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ID0109804100

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Deutscher Bundestag — 98. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. November 1950 3563 98. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 8. November 1950. Geschäftliche Mitteilungen 3563B Entgegennahme einer Erklärung der Bundesregierung (Beitrag der Bundesrepublik Deutschland zur Verteidigung des Westens, Pleven-Plan und Vorschlag der Sowjetregierung zur Einberufung der Außenministerkonferenz der vier Großmächte) 3563C Dr. Adenauer, Bundeskanzler 3563D, 3621D Aussprache über die Erklärung der Bundesregierung 3567B Dr. Schumacher ,(SPD) . . . 3567B, 3620C Frau Wessel (Z) 3576D Dr. Seelos (BP) 3582A von Thadden (DRP) 3587B Schuster (WAV) 3590C Dr. Richter (Niedersachsen) (parteilos) 3591B Dr. Doris (parteilos) 3593A Rische (KPD) 3594A Dr. Leuchtgens (DRP) 3599C Clausen (SSW) 3600D Fröhlich (BHE) 3601B Dr. Schäfer (FDP) 3602A Dr. von Merkatz (DP) 3608D Dr. von Brentano (CDU) 3615A Nächste Sitzung 3622C Die Sitzung wird um 13 Uhr 13 Minuten durch den Präsidenten Dr. Ehlers eröffnet.
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    Rede von Dr. Hans-Joachim von Merkatz


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (DP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, daß es sich angesichts der sehr ernsten Frage, die zur Aussprache gestellt worden ist, empfiehlt, weder irgendwelchen Theaterdonner zu veranstalten, noch Krokodilstränen zu weinen. Wir haben die Aufgabe, uns die Lage zu vergegenwärtigen, und der Ausgangspunkt unserer Diskussion muß sein, daß ein Beitrag zur Verteidigung von uns zur Zeit noch nicht verlangt und von der Regierung auch nicht angeboten worden ist.

    (Abg. Rische: Stimmt ja gar nicht!)

    Die Regierung hat ihre Auffassung dargelegt. Es ist hier fälschlicherweise davon gesprochen worden, daß es sich um einen Entschließungsentwurf


    (Dr. von Merkatz)

    handle. Es handelt sich aber hier nicht um ein Instrument, das in diesem Hause irgendwie der Gegenstand einer Beschlußfassung sein könnte. Es handelt sich um ein Resümee, in dem die Regierung ihre Auffassung klar dargelegt hat. Wer dieses Dokument aufmerksam liest, wird darin sehen, daß die Regierung nichts weiter getan hat, als das Spiel zu eröffnen.

    (Zuruf von der SPD: „Spiel" ist gut!)

    Sie hat mit keinem Wort irgendeine Position dahingehend bezogen, w i e sie sich die Durchführung und Gestaltung der Dinge denkt.

    (Sehr richtig! bei der CDU.)

    Ich glaube, daß die Kontroverse, die in diesem Hause ausgetragen worden ist, irgendwie von falschen Voraussetzungen ausgegangen ist. Es geht hier bei der, Debatte zunächst nur um das Ob , aber in keinem einzigen Punkt um das W i e , und wenn Sie das Resümee der Regierung aufmerksam lesen, so werden Sie erkennen, daß über das Wie keinerlei Festlegung erfolgt. Das Wesentliche, worauf es der Regierung angekommen ist, ist die Festsetzung der Grundsatzentscheidung, die eigentich in ihrem Inhalt nichts weiter bedeutet, als daß man das Staatsbewußtsein und die Bereitschaft zum Staat auch zu realisieren bereit sein muß in der Bereitschaft, diesen Staat zu verteidigen. Das ist an sich eine selbstverständliche Grundsatzentscheidung. Wie sollte man den Anspruch auf Freiheit und auf Gleichberechtigung erheben können, wenn man nicht bereit ist, Freiheit und Gleichberechtigung durch Übernahme der Pflichten und Verantwortungen konkret zu erfüllen?
    In einem gesunden Staate würde bei einer Frage von solch vitaler Bedeutung die Opposition mit der Regierung auf das engste zusammenwirken. Es wäre im Grunde genommen ein Spiel mit verteilten Rollen, in dem der Opposition die Aufgabe zufällt, alle die Bedenken aufzuführen, die von einer Regierung in der konkreten Lage vielleicht nicht vorgebracht werden können. Wenn man die Rede der Opposition analysiert, so findet sich, wenn man den Wahlspeck davon abziehen will, nach außen ein verklausuliertes Ja und innenpolitisch ein sehr lautes Nein. Wir teilen viele der Bedenken, die die Opposition vorgebracht hat; aber wir können uns in einem grundsätzlichen Sinne der Methodik nicht anschließen, die die Opposition als die richtige verkündet hat.
    Es sind hier einige Selbstverständlichkeiten angesprochen worden. Es wurde davon gesprochen, daß der Geist der Kapitulation immer noch vorherrsche und in der Praxis der Entscheidungen vorherrschen würde. Das ist in mancher Hinsicht richtig. Aber die Aufgabe, die sehr mühevolle Aufgabe, der sich unsere Regierung zu unterziehen hat, ist ja gerade die, den Geist der Kapitulation zu beseitigen, das heißt mitzuwirken, damit ein Gedanke der Solidarität entsteht, damit ein Geist unter den Völkern der freien Kultur in dem Sinne entsteht, daß die Interessen des einen Volkes von dem andern als die eigenen Interessen empfunden werden und umgekehrt. Das läßt sich sehr leicht sagen, aber es ist ein überaus mühevoller Weg, der hier zu beschreiten ist und der nur in sehr nüchternem Sinne beschritten werden kann. Ohne aber den Glauben und den Idealismus an die Möglichkeit einer solchen Ordnung, wie sie sich aus der Gesamtlage der Dinge ergibt, ohne an eine solche Ordnung zu glauben, ohne den inneren Schwung und die Bereitschaft, diesen Weg zu
    gehen, läßt sich bei aller Zähigkeit ein so großes und schwieriges Werk nicht vollbringen.
    Es ist viel Kritik an der Politik der Regierung in dieser vitalen Frage geübt worden. Aber blicken wir doch einmal zurück. Es ist noch nicht lange her, da wurde in der Weltmeinung diskutiert, Europa müsse an den Pyrenäen verteidigt werden; und dann wenige Zeit später hat man darüber diskutiert, daß man es am Rhein verteidigen könne. Man dachte da an irgendein Dreieck, dessen eine Spitze mitten in Frankreich lag, dessen andere Spitze in Skandinavien und dessen dritte Spitze ungefähr bei München lag. Nun sind wir immerhin — und das ist ein Verdienst der Regierung — so weit gekommen, daß man einsieht, daß Europa verteidigt werden muß und nur verteidigt werden kann in der Erhaltung der Substanz Deutschlands.
    Wir sollten doch unter allen Umständen bei unseren Erwägungen auf diesem Gebiet Rücksicht nehmen auf unsere Deutschen in der sowjetisch besetzten Zone.

    (Sehr wahr! rechts.)

    Was bedeutet es für diese Menschen, wenn sie Äußerungen hören müssen, wie sie der Pastor und Kirchenpräsident Niemöller gemacht hat!

    (Abg. Frau Kalinke: Sehr gut!)

    Es bedeutet doch die letzte Verlassenheit! Es ist eine ganz hohe Verantwortung dieses Hauses, der Regierung und aller, diesen Menschen, die da dem unmittelbaren Terror des sowjetischen Systems, des kommunistischen Systems ausgesetzt sind, doch wenigstens die Gewißheit zu geben, daß wir uns hier nicht in irgendeiner nihilistischen Verneinung gehen lassen.

    (Lebhafter Beifall bei der DP.)

    Es ist in der Rede der Opposition eine vollkommene Verschiebung der Situation vorgenommen worden, indem von der von der Regierung vorgelegten Auffassung, die ja nur eine Diskussionsgrundlage soll, als von einem Fundament gesprochen worden ist, als ob irgend etwas in dieser Frage bereits präjudiziert wäre.

    (Sehr richtig! bei den Regierungsparteien. Zurufe vonder SPD: Ja eben!)

    Es ist nichts präjudiziert. Aber eines ist notwendig: Wenn das deutsche Volk nicht in der Lage ist, zu sagen: wir sind bereit, wir haben die innere moralische Kraft, uns zu verteidigen, dann glaubt man diesem Volke überhaupt nicht, daß es einen Staat habe.

    (Sehr richtig! bei der CDU. — Beifall bei der DP.)

    Ich bin der Auffassung und teile hier die strategischen Gesichtspunkte, die dargelegt worden sind: es ist der Unterschied zwischen uns und England und den Vereinigten Staaten, daß bei uns gewißlich die erste Schlacht das Drohende ist und für die anderen erst die Entscheidung in der letzten Schlacht gebracht wird. Aber es ist doch der ganze Sinn der von der Regierung verfolgten Politik — und das tritt ganz klar in dem Resümee der Regierungserklärung zutage —, eine Möglichkeit zu suchen für die Sicherung des Friedens. Es ist eine Frage von hohem Verdienst, daß man in dieser schwankenden Zeit rechtzeitig auf dieses Problem hingewiesen hat. Soweit ich unterrichtet bin, hat dieses Ansprechen der Frage der Sicherheit und damit die Mobilisierung der Energien — ja nicht nur der deutschen, sondern in einem europäischen Sinne — wesentlich dazu beigetragen, in der


    (Dr. von Merkatz)

    Ostzone die beharrlichen und zum Widerstand gegen die Überwältigung bereiten Geister festzuhalten und ihnen irgendwo eine Hoffnung zu geben.

    (Zustimmung und lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Machen wir uns doch über die beiden Dinge nichts vor. Was heißt das hier: Man soll sich versagen in einer festen Haltung? — Im Grunde genommen sind doch diese Dinge, ob verteidigt wird oder nicht, objektive Tatsachen, die dem Willen der Menschen der einen oder der andern Partei, dem einen oder dem andern Politiker überhaupt nicht untertan sind. Es sind objektive Dinge, mit denen wir uns ohne Krokodilstränen und ohne das falsche Pathos irgendeines Ressentiments auseinandersetzen müssen: mit allem Maß, mit aller Vorsicht und unter gar keinen Umständen irgendwie gedrängt und überhastet.
    Gewiß, Deutschland steht schon geographisch und als ein zerstörtes Land mit ungleich mehr Opfern anders da. Um so wichtiger, um so vitaler ist es, diese Frage anzusprechen. Wenn auf unserer Seite nicht die geringste Vorstellung über die Lösung dieses Problems vorhanden wäre, wie sollten wir dann verlangen, daß die anderen die Dinge für uns lösen? Dies ist doch der Beweis dafür, daß wir wieder da sind. Was heißt das: das Gewicht von 45 Millionen? Menschen sind keine Masse; sie sind nicht nur eine Quantität. Die Quantität allein tut hier gar nichts. In mein Weltbild von den politischen Vorgängen paßt das nicht hinein. Wenn man etwas erreichen will, muß man auch in sich selbst eine klare Initiative entwickeln. Sonst wird man von den Ereignissen überfahren, und es ist dann nicht die Frage, ob wir Ja oder Nein sagen, sondern es könnte sich die Frage ergeben, ob jemand das russische Gewehr über die Schulter nimmt.

