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    Deutscher Bundestag — 98. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. November 1950 3563 98. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 8. November 1950. Geschäftliche Mitteilungen 3563B Entgegennahme einer Erklärung der Bundesregierung (Beitrag der Bundesrepublik Deutschland zur Verteidigung des Westens, Pleven-Plan und Vorschlag der Sowjetregierung zur Einberufung der Außenministerkonferenz der vier Großmächte) 3563C Dr. Adenauer, Bundeskanzler 3563D, 3621D Aussprache über die Erklärung der Bundesregierung 3567B Dr. Schumacher ,(SPD) . . . 3567B, 3620C Frau Wessel (Z) 3576D Dr. Seelos (BP) 3582A von Thadden (DRP) 3587B Schuster (WAV) 3590C Dr. Richter (Niedersachsen) (parteilos) 3591B Dr. Doris (parteilos) 3593A Rische (KPD) 3594A Dr. Leuchtgens (DRP) 3599C Clausen (SSW) 3600D Fröhlich (BHE) 3601B Dr. Schäfer (FDP) 3602A Dr. von Merkatz (DP) 3608D Dr. von Brentano (CDU) 3615A Nächste Sitzung 3622C Die Sitzung wird um 13 Uhr 13 Minuten durch den Präsidenten Dr. Ehlers eröffnet.
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    Rede von Dr. Kurt Schumacher


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Meine Damen und Herren! Die New Yorker Beschlüsse sind durch die Erklärung des Herrn Bundeskanzlers nicht im einzelnen gewürdigt worden. Ich muß darum darauf verzichten, sie in den Vordergrund des ersten Teils meiner Rede zu stellen, und muß mich mit wenigen allgemeinen Bemerkungen begnügen. Eine genaue Untersuchung der New Yorker Beschlüsse zeigt, daß wir auch nach Erfüllung der Versprechungen der Beschlüsse noch nicht dort angelangt sein werden, wo uns nach einer freundlicheren Beurteilung der Situation im vorigen November der Herr Bundeskanzler bereits angelangt sah, als er meinte: „Zum ersten Male wird unsere Gleichberechtigung anerkannt". Die Gleichberechtigung ist noch immer ein Ziel, das es erst zu erringen gilt. Die Situation ist, abschließend zu diesem Punkt bemerkt, doch die: Man ist in den New Yorker Beschlüssen den Deutschen stückweise entgegengekommen; aber man behält es sich vor, jedes Entgegenkommen wieder zurückzunehmen. Man verlangt umgekehrt in der Frage des deutschen militärischen Beitrages zu irgendeinem System der Sicherung der Freiheit ein vollständiges, unkorrigierbares und unbedingtes Entgegenkommen und Sicheinordnen der Deutschen. Unter dieser Diskrepanz und unter dem Druckmittel, daß gewisse Andeutungen und Versprechungen von New York bei einer renitenten oder zu selbständigen Haltung der Deutschen verweigert werden könnten, steht jetzt, international gesehen, die Aussprache zu diesem Punkt.

    (Sehr wahr! bei der SPD.)

    Die politischen und militärischen Konzeptionen der Alliierten sind der große Gegner, mit dem wir uns nach Möglichkeit mit dem Ziel des Sichfindens auseinanderzusetzen haben. Aber im Abs. 11 des New Yorker Kommuniqués steht wörtlich zu lesen: „ ... das Besatzungsstatut abzuändern, indem sie aber die juridischen Grundlagen der Okkupation beibehalten".

    (Hört! Hört! bei der SPD.)

    Nun, meine Damen und Herren, das ist der Geist und die eindeutige Berufung auf diesen Geist der bedingungslosen Kapitulation.

    (Sehr richtig! Sehr wahr! bei der SPD.)

    Ich möchte das ganze Haus zum Zeugen für eine einheitliche Meinung der Deutschen anrufen, daß der Geist der bedingungslosen Kapitulation nicht der Geist ist, aus dem politische, moralische und militärische Werte geschaffen werden können.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD und bei der FDP.)

    Die Schwierigkeiten konzentrieren sich jetzt, ganz äußerlich gesehen, auf die Stellungnahme der französischen Nationalversammlung und der Regierung Pleven. Nach dieser Erklärung des französischen Herrn Ministerpräsidenten hat man überall in der Welt und offensichtlich am stärksten bei der deutschen Bundesregierung eine Fülle von Erklärungen und Kommentierungen zu diesem Standpunkt über sich ergehen lassen müssen. Aber diese Kommentierungen und Erklärungen, die zum Teil genau das Gegenteil von dem sagen, was der französische Ministerpräsident im Auftrage der Nationalversammlung gesagt hat,

    (Sehr richtig! bei der SPD)

    zeigen zwar eine geradezu bundesdeutsche Virtuosität im Dementieren und Exemplifizieren,

    (Heiterkeit und Beifall bei der SPD)

    aber sie können uns doch über das eigentliche Problem nicht hinwegtäuschen. Wir sind erstaunt und nicht erfreut darüber, daß der Herr Bundeskanzler die Erklärung Pleven als eine Diskussionsgrundlage betrachtet. Wir Sozialdemokraten betrachten sie nicht als das Fundament einer Auseinandersetzung.

    (Beifall bei der SPD.)



    (Dr. Schumacher)

    Uns ist gewiß wichtig und von größter Bedeutung das Zusammenarbeiten mit dem französischen Volke. Aber ich glaube, diesen Geist der Zusammenarbeit kann man nicht dadurch erreichen, daß man widerspruchslos eine politische Konzeption in Frankreich hinnimmt, die, alle Leiden und Enttäuschungen eingerechnet, doch unmöglich ist, weil sie so tut, als ob das eine Volk mit seinen Interessen allein da wäre und das andere Volk gar nicht in seinen Interessen und in seinen besten Empfindungen zu berücksichtigen wäre.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Nun zeigt sich doch daran, daß die große Hoffnung eines Teiles dieses Hauses, nicht durch sachliche Austragung und Aufzeigen der vorhandenen Schwierigkeiten, sondern durch Entgegenkommen von vornherein die französisch-deutsche Aussöhnung zu erreichen, sich nicht erfüllt hat. Denn der Geist des Planes Pleven ist nicht der Geist der Aussöhnung. Wir respektieren gewiß die Schwierigkeiten der französischen Innenpolitik, und wir wissen auch nachzufühlen Sorgen, die man vor drohenden kommenden Wahlen hat. Aber wir sind nicht bereit, diese Sorgen durch Opferung deutscher materieller und moralischer Substanz zu heilen.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD.)

    Ich erkenne an: In weiten Kreisen des französischen Volkes denkt man anders; bei anderen europäischen Völkern und vor allen Dingen auch bei den Amerikanern denkt man anders. Aber man hat die Äußerungen dieses nationalegoistischen Wollens niemals eingedämmt und von dieser Seite niemals auf die Unmöglichkeit hingewiesen, mit diesem Geiste eine europäische und eine internationale Konzeption und Praxis zu schaffen.
    Um hier nicht zu lange zu verweilen, möchte ich ausdrücklich erklären: der Weg einer Koppelung des Schuman-Plans mit der Erlaubnis, die Deutschen an irgendeiner Form einer militärischen Konzentrierung der demokratischen Kräfte teilhaftig werden zu lassen, erscheint uns Sozialdemokraten ungangbar,

    (Beifall bei der SPD)

    und er wirft ein merkwürdiges Licht auf den Schuman-Plan,

    (Sehr richtig! bei der SPD)

    auf die Vorteile und die Nachteile für den einen und den anderen Teil.
    Ich möchte auch gleich kurz den Komplex des Zurverfügungstellens deutscher Rohstoffe für die Ökonomie anderer Länder erwähnen, und dies im Zusammenhang mit dem Schuman-Plan, in seiner Bedeutung für die geschäftliche Ausbeutung, für das, was andere wollen, und das, was wir nicht wollen können. Aus diesem Geist heraus wird der Schuman-Plan, gegen den wir eine Reihe von materiellen Bedenken von vornherein angemeldet hatten, nicht gestaltet werden können, und über den Rahmen der Sozialdemokratischen Partei hinaus sage ich: mit dem Willen der arbeitenden Menschen in Deutschland.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD.)

    Wir sind enttäuscht, daß der Herr Bundeskanzler in diesem Zusamenhang die Betonung des deutschen Charakters der Saar unterlassen hat.

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    Der Prozeß der Herausschälung dieses Gebietes aus
    Deutschland geht vorwärts; der Prozeß der Unterdrückung der Andersdenkenden schreitet weiter
    voran. Die Deutschen können einen rechtlich, in seinen Voraussetzungen und in seinen politischen und moralischen Qualitäten nicht befähigten Partner nicht weiter als gleichberechtigt im Europäischen Rat anerkennen. Man spricht jetzt auf französischer Seite von der Verleihung neuer Souveränitätsrechte an die Saar. Man erklärt auch schon, wenn auch nicht öffentlich, daß man sie in der Schaffung eines saarländischen Staatspräsidenten sehen will.

    (Hört! Hört! bei der SPD.)

    Die Diskussion geht bereits darüber, daß die Saarländer das „Privileg" genießen sollen, französische Soldaten zu werden.

    (Hört! Hört! bei der SPD.)

    Ich glaube, die Aufgabe der Deutschen ist es jetzt, die Menschen an der Saar nicht allein zu lassen und einen unverzichtbaren Teil von Deutschland nicht durch Stillschweigen in eine eindeutig gefährliche Zukunft hineinzubringen.

    (Beifall bei der SPD.)

    Die internationale Sicherheit ist der Hauptkomplex. Die internationale Solidarität kann nicht durch Worte, sondern nur durch Taten etabliert werden.

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    Hier ein Wort zu dem Schicksal der jungen Deutschen in den Arbeitsdienstgruppen der Alliierten, die jetzt praktisch in ihr Gegenteil umgewandelt werden. Heute werden junge Menschen unter Ausnutzung ihrer sozialen Notlage gezwungen, in einer paramilitärischen Institution zu dienen. Im Falle ihrer Weigerung sind sie von der Arbeitslosigkeit bedroht, wenn sie auch den neuen Dienst nach ihrem eigenen Willen nicht akzeptieren würden.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Die Bundesregierung sollte aus staatspolitischen und aus sozialen und humanen Gründen jetzt aktiv werden, um der Ausnutzung junger Deutscher durch fremde Mächte unter Ignorierung der deutschen staatlichen Instanzen entgegenzutreten und diesem Übelstand abzuhelfen.

    (Zustimmung bei der SPD.)

    Es ist nicht möglich, daß hier der einzelne Staatsbürger der Übermacht einer alliierten Staatsmacht gegenübertritt und mit ihr einen verbindlichen Vertrag schließt. Das ist nicht möglich in einem Land, dem man die Gleichberechtigung und die gleiche Achtung versprochen hat.

    (Beifall bei der SPD.)

    Nun, meine Damen und Herren, hat es keinen Zweck, durch falsche Formulierungen und Gegenüberstellungen in der Proklamierung der einen oder der anderen politischen These Dinge schief hinzustellen und falsche Alternativen zu behaupten. Wir sollten über Antithesen, die es nicht gibt, nicht streiten, sondern wir sollten die wirklichen Gegensätzlichkeiten in der Auffassung in den Vordergrund stellen. Man darf die Angst vor dem Osten nicht als ein Propagandainstrument für eine Militarisierung unter den heute gegebenen Voraussetzungen einspannen.

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    Das Ergebnis einer solchen Propaganda ist nämlich das Hinaustragen der Angst mit ihren lähmenden Wirkungen

    (Sehr gut! bei der SPD)

    und nicht die Schaffung eines lebensfähigen, krisenfesten Wehrwillens. Die aktuelle Kriegsgefahr


    (Dr. Schumacher)

    und die Frage einer deutschen Beteiligung militärischer Natur sind verschiedene Themen, so sehr sie sich auch tagespolitisch berühren können. Wir sollten uns auch dankend verbitten, von außen her Belehrungen über unsere Verpflichtung zur Verteidigung der Freiheit zu bekommen. Wir sollten aber auch das innerpolitische Bardengedröhn von der Verteidigung von Weib und Kind und Haus und Hof nicht in eine falsche Gegensätzlichkeit zu den Tatsachen bringen lassen. Man soll nie eine große Idee und ein großes Gefühl in erster Linie unter dem Gesichtspunkt der Propaganda entwickeln.

    (Zustimmung bei der SPD. — Lebhafte Zustimmung und Händeklatschen in der Mitte und rechts.)

    Wenn mich etwas von Herzen freut, meine Damen und Herren von der Mitte, dann ist es Ihre Zustimmung.

    (Lachen in der Mitte und rechts.)

    Denn das gibt die Möglichkeit, einmal zur sachlichen Klärung der Dinge zu kommen.

    (Erneutes Lachen in der Mitte und rechts. — Händeklatschen bei der SPD.)

