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ID0109801100

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Deutscher Bundestag — 98. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. November 1950 3563 98. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 8. November 1950. Geschäftliche Mitteilungen 3563B Entgegennahme einer Erklärung der Bundesregierung (Beitrag der Bundesrepublik Deutschland zur Verteidigung des Westens, Pleven-Plan und Vorschlag der Sowjetregierung zur Einberufung der Außenministerkonferenz der vier Großmächte) 3563C Dr. Adenauer, Bundeskanzler 3563D, 3621D Aussprache über die Erklärung der Bundesregierung 3567B Dr. Schumacher ,(SPD) . . . 3567B, 3620C Frau Wessel (Z) 3576D Dr. Seelos (BP) 3582A von Thadden (DRP) 3587B Schuster (WAV) 3590C Dr. Richter (Niedersachsen) (parteilos) 3591B Dr. Doris (parteilos) 3593A Rische (KPD) 3594A Dr. Leuchtgens (DRP) 3599C Clausen (SSW) 3600D Fröhlich (BHE) 3601B Dr. Schäfer (FDP) 3602A Dr. von Merkatz (DP) 3608D Dr. von Brentano (CDU) 3615A Nächste Sitzung 3622C Die Sitzung wird um 13 Uhr 13 Minuten durch den Präsidenten Dr. Ehlers eröffnet.
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    Rede von Dr. Carlo Schmid


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Seelos.
    Dr. Seelos (BP),: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit brennendem Herzen hat das deutsche Volk dieser Debatte entgegengesehen. Was ist nun geschehen? Der Bundeskanzler ist mit leeren Händen vor dieses Haus getreten. Die Alliierten haben ihn mit leeren Händen hierher gehen lassen.

    (Zuruf von der Mitte: Er hätte Kanonen mitbringen sollen!)

    Nun frage ich: Hat er deshalb gewartet, well er hoffte, aus den Ergebnissen der Konferenzen dem Hause noch etwas mitteilen zu können? - Nichts hat er gebracht! Da scheint es mir verwunderlich, daß noch kein Sprecher auf das unverständliche Faktum hingewiesen hat, daß diese außenpolitische Debatte erst 41/2 Monate nach dem Kriegsbeginn in Korea, 3 Monate nach Straßburg, 2 Monate nach New York stattfindet. Als ob wir nicht in einer Zeitenwende leben würden, als ob es nicht darum ginge, jahrhundertealte Tatbestände neu zu regeln, Deutschland, Europa und die Welt neu zu formen! Es geht doch um die Beseitigung der starren nationalstaatlichen Ideen, um die Einschränkung der Souveränitätsidee zugunsten einer europäischen Gemeinschaft. Es geht um das Ende der jahrhundertelangen deutsch-französischen Auseinandersetzung, das jetzt möglich erscheint. Es geht schließlich um die Einordnung Deutschlands zwischen den zwei Weltmächtegruppen, um die Auffüllung des machtpolitischen Vakuums, das im Interesse der Befriedung der Welt eingeebnet werden muß.
    All die anderen noch so wichtigen Dinge, die der Herr Bundeskanzler am Anfang genannt hat, der Beitrag gemäß dem New Yorker Abkommen, Pleven-Plan, der Prager Sowjet-Vorschlag, Besatzungsstatut, Beendigung des Kriegszustandes, alle diese Dinge sind doch nur abhängige Auswirkungen dieser geschichtlichen Entwicklung. Wenn man diese welthistorischen Vorgänge erkennt, dann muß es doch die Volksvertreter schon längst dazu gedrängt haben, gegenüber der deutschen und der Weltöffentlichkeit die Stimme zu erheben. um eine Lösung der damit zusammenhängenden Probleme zu erzwingen und dem deutschen Volk eine Haltung zu zeigen, die Hoffnung und Vertrauen gibt. Dem Bundestag diesen Willen zu einem positiven Beitrag in dieser geschichtlichen Stunde anzuzweifeln oder abzustreiten, heißt, seine Existenzberechtigung verneinen.
