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ID0109804300

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    Deutscher Bundestag — 98. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. November 1950 3563 98. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 8. November 1950. Geschäftliche Mitteilungen 3563B Entgegennahme einer Erklärung der Bundesregierung (Beitrag der Bundesrepublik Deutschland zur Verteidigung des Westens, Pleven-Plan und Vorschlag der Sowjetregierung zur Einberufung der Außenministerkonferenz der vier Großmächte) 3563C Dr. Adenauer, Bundeskanzler 3563D, 3621D Aussprache über die Erklärung der Bundesregierung 3567B Dr. Schumacher ,(SPD) . . . 3567B, 3620C Frau Wessel (Z) 3576D Dr. Seelos (BP) 3582A von Thadden (DRP) 3587B Schuster (WAV) 3590C Dr. Richter (Niedersachsen) (parteilos) 3591B Dr. Doris (parteilos) 3593A Rische (KPD) 3594A Dr. Leuchtgens (DRP) 3599C Clausen (SSW) 3600D Fröhlich (BHE) 3601B Dr. Schäfer (FDP) 3602A Dr. von Merkatz (DP) 3608D Dr. von Brentano (CDU) 3615A Nächste Sitzung 3622C Die Sitzung wird um 13 Uhr 13 Minuten durch den Präsidenten Dr. Ehlers eröffnet.
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    Rede von Dr. Heinrich von Brentano


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Meine Damen und Herren! Am 16. Dezember 1949 hatte ich den Auftrag, namens der Fraktion der Regierungskoalition folgende Erklärung abzugeben:
    Das deutsche Volk ist von dem Krieg und seinen Folgen auf das schwerste getroffen. Es muß daher alle moralischen und materiellen Kräfte zusammenfassen, um seine staatliche Lebensform zu erneuern, um seine Wirtschaft wiederaufzubauen und so seinen Volksangehörigen gesunde Lebensmöglichkeiten zu schaffen. Wir können die Hoffnung nicht aufgeben, daß es den Siegermächten gelingen möge, nach dem Kriege endlich auch den Frieden zu gewinnen. Ein neuer Krieg würde die Lebenshoffnungen des deutschen Volkes begraben. Dem deutschen Volke liegt daher der Gedanke an eine Wiederaufrüstung fern. Deutschland, räumlich und geschichtlich ein Bestandteil des abendländischen Kulturkreises, hat den Willen, entsprechned seinem Grundgesetz als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen und seine menschliche Freiheit zu wahren.
    Meine Damen und Herren! Diese Erklärung hat auch bis zum heutigen Tag in keinem Satz und in keiner Nuance an Gültigkeit verloren.

    (Sehr richtig! bei den Regierungsparteien. — Abg. Rische: Es wird doch gerüstet!)

    Aber nichts zeigt in eindringlicherer und, wie ich sagen muß, erschütternderer Weise die Krise, in der unsere Welt steht, als die Tatsache, daß wir uns heute mit der Frage beschäftigen müssen, ob und enter welchen Bedingungen Deutschland bereit ist, sich an der Verteidigung der gemeinsamen europäischen Freiheit zu beteiligen.
    Wenn wir über diese Frage sprechen, dann sollten wir so, wie es auch der Herr Bundeskanzler in seiner Erklärung getan hat, eines immer wieder an die Spitze stellen: den Ruf nach dem Frieden. Ich glaube, das Schicksal, das die letzten zwei Kriege nicht nur über Europa, sondern .über die Welt gebracht haben, hat sich an keinem Volk und in keinem Volk so eindringlich vollzogen wie dem deutschen.

    (Abg. Frau Dr. Weber [Essen]: Sehr richtig!)

    Es gibt kein Volk — heute morgen hat Herr Dr. Schumacher die erschütternden Zahlen genannt —, das so unmittelbar und so schwer gelitten hat wie das deutsche. Deswegen sollte man in der Welt auch
    nicht erstaunt sein, wenn man auf die Frage nach einer Beteiligung Deutschlands an einer gemeinsamen Verteidigung nicht etwa ein begeistertes Ja aus dem Munde der Deutschen hört. Aber wenn wir immer wieder mit allem Nachdruck und mit tiefem Ernst den Wunsch nach Frieden aussprechen, weil wir wissen, daß wir mit den gigantischen Aufgaben, die die Vergangenheit uns hinterlassen hat und die die Gegenwart uns täglich neu stellt, nur fertig werden konnen, wenn wir sie in Frieden lösen können, wenn wir diesen Ruf immer wieder erschallen lassen und immer wieder zum Ausdruck bringen, daß uns für den Frieden nichts, kein Opfer zu schwer werden dürfe, dann sollte man an der Ehrlichkeit einer solchen Erklärung nicht zweifeln. Ich habe es bedauert, daß gerade Herr Dr. Schumacher, als er für sich und seine Freunde diesen Wunsch nach dem Frieden für das deutsche Volk betonte - und ich glaube, jeder von uns hat ihm die Ehrlichkeit dieses Wunsches geglaubt —, in diesem Zusammenhang für die andern die Ehrlichkeit dieses Wunsches zu bezweifeln für richtig hielt.

    (Abg. Dr. Schmid [Tübingen]: Das hat er nicht gemacht!)

    — Ich habe die Erklärung so verstanden.

    (Zuruf von der SPD: Dann haben Sie sie falsch verstanden!)

    — Ich bin erfreut, aus diesem Zwischenruf zu hören, daß es nicht so gemeint war; aber ich glaube, ich war es nicht allein, der diese Nuance so verstehen zu müssen glaubte. Ich glaube, wir sollten uns über diese Dinge in dieser Weise grundsätzlich nicht unterhalten; denn gerade hier wird jede Nuance im Ausland mit größter Aufmerksamkeit verfolgt, und wir sollten denen, bei denen noch Mißtrauen übrig ist, nicht die Möglichkeit geben, neues Mißtrauen zu schöpfen. Wir sollten denen, die gerne solche Andeutungen hören, um sie dann propagandistisch mißbrauchen zu können, auch nicht den Stoff liefern.

    (Zuruf von der SPD: Das tun Sie jetzt! — Gegenruf von der CDU: Dumm!)

