Gesamtes Protokol
Meine Damen und Herren! Ich eröffne die 98. Sitzung des Deutschen Bundestages.
Ich bitte den Herrn Schriftführer, die Entschuldigungen und die amtlichen Mitteilungen bekanntzugeben.
Es sucht für längere Zeit um Urlaub nach der Abgeordnete Dr. Besold für 14 Tage wegen Regelung von Parteigeschäften.
Ich nehme an, daß das Haus mit dem Urlaub einverstanden ist.
— Meine Damen und Herren, ich nehme Ihre Heiterkeit als einen guten Auftakt dieser Sitzung.
— Das Haus hat gegen die Beurlaubung keinen Widerspruch erhoben. Die Beurlaubung ist genehmigt.
Entschuldigt sind die Abgeordneten Freiherr von Aretin und Determann.
An Vorlagen sind eingegangen:
Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Erbschaftssteuergesetzes ;
Entwurf eines Anleihegesetzes .
Der Herr Bundesminister der Finanzen hat am 6. November 1950 zugleich im Einvernehmen mit den Herren Bundesministern für Wirtschaft und für Wohnungsbau zu der anläßlich der Verabschiedung des Ersten Wohnungsbaugesetzes am 28. März 1950 gefaßten Entschließung betreffend den Zinssatz der ersten Hypotheken für den Wohnungsbau berichtet. Das Schreiben wird als Drucksache Nr. 1578 vervielfältigt.
Ich rufe auf Punkt 1 der Tagesordnung:
Entgegennahme einer Erklärung der Bundesregierung.
Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.
Meine Damen und meine Herren! Drei Ereignisse der letzten Zeit sind von solch entscheidender Bedeutung für die deutsche Zukunft, daß das deutsche Volk ein Recht darauf hat, die Stellung der Bundesregierung und, wie ich wohl hinzusetzen darf, auch der Fraktionen dieses Hauses zu diesen Ereignissen kennenzulernen. Diese Ereignisse sind
1) die Beratung der Frage eines Beitrages der Bundesrepublik Deutschland zu der Verteidigung des Westens auf der New Yorker Außenministerkonferenz und den Konferenzen, die sich an diese angeschlossen haben;
2) der von Frankreich vorgelegte Pleven-Plan;
3) der Vorschlag der Sowjetregierung zur Einberufung der Außenministerkonferenz der vier Mächte — Vereinigte Staaten, England, Frankreich, Sowjetrußland — zwecks Erfüllung der Beschlüsse der Potsdamer Konferenz hinsichtlich der Demilitarisierung
Deutschlands und der Durchführung der Beschlüsse der Prager Konferenz der Außenminister der Sowjetunion, Albaniens, Bulgariens, der Tschechoslowakei, Polens, Rumäniens, Ungarns und der Deutschen Demokratischen Republik
— das ist der Wortlaut der Note — vom 20. und 2L Oktober 1950.
Diese drei Ereignisse, meine Damen und Herren, stehen in innerem Zusammenhang; ihre zutreffende Würdigung ist nur möglich, wenn man die von Sowjetrußland seit 1940 und in verstärktem Maße seit 1944/45 verfolgte Politik kennt. Sowjetrußland hat sich in diesen wenigen Jahren ein ungeheures Gebiet unterworfen, zum Teil durch direkte Einverleibung, zum Teil durch Umwandlung der betreffenden Länder in ihm hörige Satellitenstaaten. Rußland ist dabei immer nach dem
gleichen Rezept vorgegangen: zunächst Schaffung einer Fünften Kolonne in dem betreffenden Lande von ihm blind gehorchenden, zu jeder Gewalttat fähigen Personen, gleichzeitig Einschüchterung und Lähmung der ihm ablehnend gegenüberstehenden Kreise durch jede Art von Terror, Wahlen auf Grund von Einheitslisten, Bildung einer Sowjetrußland hörigen Regierung durch das auf Grund der sogenannten Einheitswahlen zustandegekommene Parlament. Mit dieser Methode hat sich Sowjetrußland einverleibt: im Jahre 1940 Litauen, Lettland, Estland. Als Satellitenstaaten hat es seiner Herrschaft unterworfen: in den Jahren 1944/45 Albanien, 1944 bis 1949 Bulgarien, 1944/45 Jugoslawien, 1944 bis 1949 Polen, 1944 bis 1948 Rumänien, 1944 bis 1949 Ungarn, 1944 bis 1948 die Tschechoslowakei, 1945 bis 1950 die Mandschurei, 1945 bis 1948 Nordkorea.
In zwei Ländern ist Sowjetrußland bei dem gleichen Vorgehen auf erbitterten Widerstand gestoßen, in Griechenland und in Aserbeidschan. Es hat infolgedessen hier sein Vorgehen nicht weiter verfolgt. In der Sowjetzone Deutschlands versucht es die Schaffung eines Satellitenstaates nach der gleichen Methode. Dort, wo es ihm nötig erschien, hat es nicht einmal den Schein einer gewissen Selbständigkeit des betreffenden Satellitenstaates gewahrt, sondern das Heer des Landes seinem Kommando direkt unterstellt; so insbesondere in Polen und in der Tschechoslowakei.
Die Tendenz der Sowjetrussischen Republik gegenüber Deutschland und Westeuropa geht aus folgendem hervor. In der Sowjetzone sind erhebliche sowjetrussische Truppenmassen konzentriert. Der englische Verteidigungsminister Shinwell hat in einer Rede, die er im Juli dieses Jahres im britischen Unterhaus gehalten hat, erklärt, daß über 30 russische Divisionen in der Sowjetzone stünden. Diese Divisionen sind völlig ausgerüstet mit Munition, mit Treibstoff und mit feldmarschmäßiger Verpflegung, um nötigenfalls in kürzester Frist marschieren zu können. Es handelt sich um Panzerdivisionen und motorisierte Divisionen. Die Luftwaffe wird in der Sowjetzone ständig verstärkt.
In der Sowjetzone hat man ferner seit Beginn des Jahres 1950 mit der Aufstellung einer aus Deutschen bestehenden Armee begonnen. Die Truppe wird zwar „Polizei" genannt, sie ist aber nach Ausbildung, Bewaffnung und Zielsetzung keine Polizeitruppe, sondern eine Armee. Die Zahl dieser deutschen Truppen beträgt zur Zeit zwischen 70 000 und 80 000. Man hat in der Sowjetzone zwölf Kriegsschulen eingerichtet, auf denen Unteroffiziere und Offiziere herangebildet werden. Die Truppen sind kaserniert. Die Organisation ist so angelegt, daß diese Armee im Jahre 1951 rund 150 000 Mann, im Jahre 1952 rund 300 000 Mann stark sein wird.
Den Truppen dieser Armee wird von Propagandaoffizieren als Ziel die Befreiung der Bundesrepublik Deutschland von den Westalliierten und die Vereinigung mit der Ostzone zu einem russischen Satellitenstaat genannt.
Die Aggressionen Sowjetrußlands haben zwar die Westalliierten mit Protestnoten beantwortet; sie haben sich aber bis zum Sommer dieses Jahres, das heißt bis zu den Vorfällen in Korea, nicht dazu entschließen können, mit Waffengewalt dagegen vorzugehen. Erst die Vorgänge in Korea, der Einfall der nordkoreanischen Truppen in Südkorea, haben dazu geführt, daß zunächst amerikanische Truppen, dann UNO-Truppen gegen die mit
russischem Kriegsmaterial versehenen nordkoreanischen Truppen eingesetzt wurden. — Um das Bild vollständig zu machen, muß ich noch hervorheben, daß gegen den Bestand der Bundesrepublik Deutschland eine zielbewußte Wühlarbeit durch die Kommunistische Partei und durch die SED stattfindet.
Ich wende mich nun, meine Damen und Herren, zu der Note Sowjetrußlands, in der der Zusammentritt einer Außenministerkonferenz verlangt wird. Bezeichnend ist, daß in dieser Note von der Sowjetzonenarmee keine Rede ist, sondern nur von der sogenannten Remilitarisierung Westdeutschlands. Bezeichnend ist ferner, daß sie in dem Augenblick übergeben wird, in dem die Frage eines deutschen Beitrags zur Verteidigungsfront gegen eine Aggression Sowjetrußlands akut wird. Ebenso bezeichnend ist, daß diese Note übergeben wird, während gleichzeitig Sowjetrußland Nordkorea mit neuem Kriegsmaterial versorgt.
In dieser Note wird als Grundlage der Konferenz die Durchführung der Prager Beschlüsse bezeichnet. In diesen Prager Beschlüssen wird unter anderem verlangt: „Bildung eines gesamtdeutschen konstituierenden Rates unter paritätischer Zusammensetzung aus Vertretern Ost- und Westdeutschlands, der die Bildung einer gesamtdeutschen souveränen demokratischen und friedliebenden provisorischen Regierung vorzubereiten und der Sowjetunion, den Vereinigten Staaten, Großbritannien und Frankreich die entsprechenden Vorschläge zur gemeinsamen Bestätigung zu unterbreiten hat und der bis zur Bildung einer gesamtdeutschen Regierung zur Konsultation bei der Ausarbeitung des Friedensvertrages hinzuzuziehen ist."
Dieser grundlegende und entscheidende Bestandteil des Prager Abkommens ist für die Bundesrepublik Deutschland nach der Meinung der Bundesregierung völlig unannehmbar.
Es gibt in der Sowjetzone keine auf Grund von freien, gleichen und geheimen Wahlen zustande gekommene Vertretung.
Es ist ausgeschlossen, daß wir in irgendwelche Verhandlungen mit der Sowjetzone über Bildung eines gemeinsamen Organs treten, ehe das von uns wiederholt gestellte Verlangen auf Durchführung freier Wahlen in der Sowjetzone erfüllt ist.
Die sowjetrussische Note stößt in den Vereinigten Staaten auf Ablehnung. In England steht man ihr sehr skeptisch gegenüber. Lediglich in Frankreich haben sich Stimmen gefunden, die glaubten, in irgendeiner Form auf diese Note eingehen zu sollen. Beschlüsse einer Außenministerkonferenz, die die Prager Beschlüsse zur Grundlage haben, sind, wie ich eben schon gesagt habe und wie ich nochmals ausdrücklich wiederhole, für uns unannehmbar. Es ist zwar noch keine der westalliierten Regierungen mit der Bundesregierung über deren Meinung zu der sowjetischen Note in Verbindung getreten; ich darf aber wohl die Hoffnung aussprechen, daß eine Stellungnahme zu der Note nicht erfolgen wird, ohne daß unsere Meinung darüber eingeholt und entsprechend beachtet wird,
denn es handelt sich dabei um unser Schicksal,
um das Geschick des deutschen Volkes. Die Entwicklung ist seit 1945, insbesondere aber seit
Schaffung der Bundesrepublik Deutschland so weit fortgeschritten, daß die Stimme der Bundesrepublik gehört und beachtet werden muß. Ich weise in diesem Zusammenhange auch darauf hin, daß nach der ausdrücklichen Erklärung der New Yorker Außenministerkonferenz die Organe der Bundesrepublik Deutschland als die einzigen legitimen Vertreter des deutschen Volkes von den Westalliierten anerkannt worden sind. Nach unserem Dafürhalten ist die sowjetrussische Note nichts anderes als einer der bekannten Störungsversuche Sowjetrußlands, um jede Konsolidierung einer Abwehrfront gegen die sowjetrussische Aggression zu verhindern oder wesentlich zu verlangsamen.
Ich komme nun, meine Damen und Herren, zu dem Pleven-Plan. Ich darf dazu zunächst folgendes sagen. Herr Ministerpräsident Pleven hat durch den französischen Hohen Kommissar François-Poncet mir gestern Aufklärungen über gewisse Formulierungen des Pleven-Plans geben lassen. Er hat insbesondere erklären lassen, daß jede Diskriminierung Deutschlands ausgeschlossen sei, daß Deutschland im Pleven-Plan allen anderen Partnern völlig gleichberechtigt und gleichgestellt sein solle.
Wir Deutsche nehmen — das darf ich wohl feststellen — mit Befriedigung und Dank von dieser Mitteilung Kenntnis. Wir freuen uns, daß dadurch gewisse Formulierungen des Pleven-Plans, die bei uns Erstaunen hervorgerufen haben, klargestellt sind. Wir betrachten den Pleven-Plan als einen wesentlichen Beitrag zur Integration Europas. Die Integration Europas ist nach wie vor eines der Hauptziele
Auffassung, daß ie Schaffung einer europäischen Armee — möglichst unter Teilnahme Englands — einen sehr wesentlichen Fortschritt auf dem Wege zur Erreichung des Endzieles: Integration Europas, bedeuten wird. Wir wollen deswegen gern bei der Beratung des Pleven-Plans mitarbeiten.
Gegen den Pleven-Plan sind auch von nichtdeutscher Seite Bedenken geäußert worden. Diese Bedenken sind verständlich. Es ist klar, daß der Versuch einer Regelung einer so schwierigen und wichtigen Materie nicht sofort und in allen Punkten alle interessierten Staaten befriedigen kann, so daß eine sehr sorgfältige Durchberatung nötig ist. Eine solche Beratung und die Verwirklichung des Ergebnisses dieser Beratung erfordert Zeit.
Die Situation in der Welt ist aber derart, daß wir bald zu friedlichen Verhältnissen kommen müssen. Die Fortdauer der jetzigen Spannungen ist nicht weiter tragbar. Man sollte unseres Erachtens unabhängig von der Beratung des PlevenPlans den auf den Konferenzen der letzten Monate unternommenen Versuch, zu einer Beendigung der jetzigen gefährlichen Periode internationaler Spannungen zu kommen, so schnell wie möglich und so stark wie möglich weiterführen. Die Beratung des Pleven-Plans braucht darunter in keiner Weise zu leiden.
Ich wende mich jetzt, meine Damen und Herren, zu der Frage eines Beitrags der Bundesrepublik Deutschland zu der Verteidigung des Westens, wie sie von der New Yorker Außenministerkonferenz und den Konferenzen, die sich an diese angeschlossen haben, gegen die Stimme Frankreichs verlangt worden ist. Ein solcher Beitrag ist von uns bisher nicht verlangt und von uns auch nicht angeboten worden. Es ist aber nötig, trotzdem über diese
Frage hier zu sprechen, weil durch die bereits geführten Diskussionen sehr viel Unklarheit in Deutschland und außerhalb Deutschlands geschaffen worden ist. Wenn wir uns auch nicht anbieten, so dürfen wir es aber auch nicht zulassen, daß durch Reden unverantwortlicher Stellen die Stellung einer Frage an uns verhindert wird.
Nach den Erfahrungen, die wir Deutschen mit dem totalitären Regime der Nazizeit gemacht haben, nach den Erfahrungen, die die Welt mit dem totalitären Sowjetrußland seit 1944 gemacht hat und die ich eben im einzelnen skizziert habe, sollte eines die gemeinsame Überzeugung aller Deutschen sein: Totalitäre Staaten, insbesondere Sowjetrußland, kennen nicht wie die demokratischen Staaten als wesentliche Faktoren des Zusammenlebens der Menschen und der Völker Recht und Freiheit; sie kennen nur einen maßgebenden Faktor: das ist die Macht. Mit einem totalitären Staat können daher Verhandlungen zur Regelung internationaler Fragen mit Aussicht auf Erfolg nur geführt werden, wenn derjenige, der diese Verhandlungen — mit Sowjetrußland — führt, ebenso stark, wenn nicht noch stärker ist als Sowjetrußland.
Das Verhalten Sowjetrußlands seit 1944, insbesondere in Griechenland und in Aserbeidschan hat auch gezeigt, daß Sowjetrußland nicht ohne weiteres geneigt ist, Risiken einzugehen. Wir sind der Auffassung, daß die westlichen Mächte unter Führung der Vereinigten Staaten in der Lage sind, eine solche Abwehrfront rechtzeitig zu errichten. Wir begrüßen es, daß die Vereinigten Staaten die große und schwere Aufgabe, die ihnen ihre ungeheure wirtschaftliche und politische Macht auferlegt hat, erkannt haben und daß sie bereit sind, diese Aufgabe im Interesse des Friedens und der Freiheit zu erfüllen.
Die Frage, ob Deutschland, wenn es dazu aufgefordert wird, sich an einer solchen Abwehrfront zu beteiligen, das tun soll, ist lebhaft diskutiert worden. Zunächst möchte ich folgendes vorausschicken. Es ist ganz klar, daß Voraussetzung für jeden Widerstand Deutschlands gegen irgendeine Aggression die Herbeiführung möglichst guter und ausgeglichener sozialer Verhältnisse im Innern ist.
Bei der Beantwortung der Frage, ob Deutschland, wenn es darum gefragt wird, sich beteiligen soll, ist davon auszugehen, daß es sich bei dieser Aktion darum handelt, den Frieden zu retten, und daß die Bildung einer solchen Schutzfront für den Frieden
die einzige Möglichkeit ist, den Krieg zu verhüten.
Das Vorgehen Sowjetrußlands seit 1944 zeigt völlig klar die Tendenz der russischen Politik und die Möglichkeiten, trotz dieser Tendenzen zu einem Frieden mit Rußland zu kommen. Die Deutschen müssen sich darüber klar sein, daß sie unmöglich erwarten können, daß die Vereinigten Staaten, Kanada und die westeuropäischen Länder
die Opfer, die mit der Schaffung einer solchen Abwehrfront verbunden sind, auf sich nehmen, während Deutschland selbst nichts dazu beiträgt.
Für jeden Deutschen, meine Damen und Herren, mit gesundem Empfinden muß es auch ein zwingendes Gebot sein, seine Heimat und seine Freiheit zu verteidigen.
Und um nichts anderes handelt es sich!
Zwei Voraussetzungen für eine Beteiligung Deutschlands an der Bildung einer solchen Abwehrfront muß ich besonders hervorheben. Einmal muß diese Abwehrfront so stark sein, daß sie jede russische Aggression unmöglich macht; und ferner muß die Bundesrepublik Deutschland, wenn sie sich mit einem angemessenen Beitrag beteiligen soll, die gleichen Pflichten, aber auch die gleichen Rechte haben wie alle anderen daran beteiligten Länder.
Ich bin der Auffassung, daß auf diesem Wege, auf dem Wege der Bildung einer solchen Abwehrfront, auch die Wiedervereinigung mit unseren deutschen Brüdern und Schwestern in der Sowjetzone zu erreichen ist.
Es sind in der Diskussion, insbesondere von sozialdemokratischer Seite. rechtliche Ausführungen im Zusammenhang mit dieser Frage gemacht worden, die ich in meiner Erklärung nicht unerwähnt lassen darf. Die sozialdemokratische Fraktion hat in einem Kommuniqué erklärt, daß jeder deutsche militärische Beitrag zu irgendeinem Verteidigungssystem verfassungändernden Charakter habe und daher nur mit Zweidrittelmehrheit beschlossen werden könne.
Sie hat ferner dem andereärtigen Bundestag das Recht bestritten, in dieser Frage zustimmend zu entscheiden, weil zur Zeit seiner Wahl das Problem noch nicht sichtbar gewesen sei; eine Entscheidung für einen etwaigen deutschen militärischen Beitrag sei daher nur auf der Grundlage von Neuwahlen zum Bundestag möglich.
Diese Ausführungen, meine Damen und meine Herren, sind rechtlich nicht haltbar. Jeder Bundestag hat für die Zeit seiner Wahl das Recht und, meine Damen und Herren, auch die Pflicht,
alle Aufgaben zu erfüllen, die während dieser Zeit an ihn herantreten,
gleichgültig, ob diese Aufgaben bei der Wahl schon erkennbar waren oder nicht.
Nach unserem Grundgesetz hat der Bundestag kein Recht der Selbstauflösung. Man hat nach reiflicher Überlegung und mit Zustimmung der sozialdemokratischen Mitglieder des Parlamentarischen Rats
für den Fall, daß politische Notwendigkeiten eine
Neuwahl erforderten, nur dem Bundeskanzler das
Recht gegeben, durch Stellung eines Vertrauensantrages eventuell eine Neuwahl zu erzwingen. Maßgebend, meine Damen und Herren, war bei allen diesen Überlegungen die bittere Erfahrung, die wir in der Weimarer Republik gemacht haben,
daß sich heterogene politische Faktoren, die zu gemeinsamer politischer Arbeit nicht fähig waren, aus destruktiven Gründen zur Lahmlegung der politischen Arbeit zusammengefunden haben.
Bei den Beratungen des Grundgesetzes im Parlamentarischen Rat ist auch ausführlich über die Fragen militärischer Natur und der Möglichkeit eines Krieges gesprochen worden. Im Art. 26 Abs. 1 GG ist mit Zustimmung der sozialdemokratischen Vertreter lediglich die Vorbereitung eines Angriffskrieges für verfassungswidrig erklärt worden.
Im Art. 4 Abs. 3 ist bestimmt, daß niemand gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden darf. Es heißt dort ferner: „Das Nähere regelt ein Gesetz", und in einem weiteren Artikel ist bestimmt, daß der Bund sich zur Wahrung des Friedens einem System gegenseitiger kollektiver Sicherheit einordnen könne. Aus allen diesen Bestimmungen geht ganz unzweideutig hervor, daß die Entscheidung über einen militärischen Beitrag — jetzt nehme ich die Worte auf, die in dem Kommuniqué der sozialdemokratischen Fraktion enthalten sind — das Wesen der Bundesrepublik nicht von Grund auf verändert.
Meine Damen und Herren! • Die westliche Welt befindet sich in einer wahrhaft großen Gefahr.
Die Bundesrepublik Deutschland ist Teil dieser westlichen Welt, ja sie ist infolge ihrer geographischen Lage der Gefahr sogar stärker ausgesetzt als andere Länder.
Diese gemeinsame Gefahr begründet eine Schicksalsgemeinschaft; denn wo auch die Aggression erfolgt, sie trifft diese Gemeinschaft in allen ihren Gliedern.
Diese Gefahr aber ist nicht unabwendbar, und das deutsche Volk, das den Frieden liebt, wird auch niemals die Hoffnung aufgeben, daß der Friede erhalten werden kann.
Es wird darum auch jede Anstrengung machen, uni den Frieden zu bewahren. Aus der Erfahrung folgt aber, daß in einer Lage wie der gegenwärtigen Verhandlungen mit dem Ziel einer Normalisierung der Beziehungen nur dann Aussicht auf Erfolg haben, wenn die Sowjetunion weiß, daß der Verhandlungspartner so stark ist, daß mit einer sowjetrussischen Aggression ein wirkliches Risiko für Sowjetrußland verbunden ist.
Diese Stärke ist nur gewährleistet, wenn die westliche Welt ihre Verteidigung als eine einheitliche
Verteidigung organisiert. Die westlichen Mächte sind
sich ferner darin einig, daß die Kräfte nur dann
zur Verteidigung ausreichen, wenn auch Deutschland seinen Beitrag dazu leistet. Das deutsche Volk
kann sich davon nicht ausschließen, nicht nur weil dieser Schutz es selbst vor einer tödlichen Gefahr bewahrt, sondern auch weil es selber eine Verpflichtung gegenüber Europa und den Völkern der westlichen Zivilisation zu erfüllen hat.
Deswegen, meine Damen und Herren, darf ich Ihnen im Namen der Bundesregierung folgende Entschließung mitteilen:
Die Bundesregierung erblickt in dem Pleven-Plan einen wertvollen Beitrag zu der Integration Europas, die eines der vornehmsten Ziele ihrer Politik ist.
Sie ist der Meinung, daß die gegenwärtige internationale Spannung einer schnelleren Beilegung bedarf, ais dies auf dem Wege der Gestaltung des Pleven-Planes möglich ist.
Sie ist der Auffassung, daß eine allgemeine Befriedung auf dem Wege der Verhandlung mit der Sowjetunion herbeigeführt werden muß, daß diese Verhandlung aber nur dann Erfolg haben wird, wenn gegenüber der sowjetrussischen Bedrohung eine Abwehrfront der westlichen Mächte aufgebaut wird, die mindestens so stark ist wie jene.
Die Bundesregierung ist der Auffassung, daß die Bundesrepublik Deutschland, wenn sie von den westlichen Mächten dazu aufgefordert werden wird, bereit sein muß, einen angemessenen Beitrag zu dem Aufbau dieser Abwehrfront zu leisten, und zwar um ihren Fortbestand, die Freiheit ihrer Bewohner und die Weitergeltung der westlichen Kulturideale zu sichern.
Voraussetzung für die Leistung eines solchen Beitrags ist die völlige Gleichberechtigung Deutschlands in dieser Abwehrfront mit den übrigen an ihr teilnehmenden Mächten und ferner eine Stärke dieser Abwehrfront, die genügt, um jede russische Aggression unmöglich zu machen.
Meine Damen und Herren! Ich eröffne die
Aussprache über die Erklärung der Bundesregierung.
Der Ältestenrat hat Ihnen vorzuschlagen, daß die Aussprache auf acht Stunden — 480 Minuten — begrenzt wird. Ich bitte, davon Kenntnis zu nehmen, daß danach auf die CDU und SPD .je 100 Minuten, auf die FDP 60 Minuten, auf die kleinen Parteien je 40 Minuten, auf die Gruppe der Deutschen Reichspartei 24 Minuten entfallen. Ich nehme Ihr Einverständnis damit an, daß die Redezeit der unabhängigen Abgeordneten, soweit sie das Wort nehmen, auf 10 Minuten begrenzt wird. — Das Haus ist damit einverstanden.
Als erster Redner in der Aussprache hat das Wort der Herr Abgeordnete Dr. Schumacher.
Meine Damen und Herren! Die New Yorker Beschlüsse sind durch die Erklärung des Herrn Bundeskanzlers nicht im einzelnen gewürdigt worden. Ich muß darum darauf verzichten, sie in den Vordergrund des ersten Teils meiner Rede zu stellen, und muß mich mit wenigen allgemeinen Bemerkungen begnügen. Eine genaue Untersuchung der New Yorker Beschlüsse zeigt, daß wir auch nach Erfüllung der Versprechungen der Beschlüsse noch nicht dort angelangt sein werden, wo uns nach einer freundlicheren Beurteilung der Situation im vorigen November der Herr Bundeskanzler bereits angelangt sah, als er meinte: „Zum ersten Male wird unsere Gleichberechtigung anerkannt". Die Gleichberechtigung ist noch immer ein Ziel, das es erst zu erringen gilt. Die Situation ist, abschließend zu diesem Punkt bemerkt, doch die: Man ist in den New Yorker Beschlüssen den Deutschen stückweise entgegengekommen; aber man behält es sich vor, jedes Entgegenkommen wieder zurückzunehmen. Man verlangt umgekehrt in der Frage des deutschen militärischen Beitrages zu irgendeinem System der Sicherung der Freiheit ein vollständiges, unkorrigierbares und unbedingtes Entgegenkommen und Sicheinordnen der Deutschen. Unter dieser Diskrepanz und unter dem Druckmittel, daß gewisse Andeutungen und Versprechungen von New York bei einer renitenten oder zu selbständigen Haltung der Deutschen verweigert werden könnten, steht jetzt, international gesehen, die Aussprache zu diesem Punkt.
Die politischen und militärischen Konzeptionen der Alliierten sind der große Gegner, mit dem wir uns nach Möglichkeit mit dem Ziel des Sichfindens auseinanderzusetzen haben. Aber im Abs. 11 des New Yorker Kommuniqués steht wörtlich zu lesen: „ ... das Besatzungsstatut abzuändern, indem sie aber die juridischen Grundlagen der Okkupation beibehalten".
Nun, meine Damen und Herren, das ist der Geist und die eindeutige Berufung auf diesen Geist der bedingungslosen Kapitulation.
Ich möchte das ganze Haus zum Zeugen für eine einheitliche Meinung der Deutschen anrufen, daß der Geist der bedingungslosen Kapitulation nicht der Geist ist, aus dem politische, moralische und militärische Werte geschaffen werden können.
Die Schwierigkeiten konzentrieren sich jetzt, ganz äußerlich gesehen, auf die Stellungnahme der französischen Nationalversammlung und der Regierung Pleven. Nach dieser Erklärung des französischen Herrn Ministerpräsidenten hat man überall in der Welt und offensichtlich am stärksten bei der deutschen Bundesregierung eine Fülle von Erklärungen und Kommentierungen zu diesem Standpunkt über sich ergehen lassen müssen. Aber diese Kommentierungen und Erklärungen, die zum Teil genau das Gegenteil von dem sagen, was der französische Ministerpräsident im Auftrage der Nationalversammlung gesagt hat,
zeigen zwar eine geradezu bundesdeutsche Virtuosität im Dementieren und Exemplifizieren,
aber sie können uns doch über das eigentliche Problem nicht hinwegtäuschen. Wir sind erstaunt und nicht erfreut darüber, daß der Herr Bundeskanzler die Erklärung Pleven als eine Diskussionsgrundlage betrachtet. Wir Sozialdemokraten betrachten sie nicht als das Fundament einer Auseinandersetzung.
Uns ist gewiß wichtig und von größter Bedeutung das Zusammenarbeiten mit dem französischen Volke. Aber ich glaube, diesen Geist der Zusammenarbeit kann man nicht dadurch erreichen, daß man widerspruchslos eine politische Konzeption in Frankreich hinnimmt, die, alle Leiden und Enttäuschungen eingerechnet, doch unmöglich ist, weil sie so tut, als ob das eine Volk mit seinen Interessen allein da wäre und das andere Volk gar nicht in seinen Interessen und in seinen besten Empfindungen zu berücksichtigen wäre.
Nun zeigt sich doch daran, daß die große Hoffnung eines Teiles dieses Hauses, nicht durch sachliche Austragung und Aufzeigen der vorhandenen Schwierigkeiten, sondern durch Entgegenkommen von vornherein die französisch-deutsche Aussöhnung zu erreichen, sich nicht erfüllt hat. Denn der Geist des Planes Pleven ist nicht der Geist der Aussöhnung. Wir respektieren gewiß die Schwierigkeiten der französischen Innenpolitik, und wir wissen auch nachzufühlen Sorgen, die man vor drohenden kommenden Wahlen hat. Aber wir sind nicht bereit, diese Sorgen durch Opferung deutscher materieller und moralischer Substanz zu heilen.
Ich erkenne an: In weiten Kreisen des französischen Volkes denkt man anders; bei anderen europäischen Völkern und vor allen Dingen auch bei den Amerikanern denkt man anders. Aber man hat die Äußerungen dieses nationalegoistischen Wollens niemals eingedämmt und von dieser Seite niemals auf die Unmöglichkeit hingewiesen, mit diesem Geiste eine europäische und eine internationale Konzeption und Praxis zu schaffen.
Um hier nicht zu lange zu verweilen, möchte ich ausdrücklich erklären: der Weg einer Koppelung des Schuman-Plans mit der Erlaubnis, die Deutschen an irgendeiner Form einer militärischen Konzentrierung der demokratischen Kräfte teilhaftig werden zu lassen, erscheint uns Sozialdemokraten ungangbar,
und er wirft ein merkwürdiges Licht auf den Schuman-Plan,
auf die Vorteile und die Nachteile für den einen und den anderen Teil.
Ich möchte auch gleich kurz den Komplex des Zurverfügungstellens deutscher Rohstoffe für die Ökonomie anderer Länder erwähnen, und dies im Zusammenhang mit dem Schuman-Plan, in seiner Bedeutung für die geschäftliche Ausbeutung, für das, was andere wollen, und das, was wir nicht wollen können. Aus diesem Geist heraus wird der Schuman-Plan, gegen den wir eine Reihe von materiellen Bedenken von vornherein angemeldet hatten, nicht gestaltet werden können, und über den Rahmen der Sozialdemokratischen Partei hinaus sage ich: mit dem Willen der arbeitenden Menschen in Deutschland.
Wir sind enttäuscht, daß der Herr Bundeskanzler in diesem Zusamenhang die Betonung des deutschen Charakters der Saar unterlassen hat.
Der Prozeß der Herausschälung dieses Gebietes aus
Deutschland geht vorwärts; der Prozeß der Unterdrückung der Andersdenkenden schreitet weiter
voran. Die Deutschen können einen rechtlich, in seinen Voraussetzungen und in seinen politischen und moralischen Qualitäten nicht befähigten Partner nicht weiter als gleichberechtigt im Europäischen Rat anerkennen. Man spricht jetzt auf französischer Seite von der Verleihung neuer Souveränitätsrechte an die Saar. Man erklärt auch schon, wenn auch nicht öffentlich, daß man sie in der Schaffung eines saarländischen Staatspräsidenten sehen will.
Die Diskussion geht bereits darüber, daß die Saarländer das „Privileg" genießen sollen, französische Soldaten zu werden.
Ich glaube, die Aufgabe der Deutschen ist es jetzt, die Menschen an der Saar nicht allein zu lassen und einen unverzichtbaren Teil von Deutschland nicht durch Stillschweigen in eine eindeutig gefährliche Zukunft hineinzubringen.
Die internationale Sicherheit ist der Hauptkomplex. Die internationale Solidarität kann nicht durch Worte, sondern nur durch Taten etabliert werden.
Hier ein Wort zu dem Schicksal der jungen Deutschen in den Arbeitsdienstgruppen der Alliierten, die jetzt praktisch in ihr Gegenteil umgewandelt werden. Heute werden junge Menschen unter Ausnutzung ihrer sozialen Notlage gezwungen, in einer paramilitärischen Institution zu dienen. Im Falle ihrer Weigerung sind sie von der Arbeitslosigkeit bedroht, wenn sie auch den neuen Dienst nach ihrem eigenen Willen nicht akzeptieren würden.
Die Bundesregierung sollte aus staatspolitischen und aus sozialen und humanen Gründen jetzt aktiv werden, um der Ausnutzung junger Deutscher durch fremde Mächte unter Ignorierung der deutschen staatlichen Instanzen entgegenzutreten und diesem Übelstand abzuhelfen.
Es ist nicht möglich, daß hier der einzelne Staatsbürger der Übermacht einer alliierten Staatsmacht gegenübertritt und mit ihr einen verbindlichen Vertrag schließt. Das ist nicht möglich in einem Land, dem man die Gleichberechtigung und die gleiche Achtung versprochen hat.
Nun, meine Damen und Herren, hat es keinen Zweck, durch falsche Formulierungen und Gegenüberstellungen in der Proklamierung der einen oder der anderen politischen These Dinge schief hinzustellen und falsche Alternativen zu behaupten. Wir sollten über Antithesen, die es nicht gibt, nicht streiten, sondern wir sollten die wirklichen Gegensätzlichkeiten in der Auffassung in den Vordergrund stellen. Man darf die Angst vor dem Osten nicht als ein Propagandainstrument für eine Militarisierung unter den heute gegebenen Voraussetzungen einspannen.
Das Ergebnis einer solchen Propaganda ist nämlich das Hinaustragen der Angst mit ihren lähmenden Wirkungen
und nicht die Schaffung eines lebensfähigen, krisenfesten Wehrwillens. Die aktuelle Kriegsgefahr
und die Frage einer deutschen Beteiligung militärischer Natur sind verschiedene Themen, so sehr sie sich auch tagespolitisch berühren können. Wir sollten uns auch dankend verbitten, von außen her Belehrungen über unsere Verpflichtung zur Verteidigung der Freiheit zu bekommen. Wir sollten aber auch das innerpolitische Bardengedröhn von der Verteidigung von Weib und Kind und Haus und Hof nicht in eine falsche Gegensätzlichkeit zu den Tatsachen bringen lassen. Man soll nie eine große Idee und ein großes Gefühl in erster Linie unter dem Gesichtspunkt der Propaganda entwickeln.
Wenn mich etwas von Herzen freut, meine Damen und Herren von der Mitte, dann ist es Ihre Zustimmung.
Denn das gibt die Möglichkeit, einmal zur sachlichen Klärung der Dinge zu kommen.
Wenn bei dieser Aussprache der militärische Faktor im Vordergrund steht, so darf niemand vergessen, daß die militärischen Machtmittel heute bei keinem Deutschen unter dem Gesichtspunkt einer Vorbereitung des Krieges betrachtet werden sollten.
Auch militärische Stärke erhält ihre Rechtfertigung heute mehr als je in der Vergangenheit nur als Instrument für die Wahrung des Friedens.
Diesen Eindruck von der heutigen Debatte in unserem Volke zu schaffen, sollte ein allgemeines Anliegen sein.
Aber ein gewisser Geist, der erst versteckt hier zurückzustrahlen beginnt, läßt mich daran zweifeln, ob die Ernsthaftigkeit dieser Forderung bei allen Teilen des Hauses vorhanden ist.
Es gibt nur Möglichkeiten internationaler Verteidigung zu diskutieren; es gibt nur Möglichkeiten einer Verteidigung, die in ihren Mitteln weit und entscheidend über den europäischen Rahmen hinausgeht.
Und wir haben hier zu untersuchen, wie der Wille und die Auffassung anderer Faktoren ist.
Ungern zitiere ich die Äußerung des französischen Verteidigungsministers vom 4. 8.:
Wir müssen für uns die Verteidigung des Glacis sichern, welches der Sieg von 1945 uns erlaubt hat zu besetzen. Unsere dauernde Sorge muß die Schaffung eines Manövrierfeldes zwischen Elbe und Rhein sein.
Auch wenn wir die strategische und besonders die strategisch-populäre Literatur der amerikanischen Zeitschriften betrachten — und in diesen Zeitschriften schreiben die hervorragendsten, an verantwortlicher Stelle stehenden Sachverständigen —, dann ist die Diskussion vorwiegend bedingt durch die Unterstreichung der Luftstreitkräfte, eventuell
der Seestreitkräfte. Immer wieder ist sie von dem( Tenor getragen, daß die Landstreitkräfte in erster Linie von den Europäern gestellt werden müssen. Bei dieser Betrachtung, meine Damen und Herren, kann man die Verteidigung der amerikanischen Volkssubstanz durch seine Generalität durchaus verstehen. Aber man muß dann auch wissen, daß ohne die Deponierung entscheidend starker, auf das modernste bewaffneter militärischer Landstreitkräfte der anderen Kontinente das Problem für uns Deutsche einfach aussichtslos ist.
— Ja, nun warten Sie mal! Ich glaube doch, wir streiten gerade darüber miteinander.
— Meine Damen und Herren, bei acht Stunden Redezeit und bei der zentralen Wichtigkeit dieses Themas sowie bei der gespannten Aufmerksamkeit, mit der das deutsche Volk uns lauscht, sollten wir die elegante Eloquenz der Zwischenrufe etwas bebeschränken! - Europa kann nicht der vorgeschobene Verteidigungsgürtel Amerikas und Deutschland nicht der vorgeschobene Verteidigungsgürtel der anderen europäischen Staaten sein. Ich will mir hier eine Reihe von Zitaten aus der amerikanischen Militärliteratur der jüngsten Wochen und Monate ersparen. Aber wir sollten uns doch hüten, uns illusionär als den Bestandteil eines Sicherheitssystems mit vollen Rechten und Pflichten zu betrachten, solange die praktische Behandlung unseres Volkes vorwiegend unter dem Gesichtspunkt des Instruments anderer vor sich geht.
Es kann nicht ein Land zur Verteidigung anderer
Länder dienen. Eine militärische Verteidigung ist
nur auf der Grundlage der Gemeinsamkeit möglich.
Was uns nämlich in der bisherigen Konzeption zugemutet wird — haben Sie doch den Mut, meine Damen und Herren, diesen Dingen ins Gesicht zu sehen —, ist doch die Ungleichheit, die praktische Ungleichheit im Opfer, die Ungleichheit im Risiko, die Ungleichheit in der Chance für unser Volk gegenüber anderen Völkern. Aber für die Deutschen ist nur die Gleichheit im Tatsächlichen und die Unlöslichkeit der Verbindungen und Verkettungen mit den anderen Nationen die positive Voraussetzung. Eine andere positive Voraussetzung gibt es nicht, weil keine andere Voraussetzung die Möglichkeit des Erfolges in sich trägt.
Niemand in der Sozialdemokratischen Partei hat in der Diskussion gerade der letzten Monate bei irgendeinem noch so kleinen Teil die Meinung geäußert, man solle etwas an Leistung und Opfer verweigern, was die anderen tatsächlich im selben Umfange an Opfer tragen.
Stets ist aber die Realität — als Gegensatz zur Illusion —, die Tatsache und nicht die Versprechung, die Konzentration wirklicher Macht und damit wirklicher Erfolgschancen der Maßstab in der Betrachtung aller militärischen Dinge gewesen und ist es auch heute noch.
Nun haben eine Reihe von Mitgliedern der Bundesregierung in den letzten elf Monaten eine verwirrende Fülle von Variationen über den möglichen deutschen Standpunkt verkündet. Dadurch, meine
Damen und Herren, ist die deutsche Position nicht gestärkt worden,
daß wir ein gewisses aktives Interesse zeigten. Die Neigung, von vornherein und ohne Prüfung des tatsächlich in den Voraussetzungen Notwendigen in solche Erklärungen hineinzugehen, hat bisher gegenüber der alliierten Politik in den letzten zwölf Jahren noch niemals einen Erfolg gehabt. Man sollte die Illusion über angebliche neue Erfolgschancen dann nicht Realpolitik nennen. Letzten Endes ist doch alles, was sich an Stimmen für die sofortige Leistung eines deutschen Beitrages unter den heutigen Umständen oder den Umständen der Verwirklichungsmöglichkeiten der nächsten Zeit, gemessen an den Versprechungen der Alliierten, erhebt, eigentlich nur von dem ein en Gedanken getragen: es muß doch etwas geschehen! Wir sind der Meinung: es kann nur etwas geschehen, was richtig und die Frage lösend ist.
Die Sozialdemokratie hat z. B. am 13. Juni gewarnt, unter der damaligen Voraussetzung, unter der damaligen Degradierung in den Europäischen Rat hineinzugehen. Ich glaube, die Warnungen haben sich praktisch alle als berechtigt erwiesen. Wir sehen jetzt, daß Straßburg tatsächlich das Vorzimmer war und daß unser Eintritt den anderen die Möglichkeit gegeben hat, selbst zu bestimmen und entscheidende Worte zu sprechen, ob, wann und in welchem Umfang Deutschland aufzurüsten hat. Wir sollten heute den Mut finden, zu erklären, daß wir nicht mehr in internationale Bindungen und Verpflichtungen unter solchen Voraussetzungen der Ungleichheit hineingehen wie damals in den Europäischen Rat in Straßburg.
Der Herr Bundeskanzler hat erklärt, niemals Angebote für einen deutschen Beitragswillen gemacht zu haben. Ich könnte das durch Zitate aus dem zweiten Absatz des amtlichen Memorandums vom 29. August dieses Jahres widerlegen. Darin hat der Herr Bundeskanzler den deutschen Willen zu einem militärischen Beitrag für eine europäische Armee mindestens für seine Person versichert. Ich will jetzt auch die mir hier vorliegenden Zitate, etwa aus „Plain Dealer" oder aus „New York Times", nicht wiederholen. Ich möchte bloß sagen: diese Atmosphäre und diese Äußerungen amtlicher Persönlichkeiten haben doch dazu geführt, daß es im Abs. 9 des New Yorker Kommuniqués wörtlich heißt:
Die Minister
- nämlich die Außenminister —
haben indessen Kenntnis genommen von den Gefühlen, wie sie kürzlich in Deutschland und anderswo ausgedrückt wurden zugunsten einer deutschen Beteiligung an einer integrierenden Streitmacht —
und so weiter. Sehen Sie, hier sollte man diesen Außenministern gegenüber dementieren, aber nicht bei uns!
Die Äußerungen in den letzten Monaten und Wochen sowie am heutigen Tage gehen doch dahin, daß die tatsächliche Entscheidung bereits gefallen ist in der Vorstellungsweise der maßgebenden Regierungsmitglieder,
vor allem des Herrn Bundeskanzlers. Sie betrachten
den militärischen deutschen Beitrag bereits als eine
feststehende Tatsache. Sie haben immer wieder erklärt — und der Herr Bundeskanzler wird mir die Erlaubnis geben, darauf Bezug zu nehmen —, daß kein Deutscher sich vor dem Einlaufen der alliierten Forderungen auf diesem Gebiet positiv äußern solle. Nun, der Geist der verschiedensten Interviews, beispielsweise nach dem Mißglücken der Verhandlungen des Verteidigungsrates der Atlantikpaktmächte, oder der Geist der Reden von Goslar, Bad Boll oder Stuttgart sprechen eine andere Sprache.
Die Sozialdemokraten sind nun der Meinung, daß am heutigen Tage durch den Herrn Bundeskanzler etwas Neues eingeführt worden ist. Der Herr Bundeskanzler hat dem Hohen Haus eine Entschließung der Bundesregierung in einer Frage vorgelegt, die nach seinen heutigen Äußerungen und nach den Äußerungen der führenden Leute aller Parteien nach Möglichkeit von einer gemeinschaftlichen Willensbildung getragen werden sollte. Ich habe gestern einer Einladung des Herrn Bundeskanzlers Folge geleistet. Wir haben über die heutige Debatte gesprochen. Der Herr Bundeskanzler hat mir mit keiner Silbe davon Kenntnis gegeben, daß er heute dem Hohen Hause eine Entschließung in dieser Frage vorlegen wird.
Die Vorlage dieser Entschließung ist in der Sache der Bruch aller der Opposition und dem deutschen Volke bisher gegebenen Versprechungen.
Eine Aufforderung der Alliierten zu einer verbindlichen Meinungsäußerung liegt bis heute nicht vor.
Trotzdem wird die Taktik des Anerbietens durch den Geist und Inhalt dieser Entschließung dem Parlament zur Zustimmung unterbreitet. Wir verwahren uns gegen diese Methode der Überrumpelung
und des Bruchs aller Versprechungen in einer zentralen Frage der deutschen Nation. Was spricht man denn immer von „Gemeinschaft", wenn man der Chance eines Husarenritts wegen den Geist dieser Gemeinschaft in flagranter und nicht mehr gutzumachender Weise verletzt?
Etwas anderes, meine Damen und Herren, ist eine genaue, exakte, gewissenhaft verantwortliche politische und militärische Untersuchung der Voraussetzungen eines deutschen Beitrages, d. h. mit anderen Worten eine Analyse der internationalen und nationalen Voraussetzungen der tatsächlichen Kräfteverhältnisse und der objektiven Möglichkeiten. Gegen eine die Fundamente klärende wissenschaftlich exakte Tätigkeit, die alle Parteien dieses Hauses in die Lage versetzt, an Hand von gewissenhaft geprüftem Material dem Volk Rede und Antwort zu stehen, hat niemand von uns etwas. Aber alles haben wir gegen Vorbereitungshandlungen,
die davon ausgehen, als ob die große politische Entscheidung des Ja oder Nein bereits gefallen wäre. Wir halten solche Vorbereitungshandlungen in unserer nationalen Position gegenüber anderen Mächten für sachlich nicht gut. Wir sehen in ihnen
unerlaubte Praktiken gegenüber dem Volk und seiner Vertretung.
Darum wenden wir uns auch gegen die Einrichtung eines sogenannten Sicherheitsbeauftragten. Es ist unmöglich, eine solche Einrichtung ohne vorhergehende Etatisierung zu schaffen. Es ist auch unmöglich, sie wieder einmal — wie soviele Instrumente der deutschen Politik — im Bundeskanzleramt einzubauen. Es handelt sich doch tatsächlich bei dieser Einrichtung — erklärterweise — um die Schaffung eines Sicherheitsamtes mit der Tendenz der Entwicklung zu einem Sicherheitsministerium. Eine solche Institution zu schaffen, bevor das Volk in seiner Vertretung entschieden hat, halte ich für unmöglich. Ich sehe darin einen Schritt auf einem Wege, von dem noch niemand mit absoluter Gewißheit sagen kann, ob er überhaupt gegangen werden wird.