    Wenn bei dieser Aussprache der militärische Faktor im Vordergrund steht, so darf niemand vergessen, daß die militärischen Machtmittel heute bei keinem Deutschen unter dem Gesichtspunkt einer Vorbereitung des Krieges betrachtet werden sollten.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Auch militärische Stärke erhält ihre Rechtfertigung heute mehr als je in der Vergangenheit nur als Instrument für die Wahrung des Friedens.

    (Sehr wahr! in der Mitte.)

    Diesen Eindruck von der heutigen Debatte in unserem Volke zu schaffen, sollte ein allgemeines Anliegen sein.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD. — Lebhafte Zustimmung in der Mitte und rechts.)

    Aber ein gewisser Geist, der erst versteckt hier zurückzustrahlen beginnt, läßt mich daran zweifeln, ob die Ernsthaftigkeit dieser Forderung bei allen Teilen des Hauses vorhanden ist.

    (Lachen und Widerspruch in der Mitte und rechts. — Zuruf rechts: Unerhört!)

    Es gibt nur Möglichkeiten internationaler Verteidigung zu diskutieren; es gibt nur Möglichkeiten einer Verteidigung, die in ihren Mitteln weit und entscheidend über den europäischen Rahmen hinausgeht.

    (Zustimmung bei der SPD. — Händeklatschen in der Mitte und rechts.)

    Und wir haben hier zu untersuchen, wie der Wille und die Auffassung anderer Faktoren ist.
    Ungern zitiere ich die Äußerung des französischen Verteidigungsministers vom 4. 8.:
    Wir müssen für uns die Verteidigung des Glacis sichern, welches der Sieg von 1945 uns erlaubt hat zu besetzen. Unsere dauernde Sorge muß die Schaffung eines Manövrierfeldes zwischen Elbe und Rhein sein.
    Auch wenn wir die strategische und besonders die strategisch-populäre Literatur der amerikanischen Zeitschriften betrachten — und in diesen Zeitschriften schreiben die hervorragendsten, an verantwortlicher Stelle stehenden Sachverständigen —, dann ist die Diskussion vorwiegend bedingt durch die Unterstreichung der Luftstreitkräfte, eventuell
    der Seestreitkräfte. Immer wieder ist sie von dem( Tenor getragen, daß die Landstreitkräfte in erster Linie von den Europäern gestellt werden müssen. Bei dieser Betrachtung, meine Damen und Herren, kann man die Verteidigung der amerikanischen Volkssubstanz durch seine Generalität durchaus verstehen. Aber man muß dann auch wissen, daß ohne die Deponierung entscheidend starker, auf das modernste bewaffneter militärischer Landstreitkräfte der anderen Kontinente das Problem für uns Deutsche einfach aussichtslos ist.

    (Zuruf von der CDU: Darüber streiten wir gar nicht! — Weitere Zurufe von der Mitte.)

    — Ja, nun warten Sie mal! Ich glaube doch, wir streiten gerade darüber miteinander.

    (Widerspruch in der Mitte.)

    — Meine Damen und Herren, bei acht Stunden Redezeit und bei der zentralen Wichtigkeit dieses Themas sowie bei der gespannten Aufmerksamkeit, mit der das deutsche Volk uns lauscht, sollten wir die elegante Eloquenz der Zwischenrufe etwas bebeschränken! - Europa kann nicht der vorgeschobene Verteidigungsgürtel Amerikas und Deutschland nicht der vorgeschobene Verteidigungsgürtel der anderen europäischen Staaten sein. Ich will mir hier eine Reihe von Zitaten aus der amerikanischen Militärliteratur der jüngsten Wochen und Monate ersparen. Aber wir sollten uns doch hüten, uns illusionär als den Bestandteil eines Sicherheitssystems mit vollen Rechten und Pflichten zu betrachten, solange die praktische Behandlung unseres Volkes vorwiegend unter dem Gesichtspunkt des Instruments anderer vor sich geht.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Es kann nicht ein Land zur Verteidigung anderer
    Länder dienen. Eine militärische Verteidigung ist
    nur auf der Grundlage der Gemeinsamkeit möglich.

    (Sehr richtig! rechts.)

    Was uns nämlich in der bisherigen Konzeption zugemutet wird — haben Sie doch den Mut, meine Damen und Herren, diesen Dingen ins Gesicht zu sehen —, ist doch die Ungleichheit, die praktische Ungleichheit im Opfer, die Ungleichheit im Risiko, die Ungleichheit in der Chance für unser Volk gegenüber anderen Völkern. Aber für die Deutschen ist nur die Gleichheit im Tatsächlichen und die Unlöslichkeit der Verbindungen und Verkettungen mit den anderen Nationen die positive Voraussetzung. Eine andere positive Voraussetzung gibt es nicht, weil keine andere Voraussetzung die Möglichkeit des Erfolges in sich trägt.
    Niemand in der Sozialdemokratischen Partei hat in der Diskussion gerade der letzten Monate bei irgendeinem noch so kleinen Teil die Meinung geäußert, man solle etwas an Leistung und Opfer verweigern, was die anderen tatsächlich im selben Umfange an Opfer tragen.

    (Gut! und Bravo! rechts.)

    Stets ist aber die Realität — als Gegensatz zur Illusion —, die Tatsache und nicht die Versprechung, die Konzentration wirklicher Macht und damit wirklicher Erfolgschancen der Maßstab in der Betrachtung aller militärischen Dinge gewesen und ist es auch heute noch.
    Nun haben eine Reihe von Mitgliedern der Bundesregierung in den letzten elf Monaten eine verwirrende Fülle von Variationen über den möglichen deutschen Standpunkt verkündet. Dadurch, meine


    (Dr. Schumacher)

    Damen und Herren, ist die deutsche Position nicht gestärkt worden,

    (Sehr richtig! bei der SPD)

    daß wir ein gewisses aktives Interesse zeigten. Die Neigung, von vornherein und ohne Prüfung des tatsächlich in den Voraussetzungen Notwendigen in solche Erklärungen hineinzugehen, hat bisher gegenüber der alliierten Politik in den letzten zwölf Jahren noch niemals einen Erfolg gehabt. Man sollte die Illusion über angebliche neue Erfolgschancen dann nicht Realpolitik nennen. Letzten Endes ist doch alles, was sich an Stimmen für die sofortige Leistung eines deutschen Beitrages unter den heutigen Umständen oder den Umständen der Verwirklichungsmöglichkeiten der nächsten Zeit, gemessen an den Versprechungen der Alliierten, erhebt, eigentlich nur von dem ein en Gedanken getragen: es muß doch etwas geschehen! Wir sind der Meinung: es kann nur etwas geschehen, was richtig und die Frage lösend ist.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Die Sozialdemokratie hat z. B. am 13. Juni gewarnt, unter der damaligen Voraussetzung, unter der damaligen Degradierung in den Europäischen Rat hineinzugehen. Ich glaube, die Warnungen haben sich praktisch alle als berechtigt erwiesen. Wir sehen jetzt, daß Straßburg tatsächlich das Vorzimmer war und daß unser Eintritt den anderen die Möglichkeit gegeben hat, selbst zu bestimmen und entscheidende Worte zu sprechen, ob, wann und in welchem Umfang Deutschland aufzurüsten hat. Wir sollten heute den Mut finden, zu erklären, daß wir nicht mehr in internationale Bindungen und Verpflichtungen unter solchen Voraussetzungen der Ungleichheit hineingehen wie damals in den Europäischen Rat in Straßburg.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD.)

    Der Herr Bundeskanzler hat erklärt, niemals Angebote für einen deutschen Beitragswillen gemacht zu haben. Ich könnte das durch Zitate aus dem zweiten Absatz des amtlichen Memorandums vom 29. August dieses Jahres widerlegen. Darin hat der Herr Bundeskanzler den deutschen Willen zu einem militärischen Beitrag für eine europäische Armee mindestens für seine Person versichert. Ich will jetzt auch die mir hier vorliegenden Zitate, etwa aus „Plain Dealer" oder aus „New York Times", nicht wiederholen. Ich möchte bloß sagen: diese Atmosphäre und diese Äußerungen amtlicher Persönlichkeiten haben doch dazu geführt, daß es im Abs. 9 des New Yorker Kommuniqués wörtlich heißt:
    Die Minister
    - nämlich die Außenminister —
    haben indessen Kenntnis genommen von den Gefühlen, wie sie kürzlich in Deutschland und anderswo ausgedrückt wurden zugunsten einer deutschen Beteiligung an einer integrierenden Streitmacht —
    und so weiter. Sehen Sie, hier sollte man diesen Außenministern gegenüber dementieren, aber nicht bei uns!
    Die Äußerungen in den letzten Monaten und Wochen sowie am heutigen Tage gehen doch dahin, daß die tatsächliche Entscheidung bereits gefallen ist in der Vorstellungsweise der maßgebenden Regierungsmitglieder,

    (Sehr richtig! bei der SPD)

    vor allem des Herrn Bundeskanzlers. Sie betrachten
    den militärischen deutschen Beitrag bereits als eine
    feststehende Tatsache. Sie haben immer wieder erklärt — und der Herr Bundeskanzler wird mir die Erlaubnis geben, darauf Bezug zu nehmen —, daß kein Deutscher sich vor dem Einlaufen der alliierten Forderungen auf diesem Gebiet positiv äußern solle. Nun, der Geist der verschiedensten Interviews, beispielsweise nach dem Mißglücken der Verhandlungen des Verteidigungsrates der Atlantikpaktmächte, oder der Geist der Reden von Goslar, Bad Boll oder Stuttgart sprechen eine andere Sprache.

    (Sehr richtig! links.)

    Die Sozialdemokraten sind nun der Meinung, daß am heutigen Tage durch den Herrn Bundeskanzler etwas Neues eingeführt worden ist. Der Herr Bundeskanzler hat dem Hohen Haus eine Entschließung der Bundesregierung in einer Frage vorgelegt, die nach seinen heutigen Äußerungen und nach den Äußerungen der führenden Leute aller Parteien nach Möglichkeit von einer gemeinschaftlichen Willensbildung getragen werden sollte. Ich habe gestern einer Einladung des Herrn Bundeskanzlers Folge geleistet. Wir haben über die heutige Debatte gesprochen. Der Herr Bundeskanzler hat mir mit keiner Silbe davon Kenntnis gegeben, daß er heute dem Hohen Hause eine Entschließung in dieser Frage vorlegen wird.

    (Lebhafte Rufe von der SPD: Hört! Hört!)

    Die Vorlage dieser Entschließung ist in der Sache der Bruch aller der Opposition und dem deutschen Volke bisher gegebenen Versprechungen.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Eine Aufforderung der Alliierten zu einer verbindlichen Meinungsäußerung liegt bis heute nicht vor.

    (Lebhafte Rufe von der SPD: Hört! Hört! Sehr richtig!)

    Trotzdem wird die Taktik des Anerbietens durch den Geist und Inhalt dieser Entschließung dem Parlament zur Zustimmung unterbreitet. Wir verwahren uns gegen diese Methode der Überrumpelung

    (lebhafter Beifall bei der SPD und bei der BP)

    und des Bruchs aller Versprechungen in einer zentralen Frage der deutschen Nation. Was spricht man denn immer von „Gemeinschaft", wenn man der Chance eines Husarenritts wegen den Geist dieser Gemeinschaft in flagranter und nicht mehr gutzumachender Weise verletzt?

    (Erneute lebhafte Zustimmung bei der SPD.)

    Etwas anderes, meine Damen und Herren, ist eine genaue, exakte, gewissenhaft verantwortliche politische und militärische Untersuchung der Voraussetzungen eines deutschen Beitrages, d. h. mit anderen Worten eine Analyse der internationalen und nationalen Voraussetzungen der tatsächlichen Kräfteverhältnisse und der objektiven Möglichkeiten. Gegen eine die Fundamente klärende wissenschaftlich exakte Tätigkeit, die alle Parteien dieses Hauses in die Lage versetzt, an Hand von gewissenhaft geprüftem Material dem Volk Rede und Antwort zu stehen, hat niemand von uns etwas. Aber alles haben wir gegen Vorbereitungshandlungen,

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    die davon ausgehen, als ob die große politische Entscheidung des Ja oder Nein bereits gefallen wäre. Wir halten solche Vorbereitungshandlungen in unserer nationalen Position gegenüber anderen Mächten für sachlich nicht gut. Wir sehen in ihnen


    (Dr. Schumacher)

    unerlaubte Praktiken gegenüber dem Volk und seiner Vertretung.

    (Beifall bei der SPD.)

