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ID0109801500

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    Deutscher Bundestag — 98. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. November 1950 3563 98. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 8. November 1950. Geschäftliche Mitteilungen 3563B Entgegennahme einer Erklärung der Bundesregierung (Beitrag der Bundesrepublik Deutschland zur Verteidigung des Westens, Pleven-Plan und Vorschlag der Sowjetregierung zur Einberufung der Außenministerkonferenz der vier Großmächte) 3563C Dr. Adenauer, Bundeskanzler 3563D, 3621D Aussprache über die Erklärung der Bundesregierung 3567B Dr. Schumacher ,(SPD) . . . 3567B, 3620C Frau Wessel (Z) 3576D Dr. Seelos (BP) 3582A von Thadden (DRP) 3587B Schuster (WAV) 3590C Dr. Richter (Niedersachsen) (parteilos) 3591B Dr. Doris (parteilos) 3593A Rische (KPD) 3594A Dr. Leuchtgens (DRP) 3599C Clausen (SSW) 3600D Fröhlich (BHE) 3601B Dr. Schäfer (FDP) 3602A Dr. von Merkatz (DP) 3608D Dr. von Brentano (CDU) 3615A Nächste Sitzung 3622C Die Sitzung wird um 13 Uhr 13 Minuten durch den Präsidenten Dr. Ehlers eröffnet.
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    Rede von Adolf von Thadden


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (DRP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (DRP)

    Meine Damen und Herren! Etwa vor einem Jahr fand in diesem Hause die Debatte um das Petersberg-Abkommen statt. Die Bundesregierung verzichtete damals freiwillig auf mancherlei Rechte, von denen wir meinen, sie hätte sie sich damals ertrotzen können,

    (Lachen bei den Regierungsparteien)

    und sie erklärte feierlich, „die Entmilitarisierung des Bundesgebietes aufrechtzuerhalten und mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln die Neubildung irgendwelcher Streitkräfte zu verhindern". Wenn wir an die heutige Debatte denken, möchten wir die Bundesregierung und den Kanzler insbesondere daran erinnern, daß in Nürnberg einmal ein Außenminister zum Tode verurteilt wurde, weil er Verträge brach. Wir wollen den Kanzler davor warnen, einen ähnlichen Weg zu beschreiten!

    (Lachen in der Mitte. — Abg. Kunze: Armer Junge!)

    In Art. 24 des Grundgesetzes wurde die Wehrhoheit ausdrücklich an die Alliierten abgetreten. Wir haben außer dem Besatzungsstatut auch noch ein alliiertes Sicherheitsamt. Seine Aufgabe ist es, das „Wiederaufleben militärischer Organisationen und militärischen Geistes zu verhindern". Wir möchten diese Institution einmal auf die amerikanischen Arbeitseinheiten hinweisen und auf den militärischen Ton und die militärischen Vorbereitungen, die dort bereits wieder herrschen. Das Abkommen vom Petersberg hat heute noch seine volle Gültigkeit. Die Bundesregierung hat es damals angenommen.
    Es hat sich aber in den letzten Jahren auch noch ein anderer Brauch herausgebildet: Nicht nur, daß der, der Verträge bricht, an den Galgen geht, sondern daß derjenige, der einen Krieg macht und ihn verliert, ebenfalls an den Galgen geht. Wir wollen unter gar keinen Umständen als rückfällige Kriegsverbrecher einer neuerlichen Bestrafung entgegengehen.
    Noch etwas anderes kommt hinzu. Deutschland hat am 8. 5. 1945 kapitulieren müssen, bedingungslos, auch vor der Sowjetunion. Wer nach der Kapitulation weiterkämpft, wird rite verurteilt. Dies geschah auch mit 21 Deutschen, die am 17. 1. 1947 in Schanghai verurteilt worden sind, und zwar deswegen, weil sie nach der Kapitulation der deutschen Wehrmacht weiter Krieg geführt haben, unter anderem gegen die Sowjetunion. Der Richter Jackson hat dieses Urteil vor dem Hohen USA-Gerichtshof auf das nachhaltigste verteidigt. Die Russen haben in diesem Urteil ein Präjudiz. Wir sollten uns vorsehen, daß wir, gestützt auf ein solches Urteil, eventuell auch herangekriegt werden können.
    Aus diesen paar Dingen sehen wir, daß, bevor man überhaupt in die Debatte um einen deutschen Beitrag eintreten kann, vom Westen her mancherlei Dinge ausgeräumt und beseitigt werden müssen.

