Rede:
ID0109803900

insert_comment

Metadaten
  • sort_by_alphaVokabular
    Vokabeln: 8
    1. Das: 1
    2. Wort: 1
    3. hat: 1
    4. der: 1
    5. Abgeordnete: 1
    6. Dr.: 1
    7. von: 1
    8. Merkatz.: 1
  • tocInhaltsverzeichnis
    Deutscher Bundestag — 98. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. November 1950 3563 98. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 8. November 1950. Geschäftliche Mitteilungen 3563B Entgegennahme einer Erklärung der Bundesregierung (Beitrag der Bundesrepublik Deutschland zur Verteidigung des Westens, Pleven-Plan und Vorschlag der Sowjetregierung zur Einberufung der Außenministerkonferenz der vier Großmächte) 3563C Dr. Adenauer, Bundeskanzler 3563D, 3621D Aussprache über die Erklärung der Bundesregierung 3567B Dr. Schumacher ,(SPD) . . . 3567B, 3620C Frau Wessel (Z) 3576D Dr. Seelos (BP) 3582A von Thadden (DRP) 3587B Schuster (WAV) 3590C Dr. Richter (Niedersachsen) (parteilos) 3591B Dr. Doris (parteilos) 3593A Rische (KPD) 3594A Dr. Leuchtgens (DRP) 3599C Clausen (SSW) 3600D Fröhlich (BHE) 3601B Dr. Schäfer (FDP) 3602A Dr. von Merkatz (DP) 3608D Dr. von Brentano (CDU) 3615A Nächste Sitzung 3622C Die Sitzung wird um 13 Uhr 13 Minuten durch den Präsidenten Dr. Ehlers eröffnet.
  • folderAnlagen
    Keine Anlage extrahiert.
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Hermann Schäfer


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Meine Damen und Herren! Ich glaube, niemand von uns ist glücklich darüber, daß wir heute in diesem Hause über diesen Gegenstand sprechen müssen. Denn als wir zusammengetreten sind, war doch in uns der Wunsch und der Wille vorherrschend, nun wieder mit der Neuordnung unseres staatlichen Lebens, mit der Regeneration unseres wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens zu beginnen und Werke friedlichen Wettbewerbs zu tun. Diese Wunschbilder genügen aber leider nicht, um den Notwendigkeiten der Gegenwart Rechnung zu tragen. Wir müssen unseren Mitbürgern zumuten, mit uns zu erkennen, daß wir umgeben sind von tausenderlei Wagnissen, daß wir existieren in einer friedlosen Welt. In solcher Wirklichkeit steht vor dem Verlangen nach dem friedlichen Aufbau unseres staatlichen Lebens und nach der Anreicherung unseres Lebens mit materiellen und geistigen Gütern immer wieder die Frage nach unserer Sicherheit. Wir stehen vor der Tatsache, daß wieder einmal das Rauschgift der Machtsucht Menschen und Völker ergriffen hat und politische Systeme beherrscht. Ein neuer Byzantinismus ist im Osten erwacht. Er bedroht die Freiheit der Welt und die rechtsstaatlichen Ordnungen, die in den Weltteilen bestehen, die noch nicht von dieser neuen byzantinischen Welle ergriffen sind. Wir haben mit der Tatsache zu rechnen, daß in weiten Kreisen dieses Herrschaftsbereichs, gruppiert um das sowjetische Gravitationszentrum, der Unterwerfungs- und Eroberungsdrang reger ist und gewaltiger wirkt als der Wille zu Frieden und Menschenrecht. So stehen wir, so weh es uns tun mag, vor dem Zwang, uns der Frage nach der Friedenssicherung zu stellen.
    Ich glaube sagen zu müssen: die Bundesregierung hat recht getan, als se nach ihrem Zusammentritt, nachdem die ersten Schritte des neuen staatlichen Lebens getan waren, auch die Frage nach der Sicherung dieses neuen staatlichen Lebens in der Bundesrepublik aufgeworfen hat. Das ist nun allerdings die Schwierigkeit unserer heutigen Erörterung und ihre Mühsal, daß diese Frage nach der deutschen Sicherheit erst teilweise beantwortet ist. In keiner Weise sind die Voraussetzungen und Bedingungen geklärt, unter denen die Bundesrepublik Deutschland in die Lage versetzt ist, aus ihrem Notwehrrecht zur Friedenssicherung für sich bestimmte Folgerungen zu ziehen. Noch ist keine konkrete Form erkennbar für das, was tatsächlich möglich und was gesichert ist. Darum ist es auch so unendlich schwer, Maß und Form des deutschen Anteils an Anstrengungen Europas und der atlantischen Mächte auszudrücken. Darum ist es auch so unendlich leicht, die Fragwürdigkeit einer Entscheidung und einer Stellungnahme mit einer Fülle von theoretischen Ausführungen und Bedenken darzutun.

    (Beifall bei der FDP und bei der CDU/CSU.)

