau einer überlasteten Bundesstraße von zwei auf vier Streifen mit Standspuren geplant. Ein Teilabschnitt, eine dringend benötigte Ortsumgehung, stand kurz vor dem Baubeginn. Die Gerichtsverfahren vor dem Verwaltungsgericht waren abgeschlossen, alle Einsprüche abgewiesen.
Teile der Bevölkerung demonstrierten gegen ein in ihren Augen überzogenes Bauvolumen und forderten eine generelle Neuplanung. Bewohner der lärmgeplagten Ortschaft hingegen forderten — ebenfalls in Demonstrationen — den sofortigen Baubeginn der Ortsumgehung. Beide Gruppen richteten Petitionen an Land und Bund. Ein gemeinsamer Ortstermin fand statt, und wir suchten nach tragbaren Lösungen.
Die gleiche Problemstellung ergab sich 150 km weiter südöstlich bei derselben Bundesstraße am Bodensee: auch hier die Forderung nach einem schnellen Bau der Ortsumgehung einerseits und andererseits der energisch vorgetragene Wunsch von Naturschützern, keine autobahnähnliche Straße zu bauen, um Natur und Landschaft zu erhalten; auch hier die Suche nach Lösungen in einem gemeinsamen Ortstermin — was übrigens für unsere Ausschußarbeit immer sehr zeitaufwendig ist.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Baut der Petitionsausschuß jetzt Straßen? Nein, das nicht, aber er hat im harten Kleinkampf zwischen Landes- und Bundesbürokraten friedenstiftend gewirkt, er hat das emotionale Engagement in ratio-
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Haungsnale Bahnen gelenkt, die Streithähne an einem Tisch versammelt und Dinge bewegt, die angeblich nicht zu bewegen sind.Im nächsten Monat wird eine dieser im Petitionsausschuß behandelten Straßen dem Verkehr übergeben. Es konnte keine vollkommene Neuplanung werden, da wir sonst die Petenten, die seit zehn Jahren und länger auf ihre Ortsumgehung warten, nochmals fünf Jahre hätten vertrösten müssen. Selbst aber die Petenten, die eine völlige Neuplanung — Ausbau statt Neubau — forderten, haben sehr viel erreicht: Erstens. Durch die Tieferlegung der Trasse und den Verzicht auf einige untergeordnete Anschlüsse wurde das Bauvolumen des Brückenbauwerkes über einen Schwarzwaldfluß um ca. 50 % vermindert.Zweitens. Bei der Neufassung des Bundesverkehrswegeplanes wurde auf zweibahnigen und vierstreifigen zukünftigen Ausbaustandard verzichtet; es soll in ferner Zukunft nur dreistreifig durch das enge Schwarzwaldtal gehen, wobei der dritte Streifen als wechselseitige Überholspur unverzichtbar ist.Das Votum des Petitionsausschusses — ich bringe dieses Beispiel, um das politische Gewicht zu zeigen, das vorhin in einigen Debattenbeiträgen angezweifelt wurde — trug ganz wesentlich — —
— Ich habe es so verstanden, aber nicht bei Ihnen!
Um dieses Mißverständnis aufzuklären: Das Votum des Petitionsausschusses trug ganz wesentlich dazu bei, daß im Fachausschuß, dem Verkehrsausschuß, die Meinungsäußerungen von über 1 000 Bürgern der Region — das ist schon so etwas ähnliches wie eine Massenpetition — politisch berücksichtigt wurden.Die Petitionen zur Weiterführung einer Autobahn und einer autobahnähnlichen Bundesstraße am Bodensee wurden der Bundesregierung in einer ungewohnten Ausführlichkeit zur Berücksichtigung überwiesen. Bis ins Detail wurden Ausbauquerschnitte, die Zahl der Grünbrücken, Forderungen nach Umweltverträglichkeitsprüfungen in dem Beschluß festgelegt, und all dies wurde von der Bundesregierung auch berücksichtigt.
— Die Tunnel-Lösung wurde verworfen, weil es eine unrealistische Lösung war.
Sie müssen ja immer noch den Unterschied zwischen Straßenbau und Verteidigungsanstrengungen sehen. Sie können ja nicht ein ganzes Dorf untertunneln, wenn es gleichwertige landschaftsschonende Lösungen gibt, die nur ein Viertel kosten, und Sie können hier nicht Ausführungen machen, denen zufolge alleanderen Alternativen an anderen Orten aus finanziellen Gründen abzulehnen seien.
Wir haben im Petitionsausschuß alle Varianten erörtert. Die Tunnel-Lösung wurde verworfen, weil sie nicht sachgerecht war. Es war die von allen politischen Parteien getragene Grundentscheidung, in Zukunft für einen umweltschonenden und flächensparenden Straßenbau Sorge zu tragen.Es muß allerdings abschließend darauf hingewiesen werden — nur um die Dramatik unserer Arbeit im Petitionsausschuß zu beleuchten — , daß das Votum des Petitionsausschusses, die vorhandene Bundesstraße auszubauen — also nach der Richtschnur „Ausbau vor Neubau" —, zwar die einstimmige Zustimmung des Verkehrsausschusses erhielt, sich inzwischen aber eine 1986 gegründete Bürgerinitiative wieder mit Petitionen an Land und Bund mit dem Bestreben wendet, eine neue, seeferne Trasse zu realisieren.Wenn der Petitionsausschuß auch in Zukunft mehr ist als die Anlaufstelle zur Behebung ganz persönlicher Anliegen und Beschwerden, wenn er in größerem Maße als früher auch von Bürgerinitiativen zur Durchsetzung politischer Ziele genutzt wird, so muß dies kein Schaden für unsere Arbeit sein.
Entscheidend für die Effizienz unserer Arbeit bleibt allerdings die Konzentration auf das Wesentliche. Ich denke an die knappe Zeit, die uns für die Ausschußberatung zur Verfügung steht; wir tagen nur einmal pro Sitzungswoche. In dieser kurzen Zeit lassen sich auch bei bestem Willen aller Teilnehmer nicht alle Probleme dieser Welt lösen.
Das Wort hat der Abgeordnete von der Wiesche.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der vorliegende Jahresbericht des Petitionsausschusses macht wieder einmal deutlich, welche zusätzlichen — ich betone: zusätzlichen — Arbeiten neben der normalen Parlamentsarbeit notwendig sind, um den Nöten, den Beschwerden und den Sorgen der Bürgerinnen und Bürger gerecht zu werden. Wir merken, daß Bürgerinnen und Bürger wirklich mündiger geworden sind und einen immer stärkeren Druck und Einfluß auf Verwaltung und Gesetzgebung ausüben. Dies ist besonders beim Petitionsausschuß — auch durch die 1986 wiederum mehr als 12 000 eingegangenen Eingaben — zu vermerken.Wir als Petitionsausschuß sind und bleiben eine besondere Anlaufstelle. Dies läßt sich leider nicht verändern. Durch diese Eingaben wird aber auch klar, wo Lücken im politischen Handeln sind, wie der Bürger Politik versteht und was er vom Gesetzgeber erwartet. Dieses politische Stimmungsbarometer wird leider zu wenig beachtet.
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von der WiescheWenn Probleme im Ergebnis nicht immer so zu lösen waren, wie dies uns und dem Petenten wünschenswert erschien, lag es nicht zuletzt daran, daß gesetzliche oder andere Regelungen dem entgegenstanden oder daß im Ausschuß halt keine politische Mehrheit für den Bürger oder den Petenten zu finden war. Hier mußten und hier müssen wir stets die Grenzen im Auge behalten, die dem Petitionsausschuß gesetzt sind.Es wurde heute schon einige Male darauf hingewiesen, und auch ich habe an dieser Stelle schon einmal betont: Der Petitionsausschuß ist kein Gesetzgebungsausschuß und schon gar kein Überausschuß. Wir waren dies nicht, und wir wollen dies auch in Zukunft nicht sein. Wir wollen auch nicht den Fachausschüssen in die Quere kommen, und wir wollen dem Bürger nicht etwas versprechen, was der Fachausschuß als nicht zweckmäßig oder nicht vordringlich ansieht. Das bedeutet jedoch nicht, daß wir dem Fachausschuß keine Anregungen geben dürfen, die sich aus den Petitionsinhalten ergeben, oder gar daß wir den Fachausschuß nicht zur Eile mahnen dürfen, was manchmal dringend notwendig ist.Der Kollege Peter wies auf eine Petition oder, wie ich genauer sagen muß, einen Petenten hin. Wenn ich mir die Petition zur Kriegswaffenkontrolle anschaue, die bereits seit einigen Jahren im Deutschen Bundestag schmort und mittlerweile im Auswärtigen Ausschuß eine ganze Reihe von Jahren nicht weiter behandelt wird, bei der es um die Frage der abschließenden Beratung und der Unterzeichnung der Genfer Zusatzprotokolle I und II geht, dann ist dies einfach nicht mehr zu begreifen.
Ich meine, der Petent und auch der Petitionsausschuß müssen sich vorkommen, als würden sie zumindest in dieser Frage an der Nase herumgeführt.
Es wird allerhöchste Zeit, diese Beratungen endlich abzuschließen.Eine ganze Reihe von Petitionen, die der Deutsche Bundestag auf einmütige Empfehlung des Ausschusses der Bundesregierung zur Erwägung oder zur Berücksichtigung überwiesen hat, wird von dem zuständigen Ministerium viel zu lang geprüft. Die Verwirklichung des Beschlusses des Bundestages wird hinausgezögert. Oft werden sogar die Kompetenzen zwischen den Ministerien hin und her geschoben. Der Beschluß bleibt unerledigt. Eine ganze Reihe von Beispielen hierfür ließe sich aufzählen. Ich beschränke mich auf ein Beispiel. Herr Kollege Göhner — ich sehe ihn im Moment nicht mehr — , wir haben diese Petition zur Einkommensteuer miteinander behandelt. Wir sehen absolut kein Ende in dieser Frage, obwohl es hier einmütige Beschlüsse sowohl des Petitionsausschusses als auch des Deutschen Bundestages gibt. Ich hoffe, daß nun endlich auch diese Prüfung geregelt wird, um diese Frage ins Reine zu bringen.Der Bericht des Petitionsausschusses kann bei der großen Zahl von Einzelfällen und Sammeleingaben die Arbeit natürlich nur exemplarisch behandeln. Deshalb gehe ich nur auf ein paar Fälle ein. Ich weisez. B. auf die Massenpetition zum § 116 des Arbeitsförderungsgesetzes hin. Diese Petition wurde sehr schnell als erledigt angesehen, weil dieses Gesetz gerade erst durch den Deutschen Bundestag geändert worden war. Aber müssen wir uns nicht gerade an dieser Stelle fragen, ob nicht oftmals durch unverständliche Gesetze, die dieses Haus verabschiedet, Petitionen geradezu provoziert werden?
— Es gibt Dinge, die man gar nicht oft genug sagen kann, damit sie endlich begriffen werden.