    Darum wenden wir uns auch gegen die Einrichtung eines sogenannten Sicherheitsbeauftragten. Es ist unmöglich, eine solche Einrichtung ohne vorhergehende Etatisierung zu schaffen. Es ist auch unmöglich, sie wieder einmal — wie soviele Instrumente der deutschen Politik — im Bundeskanzleramt einzubauen. Es handelt sich doch tatsächlich bei dieser Einrichtung — erklärterweise — um die Schaffung eines Sicherheitsamtes mit der Tendenz der Entwicklung zu einem Sicherheitsministerium. Eine solche Institution zu schaffen, bevor das Volk in seiner Vertretung entschieden hat, halte ich für unmöglich. Ich sehe darin einen Schritt auf einem Wege, von dem noch niemand mit absoluter Gewißheit sagen kann, ob er überhaupt gegangen werden wird.
    Die geplante Gliederung des Amtes und gewisser Ausschüsse des Kabinetts, die zur Behandlung dieser Fragen eingesetzt worden sind, scheinen uns von der nach der Meinung der Regierung absolut feststehenden Tatsache auszugehen, als ob die Deutschen schon entschieden hätten. Wenn der neue Staatssekretär wirklich nur ein Mann für die Unterbringung alliierter Truppen wäre, nun, dann hätte man ihn doch ins Wohnungsbauministerium tun können.

    (Sehr gut! bei der SPD. — Heiterkeit.)

    Das Problem des deutschen militärischen Beitrages verträgt auch nach innen keine andere Behandlung als die vollständiger und nichts verschweigender Wahrheit und Offenheit. Die große Auseinandersetzung vollzieht sich ja nicht zwischen den Remilitarisierern schlechthin und irgendwelchen absoluten Pazifisten mit einer Friedensformel des garantierten Erfolges. Die große Auseinandersetzung vollzieht sich zwischen denjenigen, die unter heutigen Umständen ihren Willen zur Remilitarisierung einfach durchdrücken wollen, und denjenigen, die eine feste nationale und internationale Voraussetzung dafür verlangen, ohne deren Durchführung sie nein sagen werden.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD.)

    Nun bin ich überzeugt, daß alle hier versammelten Damen und Herren den gemeinsamen Wunsch im Herzen tragen, Deutschland nicht zum Vorfeld der Verteidigung anderer Länder werden zu lassen. Aber ein Jetzt-Hineinschlittern in eine voraussetzungslose Militarisierung kann ja nicht die Fakten erfolgreicher Abwehr schaffen, sondern vergrößert die Gefahren deutscher Vernichtung oder Beeinträchtigung bis ins Gigantische hinein. Nur - das ist die Meinung der Sozialdemokratie—wenn die demokratischen Streitkräfte hier in Deutschland so stark sind, daß sie die Kraft haben, bei einem Angriff aus dem Osten im sofortigen Gegenstoß die Kriegsentscheidung außerhalb der deutschen Grenzen zu tragen, nur dann kann das deutsche Volk seinen militärischen Beitrag für die Verteidigung der Freiheit in der Welt leisten.

    (Beifall bei der SPD. — Unruhe in der Mitte und rechts. — Glocke des Präsidenten.)

    Wir haben über die Verantwortung noch anderer Völker hinaus die Verpflichtung der Berücksichtigung der Schmälerung unserer Volkssubstanz. Wir preisen andere Völker glücklich, daß sie in der Vergangenheit nur Bruchteile der deutschen Verluste zu erleiden hatten. Aber wir I
    können doch von der Tatsache nicht weg, daß wir mehr als 3 Millionen Tote, rund 11/2 Millionen Vermißte und 3 Millionen Kriegsbeschädigte haben. Wir haben über den Rahmen der normalen nationalen Verpflichtung hinaus noch die Auflage besonderer Sorgfalt in der Behandlung dieser Frage.
    Der jetzt diskutierte Beitrag, der Beitrag, zu dessen Einleitung sich auch der Herr Bundeskanzler bekannt hat, hat keine abschreckende und damit kriegsverhütende Wirkung auf den potentiellen Angreifer im Osten. Dieses Ergebnis kann nur bei Erfüllung der von den Sozialdemokraten geforderten Voraussetzung erreicht werden. Es ist nicht die Etablierung der kriegverhindernden Macht, die jetzt nach dem Wunsch des Bundeskanzlers besprochen werden soll, einfach deswegen nicht, weil es nicht die Etablierung der ausreichenden Macht ist.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Wenn das utopischen Charakter tragen würde, dann, meine Damen und Herren, hätte ja die ganze Verteidigung Europas utopischen Charakter.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Wir glauben aber nicht an die Utopie. Wir glauben an die Erfüllbarkeit, und wir glauben an die deutsche Verpflichtung, diese Erfüllbarkeit durch Festigkeit des Standpunktes zu erreichen.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD.)

    Nur wenn kein Rückzug der angelsächsischen Mächte oder der demokratischen Mächte schlechthin mehr möglich ist, wenn die Angelsachsen und die andern demokratischen Potenzen der Welt ihr eigenes nationales und militärisches Schicksal mit dem deutschen Schicksal vereinigen, kann diese Frage positiv beantwortet und eine große deutsche Leistung erwartet werden. Ich will nicht zu weit schweifen, aber die Konzeption aller starken Wirtschaftsmächte mit intelligenter und technisch tüchtiger Bevölkerung, die außerdem auch noch die Rohstoffe und die industriellen Produktionsmittel zu vier Fünfteln in den entscheidenden Punkten in der Hand haben, ist doch immer die: Wenn es uns am Anfang auch schlecht geht, zum Schluß kassieren wir kraft unserer ökonomischen, technischen und menschlich-qualitativen Übermacht den Sieg des Ganzen ein. Aber, meine Damen und Herren, die deutsche Situation ist eben weder die Situation der letzten Schlacht für die Angelsachsen noch die Situation der letzten Schlacht für die Russen. Die haben ihre militärische Übermacht wohl in erster Linie deswegen nicht ausgenutzt, weil sie die Übermacht des Kriegspotentials und der Intelligenz auf der andern Seite sehen. Zudem ist auch die Entwicklung gewisser kriegsentscheidender Waffen sehr zugunsten der Angelsachsen und nicht zugunsten der Sowjets gegangen. Aber das deutsche Schicksal ist ein anderes, es ist das Schicksal der ersten Auseinandersetzung.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Von diesem Schicksal kann uns kein Versprechen der andern entbinden. Von diesem Schicksal lösen wir uns auch nicht durch bedingungslose Bereitfertigkeit jetzt im Verteidigungskomplex. Dieses Schicksal können wir für unser Volk nur ertragbar machen, wenn die andern ihr eigenes Schicksal mit dem unseren in der Situation der ersten Auseinandersetzung, die für uns die entscheidende ist, verbinden.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD.)



    (Dr. Schumacher)

    Meine Damen und Herren! Jede militärische Abwehr muß einen realisierbaren Zweck und ein erreichbares Ziel haben. Das ist bei dem Divisionstaumel, der heute in Europa diskutiert wird, nicht gegeben. Allein aus der Möglichkeit des Erreichbaren ergibt sich der Sinn von Opfern. Nichts anderes kann diesen Sinn ersetzen als die Schaffung von Voraussetzungen, die eine tatsächliche Solidarität der andern mit uns darstellen.
    Davon, meine Damen und Herren, hängt doch auch Wesen und Wert jeder möglichen deutschen Formation ab. Die Militarisierung unter den heute gegebenen oder heute versprochenen und diskutierten Voraussetzungen ist auch in der Struktur der militärischen Organisation eine Wiederanknüpfung an Perioden der Vergangenheit. Die Gefahr, die von innen aus ökonomisch, sozial und militärisch den Deutschen droht, ist hier wie immer die Gefahr der Restauration und des Nichtbegreifens des Neuen.

    (Beifall bei der SPD.)

    Gibt man jetzt diesem Drängen nach, so erhält man eine Anzahl militärtechnisch sehr sorgfältig aufgebauter Organisationen, aber man bekommt nicht ein Heer mit den unverzichtbaren Eigenschaften eines Heeres, das für seine Nation oder für eine große Idee einstehen soll.

    (Richtig! bei der SPD.)

    Man bekommt einen Apparat, und dem Apparat werden sich auch manche zur Verfügung stellen, die wir alle lieber nicht sehen wollten.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Aber ich will mit denen jetzt nicht streiten. Ich will aber sagen, daß auch sehr viel ehrenhafte Menschen in den Apparat gehen, aber Menschen, deren Vorstellungswelt von gesellschaftlichen, von deren oder interessenmäßigen Motiven bestimmt ist. Diese Motive mögen so sozial erklärlich oder für die Betroffenen notwendig wie immer sein, sie schaffen nicht die entscheidende Kampfkraft einer Armee des Volkes.

    (Sehr wahr! bei der SPD.)

    Das Ethos der Armee im modernen Massenstaat ist das Gefühl der staatsbürgerlichen und nationalen Freiheit und der Wille, einer großen internationalen, einer großen menschlichen Idee zu dienen. Militärische Organisationen ohne ethische Bindungen sind die Quelle innen- und außenpolitischer Gefahr,

    (Sehr gut! bei der SPD)

    auch für diejenigen, die auf ihre Bildung drängen, sie mögen außerhalb Deutschlands oder innerhalb Deutschlands sein.

    (Zustimmung bei der SPD.)

    Die Menschen, die nach den Erfahrungen dieser beiden Weltkriege aus einer militärischen Herkunft nach einem neuen Bild ringen, die eine Verpflichtung in sich tragen, über das Standesinteresse hinaus der Nation und dem Frieden und einer Menschheitsidee zu dienen, werden unter den Voraussetzungen von heute für einen deutschen Beitrag sehr zurückhaltend sein.

    (Erneute Zustimmung bei der SPD.)

    Der Grund dafür ist klar. Er ist erwachsen aus dem Gefühl der Verantwortung gegenüber dem eigenen Volk und gegenüber den militärischen Untergebenen. Wenn die Frage nach dem deutschen Beitrag eine Frage nach Sinn und Aussicht dieses Beitrages ist, so spiegelt sich der Widerstreit dieser Gefühle und Erwägungen in jedem Militär wider, der über Befehlsgewalt verfügt. Heute weiß man auch in diesen Kreisen, daß ein Nein zu der vorbehaltslosen Remilitarisierung unter den Bedingungen von heute sehr viel mehr Verständnis für das Wesen und den Wert dieser Menschen aus dem Soldatischen haben kann als eine bedingungslose Bejahung.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Wenn der Sinn des Opfers im Politischen entscheidend ist, meine Damen und Herren, dann ist er auch entscheidend in den Entschlüssen der Militärs. Ein Kampf ohne Aussicht ist auch für sie ein Kampf ohne Sinn. Der wertvolle und aufgeschlossene Mensch wird sich dagegen wehren, Untergebene in die Situation des sinnlosen Opfers zu bringen.

    (Beifall bei der SPD.)

    Also unter den heutigen Voraussetzungen, unter den Voraussetzungen, wie sie der Herr Bundeskanzler hier definiert hat, sagt die Sozialdemokratische Partei Deutschlands zu diesen Bemühungen der Remilitarisierung nein. Sie wird auch nein sagen, wenn die halben und matten Versprechungen der Alliierten für die nächsten Monate verwirklicht werden sollten. Sie wird erst ja sagen, wenn die unzweideutige Entscheidung für die internationale Solidarität der anderen Nationen mit der deutschen Nation durch militärische und politische Tatsachen geschaffen ist.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD.)

    Deutschland ist ein nicht wegzudenkendes Stück Europa. Es ist nicht das Vorfeld der anderen Länder Europas, sondern auch Deutschland ist Europa selbst. Deutschland ist ebenso verteidigungswert und das deutsche Volk ebenso verteidigungswürdig auch für die anderen demokratischen Völker der Welt wie irgendein Land oder Volk in der Demokratie der Welt sonst noch draußen.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Diese Anerkennung erwarten wir durch Tatsachen. Diese Anerkennung werden wir nicht auf dem Wege erreichen, den die Entschließung des Herrn Bundeskanzlers uns zu weisen versuchte.

    (Zustimmung bei der SPD.)

    Die Erörterung des deutschen Beitrags ist nicht die Erörterung eines isolierten militärischen oder gar militärtechnischen Problems, sie ist der Bestandteil — ein sehr wichtiger Bestandteil — eines großen Komplexes, der von den anderen Faktoren, von den Faktoren der inneren und äußeren Freiheit und der sozialen Fundamentierung der Demokratie, nicht allein gelöst werden kann.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Ich glaube, China und Korea sind eine große Warnung - oder sollten es sein — an alle besitzenden Kreise der Welt.

    (Lebhafte Zustimmung bei der SPD.)

    Das Problem des Kommunismus wird nicht durch dogmatische Sterilität in der Verteidigung des Eigentums gelöst werden können.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD und beim Zentrum.)

    Man muß schon etwas Positives setzen: in der menschlichen, in der politischen und in der sozialen Freiheit.

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    Der Anteil der Arbeitenden und Hilfsbedürftigen am Sozialprodukt ist eine Frage von zentraler politischer Wichtigkeit bei der Auseinandersetzung mit dem Weltkommunismus. Je stärker der Anteil der Arbeitenden und Hilfsbedürftigen


    (Dr. Schumacher)

    am Sozialprodukt ist, desto stärker ist die soziale Fundierung der Demokratie.