    Meine Damen und Herren! Wenn ich an die Spitze meiner Ausführungen in dieser Debatte den ernsten Wunsch nach der Erhaltung des Friedens stelle und wenn ich sage, daß wir nichts tiefer bedauern als die Notwendigkeit, zu dieser Stunde eine solche Diskussion führen zu müssen, dann lassen Sie mich dazu sagen, daß wir es als eine verhängnisvolle Weltfremdheit betrachten würden, wenn wir gegenüber den Ereignissen — nicht nur der jüngsten Vergangenheit — etwa die Augen schließen und so tun wollten, als sei Deutschland, als sei der Bestand der Bundesrepublik nicht in Gefahr; wenn wir so tun wollten, als könnten wir mit einer Vogel-Strauß-Politik eine echte Gefahr beseitigen, wenn wir so tun wollten, als könnten wir mit einem solchen Glauben Wunder wirken. Es ist unsere Aufgabe, die Dinge nicht nur zu sehen, sondern auszusprechen; und ich begrüße es, daß diese Diskussion heute stattfindet. Sie war notwendig, denn in der Öffentlichkeit haben mancherlei nicht immer vorbedachte Erklärungen starke Beunruhigung geschaffen, und ich habe den Eindruck, daß mancher Kommentar gegeben wurde, bevor sich derjenige, der ihn gab, der Tragweite klar bewußt war, ja daß sogar mancher Kommentar zu Erklärungen .gegeben wurde, bevor die Erklärung im Wortlaut überhaupt vorlag.

    (Abg. Kunze: Sehr richtig!)

    Ich glaube, wir hätten alle — ich nehme niemanden aus — der Sache besser gedient, wenn wir


    (Dr. von Brentano)

    uns mit etwas mehr Ruhe, mit etwas mehr Bedachtsamkeit zu diesen Problemen geäußert hätten; wenn wir verstanden hätten, daß Millionen des deutschen Volkes gerade eine Aussprache über eine solche Lebensfrage mit der größten Aufmerksamkeit verfolgen und daß jede falsche Nuance, daß jeder falsche Zugenschlag hier Millionen von Menschen wieder in Sorgen, in Angst und in Not stürzen kann.

    (Lebhafter Beifall bei der CDU.)

    Ich habe mit Aufmerksamkeit die Ausführungen des Herrn Kollegen Dr. Schumacher gehört. Ich darf ihm sagen, ,daß die Einwendungen, daß die Vorbehalte, die aus seinen Worten klangen, weitgehend auch die unseren sind. Ich glaube, wir sollten auch über diese Dinge hier sehr offen sprechen, denn ich habe doch den Eindruck, daß eine solche Aussprache vieles klären kann.
    Wenn ich den Gesamteindruck der Debatte vorwegnehme — und, meine Damen und Herren, ich glaube, mich da nicht zu irren —, dann möchte ich doch sagen: die überwiegende Mehrheit des Hauses genau wie die überwiegende Mehrheit des deutschen Volkes ist sich des Ernstes der Stunde bewußt und ist im Innersten bereit, einen Beitrag zur Verteidigung seiner Freiheit zu leisten, weil es weiß, daß es ohne Freiheit nicht leben kann und nicht leben wird.

    (Zustimmung in der Mitte und rechts.)

    Nun — um auf einzelne Einwände einzugehen — lassen wir uns in dieser Entscheidung wirklich nicht von irgendwelchen moralisierenden Betrachtungen oder gar Belehrungen anderer beeinflussen. Ich glaube aber, wir sollten nicht so ängstlich sein und nun jeden Artikel in irgendeiner Zeitung heranziehen, wenn wir andere Beispiele haben. Wir tun doch vielleicht dem amerikanischen Volke unrecht, wenn wir seine Einstellung zu diesen Dingen nur aus einem Artikel in der „Neuen Zeitung" entnehmen zu können meinen. Wir sollten uns vielmehr hier einmal einer, Rede erinnern, die der Präsident der Vereinigten Staaten noch vor wenigen Wochen anläßlich des fünften Jahrestages der Vereinten Nationen gehalten hat, einer Rede, von der ich sagen möchte, daß sie wirklich von tiefstem sittlichen Ernst getragen war, einer Rede, die, glaube ich, jeder von uns vollinhaltlich zu unterschreiben bereit ist. Lassen Sie mich einen Satz zitieren:
    Ich glaube,
    — sagte der Präsident Truman —
    daß sich die Völker der Welt auf die Vereinten Nationen verlassen, um zwei große Ziele erreichen zu können. Sie erhoffen von ihnen Hilfe bei der Verbesserung ihrer Lebensbedingungen, und sie verlassen sich darauf, daß die Vereinten Nationen ihre tiefe Sehnsucht nach Frieden erfüllen werden. Diese zwei Ziele sind eng verbunden. Ohne Frieden ist es unmöglich, Fortschritte in der Verbesserung der Lebensbedingungen für alle zu erzielen. Ohne Fortschritte in der Wohlfahrt der Menschen werden die Grundlagen des Friedens unsicher bleiben. Darum können wir es uns niemals leisten, eine dieser Aufgaben auf Kosten der anderen zu vernachlässigen.
    Meine Damen und Herren, ich glaube nicht, daß man hierin ein falsches Moralisieren erblicken kann. Hier wird das ausgesprochen, was auch unser Wunsch ist. Hier wird — das halte ich für besonders bedeutungsvoll — mit eindeutiger Klarheit auch das ausgesprochen, was meine Überzeugung
    ist: daß wir die innere und die soziale Sicherheit niemals von der äußeren Sicherheit trennen können.

    (Abg. Dr. Schäfer: Sehr gut! — Abg. Frau Dr. Weber: Sehr richtig!)

    Es ist klar: Wir können zur Erhaltung des Friedens einen entscheidenden Beitrag leisten, wenn wir alles und das Letzte tun, um unserem deutschen Volk auch das Gefühl der Sicherheit in sich zu geben; wenn wir das Letzte tun, um die Lebensbedingungen des deutschen Volkes zu verbessern, wenn wir den Lebensstandard so gestalten, daß das deutsche Volk noch weiter und noch stärker gegen das Gift von Osten immunisiert wird.

    (Sehr richtig! in der Mitte.)