    Ich möchte an den Anfang meiner Bemerkungen die Feststellung stellen, daß wir keine Feindschaft gegen irgendein Volk 'empfinden. Der einzige Beweggrund für alle unsere Überlegungen ' ist und
    bleibt, unser friedliches Recht auf Einheit und E Freiheit unseres Volkes sicherzustellen.

    (Beifall bei der FDP und bei der CDU/CSU.)

    Aber weil wir von dieser Grundhaltung ausgehen, müssen wir auf die Tatsachen jener östlichen Expansion schauen, deren Stufen und deren Tatbestände der Herr Bundeskanzler in seinen Ausführungen im einzelnen aufgezählt hat. Es wäre gut, wenn diese Aufzählung, diese Tatsachenreihe der Unterwerfung von Ländern und Völkern, Schritt um Schritt, Jahr um Jahr, recht lebendig in das Bewußtsein des deutschen Volkes träte, aber auch in das Bewußtsein aller Völker der Welt, die sich die freie Welt nennt. Von dieser Überlegung können uns auch die Leitsätze der Viererkonferenz nicht abbringen, die von dem Redner der Kommunistischen Partei hier so betont vertreten worden sind. Das gilt vor allen Dingen von den in dieser Erklärung geschilderten Methoden, die man sich für ein Zusammenkommen der verschiedenen Besatzungszonen diesseits und jenseits des Eisernen Vorhangs vorstellt. Die Parität, die darin vorgeschlagen ist, ist die Parität von Taube und Aasgeier;

    (lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien)

    und die ist nicht glaubhaft und glaubwürdig.
    Aber ich möchte dazu weiter sagen: wir empfinden bei allen unseren Überlegungen keine Feindschaft gegen die Völker des Ostens. Wir empfinden nur die Verpflichtung, uns zu wehren, wenn diese Völker mißbraucht werden, einer neuen eroberungswütigen Tyrannei dienstbar zu sein, wie wir einst einer Tyrannei dienstbar sein mußten.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Weil wir die Tyrannei und weil wir die verhängnisvollen Folgen der Machtgier und der Süchtigen des Machtrausches erlebt haben, gehen wir mit so ernsten Erwägungen an die Beurteilung der wirklichen Verhältnisse heran. Ich darf es wohl aussprechen, daß eine neue Rapallo-Mystik in solchem Zusammenhang für uns überhaupt völlig undiskutabel ist, und zwar weil sie uns praktisch undenkbar und unvorstellbar erscheint.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Wir wissen, daß es in der gegenwärtigen Weltlage nur einen Weg geben kann: die Solidarität der freien Völker und Erdteile. Wir wissen auch eins: daß ohne diese Schutzgemeinschaft freier Völker kein friedliches Deutschland gesichert werden kann. Auf der andern Seite wissen wir aber auch, daß ohne ein freiheitliches Deutschland ein friedliches Europa undenkbar ist.

    (Lebhafter Beifall bei der FDP und bei der CDU/CSU.)

    Aus dieser Erkenntnis der wechselseitigen Zusammenhänge zwischen dem deutschen Schicksal und einer Solidarität der freien Nationen ergeben sich die politischen Folgerungen, die wir zu ziehen haben. Aus ihnen haben wir hier unsere Überlegungen vor allen Dingen abzuleiten. Vor solcher Einsicht sollten hüben und drüben endlich die Reste eines vergangenheitshörigen nationalstaatlichen Denkens versinken, die sich die politischen Entwicklungen immer nur als Erweiterung von Territorien oder in der Bildung von Hegemonien vorstellen können. Wie himmelweit entfernt sind doch solche Bilder einstiger Diplomatie und Außenpolitik von der Wirklichkeit, mit der wir uns hier zu beschäftigen haben! Nein, wir haben nur eins festzustellen: ein Bekenntnis zur Gemein-


    (Dr. Schäfer)

    schaft der Kulturen in der freien Welt genügt angesichts der bedrohlichen Gefahren, die wir erkennen müssen, nicht mehr. Es genügt auch kein bloßes Bekenntnis zu den Moralbegriffen unserer westlichen Welt. Wir müssen hier schon die Folgerung ziehen, daß allein eine Zusammenfassung aller Kräfte zur gemeinschaftlichen Verteidigung geeignet ist, die Friedenssicherung für die Völker aller dieser Länder wechselseitig hoffnungsvoll zu machen. Es ist nun einmal so, daß das gestörte Gleichgewicht der Mächte, das den Frieden bedroht, nur durch Herstellung eines Gleichgewichts zwischen den Mächtegruppen beseitigt werden kann. Nur diese Wiederherstellung des Gleichgewichts bietet die Möglichkeit, den Frieden zu erhalten oder, wenn Sie den Zustand, in dem wir leben, nicht mehr als Frieden empfinden, den Frieden wiederherzustellen. Es ist nun einmal so, daß man nur, wenn man für den Gewaltstreber das Wagnis seiner Angriffspläne oder Angriffswünsche erhöht, ihn zur Mäßigung bringt. Diese Mäßigung ist allein das Mittel, den Frieden und die Freiheit unserer eigenen Welt zu sichern.
    Daraus ergibt sich eine wichtige Folgerung. Ich weiß, daß manche sie nicht gern hören wollen und mit der Erörterung von Einzeldingen, mit der Betrachtung persönlicher Bequemlichkeit oder Unbequemlichkeit oder mit dem Hinweis auf persönliche Enttäuschungen und persönliche Verbitterung berechtigter oder unberechtigter Art versuchen wollen, sich an diesem Verantwortungsbewußtsein vorbeizudrücken. Das Verantwortungsbewußtsein für das eigene Dasein mündet heute in die Gesamtverantwortlichkeit aller freien Völker ein.