    (Sehr wahr! bei der SPD.)

    Die stärkste innere Bastion bei den bisherigen Auseinandersetzungen mit dem Kommunismus in Europa ist die höhere Lebenshaltung im Vergleich mit der Lebenshaltung in den Ländern der Sowjets und ihrer Satellitenstaaten gewesen. Wer sie mindert, verstärkt - wenn auch ungewollt - die totalitäre Chance. Soziale Gesundheit ist politische Kraft, ist lebendige Demokratie.

    (Beifall bei der SPD.)

    Gegenüber den Mächten des Auslandes muß ich sagen: Die Gleichberechtigung der Deutschen ist nicht nur eine formalpolitische, sie ist auch eine soziale Frage. Mit der Aufwerfung dieses Themas will ich heute erst die Tendenz der Entwicklung aufzeigen, die kommen muß, um die soziale Basierung der demokratischen Chance vorzunehmen. Wenn aber die Diskussion im Ausland und leider auch bei einem großen Teil des Inlandes über die Kosten eines deutschen militärischen Beitrags zur Sicherung der Weltdemokratie betrachtet wird, dann hat man den Eindruck von etwas Irrealem und Gespenstischem. Es fehlt die Planung, vor allen Dingen der zentrale Punkt der Planung, wohin das sozial Notwendige mit dem militärisch Möglichen in eine Relation der Vernunft, die von allen angenommen werden könnte, ausmündet.

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    Es ist keine Relation vorhanden. Man stopselt bei der Behandlung dieser Frage Schritt für Schritt durch. Ich möchte die Erbitterung der Sozialdemokratischen Partei über die Rede des deutschen Bundeswirtschaftsministers in Goslar ausdrücken. In einer Periode, in der der Bundesfinanzminister den Geschmack hat, neue Steuern für die Befriedigung der notwendigsten Ansprüche der Opfer des letzten Krieges zu verlangen, hat er von neuen Steuern für den deutschen militärischen Beitrag gesprochen.

    (Sehr wahr! bei der SPD.)

    Gestern hat der Bundeswirtschaftsminister zwar in Berlin das Gegenteil davon gesagt, aber das täuscht uns doch nicht darüber hinweg, daß so ein Hurra-Enthusiasmus der Ökonomie für diese Probleme das Fehlerhafteste ist, was man sich überhaupt denken kann. Das Schicksal Deutschlands ist sozial und ökonomisch durch alle möglichen Krisenerscheinungen mehr gefährdet, als man heute gemeinhin zugibt. Das Schwinden der Devisenvorräte, die hemmungslose Einfuhr, die beginnende Kapitalflucht, die Erhöhung der Diskontsätze — das alles sind doch Dinge, die für die Entwicklung der Wirtschaft und des Arbeitsmarktes von größter Bedeutung sein werden. Man denke dabei vor allem einmal an den Wohnungsbau. Die voreiligen Steuererleichterungen der Vergangenheit machen sich heute sehr negativ bezahlt.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Zugleich diskutiert man ja nicht nur seitens des Herrn Bundeswirtschaftsministers, sondern auch im Bundesfinanzministerium über die Notwendigkeit neuer Steuern. Es ist kein Zufall, daß man dabei auf Verbrauchssteuern, besonders auf die Umsatzsteuer zu sprechen kommt.

    (Hört! Hört! bei der SPD.)

    Meine Damen und Herren, eine derartige Entwicklung der Preise, der Tarife und der Gegensatz zu der Entwicklung der Löhne und Renten zernagt das soziale Fundament. Mit diesen Methoden ist
    die Demokratie gegenüber dem angreiferischen Kommunismus nicht zu einem lebendigen Bestandteil des Massenempfindens zu machen.

    (Zustimmung bei der SPD.)

    Ich erinnere an das Wort, das der über die Kreise unserer Partei hinaus verehrte Vorsitzende der Gewerkschaften Hans Böckler auf der großen Düsseldorfer programmatischen Kundgebung der Gewerkschaften gesprochen hat: „Nur ein lebenswertes Leben ist wert, verteidigt zu werden!"

    (Lebhafter Beifall bei der SPD.)

    In dieser Frage bekommt der Komplex der Besatzungskosten ein neues Gesicht. Sie sind ja nach Art und Umfang ein bis heute noch nicht ausreichend revidiertes Ergebnis der Sieger- und Besiegten-Situation von 1945. Man kann mit diesen Auffassungen nicht die Gefahren von 1950 meistern. Der schwächste Teil der europäischen Wirtschaft, der außerdem die größten sozialen Aufgaben aus der Entwicklung des letzten Jahrzehntes auferlegt erhalten hat, muß jetzt tatsächlich gewisse Anteile für die Verteidigung anderer Länder aufbringen, einfach aus der Tatsache heraus, daß der Standort der Truppen für die Verteidigung der deutsche Boden ist. Begriff und Inhalt der Besatzungskosten sind heute überholt. Das drängende Problem ist die Neuverteilung der internationalen Verteidigungskosten nach der Tragfähigkeit der Schultern der einzelnen Völker.

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    Meine Damen und Herren, ich stelle das in den Vordergrund, weil hier eine große zentrale und initiative Aufgabe der Bundesregierung liegt. Man kann diese Frage nicht mehr mit fiskalischen und diplomatischen Mitteln allein lösen. Man muß sie ihrer sozialen Konsequenz wegen in den Mittelpunkt der internationalen Diskussion stellen. Heute wird von alliierter Seite gekränkt und empört eingewandt, die Deutschen würden nur 4,6 Milliarden Besatzungskosten zahlen, andere Völker dagegen würden einen sehr viel höheren Prozentsatz ihres sozialen oder Steuer-Aufkommens für die Verteidigung verwenden. Diese isolierte Behandlung des Begriffs Besatzungskosten geht an den Dingen vorbei. Wir haben zusätzlich eine Reihe von Bürden durch das Dasein zu schleppen, die andere Völker nicht oder nicht in dem Umfange haben.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Ich denke an den Lastenausgleich für die 8 Millionen Vertriebenen, den Lastenausgleich, dessen zuletzt diskutierte Formulierung nicht imstande ist, diese 8 Millionen in unseren gesellschaftlichen und politischen Prozeß bindend einzuschalten. Ich denke an die Milliarden Ausgaben für die Kriegsbeschädigten, für die Kriegshinterbliebenen und für den sozialen Wohnungsbau in einem Lande, in dem die Behausungen stärker zerstört sind als irgendwo. Man sollte doch auf alliierter Seite nicht meinen, daß wir hier diese Positionen beliebig schrumpfen lassen oder gar abschaffen könnten. Damit würden wir das soziale und moralische Fundament der Demokratie zerbröckeln. Wir würden in die Lage kommen, in der noch so zahlreiche Divisionen nicht entscheidenden Wert haben könnten und zur Erfolglosigkeit verdammt wären. Es würde das belebende Moment der sozialen Zusammengehörigkeit und der sozialen Sicherheit fehlen.

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    Meine Damen und Herren, die Diskussion innen und außen arbeitet sehr stark mit den Mitteln des


    (Dr. Schumacher)

    Zeitdrucks. Wir sind mindestens in der Mehrheit dieses Hauses von der Agitation mit dem Zeitdruck schon zweimal düpiert worden.

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    Als wir unter Zeitdruck gehandelt haben, da hatten die anderen eine unbeschränkte Menge Zeit, die sie bis heute noch nicht konsumiert haben. Außerdem wehre ich mich grundsätzlich dagegen, daß eine zerklüftete und in ihrem Zusammenhang noch schwache Nation wie die deutsche die volle Verantwortung für das Scheitern sämtlicher alliierter Illusionen seit 1945 zu tragen hat.

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    Es ist viel Zeit verschenkt worden. Wir können diese verschwendete Zeit nicht aus der Substanz unserer Menschen heraus aufholen. Der Aufbau jeder militärischen Formation dauert Jahre. Für diese Frist kann keine deutsche Bereitwilligkeit Ersatz schaffen. Eine ungenügende militärische Kräfteversammlung der Deutschen und anderer Nationen hat die abschreckende Wirkung auf den ungleichen Angreifer, die immer als erstes Ziel ihr im Auge stehen sollte, nicht zur Folge. Schließlich scheint man sich ja über die Möglichkeit der Bewaffnung auch noch in einigen Irrtümern zu befinden,

    (Sehr gut! bei der SPD)

    besonders was den Zusammenhang von moderner Bewaffnung und Zeit anbetrifft.

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    Wir haben, glaube ich, die Zeitfrage ganz akkurat unter einer bestimmten Formel zu behandeln Wir können eine Tempobeschleunigung, ein nicht genaues Einhalten des gleichen Tempos, wie es die Alliierten in der Behandlung der deutschen Frage haben, nicht auf uns nehmen.

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    Sowenig wir die Neigung haben sollten, etwa hinterherzuschlürfen, sowenig können wir in der Frage des Tempos der Vorreiter sein. Wir wollen nicht noch zusätzlich die Gefahren auf uns nehmen, die kein Alliierter in dieser Art auf sich zu nehmen hätte.
    In diesem Zusammenhang möchte ich mich gegen die moralisierenden Methoden, mit denen auf uns von außen her eingewirkt werden soll, wenden. Wir haben nicht die Neigung, uns vor Fragen stellen zu lassen, die für uns keine Fragen sind. Wir waren ja schließlich hier gegen den Kommunismus und haben unter Opfern mit ihm gekämpft, als wir in der ganzen Welt allein waren und jeder Alliierte die Sowjets noch als seinen Verbündeten gegen die Deutschen betrachtet hat.

    (Sehr gut! und Beifall bei der SPD und rechts.)

    Für uns gibt es keine Frage: Freiheit oder Sklaverei; die haben wir aus dem Wesen unserer geistigen Überlieferung und aus der Erkenntnis der neuen Probleme von 1945 entschieden. Für uns gibt es nur die Aussichten für die im Kern doch selbstverständliche Solidarität der alliierten mit der deutschen Freiheit, weil es ohne deutsche Freiheit keine europäische Freiheit gibt.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD.)

    Wir wenden uns gegen diese moralinsaure Propagandakampagne, wie sie etwa am letzten Sonnabend von Seiten, die der amerikanischen Hohen Kommission nahestehen sollen, in der „Neuen Zeitung" eingeleitet worden ist.

    (Zustimmung bei der SPD.)

    Ich kann mir nicht denken, daß sich ein verantwortlicher politischer Mensch Amerikas auf diese
    Linie und auf die Anwendung dieser Methoden begeben würde. Um hier keine langen Ausführungen machen zu müssen, nehme ich einen Satz. Da steht das lapidare Wort: ,.Keine Zeit ist mehr für kleinliche Streitereien". Der Schreiber meint: in Deutschland; er hat in vorbildlicher Bescheidenheit nicht an den amerikanischen Wahlkampf gedacht.

    (Heiterkeit.)

    Denn wenn wir schon davon sprechen wollen, daß keine Zeit mehr ist für kleinliche Zänkereien (Heiterkeit)

    oder andere Streitigkeiten, dann sollten das die Alliierten einmal für ihr Verhältnis untereinander und für das alliierte Verhältnis gegenüber Deutschland zur Maxime ihres Handelns machen.

    (Lebhafter Beifall im ganzen Hause.)

    Dieser ganze Komplex steht doch innen- und
    außenpolitisch für Gegenwart und Zukunft unter
    dem Gesetz: Vorsicht ist besser als Schnelligkeit.

    (Zustimmung und Heiterkeit bei der SPD.)

    Nun, meine Damen und Herren, die Druckmittel, die von außen angewandt werden: dieses Irrlichtern mit einer Umdisponierung der amerikanischen Kräfte in der Welt ist ein Druckmittel, das zu erörtern gewisse Deutsche kaum legitimiert sind. Diese Druckmittel haben einen sehr phantomhaften Charakter. Hier geht es nicht um uns; hier geht es um die zentrale Position der Amerikaner in Europa, um die Unverzichtbarkeit dieser Position und um die Position der Amerikaner in der UNO. Wir stellen nun die Forderung nach den zentralen und kardinalen entscheidenden Voraussetzungen der nationalen und militärischen Solidarität, die jeden Rückzug der Angelsachsen ausschließt. Die Amerikaner antworten jetzt mit dem Gegenzug. Sie wollen ihre Verstärkungen in Europa von der deutschen Vorleistung abhängig machen. Das heißt, meine Damen und Herren, im Zeichen der internationalen Zusammenarbeit und der gleichen Achtung vor dem Leben und dem Schicksal aller Völker doch folgendes: Die Schwächsten und durch ihre Lage und ihre politische Situation am meisten Gefährdeten bekommen das ganze Risiko aufgehalst, und der Stärkste behält sich freie Hand vor.

    (Zustimmung bei der SPD.)