    Die beklemmenden Zweifel, die Allain Clement in einem Aufsatz „Aufstieg oder Niedergang Deutschlands" über das deutsche parlamentarische Leben geäußert hat, bekommen durch das der-
    zeitige Beiseiteschiebenlassen des Bundestages ernste Begründung. Gerade die Opposition hat doch dem Bundeskanzler immer vorgeworfen, daß er den Bundestag ausschalte und seine einsamen Beschlüsse allein treffe. Jetzt aber macht die Opposition fast das gleiche, indem sie die so dringend erforderliche außenpolitische Aussprache seit 2'12 Monaten vermeidet.
    Alles, was in Deutschland Stimme hat, hat bisher gesprochen: der Bundeskanzler in zahlreichen Interviews und Regierungskundgebungen, die Bundesminister in den verschiedenen Sonntagsreden, die meisten führenden Politiker in Partei- und Wahlversammlungen, in Radioreden und Pressekonferenzen und schließlich vor allem die offiziellen Parteiredner der SPD in Stuttgart und der CDU in Goslar. Was bleibt eigentlich noch für den Bundestag, nachdem seine Stellungnahme von den größten Parteien und von der Regierung so eindeutig festgelegt ist? Haben Sie aus der heutigen Debatte bisher etwas wesentlich Neues gefunden und gehört?
    Die Vollversammlungen des Bundestages haben bisher schon unter dem Faktum gelitten. daß die Entscheidungen in den Bundestagsfraktionen — immerhin in den Gremien, die die Abgeordneten der einzelnen Parteien zusammenfaßten - getroffen wurden. Durch dieses neuerliche Vorgehen aber werden nun diese außenpolitischen Stellungnahmen und Entscheidungen des Parlaments noch weiter vom Parlament weg in die Parteigremien verlegt. Es bedeutet eine Mißachtung und Ausschaltung des Parlaments, wenn man es nur zu einer Funktion des Parteiapparats macht. Man nimmt dem Volk den letzten Glauben in seine eigene Vertretung, dem Volke, das in den entscheidenden Stunden der Nation in der Meinungsbildung eine Führung seitens des Bundestages sofort erwarten darf. Es ist notwendig, auf diese gefährliche Entwicklung unserer demokratischen Einrichtungen hinzuweisen.
    Wenn man den Fähigkeiten des Bundestages so mißtraut und von vornherein eine Schädigung der deutschen Interessen erwartet, so möchte ich einmal umgekehrt sagen: sehr viel wahrscheinlicher dünkt es mir, daß die New Yorker Beschlüsse nicht so dürftig ausgefallen wären, wenn den alliierten Außenministern vorher eine klare, deutliche Meinung des Bundestages vorgelegen hätte. Dann wäre in New York vielleicht mehr Verständnis für die psychologischen Erfordernisse der Zeit vorhanden gewesen, und man hätte sich abgewöhnt, einseitig verbitternde Halbheiten über Deutschland zu beschließen. Es scheint mir auch nicht ganz verständlich - für meinen Geschmack —, daß die Redner bis jetzt viel zu viel von dem Wehr- und Rüstungsproblem gesprochen und geradezu strategische Vorlesungen darüber gehalten haben, als ob dies das Kernproblem wäre und nicht bloß eine Abhängigkeit von weltpolitischen Entwicklungen. Man sollte nicht immer Eintagsfragen, die es schließlich sind, wie den Beitritt zum Europarat, den Schuman. Plan, den Pleven-Plan, die Rüstungsbeteiligung als das einmalige Zentralproblem in ihrer Bedeutung jeweils übertreiben. Es handelt sich um Entscheidungen, die aus einer Gesamteinstellung zur Weltsituation gefaßt werden müssen.
    Wir wollen deshalb unsere Blicke weiterschweifen lassen, um aus der jetzigen Weltsituation, aus dem Kampf zwischen West und Ost, aus dem Ringen um eine neue nationale Existenz und um eine neue Lebensbasis des deutschen Volkes — und besonders der Jugend - Ideale zu vermitteln. die