    Aber es erinnert mich doch an irgendwelche sektiererhafte Vorstellungen, wenn irgendwelche Intellektuelle in den letzten Wochen manchmal glaubten, daß das der einzige Beitrag sei, den wir leisten müßten, und daß wir mit diesem Beitrag den Frieden des deutschen Volkes garantieren könnten. Ich erinnere hier an einen Satz, den Friedrich Naumann vor vielen Jahrzehnten gesagt hat und der heute sicherlich genau so gültig ist wie damals: „Was nützen die besten Sozialgesetze, wenn die Kosaken kommen!"

    (Zustimmung in der Mitte.)

    Ich stimme auch mit dem, was Herr Dr. Schumacher sagte, vollkommen überein, wenn er betonte, wir sollten aus der Angst vor dem Osten kein Instrument der Propaganda machen. Nun, ich kann ihm versichern, daß wir uns in unseren Entscheidungen durch eine solche Angstpsychose nicht beeinflussen lassen,

    (Sehr richtig! in der Mitte)

    daß wir vielmehr entschlossen sind, ohne solchen Angstvorstellungen nachzugeben, das Nötige zu tun, um den Frieden und die Freiheit zu sichern. Wir haben auch nicht die Nerven verloren, und für mich ist die Fragestellung, ob heile Menschen oder ob Krüppel bolschewisiert werden sollten, unbegreiflich.

    (Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Ich lehne diese Alternative ab; sie erinnert mich an die Fragestellung, ob der Selbstmord dem Tode vorzuziehen sei.

    (Heiterkeit in der Mitte. — Widerspruch bei der SPD.)

    Ich glaube aber, daß wir noch folgendes dazu sagen sollten: Es ist hier darüber diskutiert worden, ob Deutschland sich bereit erklärt habe, ob die deutsche Bundesrepublik sich bereit erklären dürfe, einen Beitrag zur allgemeinen Sicherheit zu leisten. Es ist kritisiert worden, daß vielleicht in den Äußerungen der Bundesrepublik eine solche Bereitschaft zum Ausdruck gekommen sei, eine Bereitschaft, die man mit einem Angebot vergleichen könne, obwohl die Voraussetzungen für eine Beantwortung der Frage noch nicht gegeben seien. Auch hier ein Wort zur Klärung. Ich glaube, daß es sich nicht darum handeln kann, daß man uns auf das anredet, was wir für den Krieg zu tun bereit sind, sondern wir sind bereit, uns nur darauf ansprechen zu lassen, was wir für den Frieden tun wollen. Auf diese Frage allerdings glaube ich, sollten wir ohne Vorbehalt die Antwort geben: alles.

    (Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)



    (Dr. von Brentano)

    Ich möchte hier — ich halte das für meine Pflicht — an die Haltung der Berliner Bevölkerung erinnern. In einer Situation, in der Millionen von Menschen außerhalb Berlins bereits die Hoffnung aufgegeben hatten, daß der Widerstand Berlins noch erfolgreich sein könne, als viele, die heute wieder Mut haben, sich flüsternd zuraunten, daß man dieses Experiment doch aufgeben müßte, — in dieser Zeit haben diese Millionen von Menschen in Berlin den Mut nicht verloren, sie haben in einer heroischen Weise Widerstand geleistet, und sie haben dem gesamten deutschen Volke und der Weltöffentlichkeit bewiesen, daß es wieder Deutsche gibt, denen die Freiheit über alles geht.

    (Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Diese Haltung, meine Damen und Herren, hat ja auch ihre Früchte gezeitigt. Denn diese mutige Haltung hat auch die Umwelt dazu veranlaßt, hier zu helfen, und es sind, wenn ich meinen Vorredner, Herrn Dr. Schäfer, vielleicht insoweit ergänzen darf, nicht nur Opfer gebracht worden für die Freiheit Südkoreas, sondern die ersten Opfer sind von den Amerikanern für die Freiheit Berlins gebracht worden, auch Opfer an Menschenleben.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Kunze: Und von den Engländern!)

    Selbstverständlich sollten wir uns auch nicht von irgendeiner Psychose oder Vorstellung bestimmen lassen, es müsse nun etwas geschehen. Vielleicht klingt aus mancher Rede, die heute hier gehalten wird, und aus manchem Artikel dieser Ruf an die Öffentlichkeit: Es muß etwas geschehen! Ich glaube aber, mich darin mit allen im Hause einig zu wissen, daß es uns nicht darauf ankommt, daß etwas geschehen muß, sondern daß wir erwarten, daß das Richtige geschieht. Ich sehe auch keinen Unterschied, wie er vielleicht in den Ausführungen von Herrn Dr. Schumacher anklang, als sei hier wieder eine Auseinandersetzung zwischen unbedingten und bedingten Remilitaristen im Gange.
    Zunächst möchte ich auch unterstreichen, was einer meiner Vorredner schon sagte: Wollen wir uns nicht von diesem unseligen Wort einmal trennen? Es kann nicht oft genug gesagt werden, daß mit dem Begriff Remilitarisierung sich wirklich auch in der Öffentlichkeit gewisse Vorstellungen verbinden, als bestehe ,die Absicht, Gewesenes zu restaurieren oder doch zu kopieren. Für meine Freunde und für mich kann ich mit aller Eindeutigkeit sagen, daß wir weder daran denken, Gewesenes zu restaurieren, noch daß wir daran denken, Gewesenes zu kopieren, daß wir aber wohl den ernsten und entschiedenen Willen haben, etwas Neues zu schaffen. Wir wollen nicht remilitarisieren, wir wollen keine deutsche nationale Armee als Mittel zur Durchsetzung machtpolitischer Ziele. Wir wollen einen Beitrag zu einer europäischen Armee im Zuge der Integration Europas leisten. Wir wollen bereit sein, uns innerhalb einer solchen europäischen Gemeinschaft den gleichen Aufgaben, den gleichen Verpflichtungen zu unterziehen wie die anderen, und wir wollen hierzu bereit sein nicht im Sinne und im Wege der Remilitarisierung, wohl aber im Sinne des Anrufs an das deutsche Volk, sich seine Freiheit zu erhalten und in einer solchen gemeinsamen Armee mitzuarbeiten. Ich sehe darin - lassen Sie mich das auch noch andeuten in keiner Weise einen Widerspruch zum Grundgesetz. Ich möchte nicht die Zitatensammlung meines Vorredners, des Herrn Kollegen. von Merkatz, 'fortsetzen, obwohl sie lehrreich war; ich möchte mich darauf beschränken, noch einen Satz zu zitieren, der mir noch deutlicher als mancher vorangegangene zu beweisen scheint, daß sich einzelne Mitglieder auch der sozialdemokratischen Fraktion im Parlamentarischen Rat der heutigen Situation schon bewußt waren. Ich hatte damals als Mitglied des Redaktionsausschusses, dem auch mein Kollege Zinn angehörte, den Auftrag, den Vorschlag zu machen, das Wort „Krieg" im Art. 26 durch das Wort ,,Angriffskrieg" zu ersetzen, und erklärte für den Redaktionsausschuß: „Verboten ist der Angriffskrieg, während ein Verteidigungskrieg wohl nicht verboten sein dürfte".
    Wie gesagt, ich sprach für den Redaktionsausschuß. Daraufhin hat Herr Kollege Schmid sich für die Beibehaltung des Wortes „Krieg" ausgesprochen und das wie folgt begründet:
    Wir sollten damit unsere Meinung zum Ausdruck bringen, daß in einem geordneten Zusammenleben der Völker das, was man früher als die ultima ratio regum, als das Souveränitätsrecht der Souveränitätsrechte, ansah, schlechthin keine Stätte mehr haben soll, daß, wenn schon Gewalt ausgeübt werden muß, diese Gewalt nicht als nationaler Souveränitätsakt ausgeübt werden soll, sondern als Akt des kollektiven Selbstschutzes aller Nationen, die dafür sorgen, daß auf der ganzen Welt der Friede erhalten bleibt und es Angreifern unmöglich gemacht wird, den Frieden zu stören.