    Auch für Amerika geht es doch nicht um Deutschland, genau sowenig wie für irgendein anderes Land. Es geht doch für jedes Land um seine eigene Position und bei den vorausschauenden Menschen dieser Länder um die internationale Position der Freiheit, deren Bestandteil das eigene Land ist.

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    Wir können uns auf keine Differenzierung einlassen! Würde sich Deutschland jetzt auf das Gebiet der Aufrüstung begeben. dann würde es das ganze politische und soziale Leben in der Bundesrepublik von Grund auf umgestalten. Das Grundgesetz kennt keine Wehrverfassung.

    (Zustimmung bei der SPD.)

    Die beiden Argumente e contrario, die der Herr Bundeskanzler aus den Artikeln 26 und 4 heraus gebracht hat, treffen nicht zu. Diese Artikel sind nichts weiter als zusätzliche Beteuerungen des Friedenswillens. Der Geist des Grundgesetzes hat nach dem Willen der westlichen Alliierten und nach dem Willen der deutschen Gesetzgeber das militärische Problem für die Deutschen nicht als existent betrachtet.

    (Zustimmung bei der SPD.)



    (Dr. Schumacher)

    Ich glaube, daß die juristische Position des Herrn
    Bundeskanzlers zwar nicht ausreichend, aber doch
    besser wäre, wenn er sich nicht auf das Gutachten
    des Herrn Bundesjustizministers verlassen hätte.

    (Heiterkeit bei der SPD.)

    Die Regelung dieses ganzen Komplexes des deutschen Beitrags kann weder durch offene noch durch heimliche Verwaltungshandlungen geschehen oder auch nur vorbereitenderweise eingeleitet werden. Auch die einfache Gesetzgebung reicht nicht aus. Jede Schaffung irgendeiner Art von Wehrverfassung ist verfassunggebend und verfassungändernd, d. h. sie braucht die Zweidrittelmajorität des Deutschen Bundestags.

    (Zustimmung bei der SPD.)

    Denn, meine Damen und Herren, es handelt sich doch nicht um die Fortentwicklung irgendeines vorhandenen Geistes des Grundgesetzes, wenn man dieses Problem jetzt angreift.

    (Zuruf von der CDU: Doch!)

    Es handelt sich nicht um die Ausfüllung irgendeines zufällig leeren Fleckes im Grundgesetz, dessen Rahmen man nach allgemeiner Übereinstimmung zu kennen meint. Es handelt sich um eine Umkehr, um die totale Umkehr gegenüber allen Linien, die das Grundgesetz gesetzlich fixiert hat.

    (Zustimmung bei der SPD.)

    Es handelt sich um etwas im Grundgesetz nicht Gewolltes und bei den Beratungen des Grundgesetzes sowohl von den innen- wie von den außenpolitischen Faktoren ausdrücklich Abgelehntes. Hier handelt es sich um eine völlig neue Ordnung der Beziehungen von Staat und Menschen.

    (Abg. Dr. Wuermeling: Es geht doch um die Verteidigung des Friedens!)

    Wenn man aber den Art. 24 hier einschaltet, wonach sogar Hoheitsrechte an zwischenstaatliche Organisationen abgetreten werden können und im Abs. 2 ähnliche Bemerkungen enthalten sind, dann möchten wir grundsätzlich eines feststellen: Man kann keine Rechte abtreten, die man nicht hat und zu keinem Zeitpunkt gehabt hat!

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    Man hat sie nicht gehabt und hat sie bis heute nach dem Willen der westlichen Alliierten nicht haben sollen. Nach dem Willen der deutschen Gesetzgeber sind sie auch niemals beansprucht worden.
    Der Einbau der demokratischen Kontrolle wäre in diesem Zusammenhang ein Kapitel, das besonderer Erwähnung wert wäre. Trotz der Internationalität des deutschen Kontingents in einer übernationalen Armee ist die Existenz deutscher Formationen auch eine innerpolitisch wirksame Tatsache, mit der man sich staatsrechtlich auseinanderzusetzen hat.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Wenn man sie einbaut, braucht man eine Zweidrittelmehrheit. Wenn man das Institut, das eingebaut werden soll, schafft, dann braucht man nach Ansicht der Bundesregierung nur eine einfache Gesetzgebungsmehrheit. Ich glaube nicht, daß man mit diesen Methoden eine positive Regelung erreichen kann. Uns ist der Hinweis auf den Art. 24 ein politischer Fingerzeig. Es liegt damit von seiten der Bundesregierung oder des Herrn Bundeskanzlers die Absicht vor, mit jeder Mehrheit die Regelung dieser Frage in seinem
    Sinne zu erzwingen, gleichgültig ob die Verfassung dabei zu Schaden kommt oder nicht.

    (Unruhe und Widerspruch bei den Regierungsparteien.)

    Das, meine Damen und Herren, ist eine Frage, die wir im deutschen Volke zur Diskussion stellen werden.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD.)

    Mit dieser Methode, meine Damen und Herren, erregen Sie doch mit aller Gewalt im Volke den Eindruck, daß es stumm gemacht und nicht befragt werden soll.

    (Widerspruch bei den Regierungsparteien.)

    Mit dieser Methode, ohne diese Achtung der Verfassung gehen Sie doch den Weg zum autoritären, die Demokratie negierenden Staat!

    (Sehr richtig! bei der SPD. — Lachen, Widerspruch und Zuruf von den Regierungsparteien: Und Sie nach Moskau dafür!)

    — Mein Gott! Seien Sie meines vollen Mitleides bewußt!

    (Heiterkeit und Beifall bei der SPD. — Widerspruch bei den Regierungsparteien.)

    Wenn der Bundestag diese Frage entscheiden wollte, dann müßten wir ihm die Legitimation zur Entscheidung dieser Frage bestreiten. Gewiß, der Bundestag ist auf vier Jahre gewählt. Gewiß, keiner ist kleinlich und wird bei jeder neuen Aufgabe immer gleich die Neuwahl des Bundestages verlangen. Aber was hier geschaffen werden soll, ist doch etwas Neues von grundsätzlicher und alles verändernder Bedeutung. Ist dies erst einmal positiv entschieden, dann kann eine solche Entscheidung kaum noch revidiert werden. Als der Bundestag am 14. August des vorigen Jahres gewählt wurde, hatte sich doch dieses Problem noch nicht einmal am Horizont abgezeichnet. Die Forderung nach der Neuwahl des Bundestages ist nicht eine juristische. Juristisch und politisch ist das Bestreiten der Legitimation, ist die Forderung nach Anerkennung des verfassungändernden Charakters. Die Forderung nach der Neuwahl ist eine politische Forderung,

    (lebhafte Zustimmung bei der SPD; — Lachen und Widerspruch in der Mitte und rechts)

    ist die Forderung an die Regierung.

    (Anhaltende Unruhe und Zurufe. — Glocke des Präsidenten.)

    Es entspricht nach sozialdemokratischer Auffassung nicht der Würde und der Bedeutung dieses Problems, es durch Plärren und Johlen lösen zu wollen.

    (Zustimmung bei der SPD.)

    Die Frage nach der Neuwahl konfrontiert die Bundesregierung und ihre Parteien mit der Frage: Welchen Respekt hat sie vor dem Volke? Will sie dem Volke die Chance geben, über seinen letzten Lebensinhalt selbst zu entscheiden?

    (Stürmischer Beifall bei der SPD. — Zurufe in der Mitte und rechts.)

    Die Frage nach der Neuwahl verlangt einen Akt der politischen Einsicht und Verantwortung. Die Neuwahl durchführen heißt, dieses Problem in allen seinen politischen Zusammenhängen nach innen und nach außen, sozial und militärisch, demokratisch oder autoritär diskutieren.

    (Erneuter lebhafter Beifall bei der SPD.)



    (Dr. Schumacher)

    Nun, meine Damen und Herren, haben die Angelsachsen und leider auch weite Teile unseres eigenen Volkes in der Vergangenheit allzulange den Kommunisten bzw. die Westmächte den Sowjetrussen die Parole von der deutschen Einheit überlassen. Ich möchte davor warnen, daß sie bei der sozialen Parole und bei der Parole vom Frieden den gleichen Fehler machen. Jede große Idee wird in der Hand der Diktatoren nur Scheidemünze der Propaganda. Hier, meine Damen und Herren, wäre eine internationale Kampagne der Aufklärung durch die Wahrheit nötig, um zu zeigen, wer den Frieden will und wer das Wort des Friedens zur Kriegsvorbereitung mißbraucht.

    (Zustimmung bei der SPD.)

    In diesem Zusammenhang — —

    (Zuruf rechts.)

    — Wie meinen Sie?

    (Zuruf rechts: Ob Sie glauben, Stalin überzeugen zu können?)

    — Das ist ja nicht nötig; ich will ja die Demokratien überzeugen!

    (Beifall bei der SPD und Zuruf: Aufpassen!)

    — Der Schüler hat das Ziel der Klasse nicht erreicht!

    (Große Heiterkeit bei der SPD. — Unruhe in der Mitte und rechts.)

    Nun, meine Damen und Herren, hat der Herr Bundeskanzler von der großen Viermächtekonferenz gesprochen, von den Basen dieser Konferenz, die die Sowjets dieser unterschieben wollen, und besonders von der Prager Außenministerkonferenz. Ob die vier Mächte sich zu einer Besprechung zusammenfinden, ob der eine Teil nicht mutmaßt, daß der andere Teil nur ein Täuschungsmanöver macht oder eine Falle stellt, darüber werden diese Mächte aus ihrer besseren Kenntnis der Zusammenhänge und aus der Tatsache ihrer Verantwortung in erster Linie selbst zu entscheiden haben. Aber wenn es zu einer solchen Viermächtekonferenz käme, ist es ein anderes, auf dieser Viermächtekonferenz die Deutschen mit dem Hauptthema der Remilitarisierung in den Mittelpunkt zu schieben, und es ist wieder ein anderes, ob es den demokratischen Kräften der Welt gelingt, einmal die Russen zu einer Klärung der Voraussetzungen der Befriedung der Welt zu veranlassen. Wir als Deutsche haben nur die Aufgabe, zu erklären, daß, nationalpolitisch gesehen, die Formel der Prager Außenministerkonferenz für uns nicht akzeptabel ist, im besonderen der Punkt 4 nicht. Die dort geforderte paritätische Zusammensetzung eines gesamtdeutschen konstituierenden Rates, die dem Osten und dem Westen Deutschlands die gleiche Anzahl von Mandaten geben möchte, bedeutet: eine erzwungene Stimme des Ostens soll soviel Wert haben wie zweieinhalb frei abgegebene Wählerstimmen des Westens.

    (Sehr gut! bei der SPD. — Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

    Wir haben hier in diesem Zusammenhang konkret einen Wunsch an die Alliierten. Die Westmächte sollten sich gegebenenfalls nicht einlassen und nicht einmal die Andeutung einer Einlassung zeigen, wenn von der andern Seite versucht wird, das zu erreichen, was für uns für die deutsche Einheit unverzichtbar ist: derselbe Grad von persönlicher und staatsbürgerlicher Freiheit und Gleichheit in allen vier Zonen und in Berlin.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD.)

    Rechnen Sie damit, daß die Politik des „nationalen Widerstandes" für die nächste Phase auf Eis gelegt wird, ohne im Kern aufgegeben zu sein! Rechnen Sie damit, daß eine Periode einer Einheitsfrontkampagne kommt, wie wir sie vielleicht noch nicht erlebt haben!

    (Zurufe von der KPD.)

    Heute schon zeichnet sich ganz deutlich eine Einheitsfrontkampagne mit der gloriosen Formulierung ab „mit den Sozialdemokraten und den
    fortschrittlichen Teilen der bürgerlichen Parteien!"

    (Zuruf von der KPD: Und es tut sich sogar was!)

    — Ach, meine Herren Kommunisten!

    (Heiterkeit.)

    Wir sind da krisenfest;

    (Beifall bei der SPD)

    denn sehen Sie: Zum Predigen gehört nicht nul der Prediger, sondern gehören auch die Gläubigen, und die deutschen Arbeiter sind ungläubig gegenüber jeder Formel des Kommunismus und des Totalitarismus!

    (Lebhafter Beifall im ganzen Hause außer bei der KPD. — Abg. Rische: Wir haben das letzte Wort!)

    Das einzige, meine Herren Kommunisten, was
    Sie noch für Ihre Idee tun können: Treten Sie ab!

    (Anhaltender lebhafter Beifall bei der SPD. — Heiterkeit im ganzen Hause. — Zurufe von der KPD. — Glocke des Präsidenten.)



Rede von Dr. Hermann Ehlers
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Meine Damen und Herren! Bevor ich das Wort weitergebe, möchte ich ein offenbares Mißverständnis aufklären. Es liegt mir kein Antrag auf eine Entschließung des Bundestages vor. Ich habe — wie ich glaube: zutreffend — den Herrn Bundeskanzler so verstanden, daß er von einer Entschließung der Bundesregierung gesprochen hat.