    (Dr. Seelos)

    es allein fähig machen, die richtige Haltung in dieser weltgeschichtlichen Auseinandersetzung einzunehmen. Man kann das deutsche Volk nicht zu einer wahrhaft großen Leistung zwingen, wenn man es nicht von der materialistischen Einstellung abbringt, von diesem unseren halben deutschen Staat, der er doch zur Zeit an Territorium. an Souveränität und an Macht ist, alles zu erwarten, ihm aber nichts oder wenig zu opfern.
    Da es unsere geographische Zwischenlage einfach nicht gestattet, abseits zu stehen, sollte man die jetzigen weltbewegenden Entwicklungen zu einer Sammlung des deutschen Volkes benützen. Wenn es in Berlin gelungen ist, aus der schwierigen politischen Lage die Bevölkerung an Ideale glauben zu lassen und wegen dieser Ideale eine ungeheure Opferbereitschaft aufkommen zu lassen, so müßte es doch auch im größeren deutschen Rahmen möglich sein, das Volk mitzureißen und dafür viel mehr von ihm an geistigen, sittlichen und nationalen Werten zurückzuerhalten. Nur bei einem solchen Vorgehen und bei einer solchen Führung der Regierung wird es möglich sein, die kritischen Stimmen von Ausländern zum Schweigen zu bringen, die in den Deutschen nur einen führungslosen, materialistischen, zwar regsamen Haufen. sehen, aber nicht mehr eine staatsbewußte und staatserhaltende Kraft spüren. Das zum Grundsätzlichen.
    Und nun einige Bemerkungen zu der New-Yorker Konferenz. Immer wieder pflegt man von einer bevorstehenden internationalen Konferenz als von der zu sprechen, die nun endlich die Entscheidung über Deutschland bringen werde. Immer wieder werden in geradezu zermürbendem Rhythmus glühende Erwartungen erweckt und ent- täuscht; denn immer wieder stellt sich eine solche Konferenz als eine von 20 oder 30 Konferenzen nach Kriegsende heraus, die nur einen Schritt, meistens nur einen ganz kleinen Schritt zu einer Normalisierung der deutschen Frage vorwärts-führen. In der Nachkriegszeit, nach dem Mai 1945 bis heute, können wir eigentlich nur einen bedeutenden Einschnitt feststellen, das ist die Londoner Konferenz vom Juni 1948, deren Beschlüsse die Bildung einer westdeutschen Regierung und die Einführung einer alliierten Zivilverwaltung nach Vollendung der Verfassung bewilligten. Damit war drei Jahre nach Kriegsende ein erheblicher Schritt getan, weg von der Morgenthau-Plan-Politik, weg von der politischen und wirtschaftlichen Zerreißung Deutschlands in Zonen, weg von rein militärischen Befehlen. Dieser Schritt war der alliierten Erkenntnis über die sowjetische Politik zu verdanken, die in dem Kampf um Berlin ihre große Realisierung erfahren hat. Die dann folgen den Washingtoner Beschlüsse vom April 1949, das Petersberg-Abkommen vom Herbst 1949, die Londoner Beschlüsse vom Mai 1950 und das New-Yorker Abkommen vom September 1950 sind praktisch nur eine Fortführung der Londoner Beschlüsse vom Juni 1948.
    Während also von dem staatlichen Nullpunkt, auf den Hitler einerseits und die bedingungslose Kapitulation andererseits Deutschland bei Kriegsende gebracht haben, bis zum Juni 1948 eine beachtliche Entwicklung zu einer Normalisierung vor sich ging, während also die Alliierten in den ersten drei Nachkriegsjahren die erforderlichen Konsequenzen gezogen haben, ist in den folgenden zweieinhalb Jahren bis jetzt fast keine grundsätzliche Weiterentwicklung darüber hinaus erfolgt. Es ist eine erschütternde Feststellung, daß die Alliierten
    vom vierten bis sechsten Jahr nach dein Kriege, in denen man die Weltentwicklung nicht mehr allein auf Hitlers Schuldkonto buchen kann, sondern sich bereits die alliierten politischen Fehlentscheidungen als wesentliche Ursache abzeichnen, nicht mehr den Mut aufbrachten, zu einer völligen Normalisierung der Beziehungen mit Deutschland zu kommen, ganz abgesehen von der sittlichen Verpflichtung, 'den Völkern, die guten Willens sind, den Frieden zu geben.
    Daß man in New York 1950 im Gegensatz zu London 1948 nicht die logischen Folgerungen aus der russischen Korea-Politik gezogen hat, sondern zu geradezu nichtssagenden Beschlüssen gekommen ist, ist für das deutsche Volk tief enttäuschend. Daß man in New York immer noch am Besatzungsstatut als ultima ratio festgehalten hat, ist ebenso bequem wie unverantwortlich. Man hält noch an der These der Londoner Beschlüsse vom Mai 1950 fest, über die im offiziellen Londoner Kommuniqué folgendes steht, was ich in Ergänzung der Ausführungen von Herrn Schumacher über das Kommuniqué von New York bringen möchte:
    Deutschland kann seine Souveränität bis zu dem Grad wiedererhalten, der mit der Grundlage des Besatzungsstatuts vereinbar ist. Dieses Besatzungsstatut wurde den Deutschen und den Alliierten infolge der Teilung Deutschlands und der internationalen Länder aufgezwungen. Es kann in gemeinsamem Interesse Deutschlands und Europas erst dann außer Kraft gesetzt werden, wenn dieser Zustand geändert wird.
    Nebenbei bemerkt: man müßte es sich auf alliierter Seite endlich abgewöhnen, zu beurteilen, was das deutsche Interesse ist. Die Ausführungen erscheinen aber deshalb besonders ungerecht, wenn man zwei Absätze weiter den — ich möchte fast sagen — salbungsvollen Satz liest, daß die „Wiederherstellung der Souveränität ihres Landes nur von den Bemühungen des deutschen Volkes und denen seiner Regierung abhängt." Da ein Ende der Trennung Deutschlands in zwei Teile nicht abzusehen ist, wäre also auch das Ende des Besatzungsstatutes nicht begrenzt. Ein Besatzungsstatut verträgt sich aber nicht mit der Souveränität eines Landes. Nicht für eine Besatzung, sondern für die Garnisonen der europäischen Armee verzichten wir in gleicher Weise wie alle anderen Staaten auf Teile unserer Souveränität. Sofern noch kurze Zeit daneben eine Besatzung unterhalten werden muß, sollen vertragliche Abmachungen die Beziehungen zu ihr regeln. Wir betonen aber, daß eine Besatzung Mißtrauen bedeutet und mit einer Beteiligung Deutschlands an einer europäischen Armee und mit einer gemeinsamen Verteidigung grundsätzlich unvereinbar ist. Das Besatzungsstatut ist obsolet. Es muß in Bälde zu unerträglichen Spannungen mit dem deutschen Volk führen, wenn es nicht endlich — im sechsten Jahre nach dem Krieg — abgeschafft wird. Denn bald ist der Zeitpunkt gekommen, an dem es für eine deutsche Regierung unerträglich sein wird, unter einem einseitigen Besatzungsdiktat — und das ist jedes Besatzungsstatut — zu wirken. Die Forderungen der Alliierten auf Einreihung Westdeutschlands in die westliche Mächtegruppe einerseits und das Niederhalten Deutschlands in einer völkerrechtlich unselbständigen Art anderseits ist unlogisch, ja geradezu gefährlich. Die Verantwortung für eine falsche Entwicklung — die von jetzt an einsetzen würde — fällt auf die Alliierten. Man muß dies aber vorher