    (Beifall in der Mitte und rechts.)

    Wenn wir diese Verbundenheit unseres Einzelschicksals mit dem Gesamtschicksal dieser freien Welt einsehen, dann erfahren wir zugleich, was heute für uns das ist, was Goethe die Forderung des Tages nennt. Man macht sich die Sache vielfach sehr einfach, indem man für alle solche verwickelten Vorgänge ein Schlagwort einführt. Das Wort, unter dem in den letzten Wochen und Monaten eine verworrene Diskussion hin und her gegangen ist, war das Wort „Remilitarisierung". Es ist ein verhängnisvolles Wort, nicht nur weil es ein Schwammwort ist, weil es zur mangelnden Präzision des Denkens und zu schlechter Unterscheidung der verschiedenen Wege, Möglichkeiten und Erscheinungen in der politischen Wirklichkeit verführt, sondern weil es zugleich ein Wort ist, das die Tatsachen verschiebt. Nirgendwo ist von einer Wiederkehr vergangener Einrichtungen die Rede und besteht eine solche Absicht. Wir denken gar nicht daran, vergangene Zustände zu wiederholen oder wiederherzustellen, weder formationsmäßig noch formenmäßig noch gedanklich.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Hier geht es nicht um eine Restauration vergangener Ideologien, vergangener Ziele oder vergangener Methoden, sondern hier handelt es sich um völlig neue Formen und Formationen zur Sicherung dessen, was ich soeben mit den Worten Frieden und Freiheit zusammenzufassen suchte.
    So meine ich, daß wir das wiederholen könnten, was wir deutschen Delegierten aus den Koalitionsparteien gesagt haben, als wir uns in Straßburg grundsätzlich mit dem Gedanken einer gemeinsamen europäischen Verteidigung unter besonderer gemeinsamer demokratischer Kontrolle einverstanden erklärt haben. An dieser Notwendigkeit können wir uns mit noch soviel Phantasietätigkeit nicht vorbeidenken, und alle Verworrenheit der
    Meinungsbildung kann von dieser Notwendigkeit nicht ablenken.
    Ich verkenne allerdings nicht: angesichts der deutschen Situation wird uns die deutsche Haltung in allen diesen Dingen wahrhaft nicht leicht gemacht. Wenn wir Bedenken äußern und sagen: Ja, aber da und dort ist eine Fülle von Voraussetzungen materieller Art, psychologischer Art, dann sagen die einen: seht, sie wollen nicht. Man ist entrüstet über dieses Nichtwollen und meint infolgedessen einfach, es sei eine mangelnde Bereitschaft vorhanden, Demokratie und Freiheit zu wahren. Die anderen wieder wenden ein: Nein, sie sollen auch nicht, weil sie nun in ihrem vergangenheitshörigen Denken irgendwelche Vorstellungen pflegen. Nun, die dazugehörige Vergangenheit mag noch nicht so lange vorbei sein. Aber ein so unerhört neuer Tatbestand setzt auch einmal voraus, daß man in wenigen Jahren von sehr eingewurzelten Denkgewohnheiten abrückt und zu neuen politischen Erkenntnissen vordringt.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Ich führe das nicht an, um Vorwürfe zu erheben. Ich weiß, daß die Denkprozesse auch in anderen Ländern und Völkern nicht schneller fortzuschreiten pflegen als bei uns. Ich führe das vielmehr an, um festzustellen, daß diese Zwiespältigkeit der Lage und diese Verworrenheit eines letztendlich immer noch entscheidungslosen Zustandes und einer konturlosen Entwicklung auf keinen Fall allein auf deutsche Unterlassung zurückzuführen sind. Man kann es deswegen doch wohl den Deutschen oder vielen Deutschen nicht übelnehmen, daß angesichts solcher Verworrenheiten und Unentschiedenheiten bei anderen Völkern die Entschlußkraft mancher Deutschen, zu letzten Konsequenzen und zu klaren Folgerungen ein es Solidaritätsbewußtsein durchzudringen, bedenklich erschwert ist. Diese querelles 1 européennes, wie wir sie immer wieder erleben, meine Damen und Herren, bedeuten das eigentliche Hindernis für die Erkenntnis der wahren politischen Verhältnisse in ihren ganzen weltpolitischen Zusammenhängen. Die Wirrnis des Hin- und Hergezerres, dieses ewige Tauziehen, um hegemoniale Wünsche oder Befürchtungen, um Wirtschaftsinteressen, um Möglichkeiten, Sondervorteile usw. zu erreichen, erschweren den Menschen in unserem Volk immer wieder den Weg. zu einer echten Entscheidung und zu einer Klarheit in der Wahl des politischen Standortes durchzudringen.
    Es wird in der gesamten demokratischen Welt von der Notwendigkeit gesprochen, die Freiheit der europäischen Länder und der übrigen freien Erdteile zu verteidigen. Nun, das bedeutet aber gleichzeitig auch die Notwendigkeit, auf Voraussetzungen hinzuweisen, die erfüllt werden müssen. Von einer allgemeinen Voraussetzung habe ich eben schon gesprochen, von Vorstellungen und Zweifeln, die überwunden, die beseitigt werden müssen. Sie ist nach der andern Seite zu ergänzen. Wissen Sie, in einem so von bösen Erlebnissen verfolgten, so niedergeschmetterten und von soviel Unglück heimgesuchten Volk wie dem unseren braucht dieser Wille zur Freiheit, braucht dieses Selbstbewußtsein zur Verteidigung auch Vorbilder, an denen sich 'der Verteidigungswille aufrichten kann.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Das bedeutet vor allen Dingen, durch Tatsachen, durch Realitäten das Bewußtsein zu haben, daß die Möglichkeiten der Verteidigung auch in solcher Stärke und in solcher Kraft gegeben sind, daß sie hoffnungsvoll und aussichtsreich erscheinen.