    (Sehr richtig! rets.)

    Nach all unseren Erfahrungen müssen wir uns auf die ganz klare Basis des Rechtes stellen. Erst wenn diese da ist, dann sind wir in der Lage, uns über einen Beitrag zu unterhalten.
    Meine Damen und Herren! Dr. Schumacher sprach am 16. September in Stuttgart. Ich gestehe ganz offen, daß diese Rede — von einigen marxistischen Rückfällen abgesehen — das beste war,

    (Heiterkeit bei der SPD)

    was in der letzten Zeit auf dem politischen Markt erschienen ist. Von seiten der Regierungskoalition haben wir derartige Worte leider Gottes bisher noch nicht gehört. Auf die militärischen Konzeptionen, die er dort brachte, komme ich noch. Er sagte in dieser Rede einen Satz, den ich ganz in dem Sinne verstehe, in dem er damals gesprochen wurde:
    Wenn es eine alliierte Mitschuld am zweiten Weltkriege gibt, und es gibt sie, dann gibt es auch eine Mitschuld der Alliierten an der heutigen Bedrohung der Weltdemokratie durch die Position Sowjetrußlands.
    Ich möchte dies dahingehend ergänzen, daß die heutige Position Sowjetrußlands nur deswegen existiert, weil es eine alliierte Alleinschuld an diesen Dingen gibt.
    In dieser selbst geschaffenen Situation möchte man auf uns zurückgreifen.

    (Abg. Kunze: So leicht ist das alles nicht!)

    Wenn wir uns heute weigern, das mitzumachen,
    was die Westmächte bzw. einige von uns wollen,
    dann wollen wir kein Gefeilsche um Zugständ-


    (von Thadden)