Die geplante Gliederung des Amtes und gewisser Ausschüsse des Kabinetts, die zur Behandlung dieser Fragen eingesetzt worden sind, scheinen uns von der nach der Meinung der Regierung absolut feststehenden Tatsache auszugehen, als ob die Deutschen schon entschieden hätten. Wenn der neue Staatssekretär wirklich nur ein Mann für die Unterbringung alliierter Truppen wäre, nun, dann hätte man ihn doch ins Wohnungsbauministerium tun können.
Das Problem des deutschen militärischen Beitrages verträgt auch nach innen keine andere Behandlung als die vollständiger und nichts verschweigender Wahrheit und Offenheit. Die große Auseinandersetzung vollzieht sich ja nicht zwischen den Remilitarisierern schlechthin und irgendwelchen absoluten Pazifisten mit einer Friedensformel des garantierten Erfolges. Die große Auseinandersetzung vollzieht sich zwischen denjenigen, die unter heutigen Umständen ihren Willen zur Remilitarisierung einfach durchdrücken wollen, und denjenigen, die eine feste nationale und internationale Voraussetzung dafür verlangen, ohne deren Durchführung sie nein sagen werden.
Nun bin ich überzeugt, daß alle hier versammelten Damen und Herren den gemeinsamen Wunsch im Herzen tragen, Deutschland nicht zum Vorfeld der Verteidigung anderer Länder werden zu lassen. Aber ein Jetzt-Hineinschlittern in eine voraussetzungslose Militarisierung kann ja nicht die Fakten erfolgreicher Abwehr schaffen, sondern vergrößert die Gefahren deutscher Vernichtung oder Beeinträchtigung bis ins Gigantische hinein. Nur - das ist die Meinung der Sozialdemokratie—wenn die demokratischen Streitkräfte hier in Deutschland so stark sind, daß sie die Kraft haben, bei einem Angriff aus dem Osten im sofortigen Gegenstoß die Kriegsentscheidung außerhalb der deutschen Grenzen zu tragen, nur dann kann das deutsche Volk seinen militärischen Beitrag für die Verteidigung der Freiheit in der Welt leisten.
Wir haben über die Verantwortung noch anderer Völker hinaus die Verpflichtung der Berücksichtigung der Schmälerung unserer Volkssubstanz. Wir preisen andere Völker glücklich, daß sie in der Vergangenheit nur Bruchteile der deutschen Verluste zu erleiden hatten. Aber wir I
können doch von der Tatsache nicht weg, daß wir mehr als 3 Millionen Tote, rund 11/2 Millionen Vermißte und 3 Millionen Kriegsbeschädigte haben. Wir haben über den Rahmen der normalen nationalen Verpflichtung hinaus noch die Auflage besonderer Sorgfalt in der Behandlung dieser Frage.
Der jetzt diskutierte Beitrag, der Beitrag, zu dessen Einleitung sich auch der Herr Bundeskanzler bekannt hat, hat keine abschreckende und damit kriegsverhütende Wirkung auf den potentiellen Angreifer im Osten. Dieses Ergebnis kann nur bei Erfüllung der von den Sozialdemokraten geforderten Voraussetzung erreicht werden. Es ist nicht die Etablierung der kriegverhindernden Macht, die jetzt nach dem Wunsch des Bundeskanzlers besprochen werden soll, einfach deswegen nicht, weil es nicht die Etablierung der ausreichenden Macht ist.
Wenn das utopischen Charakter tragen würde, dann, meine Damen und Herren, hätte ja die ganze Verteidigung Europas utopischen Charakter.
Wir glauben aber nicht an die Utopie. Wir glauben an die Erfüllbarkeit, und wir glauben an die deutsche Verpflichtung, diese Erfüllbarkeit durch Festigkeit des Standpunktes zu erreichen.
Nur wenn kein Rückzug der angelsächsischen Mächte oder der demokratischen Mächte schlechthin mehr möglich ist, wenn die Angelsachsen und die andern demokratischen Potenzen der Welt ihr eigenes nationales und militärisches Schicksal mit dem deutschen Schicksal vereinigen, kann diese Frage positiv beantwortet und eine große deutsche Leistung erwartet werden. Ich will nicht zu weit schweifen, aber die Konzeption aller starken Wirtschaftsmächte mit intelligenter und technisch tüchtiger Bevölkerung, die außerdem auch noch die Rohstoffe und die industriellen Produktionsmittel zu vier Fünfteln in den entscheidenden Punkten in der Hand haben, ist doch immer die: Wenn es uns am Anfang auch schlecht geht, zum Schluß kassieren wir kraft unserer ökonomischen, technischen und menschlich-qualitativen Übermacht den Sieg des Ganzen ein. Aber, meine Damen und Herren, die deutsche Situation ist eben weder die Situation der letzten Schlacht für die Angelsachsen noch die Situation der letzten Schlacht für die Russen. Die haben ihre militärische Übermacht wohl in erster Linie deswegen nicht ausgenutzt, weil sie die Übermacht des Kriegspotentials und der Intelligenz auf der andern Seite sehen. Zudem ist auch die Entwicklung gewisser kriegsentscheidender Waffen sehr zugunsten der Angelsachsen und nicht zugunsten der Sowjets gegangen. Aber das deutsche Schicksal ist ein anderes, es ist das Schicksal der ersten Auseinandersetzung.
Von diesem Schicksal kann uns kein Versprechen der andern entbinden. Von diesem Schicksal lösen wir uns auch nicht durch bedingungslose Bereitfertigkeit jetzt im Verteidigungskomplex. Dieses Schicksal können wir für unser Volk nur ertragbar machen, wenn die andern ihr eigenes Schicksal mit dem unseren in der Situation der ersten Auseinandersetzung, die für uns die entscheidende ist, verbinden.
Meine Damen und Herren! Jede militärische Abwehr muß einen realisierbaren Zweck und ein erreichbares Ziel haben. Das ist bei dem Divisionstaumel, der heute in Europa diskutiert wird, nicht gegeben. Allein aus der Möglichkeit des Erreichbaren ergibt sich der Sinn von Opfern. Nichts anderes kann diesen Sinn ersetzen als die Schaffung von Voraussetzungen, die eine tatsächliche Solidarität der andern mit uns darstellen.
Davon, meine Damen und Herren, hängt doch auch Wesen und Wert jeder möglichen deutschen Formation ab. Die Militarisierung unter den heute gegebenen oder heute versprochenen und diskutierten Voraussetzungen ist auch in der Struktur der militärischen Organisation eine Wiederanknüpfung an Perioden der Vergangenheit. Die Gefahr, die von innen aus ökonomisch, sozial und militärisch den Deutschen droht, ist hier wie immer die Gefahr der Restauration und des Nichtbegreifens des Neuen.
Gibt man jetzt diesem Drängen nach, so erhält man eine Anzahl militärtechnisch sehr sorgfältig aufgebauter Organisationen, aber man bekommt nicht ein Heer mit den unverzichtbaren Eigenschaften eines Heeres, das für seine Nation oder für eine große Idee einstehen soll.
Man bekommt einen Apparat, und dem Apparat werden sich auch manche zur Verfügung stellen, die wir alle lieber nicht sehen wollten.
Aber ich will mit denen jetzt nicht streiten. Ich will aber sagen, daß auch sehr viel ehrenhafte Menschen in den Apparat gehen, aber Menschen, deren Vorstellungswelt von gesellschaftlichen, von deren oder interessenmäßigen Motiven bestimmt ist. Diese Motive mögen so sozial erklärlich oder für die Betroffenen notwendig wie immer sein, sie schaffen nicht die entscheidende Kampfkraft einer Armee des Volkes.
Das Ethos der Armee im modernen Massenstaat ist das Gefühl der staatsbürgerlichen und nationalen Freiheit und der Wille, einer großen internationalen, einer großen menschlichen Idee zu dienen. Militärische Organisationen ohne ethische Bindungen sind die Quelle innen- und außenpolitischer Gefahr,
auch für diejenigen, die auf ihre Bildung drängen, sie mögen außerhalb Deutschlands oder innerhalb Deutschlands sein.
Die Menschen, die nach den Erfahrungen dieser beiden Weltkriege aus einer militärischen Herkunft nach einem neuen Bild ringen, die eine Verpflichtung in sich tragen, über das Standesinteresse hinaus der Nation und dem Frieden und einer Menschheitsidee zu dienen, werden unter den Voraussetzungen von heute für einen deutschen Beitrag sehr zurückhaltend sein.
Der Grund dafür ist klar. Er ist erwachsen aus dem Gefühl der Verantwortung gegenüber dem eigenen Volk und gegenüber den militärischen Untergebenen. Wenn die Frage nach dem deutschen Beitrag eine Frage nach Sinn und Aussicht dieses Beitrages ist, so spiegelt sich der Widerstreit dieser Gefühle und Erwägungen in jedem Militär wider, der über Befehlsgewalt verfügt. Heute weiß man auch in diesen Kreisen, daß ein Nein zu der vorbehaltslosen Remilitarisierung unter den Bedingungen von heute sehr viel mehr Verständnis für das Wesen und den Wert dieser Menschen aus dem Soldatischen haben kann als eine bedingungslose Bejahung.
Wenn der Sinn des Opfers im Politischen entscheidend ist, meine Damen und Herren, dann ist er auch entscheidend in den Entschlüssen der Militärs. Ein Kampf ohne Aussicht ist auch für sie ein Kampf ohne Sinn. Der wertvolle und aufgeschlossene Mensch wird sich dagegen wehren, Untergebene in die Situation des sinnlosen Opfers zu bringen.
Also unter den heutigen Voraussetzungen, unter den Voraussetzungen, wie sie der Herr Bundeskanzler hier definiert hat, sagt die Sozialdemokratische Partei Deutschlands zu diesen Bemühungen der Remilitarisierung nein. Sie wird auch nein sagen, wenn die halben und matten Versprechungen der Alliierten für die nächsten Monate verwirklicht werden sollten. Sie wird erst ja sagen, wenn die unzweideutige Entscheidung für die internationale Solidarität der anderen Nationen mit der deutschen Nation durch militärische und politische Tatsachen geschaffen ist.
Deutschland ist ein nicht wegzudenkendes Stück Europa. Es ist nicht das Vorfeld der anderen Länder Europas, sondern auch Deutschland ist Europa selbst. Deutschland ist ebenso verteidigungswert und das deutsche Volk ebenso verteidigungswürdig auch für die anderen demokratischen Völker der Welt wie irgendein Land oder Volk in der Demokratie der Welt sonst noch draußen.
Diese Anerkennung erwarten wir durch Tatsachen. Diese Anerkennung werden wir nicht auf dem Wege erreichen, den die Entschließung des Herrn Bundeskanzlers uns zu weisen versuchte.
Die Erörterung des deutschen Beitrags ist nicht die Erörterung eines isolierten militärischen oder gar militärtechnischen Problems, sie ist der Bestandteil — ein sehr wichtiger Bestandteil — eines großen Komplexes, der von den anderen Faktoren, von den Faktoren der inneren und äußeren Freiheit und der sozialen Fundamentierung der Demokratie, nicht allein gelöst werden kann.
Ich glaube, China und Korea sind eine große Warnung - oder sollten es sein — an alle besitzenden Kreise der Welt.
Das Problem des Kommunismus wird nicht durch dogmatische Sterilität in der Verteidigung des Eigentums gelöst werden können.
Man muß schon etwas Positives setzen: in der menschlichen, in der politischen und in der sozialen Freiheit.
Der Anteil der Arbeitenden und Hilfsbedürftigen am Sozialprodukt ist eine Frage von zentraler politischer Wichtigkeit bei der Auseinandersetzung mit dem Weltkommunismus. Je stärker der Anteil der Arbeitenden und Hilfsbedürftigen
am Sozialprodukt ist, desto stärker ist die soziale Fundierung der Demokratie.
Die stärkste innere Bastion bei den bisherigen Auseinandersetzungen mit dem Kommunismus in Europa ist die höhere Lebenshaltung im Vergleich mit der Lebenshaltung in den Ländern der Sowjets und ihrer Satellitenstaaten gewesen. Wer sie mindert, verstärkt - wenn auch ungewollt - die totalitäre Chance. Soziale Gesundheit ist politische Kraft, ist lebendige Demokratie.
Gegenüber den Mächten des Auslandes muß ich sagen: Die Gleichberechtigung der Deutschen ist nicht nur eine formalpolitische, sie ist auch eine soziale Frage. Mit der Aufwerfung dieses Themas will ich heute erst die Tendenz der Entwicklung aufzeigen, die kommen muß, um die soziale Basierung der demokratischen Chance vorzunehmen. Wenn aber die Diskussion im Ausland und leider auch bei einem großen Teil des Inlandes über die Kosten eines deutschen militärischen Beitrags zur Sicherung der Weltdemokratie betrachtet wird, dann hat man den Eindruck von etwas Irrealem und Gespenstischem. Es fehlt die Planung, vor allen Dingen der zentrale Punkt der Planung, wohin das sozial Notwendige mit dem militärisch Möglichen in eine Relation der Vernunft, die von allen angenommen werden könnte, ausmündet.
Es ist keine Relation vorhanden. Man stopselt bei der Behandlung dieser Frage Schritt für Schritt durch. Ich möchte die Erbitterung der Sozialdemokratischen Partei über die Rede des deutschen Bundeswirtschaftsministers in Goslar ausdrücken. In einer Periode, in der der Bundesfinanzminister den Geschmack hat, neue Steuern für die Befriedigung der notwendigsten Ansprüche der Opfer des letzten Krieges zu verlangen, hat er von neuen Steuern für den deutschen militärischen Beitrag gesprochen.
Gestern hat der Bundeswirtschaftsminister zwar in Berlin das Gegenteil davon gesagt, aber das täuscht uns doch nicht darüber hinweg, daß so ein Hurra-Enthusiasmus der Ökonomie für diese Probleme das Fehlerhafteste ist, was man sich überhaupt denken kann. Das Schicksal Deutschlands ist sozial und ökonomisch durch alle möglichen Krisenerscheinungen mehr gefährdet, als man heute gemeinhin zugibt. Das Schwinden der Devisenvorräte, die hemmungslose Einfuhr, die beginnende Kapitalflucht, die Erhöhung der Diskontsätze — das alles sind doch Dinge, die für die Entwicklung der Wirtschaft und des Arbeitsmarktes von größter Bedeutung sein werden. Man denke dabei vor allem einmal an den Wohnungsbau. Die voreiligen Steuererleichterungen der Vergangenheit machen sich heute sehr negativ bezahlt.
Zugleich diskutiert man ja nicht nur seitens des Herrn Bundeswirtschaftsministers, sondern auch im Bundesfinanzministerium über die Notwendigkeit neuer Steuern. Es ist kein Zufall, daß man dabei auf Verbrauchssteuern, besonders auf die Umsatzsteuer zu sprechen kommt.
Meine Damen und Herren, eine derartige Entwicklung der Preise, der Tarife und der Gegensatz zu der Entwicklung der Löhne und Renten zernagt das soziale Fundament. Mit diesen Methoden ist
die Demokratie gegenüber dem angreiferischen Kommunismus nicht zu einem lebendigen Bestandteil des Massenempfindens zu machen.
Ich erinnere an das Wort, das der über die Kreise unserer Partei hinaus verehrte Vorsitzende der Gewerkschaften Hans Böckler auf der großen Düsseldorfer programmatischen Kundgebung der Gewerkschaften gesprochen hat: „Nur ein lebenswertes Leben ist wert, verteidigt zu werden!"
In dieser Frage bekommt der Komplex der Besatzungskosten ein neues Gesicht. Sie sind ja nach Art und Umfang ein bis heute noch nicht ausreichend revidiertes Ergebnis der Sieger- und Besiegten-Situation von 1945. Man kann mit diesen Auffassungen nicht die Gefahren von 1950 meistern. Der schwächste Teil der europäischen Wirtschaft, der außerdem die größten sozialen Aufgaben aus der Entwicklung des letzten Jahrzehntes auferlegt erhalten hat, muß jetzt tatsächlich gewisse Anteile für die Verteidigung anderer Länder aufbringen, einfach aus der Tatsache heraus, daß der Standort der Truppen für die Verteidigung der deutsche Boden ist. Begriff und Inhalt der Besatzungskosten sind heute überholt. Das drängende Problem ist die Neuverteilung der internationalen Verteidigungskosten nach der Tragfähigkeit der Schultern der einzelnen Völker.
Meine Damen und Herren, ich stelle das in den Vordergrund, weil hier eine große zentrale und initiative Aufgabe der Bundesregierung liegt. Man kann diese Frage nicht mehr mit fiskalischen und diplomatischen Mitteln allein lösen. Man muß sie ihrer sozialen Konsequenz wegen in den Mittelpunkt der internationalen Diskussion stellen. Heute wird von alliierter Seite gekränkt und empört eingewandt, die Deutschen würden nur 4,6 Milliarden Besatzungskosten zahlen, andere Völker dagegen würden einen sehr viel höheren Prozentsatz ihres sozialen oder Steuer-Aufkommens für die Verteidigung verwenden. Diese isolierte Behandlung des Begriffs Besatzungskosten geht an den Dingen vorbei. Wir haben zusätzlich eine Reihe von Bürden durch das Dasein zu schleppen, die andere Völker nicht oder nicht in dem Umfange haben.
Ich denke an den Lastenausgleich für die 8 Millionen Vertriebenen, den Lastenausgleich, dessen zuletzt diskutierte Formulierung nicht imstande ist, diese 8 Millionen in unseren gesellschaftlichen und politischen Prozeß bindend einzuschalten. Ich denke an die Milliarden Ausgaben für die Kriegsbeschädigten, für die Kriegshinterbliebenen und für den sozialen Wohnungsbau in einem Lande, in dem die Behausungen stärker zerstört sind als irgendwo. Man sollte doch auf alliierter Seite nicht meinen, daß wir hier diese Positionen beliebig schrumpfen lassen oder gar abschaffen könnten. Damit würden wir das soziale und moralische Fundament der Demokratie zerbröckeln. Wir würden in die Lage kommen, in der noch so zahlreiche Divisionen nicht entscheidenden Wert haben könnten und zur Erfolglosigkeit verdammt wären. Es würde das belebende Moment der sozialen Zusammengehörigkeit und der sozialen Sicherheit fehlen.
Meine Damen und Herren, die Diskussion innen und außen arbeitet sehr stark mit den Mitteln des
Zeitdrucks. Wir sind mindestens in der Mehrheit dieses Hauses von der Agitation mit dem Zeitdruck schon zweimal düpiert worden.
Als wir unter Zeitdruck gehandelt haben, da hatten die anderen eine unbeschränkte Menge Zeit, die sie bis heute noch nicht konsumiert haben. Außerdem wehre ich mich grundsätzlich dagegen, daß eine zerklüftete und in ihrem Zusammenhang noch schwache Nation wie die deutsche die volle Verantwortung für das Scheitern sämtlicher alliierter Illusionen seit 1945 zu tragen hat.
Es ist viel Zeit verschenkt worden. Wir können diese verschwendete Zeit nicht aus der Substanz unserer Menschen heraus aufholen. Der Aufbau jeder militärischen Formation dauert Jahre. Für diese Frist kann keine deutsche Bereitwilligkeit Ersatz schaffen. Eine ungenügende militärische Kräfteversammlung der Deutschen und anderer Nationen hat die abschreckende Wirkung auf den ungleichen Angreifer, die immer als erstes Ziel ihr im Auge stehen sollte, nicht zur Folge. Schließlich scheint man sich ja über die Möglichkeit der Bewaffnung auch noch in einigen Irrtümern zu befinden,
besonders was den Zusammenhang von moderner Bewaffnung und Zeit anbetrifft.
Wir haben, glaube ich, die Zeitfrage ganz akkurat unter einer bestimmten Formel zu behandeln Wir können eine Tempobeschleunigung, ein nicht genaues Einhalten des gleichen Tempos, wie es die Alliierten in der Behandlung der deutschen Frage haben, nicht auf uns nehmen.
Sowenig wir die Neigung haben sollten, etwa hinterherzuschlürfen, sowenig können wir in der Frage des Tempos der Vorreiter sein. Wir wollen nicht noch zusätzlich die Gefahren auf uns nehmen, die kein Alliierter in dieser Art auf sich zu nehmen hätte.
In diesem Zusammenhang möchte ich mich gegen die moralisierenden Methoden, mit denen auf uns von außen her eingewirkt werden soll, wenden. Wir haben nicht die Neigung, uns vor Fragen stellen zu lassen, die für uns keine Fragen sind. Wir waren ja schließlich hier gegen den Kommunismus und haben unter Opfern mit ihm gekämpft, als wir in der ganzen Welt allein waren und jeder Alliierte die Sowjets noch als seinen Verbündeten gegen die Deutschen betrachtet hat.
Für uns gibt es keine Frage: Freiheit oder Sklaverei; die haben wir aus dem Wesen unserer geistigen Überlieferung und aus der Erkenntnis der neuen Probleme von 1945 entschieden. Für uns gibt es nur die Aussichten für die im Kern doch selbstverständliche Solidarität der alliierten mit der deutschen Freiheit, weil es ohne deutsche Freiheit keine europäische Freiheit gibt.
Wir wenden uns gegen diese moralinsaure Propagandakampagne, wie sie etwa am letzten Sonnabend von Seiten, die der amerikanischen Hohen Kommission nahestehen sollen, in der „Neuen Zeitung" eingeleitet worden ist.
Ich kann mir nicht denken, daß sich ein verantwortlicher politischer Mensch Amerikas auf diese
Linie und auf die Anwendung dieser Methoden begeben würde. Um hier keine langen Ausführungen machen zu müssen, nehme ich einen Satz. Da steht das lapidare Wort: ,.Keine Zeit ist mehr für kleinliche Streitereien". Der Schreiber meint: in Deutschland; er hat in vorbildlicher Bescheidenheit nicht an den amerikanischen Wahlkampf gedacht.
Denn wenn wir schon davon sprechen wollen, daß keine Zeit mehr ist für kleinliche Zänkereien
oder andere Streitigkeiten, dann sollten das die Alliierten einmal für ihr Verhältnis untereinander und für das alliierte Verhältnis gegenüber Deutschland zur Maxime ihres Handelns machen.
Dieser ganze Komplex steht doch innen- und
außenpolitisch für Gegenwart und Zukunft unter
dem Gesetz: Vorsicht ist besser als Schnelligkeit.
Nun, meine Damen und Herren, die Druckmittel, die von außen angewandt werden: dieses Irrlichtern mit einer Umdisponierung der amerikanischen Kräfte in der Welt ist ein Druckmittel, das zu erörtern gewisse Deutsche kaum legitimiert sind. Diese Druckmittel haben einen sehr phantomhaften Charakter. Hier geht es nicht um uns; hier geht es um die zentrale Position der Amerikaner in Europa, um die Unverzichtbarkeit dieser Position und um die Position der Amerikaner in der UNO. Wir stellen nun die Forderung nach den zentralen und kardinalen entscheidenden Voraussetzungen der nationalen und militärischen Solidarität, die jeden Rückzug der Angelsachsen ausschließt. Die Amerikaner antworten jetzt mit dem Gegenzug. Sie wollen ihre Verstärkungen in Europa von der deutschen Vorleistung abhängig machen. Das heißt, meine Damen und Herren, im Zeichen der internationalen Zusammenarbeit und der gleichen Achtung vor dem Leben und dem Schicksal aller Völker doch folgendes: Die Schwächsten und durch ihre Lage und ihre politische Situation am meisten Gefährdeten bekommen das ganze Risiko aufgehalst, und der Stärkste behält sich freie Hand vor.
Auch für Amerika geht es doch nicht um Deutschland, genau sowenig wie für irgendein anderes Land. Es geht doch für jedes Land um seine eigene Position und bei den vorausschauenden Menschen dieser Länder um die internationale Position der Freiheit, deren Bestandteil das eigene Land ist.
Wir können uns auf keine Differenzierung einlassen! Würde sich Deutschland jetzt auf das Gebiet der Aufrüstung begeben. dann würde es das ganze politische und soziale Leben in der Bundesrepublik von Grund auf umgestalten. Das Grundgesetz kennt keine Wehrverfassung.
Die beiden Argumente e contrario, die der Herr Bundeskanzler aus den Artikeln 26 und 4 heraus gebracht hat, treffen nicht zu. Diese Artikel sind nichts weiter als zusätzliche Beteuerungen des Friedenswillens. Der Geist des Grundgesetzes hat nach dem Willen der westlichen Alliierten und nach dem Willen der deutschen Gesetzgeber das militärische Problem für die Deutschen nicht als existent betrachtet.
Ich glaube, daß die juristische Position des Herrn
Bundeskanzlers zwar nicht ausreichend, aber doch
besser wäre, wenn er sich nicht auf das Gutachten
des Herrn Bundesjustizministers verlassen hätte.
Die Regelung dieses ganzen Komplexes des deutschen Beitrags kann weder durch offene noch durch heimliche Verwaltungshandlungen geschehen oder auch nur vorbereitenderweise eingeleitet werden. Auch die einfache Gesetzgebung reicht nicht aus. Jede Schaffung irgendeiner Art von Wehrverfassung ist verfassunggebend und verfassungändernd, d. h. sie braucht die Zweidrittelmajorität des Deutschen Bundestags.
Denn, meine Damen und Herren, es handelt sich doch nicht um die Fortentwicklung irgendeines vorhandenen Geistes des Grundgesetzes, wenn man dieses Problem jetzt angreift.
Es handelt sich nicht um die Ausfüllung irgendeines zufällig leeren Fleckes im Grundgesetz, dessen Rahmen man nach allgemeiner Übereinstimmung zu kennen meint. Es handelt sich um eine Umkehr, um die totale Umkehr gegenüber allen Linien, die das Grundgesetz gesetzlich fixiert hat.
Es handelt sich um etwas im Grundgesetz nicht Gewolltes und bei den Beratungen des Grundgesetzes sowohl von den innen- wie von den außenpolitischen Faktoren ausdrücklich Abgelehntes. Hier handelt es sich um eine völlig neue Ordnung der Beziehungen von Staat und Menschen.
Wenn man aber den Art. 24 hier einschaltet, wonach sogar Hoheitsrechte an zwischenstaatliche Organisationen abgetreten werden können und im Abs. 2 ähnliche Bemerkungen enthalten sind, dann möchten wir grundsätzlich eines feststellen: Man kann keine Rechte abtreten, die man nicht hat und zu keinem Zeitpunkt gehabt hat!
Man hat sie nicht gehabt und hat sie bis heute nach dem Willen der westlichen Alliierten nicht haben sollen. Nach dem Willen der deutschen Gesetzgeber sind sie auch niemals beansprucht worden.
Der Einbau der demokratischen Kontrolle wäre in diesem Zusammenhang ein Kapitel, das besonderer Erwähnung wert wäre. Trotz der Internationalität des deutschen Kontingents in einer übernationalen Armee ist die Existenz deutscher Formationen auch eine innerpolitisch wirksame Tatsache, mit der man sich staatsrechtlich auseinanderzusetzen hat.
Wenn man sie einbaut, braucht man eine Zweidrittelmehrheit. Wenn man das Institut, das eingebaut werden soll, schafft, dann braucht man nach Ansicht der Bundesregierung nur eine einfache Gesetzgebungsmehrheit. Ich glaube nicht, daß man mit diesen Methoden eine positive Regelung erreichen kann. Uns ist der Hinweis auf den Art. 24 ein politischer Fingerzeig. Es liegt damit von seiten der Bundesregierung oder des Herrn Bundeskanzlers die Absicht vor, mit jeder Mehrheit die Regelung dieser Frage in seinem
Sinne zu erzwingen, gleichgültig ob die Verfassung dabei zu Schaden kommt oder nicht.
Das, meine Damen und Herren, ist eine Frage, die wir im deutschen Volke zur Diskussion stellen werden.
Mit dieser Methode, meine Damen und Herren, erregen Sie doch mit aller Gewalt im Volke den Eindruck, daß es stumm gemacht und nicht befragt werden soll.
Mit dieser Methode, ohne diese Achtung der Verfassung gehen Sie doch den Weg zum autoritären, die Demokratie negierenden Staat!
— Mein Gott! Seien Sie meines vollen Mitleides bewußt!
Wenn der Bundestag diese Frage entscheiden wollte, dann müßten wir ihm die Legitimation zur Entscheidung dieser Frage bestreiten. Gewiß, der Bundestag ist auf vier Jahre gewählt. Gewiß, keiner ist kleinlich und wird bei jeder neuen Aufgabe immer gleich die Neuwahl des Bundestages verlangen. Aber was hier geschaffen werden soll, ist doch etwas Neues von grundsätzlicher und alles verändernder Bedeutung. Ist dies erst einmal positiv entschieden, dann kann eine solche Entscheidung kaum noch revidiert werden. Als der Bundestag am 14. August des vorigen Jahres gewählt wurde, hatte sich doch dieses Problem noch nicht einmal am Horizont abgezeichnet. Die Forderung nach der Neuwahl des Bundestages ist nicht eine juristische. Juristisch und politisch ist das Bestreiten der Legitimation, ist die Forderung nach Anerkennung des verfassungändernden Charakters. Die Forderung nach der Neuwahl ist eine politische Forderung,
ist die Forderung an die Regierung.
Es entspricht nach sozialdemokratischer Auffassung nicht der Würde und der Bedeutung dieses Problems, es durch Plärren und Johlen lösen zu wollen.
Die Frage nach der Neuwahl konfrontiert die Bundesregierung und ihre Parteien mit der Frage: Welchen Respekt hat sie vor dem Volke? Will sie dem Volke die Chance geben, über seinen letzten Lebensinhalt selbst zu entscheiden?
Die Frage nach der Neuwahl verlangt einen Akt der politischen Einsicht und Verantwortung. Die Neuwahl durchführen heißt, dieses Problem in allen seinen politischen Zusammenhängen nach innen und nach außen, sozial und militärisch, demokratisch oder autoritär diskutieren.
Nun, meine Damen und Herren, haben die Angelsachsen und leider auch weite Teile unseres eigenen Volkes in der Vergangenheit allzulange den Kommunisten bzw. die Westmächte den Sowjetrussen die Parole von der deutschen Einheit überlassen. Ich möchte davor warnen, daß sie bei der sozialen Parole und bei der Parole vom Frieden den gleichen Fehler machen. Jede große Idee wird in der Hand der Diktatoren nur Scheidemünze der Propaganda. Hier, meine Damen und Herren, wäre eine internationale Kampagne der Aufklärung durch die Wahrheit nötig, um zu zeigen, wer den Frieden will und wer das Wort des Friedens zur Kriegsvorbereitung mißbraucht.
In diesem Zusammenhang — —
— Wie meinen Sie?
— Das ist ja nicht nötig; ich will ja die Demokratien überzeugen!
— Der Schüler hat das Ziel der Klasse nicht erreicht!
Nun, meine Damen und Herren, hat der Herr Bundeskanzler von der großen Viermächtekonferenz gesprochen, von den Basen dieser Konferenz, die die Sowjets dieser unterschieben wollen, und besonders von der Prager Außenministerkonferenz. Ob die vier Mächte sich zu einer Besprechung zusammenfinden, ob der eine Teil nicht mutmaßt, daß der andere Teil nur ein Täuschungsmanöver macht oder eine Falle stellt, darüber werden diese Mächte aus ihrer besseren Kenntnis der Zusammenhänge und aus der Tatsache ihrer Verantwortung in erster Linie selbst zu entscheiden haben. Aber wenn es zu einer solchen Viermächtekonferenz käme, ist es ein anderes, auf dieser Viermächtekonferenz die Deutschen mit dem Hauptthema der Remilitarisierung in den Mittelpunkt zu schieben, und es ist wieder ein anderes, ob es den demokratischen Kräften der Welt gelingt, einmal die Russen zu einer Klärung der Voraussetzungen der Befriedung der Welt zu veranlassen. Wir als Deutsche haben nur die Aufgabe, zu erklären, daß, nationalpolitisch gesehen, die Formel der Prager Außenministerkonferenz für uns nicht akzeptabel ist, im besonderen der Punkt 4 nicht. Die dort geforderte paritätische Zusammensetzung eines gesamtdeutschen konstituierenden Rates, die dem Osten und dem Westen Deutschlands die gleiche Anzahl von Mandaten geben möchte, bedeutet: eine erzwungene Stimme des Ostens soll soviel Wert haben wie zweieinhalb frei abgegebene Wählerstimmen des Westens.
Wir haben hier in diesem Zusammenhang konkret einen Wunsch an die Alliierten. Die Westmächte sollten sich gegebenenfalls nicht einlassen und nicht einmal die Andeutung einer Einlassung zeigen, wenn von der andern Seite versucht wird, das zu erreichen, was für uns für die deutsche Einheit unverzichtbar ist: derselbe Grad von persönlicher und staatsbürgerlicher Freiheit und Gleichheit in allen vier Zonen und in Berlin.
Rechnen Sie damit, daß die Politik des „nationalen Widerstandes" für die nächste Phase auf Eis gelegt wird, ohne im Kern aufgegeben zu sein! Rechnen Sie damit, daß eine Periode einer Einheitsfrontkampagne kommt, wie wir sie vielleicht noch nicht erlebt haben!
Heute schon zeichnet sich ganz deutlich eine Einheitsfrontkampagne mit der gloriosen Formulierung ab „mit den Sozialdemokraten und den
fortschrittlichen Teilen der bürgerlichen Parteien!"
— Ach, meine Herren Kommunisten!
Wir sind da krisenfest;
denn sehen Sie: Zum Predigen gehört nicht nul der Prediger, sondern gehören auch die Gläubigen, und die deutschen Arbeiter sind ungläubig gegenüber jeder Formel des Kommunismus und des Totalitarismus!
Das einzige, meine Herren Kommunisten, was
Sie noch für Ihre Idee tun können: Treten Sie ab!
Meine Damen und Herren! Bevor ich das Wort weitergebe, möchte ich ein offenbares Mißverständnis aufklären. Es liegt mir kein Antrag auf eine Entschließung des Bundestages vor. Ich habe — wie ich glaube: zutreffend — den Herrn Bundeskanzler so verstanden, daß er von einer Entschließung der Bundesregierung gesprochen hat.
Ich möchte das ausdrücklich feststellen.
Als nächste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Frau Wessel.
— 40 Minuten, bitte!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die weltpolitische Entwicklung der letzten Monate hat viel Verwirrung und Ratlosigkeit in der öffentlichen Meinung über die Fragen der europäischen und der deutschen Sicherheit verursacht. Was uns Deutschen heute not tut und besonders in unserer Lage, ist weder Aufgeregtheit noch Trägheit, weder Angst noch Gleichgültigkeit, sondern Erkenntnis der Realitäten und Mut zur Verantwortung und zum Handeln. An der Spitze unserer heutigen außenpolitischen Aufgabe muß stehen, alles zu tun zur Beruhigung und zur Behauptung unserer Freiheit und zur Verhütung eines Krieges.Es ist von meinem Vorredner, dem Herrn Kollegen Dr. Schumacher, bereits dargelegt worden, worum es in der vielschichtigen Diskussion der gegenwärtigen Außen- und Innenpolitik Deutschlands geht. Dabei muß wohl unterschieden werden, daß Deutschland in der Diskussion des Auslandes mehr als Objekt denn als Subjekt betrachtet wird.
Ohne die französischen Ressentiments über eine Remilitarisierung Deutschlands würde man z. B. trotz der Ablehnung des größten Teiles des deutschen Volkes diese Aufforderung an uns heute schon gestellt haben. Wenn man sich dazu den Verhandlungsverlauf der Außenministertagung vor Augen hält, auch die Tagung der Atlantikpaktmächte oder die Stellungnahme der französischen Regierung und nicht nur der französischen Regierung, wie sie uns eben vom Herrn Bundeskanzler dargelegt worden ist, sondern auch die Stimmen der Abgeordneten im französischen Parlament, könnte man fast den Eindruck haben, als handle es sich bei der Wiederaufrüstung Deutschlands um ein der Bundesregierung einzuräumendes Zugeständnis und nicht um ein Opfer, das wahrhaftig fast über unsere Kräfte geht.
Meine Damen und Herren! Aus einer solchen Haltung kommen dann Kommentare, wie sie z. B. die amerikanische Nachrichtenagentur UP angestellt hat, die den Staatsmännern den freundlichen Rat gab, die Frage der Wiederbewaffnung Westdeutschlands sollte den Westeuropäern weniger Kopfschmerzen bereiten. Der deutsche Soldat sei einer der besten Kämpfer, der mit geradezu fatalistisch-orientalisch anmutender Gelassenheit in den Tod gehe; oder wie die Schweizer „Tat" schreibt: eine deutsche Armee, die zwangsläufig unter den Ostflüchtlingen rekrutiert würde, wäre eine Befreiungsarmee mit dem Ziele einer Rückgewinnung des deutschen Ostens. Ganz abgesehen davon, meine Damen und Herren, daß diese so angesprochenen Kreise heute noch auf den Lastenausgleich warten und dadurch wenig Vertrauen in die soziale Haltung derjenigen haben, für die sie nun die Verteidiger und Befreier darstellen sollen, zeigt eine solche Argumentation, unter welchen Aspekten man die Aufrüstung Deutschlands sieht. Mir scheint — und ich möchte das hervorheben —, daß das Verhalten der Bundesregierung in den Fragen der Außenpolitik an dieser Einstellung nicht ganz unschuldig ist. Liest man heute in deutschen Zeitungen die Stellungnahme maßgebender Regierungskreise, hört man die Reden von Bundesministern, dann muß man den Eindruck gewinnen, daß sich der deutsche Mann als echter Deutscher erst dann gleichwertig in der Welt fühlt, wenn er wieder eine Uniform anziehen darf.Meinen politischen Freunden und mir scheint es notwendig zu sein, daß wir an diese Frage mit Besonnenheit und Zurückhaltung herangehen, damit die Besatzungsmächte nicht Opfer als Zugegeständnisse bewerten können.
Gewiß wissen wir, daß wir ohne den Schutz der westlichen Welt unserer Freiheit beraubt werden, wie es bei den Menschen in der Ostzone der Fall ist. Das enthebt uns aber nicht der Verpflichtung, bei aller Verbundenheit mit dem abendländischen Gedankengut und mit Mitteleuropa von der deutschen Lage aus unseren Beitrag zur europäischen Verteidigung zu sehen und alles zu tun, um dem deutschen Volk sinnlose Opfer zu ersparen. Es muß uns gestattet sein, ebenso wie Frankreich und England die spezifisch deutsche Situation dieser Frage aufzuwerfen und bewertet zu sehen, ohne deswegen gleich als schlechte Europäer oder gar als Defätisten behandelt zu werden.
Deutschlands Lage unterscheidet sich von derder anderen europäischen und nichteuropäischen Staaten dadurch, daß ein Teil dieses Staatsgebietes von Rußland und Polen annektiert ist, ein anderer großer Teil unter sowjetischem Besatzungsregime steht und von der SED als deren Satelliten beherrscht wird. So geht die Berührungslinie zwischen dem sowjetischen Herrschaftsbereich und dem der freien demokratischen Nationen mitten durch unser Land. Das bedeutet, daß sich die beiden Weltparteien mit ihren Besatzungstruppen unmittelbar auf deutschem Boden gegenüberstehen und dadurch Spannungen in ihrem Verhältnis für uns Deutsche die Gefahr von Bürgerkriegssituationen schaffen. Das verlangt von uns, daß nicht durch unsere Haltung unüberlegte Maßnahmen getroffen werden, die provokatorisch wirken und sich zum Schaden der deutschen Menschen in der Ostzone erweisen könnten.Unsere Politik muß immer im Hinblick auch auf die Menschen der Ostzone geführt werden. Wir sind realistisch genug, um uns keiner Illusion bezüglich der Haltung der Russen hinzugeben, aber auch nicht hoffnungslos genug, um jede Möglichkeit einer friedlichen Auseinandersetzung der Weltsituation zu leugnen und der anscheinend unvermeidlichen Katastrophe so fatalistisch entgegenzusehen.Die deutsche Lage ist weiterhin dadurch gekennzeichnet, daß die Siegerstaaten Deutschland nach 1945 völlig entwaffnet und mit Besatzungstruppen belegt haben. Damit haben sie die moralische und die rechtliche Verantwortung für die deutsche Sicherheit übernommen, dies umsomehr, als die deutsche Sicherheit durch den Konflikt der westlichen Besatzungsmächte mit Rußland gefährdet wird und Deutschland, insbesondere Berlin, das Spannungsfeld für diese Auseinandersetzungen geworden ist.Aber, meine Damen und Herren, auch inner politisch befindet sich Deutschland noch in einer Ausnahmesituation. Wenn auch auf Grund der Wahlergebnisse die innerpolitische Lage Deutschlands gesichert erscheint, so wissen wir doch, wie labil tatsächlich die deutsche Demokratie heute noch ist. Die starken außenpolitischen Spannungen bringen uns in die Gefahr, daß wir bedenkliche Vorgänge unseres innenpolitischen Lebens nicht genügend beachten und übersehen, daß die Reaktion sich nicht allein politisch formiert, sondern sich überall festzusetzen versucht. So kommt es, daß nicht nur die Leute von gestern dank ihrer Fachkenntnisse wieder in leitende Stellungen gelangen und die Bürokratie auf allen Gebieten ein überstarkes Gewicht erhält, sondern wir sehen uns im ganzen einem Restaurierungsprozeß gegenüber, der alle aufrechten Demokraten mit Sorge erfüllen kann.
Diese echten Demokraten — so möchte ich sie nennen — müssen befürchten, daß z. B. durch die eigenartigen Entflechtungsvorschläge der Regierung eine bestimmte Schicht von Industriellen ihre Macht zurückkehren sieht. Sie müssen befürchten, daß bei einer Remilitarisierung nicht die militärischen Fachleute zu Einfluß und Macht kommen, die loyale Demokraten sind, sondern jene in der Maske des Fachmannes, die die Demokratie wieder unter die Macht bestimmter politischer Cliquen bringen wollen.
Und ein letzter, nicht weniger entscheidender Faktor der deutschen Lage ist die Tatsache, daß das deutsche Volk durch die beiden Weltkriege biologische Verluste erlitten hat, die diejenigen der westeuropäischen und amerikanischen Völker weit übersteigen. An den 34 Millionen Toten des letzten Weltkrieges trägt das deutsche Volk einen sehr erheblichen Anteil. Seine Kriegsverluste an Volkssubstanz sind aber noch wesentlich gesteigert worden durch die Ausweisung vieler Millionen Deutscher aus ihrer Heimat und durch die Hungerjahre bis 1948. Aber auch die materiellen Verluste Deutschlands sind unvergleichlich größer als die eines anderen Landes. An den Kosten des Krieges von 375 Miliarden Golddollar hat Deutschland nicht nur seinen erheblichen Anteil zu tragen gehabt; auch die mit dem verlorenen Kriege uns auferlegten Lasten und Verluste — ich brauche nur an die deutschen Patente zu erinnern, an die eben schon erwähnten hohen Besatzungskosten — müssen gesehen werden. Diese biologischen und auch materiellen Verluste erfordern in ihrer Gesamtheit eine entscheidende Berücksichtigung bei der Frage einer deutschen Beteiligung an der europäischen Verteidigung.Diese klare Situation und deren Erkenntnis macht es nun notwendig, daß wir unterscheiden zwischen Maßnahmen, die notwendig sind und zu unserem Schutz beitragen können, und solchen angeblichen Sicherheitsmaßnahmen, die tatsächlich nur Unsicherheit schaffen und die Gefahren erhöhen würden. Insbesondere verurteilen wir jene Methode, von deutscher Seite an die Alliierten mit Vorschlägen für die Wiederaufrüstung heranzutreten, und ich muß schon sagen, daß in dieser Beziehung unsere Bedenken auch nach den Ausführungen des Herrn Bundeskanzlers nicht beseitigt worden sind.
Es bleibt die Erklärung des amerikanischen Außenministers Acheson auf der Pressekonferenz in Washington, die Grundlage für die amerikanische Forderung, daß deutsche Truppen innerhalb einer künftigen europäischen und nordamerikanischen Armee aufgestellt werden sollen, sei die Einstellung einiger fortschrittlicher Politiker der Bundesrepublik, die die Ansicht zum Ausdruck gebracht hätten, daß die Deutschen an der Verteidigung des Westens teilnehmen sollten. Diese Bereitschaft der deutschen Politiker sei die Basis der amerikanischen Vorschläge während der New Yorker Konferenz der Außenminister gewesen. Auch der französische Hohe Kommissar François-Poncet hat erklärt, daß die Bundesregierung zu einer Einbeziehung deutscher Truppenkontingente in eine westeuropäische Armee im Prinzip schon ihre Zustimmung gegeben habe, daß sie aber noch Schwierigkeiten habe, dies der breiten Öffentlichkeit verständlich zu machen.
Und übrig bleibt ferner die Erklärung des zurückgetretenen Bundesinnenministers Dr. Heinemann, der Herr Bundeskanzler habe in seinem Memorandum vom 29. August den Alliierten zugesagt, deutsche Truppen für eine europäische Armee zur Verfügung zu stellen.
Bis heute hat es der Herr Bundeskanzler abgelehnt, dieses Memorandum der Öffentlichkeit bekanntzugeben. Wir sind der Auffassung, daß in einer so wichtigen Frage das deutsche Volk einRecht hat, zu fragen ob und was in diesem Memorandum zugesagt worden ist.
Die Zentrumsfraktion hat daher in diesem Hauseden Antrag gestellt, den Inhalt des Memorandumsvom 29. August dem Bundestag bekanntzugeben.Die autoritäre, eigenmächtige Außenpolitik des Herrn Bundeskanzlers, wie sie sich auch in dieser Frage wieder zeigt, erfüllt uns mit der allergrößten Besorgnis.
Wohl hat der Bundeskanzler erklärt, daß über die Frage einer Wiederaufrüstung nur der Bundestag entscheiden könne, sobald der Bundesregierung offizielle Fragen der Alliierten vorgelegt würden. Wir haben heute aus der Rede des Herrn Bundeskanzlers entnommen, daß durch eine Entschließung der Bundesregierung diese Bereitschaft schon erklärt worden ist, bevor diese offiziellen Fragen von seiten der Alliierten an uns gestellt worden sind.
Es scheint uns notwendig zu sein, daß der Herr Bundeskanzler gerade die Außenpolitik und die so entscheidende Frage der Aufrüstung und Sicherheit nicht von sich allein bestimmt, auch nicht allein bestimmt in seiner Regierung, sondern in engster Verbindung mit dem Bundestag sieht, insbesondere wenn er Vorschläge von so weittragender Bedeutung macht, wie sie in dem Memorandum vom 29. August enthalten sein sollen und wie wir sie heute auch wieder gehört haben. Täuschen wir uns nicht darüber — und ich glaube, das sollten auch die Regierungsparteien nicht tun —: diese Politik des Herrn Bundeskanzlers begegnet in weiten Schichten des deutschen Volkes Mißtrauen und Skepsis.
Auch noch so glanzvoll verlaufene und in scheinbarer Einmütigkeit dargestellte Parteitage sollten nicht darüber hinwegtäuschen.
Hier müssen der Bundestag und seine Abgeordneten für ihr Verfassungsrecht kämpfen, gleichgültig, in welcher Partei diese Abgeordneten stehen,
soll nicht der Demokratie in Deutschland der Todesstoß versetzt werden.