Zahlreiche Eltern wandten sich gegen die durch das Steuersenkungsgesetz 1986/88 getroffene Neuregelung, wonach der Kinderfreibetrag bei dauernd getrennt lebenden oder geschiedenen Ehegatten sowie für nichteheliche Kinder ab 1. Januar grundsätzlich jeweils zur Hälfte gewährt wird. Der Ausschuß kam zu dem Ergebnis, daß die neue Regelung zwar im Grundsatz als sachgerecht anzusehen sei, daß aber eine ganze Reihe von Härten hier Berücksichtigung finden müsse. Inzwischen wurde zumindest ein Teilerfolg für die Betroffenen erreicht. Weitere Prüfungen folgen. Das Ergebnis insgesamt jedoch ist zur Zeit noch unbefriedigend.Das gleiche gilt auch für die Frage des DarlehensErlasses im BAföG-Bereich. Es gibt eine Reihe von Fällen, in denen Härteregelungen Anwendung finden müßten. Das Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft lehnt eine konkrete Hilfe jedoch ab. Ich meine, dies sollte hier noch einmal überdacht werden.Meine sehr verehrten Damen und Herren, dies waren nur ein paar Beispiele aus der weitgefächerten Palette der Themen, mit denen der Ausschuß befaßt wird. Die Mitglieder des Petitionsausschusses und die Bediensteten im Petitionsbüro, meine Damen und Herren, waren und sind stets um eine kontinuierliche Arbeit bemüht. Da ich meine, daß auch dieser Bereich heute nicht oft genug angesprochen werden kann, muß ich auch hier noch einmal nachkarten, Herr Kollege: Ich meine die Fehlentscheidung, den Petitionsausschuß und das Petitionsbüro räumlich so weit voneinander zu trennen.
Ich bin der Auffassung, daß eine kontinuierliche Arbeit dadurch gewaltig gestört ist. Allein schon durch den enormen zusätzlichen Zeitaufwand wird die Arbeit im Ausschuß und im Büro nicht voll zu verkraften sein. Dies wird auch durch noch so gute Technik nicht aufgefangen werden können.
Deshalb hier und heute meine Forderung:
Schaffen Sie schnellstens wieder tragbare Zustände für die Arbeit des Ausschusses und des Petitionsbüros!
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von der WiescheMeine Damen und Herren, dies waren nur einige Anmerkungen zum Jahresbericht des Petitionsausschusses. Dieser Bericht ist es wert, die besondere Beachtung aller Kolleginnen und Kollegen des Deutschen Bundestages, aber auch der Öffentlichkeit zu finden. Deshalb bitte ich Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren: Unterstützen Sie uns in unserer oft nicht sehr leichten Arbeit!
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Dempwolf.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben gehört, daß sich 12 000 bis 13 000 Bürger jährlich an den Petitionsausschuß wenden. Es sind oft genug Hilferufe, diktiert von Ratlosigkeit, Verbitterung und Verzweiflung. Wer sich die Eingaben gründlich ansieht, der lernt sehr schnell, zwischen den Zeilen zu lesen und das dahinterstehende menschliche Schicksal zu erkennen. Es gibt kaum einen anderen Bundestagsausschuß, dessen Themen so weit gefächert sind wie die des Petitionsausschusses. Die Eingaben berühren Fragen der Sozialpolitik ebenso wie Probleme des Steuerrechts oder Themen aus dem Verteidigungsbereich.Von besonderer Bedeutung für mich ist es, die Öffentlichkeitsarbeit des Petitionsausschusses zu verstärken; denn diese Arbeit ist letztlich Arbeit für den Bürger. Wir müssen den Ausschuß über die Medien, über die Presse noch näher an den Bürger heranbringen. Ich hoffe, daß uns dies wenigstens teilweise gelingt, damit immer mehr Bürger auf diese Weise erfahren, wie es ist, ein Grundrecht wahrzunehmen und sich „mit Bitten oder Beschwerden ... an die Volksvertretung zu wenden", wie es in unserer Verfassung heißt.Der Bürger ist wacher geworden; er muckt gegen die Obrigkeit schneller auf. Ich glaube feststellen zu können, daß der Petitionsausschuß seine Rolle als soziales Frühwarnsystem, wie es einmal formuliert wurde, erfüllt. Immer wieder erhält er auf Grund der Vielzahl von Eingaben Einblicke in die Wirkung staatlicher Regelungen, die von seinen Mitgliedern, die ja zugleich in anderen Bundestagsausschüssen mitarbeiten, in parlamentarische Initiativen umgesetzt werden.Meine Arbeit als Mitglied des Petitionsausschusses liegt mir sehr am Herzen. Deshalb bin ich in dieser Wahlperiode auch ganz freiwillig in diesen Ausschuß zurückgekehrt, und ich bin froh darüber. Denn so bin ich für die Bürger, auch und vor allem für die in meinem Wahlkreis, eine Anlaufstelle, an die sie sich mit ihren Sorgen und Anliegen wenden können. Ich kann mich dafür einsetzen und ihnen in speziellen Fällen oft helfen.Weit über eine halbe Million registrierte Ausreisewünsche von Menschen deutscher Volkszugehörigkeit aus den Ostblockländern sind uns nach Auskunft des Deutschen Roten Kreuzes bekannt. Diese Hilferufe erreichen uns, die einzelnen Abgeordneten, den Petitionsausschuß, der auch in diesem Jahresbericht unter dem Stichwort Familienzusammenführung auf die Gesamtproblematik eingeht und dies nun schon seit vielen Jahren. Familienzusammenführung bedeutet in diesem Zusammenhang die Aussiedlung von Menschen deutscher Volkszugehörigkeit aus osteuropäischen Ländern sowie Übersiedlung Deutscher aus der DDR und in besonderem Maße solcher Personen, die zu ihren Familien kommen oder die, wie es eigentlich selbstverständlich sein sollte, mit ihren Familien leben möchten.Friedland liegt in meinem unmittelbaren Heimatbereich. Ich mache dort regelmäßig Besuche auch mit Besuchergruppen aus meinem Wahlkreis Hannover. Die Problematik der Aussiedler ist darum für mich immer wieder sehr deutlich sichtbar. Wir sprechen zwar heute über den Jahresbericht 1986, aber sicherlich kennen Sie die aktuellen Informationen und Presseberichte der letzten acht bis zehn Tage: ein Massenansturm auf das Lager Friedland. Überschrift in der Presse: „Das Lager Friedland ist überfüllt". Vielleicht — ich hoffe es — ist dies ein Zeichen unserer ständigen Politik.Das Durchgangslager Friedland bei Göttingen erlebt in diesen Tagen eine Invasion von deutschen Aussiedlern aus der Volksrepublik Polen, vor allem aber auch — und das ist neu — aus der Sowjetunion. Ihr Durchschnittsalter ist Mitte dreißig. Die Menschen, die zu uns kommen, haben eine relativ gute Schul- und Berufsausbildung. 800 Menschen, so beschreibt der Leiter des Grenzdurchgangslagers die Situation, haben bei familiengerechter Unterbringung im Lager Platz. Seit Tagen jedoch schlafen die Menschen auch in Massenquartieren, bis zu 52 Männer, Frauen und Kinder in einem Saal. Eine Lagerstätte für 103 Menschen wird gerade in einem Vortrags- und Versammlungsraum, dem St.-Ansgar-Haus eingerichtet. 1 200 Menschen etwa sind zur Zeit täglich im Lager. Weil die Abfertigung länger dauert — das Personal ist auf diesen Andrang nicht eingestellt — , müssen diese Menschen bis zu einer Woche in Friedland leben. Die Deutschen, aus Polen kommend, reisen zumeist als Touristen in die Bundesrepublik. Sie pakken das Liebste in ihre Autos und tun so, als führen sie in die Ferien. Insgesamt kamen im Mai 1987 4 015 Menschen aus Staaten Ost- und Südosteuropas in die Bundesrepublik, darunter 1 926 aus Polen, ein, wie ich hoffe, Ergebnis unserer beharrlichen Politik.Darum ist es mir auch ein ganz besonderes Bedürfnis, auch als Abgeordnete aus Niedersachsen, einmal von dieser Stelle aus den Helfern, den Vertretern der Kirchen, dem Leiter und seinem Stellvertreter im Lager Friedland Dank zu sagen.
Diese Menschen leisten oft selbstlos zusätzliche Hilfe und bringen hier ganz selbstverständlich ihre Freizeit mit ein.Ich stelle immer wieder fest, daß es bei den Aussiedlern sehr viele bedrückende Einzelschicksale gibt. Im Petitionsbericht 1986 war die Ausreisezahl aus der Sowjetunion im Vergleich zu den vorigen Jahren ein wenig gestiegen. Die Zahlen stehen jedoch noch immer in keinem Verhältnis zu den Zahlen, die uns vom Auswärtigen Amt und vom Deutschen Roten Kreuz vorliegen. Hier geht es um Reiseanliegen von zirka 180 000 Personen. Diese Zahlen machen die
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Frau DempwolfGröße des Problems und auch das, was noch auf uns zukommt, recht deutlich. Die lange Bearbeitungsdauer von Reiseanträgen und die restriktive Handhabung von Ausreisegenehmigungen lassen bei den Ausreisewilligen ihr Ziel oft als ausweglos erscheinen.Der Petitionsausschuß unterstützte auch 1986 die Ausreiseanliegen, insbesondere auch die Übermittlung von Härtelisten. So wurden Härtelisten für die UdSSR, Polen und Rumänien dem deutschen Delegationsleiter beim KSZE-Expertentreffen über menschliche Kontakte, das im April in Bern stattfand, zugesandt mit der Bitte, sie den jeweiligen Gesprächspartnern zu übergeben.Die Übersiedlungszahlen aus der DDR haben im Vergleich zum Vorjahr stagniert. Petitionen dazu sind bisweilen erschütternd. Die Tatsache zeigt, daß sich die Erledigung der Übersiedlungsverfahren wieder verzögert. Die DDR hat 1985 nach unserem Petitionsbericht zirka 18 000 Übersiedlungswilligen die Ausreise gestattet. Im Jahr zuvor, 1984, waren es doppelt so viele. Damit stieg natürlich die Zahl der Altfälle an.Allgemein ist festzustellen, daß die Verfahren auch in der DDR viel zu lange dauern und bei den Betroffenen mit schweren seelischen und körperlichen Strapazen verbunden sind. Ausreiseanträge führen vielfach zu Benachteiligungen im Berufsleben und auch im Ausbildungsleben der Kinder.Meine Damen und Herren, wenn ich mich nur diesem einen Thema zuwende, dann erkennen Sie daran, wie wichtig mir dieses Thema ist. Die Staaten Osteuropas sind aufgefordert, sich an die internationalen Verträge zu halten und entsprechende Freizügigkeit zu gewähren.
Ich erinnere an die allgemeine Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen, und ich berufe mich auf die Schlußakte von Helsinki, die die Familienzusammenführung ausdrücklich vereinbart. Ich glaube, sehr geehrte Frau Unruh, daß die Art, wie wir diese Frage hier klären wollen, sicherlich die wirkungsvollste ist.