    nisse anfangen. Wir wollen auch keine Erpressungspolitik betreiben, wie man uns dieses heute unterschiebt. Wir wollen nichts anderes, als vor einer verhängnisvollen Fehlentwicklung warnen, bei der wir im wahrsten Sinne des Wortes in erster Linie die Leidtragenden wären. Entweder entschließt man sich, ganze Maßnahmen zu treffen, bei denen alle Völker gleichberechtigt mitmachen, oder man läßt die Finger davon. Was sollte man mit einer europäischen „Aufrüstung", deren Anblick den kriegserprobten Generalen der Sowjetunion bestenfalls ein Lächeln abnötigte! Darauf laufen die Dinge im Augenblick hinaus. Dafür haben wir auch keinen Pfennig Geld von unserem Sozialetat übrig.
    Meine Damen und Herren! Über die Entwicklung zu der heutigen Debatte haben die Vorredner einiges gesagt. Ich möchte auf folgendes hinweisen. Es wurde viel um das Memorandum geredet. Am Vormittag des 31. 8. — am Nachmittag fand eine Kabinettssitzung statt — veröffentlichte der Bundespressechef bereits eine Mitteilung des Inhalts, daß die Agentur Reuter berichtet hätte, das Memorandum befasse sich mit Vorschlägen für deutsche Kontingente in einer europäischen Armee. Ich möchte einmal wissen: Wie kommt die Agentur Reuter so frühzeitig auf die Dinge, die in dem Memorandum drinstanden, das sogar den Ministern des Kabinetts nur bruchstückweise vorgelesen worden ist?
    Der Herr Bundeskanzler will jetzt kein Angebot gemacht haben. Ich glaube, die klaren Formulierungen, die man in New York gefunden hat, deuten doch wohl darauf hin, daß er ein solches Angebot gemacht hat. Dort ist man etwas vorsichtiger mit den Worten, die man bringt, weil man nicht dauernd und alles und jedes dementiert, was ein-
    gesagt ist.
    Gleichberechtigung wird überall verlangt. Deutsche Gleichberechtigung bei der Verteidigung ist uns bereits zugesagt. Es genügt aber nicht, daß ein deutscher Bataillonskommandeur oder Korpskommandeur „gleichberechtigt" neben einen solchen des Westens gestellt wird. Es genügt auch nicht, ein deutsches Kontingent „gleichberechtigt" neben ein solches des Westens zu stellen. Zuerst kommt es darauf an, daß die völkerrechtliche Gleichberechtigung des deutschen Volkes, einer deutschen Regierung und eines Teiles des deutschen Staatsgebildes de facto und ganz Deutschlands de jure hergestellt ist. Damit erst wird die Legitimierung einer Regierung gegenüber dem eigenen Volke für eine derartig entscheidende Frage geschaffen. Ohne diese können in dieser Angelegenheit nicht die Impulse geweckt werden, deren wir bedürfen. Die Westmächte sollten doch einmal daran denken, daß, solange sich das deutsche Volk lediglich vor der Wahl zwischen zwei Übeln sieht, es in der unausweichlichen Krise vor dem jeweils mächtigeren Übel resignieren wird; und dies, statt sich für Ideen zu schlagen, von deren loyaler Anwendung auf eigene Belange es nicht überzeugt wurde, solange es noch Zeit dazu war.
    Die innere und sichtbare Opposition Deutschlands richtet sich aber gerade gegen die Tatsache, daß der Westen uns Rechte und Freiheiten vorenthält, die er selber als das non plus ultra der westlichen Welt beansprucht. Auf der anderen Seite werden wir aufgefordert, für die Erhaltung gerade dieser Rechte und Freiheiten aus einer mehr als bedenklichen Situation heraus Verpflichtungen zu übernehmen. Auf die moralischen Kräfte eines Volkes und auch des deutschen Volkes kann aber nur der rechnen, der im Kampf um die
    moralischen Prinzipien des Völkerlebens eine reine' Weste hat. E's muß mit aller Deutlichkeit gesagt werden: Wenn die Bonner Regierung der inner-politische Kugelfang für die Alliierten Konferenzen von Teheran, Jalta und Potsdam bleibt, wird sie im kritischen Augenblick ein Quislingschicksal erleiden. Davor wollen wir sie warnen.
    Die Alliierten erwarten eine proklamative Erklärung Bonns. Meine Damen und Herren, wenn das, was der Herr Bundeskanzler uns vorhin als Erklärung der Regierung vorgelesen hat, die vom Westen erwartete Sache ist, dann müssen wir hier doch etwas dazu sagen. Herr Bundeskanzler! Sie begrüßten den Pleven-Plan als einen wertvollen Beitrag zur europäischen Integration. Wir sind anderer Meinung.

    (Zurufe von den Regierungsparteien: Wer „wir"?)

    Wir glauben, daß der Pleven-Plan das Gegenteil dessen bedeutet, was die Bundesregierung in ihn hineinlegt, und ich glaube, daß das Verhältnis zwischen einigen Generalen in Amerika und Frankreich doch wohl besser ist, als es der französische Hohe Kommissar dem Bundeskanzler gegenüber sagt. Wir haben vor kurzem erst gehört, daß der General Eisenhower, der voraussichtliche Oberkommandierende der Westmächte, der in Deutschland einzog mit den Worten: „We come as conquerors", neulich einmal gesagt hat, daß er persönlich die „größtmögliche Wiederbewaffnung Westdeutschlands befürworte, soweit sie mit den französischen Befürchtungen zu vereinbaren sei."
    Die französischen Befürchtungen kennen wir; wir honorieren sie auch. Wir wissen, daß wir in den letzten 80 Jahren dreimal vor Paris gestanden haben und die Franzosen in den letzten 100 Jahren nur zweimal vor Berlin gestanden haben.