Der Herr Kollege Dr. Schumacher hat eben von der Bedeutung der Frage der Remilitarisierung oder Wiederaufrüstung für das deutsche Volk gesprochen. Das Grundgesetz sieht keinen Volksentscheid vor. Ich darf bei dieser Gelegenheit einmal darauf hinweisen, daß die Zentrumsfraktion im Parlamentarischen Rat die Aufnahme des Volksentscheids und des Volksbegehrens in das Grundgesetz beantragt hatte. Leider wurde der Zentrumsantrag im Hauptausschuß mit 18 gegen 3 Stimmen abgelehnt. Auch ein erneut gestellter Antrag verfiel der Ablehnung. Ich habe bei den Beratungen im Parlamentarischen Rat wiederholt darauf hingewiesen, daß es in einem demokratischen Staat ein selbstverständliches Recht sein müsse, daß der Staatsbürger in entscheidenden Fragen durch Volksabstimmung seine Meinung kundtun kann, und die Ablehnung dieses demokratischen Grundrechtes war einer der Gründe, wes-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 08. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. November 1950 3579
halb die Zentrumsfraktion dem Grundgesetz nicht zugestimmt hat. Es ist auch nicht uninteressant, darauf hinzuweisen, daß neben der CDU und FDP auch der Sprecher der SPD, der Herr Abgeordnete Dr. Katz, im Hauptausschuß des Parlamentarischen Rates die Ablehnung des Zentrumsantrages damit begründete, daß es unpraktisch sei, in den jetzigen aufgeregten Zeiten Zweifelsfragen zum Gegenstand großer Debatten durch das Volk zu machen. Er sagte wörtlich: „Wir haben eine repräsentative Demokratie und die Abgeordneten sind gewählt worden, um die Entscheidungen zu treffen und durchzukämpfen. Es herrscht keine volksfremde Gruppe, wie manche Herren das darstellen, sondern es herrschen die Vertreter des Volkes, die im Bundestag sind und dort eine ausschlaggebende Stimme haben.
Der Volksentscheid paßt nicht in das System, das wir in unseren Organisationsbestimmungen im Grundgesetz niedergelegt haben."Allerdings hat Herr Dr. Katz auch ausgeführt, daß, wenn wichtige Fragen strittig sein sollten, die Auflösung des Bundestages herbeigeführt werden sollte.
Aber zur Auflösung des Bundestages gehört zum mindesten die Mehrheit der Stimmen der Abgeordneten, und es ist, wie der Herr Bundeskanzler dargelegt hat, überhaupt zweifelhaft, ob sich der Bundestag vor Ablauf seiner vierjährigen Wahlperiode auflösen kann, es sei denn, daß er, wie der Herr Bundeskanzler ausgeführt hat, selbst den Wunsch hat, ein Vertrauensvotum zu stellen, das dann abgelehnt werden könnte. Denn unter dem konstruktiven Mißtrauensvotum des Grundgesetzes und der repräsentativen Stellung, die dem Bundeskanzler eingeräumt worden ist — und ich muß hinzufügen: mit Förderung und Unterstützung der SPD —, sind wir schon heute, nach einem Jahr, so weit, daß wir keine repräsentative Demokratie des Bundestages, sondern eine vom Bundeskanzler bestimmte autoritäre Staatsführung haben. Nur so ist es doch zu begreifen, daß ein Graf Schwerin ohne Befragen des Bundestages als militärischer Berater eingestellt und wieder entlasen wird, daß ein Sicherheitsamt eingerichtet und besetzt wird, daß man von vorsorglichen militärischen Planungen in der Presse hört, die von dem Bundeskanzler nahestehenden Dienststellen betrieben werden sollen.Diese ganze Geheimnistuerei bringt es mit sich, daß dann die Übertreibungen erfolgen, die das Angst- und Unsicherheitsgefühl im deutschen Volke noch steigern. So kommt es, daß beim deutschen Volk in den wichtigsten Fragen und Entscheidungen, die sein Schicksal betreffen, in bezug auf unsere Bundestagsabgeordneten und ihre Einflußmöglichkeiten der Eindruck vorhanden ist, wie es so beim Pferderennen heißt: „Ferner liefen". Das aber muß das Vertrauen des Volkes zur Regierung und zu seinen Abgeordneten erschüttern. Der einfache Staatsbürger sagt heute mit Recht, daß der Herr Bundeskanzler trotz Bestehens des Bundestages tut, was ihm beliebt. Das Interesse des Staatsbürgers am politischen Leben, das heute ohnehin schon dürftig genug ist, wird restlos erlahmen. Aus diesem Grunde müßten selbst diejenigen, die der Sache der Politik des Herrn Bundeskanzlers recht geben, seiner Methode ganz entschieden Widerspruch entgegensetzen.Meine Damen und Herren, ich möchte nun die Stellungnahme der Zentrumsfraktion zur deutschen Sicherheitsfrage darlegen. Wir lehnen eine Remilitarisierung Deutschlands eindeutig ab. Denn eine Remilitarisierung — das wollen wir wohl beachten — bedeutet nach Sinn und Gehalt dieses Wortes die Wiederherstellung von früheren militärischen Zuständen.
Mit der Vergangenheit des deutschen Militarismus muß ein für allemal Schluß gemacht werden. Was wir zunächst für die deutsche Sicherheit für notwendig halten, ist, zur Sicherung der inneren Ordnung gegen die Feinde der Demokratie, die für uns nicht nur links bei den Kommunisten, sondern ebensogut rechts stehen, eine handlungsfähige, gilt organisierte und zuverlässige Polizei zu schaffen. Was wir ablehnen — und das haben wir gestern bereits bei der Polizeidebatte betont —, sind halbmilitärische Verbände, die nur zu einer Belastung der inneren Sicherheit beitragen würden
und die Gefahr in sich bergen würden, sich zu einem unkontrollierbaren und unzuverlässigen Machtinstrument gegen die Demokratie zu entwickeln.
— Ich weiß nicht, Frau Kollegin Weber, ob das niemand im deutschen Volke will.
Ich will diese Frage jedenfalls einmal offen lassen.Wir halten es für notwendig, daß bei der Reorganisierung und Verstärkung der Polizei auch darauf zu achten ist, wer bei der Polizei jetzt eingestellt wird, und daß unzuverlässige Kommunisten, die unter dem Druck der Besatzungsmächte nach 1945 eingestellt worden sind, nicht durch rechtsradikale Elemente ersetzt werden, die wir für den Bestand der Demokratie auch für gefährlich halten.
— Sicherlich haben wir gestern darüber gesprochen; aber man kann diese Dinge nicht oft genug aussprechen, damit sie auch überall erkannt und gehört werden.
Meine Damen und Herren, wenn es weiterhin die Aufgabe der Bundesrepublik ist, für die Sicherung gegen inneren Umsturz selbst zu sorgen, so kann die Sicherung gegen Angriffe von außen nicht in unserer Hand liegen, nachdem die Siegermächte Deutschland im Jahre 1945 völlig entwaffnet und mit Besatzungstruppen belegt haben. Es liegt ja auch nicht im Sinne der Alliierten, Deutschland eine Wiederaufrüstung auf deutschem Boden zu gestatten. Schon aus dieser Tatsache halten wir das Sicherheitsversprechen der Außenminister der Westmächte vom 19. September 1950 für eine selbstverständliche Konsequenz ihrer Deutschland-und Europapolitik. Diese Sicherheitsgarantie liegt ebenso im europäischen, ja im Weltinteresse, wie sie im deutschen Interesse liegt; denn für die westliche Welt — darin stimmen wir, glaube ich, alle in diesem Hohen Hause überein — wird die Entscheidung auf deutschem Boden fallen. Daß die Sicherheitserklärung der Westmächte und auch die weitere
Erklärung, daß sie ihre Streitkräfte in Deutschland vermehren und verstärken werden, zur psychologischen Beruhigung in Deutschland beigetragen hat, wollen wir dankbar anerkennen. Es ist aber darüber hinaus zur weiteren Beruhigung des deutschen Volkes ganz eindeutig klarzustellen, daß der Schutz Deutschlands in den Schutz Europas eingegliedert werden muß. Wir wünschen keine militärischen Maßnahmen für Deutschland, auch nicht von seiten der Westmächte, die vom Osten als aggressiv betrachtet werden müßten. Damit würden wir nämlich den echten Verteidigungswillen des deutschen Volkes für den wirklichen Notfall zerstören und der östlichen Propaganda auf das deutsche Volk Tür und Tor öffnen. Wir wissen, daß es ein klares Naturrecht für jedes Volk ist, sich gegen Angriffe zu verteidigen, und es ist auch kaum zweifelhaft, daß das deutsche Volk sein Land und Leben gegen den Osten verteidigen wird, aber nur dann, wenn es zur Rettung seiner Freiheit notwendig ist, und nie um imperialistischer Ziele willen.Wir gehören nicht zu jenen Katastrophenpolitikern, die glauben, mit Bomben und Kanonen in den Gang der Ereignisse eingreifen zu sollen. Jeden Präventivkrieg lehnen wir ab. Unsere Überzeugung, daß Moskau sich durch seine Politik immer mehr verfängt, unsere Erkenntnis, daß sich an der inneren sowjetischen Front das Dynamit von Millionen und Abermillionen von Unzufriedenen und Unterdrückten weiter ansammelt, geben uns die Kraft, darauf zu hoffen, daß, auf die Dauer gesehen, auch jenseits des Eisernen Vorhangs eine vernünftige Entwicklung der menschlichen Gesellschaft unabwendbar sein wird.Nun hat der Herr Bundeskanzler in seinen heutigen Ausführungen den Krieg in Korea erwähnt und die gefährdete Situation für den Fall aufgezeigt, daß es in Europa zu ähnlichen Ereignissen kommt und daß Deutschland dann das erste Opfer sein wird. Er hat diese Auffassung - ich glaube, für uns alle - sehr deutlich und sehr eindringlich dargestellt. Wir haben gewiß das Sicherheitsversprechen der Alliierten vom 19. September 1950 und die weitere Erklärung der Westmächte, daß sie ihre Streitkräfte in Deutschland vermehren und verstärken werden. Nun lesen wir in diesen Tagen in der Auslandspresse von einer Umleitung der ursprünglich für Westdeutschland gedachten alliierten Sicherheitsdivisionen in den Fernen Osten zur Unterstützung der UNO-Truppen in Korea. Damit bekommen jene Stimmen ein verstärktes Gewicht, die eine Beteiligung Deutschlands an der Verteidigung Europas und seiner eigenen Verteidigung für sinnlos halten, weil es bei der Zerrissenheit Europas und bei der sehr unterschiedlichen Auffassung seiner Staatsmänner zur Frage der europäischen Einigung in den nächsten Jahren zu einer gemeinsamen Verteidigungsbereitschaft nicht kommen würde.Angesichts der historischen Schicksalsstunde, in der dieser Erdteil heute steht, fehlt in dieser Frage die große überzeugende Konzeption für den gemeinsamen Weg Europas. Es fehlt die große menschliche Geste gegenüber dem deutschen Volk, es als gleichberechtigten Partner in die Schicksalsgemeinschaft der freien Völker der Welt einzuordnen. Es wird zuviel gefeilscht und verhandelt und nicht g e handelt. In Frankreich haben wir doch das alte Mißtrauen gegenüber Deutschland wieder feststellen müssen in bezug auf den Fall, daß Deutschland an der Europa-Armee beteiligtwird. Wir müssen auch immer wieder feststellen, daß noch andere Stimmen hinzukommen, die im deutschen Volk sehr merkwürdigen Widerhall finden. Wenn z. B. ein Sprecher des amerikanischen Hohen Kommissars, ich möchte sagen, ohne jedes psychologische Verständnis, von einem deutschen Verteidigungsbeitrag spricht, als sei das für die Deutschen die verständlichste Sache der Welt, und wenn man für diesen Verteidigungsbeitrag ebenso Selbstverständlich etwa 8 bis 10 Milliarden DM von dem deutschen Volk fordert, das seinen Millionen Flüchtlingen und sonstigen Opfern des zweiten Weltkrieges bis jetzt nicht einmal einen gerechten Lastenausgleich hat geben können, dann mutet uns das seltsam an. Es mutet uns ebenso seltsam an, daß die Mittel zur Ausführung des von uns geschaffenen Kriegsopferversorgungsgesetzes erst wieder durch neue Steuern beschafft werden sollen. Wie die Verwendung der bereits von Deutschland aufgebrachten Besatzungskosten beurteilt wird, das zeigt ein dem Hohen Hause vorliegender CDU-Antrag, worin die Frage gestellt ist, ob die enorme Zahl deutscher Angestelltenkräfte für die Besatzungsarmee notwendig sei. Ich möchte betonen, daß wir bei der heutigen Besatzungsstärke eine Herabsetzung der Besatzungskosten für eine dringende Notwendigkeit halten; ich möchte aber ebenso hinzufügen, daß wir dabei auch die Sparsamkeit im eigenen Hause nicht vergessen dürfen.Im deutschen Volk ist das Gefühl vorhanden, daß die von ihm geforderten Opfer sinnlos sind und nicht dazu ausreichen, eine wirkliche Verteidigung zu ermöglichen. Diejenigen, die das aussprechen, sind keine Gandhi-Apostel und auch keine Defaitisten. Sie befürchten nämlich, daß unser Land und die an der Verteidigung beteiligten europäischen Länder nicht ausreichen, um Deutschland nicht zum, Kriegsschauplatz werden zu lassen. Wer auch immer die erste Schlacht gewinnt, der Stoß geht ins deutsche Land. Die Sorge und das Angstgefühl des deutschen Volkes ist, in einem kommenden Krieg das Schlachtfeld eines totalen Vernichtungswillens in einem Kampf zwischen Rußland und Amerika zu sein, wobei wir nicht einmal die Sicherheit haben, daß Europa genügend Divisionen zusammenbringt, um zu verhindern, daß Deutschland das Land der verbrannten Erde wird, so daß es trotz seiner Opfer an Menschenkraft und materiellen Gütern keine Zukunft mehr hat.Herr Kollege Dr. Schumacher hat soeben davon gesprochen, daß Garantien allein keine wirksame Hilfe seien und daß eine Verkoppelung des angelsächsischen Schicksals mit dem deutschen Schicksal unerläßlich sei. Wir zweifeln nicht daran, daß eine solche gegenseitige Schicksalsgarantie viel zur Beruhigung des deutschen Volkes beitragen und es auch veranlassen könnte, unter diesen Voraussetzungen seinen Beitrag zur europäischen Verteidigung zu leisten. Wir stellen aber die ganz nüchterne Frage: Werden die von den Atlantikpaktmächten aufzubringenden Kosten für eine ausreichende Verteidigungsarmee nicht über die Finanzkraft dieser Staaten gehen? Wenn wir bedenken, daß die 150 Millionen Bewohner der Vereinigten Staaten dieses Jahr zusätzlich 15 Milliarden Dollar, im kommenden Jahr bereits 35 Milliarden Dollar über die Beträge des vergangenen Jahres hinaus aufbringen wollen, dann müssen wir damit rechnen, daß das sehr viel stärker bedrohte Europa eigene Summen wird aufbringen müssen, die wohl kaum hinter diesem Beitrag zu-
rückbleiben dürften. Wo aber sollen diese Gelder herkommen? Frankreich sowohl wie England haben bereits erklärt, daß der höchstmögliche Grad ihrer steuerlichen Belastung erreicht sei.Meine Damen und Herren! Es ist eben auch schon erwähnt worden: es gibt eine Verteidigung gegen den Kommunismus durch innere und äußere Sicherheitsmaßnahmen. Die inneren Maßnahmen bestehen darin, eine Politik der sozialen Gerechtigkeit zu betreiben, das Absinken der Lebenshaltung und damit den sozialen Unfrieden und die sich daraus entwickelnden Gefährdungen des sozialen Aufbaues zu verhindern. Ein Volk ist um so stärker vom Kommunismus bedroht, je schlechter die soziale Lage seiner breiten Schichten ist. Das hat uns die Eroberung von China genügend gezeigt. Westdeutschland muß also eine Politik der sozialen Tat betreiben, sonst besteht die Gefahr der Anfälligkeit für den Kommunismus. Der Verteidigungswille für Freiheit und Leben gegen den Kommunismus kann sehr unterschiedlich sein, z. B. ob ich ein Bunkerloch und eine geringe Unterstützung oder einen gesicherten Besitz und ein entsprechendes Einkommen zu verteidigen habe.Aber auch die äußeren Verteidigungsmöglichkeiten müssen für ein Volk sinnvoll sein. Eine Beteiligung Deutschlands an einem europäischen Verteidigungssystem muß dem deutschen Volk diesen Sinn geben. Bei der heutigen Zerrissenheit Europas trotz Europarat und Atlantikpakt erscheint uns dieser Sinn nicht in dem Maße gegeben, das uns notwendig erscheint, um eine innere Bereitschaft des Volkes herbeizuführen.Deshalb, meine Damen und Herren, sind meine politischen Freunde und ich der Meinung, daß es nicht irreal ist, sondern der heutigen Situation Deutschlands und Europas entspricht, daß wir nicht nur zur Verteidigung Europas, sondern zu einer Verteidigung aller friedlichen Völker in der Welt im Rahmen der UNO kommen sollten. Präsident Truman hat in diesen Tagen erklärt:Der Kommunismus stellt eine fortgesetzte Bedrohung des Weltfriedens dar. Die freien Völker müssen seiner Stärke mit Stärke begegnen und eine gemeinsame Verteidigung gegen die kommunistische Aggression aufbauen. Der Sieg der UNO-Streitkräfte über die kommunistische Aggression in Korea ist ein Beweis dafür, daß sich die freien Völker nicht eins nach dem andern von dem kommunistischen Imperialismus verschlingen lassen wollen. Die Nationen und Völker, die an die Freiheit glauben, stehen einem erbitterten Feind gegenüber. Dieser Drohung kann man nur mit der zusammengefaßten Stärke der freien Welt begegnen.Wenn nach dieser Auffassung Trumans die kommunistische Gefahr, der wir auch in Europa undDeutschland gegenüberstehen, so groß ist, dannsollte es keine Bedenken geben, auch keine Bedenken juristischer Art oder mangelnder Souveränität für Deutschland, alle Menschen guten Willens zusammenzufassen und mit dieser zusammengeballten Kraft den Weltfrieden zu sichern. Wenner durch einen Angreifer in Europa zerstört wird,dann müßten die in der UNO zusammengefaßtenNationen, wie im Korea-Krieg, diesen Angreifervernichten. Wir sind der Überzeugung, daß einerso zusammengeballten Kraft gegenüber die Chanceeines Sieges in jedem Krieg von vornherein nichtgegeben ist und der Krieg allein aus dieser Überlegung heraus nicht begonnen wird. Von einersolchen sinnvollen Verteidigungsbereitschaft wirdauch das deutsche Volk sich nicht ausschließen, weil es dann das Gefühl haben kann, mit seinem Beitrag zur Sicherung des Weltfriedens und zur Verhinderung eines Krieges herangezogen zu werden. Auch Frankreich würde einer solchen Regelung zustimmen können und seine Regierung dafür auch das Verständnis des französischen Volkes finden, da jede Möglichkeit, daß eine Wiederaufrüstung Deutschlands eine Gefahr für Frankreich bedeuten könnte, damit beseitigt ist.In diesem Zusammenhang noch ein kurzes Wort zur Frage der Kriegsdienstverweigerung. Art. 4 des Grundgesetzes bestimmt in Abs. 3:Niemand darf gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden. Das Nähere regelt ein Bundesgesetz.Die Zentrumsfraktion hat bereits am 6. Dezember 1949 in dem Antrag Drucksache Nr. 276 den Bundestag aufgefordert, die Bundesregierung zu ersuchen, unverzüglich dem Bundestag ein Gesetz zur Regelung des Rechts auf Kriegsdienstverweigerung vorzulegen. Dieser Zentrumsantrag ist dem Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht überwiesen worden, aber bis heute, elf Monate nach seiner Einbringung, nicht erledigt worden. Die Zentrumsfraktion richtet heute erneut an die Bundesregierung die Aufforderung, das im Grundgesetz vorgesehene Recht auf Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen durch ein Gesetz zu realisieren und zu schützen. Das Recht auf Kriegsdienstverweigerung ist nicht ein politisches, es ist ein Recht des Gewissens.
Deshalb hat auch die Synode der Evangelischen Kirche auf ihrer Berliner Tagung das Recht und den Schutz der Kriegsdienstverweigerung verlangt. So heißt es z. B. in dieser Erklärung:Wir begrüßen es dankbar, daß die Regierung durch ihre Verfassung denjenigen schützt, der um seines Gewissens willen den Kriegsdienst verweigert. Wir bitten alle Regierungen der Welt, diesen Schutz zu gewähren. Wer um des Gewissens willen den Kriegsdienst verweigert, soll der Fürsprache und Fürbitte der Kirche gewiß sein.Gerade in seiner heutigen Verfassung und nach den Erlebnissen, die besonders das deutsche Volk im zweiten Weltkrieg mit seinen furchtbaren Folgen nicht nur für Deutschland, sondern für die ganze Welt hinter sich hat, muß es das Gefühl haben, nicht wie unter einem Hitler zu einem imperialistischen Krieg gezwungen werden zu können.
Dann gilt nämlich das Bibelwort: Man muß Gott und seinem Gewissen mehr gehorchen denn den Menschen!Damit komme ich zum Schluß. Meine Damen und Herren! Wenn die Zentrumsfraktion auch nicht in der Regierung vertreten ist, so ist es doch ihr innigster Wunsch, daß diese Lebensfrage des deutschen Volkes ein gemeinsames Anliegen der Regierung wie der Oppositionsparteien sein möchte. Die Führung der deutschen Außenpolitik, wie sie aber heute erfolgt, zerschlägt hierfür die Möglichkeiten, und so wertvoll die Informationsgespräche sind, die der Herr Bundeskanzler mit den einzelnen Fraktionen, auch denen der Opposition, führt, sie nützen nichts, wie Sie es heute
wieder erlebt haben, wenn die Fraktionen dann vor fertige Tatsachen gestellt werden.
Heute kommt es doch darauf an, auch in diesem Hohen Hause einen gemeinsamen Willen in den Fragen der deutschen Außenpolitik zu dokumentieren. Daß dies so wenig möglich ist, scheint mir und meinen politischen Freunden weniger die Schuld der Oppositionsparteien zu sein als die einer Regierungsführung, die zuviel vom Geiste eines Hegel hat. Aber wir hoffen, daß nicht auch jenes Wort Hegels auf sie zutrifft, die Geschichte beweise, daß die Völker aus der Geschichte nichts lernen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Seelos.Dr. Seelos ,: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit brennendem Herzen hat das deutsche Volk dieser Debatte entgegengesehen. Was ist nun geschehen? Der Bundeskanzler ist mit leeren Händen vor dieses Haus getreten. Die Alliierten haben ihn mit leeren Händen hierher gehen lassen.
Nun frage ich: Hat er deshalb gewartet, well er hoffte, aus den Ergebnissen der Konferenzen dem Hause noch etwas mitteilen zu können? - Nichts hat er gebracht! Da scheint es mir verwunderlich, daß noch kein Sprecher auf das unverständliche Faktum hingewiesen hat, daß diese außenpolitische Debatte erst 41/2 Monate nach dem Kriegsbeginn in Korea, 3 Monate nach Straßburg, 2 Monate nach New York stattfindet. Als ob wir nicht in einer Zeitenwende leben würden, als ob es nicht darum ginge, jahrhundertealte Tatbestände neu zu regeln, Deutschland, Europa und die Welt neu zu formen! Es geht doch um die Beseitigung der starren nationalstaatlichen Ideen, um die Einschränkung der Souveränitätsidee zugunsten einer europäischen Gemeinschaft. Es geht um das Ende der jahrhundertelangen deutsch-französischen Auseinandersetzung, das jetzt möglich erscheint. Es geht schließlich um die Einordnung Deutschlands zwischen den zwei Weltmächtegruppen, um die Auffüllung des machtpolitischen Vakuums, das im Interesse der Befriedung der Welt eingeebnet werden muß.All die anderen noch so wichtigen Dinge, die der Herr Bundeskanzler am Anfang genannt hat, der Beitrag gemäß dem New Yorker Abkommen, Pleven-Plan, der Prager Sowjet-Vorschlag, Besatzungsstatut, Beendigung des Kriegszustandes, alle diese Dinge sind doch nur abhängige Auswirkungen dieser geschichtlichen Entwicklung. Wenn man diese welthistorischen Vorgänge erkennt, dann muß es doch die Volksvertreter schon längst dazu gedrängt haben, gegenüber der deutschen und der Weltöffentlichkeit die Stimme zu erheben. um eine Lösung der damit zusammenhängenden Probleme zu erzwingen und dem deutschen Volk eine Haltung zu zeigen, die Hoffnung und Vertrauen gibt. Dem Bundestag diesen Willen zu einem positiven Beitrag in dieser geschichtlichen Stunde anzuzweifeln oder abzustreiten, heißt, seine Existenzberechtigung verneinen.Die beklemmenden Zweifel, die Allain Clement in einem Aufsatz „Aufstieg oder Niedergang Deutschlands" über das deutsche parlamentarische Leben geäußert hat, bekommen durch das der-zeitige Beiseiteschiebenlassen des Bundestages ernste Begründung. Gerade die Opposition hat doch dem Bundeskanzler immer vorgeworfen, daß er den Bundestag ausschalte und seine einsamen Beschlüsse allein treffe. Jetzt aber macht die Opposition fast das gleiche, indem sie die so dringend erforderliche außenpolitische Aussprache seit 2'12 Monaten vermeidet.Alles, was in Deutschland Stimme hat, hat bisher gesprochen: der Bundeskanzler in zahlreichen Interviews und Regierungskundgebungen, die Bundesminister in den verschiedenen Sonntagsreden, die meisten führenden Politiker in Partei- und Wahlversammlungen, in Radioreden und Pressekonferenzen und schließlich vor allem die offiziellen Parteiredner der SPD in Stuttgart und der CDU in Goslar. Was bleibt eigentlich noch für den Bundestag, nachdem seine Stellungnahme von den größten Parteien und von der Regierung so eindeutig festgelegt ist? Haben Sie aus der heutigen Debatte bisher etwas wesentlich Neues gefunden und gehört?Die Vollversammlungen des Bundestages haben bisher schon unter dem Faktum gelitten. daß die Entscheidungen in den Bundestagsfraktionen — immerhin in den Gremien, die die Abgeordneten der einzelnen Parteien zusammenfaßten - getroffen wurden. Durch dieses neuerliche Vorgehen aber werden nun diese außenpolitischen Stellungnahmen und Entscheidungen des Parlaments noch weiter vom Parlament weg in die Parteigremien verlegt. Es bedeutet eine Mißachtung und Ausschaltung des Parlaments, wenn man es nur zu einer Funktion des Parteiapparats macht. Man nimmt dem Volk den letzten Glauben in seine eigene Vertretung, dem Volke, das in den entscheidenden Stunden der Nation in der Meinungsbildung eine Führung seitens des Bundestages sofort erwarten darf. Es ist notwendig, auf diese gefährliche Entwicklung unserer demokratischen Einrichtungen hinzuweisen.Wenn man den Fähigkeiten des Bundestages so mißtraut und von vornherein eine Schädigung der deutschen Interessen erwartet, so möchte ich einmal umgekehrt sagen: sehr viel wahrscheinlicher dünkt es mir, daß die New Yorker Beschlüsse nicht so dürftig ausgefallen wären, wenn den alliierten Außenministern vorher eine klare, deutliche Meinung des Bundestages vorgelegen hätte. Dann wäre in New York vielleicht mehr Verständnis für die psychologischen Erfordernisse der Zeit vorhanden gewesen, und man hätte sich abgewöhnt, einseitig verbitternde Halbheiten über Deutschland zu beschließen. Es scheint mir auch nicht ganz verständlich - für meinen Geschmack —, daß die Redner bis jetzt viel zu viel von dem Wehr- und Rüstungsproblem gesprochen und geradezu strategische Vorlesungen darüber gehalten haben, als ob dies das Kernproblem wäre und nicht bloß eine Abhängigkeit von weltpolitischen Entwicklungen. Man sollte nicht immer Eintagsfragen, die es schließlich sind, wie den Beitritt zum Europarat, den Schuman. Plan, den Pleven-Plan, die Rüstungsbeteiligung als das einmalige Zentralproblem in ihrer Bedeutung jeweils übertreiben. Es handelt sich um Entscheidungen, die aus einer Gesamteinstellung zur Weltsituation gefaßt werden müssen.Wir wollen deshalb unsere Blicke weiterschweifen lassen, um aus der jetzigen Weltsituation, aus dem Kampf zwischen West und Ost, aus dem Ringen um eine neue nationale Existenz und um eine neue Lebensbasis des deutschen Volkes — und besonders der Jugend - Ideale zu vermitteln. die
es allein fähig machen, die richtige Haltung in dieser weltgeschichtlichen Auseinandersetzung einzunehmen. Man kann das deutsche Volk nicht zu einer wahrhaft großen Leistung zwingen, wenn man es nicht von der materialistischen Einstellung abbringt, von diesem unseren halben deutschen Staat, der er doch zur Zeit an Territorium. an Souveränität und an Macht ist, alles zu erwarten, ihm aber nichts oder wenig zu opfern.Da es unsere geographische Zwischenlage einfach nicht gestattet, abseits zu stehen, sollte man die jetzigen weltbewegenden Entwicklungen zu einer Sammlung des deutschen Volkes benützen. Wenn es in Berlin gelungen ist, aus der schwierigen politischen Lage die Bevölkerung an Ideale glauben zu lassen und wegen dieser Ideale eine ungeheure Opferbereitschaft aufkommen zu lassen, so müßte es doch auch im größeren deutschen Rahmen möglich sein, das Volk mitzureißen und dafür viel mehr von ihm an geistigen, sittlichen und nationalen Werten zurückzuerhalten. Nur bei einem solchen Vorgehen und bei einer solchen Führung der Regierung wird es möglich sein, die kritischen Stimmen von Ausländern zum Schweigen zu bringen, die in den Deutschen nur einen führungslosen, materialistischen, zwar regsamen Haufen. sehen, aber nicht mehr eine staatsbewußte und staatserhaltende Kraft spüren. Das zum Grundsätzlichen.Und nun einige Bemerkungen zu der New-Yorker Konferenz. Immer wieder pflegt man von einer bevorstehenden internationalen Konferenz als von der zu sprechen, die nun endlich die Entscheidung über Deutschland bringen werde. Immer wieder werden in geradezu zermürbendem Rhythmus glühende Erwartungen erweckt und ent- täuscht; denn immer wieder stellt sich eine solche Konferenz als eine von 20 oder 30 Konferenzen nach Kriegsende heraus, die nur einen Schritt, meistens nur einen ganz kleinen Schritt zu einer Normalisierung der deutschen Frage vorwärts-führen. In der Nachkriegszeit, nach dem Mai 1945 bis heute, können wir eigentlich nur einen bedeutenden Einschnitt feststellen, das ist die Londoner Konferenz vom Juni 1948, deren Beschlüsse die Bildung einer westdeutschen Regierung und die Einführung einer alliierten Zivilverwaltung nach Vollendung der Verfassung bewilligten. Damit war drei Jahre nach Kriegsende ein erheblicher Schritt getan, weg von der Morgenthau-Plan-Politik, weg von der politischen und wirtschaftlichen Zerreißung Deutschlands in Zonen, weg von rein militärischen Befehlen. Dieser Schritt war der alliierten Erkenntnis über die sowjetische Politik zu verdanken, die in dem Kampf um Berlin ihre große Realisierung erfahren hat. Die dann folgen den Washingtoner Beschlüsse vom April 1949, das Petersberg-Abkommen vom Herbst 1949, die Londoner Beschlüsse vom Mai 1950 und das New-Yorker Abkommen vom September 1950 sind praktisch nur eine Fortführung der Londoner Beschlüsse vom Juni 1948.Während also von dem staatlichen Nullpunkt, auf den Hitler einerseits und die bedingungslose Kapitulation andererseits Deutschland bei Kriegsende gebracht haben, bis zum Juni 1948 eine beachtliche Entwicklung zu einer Normalisierung vor sich ging, während also die Alliierten in den ersten drei Nachkriegsjahren die erforderlichen Konsequenzen gezogen haben, ist in den folgenden zweieinhalb Jahren bis jetzt fast keine grundsätzliche Weiterentwicklung darüber hinaus erfolgt. Es ist eine erschütternde Feststellung, daß die Alliiertenvom vierten bis sechsten Jahr nach dein Kriege, in denen man die Weltentwicklung nicht mehr allein auf Hitlers Schuldkonto buchen kann, sondern sich bereits die alliierten politischen Fehlentscheidungen als wesentliche Ursache abzeichnen, nicht mehr den Mut aufbrachten, zu einer völligen Normalisierung der Beziehungen mit Deutschland zu kommen, ganz abgesehen von der sittlichen Verpflichtung, 'den Völkern, die guten Willens sind, den Frieden zu geben.Daß man in New York 1950 im Gegensatz zu London 1948 nicht die logischen Folgerungen aus der russischen Korea-Politik gezogen hat, sondern zu geradezu nichtssagenden Beschlüssen gekommen ist, ist für das deutsche Volk tief enttäuschend. Daß man in New York immer noch am Besatzungsstatut als ultima ratio festgehalten hat, ist ebenso bequem wie unverantwortlich. Man hält noch an der These der Londoner Beschlüsse vom Mai 1950 fest, über die im offiziellen Londoner Kommuniqué folgendes steht, was ich in Ergänzung der Ausführungen von Herrn Schumacher über das Kommuniqué von New York bringen möchte:Deutschland kann seine Souveränität bis zu dem Grad wiedererhalten, der mit der Grundlage des Besatzungsstatuts vereinbar ist. Dieses Besatzungsstatut wurde den Deutschen und den Alliierten infolge der Teilung Deutschlands und der internationalen Länder aufgezwungen. Es kann in gemeinsamem Interesse Deutschlands und Europas erst dann außer Kraft gesetzt werden, wenn dieser Zustand geändert wird.Nebenbei bemerkt: man müßte es sich auf alliierter Seite endlich abgewöhnen, zu beurteilen, was das deutsche Interesse ist. Die Ausführungen erscheinen aber deshalb besonders ungerecht, wenn man zwei Absätze weiter den — ich möchte fast sagen — salbungsvollen Satz liest, daß die „Wiederherstellung der Souveränität ihres Landes nur von den Bemühungen des deutschen Volkes und denen seiner Regierung abhängt." Da ein Ende der Trennung Deutschlands in zwei Teile nicht abzusehen ist, wäre also auch das Ende des Besatzungsstatutes nicht begrenzt. Ein Besatzungsstatut verträgt sich aber nicht mit der Souveränität eines Landes. Nicht für eine Besatzung, sondern für die Garnisonen der europäischen Armee verzichten wir in gleicher Weise wie alle anderen Staaten auf Teile unserer Souveränität. Sofern noch kurze Zeit daneben eine Besatzung unterhalten werden muß, sollen vertragliche Abmachungen die Beziehungen zu ihr regeln. Wir betonen aber, daß eine Besatzung Mißtrauen bedeutet und mit einer Beteiligung Deutschlands an einer europäischen Armee und mit einer gemeinsamen Verteidigung grundsätzlich unvereinbar ist. Das Besatzungsstatut ist obsolet. Es muß in Bälde zu unerträglichen Spannungen mit dem deutschen Volk führen, wenn es nicht endlich — im sechsten Jahre nach dem Krieg — abgeschafft wird. Denn bald ist der Zeitpunkt gekommen, an dem es für eine deutsche Regierung unerträglich sein wird, unter einem einseitigen Besatzungsdiktat — und das ist jedes Besatzungsstatut — zu wirken. Die Forderungen der Alliierten auf Einreihung Westdeutschlands in die westliche Mächtegruppe einerseits und das Niederhalten Deutschlands in einer völkerrechtlich unselbständigen Art anderseits ist unlogisch, ja geradezu gefährlich. Die Verantwortung für eine falsche Entwicklung — die von jetzt an einsetzen würde — fällt auf die Alliierten. Man muß dies aber vorher
deutlich aussprechen. Hierin könnte meiner Ansicht nach von der Bundesregierung und auch von der Opposition mehr geschehen.Was haben denn die Alliierten in den ersten zwei Monaten nach dem Kriegsausbruch in Korea in Westdeutschland getan? Einige zwanzig sogenannte Kriegsverbrecher wurden aus Landsberg entlassen und einige Benzinherstellungsverbote aufgehoben. Deshalb hat damals, am 24. August, die Bayernpartei den Antrag gestellt, die Bundesregierung möge endlich die Anpassung der besatzungsrechtlichen Lage an die politische Entwicklung der Welt durch Verhandlungen mit den alliierten Regierungen — nicht mit den Hohen Kommissaren — verlangen.Gegenüber den unbedeutenden positiven Zugeständnissen von New York haben die Alliierten gerade in den letzten Monaten entscheidende negative Eingriffe in die deutsche Wirtschaft und in die innere deutsche Verwaltung durch verschiedene alliierte Verordnungen vorgenommen, im sechsten Jahre nach Kriegsende, angesichts der bevorstehenden Neuregelung der besatzungsrechtlichen Verhältnisse, angesichts der Ereignisse in Korea. Ich verweise auf die IG-Farben-Dekartellisierung, die in den nächsten Wochen den Bundestag beschäftigen wird. Durch die Jagdverordnung in der US-Zone vom 26. August 1950 wird, zur größten Erregung der deutschen Jägerschaft, den amerikanischen Jägern die Jagdausübung in der US-Zone ohne Rücksicht auf Eigentum, auf Pacht und sonstige Abmachungen über Grund und Boden gegeben. Zur Regelung der Besatzungsschäden wurden durch eine alliierte Anweisung am 29. Juni einseitig Bestimmungen erlassen. Derartiges könnten wir aus den letzten Monaten hier noch und noch aufführen.Was sind das alles für psychologische Vorbereitungen auf die gleichberechtigte Einordnung Deutschlands in den Westen, wenn man nicht aufhören kann, genau wie 1945 einseitig Besatzungsverordnungen zu diktieren, ganz abgesehen von der materiellen Zweckmäßigkeit oder Nicht-Zweckmäßigkeit solcher Besatzungsverordnungen. Aus dieser unbegreiflich kurzsichtigen Einstellung der Besatzungsmächte gibt es nur eine Schlußfolgerung, die auch schon von den Vorrednern erwähnt worden ist: Besatzungsstatut und gleichberechtigte Einordnung Deutschlands in den Westen sind unvereinbar. Besatzungsstatut ist Diktat, ist Unfreiheit. Ein unfreies Volk kann nicht seine Freiheit verteidigen.Halb sind fast alle weiteren Beschlüsse in New York. Deutschland soll eine Revision des Besatzungsstatuts haben, aber keine Beseitigung. Deutschland soll ein Außenministerium und diplomatische Missionen erhalten, aber keine Botschaften in Washington, London und Paris. Einige Beschränkungen im Schiffsbau sollen aufgehoben werden, aber nicht alle. Weitere Beschränkungen für die Industrie sollen fallen, aber nicht alle. Die Stahlquote soll erhöht werden, aber nur unter gewissen Bedingungen und Voraussetzungen. Die Demontagen sollen beseitigt werden, aber nicht ganz.Das sind die Gründe, warum wir von dem New Yorker Ergebnis so tief enttäuscht sind. Wir verstehen die Ansicht Dr. Adenauers nicht, der die New Yorker Konferenz als bedeutenden Fortschritt charakterisiert hat. Denn was man dort Deutschland zugestanden hat, war ja auch ohne die Ereignisse in Korea längst in früheren Konferenzenin Aussicht genommen, so zum Beispiel in der letzten Londoner Konferenz im Mai 1950 die Genehmigung eines Außenministeriums. Die anderen Zugeständnisse dienen ja nur der Aufrüstung der Alliierten. Man braucht mehr Schiffe für vermehrte Transporte von Waren Lind Truppen, man braucht mehr Stahl, als man selbst herstellen kann. Es ist aber vorgesehen, daß selbst der Stahl für Exporte in Deutschland in beliebiger Höhe nur hergestellt werden kann, sofern er für die Verteidigung der westlichen Länder gebraucht wird und sofern die Zustimmung der Hohen Kommissare und des militärischen Sicherheitsamtes vorliegt. Die New Yorker Beschlüsse wären 2 Jahre früher ein Fortschritt gewesen, nicht aber jetzt. New York muß ein für alle Mal die letzte Konferenz bleiben, auf der die alliierten Außenminister über Deutschlands Schicksal ohne deutsche Beteiligung entscheiden. Denken wir doch an die Straßburger Mahnung von Churchill:Viele Maßnahmen werden jetzt vorgeschlagen, die, wenn sie vor 2 Jahren getroffen worden wären, mindestens einige Früchte getragen haben würden. Was heute vorgeschlagen wird und vor 2 Jahren hätte getan werden können, könnte heute zur Hälfte unseren Notwendigkeiten Rechnung getragen haben.Trotzdem müssen wir unsererseits eine gewisse Vorsicht walten lassen. Ich stimme Herrn Schumacher dahingehend zu, daß Vorsicht besser ist als Schnelligkeit — auf bayerisch würde man sagen: Langsam, weil's pressiert.Wir halten uns zu einer Kritik der New Yorker Konferenz für berechtigt, weil wir unseren Kinderglauben von 1945 an die große Einsicht und Weisheit der alliierten Entscheidungen gründlich verloren haben, 0
nachdem sich schon nach der geschichtlich so kurzen Zeit von 5 Jahren die welthistorischen, einzigartigen Fehler der Sieger von 1945 so eklatant abzeichnen; denn außenpolitisch bedeuten Jalta und Potsdam, die Zurückdrängung Westeuropas bis an die Elbe, die Vernichtung einer achthundertjährigen deutschen Kolonisation und die Vorschiebung des Slawentums bis zur Oder das Schaffen eines machtpolitischen Vakuums zwischen den beiden Weltmächtegruppen. Diese politischen Fehlentscheidungen wurden militärisch verstärkt durch die bedingungslose Kapitulation Deutschlands und die völlige Demilitarisierung Deutschlands und Japans.Innenpolitisch wurden die Fehler einer falschen Entnazifizierung, wie sie auf Anordnung der Alliierten erfolgen mußte, gemacht; und sie werden noch lange Zeit psychologisch nachwirken. Die Politik der Demontagen, die bis gestern niederreißen ließ, was wir heute wieder aufbauen müssen, um dem deutschen Volk die Grundlage einer wirtschaftlichen Existenz zu geben, hat nicht zu einer Hochachtung alliierter Beschlüsse beigetragen.Alle diese Fehler von welthistorischen Ausmaßen machen uns Mut, endlich wieder eine eigene Überzeugung zu haben und zu äußern. Es hat nach dem ersten Weltkrieg nichts genützt, daß Lloyd George bald zu einer Erkenntnis seiner Fehler von Versailles gekommen ist und nachher sein heftigster Gegner war. Es nützt uns wenig, wenn heute Churchill eine Revision der Entwicklung vertritt, die er in Jalta und in der Vorbereitung zu Potsdam selbst eingeleitet hat und für die er verantwortlich ist.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 08. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. November 1950 3585
Wir wollen deshalb den Alliierten ganz offen die Voraussetzungen für einen Wehrbeitrag Deutschlands zu der Verteidigung Europas nennen, soweit dies nach den Ausführungen der Regierungs- und Oppositionsredner noch erforderlich ist. Denn so sehr wir die Remilitarisierung Deutschlands eindeutig ablehnen, so sehr sind wir unter gewissen Bedingungen und Voraussetzungen bereit, einen Wehrbeitrag zur Verteidigung unserer Freiheit zu leisten, aber es dürfen hierzu nicht bloß militärische Voraussetzungen genannt werden, wie das der Bundeskanzler tat, sondern wir müssen weit darüber hinaus die ganze psychologische Situation klären, die die Voraussetzung für einen solchen Wehrbeitrag Deutschlands ist.Herr Schumacher hat in seinen verschiedenen Kundmachungen zunächst die Notwendigkeit einer völligen Sicherung Deutschlands durch eine offensive Defensive auf Grund einer entsprechenden Verstärkung der alliierten Streitkräfte und der festen Verbindung des deutschen Schicksals mit dem des Westens verlangt. Er fordert damit die Ausschaltung eines militarischen Risikos, wie sie meiner Ansicht nach gar nicht möglich ist. Viel entscheidender scheint es, die psychologischen Voraussetzungen zu schaffen, die überhaupt wieder einen Wehrwillen im deutschen Volke, der heute einfach nicht vorhanden ist, erzeugen würden. Es nützt den Alliierten nichts, wenn die Bundesregierung die Teilnahme Deutschlands abmachen würde, selbst wenn der Bundestag seine Zustimmung geben würde, wenn nicht das Volk weiß, für was es zu kämpfen hat. Um wieder ein Ziel zu haben, sind vorher eben politische, militärische, wirtschaftliche, finanzielle und soziale Voraussetzungen zu erfüllen.Eine politische Voraussetzung ist die Friedensregelung, aber nicht era in 4 Monaten, sondern sofort; die Ersetzung des Besatzungsstatuts durch einen Vertrag, der die Besatzungsfragen regelt, also die politische Gleichberechtigung vor Übernahme militärischer Leistungen um der militärischen Leistung Westdeutschlands willen. Hierher gehört die Erfüllung weiterer Voraussetzungen, die man fast mit einer gewissen Beschämung über die Menschheit noch im sechsten Jahr nach Kriegsende erwähnen muß. Es dürfen keine Prozesse mehr gegen Generale stattfinden, die erbitterte Feinde Hitlers waren. Es dürfen nicht länger Industrielle in Sippenhaft sitzen, weil sie Rüstungsbetriebe hatten. Es dürfen keine Auslieferungen von Deutschen gegen die Verfassung unter mangelnden strafprozessualen Voraussetzungen erzwungen werden. Die Ehre des deutschen Soldaten muß wiederhergestellt werden. Ferner muß ein gleichberechtigtes Deutschland zu allen internationalen Organisationen zugelassen werden. Deutschland darf nicht bloß Beobachter, sondern muß gleichberechtigt sein im Europarat, im Atlantikpaktrat und in der UNO.Eine finanzielle Voraussetzung ist es, daß für Deutschland durch den Wehrbeitrag zur Verteidigung Europas keine höheren Ausgaben und keine stärkere Belastung entstehen dürfen als bei den anderen Ländern. Die Besatzungskosten müssen auf Grund eines Besatzungsvertrages erheblich reduziert werden. Die Kasten der Europaarmee werden naturgemäß gemeinsam von den beteiligten Mächten getragen werden müssen, auch für die neuen Truppen, die nach Deutschland kommen, und für das deutsche Kontingent. Ob man einen bestimmten Anteil des Volkseinkommens oder desSteueraufkommens als Grundlage für die Schlüsselung nimmt, bleibt der Entscheidung eines besonderen Gremiums vorbehalten.Ich will hier nicht auf Details eingehen. Es ist bereits von den Vorrednern darauf hingewiesen worden, daß zu den Besatzungskosten von 4,6 Milliarden die sozialen Kriegsfolgelasten von 3,1 Milliarden und die Berliner Kosten von ca. 1 Milliarde hinzugerechnet werden müssen. Das ergibt 8,5 Milliarden. Bei einem Etat von 13 Milliarden sind das 60 °/o an Belastung, wohl die höchste Belastung aus Kriegsfolgen, die irgendein Land des Westens tragen muß.Es ist für ein armes Volk psychologisch verheerend, wenn man von englischer und amerikanischer Seite erklärt, daß Deutschland nun einen höheren Rüstungsbeitrag von zusätzlich 4 Milliarden zahlen muß. Woher man sie nimmt, danach fragt man nicht. Schließlich kann ein Wehrwille des deutschen Volkes nur dann vorhanden sein, wenn es in unserer leider so materialistischen Zeit für etwas zu kämpfen hat. Wenn aber ein Volk wie wir aus 5 Millionen Kriegsopfern, 8 Millionen Heimatvertriebenen und Millionen von Habenichtsen besteht, dann kann man nicht erwarten, daß dieses Volk für die materiellen Güter des Westens antritt. Es ist unmöglich, das tiefe Lebensniveau des größten Teils des deutschen Volkes mit neuen Steuern noch weiter zu senken, ein Niveau, das weit unter dem der Vereinigten Staaten, Englands und Frankreichs liegt; man würde es sonst radikalisieren und bolschewisieren. Ich möchte aber, um Mißverständnissen vorzubeugen, ausdrücklich betonen: Ich denke nicht daran, daß das deutsche Volk auch nur einen Pfennig weniger zahlen soll als die anderen Völker; man soll aber nicht von vornherein ohne eine Gesamtverschlüsselung dieser Kosten dem deutschen Volke sagen: Aufrüstung oder Beteiligung an der Verteidigung bedeutet 4 Milliarden mehr Steuern.Schließlich brauche ich nur zu streifen, was bereits alle Vorredner gesagt haben, daß die militärische Gleichberechtigung in einer europäischen Armee eine Selbstverständlichkeit sein muß. Eine Nichtbeteiligung von Deutschen in einer europäischen Armeeführung würde ohne weiteres Mißtrauen über die Verwendung deutscher Divisionen aufkommen lassen, die vielleicht den Eindruck bekommen könnten, im gegebenen Fall als Kanonenfutter benützt zu werden.Die Franzosen sollten von der Idee abkommen, Deutschland an dieser Abwehr Europas nur in der Form einer Superfremdenlegion und in Stärke von Kompanien oder Bataillonen zu beteiligen. Ein englischer Unterstaatssekretär sollte es sich abgewöhnen, Deutschland mit der Zumutung zu verletzen, es könnte am besten dadurch einen Beitrag zur Abwehr Europas leisten, daß es der weiteren Bombardierung von Helgoland zustimme. Angesichts der deutschen Wohnungsnot und der fast unlösbaren Aufgabe, die neuen Kontingente der Europa-Armee in Westdeutschland unterzubringen, wirkt es geradezu provozierend, wenn ein englischer Sprecher erklärt, die Engländer würden auch ihre Frauen mitbringen. Wir brauchen gegenüber Rußland kampftüchtige, einsatzbereite Divisionen und nicht Divisionen mit Frauen und pro Besatzungsperson vier Mann Troß, wie es bisher der Fall ist.Die Vereinigten Staaten zahlen Frankreich dafür, daß es seine Zustimmung zu einem Wehrbeitrag Deutschlands gibt, einige hundert Millionen Dollar;
andererseits aber sollten sie nicht auf der New Yorker Konferenz für eine von uns gar nicht gewollte Aufrüstung als Voraussetzung verlangen, daß wir die ganzen Vorkriegsverpflichtungen und Auslandsschulden in Höhe von 3 Milliarden Mark allein für staatliche Schulden anerkennen. Wir wollen von uns aus die finanziellen Vorkriegsverpflichtungen anerkennen und ihnen nachkommen, schon um unseres künftigen Kredites willen. Aber diese Verquickung mit den politisch nichtssagenden New Yorker Beschlüssen ist falsch und könnte fast zu einer Ablehnung reizen.Der historische Wunsch Frankreichs nach einer Sicherung erscheint uns angesichts der weltpolitischen Lage als veraltet. Frankreich hat durch überängstliche Sicherheitsforderungen in der Zeit nach dem ersten Weltkrieg allzu viel verpaßt und nur das Gegenteil erreicht. Die beste Sicherung besteht heute in der Fortführung des Schuman-Plans, der in der Verzahnung der deutsch-französischen Wirtschaft einseitige Experimente eines Landes sowieso ausschließt. Es wäre auch falsch, von deutscher Seite mit dem Gedanken zu spielen, angesichts der Weltrüstungskonjunktur und der Ausweitung der deutschen Stahlproduktion nicht mehr auf eine solche Vereinbarung angewiesen zu sein. Der damalige Schritt Frankreichs war so kühn und politisch für die Überwindung des deutsch-französischen Gegensatzes von solcher Bedeutung, daß wir niemals die Idee des wirtschaftlichen Schuman-Plans aufgeben oder verwässern dürfen. Allerdings bedeutet es eine Gefährdung der einheitlichen europäischen Front, den wirtschaftlichen Schuman-Plan zur Voraussetzung für die militärische Zusammenarbeit zu machen. Nicht Koppelung, wie Herr Schumacher sagte, aber man soll diese zwei Probleme gleichzeitig lösen.Eine weitere Sicherung scheint uns in der Erhaltung und Verstärkung des föderalistischen Staatsaufbaues in Deutschland zu liegen. Gerade in Süddeutschland lehnt man jedes Wiedererstehen eines preußisch-deutschen Generalstabs, des preußisch-deutschen Militarismus, einer preußisch-deutschen Armee ab. Darum haben wir volles Verständnis für die Wünsche Frankreichs. Daraus ergibt sich auch, daß eine landsmannschaftliche Gliederung der deutschen Divisionen nötig ist.