    (Dr. Seelos)

    deutlich aussprechen. Hierin könnte meiner Ansicht nach von der Bundesregierung und auch von der Opposition mehr geschehen.
    Was haben denn die Alliierten in den ersten zwei Monaten nach dem Kriegsausbruch in Korea in Westdeutschland getan? Einige zwanzig sogenannte Kriegsverbrecher wurden aus Landsberg entlassen und einige Benzinherstellungsverbote aufgehoben. Deshalb hat damals, am 24. August, die Bayernpartei den Antrag gestellt, die Bundesregierung möge endlich die Anpassung der besatzungsrechtlichen Lage an die politische Entwicklung der Welt durch Verhandlungen mit den alliierten Regierungen — nicht mit den Hohen Kommissaren — verlangen.
    Gegenüber den unbedeutenden positiven Zugeständnissen von New York haben die Alliierten gerade in den letzten Monaten entscheidende negative Eingriffe in die deutsche Wirtschaft und in die innere deutsche Verwaltung durch verschiedene alliierte Verordnungen vorgenommen, im sechsten Jahre nach Kriegsende, angesichts der bevorstehenden Neuregelung der besatzungsrechtlichen Verhältnisse, angesichts der Ereignisse in Korea. Ich verweise auf die IG-Farben-Dekartellisierung, die in den nächsten Wochen den Bundestag beschäftigen wird. Durch die Jagdverordnung in der US-Zone vom 26. August 1950 wird, zur größten Erregung der deutschen Jägerschaft, den amerikanischen Jägern die Jagdausübung in der US-Zone ohne Rücksicht auf Eigentum, auf Pacht und sonstige Abmachungen über Grund und Boden gegeben. Zur Regelung der Besatzungsschäden wurden durch eine alliierte Anweisung am 29. Juni einseitig Bestimmungen erlassen. Derartiges könnten wir aus den letzten Monaten hier noch und noch aufführen.
    Was sind das alles für psychologische Vorbereitungen auf die gleichberechtigte Einordnung Deutschlands in den Westen, wenn man nicht aufhören kann, genau wie 1945 einseitig Besatzungsverordnungen zu diktieren, ganz abgesehen von der materiellen Zweckmäßigkeit oder Nicht-Zweckmäßigkeit solcher Besatzungsverordnungen. Aus dieser unbegreiflich kurzsichtigen Einstellung der Besatzungsmächte gibt es nur eine Schlußfolgerung, die auch schon von den Vorrednern erwähnt worden ist: Besatzungsstatut und gleichberechtigte Einordnung Deutschlands in den Westen sind unvereinbar. Besatzungsstatut ist Diktat, ist Unfreiheit. Ein unfreies Volk kann nicht seine Freiheit verteidigen.
    Halb sind fast alle weiteren Beschlüsse in New York. Deutschland soll eine Revision des Besatzungsstatuts haben, aber keine Beseitigung. Deutschland soll ein Außenministerium und diplomatische Missionen erhalten, aber keine Botschaften in Washington, London und Paris. Einige Beschränkungen im Schiffsbau sollen aufgehoben werden, aber nicht alle. Weitere Beschränkungen für die Industrie sollen fallen, aber nicht alle. Die Stahlquote soll erhöht werden, aber nur unter gewissen Bedingungen und Voraussetzungen. Die Demontagen sollen beseitigt werden, aber nicht ganz.
    Das sind die Gründe, warum wir von dem New Yorker Ergebnis so tief enttäuscht sind. Wir verstehen die Ansicht Dr. Adenauers nicht, der die New Yorker Konferenz als bedeutenden Fortschritt charakterisiert hat. Denn was man dort Deutschland zugestanden hat, war ja auch ohne die Ereignisse in Korea längst in früheren Konferenzen
    in Aussicht genommen, so zum Beispiel in der letzten Londoner Konferenz im Mai 1950 die Genehmigung eines Außenministeriums. Die anderen Zugeständnisse dienen ja nur der Aufrüstung der Alliierten. Man braucht mehr Schiffe für vermehrte Transporte von Waren Lind Truppen, man braucht mehr Stahl, als man selbst herstellen kann. Es ist aber vorgesehen, daß selbst der Stahl für Exporte in Deutschland in beliebiger Höhe nur hergestellt werden kann, sofern er für die Verteidigung der westlichen Länder gebraucht wird und sofern die Zustimmung der Hohen Kommissare und des militärischen Sicherheitsamtes vorliegt. Die New Yorker Beschlüsse wären 2 Jahre früher ein Fortschritt gewesen, nicht aber jetzt. New York muß ein für alle Mal die letzte Konferenz bleiben, auf der die alliierten Außenminister über Deutschlands Schicksal ohne deutsche Beteiligung entscheiden. Denken wir doch an die Straßburger Mahnung von Churchill:
    Viele Maßnahmen werden jetzt vorgeschlagen, die, wenn sie vor 2 Jahren getroffen worden wären, mindestens einige Früchte getragen haben würden. Was heute vorgeschlagen wird und vor 2 Jahren hätte getan werden können, könnte heute zur Hälfte unseren Notwendigkeiten Rechnung getragen haben.
    Trotzdem müssen wir unsererseits eine gewisse Vorsicht walten lassen. Ich stimme Herrn Schumacher dahingehend zu, daß Vorsicht besser ist als Schnelligkeit — auf bayerisch würde man sagen: Langsam, weil's pressiert.
    Wir halten uns zu einer Kritik der New Yorker Konferenz für berechtigt, weil wir unseren Kinderglauben von 1945 an die große Einsicht und Weisheit der alliierten Entscheidungen gründlich verloren haben, 0