Ich begrüße, daß sich der Bundespräsident, der Bundeskanzler, der Außenminister und die Ministerpräsidenten gegenüber osteuropäischen Regierungen nachhaltig für Familienzusammenführung einsetzen. Wir unterstützen diese Initiativen auch durch Kontakte des Petitionsausschusses, z. B. zur rumänischen Nationalversammlung.Wenn wir über den Petitionsbericht diskutieren, können wir selbstverständlich nur wenige Petitionen ansprechen. Wie in den vergangenen Jahren erhielt der Ausschuß auch im Berichtsjahr mehrere Eingaben sorgeberechtigter Elternteile, die über die Entführung ihres Kindes durch den Nichtberechtigten Elternteil klagten. Die Entführungen erfolgten durch den deutschen oder ausländischen Elternteil jeweils ins Ausland. Die deutschen Auslandsvertretungen können in diesen Fällen nur begrenzt helfen.In einem Entführungsfall aus dem Jahr 1982, der dem Petitionsausschuß vorlag, konnten jedoch nach rund dreieinhalbjähriger Trennung zwei Kinder im Januar 1986 zu ihrer Mutter zurückkehren. Der deutsche Vater hatte das Besuchsrecht ausgenutzt und seine elf beziehungsweise sieben Jahre alten Kinder entführt. Auf Grund einer von ihm gelegten falschen Fährte wurden er und die Kinder zunächst im Nahen Osten vermutet. Nach langwierigen und schwierigen Ermittlungen fand man ihn mit den beiden Kindern in einem südamerikanischen Staat. Da bei der Einleitung eines gerichtlichen Verfahrens zu befürchten war, daß er mit den Kindern unverzüglich untertauchen würde, beschränkten sich die Behörden darauf, seinen Aufenthaltsort zu beobachten. Die deutsche Botschaft konnte mit den Behörden des Gastlandes vereinbaren, die Kinder der Mutter zu übergeben und den Vater in die Bundesrepublik abzuschieben. Hier wurde er am 2. Februar 1986 festgenommen und inzwischen zu drei Jahren Freiheitsstrafe verurteilt.Ich wünsche mir, daß wir im Sinne der Petenten die Arbeit im Petitionsausschuß gemeinsam so sachlich wie bisher erledigen werden. Unsere gemeinsame Arbeit im Ausschuß ist gut. Es ist nicht üblich, daß man sich im Parlament gegenseitig lobt. Aber, ich denke, wir arbeiten sehr fair miteinander. Ich sage das auch ganz besonders an die Adresse der Kollegen der Oppositionsparteien. Ich wünsche mir, daß es auch so bleibt. Gelegentliche Auseinandersetzungen gehören zum politischen Alltag — ich finde, das ist auch gut so — , aber das Menschliche sollte nicht zu kurz kommen.Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Abgeordnete Reuter.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Petitionen sind ein politisches Stimmungsbarometer. Sie stellen jedoch keinen repräsentativen Querschnitt des Meinungspektrums unserer Bürger dar. Deshalb kann auch aus der Anzahl der Eingaben zu einem Problem nicht ohne weiteres auf dessen Bedeutung für die Gesamtbevölkerung geschlossen werden.In dem vorliegenden Tätigkeitsbericht für das Jahr 1986 ist erstmals der Bereich Umwelt und Naturschutz, bedingt durch ein neues Ministerium, gesondert ausgewiesen. Es waren zwar nur 1,11 % oder 94 Eingaben, die diesen Bereich betroffen haben. Allerdings sind die Petitionen hierzu erst seit August 1986 erfaßt, also für fünf Monate. Natürlich ist diese Zahl von 94 im Verhältnis zu den 2 768 Petitionen, die in die Zuständigkeit des Bundesministers für Arbeit und Soziales fallen, gering. Jedoch bin ich der Meinung, daß sie für uns von ihrem Inhalt und von ihrer
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ReuterBedeutung her in der Bearbeitung und in der Beratung von großer Tragweite sein werden.Ich will in der gebotenen Kürze einige Beispiele vortragen. Vier Petitionen zielten auf eine Auslagerung der Zuständigkeit für die Aufgaben des Tierschutzes aus dem Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ab, und zwar in das neu geschaffene Ministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Diese Petitionen wurden der Bundesregierung als Material überwiesen. Ich will an dieser Stelle einmal sehr deutlich sagen — das ist schon einige Male angeklungen — : Es darf nicht so sein, daß wir Petitionen als Material an die Bundesregierung überweisen und daß sie dort in einer großen Materialsammlung Eingang finden, ohne daß dann irgendeine Reaktion erfolgt.
Hier meine herzliche Bitte an die Regierung, schneller und mit mehr Initiative an die Dinge heranzugehen, damit wir auch bald Ergebnisse zur Kenntnis nehmen können.Eine Sammelpetition hat sich für die Einführung eines einklagbaren Umweltgrundrechtes in das Grundgesetz ausgesprochen. Diese Petition hatte 3 500 Unterschriften. Der Bundestag lehnte einen entsprechenden Gesetzentwurf der GRÜNEN ab und sah deshalb auch die Petition als erledigt an. Aber auch hier stelle ich fest, daß eine solche Petition nicht nutzlos im Winde verweht, sondern daß auch daraus noch Ergebnisse resultieren; denn demnächst werden wir im Bundestag intensiv über die Verankerung des Umweltschutzes als Staatszielbestimmung im Grundgesetz beraten.Der Tierschutz — das Verbot von Tierversuchen, von Massentierhaltung, von rituellem Schlachten — war Gegenstand einer Anzahl Petitionen. Hier hat der Ausschuß gemäß § 109 der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages eine Stellungnahme des Fachausschusses eingeholt. Diese Petitionen sind dann als Material an das Ministerium weitergeleitet worden.Aber auch selbst kleine Dinge nehmen wir in diesem Petitionsausschuß ernst, meine Damen und Herren, wie z. B. das Verkaufsverbot für Maulwurfsfallen. Auch das war eine wichtige Petition, weil diese Tierart vom Aussterben bedroht ist. Wir bitten die Regierung, die Abstimmung mit den Kleingärtnern zu beschleunigen, damit endlich ein Erlaß herauskommt, wonach diese Maulwurfsfallen verboten werden.Meine Damen und Herren, eine andere Petition begehrte das sofortige nationale Verbot der Herstellung von fluorchlorkohlenwasserstoffhaltigen Spraydosen in der Bundesrepublik. Die Verwendung von FCKWs in den übrigen Bereichen sollte kurzfristig drastisch eingeschränkt werden, weil die Ozonschicht gefährdet ist.
Auch diese Petition ging an das Bundesministerium für Umweltschutz sowie an das Bundeskanzleramt.Ich möchte auch die Petition erwähnen, die die Anregung enthält, daß die Bundesministerien und das Bundeskanzleramt mehr Recyclingpapier verwendensollten, um auch so etwas Nennenswertes für den Umweltschutz zu tun.Veranlaßt durch den Reaktorunfall in Tschernobyl Ende April 1986 richteten mehrere tausend Bürger Petitionen an den Deutschen Bundestag, in denen überwiegend der sofortige oder mittelfristige Ausstieg aus der Kernenergie, der Verzicht auf die Brütertechnologie und die Wiederaufarbeitung sowie ein verändertes umweltverträgliches Energiekonzept gefordert wurden. Bei dieser Petition konnte der Ausschuß in seiner Entscheidungsfindung jedoch nicht in allen Teilen den Petenten Rechnung tragen; denn die Fraktionen sind im Petitionsausschuß in demselben Verhältnis vertreten wie in den Fachausschüssen und wie hier im Plenum des Deutschen Bundestages.Ich will als erfreulich die Tatsache würdigen, daß die Koalitionsfraktionen mehr als früher bereit sind, auch bei Petitionen, die den Umweltschutz betreffen, diese mit einem qualifizierten Votum auszustatten, nämlich an die Regierung zu leiten, sei es nun mit der Formel „zu berücksichtigen" öfter aber auch nur „als Material" .
Ich will den Kolleginnen und Kollegen der Koalitionsfraktionen dafür danken, wenngleich ich manchmal ein bißchen den Eindruck habe, daß der Grund für das Entgegenkommen darin zu sehen ist, daß man kontroverse Debatten hier im Plenum vermeiden möchte, wie der Kollege Dr. Göhner es einmal in seiner charmanten offenen Art ausgeführt hat.Meine Damen und Herren, es ist in dieser Debatte schon oft dargelegt worden, daß der Petitionsausschuß kein Ober- oder Überausschuß sein soll. Er ist auch kein Instrument der Opposition. Die kontroversen politischen Diskussionen müssen vorrangig in den Fachausschüssen geführt werden. Die kurzfristige Korrektur von Mehrheitsentscheidungen, wie z. B. der Ausstieg aus der Kernenergie oder wie das Abrüsten, das Beseitigen der Raketen, kann deshalb nicht das Ergebnis realistischer Oppositionsarbeit im Petitionsausschuß sein.Ich will hier aber auch einmal deutlich auf die Zielkonflikte mit den Fachausschüssen hinweisen, und zwar am Beispiel einer Petition zum Thema Tieffluglärm. 80 Eingaben von Einzelpersonen, Bürgerinitiativen und Gebietskörperschaften haben sich mit der Bitte an den Deutschen Bundestag gewandt, etwas Entscheidendes gegen diese Lärmbelästigung zu tun. Nun hat der Petitionsausschuß nach § 109 der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages diese Petition an den Verteidigungsausschuß weitergeleitet. Der Verteidigungsausschuß hat als Resultat aus einer Anhörung einen Entschließungsantrag gefaßt. Dort heißt es:Die Bundesregierung wird aufgefordert, das berechtigte Interesse der Bevölkerung an der Vermeidung von Lärmbelästigungen, die Gesundheit und Lebensqualität beeinträchtigen können, mit den verteidigungspolitischen Notwendigkeiten militärischer Übungen soweit wie möglich in Einklang zu bringen.
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ReuterMeine Damen und Herren, dieses „soweit wie möglich" bestimmt dann das Bundesverteidigungsministerium.
Da bin ich in Sorge, wenn ich die Äußerungen eines Staatssekretärs Würzbach höre, der wegen des RustFlugs nach Moskau meint, auch wir müßten jetzt noch tiefer fliegen, damit alles seine Ordnung hat. Mit dieser Art von Behandlung kann der Petitionsausschuß nicht einverstanden sein, meine Damen und Herren.
Der Petitionsausschuß darf sich damit nicht zufrieden geben. Unsere Aufgabe beschränkt sich nicht auf das bloße Weiterleiten von Petitionen. Wir müssen uns selber mit den anliegenden Problemen der Menschen vertraut machen, die ihre Petitionen an uns weiterreichen. Wir müssen hier die Problemstellungen herausarbeiten, das Pro und Kontra gegenüberstellen.Folgendes darf hier nicht zur Regel werden. Wenn sich der Petent während eines Gesetzgebungsverfahrens an uns wendet, dann geben wir das nach § 109 an den Fachausschuß weiter, und manchmal sehen wir von der Petition nie wieder etwas. Frau Dr. Segall hat gesagt: Wir wollen Mißbrauch bei dem Petitionswesen abstellen. Wer entscheidet denn, was Mißbrauch ist?