    (Sehr richtig! bei der DP.)

    Denn darüber wollen wir uns doch klar sein: ob man in Erdhöhlen oder in festen Häusern lebt, alles, was laufen kann, muß für die Leute drüben Munition karren oder kämpfen und wird um das letzte Restchen der eigenen Selbstachtung gebracht. Insofern glaube ich, daß es keinerlei Patentrezept dafür gibt, diese Fragen zu lösen, sondern daß eine innere moralische Bereitschaft, eine innere Gesundheit unserer Ordnung hervorgebracht werden muß, damit wir fähig sind, in ein System der Verteidigung eingegliedert zu werden, das uns und die anderen schützt. Allerdings muß dann auch bei uns wie bei den andern die Gesinnung Platz greifen, daß das Wohl und Wehe der andern als das eigene empfunden wird. Das ist durchaus möglich.
    Wenn man das innerpolitische Nein der Opposition analysieren will, so fällt einem dabei ein Wort auf. Es ist von der Gefahr der Restauration gesprochen worden. Welch merkwürdige Vorstellung: Gefahr der Restauration! Was soll restauriert werden? Es hat keinen Sinn — mein Herr Vorredner hat das bereits sehr eindringlich gesagt in der Vergangenheit zu wühlen and gegenseitig Ressentiments herauszustellen. Aber eines steht doch für jeden einsichtigen Menschen fest: Wenn man ein supranationales Verteidigungssystem und nicht nur einen leblosen Apparat bauen will, dann bedarf es dazu der Schaffung tiefster Grundlagen. Es ist ein Vorgang von dem gleichen geschichtlichen Rang wie nach 1806, als ein Scharnhorst etwas völlig Neues in den geistigen Grundlagen aus der Tiefe des Volkes schuf. Es werden hier Wesensbezirke angesprochen, die weit tiefer liegen, als wir es uns vorstellen. In der Bewältigung dieser Aufgabe liegt doch jene wirkliche Erneuerung unseres Abendlandes, sich zusammenzufinden in Formen der Zusammenarbeit, in denen eine echte Solidarität gegeben ist. Aber ohne daß wir daran mitschaffen, in uns den Ideengehalt entwickeln und dann diesem Ideengehalt folgend auch praktisch handeln, wird dies niemals entstehen können.
    Ich glaube, daß es in entscheidenden Stunden der Geschichte immer darauf ankommt, über den eigenen Schatten zu springen. Wir haben zunächst in unserem eigenen Hause die Entscheidung für uns zu fällen, ob wir über unseren Schatten springen können, ob wir in der Lage sind, die Großlinigkeit einer Idee in die praktische Tat umzusetzen. Wenn wir gerade als ein besiegtes Volk dieses Beispiel geben und darin die Kraft der Erneuerung finden, dann habe ich die Hoffnung, daß es sich nicht um eine Vorleistung handelt, sondern um ein Beispiel, das die guten Kräfte, deren Träger ¿a genau so denken wie wir, auch in den anderen Ländern zu dieser Idee bringt. Ich glaube, daß gerade wir als ein besiegtes Volk in der Lage sind, geistig diese große Wandlung zu vollziehen. Gerade das, was die Vertriebenen erlebt haben, diese ungewöhnliche Konfrontierung eines jeden einzelnen mit den Schicksalsmächten, mit dem Elementaren, kann und wird in uns einen Geist mobilisieren, der uns dazu befähigt, jene Großzügigkeit der Idee in die Tat umzusetzen.
    Ich möchte den Unterschied, der zwischen der Auffassung der Opposition und unseren eigenen Gedankengängen zutage getreten ist, einmal kurz zu kennzeichnen versuchen. Es ist bei der Sozialdemokratie nicht nur heute, sondern auch schon früher die These der Passivität vertreten worden. Ich will es nicht nur so absprechend charakterisieren. Es ist die Theorie, das deutsche Volk müsse sich versagen und durch das Fegefeuer eines solchen Versagens gehen, weil die Dinge auf es zureifen würden. Es ist so etwas wie eine Dignität des Sichversagens entwickelt worden, eine sehr gefährliche Theorie; denn wenn man sich bemüht, sie etwas einfacher auszudrücken, dann ist es die Theorie: ohne uns. Da ist dann kein Unterschied festzustellen. Aber wie soll etwas Konstruktives auf dieser Erde entstehen, wenn man nichts anderes zu sagen hat als Verneinung?
    Dann ist von einer Illusion gesprochen worden. Was ist nun mehr eine Illusion, die Bereitschaft zur Mitarbeit oder die doch sehr abstrakte Vorstellung einer Freiheit und Gleichberechtigung? Die Verweigerung der Verteidigungsbereitschaft ist Verneinen des Staates, der staatlichen Existenz.

    (Widerspruch bei der SPD. — Abg. Mellies: Sie haben sehr schlecht zugehört, Herr Dr. von Merkatz!)

    Wir sind der Auffassung, daß man den Vorgang der echten Legitimierung vollziehen muß. Gewiß, das Grundgesetz ist zunächst einmal ein Geschenk, ein Apparat, der uns kraft der Londoner Empfehlungen zur Verfügung gestellt wurde. Meine politischen Freunde haben die Auffassung vertreten, daß es darauf ankomme, eben diesen verfassungsmäßigen Zustand von innen heraus durch die Leistung zu legitimieren, es eben nicht bei einem Apparat, bei einem Provisorium bewenden zu lassen, sondern hier den Kern zu schaffen und aus eigener Kraft trotz des Geschenks von außen wieder zur Dignität eines Staates zurückzukommen, d. h. die Kraft zu entwickeln, den deutschen Gesamtstaat wieder zu ermöglichen und damit die Anziehungs-


    (Dr. von Merkatz)

    kraft, die dieser Kernbereich, der in Freiheit sich selbst verwirklicht, ausstrahlt. Ich bin der Überzeugung, daß die Legitimität, die immer für jedes staatliche Handeln verlangt wird, nur aus dem Innersten des Volkes kommen kann. Nichts wird verliehen, nichts wird geschenkt, es sei denn, wir erwerben es uns selbst.
    Ich bin nun genötigt, einige juristische Fragen anzusprechen, da die Behauptung der Opposition, daß jeder deutsche militärische Beitrag zu irgendeinem Verteidigungssystem verfassungändernden Charakter habe, der ganz präzisen Widerlegung bedarf. Zunächst ist grundsätzlich zu sagen, daß diese Auffassung von dem sogenannten formellen Verfassungsbegriff ausgeht. Es kann aber nicht erwartet und nicht gefordert werden, daß sich die Verfassungsurkunde über alle Verhältnisse ausspricht, die zu der elementaren Grundordnung eines Staatsvolkes gehören. Die materielle Verfassungswirklichkeit hat den höheren Rang, und es ist klar, daß bei der Existenz der Londoner Empfehlungen, bei den Memoranden der Militärgouverneure, bei den Grenzen, die das Genehmigungsschreiben der Militärgouverneure gesetzt hat, und bei den Grenzen, die das Besatzungsstatut setzte, nicht alle Fragen mit der Deutlichkeit gekennzeichnet werden konnten, wie sie für ein vollständiges Staatswesen notwendig wäre. Es liegt aber — und damit folge ich der Grundkonzeption meiner politischen Freunde — im Wesen dieses Grundgesetzes, daß es der Entfaltung fähig ist, um jedes Stück der ruhenden Souveränität unseres Landes auch wieder in feste Hände nehmen zu können.
    Ich muß einen juristischen Unterschied machen zwischen dem Begriff der obersten Gewalt, die als Rechtsgrundlage unseres Besatzungszustandes gilt, und der Souveränität. Diese oberste Gewalt hat ihren Ursprung im völkerrechtlichen Kriegsrecht. Sie hat keinerlei Beziehung zur deutschen Souveränität, die weder treuhänderisch noch sonst von auswärtigen Machten wahrgenommen werden kann. Die Souveränität ruht ausschließlich bei uns und kann einem Volke nicht genommen werden. Nicht in jedem Stadium dieser Rückentwicklung zur vollen Gleichberechtigung als Staat ist es möglich, einen konstituierenden, einen verfassungsgesetzgebenden Akt zu machen. Das spricht das Grundgesetz ganz klar aus. Denn im Art. 146, dem letzten Artikel des Grundgesetzes, wird darauf hingewiesen, daß dieses Grundgesetz gelten soll, bis das gesamte deutsche Volk eine Verfassung in freier Entscheidung beschließt. In dieser systematischen Stellung des Art. 146 in Verbindung auch mit der Präambel des Grundgesetzes ist angedeutet, daß wir in der Zeit der Geltung des Grundgesetzes Stück für Stück einen geduldigen, beharrlichen Weg fortzuschreiten haben, indem uns Teil um Teil unserer bei uns ruhenden Souveränität wieder freigegeben wird. Bis es möglich ist, daß das deutsche Volk in seiner Gesamtheit in freier Entscheidung den verfassungsgesetzgebenden Akt vollzieht, bleibt es aufgefordert, in freier Selbstbestimmung die Einheit und Freiheit Deutschlands zu vollenden. Jeder Schritt. der auf dem Wege der Vollendung dieser vollen Staatlichkeit geschieht, liegt nach dem Willen des Verfassungsgesetzgebers im Rahmen der für uns bis dahin geltenden grundgesetzlichen Ordnung. Daraus ergibt sich die Verfassungswirklichkeit, die das eigentlich Gestaltende in sich schließt, alle Maßnahmen vorwärts zu tragen, die erforderlich sind, Stück für Stück die an uns zurückfallende Selbstbestimmung zu ergreifen mit dem Ziel, den deutschen Gesamtstaat wieder zu vollenden und die Voraussetzung für die Erhaltung der deutschen Substanz zu gewährleisten. Auch wenn sich das Grundgesetz über die Frage der äußeren Verteidigung gänzlich ausgeschwiegen hätte, was nicht der Fall ist, würde die Verteidigung und auch die Vorbereitung einer Verteidigung ohnehin zu den elementaren Grundrechten und Grundpflichten des Staatswesens gehören.
    Insofern kann von einem Naturrecht der Notwehr, das die Gesamtheit des Staatsvolkes besitzt, ausgegangen werden. Dr. Dehler hat in der 48. Sitzung des Hauptausschusses des Parlamentarischen Rates am 9. Februar 1949 die Feststellung getroffen, daß kein Volk ein Recht habe, sich der Pflicht zu seiner Verteidigung zu entziehen. Auf Grund des Antrages von Herrn Dr. Dehler, der angenommen worden ist, kann man diese Auffassung als eine grundsätzliche Auffassung des Parlamentarischen Rats und damit des Verfassungsgebers feststellen.