    (Erneuter Beifall bei den Regierungsparteien.)



    (Dr. Schäfer)

    Mit den Deutschen ist so schauderhaft viel experimentiert worden, daß sie nun eine weitgehende Abneigung haben, sich in bloße Experimente einzulassen. Sie haben das gesunde und natürliche Gefühl, daß für eine Bereitschaft zur Verteidigung, zur Solidaritätsgemeinschaft der Verteidigung, auch von den anderen, die sich an ihr beteiligen und die günstigere Möglichkeiten gehabt haben, sich entsprechend vorzubereiten, entsprechende Gewährleistungen gegeben werden müssen.
    Damit, meine Damen und Herren, will ich nicht etwa sagen, daß derartige Vorbilder überhaupt nicht vorhanden wären. Ich glaube, wir müssen in diesem Augenblick doch anerkenen, daß die Vereinigten Staaten ein bemerkenswertes Beispiel, aus der Verteidigung der Freiheit die Folgerung zu ziehen, gegeben haben, als sie in Korea praktisch die Verteidigung übernahmen und die Opfer und die Lasten einer solchen Aufgabe, dann später mit den Truppen der UNO, auf sich genommen haben. Was da in Ostasien geschehen und begonnen worden ist, ist nicht zu bagatellisieren, sondern das bedeutet schon ein gewichtiges Vorbild, wie weit Verteidigungswille praktisch wirksam sein kann und zu welchen Folgerungen er führen könnte.
    Meine Damen und Herren, nun haben wir vorhin eine Reihe von Reden gehört. Als ich die Ausführungen des Herrn Bundeskanzlers und dann die Ausführungen des Herrn Kollegen Dr. Schumacher anhörte, habe ich eigentlich das Gefühl gehabt, daß ein neutraler Beschauer, wenn er von dem Beiwerk der Pointierung absieht, den Eindruck haben könte, daß doch wesentliche Übereinstimmung besteht in der tatsächlichen Bereitschaft, nun eben das, was wir unter Freiheit und Recht verstehen, zu verteidigen gegen Versuche einer Tyrannei, einer Gewaltherrschaft. Und ich weiß nicht, ob es so wesentlich ist, die Unterschiede, etwa über die Phasen und die Stufen zur Verwirklichung der Solidarität, zu einer Grundsatzfrage zu machen. Das Entscheidende ist doch in allen diesen Dingen, daß diese supranationale Solidarität so bald und so wirksam wie möglich herbeigeführt wird.

    (Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Ich weiß auch nicht, ob man bei diesen Fragen angesichts der Größe dieser Entscheidungen und der Tragweite all dieser Maßnahmen Worte wie „Angebot" und sonstige Begriffe, die man üblicherweise mit einem Handel zu verbinden sucht, so in den Vordergrund rücken sollte. Hier geht es wirklich um eine große konstruktive Funktion und eine große konstruktive Aufgabe. Hier sind nicht nur über Phasenverschiebungen und ähnliche Rechenkünste Entscheidungen zu treffen. Hier geht es um mehr als bloß um eine Technologie des Ablaufs von Ereignissen und Entschlüssen; hier geht es darum, möglichst rasch einen höchsten Wirkungsgrad der gemeinsamen Entwicklung zu erreichen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    So meine ich, daß manches von dem, was von der linken Seite dieses Hauses gesagt worden ist, gar nicht notwendig gewesen wäre.

    (Sehr richtig! bei den Regierungsparteien.)