Da ich hier jetzt kein probates Konzept erkennen kann, muß ich sagen: Wir schaffen doch auch nicht das Eigentum ab, weil es Diebstahl gibt. Also können wir nach meiner Ansicht auch hier nicht von vornherein etwas machen wollen, was nicht in die richtige Richtung weist.
Ich will auch noch deutlich machen: Wenn sich jemand nach dem Gesetzgebungsakt an uns wendet und die Petition dann beschieden wird, holen wir meistens erst eine Stellungnahme des Ministeriums ein. Das Ministerium sagt: Wir haben festgestellt, daß sich der Anwender des Gesetzes ordnungsgemäß verhalten hat und genau nach dem Gesetz verfahren ist. — Das wäre ja noch schöner, wenn das nicht so wäre! — Dann schreiben wir dem Petenten in dem Bescheid: Wir bedauern, Ihre Erwartungen nicht erfüllen zu können; denn die Aussagen des Ministeriums sind nicht zu beanstanden. Meine Damen und Herren, das weiß der Petent in aller Regel. Er kommt zu uns und will eine Änderung des Gesetzes, das so auf ihn wirkt, wie er es eigentlich nicht für sinnvoll hält. Deshalb müßten wir uns nach meinem Dafürhalten gerade auf diesem Sektor etwas mehr als bisher überlegen, wie wir diese Probleme lösen können.Ich will auch sehr deutlich sagen — das ist heute morgen schon angeklungen — , daß das Zusammenspiel mit den Fraktionen und den Fachausschüssen verbessert werden muß.
Als Probe aufs Exempel frage ich nach sechs Monatenbei den Fraktionen mal nach solchen Petitionen, diewir dort zur Kenntnis bringen, ob in der Fraktion überhaupt jemand dafür zuständig ist, ob überhaupt jemand weiß, was daraus resultiert.
Wir können doch Petitionen nicht im Prinzip einer Beerdigung erster Klasse zuführen und dann so tun, als hätten wir die Probleme unserer Welt gelöst.
Ich will zum Schluß noch einmal allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Büros sehr herzlich danken. Auch ich habe in dieser Stunde, wo wir diesen Jahresbericht 1986 diskutieren, den sehnlichen Wunsch, daß die Mitarbeiter bald wieder aus ihrem unfreiwilligen Getto jenseits der Schranken mehr in das Zentrum der Macht kommen können; denn ich meine, gerade der Petitionsausschuß ist ein Ausschuß, der auf Akten angewiesen ist. Da macht es für mich keinen Sinn, wenn einige Kilometer zwischen dem Petitionsbüro und unserer Arbeit hier liegen.Meine Damen und Herren, ich möchte mit der Feststellung schließen, daß der Petitionsausschuß seiner Funktion als Mittler zwischen dem einzelnen Bürger und den politischen Entscheidungsträgern auch im zurückliegenden Jahr wieder gerecht werden konnte. Die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes können davon ausgehen, daß ihre Sorgen, Anregungen, Bedenken und Probleme bei dem Petitionsausschuß des Deutschen Bundestages in guten Händen sind.Schönen Dank.
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Dr. Hamm-Brücher.Frau Dr. Hamm-Brücher: : Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gestatten Sie auch einem Nichtmitglied des Petitionsausschusses, hier einmal zwei Anmerkungen zu machen, weil ich mir nun seit vielen Jahren diese Jahresdebatten mit großem Interesse anhöre und am Anfang meines langen politischen Lebens in den 50er Jahren selber jahrelang Mitglied eines Petitionsausschusses im Bayerischen Landtag war.
Ich finde, Frau Kollegin Nickels, daß diese Lehrzeit für jeden Abgeordneten sehr hilfreich ist, und ich bin ganz sicher, daß nicht nur Frau Berger, sondern viele der jungen Frauen, der neuen Abgeordneten, die jetzt im Petitionsausschuß mitarbeiten, davon sehr viel für ihre eigene politische Laufbahn profitieren werden. Ich wünsche jedenfalls vielen Frauen, daß sie wie Frau Berger eines Tages auch mal auf der Regierungsbank sitzen.Weshalb ich mich aber gemeldet habe, Frau Nickels, ist, daß Sie gesagt haben, das sei so eine Art Muttertagsveranstaltung, einmal im Jahr. — Ich möchte stellvertretend für alle Abgeordneten, die nicht Mitglied des Petitionsausschusses sind, den Ausschußmitgliedern aus vollem Herzen danken und sagen: Was Sie im Petitionsausschuß stellvertretend
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Frau Dr. Hamm-Brücherfür uns alle leisten, ist für mich eigentlich der Inbegriff dessen, was in Art. 38 Abs. 1 unseres Grundgesetzes steht, daß wir nämlich „Vertreter des ganzen Volkes" sind. Das verwirklicht sich doch in Ihrer Arbeit. Ich würde mir wünschen, daß das Fernsehen so eine Debatte übertragen würde, damit der Bürger auch einmal das Kernstück unserer Arbeit, Ihre Arbeit, besser kennenlernte, als das bei so strittigen Schaukampfdebatten hier im Hause der Fall ist. Also, vielen Dank für Ihre Bemerkungen, vielen Dank für die vielen Anregungen, die von Kollegen aus allen Fraktionen gekommen sind.Mir ist heute eines ganz klargeworden: Eine Stärkung des Petitionsrechts, eine Verbesserung der Möglichkeit des Bürgers, hier ernst genommen zu werden, ist das Kernstück der Parlamentsreform, die wir uns vorgenommen haben, überhaupt;
denn wir sind die erste Gewalt im Staate und haben die Aufgabe, die Exekutive, die heute hier erfreulich zahlreich vertreten ist, zu kontrollieren. Und wo gelänge das besser als über den Petitionsausschuß? Wir haben die Aufgabe, uns zu informieren und Initiativen zu ergreifen. All das findet, wie in einer Nußschale, in Ihrem Petitionsausschuß statt.Wir haben auch eine interfraktionelle Initiative, die erstaunlich angewachsen ist. Herr Präsident, sie hat jetzt 50 % mehr Mitglieder als in der vorigen Legislaturperiode. Wir werden eine kleine Arbeitsgruppe bilden und uns dort überfraktionell speziell mit dieser Aufgabe der Stärkung des Petitionsausschusses beschäftigen;
denn, bei allem Respekt vor unseren Geschäftsführerinnen und Geschäftsführern, die Aufgabe der Parlamentsreform dürfen wir ihnen allein nicht überlassen; dann kommen wir nämlich nicht weiter.
Das wollte ich bei dieser Gelegenheit, ermutigt durch die vielen Anregungen, die hier von allen Seiten gekommen sind, sagen. Packen wir die Parlamentsreform an, und beginnen wir bei der Stärkung der Petitionsausschußarbeit!Vielen Dank.
Meine Damen und Herren, das Wort hat der Herr Abgeordnete Fuchtel.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es wird behauptet, daß Erfahrungen das politische Auge schärfen. Auf der anderen Seite ist aber vielleicht das Auge eines Neulings im Petitionsausschuß noch ungetrübt. Ich freue mich, daß beides hier in diese Aussprache eingebracht werden kann.Wir reden heute über 13 000 Eingaben. Man muß sich diesen Aktenberg einmal vorstellen. Ich möchte es einmal bildlich sagen: Es ist ein Aktenberg, höher als der „Lange Eugen". Bedenkt man die Geduldigkeit von Papier, ist eine Trefferquote von 16 % doch sehr beachtlich.Offensichtlich konnte das Petitionsrecht über die Jahre so geformt werden, daß die Qualität der Bearbeitung nicht unter der Masse leidet. Ich meine, das Parlament hat den Art. 17 des Grundgesetzes tatsächlich in den Dienst der Bürger gestellt. Dies ist eine große Leistung, und wir jungen Abgeordneten, so glaube ich, haben allen Anlaß, unseren Vorgängern zu danken, die dies geschaffen haben.
Meine Damen und Herren, wir sollten in der Aussprache über einen solchen Bericht aber nicht verschweigen, daß das Petitionsrecht in vielen Fällen Schlichtweg überstrapaziert wird. Ich meine hier nicht nur gewisse Strategien zur Politisierung, sondern auch die Effizienz in vielen Fällen.Folgender Fall läuft derzeit: Der Petent fordert Schadensersatz. Der Grund: Bei einer Bewerbung an das Bundesverteidigungsministerium wurden die eingereichten Unterlagen — man höre und staune — gelocht und ein Paßbild auf einen Personalbogen aufgeklebt. Streitwert: 4,50 DM. Die Frage, ob es effizient ist, wenn eine ganze Maschinerie in Bewegung gesetzt wird, stellt sich hier, glaube ich, zu Recht.Diese Petition zeigt aber auch, wie gründlich jeder Fall bearbeitet wird: Stellungnahme des Verteidigungsministeriums, dann Entschuldigung an den Petenten für das Aufkleben des Paßbildes. Dann kommt auch noch der letzte Beweis der Gründlichkeit der Arbeit des Petitionsbüros: Zusätzliche Ermittlungen — so heißt es — hätten ergeben, daß das Lochen von Bewerbungsunterlagen auch bei anderen Bundesministerien nicht unüblich sei. —
Man läßt es auch nicht an einem Hinweis auf den Nutzen fehlen, nämlich in der Form: Die gelochten Unterlagen seien wieder verwendbar. —
Meine Damen und Herren, der Fall macht deutlich, wie perfekt man sich bemüht, dem Anliegen des Bürgers Rechnung zu tragen, auch dann, wenn das Anliegen nicht für jedermann einsichtig zu sein vermag.Das Recht der Petition ist wichtig. Noch wichtiger wäre es, wenn es nicht so vieler Petitionen bedürfte, wenn mehr von unseren Verwaltungen, ja auch von den Parteien und letztlich auch von uns Mitmenschen selbst aufgefangen würde. Die Petition an den Mitmenschen sollte in unserer Gesellschaft ebenfalls mehr gehört werden. Martin Luther King hat einmal gesagt:Wir haben gelernt, wie die Vögel zu fliegen und wie die Fische zu schwimmen, aber wir haben die einfache Kunst verlernt, wie Brüder zu leben.
Meine Damen und Herren, wir bejahen das heutige Petitionsrecht. Die Petition an staatliche Institutionen sollte jedoch nicht zum Routinemittel werden.Vielen Dank.
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Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Es mag mir erlaubt sein, noch einmal auch von dieser Stelle den Abgeordneten, die im Petitionsausschuß arbeiten, ebenso wie den Mitarbeitern sehr herzlichen Dank zu sagen. Für viele Bürger unseres Landes ist er oft die letzte Station der Hilfe, die sie erwarten können. Vielen konnte ja doch noch geholfen werden. Vielen herzlichen Dank!
Ich rufe den Zusatztagesordnungspunkt 1 auf:
Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Neuorganisation der Marktordnungsstellen
— Drucksache 11/479 —
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO
Interfraktionell ist für die Beratung ein Beitrag bis zu fünf Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. — Dies ist so beschlossen, denn ich sehe keinen Widerspruch.