    (Hört! Hört! rechts.)

    In den Beratungen des Parlamentarischen Rates ist jedoch die Möglichkeit zukünftiger bewaffneter Zusammenstöße durchaus nicht unerwähnt geblieben. Obwohl die Militärgouverneure in ihrem Memorandum vom 2. März 1949 dem Parlamentarischen Rat zu verstehen gaben, daß letzten Endes sie für die Sicherheit verantwortlich sind, hat der Parlamentarische Rat nicht die Auffassung vertreten, daß das deutsche Volk auf seine eigene Verteidigung verzichten müsse oder hierfür keine Vorbereitungen treffen solle. Es ist in diesem Zusammenhang auch nicht der Gedanke aufgetaucht, daß es in einem späteren Stadium einer erneuten Verfassungsgesetzgebung oder eines Appells an das Staatsvolk bedürfe. So sind denn auch diese Gedankengänge in verschiedenen Formulierungen des Grundgesetzes mit hinreichender Deutlichkeit zum Ausdruck gekommen. Schon in den ersten Worten der Präambel heißt es, daß dieses Grundgesetz beschlossen und damit eine staatliche Ordnung errichtet würde, um die nationale und staatliche Einheit zu wahren. Zur Wahrung der staatlichen Einheit gehört aber auch heute noch die Verteidigungsbereitschaft. In Art. 1. Abs. 1 des Grundgesetzes heißt es, daß die Verpflichtung aller staatlichen Gewalt in dem Schutz der Menschenwürde besteht. Die Menschenwürde kann aber auch vor allem durch äußere Angriffe auf die Gesamtheit gefährdet sein, und gerade dann ist der' Staat zu ihrem Schutz verpflichtet. Der Herr Bundeskanzler hat bereits den Art. 4 Abs. 3 erwähnt, wo vom Kriegsdienst mit der Waffe die Rede ist. Diese Bestimmung kann nur einen Sinn haben, wenn man von der logischen Voraussetzung ausgeht, daß sogar die Begründung einer Kriegsdienstpflicht nach dem Grundgesetz möglich und zulässig ist. Nach Abs. 3 des Art. 4 soll das Nähere durch ein einfaches Bundesgesetz geregelt werden. Eine solche bundesgesetzliche Regelung, wie hier ausdrücklich stipuliert ist, ist entweder nur als Teil eines allgemeinen Bundesgesetzes über das Verteidigungswesen oder als nachfolgen des Sondergesetz nach vorheriger Regelung des Verteidigungswesens denkbar.

    (Sehr richtig! rechts.)

    Mit welcher Realistik und gleichzeitig mit welch großer Humanität der Parlamentarische Rat diese Fragen angesehen hat, geht aus den einschlägigen Äußerungen des Herrn Bundespräsidenten Dr. Heuß, des Herrn Vizepräsidenten des Bundestages Dr. Schmid und des Herrn Staatssekretärs Dr. Eberhard auf der 43. Sitzung des Hauptausschusses des Parla-
    3612 Deutscher Bundestag — 98: Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. November 1950

    (Dr. von Merkatz)

    mentarischen Rates vom 18. Januar 1949 hervor. Ich halte es für richtig und für notwendig, daß in dieser Stunde auf die wörtlichen Texte zurückgegriffen wird. Der Herr Bundespräsident, damaliger Abgeordneter Heuss, hat damals zu der Frage der Verteidigung, des Kriegsdienstes sehr grundsätzliche, richtungweisende Ausführungen gemacht. Er hat gesagt:
    Ich habe .... in diesen Dingen die Empfindung, man muß sehen, mit sch selber im Reinen zu ble ben. .... Die allgemeine Wehrpflicht ist das legitime Kind der Demokratie;

    (Beifall rechts.)

    seine Wiege stand in Frankreich.
    Und dann zum Schluß:
    Wenn man schon Demokratie machen will, muß
    man auch das Funktionelle der Demokratie anerkennen und den Mut haben, es auszusprechen.
    Herr Vizepräsident Professor Schmid hat als
    nächster Diskussionsredner dazu gesagt:
    Unter diesem Gesichtspunkt gesehen, könnte dieser Artikel vielleicht auch akzeptiert werden, wenn man grundätzlich zu der Frage der Demokratie und der Pflicht, sie zu verteidigen,

    (Abg. Schoettle: Richtig!)

    steht wie Sie, Herr Kollege Dr. Heuss.
    - Er tritt also der Auffassung des Herrn Bundespräsidenten bei. —
    Wenn Sie glauben, daß im Falle eines Krieges wegen dieses Artikels
    -- es handelt sich um die Kriegsdienstverweigerung —
    ein billiger Verschleiß von Gewissen stattfinden würde, dann bezweifle ich, ob das richtig ist.
    Herr Dr. Eberhard, auch SPD-Abgeordneter, hat dazu gesagt:
    Ich glaube durchaus, daß man weder die Demokratie noch den Frieden unter allen Umständen durch ein Bekenntnis zum Frieden oder durch ein Bekenntnis zur Kriegsdienstverweigerung verteidigen kann.

    (Hört! Hört! rechts.)

    Man hat also absolut deutlich und klar das Problem gesehen, so wie es liegt.

    (Abg. Schoettle: Darüber streiten wir uns gar nicht!)

    In Art. 24 — ich kann es Ihnen nicht erlassen, diese meine Ansicht hier darzulegen - ist von einem System kollektiver Sicherheit ausdrücklich die Rede, ganz in der Form, wie es gegenwärtig geplant wird. Der Bund hat im Art. 24 des Grundgesetzes im voraus seine Bereitwilligkeit erklärt, sich in ein solches System einzuordnen und die sich hieraus ergebenden Verpflichtungen mit unmittelbarer Verbindlichkeit zu übernehmen. In Art. 26 des Grundgesetzes wird ausdrücklich nur die Vorbereitung eines Angriffskrieges als verfassungswidrig erklärt. Demnach liegen Maßnahmen zur Verteidigung durchaus im Rahmen der Verfassung.
    Die oben erwähnte Äußerung des Justizministers Dr. Dehler in der 24. Sitzung des Parlamentarischen Rates ist im Zusammenhang mit einer Beschlußfassung getan worden, durch die das Wort „Angriffskrieges" bewußt an die Stelle des Wortes „Krieges" gesetzt wurde. Der Hauptausschuß hat diesen Beschluß mit 14 gegen 3 Stimmen gefaßt, also auch mit den Stimmen der Sozialdemokratie. Es kann also keine Rede davon sein, daß sich unser Verfassungsgesetzgeber mit dem Problem der äußeren Verteidigung nicht auseinandergesetzt habe und daß er keine entsprechende Regelung in das Grundgesetz hineingeschrieben habe. In Art. 26 Abs. 2 ist außerdem vorgesehen, daß die Herstellung und Beförderung von Kriegswaffen unter gewisser Kontrolle zulässig ist.
    Ich halte es nun für meine Pflicht, ergänzend die Genesis des Art. 24 zu bringen.

    (Abg. Zinn: Das ist die Rede eines Uk.-Gestellten! Darum handelt es sich doch gar nicht!)

    Die Fraktion der Sozialdemokratischen Partei bestreitet dem gegenwärtigen Bundestag das Recht, in dieser Frage, d. h. in Ausführung des Art. 24, zustimmend zu entscheiden, weil zur Zeit seiner Wahl das Problem noch nicht sichtbar gewesen sei und es sich nicht um die normale politische Willensbildung, sondern um eine Entscheidung handle, die das Wesen der Bundesrepublik von Grund auf verändere. Diese Auffassung steht mit dem Grundgesetz und der Entstehungsgeschichte des Art. 24 in eklatantem Widerspruch. Es waren gerade die sozialdemokra`ischen Vertreter, die bei diesem Artikel d e politische Entscheidung, die mit ihm getroffen wird, herausgearbeitet haben.

    (Hört! Hört! und Sehr gut! rechts.)

    Herr Dr. Seebohm, mein Parteifreund, vertrat die Meinung, daß darin eine Strukturänderung des Grundgefüges des Bundesstaates liege, weil die Übertragung von Hoheitsrechten zugleich die Hoheit der Länder berühre. Diese Auffassung ist ausdrücklich abgelehnt worden.

    (Hört! Hört! in der Mitte und rechts.)

    Ich möchte dazu - das ist notwendig - doch auf die Stellen zurückgreifen, in denen die Meinungen zum Ausdruck kommen. Zunächst hat Professor Schmid zu diesem Problem gesprochen. Er hat Besag t:
    Die grundsätzliche Entscheidung, ich möchte sagen, die Entscheidung vom Rang einer Verfassungsbestimmung soll nicht bei den einzelnen Akten, sondern schon in. dem Augenblick, in dem wir das Grundgesetz beschließen, als eine Entscheidung allgemeiner und fundamentaler Art getroffen werden.

    (Hört! Hört! rechts.)

    Der Abgeordnete Dr. Katz sagte weiter:
    Die Pointe ist gerade die, daß es durch einfaches Gesetz geschehen kann.

    (Hört! Hört! rechts.)

    Darin sehen wir den Fortschritt. Wir wollen uns her aus Anlaß dieses Grundgesetzes bereits grundsätzlich bereit erklären, eventuell in ein derartiges System
    - also der kollektiven Sicherheit —
    einzutreten.

    (Hört! Hört! rechts. Zuruf von der DP: Wetterfahne!)

    Ferner hat Herr Dr. Katz gesagt:
    Das ist eine außerordentlich wichtige Entscheidung. Diese Bestimmung hat also nur Sinn, wenn wir uns jetzt schon darauf festlegen, daß wir bereit sind, Hoheitsrechte auf zwischenstaatliche Einrichtungen zu übertragen, sobald der Augenblick gekommen ist.

    (Hört! Hört! rechts.)