Hätten wir in der Hitlerzeit geschlossene bayerische Divisionen gehabt, dann wäre es 1943 mit dem Hitlerregime aus gewesen.
Meine Damen und Herren, der Redner hat gebeten, ihm die Zeit, in der Sie sich unterhalten haben, auf seine Redezeit anzurechnen.
— Herr Abgeordneter Baumgartner, das Wort hat
Ihr Kollege Dr. Seelos.
Die Furcht Frankreichs entspringt auch dem Gedanken, daß es durch den Willen zur Rückeroberung der verlorenen deut-
schen Gebiete in einen Krieg gegen den Osten durch Deutschland gezwungen werden könnte. Die Schweizer Zeitschrift „Die Tat" schreibt hierzu folgenden Satz:
„Eine deutsche Armee, die zwangsläufig unter den Ostflüchtlingen rekrutiert würde, wäre eine Befreiungsarmee mit dem Ziel einer Rückgewinnung des Ostens."
Tatsächlich wird es wohl erforderlich sein, darauf zu achten, daß nicht die Heimatvertriebenen ein Übergewicht in diesen deutschen Divisionen des Europa-Kontingents erhalten,
um nicht einer erneuten nationalistischen Tendenz die Zügel freizugeben.
Wenn wir oben die Voraussetzungen geschildert haben, unter denen eine Befriedung der Welt möglich erscheint — und sie erscheint nur möglich durch eine gleichberechtigte Einordnung Deutschlands und durch die Mobilisierung der Kraftreserven Deutschlands für die Verteidigung des Westens —, tun wir das nicht etwa in der Überzeugung, daß wir es uns in unserer Lage zwischen den zwei Weltmachtgruppen leisten können, Bedingungen zu stellen. Der bekannte maßgebliche Berater der amerikanischen Regierung in außenpolitischen Fragen, John Foster Dulles, hat in seinem im Mai dieses Jahres erschienenen Buch „Krieg und Frieden" über die Möglichkeiten Deutschlands folgendes ausgeführt:
Niemals zuvor hat ein so zahlreiches — zwischen 60 und 70 Millionen — und potentiell so mächtiges Volk eine so einzigartige Gelegenheit gehabt, zwischen zwei entgegengesetzten Gruppen Vorteile auszuhandeln. Wenn die Deutschen wiederum mit dem sowjetrussischen Kommunismus zusammengehen würden, wie sie es Ende 1939 taten, würde diese Verbindung Europa hinwegfegen. Der Sieg einer sowjetisch-deutschen Allianz würde so sicher sein, daß es tatsächlich zweifelhaft wäre, ob hier irgendein organisierter Widerstand stattfinden würde. Das ist der Preis, den ein erstarktes nationales Deutschland Sowjetrußland bieten kann, zu einem bestimmten Preis.
Ein erstarktes Deutschland könnte auch ein großer Gewinn für den Westen sein. Ein erstarktes nationales Deutschland hat dem Westen viel zu bieten, zu einem bestimmten Preis.
Wir lehnen es ab, unsere Zwischenlage in solcher Weise auszuhandeln, weil es für uns ein Zusammengehen mit Sowjetrußland einfach nicht gibt. Man soll aber von seiten der Westmächte endlich aufhören, Deutschland in der Eigenschaft eines Siegers diktatorisch zu behandeln, es mit falschen Wirtschaftsmaßnahmen, mit fortgesetzten Demontagen auch heute noch weiter zu schwächen und es gleichzeitig stark machen zu wollen. New York ist praktisch die Fortsetzung der Demontagepolitik, aufs Politische übertragen einerseits: die politischen Hilfen, die wir bekommen, und andererseits: die Fortsetzung von Morgenthau's Politik, die wir noch immer feststellen können. Es ließe sich zu dem Problem noch mehr sagen; aber ich möchte mich darauf beschränken, das Grundsätzliche hier herauszugreifen.
Erlauben Sie mir aber, noch einen Gedanken zu äußern, der mir für die bessere Zukunft des deutschen Volkes von entscheidender Bedeutung zu sein scheint. Mögen sich die Parteien gemäß
ihren verschieden gearteten wirtschaftlichen, finanziellen und sozialen Interessen, hinsichtlich einer zentralistischen oder föderalistischen Gruppierung, einer Gruppierung von Heimatvertriebenen und Einheimischen usw. in verschiedenen Parteien organisieren und auseinandersetzen, — hinsichtlich unserer Außenpolitik sitzen wir doch nun einmal im selben Boot. Ob Arbeitgeber oder Arbeitnehmer, ob Bayer oder Schleswiger, sie alle haben gleich zu leiden, wenn infolge unserer sichtbaren nationalen Uneinigkeit die noch immer bestehenden und gerade vom Ausland so sehr erkannten außenpolitischen Möglichkeiten nicht gemeinsam genutzt werden. Wenn der mächtigste Staat der Welt, wenn die Vereinigten Staaten von Amerika es für richtig halten, in der Außenpolitik eine „bipartite", also eine Zweiparteienpolitik zu treiben und und bei internationalen Konferenzen auch der Opposition eine wesentliche Vertretung zuzubilligen, so muß es dem deutschen Volk und der Welt einfach unverständlich erscheinen, daß in außenpolitischen Fragen nicht eine enge Zusammenarbeit und eine einheitliche Linie nach außen erreichbar ist. Wenn man die Reden von Herrn Dr. Schumacher im Radio oder heute gehört hat, wenn man die Ausführungen des Herrn Bundeskanzler gehört hat, so muß man doch sagen: im Wesentlichen und Grundsätzlichen in außenpolitischen Fragen ist die Haltung doch nicht so verschieden, daß man nicht eine einheitliche Linie finden könnte, und ich appelliere nachdrücklich an die Bundesregierung und an die Opposition, in außenpolitischen Fragen zusammenzugehen und vor allen Dingen auch der Opposition die Informationen zu geben, so daß sie sich nicht immer überrumpelt fühlen muß. Das ist der größte Dienst, den man überhaupt dem deutschen Volk leisten kann. Dann wird die gleichberechtige Einordnung Deutschlands leichter und schneller vor sich gehen, und die noch immer prekäre wirtschaftliche und soziale Lage des deutschen Volkes wird sich rasch bessern, ebenso schnell sich auch die Einigung und die Integrierung Westeuropas erreichen lassen, die ja auch nach dem Herrn Bundeskanzler und nach dem Oppositionsführer das Ziel der deutschen Politik ist. Diese Integrierung Westeuropas wird sich dann in viel rascherem Tempo vollziehen, als es bisher bedauerlicher- und verhängnisvollerweise geschehen ist.
Das Wort hat der Abgeordnete von Thadden.
Meine Damen und Herren! Etwa vor einem Jahr fand in diesem Hause die Debatte um das Petersberg-Abkommen statt. Die Bundesregierung verzichtete damals freiwillig auf mancherlei Rechte, von denen wir meinen, sie hätte sie sich damals ertrotzen können,
und sie erklärte feierlich, „die Entmilitarisierung des Bundesgebietes aufrechtzuerhalten und mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln die Neubildung irgendwelcher Streitkräfte zu verhindern". Wenn wir an die heutige Debatte denken, möchten wir die Bundesregierung und den Kanzler insbesondere daran erinnern, daß in Nürnberg einmal ein Außenminister zum Tode verurteilt wurde, weil er Verträge brach. Wir wollen den Kanzler davor warnen, einen ähnlichen Weg zu beschreiten!
In Art. 24 des Grundgesetzes wurde die Wehrhoheit ausdrücklich an die Alliierten abgetreten. Wir haben außer dem Besatzungsstatut auch noch ein alliiertes Sicherheitsamt. Seine Aufgabe ist es, das „Wiederaufleben militärischer Organisationen und militärischen Geistes zu verhindern". Wir möchten diese Institution einmal auf die amerikanischen Arbeitseinheiten hinweisen und auf den militärischen Ton und die militärischen Vorbereitungen, die dort bereits wieder herrschen. Das Abkommen vom Petersberg hat heute noch seine volle Gültigkeit. Die Bundesregierung hat es damals angenommen.
Es hat sich aber in den letzten Jahren auch noch ein anderer Brauch herausgebildet: Nicht nur, daß der, der Verträge bricht, an den Galgen geht, sondern daß derjenige, der einen Krieg macht und ihn verliert, ebenfalls an den Galgen geht. Wir wollen unter gar keinen Umständen als rückfällige Kriegsverbrecher einer neuerlichen Bestrafung entgegengehen.
Noch etwas anderes kommt hinzu. Deutschland hat am 8. 5. 1945 kapitulieren müssen, bedingungslos, auch vor der Sowjetunion. Wer nach der Kapitulation weiterkämpft, wird rite verurteilt. Dies geschah auch mit 21 Deutschen, die am 17. 1. 1947 in Schanghai verurteilt worden sind, und zwar deswegen, weil sie nach der Kapitulation der deutschen Wehrmacht weiter Krieg geführt haben, unter anderem gegen die Sowjetunion. Der Richter Jackson hat dieses Urteil vor dem Hohen USA-Gerichtshof auf das nachhaltigste verteidigt. Die Russen haben in diesem Urteil ein Präjudiz. Wir sollten uns vorsehen, daß wir, gestützt auf ein solches Urteil, eventuell auch herangekriegt werden können.
Aus diesen paar Dingen sehen wir, daß, bevor man überhaupt in die Debatte um einen deutschen Beitrag eintreten kann, vom Westen her mancherlei Dinge ausgeräumt und beseitigt werden müssen.
Nach all unseren Erfahrungen müssen wir uns auf die ganz klare Basis des Rechtes stellen. Erst wenn diese da ist, dann sind wir in der Lage, uns über einen Beitrag zu unterhalten.
Meine Damen und Herren! Dr. Schumacher sprach am 16. September in Stuttgart. Ich gestehe ganz offen, daß diese Rede — von einigen marxistischen Rückfällen abgesehen — das beste war,
was in der letzten Zeit auf dem politischen Markt erschienen ist. Von seiten der Regierungskoalition haben wir derartige Worte leider Gottes bisher noch nicht gehört. Auf die militärischen Konzeptionen, die er dort brachte, komme ich noch. Er sagte in dieser Rede einen Satz, den ich ganz in dem Sinne verstehe, in dem er damals gesprochen wurde:
Wenn es eine alliierte Mitschuld am zweiten Weltkriege gibt, und es gibt sie, dann gibt es auch eine Mitschuld der Alliierten an der heutigen Bedrohung der Weltdemokratie durch die Position Sowjetrußlands.
Ich möchte dies dahingehend ergänzen, daß die heutige Position Sowjetrußlands nur deswegen existiert, weil es eine alliierte Alleinschuld an diesen Dingen gibt.
In dieser selbst geschaffenen Situation möchte man auf uns zurückgreifen.
Wenn wir uns heute weigern, das mitzumachen,
was die Westmächte bzw. einige von uns wollen,
dann wollen wir kein Gefeilsche um Zugständ-
nisse anfangen. Wir wollen auch keine Erpressungspolitik betreiben, wie man uns dieses heute unterschiebt. Wir wollen nichts anderes, als vor einer verhängnisvollen Fehlentwicklung warnen, bei der wir im wahrsten Sinne des Wortes in erster Linie die Leidtragenden wären. Entweder entschließt man sich, ganze Maßnahmen zu treffen, bei denen alle Völker gleichberechtigt mitmachen, oder man läßt die Finger davon. Was sollte man mit einer europäischen „Aufrüstung", deren Anblick den kriegserprobten Generalen der Sowjetunion bestenfalls ein Lächeln abnötigte! Darauf laufen die Dinge im Augenblick hinaus. Dafür haben wir auch keinen Pfennig Geld von unserem Sozialetat übrig.
Meine Damen und Herren! Über die Entwicklung zu der heutigen Debatte haben die Vorredner einiges gesagt. Ich möchte auf folgendes hinweisen. Es wurde viel um das Memorandum geredet. Am Vormittag des 31. 8. — am Nachmittag fand eine Kabinettssitzung statt — veröffentlichte der Bundespressechef bereits eine Mitteilung des Inhalts, daß die Agentur Reuter berichtet hätte, das Memorandum befasse sich mit Vorschlägen für deutsche Kontingente in einer europäischen Armee. Ich möchte einmal wissen: Wie kommt die Agentur Reuter so frühzeitig auf die Dinge, die in dem Memorandum drinstanden, das sogar den Ministern des Kabinetts nur bruchstückweise vorgelesen worden ist?
Der Herr Bundeskanzler will jetzt kein Angebot gemacht haben. Ich glaube, die klaren Formulierungen, die man in New York gefunden hat, deuten doch wohl darauf hin, daß er ein solches Angebot gemacht hat. Dort ist man etwas vorsichtiger mit den Worten, die man bringt, weil man nicht dauernd und alles und jedes dementiert, was ein-
gesagt ist.
Gleichberechtigung wird überall verlangt. Deutsche Gleichberechtigung bei der Verteidigung ist uns bereits zugesagt. Es genügt aber nicht, daß ein deutscher Bataillonskommandeur oder Korpskommandeur „gleichberechtigt" neben einen solchen des Westens gestellt wird. Es genügt auch nicht, ein deutsches Kontingent „gleichberechtigt" neben ein solches des Westens zu stellen. Zuerst kommt es darauf an, daß die völkerrechtliche Gleichberechtigung des deutschen Volkes, einer deutschen Regierung und eines Teiles des deutschen Staatsgebildes de facto und ganz Deutschlands de jure hergestellt ist. Damit erst wird die Legitimierung einer Regierung gegenüber dem eigenen Volke für eine derartig entscheidende Frage geschaffen. Ohne diese können in dieser Angelegenheit nicht die Impulse geweckt werden, deren wir bedürfen. Die Westmächte sollten doch einmal daran denken, daß, solange sich das deutsche Volk lediglich vor der Wahl zwischen zwei Übeln sieht, es in der unausweichlichen Krise vor dem jeweils mächtigeren Übel resignieren wird; und dies, statt sich für Ideen zu schlagen, von deren loyaler Anwendung auf eigene Belange es nicht überzeugt wurde, solange es noch Zeit dazu war.
Die innere und sichtbare Opposition Deutschlands richtet sich aber gerade gegen die Tatsache, daß der Westen uns Rechte und Freiheiten vorenthält, die er selber als das non plus ultra der westlichen Welt beansprucht. Auf der anderen Seite werden wir aufgefordert, für die Erhaltung gerade dieser Rechte und Freiheiten aus einer mehr als bedenklichen Situation heraus Verpflichtungen zu übernehmen. Auf die moralischen Kräfte eines Volkes und auch des deutschen Volkes kann aber nur der rechnen, der im Kampf um die
moralischen Prinzipien des Völkerlebens eine reine' Weste hat. E's muß mit aller Deutlichkeit gesagt werden: Wenn die Bonner Regierung der inner-politische Kugelfang für die Alliierten Konferenzen von Teheran, Jalta und Potsdam bleibt, wird sie im kritischen Augenblick ein Quislingschicksal erleiden. Davor wollen wir sie warnen.
Die Alliierten erwarten eine proklamative Erklärung Bonns. Meine Damen und Herren, wenn das, was der Herr Bundeskanzler uns vorhin als Erklärung der Regierung vorgelesen hat, die vom Westen erwartete Sache ist, dann müssen wir hier doch etwas dazu sagen. Herr Bundeskanzler! Sie begrüßten den Pleven-Plan als einen wertvollen Beitrag zur europäischen Integration. Wir sind anderer Meinung.
Wir glauben, daß der Pleven-Plan das Gegenteil dessen bedeutet, was die Bundesregierung in ihn hineinlegt, und ich glaube, daß das Verhältnis zwischen einigen Generalen in Amerika und Frankreich doch wohl besser ist, als es der französische Hohe Kommissar dem Bundeskanzler gegenüber sagt. Wir haben vor kurzem erst gehört, daß der General Eisenhower, der voraussichtliche Oberkommandierende der Westmächte, der in Deutschland einzog mit den Worten: „We come as conquerors", neulich einmal gesagt hat, daß er persönlich die „größtmögliche Wiederbewaffnung Westdeutschlands befürworte, soweit sie mit den französischen Befürchtungen zu vereinbaren sei."
Die französischen Befürchtungen kennen wir; wir honorieren sie auch. Wir wissen, daß wir in den letzten 80 Jahren dreimal vor Paris gestanden haben und die Franzosen in den letzten 100 Jahren nur zweimal vor Berlin gestanden haben.
Aber wir wollen hier keine Erörterungen über die Schuld oder Unschuld an den letzten Kriegen anstellen. Heute kann die französische Regierung doch wirklich nicht mehr um die Tatsache herumreden, daß wir alle von einer Gefahr bedroht sind und daß es nicht damit getan ist, sich mit Gedanken an ein Glacis herumzutragen, das in Deutschland liegt. Damit fängt die Sache falsch an, wenn sie ihrer Bevölkerung eine deutsche Aufrüstung schmackhaft machen möchte. Die französische Regierung sollte die Franzosen vielmehr mit der Tatsache vertraut machen, daß in einem modernen Krieg Paris ohne weiteres in drei Wochen zu erreichen ist, ja noch in kürzerer Frist zu erreichen ist, wenn man die Aufrüstung nicht anders aufbaut, als sie zur Zeit anläuft.
Während der Straßburger Tagung sagte ein alter englischer Journalist und Globetrotter: „Die Politiker reden über Europa, die Wirtschaftler verhandeln über Europa, und die Generale werden Europa einigen". Darin liegt leider Gottes sehr viel Wahrheit. Im Zeitalter des großen Ideenkampfes gegen den Bolschewismus nützt es unserer Ansicht nach jedoch nur wenig, wenn Generale den Versuch machen, ein europäisches Heer aufzustellen, wenn nicht die Herzen der Europäer im gleichen Takt für dieses Heer mit schlagen.
Bei uns Deutschen ist dies noch nicht so weit. Ich bin auch überzeugt, daß die apathisch abseits stehende junge Generation in Deutschland wieder zu begeistern ist, wenn man ihr einen gangbaren Weg aufzeigt. Unsere deutsche Jugend würde sich wohl zur Verfügung stellen, wenn sie wüßte, wofür. Wenn jemand Soldat sein soll, dann muß er sogar ganz genau wissen, wofür.
Der deutsche Frontsoldat im letzten Krieg hatte eine Ideologie, eine höchst einfache. Es war nicht die der Verteidigung des Nationalsozialismus. Der Rußlandsoldat dachte viel einfacher und viel wahrer, indem er sich bis Stalingrad sagte: der Bolschewismus ist bösartig, und deshalb muß er ausgerottet werden. Ab Stalingrad sagte er sich: weil wir wissen, wie bösartig der Bolschewismus ist, deshalb müssen wir ihn von Deutschland fernhalten. Seien Sie sicher: Wenn er diese Ideologie nicht gehabt hätte, wäre der Russe wahrscheinlich nicht in Thüringen, sondern noch etwas weiter.
Sollen wir uns für Freiheiten einsetzen, die man uns vorenthält, für eine Gesellschaftsordnung, die gegenüber den Angriffen des Kreml in der letzten Zeit ihre innere Morschheit nur zu oft bewiesen hat? Sollen wir uns für einen Staat einsetzen, den die „New York Times" kürzlich wie folgt bezeichnete: „Bonn ist eine Kolonie, bestenfalls ein Protektorat mit beschränkter Selbstverwaltung"? Die „beschränkte Haftung" hat man vergessen. In diesem Protektorat sollen wir nur die Gurkhas oder Hiwis sein. Hat man sich überlegt, wer Soldat sein soll? Kürzlich ging durch die Presse die Meldung, daß ehemalige Nazis in die Bereitschaftspolizei nicht aufgenommen werden dürften. Ich möchte die Frage stellen, ob ehemalige Nazis auch in das neue Heer nicht aufgenommen werden dürfen. Ichglaube, gewisse französische Stellen und deutsche Zeitungen würden dies gern sehen. Wer soll denn dann Soldat spielen? Wollen etwa die Mitglieder des Bundestages mit gutem Beispiel vorangehen? Ich möchte meinen, daß man aus diesem Areopag erlesener Geister kaum eine kriegsstarke Gruppe wird zusammenstellen können.
Um so mehr sollten diese Geister aber auch darauf bedacht sein, nicht über Menschen zu verfügen, die ,nicht so kriegerisch gesonnen sind, wie es hier scheinen möchte.
Wenn ich mir die Zeitungen ansehe, wenn ich daran denke, wie sie jahrelang gegen alles Soldatische gehetzt haben, dann kann man heute nur staunen, wenn man an die geistige Umstellung denkt, die hier Platz gegriffen hat. Die Redaktionsstäbe der „Welt" und der „Neuen Zeitung" sollten als erste den Marsch auf die Kaserne antreten. In Ringelsöckchen mit Sambapuschen wären sie herrliche Verteidiger der Deutschen.
Meine Damen und Herren! Der Abteilungsleiter für öffentliche Angelegenheiten beim amerikanischen Landeskommissariat für Hessen äußerte kürzlich:
Es wäre manches anders gekommen, wenn wir 1945 das gewußt hätten, was wir heute wissen. Wir müssen zugeben, daß die Deutschen mit ihrer Warnung vor der aus dem Osten drohenden Gefahr und ihrem Wissen um die Verhältnisse uns weit voraus waren.
Denken wir auch an den General Fuller, der kürzlich schrieb:
Es ist charakteristisch für Churchill, nachdem er jahrelang gegen den Stalinismus gewettert hatte, daß er seine ganze kraftvolle Persönlichkeit und seine große Energie darauf konzentrierte, Stalins tödlichsten Feind zu vernichten, und dadurch, mit amerikanischer Hilfe, öffnete er die Tore Osteuropas für die russische Invasion.
Mit der Lage, die hierdurch geschaffen worden ist, haben wir uns auseinanderzusetzen. Die amerikanische Einsicht kommt etwas reichlich spät. Europa wird bedroht, wenn wir uns die realen Verhältnisse einmal ansehen, von .einer Armee, die, was die Bodentruppen anlangt, die beste Ausrüstung der Welt ihr eigen nennt. Die Amerikaner haben in Korea ein bitteres Erwachen aus ihrem Schlaf erlebt, als sie dort Panzer vorfanden, die ihrer eigenen Qualität turmhoch überlegen waren, und Mengen, die weit über dem lagen, was man in den letzten fünf Jahren nach ganz Europa hineingebracht hat. Diese russische Armee kann in kürzester Zeit mehrere Hundert schlagkräftige Divisionen einsetzen. Der Westen faßte hiergegen bisher nur Resolutionen! Man kann gegen diese russische Bedrohung, hinter der auch im Gegensatz zum Westen eine fanatische Weltanschauung steht, eine europäische Armee aufbauen. Eine solche Armee wäre nur denkbar mit einem starken deutschen Kontingent. Churchill denkt in dieser Beziehung völlig folgerichtig. Sie müßte unter einem europäischen Oberkommando stehen, in dem alle vertreten sind. Sie müßte auch alle Waffen führen, die in einem modernen Krieg notwendig sind, und die Gedankengänge, die in Frankreich in dieser Richtung erörtert wurden, scheinen uns wirklich mehr als abwegig. Alle europäischen Staaten — das gilt es festzustellen, wenn wir uns die russische Stärke vor Augen halten — müßten bis an die Zähne aufrüsten. Das ganze pazifistische Gequakkele gewisser deutscher Parteien und deren Schwesterparteien im Ausland über das Recht der Kriegsdienstverweigerung müßte schlagartig verschwinden. Eine solche Armee wäre vielleicht imstande,
eine Verteidigung zu führen, indem sie, Herr Kollege Dr. Schumacher, so stark ist, daß sie den ersten Schlag führen kann. Hier folgen wir völlig Ihren Argumentationen, die wesentlich realer sind als die der Bundesregierung.
Die deutsche Kriegsindustrie ist dank westlichem Weitblick völlig vernichtet. Ihr Wiederaufbau würde Jahre in Anspruch nehmen. Die amerikanische Industrie kann eine solche europäische Aufrüstung vorerst nicht in dem Maße durchführen, wie dies vielleicht notwendig wäre. Eine deutsche Truppe wäre, wenn sie jetzt bereits aufgestellt werden sollte, auf alle diese Imponderabilien angewiesen. Wir wären wahnsinnig, wenn wir nach allen Opfern und Entbehrungen, die wir gebracht haben, eine solche Entwicklung mitmachen würden. Für eine solche Aufrüstung bis an die Zähne — nur eine solche kann verlangt werden — ist unsere Zeit aber noch nicht gekommen.
Man macht einen Aufmarsch landläufig von hinten nach vorn, und man packt nicht vorn einige verlorene Haufen hin, um dann erst einmal weiterzusehen. Solange der Westen seinerseits nicht so stark ist, wie es der Russe heute ist — und bis dahin ist noch lange Zeit —, ist es unsinnig, daß wir uns mit einer Frage beschäftigen, die wir — machen wir uns doch bitte nichts vor - sowieso nicht entscheidend beeinflussen. Unsere Stärke war einmal. Sie ist heute nicht mehr da. Denken wir immer daran, an die Krüppel, an alle Opfer des letzten Krieges, und denken wir daran, in welchem physischem Zustand unsere junge Mannschaft im Augenblick ist. Wir wollen diese Dinge erst einmal reparieren. Solange der Westen nicht seinerseits etwas mehr tut, als er in den letzten fünf Jahren -getan hat, ist es nach unserer Ansicht
völlig falsch, wenn wir Deutschen den Weg einer partiellen Aufrüstung beschreiten wollen; und darauf laufen offenkundig die Pläne der Regierung hinaus, die zu nichts nutze wären und nur dazu beitragen könnten, den Franzosen Mut zu machen, hier in Deutschland Krieg zu spielen.
Wir Deutschen haben keinerlei Veranlassung, uns vom Westen Vorhaltungen machen zu lassen, wir seien nicht genug antibolschewistisch. Wir haben immer unsere Haltung gegenüber dem Osten, ob dieser bolschewistisch oder zaristisch war, vertreten, und wir haben nicht nur uns, nicht nur nationale Dinge verteidigt, sondern europäische Dinge schlechthin verteidigt. Wir müssen uns dagegen verwahren, daß die Bundesregierung Offerten macht, die sie nicht einlösen kann. Wir wollen auch an die Adresse Amerikas folgendes erklären: Wir sind bereit
— wir Deutschen —, unseren Beitrag zu leisten.
- Sie sind alle offenkundig bereits viel zu alt, als daß Sie sich in die Haut derer hineinversetzen können, die erlebt haben, wie der Russe ist. Er ist wesentlich anders, als Sie ihn sich vorstellen.
Wir haben keine Angst vor dem Osten. Wir haben niemals Angst vor dem Osten gehabt. Aber wenn wir etwas gegen den Osten tun wollen, dann bitte mit dem Handwerkszeug, das man dazu braucht, und nicht à la Volksturm.
Der Bolschewismus muß nivellieren und in den Völkern seiner Einflußsphäre jenes menschliche Laboratorium schaffen, das er braucht, um ohne Furcht vor Kritik und Opposition experimentieren zu können. Daran ändert kein Augenschließen etwas und kein verzweifelter Zweckoptimismus, wie er sich regt. Wir wollen nicht oder wir können nicht annehmen, daß dieser Kelch an uns vorübergeht, auch wenn die Beispiele Jugoslawien, Bulgarien, Rumänien, Ungarn und Tschechei nicht wären. Er muß geleert und seine Wirkung muß überwunden werden. Wenn wir die innere Kraft dazu haben, ist noch nichts verloren; dann sind die Millionen im Osten nicht umsonst gefallen und können in ihren zerstörten und geschändeten Gräbern ruhig schlafen. Dann haben wir Deutschen das Unsere getan, um die Fehler von gestern auszumerzen. Hämmern wir es uns ein als ein ewiges Gesetz: Der Bolschewismus ist eines Volkes sicherer Tod; wer von ihm ißt, der stirbt. Der Westen aber, mag es das Frankreich Richelieus sein oder das England Churchills oder mögen es die machtvollen Vereinigten Staaten sein, sie sprechen unsere Sprache, denken unsere Gedanken trotz der zerbombten und zerstörten Städte auf beiden Seiten. Der europäische Bruderkrieg konnte die tausendjährige gemeinsame Vergangenheit nicht erschlagen. Der große marxistische Revolutionär Lenin sagte einmal: „Fehler sind da, damit man aus ihnen lernt". Lassen wir uns dieses Wort zu Herzen gehen und sagen wir es an die Adresse der Herren des Petersberges. Wer aus den Schrecken der letzten fünf blutigen Jahre hervorging und nichts gelernt und alles vergessen hat, dem gebührt, daß man ihn mit Knütteln totschlägt. Das deutsche Volk ist am 1. Mai 1945 nicht gestorben. Aus seinem Dasein erwächst aber auch uns, die heute Außenseiter des Lebens sind, eine große
Pflicht, aber auch ein Recht. Denn wir sind keine Banditen und Mörder gewesen, sondern wir haben uns für Freiheiten eingesetzt, für deren Verteidigung die ganze Welt sich jetzt rüsten muß. Lassen wir die trügerische Romantik mit der falschen .Überheblichkeit im selben Maße sterben wie die verlogenen Selbstanklagen und die rückgratlose Feigheit. Leben wir dem Leben der realen Tatsachen!
Das Wort hat der Abgeordnete Schuster.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als der Herr Bundeskanzler in seiner Erklärung heute ausführte und versicherte, daß er keinerlei Angebote in der heute hier zur Debatte stehenden Frage gemacht habe und auch von seiten der westalliierten Mächte weder eine Frage, noch eine Forderung gestellt worden sei, da haben wir etwas aufgeatmet. Denn bis jetzt waren wir ja, allerdings nur von seiten der Presse, anders unterrichtet. Deshalb haben wir jedoch nicht an der Wahrheit der Ausführungen des Herrn Bundeskanzlers gezweifelt. Als der Herr Bundeskanzler aber am Ende seiner Erklärung von der Entschließung sprach, waren wir etwas enttäuscht. Denn diese Entschließung scheint uns viel zu verfrüht. Dazu hätten zuerst einmal die Voraussetzungen gegeben sein müssen, die jetzt in keiner Weise gegeben sind. Es genügt nicht allein, daß uns die militärische Gleichberechtigung zugesichert wird, die uns noch nicht einmal von allen Ländern, die an dieser westlichen Verteidigung teilnehmen sollen, zugestanden wird. Dazu kommt noch sehr vieles. Es ist doch geradezu undenkbar, daß wir eine gemeinsame Verteidigungsmacht mit solchen Ländern aufbauen sollen, mit denen wir heute praktisch noch im Kriegszustand stehen.
Ich will nicht Einzelheiten anführen, die schon einige Male erwähnt worden sind, wie Einzelheiten über das Besatzungsstatut. Zunächst wäre es einmal unbedingt notwendig, die Besatzungsmacht, deren Daseinsberechtigung längst überholt ist — sie braucht als „Besatzungsmacht" nicht mehr zu firmieren —, umzubenennen, ehe man überhaupt daran denkt, über die Teilnahme Deutschlands an dieser Verteidigung zu debattieren. Wir wollen nicht, daß sie abzieht; ganz das Gegenteil. Sie hat aber als „Besatzungsmacht`. keine Daseinsberechtigung mehr. Das deutsche Volk hat sich in den fünf Jahren der Besetzung Deutschlands so diszipliniert verhalten, daß eine Besatzungsmacht nicht mehr notwendig ist. Ob man sie Schutzmacht gegen den Osten oder — wenn man es will — amerikanische und britische Garnison in Deutschland nennen will, mag dahingestellt bleiben.
Damit müssen aber auch die materiellen Dinge geklärt werden. Es geht nicht an, daß die Besatzungsmacht auf Kosten des deutschen Volkes hierbleibt. Auch die Zusage, daß das deutsche Gebiet verteidigt werden würde, genügt noch nicht. Wir geben zu, daß die Westalliierten wohl die Absicht und den guten Willen haben, auch das westdeutsche Gebiet zu verteidigen; das besagt aber noch lange nicht, daß dies auch geschieht und unter den gegebenen Zuständen überhaupt geschehen kann. Hierzu ist eine genügend starke Verteidigungsmacht Voraussetzung, von der wir die Überzeugung haben können, daß es auch nicht einem östlichen Soldaten gelingen wird, auch nur einen Fuß über die Elbe zu setzen. Solange wir davon nicht überzeugt sein können, erscheint uns eine deutsche Teilnahme an dieser Verteidi-
gung zwecklos. Denn ich kann mir nicht denken, daß es jemals einen deutschen Soldaten geben wird, der noch am Rhein Deutschland verteidigen wollte.
Darüber hinaus ist nicht nur die Ehre des deutschen Soldaten noch nicht wiederhergestellt, sondern es hat die Diffamierung noch nicht einmal ganz aufgehört. Wir können keinem jungen deutschen Mann zumuten, sich wieder in Uniform stekken zu lassen, wenn diejenigen vielleicht sie selbst oder andere —, die vor fünf Jahren den Rock auszogen, heute noch zum Teil als Verbrecher gelten und wenn ein Teil — und wenn es auch nur einige Hunderte oder Tausende sind —, die selbst nichts verbrochen haben, heute noch in den Kerkern anderer Länder schmachten, obwohl nachgewiesen ist, daß sie selbst kein Verbrechen begangen haben und nur deshalb leiden, weil dort ein kollektives Strafgesetz geschaffen wurde. Meine Damen und Herren, ich glaube, auch dies könnte man unter die Verbrechen gegen die Menschlichkeit rechnen. Es sind nämlich nicht wenige, die nur auf Grund dieser Kollektivstrafgesetze heute noch in Kerkern schmachten.
Der Herr Bundeskanzler hat keine genauen Erläuterungen gegeben, wie die materielle Seite der Beteiligung an einer Verteidigung aussehen soll. Solange wir nicht die Gewähr und die Gewißheit haben, daß der ohnehin schon niedrige Lebensstandard der großen Masse unseres Volkes nicht noch weiter herabgedrückt wird, ist in dieser Frage wenig zu sagen und zu entscheiden.
Meine Damen und Herren, alle diese Voraussetzungen müssen zuerst gegeben sein, ehe man überhaupt auf eine weitere Debatte über diese Frage eingeht, ganz zu schweigen von einer Entscheidung. Die Entscheidung über diese Frage kann weder bei der Bundesregierung noch bei diesem Hohen Hause liegen. Die Entscheidung darüber kann einzig und allein das Volk selbst durch eine Volksabstimmung treffen.
Vizepräsident Dr. Schmid: Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Richter.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn je ein Volk von einem Großmut heuchelnden Sieger aufs schmachsvollste ausgeplündert, behandelt und geschändet worden ist, wenn jemals ein Volk aus triftigen Gründen voller Verachtung auf den Sieger sehen konnte, weil er sich vergeblich bemüht, seine Habsucht und seine ungeheuerlichen Verbrechen heute mit dem Mäntelchen der Ehrbarkeit zu verbergen, wenn man sich jemals einem Volk gegenüber als geschlagenem Gegner
derart aufgeführt hat, wie das uns Deutschen gegenüber geschehen ist, ich glaube, dann sollte man nicht mit Ansprüchen an das deutsche Volk herantreten, die dazu noch allerhöchste Opfer erfordern.
Im Jahre 1945 warfen die Alliierten hier im Westen ein Flugblatt ab, das ich im Original hier habe und auf dem sich oben die Wappen der Vereinigten Staaten von Nordamerika, Englands und der Sowjetunion recht nett ausnehmen. In diesem Flugblatt, das eine Erklärung des damaligen amerikanischen Staatspräsidenten Roosevelt enthielt, hieß es: „Die Naziführer wollen dem deutschen Volke
weismachen, die Yalta-Erklärung bedeute Versklavung und Vernichtung des deutschen Volkes." Daß wir seitdem täglich seit 1945 ein Gebet zum Herrgott schicken konnten, nämlich das: „Herr, bewahre uns vor unseren Befreiern!", das dürfte nun wohl allmählich auch in der Welt bekannt sein. Und daß es nicht so zur restlosen Vernichtung des deutschen Volkes gekommen ist, daß man sie aber vielleicht vorhaben könnte, das ist etwas, was noch auf den Blättern der Zukunft stehen dürfte. Es heißt weiterhin:
Die Kapitulation bedeutet auch die völlige Entwaffnung Deutschlands, die endgültige Beseitigung des deutschen Militarismus, die Vernichtung allen deutschen Kriegsgeräts, das Ende der deutschen Rüstungsindustrie, die Demobilisierung aller deutschen Streitkräfte und die endgültige Auflösung des deutschen Generalstabes, der so oft den Frieden der Welt erschütterte.
In dieser Form suchte man von der eigenen Schuld abzulenken und die Geschichte zu verfälschen.
Nach der Aufstellung, die Wright in seinem „A Study of War" gegeben hat, haben in der Zeit von 1480 bis 1940 278 Kriege stattgefunden, von denen allein auf das Konto Englands 28, Frankreichs 28, Rußlands 22, der Türkei 15, Österreichs 19, Polens 11, Schwedens 9, Italiens 9, der Niederlande 8, Dänemarks 7 und Deutschlands einschließlich Preußens ganze 8 entfallen. Man sieht also schon an dieser Aufstellung, wo die stehen, die in Wirklichkeit als Militaristen bezeichnet werden können. Allerdings könnte es uns, wenn wir vielleicht wieder auf der falschen Seite stehen sollten, passieren, daß man uns eines Tages auch den chinesischen Bürgerkrieg, den griechischen Bürgerkrieg, den Krieg in Korea und ähnliche Dinge mehr in die Schuhe schiebt.
Als die Kapitulationsurkunde unterzeichnet wurde, war sie ein rein militärischer Akt. Damals wurde nicht die staatliche Macht übergeben, die Regierung Dönitz vielmehr noch eine ganze Zeit lang anerkannt. Die staatliche Macht, die staatliche Souveränität konnte auch gar nicht übergeben werden. Das wäre völkerrechtswidrig gewesen, was wohl auch den Alliierten bei ihren hervorragenden Kenntnissen des Völkerrechts bekannt gewesen sein dürfte. Es ist damals noch von deutscher Seite, und zwar von dem Großadmiral Dönitz, das Angebot gemacht worden — das heute, wenn es von der Seite Deutschlands gemacht werden würde, sehr gern angenommen werden würde —, uns nochmals zu einem Kreuzzug gegen den Russen in Bewegung zu setzen. Schon oft hat Deutschland die Fluten aus dem Osten aufgehalten. Mit Recht schrieb kürzlich das „Essener Tageblatt":
Zahlreiche deutsche Heere gingen dabei unter, dieweil die Nachbarn im Westen erst durch fahrende Sänger hörten, daß der Ruf „Frau, komm!" weit genug östlich zum Verstummen gebracht war.
Es ist heute so, daß kein deutscher Soldat, der einmal mit draußen gestanden hat, ernsthaft Lust verspürt, für irgendwelche, noch gar nicht genau zu definierenden Interessen seine Haut zu Markt zu tragen den Wunsch hat. Man spricht nicht erst seit heute, sondern seit Jahren von allen möglichen Verteidigungslinien. Der eine möchte die Verteidigungslinie an der Elbe haben, damit er sich in der Zwischenzeit überlegen kann, wie er das Gebiet zwischen Rhein und Elbe als militärischen Kriegsschauplatz auswerten kann. Der nächste möchte gleich die Verteidigung am Rhein haben, damit sich
o unter Umständen die Engländer diesmal etwas ruhiger als das letzte Mal in Dünkirchen einschiffen können. Der übernächste möchte die Verteidigungslinie an den Pyrenäen haben, vielleicht damit dann die Vereinigten Staaten von diesem Brückenkopf aus als Befreier nach Europa zurückkehren können. Was dann noch befreit werden soll, ist allerdings eine Frage.
Herr Vansittard hat vorgeschlagen, wir sollten als Partisanen bewaffnet werden. Nun, es sind schon einmal gerade vom Westen ganze Divisionen kriegsgefangener Deutscher, die sich in westliche Kriegsgefangenschaft begeben haben, an den Osten ausgeliefert worden. Und wenn heute das deutsche Volk mit Recht gegen die Zurückhaltung deutscher Kriegsgefangener durch den Osten protestiert, dann hätten gerade die Westmächte allen Grund, dafür zu sorgen, daß die von ihnen einst mit ausgelieferten Kriegsgefangenen heute zurückkommen, und sie sollten nicht nur glauben, uns mit heuchlerischen Phrasen Honig um den Mund schmieren zu können. Wenn es schon zu kriegerischen Auseinandersetzungen kommen sollte, dann bin ich eher der Meinung, nachdem man uns einmal gesagt hat, wir hätten nichts getaugt, obwohl wir fünf Jahre einer Welt von Feinden standgehalten haben, wir wären zuletzt ja nur so gelaufen, daß diesmal die besseren Soldaten vorneweg gehen, schon des Erfolges wegen, und daß wir, weil wir nichts getaugt haben, dann vielleicht etwas weniger wichtige Stellen, vielleicht die Marketendereien oder Lazarette und ähnliche Dinge, übernehmen, was wir bei der uns eigenen Korrektheit bestimmt könnten.
Man hat in der Nachkriegszeit zahllose' Prozesse gegen Deutsche durchgeführt. Man hat bis in die jüngsten Tage herein Deutsche ausgeliefert. Man warf uns Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor, die wir tausendfach anderen hätten anhängen können. Mit Recht schrieb kürzlich die „Deutsche Tagespost" :
Aber fünf Jahre nach dem Kriege, Jahre nach Einstellung der Prozesse
dauert ein Zustand an, der ein Verbrechen scheußlichster Art ist. Die Verüber dieses Verbrechens aber saßen 1946 nicht auf der Anklagebank, sondern am Richtertisch! Wenn man in Amerika vieles, was heute in Deutschland geschieht, vor allem vieles, was gesprochen wird und was aus Groll und Verbitterung, auch aus Haß und stumpfer Gleichgültigkeit kommt, nicht verstehen will oder verstehen kann, dann sollte man sich vor Augen halten, daß eine Nation, der in einem Jahrfünft all das vordemonstriert wird, auch dann nicht so schnell den taktischen Wendungen der Weltpolitik 'zu folgen vermöchte, wenn sie „politisch klüger" wäre als die deutsche und wenn sie nicht durch die Fortdauer der Verbrechen täglich neu verwundet würde.
Nach Angaben von Spätheimkehrern sind heute noch mindestens 70 000 Deutsche in russischer Kriegsgefangenschaft, und 1 Million dürfte gestorben sein. Die Zeitung sagt weiter:
Zehntausende deutsche Gefangene wurden von Tito hingemordet, der den Westmächten heute noch als Freund und würdiger Vertreter der Demokratie gilt, während Franco unter den Faschisten und Aggressoren rangiert!