    (Hört! Hört! bei der CDU.)

    Meine Damen und Herren, ich wüßte nicht, wie
    man die Auffassung der Bundesregierung klassischer umreißen könnte, als es hier vorausahnend
    vor 2 Jahren der Herr Kollege Schmid getan hat.

    (Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Ich habe eben erklärt, worum es uns geht. Es geht uns nicht um die Errichtung einer neuen nationalen Armee. Ich halte es für richtig und notwendig, auch hier von dieser Stelle aus noch einmal den entscheidenden Satz zu wiederholen, den ich für meine Freunde in Straßburg ausgesprochen habe, den Satz, dem ich auch heute nichts hinzuzufügen und von dem ich nichts wegzunehmen habe. Ich habe erklärt:
    Um den demokratischen Völkern Europas und der Welt den Frieden, aber auch die Freiheit zu erhalten, sind meine Freunde bereit und entschlossen, den Gedanken nicht einer nationalen Armee, wohl aber einer vereinigten europäischen Armee freier und gleichberechtigter demokratischer Völker unter gemeinsamer europäischer Führung und demokratischer Kontrolle zu unterstützen. Wenn wir der Resolution von Mr. Churchill unsere Zustimmung geben, obwohl Deutschland bis heute die Freiheit seines Handelns noch nicht wieder erlangt hat, so wollen wir damit zum Ausdruck bringen, daß wir uns der Freiheit und dem Recht gleichermaßen verpflichtet fühlen wie die anderen Vertreter der freien Völker Europas.
    Meine Damen und Herren! Ich glaube, daß damit auch alles zum Ausdruck kommt, was an Vorbehalten für eine solche Beteiligung in der Rede des Herrn Dr. Schumacher noch zum Ausdruck kam. Er hat als Voraussetzung für eine solche Beteiligung an der Verteidigung der westlichen Welt das uneingeschränkte Bekenntnis zur internationalen Solidarität verlangt. Ich stimme ihm ohne jeden Vorbehalt zu. Aber ich darf vielleicht hier an das


    (Dr. von Brentano)

    Kommuniqué der Außenministerkonferenz vom 19. September 1950 erinnern, in dem es heißt, daß die alliierten Regierungen jeglichen Angriff gegen die Bundesrepublik oder Berlin, von welcher Seite er auch kommt, als einen gegen sich selbst gerichteten Angriff behandeln. Ich glaube, daß dies ein Ausdruck internationaler Solidarität ist, wie ihn mancher von uns vor Monaten noch nicht zu erhoffen wagte. Ich verstehe die Sorge und teile sie — jeder von uns teilt diese Vorstellung —, daß im Falle einer Auseinandersetzung, die Gott uns ersparen möge, Deutschland infolge seiner geographischen Lage das am meisten gefährdete Land ist.
    Aber, meine Damen und Herren, ich glaube, auch Garantien, auch Versprechungen, die man uns geben würde, könnten die geographische Lage unseres Vaterlandes nicht ändern und vermöchten nicht die Grenzziehung zu beseitigen, unter der wir heute leiden.

    (Zustimmung bei der CDU.)

    Selbstverständlich ist es auch unser Wunsch und unsere Forderung, daß Deutschland nicht das Schlachtfeld, am wenigsten das Glacis eines Kampfes sein darf. Aber vielleicht sollte man diesen Appell an die internationale Solidarität und den Wunsch, nicht mehr mit den Vorstellungen zu spielen, Deutschland könne ein Glacis sein, an den französischen Verteidigungsminister Jules Moch richten, der leider Sozialist ist.

    (Zuruf von der SPD: Das ist aber sehr billig!)

    Wenn im übrigen Herr Dr. Schumacher erklärt, daß ein Land nicht zur Verteidigung anderer mißbraucht werden dürfe, dann vermag ich ihm auch hierin nur zuzustimmen. Sicherlich ist niemand unter uns, der etwa glaubte, daß deutsche Truppen unter irgendeinem Vorwand oder unter irgendeiner Bedingung als Kontingente für fremde Zwecke benutzt oder mißbraucht werden dürften. Aber wenn wir die Forderung aufstellen, daß ein Land nicht zur Verteidigung anderer gebraucht werden darf, dann involviert das auch wohl das Bekenntnis, daß wir uns an der Verteidigung unseres Landes beteiligen müssen; denn sonst können wir keine solche Forderung an die anderen stellen.

    (Sehr richtig! bei der CDU.)