    Herr Staatssekretär Dr. Eberhard hat gesagt: Wenn wir diesen Absatz so annehmen, wie er hier steht, ist es eine sehr schöne Antwort auf das, was die französische Republik in der Prä-


    (Dr. von Merkatz)

    ambel ihrer neuen Verfassung sagt. Es heißt
    dort, daß Frankreich einer Begrenzung der
    Souveränität zustimmt, die für die Organisation
    und die Verteidigung des Friedens notwendig ist.
    Dann hat die Kommunistische Partei einen Antrag gesteilt. Ich muß das anführen, um den Sinn und die Tragweite vollkommen klarzustellen. Herr Renner wollte in diesen Artikel hineingeschrieben haben:
    daß dieses System nicht der Vorbereitung eines Krieges dient und keine militärischen Hilfeleistungen irgendwelcher Art von der Republik oder ihren Angehörigen gefordert oder erwartet werden.
    Dieser Antrag des Abgeordneten Renner wurde abgelehnt.
    Auf einen Antrag des Abgeordneten Menzel, der den Begriff „kollektive Sicherheit" — was ja immerhin ein technischer und im Völkerrecht völlig klargestellter Begriff ist — durch den Begriff „gemeinsame Sicherheit" ersetzen wollte, hat Professor Schmid folgendes gesagt:
    Ich möchte kurz etwas zu dem Antrag Dr. Menzel bemerken, statt „gegenseitiger kollektiver Sicherheit" „gemeinsamer Sicherheit" zu sagen. Ich möchte bitten, diesen Antrag aus folgendem Grund zurückzuziehen. Der Begriff „kollektive Sicherheit" ist ein Terminus technicus, unter welchem etwas ganz Bestimmtes verstanden wird. Der Ausdruck „gemeinsame Sicherheit" entspricht einem indifferentiellen Sprachgebrauch, unter dem man sich das Verschiedenste vorstellen kann. Unter „kollektiver Sicherheit" ist etwas ganz Präzises zu verstehen, eine Institution aus dem großen Gebiet des Kriegsverhütungsrechts, das in den modernen Lehrbüchern als besonderer Abschnitt des Systems des positiven Völkerrechts behandelt zu werden pflegt.

    (Sehr gut! und Hört! Hört! rechts.)

    Professor Schmid sagt weiter:
    „Kollektive Sicherheit" ist ein genau so klar umrissener Terminus wie im Bürgerlichen Recht der Ausdruck „ungerechtfertigte Bereicherung".
    Herr Dr. Menzel hat seinen Antrag aufrechterhalten. Dieser Antrag ist aber abgelehnt warden.
    So ist in den Text unseres Grundgesetzes die Bestimmung des Art. 24 hineingekommen:
    Der Bund kann sich zur Wahrung des Friedens einem System gegenseitiger kollektiver Sicherheit einordnen; er wird hierbei in die Beschränkungen seiner Hoheitsrechte einwilligen, die eine friedliche und dauerhafte Ordnung in Europa und zwischen den Völkern der Welt
    - Atlantikpakt! —
    herbeiführen und sichern.
    Das ist, glaube ich, die ganz klare Genesis, die auch in der zweiten Lesung dieses Artikels aufrechterhalten wurde.
    In der zweiten Lesung sagt der Abgeordnete Dr. Eberhard, auch ein Angehöriger der SPD:
    Wir geben uns hier eine verfassungsmäßige Ordnung, genannt Grundgesetz. Wir haben in erster Lesung ausführlich darüber gesprochen, ob wir ein einfaches Gesetz vorsehen wollen, und wir haben uns dazu entschlossen, im Grundgesetz zu sagen, daß durch einfaches Gesetz Hoheitsrechte
    - in ein kollektives Sicherheitssystem

    (Abg. Dr. Schmid übertragen werden können, um unsere Bereitschaft eindeutig festzulegen, in der europäischen Ordnung und in der friedlichen Ordnung der Welt unsere Rolle dadurch zu spielen, daß wir es leicht machen, Hoheitsrechte auf zwischenstaatliche Einrichtungen zu übertragen. Ich bin dafür, daß wir dabei bleiben. Und man blieb dabei! Damit ist die Kompetenz des Bundestags, gemäß Art. 24 zu verfahren, eindeutig klargestellt, und es bedeutet eine erhebliche Irreführung der öffentlichen Meinung, zu behaupten, diese Probleme seien zur Zeit der Wahl dieses Bundestages nicht sichtbar gewesen. (Beifall in der Mitte und rechts. Zuruf von der SPD: Sie haben doch schwarz-weiß-rot gewählt!)


    (Zuruf von der SPD: So etwas vorzulesen!)

    Sie sind sichtbar seit Yalta und Potsdam.
    Wenn der Sozialdemokratie jetzt in der Frage der Verteidigung der Freiheit der Atem ausgeht und sie den Appell an den Nihilismus unserer Zeit versucht, um dem, was sie an Entscheidung selbst klar gesehen hat, im Mantel eines, wie ich sagen muß, falschen nationalen Pathos auszuweichen, um daraus, wie sie ja hofft, parteitaktische Wahlvorteile zu ziehen,

    (Sehr gut! rechts)

    also einen Appell an den Wahlspeck zu machen, so können wir uns darüber nur außerordentlich wundern.

    (Sehr gut! rechts.)

    Der Umfall in ihrer Haltung, verglichen mit ihrer klaren Linie im Parlamentarischen Rat, ist jedenfalls als eine Krisenerscheinung allerersten Ranges zu notieren.

    (Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien. — Zurufe von der SPD.)

    — Ich glaube, daß meine Rede nicht so sehr humoristisch ist. Der Stoff, der Gegenstand ist keineswegs humoristisch. Jedenfalls empfinde ich es als sehr wenig humoristisch, obwohl es ans Groteske streift, wenn es in dem Brief des Herrn Kirchenpräsidenten Niemöller

    (Zurufe von der SPD)

    nein, es ist nicht falsch gelesen, Sie können es nachlesen — heißt

    (Zuruf von der SPD)

    — ich glaube, daß ich das Problem zu gut erfasse! —, es halte sich hartnäckig die Behauptung, daß zwischen dem Bundeskanzler usw. eine Abmachung über die Verteidigung bereits bestehe und daß dann dieselben Männer, die hier eine völlig klare, logische Linie bezogen haben und sich damals dazu bekannt haben, in ein System kollektiver Sicherheit einzutreten, nun die Dinge vollkommen umdrehen.

    (Zurufe rechts.)

    Das deutsche Volk wünscht nichts sehnlicher als den Frieden und hat als Ziel einer deutschen Friedenspolitik, alle Deutschen in wahrer innerer und äußerer Freiheit zusammenzuführen. Angst und Unentschlossenheit fordern einen kommunistischen Angriff geradezu heraus. Eine klare, mutige und unzweideutige Politik in der Frage der Sicherheit tut not. Eine solche Politik ist in erster Linie eine Angelegenheit der Alliierten und der atlantischen


    (Ur. von Merkatz)

    Gemeinschaft. Dabei gehört es für ein freies Volk zu den Selbstverständlichkeiten, bereit zu sein den Boden der Heimat zu verteidigen.

    (Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Das sind eigentlich metapolitische Tatsachen.

    (Abg. Rische: Aggressionsvorbereitungen! — Gegenruf rechts: Der weiß auch alles!)

    Die Bundesrepublik hat sich weder anzubieten noch zu versagen, sondern zu ihrem Teil die Gewähr zu geben, daß im Bereich ihrer Zuständigkeit alle Bedingungen gesetzt werden, die einen wirksamen Schutz durch die Mächte der atlantischen Gemeinschaft erleichtern. In der Erkenntnis, daß die Erneuerung eines deutschen Staates nur aus der Bereitschaft für Europa erwachsen kann, fühlen wir uns mit den besten Kräften des deutschen Volkes darin einig, daß jeder Schritt gerechtfertigt ist, der dazu beitragen kann, Sicherheit und Freiheit aller freiheitliebenden Völker zu fördern. Wir bekennen uns zu einer europäischen Gemeinschaft, zu gleichem Opfer und zu gleichem Nutzen, zu gleichen Pflichten und zu gleichen Rechten.

    (Zuruf links: Unter der Flagge schwarzweiß-rot!)

    Die Bereitschaft, Europa zu verwirklichen, schließt notwendig auch die Bereitschaft ein, Europa zu verteidigen. Den Mächten der atlantischen Gemeinschaft muß klargemacht werden, daß Deutschland nicht als Vorfeld mißbraucht werden darf. Mit der Vernichtung der deutschen Substanz wäre Europa ebenso zerstört wie mit der Vernichtung des französischen oder irgendeines anderen europäischen Volkes. Wir müssen der Gefahr ganz ruhig gegenübertreten und ihr ins Auge blicken.
    Ein deutscher Beitrag kann aber nur wirksam werden, wenn die westliche Welt die. moralische und praktische Wende in ihrem Verhältnis zum deutschen Volk so aufrichtig vollzieht, wie auch das deutsche Volk dazu bereit ist. Fragen der Verteidigung rühren an das innerste Wesen des Staates. Sie dürfen nicht Gegenstand der Parteipolitik und der Wahlagitation sein.

    (Sehr gut! rechts.)

    Keine deutsche Regierung ist legitimiert, deutsche Staatsbürger in einen Helotenbeitrag zu verstrikken. Der Soldat muß der Fahne und darf nicht der Gulaschkanone verpflichtet sein.

    (Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Er muß wissen, wofür er kämpft. Diese Fahne, diese Idee kann nur die europäische sein.

    (Zurufe links.)

    Noch weht die europäische Fahne nicht, noch herrschen teilweise Mißtrauen, nationaler Eigennutz, und noch und das ist ein besonderes Anliegen meiner politischen Freunde — ist die Diffamierung des deutschen Soldaten nicht wiedergutgemacht.

    (Sehr richtig! rechts.)

    Ich stehe auf dem Standpunkt, daß die Ehre des deutschen Soldaten durch nichts gekränkt werden kann.

    (Lebhafte Rufe: Sehr gut! und Händeklatschen bei den Regierungsparteien.)

    Die Ehre des deutschen Soldaten ist für uns unantastbar und steht fest.

    (Bravorufe.)

    Aber auch der Versuch, ehrenwerte Männer unter zum Tel unwürdigen Verhältnissen in Hait zu halten, bedarf des Widerspruchs, und es bedarf wirklich einer tatkräftigen Handlung — ich möchte
    das in aller Ruhe hier vorbringen —, um den Deutschen diese Last von der Seele zu nehmen. Denn darüber sind wir uns doch klar: Männer wie Manstein, wie Kesselring und andere, die in Landsberg und Werl einsitzen, diese Männer und wir, wir sind doch eines. Wir haben doch das mitzutragen, was man ihnen, stellvertretend für uns, auferlegt.

    (Zuruf des Abg. Rische.)