    (Bravo! bei der Bayernpartei)

    nachdem sich schon nach der geschichtlich so kurzen Zeit von 5 Jahren die welthistorischen, einzigartigen Fehler der Sieger von 1945 so eklatant abzeichnen; denn außenpolitisch bedeuten Jalta und Potsdam, die Zurückdrängung Westeuropas bis an die Elbe, die Vernichtung einer achthundertjährigen deutschen Kolonisation und die Vorschiebung des Slawentums bis zur Oder das Schaffen eines machtpolitischen Vakuums zwischen den beiden Weltmächtegruppen. Diese politischen Fehlentscheidungen wurden militärisch verstärkt durch die bedingungslose Kapitulation Deutschlands und die völlige Demilitarisierung Deutschlands und Japans.
    Innenpolitisch wurden die Fehler einer falschen Entnazifizierung, wie sie auf Anordnung der Alliierten erfolgen mußte, gemacht; und sie werden noch lange Zeit psychologisch nachwirken. Die Politik der Demontagen, die bis gestern niederreißen ließ, was wir heute wieder aufbauen müssen, um dem deutschen Volk die Grundlage einer wirtschaftlichen Existenz zu geben, hat nicht zu einer Hochachtung alliierter Beschlüsse beigetragen.
    Alle diese Fehler von welthistorischen Ausmaßen machen uns Mut, endlich wieder eine eigene Überzeugung zu haben und zu äußern. Es hat nach dem ersten Weltkrieg nichts genützt, daß Lloyd George bald zu einer Erkenntnis seiner Fehler von Versailles gekommen ist und nachher sein heftigster Gegner war. Es nützt uns wenig, wenn heute Churchill eine Revision der Entwicklung vertritt, die er in Jalta und in der Vorbereitung zu Potsdam selbst eingeleitet hat und für die er verantwortlich ist.




    (Dr. Seelos)