Zuerst hat das Wort der Herr Abgeordnete Susset.
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst möchte ich mich bei allen Fraktionen recht herzlich bedanken, daß es möglich war, diesen Gesetzentwurf zur Neuorganisation der Marktordnungsstellen so unkompliziert auf die heutige Tagesordnung zu bringen.
Was wir jetzt beraten, beruht auf gesetzlicher Verpflichtung. Wir müssen dies im Interesse der Landwirtschaft beraten, weil wir sicherstellen müssen, daß die Finanzverpflichtungen, denen die EG in absehbarer Zeit nicht mehr nachkommen kann, national überbrückt werden. Wir können nicht zulassen, daß das Netz der Marktordnungen, das unsere Landwirtschaft vor Schlimmerem bewahrt, noch in diesem Jahr reißt. Das Gesetz soll sicherstellen, daß die Marktordnungen weiter funktionsfähig bleiben.
Die derzeitige Finanzlage der EG läßt es nicht zu, daß die notwendigen Marktordnungsmaßnahmen uneingeschränkt bis zum Jahresende fortgeführt werden können. Es liegen Vorschläge auf dem Tisch, die eine Modifizierung der EG-Agrarfinanzierung vorsehen. Durch die Umstellung von dem bisherigen Vorschuß- auf ein Erstattungsverfahren soll ein Beitrag zur Erhaltung der Zahlungsfähigkeit der EG geleistet werden.
Für die Mitgliedstaaten bedeutet das, daß der Zeitraum bis zur Erstattung aus dem EG-Haushalt durch Kassenkredite überbrückt werden muß. Es kann wegen der bestehenden Finanzierungslücke nicht ausgeschlossen werden, daß die EG-Kommission ihre Vorschußzahlungen schon vor Ende der Sommerpause kürzen oder später, wenn nicht gehandelt wird, ganz einstellen müßte. Es ist also unbedingt notwendig, daß wir schon jetzt national die notwendigen
gesetzlichen Ermächtigungen schaffen und der Bundesanstalt für landwirtschaftliche Marktordnung die Möglichkeit zur Aufnahme von Kassenkrediten einräumen. Dieses Ziel verfolgt der vorliegende Gesetzentwurf.
Meine Damen und Herren, ich bin überzeugt, daß wir heute über diesen Entwurf nicht beraten müßten, wenn die EG-Kommission die von der Bundesregierung vorgeschlagenen Wege der Mengenrückführung beschritten hätte. Was die Kommission getan hat, ist lediglich eine Forcierung der angekündigten Preisdruckpolitik ohne die flankierenden Maßnahmen. Die vielversprechenden Ansätze zur Vorruhestandsregelung, zur Flächenstillegung, zur Extensivierung der Produktion und zur Erhöhung der Wirtschaftskraft der gesamten ländlichen Räume wurden vernachlässigt und schleppend behandelt. Die Kommission und die Nationalstaaten, die die Kommission in ihrer Grundeinstellung unterstützen, müssen einsehen, daß die Politik des Preisdrucks ohne die erwartete Wirkung verpufft. Überproduktion kostet Geld, meine Damen und Herren, und ich glaube, das haben wir in der Zukunft nicht uneingeschränkt.
Mit der Politik, wie sie die EG zur Zeit auch als Anbieter auf dem Weltmarkt betreibt, müssen wir schließlich finanziell scheitern. Alle, die meinen, daß es nur um das Halten von Marktanteilen geht, werden feststellen, daß dies sowohl für die Landwirtschaft in der Europäischen Gemeinschaft als auch für die Landwirtschaft jenseits des Atlantik, beispielsweise in den USA, auf Dauer nicht gutgehen kann.
Eine wirksame Lösung der Agrarproblematik — davon sind wir als CDU/CSU-Fraktion überzeugt — muß von der Spitze kommen. Eine Voraussetzung dazu ist eine einheitliche Linie in der EG. Auf dem Gipfel Ende Juni besteht dazu die Chance. Ich bitte in aller Eindringlichkeit darum, daß sie genutzt wird.
Das vorliegende Gesetz, meine Damen und Herren, muß rasch verabschiedet werden, damit die Marktordnungen weiter ihre marktstabilisierenden Aufgaben erfüllen können. Ich bitte, der Überweisung an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten und zur Mitberatung an den Haushaltsausschuß zuzustimmen.
Danke schön.
Das Wort hat der Abgeordnete Müller .
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Herr Kollege Susset, es ist eine schlechte Angewohnheit, kein guter Stil und sollte wirklich Ausnahme sein, Bundestagsausschüssen kurz vor der Sommerpause eilige Gesetzentwürfe vorzulegen und sie so in ihren Beratungen unter Zeitdruck zu setzen.
Im Juni 1986 mußten die betroffenen Ausschüsse in aller Eile das Gesetz zur Beitragsentlastung im Agrarbereich beraten. Jetzt, wiederum vor der Sommer-
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Müller
pause, sollen wir eine vom Umfang wie von den Auswirkungen her doch durchaus beachtliche Änderung der Agrarfinanzierung absegnen.
Hatte und hat das eventuell etwas mit den Landwirten und den Landtagswahlen 1986 in Niedersachsen, jetzt in Schleswig-Holstein zu tun?
Zur Sache selbst, Herr Kollege Susset, ist festzustellen — ich gebe Ihnen recht — : Die EG ist pleite. Bis zu 12 Milliarden DM fehlen 1987. Die Bundesregierung aber ist zumindest mitverantwortlich an diesem Debakel.
Denn sie behindert seit Jahren eine durchgreifende Agrarreform.
Sie verspricht den Landwirten alles mögliche, verweigert gleichzeitig jedoch das notwendige Geld für die weitere Integration der EG. Die Landwirte wie die übrige betroffene Agrarwirtschaft haben einen unmittelbaren Rechtsanspruch auf Zahlung von Beihilfen, Exporterstattungen usw. Diese Ansprüche müssen erfüllt werden. Die agrarpolitische Misere — auch da stimme ich Ihnen zu — darf nicht zu Lasten der Bauern gehen.
Aber diese Misere haben Sie mitverursacht.Mit diesem Gesetz sollen nunmehr alle Marktordnungskosten durch von der Bundesanstalt für Landwirtschaftliche Marktordnung aufzunehmenden Kredite bezahlt werden können, soweit die EG nicht einspringt. Ist das eine endgültige Sicherung der Zahlungsansprüche der Landwirte und der übrigen Agrarwirtschaft?
Was geschieht, Herr Kollege Susset, wenn die EG die Zahlung endgültig verweigert? Ist diese Art der Finanzierung haushaltsrechtlich unbedenklich, oder ist es der Einstieg in einen neuen Schattenhaushalt? Werden unsere Nachbarländer ähnliche nationale Regelungen treffen? Hat man wegen dieser Fragen mit ihnen Kontakt aufgenommen?
Besteht nicht die Gefahr der Verlagerung von Warenströmen aus den Nachbarländern in die Bundesrepublik, wenn nur bei uns eine solche nationale Zwischenfinanzierung Anwendung findet? Würden dann deutsche Produkte vom Markt weg in die Intervention gedrängt? Müßte dann nicht auch damit gerechnet werden, daß der jetzt vorgesehene Kreditrahmen nicht ausreicht?Sie sehen, meine sehr verehrten Damen und Herren, es sind sehr viele Fragen zu stellen. Sie bedürfender Antwort. Der von der Bundesregierung vorgeschlagene Gesetzentwurf, eingebracht von den Fraktionen der Koalition, bedarf deshalb einer eingehenden Beratung und einer sorgfältigen Prüfung in den zuständigen Ausschüssen.Herr Kollege Susset, wir sind lange genug in diesem Ausschuß, und wir wissen, wie hilfreich es ist, wenn zwischen der ersten und zweiten Lesung ein längerer Zeitabstand besteht, um eventuell nachfragen zu können, um sich das noch einmal zu vergegenwärtigen. Dazu besteht diesmal keine Zeit. Ich bedaure dies. Deswegen sagte ich anfangs: Ich hoffe, daß es wirklich Ausnahme bleibt.Der Überweisung, Herr Kollege Susset, stimmen wir zu.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Weng.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Europäische Gemeinschaft hat mitgeteilt, daß sie nicht mehr über die nötige Liquidität für Garantieausgaben für die Landwirtschaft verfügt. Das bedeutet in der Konsequenz, daß der Bund die Finanzlücke abdecken muß.Die FDP-Fraktion ist allerdings unangenehm überrascht, daß die Bundesregierung trotz längerer Kenntnis des Problems erst jetzt aktiv wurde, um eine Lösung in Angriff zu nehmen,
und die Fraktionen dringend gebeten hat, auf Grund der zeitlichen Situation mit ihrer Initiative zügig voranzuschreiten. Meine Damen und Herren, die Bedenken des Kollegen der SPD-Fraktion sind nicht völlig von der Hand zu weisen. Die Finanzsituation ist ein erneuter Beweis dafür, daß es endlich zu einer — wenigstens mittelfristig — abschließenden Regelung der EG-Finanzierung kommen muß. Die FDP-Fraktion will in jedem Fall sicherstellen, daß die Betroffenen, also unsere Landwirte, nicht die Leidtragenden dieser verworrenen Finanzierungssituation werden,
sondern daß die rechtlichen Verpflichtungen termingerecht erbracht werden. Es kann ja wohl nicht angehen, meine Damen und Herren, daß gerade in der Erntezeit die Landwirte ihre dringend benötigten Gelder nicht bekommen, obwohl sie — das muß hier wirklich ganz deutlich gesagt werden — einen Rechtsanspruch darauf haben. Um das gewünschte Ziel zu erreichen, muß deshalb der Bund die Zahlungen vorübergehend sicherstellen, denn die Europäische Gemeinschaft bleibt ja zur Rückzahlung dieser ausgelegten Beträge verpflichtet.Meines Erachtens hätten sich zwei mögliche Wege, dieses Ziel zu erreichen, angeboten, zum ersten eine Finanzierung durch Kassenverstärkungskredite nach § 3 des Haushaltsgesetzes. Dies hat das Bundesfinanzministerium aus formalem Grund, man könnte fast sagen, aus dem ein bißchen formalistischen Grund,
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Dr. Weng
hier handele es sich nur um eine EG-Verpflichtung, nicht um eine Verpflichtung des Bundes, die abgesichert werden müsse, abgelehnt. Meine Damen und Herren, da ja in der Konsequenz der Bund haftet, hätte man hier nach meinem Dafürhalten auch anders entscheiden können.Es blieb dann nur die zweite Möglichkeit, nämlich eine gesetzliche Regelung. Auf Grund der auch von den Vorrednern erwähnten zeitlichen Enge jetzt kurz vor der Sommerpause und im Blick auf das, was bei der EG eben an möglicher Nichterfüllung von Zahlungsverpflichtungen ansteht, mußten wir den vorliegenden Gesetzentwurf heute einbringen, um überhaupt die Lösung noch termingerecht zu ermöglichen.Der Entwurf geht allerdings in seinen Konsequenzen weit über das Ziel hinaus, das wir anstreben und das hier definiert worden ist. Er wird deswegen in seiner jetzigen Form nicht abschließend Bestand haben; es wird Änderungen geben müssen.Meine Damen und Herren, bis Ende des Jahres wird ja klar sein, ob die Europäische Gemeinschaft ihre Verpflichtungen erfüllt oder ob hier gegebenenfalls tatsächlich auf Grund der rechtlichen Situation eine haushaltsmäßige Veranschlagung erforderlich wird. Deswegen meinen wir, daß in den Entwurf eine Befristung eingebracht werden soll, damit sichergestellt bleibt, daß im weiteren Verlauf haushaltstechnisch ordnungsgemäß verfahren wird, daß aber — dies will ich abschließend auch noch einmal ganz eindeutig betonen — den Landwirten in ihrer sowieso schon sehr schwierigen Lage keine Nachteile entstehen.Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kreuzeder.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Mitbürger! Ich verstehe die Aufregung bei der SPD und bei der CDU/CSU nicht. Der Ausschuß war letzte Woche in Brüssel, und auf zweimalige Nachfrage haben uns die Herren Narjes und Andriessen bestätigt, daß so ein Gesetzentwurf nicht nötig ist, weil die Mitgliedsländer sowieso verpflichtet sind, bei Pleite der EG die Kasse zu übernehmen.