Vor einigen Tagen wurde gemeldet, daß amerikanische Soldaten in Korea 60 von den Kommunisten ermorderte Kameraden gefunden haben. Dann meldete man, daß die US-Panzer einen Zug verfolgen, in dem Gefangene zur mandschurischen Grenze befördert werden. Nun werden wohl die amerikanischen Soldaten, Offiziere und Generale, vielleicht sogar General Eisenhower, endlich verstehen, warum die deutschen Soldaten 1945 nicht in die Gefangenschaft der Russen fallen wollten, warum deutsche Generale und Offiziere alles versuchten, ihre Verbände hinter die amerikanischen Linien zu schleusen. Nun werden sie sich vielleicht der Haltung jener amerikanischen Kommandeure schämen, die deutsche Soldaten den Russen in die Arme trieben, sie ihnen sogar auslieferten, die ihre Front dicht machten und oft nicht einmal Frauen und Kinder durchließen, sondern mit ebenso grausamem wie dummem Gerede erzählten, die Russen seien korrekt und human und würden den Gefangenen nichts zuleide tun.
Vor einiger Zeit hat der bayerische Landeskommissär Shuster einmal darauf hingewiesen, daß die Verbrechen des Antisemitismus in Deutschland zu rasch vergessen worden seien. Dieselbe Zeitung weist darauf hin, daß in der Zwischenzeit noch furchtbarere Verbrechen an Deutschen verübt wurden und werden, ohne daß Sühne gefordert werde, ohne daß sich die humanen Nationen anscheinend der Parallelität oder des Zusammenhangs der Erscheinungen bewußt würden. In Nürnberg sind entgegen jeder Rechtsprechung Menschen zu Tode geschunden worden. Landsberg, Straubing, Dachau, das sind alles Mahnmale dafür,
daß das deutsche Volk heute gegenüber diesen Angeboten aus dem Westen sehr vorsichtig sein muß. Wenn man einen Feldmarschall von Manstein deswegen verurteilte, weil er auf die einzig mögliche Art sich der Partisanen erwehrte, mit der man gegenüber Partisanen auftreten kann, dann stehe ich auf dem Standpunkt: Wenn England noch so etwas wie einen Funken von Gerechtigkeit in die Zukunft hinüberretten will, dann muß es entweder dafür sorgen, daß Manstein schleunigst aus Werl entlassen wird oder aber daß Mac Arthur, der dieselben Methoden eingeschlagen hat, nun umgehend in das Curio-Haus kommt und nach einem Schauprozeß dann ebenfalls in Werl landet.
Die Bedrohung, die heute nicht nur uns Deutschen, — —
Ihre Redezeit ist abgelaufen.
— sondern allen gilt, ist uns klar. Wir sind uns fernerhin darüber klar, daß wir unbedingt alles tun müssen, um Europa zu retten. Aber in der Form, wie man sich das heute vorgestellt hat, geht das nicht.
Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist abgelaufen!
Wir müssen uns ferner darüber klar sein, daß dieses Europa eine Einheit zu bilden hat, daß alle dazugehören und daß man nicht Nationen wie etwa Spanien rotzig behandeln darf, die militärisch wert-
voller sind als die vielen Schreier, die wir hier im Westen noch haben.
Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist abgelaufen. Ich entziehe Ihnen das° Wort.
Ich bedauere das sehr, Herr Präsident.
Ich darf nur noch zum Schluß sagen: Wenn man schon —
Herr Abgeordneter, ich habe Ihnen das Wort entzogen!
Wenn man schon jemanden von deutscher Seite
nach dem Osten in Marsch setzen will, dann bitte diejenigen, die durch dieses System ihre Profite hatten, die VVN oder die Entnazifizierungsräte, kurzum alle die,
die im Wörterbuch der Alliierten als „Kollaborateure" bezeichnet worden sind.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Doris.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als bundesamtlich abgestempelter Faschist müßte ich doch eigentlich ein wenig Nationalismus machen.
— Als Benzinempfänger müßte ich zumindest in Remilitarisierung, in Panzerremilitarisierung machen. — Aber ich werde einmal versuchen, das Problem, das durch die Erklärung der Bundesregierung heute hier zur Debatte steht, sehr sachlich zu behandeln.
Tatsache ist doch, daß Amerika auf Frankreich
einen Druck ausgeübt hat, in der Frage der Remilitarisierung Deutschlands in etwa nachzugeben. Der Erfolg dieses Druckes ist der Pleven-Plan. Amerika hat zweifelsohne — wir können es in der Presse nachlesen — gedroht, an Stelle des jetzigen Statthalters im Westen, im europäischen Westen, also Frankreich, eventuell Westdeutschland zu setzen. Versprochen ist dafür erstens Sicherung des Lebensstandards in Westdeutschland, zweitens Investitionskapital in genügenden Mengen für die deutsche Industrie.
Wenn wir uns den Finanz- und Steuerplan des Herrn Bundesfinanzministers Schäffer besehen, werden wir feststellen, daß gerade in bezug auf die großen Aktiengesellschaften die Steuervergünstigungen so sind, daß zweifelsohne Anreiz für Investierungen ausländischen Kapitals besteht. Die Gegenforderung, die gestellt wird, ist die Remilitarisierung Westdeutschlands.
Wenn wir uns diese Remilitarisierung in Westdeutschland einmal unvoreingenommen betrachten, dann handelt es sich doch um nichts anderes als um den Aufbau eines amerikanischen Festungsgeländes als Gegensatz zum Aufbau eines russischen
Festungsgeländes. Aber immer noch ist es so gewesen, daß dann, wenn man das Dogma von der Zweiteilung der Welt, also hier den Aufbau gegnerischer Festungsgelände im europäischen Raum bedingungslos akzeptierte, die kriegerische Auseinandersetzung zweifelsohne da stattfinden wird, wo die Festungsbereiche aneinander stoßen. Ob wir also im Sinne des Westens remilitarisieren oder nicht remilitarisieren, immer wird der Kriegsschauplatz im Falle eines Konfliktes Deutschland, Westdeutschland oder Ostdeutschland, vermutlich aber Gesamtdeutschland sein. Eine Remilitarisierung oder auch eine Nichtremilitarisierung wird also bei Beibehaltung der augenblicklichen Politik des Dogmas von der Zweiteilung der Welt immer mit einer kriegerischen Auseinandersetzung im deutschen Raum enden.
Die Voraussetzung für eine Remilitarisierung ist die Änderung der Außenpolitik, also der Versuch, zwischen die beiden feindlichen Festungsgelände ein trennendes Element zu schieben, wie es uns ja die schwedische Außenpolitik praktisch heute schon - wenn auch in kleinsten Anfängen - vorexerziert. Wenn es also gelingen sollte, innerhalb Europas diejenigen Kräfte zu wecken, die anstatt des Aufbaues der gegenseitigen Festungsgelände das trennende Element bilden wollen, dann erst wäre es notwendig, der Frage der Remilitarisierung näherzutreten. Solange aber der Aufbau gegnerischer Festungsgelände und damit die Remilitarisierung in jetzigem Sinne erfolgt, werden sämtliche Folgen für uns immer negativer Natur sein. Im gegenteiligen Sinne, im Sinne der schwedischen Politik, besteht zum mindesten die Möglichkeit, diese negativen Folgen zu vermeiden.
— Durchaus möglich!
Außerdem liegen die Dinge doch so, daß durch die Mehrheitsverhältnisse hier im Hause längst schon die Remilitarisierung im Sinne der Bundesregierung und damit im Sinne der USA beschlossen ist. Insofern sind sämtliche Reden ja nichts anderes als Worte im luftleeren Raum.
Wir werden in absehbarer Zeit bei der Abstimmung über die Remilitarisierung hier erleben, daß die Mehrheit doch längst schon gesichert ist.
Ich bestreite aber in einer solch eminent wichtigen Frage dem Bundestag das Recht, hier eine endgültige Entscheidung zu fällen. Wenn das Grundgesetz einen Volksentscheid nicht vorsieht, dann muß der Volksentscheid, der das Grundrecht eines Volkes ist, eben nachträglich in das Grundgesetz hineingesetzt werden. Dann aber müssen Sie genau so wie bei einem Gebiet, das irgendwie die staatliche Zugehörigkeit wechseln soll, bei der betroffenen Bevölkerung abstimmen lassen, also in diesem Falle bei denjenigen, die Sie eben als Kanonenfutter für irgendwelche gegnerischen Auseinandersetzungen einziehen wollen, im Falle eines Krieges also bei all den Jahrgängen, die dann noch zusätzlich die stehende Wehrmacht verstärken sollen.
Das Wort hat der Abgeordnete Rische.
Meine Damen und Herren! Wenn es noch weiterer Beweise für die tödliche Gefahr, die droht,
bedurft hätte, dann hat die heutige Diskussion diese Beweise geliefert.
Das deutsche Volk ist wirklich in großer Sorge um die politische Entwicklung in Westdeutschland und ganz besonders
über die Maßnahmen, die bereits — gemeinsam mit den Feinden des deutschen Volkes, den amerikanischen Imperialisten —
von der Adenauer-Regierung über die Remilitarisierung getroffen wurden, d. h. über das Schicksal der deutschen Jugend, die gezwungen werden soll, ihr Blut
für die fremden Herren, die unser Vaterland besetzt halten, herzugeben.
Diese Bedrohung und diese Sorge wurden auch durch die heutige Regierungserklärung des Herrn Bundeskanzlers keineswegs gemildert, sondern noch einmal in aller Deutlichkeit unterstrichen. Die Diskussionsredner der Parteien taten ein übriges, um das Wiederaufstreben der gefährlichsten Macht in der Geschichte der letzten 30 Jahre in Europa, nämlich das Wiederaufstreben des aggressiven deutschen Imperialismus, der ganzen friedliebenden Welt zu demonstrieren. Obwohl Deutschland im Jahre 1945 mit dieser verhängnisvollen Politik restlos bankrott machte, sind die Sprößlinge des Herrn Adenauer heute wieder ins Kraut geschossen,
d. h. die Sprößlinge des deutschen Imperialismus, die unser Volk bedrohen.
Der Herr Bundeskanzler hat in seiner Rede faktisch von vollendeten Tatsachen gesprochen. Er hat so gesprochen, als ob die Remilitarisierung für unser deutsches Volk und insbesondere für die deutsche Jugend über Nacht zur Tatsache werden kann. Er hat lediglich in Aussicht gestellt, daß er sich die bereits durch die Außenminister der imperialistischen Mächte mit Unterstützung der Adenauer-Regierung geschaffenen vollendeten Tatsachen durch eine einfache Mehrheit dieses Hauses höchstens noch bestätigen lassen will. Seine Erklärung kann man schließlich nur so deuten: er will es nicht zulassen, daß die deutsche Beteiligung an der sogenannten Abwehrfront — wir hörten dieses Wort sehr oft — verhindert wird. Das, meine Damen und Herren — auch unser deutsches Volk wird es nur so verstehen können —, ist die offene Zustimmung zu den Befehlen der New-Yorker Konferenz über die Remilitarisierung Deutschlands und die Schaffung einer westdeutschen Söldnerarmee.
Der Herr Bundeskanzler sprach hier — wie übrigens auch der Herr Fraktionsvorsitzende der Sozialdemokratischen Partei, Dr. Schumacher — von
den Bedingungen eines deutschen Beitrags zum aggressiven Nordatlantikpakt. Das deutsche Volk weiß, daß diese Bedingungen festliegen. und zwar sind sie im Kommuniqué der Außenminister der New-Yorker Konferenz enthalten. Alles andere ist eine bewußte Irreführung des deutschen Volkes, wie dies sich so oft durch die Politik, die in tien letzten Jahren in Westdeutschland getrieben wurde, erwiesen hat. Die Präjudizierung
ist im Grunde genommen von der New-Yorker Außenministerkonferenz vorgenommen worden; und der Herr Bundeskanzler hat in seiner Begrüßung der Führung des sogenannten Abwehrblocks durch die amerikanischen Imperialisten faktisch zu verstehen gegeben, daß er mit den Bedingungen der New-Yorker Außenministerkonferenz vollinhaltlich einverstanden ist.
Der Bundeskanzler hat eingangs seiner Rede mit einer Aufzählung angeblicher Aggressionsakte der Sowjetunion auch den Beweis für die Notwendigkeit dieser, wie er sagt, Abwehrfront gegen den Osten erbringen wollen. Meine Damen und Herren, das deutsche Volk wird es wiederum verstehen: diese Argumentation ist 'durchaus nicht originell und keinesfalls neu. Es gab vor nicht allzu langer Zeit schon einmal eine ähnliche Argumentation von solchen Politikern, deren Sprößlinge heute hier wieder zum Verderben 'des ganzen deutschen Volkes sprechen dürfen.
Die Tatsachen sind derart, daß die Völker in den Ländern, denen durch die Befreiungskämpfe der Roten Armee ihre nationale Selbständigkeit,
ihre nationale Kultur gerettet wurde,
heute ein Faktor in der Weltpolitik sind, an dem auch der Herr Bundeskanzler keinesfalls vorübergehen kann, er hat das mit seiner „Argumentation" gegen die Beschlüsse der Außenminister von Prag bewiesen. Die Abwehrfront, die Herr Dr. Adenauer hier in Westdeutschland mit Hilfe der amerikanischen Feinde des deutschen Volkes errichten will,
soll der Verteidigung der abendländischen Kultur dienen. Das deutsche Volk hat in den letzten Monaten durch die amerikanischen Imperialisten auf dem Kriegsschauplatz in Korea deutliche Beweise, abschreckende Beweise für die Wirksamkeit dieser abendländischen Kultur erhalten. Die amerikanischen Bomben machen keinen Unterschied zwischen den Nord- und Südkoreanern.
Sie fallen unbarmherzig auf ein Volk, das nichts anderes als die Freiheit will.
Dieses Freiheitsstreben des koreanischen Volkes war der Hauptanlaß dafür, daß die amerikanischen Imperialisten unter der Flagge der UN dort ihren Aggressionskrieg führen, wobei es darum geht, eine günstige Absprungbasis für einen weiteren
Aggressionsakt gegen die Sowjetunion und gegen die Volksrepublik China zu bekommen.
Meine Damen und Herren! Sie können dem deutschen Volk keinerlei Aussichten mehr auf eine Entwicklung zum Guten eröffnen, die man ihm unter dem Deckmantel des Schlagworts von der „Verteidigung der abendländischen Kultur" vorgaukelt. Das deutsche Volk hat den amerikanischen Imperialismus in Aktion erkannt, in Aktion auf westdeutschem Boden und in Aktion in Korea und an anderen Punkten der Erde. Das Ziel des amerikanischen Imperialismus lautet statt „Amerika den Amerikanern" einfach und brutal: „den Amerikanern die ganze Welt"!
Der amerikanische Imperialismus versucht heute, sich in anderen Ländern Rohstoffquellen zunutze zu machen, und die amerikanischen Imperialisten sehen in den westdeutschen Menschen sozusagen hr „Infanterievorkommen" für die Kriege, die sie von Deutschland aus gegen den fortschrittlichen Osten zu führen gedenken.
Dies ist auch der Geist, der aus den Maßnahmen der Tagung der Außenminister in New York spricht.
Die kürzlich gefaßten Beschlüsse der Außenminister der USA, Großbritanniens und Frankreichs in New York über die Aufstellung einer westdeutschen Söldnerarmee und die Wiederaufrüstung Westdeutschlands haben nicht nur tief in die Lebensfragen des deutschen Volkes, sondern in die Lebensfragen aller Völker Europas und der Welt eingegriffen. Diese Beschlüsse gefährden in Wirklichkeit den Frieden und müssen daher vom deutschen Volk richtig bewertet werden. Die bedeutendste Frage, die auf der New-Yorker Konferenz der imperialistischen Staaten behandelt wurde, betraf die Wiederaufrüstung und die Schaffung einer deutschen Armee, also die heute diskutierte Frage der Remilitarisierung. Die Außenminister der drei Mächte einigten sich, über die in Westdeutschland ereits bestehenden Polizeikräfte hinaus die Aufstellung mobiler Polizeikräfte zu genehmigen. Darüber hinaus wurde die Möglichkeit einer 'deutschen Beteiligung an einer „internationalen Streitmacht" erörtert, d. h. faktisch die Aufstellung einer deutschen Armee. Mit dem fadenscheinigen Argument einer angeblichen Bedrohung durch die Volkspolizei wurden bereits mehr als 450 000 Mann in Militärformationen der westlichen Interventionsarmeen und in den Polizeieinheiten zur Niederhaltung der westdeutschen Werktätigen für die Interessen der amerikanischen Imperialisten zusammengefaßt.
Dr. Adenauer hat heute von dieser Stelle erklärt, bisher hätten die Westmächte noch keinen deutschen Beitrag zu einer sogenannten Verteidigung des Westens gefordert. Dies stimmt mit den Tatsachen nicht überein. Der aus der Bonner Regierung zurückgetretene Innenminister Heinemann hat in der „Stuttgarter Zeitung" vom 19. Oktober 1950 die Gründe seines Rücktritts klargelegt und ist dabei auch auf den Anteil der Bonner Regierung unter Adenauers Führung an der Remilitarisierung zu sprechen gekommen. Adenauer hatte am 18. August in der „New York Times" in einem Interview von der Notwendigkeit starker deutscher
Verteidigungskräfte gesprochen. Während dieser Zeit wurde aber unter maßgeblicher Beteiligung ehemaliger Nazi-Generale das sogenannte Sicherheitsmemorandum ausgearbeitet, das auch heute schon eine Rolle spielte. Wie Heinemann weiter mitteilte, wurde dieses sogenannte Sicherheitsmemorandum am 29. August durch Adenauer der Hohen Kommission übergeben, damit es noch auf der New Yorker Außenministerkonferenz rechtzeitig beraten werden konnte. Hier zeigt sich, in welch hohem Maße führende westdeutsche Politiker den amerikanischen Interessen an der Aufstellung deutscher Söldnertrupp en hervorragende Hilfestellung leisten.
Entspricht dies nun den Interessen des deutschen Volkes? Ich denke, dies entspricht keinesfalls den Interessen des deutschen Volkes.
Jeder Deutsche wird sagen, dies entspricht nicht den Interessen des deutschen Volkes, sondern richtet sich vielmehr gegen die ureigensten Interessen des deutschen Volkes. Denn das deutsche Volk will den Frieden und nichts als den Frieden.
Es besteht kein Zweifel, daß die Adenauer-Regierung den Amerikanern bei ihren Maßnahmen zur Aufstellung einer deutschen Söldnerarmee hervorragende Hilfestellung geleistet hat. Die New Yorker Beschlüsse über die Aufstellung einer deutschen Söldnerarmee gefährden somit den Frieden Deutschlands und den Frieden der Welt. Sie stehen auch im Widerspruch zu den Friedenswünschen des ganzen deutschen Volkes, das sich täglich auf alle erdenkliche Weise gegen die Remilitarisierung wendet. Ich erinnere hier an die vielen Resolutionen, ich erinnere an die Abstimmungen in den Betrieben und Orten, ich erinnere an die Befragungen der einzelnen Presseorgane, ich erinnere an die Tausende und. aber Tausende von Einsendungen einfacher deutscher Menschen, die nichts anderes als den Frieden wollen und sich gegen die Remilitarisierung wenden, wie sie von den Amerikanern von Bonn aus betrieben wird.
Im übrigen wurde im Kommuniqué von New York erklärt, daß die früheren Beschlüsse über die verbotenen Zweige der deutschen Wirtschaft überprüft werden sollen, wobei künftig keine Einschränkungen in bezug auf die Unzulässigkeit der Wiedererstellung der deutschen Kriegsindustrie gemacht werden sollen. Auch dieser Passus in den Beschlüssen der drei imperialistischen Außenminister bedarf hier in diesem Hause einer eingehenden Deutung.
Der Herr Bundeskanzler hat es sich versagt, zu dem Inhalt des New Yorker Kommuniqués zu sprechen. Es besteht darum die Pflicht, unsererseits einiges hierzu zu sagen. Nach diesen Bestimmungen bleibt die Stahlerzeugung für den Friedensbedarf weiterhin beschränkt, dagegen soll der Anteil der Stahlproduktion für die Rüstung wachsen. Der Hohe Britische Kommissar in Westdeutschland, Sir Kirkpatrick, hat die Eingliederung der westdeutschen Wirtschaft in die Aufrüstungspläne der amerikanischen Imperialisten in einer Pressekonferenz in Bonn am 27. September 1950 unumwunden zugegeben. Gestatten Sie mir, daß ich wegen der großen Bedeutung der Erklärung des
britischen Hochkommissars aus seinen Äußerungen zitiere. Auf Fragen deutscher und ausländischer Korrespondenten über die Höhe der westdeutschen Stahlkapazität erklärte er:
Im Augenblick dürfen sie
— d. h. die westdeutschen Stahlherren —
nicht ihre Kapazität erhöhen, aber innerhalb
der bestehenden Kapazität besteht ein großer
Spielraum zur Erhöhung ihrer Produktion. Es
handelt sich dabei um Millionen von Tonnen. Der britische Hochkommissar sprach dann auch offen aus, zu welchem Zweck dieser grobe Spielraum in der Stahlproduktion gewährt wurde. Auf die Quote von 11,1 Millionen Tonnen, die Westdeutschland nach einem früheren Abkommen zugebilligt wurde, soll solcher Stahl nicht angerechnet werden, der exportiert oder sonstwie für Zwecke der Verteidigung verwendet wird. Stahl für den Bau von Kasernen für die neuen Truppen, die nach Westdeutschland geschickt werden, und diejenigen Exporte, die für die westdeutsche Verteidigung bestimmt sind, sollen nicht auf die Kapazität von 11,1 Millionen Tonnen angerechnet werden. Es handelt sich also offensichtlich um eine Regelung zur Stärkung des amerikanischen Rüstungspotentials zur Vorbereitung des dritten Weltkrieges.
Diese Anweisung der Hohen Kommission zur Durchführung der Rüstungsproduktion hat bereits zu zahlreichen Betriebsumstellungen auf Rüstungsproduktion in Westdeutschland geführt. Seit Ausbruch des amerikanischen Krieges in Korea äußert sich diese Kriegspolitik der Amerikaner in der westdeutschen Wirtschaft in dem steigenden Anteil der Stahlindustrie an der Ausfuhr. Die Auftragseingänge für Walzwerkerzeugnisse stiegen von 675 000 Tonnen im April auf 1,6 Millionen Tonnen im August 1950. War das Ausland im April mit 150 000 Tonnen beteiligt, so stieg der Anteil im Juli auf 443 000 Tonnen. Diese wenigen Zahlen zeigen, in welchem Tempo die amerikanischen Kriegstreiber die in der Zwangsjacke des Marshall-plans steckende westdeutsche Wirtschaft, die durch Ruhr- und Besatzungsstatut geknebelt ist, in die internationalen Rüstungspläne einzubeziehen. Die rücksichtslose Eingliederung der westdeutschen Wirtschaft in die Rüstungspläne der Amerikaner zeigt auch schon ihre erste Auswirkung. Sie zeigt sich in der Verteuerung der Lebensmittel und Bedarfsgüter, in der Verknappung der Rohstoffe für die Friedenswirtschaft, besonders in der Verbrauchsgüterindustrie und in der Bauwirtschaft.
Ein Sprecher der amerikanischen Hohen Kommission hat nun am 2. November das Maß voll gemacht, indem er in zynischer Weise über die von den imperialistischen Mächten erwarteten Kostenbeiträge des deutschen Volkes für die sogenannte Verteidigung Europas sprach. Der amerikanische Sprecher hatte dabei folgende unmißverständliche Forderungen an die Bonner Wirtschaftspolitik gestellt: Erstens: Westdeutschland soll wie die anderen Länder bis 10 % und mehr seines mit rund 100 Milliarden DM veranschlagten Sozialprodukts für die Verteidigung der imperalistischen Interessen der Vereinigten Staaten aufbringen, wobei es gleichgültig ist, ob man diese Ausgaben „Besatzungs-" oder „Schutz-" oder „Verteidigungskosten" nennt; zweitens: diese Mittel soll Westdeutschland nicht allein aus Steuern, sondern auch aus sogenannten innerdeutschen Anleihen aufbringen, und ferner wies der amerikanische Sprecher darauf hin, daß drittens die Bundesrepublik nun damit beginnen müsse, ihre Auslands-
schulden zu bezahlen. Ganz beiläufig machte dieser Sprecher amerikanischer Interessen in Westdeutschland noch die hohnvolle Bemerkung für alle Arbeiter, Angestellten, Mittelständler und Fabrikanten, die Steuern in Deutschland seien nach amerikanischer Ansicht nicht zu hoch.
Eine weitere Bemerkung des amerikanischen Sprechers der Hohen Kommission wird dabei von vielen westdeutschen Politikern ganz bewußt schamhaft verschwiegen. Die grobe nordwestdeutsche Zeitung „Die Welt", ein Organ, das der britischen Militarregierung nahesteht, brachte in der Ausgabe vom 3. November diese Äußerung in einer vorsichtigen Umschreibung. Diese Außerung lautet folgendermaßen:
Amerikanische Kreise weisen darauf hin, daß der Wunsch nach Verstärkung alliierter Truppen in Deutschland von deutscher Seite ausgegangen sei. Wer mehr haben wolle, müsse auch mehr zahlen.
Leider ist es Tatsache, daß westdeutsche Politiker, wie der ehemalige Innenminister der Regierung nachwies, sich dafür einsetzten, daß amerikanische englische und französische Truppenverstärkungen nach Westdeutschland kommen sollen.
Dr. Adenauer und Dr. Schumacher haben beide mit fast den gleichen Worten eine Verstärkung der Besatzungstruppen gefordert. Und Dr. Schumacher war es, der den Amerikanern sogar den Vorschlag machte, amerikanische Soldaten nicht in Texas, sondern in der Lüneburger Heide und in Grafenwöhr auszubilden. Dies führte ferner zur Ankündigung von 14 neuen Divisionen, die in Westdeutschland kaserniert werden sollen. Uns kann es daher auch nicht überraschen, daß Herr Dr. Schumacher trotz seiner sehr langen Rede heute in Wirklichkeit keinerlei prinzipielle Meinungsverschiedenheiten mit der Adenauer - Regierung in der Frage der Wiederbewaffnung zum Ausdruck brachte.
Selbst seine Bemerkungen zur Pleven-Regierung, selbst die Bemerkungen zum Schuman-Plan können nicht darüber hinwegtäuschen, daß er in Wirklichkeit genau wie Dr. Adenauer und eine kleine Clique anderer Politiker und Wirtschaftler darauf hinstrebt, gemeinsam mit den Amerikanern die amerikanischen Interessen nicht nur in Deutschland, sondern über die Grenzen Deutschlands hinaus zu verteidigen.
Er war es, der in seiner Stuttgarter Rede davon sprach, wir müßten wieder Gewehre tragen; er war es schließlich, der davon sprach, daß man die Verteidigung an der Weichsel und am Njemen vornehmen müsse.
Sie sehen, meine Damen und Herren, welch großer Bedrohung unser deutsches Volk durch
diese Politik von Bonn ausgesetzt wird. Sie sehen, daß keine großen Unterschiede bei den leitenden Politikern Westdeutschlands bestehen, weil sie alle darauf abgerichtet sind, mit den Amerikanern gemeinsam — gegen die deutschen Interessen —die deutsche Jugend auf die neuen Schlachtfelder zu führen.
Meine Damen und Herren! Wir sind uns darüber im klaren, daß diese Pläne nicht so ohne weiteres durchgeführt werden können. Herr Dr. Schumacher hat schon davon gesprochen, daß sich in der Arbeiterschaft und in den übrigen Schichten der Werktätigen eine breite Bewegung gegen die Remilitarisierung, für die Schaffung einer starken Aktionseinheit für Frieden, Freiheit und soziale Interessen anbahnt. Diese starke Aktionseinheit wird auch alle jene Bestrebungen auf Wiederbewaffnung, Remilitarisierung und alle Bestrebungen der amerikanischen Imperialisten auf westdeutschem Boden zunichte machen.
Unser deutsches Volk kann es sich heute schon ausrechnen, was es faktisch bedeutet, wenn 14 weitere Divisionen in unser friedliebendes Land einbrechen und wenn sie nach den Wünschen von Dr. Adenauer und Dr. Schumacher die abendländische Kultur verteidigen sollen. Die 10 %, die Westdeutschland vom Sozialprodukt für ,die Verteidigung Amerikas auf westdeutschem Boden aufbringen soll, machen die runde Summe von 10 Milliarden DM aus. Hinzu kommen schließlich noch weitere Milliarden D-Mark für ,den Aufbau ,der deutschen Polizei und einer deutschen Söldnerarmee.
Die Aufbringung dieser Mittel aus Steuern oder aus innerdeutschen Anleihen, das heißt aus solchen Anleihen, die bisher den kleinen Leuten, den Geschäftsleuten, nicht gewährt wurden, bedeutet faktisch die Stillegung des sozialen Wohnungsbaues, die Erhöhung des sogenannten Notopfers Berlin um ein Viertel, Erhöhung der Benzinpreise, Autobahnsteuer, Steigerung der Frachtkosten um 20 %, Erhöhung ,der Personentarife und der Tarife der Arbeiterrückfahrt- und Wochenkarten usw. um 15
bis 20 %, Erhöhung der Umsatzsteuer von 3 auf 3,5 %. Allein die Erhöhung ,der Umsatzsteuer würde eine erneute Belastung der Verbraucher bis zu 600 und 700 Millionen DM bedeuten.
Das also sind heute schon die sichtbaren Kosten des amerikanischen Krieges. Das sind
faktisch die Kosten der Remilitarisierung und der Umstellung ,der westdeutschen Wirtschaft auf Rüstungsproduktion, und das alles, meine Damen und Herren, unter der alten Devise: Kanonen statt Butter! Schließlich müssen wir für die Verteidigung der amerikanischen Interessen auf westdeutschem Boden noch die Auslandsschulden bezahlen, die sich, wie die Westberliner Zeitung „Der Tag" mitteilt, per ultimo im August 1950 auf etwa 50 Milliarden beliefen. Fürwahr, alles in allem eine traurige Bilanz der gegenwärtigen Lage in Westdeutschland, eine traurige Bilanz der amerikanischen Politik der Remilitarisierung und Unterjochung auf westdeutschem Boden.
Aus ,dieser Lage, meine Damen und Herren, suchen nun die deutschen Menschen, besonders die deutsche Jugend, einen Ausweg, und zwar einen Ausweg in Frieden und in Ehre. In meinen Darlegungen über die Beschlüsse von New York gab ich eine Übersicht über die bereits sichtbaren Auswirkungen der Kriegsmaßnahmen. Es zeigt sich, daß sie eine brutale Mißachtung der Interessen des deutschen Volkes bedeuten. Dagegen unterstützen die von den acht Außenministern in Prag gefaßten Beschlüsse den Friedenswillen des deutschen Volkes
und stellen einen bedeutungsvollen konstruktiven Beitrag zur baldigen Verwirklichung der Einheit Deutschlands und damit zur Sicherung des Friedens in Europa ;dar. Ich möchte sagen, dieses Dokument von Prag ist das wichtigste politische Dokument zur deutschen Lage seit 1945.
Die Prager Konferenz zeigt die Lösung des deutschen Problems, und 'zwar die friedliche Lösung. In New York gab es keinerlei Lösung für Deutschland. Das Besatzungsstatut bleibt, und obwohl eine angebliche Beendigung des Kriegszustandes versprochen wurde, bekommt das deutsche Volk keinen Friedensvertrag und auch nicht die Zusicherung des Abzugs der Besatzungstruppen.
Besonders wichtig, ich möchte sagen lebensnotwendig für unser Volk sind die vier Punkte der Schlußfolgerung in der Prager Erklärung. Sie fordert im ersten Punkt die Abgabe einer Erklärung der Regierungen der USA, Englands, Frankreichs und der Sowjetunion, 'daß sie die Remilitarisierung Deutschlands nicht zulassen und konsequent 'die Potsdamer Beschlüsse zur Sicherung der Bedingungen über die Herstellung eines einheitlichen, friedliebenden, demokratischen Ideutschen Staates aufrechterhalten.
Wer 'diesen Passus der Schlußfolgerung von Prag richtig würdigt, muß zu der Erkenntnis kommen, daß die ganze Lage heute eine andere wäre, daß die ganze Entwicklung der letzten Jahre anders verlaufen wäre, wenn sich die Westmächte an die Verpflichtungen von Potsdam gehalten hätten, die sie durch Unterzeichnung der Potsdamer Beschlüsse auch feierlich übernommen haben.
Es kann also keinen Zweifel darüber geben, daß eine solche Erklärung aller vier Regierungen den Interessen des gesamten deutschen Volkes in all seinen Schichten entspricht.
Meine Damen und Herren, gestatten Sie mir nun, daß ich im Namen der Fraktion der Kommunistischen Partei und auch im Namen meines Fraktionskollegen Max Reimann, der wegen der Verfolgungen seitens der imperialistischen Besatzungsmächte seine verfassungmäßigen Rechte in diesem Hause nicht mehr wahrnehmen kann,
eine Erklärung zu ,der heutigen Debatte abgebe.
Herr Abgeordneter Rische, Sie irren sich. Der Abgeordnete Reimann kann in dieses Haus kommen, wenn er will.
Ich möchte Sie beinahe beim Wort nehmen, Herr Präsident!
„Die separaten Beschlüsse der New-Yorker Außenministerkonferenz der drei Westmächte vom 19. September 1950 bedeuten eine tödliche Gefahr für das Leben und für den Frieden des deutschen Volkes.
Diese Beschlüsse sind ein entscheidender Schritt auf dem Wege zur Auslösung des amerikanischen Angriffskrieges, der sich gegen die Sowjetunion, gegen die Länder der Volksdemokratien und die Deutsche Demokratische Republik richtet.
Die New-Yorker Beschlüsse stellen ein einseitiges Diktat dar, das jeglicher Rechtsgrundlage entbehrt und den internationalen Verträgen, insbesondere dem Potsdamer Abkommen, widerspricht. Die Beschlüsse der New-Yorker Außenministerkonferenz stehen in tiefstem Widerspruch zu den Interessen des deutschen Volkes, das sich nach Frieden und nationaler Einheit sehnt. Noch leidet unser Volk auf das schwerste unter den Folgen des vergangenen Krieges. Millionen Tote, Kriegsversehrte, Witwen und Waisen
mahnen unser Volk zum Frieden. Zerstörte Städte und Betriebe sind eine Anklage
gegen alle, die unser Volk in ein neues, noch größeres Unglück stürzen wollen. Unter Bruch der gemeinsam eingegangenen Verpflichtungen von Potsdam, die die Errichtung eines einigen, friedlichen, demokratischen Deutschlands vorsehen, verweigern die New-Yorker Beschlüsse fünf Jahre nach Kriegsende Deutschland einen Friedensvertrag und die Wiederherstellung seiner nationalen Einheit.
Die Westmächte beschlossen in New York die Verstärkung der Besatzungstruppen, den Aufbau einer westdeutschen Söldnerarmee und die Nutzbarmachung der westdeutschen Wirtschaft für die Kriegsproduktion des Atlantikblocks. Unter der heuchlerischen Losung einer angeblichen Beendigung des Kriegszustandes mit Westdeutschland werden das Besatzungsstatut und Ruhrstatut aufrechterhalten und dem deutschen Volk das elementare Recht auf Selbstbestimmung verweigert. Darüber hinaus erhöht der Beschluß der New-Yorker Außenministerkonferenz auf Anerkennung der Vorkriegsschulden die koloniale Abhängigkeit Westdeutschlands.
Das deutsche Volk lehnt entschieden eine neue Remilitarisierung ab.
Das trifft auch zu auf den Beschluß über die Aufstellung „mobiler Polizeikräfte" in Westdeutschland, die gleichfalls unter dem höchsten Kommando
ausländischer imperialistischer Generale stehen
und nichts anderes darstellen als den Kern einer
zu bildenden westdeutschen Söldnerarmee. Die
deutsche Beteiligung an einer sogenannten internationalen Streitmacht mutet Millionen junger
Deutscher das erbärmliche Schicksal von Söldnern
zu, die ihr Leben und Blut für ausländische Monopolherren und Kanonenkönige opfern sollen.
Schon jetzt sind die Folgen der New-Yorker
Außenministerkonferenz deutlich für die westdeutsche Bevölkerung spürbar. Die faschistischen
Hauptkriegsverbrecher vertauschen ihre Gefängniszellen mit wohlbezahlten Posten in Dienststellen
der Besatzungsarmeen, in Wirtschaft und Verwaltung. Die Kosten für die neuen ausländischen Besatzungsdivisionen, für den Bau von Kasernen, Flugplätzen und anderen militärischen Anlagen bezahlt die Bevölkerung mit erhöhten Steuern und Preisen, mit Exmittierung und Obdachlosigkeit. Statt Lastenausgleich für die Betroffenen des vergangenen Krieges erhöhte Lasten für die Vorbereitung des neuen Krieges!
Im Zuge der Kriegsvorbereitungen auf dem Boden Westdeutschlands werden die demokratischen Rechte mißachtet. Die Verfolgungsmaßnahmen gegen die Kommunisten leiteten die Verfolgung aller demokratischen und friedliebenden Menschen in Westdeutschland ein.
Im Bewußtsein ihrer Verantwortung vor dem deutschen Volk erklärt die Bundestagsfraktion der Kommunistischen Partei Deutschlands, daß sie die ungesetzlichen New-Yorker Separatbeschlüsse nicht anerkennt; daß sie niemals einer Politik auf der Grundlage der New-Yorker Beschlüsse zustimmen wird, da die Durchführung dieser Beschlüsse einen neuen, grauenvollen Krieg heraufbeschwören muß und idas Leben unseres Volkes auf das schwerste bedroht.
Angesichts der erhöhten Kriegsgefahr, wie sie durch die New-Yorker Beschlüsse geschaffen wurde, ist die Erklärung der Außenminister der Sowjetunion, Albaniens, Bulgariens, der Tschechoslowakei, Polens, Rumäniens, Ungarns und der Deutschen Demokratischen Republik
von größter Bedeutung für die Zukunft des deutschen Volkes. Die Prager Erklärung vom 21. Oktober 1950 gibt dem ganzen deutschen Volke die Möglichkeit zu einem eigenen, selbständigen Handeln. In dieser Erklärung wird dem deutschen Volk der Weg geebnet für die friedliche Wiedervereinigung von West- und Ostdeutschland, auf der Grundlage eines einheitlichen, unabhängigen Staates mit einer gesamtdeutschen Regierung.
Die Prager Außenministerkonferenz unterbreitet dem deutschen Volk vier Vorschläge, die ein überzeugender Beweis des unbeirrbaren Friedenswillens der Sowjetunion, der Volksdemokratien und der Deutschen Demokratischen Republik sind. Die Verwirklichung dieser Vorschläge ist die einzige Möglichkeit, den Frieden in Europa zu erhalten und dem deutschen Volke seine Zukunft als unabhängige Nation zu sichern.
Die Feinde des Friedens, die Feinde des deutschen Volkes haben ein Interesse daran, die vier Vorschläge der Prager Außenministerkonferenz totzuschweigen oder sie zu entstellen. Um so mehr ist jeder ehrliche, sein Vaterland liebende Deutsche,
ungeachtet seines religiösen Bekenntnisses, seiner Weltanschauung, seiner sozialen Stellung und seiner Parteizugehörigkeit verpflichtet, sich mit den Prager Beschlüssen auseinanderzusetzen und zu ihnen Stellung zu nehmen.
Wir sind sicher, daß jeder ehrliche Deutsche, der die Prager Beschlüsse ernsthaft prüft,
sie begrüßen wird, da sie das Deutschlandproblem auf friedliche Weise lösen und somit den größten Gefahrenherd in Europa beseitigen.
Im Geiste des Potsdamer Abkommens,
das von den Großmächten unterzeichnet wurde, machten die Außenminister in Prag den Vorschlag zur Bildung eines gesamtdeutschen konstituierenden Rates unter paritätischer Zusammensetzung aus Vertretern Ost- und Westdeutschlands,
der die Bildung einer gesamtdeutschen, souveränen, demokratischen und friedliebenden provisorischen Regierung vorzubereiten hat. Die provisorische Regierung der Deutschen Demokratischen Republik hat sich bereits für diesen Vorschlag ausgesprochen
und durch den stellvertretenden Ministerpräsidenten der Deutschen Demokratischen Republik Walter Ulbricht erklärt,
daß sie bereit ist, ohne Vorbehalte mit Vertretern Westdeutschlands in Beratungen einzutreten, wobei von beiden Seiten im Interesse der Verständigung eine Kompromißbereitschaft vorhanden sein müßte.
Diese Haltung der Regierung der Deutschen Demokratischen Republik
entspricht in vollem Umfange den Forderungen
des deutschen Volkes nach einer friedlichen Lösung
seiner Lebensfragen.
Das deutsche Volk fordert mit vollem Recht, daß seine Vertreter im öffentlichen Leben den durch. die Prager Erklärung aufgezeigten Weg der Verständigung beschreiten und sofort alle erforderlichen Maßnahmen einleiten, um zur unverzüglichen Aufnahme von Verhandlungen zu kommen. Es fordert, daß die Vertreter von Ost- und Westdeutschland sich endlich an einen Tisch setzen, um die tödliche Gefahr, die über unserer Heimat schwebt, abzuwenden und dem deutschen Volk den Frieden zu erhalten.
Die sofortige Aufnahme von Verhandlungen zwischen Vertretern Ost- und Westdeutschlands ist um so notwendiger, als auch im internationalen Maßstabe bereits Schritte eingeleitet wurden, um eine Verständigung der vier Großmächte auf der Grundlage dieser Friedensvorschläge zu erzielen.
Jeder verantwortungsbewußte Deutsche muß sich entscheiden und für den einfachen, gangbaren Weg der Erhaltung des Friedens und der Wiedervereinigung Deutschlands, den die Prager Beschlüsse eröffnen, eintreten."
Meine Damen und Herren! Es hat sich noch der Abgeordnete Leuchtgens zum Wort gemeldet, obwohl die Redezeit seiner Gruppe verbraucht ist. Er hat mich gebeten, ihm das Wort zu erteilen, da er einen anderen Standpunkt zu vertreten wünsche als den von seinem Gruppenkollegen von Thadden vorgetragenen.
Herr Kunze hat mir gesagt, daß die Fraktion der CDU bereit sei, von ihrer Zeit einige Minuten abzugeben.
Ich schlage nun vor, daß Sie in Abweichung von dem zu Beginn gefaßten Beschluß mich autorisieren, dem Abgeordneten Leuchtgens das Wort zu erteilen, für 10 Minuten.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Meine Damen und Herren! Vielleicht wundert es Sie, daß ich auf merkwürdige Weise hier zu Worte komme.
Aber immerhin ist es doch im Zeitalter der Persönlichkeitsbetonung nicht ganz ohne Interesse, auch mal losgelöst von der Fraktion etwas sagen zu dürfen.
Das Entscheidende bleibt, daß ich mit der Deutschen Reichspartei, zu der ich zur Zeit gehöre,
in diesem Punkt nicht einverstanden bin und deshalb das Wort ergreife, weil ich es meinen Wählern
und auch meiner politischen Weltanschauung schuldig bin, hier einen Standpunkt klarzulegen, der in
weiten Kreisen des deutschen Volkes geteilt wird.
Ich tue das um so lieber, als ich nicht zu den Regierungsparteien gehöre und deshalb nicht in den Verdacht komme, etwas zu sagen, weil ich zu der Regierung gehöre. Vielleicht ist deshalb auch meine Auffassung etwas wertvoller als die der Stellen, die sich auf diese Zusammengehörigkeit berufen werden.
Nun, meine Damen und Herren, möchte ich von vornherein sagen, daß ich der Debatte von heute sehr aufmerksam gefolgt bin und häufig in Versuchung war, dazwischenzurufen: Gehört das zum Thema? Denn das ist ja doch schließlich die Hauptfrage in einer parlamentarischen Diskussion, daß man ein bestimmtes Thema verfolgt und zu diesem Thema spricht. Ich habe die Überzeugung, daß von einer Menge von Dingen gesprochen worden ist, die nicht zum Thema gehören, die sich lediglich aus dem Bedürfnis herausgestellt haben, irgendwie ein Ressentiment loszuwerden oder einen klassenkämpferischen Standpunkt darzustellen
oder aber sogar mit historischen Reminiszenzen zu prunken oder so etwas. Aber mag das nun sein, — —
— Ich weiß gar nicht, warum Sie dagegen sprechen. Fühlen Sie sich denn getroffen?
— Na also, lassen Sie mich doch ruhig reden.
Das Entscheidende bleibt also nun, die Dinge wieder zum Thema zurückzuführen.
Da stelle ich zunächst mal fest, daß es sich hier nicht darum dreht, einen neuen Krieg zu inszenieren, sondern wir sind uns ja wohl hier im Bundestag darüber einig, daß wir auf alle Fälle den Frieden erhalten wollen und daß alle Maßnahmen von diesem Gesichtspunkte aus geleitet werden müssen.
Nun stellen wir uns die Situation vor: Wir sind vom Osten angegriffen. Der Osten bedroht uns nach jeder Richtung hin.
Ich versage es mir, diese Behauptung im einzelnen zu begründen; denn sie ist so oft begründet worden, daß sie beinahe zu einem Gemeinplatz geworden ist. Unsere Freiheit ist vom Osten bedroht, und der Frieden ist ebenso vom Osten bedroht.
Und wenn wir jetzt hören, daß die Absicht besteht, ein europäisches Heer aufzustellen, das unter Umständen einen von Rußland ausgehenden Krieg zu verhindern in der Lage ist, dann müssen wir diese Bestrebung in jeder Weise unterstützen.
Wir müssen dafür sorgen, daß dieses Heer, das ja im wesentlichen von Amerikanern, Kanadiern, Franzosen und Engländern usw. aufgestellt wird, so stark ist, daß die Russen jede Angriffslust verlieren. Wenn dieses europäische Heer aufgestellt wird — ich muß schon sagen: Gott sei Dank, daß es aufgestellt wird —, dann müssen wir von Westdeutschland unseren Beitrag dazu leisten. Das ist eine ganz einfache Forderung der nationalen Selbständigkeit und des nationalen Freiheitsgefühls.
Meine Damen und Herren! Wir dürfen doch wirklich nicht in die Rolle verfallen, daß wir sagen: Die jungen Amerikaner und Engländer sollen uns von den Russen befreien, und unsere jungen Leute stellen sich dabei hin und rauchen eine Zigarette. Das geht doch nun mit dem besten Willen nicht.
Also wir müssen auf alle Fälle unseren Beitrag zu der Befreiung Europas stellen, wenn ein großes schlagkräftiges Heer aufgestellt wird, das die Russen von einem Angriff abhält. Das ist für einen nationaldenkenden Mann — und ich nehme an, daß außer den Kommunisten hier alle, die im Saale sind, national denken — eine so große Selbstverständlichkeit, daß man eigentlich gar nicht mehr darüber zu sprechen braucht.
Wer die Freiheit liebt, wer sein Vaterland liebt und wer sein Volk liebt, der muß es auch gegen Bedrohungen verteidigen.
Er muß bei allen Bedrohungen dabei sein. Das nationale Gefühl muß uns eben entscheidend beeinflussen, diese Beteiligung an einem westeuropäischen Heer nicht abzulehnen.
Worum dreht es sich denn? — Es dreht sich doch in letzter Linie nicht bloß um unsere Freiheit und um unser Vaterland; es dreht sich auch um die gesamte abendländische Kultur, zu der wir gehören und für die wir dann unsere Zugehörigkeit auch in irgendeiner Form bekräftigen müssen. Daß diese Beteiligung an einem westeuropäischen Heer, wenn es zustande kommt — es ist ja noch nicht da, es wird ja erst beabsichtigt —, nur unter einem Gesichtspunkt selbstverständlich erfolgen kann, nämlich dem Gesichtspunkt der Gleichberechtigung unseres Heereseinsatzes mit den Heereseinsätzen aller anderen Staaten, versteht sich auch von selbst.