    (Unruhe und Zurufe.)

    Aber wir wollen hier keine Erörterungen über die Schuld oder Unschuld an den letzten Kriegen anstellen. Heute kann die französische Regierung doch wirklich nicht mehr um die Tatsache herumreden, daß wir alle von einer Gefahr bedroht sind und daß es nicht damit getan ist, sich mit Gedanken an ein Glacis herumzutragen, das in Deutschland liegt. Damit fängt die Sache falsch an, wenn sie ihrer Bevölkerung eine deutsche Aufrüstung schmackhaft machen möchte. Die französische Regierung sollte die Franzosen vielmehr mit der Tatsache vertraut machen, daß in einem modernen Krieg Paris ohne weiteres in drei Wochen zu erreichen ist, ja noch in kürzerer Frist zu erreichen ist, wenn man die Aufrüstung nicht anders aufbaut, als sie zur Zeit anläuft.
    Während der Straßburger Tagung sagte ein alter englischer Journalist und Globetrotter: „Die Politiker reden über Europa, die Wirtschaftler verhandeln über Europa, und die Generale werden Europa einigen". Darin liegt leider Gottes sehr viel Wahrheit. Im Zeitalter des großen Ideenkampfes gegen den Bolschewismus nützt es unserer Ansicht nach jedoch nur wenig, wenn Generale den Versuch machen, ein europäisches Heer aufzustellen, wenn nicht die Herzen der Europäer im gleichen Takt für dieses Heer mit schlagen.
    Bei uns Deutschen ist dies noch nicht so weit. Ich bin auch überzeugt, daß die apathisch abseits stehende junge Generation in Deutschland wieder zu begeistern ist, wenn man ihr einen gangbaren Weg aufzeigt. Unsere deutsche Jugend würde sich wohl zur Verfügung stellen, wenn sie wüßte, wofür. Wenn jemand Soldat sein soll, dann muß er sogar ganz genau wissen, wofür.


    (von Thadden)

    Der deutsche Frontsoldat im letzten Krieg hatte eine Ideologie, eine höchst einfache. Es war nicht die der Verteidigung des Nationalsozialismus. Der Rußlandsoldat dachte viel einfacher und viel wahrer, indem er sich bis Stalingrad sagte: der Bolschewismus ist bösartig, und deshalb muß er ausgerottet werden. Ab Stalingrad sagte er sich: weil wir wissen, wie bösartig der Bolschewismus ist, deshalb müssen wir ihn von Deutschland fernhalten. Seien Sie sicher: Wenn er diese Ideologie nicht gehabt hätte, wäre der Russe wahrscheinlich nicht in Thüringen, sondern noch etwas weiter.
    Sollen wir uns für Freiheiten einsetzen, die man uns vorenthält, für eine Gesellschaftsordnung, die gegenüber den Angriffen des Kreml in der letzten Zeit ihre innere Morschheit nur zu oft bewiesen hat? Sollen wir uns für einen Staat einsetzen, den die „New York Times" kürzlich wie folgt bezeichnete: „Bonn ist eine Kolonie, bestenfalls ein Protektorat mit beschränkter Selbstverwaltung"? Die „beschränkte Haftung" hat man vergessen. In diesem Protektorat sollen wir nur die Gurkhas oder Hiwis sein. Hat man sich überlegt, wer Soldat sein soll? Kürzlich ging durch die Presse die Meldung, daß ehemalige Nazis in die Bereitschaftspolizei nicht aufgenommen werden dürften. Ich möchte die Frage stellen, ob ehemalige Nazis auch in das neue Heer nicht aufgenommen werden dürfen. Ichglaube, gewisse französische Stellen und deutsche Zeitungen würden dies gern sehen. Wer soll denn dann Soldat spielen? Wollen etwa die Mitglieder des Bundestages mit gutem Beispiel vorangehen? Ich möchte meinen, daß man aus diesem Areopag erlesener Geister kaum eine kriegsstarke Gruppe wird zusammenstellen können.