    Man schaffe die moralischen und praktischen Voraussetzungen in Europa, damit der ehrliche Wille und die geschichtliche Einsicht in die Fehler und die Schuld auch der deutschen Vergangenheit die besten deutschen Kräfte vereinigt mit einer entschlossenen europäischen und atlantischen Politik in der Notwendigkeit, durch Stärke und Zusammenarbeit die Gefahren eines dritten Weltkrieges zu bannen.
    Wir begrüßen es lebhaft, daß der Kerngedanke der Regierungserklärung der gewesen ist: Sicherung des Friedens. Starke alliierte Truppenverbände müssen an der Elbe stehen, die eine weitere Ausbreitung des Sowjetismus hindern und deren Vorhandensein eine Revision in der Aggressionspolitik der östlichen Welt einleiten wird. Man stärke die Bundesrepublik in ihrer friedlichen Absicht, den deutschen Menschen ein lebenswertes Leben zu ermöglichen. Man gebe Sicherheit und Beweise des guten Willens sowie des Vertrauens, die den deutschen Menschen Hoffnung verleihen, den Weg der Arbeit wad des zähen Fleißes fortzusetzen, um die Wunden zu heilen und so einen Beitrag für die Gesundung der Welt zu leisten.
    Man nenne unsere Sorge um die deutschen Menschen im Osten, die dem kommunistischen Regime ausgesetzt sind, nicht Revisionismus. Deutschland will nicht in der Verblendung von einst wiederkehren, sondern als Glied des vereinigten Europas. Das deutsche Volk lebt in der Erkenntnis neuer Horizonte einer besseren Welt, die mit der Verwirklichung der europäischen Gemeinschaft heraufkommen wird.
    Wir alle haben die Besten dahingehen sehen; wir alle haben unsere Gräber draußen. Uns bleibt in dunkelster Stunde der deutschen Geschichte die Aufgabe, eine Nachtwache zu halten,

    (Zuruf von der SPD: Bundesnachtwächter!)

    um zu behüten und zu bewahren, was Inhalt unserer Menschenwürde ist. Wir haben vor die Schwachen, die Verzweifelten und vor die Bedenkenlosen hinzutreten, um sie zu schützen vor Unbedacht und Gehenlassen — sei es mit den Gefühlen ohnmächtigen Nationalismus' gepaart —, oder vor der Versuchung zu bewahren, als käufliche Menschen alles zu verraten, was uns allein zukommt: Beharrung und Selbstverwirklichung.
    Ich bin mit meinen politischen Freunden im Angesicht eines furchtbaren Gegners ganz ruhig. Diese Ruhe ist dem deutschen Volke lebensnotwendig und ist mit der wichtigste Beitrag, daß wir unser Dasein erhalten: uns nicht einschüchtern zu lassen, weder durch die Methoden der direkten Aggressionsdrohung noch durch die indirekten Methoden des Nervenkrieges.
    Wir beklagen es tief, daß sich so viele Deutsche im Osten als Helfershelfer eines Systems gefunden haben, das seine willkürliche Utopie aller Welt gewaltsam aufzwingen will, um diese Erde einer kleinen Cliqué machthungriger Menschen botmäßig zu machen. Es ist nicht das erste Mal, daß wir Europäer uns solchen Bedrohungen gegenübersehen. Ohne uns geht es nicht. Wir setzen der Parole des „ohne uns" oder des „ohne mich" ganz bewußt die Forderung entgegen: mit uns.


    (Dr. von Merkatz)

    nicht nur für uns, sondern für eine Welt freier
    Völker, die begriffen haben, daß der größere Horizont, die Selbstbereinigung nationalistischer Instinkte das Tor für eine Ordnung öffnet, die den
    Schlußstein in die Verwirklichung der sozialen
    Forderungen und Verpflichtungen setzt, die uns in
    diesem rätselhaften Jahrhundert aufgegeben sind,

    (Zuruf von der SPD: S i e sind rätselhaft! — Weitere Zurufe — Glocke des Präsidenten)

    daß aus der Summe unermeßlicher Brutalität und
    Lüge ein neues Gesetz menschlichen Daseins gebären wird. Unser Volk steht in Gefahr, die Richtung
    zu verlieren. Bei dem Thema, das heute hier besprochen worden ist, handelt es sich um eine echte
    Führungsaufgabe. Gebe Gott uns und unserem
    Volk die Kraft, daß wir unserer Pflicht genügen!

    (Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.— Zurufe links. — Gegenrufe rechts.)



Rede von Dr. Hermann Ehlers
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. von Brentano.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Heinrich von Brentano


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Meine Damen und Herren! Am 16. Dezember 1949 hatte ich den Auftrag, namens der Fraktion der Regierungskoalition folgende Erklärung abzugeben:
    Das deutsche Volk ist von dem Krieg und seinen Folgen auf das schwerste getroffen. Es muß daher alle moralischen und materiellen Kräfte zusammenfassen, um seine staatliche Lebensform zu erneuern, um seine Wirtschaft wiederaufzubauen und so seinen Volksangehörigen gesunde Lebensmöglichkeiten zu schaffen. Wir können die Hoffnung nicht aufgeben, daß es den Siegermächten gelingen möge, nach dem Kriege endlich auch den Frieden zu gewinnen. Ein neuer Krieg würde die Lebenshoffnungen des deutschen Volkes begraben. Dem deutschen Volke liegt daher der Gedanke an eine Wiederaufrüstung fern. Deutschland, räumlich und geschichtlich ein Bestandteil des abendländischen Kulturkreises, hat den Willen, entsprechned seinem Grundgesetz als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen und seine menschliche Freiheit zu wahren.
    Meine Damen und Herren! Diese Erklärung hat auch bis zum heutigen Tag in keinem Satz und in keiner Nuance an Gültigkeit verloren.

    (Sehr richtig! bei den Regierungsparteien. — Abg. Rische: Es wird doch gerüstet!)

    Aber nichts zeigt in eindringlicherer und, wie ich sagen muß, erschütternderer Weise die Krise, in der unsere Welt steht, als die Tatsache, daß wir uns heute mit der Frage beschäftigen müssen, ob und enter welchen Bedingungen Deutschland bereit ist, sich an der Verteidigung der gemeinsamen europäischen Freiheit zu beteiligen.
    Wenn wir über diese Frage sprechen, dann sollten wir so, wie es auch der Herr Bundeskanzler in seiner Erklärung getan hat, eines immer wieder an die Spitze stellen: den Ruf nach dem Frieden. Ich glaube, das Schicksal, das die letzten zwei Kriege nicht nur über Europa, sondern .über die Welt gebracht haben, hat sich an keinem Volk und in keinem Volk so eindringlich vollzogen wie dem deutschen.

    (Abg. Frau Dr. Weber [Essen]: Sehr richtig!)

    Es gibt kein Volk — heute morgen hat Herr Dr. Schumacher die erschütternden Zahlen genannt —, das so unmittelbar und so schwer gelitten hat wie das deutsche. Deswegen sollte man in der Welt auch
    nicht erstaunt sein, wenn man auf die Frage nach einer Beteiligung Deutschlands an einer gemeinsamen Verteidigung nicht etwa ein begeistertes Ja aus dem Munde der Deutschen hört. Aber wenn wir immer wieder mit allem Nachdruck und mit tiefem Ernst den Wunsch nach Frieden aussprechen, weil wir wissen, daß wir mit den gigantischen Aufgaben, die die Vergangenheit uns hinterlassen hat und die die Gegenwart uns täglich neu stellt, nur fertig werden konnen, wenn wir sie in Frieden lösen können, wenn wir diesen Ruf immer wieder erschallen lassen und immer wieder zum Ausdruck bringen, daß uns für den Frieden nichts, kein Opfer zu schwer werden dürfe, dann sollte man an der Ehrlichkeit einer solchen Erklärung nicht zweifeln. Ich habe es bedauert, daß gerade Herr Dr. Schumacher, als er für sich und seine Freunde diesen Wunsch nach dem Frieden für das deutsche Volk betonte - und ich glaube, jeder von uns hat ihm die Ehrlichkeit dieses Wunsches geglaubt —, in diesem Zusammenhang für die andern die Ehrlichkeit dieses Wunsches zu bezweifeln für richtig hielt.

    (Abg. Dr. Schmid [Tübingen]: Das hat er nicht gemacht!)

    — Ich habe die Erklärung so verstanden.

    (Zuruf von der SPD: Dann haben Sie sie falsch verstanden!)

    — Ich bin erfreut, aus diesem Zwischenruf zu hören, daß es nicht so gemeint war; aber ich glaube, ich war es nicht allein, der diese Nuance so verstehen zu müssen glaubte. Ich glaube, wir sollten uns über diese Dinge in dieser Weise grundsätzlich nicht unterhalten; denn gerade hier wird jede Nuance im Ausland mit größter Aufmerksamkeit verfolgt, und wir sollten denen, bei denen noch Mißtrauen übrig ist, nicht die Möglichkeit geben, neues Mißtrauen zu schöpfen. Wir sollten denen, die gerne solche Andeutungen hören, um sie dann propagandistisch mißbrauchen zu können, auch nicht den Stoff liefern.

    (Zuruf von der SPD: Das tun Sie jetzt! — Gegenruf von der CDU: Dumm!)

    Meine Damen und Herren! Wenn ich an die Spitze meiner Ausführungen in dieser Debatte den ernsten Wunsch nach der Erhaltung des Friedens stelle und wenn ich sage, daß wir nichts tiefer bedauern als die Notwendigkeit, zu dieser Stunde eine solche Diskussion führen zu müssen, dann lassen Sie mich dazu sagen, daß wir es als eine verhängnisvolle Weltfremdheit betrachten würden, wenn wir gegenüber den Ereignissen — nicht nur der jüngsten Vergangenheit — etwa die Augen schließen und so tun wollten, als sei Deutschland, als sei der Bestand der Bundesrepublik nicht in Gefahr; wenn wir so tun wollten, als könnten wir mit einer Vogel-Strauß-Politik eine echte Gefahr beseitigen, wenn wir so tun wollten, als könnten wir mit einem solchen Glauben Wunder wirken. Es ist unsere Aufgabe, die Dinge nicht nur zu sehen, sondern auszusprechen; und ich begrüße es, daß diese Diskussion heute stattfindet. Sie war notwendig, denn in der Öffentlichkeit haben mancherlei nicht immer vorbedachte Erklärungen starke Beunruhigung geschaffen, und ich habe den Eindruck, daß mancher Kommentar gegeben wurde, bevor sich derjenige, der ihn gab, der Tragweite klar bewußt war, ja daß sogar mancher Kommentar zu Erklärungen .gegeben wurde, bevor die Erklärung im Wortlaut überhaupt vorlag.

    (Abg. Kunze: Sehr richtig!)

    Ich glaube, wir hätten alle — ich nehme niemanden aus — der Sache besser gedient, wenn wir


    (Dr. von Brentano)

    uns mit etwas mehr Ruhe, mit etwas mehr Bedachtsamkeit zu diesen Problemen geäußert hätten; wenn wir verstanden hätten, daß Millionen des deutschen Volkes gerade eine Aussprache über eine solche Lebensfrage mit der größten Aufmerksamkeit verfolgen und daß jede falsche Nuance, daß jeder falsche Zugenschlag hier Millionen von Menschen wieder in Sorgen, in Angst und in Not stürzen kann.

    (Lebhafter Beifall bei der CDU.)