    Ich möchte doch vor der Vorstellung warnen, wie sie manchmal — nicht heute — in der Diskussion in der Öffentlichkeit zum Ausdruck kam, daß wir ausgerechnet auf die bedingungslose Kapitulation pochend nun sagen könnten: Ihr habt uns besiegt; ihr habt nun auch die Konsequenzen zu tragen und uns zu verteidigen. Meine Damen und Herren, niemand wird diejenigen, die nach der bedingungslosen Kapitulation die volle Verantwortung für das Schicksal Deutschlands übernommen haben, aus dieser Verantwortung entlassen, Aber ich glaube, wir dürfen nun auch nicht, wie einer es ausdrückte, die Hände bis zum Ellbogen in die Tasche stecken und den anderen zumuten, Deutschland an der Elbe und morgen vielleicht an der Oder-Neiße zu verteidigen.

    (Sehr gut! bei der CDU.)

    Ich glaube, daß man eine solche Haltung recht gut mißverstehen könnte. Ich fürchte auch, solche Erklärungen tragen dazu bei, daß man zu einzelnen Vertretern Deutschlands nicht mehr das rechte Vertrauen hat, weil man glaubt, es gebe in Deutschland schon wieder Menschen, die vielleicht mit dem Gedanken spielen, es könnte auch einmal der Zeitpunkt kommen, wo ein Bündnis mit dem Osten günstiger wäre. Damit würden wir viel an Glaubwürdigkeit und Ansehen verlieren. Ich warne
    vor solchen Vorstellungen, die auch die Philosophie des unartigen Kindes verraten, das den Vater dafür verantwortlich macht, daß es sich seine Finger erfroren hat.
    Ich stimme auch weiter dem zu, was hier von vielen Rednern zum Ausdruck gebracht wurde: Die wichtigste, die dringendste Voraussetzung unserer Politik muß die sein, daß wir zunächst eine echte soziale Ordnung schaffen, daß wir soziale Verhältnisse schaffen, die — wie es hier gesagt wurde — dem schaffenden Menschen das Leben lebenswert machen; denn wir können erwarten, daß nur derjenige sein Leben und den Staat, in dem er lebt, die Ordnung, in der er lebt, verteidigt, der an diese Ordnung glaubt. Und er wird an diese Ordnung nur glauben, wenn sie gerecht ist. Ich wiederhole, was ich eingangs sagte: Wir können und wollen diese soziale Sicherheit nicht mindern; diese Sorge kam zum Ausdruck. Aber wie können wir sie erhalten, wenn wir nicht bereit sind, ihre Voraussetzungen zu sichern.
    Ich glaube, daß darin auch ein verhängnisvoller Kurzschluß zum Ausdruck kommt: die Sorge, daß eine Beteiligung Deutschlands an einer Verteidigung Europas und der Welt neue materielle Opfer kosten könnte. Diese Sorge ist gut verständlich. Auch die Sorge, daß darunter ebenfalls die von uns erstrebte Erhöhung des Lebensstandards leiden könnte, ist gut verständlich. Aber wir würden unsere Aufgabe nicht recht erkennen, wenn wir uns vielleicht wünschten, das Volk mit dem höchsten Lebensstandard demnächst als freiwillige Morgengabe in Sowjetrußland einzubringen.
    In diesem Zusammenhang ist auch die Frage der Besatzungskosten zu erwähnen, die mit Recht angeschnitten worden ist. Auch ich bin der Meinung, daß die Besatzungskosten, wie sie heute auf Deutschland lasten, in dem Umfang, in dem aus ihnen Truppen erhalten werden, die die Sicherheit Europas und der Welt garantieren sollen, bereits einen echten finanziellen Beitrag Deutschlands zur gemeinsamen Verteidigung darstellen. Und ich halte es für selbstverständlich, daß in den bevorstehenden Verhandlungen, die über dieses Problem zu führen sein werden, auch dieser Gesichtspunkt betont wird; aber ich glaube, daß gerade solche Verhandlungen, wie sie etwa im Zug des Vorschlags des Ministerpräsidenten Pleven nötig werden, uns auch die Möglichkeit geben werden, diesen Gesichtspunkt mit allem Nachdruck zu vertreten.
    Es ist hier ein gewisses Erstaunen geäußert
    worden, daß die Bundesregierung die Erklärung
    des französischen Ministerpräsidenten Pleven als
    einen wertvollen Beitrag zur Integration Europas
    bezeichnet hat. Meine Damen und Herren, niemand
    von uns war etwa vollinhaltlich mit dieser Erklärung einverstanden, und es ist manche Kritik auch
    von uns laut geworden. Ich bedauere es am allermeisten — und spreche es auch hier aus —, daß
    man in dieser Erklärung der französischen Regierung in verhängnisvoller Weise den Schumanplan
    mit einer solchen möglichen europäischen Armee
    zu koppeln versuchte; denn dadurch mußte der
    Eindruck entstehen, als sollte vielleicht auf den
    Gang der Verhandlungen damit eine Pression ausgeübt werden. Aber ich glaube, wir würden doch
    ungut handeln, wenn wir nur das Negative lesen
    würden. Sind nicht auch klare Formulierungen
    in dieser Regierungserklärung zu finden, die das
    gleiche sagen, was wir wünschen, so wenn die Erklärung der französischen Regierung damit schließt:
    Frankreich hatte schon beschlossen, seinen Anteil an der Bemühung um die gemeinsame


    (Dr. von Brentano)

    Verteidigung im Rahmen der Atlantikgemeinschaft mannhaft zu leisten. Es ergreift heute die Initiative eines konstruktiven Vorschlags zur Errichtung eines geeinten Europas. Europa darf die Lehren zweier Weltkriege nicht vergessen, und in dem Zeitpunkt, da sich seine Kräfte wieder erneuern, muß es so organisiert werden, daß diese Kräfte nie zu etwas anderem als zur Verteidigung der internationalen Sicherheit und des Friedens dienen.
    Wenn eine solche Formulierung in dieser Erklärung zu finden ist, dann glaube ich allerdings die Feststellung der Bundesregierung aufnehmen und sagen zu sollen: Hier erblicke auch ich einen echten und wertvollen Beitrag zur Integration Europas.
    Ein Wort noch zu einem besonderen Punkt, den der Herr Bundeskanzler auch angeschnitten hat, zu der Frage nämlich, wie Deutschland sich wohl stellen solle und stellen müsse und wie die Welt sich verhalten müsse zu den Vorschlägen, die nun über eine Befriedung Europas und die Wiederherstellung der deutschen Einheit vom Kreml ausgegangen sind. Ich glaube, es ist nicht viel dazu zu sagen, und wenn hier von einem Vertreter der äußersten Linken mit großem Nachdruck geäußert wurde, daß dies Dokument wohl das wichtigste und bedeutsamste sei, das seit dem Jahre 1945 veröffentlicht wurde, nun, dann will ich ihm diese euphoristische Redeweise nicht übelnehmen. Er ist ja beauftragt, es so darzustellen.