    Es sind da den Regierungsparteien Ansichten und Absichten unterstellt worden, die dort gar nicht vorhanden sind. Es ist da ein Maß der Bereitschaft oder der Vorbehaltlosigkeit vorausgesetzt worden, an die dort gar nicht gedacht wird, oder es sind irgendwelche Maßlosigkeiten vermutet worden, die auf dieser Seite ebenfalls nicht lebendig sind.

    (Sehr gut! bei der FDP.)

    Ich weiß nicht, ob die Beschäftigung mit militärischen Fragen Herrn Kollegen Dr. Schumacher nun schon dazu verleitet hat, allzusehr gegen einen markierten Feind zu manövrieren.

    (Sehr gut! und Heiterkeit bei den Regierungsparteien.)

    Meine Damen und Herren! Ich bin durchaus mit der These einverstanden, daß der Geist der unbedingten Kapitulation abgebaut werden muß, ehe überhaupt das Bewußtsein der Solidarität als etwas Folgerichtiges empfunden werden kann.

    (Bravo! bei der FDP.)

    Es kann kein Zweifel darüber sein, daß die Regungen in der deutschen Öffentlichkeit wesentlich von dem Eindruck gelähmt sind, daß man als gleichberechtigtes Glied einer Weltsolidarität immer noch umstritten ist. Hier muß man sich klar darüber sein, daß Menschen, die für Freiheit und Recht Opfer bringen sollen, auch Freiheit und Recht erleben müssen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Aus dieser Überlegung ergibt sich die Forderung nach einer politischen Gleichberechtigung; und da ist wiederum die erste Erwartung, daß unser ganzes staatliches Leben normalisiert wird. Das bedeutet, daß mit einer solchen Gleichberechtigung eine so merkwürdige Absonderlichkeit der staatsrechtlichen und völkerrechtlichen Lage der Bundesrepublik unvereinbar ist, wie sie etwa in dem Besatzungsstatut zum Ausdruck kommt.

    (Sehr gut! bei der FDP.)

    Dazu gehört weiter, daß wir ein Grundgesetz haben, dem gegenüber noch immer bestimmte Vorbehalte der Besatzungsmächte bestehen.

    (Sehr richtig! bei der FDP.)

    Wie kann sich ein Volk frei fühlen, dessen Grundgesetz noch nicht mit allen Bestimmungen in Kraft gesetzt worden ist?!

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Es ist auch nicht mit einer solchen Solidarität der freien Völker zu vereinbaren; wenn Beschränkungen wirksam werden, sobald wir uns — wie gestern -- über die Möglichkeit Gedanken machen, unsere eigene Sicherheit durch bestimmte Einrichtungen wie Polizei usw. zu erhöhen. Es ist zweifellos nicht mit diesem Freiheitsbewußtsein zu vereinbaren, wenn immer noch Beschränkungen der Wirtschaft bestehen, oder wenn das schließlich so weit geht, daß — um nur ein Beispiel herauszugreifen — gewisse Zweige der chemischen Industrie immer noch starker Knebelung unterworfen werden, obwohl es sich nicht etwa um Einrichtungen handelt, die kriegerischen oder anderen derartigen Zwecken dienen, sondern um solche, die sich z. B. mit der Herstellung von Kunststoffen für die normale Versorgung der Menschen mit Hausrat oder Bekleidung beschäftigen. Es ist auch nicht mit dem Freiheitsbewußtsein zu vereinbaren, wenn Betriebe der pharmazeutischen Industrie, die also der Schaffung von Gegenständen zugewandt sind, die der Gesunderhaltung oder der Heilung von erkrankten Menschen dienen, betriebsfremden Einflüssen unterworfen sind.
    All dies, vor allen Dingen aber auch die Eingriffe in die Rechtspflege, dann diese merkwürdige Methode, in der man die Dienstgruppen einer eigenmächtigen Wandlung zur europäischen Abwehr zuzuführen sucht, sind nicht Formen, unter denen man Gleichberechtigung verdeutlichen kann.
    Allerdings, meine Damen und Herren, in dem Zusammenhang auch ein Wort an uns selbst. Das


    (Dr. Schäfer)

    bedeutet aber auch, daß wir uns nun hier nicht selbst wechselseitig die Gleichberechtigung streitig machen.

    (Beifall bei der FDP.)

    Ich verlese hier einen Satz, den eben Herr Kollege Seelos gesprochen hat, der lautet: „Tatsächlich wird es wohl erforderlich sein, darauf zu achten, daß nicht die Heimatvertriebenen ein Übergewicht in Deutschland erhalten,

    (Abg. Dr. Seelos: Über 50 %!)

    um nicht einer erneuten nationalistischen Tendenz die Zügel freizugeben."

    (Abg. Dr. Seelos: Gleichberechtigung ja, aber nicht Übergewicht!)

    Ich weiß nicht, meine Damen und Herren, wie, wenn man deutschen Landsleuten irgendeine auch nur bürgerliche oder moralische Gleichberechtigung zu bestreiten sucht, dann in gleicher Weise nach außen hin eine Auseinandersetzung wirksam führen soll.

    (Stürmischer Beifall bei den Regierungsparteien und bei der SPD.)