Was soll also der Antrag? Der Antrag hat nur einen einzigen Sinn: den Bauern auf dem Lande vorzugaukeln, daß sich CSU, CDU und FDP für die bäuerliche Landwirtschaft einsetzen, und zwar dadurch, daß weiterhin Subventionen gezahlt werden. Das ist der einzige Sinn! Die Gesetzesvorlage hat keinen anderen Sinn, als zu verdecken, daß z. B. die Fettsteuer abgelehnt wird — und das ist wesentlich schlimmer — und daß der Kiechle und seine Freunde schon lange Preissenkungen beschlossen haben, was viel, viel schlimmer ist, als wenn dieses Gesetz nicht durchs Parlament geht.
Es soll der EG signalisiert werden, daß die Bundesregierung unter Umständen bereit ist, mehr Geld auszugeben, wenn es, was die bäuerliche Landwirtschaft angeht, nur so weiterläuft. Laut Meldung vom Nachmittag heißt das: 20 000 Betriebe weniger, aber gleichzeitig Gewinnsteigerung bei Unilever, Nestlé usw. Das Gesetz ist also völlig sinnlos. Es geht nicht an die Ursachen; es ist ein Herumdoktern an den Symptomen, nichts anderes. Was soll der ganze Schwachsinn?
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Paintner?
Ich bin ein junger Abgeordneter; ich brauche meine Zeit zum Reden.
Das, was sich zur Zeit im Agrarbereich abspielt, dieser Schaukampf, den uns der Kiechle beim Währungsausgleich vorführt, wird uns nichts mehr bringen. Wir alle wissen — der Kollege Eigen hat uns das vorgerechnet — , was 1 % Preissenkung bedeutet. Und 5 Preissenkung sind beschlossene Sache! Das müssen wir den Bauern sagen, statt ihnen vorzugaukeln, daß mit so einer Gesetzesvorlage irgendwo eine Rettung in Sicht wäre. Was sagt denn der Gallus? Gallus sagt — —
— Ja, genau. 20 Jahre lang hat uns der Gallus gesagt: Es kann jeder Bauer bleiben, der Bauer bleiben möchte.
Seit neuem sagt er: Es kann nicht mehr jeder Bauer bleiben, der Bauer bleiben möchte. Er hat sich mit dem Strauß gestritten. Und der Gallus sagt: Der Strukturwandel der nächsten zehn Jahre muß sich heuer erledigen. — Genauso schaut es aus.
— Für die CSU wäre es besser, wenn sie sich um die Bauern kümmern würde, anstatt im Parlament Zwiegespräche zu führen.Es wird gesagt, es werde Druck auf die Agrarpolitik ausgeübt, z. B. nicht gerade von Herrn Reagan, der die Überschüsse der amerikanischen Landwirtschaft in Europa loswird, aber z. B. von einem Unileverfreundlichen Mann wie unserem Staatssekretär von Geldern oder von Ministerpräsident Albrecht, einem ehemaligen Manager der Margarine-Industrie. Das sind die Hintergründe. Das sind die Gründe, warum die Regierung z. B. gegen die Fettsteuer ist, die für die kleinen Betriebe —
— Klar, so ist es. Ich komme vom Fach, ich bin Bauer.
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KreuzederIn meinen Augen ist die Gesetzesvorlage der CDU/ CSU und der FDP rein auf die Bekämpfung der Symptome abgestellt. Wie gesagt, die Aussage Andriessens lautet: Es ist völlig unnötig, das Gesetz einzubringen, weil die Mitgliedstaaten sowieso verpflichtet sind, zu zahlen, wenn die EG pleite ist. Im August wird es soweit sein.Wir brauchen also keine Änderung des Gesetzes, sondern wir brauchen Alternativen. Wir müssen bei den Ursachen ansetzen, nicht bei den Symptomen. Unter C Ihrer Gesetzesvorlage steht: „Alternativen keine". Das ist die Ursache der Agrarmisere. Die CSU, die seit 20 oder 30 Jahren sagt, sie sei für den Erhalt der bäuerlichen Landwirtschaft, hat keine Ahnung von der Landwirtschaft. Ihr vertretet nur noch Großgrundbesitzer, das Großkapital, Unilever, Nestlé usw. ; das sind eure Freunde und nicht mehr die Betriebe mit 15 ha, denen das Wasser zur Zeit bis zum Halse steht.
Wir schlagen Bestandsobergrenzen und eine Flächenbindung vor. Und vor allem: Die Arbeitsleistung der Bauernfamilien beträgt 60 bis 70 Stunden in der Woche. Wir fordern eine gerechte Bezahlung für die Arbeit, die für uns alle lebenswichtig ist. Das fällt euch im Traum nicht ein; das interessiert euch gar nicht mehr. Es soll alles so weiterlaufen. Das Geld muß fließen für die Agrarindustrie, für die Lebensmittel verarbeitende Industrie, die ja jetzt mehr umsetzen. Die Gesetzesvorlage der CSU hat jedenfalls nichts mit der bäuerlichen Landwirtschaft im Sinn.
Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist schon abgelaufen.
Ich bedanke mich.
Das klappt ja ausgezeichnet. Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär von Geldern.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Da sich der letzte Beitrag offensichtlich nicht auf diese Debatte und auf diese Beratung bezog, möchte ich dazu gar nichts sagen.
Das war das alte Thema, wenig variiert, was wir von den GRÜNEN schon oft gehört haben. Aber zu den anderen Beiträgen, die auf den Gesetzentwurf bezogen waren, möchte ich einige ganz wenige Anmerkungen machen.Erstens. Ich bedaure mit den Rednern, die das hier beklagt haben, die Kurzfristigkeit, in der das Parlament in dieser Sache arbeiten muß. Ich bin auch der Auffassung, daß dies die absolute Ausnahme bleiben muß und daß es auf die Dauer für das Parlament unzumutbar ist, in so kurzer Frist über Gesetzesvorhaben zu entscheiden.Der Grund dafür, daß dies so kurzfristig auf uns zugekommen ist, liegt darin, daß die Europäische Kommission zwar schon vor einigen wenigen Wochen einen Vorschlag für die Umstellung der bisherigen Vorauszahlungen auf künftige nachträgliche Zahlungen gemacht hatte, daß sich aber keine Mehrheit für diesen Vorschlag der Kommission abzeichnete und daß uns erst dann die tatsächliche Lage der EG-Finanzen zu dem Schluß bringen mußte, daß die Gefahr droht, daß die Zahlungen der Gemeinschaft auch ohne eine entsprechende rechtliche Änderung, wenn nicht entsprechende finanzielle Erweiterungen vorgenommen werden, im Herbst dieses Jahres, möglicherweise schon im August oder im September verkürzt oder umgestellt oder eingestellt werden müssen, einfach weil die Finanzmittel nicht mehr in dem bisherigen Umfang für die Pflichtaufgaben der Gemeinschaft zur Verfügung stehen.Ich möchte dann eine Bemerkung zu der Frage machen, ob es Alternativen zu dem jetzt beabsichtigten Vorgehen gibt. Ich glaube, es ist sehr wichtig, daß der Finanzminister und auch die Koalitionsfraktionen mit diesem Gesetzentwurf darauf Wert gelegt haben, daß deutlich bleibt, daß es sich hier um Zahlungsverpflichtungen der Europäischen Gemeinschaft handelt und daß wir hier eine Erleichterung bei einem Liquiditätsproblem durch die Aufnahme von Kassenkrediten durch die Bundesanstalt für Landwirtschaftliche Marktordnung schaffen wollen, daß wir aber keineswegs mit nationalen Zahlungen an die Stelle von Pflichtleistungen eintreten wollen, die auch in Zukunft Leistungen der Gemeinschaft bleiben müssen. Deshalb ist hier dieser Weg und nicht der einer Änderung des Haushaltsgesetzes oder eines Nachtragshaushalts beschritten worden.Die Hauptaufgabe, die wir sehen und die mit diesem Gesetzentwurf geleistet werden soll, kann eigentlich niemand, der sich mit dem Thema in den letzten Tagen und Wochen befaßt hat, anders beurteilen, als es die Koalitionsfraktionen und auch die Bundesregierung tun. Die Hauptaufgabe besteht nämlich darin, die Ernährungs- und Landwirtschaft davor zu bewahren, daß sie künftig auf Grund finanzieller Schwierigkeiten der Europäischen Gemeinschaft nicht zu den ihr zustehenden pünktlichen Zahlungen kommt. Das ist der Hauptgrund, weswegen wir dies machen.
Das ist nicht — wie Sie, Herr Kreuzeder, hier in wirklich unsachlicher Weise vorgetragen haben — ein Vorschlag zur Lösung der europäischen agrarpolitischen Probleme. Die wurden und werden gestern und heute und morgen in Luxemburg weiter verhandelt; wahrscheinlich werden sie zu einem wichtigen Teil auch auf dem Europäischen Gipfel, der in 14 Tagen stattfindet, zur Sprache kommen.
Die Entscheidungen über die europäische Agrarpolitik fallen immer noch in Europa und nicht ausschließlich im Deutschen Bundestag. Aber was wir tun können, um die Landwirtschaft und die Ernährungswirtschaft von unnötigen Schwierigkeiten, die durch Finanzierungsprobleme der Europäischen Gemein-
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Parl. Staatssekretär Dr. von Geldernschaft entständen, freizustellen, sollten wir tun und sollten wir gemeinsam tun. Das sehe ich als den Hauptsinn dieses Gesetzentwurfes an.Danke schön.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell ist vereinbart worden, den Gesetzentwurf an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. — Dagegen erhebt sich kein Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Ich rufe den Zusatzpunkt 2 zur Tagesordnung auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Frau Kelly und der Fraktion DIE GRÜNEN
Errichtung einer internationalen Begegnungsstätte für Frieden und Versöhnung in Gernika, Baskenland
— Drucksache 11/362 —Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuß
Die Fraktion der SPD hat beantragt, den Zusatzpunkt 2 zur Tagesordnung um ihren Antrag auf Drucksache 11/483 zu erweitern. Wird dem zugestimmt? — Dem wird nicht widersprochen. Damit ist dem zugestimmt.