    (Heiterkeit und Zustimmung.)

    Aber es ist ja nichts Neues, was in diesem Dokument steht, und deswegen verstehe ich die Begeisterung auch nicht. Wir haben hier im Bundestag auch schon eine Forderung aufgestellt, die wir immer wieder aufstellen werden: Man soll dem deutschen Volk in allen vier Zonen die Möglichkeit geben, frei und geheim zu wählen.

    (Abg. Rische: Einverstanden! — Große Heiterkeit. — Abg. Rische: Darum reden wir ja! Das soll der Rat vorbereiten!)

    — Herr Kollege Rische, seien Sie vorsichtig! Sie entfernen sich von der Linie, und das ist gefährlich!

    (Große Heiterkeit und Beifall.)

    Wenn uns die Garantie gegeben würde, daß die Deutschen in diesen vier Zonen — ich wiederhole es — in allgemeiner, gleicher, unmittelbarer und geheimer Wahl frei wählen könnten, dann, meine Damen und Herren, gäbe es auch hier unter uns nicht einen einzigen, der sich dem Votum dieses deutschen Volkes entziehen würde.

    (Sehr richtig! bei der CDU.)

    Allerdings möchte ich noch eine Bedingung daran knüpfen, die Bedingung nämlich, daß die Garantie sich auch darauf erstrecken müßte, daß diejenigen, die frei gewählt haben, für diese freie Entscheidung nicht morgen zur Verantwortung gezogen werden.

    (Sehr gut! bei der CDU. — Abg. Rische: Also setzen Sie sich mit den Vertretern aus Ostdeutschland zusammen! Das ist die Logik daraus! — Gegenrufe von den Regierungsparteien. — Abg. Rische: Es gibt keine andere Logik mehr! — Gegenrufe von der CDU: Doch! — Abg. Rische: Darüber sollten Sie verhandeln!)

    — Ich wüßte nicht, mit welchen Vertretern von der Ostzone ich mich zusammensetzen sollte.

    (Zuruf des Abg. Rische.)

    Aber dann, meine Damen und Herren, wäre ,auch der Augenblick gekommen — und ich glaube, dann würde sich keine Stimme in diesem Saal dagegen erheben —, in dem wir hier zur Auflösung dieses Hauses schreiten könnten: in Ausführung des Art. 146 des Grundgesetzes, in dem wir gesagt haben, daß das Grundgesetz seine Gültigkeit an dem Tage verliert, an dem das gesamte deutsche Volk in freien Wahlen über sein Schicksal entscheiden kann.

    (Sehr richtig! bei der CDU.)

    Dann kommt der Augenblick, in dem wir uns auflösen. Vorher allerdings bin ich nicht der Meinung, daß wir aus irgendwelchen Gründen den Mut zur Verantwortung ablehnen sollten, daß wir unter irgendwelchen Vorwänden sagen sollten: Wir sind nicht zuständig.

    (Sehr gut! bei der FDP.)

    Ich glaube auch, daß es bedenklich ist, und man sollte hier auch an mögliche Parallelen denken, die es bedenklich erscheinen lassen, daß man sich einer klaren Forderung in dieser Weise entzieht. Es ist schon einiges darüber gesagt worden, was ich nicht wiederholen möchte. Ich möchte nur eines feststellen: Wer erklärt, daß am Tag der Wahlen zum Bundestag die Frage, über die wir heute diskutieren, noch nicht gestellt gewesen sei und daß deswegen dieser Bundestag nicht berufen sei, für das deutsche Volk zu entscheiden, ja, meine Damen und Herren, der müßte konsequenterweise zu dem Problem auch schweigen; denn er hat dann auch nicht das Mandat seiner Wähler erhalten, darüber zu reden.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Dr. Schmid [Tübingen] : Das war ein Kalauer! — Heiterkeit. — Unruhe und weitere Zurufe von der SPD. — Glocke des Präsidenten.)

    — Es gibt Dinge, die man nicht gern hört.

    (Abg. Dr. Schmid [Tübingen]: Das war ein Kalauer, Herr von Brentano! — Glocke des Präsidenten.)

    Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich zum Schluß noch eines mit allem Ernst und mit allem Nachdruck sagen. Was wir in der Vergangenheit erlebt haben, was wir in der jüngsten Vergangenheit geschaffen haben, rechtfertigt nicht nur unseren Wunsch nach Erhaltung, sondern verpflichtet uns, alles dafür zu tun. Denken wir zurück an das Jahr 1945, an eine Zeit, in der das deutsche Volk unter der Schockwirkung dieses beispiellosen Zusammenbruchs vollkommen in der Agonie zu erstarren und zu sterben drohte. Denken wir zurück an diese fünf Jahre, in denen dieses deutsche Volk mit einer beispielhaften Energie, mit einem ungeheuren Einsatz, mit einem Pflichtbewußtsein und mit einem Eifer, um die viele andere das deutsche Volk heute schon beneiden, ein neues Deutschland geschaffen hat. Sollten wir denn nicht erkennen, daß diese Arbeit der letzten fünf Jahre uns verpflichtet, das Geschaffene zu erhalten? Sollten wir uns nicht daran zurückerinnern, daß das deutsche Volk schon einmal seine Freiheit verspielt hat und sie nur unter schwersten Opfern zurückgewinnen konnte? Wissen wir nicht alle, daß wir die Freiheit, wenn wir sie dieses Mal verspielen, nicht wiedergewinnen werden, weil diejenigen, die sie vielleicht noch einmal schaffen könnten, diese Zeit bestimmt nicht mehr in Deutschland erleben werden? Und sind wir uns nicht alle klar darüber, daß es einen Frieden ohne Freiheit nicht gibt, daß es eine Demokratie ohne Freiheit nicht gibt, daß es eine Gerechtigkeit nicht gibt, die nicht in der Freiheit lebt, und daß es keine Menschenwürde gibt, die nicht von der Freiheit geschützt ist?