Aber ich habe heute im Laufe der Diskussion gelegentlich das Gefühl gehabt, als ob wir hier in einem Generalstab säßen und hier die kriegerischen Erörterungen nach taktischen und strategischen Gesichtspunkten pflegen wollten. So weit sind wir ja noch nicht.
Das Entscheidende ist ja doch die Tatsache, daß wir unter vollständiger Wahrung unserer Gleichberechtigung an diesem europäischen Heer teilnehmen. Das erfordert unser nationales Empfinden. Das ist nicht bloß ein Recht von uns, sondern das ist auch eine Pflicht von uns. Infolgedessen erkläre ich Ihnen auf Grund dieser meiner kurzen Darlegungen, daß ich mit den Ausführungen, die der Herr Bundeskanzler gemacht hat, von meinem Standpunkt aus vollständig einverstanden bin.
Ich glaube, daß doch auch dieses Bekenntnis, wenn es von mir als einem einzelnen kommt, seine Bedeutung hat.
Ich glaube auch, daß das, wenn ich es persönlich meine, wenn ich frei einer Sache zustimme, immerhin wertvoll ist.
Mögen Sie das nun jetzt als Überheblichkeit nehmen oder nicht,
ich betrachte es als den Ausfluß einer Persönlichkeit und als den Ausfluß einer Auffassung, die jeder einzelne hier haben sollte.
Ich habe nur bedauert, daß der Herr Bundeskanzler die Resolution, die die Regierung gefaßt hat, hier nicht zur Abstimmung gestellt hat. Ich habe ihm das auch ausdrücklich gesagt. Ich weiß nun nicht, ob es geschieht. Jedenfalls würde ich unbedingt dafür eintreten, daß diese Resolution in vollem Umfang angenommen wird.
Das Wort hat der err Abgeordnete Clausen.
Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir einige Worte zu diesem für das deutsche Volk und für die europäischen Völker so schwerwiegendem Problem! Auch ich fühle mich verflichtet, von dieser Stelle aus der Meinung meiner Wähler und Wählerinnen Ausdruck zu geben. Ich will das mit kurzen Worten tun.
Niemand von uns hätte geglaubt, daß fünf Jahre nach Beendigung des zweiten blutigen Weltkrieges mit allen seinen grausamen Folgeerscheinungen das deutsche Volk vor die Frage gestellt werden würde, militärische Formationen aufzustellen. Schon wieder klingen von Politikern und Staatsmännern Worte an unser Ohr, daß weitere Divisionen eine Gewähr für den Frieden sein sollen. Und doch hat schon ein Wilhelm II. beim Stapellauf eines Schlachtschiffes gesagt, daß jedes Schlachtschiff, das den Stapel verläßt, eine Gewähr für den Frieden sei. Meine Damen und Herren, daran glaubt der einfache Mann im Volke nicht mehr. Der einfache Mann im Volke ist der Meinung, daß jede Aufrüstung Krieg bringt. Nur Abrüstung kann eine sichere Gewähr für den Frieden sein. Nach meiner Meinung sollte das die Lehre aus zwei Weltkriegen sein.
Die Befürworter der Aufrüstung haben ein schwerwiegendes Argument. Das ist die Frage der Sicherheit nach außen, und zwar gegen den Osten. Aber mir scheint: ebenso bedeutungsvoll müßte ein anderes Argument sein, nämlich die Sicherheit nach
Innen. Im Hinblick auf die Sicherheit nach innen erhebt sich die Frage: wird die Aufstellung von deutschen Divisionen die antidemokratischen Kräfte zum Überwiegen bringen? Das ist eine bedeutungsvolle Frage, vor der wir stehen. Wir müssen Sicherheit gegen jedes Aufkommen einer antidemokratischen Reaktion verlangen. Es darf sich nicht das wiederholen, was wir in der Weimarer Republik erlebt haben. Damals war die Reaktion doch zu einem großen Teil durch die Militärs verkörpert. Die guten Demokraten in der Zeit der Weimarer Republik haben niemals volles Vertrauen zu den Generälen des Hunderttausendmann-Heeres gehabt.
Unser Grenzland im Norden mit seinen drei Kulturen, der deutschen, der friesischen und der dänischen Kultur, ist stark daran interessiert, daß diese Kräfte nicht wieder die Oberhand gewinnen; denn unser Grenzland im Norden und •seine Bevölkerung können nur in einer wahren Demokratie leben.
Für meine Wähler und Wählerinnen aber ist noch eine zweite Tatsache in Erwägung zu ziehen. Die dänisch gesinnte Bevölkerung in Südschleswig hat in zwei Weltkriegen für eine Sache kämpfen müssen, die nicht die ihre war; denn ihr Herz gehörte und gehört einem anderen Volke und einem anderen Land. Sie hat aber ihre Söhne hergeben müssen und damit ihre fast überschwere staatsbürgerliche Pflicht erfüllt. Sie will diese Situation nicht ein drittes Mal erleben.
Aus diesem Grunde sehen wir mit großer Sorge der Entscheidung über die Frage der Remilitarisierung entgegen. Meines Erachtens ist ein klares Nein oder Ja erforderlich. Die Entscheidung soll aber, wie verlautet, nicht heute gefällt werden.
B) Zur gegebenen Zeit werde auch ich dieser Entscheidung nicht aus dem Wege gehen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Fröhlich.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Frage der Wiederbewaffnung der Bundesrepublik mit dem Ziel einer Verstärkung der Abwehrkraft der freiheitliebenden Nationen gegen den totalitären expansionslüsternen Bolschewismus berührt im besonderen jenen Teil des deutschen Volkes, der durch den letzten Krieg durch den Verlust von Heimat, Hab und Gut im Wartesaal der deutschen Bundesrepublik noch heute in einem unerhörten Elendszustand lebt. Diese Menschen wissen sehr wohl, daß für ihr Schicksal in ganz hohem Maße jene mitverantwortlich sind, die heute meinen, daß eine aussichtsreiche Verteidigung des restlichen Abendlandes ohne deutsche Mitwirkung nicht möglich erscheint. Die Ostvertriebenen vertreten deshab die Auffassung, daß es Sache der Atlantikmächte ist, den Hauptbeitrag zur Verteidigung der westlichen Welt zu leisten. Die Vorbedingung für einen deutschen Beitrag ist ein Friedensvertrag, nach dem die Bundesrepublik als gleichberechtigter Partner in den Kreis dieser Nationen aufgenommen wird. Der Friedensvertrag muß uns die uneingeschränkte Souveränität zurückgeben und alle bis in die jüngste Zeit fortgeführten Diskriminierungen jeglicher Art aufheben: Wir sind mit der Sozialdemokratischen Partei der Auffassung, daß in einem solchen Friedensvertrag das Problem der Saar einer Lösung zuzuführen ist, die den deutschen und den gesamteuropäischen Interessen Rechnung trägt.
Nur unter diesen Voraussetzungen würden deutsche Soldaten die Abwehrkraft der westlichen Welt gegen den Osten verstärken können. Denn der Kampfwert eines Soldaten wird in geringerem Maße bestimmt durch seine Bewaffnung und Ausrüstung, in besonderem Maße aber dadurch, ob hinter seinem Tun ein Idee steht, für die es den Einsatz des Lebens lohnt.
Es ist heute unmißverständlich ausgesprochen worden, daß nur ein lebenswertes Leben wert ist, verteidigt zu werden. Dieser Grundsatz gilt im besonderen für die Vertriebenen aus dem deutschen Osten. Sie müssen diese Frage verneinen, und sie lassen sich nicht zu einem „Mitmachen" dadurch begeistern, daß man die besseren Lebensbedingungen des Westens gegenüber denen des Ostens immer wieder hervorhebt. Sie sind vielmehr der Meinung, daß der beste „rocher de bronce" gegen die Bedrohung des Ostens soziale Sicherheit der ärmsten Schichten der Bevölkerung ist. Sie verneinen grundsätzlich nicht eine Mitbeteiligung der deutschen Bundesrepublik an der Verteidigung der westlichen Welt. Die Behebung des sozialen Notstandes muß aber die primäre Aufgabe jeder deutschen Regierung sein.
In keinem Falle darf die Wiederaufrüstung auf Kosten eines sozial gerechten Lastenausgleiches gehen. Die Kriegsfolgelasten der deutschen Bundesrepublik sind so ungeheuerlich, daß ein Beitrag in Höhe von 10 Milliarden jährlich, wie schon gefordert, das soziale und wirtschaftliche Gefüge zum völligen Zusammenbruch bringen muß. Nach unserer Auffasung sind nicht einmal die heute zu leistenden 4% Milliarden DM Besatzungskosten auf die Dauer aufrechtzuerhalten. In diesem Zusammenhang haben wir an die Alliierten den dringenden Appell zu richten, daß in Erkenntnis der drohenden Gefahr aus dem Osten die Besatzungskosten mit äußerster Sparsamkeit und n u r für Verteidigungszwecke verwendet werden mögen. Das Hiersein von Frauen und Kindern der Besatzungsarmee nimmt der deutschen Bevölkerung weder das Gefühl der Angst vor dem Bolschewismus, noch trägt es zur Verteidigung Westeuropas bei. Sie leben besser in ihrer weiter entfernten Heimat als im Brennpunkt des Abwehrraumes. Die deutsche Bevölkerung begrüßt jede alliierte Kräfteverstärkung. Frauen und Kinder möge man aber in der Heimat zurücklassen, denn allein schon das gewaltsame Freimachen von Wohnraum für Soldaten wird auf die Bevölkerung sehr unangenehme psychologische Auswirkungen haben.
Eine Remilitarisierung Deutschlands im Rahmen einer europäischen Streitmacht erscheint uns nur dann möglich, wenn sie mindestens durch 40 bis 50 alliierte Divisionen, die im europäischen Verteidigungsraum stationiert sein müssen, gesichert ist. Die Deutschen schweben heute nicht nur in der Angst vor einem Angriff aus dem Osten, sondern in der gleichen Angst, daß der Versuch einer deutschen Wiederbewaffnung ein Präventivunternehmen aus dem Osten zur Folge haben könnte, wenn nicht genügend Sicherungstruppen in der deutschen Bundesrepublik vorhanden sind.
Ich fasse zusammen. Für den Block der Heimatvertriebenen und Entrechteten ist ein Beitrag zur Verteidigung der westlichen Welt erst dann diskutabel, wenn wir durch einen Friedensvertrag gleichberechtigt in den Kreis der westlichen Nationen aufgenommen worden sind. Er muß unter dem Zeichen der Vergebung stehen. Durch starke alliierte Streitkräfte muß die deutschen Wiederbe-
waffnung gesichert werden. Erst unter diesen Voraussetzungen erscheint uns der Zeitpunkt für gegeben, über einen deutschen Beitrag an der Verteidigung Europas zu verhandeln.
'Vizepräsident Dr. Schmid: Das Wort hat Abgeordneter Dr. Schäfer.
Meine Damen und Herren! Ich glaube, niemand von uns ist glücklich darüber, daß wir heute in diesem Hause über diesen Gegenstand sprechen müssen. Denn als wir zusammengetreten sind, war doch in uns der Wunsch und der Wille vorherrschend, nun wieder mit der Neuordnung unseres staatlichen Lebens, mit der Regeneration unseres wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens zu beginnen und Werke friedlichen Wettbewerbs zu tun. Diese Wunschbilder genügen aber leider nicht, um den Notwendigkeiten der Gegenwart Rechnung zu tragen. Wir müssen unseren Mitbürgern zumuten, mit uns zu erkennen, daß wir umgeben sind von tausenderlei Wagnissen, daß wir existieren in einer friedlosen Welt. In solcher Wirklichkeit steht vor dem Verlangen nach dem friedlichen Aufbau unseres staatlichen Lebens und nach der Anreicherung unseres Lebens mit materiellen und geistigen Gütern immer wieder die Frage nach unserer Sicherheit. Wir stehen vor der Tatsache, daß wieder einmal das Rauschgift der Machtsucht Menschen und Völker ergriffen hat und politische Systeme beherrscht. Ein neuer Byzantinismus ist im Osten erwacht. Er bedroht die Freiheit der Welt und die rechtsstaatlichen Ordnungen, die in den Weltteilen bestehen, die noch nicht von dieser neuen byzantinischen Welle ergriffen sind. Wir haben mit der Tatsache zu rechnen, daß in weiten Kreisen dieses Herrschaftsbereichs, gruppiert um das sowjetische Gravitationszentrum, der Unterwerfungs- und Eroberungsdrang reger ist und gewaltiger wirkt als der Wille zu Frieden und Menschenrecht. So stehen wir, so weh es uns tun mag, vor dem Zwang, uns der Frage nach der Friedenssicherung zu stellen.
Ich glaube sagen zu müssen: die Bundesregierung hat recht getan, als se nach ihrem Zusammentritt, nachdem die ersten Schritte des neuen staatlichen Lebens getan waren, auch die Frage nach der Sicherung dieses neuen staatlichen Lebens in der Bundesrepublik aufgeworfen hat. Das ist nun allerdings die Schwierigkeit unserer heutigen Erörterung und ihre Mühsal, daß diese Frage nach der deutschen Sicherheit erst teilweise beantwortet ist. In keiner Weise sind die Voraussetzungen und Bedingungen geklärt, unter denen die Bundesrepublik Deutschland in die Lage versetzt ist, aus ihrem Notwehrrecht zur Friedenssicherung für sich bestimmte Folgerungen zu ziehen. Noch ist keine konkrete Form erkennbar für das, was tatsächlich möglich und was gesichert ist. Darum ist es auch so unendlich schwer, Maß und Form des deutschen Anteils an Anstrengungen Europas und der atlantischen Mächte auszudrücken. Darum ist es auch so unendlich leicht, die Fragwürdigkeit einer Entscheidung und einer Stellungnahme mit einer Fülle von theoretischen Ausführungen und Bedenken darzutun.
Ich möchte an den Anfang meiner Bemerkungen die Feststellung stellen, daß wir keine Feindschaft gegen irgendein Volk 'empfinden. Der einzige Beweggrund für alle unsere Überlegungen ' ist und
bleibt, unser friedliches Recht auf Einheit und E Freiheit unseres Volkes sicherzustellen.
Aber weil wir von dieser Grundhaltung ausgehen, müssen wir auf die Tatsachen jener östlichen Expansion schauen, deren Stufen und deren Tatbestände der Herr Bundeskanzler in seinen Ausführungen im einzelnen aufgezählt hat. Es wäre gut, wenn diese Aufzählung, diese Tatsachenreihe der Unterwerfung von Ländern und Völkern, Schritt um Schritt, Jahr um Jahr, recht lebendig in das Bewußtsein des deutschen Volkes träte, aber auch in das Bewußtsein aller Völker der Welt, die sich die freie Welt nennt. Von dieser Überlegung können uns auch die Leitsätze der Viererkonferenz nicht abbringen, die von dem Redner der Kommunistischen Partei hier so betont vertreten worden sind. Das gilt vor allen Dingen von den in dieser Erklärung geschilderten Methoden, die man sich für ein Zusammenkommen der verschiedenen Besatzungszonen diesseits und jenseits des Eisernen Vorhangs vorstellt. Die Parität, die darin vorgeschlagen ist, ist die Parität von Taube und Aasgeier;
und die ist nicht glaubhaft und glaubwürdig.
Aber ich möchte dazu weiter sagen: wir empfinden bei allen unseren Überlegungen keine Feindschaft gegen die Völker des Ostens. Wir empfinden nur die Verpflichtung, uns zu wehren, wenn diese Völker mißbraucht werden, einer neuen eroberungswütigen Tyrannei dienstbar zu sein, wie wir einst einer Tyrannei dienstbar sein mußten.
Weil wir die Tyrannei und weil wir die verhängnisvollen Folgen der Machtgier und der Süchtigen des Machtrausches erlebt haben, gehen wir mit so ernsten Erwägungen an die Beurteilung der wirklichen Verhältnisse heran. Ich darf es wohl aussprechen, daß eine neue Rapallo-Mystik in solchem Zusammenhang für uns überhaupt völlig undiskutabel ist, und zwar weil sie uns praktisch undenkbar und unvorstellbar erscheint.
Wir wissen, daß es in der gegenwärtigen Weltlage nur einen Weg geben kann: die Solidarität der freien Völker und Erdteile. Wir wissen auch eins: daß ohne diese Schutzgemeinschaft freier Völker kein friedliches Deutschland gesichert werden kann. Auf der andern Seite wissen wir aber auch, daß ohne ein freiheitliches Deutschland ein friedliches Europa undenkbar ist.
Aus dieser Erkenntnis der wechselseitigen Zusammenhänge zwischen dem deutschen Schicksal und einer Solidarität der freien Nationen ergeben sich die politischen Folgerungen, die wir zu ziehen haben. Aus ihnen haben wir hier unsere Überlegungen vor allen Dingen abzuleiten. Vor solcher Einsicht sollten hüben und drüben endlich die Reste eines vergangenheitshörigen nationalstaatlichen Denkens versinken, die sich die politischen Entwicklungen immer nur als Erweiterung von Territorien oder in der Bildung von Hegemonien vorstellen können. Wie himmelweit entfernt sind doch solche Bilder einstiger Diplomatie und Außenpolitik von der Wirklichkeit, mit der wir uns hier zu beschäftigen haben! Nein, wir haben nur eins festzustellen: ein Bekenntnis zur Gemein-
schaft der Kulturen in der freien Welt genügt angesichts der bedrohlichen Gefahren, die wir erkennen müssen, nicht mehr. Es genügt auch kein bloßes Bekenntnis zu den Moralbegriffen unserer westlichen Welt. Wir müssen hier schon die Folgerung ziehen, daß allein eine Zusammenfassung aller Kräfte zur gemeinschaftlichen Verteidigung geeignet ist, die Friedenssicherung für die Völker aller dieser Länder wechselseitig hoffnungsvoll zu machen. Es ist nun einmal so, daß das gestörte Gleichgewicht der Mächte, das den Frieden bedroht, nur durch Herstellung eines Gleichgewichts zwischen den Mächtegruppen beseitigt werden kann. Nur diese Wiederherstellung des Gleichgewichts bietet die Möglichkeit, den Frieden zu erhalten oder, wenn Sie den Zustand, in dem wir leben, nicht mehr als Frieden empfinden, den Frieden wiederherzustellen. Es ist nun einmal so, daß man nur, wenn man für den Gewaltstreber das Wagnis seiner Angriffspläne oder Angriffswünsche erhöht, ihn zur Mäßigung bringt. Diese Mäßigung ist allein das Mittel, den Frieden und die Freiheit unserer eigenen Welt zu sichern.
Daraus ergibt sich eine wichtige Folgerung. Ich weiß, daß manche sie nicht gern hören wollen und mit der Erörterung von Einzeldingen, mit der Betrachtung persönlicher Bequemlichkeit oder Unbequemlichkeit oder mit dem Hinweis auf persönliche Enttäuschungen und persönliche Verbitterung berechtigter oder unberechtigter Art versuchen wollen, sich an diesem Verantwortungsbewußtsein vorbeizudrücken. Das Verantwortungsbewußtsein für das eigene Dasein mündet heute in die Gesamtverantwortlichkeit aller freien Völker ein.
Wenn wir diese Verbundenheit unseres Einzelschicksals mit dem Gesamtschicksal dieser freien Welt einsehen, dann erfahren wir zugleich, was heute für uns das ist, was Goethe die Forderung des Tages nennt. Man macht sich die Sache vielfach sehr einfach, indem man für alle solche verwickelten Vorgänge ein Schlagwort einführt. Das Wort, unter dem in den letzten Wochen und Monaten eine verworrene Diskussion hin und her gegangen ist, war das Wort „Remilitarisierung". Es ist ein verhängnisvolles Wort, nicht nur weil es ein Schwammwort ist, weil es zur mangelnden Präzision des Denkens und zu schlechter Unterscheidung der verschiedenen Wege, Möglichkeiten und Erscheinungen in der politischen Wirklichkeit verführt, sondern weil es zugleich ein Wort ist, das die Tatsachen verschiebt. Nirgendwo ist von einer Wiederkehr vergangener Einrichtungen die Rede und besteht eine solche Absicht. Wir denken gar nicht daran, vergangene Zustände zu wiederholen oder wiederherzustellen, weder formationsmäßig noch formenmäßig noch gedanklich.
Hier geht es nicht um eine Restauration vergangener Ideologien, vergangener Ziele oder vergangener Methoden, sondern hier handelt es sich um völlig neue Formen und Formationen zur Sicherung dessen, was ich soeben mit den Worten Frieden und Freiheit zusammenzufassen suchte.
So meine ich, daß wir das wiederholen könnten, was wir deutschen Delegierten aus den Koalitionsparteien gesagt haben, als wir uns in Straßburg grundsätzlich mit dem Gedanken einer gemeinsamen europäischen Verteidigung unter besonderer gemeinsamer demokratischer Kontrolle einverstanden erklärt haben. An dieser Notwendigkeit können wir uns mit noch soviel Phantasietätigkeit nicht vorbeidenken, und alle Verworrenheit der
Meinungsbildung kann von dieser Notwendigkeit nicht ablenken.
Ich verkenne allerdings nicht: angesichts der deutschen Situation wird uns die deutsche Haltung in allen diesen Dingen wahrhaft nicht leicht gemacht. Wenn wir Bedenken äußern und sagen: Ja, aber da und dort ist eine Fülle von Voraussetzungen materieller Art, psychologischer Art, dann sagen die einen: seht, sie wollen nicht. Man ist entrüstet über dieses Nichtwollen und meint infolgedessen einfach, es sei eine mangelnde Bereitschaft vorhanden, Demokratie und Freiheit zu wahren. Die anderen wieder wenden ein: Nein, sie sollen auch nicht, weil sie nun in ihrem vergangenheitshörigen Denken irgendwelche Vorstellungen pflegen. Nun, die dazugehörige Vergangenheit mag noch nicht so lange vorbei sein. Aber ein so unerhört neuer Tatbestand setzt auch einmal voraus, daß man in wenigen Jahren von sehr eingewurzelten Denkgewohnheiten abrückt und zu neuen politischen Erkenntnissen vordringt.
Ich führe das nicht an, um Vorwürfe zu erheben. Ich weiß, daß die Denkprozesse auch in anderen Ländern und Völkern nicht schneller fortzuschreiten pflegen als bei uns. Ich führe das vielmehr an, um festzustellen, daß diese Zwiespältigkeit der Lage und diese Verworrenheit eines letztendlich immer noch entscheidungslosen Zustandes und einer konturlosen Entwicklung auf keinen Fall allein auf deutsche Unterlassung zurückzuführen sind. Man kann es deswegen doch wohl den Deutschen oder vielen Deutschen nicht übelnehmen, daß angesichts solcher Verworrenheiten und Unentschiedenheiten bei anderen Völkern die Entschlußkraft mancher Deutschen, zu letzten Konsequenzen und zu klaren Folgerungen ein es Solidaritätsbewußtsein durchzudringen, bedenklich erschwert ist. Diese querelles 1 européennes, wie wir sie immer wieder erleben, meine Damen und Herren, bedeuten das eigentliche Hindernis für die Erkenntnis der wahren politischen Verhältnisse in ihren ganzen weltpolitischen Zusammenhängen. Die Wirrnis des Hin- und Hergezerres, dieses ewige Tauziehen, um hegemoniale Wünsche oder Befürchtungen, um Wirtschaftsinteressen, um Möglichkeiten, Sondervorteile usw. zu erreichen, erschweren den Menschen in unserem Volk immer wieder den Weg. zu einer echten Entscheidung und zu einer Klarheit in der Wahl des politischen Standortes durchzudringen.
Es wird in der gesamten demokratischen Welt von der Notwendigkeit gesprochen, die Freiheit der europäischen Länder und der übrigen freien Erdteile zu verteidigen. Nun, das bedeutet aber gleichzeitig auch die Notwendigkeit, auf Voraussetzungen hinzuweisen, die erfüllt werden müssen. Von einer allgemeinen Voraussetzung habe ich eben schon gesprochen, von Vorstellungen und Zweifeln, die überwunden, die beseitigt werden müssen. Sie ist nach der andern Seite zu ergänzen. Wissen Sie, in einem so von bösen Erlebnissen verfolgten, so niedergeschmetterten und von soviel Unglück heimgesuchten Volk wie dem unseren braucht dieser Wille zur Freiheit, braucht dieses Selbstbewußtsein zur Verteidigung auch Vorbilder, an denen sich 'der Verteidigungswille aufrichten kann.
Das bedeutet vor allen Dingen, durch Tatsachen, durch Realitäten das Bewußtsein zu haben, daß die Möglichkeiten der Verteidigung auch in solcher Stärke und in solcher Kraft gegeben sind, daß sie hoffnungsvoll und aussichtsreich erscheinen.
Mit den Deutschen ist so schauderhaft viel experimentiert worden, daß sie nun eine weitgehende Abneigung haben, sich in bloße Experimente einzulassen. Sie haben das gesunde und natürliche Gefühl, daß für eine Bereitschaft zur Verteidigung, zur Solidaritätsgemeinschaft der Verteidigung, auch von den anderen, die sich an ihr beteiligen und die günstigere Möglichkeiten gehabt haben, sich entsprechend vorzubereiten, entsprechende Gewährleistungen gegeben werden müssen.
Damit, meine Damen und Herren, will ich nicht etwa sagen, daß derartige Vorbilder überhaupt nicht vorhanden wären. Ich glaube, wir müssen in diesem Augenblick doch anerkenen, daß die Vereinigten Staaten ein bemerkenswertes Beispiel, aus der Verteidigung der Freiheit die Folgerung zu ziehen, gegeben haben, als sie in Korea praktisch die Verteidigung übernahmen und die Opfer und die Lasten einer solchen Aufgabe, dann später mit den Truppen der UNO, auf sich genommen haben. Was da in Ostasien geschehen und begonnen worden ist, ist nicht zu bagatellisieren, sondern das bedeutet schon ein gewichtiges Vorbild, wie weit Verteidigungswille praktisch wirksam sein kann und zu welchen Folgerungen er führen könnte.
Meine Damen und Herren, nun haben wir vorhin eine Reihe von Reden gehört. Als ich die Ausführungen des Herrn Bundeskanzlers und dann die Ausführungen des Herrn Kollegen Dr. Schumacher anhörte, habe ich eigentlich das Gefühl gehabt, daß ein neutraler Beschauer, wenn er von dem Beiwerk der Pointierung absieht, den Eindruck haben könte, daß doch wesentliche Übereinstimmung besteht in der tatsächlichen Bereitschaft, nun eben das, was wir unter Freiheit und Recht verstehen, zu verteidigen gegen Versuche einer Tyrannei, einer Gewaltherrschaft. Und ich weiß nicht, ob es so wesentlich ist, die Unterschiede, etwa über die Phasen und die Stufen zur Verwirklichung der Solidarität, zu einer Grundsatzfrage zu machen. Das Entscheidende ist doch in allen diesen Dingen, daß diese supranationale Solidarität so bald und so wirksam wie möglich herbeigeführt wird.
Ich weiß auch nicht, ob man bei diesen Fragen angesichts der Größe dieser Entscheidungen und der Tragweite all dieser Maßnahmen Worte wie „Angebot" und sonstige Begriffe, die man üblicherweise mit einem Handel zu verbinden sucht, so in den Vordergrund rücken sollte. Hier geht es wirklich um eine große konstruktive Funktion und eine große konstruktive Aufgabe. Hier sind nicht nur über Phasenverschiebungen und ähnliche Rechenkünste Entscheidungen zu treffen. Hier geht es um mehr als bloß um eine Technologie des Ablaufs von Ereignissen und Entschlüssen; hier geht es darum, möglichst rasch einen höchsten Wirkungsgrad der gemeinsamen Entwicklung zu erreichen.
So meine ich, daß manches von dem, was von der linken Seite dieses Hauses gesagt worden ist, gar nicht notwendig gewesen wäre.
Es sind da den Regierungsparteien Ansichten und Absichten unterstellt worden, die dort gar nicht vorhanden sind. Es ist da ein Maß der Bereitschaft oder der Vorbehaltlosigkeit vorausgesetzt worden, an die dort gar nicht gedacht wird, oder es sind irgendwelche Maßlosigkeiten vermutet worden, die auf dieser Seite ebenfalls nicht lebendig sind.
Ich weiß nicht, ob die Beschäftigung mit militärischen Fragen Herrn Kollegen Dr. Schumacher nun schon dazu verleitet hat, allzusehr gegen einen markierten Feind zu manövrieren.
Meine Damen und Herren! Ich bin durchaus mit der These einverstanden, daß der Geist der unbedingten Kapitulation abgebaut werden muß, ehe überhaupt das Bewußtsein der Solidarität als etwas Folgerichtiges empfunden werden kann.
Es kann kein Zweifel darüber sein, daß die Regungen in der deutschen Öffentlichkeit wesentlich von dem Eindruck gelähmt sind, daß man als gleichberechtigtes Glied einer Weltsolidarität immer noch umstritten ist. Hier muß man sich klar darüber sein, daß Menschen, die für Freiheit und Recht Opfer bringen sollen, auch Freiheit und Recht erleben müssen.
Aus dieser Überlegung ergibt sich die Forderung nach einer politischen Gleichberechtigung; und da ist wiederum die erste Erwartung, daß unser ganzes staatliches Leben normalisiert wird. Das bedeutet, daß mit einer solchen Gleichberechtigung eine so merkwürdige Absonderlichkeit der staatsrechtlichen und völkerrechtlichen Lage der Bundesrepublik unvereinbar ist, wie sie etwa in dem Besatzungsstatut zum Ausdruck kommt.
Dazu gehört weiter, daß wir ein Grundgesetz haben, dem gegenüber noch immer bestimmte Vorbehalte der Besatzungsmächte bestehen.
Wie kann sich ein Volk frei fühlen, dessen Grundgesetz noch nicht mit allen Bestimmungen in Kraft gesetzt worden ist?!
Es ist auch nicht mit einer solchen Solidarität der freien Völker zu vereinbaren; wenn Beschränkungen wirksam werden, sobald wir uns — wie gestern -- über die Möglichkeit Gedanken machen, unsere eigene Sicherheit durch bestimmte Einrichtungen wie Polizei usw. zu erhöhen. Es ist zweifellos nicht mit diesem Freiheitsbewußtsein zu vereinbaren, wenn immer noch Beschränkungen der Wirtschaft bestehen, oder wenn das schließlich so weit geht, daß — um nur ein Beispiel herauszugreifen — gewisse Zweige der chemischen Industrie immer noch starker Knebelung unterworfen werden, obwohl es sich nicht etwa um Einrichtungen handelt, die kriegerischen oder anderen derartigen Zwecken dienen, sondern um solche, die sich z. B. mit der Herstellung von Kunststoffen für die normale Versorgung der Menschen mit Hausrat oder Bekleidung beschäftigen. Es ist auch nicht mit dem Freiheitsbewußtsein zu vereinbaren, wenn Betriebe der pharmazeutischen Industrie, die also der Schaffung von Gegenständen zugewandt sind, die der Gesunderhaltung oder der Heilung von erkrankten Menschen dienen, betriebsfremden Einflüssen unterworfen sind.
All dies, vor allen Dingen aber auch die Eingriffe in die Rechtspflege, dann diese merkwürdige Methode, in der man die Dienstgruppen einer eigenmächtigen Wandlung zur europäischen Abwehr zuzuführen sucht, sind nicht Formen, unter denen man Gleichberechtigung verdeutlichen kann.
Allerdings, meine Damen und Herren, in dem Zusammenhang auch ein Wort an uns selbst. Das
bedeutet aber auch, daß wir uns nun hier nicht selbst wechselseitig die Gleichberechtigung streitig machen.
Ich verlese hier einen Satz, den eben Herr Kollege Seelos gesprochen hat, der lautet: „Tatsächlich wird es wohl erforderlich sein, darauf zu achten, daß nicht die Heimatvertriebenen ein Übergewicht in Deutschland erhalten,
um nicht einer erneuten nationalistischen Tendenz die Zügel freizugeben."
Ich weiß nicht, meine Damen und Herren, wie, wenn man deutschen Landsleuten irgendeine auch nur bürgerliche oder moralische Gleichberechtigung zu bestreiten sucht, dann in gleicher Weise nach außen hin eine Auseinandersetzung wirksam führen soll.
Ich weiß auch nicht, wie man es mit der Behauptung, Verteidigung von Frieden und Freiheit betreiben zu wollen, vereinbaren will, wenn man Teile dieses deutschen Volkes nationalistischer Tendenzen verdächtigt, denen man Zügel anlegen müsse.
Sie sehen, meine Damen und Herren, es gilt, aus der Gleichberechtigungsthese auch auf manchen Seiten dieses Hauses Folgerungen nach innen zu ziehen.
Weiter aber müssen wir uns klar sein, daß das, was als Solidaritätsgemeinschaft zur gemeinsamen Verteidigung entwickelt werden sollte oder könnte, natürlich einen Rahmen haben muß, bei dem nun aus der Solidarität auch die Konsequenz gezogen wird, daß jeder nach dem Maß seiner Leistungsfähigkeit zu den Lasten beisteuert. Das bedeutet selbstverständlich zunächst einmal, daß Besatzungslasten überhaupt eine Unmöglichkeit werden; es kann sich nur um gemeinschaftliche Beiträge zu einem gemeinschaftlichen Wehrhaushalt handeln
und darum, daß diese Lasten nach der jeweiligen Tragfähigkeit so bemessen werden, wie dies durch die bisherigen Schicksale eines Volkes und seiner Wirtschaft gegeben ist.
Ich glaube, man braucht dazu nicht weitere Ausführungen zu machen und diese Dinge nicht weiter auszuspinnen, denn die sind so selbstverständlich, daß ich eigentlich das Gefühl habe, mit ihrer Erwähnung und mit dieser Festsellung ist eine wesentliche Konsequenz internationaler Solidarität klargestellt.
Aber die Gleichberechtigung hat auch ihre psychologische Seite. Sie bedeutet nicht nur, daß das Bewußtsein, frei zu sein, und die Bereitschaft, für die Freiheit einzutreten, nicht allein im luftleeren Raume wachsen kann, sondern auf Erlebnis und Erfahrung gestützt werden muß. Wir werden den überzeugenden Beweis zu führen haben, daß es sich in der westlichen Zivilisation oder unter den Lebensformen der freien Völker - oder wie sie die Dinge nennen mögen - besser leben läßt als unter der Knechtschaft und unter der Tyrannei des
Ostens. Und das, meine Damen und Herren, wird nicht ganz leicht zu verwirklichen sein; denn darüber muß man sich klar sein: es wird schon eine Mühsal bedeuten, auf der einen Seite den Lebensstandard zu halten oder zu verbessern und gleichzeitig das Erforderliche zu tun, um die persönliche Lebenssicherheit in wirtschaftlicher und sozialer Hinsicht zu kräftigen und gleichzeitig vom Sozialprodukt Aufwendungen für die Notwendigkeit abzuspalten, die Freiheit zu schützen und die Ordnung aufrechtzuerhalten.
Vor dieser Schwierigkeit und dieser Mühsal stehen wir; und in diesem Zusammenhang gewinnt nun auch eine wirtschaftliche Frage eine gewaltige Bedeutung: Die schnelle Vereinigung der europäischen Volkswirtschaften zu einer größeren Einheit muß die Möglichkeit eröffnen, durch Wirtschaften im weiteren Raum, durch günstigere Nutzung von Standortsbedingungen, durch bessere Formen des Güteraustauschs und der wechselseitigen Ergänzung mit die Voraussetzung herbeizuführen — ganz abgesehen von den wirtschaftspolitischen Aufgaben, die sich für uns selbst ergeben —, den Leistungswillen zu fördern und die Leistungskraft der europäischen Wirtschaft zu noch höherer Blüte zu entwickeln.
Es kommt noch weiter hinzu, daß dabei Dinge verschwinden müssen, die die Lebensform, unter der wir existieren, manchmal bedenklich erscheinen lassen. Die Erkenntnis muß, glaube ich, mehr durchdringen, daß ein Unterschied zwischen Kultur und Komfort besteht und daß bei aller wünschenswerten Ausgestaltung der Lebensbedingungen zumindest im staatlichen Leben, in den öffentlichen Formen unserer staatlichen Erscheinung, eine etwas puritanische Lebensform durchaus denkbar und nützlich sein könnte.
Ich habe manchmal das Gefühl, daß wir allenthalben, nicht nur bei uns, sondern vielfach auch anderswo, an einer Überschätzung des kunstgewerblichen und kulinarischen Aufwands als Mittel der Repräsentation leiden könnten.
Aber dann weiter wird man vor allen Dingen jetzt nicht mehr so etwas wie eine doppelte Moral aufrechterhalten können, die von einer Gleichung ausgeht, nach der das Verhältnis von Siegern zu
Besiegten von einst wie Gut und Böse wäre. So
einfach ist die Wahrheit nicht mehr. Es hat inzwischen eine Fülle von historischen Klärungen gegeben. Das sollte auch dazu führen, daß man allmählich in die Erwägung eintritt, ob man einem Volk das Bewußtsein der Solidarität in einer Verteidigungsgemeinschaft freier Völker geben kann, wenn man sein Rechtsgefühl verletzt,
wenn man strafrechtliche Maßnahmen zum Beispiel wegen der Ausführung von Befehlen durchführt, bei denen der Betreffende gar nicht das Bewußtsein hatte, eine persönliche Verantwortung zu tragen, sondern einfach der Verpflichtung der Befehlsausführung ausgesetzt zu sein. Bei allen diesen Dingen wird man gerade im Hinblick auf die geistige Bereitschaft, den Gedankengängen der europäischen oder der westlichen Solidarität zugänglich zu sein, sehr viel erneuern müssen. Der Befehlsempfänger eines fluchwürdigen Regimes muß nun endlich aus der Entstellung entlassen werden, als ob er selbst fluchwürdig wäre, weil er
in die Apparatur einer bestialischen Gewaltherrschaft geraten ist.
Dazu gehört auch, daß man dem deutschen Soldaten ein besseres Verständnis entgegenbringt. Er ist in seiner breiten Masse gegen den Osten gezogen, weil man ihm gesagt hatte und weil er es glaubte, daß er damit seine kontinentale Lebensform verteidige. Es mag sein oder es ist zweifellos so, daß er dabei mißbraucht worden ist. Aber weil er den Irrtum geglaubt hat, ist er bestimmt nicht instinktloser gewesen als etwa die Illusionisten des Yalta-Abkommens.
Meine Damen und Herren, ich sage das alles nicht, um nun eine historische Diskussion einzuleiten. Ich bin vielmehr der Meinung, daß man sich mit der Betrachtung der vergangenen Dinge eher auseinanderreden als zusammenfinden kann. In der Geschichtsdeutung sind dazu ungeheure Möglichkeiten vorhanden. Ich habe infolgedessen hier auch lediglich davon gesprochen, um Verständnis dafür zu wecken, was die Umkehr nun zu einer neuen Verteidigungshaltung für unsere Mitbürger und ihr gesamtes politisches und gesellschaftliches Bewußtsein bedeutet. Man muß die Wege zu diesem neuen Gemeinschaftsbewußtsein der Völker, zu diesem Bewußtsein der Schicksalsverbundenheit in der Abwehr der Gewaltgefahren ebnen, und man muß es sehr vermeiden, immer wieder Sperren der Verärgerung und des Mißtrauens aufzurichten, was leider noch bis in die jüngste Zeit geschehen ist.
Dabei muß man sich auch darüber klar sein, wenn überhaupt die Verteidigung verwirklicht werden soll, daß sie sich in neuen Formen und Formationen zu entwickeln haben wird. Das wird eine weitgehende Abkehr von vergangenen militärischen Gepflogenheiten bedeuten. Da werden sich etwa im Aufbau des Apparates, in dem Verhältnis zwischen Vorgesetzten und Untergebenen Wandlungen vollziehen müssen. Man kommt in der heuten Entwicklung, in dieser Entwicklung einer Abwehrwelt der Freiheit nicht mehr mit Disziplinformen etwa des friderizianischen Mechanismus weiter. Man kommt auch in der Denkweise über die Behandlung und die Wirksamkeit von Waffen und Menschen nicht vorwärts, wenn man nicht sämtliche neuen Erkenntnisse dazunimmt. Die neue Form der Verteidigung setzt auch Wandlungen des soldatischen Lebensstils voraus. Dazu gehört für den Deutschen auch wieder, daß er unter keinen Umständen das Gefühl haben darf. Söldner oder Helot zu sein. Das muß der Menge bewußt werden. Der Wehrmann muß sich wirklich als der Bürger fühlen können, der für die Verteidigung der Menschenrechte einzutreten und für die Verteidigung seines Friedens tätig zu werden bereit ist.
Dazu gehört natürlich auch eine Einstellung und eine Haltung, die, was ich eben schon sagte, alle zwischenstaatlichen Rangvorstehungen der Vergangenheit und alle von ihnen ausgehenden seelischen Belastungen beiseite räumt, um die Bereitschaft nun auch tatsächlich menschlich und moralisch wirksam werden zu lassen. Dazu gehört aber auch, daß man zu einer wohlgesinnten Gesamtführung unter einer gemeinsamen demokratischen Kontrolle Vertrauen besitzt. Auch das wird ein entscheidender Faktor bei den Überlegungen für die Entscheidung sein, ob wir an der Verteidigung der westlichen Welt praktisch Anteil nehmen können. Es muß dabei auch daß Mißtrauen beseitigt werden, als ob Einigungen auf unsere Kosten vollzogen werden könnten.
Zugleich muß aber auch der Weg in die europäische Integration weiter fortgeführt werden. Denn es ist nicht damit getan, daß man etwas verteidigt, was in der Wirklichkeit des erlebten Lebens nicht sichtbar ist. Letzten Endes muß aus dieser, sagen wir einmal, politischen Solidarität auch eine wirtschaftliche und gesellschaftliche Verbundenheit entwickelt werden, damit sie sichtbar ist, damit ihre Werte fühlbar werden, damit sie gegenständlich wird, um von jedem begriffen werden zu können. Es mag äußerlich leichter erscheinen, in der Form von Verteidigungsmaßnahmen eine Integration durchzuführen, weil auf diesem Gebiet die Spannungen und die Gegensätze, die etwa bei der Wirtschaft im Wettbewerb liegen, weniger sichtbar und weniger fühlbar sind. Das darf aber nicht dahin führen, daß man die ganze Entwicklung des Verhältnisses der Völker in der westlichen Welt zueinander lediglich unter dem Gesichtspunkt militärischer Erwägungen sieht und dabei etwa die ökonomische und soziale Verknüpfung vernachlässigt. Das bedeutet nicht — und hier unterscheiden wir uns von der Tendenz, die in französischen Äußerungen zum Ausdruck gekommen ist —, so etwas wie einen Kausalzusammenhang zwischen Schuman-Plan-Verabschiedung und der Bereitschaft zu einer europäischen Verteidigung herzustellen. Wenn man so etwas erstrebt, erschwert man geradezu die Zusammenfügung. Es muß doch hier — ganz abgesehen von den Belastungen des Rechtsgefühls, die dadurch wieder entstünden — der Weg gesucht werden, die politische Notwendigkeit einer Vereinigung der europäischen Märkte vorwärtszutreiben, unbeschadet der anderen Entwicklungen, die sich in der Organisation der Verteidigung ergeben, wenn auch natürlich hier und da innerhalb dieser vereinigten Märkte die Notwendigkeit, Teile des Produktes auf diesen Märkten irgendwelchen rüstungswirtschaftlichen Zwecken zuzuführen, als ein rein wirtschaftlicher Zweckmäßigkeitszusammenhang bestehen wird.
In diesem Zusammenhang möchte ich überhaupt sagen: Wir sind von der Notwendigkeit des Schuman-Planes überzeugt. Wir sind sehr davon überzeugt, daß eine supranationale Institution ins Leben treten muß, die endlich einmal veranschaulicht und über das rein Theoretische heraushebt, was an Gemeinsamkeit auf europäischem Boden erreicht und wirksam gemacht werden kann; Aber ich verkenne eines nicht: es ist verhältnismäßig leicht, neue Institutionen mit einer Verwaltungsspitze, mit einer parlamentarischen Körperschaft und mit einer eigenen Gerichtsbarkeit usw. auszudenken. Viel schwieriger ist es, von dem alten wirtschaftlichen Zustand sich in den neuen wirtschaftlichen Zustand hineinzuentwickeln. Bei diesem Übergang muß natürlich alles vermieden werden, was dazu führen könnte, unserer unter besonders schwierigen Bedingungen sich erholenden Wirtschaft Belastungen aufzuerlegen, die ihre weitere Entwicklung in Frage stellen könnten. So zu denken, das ist auch ein Beitrag zu dieser Idee der europäischen Solidarität; er hat ja schließlich alle möglichen Seiten und alle möglichen Konsequenzen. Solidarität bedeutet doch: Gegenseitigkeit, wechselseitige Bereitschaft, zu helfen und zu ergänzen.
Nun ist es bedauerlich, meine Damen und Heren, daß unsere ganze Debatte in eine Zeit hineinfällt, in der gleichzeitig Wahlkämpfe stattfinden.
Infolgedessen besteht die begreifliche Neigung zu innenpolitischen Rivalitäten und dazu, Parolen zu erfinden und Forderungen zu stellen, die einen scheinpopulären Klang haben, und den innenpolitischen Wettbewerb auch auf, sagen wir einmal, außenpolitische Überlegungen und Entscheidungen auszudehnen.
Ich bedaure außerordentlich, daß in die Erörterung der europäischen Verteidigung — in der ich weitgehend in der Zielsetzung, wenn auch vielleicht nicht in der methodologischen Überlegung Übereinstimmungen sehe — nun die Frage hineingeworfen worden ist, die praktisch auf eine Änderung der Verfassung hinauslaufen würde — eine Angelegenheit. über die im Parlamentarischen Rat vollständige Übereinstimmung bestanden hat —, nämlich die Frage, ob denn dieses Parlament, dieser Bundestag, die Befugnis habe, über den Anschluß an überstaatliche Gemeinschaften abzustimmen und Entscheidungen zu treffen.
Meine Damen und Herren! Die staatsrechtliche Seite der Angelegenheit will ich nur kurz streifen; denn einer der Kollegen, die nach mir sprechen werden, wird noch näher auf diese Frage eingehen. Da ich das weiß, möchte ich Wiederholungen hier vermeiden. Ich möchte nur soviel sagen: Unser Grundgesetz sieht erstens den Weg der Gesetzgebung vor, der beschritten werden muß, wenn es sich darum handelt, sich überstaatlichen Einrichtungen auch unter Abtretung von Souveränitätsrechten anzuschließen. Zum zweiten ist in der Bestimmung über die Möglichkeit der Kriegsdienstverweigerung gesagt: Das Nähere bestimmt ein Gesetz. Also hier ist ausdrücklich für die wehrgesetzliche Ordnung im Grundgesetz auf den Weg der einfachen Gesetzgebung verwiesen. Das entspricht auch durchaus der Natur und dem Wesen einer repräsentativen Demokratie. Wenn ein Volk eine Volksvertretung wählt, dann gibt sie das Mandat bestimmten Personen, und dann erteilt sie ihnen das Vertrauen und das Recht, innerhalb einer bestimmten Zeit Entschlüsse zu fassen und Entscheidungen zu treffen und sich dann nach einer bestimmten Frist bei einer Neuwahl wegen dieser Entscheidungen zu verantworten.