(Zustimmung bei der CDU/CSU.)

Ich möchte das ausdrücklich feststellen.
Als nächste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Frau Wessel.

(Unruhe.. — Glocke des Präsidenten.) — 40 Minuten, bitte!


  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Helene Wessel


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (None)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die weltpolitische Entwicklung der letzten Monate hat viel Verwirrung und Ratlosigkeit in der öffentlichen Meinung über die Fragen der europäischen und der deutschen Sicherheit verursacht. Was uns Deutschen heute not tut und besonders in unserer Lage, ist weder Aufgeregtheit noch Trägheit, weder Angst noch Gleichgültigkeit, sondern Erkenntnis der Realitäten und Mut zur Verantwortung und zum Handeln. An der Spitze unserer heutigen außenpolitischen Aufgabe muß stehen, alles zu tun zur Beruhigung und zur Behauptung unserer Freiheit und zur Verhütung eines Krieges.
    Es ist von meinem Vorredner, dem Herrn Kollegen Dr. Schumacher, bereits dargelegt worden, worum es in der vielschichtigen Diskussion der gegenwärtigen Außen- und Innenpolitik Deutschlands geht. Dabei muß wohl unterschieden werden, daß Deutschland in der Diskussion des Auslandes mehr als Objekt denn als Subjekt betrachtet wird.

    (Anhaltende Unruhe. Glocke des Präsidenten.)



    (Frau Wessel)

    Ohne die französischen Ressentiments über eine Remilitarisierung Deutschlands würde man z. B. trotz der Ablehnung des größten Teiles des deutschen Volkes diese Aufforderung an uns heute schon gestellt haben. Wenn man sich dazu den Verhandlungsverlauf der Außenministertagung vor Augen hält, auch die Tagung der Atlantikpaktmächte oder die Stellungnahme der französischen Regierung und nicht nur der französischen Regierung, wie sie uns eben vom Herrn Bundeskanzler dargelegt worden ist, sondern auch die Stimmen der Abgeordneten im französischen Parlament, könnte man fast den Eindruck haben, als handle es sich bei der Wiederaufrüstung Deutschlands um ein der Bundesregierung einzuräumendes Zugeständnis und nicht um ein Opfer, das wahrhaftig fast über unsere Kräfte geht.

    (Sehr gut! beim Zentrum.)

    Meine Damen und Herren! Aus einer solchen Haltung kommen dann Kommentare, wie sie z. B. die amerikanische Nachrichtenagentur UP angestellt hat, die den Staatsmännern den freundlichen Rat gab, die Frage der Wiederbewaffnung Westdeutschlands sollte den Westeuropäern weniger Kopfschmerzen bereiten. Der deutsche Soldat sei einer der besten Kämpfer, der mit geradezu fatalistisch-orientalisch anmutender Gelassenheit in den Tod gehe; oder wie die Schweizer „Tat" schreibt: eine deutsche Armee, die zwangsläufig unter den Ostflüchtlingen rekrutiert würde, wäre eine Befreiungsarmee mit dem Ziele einer Rückgewinnung des deutschen Ostens. Ganz abgesehen davon, meine Damen und Herren, daß diese so angesprochenen Kreise heute noch auf den Lastenausgleich warten und dadurch wenig Vertrauen in die soziale Haltung derjenigen haben, für die sie nun die Verteidiger und Befreier darstellen sollen, zeigt eine solche Argumentation, unter welchen Aspekten man die Aufrüstung Deutschlands sieht. Mir scheint — und ich möchte das hervorheben —, daß das Verhalten der Bundesregierung in den Fragen der Außenpolitik an dieser Einstellung nicht ganz unschuldig ist. Liest man heute in deutschen Zeitungen die Stellungnahme maßgebender Regierungskreise, hört man die Reden von Bundesministern, dann muß man den Eindruck gewinnen, daß sich der deutsche Mann als echter Deutscher erst dann gleichwertig in der Welt fühlt, wenn er wieder eine Uniform anziehen darf.
    Meinen politischen Freunden und mir scheint es notwendig zu sein, daß wir an diese Frage mit Besonnenheit und Zurückhaltung herangehen, damit die Besatzungsmächte nicht Opfer als Zugegeständnisse bewerten können.

    (Sehr richtig! beim Zentrum.)

    Gewiß wissen wir, daß wir ohne den Schutz der westlichen Welt unserer Freiheit beraubt werden, wie es bei den Menschen in der Ostzone der Fall ist. Das enthebt uns aber nicht der Verpflichtung, bei aller Verbundenheit mit dem abendländischen Gedankengut und mit Mitteleuropa von der deutschen Lage aus unseren Beitrag zur europäischen Verteidigung zu sehen und alles zu tun, um dem deutschen Volk sinnlose Opfer zu ersparen. Es muß uns gestattet sein, ebenso wie Frankreich und England die spezifisch deutsche Situation dieser Frage aufzuwerfen und bewertet zu sehen, ohne deswegen gleich als schlechte Europäer oder gar als Defätisten behandelt zu werden.

    (Zustimmung beim Zentrum.)

    Deutschlands Lage unterscheidet sich von der
    der anderen europäischen und nichteuropäischen Staaten dadurch, daß ein Teil dieses Staatsgebietes von Rußland und Polen annektiert ist, ein anderer großer Teil unter sowjetischem Besatzungsregime steht und von der SED als deren Satelliten beherrscht wird. So geht die Berührungslinie zwischen dem sowjetischen Herrschaftsbereich und dem der freien demokratischen Nationen mitten durch unser Land. Das bedeutet, daß sich die beiden Weltparteien mit ihren Besatzungstruppen unmittelbar auf deutschem Boden gegenüberstehen und dadurch Spannungen in ihrem Verhältnis für uns Deutsche die Gefahr von Bürgerkriegssituationen schaffen. Das verlangt von uns, daß nicht durch unsere Haltung unüberlegte Maßnahmen getroffen werden, die provokatorisch wirken und sich zum Schaden der deutschen Menschen in der Ostzone erweisen könnten.
    Unsere Politik muß immer im Hinblick auch auf die Menschen der Ostzone geführt werden. Wir sind realistisch genug, um uns keiner Illusion bezüglich der Haltung der Russen hinzugeben, aber auch nicht hoffnungslos genug, um jede Möglichkeit einer friedlichen Auseinandersetzung der Weltsituation zu leugnen und der anscheinend unvermeidlichen Katastrophe so fatalistisch entgegenzusehen.
    Die deutsche Lage ist weiterhin dadurch gekennzeichnet, daß die Siegerstaaten Deutschland nach 1945 völlig entwaffnet und mit Besatzungstruppen belegt haben. Damit haben sie die moralische und die rechtliche Verantwortung für die deutsche Sicherheit übernommen, dies umsomehr, als die deutsche Sicherheit durch den Konflikt der westlichen Besatzungsmächte mit Rußland gefährdet wird und Deutschland, insbesondere Berlin, das Spannungsfeld für diese Auseinandersetzungen geworden ist.
    Aber, meine Damen und Herren, auch inner politisch befindet sich Deutschland noch in einer Ausnahmesituation. Wenn auch auf Grund der Wahlergebnisse die innerpolitische Lage Deutschlands gesichert erscheint, so wissen wir doch, wie labil tatsächlich die deutsche Demokratie heute noch ist. Die starken außenpolitischen Spannungen bringen uns in die Gefahr, daß wir bedenkliche Vorgänge unseres innenpolitischen Lebens nicht genügend beachten und übersehen, daß die Reaktion sich nicht allein politisch formiert, sondern sich überall festzusetzen versucht. So kommt es, daß nicht nur die Leute von gestern dank ihrer Fachkenntnisse wieder in leitende Stellungen gelangen und die Bürokratie auf allen Gebieten ein überstarkes Gewicht erhält, sondern wir sehen uns im ganzen einem Restaurierungsprozeß gegenüber, der alle aufrechten Demokraten mit Sorge erfüllen kann.

    (Zustimmung beim Zentrum und bei der SPD.)

    Diese echten Demokraten — so möchte ich sie nennen — müssen befürchten, daß z. B. durch die eigenartigen Entflechtungsvorschläge der Regierung eine bestimmte Schicht von Industriellen ihre Macht zurückkehren sieht. Sie müssen befürchten, daß bei einer Remilitarisierung nicht die militärischen Fachleute zu Einfluß und Macht kommen, die loyale Demokraten sind, sondern jene in der Maske des Fachmannes, die die Demokratie wieder unter die Macht bestimmter politischer Cliquen bringen wollen.

    (Lebhafte Zustimmung beim Zentrum und bei der SPD.)



    (Frau Wessel)

    Und ein letzter, nicht weniger entscheidender Faktor der deutschen Lage ist die Tatsache, daß das deutsche Volk durch die beiden Weltkriege biologische Verluste erlitten hat, die diejenigen der westeuropäischen und amerikanischen Völker weit übersteigen. An den 34 Millionen Toten des letzten Weltkrieges trägt das deutsche Volk einen sehr erheblichen Anteil. Seine Kriegsverluste an Volkssubstanz sind aber noch wesentlich gesteigert worden durch die Ausweisung vieler Millionen Deutscher aus ihrer Heimat und durch die Hungerjahre bis 1948. Aber auch die materiellen Verluste Deutschlands sind unvergleichlich größer als die eines anderen Landes. An den Kosten des Krieges von 375 Miliarden Golddollar hat Deutschland nicht nur seinen erheblichen Anteil zu tragen gehabt; auch die mit dem verlorenen Kriege uns auferlegten Lasten und Verluste — ich brauche nur an die deutschen Patente zu erinnern, an die eben schon erwähnten hohen Besatzungskosten — müssen gesehen werden. Diese biologischen und auch materiellen Verluste erfordern in ihrer Gesamtheit eine entscheidende Berücksichtigung bei der Frage einer deutschen Beteiligung an der europäischen Verteidigung.
    Diese klare Situation und deren Erkenntnis macht es nun notwendig, daß wir unterscheiden zwischen Maßnahmen, die notwendig sind und zu unserem Schutz beitragen können, und solchen angeblichen Sicherheitsmaßnahmen, die tatsächlich nur Unsicherheit schaffen und die Gefahren erhöhen würden. Insbesondere verurteilen wir jene Methode, von deutscher Seite an die Alliierten mit Vorschlägen für die Wiederaufrüstung heranzutreten, und ich muß schon sagen, daß in dieser Beziehung unsere Bedenken auch nach den Ausführungen des Herrn Bundeskanzlers nicht beseitigt worden sind.

    (Bravo! beim Zentrum.)

    Es bleibt die Erklärung des amerikanischen Außenministers Acheson auf der Pressekonferenz in Washington, die Grundlage für die amerikanische Forderung, daß deutsche Truppen innerhalb einer künftigen europäischen und nordamerikanischen Armee aufgestellt werden sollen, sei die Einstellung einiger fortschrittlicher Politiker der Bundesrepublik, die die Ansicht zum Ausdruck gebracht hätten, daß die Deutschen an der Verteidigung des Westens teilnehmen sollten. Diese Bereitschaft der deutschen Politiker sei die Basis der amerikanischen Vorschläge während der New Yorker Konferenz der Außenminister gewesen. Auch der französische Hohe Kommissar François-Poncet hat erklärt, daß die Bundesregierung zu einer Einbeziehung deutscher Truppenkontingente in eine westeuropäische Armee im Prinzip schon ihre Zustimmung gegeben habe, daß sie aber noch Schwierigkeiten habe, dies der breiten Öffentlichkeit verständlich zu machen.

    (Hört! Hört! beim Zentrum und bei der SPD.)

    Und übrig bleibt ferner die Erklärung des zurückgetretenen Bundesinnenministers Dr. Heinemann, der Herr Bundeskanzler habe in seinem Memorandum vom 29. August den Alliierten zugesagt, deutsche Truppen für eine europäische Armee zur Verfügung zu stellen.

    (Hört! Hört! beim Zentrum und bei der SPD.)

    Bis heute hat es der Herr Bundeskanzler abgelehnt, dieses Memorandum der Öffentlichkeit bekanntzugeben. Wir sind der Auffassung, daß in einer so wichtigen Frage das deutsche Volk ein
    Recht hat, zu fragen ob und was in diesem Memorandum zugesagt worden ist.

    (Lebhafte Zustimmung beim Zentrum und bei der SPD. — Zuruf vom Zentrum: Geheimdiplomatie!)

    Die Zentrumsfraktion hat daher in diesem Hause
    den Antrag gestellt, den Inhalt des Memorandums
    vom 29. August dem Bundestag bekanntzugeben.
    Die autoritäre, eigenmächtige Außenpolitik des Herrn Bundeskanzlers, wie sie sich auch in dieser Frage wieder zeigt, erfüllt uns mit der allergrößten Besorgnis.