    (Dr. von Brentano)

    Es war eine schwere Aufgabe, das wieder zu schaffen, was wir heute vor uns sehen. Wir sind noch im Anfang dieser Aufgabe, und alles, was uns in der weiteren Arbeit stören könnte, ist ein furchtbarer Schaden für das deutsche Volk. Aber hier handelt es sich nicht darum, Störungen zu vermeiden; hier handelt es sich meiner Überzeugung nach um die klare Frage, die an uns gestellt ist: Ob wir in Freiheit weiter leben wollen oder ob wir uns dieser Aufgabe nicht mehr gewachsen fühlen und verzichten.
    Ich bin sicher, daß nicht nur die Mehrheit dieses Hauses, sondern daß die große Mehrheit des deutschen Volkes willens ist, nach dem Maße seiner Kraft alles zu tun, um den Frieden zu erhalten und seine auf die Achtung vor den Menschenrechten gegründete freiheitliche Staatsordnung zu schützen. Die Mehrheit dieses Hauses und gewiß auch die große Mehrheit des deutschen Volkes bekennt sich

    (Zuruf von der SPD: Fragen Sie es doch!)

    mit uns zu der Unteilbarkeit des inneren und äußeren Friedens. Wir halten es deshalb für eine unabweisbare Verpflichtung, den Lebensstandard und die soziale Entwicklung im Rahmen des Wiederaufbaus Deutschlands mit allen Kräften zu fördern und auch an seiner äußeren Sicherung mitzuwirken.
    Mit Genugtuung haben wir davon Kenntnis genommen, daß sich auch die Sprecher der Opposition für die Verteidigung der Freiheit und die Sicherung des Friedens im Zusammenwirken mit den freien Völkern der Welt bereit erklärt haben. Die Mehrheit des Hauses bedauert aber mit mir auf das tiefste, daß taktische Erwägungen das einheitliche Anstreben dieses Zieles durch den Bundestag zu erschweren, ja, zu verhindern drohen. Wir sind mit der Regierung darin völlig einig, daß ein angemessener deutscher Beitrag zur Sicherung des Friedens kategorisch von der Gewährung gleicher Rechte und Pflichten an das deutsche Volk abhängig gemacht werden muß.

    (Zuruf von der SPD: Kategorisch?)

    Wir glauben, daß die unerläßlich notwendige internationale Solidarität bei der Sicherung der Freiheit und des Friedens die tatsächliche Solidarität mit dem deutschen Volke einschließen muß und in ihrer Endgestalt auch einschließen wird. Wir sind willens, das Unsrige dazu zu tun. Wir sprechen aber die ernste Befürchtung aus, daß die von dem Vorsitzenden der Sozialdemokratischen Partei geforderten und eingeschlagenen Methoden der Erlangung dieses Zieles abträglich sind und daß sie deshalb eine Gefährdung des gemeinsamen Zieles darstellen.
    Wir rufen das deutsche Volk auf, im Kampfe um die Erlangung dieses Zieles sich weder von berechtigten noch von unberechtigten Erinnerungen und Beschwerden verbittern zu lassen. Wir rufen das deutsche Volk auf, sich weder aus Furcht noch von Drohungen lähmen zu lassen, sondern in klarer Entschlossenheit zur Freiheit und zum Frieden seinen Weg in die Gemeinschaft der freien Völker geduldig, aber auch fest weiterzugehen.

    (Anhaltender lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)



Rede von Dr. Hermann Ehlers
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Meine Damen und Herren! Die sozialdemokratische Fraktion hat acht Minuten ihrer Redezeit noch nicht verbraucht. Der Herr Abgeordnete Dr. Schumacher wünscht, diese Zeit auszunutzen. Ich erteile ihm das Wort.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Kurt Schumacher


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Meine Damen und Herren! Die Kürze der Zeit und auch der Aufmarsch der gegnerischen Argumente oder dessen, was man höflicherweise damit vergleichen kann, zwingt mich zu dem Entschluß, ein Minimum von Polemik anzuwenden.

    (Rufe rechts: Aha!)

    Eine Entwirrung der Mißverständnisse und die notwendige sachliche Fundierung einer erfolgreichen Diskussion ist ja in dieser kurzen Zeit nicht möglich. Aber uns helfen doch nicht platonische Bekentnisses zu einer gewissen Gemeinsamkeit von Ideen, wenn in Konsequenz dieser Bekenntnisse dann von der Seite oder von hinten oder durch Umgehung praktisch andere Folgerungen abgeleitet werden als die, die zwangsläufig sich aus diesen Ideen ergeben sollen.

    (Zustimmung bei der SPD.)

    Meine Damen und Herren! Wir haben eine gewisse Überraschung erlebt, als, nicht wegen der Persönlichkeit des betreffenden Abgeordneten oder seiner Bedeutung, sondern wegen der prinzipiellen Wichtigkeit seiner Worte, kein einziger der Diskussionsredner Front gegen die Verteidigung und das Bekenntnis zu einer politischen Anschauung gemacht hat, die eben nicht verteidigt werden kann, weil sie den Zusammenbruch Deutschlands und Europas herbeigeführt hat, weil sie die Schwierigkeiten geschaffen hat, mit denen wir heute ringen.

    (Lebhafte Zustimmung bei der SPD. — Unruhe und Zurufe bei den Regierungsparteien.)

    Wir wünschen nicht, unser Verhältnis zu den Alliierten auf der Grundlage zu diskutieren, die der sich unabhängig nennende Abgeordnete hier zur Basis seiner Rede gemacht hat. Wir wünschen vor allen Dingen nicht, das Verhältnis auf der Grundlage der agitatorischen, lügnerischen Verbiegung der Tatsachen und des Mangels jeder Objektivität zu diskutieren.

    (Allgemeine lebhafte Zustimmung.)

