Die Furcht Frankreichs entspringt auch dem Gedanken, daß es durch den Willen zur Rückeroberung der verlorenen deut-
schen Gebiete in einen Krieg gegen den Osten durch Deutschland gezwungen werden könnte. Die Schweizer Zeitschrift „Die Tat" schreibt hierzu folgenden Satz:
„Eine deutsche Armee, die zwangsläufig unter den Ostflüchtlingen rekrutiert würde, wäre eine Befreiungsarmee mit dem Ziel einer Rückgewinnung des Ostens."
Tatsächlich wird es wohl erforderlich sein, darauf zu achten, daß nicht die Heimatvertriebenen ein Übergewicht in diesen deutschen Divisionen des Europa-Kontingents erhalten,
um nicht einer erneuten nationalistischen Tendenz die Zügel freizugeben.
Wenn wir oben die Voraussetzungen geschildert haben, unter denen eine Befriedung der Welt möglich erscheint — und sie erscheint nur möglich durch eine gleichberechtigte Einordnung Deutschlands und durch die Mobilisierung der Kraftreserven Deutschlands für die Verteidigung des Westens —, tun wir das nicht etwa in der Überzeugung, daß wir es uns in unserer Lage zwischen den zwei Weltmachtgruppen leisten können, Bedingungen zu stellen. Der bekannte maßgebliche Berater der amerikanischen Regierung in außenpolitischen Fragen, John Foster Dulles, hat in seinem im Mai dieses Jahres erschienenen Buch „Krieg und Frieden" über die Möglichkeiten Deutschlands folgendes ausgeführt:
Niemals zuvor hat ein so zahlreiches — zwischen 60 und 70 Millionen — und potentiell so mächtiges Volk eine so einzigartige Gelegenheit gehabt, zwischen zwei entgegengesetzten Gruppen Vorteile auszuhandeln. Wenn die Deutschen wiederum mit dem sowjetrussischen Kommunismus zusammengehen würden, wie sie es Ende 1939 taten, würde diese Verbindung Europa hinwegfegen. Der Sieg einer sowjetisch-deutschen Allianz würde so sicher sein, daß es tatsächlich zweifelhaft wäre, ob hier irgendein organisierter Widerstand stattfinden würde. Das ist der Preis, den ein erstarktes nationales Deutschland Sowjetrußland bieten kann, zu einem bestimmten Preis.
Ein erstarktes Deutschland könnte auch ein großer Gewinn für den Westen sein. Ein erstarktes nationales Deutschland hat dem Westen viel zu bieten, zu einem bestimmten Preis.
Wir lehnen es ab, unsere Zwischenlage in solcher Weise auszuhandeln, weil es für uns ein Zusammengehen mit Sowjetrußland einfach nicht gibt. Man soll aber von seiten der Westmächte endlich aufhören, Deutschland in der Eigenschaft eines Siegers diktatorisch zu behandeln, es mit falschen Wirtschaftsmaßnahmen, mit fortgesetzten Demontagen auch heute noch weiter zu schwächen und es gleichzeitig stark machen zu wollen. New York ist praktisch die Fortsetzung der Demontagepolitik, aufs Politische übertragen einerseits: die politischen Hilfen, die wir bekommen, und andererseits: die Fortsetzung von Morgenthau's Politik, die wir noch immer feststellen können. Es ließe sich zu dem Problem noch mehr sagen; aber ich möchte mich darauf beschränken, das Grundsätzliche hier herauszugreifen.
Erlauben Sie mir aber, noch einen Gedanken zu äußern, der mir für die bessere Zukunft des deutschen Volkes von entscheidender Bedeutung zu sein scheint. Mögen sich die Parteien gemäß
ihren verschieden gearteten wirtschaftlichen, finanziellen und sozialen Interessen, hinsichtlich einer zentralistischen oder föderalistischen Gruppierung, einer Gruppierung von Heimatvertriebenen und Einheimischen usw. in verschiedenen Parteien organisieren und auseinandersetzen, — hinsichtlich unserer Außenpolitik sitzen wir doch nun einmal im selben Boot. Ob Arbeitgeber oder Arbeitnehmer, ob Bayer oder Schleswiger, sie alle haben gleich zu leiden, wenn infolge unserer sichtbaren nationalen Uneinigkeit die noch immer bestehenden und gerade vom Ausland so sehr erkannten außenpolitischen Möglichkeiten nicht gemeinsam genutzt werden. Wenn der mächtigste Staat der Welt, wenn die Vereinigten Staaten von Amerika es für richtig halten, in der Außenpolitik eine „bipartite", also eine Zweiparteienpolitik zu treiben und und bei internationalen Konferenzen auch der Opposition eine wesentliche Vertretung zuzubilligen, so muß es dem deutschen Volk und der Welt einfach unverständlich erscheinen, daß in außenpolitischen Fragen nicht eine enge Zusammenarbeit und eine einheitliche Linie nach außen erreichbar ist. Wenn man die Reden von Herrn Dr. Schumacher im Radio oder heute gehört hat, wenn man die Ausführungen des Herrn Bundeskanzler gehört hat, so muß man doch sagen: im Wesentlichen und Grundsätzlichen in außenpolitischen Fragen ist die Haltung doch nicht so verschieden, daß man nicht eine einheitliche Linie finden könnte, und ich appelliere nachdrücklich an die Bundesregierung und an die Opposition, in außenpolitischen Fragen zusammenzugehen und vor allen Dingen auch der Opposition die Informationen zu geben, so daß sie sich nicht immer überrumpelt fühlen muß. Das ist der größte Dienst, den man überhaupt dem deutschen Volk leisten kann. Dann wird die gleichberechtige Einordnung Deutschlands leichter und schneller vor sich gehen, und die noch immer prekäre wirtschaftliche und soziale Lage des deutschen Volkes wird sich rasch bessern, ebenso schnell sich auch die Einigung und die Integrierung Westeuropas erreichen lassen, die ja auch nach dem Herrn Bundeskanzler und nach dem Oppositionsführer das Ziel der deutschen Politik ist. Diese Integrierung Westeuropas wird sich dann in viel rascherem Tempo vollziehen, als es bisher bedauerlicher- und verhängnisvollerweise geschehen ist.