    Ich habe mit Aufmerksamkeit die Ausführungen des Herrn Kollegen Dr. Schumacher gehört. Ich darf ihm sagen, ,daß die Einwendungen, daß die Vorbehalte, die aus seinen Worten klangen, weitgehend auch die unseren sind. Ich glaube, wir sollten auch über diese Dinge hier sehr offen sprechen, denn ich habe doch den Eindruck, daß eine solche Aussprache vieles klären kann.
    Wenn ich den Gesamteindruck der Debatte vorwegnehme — und, meine Damen und Herren, ich glaube, mich da nicht zu irren —, dann möchte ich doch sagen: die überwiegende Mehrheit des Hauses genau wie die überwiegende Mehrheit des deutschen Volkes ist sich des Ernstes der Stunde bewußt und ist im Innersten bereit, einen Beitrag zur Verteidigung seiner Freiheit zu leisten, weil es weiß, daß es ohne Freiheit nicht leben kann und nicht leben wird.

    (Zustimmung in der Mitte und rechts.)

    Nun — um auf einzelne Einwände einzugehen — lassen wir uns in dieser Entscheidung wirklich nicht von irgendwelchen moralisierenden Betrachtungen oder gar Belehrungen anderer beeinflussen. Ich glaube aber, wir sollten nicht so ängstlich sein und nun jeden Artikel in irgendeiner Zeitung heranziehen, wenn wir andere Beispiele haben. Wir tun doch vielleicht dem amerikanischen Volke unrecht, wenn wir seine Einstellung zu diesen Dingen nur aus einem Artikel in der „Neuen Zeitung" entnehmen zu können meinen. Wir sollten uns vielmehr hier einmal einer, Rede erinnern, die der Präsident der Vereinigten Staaten noch vor wenigen Wochen anläßlich des fünften Jahrestages der Vereinten Nationen gehalten hat, einer Rede, von der ich sagen möchte, daß sie wirklich von tiefstem sittlichen Ernst getragen war, einer Rede, die, glaube ich, jeder von uns vollinhaltlich zu unterschreiben bereit ist. Lassen Sie mich einen Satz zitieren:
    Ich glaube,
    — sagte der Präsident Truman —
    daß sich die Völker der Welt auf die Vereinten Nationen verlassen, um zwei große Ziele erreichen zu können. Sie erhoffen von ihnen Hilfe bei der Verbesserung ihrer Lebensbedingungen, und sie verlassen sich darauf, daß die Vereinten Nationen ihre tiefe Sehnsucht nach Frieden erfüllen werden. Diese zwei Ziele sind eng verbunden. Ohne Frieden ist es unmöglich, Fortschritte in der Verbesserung der Lebensbedingungen für alle zu erzielen. Ohne Fortschritte in der Wohlfahrt der Menschen werden die Grundlagen des Friedens unsicher bleiben. Darum können wir es uns niemals leisten, eine dieser Aufgaben auf Kosten der anderen zu vernachlässigen.
    Meine Damen und Herren, ich glaube nicht, daß man hierin ein falsches Moralisieren erblicken kann. Hier wird das ausgesprochen, was auch unser Wunsch ist. Hier wird — das halte ich für besonders bedeutungsvoll — mit eindeutiger Klarheit auch das ausgesprochen, was meine Überzeugung
    ist: daß wir die innere und die soziale Sicherheit niemals von der äußeren Sicherheit trennen können.

    (Abg. Dr. Schäfer: Sehr gut! — Abg. Frau Dr. Weber: Sehr richtig!)

    Es ist klar: Wir können zur Erhaltung des Friedens einen entscheidenden Beitrag leisten, wenn wir alles und das Letzte tun, um unserem deutschen Volk auch das Gefühl der Sicherheit in sich zu geben; wenn wir das Letzte tun, um die Lebensbedingungen des deutschen Volkes zu verbessern, wenn wir den Lebensstandard so gestalten, daß das deutsche Volk noch weiter und noch stärker gegen das Gift von Osten immunisiert wird.

    (Sehr richtig! in der Mitte.)

    Aber es erinnert mich doch an irgendwelche sektiererhafte Vorstellungen, wenn irgendwelche Intellektuelle in den letzten Wochen manchmal glaubten, daß das der einzige Beitrag sei, den wir leisten müßten, und daß wir mit diesem Beitrag den Frieden des deutschen Volkes garantieren könnten. Ich erinnere hier an einen Satz, den Friedrich Naumann vor vielen Jahrzehnten gesagt hat und der heute sicherlich genau so gültig ist wie damals: „Was nützen die besten Sozialgesetze, wenn die Kosaken kommen!"

    (Zustimmung in der Mitte.)

    Ich stimme auch mit dem, was Herr Dr. Schumacher sagte, vollkommen überein, wenn er betonte, wir sollten aus der Angst vor dem Osten kein Instrument der Propaganda machen. Nun, ich kann ihm versichern, daß wir uns in unseren Entscheidungen durch eine solche Angstpsychose nicht beeinflussen lassen,

    (Sehr richtig! in der Mitte)

    daß wir vielmehr entschlossen sind, ohne solchen Angstvorstellungen nachzugeben, das Nötige zu tun, um den Frieden und die Freiheit zu sichern. Wir haben auch nicht die Nerven verloren, und für mich ist die Fragestellung, ob heile Menschen oder ob Krüppel bolschewisiert werden sollten, unbegreiflich.

    (Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Ich lehne diese Alternative ab; sie erinnert mich an die Fragestellung, ob der Selbstmord dem Tode vorzuziehen sei.

    (Heiterkeit in der Mitte. — Widerspruch bei der SPD.)

    Ich glaube aber, daß wir noch folgendes dazu sagen sollten: Es ist hier darüber diskutiert worden, ob Deutschland sich bereit erklärt habe, ob die deutsche Bundesrepublik sich bereit erklären dürfe, einen Beitrag zur allgemeinen Sicherheit zu leisten. Es ist kritisiert worden, daß vielleicht in den Äußerungen der Bundesrepublik eine solche Bereitschaft zum Ausdruck gekommen sei, eine Bereitschaft, die man mit einem Angebot vergleichen könne, obwohl die Voraussetzungen für eine Beantwortung der Frage noch nicht gegeben seien. Auch hier ein Wort zur Klärung. Ich glaube, daß es sich nicht darum handeln kann, daß man uns auf das anredet, was wir für den Krieg zu tun bereit sind, sondern wir sind bereit, uns nur darauf ansprechen zu lassen, was wir für den Frieden tun wollen. Auf diese Frage allerdings glaube ich, sollten wir ohne Vorbehalt die Antwort geben: alles.

    (Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)



    (Dr. von Brentano)

    Ich möchte hier — ich halte das für meine Pflicht — an die Haltung der Berliner Bevölkerung erinnern. In einer Situation, in der Millionen von Menschen außerhalb Berlins bereits die Hoffnung aufgegeben hatten, daß der Widerstand Berlins noch erfolgreich sein könne, als viele, die heute wieder Mut haben, sich flüsternd zuraunten, daß man dieses Experiment doch aufgeben müßte, — in dieser Zeit haben diese Millionen von Menschen in Berlin den Mut nicht verloren, sie haben in einer heroischen Weise Widerstand geleistet, und sie haben dem gesamten deutschen Volke und der Weltöffentlichkeit bewiesen, daß es wieder Deutsche gibt, denen die Freiheit über alles geht.

    (Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Diese Haltung, meine Damen und Herren, hat ja auch ihre Früchte gezeitigt. Denn diese mutige Haltung hat auch die Umwelt dazu veranlaßt, hier zu helfen, und es sind, wenn ich meinen Vorredner, Herrn Dr. Schäfer, vielleicht insoweit ergänzen darf, nicht nur Opfer gebracht worden für die Freiheit Südkoreas, sondern die ersten Opfer sind von den Amerikanern für die Freiheit Berlins gebracht worden, auch Opfer an Menschenleben.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Kunze: Und von den Engländern!)

    Selbstverständlich sollten wir uns auch nicht von irgendeiner Psychose oder Vorstellung bestimmen lassen, es müsse nun etwas geschehen. Vielleicht klingt aus mancher Rede, die heute hier gehalten wird, und aus manchem Artikel dieser Ruf an die Öffentlichkeit: Es muß etwas geschehen! Ich glaube aber, mich darin mit allen im Hause einig zu wissen, daß es uns nicht darauf ankommt, daß etwas geschehen muß, sondern daß wir erwarten, daß das Richtige geschieht. Ich sehe auch keinen Unterschied, wie er vielleicht in den Ausführungen von Herrn Dr. Schumacher anklang, als sei hier wieder eine Auseinandersetzung zwischen unbedingten und bedingten Remilitaristen im Gange.
    Zunächst möchte ich auch unterstreichen, was einer meiner Vorredner schon sagte: Wollen wir uns nicht von diesem unseligen Wort einmal trennen? Es kann nicht oft genug gesagt werden, daß mit dem Begriff Remilitarisierung sich wirklich auch in der Öffentlichkeit gewisse Vorstellungen verbinden, als bestehe ,die Absicht, Gewesenes zu restaurieren oder doch zu kopieren. Für meine Freunde und für mich kann ich mit aller Eindeutigkeit sagen, daß wir weder daran denken, Gewesenes zu restaurieren, noch daß wir daran denken, Gewesenes zu kopieren, daß wir aber wohl den ernsten und entschiedenen Willen haben, etwas Neues zu schaffen. Wir wollen nicht remilitarisieren, wir wollen keine deutsche nationale Armee als Mittel zur Durchsetzung machtpolitischer Ziele. Wir wollen einen Beitrag zu einer europäischen Armee im Zuge der Integration Europas leisten. Wir wollen bereit sein, uns innerhalb einer solchen europäischen Gemeinschaft den gleichen Aufgaben, den gleichen Verpflichtungen zu unterziehen wie die anderen, und wir wollen hierzu bereit sein nicht im Sinne und im Wege der Remilitarisierung, wohl aber im Sinne des Anrufs an das deutsche Volk, sich seine Freiheit zu erhalten und in einer solchen gemeinsamen Armee mitzuarbeiten. Ich sehe darin - lassen Sie mich das auch noch andeuten in keiner Weise einen Widerspruch zum Grundgesetz. Ich möchte nicht die Zitatensammlung meines Vorredners, des Herrn Kollegen. von Merkatz, 'fortsetzen, obwohl sie lehrreich war; ich möchte mich darauf beschränken, noch einen Satz zu zitieren, der mir noch deutlicher als mancher vorangegangene zu beweisen scheint, daß sich einzelne Mitglieder auch der sozialdemokratischen Fraktion im Parlamentarischen Rat der heutigen Situation schon bewußt waren. Ich hatte damals als Mitglied des Redaktionsausschusses, dem auch mein Kollege Zinn angehörte, den Auftrag, den Vorschlag zu machen, das Wort „Krieg" im Art. 26 durch das Wort ,,Angriffskrieg" zu ersetzen, und erklärte für den Redaktionsausschuß: „Verboten ist der Angriffskrieg, während ein Verteidigungskrieg wohl nicht verboten sein dürfte".
    Wie gesagt, ich sprach für den Redaktionsausschuß. Daraufhin hat Herr Kollege Schmid sich für die Beibehaltung des Wortes „Krieg" ausgesprochen und das wie folgt begründet:
    Wir sollten damit unsere Meinung zum Ausdruck bringen, daß in einem geordneten Zusammenleben der Völker das, was man früher als die ultima ratio regum, als das Souveränitätsrecht der Souveränitätsrechte, ansah, schlechthin keine Stätte mehr haben soll, daß, wenn schon Gewalt ausgeübt werden muß, diese Gewalt nicht als nationaler Souveränitätsakt ausgeübt werden soll, sondern als Akt des kollektiven Selbstschutzes aller Nationen, die dafür sorgen, daß auf der ganzen Welt der Friede erhalten bleibt und es Angreifern unmöglich gemacht wird, den Frieden zu stören.