    Ich weiß auch nicht, wie man es mit der Behauptung, Verteidigung von Frieden und Freiheit betreiben zu wollen, vereinbaren will, wenn man Teile dieses deutschen Volkes nationalistischer Tendenzen verdächtigt, denen man Zügel anlegen müsse.

    (Pfui-Rufe und Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Sie sehen, meine Damen und Herren, es gilt, aus der Gleichberechtigungsthese auch auf manchen Seiten dieses Hauses Folgerungen nach innen zu ziehen.

    (Sehr richtig! bei der FDP.)

    Weiter aber müssen wir uns klar sein, daß das, was als Solidaritätsgemeinschaft zur gemeinsamen Verteidigung entwickelt werden sollte oder könnte, natürlich einen Rahmen haben muß, bei dem nun aus der Solidarität auch die Konsequenz gezogen wird, daß jeder nach dem Maß seiner Leistungsfähigkeit zu den Lasten beisteuert. Das bedeutet selbstverständlich zunächst einmal, daß Besatzungslasten überhaupt eine Unmöglichkeit werden; es kann sich nur um gemeinschaftliche Beiträge zu einem gemeinschaftlichen Wehrhaushalt handeln

    (Sehr richtig! bei der FDP)

    und darum, daß diese Lasten nach der jeweiligen Tragfähigkeit so bemessen werden, wie dies durch die bisherigen Schicksale eines Volkes und seiner Wirtschaft gegeben ist.

    (Erneute Zustimmung bei der FDP.)

    Ich glaube, man braucht dazu nicht weitere Ausführungen zu machen und diese Dinge nicht weiter auszuspinnen, denn die sind so selbstverständlich, daß ich eigentlich das Gefühl habe, mit ihrer Erwähnung und mit dieser Festsellung ist eine wesentliche Konsequenz internationaler Solidarität klargestellt.
    Aber die Gleichberechtigung hat auch ihre psychologische Seite. Sie bedeutet nicht nur, daß das Bewußtsein, frei zu sein, und die Bereitschaft, für die Freiheit einzutreten, nicht allein im luftleeren Raume wachsen kann, sondern auf Erlebnis und Erfahrung gestützt werden muß. Wir werden den überzeugenden Beweis zu führen haben, daß es sich in der westlichen Zivilisation oder unter den Lebensformen der freien Völker - oder wie sie die Dinge nennen mögen - besser leben läßt als unter der Knechtschaft und unter der Tyrannei des
    Ostens. Und das, meine Damen und Herren, wird nicht ganz leicht zu verwirklichen sein; denn darüber muß man sich klar sein: es wird schon eine Mühsal bedeuten, auf der einen Seite den Lebensstandard zu halten oder zu verbessern und gleichzeitig das Erforderliche zu tun, um die persönliche Lebenssicherheit in wirtschaftlicher und sozialer Hinsicht zu kräftigen und gleichzeitig vom Sozialprodukt Aufwendungen für die Notwendigkeit abzuspalten, die Freiheit zu schützen und die Ordnung aufrechtzuerhalten.
    Vor dieser Schwierigkeit und dieser Mühsal stehen wir; und in diesem Zusammenhang gewinnt nun auch eine wirtschaftliche Frage eine gewaltige Bedeutung: Die schnelle Vereinigung der europäischen Volkswirtschaften zu einer größeren Einheit muß die Möglichkeit eröffnen, durch Wirtschaften im weiteren Raum, durch günstigere Nutzung von Standortsbedingungen, durch bessere Formen des Güteraustauschs und der wechselseitigen Ergänzung mit die Voraussetzung herbeizuführen — ganz abgesehen von den wirtschaftspolitischen Aufgaben, die sich für uns selbst ergeben —, den Leistungswillen zu fördern und die Leistungskraft der europäischen Wirtschaft zu noch höherer Blüte zu entwickeln.
    Es kommt noch weiter hinzu, daß dabei Dinge verschwinden müssen, die die Lebensform, unter der wir existieren, manchmal bedenklich erscheinen lassen. Die Erkenntnis muß, glaube ich, mehr durchdringen, daß ein Unterschied zwischen Kultur und Komfort besteht und daß bei aller wünschenswerten Ausgestaltung der Lebensbedingungen zumindest im staatlichen Leben, in den öffentlichen Formen unserer staatlichen Erscheinung, eine etwas puritanische Lebensform durchaus denkbar und nützlich sein könnte.

    (Lebhafter Beifall bei der FDP, in der Mitte und be der SPD.)