    (Sehr richtig! beim Zentrum und bei der SPD.) Wohl hat der Bundeskanzler erklärt, daß über die Frage einer Wiederaufrüstung nur der Bundestag entscheiden könne, sobald der Bundesregierung offizielle Fragen der Alliierten vorgelegt würden. Wir haben heute aus der Rede des Herrn Bundeskanzlers entnommen, daß durch eine Entschließung der Bundesregierung diese Bereitschaft schon erklärt worden ist, bevor diese offiziellen Fragen von seiten der Alliierten an uns gestellt worden sind.


    (Sehr richtig! beim Zentrum und bei der SPD.) Es scheint uns notwendig zu sein, daß der Herr Bundeskanzler gerade die Außenpolitik und die so entscheidende Frage der Aufrüstung und Sicherheit nicht von sich allein bestimmt, auch nicht allein bestimmt in seiner Regierung, sondern in engster Verbindung mit dem Bundestag sieht, insbesondere wenn er Vorschläge von so weittragender Bedeutung macht, wie sie in dem Memorandum vom 29. August enthalten sein sollen und wie wir sie heute auch wieder gehört haben. Täuschen wir uns nicht darüber — und ich glaube, das sollten auch die Regierungsparteien nicht tun —: diese Politik des Herrn Bundeskanzlers begegnet in weiten Schichten des deutschen Volkes Mißtrauen und Skepsis.


    (Sehr richtig! beim Zentrum und bei der SPD.) Auch noch so glanzvoll verlaufene und in scheinbarer Einmütigkeit dargestellte Parteitage sollten nicht darüber hinwegtäuschen.


    (Heiterkeit.)

    Hier müssen der Bundestag und seine Abgeordneten für ihr Verfassungsrecht kämpfen, gleichgültig, in welcher Partei diese Abgeordneten stehen,

    (Sehr richtig! beim Zentrum und bei der SPD) soll nicht der Demokratie in Deutschland der Todesstoß versetzt werden.


    (Sehr wahr! Beim Zentrum und bei der SPD.)

    Der Herr Kollege Dr. Schumacher hat eben von der Bedeutung der Frage der Remilitarisierung oder Wiederaufrüstung für das deutsche Volk gesprochen. Das Grundgesetz sieht keinen Volksentscheid vor. Ich darf bei dieser Gelegenheit einmal darauf hinweisen, daß die Zentrumsfraktion im Parlamentarischen Rat die Aufnahme des Volksentscheids und des Volksbegehrens in das Grundgesetz beantragt hatte. Leider wurde der Zentrumsantrag im Hauptausschuß mit 18 gegen 3 Stimmen abgelehnt. Auch ein erneut gestellter Antrag verfiel der Ablehnung. Ich habe bei den Beratungen im Parlamentarischen Rat wiederholt darauf hingewiesen, daß es in einem demokratischen Staat ein selbstverständliches Recht sein müsse, daß der Staatsbürger in entscheidenden Fragen durch Volksabstimmung seine Meinung kundtun kann, und die Ablehnung dieses demokratischen Grundrechtes war einer der Gründe, wes-




    (Frau Wessel)

    halb die Zentrumsfraktion dem Grundgesetz nicht zugestimmt hat. Es ist auch nicht uninteressant, darauf hinzuweisen, daß neben der CDU und FDP auch der Sprecher der SPD, der Herr Abgeordnete Dr. Katz, im Hauptausschuß des Parlamentarischen Rates die Ablehnung des Zentrumsantrages damit begründete, daß es unpraktisch sei, in den jetzigen aufgeregten Zeiten Zweifelsfragen zum Gegenstand großer Debatten durch das Volk zu machen. Er sagte wörtlich: „Wir haben eine repräsentative Demokratie und die Abgeordneten sind gewählt worden, um die Entscheidungen zu treffen und durchzukämpfen. Es herrscht keine volksfremde Gruppe, wie manche Herren das darstellen, sondern es herrschen die Vertreter des Volkes, die im Bundestag sind und dort eine ausschlaggebende Stimme haben.

    (Abg. Frau Dr. Weber [Essen] : Das ist ja sehr richtig!)

    Der Volksentscheid paßt nicht in das System, das wir in unseren Organisationsbestimmungen im Grundgesetz niedergelegt haben."
    Allerdings hat Herr Dr. Katz auch ausgeführt, daß, wenn wichtige Fragen strittig sein sollten, die Auflösung des Bundestages herbeigeführt werden sollte.

    (Abg. Neumann: Na also!)

    Aber zur Auflösung des Bundestages gehört zum mindesten die Mehrheit der Stimmen der Abgeordneten, und es ist, wie der Herr Bundeskanzler dargelegt hat, überhaupt zweifelhaft, ob sich der Bundestag vor Ablauf seiner vierjährigen Wahlperiode auflösen kann, es sei denn, daß er, wie der Herr Bundeskanzler ausgeführt hat, selbst den Wunsch hat, ein Vertrauensvotum zu stellen, das dann abgelehnt werden könnte. Denn unter dem konstruktiven Mißtrauensvotum des Grundgesetzes und der repräsentativen Stellung, die dem Bundeskanzler eingeräumt worden ist — und ich muß hinzufügen: mit Förderung und Unterstützung der SPD —, sind wir schon heute, nach einem Jahr, so weit, daß wir keine repräsentative Demokratie des Bundestages, sondern eine vom Bundeskanzler bestimmte autoritäre Staatsführung haben. Nur so ist es doch zu begreifen, daß ein Graf Schwerin ohne Befragen des Bundestages als militärischer Berater eingestellt und wieder entlasen wird, daß ein Sicherheitsamt eingerichtet und besetzt wird, daß man von vorsorglichen militärischen Planungen in der Presse hört, die von dem Bundeskanzler nahestehenden Dienststellen betrieben werden sollen.
    Diese ganze Geheimnistuerei bringt es mit sich, daß dann die Übertreibungen erfolgen, die das Angst- und Unsicherheitsgefühl im deutschen Volke noch steigern. So kommt es, daß beim deutschen Volk in den wichtigsten Fragen und Entscheidungen, die sein Schicksal betreffen, in bezug auf unsere Bundestagsabgeordneten und ihre Einflußmöglichkeiten der Eindruck vorhanden ist, wie es so beim Pferderennen heißt: „Ferner liefen". Das aber muß das Vertrauen des Volkes zur Regierung und zu seinen Abgeordneten erschüttern. Der einfache Staatsbürger sagt heute mit Recht, daß der Herr Bundeskanzler trotz Bestehens des Bundestages tut, was ihm beliebt. Das Interesse des Staatsbürgers am politischen Leben, das heute ohnehin schon dürftig genug ist, wird restlos erlahmen. Aus diesem Grunde müßten selbst diejenigen, die der Sache der Politik des Herrn Bundeskanzlers recht geben, seiner Methode ganz entschieden Widerspruch entgegensetzen.
    Meine Damen und Herren, ich möchte nun die Stellungnahme der Zentrumsfraktion zur deutschen Sicherheitsfrage darlegen. Wir lehnen eine Remilitarisierung Deutschlands eindeutig ab. Denn eine Remilitarisierung — das wollen wir wohl beachten — bedeutet nach Sinn und Gehalt dieses Wortes die Wiederherstellung von früheren militärischen Zuständen.

    (Abg. Frau Dr. Weber [Essen]: Nein!)

    Mit der Vergangenheit des deutschen Militarismus muß ein für allemal Schluß gemacht werden. Was wir zunächst für die deutsche Sicherheit für notwendig halten, ist, zur Sicherung der inneren Ordnung gegen die Feinde der Demokratie, die für uns nicht nur links bei den Kommunisten, sondern ebensogut rechts stehen, eine handlungsfähige, gilt organisierte und zuverlässige Polizei zu schaffen. Was wir ablehnen — und das haben wir gestern bereits bei der Polizeidebatte betont —, sind halbmilitärische Verbände, die nur zu einer Belastung der inneren Sicherheit beitragen würden

    (Abg. Frau Dr. Weber [Essen]: Die will ja niemand!)

    und die Gefahr in sich bergen würden, sich zu einem unkontrollierbaren und unzuverlässigen Machtinstrument gegen die Demokratie zu entwickeln.

    (Abg. Frau Dr. Weber [Essen]: Das will niemand!)

    — Ich weiß nicht, Frau Kollegin Weber, ob das niemand im deutschen Volke will.

    (Abg. Frau Dr. Weber [Essen]: Nein, nein!)

    Ich will diese Frage jedenfalls einmal offen lassen.
    Wir halten es für notwendig, daß bei der Reorganisierung und Verstärkung der Polizei auch darauf zu achten ist, wer bei der Polizei jetzt eingestellt wird, und daß unzuverlässige Kommunisten, die unter dem Druck der Besatzungsmächte nach 1945 eingestellt worden sind, nicht durch rechtsradikale Elemente ersetzt werden, die wir für den Bestand der Demokratie auch für gefährlich halten.

    (Abg. Frau br. Weber [Essen]: Es gibt ja auch einen Bundestagsausschuß dafür!)

    — Sicherlich haben wir gestern darüber gesprochen; aber man kann diese Dinge nicht oft genug aussprechen, damit sie auch überall erkannt und gehört werden.

    (Abg. Frau Dr. Weber [Essen] : Na, wir haben es gehört!)

    Meine Damen und Herren, wenn es weiterhin die Aufgabe der Bundesrepublik ist, für die Sicherung gegen inneren Umsturz selbst zu sorgen, so kann die Sicherung gegen Angriffe von außen nicht in unserer Hand liegen, nachdem die Siegermächte Deutschland im Jahre 1945 völlig entwaffnet und mit Besatzungstruppen belegt haben. Es liegt ja auch nicht im Sinne der Alliierten, Deutschland eine Wiederaufrüstung auf deutschem Boden zu gestatten. Schon aus dieser Tatsache halten wir das Sicherheitsversprechen der Außenminister der Westmächte vom 19. September 1950 für eine selbstverständliche Konsequenz ihrer Deutschland-und Europapolitik. Diese Sicherheitsgarantie liegt ebenso im europäischen, ja im Weltinteresse, wie sie im deutschen Interesse liegt; denn für die westliche Welt — darin stimmen wir, glaube ich, alle in diesem Hohen Hause überein — wird die Entscheidung auf deutschem Boden fallen. Daß die Sicherheitserklärung der Westmächte und auch die weitere


    (Frau Wessel)