    Wir wollen deshalb den Alliierten ganz offen die Voraussetzungen für einen Wehrbeitrag Deutschlands zu der Verteidigung Europas nennen, soweit dies nach den Ausführungen der Regierungs- und Oppositionsredner noch erforderlich ist. Denn so sehr wir die Remilitarisierung Deutschlands eindeutig ablehnen, so sehr sind wir unter gewissen Bedingungen und Voraussetzungen bereit, einen Wehrbeitrag zur Verteidigung unserer Freiheit zu leisten, aber es dürfen hierzu nicht bloß militärische Voraussetzungen genannt werden, wie das der Bundeskanzler tat, sondern wir müssen weit darüber hinaus die ganze psychologische Situation klären, die die Voraussetzung für einen solchen Wehrbeitrag Deutschlands ist.
    Herr Schumacher hat in seinen verschiedenen Kundmachungen zunächst die Notwendigkeit einer völligen Sicherung Deutschlands durch eine offensive Defensive auf Grund einer entsprechenden Verstärkung der alliierten Streitkräfte und der festen Verbindung des deutschen Schicksals mit dem des Westens verlangt. Er fordert damit die Ausschaltung eines militarischen Risikos, wie sie meiner Ansicht nach gar nicht möglich ist. Viel entscheidender scheint es, die psychologischen Voraussetzungen zu schaffen, die überhaupt wieder einen Wehrwillen im deutschen Volke, der heute einfach nicht vorhanden ist, erzeugen würden. Es nützt den Alliierten nichts, wenn die Bundesregierung die Teilnahme Deutschlands abmachen würde, selbst wenn der Bundestag seine Zustimmung geben würde, wenn nicht das Volk weiß, für was es zu kämpfen hat. Um wieder ein Ziel zu haben, sind vorher eben politische, militärische, wirtschaftliche, finanzielle und soziale Voraussetzungen zu erfüllen.
    Eine politische Voraussetzung ist die Friedensregelung, aber nicht era in 4 Monaten, sondern sofort; die Ersetzung des Besatzungsstatuts durch einen Vertrag, der die Besatzungsfragen regelt, also die politische Gleichberechtigung vor Übernahme militärischer Leistungen um der militärischen Leistung Westdeutschlands willen. Hierher gehört die Erfüllung weiterer Voraussetzungen, die man fast mit einer gewissen Beschämung über die Menschheit noch im sechsten Jahr nach Kriegsende erwähnen muß. Es dürfen keine Prozesse mehr gegen Generale stattfinden, die erbitterte Feinde Hitlers waren. Es dürfen nicht länger Industrielle in Sippenhaft sitzen, weil sie Rüstungsbetriebe hatten. Es dürfen keine Auslieferungen von Deutschen gegen die Verfassung unter mangelnden strafprozessualen Voraussetzungen erzwungen werden. Die Ehre des deutschen Soldaten muß wiederhergestellt werden. Ferner muß ein gleichberechtigtes Deutschland zu allen internationalen Organisationen zugelassen werden. Deutschland darf nicht bloß Beobachter, sondern muß gleichberechtigt sein im Europarat, im Atlantikpaktrat und in der UNO.
    Eine finanzielle Voraussetzung ist es, daß für Deutschland durch den Wehrbeitrag zur Verteidigung Europas keine höheren Ausgaben und keine stärkere Belastung entstehen dürfen als bei den anderen Ländern. Die Besatzungskosten müssen auf Grund eines Besatzungsvertrages erheblich reduziert werden. Die Kasten der Europaarmee werden naturgemäß gemeinsam von den beteiligten Mächten getragen werden müssen, auch für die neuen Truppen, die nach Deutschland kommen, und für das deutsche Kontingent. Ob man einen bestimmten Anteil des Volkseinkommens oder des
    Steueraufkommens als Grundlage für die Schlüsselung nimmt, bleibt der Entscheidung eines besonderen Gremiums vorbehalten.
    Ich will hier nicht auf Details eingehen. Es ist bereits von den Vorrednern darauf hingewiesen worden, daß zu den Besatzungskosten von 4,6 Milliarden die sozialen Kriegsfolgelasten von 3,1 Milliarden und die Berliner Kosten von ca. 1 Milliarde hinzugerechnet werden müssen. Das ergibt 8,5 Milliarden. Bei einem Etat von 13 Milliarden sind das 60 °/o an Belastung, wohl die höchste Belastung aus Kriegsfolgen, die irgendein Land des Westens tragen muß.
    Es ist für ein armes Volk psychologisch verheerend, wenn man von englischer und amerikanischer Seite erklärt, daß Deutschland nun einen höheren Rüstungsbeitrag von zusätzlich 4 Milliarden zahlen muß. Woher man sie nimmt, danach fragt man nicht. Schließlich kann ein Wehrwille des deutschen Volkes nur dann vorhanden sein, wenn es in unserer leider so materialistischen Zeit für etwas zu kämpfen hat. Wenn aber ein Volk wie wir aus 5 Millionen Kriegsopfern, 8 Millionen Heimatvertriebenen und Millionen von Habenichtsen besteht, dann kann man nicht erwarten, daß dieses Volk für die materiellen Güter des Westens antritt. Es ist unmöglich, das tiefe Lebensniveau des größten Teils des deutschen Volkes mit neuen Steuern noch weiter zu senken, ein Niveau, das weit unter dem der Vereinigten Staaten, Englands und Frankreichs liegt; man würde es sonst radikalisieren und bolschewisieren. Ich möchte aber, um Mißverständnissen vorzubeugen, ausdrücklich betonen: Ich denke nicht daran, daß das deutsche Volk auch nur einen Pfennig weniger zahlen soll als die anderen Völker; man soll aber nicht von vornherein ohne eine Gesamtverschlüsselung dieser Kosten dem deutschen Volke sagen: Aufrüstung oder Beteiligung an der Verteidigung bedeutet 4 Milliarden mehr Steuern.
    Schließlich brauche ich nur zu streifen, was bereits alle Vorredner gesagt haben, daß die militärische Gleichberechtigung in einer europäischen Armee eine Selbstverständlichkeit sein muß. Eine Nichtbeteiligung von Deutschen in einer europäischen Armeeführung würde ohne weiteres Mißtrauen über die Verwendung deutscher Divisionen aufkommen lassen, die vielleicht den Eindruck bekommen könnten, im gegebenen Fall als Kanonenfutter benützt zu werden.
    Die Franzosen sollten von der Idee abkommen, Deutschland an dieser Abwehr Europas nur in der Form einer Superfremdenlegion und in Stärke von Kompanien oder Bataillonen zu beteiligen. Ein englischer Unterstaatssekretär sollte es sich abgewöhnen, Deutschland mit der Zumutung zu verletzen, es könnte am besten dadurch einen Beitrag zur Abwehr Europas leisten, daß es der weiteren Bombardierung von Helgoland zustimme. Angesichts der deutschen Wohnungsnot und der fast unlösbaren Aufgabe, die neuen Kontingente der Europa-Armee in Westdeutschland unterzubringen, wirkt es geradezu provozierend, wenn ein englischer Sprecher erklärt, die Engländer würden auch ihre Frauen mitbringen. Wir brauchen gegenüber Rußland kampftüchtige, einsatzbereite Divisionen und nicht Divisionen mit Frauen und pro Besatzungsperson vier Mann Troß, wie es bisher der Fall ist.
    Die Vereinigten Staaten zahlen Frankreich dafür, daß es seine Zustimmung zu einem Wehrbeitrag Deutschlands gibt, einige hundert Millionen Dollar;