Ich rufe also auch auf:
Beratung des Antrags der Fraktion der SPD
Geste des Friedens und der Freundschaft durch die Bundesrepublik Deutschland gegenüber der baskischen Stadt Guernica in Spanien
— Drucksache 11/483 —
Interfraktionell ist für die Beratung ein Beitrag bis zu fünf Minuten für jede Fraktion vereinbart worden.
— Dagegen erhebt sich kein Widerspruch.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Mechtersheimer.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Am 26. April 1937 geschah etwas Ungeheuerliches. Die Glocke von St. Maria läutet Flugalarm. Ein Spähflugzeug erkundet zuerst, ob die Stadt über eine Flugabwehr verfügt. Eine dreifache Angriffswelle rollt an. In geringer Höhe— 60 bis 100 Meter — fliegen die Bomber über die Stadt, zuerst mit Platzbomben, die die Häuser zerstören, dann mit Brennbomben, die sie in Brand stecken. Zuletzt rasen die Jagdflugzeuge über die Stadt und beschießen mit Maschinengewehrsalven die fliehenden Menschen auf den Straßen, auf den Wegen und auf den umliegenden Feldern. Das Ganze wiederholt sich alle 20 Minuten während drei Stunden. So geschehen in Guernica im Baskenland am 26. April 1937.Offiziell war eine Brücke das Angriffsziel, die aber nicht getroffen wurde. Die Waffenfabriken bliebenverschont, ebenso die Reichenviertel Guernicas. Die Wohnbezirke und der Hauptplatz wurden beinahe total zerstört. 1 000 bis 2 000 Tote — man weiß es nicht genau — sind das Ergebnis dieses ersten Flächenbombardements über einer Stadt. Dieser Einsatz galt nicht einem taktischen Ziel, sondern der Demoralisierung der Bevölkerung, einer übrigens völlig ungeschützten und nicht gewarnten Bevölkerung.Dieser Terror, der von der Legion Condor der damaligen Luftwaffe begonnen wurde, war die erste Station, die über Coventry und Dresden bis Hiroshima und Nagasaki führte. Pablo Picasso hat dieses Kriegsverbrechen mit seinem berühmten Bild zu Recht zum Symbol der Barbarei gemacht.Zu den Tätern von damals hält beispielsweise der Kommodore des Jagdbombergeschwaders 31 der Luftwaffe in Nörvenich einen merkwürdigen und instinktlosen Kontakt. Es wird Traditionspflege, wie das heißt, betrieben. Einer der dabei besonders Aktiven ist der Oberst a. D. Freiherr von Beust, der Goldene Ehrennadeln auch an Offiziere der Bundeswehr, der Luftwaffe, verteilt. Und dieser Oberst a. D. von Beust hat nach einer Monitor-Sendung vom 19. Mai dieses Jahres erklärt, Guernica sei ein ganz normaler Einsatz gewesen; die Legion Condor habe es verhindert, daß Spanien heute ein bolschewistischer Staat sei. Doch das ist nur der erste Teil des Skandals.Der zweite ist politisch nicht minder wichtig: Als jetzt dieses 50. Jahrestages zu gedenken war, waren bei der Feier in Guernica, bei dem Gottesdienst, Vertreter und Besucher aus vielen Ländern anwesend. Die Bundesrepublik Deutschland war auf der unterstmöglichen Ebene vertreten, nämlich durch den stellvertretenden Konsul aus Bilbao.Man muß nun wissen, was Guernica für die Basken bedeutet. Es ist eine Stadt, die schon seit dem 14. Jahrhundert als Symbol für ihre eigene Identität und ihren Freiheitswillen steht. Deswegen hat man in dieser Stadt auch immer wieder versucht, von amtlicher deutscher Seite Zeichen der Versöhnung, der Verständigung und auch der Wiedergutmachung zu bekommen. Und es gibt eine lange, peinlich lange Liste von Aktivitäten: Bürgerinitiativen aus dieser Stadt haben versucht, Unterstützung für ihre Vorstellung zu bekommen, daß man Zeichen setzen, daß man Begegnungszentren einrichten solle. Ein Bildhauer, Norbert Treß aus München, hat Initiativen ergriffen, Pater Jesus Arana hat sich bemüht — alles ohne Ergebnis. Es gab zwar hinhaltende Erklärungen der Bundesregierung, aber keinerlei konkrete Aktionen.Um diese Peinlichkeit zu beenden, beantragen die GRÜNEN — ich darf das stellvertretend für meine erkrankte Kollegin Petra Kelly hier tun — , endlich initiativ zu werden, d. h. der Bundestag solle die Errichtung einer internationalen Begegnungsstätte beschließen, die angesichts der Symbolik von Guernica nicht nur dem Thema Frieden, sondern auch dem Thema Kulturaustausch dienen soll. Wir halten es für mehr als an der Zeit, daß jetzt endlich etwas geschieht, und zwar nicht nur auf der staatlichen, sondern auch auf der gesellschaftlichen Ebene, die von der Regierung unterstützt werden sollte. Ich gehe davon aus — ich hoffe das dringend und appelliere an die Bundesregierung — , daß am nächsten Jahrestag, am
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1158 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 18. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 16. Juni 1987
Dr. Mechtersheimer26. April 1988, diese Peinlichkeit endlich abgestellt sein wird. Was sollen die schönen Reden von Aussöhnung und friedlicher Zusammenarbeit, wenn der Wille und wenn die Kraft fehlen, hier in Guernica eine ganz kleine Tat zu vollbringen? Bitte beenden Sie diese unerträgliche Situation von nichtbearbeiteter Vergangenheit!Vielen Dank.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Pohlmeier.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Fraktion DIE GRÜNEN legt uns heute diesen Antrag vor, den Herr Mechtersheimer hier erläutert hat. Die Fraktion DIE GRÜNEN hat am 29. April eine Kleine Anfrage betreffend Guernica an die Bundesregierung gerichtet. Sie hat es nicht für nötig gehalten, zunächst die Antwort der Bundesregierung auf diese Anfrage abzuwarten,
um dann unter Umständen entsprechende Schritte zu unternehmen.
— Das soll keine Schuldzuweisung sein, Herr Duve. Aber es gibt gewisse parlamentarische Verfahren und auch Reihenfolgen.
Die SPD-Fraktion legt uns jetzt in dieser Minute hier einen Antrag vor, den ich nur habe überfliegen können. Auch das wäre in Sachen Verfahren zu bemängeln. Wenn Sie von uns ein vernünftiges Beratungsverfahren erwarten, dann muß das durch Vorlagen auch entsprechend untermauert sein.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, der 26. April 1937 war ein dunkler Tag in der spanischen und in der deutschen Geschichte. Ich glaube, darin sollten wir Deutschen, sollten wir uns in diesem Hohen Hause einig sein.
Der Bundestag soll sich auch — ich plädiere mit Nachdruck dafür — der moralischen Dimension bewußt sein, die dieses Ereignis in der historischen Nachwirkung hat. Pablo Picasso hat eines seiner bedeutendsten Kunstwerke, das über die Zeit hinaus wirken wird, diesem Ereignis gewidmet. Niemand kann sich — auch nicht nach 50 Jahren — dem Eindruck dessen entziehen, was dort in Guernica am 26. April vor 50 Jahren geschehen ist.Die GRÜNEN fordern heute ein Signal zur Wiedergutmachung. Ich möchte hier nicht — das ist sicher nicht der Ort — in eine juristische Untersuchung, wasWiedergutmachung sein könnte, eintreten. Entscheidend bei der Bewertung der uns vorliegenden Anträge — und damit haben wir uns hier in der Realität zu beschäftigen — ist für uns, daß von seiten der spanischen Zentralregierung in Madrid wie auch von seiten der baskischen Provinzialregierung keinerlei Anträge, Anregungen, Wünsche bisher an die Bundesregierung oder an uns herangetragen worden sind.
Sie fordern nun eine internationale Begegnungsstätte, die sicherlich von einem privaten Träger organisiert und getragen werden sollte. Das scheint mir ein sehr weitgreifendes Vorhaben zu sein. Ich glaube, daß dafür in keiner Weise die Voraussetzungen geschaffen sind. Mich hat ein spanischer katholischer Geistlicher, der offenbar dieser Initiativgruppe angehört, vor einigen Wochen aufgesucht und mir dieses Anliegen vorgetragen. Ich habe aus diesen Gesprächen nicht ermitteln können, welchen Realitätshintergrund die Bürgervereinigung aus Guernica tatsächlich hat. Das alles müßte klar sein; es müßte geprüft werden, ob hier etwas zu machen ist.
Die Möglichkeiten zur Realisierung eines so weitgreifenden Vorhabens, wie Sie es vorschlagen, scheinen mir derzeit jedenfalls sehr zweifelhaft zu sein. Jedenfalls müßte für uns ein konkretisierter Antrag der spanischen Zentralregierung oder der baskischen Provinzialregierung vorliegen.Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich möchte mich hier nachdrücklich für symbolische Versöhnungsgesten auch 50 Jahre nach Guernica aussprechen. Wir hätten dazu den Vorschlag zu machen — das müßte geprüft werden; Sie haben das, glaube ich, auch in Ihrem Antrag angesprochen — , ob wir nicht von seiten der Bundesregierung Städtepartnerschaften fördern. Ich glaube, entsprechende Schritte sind bereits veranlaßt. Die kommunalen Spitzenverbände sind aufgefordert worden, zu eruieren, welche Städte bereit sind, solche Städtepartnerschaften, aus denen man vieles in der freundschaftlichen Begegnung entwickeln kann, ins Leben zu rufen. Wir wären auch sehr dafür, daß Jugendbegegnungen gefördert werden, die mit dem Ort und dem Ereignis Guernica zu verbinden wären.Was darüber hinausgeht, muß sorgfältig geprüft werden. Deswegen sprechen wir uns für die Überweisung dieser Anträge an den zuständigen Ausschuß, den Auswärtigen Ausschuß, aus. Ich weiß nicht, ob andere Ausschüsse beteiligt werden sollen.Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich komme zum Schluß. Enge freundschaftliche Beziehungen, Bindungen und Verbindungen zum spanischen Volk bejahen wir aus vollem Herzen. Wir wissen uns in der Gemeinsamkeit der historischen Erfahrung einer faschistischen Diktatur und einer nationalsozialistischen Diktatur verbunden. Nicht zuletzt aus dieser historischen Erinnerung, aus diesen gemeinsamen Erfahrungen ist die enge Friedensgemeinschaft entstanden, und wir, die Bundesrepublik Deutsch-
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Dr. Pohlmeierland, haben uns mit Nachdruck für die Aufnahme Spaniens in die Europäische Gemeinschaft eingesetzt. Die historische Bewältigung der Vergangenheit kann durchaus in der Begegnung erfolgen und soll eine gemeinsame sein, doch der spanische Bürgerkrieg als solcher muß als historisches Ereignis zunächst von den Spaniern selbst verantwortet und selbst bewältigt werden.