    (Heiterkeit.)

    Um so mehr sollten diese Geister aber auch darauf bedacht sein, nicht über Menschen zu verfügen, die ,nicht so kriegerisch gesonnen sind, wie es hier scheinen möchte.
    Wenn ich mir die Zeitungen ansehe, wenn ich daran denke, wie sie jahrelang gegen alles Soldatische gehetzt haben, dann kann man heute nur staunen, wenn man an die geistige Umstellung denkt, die hier Platz gegriffen hat. Die Redaktionsstäbe der „Welt" und der „Neuen Zeitung" sollten als erste den Marsch auf die Kaserne antreten. In Ringelsöckchen mit Sambapuschen wären sie herrliche Verteidiger der Deutschen.

    (Heiterkeit.)

    Meine Damen und Herren! Der Abteilungsleiter für öffentliche Angelegenheiten beim amerikanischen Landeskommissariat für Hessen äußerte kürzlich:
    Es wäre manches anders gekommen, wenn wir 1945 das gewußt hätten, was wir heute wissen. Wir müssen zugeben, daß die Deutschen mit ihrer Warnung vor der aus dem Osten drohenden Gefahr und ihrem Wissen um die Verhältnisse uns weit voraus waren.
    Denken wir auch an den General Fuller, der kürzlich schrieb:
    Es ist charakteristisch für Churchill, nachdem er jahrelang gegen den Stalinismus gewettert hatte, daß er seine ganze kraftvolle Persönlichkeit und seine große Energie darauf konzentrierte, Stalins tödlichsten Feind zu vernichten, und dadurch, mit amerikanischer Hilfe, öffnete er die Tore Osteuropas für die russische Invasion.
    Mit der Lage, die hierdurch geschaffen worden ist, haben wir uns auseinanderzusetzen. Die amerikanische Einsicht kommt etwas reichlich spät. Europa wird bedroht, wenn wir uns die realen Verhältnisse einmal ansehen, von .einer Armee, die, was die Bodentruppen anlangt, die beste Ausrüstung der Welt ihr eigen nennt. Die Amerikaner haben in Korea ein bitteres Erwachen aus ihrem Schlaf erlebt, als sie dort Panzer vorfanden, die ihrer eigenen Qualität turmhoch überlegen waren, und Mengen, die weit über dem lagen, was man in den letzten fünf Jahren nach ganz Europa hineingebracht hat. Diese russische Armee kann in kürzester Zeit mehrere Hundert schlagkräftige Divisionen einsetzen. Der Westen faßte hiergegen bisher nur Resolutionen! Man kann gegen diese russische Bedrohung, hinter der auch im Gegensatz zum Westen eine fanatische Weltanschauung steht, eine europäische Armee aufbauen. Eine solche Armee wäre nur denkbar mit einem starken deutschen Kontingent. Churchill denkt in dieser Beziehung völlig folgerichtig. Sie müßte unter einem europäischen Oberkommando stehen, in dem alle vertreten sind. Sie müßte auch alle Waffen führen, die in einem modernen Krieg notwendig sind, und die Gedankengänge, die in Frankreich in dieser Richtung erörtert wurden, scheinen uns wirklich mehr als abwegig. Alle europäischen Staaten — das gilt es festzustellen, wenn wir uns die russische Stärke vor Augen halten — müßten bis an die Zähne aufrüsten. Das ganze pazifistische Gequakkele gewisser deutscher Parteien und deren Schwesterparteien im Ausland über das Recht der Kriegsdienstverweigerung müßte schlagartig verschwinden. Eine solche Armee wäre vielleicht imstande,

    (Abg. Dr. Schumacher: Rufen Sie nicht nach der Schlagartigkeit!)