    (Dr. Seelos)

    andererseits aber sollten sie nicht auf der New Yorker Konferenz für eine von uns gar nicht gewollte Aufrüstung als Voraussetzung verlangen, daß wir die ganzen Vorkriegsverpflichtungen und Auslandsschulden in Höhe von 3 Milliarden Mark allein für staatliche Schulden anerkennen. Wir wollen von uns aus die finanziellen Vorkriegsverpflichtungen anerkennen und ihnen nachkommen, schon um unseres künftigen Kredites willen. Aber diese Verquickung mit den politisch nichtssagenden New Yorker Beschlüssen ist falsch und könnte fast zu einer Ablehnung reizen.
    Der historische Wunsch Frankreichs nach einer Sicherung erscheint uns angesichts der weltpolitischen Lage als veraltet. Frankreich hat durch überängstliche Sicherheitsforderungen in der Zeit nach dem ersten Weltkrieg allzu viel verpaßt und nur das Gegenteil erreicht. Die beste Sicherung besteht heute in der Fortführung des Schuman-Plans, der in der Verzahnung der deutsch-französischen Wirtschaft einseitige Experimente eines Landes sowieso ausschließt. Es wäre auch falsch, von deutscher Seite mit dem Gedanken zu spielen, angesichts der Weltrüstungskonjunktur und der Ausweitung der deutschen Stahlproduktion nicht mehr auf eine solche Vereinbarung angewiesen zu sein. Der damalige Schritt Frankreichs war so kühn und politisch für die Überwindung des deutsch-französischen Gegensatzes von solcher Bedeutung, daß wir niemals die Idee des wirtschaftlichen Schuman-Plans aufgeben oder verwässern dürfen. Allerdings bedeutet es eine Gefährdung der einheitlichen europäischen Front, den wirtschaftlichen Schuman-Plan zur Voraussetzung für die militärische Zusammenarbeit zu machen. Nicht Koppelung, wie Herr Schumacher sagte, aber man soll diese zwei Probleme gleichzeitig lösen.
    Eine weitere Sicherung scheint uns in der Erhaltung und Verstärkung des föderalistischen Staatsaufbaues in Deutschland zu liegen. Gerade in Süddeutschland lehnt man jedes Wiedererstehen eines preußisch-deutschen Generalstabs, des preußisch-deutschen Militarismus, einer preußisch-deutschen Armee ab. Darum haben wir volles Verständnis für die Wünsche Frankreichs. Daraus ergibt sich auch, daß eine landsmannschaftliche Gliederung der deutschen Divisionen nötig ist.

    (Lachen bei den Regierungsparteien und bei der SPD.)

    Hätten wir in der Hitlerzeit geschlossene bayerische Divisionen gehabt, dann wäre es 1943 mit dem Hitlerregime aus gewesen.

    (Anhaltende Heiterkeit und Unruhe im ganzen Hause. — Abg. Rische: Die bayerische Theorie vom Widerstand!)



Rede von Dr. Carlo Schmid
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Meine Damen und Herren, der Redner hat gebeten, ihm die Zeit, in der Sie sich unterhalten haben, auf seine Redezeit anzurechnen.

(Abg. Dr. Baumgartner: Sie wollen doch keine deutsche Armee?! — Erneute große Heiterkeit. — Zuruf aus der Mitte: Aber eine bayerische! — Glocke des Präsidenten. — Abg. Dr. Baumgartner: Sehr interessant! Sie wollen eine deutsche Armee!)

— Herr Abgeordneter Baumgartner, das Wort hat
Ihr Kollege Dr. Seelos.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Gebhard Seelos


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (BP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BP)

    Die Furcht Frankreichs entspringt auch dem Gedanken, daß es durch den Willen zur Rückeroberung der verlorenen deut-
    schen Gebiete in einen Krieg gegen den Osten durch Deutschland gezwungen werden könnte. Die Schweizer Zeitschrift „Die Tat" schreibt hierzu folgenden Satz:
    „Eine deutsche Armee, die zwangsläufig unter den Ostflüchtlingen rekrutiert würde, wäre eine Befreiungsarmee mit dem Ziel einer Rückgewinnung des Ostens."
    Tatsächlich wird es wohl erforderlich sein, darauf zu achten, daß nicht die Heimatvertriebenen ein Übergewicht in diesen deutschen Divisionen des Europa-Kontingents erhalten,

    (Heiterkeit)

    um nicht einer erneuten nationalistischen Tendenz die Zügel freizugeben.

    (Heiterkeit links.)