    Hier erlebten wir, wie sehr ein beziehungslos in der Welt der Politik herumschwebender nationaler Radikalismus Nationalbolschewismus in dieser Situation zu werden droht.

    (Zustimmung bei der SPD.)

    Nun, meine Damen und Herren, wenden wir uns dem Kern der Ausführungen der nichtsozialdemokratischen Parteien am heutigen Nachmittag zu. Dieser Kern ist eine nachträgliche Billigung der Erklärung der Bundesregierung, wie sie von dem Herrn Bundeskanzler vorgetragen worden ist. Wir halten nicht sehr viel davon, auf einmal von der Methode des Vorsitzenden der Sozialdemokratischen Partei zu sprechen, wenn die Methode des Herrn Bundeskanzlers auf der Anklagebank steht.

    (Sehr richtig bei der SPD.)

    Wir halten auch nicht viel davon, diesen Vorsitzenden der Sozialdemokratischen Partei gewissermaßen als Persönlichkeit, ohne jede sachliche Motivierung des Vorgehens, für eine politische Anschauung verantwortlich zu machen, die von der Sozialdemokratischen Partei und ihrer Bundestagsfraktion geschlossen getragen wird.

    (Lebhafte Zustimmung bei der SPD.)

    Am wenigsten halten wir von einer Methode, dort, wo wirklich Gegensätze vorhanden sind, diese Gegensätze zu bagatellisieren und mit allgemeinen Redensarten überbrücken zu wollen.


    (Dr. Schumacher)

    Demgegenüber erklärt die sozialdemokratische Fraktion des Deutschen Bundestages: Sie mißbilligt die Erklärung der Bundesregierung in ihrem sachlichen Inhalt und in der Form, in der sie dem Bundestag und der deutschen Öffentlichkeit unterbreitet worden ist.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD.)

    Sie mißbilligt sie deswegen, weil diese Erklärung ohne Befragung durch die Alliierten abgegeben worden ist, weil sie wieder ein Zeichen für die von uns angegriffene Methode der Politik ist, nicht abwarten zu können und nicht mit Erklärungen deutscher Bereitschaft abwarten zu wollen. Damit verstärkt man die nationale Position der Deutschen in dieser Frage nicht.

    (Zuruf rechts: Nur wegen der Taktik!)

    Praktisch hat ja der Herr Bundeskanzler alles auf den einen Satz konzentriert, daß man bereit sein muß,

    (Rufe von den Regierungsparteien: Jawohl!)

    wie es wörtlich heißt, auf Befragung die Erklärung abzugeben. Wenn das der Fall ist, dann ist das eine Vorentscheidung über eine deutsche Vorleistung,

    (Lebhafter Widerspruch bei den Regierungsparteien)

    die wir nicht akzeptieren, weil das Wesentliche der deutschen Politik und der Notwendigkeiten der Bewohner unseres Landes dabei nicht berücksichtigt ist.

    (Zustimmung bei der SPD.)

    Die Sozialdemokratie mißbilligt aber diese Erklärung auch deswegen, weil die sachlichen Voraussetzungen bis zu diesem Augenblick nicht geklärt sind, weil die machtmilitärischen Voraussetzungen und die Voraussetzungen der internationalen Solidarität ja erst geschaffen werden müssen und von ihrem Vorhandensein das Ja oder Nein für die Deutschen erst abhängig gemacht werden kann.

    (Zustimmung bei der SPD und rechts.)

    Darum ist die Erklärung, die die Bundesregierung heute abgegeben hat, unmöglich.
    Schließlich, meine Damen und Herren, mißbilligt die sozialdemokratische Fraktion eine Methode, die nachher bei der Rechtfertigung mit dem Appell an die Gemeinsamkeit arbeitet, aber vorher durch die Praxis der Erklärungen und Maßnahmen doch eine Absage an dieselbe so gepriesene Gemeinsamkeit auch in der Außenpolitik bedeutet.

    (Lebhafte Zustimmung bei der SPD.)

    Zu den rechtlichen Ausführungen und den beträchtlichen Leistungen juristischer und philologischer Fleißarbeit will ich mich hier nicht äußern.

    (Lachen bei den Regierungsparteien und rechts.)

    Ich will nur sagen, daß diese Ausführungen alle an dem zentralen Problem vorbeigehen.

    (Erneutes Lachen und Widerspruch bei den Regierungsparteien und rechts. — Beifall bei der SPD.)

    Der Mangel an Schlüssigkeit kann auch durch die
    Lautheit des Standpunktes nicht zugedeckt werden.

    (Wiederholtes Lachen bei den Regierungsparteien und rechts:)

    Es handelt sich um die verfassungsmäßige Regelung, die im Grundgesetz nicht vorgenommen ist,

    (Zuruf von der CDU: Doch!)

    und vor dieser Frage stehen wir.

    (Erneute Zurufe.)

    — Ach, glauben Sie denn, daß man die wichtigsten Probleme des deutschen Staats- und Volkslebens im Grundgesetz aus beiläufigen Bemerkungen und einer e-contrario-Argumentation beschaffen kann? Die Sozialdemokratische Partei steht zu jedem Wort der sozialdemokratischen Erklärungen im' Parlamentarischen Rat in Bonn.

    (Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)

    — Ich sehe aus der Freudigkeit und dem Enthusiasmus Ihres Beifalls, daß Sie auf dem Wege zur Erkenntnis des Problems sind.

    (Stürmische Heiterkeit.)

    Die Sozialdemokratische Partei besteht auf dem verfassungsändernden Charakter, und sie wird das Volk keinen Augenblick im Stich lassen, wenn es sein Recht geltend macht, auch gehört zu werden. In dieser Frage ist das Problem als politisches Problem ja nicht nur eine Frage der Verantwortung der Regierung oder einer Regierungsmehrheit oder auch der Opposition. Die letzte Verantwortung trägt doch das Volk selbst, das man in dieser wichtigsten Frage nicht einfach mundtot machen kann, weil jeder einzelne Mensch als Person die Konsequenzen dieser Handlungen zu tragen hat.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD.)

    Der Respekt vor unserem Volke sollte auch der Bundesregierung den Weg freimachen zu einer anderen Art als der der taktisch-autoritären Behandlung dieser Dinge.