    Ich habe manchmal das Gefühl, daß wir allenthalben, nicht nur bei uns, sondern vielfach auch anderswo, an einer Überschätzung des kunstgewerblichen und kulinarischen Aufwands als Mittel der Repräsentation leiden könnten.
    Aber dann weiter wird man vor allen Dingen jetzt nicht mehr so etwas wie eine doppelte Moral aufrechterhalten können, die von einer Gleichung ausgeht, nach der das Verhältnis von Siegern zu
    Besiegten von einst wie Gut und Böse wäre. So
    einfach ist die Wahrheit nicht mehr. Es hat inzwischen eine Fülle von historischen Klärungen gegeben. Das sollte auch dazu führen, daß man allmählich in die Erwägung eintritt, ob man einem Volk das Bewußtsein der Solidarität in einer Verteidigungsgemeinschaft freier Völker geben kann, wenn man sein Rechtsgefühl verletzt,

    (Sehr gut! bei der FDP)

    wenn man strafrechtliche Maßnahmen zum Beispiel wegen der Ausführung von Befehlen durchführt, bei denen der Betreffende gar nicht das Bewußtsein hatte, eine persönliche Verantwortung zu tragen, sondern einfach der Verpflichtung der Befehlsausführung ausgesetzt zu sein. Bei allen diesen Dingen wird man gerade im Hinblick auf die geistige Bereitschaft, den Gedankengängen der europäischen oder der westlichen Solidarität zugänglich zu sein, sehr viel erneuern müssen. Der Befehlsempfänger eines fluchwürdigen Regimes muß nun endlich aus der Entstellung entlassen werden, als ob er selbst fluchwürdig wäre, weil er


    (Dr. Schäfer)

    in die Apparatur einer bestialischen Gewaltherrschaft geraten ist.

    (Sehr richtig! bei der FDP.)

    Dazu gehört auch, daß man dem deutschen Soldaten ein besseres Verständnis entgegenbringt. Er ist in seiner breiten Masse gegen den Osten gezogen, weil man ihm gesagt hatte und weil er es glaubte, daß er damit seine kontinentale Lebensform verteidige. Es mag sein oder es ist zweifellos so, daß er dabei mißbraucht worden ist. Aber weil er den Irrtum geglaubt hat, ist er bestimmt nicht instinktloser gewesen als etwa die Illusionisten des Yalta-Abkommens.

    (Beifall bei der FDP.)