Diese Ordnung würde völlig gestört werden, wenn wir damit anfangen würden, Einzelheiten von politischen Entscheidungen und des öffentlichen Lebens jeweils zum Gegenstand einer Art Volksabstimmung zu machen.
Meine Damen und Herren! Wir haben seinerzeit im Parlamentarischen Rat sehr bewußt davon abgesehen, Möglichkeiten des Plebiszits einzuführen, u d haben uns sehr bewußt dabei von der Weimarer Verfassung unterschieden. Wir wissen, daß das Plebiszit eine ganz schöne Sache sein kann, etwa in der Idylle eines Schweizer Kantons, aber wir wissen auch, daß es im modernen Massenstaat eine ungeheure Gefahr für die Demokratie schlechthin bedeutet.
— Nicht die Masse als Material, sondern die Masse als eine Angelegenheit, die bei ihrer Willensbildung sich differenziert im Wahlvorgang und sich wieder zusammenfügt in bestimmten Wiliensträgern der politischen Entscheidung.
Gerade der nimmt die Masse als Material, der sie vor die einfachen mechanischen Fragen eines Pblebiszits stellt.
So ist es immer gewesen, meine Damen und Herren, mit plebiszitären Formen hat stets eine totalitäre Entwicklung angefangen.
Das zeigt die Staatenentwicklung von Bonaparte über Lenin bis zu Hitler und Mussolini. Also ich glaube: angesichts dieser Erfahrungen und dieser Erkenntnisse sollte man sich wirklich überlegen, ob man wieder die Gefahr einer totalitären Entwicklung auch dadurch fördern will, daß man durch fortgesetzte Wahlen — wir haben ja jetzt schon ein Übermaß davon durch diese ewige Fülle von Länder-, Bundestags-, Gemeindewahlen und was sonst alles ist —
einfach die Demokratie durch die Übertreibung ad absurdum führt.
Herr Kollege Schumacher hat zwar gemeint, eine solche Überlegung entspräche autoritärem Denken. Nein, gerade weil wir eine autoritäre, totalitäre Entwicklung vermeiden möchten, haben wir die stärksten Bedenken gegen eine solche Art und Weise der politischen — wie soll ich sagen — Moralphilosophie, wie sie vom Herrn Kollegen Schumacher als Ersatz für staatsrechtliche Überlegungen vorgetragen worden ist. Vielleicht haben ihn seine intimen Gesprache mit hervorragenden Theologen,
die sich noch dazu auf das Geschäft der Torpedierung verstehen,
dazu verleitet.
Ich weiß nicht, meine Herren,
warum soll nicht mal jemand etwas Ihnen nicht Passendes in ironischer Form sagen, nachdem Sie die Lauge Ihrer Ironie doch auch nach Kräften auf andere Seiten dieses Hauses zu spritzen belieben.
Also, meine Damen und Herren, ich muß sagen: hier liegt eine geradezu bedenkliche Gefährdung der staatlichen .Entwicklung vor. Wir werden uns dem widersetzen, nicht weil wir eine autoritäre, sondern eine gesicherte demokratische staatliche Entwicklung haben wollen.
Das ist die Sache, die ich eben meinte, als ich von der Moralphilosophie sprach. Bei diesen Dingen habe ich das Gefühl, man würde gar nicht entsprechend der Verpflichtung handeln, die man als Abgeordneter übernommen hat. Kommt eine schwere Entscheidung von großer Tragweite, dann
entscheidet man nicht selbst, sondern appelliert an die Wähler. Meine Damen und Herren, ist das das Recht oder die Pflicht des Mandates, das wir übernommen haben? Sollen wir wirklich dies Rückzugsmanöver vor der parlamentarischen Verantwortung mitmachen? Ich glaube, es ist notwendig, es so zu kennzeichnen, wie wir es sehen.
Meine Damen und Herren, ich habe Ihnen ausgeführt, daß wir die Notwendigkeit einer europäischen Solidarität und ihrer Gesamtverteidigung durchaus erkennen. Es ist kein freudiges Bekenntnis, was von mir ausgesprochen wird, sondern es ist eine beinahe quälende Anerkenntnis sehr bitterer, sehr verwünschter Realitäten. Aber ich glaube, wir müssen den Menschen, die da meinen, sie könnten sich mit dem Hinweis auf irgendwelche persönliche Gefühle oder Abneigungen dieser Erörterung -und der Entscheidung innerhalb der Erörterung entziehen, sagen, daß es nun einmal um die Frage einer aktiven Solidarität freier und gleichberechtigter Völker geht.
Die jüngste Vergangenheit hat eine merkwürdige Wandlung gebracht. In den letzten Jahrzehnten ist vieles von den Humanitätsidealen, die die Entwicklung gerade seit dem Ende des 18. Jahrhunderts über das 19. Jahrhundert fortgeführt haben — woraus im Grunde genommen fast alle politischen Gesinnungen und gesellschaftlichen Lehrgebäude, die hier im Hause vertreten sind, ihre Beweggründe abgeleitet haben — weitgehend versunken. Wir haben seither einen Wettlauf der Bestialitäten, wie man ihn vielleicht vor 30, 40 Jahren sich noch gar nicht vorgestellt haben könnte. In dieser Erkenntnis müssen wir sagen — leider sagen, aber wir müssen es aussprechen —, daß heute nur ein wehrhafter Humanismus die wahrhafte Humanität garantiert.
In diesem Zusammenhang und in der gegenwärtigen verwickelten, keineswegs zu klaren Linien und Entwicklungsformen vorgedrungenen politischen Lage, hat die Regierung eine besonders schwere Verantwortung zu tragen. Es wäre für sie viel leichter, wenn sie einer einfachen staatsrechtlichen Lage, einer unabhängigen politischen Entwicklung und einer freien Entscheidung in allen Dingen ausgesetzt wäre. Ich meine jetzt nicht die Unfreiheit der Entscheidung im Hinblick auf all die Vorbehalte, Restriktionen, Fesselungen und Knebelungen, von denen ich vorhin gesprochen habe. Ich meine jetzt all die Schwierigkeiten, die sich durch unsere eigene Lage, belastet mit den Folgeerscheinungen des Krieges, ergeben. Aber ich bin der Ansicht, sie hätte in diesem Zusammenhang doch eine wichtige Aufgabe, der sie sich zuwenden müßte, nämlich trotz dieser Wirrnisse und trotz der Verworrenheiten der Haltung hüben wie drüben so etwas wie eine bestimmte klare Zielsetzung herauszuarbeiten; denn das ist notwendig, um viel mehr, als es bisher geschehen ist, dieser Angst, dieser Gedrücktheit, diesem Verfolgungswahn, der manche Menschen schon überkommen hat, so etwas wie eine Zuversicht gegenüberzustellen.
Dazu ist notwendig, meine Damen und Herren, daß vor allen Dingen — was sich leicht einmal in dem Anfangsstadium eines neuen staatlichen Wachs-turns ergibt — Experimente und Improvisationen vermieden werden. Wir sind jetzt soweit, daß wir auf allen Gebieten unserer Politik zu einer Systematik übergehen können, zu einer Systematik aller Funktionen dieses staatlichen Lebens. Wir sind also auch in die Lage versetzt, nunmehr einen besonderen auswärtigen Dienst zu entwickeln und ihn einem besonderen Ressort mit Kabinettsrang zu übertragen. Damit kann gleichzeitig erreicht werden, was zweifellos der Vervollständigung und Ergänzung bedarf, nämlich eine stärkere Beteiligung des Parlaments auch bei den Vorstadien politischer Auseinandersetzung und Entschließung. Ich glaube allerdings, eines ist von Herrn Schumacher vorhin mißverstanden worden, als er die Erklärung des Kabinetts als eine Entschließung aufgefaßt hat und daraus nun glaubte, auf die Möglichkeit, weitere Verhandlungen zu führen, Schlüsse ziehen zu müssen. Ich halte im Gegenteil die Herstellung immer besserer Auseinandersetzungsmöglichkeiten zwischen Regierung und Parlament durch einen verantwortlichen Chef der auswärtigen Dienste und die Beauftragten außenpolitischer Verrichtungen für unbedingt notwendig. Das kann auf die Dauer nicht nebenher im Bundeskanzleramt bleiben, sondern diese Funktion der Meinungsbildung und der Meinungsklärung und der Erörterung von Einzelheiten muß einem besonderen Beauftragten mit Kabinettsrang übertragen werden.
Meine Damen und Herren, ich möchte mit einer ganz allgemeinen Erkenntnis abschließen. Alle geschichtliche Entwicklung vollzieht sich als Wellengang zwischen Knechtschaft und Freiheit. Immer wieder versuchen tyrannische Machtstreber, aus politischer Gemeinschaft Herrschaft und aus sozialer Verbundenheit Knechtschaft zu machen; und so muß immer wieder der Freiheitstrebende gegen diese Machtstreben einen immer neuen Freiheitskampf führen. Das ist eine Aufgabe, die unserem Menschenschicksal eigentümlich ist, ob man sie mag oder nicht mag. Dabei, meine Damen und Herren, sollte man auch einer tröstlichen geschichtlichen Erfahrung nicht aus dem Wege gehen: Macht ist, wenn sie dasteht, scheinbar ungeheuer und unerschütterlich; aber in Wirklichkeit lehrt die Geschichte immer wieder, daß die Macht etwas Fragwürdiges ist, wenn sie lediglich von Herrschsucht und Machtgier getragen wird und wenn hinter ihr nicht der Wille wirkt, große moralische Gedanken zu vertreten.
Meine Damen und Herren, hier geht es darum, in der Erkenntnis, in der Gewißheit, daß die Macht des Bösen etwas Vergängliches ist, in einer Gemeinschaft, in einer Solidaritätsgemeinschaft der freien Völker dafür zu sorgen, daß die Bäume der Macht nicht in den Himmel wachsen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. von Merkatz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, daß es sich angesichts der sehr ernsten Frage, die zur Aussprache gestellt worden ist, empfiehlt, weder irgendwelchen Theaterdonner zu veranstalten, noch Krokodilstränen zu weinen. Wir haben die Aufgabe, uns die Lage zu vergegenwärtigen, und der Ausgangspunkt unserer Diskussion muß sein, daß ein Beitrag zur Verteidigung von uns zur Zeit noch nicht verlangt und von der Regierung auch nicht angeboten worden ist.
Die Regierung hat ihre Auffassung dargelegt. Es ist hier fälschlicherweise davon gesprochen worden, daß es sich um einen Entschließungsentwurf
handle. Es handelt sich aber hier nicht um ein Instrument, das in diesem Hause irgendwie der Gegenstand einer Beschlußfassung sein könnte. Es handelt sich um ein Resümee, in dem die Regierung ihre Auffassung klar dargelegt hat. Wer dieses Dokument aufmerksam liest, wird darin sehen, daß die Regierung nichts weiter getan hat, als das Spiel zu eröffnen.
Sie hat mit keinem Wort irgendeine Position dahingehend bezogen, w i e sie sich die Durchführung und Gestaltung der Dinge denkt.
Ich glaube, daß die Kontroverse, die in diesem Hause ausgetragen worden ist, irgendwie von falschen Voraussetzungen ausgegangen ist. Es geht hier bei der, Debatte zunächst nur um das Ob , aber in keinem einzigen Punkt um das W i e , und wenn Sie das Resümee der Regierung aufmerksam lesen, so werden Sie erkennen, daß über das Wie keinerlei Festlegung erfolgt. Das Wesentliche, worauf es der Regierung angekommen ist, ist die Festsetzung der Grundsatzentscheidung, die eigentich in ihrem Inhalt nichts weiter bedeutet, als daß man das Staatsbewußtsein und die Bereitschaft zum Staat auch zu realisieren bereit sein muß in der Bereitschaft, diesen Staat zu verteidigen. Das ist an sich eine selbstverständliche Grundsatzentscheidung. Wie sollte man den Anspruch auf Freiheit und auf Gleichberechtigung erheben können, wenn man nicht bereit ist, Freiheit und Gleichberechtigung durch Übernahme der Pflichten und Verantwortungen konkret zu erfüllen?
In einem gesunden Staate würde bei einer Frage von solch vitaler Bedeutung die Opposition mit der Regierung auf das engste zusammenwirken. Es wäre im Grunde genommen ein Spiel mit verteilten Rollen, in dem der Opposition die Aufgabe zufällt, alle die Bedenken aufzuführen, die von einer Regierung in der konkreten Lage vielleicht nicht vorgebracht werden können. Wenn man die Rede der Opposition analysiert, so findet sich, wenn man den Wahlspeck davon abziehen will, nach außen ein verklausuliertes Ja und innenpolitisch ein sehr lautes Nein. Wir teilen viele der Bedenken, die die Opposition vorgebracht hat; aber wir können uns in einem grundsätzlichen Sinne der Methodik nicht anschließen, die die Opposition als die richtige verkündet hat.
Es sind hier einige Selbstverständlichkeiten angesprochen worden. Es wurde davon gesprochen, daß der Geist der Kapitulation immer noch vorherrsche und in der Praxis der Entscheidungen vorherrschen würde. Das ist in mancher Hinsicht richtig. Aber die Aufgabe, die sehr mühevolle Aufgabe, der sich unsere Regierung zu unterziehen hat, ist ja gerade die, den Geist der Kapitulation zu beseitigen, das heißt mitzuwirken, damit ein Gedanke der Solidarität entsteht, damit ein Geist unter den Völkern der freien Kultur in dem Sinne entsteht, daß die Interessen des einen Volkes von dem andern als die eigenen Interessen empfunden werden und umgekehrt. Das läßt sich sehr leicht sagen, aber es ist ein überaus mühevoller Weg, der hier zu beschreiten ist und der nur in sehr nüchternem Sinne beschritten werden kann. Ohne aber den Glauben und den Idealismus an die Möglichkeit einer solchen Ordnung, wie sie sich aus der Gesamtlage der Dinge ergibt, ohne an eine solche Ordnung zu glauben, ohne den inneren Schwung und die Bereitschaft, diesen Weg zu
gehen, läßt sich bei aller Zähigkeit ein so großes und schwieriges Werk nicht vollbringen.
Es ist viel Kritik an der Politik der Regierung in dieser vitalen Frage geübt worden. Aber blicken wir doch einmal zurück. Es ist noch nicht lange her, da wurde in der Weltmeinung diskutiert, Europa müsse an den Pyrenäen verteidigt werden; und dann wenige Zeit später hat man darüber diskutiert, daß man es am Rhein verteidigen könne. Man dachte da an irgendein Dreieck, dessen eine Spitze mitten in Frankreich lag, dessen andere Spitze in Skandinavien und dessen dritte Spitze ungefähr bei München lag. Nun sind wir immerhin — und das ist ein Verdienst der Regierung — so weit gekommen, daß man einsieht, daß Europa verteidigt werden muß und nur verteidigt werden kann in der Erhaltung der Substanz Deutschlands.
Wir sollten doch unter allen Umständen bei unseren Erwägungen auf diesem Gebiet Rücksicht nehmen auf unsere Deutschen in der sowjetisch besetzten Zone.
Was bedeutet es für diese Menschen, wenn sie Äußerungen hören müssen, wie sie der Pastor und Kirchenpräsident Niemöller gemacht hat!
Es bedeutet doch die letzte Verlassenheit! Es ist eine ganz hohe Verantwortung dieses Hauses, der Regierung und aller, diesen Menschen, die da dem unmittelbaren Terror des sowjetischen Systems, des kommunistischen Systems ausgesetzt sind, doch wenigstens die Gewißheit zu geben, daß wir uns hier nicht in irgendeiner nihilistischen Verneinung gehen lassen.
Es ist in der Rede der Opposition eine vollkommene Verschiebung der Situation vorgenommen worden, indem von der von der Regierung vorgelegten Auffassung, die ja nur eine Diskussionsgrundlage soll, als von einem Fundament gesprochen worden ist, als ob irgend etwas in dieser Frage bereits präjudiziert wäre.
Es ist nichts präjudiziert. Aber eines ist notwendig: Wenn das deutsche Volk nicht in der Lage ist, zu sagen: wir sind bereit, wir haben die innere moralische Kraft, uns zu verteidigen, dann glaubt man diesem Volke überhaupt nicht, daß es einen Staat habe.
Ich bin der Auffassung und teile hier die strategischen Gesichtspunkte, die dargelegt worden sind: es ist der Unterschied zwischen uns und England und den Vereinigten Staaten, daß bei uns gewißlich die erste Schlacht das Drohende ist und für die anderen erst die Entscheidung in der letzten Schlacht gebracht wird. Aber es ist doch der ganze Sinn der von der Regierung verfolgten Politik — und das tritt ganz klar in dem Resümee der Regierungserklärung zutage —, eine Möglichkeit zu suchen für die Sicherung des Friedens. Es ist eine Frage von hohem Verdienst, daß man in dieser schwankenden Zeit rechtzeitig auf dieses Problem hingewiesen hat. Soweit ich unterrichtet bin, hat dieses Ansprechen der Frage der Sicherheit und damit die Mobilisierung der Energien — ja nicht nur der deutschen, sondern in einem europäischen Sinne — wesentlich dazu beigetragen, in der
Ostzone die beharrlichen und zum Widerstand gegen die Überwältigung bereiten Geister festzuhalten und ihnen irgendwo eine Hoffnung zu geben.
Machen wir uns doch über die beiden Dinge nichts vor. Was heißt das hier: Man soll sich versagen in einer festen Haltung? — Im Grunde genommen sind doch diese Dinge, ob verteidigt wird oder nicht, objektive Tatsachen, die dem Willen der Menschen der einen oder der andern Partei, dem einen oder dem andern Politiker überhaupt nicht untertan sind. Es sind objektive Dinge, mit denen wir uns ohne Krokodilstränen und ohne das falsche Pathos irgendeines Ressentiments auseinandersetzen müssen: mit allem Maß, mit aller Vorsicht und unter gar keinen Umständen irgendwie gedrängt und überhastet.
Gewiß, Deutschland steht schon geographisch und als ein zerstörtes Land mit ungleich mehr Opfern anders da. Um so wichtiger, um so vitaler ist es, diese Frage anzusprechen. Wenn auf unserer Seite nicht die geringste Vorstellung über die Lösung dieses Problems vorhanden wäre, wie sollten wir dann verlangen, daß die anderen die Dinge für uns lösen? Dies ist doch der Beweis dafür, daß wir wieder da sind. Was heißt das: das Gewicht von 45 Millionen? Menschen sind keine Masse; sie sind nicht nur eine Quantität. Die Quantität allein tut hier gar nichts. In mein Weltbild von den politischen Vorgängen paßt das nicht hinein. Wenn man etwas erreichen will, muß man auch in sich selbst eine klare Initiative entwickeln. Sonst wird man von den Ereignissen überfahren, und es ist dann nicht die Frage, ob wir Ja oder Nein sagen, sondern es könnte sich die Frage ergeben, ob jemand das russische Gewehr über die Schulter nimmt.
Denn darüber wollen wir uns doch klar sein: ob man in Erdhöhlen oder in festen Häusern lebt, alles, was laufen kann, muß für die Leute drüben Munition karren oder kämpfen und wird um das letzte Restchen der eigenen Selbstachtung gebracht. Insofern glaube ich, daß es keinerlei Patentrezept dafür gibt, diese Fragen zu lösen, sondern daß eine innere moralische Bereitschaft, eine innere Gesundheit unserer Ordnung hervorgebracht werden muß, damit wir fähig sind, in ein System der Verteidigung eingegliedert zu werden, das uns und die anderen schützt. Allerdings muß dann auch bei uns wie bei den andern die Gesinnung Platz greifen, daß das Wohl und Wehe der andern als das eigene empfunden wird. Das ist durchaus möglich.
Wenn man das innerpolitische Nein der Opposition analysieren will, so fällt einem dabei ein Wort auf. Es ist von der Gefahr der Restauration gesprochen worden. Welch merkwürdige Vorstellung: Gefahr der Restauration! Was soll restauriert werden? Es hat keinen Sinn — mein Herr Vorredner hat das bereits sehr eindringlich gesagt in der Vergangenheit zu wühlen and gegenseitig Ressentiments herauszustellen. Aber eines steht doch für jeden einsichtigen Menschen fest: Wenn man ein supranationales Verteidigungssystem und nicht nur einen leblosen Apparat bauen will, dann bedarf es dazu der Schaffung tiefster Grundlagen. Es ist ein Vorgang von dem gleichen geschichtlichen Rang wie nach 1806, als ein Scharnhorst etwas völlig Neues in den geistigen Grundlagen aus der Tiefe des Volkes schuf. Es werden hier Wesensbezirke angesprochen, die weit tiefer liegen, als wir es uns vorstellen. In der Bewältigung dieser Aufgabe liegt doch jene wirkliche Erneuerung unseres Abendlandes, sich zusammenzufinden in Formen der Zusammenarbeit, in denen eine echte Solidarität gegeben ist. Aber ohne daß wir daran mitschaffen, in uns den Ideengehalt entwickeln und dann diesem Ideengehalt folgend auch praktisch handeln, wird dies niemals entstehen können.
Ich glaube, daß es in entscheidenden Stunden der Geschichte immer darauf ankommt, über den eigenen Schatten zu springen. Wir haben zunächst in unserem eigenen Hause die Entscheidung für uns zu fällen, ob wir über unseren Schatten springen können, ob wir in der Lage sind, die Großlinigkeit einer Idee in die praktische Tat umzusetzen. Wenn wir gerade als ein besiegtes Volk dieses Beispiel geben und darin die Kraft der Erneuerung finden, dann habe ich die Hoffnung, daß es sich nicht um eine Vorleistung handelt, sondern um ein Beispiel, das die guten Kräfte, deren Träger ¿a genau so denken wie wir, auch in den anderen Ländern zu dieser Idee bringt. Ich glaube, daß gerade wir als ein besiegtes Volk in der Lage sind, geistig diese große Wandlung zu vollziehen. Gerade das, was die Vertriebenen erlebt haben, diese ungewöhnliche Konfrontierung eines jeden einzelnen mit den Schicksalsmächten, mit dem Elementaren, kann und wird in uns einen Geist mobilisieren, der uns dazu befähigt, jene Großzügigkeit der Idee in die Tat umzusetzen.
Ich möchte den Unterschied, der zwischen der Auffassung der Opposition und unseren eigenen Gedankengängen zutage getreten ist, einmal kurz zu kennzeichnen versuchen. Es ist bei der Sozialdemokratie nicht nur heute, sondern auch schon früher die These der Passivität vertreten worden. Ich will es nicht nur so absprechend charakterisieren. Es ist die Theorie, das deutsche Volk müsse sich versagen und durch das Fegefeuer eines solchen Versagens gehen, weil die Dinge auf es zureifen würden. Es ist so etwas wie eine Dignität des Sichversagens entwickelt worden, eine sehr gefährliche Theorie; denn wenn man sich bemüht, sie etwas einfacher auszudrücken, dann ist es die Theorie: ohne uns. Da ist dann kein Unterschied festzustellen. Aber wie soll etwas Konstruktives auf dieser Erde entstehen, wenn man nichts anderes zu sagen hat als Verneinung?
Dann ist von einer Illusion gesprochen worden. Was ist nun mehr eine Illusion, die Bereitschaft zur Mitarbeit oder die doch sehr abstrakte Vorstellung einer Freiheit und Gleichberechtigung? Die Verweigerung der Verteidigungsbereitschaft ist Verneinen des Staates, der staatlichen Existenz.
Wir sind der Auffassung, daß man den Vorgang der echten Legitimierung vollziehen muß. Gewiß, das Grundgesetz ist zunächst einmal ein Geschenk, ein Apparat, der uns kraft der Londoner Empfehlungen zur Verfügung gestellt wurde. Meine politischen Freunde haben die Auffassung vertreten, daß es darauf ankomme, eben diesen verfassungsmäßigen Zustand von innen heraus durch die Leistung zu legitimieren, es eben nicht bei einem Apparat, bei einem Provisorium bewenden zu lassen, sondern hier den Kern zu schaffen und aus eigener Kraft trotz des Geschenks von außen wieder zur Dignität eines Staates zurückzukommen, d. h. die Kraft zu entwickeln, den deutschen Gesamtstaat wieder zu ermöglichen und damit die Anziehungs-
kraft, die dieser Kernbereich, der in Freiheit sich selbst verwirklicht, ausstrahlt. Ich bin der Überzeugung, daß die Legitimität, die immer für jedes staatliche Handeln verlangt wird, nur aus dem Innersten des Volkes kommen kann. Nichts wird verliehen, nichts wird geschenkt, es sei denn, wir erwerben es uns selbst.
Ich bin nun genötigt, einige juristische Fragen anzusprechen, da die Behauptung der Opposition, daß jeder deutsche militärische Beitrag zu irgendeinem Verteidigungssystem verfassungändernden Charakter habe, der ganz präzisen Widerlegung bedarf. Zunächst ist grundsätzlich zu sagen, daß diese Auffassung von dem sogenannten formellen Verfassungsbegriff ausgeht. Es kann aber nicht erwartet und nicht gefordert werden, daß sich die Verfassungsurkunde über alle Verhältnisse ausspricht, die zu der elementaren Grundordnung eines Staatsvolkes gehören. Die materielle Verfassungswirklichkeit hat den höheren Rang, und es ist klar, daß bei der Existenz der Londoner Empfehlungen, bei den Memoranden der Militärgouverneure, bei den Grenzen, die das Genehmigungsschreiben der Militärgouverneure gesetzt hat, und bei den Grenzen, die das Besatzungsstatut setzte, nicht alle Fragen mit der Deutlichkeit gekennzeichnet werden konnten, wie sie für ein vollständiges Staatswesen notwendig wäre. Es liegt aber — und damit folge ich der Grundkonzeption meiner politischen Freunde — im Wesen dieses Grundgesetzes, daß es der Entfaltung fähig ist, um jedes Stück der ruhenden Souveränität unseres Landes auch wieder in feste Hände nehmen zu können.
Ich muß einen juristischen Unterschied machen zwischen dem Begriff der obersten Gewalt, die als Rechtsgrundlage unseres Besatzungszustandes gilt, und der Souveränität. Diese oberste Gewalt hat ihren Ursprung im völkerrechtlichen Kriegsrecht. Sie hat keinerlei Beziehung zur deutschen Souveränität, die weder treuhänderisch noch sonst von auswärtigen Machten wahrgenommen werden kann. Die Souveränität ruht ausschließlich bei uns und kann einem Volke nicht genommen werden. Nicht in jedem Stadium dieser Rückentwicklung zur vollen Gleichberechtigung als Staat ist es möglich, einen konstituierenden, einen verfassungsgesetzgebenden Akt zu machen. Das spricht das Grundgesetz ganz klar aus. Denn im Art. 146, dem letzten Artikel des Grundgesetzes, wird darauf hingewiesen, daß dieses Grundgesetz gelten soll, bis das gesamte deutsche Volk eine Verfassung in freier Entscheidung beschließt. In dieser systematischen Stellung des Art. 146 in Verbindung auch mit der Präambel des Grundgesetzes ist angedeutet, daß wir in der Zeit der Geltung des Grundgesetzes Stück für Stück einen geduldigen, beharrlichen Weg fortzuschreiten haben, indem uns Teil um Teil unserer bei uns ruhenden Souveränität wieder freigegeben wird. Bis es möglich ist, daß das deutsche Volk in seiner Gesamtheit in freier Entscheidung den verfassungsgesetzgebenden Akt vollzieht, bleibt es aufgefordert, in freier Selbstbestimmung die Einheit und Freiheit Deutschlands zu vollenden. Jeder Schritt. der auf dem Wege der Vollendung dieser vollen Staatlichkeit geschieht, liegt nach dem Willen des Verfassungsgesetzgebers im Rahmen der für uns bis dahin geltenden grundgesetzlichen Ordnung. Daraus ergibt sich die Verfassungswirklichkeit, die das eigentlich Gestaltende in sich schließt, alle Maßnahmen vorwärts zu tragen, die erforderlich sind, Stück für Stück die an uns zurückfallende Selbstbestimmung zu ergreifen mit dem Ziel, den deutschen Gesamtstaat wieder zu vollenden und die Voraussetzung für die Erhaltung der deutschen Substanz zu gewährleisten. Auch wenn sich das Grundgesetz über die Frage der äußeren Verteidigung gänzlich ausgeschwiegen hätte, was nicht der Fall ist, würde die Verteidigung und auch die Vorbereitung einer Verteidigung ohnehin zu den elementaren Grundrechten und Grundpflichten des Staatswesens gehören.
Insofern kann von einem Naturrecht der Notwehr, das die Gesamtheit des Staatsvolkes besitzt, ausgegangen werden. Dr. Dehler hat in der 48. Sitzung des Hauptausschusses des Parlamentarischen Rates am 9. Februar 1949 die Feststellung getroffen, daß kein Volk ein Recht habe, sich der Pflicht zu seiner Verteidigung zu entziehen. Auf Grund des Antrages von Herrn Dr. Dehler, der angenommen worden ist, kann man diese Auffassung als eine grundsätzliche Auffassung des Parlamentarischen Rats und damit des Verfassungsgebers feststellen.
In den Beratungen des Parlamentarischen Rates ist jedoch die Möglichkeit zukünftiger bewaffneter Zusammenstöße durchaus nicht unerwähnt geblieben. Obwohl die Militärgouverneure in ihrem Memorandum vom 2. März 1949 dem Parlamentarischen Rat zu verstehen gaben, daß letzten Endes sie für die Sicherheit verantwortlich sind, hat der Parlamentarische Rat nicht die Auffassung vertreten, daß das deutsche Volk auf seine eigene Verteidigung verzichten müsse oder hierfür keine Vorbereitungen treffen solle. Es ist in diesem Zusammenhang auch nicht der Gedanke aufgetaucht, daß es in einem späteren Stadium einer erneuten Verfassungsgesetzgebung oder eines Appells an das Staatsvolk bedürfe. So sind denn auch diese Gedankengänge in verschiedenen Formulierungen des Grundgesetzes mit hinreichender Deutlichkeit zum Ausdruck gekommen. Schon in den ersten Worten der Präambel heißt es, daß dieses Grundgesetz beschlossen und damit eine staatliche Ordnung errichtet würde, um die nationale und staatliche Einheit zu wahren. Zur Wahrung der staatlichen Einheit gehört aber auch heute noch die Verteidigungsbereitschaft. In Art. 1. Abs. 1 des Grundgesetzes heißt es, daß die Verpflichtung aller staatlichen Gewalt in dem Schutz der Menschenwürde besteht. Die Menschenwürde kann aber auch vor allem durch äußere Angriffe auf die Gesamtheit gefährdet sein, und gerade dann ist der' Staat zu ihrem Schutz verpflichtet. Der Herr Bundeskanzler hat bereits den Art. 4 Abs. 3 erwähnt, wo vom Kriegsdienst mit der Waffe die Rede ist. Diese Bestimmung kann nur einen Sinn haben, wenn man von der logischen Voraussetzung ausgeht, daß sogar die Begründung einer Kriegsdienstpflicht nach dem Grundgesetz möglich und zulässig ist. Nach Abs. 3 des Art. 4 soll das Nähere durch ein einfaches Bundesgesetz geregelt werden. Eine solche bundesgesetzliche Regelung, wie hier ausdrücklich stipuliert ist, ist entweder nur als Teil eines allgemeinen Bundesgesetzes über das Verteidigungswesen oder als nachfolgen des Sondergesetz nach vorheriger Regelung des Verteidigungswesens denkbar.
Mit welcher Realistik und gleichzeitig mit welch großer Humanität der Parlamentarische Rat diese Fragen angesehen hat, geht aus den einschlägigen Äußerungen des Herrn Bundespräsidenten Dr. Heuß, des Herrn Vizepräsidenten des Bundestages Dr. Schmid und des Herrn Staatssekretärs Dr. Eberhard auf der 43. Sitzung des Hauptausschusses des Parla-
3612 Deutscher Bundestag — 98: Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. November 1950
mentarischen Rates vom 18. Januar 1949 hervor. Ich halte es für richtig und für notwendig, daß in dieser Stunde auf die wörtlichen Texte zurückgegriffen wird. Der Herr Bundespräsident, damaliger Abgeordneter Heuss, hat damals zu der Frage der Verteidigung, des Kriegsdienstes sehr grundsätzliche, richtungweisende Ausführungen gemacht. Er hat gesagt:
Ich habe .... in diesen Dingen die Empfindung, man muß sehen, mit sch selber im Reinen zu ble ben. .... Die allgemeine Wehrpflicht ist das legitime Kind der Demokratie;
seine Wiege stand in Frankreich.
Und dann zum Schluß:
Wenn man schon Demokratie machen will, muß
man auch das Funktionelle der Demokratie anerkennen und den Mut haben, es auszusprechen.
Herr Vizepräsident Professor Schmid hat als
nächster Diskussionsredner dazu gesagt:
Unter diesem Gesichtspunkt gesehen, könnte dieser Artikel vielleicht auch akzeptiert werden, wenn man grundätzlich zu der Frage der Demokratie und der Pflicht, sie zu verteidigen,
steht wie Sie, Herr Kollege Dr. Heuss.
- Er tritt also der Auffassung des Herrn Bundespräsidenten bei. —
Wenn Sie glauben, daß im Falle eines Krieges wegen dieses Artikels
-- es handelt sich um die Kriegsdienstverweigerung —
ein billiger Verschleiß von Gewissen stattfinden würde, dann bezweifle ich, ob das richtig ist.
Herr Dr. Eberhard, auch SPD-Abgeordneter, hat dazu gesagt:
Ich glaube durchaus, daß man weder die Demokratie noch den Frieden unter allen Umständen durch ein Bekenntnis zum Frieden oder durch ein Bekenntnis zur Kriegsdienstverweigerung verteidigen kann.
Man hat also absolut deutlich und klar das Problem gesehen, so wie es liegt.
In Art. 24 — ich kann es Ihnen nicht erlassen, diese meine Ansicht hier darzulegen - ist von einem System kollektiver Sicherheit ausdrücklich die Rede, ganz in der Form, wie es gegenwärtig geplant wird. Der Bund hat im Art. 24 des Grundgesetzes im voraus seine Bereitwilligkeit erklärt, sich in ein solches System einzuordnen und die sich hieraus ergebenden Verpflichtungen mit unmittelbarer Verbindlichkeit zu übernehmen. In Art. 26 des Grundgesetzes wird ausdrücklich nur die Vorbereitung eines Angriffskrieges als verfassungswidrig erklärt. Demnach liegen Maßnahmen zur Verteidigung durchaus im Rahmen der Verfassung.
Die oben erwähnte Äußerung des Justizministers Dr. Dehler in der 24. Sitzung des Parlamentarischen Rates ist im Zusammenhang mit einer Beschlußfassung getan worden, durch die das Wort „Angriffskrieges" bewußt an die Stelle des Wortes „Krieges" gesetzt wurde. Der Hauptausschuß hat diesen Beschluß mit 14 gegen 3 Stimmen gefaßt, also auch mit den Stimmen der Sozialdemokratie. Es kann also keine Rede davon sein, daß sich unser Verfassungsgesetzgeber mit dem Problem der äußeren Verteidigung nicht auseinandergesetzt habe und daß er keine entsprechende Regelung in das Grundgesetz hineingeschrieben habe. In Art. 26 Abs. 2 ist außerdem vorgesehen, daß die Herstellung und Beförderung von Kriegswaffen unter gewisser Kontrolle zulässig ist.
Ich halte es nun für meine Pflicht, ergänzend die Genesis des Art. 24 zu bringen.
Die Fraktion der Sozialdemokratischen Partei bestreitet dem gegenwärtigen Bundestag das Recht, in dieser Frage, d. h. in Ausführung des Art. 24, zustimmend zu entscheiden, weil zur Zeit seiner Wahl das Problem noch nicht sichtbar gewesen sei und es sich nicht um die normale politische Willensbildung, sondern um eine Entscheidung handle, die das Wesen der Bundesrepublik von Grund auf verändere. Diese Auffassung steht mit dem Grundgesetz und der Entstehungsgeschichte des Art. 24 in eklatantem Widerspruch. Es waren gerade die sozialdemokra`ischen Vertreter, die bei diesem Artikel d e politische Entscheidung, die mit ihm getroffen wird, herausgearbeitet haben.
Herr Dr. Seebohm, mein Parteifreund, vertrat die Meinung, daß darin eine Strukturänderung des Grundgefüges des Bundesstaates liege, weil die Übertragung von Hoheitsrechten zugleich die Hoheit der Länder berühre. Diese Auffassung ist ausdrücklich abgelehnt worden.
Ich möchte dazu - das ist notwendig - doch auf die Stellen zurückgreifen, in denen die Meinungen zum Ausdruck kommen. Zunächst hat Professor Schmid zu diesem Problem gesprochen. Er hat Besag t:
Die grundsätzliche Entscheidung, ich möchte sagen, die Entscheidung vom Rang einer Verfassungsbestimmung soll nicht bei den einzelnen Akten, sondern schon in. dem Augenblick, in dem wir das Grundgesetz beschließen, als eine Entscheidung allgemeiner und fundamentaler Art getroffen werden.
Der Abgeordnete Dr. Katz sagte weiter:
Die Pointe ist gerade die, daß es durch einfaches Gesetz geschehen kann.
Darin sehen wir den Fortschritt. Wir wollen uns her aus Anlaß dieses Grundgesetzes bereits grundsätzlich bereit erklären, eventuell in ein derartiges System
- also der kollektiven Sicherheit —
einzutreten.
Ferner hat Herr Dr. Katz gesagt:
Das ist eine außerordentlich wichtige Entscheidung. Diese Bestimmung hat also nur Sinn, wenn wir uns jetzt schon darauf festlegen, daß wir bereit sind, Hoheitsrechte auf zwischenstaatliche Einrichtungen zu übertragen, sobald der Augenblick gekommen ist.
Herr Staatssekretär Dr. Eberhard hat gesagt: Wenn wir diesen Absatz so annehmen, wie er hier steht, ist es eine sehr schöne Antwort auf das, was die französische Republik in der Prä-
ambel ihrer neuen Verfassung sagt. Es heißt
dort, daß Frankreich einer Begrenzung der
Souveränität zustimmt, die für die Organisation
und die Verteidigung des Friedens notwendig ist.
Dann hat die Kommunistische Partei einen Antrag gesteilt. Ich muß das anführen, um den Sinn und die Tragweite vollkommen klarzustellen. Herr Renner wollte in diesen Artikel hineingeschrieben haben:
daß dieses System nicht der Vorbereitung eines Krieges dient und keine militärischen Hilfeleistungen irgendwelcher Art von der Republik oder ihren Angehörigen gefordert oder erwartet werden.
Dieser Antrag des Abgeordneten Renner wurde abgelehnt.
Auf einen Antrag des Abgeordneten Menzel, der den Begriff „kollektive Sicherheit" — was ja immerhin ein technischer und im Völkerrecht völlig klargestellter Begriff ist — durch den Begriff „gemeinsame Sicherheit" ersetzen wollte, hat Professor Schmid folgendes gesagt:
Ich möchte kurz etwas zu dem Antrag Dr. Menzel bemerken, statt „gegenseitiger kollektiver Sicherheit" „gemeinsamer Sicherheit" zu sagen. Ich möchte bitten, diesen Antrag aus folgendem Grund zurückzuziehen. Der Begriff „kollektive Sicherheit" ist ein Terminus technicus, unter welchem etwas ganz Bestimmtes verstanden wird. Der Ausdruck „gemeinsame Sicherheit" entspricht einem indifferentiellen Sprachgebrauch, unter dem man sich das Verschiedenste vorstellen kann. Unter „kollektiver Sicherheit" ist etwas ganz Präzises zu verstehen, eine Institution aus dem großen Gebiet des Kriegsverhütungsrechts, das in den modernen Lehrbüchern als besonderer Abschnitt des Systems des positiven Völkerrechts behandelt zu werden pflegt.
Professor Schmid sagt weiter:
„Kollektive Sicherheit" ist ein genau so klar umrissener Terminus wie im Bürgerlichen Recht der Ausdruck „ungerechtfertigte Bereicherung".
Herr Dr. Menzel hat seinen Antrag aufrechterhalten. Dieser Antrag ist aber abgelehnt warden.
So ist in den Text unseres Grundgesetzes die Bestimmung des Art. 24 hineingekommen:
Der Bund kann sich zur Wahrung des Friedens einem System gegenseitiger kollektiver Sicherheit einordnen; er wird hierbei in die Beschränkungen seiner Hoheitsrechte einwilligen, die eine friedliche und dauerhafte Ordnung in Europa und zwischen den Völkern der Welt
- Atlantikpakt! —
herbeiführen und sichern.
Das ist, glaube ich, die ganz klare Genesis, die auch in der zweiten Lesung dieses Artikels aufrechterhalten wurde.
In der zweiten Lesung sagt der Abgeordnete Dr. Eberhard, auch ein Angehöriger der SPD:
Wir geben uns hier eine verfassungsmäßige Ordnung, genannt Grundgesetz. Wir haben in erster Lesung ausführlich darüber gesprochen, ob wir ein einfaches Gesetz vorsehen wollen, und wir haben uns dazu entschlossen, im Grundgesetz zu sagen, daß durch einfaches Gesetz Hoheitsrechte
- in ein kollektives Sicherheitssystem
Sie sind sichtbar seit Yalta und Potsdam.
Wenn der Sozialdemokratie jetzt in der Frage der Verteidigung der Freiheit der Atem ausgeht und sie den Appell an den Nihilismus unserer Zeit versucht, um dem, was sie an Entscheidung selbst klar gesehen hat, im Mantel eines, wie ich sagen muß, falschen nationalen Pathos auszuweichen, um daraus, wie sie ja hofft, parteitaktische Wahlvorteile zu ziehen,
also einen Appell an den Wahlspeck zu machen, so können wir uns darüber nur außerordentlich wundern.
Der Umfall in ihrer Haltung, verglichen mit ihrer klaren Linie im Parlamentarischen Rat, ist jedenfalls als eine Krisenerscheinung allerersten Ranges zu notieren.
— Ich glaube, daß meine Rede nicht so sehr humoristisch ist. Der Stoff, der Gegenstand ist keineswegs humoristisch. Jedenfalls empfinde ich es als sehr wenig humoristisch, obwohl es ans Groteske streift, wenn es in dem Brief des Herrn Kirchenpräsidenten Niemöller
nein, es ist nicht falsch gelesen, Sie können es nachlesen — heißt
— ich glaube, daß ich das Problem zu gut erfasse! —, es halte sich hartnäckig die Behauptung, daß zwischen dem Bundeskanzler usw. eine Abmachung über die Verteidigung bereits bestehe und daß dann dieselben Männer, die hier eine völlig klare, logische Linie bezogen haben und sich damals dazu bekannt haben, in ein System kollektiver Sicherheit einzutreten, nun die Dinge vollkommen umdrehen.
Das deutsche Volk wünscht nichts sehnlicher als den Frieden und hat als Ziel einer deutschen Friedenspolitik, alle Deutschen in wahrer innerer und äußerer Freiheit zusammenzuführen. Angst und Unentschlossenheit fordern einen kommunistischen Angriff geradezu heraus. Eine klare, mutige und unzweideutige Politik in der Frage der Sicherheit tut not. Eine solche Politik ist in erster Linie eine Angelegenheit der Alliierten und der atlantischen
Gemeinschaft. Dabei gehört es für ein freies Volk zu den Selbstverständlichkeiten, bereit zu sein den Boden der Heimat zu verteidigen.
Das sind eigentlich metapolitische Tatsachen.
Die Bundesrepublik hat sich weder anzubieten noch zu versagen, sondern zu ihrem Teil die Gewähr zu geben, daß im Bereich ihrer Zuständigkeit alle Bedingungen gesetzt werden, die einen wirksamen Schutz durch die Mächte der atlantischen Gemeinschaft erleichtern. In der Erkenntnis, daß die Erneuerung eines deutschen Staates nur aus der Bereitschaft für Europa erwachsen kann, fühlen wir uns mit den besten Kräften des deutschen Volkes darin einig, daß jeder Schritt gerechtfertigt ist, der dazu beitragen kann, Sicherheit und Freiheit aller freiheitliebenden Völker zu fördern. Wir bekennen uns zu einer europäischen Gemeinschaft, zu gleichem Opfer und zu gleichem Nutzen, zu gleichen Pflichten und zu gleichen Rechten.
Die Bereitschaft, Europa zu verwirklichen, schließt notwendig auch die Bereitschaft ein, Europa zu verteidigen. Den Mächten der atlantischen Gemeinschaft muß klargemacht werden, daß Deutschland nicht als Vorfeld mißbraucht werden darf. Mit der Vernichtung der deutschen Substanz wäre Europa ebenso zerstört wie mit der Vernichtung des französischen oder irgendeines anderen europäischen Volkes. Wir müssen der Gefahr ganz ruhig gegenübertreten und ihr ins Auge blicken.
Ein deutscher Beitrag kann aber nur wirksam werden, wenn die westliche Welt die. moralische und praktische Wende in ihrem Verhältnis zum deutschen Volk so aufrichtig vollzieht, wie auch das deutsche Volk dazu bereit ist. Fragen der Verteidigung rühren an das innerste Wesen des Staates. Sie dürfen nicht Gegenstand der Parteipolitik und der Wahlagitation sein.
Keine deutsche Regierung ist legitimiert, deutsche Staatsbürger in einen Helotenbeitrag zu verstrikken. Der Soldat muß der Fahne und darf nicht der Gulaschkanone verpflichtet sein.
Er muß wissen, wofür er kämpft. Diese Fahne, diese Idee kann nur die europäische sein.
Noch weht die europäische Fahne nicht, noch herrschen teilweise Mißtrauen, nationaler Eigennutz, und noch und das ist ein besonderes Anliegen meiner politischen Freunde — ist die Diffamierung des deutschen Soldaten nicht wiedergutgemacht.
Ich stehe auf dem Standpunkt, daß die Ehre des deutschen Soldaten durch nichts gekränkt werden kann.
Die Ehre des deutschen Soldaten ist für uns unantastbar und steht fest.
Aber auch der Versuch, ehrenwerte Männer unter zum Tel unwürdigen Verhältnissen in Hait zu halten, bedarf des Widerspruchs, und es bedarf wirklich einer tatkräftigen Handlung — ich möchte
das in aller Ruhe hier vorbringen —, um den Deutschen diese Last von der Seele zu nehmen. Denn darüber sind wir uns doch klar: Männer wie Manstein, wie Kesselring und andere, die in Landsberg und Werl einsitzen, diese Männer und wir, wir sind doch eines. Wir haben doch das mitzutragen, was man ihnen, stellvertretend für uns, auferlegt.
Man schaffe die moralischen und praktischen Voraussetzungen in Europa, damit der ehrliche Wille und die geschichtliche Einsicht in die Fehler und die Schuld auch der deutschen Vergangenheit die besten deutschen Kräfte vereinigt mit einer entschlossenen europäischen und atlantischen Politik in der Notwendigkeit, durch Stärke und Zusammenarbeit die Gefahren eines dritten Weltkrieges zu bannen.
Wir begrüßen es lebhaft, daß der Kerngedanke der Regierungserklärung der gewesen ist: Sicherung des Friedens. Starke alliierte Truppenverbände müssen an der Elbe stehen, die eine weitere Ausbreitung des Sowjetismus hindern und deren Vorhandensein eine Revision in der Aggressionspolitik der östlichen Welt einleiten wird. Man stärke die Bundesrepublik in ihrer friedlichen Absicht, den deutschen Menschen ein lebenswertes Leben zu ermöglichen. Man gebe Sicherheit und Beweise des guten Willens sowie des Vertrauens, die den deutschen Menschen Hoffnung verleihen, den Weg der Arbeit wad des zähen Fleißes fortzusetzen, um die Wunden zu heilen und so einen Beitrag für die Gesundung der Welt zu leisten.