    (Hört! Hört! bei der CDU.)

    Meine Damen und Herren, ich wüßte nicht, wie
    man die Auffassung der Bundesregierung klassischer umreißen könnte, als es hier vorausahnend
    vor 2 Jahren der Herr Kollege Schmid getan hat.

    (Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Ich habe eben erklärt, worum es uns geht. Es geht uns nicht um die Errichtung einer neuen nationalen Armee. Ich halte es für richtig und notwendig, auch hier von dieser Stelle aus noch einmal den entscheidenden Satz zu wiederholen, den ich für meine Freunde in Straßburg ausgesprochen habe, den Satz, dem ich auch heute nichts hinzuzufügen und von dem ich nichts wegzunehmen habe. Ich habe erklärt:
    Um den demokratischen Völkern Europas und der Welt den Frieden, aber auch die Freiheit zu erhalten, sind meine Freunde bereit und entschlossen, den Gedanken nicht einer nationalen Armee, wohl aber einer vereinigten europäischen Armee freier und gleichberechtigter demokratischer Völker unter gemeinsamer europäischer Führung und demokratischer Kontrolle zu unterstützen. Wenn wir der Resolution von Mr. Churchill unsere Zustimmung geben, obwohl Deutschland bis heute die Freiheit seines Handelns noch nicht wieder erlangt hat, so wollen wir damit zum Ausdruck bringen, daß wir uns der Freiheit und dem Recht gleichermaßen verpflichtet fühlen wie die anderen Vertreter der freien Völker Europas.
    Meine Damen und Herren! Ich glaube, daß damit auch alles zum Ausdruck kommt, was an Vorbehalten für eine solche Beteiligung in der Rede des Herrn Dr. Schumacher noch zum Ausdruck kam. Er hat als Voraussetzung für eine solche Beteiligung an der Verteidigung der westlichen Welt das uneingeschränkte Bekenntnis zur internationalen Solidarität verlangt. Ich stimme ihm ohne jeden Vorbehalt zu. Aber ich darf vielleicht hier an das


    (Dr. von Brentano)

    Kommuniqué der Außenministerkonferenz vom 19. September 1950 erinnern, in dem es heißt, daß die alliierten Regierungen jeglichen Angriff gegen die Bundesrepublik oder Berlin, von welcher Seite er auch kommt, als einen gegen sich selbst gerichteten Angriff behandeln. Ich glaube, daß dies ein Ausdruck internationaler Solidarität ist, wie ihn mancher von uns vor Monaten noch nicht zu erhoffen wagte. Ich verstehe die Sorge und teile sie — jeder von uns teilt diese Vorstellung —, daß im Falle einer Auseinandersetzung, die Gott uns ersparen möge, Deutschland infolge seiner geographischen Lage das am meisten gefährdete Land ist.
    Aber, meine Damen und Herren, ich glaube, auch Garantien, auch Versprechungen, die man uns geben würde, könnten die geographische Lage unseres Vaterlandes nicht ändern und vermöchten nicht die Grenzziehung zu beseitigen, unter der wir heute leiden.

    (Zustimmung bei der CDU.)

    Selbstverständlich ist es auch unser Wunsch und unsere Forderung, daß Deutschland nicht das Schlachtfeld, am wenigsten das Glacis eines Kampfes sein darf. Aber vielleicht sollte man diesen Appell an die internationale Solidarität und den Wunsch, nicht mehr mit den Vorstellungen zu spielen, Deutschland könne ein Glacis sein, an den französischen Verteidigungsminister Jules Moch richten, der leider Sozialist ist.

    (Zuruf von der SPD: Das ist aber sehr billig!)

    Wenn im übrigen Herr Dr. Schumacher erklärt, daß ein Land nicht zur Verteidigung anderer mißbraucht werden dürfe, dann vermag ich ihm auch hierin nur zuzustimmen. Sicherlich ist niemand unter uns, der etwa glaubte, daß deutsche Truppen unter irgendeinem Vorwand oder unter irgendeiner Bedingung als Kontingente für fremde Zwecke benutzt oder mißbraucht werden dürften. Aber wenn wir die Forderung aufstellen, daß ein Land nicht zur Verteidigung anderer gebraucht werden darf, dann involviert das auch wohl das Bekenntnis, daß wir uns an der Verteidigung unseres Landes beteiligen müssen; denn sonst können wir keine solche Forderung an die anderen stellen.

    (Sehr richtig! bei der CDU.)

    Ich möchte doch vor der Vorstellung warnen, wie sie manchmal — nicht heute — in der Diskussion in der Öffentlichkeit zum Ausdruck kam, daß wir ausgerechnet auf die bedingungslose Kapitulation pochend nun sagen könnten: Ihr habt uns besiegt; ihr habt nun auch die Konsequenzen zu tragen und uns zu verteidigen. Meine Damen und Herren, niemand wird diejenigen, die nach der bedingungslosen Kapitulation die volle Verantwortung für das Schicksal Deutschlands übernommen haben, aus dieser Verantwortung entlassen, Aber ich glaube, wir dürfen nun auch nicht, wie einer es ausdrückte, die Hände bis zum Ellbogen in die Tasche stecken und den anderen zumuten, Deutschland an der Elbe und morgen vielleicht an der Oder-Neiße zu verteidigen.

    (Sehr gut! bei der CDU.)

    Ich glaube, daß man eine solche Haltung recht gut mißverstehen könnte. Ich fürchte auch, solche Erklärungen tragen dazu bei, daß man zu einzelnen Vertretern Deutschlands nicht mehr das rechte Vertrauen hat, weil man glaubt, es gebe in Deutschland schon wieder Menschen, die vielleicht mit dem Gedanken spielen, es könnte auch einmal der Zeitpunkt kommen, wo ein Bündnis mit dem Osten günstiger wäre. Damit würden wir viel an Glaubwürdigkeit und Ansehen verlieren. Ich warne
    vor solchen Vorstellungen, die auch die Philosophie des unartigen Kindes verraten, das den Vater dafür verantwortlich macht, daß es sich seine Finger erfroren hat.
    Ich stimme auch weiter dem zu, was hier von vielen Rednern zum Ausdruck gebracht wurde: Die wichtigste, die dringendste Voraussetzung unserer Politik muß die sein, daß wir zunächst eine echte soziale Ordnung schaffen, daß wir soziale Verhältnisse schaffen, die — wie es hier gesagt wurde — dem schaffenden Menschen das Leben lebenswert machen; denn wir können erwarten, daß nur derjenige sein Leben und den Staat, in dem er lebt, die Ordnung, in der er lebt, verteidigt, der an diese Ordnung glaubt. Und er wird an diese Ordnung nur glauben, wenn sie gerecht ist. Ich wiederhole, was ich eingangs sagte: Wir können und wollen diese soziale Sicherheit nicht mindern; diese Sorge kam zum Ausdruck. Aber wie können wir sie erhalten, wenn wir nicht bereit sind, ihre Voraussetzungen zu sichern.
    Ich glaube, daß darin auch ein verhängnisvoller Kurzschluß zum Ausdruck kommt: die Sorge, daß eine Beteiligung Deutschlands an einer Verteidigung Europas und der Welt neue materielle Opfer kosten könnte. Diese Sorge ist gut verständlich. Auch die Sorge, daß darunter ebenfalls die von uns erstrebte Erhöhung des Lebensstandards leiden könnte, ist gut verständlich. Aber wir würden unsere Aufgabe nicht recht erkennen, wenn wir uns vielleicht wünschten, das Volk mit dem höchsten Lebensstandard demnächst als freiwillige Morgengabe in Sowjetrußland einzubringen.
    In diesem Zusammenhang ist auch die Frage der Besatzungskosten zu erwähnen, die mit Recht angeschnitten worden ist. Auch ich bin der Meinung, daß die Besatzungskosten, wie sie heute auf Deutschland lasten, in dem Umfang, in dem aus ihnen Truppen erhalten werden, die die Sicherheit Europas und der Welt garantieren sollen, bereits einen echten finanziellen Beitrag Deutschlands zur gemeinsamen Verteidigung darstellen. Und ich halte es für selbstverständlich, daß in den bevorstehenden Verhandlungen, die über dieses Problem zu führen sein werden, auch dieser Gesichtspunkt betont wird; aber ich glaube, daß gerade solche Verhandlungen, wie sie etwa im Zug des Vorschlags des Ministerpräsidenten Pleven nötig werden, uns auch die Möglichkeit geben werden, diesen Gesichtspunkt mit allem Nachdruck zu vertreten.
    Es ist hier ein gewisses Erstaunen geäußert
    worden, daß die Bundesregierung die Erklärung
    des französischen Ministerpräsidenten Pleven als
    einen wertvollen Beitrag zur Integration Europas
    bezeichnet hat. Meine Damen und Herren, niemand
    von uns war etwa vollinhaltlich mit dieser Erklärung einverstanden, und es ist manche Kritik auch
    von uns laut geworden. Ich bedauere es am allermeisten — und spreche es auch hier aus —, daß
    man in dieser Erklärung der französischen Regierung in verhängnisvoller Weise den Schumanplan
    mit einer solchen möglichen europäischen Armee
    zu koppeln versuchte; denn dadurch mußte der
    Eindruck entstehen, als sollte vielleicht auf den
    Gang der Verhandlungen damit eine Pression ausgeübt werden. Aber ich glaube, wir würden doch
    ungut handeln, wenn wir nur das Negative lesen
    würden. Sind nicht auch klare Formulierungen
    in dieser Regierungserklärung zu finden, die das
    gleiche sagen, was wir wünschen, so wenn die Erklärung der französischen Regierung damit schließt:
    Frankreich hatte schon beschlossen, seinen Anteil an der Bemühung um die gemeinsame