    Wenn wir oben die Voraussetzungen geschildert haben, unter denen eine Befriedung der Welt möglich erscheint — und sie erscheint nur möglich durch eine gleichberechtigte Einordnung Deutschlands und durch die Mobilisierung der Kraftreserven Deutschlands für die Verteidigung des Westens —, tun wir das nicht etwa in der Überzeugung, daß wir es uns in unserer Lage zwischen den zwei Weltmachtgruppen leisten können, Bedingungen zu stellen. Der bekannte maßgebliche Berater der amerikanischen Regierung in außenpolitischen Fragen, John Foster Dulles, hat in seinem im Mai dieses Jahres erschienenen Buch „Krieg und Frieden" über die Möglichkeiten Deutschlands folgendes ausgeführt:
    Niemals zuvor hat ein so zahlreiches — zwischen 60 und 70 Millionen — und potentiell so mächtiges Volk eine so einzigartige Gelegenheit gehabt, zwischen zwei entgegengesetzten Gruppen Vorteile auszuhandeln. Wenn die Deutschen wiederum mit dem sowjetrussischen Kommunismus zusammengehen würden, wie sie es Ende 1939 taten, würde diese Verbindung Europa hinwegfegen. Der Sieg einer sowjetisch-deutschen Allianz würde so sicher sein, daß es tatsächlich zweifelhaft wäre, ob hier irgendein organisierter Widerstand stattfinden würde. Das ist der Preis, den ein erstarktes nationales Deutschland Sowjetrußland bieten kann, zu einem bestimmten Preis.
    Ein erstarktes Deutschland könnte auch ein großer Gewinn für den Westen sein. Ein erstarktes nationales Deutschland hat dem Westen viel zu bieten, zu einem bestimmten Preis.
    Wir lehnen es ab, unsere Zwischenlage in solcher Weise auszuhandeln, weil es für uns ein Zusammengehen mit Sowjetrußland einfach nicht gibt. Man soll aber von seiten der Westmächte endlich aufhören, Deutschland in der Eigenschaft eines Siegers diktatorisch zu behandeln, es mit falschen Wirtschaftsmaßnahmen, mit fortgesetzten Demontagen auch heute noch weiter zu schwächen und es gleichzeitig stark machen zu wollen. New York ist praktisch die Fortsetzung der Demontagepolitik, aufs Politische übertragen einerseits: die politischen Hilfen, die wir bekommen, und andererseits: die Fortsetzung von Morgenthau's Politik, die wir noch immer feststellen können. Es ließe sich zu dem Problem noch mehr sagen; aber ich möchte mich darauf beschränken, das Grundsätzliche hier herauszugreifen.
    Erlauben Sie mir aber, noch einen Gedanken zu äußern, der mir für die bessere Zukunft des deutschen Volkes von entscheidender Bedeutung zu sein scheint. Mögen sich die Parteien gemäß


    (Dr. Seelos)

    ihren verschieden gearteten wirtschaftlichen, finanziellen und sozialen Interessen, hinsichtlich einer zentralistischen oder föderalistischen Gruppierung, einer Gruppierung von Heimatvertriebenen und Einheimischen usw. in verschiedenen Parteien organisieren und auseinandersetzen, — hinsichtlich unserer Außenpolitik sitzen wir doch nun einmal im selben Boot. Ob Arbeitgeber oder Arbeitnehmer, ob Bayer oder Schleswiger, sie alle haben gleich zu leiden, wenn infolge unserer sichtbaren nationalen Uneinigkeit die noch immer bestehenden und gerade vom Ausland so sehr erkannten außenpolitischen Möglichkeiten nicht gemeinsam genutzt werden. Wenn der mächtigste Staat der Welt, wenn die Vereinigten Staaten von Amerika es für richtig halten, in der Außenpolitik eine „bipartite", also eine Zweiparteienpolitik zu treiben und und bei internationalen Konferenzen auch der Opposition eine wesentliche Vertretung zuzubilligen, so muß es dem deutschen Volk und der Welt einfach unverständlich erscheinen, daß in außenpolitischen Fragen nicht eine enge Zusammenarbeit und eine einheitliche Linie nach außen erreichbar ist. Wenn man die Reden von Herrn Dr. Schumacher im Radio oder heute gehört hat, wenn man die Ausführungen des Herrn Bundeskanzler gehört hat, so muß man doch sagen: im Wesentlichen und Grundsätzlichen in außenpolitischen Fragen ist die Haltung doch nicht so verschieden, daß man nicht eine einheitliche Linie finden könnte, und ich appelliere nachdrücklich an die Bundesregierung und an die Opposition, in außenpolitischen Fragen zusammenzugehen und vor allen Dingen auch der Opposition die Informationen zu geben, so daß sie sich nicht immer überrumpelt fühlen muß. Das ist der größte Dienst, den man überhaupt dem deutschen Volk leisten kann. Dann wird die gleichberechtige Einordnung Deutschlands leichter und schneller vor sich gehen, und die noch immer prekäre wirtschaftliche und soziale Lage des deutschen Volkes wird sich rasch bessern, ebenso schnell sich auch die Einigung und die Integrierung Westeuropas erreichen lassen, die ja auch nach dem Herrn Bundeskanzler und nach dem Oppositionsführer das Ziel der deutschen Politik ist. Diese Integrierung Westeuropas wird sich dann in viel rascherem Tempo vollziehen, als es bisher bedauerlicher- und verhängnisvollerweise geschehen ist.

    (Lebhafter Beifall bei der Bayernpartei.)