Man nenne unsere Sorge um die deutschen Menschen im Osten, die dem kommunistischen Regime ausgesetzt sind, nicht Revisionismus. Deutschland will nicht in der Verblendung von einst wiederkehren, sondern als Glied des vereinigten Europas. Das deutsche Volk lebt in der Erkenntnis neuer Horizonte einer besseren Welt, die mit der Verwirklichung der europäischen Gemeinschaft heraufkommen wird.
Wir alle haben die Besten dahingehen sehen; wir alle haben unsere Gräber draußen. Uns bleibt in dunkelster Stunde der deutschen Geschichte die Aufgabe, eine Nachtwache zu halten,
um zu behüten und zu bewahren, was Inhalt unserer Menschenwürde ist. Wir haben vor die Schwachen, die Verzweifelten und vor die Bedenkenlosen hinzutreten, um sie zu schützen vor Unbedacht und Gehenlassen — sei es mit den Gefühlen ohnmächtigen Nationalismus' gepaart —, oder vor der Versuchung zu bewahren, als käufliche Menschen alles zu verraten, was uns allein zukommt: Beharrung und Selbstverwirklichung.
Ich bin mit meinen politischen Freunden im Angesicht eines furchtbaren Gegners ganz ruhig. Diese Ruhe ist dem deutschen Volke lebensnotwendig und ist mit der wichtigste Beitrag, daß wir unser Dasein erhalten: uns nicht einschüchtern zu lassen, weder durch die Methoden der direkten Aggressionsdrohung noch durch die indirekten Methoden des Nervenkrieges.
Wir beklagen es tief, daß sich so viele Deutsche im Osten als Helfershelfer eines Systems gefunden haben, das seine willkürliche Utopie aller Welt gewaltsam aufzwingen will, um diese Erde einer kleinen Cliqué machthungriger Menschen botmäßig zu machen. Es ist nicht das erste Mal, daß wir Europäer uns solchen Bedrohungen gegenübersehen. Ohne uns geht es nicht. Wir setzen der Parole des „ohne uns" oder des „ohne mich" ganz bewußt die Forderung entgegen: mit uns.
nicht nur für uns, sondern für eine Welt freier
Völker, die begriffen haben, daß der größere Horizont, die Selbstbereinigung nationalistischer Instinkte das Tor für eine Ordnung öffnet, die den
Schlußstein in die Verwirklichung der sozialen
Forderungen und Verpflichtungen setzt, die uns in
diesem rätselhaften Jahrhundert aufgegeben sind,
daß aus der Summe unermeßlicher Brutalität und
Lüge ein neues Gesetz menschlichen Daseins gebären wird. Unser Volk steht in Gefahr, die Richtung
zu verlieren. Bei dem Thema, das heute hier besprochen worden ist, handelt es sich um eine echte
Führungsaufgabe. Gebe Gott uns und unserem
Volk die Kraft, daß wir unserer Pflicht genügen!
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. von Brentano.
Meine Damen und Herren! Am 16. Dezember 1949 hatte ich den Auftrag, namens der Fraktion der Regierungskoalition folgende Erklärung abzugeben:
Das deutsche Volk ist von dem Krieg und seinen Folgen auf das schwerste getroffen. Es muß daher alle moralischen und materiellen Kräfte zusammenfassen, um seine staatliche Lebensform zu erneuern, um seine Wirtschaft wiederaufzubauen und so seinen Volksangehörigen gesunde Lebensmöglichkeiten zu schaffen. Wir können die Hoffnung nicht aufgeben, daß es den Siegermächten gelingen möge, nach dem Kriege endlich auch den Frieden zu gewinnen. Ein neuer Krieg würde die Lebenshoffnungen des deutschen Volkes begraben. Dem deutschen Volke liegt daher der Gedanke an eine Wiederaufrüstung fern. Deutschland, räumlich und geschichtlich ein Bestandteil des abendländischen Kulturkreises, hat den Willen, entsprechned seinem Grundgesetz als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen und seine menschliche Freiheit zu wahren.
Meine Damen und Herren! Diese Erklärung hat auch bis zum heutigen Tag in keinem Satz und in keiner Nuance an Gültigkeit verloren.
Aber nichts zeigt in eindringlicherer und, wie ich sagen muß, erschütternderer Weise die Krise, in der unsere Welt steht, als die Tatsache, daß wir uns heute mit der Frage beschäftigen müssen, ob und enter welchen Bedingungen Deutschland bereit ist, sich an der Verteidigung der gemeinsamen europäischen Freiheit zu beteiligen.
Wenn wir über diese Frage sprechen, dann sollten wir so, wie es auch der Herr Bundeskanzler in seiner Erklärung getan hat, eines immer wieder an die Spitze stellen: den Ruf nach dem Frieden. Ich glaube, das Schicksal, das die letzten zwei Kriege nicht nur über Europa, sondern .über die Welt gebracht haben, hat sich an keinem Volk und in keinem Volk so eindringlich vollzogen wie dem deutschen.
Es gibt kein Volk — heute morgen hat Herr Dr. Schumacher die erschütternden Zahlen genannt —, das so unmittelbar und so schwer gelitten hat wie das deutsche. Deswegen sollte man in der Welt auch
nicht erstaunt sein, wenn man auf die Frage nach einer Beteiligung Deutschlands an einer gemeinsamen Verteidigung nicht etwa ein begeistertes Ja aus dem Munde der Deutschen hört. Aber wenn wir immer wieder mit allem Nachdruck und mit tiefem Ernst den Wunsch nach Frieden aussprechen, weil wir wissen, daß wir mit den gigantischen Aufgaben, die die Vergangenheit uns hinterlassen hat und die die Gegenwart uns täglich neu stellt, nur fertig werden konnen, wenn wir sie in Frieden lösen können, wenn wir diesen Ruf immer wieder erschallen lassen und immer wieder zum Ausdruck bringen, daß uns für den Frieden nichts, kein Opfer zu schwer werden dürfe, dann sollte man an der Ehrlichkeit einer solchen Erklärung nicht zweifeln. Ich habe es bedauert, daß gerade Herr Dr. Schumacher, als er für sich und seine Freunde diesen Wunsch nach dem Frieden für das deutsche Volk betonte - und ich glaube, jeder von uns hat ihm die Ehrlichkeit dieses Wunsches geglaubt —, in diesem Zusammenhang für die andern die Ehrlichkeit dieses Wunsches zu bezweifeln für richtig hielt.
— Ich habe die Erklärung so verstanden.
— Ich bin erfreut, aus diesem Zwischenruf zu hören, daß es nicht so gemeint war; aber ich glaube, ich war es nicht allein, der diese Nuance so verstehen zu müssen glaubte. Ich glaube, wir sollten uns über diese Dinge in dieser Weise grundsätzlich nicht unterhalten; denn gerade hier wird jede Nuance im Ausland mit größter Aufmerksamkeit verfolgt, und wir sollten denen, bei denen noch Mißtrauen übrig ist, nicht die Möglichkeit geben, neues Mißtrauen zu schöpfen. Wir sollten denen, die gerne solche Andeutungen hören, um sie dann propagandistisch mißbrauchen zu können, auch nicht den Stoff liefern.
Meine Damen und Herren! Wenn ich an die Spitze meiner Ausführungen in dieser Debatte den ernsten Wunsch nach der Erhaltung des Friedens stelle und wenn ich sage, daß wir nichts tiefer bedauern als die Notwendigkeit, zu dieser Stunde eine solche Diskussion führen zu müssen, dann lassen Sie mich dazu sagen, daß wir es als eine verhängnisvolle Weltfremdheit betrachten würden, wenn wir gegenüber den Ereignissen — nicht nur der jüngsten Vergangenheit — etwa die Augen schließen und so tun wollten, als sei Deutschland, als sei der Bestand der Bundesrepublik nicht in Gefahr; wenn wir so tun wollten, als könnten wir mit einer Vogel-Strauß-Politik eine echte Gefahr beseitigen, wenn wir so tun wollten, als könnten wir mit einem solchen Glauben Wunder wirken. Es ist unsere Aufgabe, die Dinge nicht nur zu sehen, sondern auszusprechen; und ich begrüße es, daß diese Diskussion heute stattfindet. Sie war notwendig, denn in der Öffentlichkeit haben mancherlei nicht immer vorbedachte Erklärungen starke Beunruhigung geschaffen, und ich habe den Eindruck, daß mancher Kommentar gegeben wurde, bevor sich derjenige, der ihn gab, der Tragweite klar bewußt war, ja daß sogar mancher Kommentar zu Erklärungen .gegeben wurde, bevor die Erklärung im Wortlaut überhaupt vorlag.
Ich glaube, wir hätten alle — ich nehme niemanden aus — der Sache besser gedient, wenn wir
uns mit etwas mehr Ruhe, mit etwas mehr Bedachtsamkeit zu diesen Problemen geäußert hätten; wenn wir verstanden hätten, daß Millionen des deutschen Volkes gerade eine Aussprache über eine solche Lebensfrage mit der größten Aufmerksamkeit verfolgen und daß jede falsche Nuance, daß jeder falsche Zugenschlag hier Millionen von Menschen wieder in Sorgen, in Angst und in Not stürzen kann.
Ich habe mit Aufmerksamkeit die Ausführungen des Herrn Kollegen Dr. Schumacher gehört. Ich darf ihm sagen, ,daß die Einwendungen, daß die Vorbehalte, die aus seinen Worten klangen, weitgehend auch die unseren sind. Ich glaube, wir sollten auch über diese Dinge hier sehr offen sprechen, denn ich habe doch den Eindruck, daß eine solche Aussprache vieles klären kann.
Wenn ich den Gesamteindruck der Debatte vorwegnehme — und, meine Damen und Herren, ich glaube, mich da nicht zu irren —, dann möchte ich doch sagen: die überwiegende Mehrheit des Hauses genau wie die überwiegende Mehrheit des deutschen Volkes ist sich des Ernstes der Stunde bewußt und ist im Innersten bereit, einen Beitrag zur Verteidigung seiner Freiheit zu leisten, weil es weiß, daß es ohne Freiheit nicht leben kann und nicht leben wird.
Nun — um auf einzelne Einwände einzugehen — lassen wir uns in dieser Entscheidung wirklich nicht von irgendwelchen moralisierenden Betrachtungen oder gar Belehrungen anderer beeinflussen. Ich glaube aber, wir sollten nicht so ängstlich sein und nun jeden Artikel in irgendeiner Zeitung heranziehen, wenn wir andere Beispiele haben. Wir tun doch vielleicht dem amerikanischen Volke unrecht, wenn wir seine Einstellung zu diesen Dingen nur aus einem Artikel in der „Neuen Zeitung" entnehmen zu können meinen. Wir sollten uns vielmehr hier einmal einer, Rede erinnern, die der Präsident der Vereinigten Staaten noch vor wenigen Wochen anläßlich des fünften Jahrestages der Vereinten Nationen gehalten hat, einer Rede, von der ich sagen möchte, daß sie wirklich von tiefstem sittlichen Ernst getragen war, einer Rede, die, glaube ich, jeder von uns vollinhaltlich zu unterschreiben bereit ist. Lassen Sie mich einen Satz zitieren:
Ich glaube,
— sagte der Präsident Truman —
daß sich die Völker der Welt auf die Vereinten Nationen verlassen, um zwei große Ziele erreichen zu können. Sie erhoffen von ihnen Hilfe bei der Verbesserung ihrer Lebensbedingungen, und sie verlassen sich darauf, daß die Vereinten Nationen ihre tiefe Sehnsucht nach Frieden erfüllen werden. Diese zwei Ziele sind eng verbunden. Ohne Frieden ist es unmöglich, Fortschritte in der Verbesserung der Lebensbedingungen für alle zu erzielen. Ohne Fortschritte in der Wohlfahrt der Menschen werden die Grundlagen des Friedens unsicher bleiben. Darum können wir es uns niemals leisten, eine dieser Aufgaben auf Kosten der anderen zu vernachlässigen.
Meine Damen und Herren, ich glaube nicht, daß man hierin ein falsches Moralisieren erblicken kann. Hier wird das ausgesprochen, was auch unser Wunsch ist. Hier wird — das halte ich für besonders bedeutungsvoll — mit eindeutiger Klarheit auch das ausgesprochen, was meine Überzeugung
ist: daß wir die innere und die soziale Sicherheit niemals von der äußeren Sicherheit trennen können.
Es ist klar: Wir können zur Erhaltung des Friedens einen entscheidenden Beitrag leisten, wenn wir alles und das Letzte tun, um unserem deutschen Volk auch das Gefühl der Sicherheit in sich zu geben; wenn wir das Letzte tun, um die Lebensbedingungen des deutschen Volkes zu verbessern, wenn wir den Lebensstandard so gestalten, daß das deutsche Volk noch weiter und noch stärker gegen das Gift von Osten immunisiert wird.
Aber es erinnert mich doch an irgendwelche sektiererhafte Vorstellungen, wenn irgendwelche Intellektuelle in den letzten Wochen manchmal glaubten, daß das der einzige Beitrag sei, den wir leisten müßten, und daß wir mit diesem Beitrag den Frieden des deutschen Volkes garantieren könnten. Ich erinnere hier an einen Satz, den Friedrich Naumann vor vielen Jahrzehnten gesagt hat und der heute sicherlich genau so gültig ist wie damals: „Was nützen die besten Sozialgesetze, wenn die Kosaken kommen!"
Ich stimme auch mit dem, was Herr Dr. Schumacher sagte, vollkommen überein, wenn er betonte, wir sollten aus der Angst vor dem Osten kein Instrument der Propaganda machen. Nun, ich kann ihm versichern, daß wir uns in unseren Entscheidungen durch eine solche Angstpsychose nicht beeinflussen lassen,
daß wir vielmehr entschlossen sind, ohne solchen Angstvorstellungen nachzugeben, das Nötige zu tun, um den Frieden und die Freiheit zu sichern. Wir haben auch nicht die Nerven verloren, und für mich ist die Fragestellung, ob heile Menschen oder ob Krüppel bolschewisiert werden sollten, unbegreiflich.
Ich lehne diese Alternative ab; sie erinnert mich an die Fragestellung, ob der Selbstmord dem Tode vorzuziehen sei.
Ich glaube aber, daß wir noch folgendes dazu sagen sollten: Es ist hier darüber diskutiert worden, ob Deutschland sich bereit erklärt habe, ob die deutsche Bundesrepublik sich bereit erklären dürfe, einen Beitrag zur allgemeinen Sicherheit zu leisten. Es ist kritisiert worden, daß vielleicht in den Äußerungen der Bundesrepublik eine solche Bereitschaft zum Ausdruck gekommen sei, eine Bereitschaft, die man mit einem Angebot vergleichen könne, obwohl die Voraussetzungen für eine Beantwortung der Frage noch nicht gegeben seien. Auch hier ein Wort zur Klärung. Ich glaube, daß es sich nicht darum handeln kann, daß man uns auf das anredet, was wir für den Krieg zu tun bereit sind, sondern wir sind bereit, uns nur darauf ansprechen zu lassen, was wir für den Frieden tun wollen. Auf diese Frage allerdings glaube ich, sollten wir ohne Vorbehalt die Antwort geben: alles.
Ich möchte hier — ich halte das für meine Pflicht — an die Haltung der Berliner Bevölkerung erinnern. In einer Situation, in der Millionen von Menschen außerhalb Berlins bereits die Hoffnung aufgegeben hatten, daß der Widerstand Berlins noch erfolgreich sein könne, als viele, die heute wieder Mut haben, sich flüsternd zuraunten, daß man dieses Experiment doch aufgeben müßte, — in dieser Zeit haben diese Millionen von Menschen in Berlin den Mut nicht verloren, sie haben in einer heroischen Weise Widerstand geleistet, und sie haben dem gesamten deutschen Volke und der Weltöffentlichkeit bewiesen, daß es wieder Deutsche gibt, denen die Freiheit über alles geht.
Diese Haltung, meine Damen und Herren, hat ja auch ihre Früchte gezeitigt. Denn diese mutige Haltung hat auch die Umwelt dazu veranlaßt, hier zu helfen, und es sind, wenn ich meinen Vorredner, Herrn Dr. Schäfer, vielleicht insoweit ergänzen darf, nicht nur Opfer gebracht worden für die Freiheit Südkoreas, sondern die ersten Opfer sind von den Amerikanern für die Freiheit Berlins gebracht worden, auch Opfer an Menschenleben.
Selbstverständlich sollten wir uns auch nicht von irgendeiner Psychose oder Vorstellung bestimmen lassen, es müsse nun etwas geschehen. Vielleicht klingt aus mancher Rede, die heute hier gehalten wird, und aus manchem Artikel dieser Ruf an die Öffentlichkeit: Es muß etwas geschehen! Ich glaube aber, mich darin mit allen im Hause einig zu wissen, daß es uns nicht darauf ankommt, daß etwas geschehen muß, sondern daß wir erwarten, daß das Richtige geschieht. Ich sehe auch keinen Unterschied, wie er vielleicht in den Ausführungen von Herrn Dr. Schumacher anklang, als sei hier wieder eine Auseinandersetzung zwischen unbedingten und bedingten Remilitaristen im Gange.
Zunächst möchte ich auch unterstreichen, was einer meiner Vorredner schon sagte: Wollen wir uns nicht von diesem unseligen Wort einmal trennen? Es kann nicht oft genug gesagt werden, daß mit dem Begriff Remilitarisierung sich wirklich auch in der Öffentlichkeit gewisse Vorstellungen verbinden, als bestehe ,die Absicht, Gewesenes zu restaurieren oder doch zu kopieren. Für meine Freunde und für mich kann ich mit aller Eindeutigkeit sagen, daß wir weder daran denken, Gewesenes zu restaurieren, noch daß wir daran denken, Gewesenes zu kopieren, daß wir aber wohl den ernsten und entschiedenen Willen haben, etwas Neues zu schaffen. Wir wollen nicht remilitarisieren, wir wollen keine deutsche nationale Armee als Mittel zur Durchsetzung machtpolitischer Ziele. Wir wollen einen Beitrag zu einer europäischen Armee im Zuge der Integration Europas leisten. Wir wollen bereit sein, uns innerhalb einer solchen europäischen Gemeinschaft den gleichen Aufgaben, den gleichen Verpflichtungen zu unterziehen wie die anderen, und wir wollen hierzu bereit sein nicht im Sinne und im Wege der Remilitarisierung, wohl aber im Sinne des Anrufs an das deutsche Volk, sich seine Freiheit zu erhalten und in einer solchen gemeinsamen Armee mitzuarbeiten. Ich sehe darin - lassen Sie mich das auch noch andeuten in keiner Weise einen Widerspruch zum Grundgesetz. Ich möchte nicht die Zitatensammlung meines Vorredners, des Herrn Kollegen. von Merkatz, 'fortsetzen, obwohl sie lehrreich war; ich möchte mich darauf beschränken, noch einen Satz zu zitieren, der mir noch deutlicher als mancher vorangegangene zu beweisen scheint, daß sich einzelne Mitglieder auch der sozialdemokratischen Fraktion im Parlamentarischen Rat der heutigen Situation schon bewußt waren. Ich hatte damals als Mitglied des Redaktionsausschusses, dem auch mein Kollege Zinn angehörte, den Auftrag, den Vorschlag zu machen, das Wort „Krieg" im Art. 26 durch das Wort ,,Angriffskrieg" zu ersetzen, und erklärte für den Redaktionsausschuß: „Verboten ist der Angriffskrieg, während ein Verteidigungskrieg wohl nicht verboten sein dürfte".
Wie gesagt, ich sprach für den Redaktionsausschuß. Daraufhin hat Herr Kollege Schmid sich für die Beibehaltung des Wortes „Krieg" ausgesprochen und das wie folgt begründet:
Wir sollten damit unsere Meinung zum Ausdruck bringen, daß in einem geordneten Zusammenleben der Völker das, was man früher als die ultima ratio regum, als das Souveränitätsrecht der Souveränitätsrechte, ansah, schlechthin keine Stätte mehr haben soll, daß, wenn schon Gewalt ausgeübt werden muß, diese Gewalt nicht als nationaler Souveränitätsakt ausgeübt werden soll, sondern als Akt des kollektiven Selbstschutzes aller Nationen, die dafür sorgen, daß auf der ganzen Welt der Friede erhalten bleibt und es Angreifern unmöglich gemacht wird, den Frieden zu stören.
Meine Damen und Herren, ich wüßte nicht, wie
man die Auffassung der Bundesregierung klassischer umreißen könnte, als es hier vorausahnend
vor 2 Jahren der Herr Kollege Schmid getan hat.
Ich habe eben erklärt, worum es uns geht. Es geht uns nicht um die Errichtung einer neuen nationalen Armee. Ich halte es für richtig und notwendig, auch hier von dieser Stelle aus noch einmal den entscheidenden Satz zu wiederholen, den ich für meine Freunde in Straßburg ausgesprochen habe, den Satz, dem ich auch heute nichts hinzuzufügen und von dem ich nichts wegzunehmen habe. Ich habe erklärt:
Um den demokratischen Völkern Europas und der Welt den Frieden, aber auch die Freiheit zu erhalten, sind meine Freunde bereit und entschlossen, den Gedanken nicht einer nationalen Armee, wohl aber einer vereinigten europäischen Armee freier und gleichberechtigter demokratischer Völker unter gemeinsamer europäischer Führung und demokratischer Kontrolle zu unterstützen. Wenn wir der Resolution von Mr. Churchill unsere Zustimmung geben, obwohl Deutschland bis heute die Freiheit seines Handelns noch nicht wieder erlangt hat, so wollen wir damit zum Ausdruck bringen, daß wir uns der Freiheit und dem Recht gleichermaßen verpflichtet fühlen wie die anderen Vertreter der freien Völker Europas.
Meine Damen und Herren! Ich glaube, daß damit auch alles zum Ausdruck kommt, was an Vorbehalten für eine solche Beteiligung in der Rede des Herrn Dr. Schumacher noch zum Ausdruck kam. Er hat als Voraussetzung für eine solche Beteiligung an der Verteidigung der westlichen Welt das uneingeschränkte Bekenntnis zur internationalen Solidarität verlangt. Ich stimme ihm ohne jeden Vorbehalt zu. Aber ich darf vielleicht hier an das
Kommuniqué der Außenministerkonferenz vom 19. September 1950 erinnern, in dem es heißt, daß die alliierten Regierungen jeglichen Angriff gegen die Bundesrepublik oder Berlin, von welcher Seite er auch kommt, als einen gegen sich selbst gerichteten Angriff behandeln. Ich glaube, daß dies ein Ausdruck internationaler Solidarität ist, wie ihn mancher von uns vor Monaten noch nicht zu erhoffen wagte. Ich verstehe die Sorge und teile sie — jeder von uns teilt diese Vorstellung —, daß im Falle einer Auseinandersetzung, die Gott uns ersparen möge, Deutschland infolge seiner geographischen Lage das am meisten gefährdete Land ist.
Aber, meine Damen und Herren, ich glaube, auch Garantien, auch Versprechungen, die man uns geben würde, könnten die geographische Lage unseres Vaterlandes nicht ändern und vermöchten nicht die Grenzziehung zu beseitigen, unter der wir heute leiden.
Selbstverständlich ist es auch unser Wunsch und unsere Forderung, daß Deutschland nicht das Schlachtfeld, am wenigsten das Glacis eines Kampfes sein darf. Aber vielleicht sollte man diesen Appell an die internationale Solidarität und den Wunsch, nicht mehr mit den Vorstellungen zu spielen, Deutschland könne ein Glacis sein, an den französischen Verteidigungsminister Jules Moch richten, der leider Sozialist ist.
Wenn im übrigen Herr Dr. Schumacher erklärt, daß ein Land nicht zur Verteidigung anderer mißbraucht werden dürfe, dann vermag ich ihm auch hierin nur zuzustimmen. Sicherlich ist niemand unter uns, der etwa glaubte, daß deutsche Truppen unter irgendeinem Vorwand oder unter irgendeiner Bedingung als Kontingente für fremde Zwecke benutzt oder mißbraucht werden dürften. Aber wenn wir die Forderung aufstellen, daß ein Land nicht zur Verteidigung anderer gebraucht werden darf, dann involviert das auch wohl das Bekenntnis, daß wir uns an der Verteidigung unseres Landes beteiligen müssen; denn sonst können wir keine solche Forderung an die anderen stellen.
Ich möchte doch vor der Vorstellung warnen, wie sie manchmal — nicht heute — in der Diskussion in der Öffentlichkeit zum Ausdruck kam, daß wir ausgerechnet auf die bedingungslose Kapitulation pochend nun sagen könnten: Ihr habt uns besiegt; ihr habt nun auch die Konsequenzen zu tragen und uns zu verteidigen. Meine Damen und Herren, niemand wird diejenigen, die nach der bedingungslosen Kapitulation die volle Verantwortung für das Schicksal Deutschlands übernommen haben, aus dieser Verantwortung entlassen, Aber ich glaube, wir dürfen nun auch nicht, wie einer es ausdrückte, die Hände bis zum Ellbogen in die Tasche stecken und den anderen zumuten, Deutschland an der Elbe und morgen vielleicht an der Oder-Neiße zu verteidigen.
Ich glaube, daß man eine solche Haltung recht gut mißverstehen könnte. Ich fürchte auch, solche Erklärungen tragen dazu bei, daß man zu einzelnen Vertretern Deutschlands nicht mehr das rechte Vertrauen hat, weil man glaubt, es gebe in Deutschland schon wieder Menschen, die vielleicht mit dem Gedanken spielen, es könnte auch einmal der Zeitpunkt kommen, wo ein Bündnis mit dem Osten günstiger wäre. Damit würden wir viel an Glaubwürdigkeit und Ansehen verlieren. Ich warne
vor solchen Vorstellungen, die auch die Philosophie des unartigen Kindes verraten, das den Vater dafür verantwortlich macht, daß es sich seine Finger erfroren hat.
Ich stimme auch weiter dem zu, was hier von vielen Rednern zum Ausdruck gebracht wurde: Die wichtigste, die dringendste Voraussetzung unserer Politik muß die sein, daß wir zunächst eine echte soziale Ordnung schaffen, daß wir soziale Verhältnisse schaffen, die — wie es hier gesagt wurde — dem schaffenden Menschen das Leben lebenswert machen; denn wir können erwarten, daß nur derjenige sein Leben und den Staat, in dem er lebt, die Ordnung, in der er lebt, verteidigt, der an diese Ordnung glaubt. Und er wird an diese Ordnung nur glauben, wenn sie gerecht ist. Ich wiederhole, was ich eingangs sagte: Wir können und wollen diese soziale Sicherheit nicht mindern; diese Sorge kam zum Ausdruck. Aber wie können wir sie erhalten, wenn wir nicht bereit sind, ihre Voraussetzungen zu sichern.
Ich glaube, daß darin auch ein verhängnisvoller Kurzschluß zum Ausdruck kommt: die Sorge, daß eine Beteiligung Deutschlands an einer Verteidigung Europas und der Welt neue materielle Opfer kosten könnte. Diese Sorge ist gut verständlich. Auch die Sorge, daß darunter ebenfalls die von uns erstrebte Erhöhung des Lebensstandards leiden könnte, ist gut verständlich. Aber wir würden unsere Aufgabe nicht recht erkennen, wenn wir uns vielleicht wünschten, das Volk mit dem höchsten Lebensstandard demnächst als freiwillige Morgengabe in Sowjetrußland einzubringen.
In diesem Zusammenhang ist auch die Frage der Besatzungskosten zu erwähnen, die mit Recht angeschnitten worden ist. Auch ich bin der Meinung, daß die Besatzungskosten, wie sie heute auf Deutschland lasten, in dem Umfang, in dem aus ihnen Truppen erhalten werden, die die Sicherheit Europas und der Welt garantieren sollen, bereits einen echten finanziellen Beitrag Deutschlands zur gemeinsamen Verteidigung darstellen. Und ich halte es für selbstverständlich, daß in den bevorstehenden Verhandlungen, die über dieses Problem zu führen sein werden, auch dieser Gesichtspunkt betont wird; aber ich glaube, daß gerade solche Verhandlungen, wie sie etwa im Zug des Vorschlags des Ministerpräsidenten Pleven nötig werden, uns auch die Möglichkeit geben werden, diesen Gesichtspunkt mit allem Nachdruck zu vertreten.
Es ist hier ein gewisses Erstaunen geäußert
worden, daß die Bundesregierung die Erklärung
des französischen Ministerpräsidenten Pleven als
einen wertvollen Beitrag zur Integration Europas
bezeichnet hat. Meine Damen und Herren, niemand
von uns war etwa vollinhaltlich mit dieser Erklärung einverstanden, und es ist manche Kritik auch
von uns laut geworden. Ich bedauere es am allermeisten — und spreche es auch hier aus —, daß
man in dieser Erklärung der französischen Regierung in verhängnisvoller Weise den Schumanplan
mit einer solchen möglichen europäischen Armee
zu koppeln versuchte; denn dadurch mußte der
Eindruck entstehen, als sollte vielleicht auf den
Gang der Verhandlungen damit eine Pression ausgeübt werden. Aber ich glaube, wir würden doch
ungut handeln, wenn wir nur das Negative lesen
würden. Sind nicht auch klare Formulierungen
in dieser Regierungserklärung zu finden, die das
gleiche sagen, was wir wünschen, so wenn die Erklärung der französischen Regierung damit schließt:
Frankreich hatte schon beschlossen, seinen Anteil an der Bemühung um die gemeinsame
Verteidigung im Rahmen der Atlantikgemeinschaft mannhaft zu leisten. Es ergreift heute die Initiative eines konstruktiven Vorschlags zur Errichtung eines geeinten Europas. Europa darf die Lehren zweier Weltkriege nicht vergessen, und in dem Zeitpunkt, da sich seine Kräfte wieder erneuern, muß es so organisiert werden, daß diese Kräfte nie zu etwas anderem als zur Verteidigung der internationalen Sicherheit und des Friedens dienen.
Wenn eine solche Formulierung in dieser Erklärung zu finden ist, dann glaube ich allerdings die Feststellung der Bundesregierung aufnehmen und sagen zu sollen: Hier erblicke auch ich einen echten und wertvollen Beitrag zur Integration Europas.
Ein Wort noch zu einem besonderen Punkt, den der Herr Bundeskanzler auch angeschnitten hat, zu der Frage nämlich, wie Deutschland sich wohl stellen solle und stellen müsse und wie die Welt sich verhalten müsse zu den Vorschlägen, die nun über eine Befriedung Europas und die Wiederherstellung der deutschen Einheit vom Kreml ausgegangen sind. Ich glaube, es ist nicht viel dazu zu sagen, und wenn hier von einem Vertreter der äußersten Linken mit großem Nachdruck geäußert wurde, daß dies Dokument wohl das wichtigste und bedeutsamste sei, das seit dem Jahre 1945 veröffentlicht wurde, nun, dann will ich ihm diese euphoristische Redeweise nicht übelnehmen. Er ist ja beauftragt, es so darzustellen.
Aber es ist ja nichts Neues, was in diesem Dokument steht, und deswegen verstehe ich die Begeisterung auch nicht. Wir haben hier im Bundestag auch schon eine Forderung aufgestellt, die wir immer wieder aufstellen werden: Man soll dem deutschen Volk in allen vier Zonen die Möglichkeit geben, frei und geheim zu wählen.
— Herr Kollege Rische, seien Sie vorsichtig! Sie entfernen sich von der Linie, und das ist gefährlich!
Wenn uns die Garantie gegeben würde, daß die Deutschen in diesen vier Zonen — ich wiederhole es — in allgemeiner, gleicher, unmittelbarer und geheimer Wahl frei wählen könnten, dann, meine Damen und Herren, gäbe es auch hier unter uns nicht einen einzigen, der sich dem Votum dieses deutschen Volkes entziehen würde.
Allerdings möchte ich noch eine Bedingung daran knüpfen, die Bedingung nämlich, daß die Garantie sich auch darauf erstrecken müßte, daß diejenigen, die frei gewählt haben, für diese freie Entscheidung nicht morgen zur Verantwortung gezogen werden.
— Ich wüßte nicht, mit welchen Vertretern von der Ostzone ich mich zusammensetzen sollte.
Aber dann, meine Damen und Herren, wäre ,auch der Augenblick gekommen — und ich glaube, dann würde sich keine Stimme in diesem Saal dagegen erheben —, in dem wir hier zur Auflösung dieses Hauses schreiten könnten: in Ausführung des Art. 146 des Grundgesetzes, in dem wir gesagt haben, daß das Grundgesetz seine Gültigkeit an dem Tage verliert, an dem das gesamte deutsche Volk in freien Wahlen über sein Schicksal entscheiden kann.
Dann kommt der Augenblick, in dem wir uns auflösen. Vorher allerdings bin ich nicht der Meinung, daß wir aus irgendwelchen Gründen den Mut zur Verantwortung ablehnen sollten, daß wir unter irgendwelchen Vorwänden sagen sollten: Wir sind nicht zuständig.
Ich glaube auch, daß es bedenklich ist, und man sollte hier auch an mögliche Parallelen denken, die es bedenklich erscheinen lassen, daß man sich einer klaren Forderung in dieser Weise entzieht. Es ist schon einiges darüber gesagt worden, was ich nicht wiederholen möchte. Ich möchte nur eines feststellen: Wer erklärt, daß am Tag der Wahlen zum Bundestag die Frage, über die wir heute diskutieren, noch nicht gestellt gewesen sei und daß deswegen dieser Bundestag nicht berufen sei, für das deutsche Volk zu entscheiden, ja, meine Damen und Herren, der müßte konsequenterweise zu dem Problem auch schweigen; denn er hat dann auch nicht das Mandat seiner Wähler erhalten, darüber zu reden.
— Es gibt Dinge, die man nicht gern hört.
Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich zum Schluß noch eines mit allem Ernst und mit allem Nachdruck sagen. Was wir in der Vergangenheit erlebt haben, was wir in der jüngsten Vergangenheit geschaffen haben, rechtfertigt nicht nur unseren Wunsch nach Erhaltung, sondern verpflichtet uns, alles dafür zu tun. Denken wir zurück an das Jahr 1945, an eine Zeit, in der das deutsche Volk unter der Schockwirkung dieses beispiellosen Zusammenbruchs vollkommen in der Agonie zu erstarren und zu sterben drohte. Denken wir zurück an diese fünf Jahre, in denen dieses deutsche Volk mit einer beispielhaften Energie, mit einem ungeheuren Einsatz, mit einem Pflichtbewußtsein und mit einem Eifer, um die viele andere das deutsche Volk heute schon beneiden, ein neues Deutschland geschaffen hat. Sollten wir denn nicht erkennen, daß diese Arbeit der letzten fünf Jahre uns verpflichtet, das Geschaffene zu erhalten? Sollten wir uns nicht daran zurückerinnern, daß das deutsche Volk schon einmal seine Freiheit verspielt hat und sie nur unter schwersten Opfern zurückgewinnen konnte? Wissen wir nicht alle, daß wir die Freiheit, wenn wir sie dieses Mal verspielen, nicht wiedergewinnen werden, weil diejenigen, die sie vielleicht noch einmal schaffen könnten, diese Zeit bestimmt nicht mehr in Deutschland erleben werden? Und sind wir uns nicht alle klar darüber, daß es einen Frieden ohne Freiheit nicht gibt, daß es eine Demokratie ohne Freiheit nicht gibt, daß es eine Gerechtigkeit nicht gibt, die nicht in der Freiheit lebt, und daß es keine Menschenwürde gibt, die nicht von der Freiheit geschützt ist?
Es war eine schwere Aufgabe, das wieder zu schaffen, was wir heute vor uns sehen. Wir sind noch im Anfang dieser Aufgabe, und alles, was uns in der weiteren Arbeit stören könnte, ist ein furchtbarer Schaden für das deutsche Volk. Aber hier handelt es sich nicht darum, Störungen zu vermeiden; hier handelt es sich meiner Überzeugung nach um die klare Frage, die an uns gestellt ist: Ob wir in Freiheit weiter leben wollen oder ob wir uns dieser Aufgabe nicht mehr gewachsen fühlen und verzichten.
Ich bin sicher, daß nicht nur die Mehrheit dieses Hauses, sondern daß die große Mehrheit des deutschen Volkes willens ist, nach dem Maße seiner Kraft alles zu tun, um den Frieden zu erhalten und seine auf die Achtung vor den Menschenrechten gegründete freiheitliche Staatsordnung zu schützen. Die Mehrheit dieses Hauses und gewiß auch die große Mehrheit des deutschen Volkes bekennt sich
mit uns zu der Unteilbarkeit des inneren und äußeren Friedens. Wir halten es deshalb für eine unabweisbare Verpflichtung, den Lebensstandard und die soziale Entwicklung im Rahmen des Wiederaufbaus Deutschlands mit allen Kräften zu fördern und auch an seiner äußeren Sicherung mitzuwirken.
Mit Genugtuung haben wir davon Kenntnis genommen, daß sich auch die Sprecher der Opposition für die Verteidigung der Freiheit und die Sicherung des Friedens im Zusammenwirken mit den freien Völkern der Welt bereit erklärt haben. Die Mehrheit des Hauses bedauert aber mit mir auf das tiefste, daß taktische Erwägungen das einheitliche Anstreben dieses Zieles durch den Bundestag zu erschweren, ja, zu verhindern drohen. Wir sind mit der Regierung darin völlig einig, daß ein angemessener deutscher Beitrag zur Sicherung des Friedens kategorisch von der Gewährung gleicher Rechte und Pflichten an das deutsche Volk abhängig gemacht werden muß.
Wir glauben, daß die unerläßlich notwendige internationale Solidarität bei der Sicherung der Freiheit und des Friedens die tatsächliche Solidarität mit dem deutschen Volke einschließen muß und in ihrer Endgestalt auch einschließen wird. Wir sind willens, das Unsrige dazu zu tun. Wir sprechen aber die ernste Befürchtung aus, daß die von dem Vorsitzenden der Sozialdemokratischen Partei geforderten und eingeschlagenen Methoden der Erlangung dieses Zieles abträglich sind und daß sie deshalb eine Gefährdung des gemeinsamen Zieles darstellen.
Wir rufen das deutsche Volk auf, im Kampfe um die Erlangung dieses Zieles sich weder von berechtigten noch von unberechtigten Erinnerungen und Beschwerden verbittern zu lassen. Wir rufen das deutsche Volk auf, sich weder aus Furcht noch von Drohungen lähmen zu lassen, sondern in klarer Entschlossenheit zur Freiheit und zum Frieden seinen Weg in die Gemeinschaft der freien Völker geduldig, aber auch fest weiterzugehen.
Meine Damen und Herren! Die sozialdemokratische Fraktion hat acht Minuten ihrer Redezeit noch nicht verbraucht. Der Herr Abgeordnete Dr. Schumacher wünscht, diese Zeit auszunutzen. Ich erteile ihm das Wort.
Meine Damen und Herren! Die Kürze der Zeit und auch der Aufmarsch der gegnerischen Argumente oder dessen, was man höflicherweise damit vergleichen kann, zwingt mich zu dem Entschluß, ein Minimum von Polemik anzuwenden.
Eine Entwirrung der Mißverständnisse und die notwendige sachliche Fundierung einer erfolgreichen Diskussion ist ja in dieser kurzen Zeit nicht möglich. Aber uns helfen doch nicht platonische Bekentnisses zu einer gewissen Gemeinsamkeit von Ideen, wenn in Konsequenz dieser Bekenntnisse dann von der Seite oder von hinten oder durch Umgehung praktisch andere Folgerungen abgeleitet werden als die, die zwangsläufig sich aus diesen Ideen ergeben sollen.
Meine Damen und Herren! Wir haben eine gewisse Überraschung erlebt, als, nicht wegen der Persönlichkeit des betreffenden Abgeordneten oder seiner Bedeutung, sondern wegen der prinzipiellen Wichtigkeit seiner Worte, kein einziger der Diskussionsredner Front gegen die Verteidigung und das Bekenntnis zu einer politischen Anschauung gemacht hat, die eben nicht verteidigt werden kann, weil sie den Zusammenbruch Deutschlands und Europas herbeigeführt hat, weil sie die Schwierigkeiten geschaffen hat, mit denen wir heute ringen.
Wir wünschen nicht, unser Verhältnis zu den Alliierten auf der Grundlage zu diskutieren, die der sich unabhängig nennende Abgeordnete hier zur Basis seiner Rede gemacht hat. Wir wünschen vor allen Dingen nicht, das Verhältnis auf der Grundlage der agitatorischen, lügnerischen Verbiegung der Tatsachen und des Mangels jeder Objektivität zu diskutieren.
Hier erlebten wir, wie sehr ein beziehungslos in der Welt der Politik herumschwebender nationaler Radikalismus Nationalbolschewismus in dieser Situation zu werden droht.
Nun, meine Damen und Herren, wenden wir uns dem Kern der Ausführungen der nichtsozialdemokratischen Parteien am heutigen Nachmittag zu. Dieser Kern ist eine nachträgliche Billigung der Erklärung der Bundesregierung, wie sie von dem Herrn Bundeskanzler vorgetragen worden ist. Wir halten nicht sehr viel davon, auf einmal von der Methode des Vorsitzenden der Sozialdemokratischen Partei zu sprechen, wenn die Methode des Herrn Bundeskanzlers auf der Anklagebank steht.
Wir halten auch nicht viel davon, diesen Vorsitzenden der Sozialdemokratischen Partei gewissermaßen als Persönlichkeit, ohne jede sachliche Motivierung des Vorgehens, für eine politische Anschauung verantwortlich zu machen, die von der Sozialdemokratischen Partei und ihrer Bundestagsfraktion geschlossen getragen wird.
Am wenigsten halten wir von einer Methode, dort, wo wirklich Gegensätze vorhanden sind, diese Gegensätze zu bagatellisieren und mit allgemeinen Redensarten überbrücken zu wollen.
Demgegenüber erklärt die sozialdemokratische Fraktion des Deutschen Bundestages: Sie mißbilligt die Erklärung der Bundesregierung in ihrem sachlichen Inhalt und in der Form, in der sie dem Bundestag und der deutschen Öffentlichkeit unterbreitet worden ist.
Sie mißbilligt sie deswegen, weil diese Erklärung ohne Befragung durch die Alliierten abgegeben worden ist, weil sie wieder ein Zeichen für die von uns angegriffene Methode der Politik ist, nicht abwarten zu können und nicht mit Erklärungen deutscher Bereitschaft abwarten zu wollen. Damit verstärkt man die nationale Position der Deutschen in dieser Frage nicht.
Praktisch hat ja der Herr Bundeskanzler alles auf den einen Satz konzentriert, daß man bereit sein muß,
wie es wörtlich heißt, auf Befragung die Erklärung abzugeben. Wenn das der Fall ist, dann ist das eine Vorentscheidung über eine deutsche Vorleistung,
die wir nicht akzeptieren, weil das Wesentliche der deutschen Politik und der Notwendigkeiten der Bewohner unseres Landes dabei nicht berücksichtigt ist.
Die Sozialdemokratie mißbilligt aber diese Erklärung auch deswegen, weil die sachlichen Voraussetzungen bis zu diesem Augenblick nicht geklärt sind, weil die machtmilitärischen Voraussetzungen und die Voraussetzungen der internationalen Solidarität ja erst geschaffen werden müssen und von ihrem Vorhandensein das Ja oder Nein für die Deutschen erst abhängig gemacht werden kann.
Darum ist die Erklärung, die die Bundesregierung heute abgegeben hat, unmöglich.
Schließlich, meine Damen und Herren, mißbilligt die sozialdemokratische Fraktion eine Methode, die nachher bei der Rechtfertigung mit dem Appell an die Gemeinsamkeit arbeitet, aber vorher durch die Praxis der Erklärungen und Maßnahmen doch eine Absage an dieselbe so gepriesene Gemeinsamkeit auch in der Außenpolitik bedeutet.
Zu den rechtlichen Ausführungen und den beträchtlichen Leistungen juristischer und philologischer Fleißarbeit will ich mich hier nicht äußern.
Ich will nur sagen, daß diese Ausführungen alle an dem zentralen Problem vorbeigehen.
Der Mangel an Schlüssigkeit kann auch durch die
Lautheit des Standpunktes nicht zugedeckt werden.
Es handelt sich um die verfassungsmäßige Regelung, die im Grundgesetz nicht vorgenommen ist,
und vor dieser Frage stehen wir.
— Ach, glauben Sie denn, daß man die wichtigsten Probleme des deutschen Staats- und Volkslebens im Grundgesetz aus beiläufigen Bemerkungen und einer e-contrario-Argumentation beschaffen kann? Die Sozialdemokratische Partei steht zu jedem Wort der sozialdemokratischen Erklärungen im' Parlamentarischen Rat in Bonn.
— Ich sehe aus der Freudigkeit und dem Enthusiasmus Ihres Beifalls, daß Sie auf dem Wege zur Erkenntnis des Problems sind.
Die Sozialdemokratische Partei besteht auf dem verfassungsändernden Charakter, und sie wird das Volk keinen Augenblick im Stich lassen, wenn es sein Recht geltend macht, auch gehört zu werden. In dieser Frage ist das Problem als politisches Problem ja nicht nur eine Frage der Verantwortung der Regierung oder einer Regierungsmehrheit oder auch der Opposition. Die letzte Verantwortung trägt doch das Volk selbst, das man in dieser wichtigsten Frage nicht einfach mundtot machen kann, weil jeder einzelne Mensch als Person die Konsequenzen dieser Handlungen zu tragen hat.
Der Respekt vor unserem Volke sollte auch der Bundesregierung den Weg freimachen zu einer anderen Art als der der taktisch-autoritären Behandlung dieser Dinge.
Herr Abgeordneter, Ihre Zeit ist um.
Meine Zeit zwar nicht, aber meine Redezeit!
Die Sozialdemokratische Partei erklärt abschließend: Es gibt auf unserem Kontinent keine Freiheit ohne die deutsche Freiheit, und es gibt in der Freiheit keine Größenunterschiede und keine Unterschiede im moralischen Kern dieser Freiheit. Das ist die Grundlage der Politik, die wir heute vor Ihnen vertreten haben.
Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.
Meine Damen und meine Herren! Der Verlauf der Debatte ist nicht erfreulich. Ich bin nach wie vor der Auffassung, daß sich bei Lebensfragen des deutschen Volkes Regierungskoalition, Opposition und Regierung zusammenfinden müssen.
Ich stelle, wenn Herr Dr. Schumacher hier eben die Methode der Bundesregierung und des Bundeskanzlers kritisiert hat, fest, daß die Bundestagsfraktion zunächst durch ein Kommuniqué ihre Haltung in dieser für das deutsche Volk lebenswichtigen Frage der Öffentlichkeit mitgeteilt hat.
Ich möchte die Herren doch bitten, einmal einen Blick in die amerikanischen Zeitungen zu werfen und sich von maßgebenden amerikanischen Politikern sagen zu lassen, welch verheerende Wirkungen gewisse deutsche Äußerungen und Stellungnahmen, auch der SPD, in Amerika ausgelöst haben.
Vor allem aber liegt mir folgendes am Herzen, und deswegen habe ich mich noch einmal zu Wort gemeldet. Ich erhalte Nachrichten, daß manche Reden, die hier gehalten worden sind,
in Berlin und in der Ostzone tiefe Enttäuschung hervorgerufen haben.
Von dieser Stelle aus möchte ich den Berlinern
und den Deutschen in der Ostzone sagen, daß die Bundesrepublik Deutschland sie unter keinen Umständen verlassen und alles tun wird, um sie wieder zu uns zurückzubringen.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache über die Erklärung der Bundesregierung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, 13 Uhr 30 und schließe die 98. Sitzung des Deutschen Bundestages.