    eine Verteidigung zu führen, indem sie, Herr Kollege Dr. Schumacher, so stark ist, daß sie den ersten Schlag führen kann. Hier folgen wir völlig Ihren Argumentationen, die wesentlich realer sind als die der Bundesregierung.
    Die deutsche Kriegsindustrie ist dank westlichem Weitblick völlig vernichtet. Ihr Wiederaufbau würde Jahre in Anspruch nehmen. Die amerikanische Industrie kann eine solche europäische Aufrüstung vorerst nicht in dem Maße durchführen, wie dies vielleicht notwendig wäre. Eine deutsche Truppe wäre, wenn sie jetzt bereits aufgestellt werden sollte, auf alle diese Imponderabilien angewiesen. Wir wären wahnsinnig, wenn wir nach allen Opfern und Entbehrungen, die wir gebracht haben, eine solche Entwicklung mitmachen würden. Für eine solche Aufrüstung bis an die Zähne — nur eine solche kann verlangt werden — ist unsere Zeit aber noch nicht gekommen.

    (Zurufe links: Aha!)

    Man macht einen Aufmarsch landläufig von hinten nach vorn, und man packt nicht vorn einige verlorene Haufen hin, um dann erst einmal weiterzusehen. Solange der Westen seinerseits nicht so stark ist, wie es der Russe heute ist — und bis dahin ist noch lange Zeit —, ist es unsinnig, daß wir uns mit einer Frage beschäftigen, die wir — machen wir uns doch bitte nichts vor - sowieso nicht entscheidend beeinflussen. Unsere Stärke war einmal. Sie ist heute nicht mehr da. Denken wir immer daran, an die Krüppel, an alle Opfer des letzten Krieges, und denken wir daran, in welchem physischem Zustand unsere junge Mannschaft im Augenblick ist. Wir wollen diese Dinge erst einmal reparieren. Solange der Westen nicht seinerseits etwas mehr tut, als er in den letzten fünf Jahren -getan hat, ist es nach unserer Ansicht


    (von Thadden)

    völlig falsch, wenn wir Deutschen den Weg einer partiellen Aufrüstung beschreiten wollen; und darauf laufen offenkundig die Pläne der Regierung hinaus, die zu nichts nutze wären und nur dazu beitragen könnten, den Franzosen Mut zu machen, hier in Deutschland Krieg zu spielen.
    Wir Deutschen haben keinerlei Veranlassung, uns vom Westen Vorhaltungen machen zu lassen, wir seien nicht genug antibolschewistisch. Wir haben immer unsere Haltung gegenüber dem Osten, ob dieser bolschewistisch oder zaristisch war, vertreten, und wir haben nicht nur uns, nicht nur nationale Dinge verteidigt, sondern europäische Dinge schlechthin verteidigt. Wir müssen uns dagegen verwahren, daß die Bundesregierung Offerten macht, die sie nicht einlösen kann. Wir wollen auch an die Adresse Amerikas folgendes erklären: Wir sind bereit

    (Zurufe links: Wer? Wer ist „wir"?)

    — wir Deutschen —, unseren Beitrag zu leisten.

    (Stürmische Zurufe: Wer? Wer?)

    - Sie sind alle offenkundig bereits viel zu alt, als daß Sie sich in die Haut derer hineinversetzen können, die erlebt haben, wie der Russe ist. Er ist wesentlich anders, als Sie ihn sich vorstellen.

    (Zurufe von allen Seiten des Hauses. — Große Unruhe. — Glocke des Präsidenten.)

    Wir haben keine Angst vor dem Osten. Wir haben niemals Angst vor dem Osten gehabt. Aber wenn wir etwas gegen den Osten tun wollen, dann bitte mit dem Handwerkszeug, das man dazu braucht, und nicht à la Volksturm.

    (Zurufe links: Wir haben nur Angst vor Ihrem primitiven Denken!)