    Erklärung, daß sie ihre Streitkräfte in Deutschland vermehren und verstärken werden, zur psychologischen Beruhigung in Deutschland beigetragen hat, wollen wir dankbar anerkennen. Es ist aber darüber hinaus zur weiteren Beruhigung des deutschen Volkes ganz eindeutig klarzustellen, daß der Schutz Deutschlands in den Schutz Europas eingegliedert werden muß. Wir wünschen keine militärischen Maßnahmen für Deutschland, auch nicht von seiten der Westmächte, die vom Osten als aggressiv betrachtet werden müßten. Damit würden wir nämlich den echten Verteidigungswillen des deutschen Volkes für den wirklichen Notfall zerstören und der östlichen Propaganda auf das deutsche Volk Tür und Tor öffnen. Wir wissen, daß es ein klares Naturrecht für jedes Volk ist, sich gegen Angriffe zu verteidigen, und es ist auch kaum zweifelhaft, daß das deutsche Volk sein Land und Leben gegen den Osten verteidigen wird, aber nur dann, wenn es zur Rettung seiner Freiheit notwendig ist, und nie um imperialistischer Ziele willen.
    Wir gehören nicht zu jenen Katastrophenpolitikern, die glauben, mit Bomben und Kanonen in den Gang der Ereignisse eingreifen zu sollen. Jeden Präventivkrieg lehnen wir ab. Unsere Überzeugung, daß Moskau sich durch seine Politik immer mehr verfängt, unsere Erkenntnis, daß sich an der inneren sowjetischen Front das Dynamit von Millionen und Abermillionen von Unzufriedenen und Unterdrückten weiter ansammelt, geben uns die Kraft, darauf zu hoffen, daß, auf die Dauer gesehen, auch jenseits des Eisernen Vorhangs eine vernünftige Entwicklung der menschlichen Gesellschaft unabwendbar sein wird.
    Nun hat der Herr Bundeskanzler in seinen heutigen Ausführungen den Krieg in Korea erwähnt und die gefährdete Situation für den Fall aufgezeigt, daß es in Europa zu ähnlichen Ereignissen kommt und daß Deutschland dann das erste Opfer sein wird. Er hat diese Auffassung - ich glaube, für uns alle - sehr deutlich und sehr eindringlich dargestellt. Wir haben gewiß das Sicherheitsversprechen der Alliierten vom 19. September 1950 und die weitere Erklärung der Westmächte, daß sie ihre Streitkräfte in Deutschland vermehren und verstärken werden. Nun lesen wir in diesen Tagen in der Auslandspresse von einer Umleitung der ursprünglich für Westdeutschland gedachten alliierten Sicherheitsdivisionen in den Fernen Osten zur Unterstützung der UNO-Truppen in Korea. Damit bekommen jene Stimmen ein verstärktes Gewicht, die eine Beteiligung Deutschlands an der Verteidigung Europas und seiner eigenen Verteidigung für sinnlos halten, weil es bei der Zerrissenheit Europas und bei der sehr unterschiedlichen Auffassung seiner Staatsmänner zur Frage der europäischen Einigung in den nächsten Jahren zu einer gemeinsamen Verteidigungsbereitschaft nicht kommen würde.
    Angesichts der historischen Schicksalsstunde, in der dieser Erdteil heute steht, fehlt in dieser Frage die große überzeugende Konzeption für den gemeinsamen Weg Europas. Es fehlt die große menschliche Geste gegenüber dem deutschen Volk, es als gleichberechtigten Partner in die Schicksalsgemeinschaft der freien Völker der Welt einzuordnen. Es wird zuviel gefeilscht und verhandelt und nicht g e handelt. In Frankreich haben wir doch das alte Mißtrauen gegenüber Deutschland wieder feststellen müssen in bezug auf den Fall, daß Deutschland an der Europa-Armee beteiligt
    wird. Wir müssen auch immer wieder feststellen, daß noch andere Stimmen hinzukommen, die im deutschen Volk sehr merkwürdigen Widerhall finden. Wenn z. B. ein Sprecher des amerikanischen Hohen Kommissars, ich möchte sagen, ohne jedes psychologische Verständnis, von einem deutschen Verteidigungsbeitrag spricht, als sei das für die Deutschen die verständlichste Sache der Welt, und wenn man für diesen Verteidigungsbeitrag ebenso Selbstverständlich etwa 8 bis 10 Milliarden DM von dem deutschen Volk fordert, das seinen Millionen Flüchtlingen und sonstigen Opfern des zweiten Weltkrieges bis jetzt nicht einmal einen gerechten Lastenausgleich hat geben können, dann mutet uns das seltsam an. Es mutet uns ebenso seltsam an, daß die Mittel zur Ausführung des von uns geschaffenen Kriegsopferversorgungsgesetzes erst wieder durch neue Steuern beschafft werden sollen. Wie die Verwendung der bereits von Deutschland aufgebrachten Besatzungskosten beurteilt wird, das zeigt ein dem Hohen Hause vorliegender CDU-Antrag, worin die Frage gestellt ist, ob die enorme Zahl deutscher Angestelltenkräfte für die Besatzungsarmee notwendig sei. Ich möchte betonen, daß wir bei der heutigen Besatzungsstärke eine Herabsetzung der Besatzungskosten für eine dringende Notwendigkeit halten; ich möchte aber ebenso hinzufügen, daß wir dabei auch die Sparsamkeit im eigenen Hause nicht vergessen dürfen.
    Im deutschen Volk ist das Gefühl vorhanden, daß die von ihm geforderten Opfer sinnlos sind und nicht dazu ausreichen, eine wirkliche Verteidigung zu ermöglichen. Diejenigen, die das aussprechen, sind keine Gandhi-Apostel und auch keine Defaitisten. Sie befürchten nämlich, daß unser Land und die an der Verteidigung beteiligten europäischen Länder nicht ausreichen, um Deutschland nicht zum, Kriegsschauplatz werden zu lassen. Wer auch immer die erste Schlacht gewinnt, der Stoß geht ins deutsche Land. Die Sorge und das Angstgefühl des deutschen Volkes ist, in einem kommenden Krieg das Schlachtfeld eines totalen Vernichtungswillens in einem Kampf zwischen Rußland und Amerika zu sein, wobei wir nicht einmal die Sicherheit haben, daß Europa genügend Divisionen zusammenbringt, um zu verhindern, daß Deutschland das Land der verbrannten Erde wird, so daß es trotz seiner Opfer an Menschenkraft und materiellen Gütern keine Zukunft mehr hat.
    Herr Kollege Dr. Schumacher hat soeben davon gesprochen, daß Garantien allein keine wirksame Hilfe seien und daß eine Verkoppelung des angelsächsischen Schicksals mit dem deutschen Schicksal unerläßlich sei. Wir zweifeln nicht daran, daß eine solche gegenseitige Schicksalsgarantie viel zur Beruhigung des deutschen Volkes beitragen und es auch veranlassen könnte, unter diesen Voraussetzungen seinen Beitrag zur europäischen Verteidigung zu leisten. Wir stellen aber die ganz nüchterne Frage: Werden die von den Atlantikpaktmächten aufzubringenden Kosten für eine ausreichende Verteidigungsarmee nicht über die Finanzkraft dieser Staaten gehen? Wenn wir bedenken, daß die 150 Millionen Bewohner der Vereinigten Staaten dieses Jahr zusätzlich 15 Milliarden Dollar, im kommenden Jahr bereits 35 Milliarden Dollar über die Beträge des vergangenen Jahres hinaus aufbringen wollen, dann müssen wir damit rechnen, daß das sehr viel stärker bedrohte Europa eigene Summen wird aufbringen müssen, die wohl kaum hinter diesem Beitrag zu-


    (Frau Wessel)

    rückbleiben dürften. Wo aber sollen diese Gelder herkommen? Frankreich sowohl wie England haben bereits erklärt, daß der höchstmögliche Grad ihrer steuerlichen Belastung erreicht sei.
    Meine Damen und Herren! Es ist eben auch schon erwähnt worden: es gibt eine Verteidigung gegen den Kommunismus durch innere und äußere Sicherheitsmaßnahmen. Die inneren Maßnahmen bestehen darin, eine Politik der sozialen Gerechtigkeit zu betreiben, das Absinken der Lebenshaltung und damit den sozialen Unfrieden und die sich daraus entwickelnden Gefährdungen des sozialen Aufbaues zu verhindern. Ein Volk ist um so stärker vom Kommunismus bedroht, je schlechter die soziale Lage seiner breiten Schichten ist. Das hat uns die Eroberung von China genügend gezeigt. Westdeutschland muß also eine Politik der sozialen Tat betreiben, sonst besteht die Gefahr der Anfälligkeit für den Kommunismus. Der Verteidigungswille für Freiheit und Leben gegen den Kommunismus kann sehr unterschiedlich sein, z. B. ob ich ein Bunkerloch und eine geringe Unterstützung oder einen gesicherten Besitz und ein entsprechendes Einkommen zu verteidigen habe.
    Aber auch die äußeren Verteidigungsmöglichkeiten müssen für ein Volk sinnvoll sein. Eine Beteiligung Deutschlands an einem europäischen Verteidigungssystem muß dem deutschen Volk diesen Sinn geben. Bei der heutigen Zerrissenheit Europas trotz Europarat und Atlantikpakt erscheint uns dieser Sinn nicht in dem Maße gegeben, das uns notwendig erscheint, um eine innere Bereitschaft des Volkes herbeizuführen.
    Deshalb, meine Damen und Herren, sind meine politischen Freunde und ich der Meinung, daß es nicht irreal ist, sondern der heutigen Situation Deutschlands und Europas entspricht, daß wir nicht nur zur Verteidigung Europas, sondern zu einer Verteidigung aller friedlichen Völker in der Welt im Rahmen der UNO kommen sollten. Präsident Truman hat in diesen Tagen erklärt:
    Der Kommunismus stellt eine fortgesetzte Bedrohung des Weltfriedens dar. Die freien Völker müssen seiner Stärke mit Stärke begegnen und eine gemeinsame Verteidigung gegen die kommunistische Aggression aufbauen. Der Sieg der UNO-Streitkräfte über die kommunistische Aggression in Korea ist ein Beweis dafür, daß sich die freien Völker nicht eins nach dem andern von dem kommunistischen Imperialismus verschlingen lassen wollen. Die Nationen und Völker, die an die Freiheit glauben, stehen einem erbitterten Feind gegenüber. Dieser Drohung kann man nur mit der zusammengefaßten Stärke der freien Welt begegnen.
    Wenn nach dieser Auffassung Trumans die kommunistische Gefahr, der wir auch in Europa und
    Deutschland gegenüberstehen, so groß ist, dann
    sollte es keine Bedenken geben, auch keine Bedenken juristischer Art oder mangelnder Souveränität für Deutschland, alle Menschen guten Willens zusammenzufassen und mit dieser zusammengeballten Kraft den Weltfrieden zu sichern. Wenn
    er durch einen Angreifer in Europa zerstört wird,
    dann müßten die in der UNO zusammengefaßten
    Nationen, wie im Korea-Krieg, diesen Angreifer
    vernichten. Wir sind der Überzeugung, daß einer
    so zusammengeballten Kraft gegenüber die Chance
    eines Sieges in jedem Krieg von vornherein nicht
    gegeben ist und der Krieg allein aus dieser Überlegung heraus nicht begonnen wird. Von einer
    solchen sinnvollen Verteidigungsbereitschaft wird
    auch das deutsche Volk sich nicht ausschließen, weil es dann das Gefühl haben kann, mit seinem Beitrag zur Sicherung des Weltfriedens und zur Verhinderung eines Krieges herangezogen zu werden. Auch Frankreich würde einer solchen Regelung zustimmen können und seine Regierung dafür auch das Verständnis des französischen Volkes finden, da jede Möglichkeit, daß eine Wiederaufrüstung Deutschlands eine Gefahr für Frankreich bedeuten könnte, damit beseitigt ist.
    In diesem Zusammenhang noch ein kurzes Wort zur Frage der Kriegsdienstverweigerung. Art. 4 des Grundgesetzes bestimmt in Abs. 3:
    Niemand darf gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden. Das Nähere regelt ein Bundesgesetz.
    Die Zentrumsfraktion hat bereits am 6. Dezember 1949 in dem Antrag Drucksache Nr. 276 den Bundestag aufgefordert, die Bundesregierung zu ersuchen, unverzüglich dem Bundestag ein Gesetz zur Regelung des Rechts auf Kriegsdienstverweigerung vorzulegen. Dieser Zentrumsantrag ist dem Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht überwiesen worden, aber bis heute, elf Monate nach seiner Einbringung, nicht erledigt worden. Die Zentrumsfraktion richtet heute erneut an die Bundesregierung die Aufforderung, das im Grundgesetz vorgesehene Recht auf Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen durch ein Gesetz zu realisieren und zu schützen. Das Recht auf Kriegsdienstverweigerung ist nicht ein politisches, es ist ein Recht des Gewissens.

    (Lebhafter Beifall beim Zentrum und bei der SPD.)

    Deshalb hat auch die Synode der Evangelischen Kirche auf ihrer Berliner Tagung das Recht und den Schutz der Kriegsdienstverweigerung verlangt. So heißt es z. B. in dieser Erklärung:
    Wir begrüßen es dankbar, daß die Regierung durch ihre Verfassung denjenigen schützt, der um seines Gewissens willen den Kriegsdienst verweigert. Wir bitten alle Regierungen der Welt, diesen Schutz zu gewähren. Wer um des Gewissens willen den Kriegsdienst verweigert, soll der Fürsprache und Fürbitte der Kirche gewiß sein.
    Gerade in seiner heutigen Verfassung und nach den Erlebnissen, die besonders das deutsche Volk im zweiten Weltkrieg mit seinen furchtbaren Folgen nicht nur für Deutschland, sondern für die ganze Welt hinter sich hat, muß es das Gefühl haben, nicht wie unter einem Hitler zu einem imperialistischen Krieg gezwungen werden zu können.

    (Lebhafte Rufe: Sehr gut! und Beifall beim Zentrum und links.)

    Dann gilt nämlich das Bibelwort: Man muß Gott und seinem Gewissen mehr gehorchen denn den Menschen!
    Damit komme ich zum Schluß. Meine Damen und Herren! Wenn die Zentrumsfraktion auch nicht in der Regierung vertreten ist, so ist es doch ihr innigster Wunsch, daß diese Lebensfrage des deutschen Volkes ein gemeinsames Anliegen der Regierung wie der Oppositionsparteien sein möchte. Die Führung der deutschen Außenpolitik, wie sie aber heute erfolgt, zerschlägt hierfür die Möglichkeiten, und so wertvoll die Informationsgespräche sind, die der Herr Bundeskanzler mit den einzelnen Fraktionen, auch denen der Opposition, führt, sie nützen nichts, wie Sie es heute


    (Frau Wessel)

    wieder erlebt haben, wenn die Fraktionen dann vor fertige Tatsachen gestellt werden.

    (Sehr richtig! beim Zentrum und links.) Heute kommt es doch darauf an, auch in diesem Hohen Hause einen gemeinsamen Willen in den Fragen der deutschen Außenpolitik zu dokumentieren. Daß dies so wenig möglich ist, scheint mir und meinen politischen Freunden weniger die Schuld der Oppositionsparteien zu sein als die einer Regierungsführung, die zuviel vom Geiste eines Hegel hat. Aber wir hoffen, daß nicht auch jenes Wort Hegels auf sie zutrifft, die Geschichte beweise, daß die Völker aus der Geschichte nichts lernen.


    (Beifall beim Zentrum und bei der SPD.)