Ich spreche mich dafür aus, daß wir diese Anträge an die Ausschüsse überweisen.Ich bedanke mich.
Das Wort hat der Abgeordnete Westphal.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sie muß tief gewesen sein, die Enttäuschung von Pater Dr. Jesus Arana über die Antworten deutscher amtlicher Stellen auf jahrelange Bemühungen, die er unternommen hat, um eine deutsche Geste der Versöhnung für das, was deutsche Kampfflugzeuge der Legion Condor als Helfer des faschistischen Diktators Franco durch ihre Bombenabwürfe auf die baskische Stadt Guernica in Spanien angerichtet haben. Enttäuscht wird Pater Arana wohl auch sein, wenn er sich darauf besinnt, daß die von ihm angesprochenen deutschen Organisationen und gesellschaftlichen Kräfte zwar Briefe an amtliche Stellen geschrieben haben, um die Bemühungen des Paters zu unterstützen, aber mehr auch nicht.Wir selbst müssen bekennen, daß wir ein für die Aufarbeitung der Geschichte unseres Landes wichtiges Datum erst dadurch wirklich zur Kenntnis genommen haben, daß aufmerksame Journalisten aus diesem Anlaß berichteten und dabei die ganze Serie von Versäumnissen offenlegten, die es auf unserer Seite gegeben hat. Man tritt deshalb eigentlich beschämt an dieses Pult, wenn man sagen muß, daß unser Auswärtiges Amt seine Absagen zwar mit der Formel einleitete, es verkenne nicht, daß die Zerstörung Guernicas das Verhältnis zwischen Basken und Deutschen belaste, und auch sagt, es sei sich der moralischen Dimension einer Geste bewußt, aber — dann kommen die Aber — : Nicht die Regierung, sondern die gesellschaftlichen Kräfte sollten etwas tun; erst wenn die spanische Regierung ihr Einverständnis gibt, könnte sich die deutsche Regierung einschalten; zur Zeit erlaube die Haushaltslage nicht — und so weiter, und so weiter.Man spürt die Angst der Diplomaten, aber auch der politisch Verantwortlichen, in eine neue Schuldanerkenntnisdebatte für deutsches Fehlverhalten hineingezogen zu werden. Man hat den Eindruck, daß der Begriff „Wiedergutmachung" nur in einem sehr materiellen Sinn verstanden wird und daß davor Ängste bestehen.Dabei geht es gar nicht darum: Die Basken, die Bürger der Stadt Guernica, von denen Tausende am Markttag in der nordspanischen Kleinstadt vor 50 Jahren Opfer einer von deutschen Kampfflugzeugen ausgeführten Bombardierung wurden, diese Bürger wünschen sich eine Freundschaftsgeste von uns. Sie denken an ein gemeinsames Signal, das in dieZukunft weist. Sie möchten mit uns den Frieden dauerhaft machen. Sie können — gleich uns — nun endlich wieder frei sprechen. Auch für sie ist eine faschistische Diktatur zu Ende gegangen, später als bei uns. Mit ihnen gemeinsam die Zukunft anzugehen, ist an uns. Es ist ein beschämendes, aber erfreuliches Signal, das von dort zu uns als Angebot gekommen ist. Dem darf sich dieses Haus nicht verschließen.
Wir müssen etwas tun. Vielleicht ist es gut, Herr Staatsminister des Auswärtigen, daß die Kleine Anfrage, die aus dem April dieses Jahres stammt, noch nicht beantwortet worden ist. Dadurch können Sie eine negative Festlegung Ihres Hauses bei der Beantwortung vermeiden, nachdem Sie diese Debatte gehört haben.Der 50. Jahrestag als geeignetes Datum wurde verpaßt. Das darf uns nicht hindern, Versäumtes nachzuholen. Meine Damen und Herren, es liegen mehrere Vorschläge vor, was geschehen könnte: Zwei junge Bildhauer, ein Spanier und ein Deutscher, wollen ein Versöhnungsdenkmal schaffen und brauchten Unterstützung. Stipendien und Städtepartnerschaften sind Ideen, die in eine solche richtige Richtung zielen könnten. Die Anregungen im vorliegenden Antrag der GRÜNEN sind diskussionswert. Das bedarf der Beratung.Wir Sozialdemokraten steuern einen weiterführenden Gedanken bei: Unser Antrag, der Antrag der SPD-Fraktion, fordert dazu auf, gemeinsam mit der Landesregierung des Baskenlandes und der spanischen Regierung — Herr Minsiterpräsident Gonzales hat grundsätzlich die Zustimmung zur Verwirklichung einer solchen deutschen Geste bereits im September 1984 mitgeteilt — das Konzept eines internationalen Forschungs- und Begegnungszentrums zu erarbeiten, das sich der Frage widmet, wie die Völker künftig vermeiden können, was sich beginnend mit Guernica und dann immer schlimmer werdend mit den Namen von Rotterdam, Coventry, Dresden und schließlich Hiroshima und Nagasaki verbindet.Meine Damen und Herren, das darf nicht so stehenbleiben oder gar weitergehen. Unsere Friedensforschungsinstitute könnten die Partner sein; sie sollten Vorbereitungen mit den spanischen und baskischen Partnern treffen, an denen sich dann auch andere Länder beteiligen könnten. Das brennende Guernica, verewigt durch das Gemälde des berühmten spanischen Malers Picasso, ist zum Symbol des Beginns einer Epoche neuer mörderischer Kriegstechnik geworden. Zivilisten, Frauen, alte Menschen und Kinder waren die Opfer, die nicht am Kriegsgeschehen an den Fronten beteiligt waren.Lassen Sie uns die Beschämung ausräumen und bisher nicht Getanes durch Handeln ersetzen. Bitten wir den Auswärtigen Ausschuß, eine — hoffentlich — gemeinsame Antwort zu erarbeiten, mit der wir Deutschen den Basken und Spaniern das nicht nur gewünschte, sondern das zwingend erforderliche Zeichen geben: Wir möchten mit ihnen etwas zusammen tun, um Frieden dauerhaft werden zu lassen.
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1160 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 18. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 16. Juni 1987
WestphalVielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Dr. Hamm-Brücher.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dem bisher Gesagten ist von seiten der Liberalen in der Sache selber nichts mehr hinzuzufügen.
Ich habe mich gefreut, daß wir in der Nachdenklichkeit und auch in der Ernsthaftigkeit übereinstimmen, dieses Problem zu lösen, nämlich ein bestimmtes Versäumnis wiedergutzumachen. Wir sollten versuchen, im Auswärtigen Ausschuß sehr schnell eine gemeinsame Lösung bzw. einen gemeinsamen Vorschlag zu finden. Vielleicht schaffen wir das ja noch in der nächsten Woche. Ich weiß es nicht genau, aber wir können es ja einmal versuchen.
Auch wir sind der Meinung, daß die Bombardierung von Guernica 1937 ein Signal war. Ich erinnere mich, daß ich damals als Kind zum erstenmal die Schrecken des Krieges erlebt habe, als ich davon hörte, was deutsche Flieger dort unschuldigen Zivilisten angetan hatten. Ich erinnere mich sehr gut daran. Die Linie von dieser ersten Bombardierung über die weiteren deutschen Bombardierungen im Laufe des Krieges bis schließlich zu den Atombomben zu ziehen, wie das hier getan wurde, ist deshalb berechtigt. Das ist auch eine Erinnerung daran, daß auch der konventionelle Krieg keine Möglichkeit mehr ist, politische Probleme zu lösen.
Wir müssen aufhören, sozusagen erleichtert zu sein, wenn wir im atomaren Bereich abrüsten. Wir müssen es auch im konventionellen Bereich tun, natürlich unter Berücksichtigung der gegenseitigen Sicherheitsinteressen. Daran erinnert uns dieses Ereignis.
Wir haben den 50. Tag der Wiederkehr dieses schrecklichen Bombenwerfens deutscher Flieger übersehen. Ich muß gestehen, ich habe auch nicht darauf geachtet. Das wäre eine gute Gelegenheit gewesen, zu beraten, ob wir nicht auch etwas wiedergutzumachen haben in dem Sinne des Zeichensetzens, wie das ja auch schon gesagt wurde. Das ist nun ein wenig verspätet gekommen. Aber es läßt sich doch wieder in Ordnung bringen.
Ich verstehe Ihre Staatsgläubigkeit nicht, die Sie immer an den Tag legen. Das Auswärtige Amt hat die Aufgabe, die diplomatischen Beziehungen zu pflegen. Wir können die Sache doch selber in die Hand nehmen. Das werden wir dann auch tun. Ich bin sicher, daß das Auswärtige Amt unseren Willen nicht nur respektieren wird, sondern uns dabei unterstützen wird, zu vernünftigen Lösungen zu kommen. Herr Kollege Pohlmeier hat ja auch Vorschläge gemacht, ebenso die SPD und DIE GRÜNEN. Dann sind wir doch Frauen und Männer genug, um daraus einen vernünftigen Antrag zu machen.
Wir sind es unseren heutigen Freunden und Nachbarn in Spanien, im Baskenland schuldig, etwas in diesem Sinne zu tun. Daß muß ja gar nicht enorm viel Geld kosten. Darum geht es, glaube ich, nicht. Herr Kollege Westphal und Herr Pohlmeier haben das auch gesagt. Aber notwendig ist ein Zeichen der Aussöhnung, der Erinnerung, des Gedenkens daran, daß wir eine fortwirkende Verantwortung auf uns geladen haben. Ein solches Zeichen zu setzen wäre eine gute Sache und läge auch im Sinne der großen Rede, die unser Bundespräsident am 8. Mai 1985 im Deutschen Bundestag gehalten hat.
Vielen Dank.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell ist vereinbart worden, die vorliegenden Anträge an den Auswärtigen Ausschuß zu überweisen. Das Haus ist damit einverstanden? — Dann ist das so beschlossen.
Ich rufe die Zusatztagesordnungspunkte 3 und 4 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über den Schutz der Topographien von mikroelektronischen Halbleitererzeugnissen
— Drucksache 11/454 —
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuß Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Forschung und
Technologie
Haushaltsausschuß gemäß § 96 GO
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 11. Oktober 1985 zur Errichtung der Multilateralen InvestitionsGarantie-Agentur
— Drucksache 11/466 —
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für wirtschaftliche
Zusammenarbeit Finanzausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
Haushaltsausschuß gemäß § 96 GO
Eine Aussprache ist nicht vorgesehen. Interfraktionell ist vereinbart worden, die Gesetzentwürfe an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Besteht Einverständnis darüber? — Das ist der Fall.
Wir sind am Ende unserer Tagesordnung. Der Deutsche Bundestag tritt zum Gedenken an den 17. Juni 1953 morgen um 10 Uhr zusammen.
Die Sitzung ist geschlossen.