    (Dr. von Brentano)

    Verteidigung im Rahmen der Atlantikgemeinschaft mannhaft zu leisten. Es ergreift heute die Initiative eines konstruktiven Vorschlags zur Errichtung eines geeinten Europas. Europa darf die Lehren zweier Weltkriege nicht vergessen, und in dem Zeitpunkt, da sich seine Kräfte wieder erneuern, muß es so organisiert werden, daß diese Kräfte nie zu etwas anderem als zur Verteidigung der internationalen Sicherheit und des Friedens dienen.
    Wenn eine solche Formulierung in dieser Erklärung zu finden ist, dann glaube ich allerdings die Feststellung der Bundesregierung aufnehmen und sagen zu sollen: Hier erblicke auch ich einen echten und wertvollen Beitrag zur Integration Europas.
    Ein Wort noch zu einem besonderen Punkt, den der Herr Bundeskanzler auch angeschnitten hat, zu der Frage nämlich, wie Deutschland sich wohl stellen solle und stellen müsse und wie die Welt sich verhalten müsse zu den Vorschlägen, die nun über eine Befriedung Europas und die Wiederherstellung der deutschen Einheit vom Kreml ausgegangen sind. Ich glaube, es ist nicht viel dazu zu sagen, und wenn hier von einem Vertreter der äußersten Linken mit großem Nachdruck geäußert wurde, daß dies Dokument wohl das wichtigste und bedeutsamste sei, das seit dem Jahre 1945 veröffentlicht wurde, nun, dann will ich ihm diese euphoristische Redeweise nicht übelnehmen. Er ist ja beauftragt, es so darzustellen.

    (Heiterkeit und Zustimmung.)

    Aber es ist ja nichts Neues, was in diesem Dokument steht, und deswegen verstehe ich die Begeisterung auch nicht. Wir haben hier im Bundestag auch schon eine Forderung aufgestellt, die wir immer wieder aufstellen werden: Man soll dem deutschen Volk in allen vier Zonen die Möglichkeit geben, frei und geheim zu wählen.

    (Abg. Rische: Einverstanden! — Große Heiterkeit. — Abg. Rische: Darum reden wir ja! Das soll der Rat vorbereiten!)

    — Herr Kollege Rische, seien Sie vorsichtig! Sie entfernen sich von der Linie, und das ist gefährlich!

    (Große Heiterkeit und Beifall.)

    Wenn uns die Garantie gegeben würde, daß die Deutschen in diesen vier Zonen — ich wiederhole es — in allgemeiner, gleicher, unmittelbarer und geheimer Wahl frei wählen könnten, dann, meine Damen und Herren, gäbe es auch hier unter uns nicht einen einzigen, der sich dem Votum dieses deutschen Volkes entziehen würde.

    (Sehr richtig! bei der CDU.)

    Allerdings möchte ich noch eine Bedingung daran knüpfen, die Bedingung nämlich, daß die Garantie sich auch darauf erstrecken müßte, daß diejenigen, die frei gewählt haben, für diese freie Entscheidung nicht morgen zur Verantwortung gezogen werden.

    (Sehr gut! bei der CDU. — Abg. Rische: Also setzen Sie sich mit den Vertretern aus Ostdeutschland zusammen! Das ist die Logik daraus! — Gegenrufe von den Regierungsparteien. — Abg. Rische: Es gibt keine andere Logik mehr! — Gegenrufe von der CDU: Doch! — Abg. Rische: Darüber sollten Sie verhandeln!)

    — Ich wüßte nicht, mit welchen Vertretern von der Ostzone ich mich zusammensetzen sollte.

    (Zuruf des Abg. Rische.)

    Aber dann, meine Damen und Herren, wäre ,auch der Augenblick gekommen — und ich glaube, dann würde sich keine Stimme in diesem Saal dagegen erheben —, in dem wir hier zur Auflösung dieses Hauses schreiten könnten: in Ausführung des Art. 146 des Grundgesetzes, in dem wir gesagt haben, daß das Grundgesetz seine Gültigkeit an dem Tage verliert, an dem das gesamte deutsche Volk in freien Wahlen über sein Schicksal entscheiden kann.

    (Sehr richtig! bei der CDU.)

    Dann kommt der Augenblick, in dem wir uns auflösen. Vorher allerdings bin ich nicht der Meinung, daß wir aus irgendwelchen Gründen den Mut zur Verantwortung ablehnen sollten, daß wir unter irgendwelchen Vorwänden sagen sollten: Wir sind nicht zuständig.

    (Sehr gut! bei der FDP.)

    Ich glaube auch, daß es bedenklich ist, und man sollte hier auch an mögliche Parallelen denken, die es bedenklich erscheinen lassen, daß man sich einer klaren Forderung in dieser Weise entzieht. Es ist schon einiges darüber gesagt worden, was ich nicht wiederholen möchte. Ich möchte nur eines feststellen: Wer erklärt, daß am Tag der Wahlen zum Bundestag die Frage, über die wir heute diskutieren, noch nicht gestellt gewesen sei und daß deswegen dieser Bundestag nicht berufen sei, für das deutsche Volk zu entscheiden, ja, meine Damen und Herren, der müßte konsequenterweise zu dem Problem auch schweigen; denn er hat dann auch nicht das Mandat seiner Wähler erhalten, darüber zu reden.

    (Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Dr. Schmid [Tübingen] : Das war ein Kalauer! — Heiterkeit. — Unruhe und weitere Zurufe von der SPD. — Glocke des Präsidenten.)

    — Es gibt Dinge, die man nicht gern hört.

    (Abg. Dr. Schmid [Tübingen]: Das war ein Kalauer, Herr von Brentano! — Glocke des Präsidenten.)

    Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich zum Schluß noch eines mit allem Ernst und mit allem Nachdruck sagen. Was wir in der Vergangenheit erlebt haben, was wir in der jüngsten Vergangenheit geschaffen haben, rechtfertigt nicht nur unseren Wunsch nach Erhaltung, sondern verpflichtet uns, alles dafür zu tun. Denken wir zurück an das Jahr 1945, an eine Zeit, in der das deutsche Volk unter der Schockwirkung dieses beispiellosen Zusammenbruchs vollkommen in der Agonie zu erstarren und zu sterben drohte. Denken wir zurück an diese fünf Jahre, in denen dieses deutsche Volk mit einer beispielhaften Energie, mit einem ungeheuren Einsatz, mit einem Pflichtbewußtsein und mit einem Eifer, um die viele andere das deutsche Volk heute schon beneiden, ein neues Deutschland geschaffen hat. Sollten wir denn nicht erkennen, daß diese Arbeit der letzten fünf Jahre uns verpflichtet, das Geschaffene zu erhalten? Sollten wir uns nicht daran zurückerinnern, daß das deutsche Volk schon einmal seine Freiheit verspielt hat und sie nur unter schwersten Opfern zurückgewinnen konnte? Wissen wir nicht alle, daß wir die Freiheit, wenn wir sie dieses Mal verspielen, nicht wiedergewinnen werden, weil diejenigen, die sie vielleicht noch einmal schaffen könnten, diese Zeit bestimmt nicht mehr in Deutschland erleben werden? Und sind wir uns nicht alle klar darüber, daß es einen Frieden ohne Freiheit nicht gibt, daß es eine Demokratie ohne Freiheit nicht gibt, daß es eine Gerechtigkeit nicht gibt, die nicht in der Freiheit lebt, und daß es keine Menschenwürde gibt, die nicht von der Freiheit geschützt ist?


    (Dr. von Brentano)

    Es war eine schwere Aufgabe, das wieder zu schaffen, was wir heute vor uns sehen. Wir sind noch im Anfang dieser Aufgabe, und alles, was uns in der weiteren Arbeit stören könnte, ist ein furchtbarer Schaden für das deutsche Volk. Aber hier handelt es sich nicht darum, Störungen zu vermeiden; hier handelt es sich meiner Überzeugung nach um die klare Frage, die an uns gestellt ist: Ob wir in Freiheit weiter leben wollen oder ob wir uns dieser Aufgabe nicht mehr gewachsen fühlen und verzichten.
    Ich bin sicher, daß nicht nur die Mehrheit dieses Hauses, sondern daß die große Mehrheit des deutschen Volkes willens ist, nach dem Maße seiner Kraft alles zu tun, um den Frieden zu erhalten und seine auf die Achtung vor den Menschenrechten gegründete freiheitliche Staatsordnung zu schützen. Die Mehrheit dieses Hauses und gewiß auch die große Mehrheit des deutschen Volkes bekennt sich

    (Zuruf von der SPD: Fragen Sie es doch!)

    mit uns zu der Unteilbarkeit des inneren und äußeren Friedens. Wir halten es deshalb für eine unabweisbare Verpflichtung, den Lebensstandard und die soziale Entwicklung im Rahmen des Wiederaufbaus Deutschlands mit allen Kräften zu fördern und auch an seiner äußeren Sicherung mitzuwirken.
    Mit Genugtuung haben wir davon Kenntnis genommen, daß sich auch die Sprecher der Opposition für die Verteidigung der Freiheit und die Sicherung des Friedens im Zusammenwirken mit den freien Völkern der Welt bereit erklärt haben. Die Mehrheit des Hauses bedauert aber mit mir auf das tiefste, daß taktische Erwägungen das einheitliche Anstreben dieses Zieles durch den Bundestag zu erschweren, ja, zu verhindern drohen. Wir sind mit der Regierung darin völlig einig, daß ein angemessener deutscher Beitrag zur Sicherung des Friedens kategorisch von der Gewährung gleicher Rechte und Pflichten an das deutsche Volk abhängig gemacht werden muß.

    (Zuruf von der SPD: Kategorisch?)

    Wir glauben, daß die unerläßlich notwendige internationale Solidarität bei der Sicherung der Freiheit und des Friedens die tatsächliche Solidarität mit dem deutschen Volke einschließen muß und in ihrer Endgestalt auch einschließen wird. Wir sind willens, das Unsrige dazu zu tun. Wir sprechen aber die ernste Befürchtung aus, daß die von dem Vorsitzenden der Sozialdemokratischen Partei geforderten und eingeschlagenen Methoden der Erlangung dieses Zieles abträglich sind und daß sie deshalb eine Gefährdung des gemeinsamen Zieles darstellen.
    Wir rufen das deutsche Volk auf, im Kampfe um die Erlangung dieses Zieles sich weder von berechtigten noch von unberechtigten Erinnerungen und Beschwerden verbittern zu lassen. Wir rufen das deutsche Volk auf, sich weder aus Furcht noch von Drohungen lähmen zu lassen, sondern in klarer Entschlossenheit zur Freiheit und zum Frieden seinen Weg in die Gemeinschaft der freien Völker geduldig, aber auch fest weiterzugehen.

    (Anhaltender lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)