    Der Bolschewismus muß nivellieren und in den Völkern seiner Einflußsphäre jenes menschliche Laboratorium schaffen, das er braucht, um ohne Furcht vor Kritik und Opposition experimentieren zu können. Daran ändert kein Augenschließen etwas und kein verzweifelter Zweckoptimismus, wie er sich regt. Wir wollen nicht oder wir können nicht annehmen, daß dieser Kelch an uns vorübergeht, auch wenn die Beispiele Jugoslawien, Bulgarien, Rumänien, Ungarn und Tschechei nicht wären. Er muß geleert und seine Wirkung muß überwunden werden. Wenn wir die innere Kraft dazu haben, ist noch nichts verloren; dann sind die Millionen im Osten nicht umsonst gefallen und können in ihren zerstörten und geschändeten Gräbern ruhig schlafen. Dann haben wir Deutschen das Unsere getan, um die Fehler von gestern auszumerzen. Hämmern wir es uns ein als ein ewiges Gesetz: Der Bolschewismus ist eines Volkes sicherer Tod; wer von ihm ißt, der stirbt. Der Westen aber, mag es das Frankreich Richelieus sein oder das England Churchills oder mögen es die machtvollen Vereinigten Staaten sein, sie sprechen unsere Sprache, denken unsere Gedanken trotz der zerbombten und zerstörten Städte auf beiden Seiten. Der europäische Bruderkrieg konnte die tausendjährige gemeinsame Vergangenheit nicht erschlagen. Der große marxistische Revolutionär Lenin sagte einmal: „Fehler sind da, damit man aus ihnen lernt". Lassen wir uns dieses Wort zu Herzen gehen und sagen wir es an die Adresse der Herren des Petersberges. Wer aus den Schrecken der letzten fünf blutigen Jahre hervorging und nichts gelernt und alles vergessen hat, dem gebührt, daß man ihn mit Knütteln totschlägt. Das deutsche Volk ist am 1. Mai 1945 nicht gestorben. Aus seinem Dasein erwächst aber auch uns, die heute Außenseiter des Lebens sind, eine große
    Pflicht, aber auch ein Recht. Denn wir sind keine Banditen und Mörder gewesen, sondern wir haben uns für Freiheiten eingesetzt, für deren Verteidigung die ganze Welt sich jetzt rüsten muß. Lassen wir die trügerische Romantik mit der falschen .Überheblichkeit im selben Maße sterben wie die verlogenen Selbstanklagen und die rückgratlose Feigheit. Leben wir dem Leben der realen Tatsachen!

    (Zuruf von der SPD: Rührt euch!)



Rede von Dr. Carlo Schmid
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Das Wort hat der Abgeordnete Schuster.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Johann Schuster


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (WAV)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (WAV)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als der Herr Bundeskanzler in seiner Erklärung heute ausführte und versicherte, daß er keinerlei Angebote in der heute hier zur Debatte stehenden Frage gemacht habe und auch von seiten der westalliierten Mächte weder eine Frage, noch eine Forderung gestellt worden sei, da haben wir etwas aufgeatmet. Denn bis jetzt waren wir ja, allerdings nur von seiten der Presse, anders unterrichtet. Deshalb haben wir jedoch nicht an der Wahrheit der Ausführungen des Herrn Bundeskanzlers gezweifelt. Als der Herr Bundeskanzler aber am Ende seiner Erklärung von der Entschließung sprach, waren wir etwas enttäuscht. Denn diese Entschließung scheint uns viel zu verfrüht. Dazu hätten zuerst einmal die Voraussetzungen gegeben sein müssen, die jetzt in keiner Weise gegeben sind. Es genügt nicht allein, daß uns die militärische Gleichberechtigung zugesichert wird, die uns noch nicht einmal von allen Ländern, die an dieser westlichen Verteidigung teilnehmen sollen, zugestanden wird. Dazu kommt noch sehr vieles. Es ist doch geradezu undenkbar, daß wir eine gemeinsame Verteidigungsmacht mit solchen Ländern aufbauen sollen, mit denen wir heute praktisch noch im Kriegszustand stehen.
    Ich will nicht Einzelheiten anführen, die schon einige Male erwähnt worden sind, wie Einzelheiten über das Besatzungsstatut. Zunächst wäre es einmal unbedingt notwendig, die Besatzungsmacht, deren Daseinsberechtigung längst überholt ist — sie braucht als „Besatzungsmacht" nicht mehr zu firmieren —, umzubenennen, ehe man überhaupt daran denkt, über die Teilnahme Deutschlands an dieser Verteidigung zu debattieren. Wir wollen nicht, daß sie abzieht; ganz das Gegenteil. Sie hat aber als „Besatzungsmacht`. keine Daseinsberechtigung mehr. Das deutsche Volk hat sich in den fünf Jahren der Besetzung Deutschlands so diszipliniert verhalten, daß eine Besatzungsmacht nicht mehr notwendig ist. Ob man sie Schutzmacht gegen den Osten oder — wenn man es will — amerikanische und britische Garnison in Deutschland nennen will, mag dahingestellt bleiben.
    Damit müssen aber auch die materiellen Dinge geklärt werden. Es geht nicht an, daß die Besatzungsmacht auf Kosten des deutschen Volkes hierbleibt. Auch die Zusage, daß das deutsche Gebiet verteidigt werden würde, genügt noch nicht. Wir geben zu, daß die Westalliierten wohl die Absicht und den guten Willen haben, auch das westdeutsche Gebiet zu verteidigen; das besagt aber noch lange nicht, daß dies auch geschieht und unter den gegebenen Zuständen überhaupt geschehen kann. Hierzu ist eine genügend starke Verteidigungsmacht Voraussetzung, von der wir die Überzeugung haben können, daß es auch nicht einem östlichen Soldaten gelingen wird, auch nur einen Fuß über die Elbe zu setzen. Solange wir davon nicht überzeugt sein können, erscheint uns eine deutsche Teilnahme an dieser Verteidi-


    (Schuster)

    gung zwecklos. Denn ich kann mir nicht denken, daß es jemals einen deutschen Soldaten geben wird, der noch am Rhein Deutschland verteidigen wollte.
    Darüber hinaus ist nicht nur die Ehre des deutschen Soldaten noch nicht wiederhergestellt, sondern es hat die Diffamierung noch nicht einmal ganz aufgehört. Wir können keinem jungen deutschen Mann zumuten, sich wieder in Uniform stekken zu lassen, wenn diejenigen vielleicht sie selbst oder andere —, die vor fünf Jahren den Rock auszogen, heute noch zum Teil als Verbrecher gelten und wenn ein Teil — und wenn es auch nur einige Hunderte oder Tausende sind —, die selbst nichts verbrochen haben, heute noch in den Kerkern anderer Länder schmachten, obwohl nachgewiesen ist, daß sie selbst kein Verbrechen begangen haben und nur deshalb leiden, weil dort ein kollektives Strafgesetz geschaffen wurde. Meine Damen und Herren, ich glaube, auch dies könnte man unter die Verbrechen gegen die Menschlichkeit rechnen. Es sind nämlich nicht wenige, die nur auf Grund dieser Kollektivstrafgesetze heute noch in Kerkern schmachten.
    Der Herr Bundeskanzler hat keine genauen Erläuterungen gegeben, wie die materielle Seite der Beteiligung an einer Verteidigung aussehen soll. Solange wir nicht die Gewähr und die Gewißheit haben, daß der ohnehin schon niedrige Lebensstandard der großen Masse unseres Volkes nicht noch weiter herabgedrückt wird, ist in dieser Frage wenig zu sagen und zu entscheiden.
    Meine Damen und Herren, alle diese Voraussetzungen müssen zuerst gegeben sein, ehe man überhaupt auf eine weitere Debatte über diese Frage eingeht, ganz zu schweigen von einer Entscheidung. Die Entscheidung über diese Frage kann weder bei der Bundesregierung noch bei diesem Hohen Hause liegen. Die Entscheidung darüber kann einzig und allein das Volk selbst durch eine Volksabstimmung treffen.

    (Abg. Kunze: Die gibt es ja gar nicht!) Vizepräsident Dr. Schmid: Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Richter.