    Meine Damen und Herren, ich sage das alles nicht, um nun eine historische Diskussion einzuleiten. Ich bin vielmehr der Meinung, daß man sich mit der Betrachtung der vergangenen Dinge eher auseinanderreden als zusammenfinden kann. In der Geschichtsdeutung sind dazu ungeheure Möglichkeiten vorhanden. Ich habe infolgedessen hier auch lediglich davon gesprochen, um Verständnis dafür zu wecken, was die Umkehr nun zu einer neuen Verteidigungshaltung für unsere Mitbürger und ihr gesamtes politisches und gesellschaftliches Bewußtsein bedeutet. Man muß die Wege zu diesem neuen Gemeinschaftsbewußtsein der Völker, zu diesem Bewußtsein der Schicksalsverbundenheit in der Abwehr der Gewaltgefahren ebnen, und man muß es sehr vermeiden, immer wieder Sperren der Verärgerung und des Mißtrauens aufzurichten, was leider noch bis in die jüngste Zeit geschehen ist.
    Dabei muß man sich auch darüber klar sein, wenn überhaupt die Verteidigung verwirklicht werden soll, daß sie sich in neuen Formen und Formationen zu entwickeln haben wird. Das wird eine weitgehende Abkehr von vergangenen militärischen Gepflogenheiten bedeuten. Da werden sich etwa im Aufbau des Apparates, in dem Verhältnis zwischen Vorgesetzten und Untergebenen Wandlungen vollziehen müssen. Man kommt in der heuten Entwicklung, in dieser Entwicklung einer Abwehrwelt der Freiheit nicht mehr mit Disziplinformen etwa des friderizianischen Mechanismus weiter. Man kommt auch in der Denkweise über die Behandlung und die Wirksamkeit von Waffen und Menschen nicht vorwärts, wenn man nicht sämtliche neuen Erkenntnisse dazunimmt. Die neue Form der Verteidigung setzt auch Wandlungen des soldatischen Lebensstils voraus. Dazu gehört für den Deutschen auch wieder, daß er unter keinen Umständen das Gefühl haben darf. Söldner oder Helot zu sein. Das muß der Menge bewußt werden. Der Wehrmann muß sich wirklich als der Bürger fühlen können, der für die Verteidigung der Menschenrechte einzutreten und für die Verteidigung seines Friedens tätig zu werden bereit ist.
    Dazu gehört natürlich auch eine Einstellung und eine Haltung, die, was ich eben schon sagte, alle zwischenstaatlichen Rangvorstehungen der Vergangenheit und alle von ihnen ausgehenden seelischen Belastungen beiseite räumt, um die Bereitschaft nun auch tatsächlich menschlich und moralisch wirksam werden zu lassen. Dazu gehört aber auch, daß man zu einer wohlgesinnten Gesamtführung unter einer gemeinsamen demokratischen Kontrolle Vertrauen besitzt. Auch das wird ein entscheidender Faktor bei den Überlegungen für die Entscheidung sein, ob wir an der Verteidigung der westlichen Welt praktisch Anteil nehmen können. Es muß dabei auch daß Mißtrauen beseitigt werden, als ob Einigungen auf unsere Kosten vollzogen werden könnten.
    Zugleich muß aber auch der Weg in die europäische Integration weiter fortgeführt werden. Denn es ist nicht damit getan, daß man etwas verteidigt, was in der Wirklichkeit des erlebten Lebens nicht sichtbar ist. Letzten Endes muß aus dieser, sagen wir einmal, politischen Solidarität auch eine wirtschaftliche und gesellschaftliche Verbundenheit entwickelt werden, damit sie sichtbar ist, damit ihre Werte fühlbar werden, damit sie gegenständlich wird, um von jedem begriffen werden zu können. Es mag äußerlich leichter erscheinen, in der Form von Verteidigungsmaßnahmen eine Integration durchzuführen, weil auf diesem Gebiet die Spannungen und die Gegensätze, die etwa bei der Wirtschaft im Wettbewerb liegen, weniger sichtbar und weniger fühlbar sind. Das darf aber nicht dahin führen, daß man die ganze Entwicklung des Verhältnisses der Völker in der westlichen Welt zueinander lediglich unter dem Gesichtspunkt militärischer Erwägungen sieht und dabei etwa die ökonomische und soziale Verknüpfung vernachlässigt. Das bedeutet nicht — und hier unterscheiden wir uns von der Tendenz, die in französischen Äußerungen zum Ausdruck gekommen ist —, so etwas wie einen Kausalzusammenhang zwischen Schuman-Plan-Verabschiedung und der Bereitschaft zu einer europäischen Verteidigung herzustellen. Wenn man so etwas erstrebt, erschwert man geradezu die Zusammenfügung. Es muß doch hier — ganz abgesehen von den Belastungen des Rechtsgefühls, die dadurch wieder entstünden — der Weg gesucht werden, die politische Notwendigkeit einer Vereinigung der europäischen Märkte vorwärtszutreiben, unbeschadet der anderen Entwicklungen, die sich in der Organisation der Verteidigung ergeben, wenn auch natürlich hier und da innerhalb dieser vereinigten Märkte die Notwendigkeit, Teile des Produktes auf diesen Märkten irgendwelchen rüstungswirtschaftlichen Zwecken zuzuführen, als ein rein wirtschaftlicher Zweckmäßigkeitszusammenhang bestehen wird.
    In diesem Zusammenhang möchte ich überhaupt sagen: Wir sind von der Notwendigkeit des Schuman-Planes überzeugt. Wir sind sehr davon überzeugt, daß eine supranationale Institution ins Leben treten muß, die endlich einmal veranschaulicht und über das rein Theoretische heraushebt, was an Gemeinsamkeit auf europäischem Boden erreicht und wirksam gemacht werden kann; Aber ich verkenne eines nicht: es ist verhältnismäßig leicht, neue Institutionen mit einer Verwaltungsspitze, mit einer parlamentarischen Körperschaft und mit einer eigenen Gerichtsbarkeit usw. auszudenken. Viel schwieriger ist es, von dem alten wirtschaftlichen Zustand sich in den neuen wirtschaftlichen Zustand hineinzuentwickeln. Bei diesem Übergang muß natürlich alles vermieden werden, was dazu führen könnte, unserer unter besonders schwierigen Bedingungen sich erholenden Wirtschaft Belastungen aufzuerlegen, die ihre weitere Entwicklung in Frage stellen könnten. So zu denken, das ist auch ein Beitrag zu dieser Idee der europäischen Solidarität; er hat ja schließlich alle möglichen Seiten und alle möglichen Konsequenzen. Solidarität bedeutet doch: Gegenseitigkeit, wechselseitige Bereitschaft, zu helfen und zu ergänzen.
    Nun ist es bedauerlich, meine Damen und Heren, daß unsere ganze Debatte in eine Zeit hineinfällt, in der gleichzeitig Wahlkämpfe stattfinden.


    (Dr. Schäfer)

    Infolgedessen besteht die begreifliche Neigung zu innenpolitischen Rivalitäten und dazu, Parolen zu erfinden und Forderungen zu stellen, die einen scheinpopulären Klang haben, und den innenpolitischen Wettbewerb auch auf, sagen wir einmal, außenpolitische Überlegungen und Entscheidungen auszudehnen.
    Ich bedaure außerordentlich, daß in die Erörterung der europäischen Verteidigung — in der ich weitgehend in der Zielsetzung, wenn auch vielleicht nicht in der methodologischen Überlegung Übereinstimmungen sehe — nun die Frage hineingeworfen worden ist, die praktisch auf eine Änderung der Verfassung hinauslaufen würde — eine Angelegenheit. über die im Parlamentarischen Rat vollständige Übereinstimmung bestanden hat —, nämlich die Frage, ob denn dieses Parlament, dieser Bundestag, die Befugnis habe, über den Anschluß an überstaatliche Gemeinschaften abzustimmen und Entscheidungen zu treffen.
    Meine Damen und Herren! Die staatsrechtliche Seite der Angelegenheit will ich nur kurz streifen; denn einer der Kollegen, die nach mir sprechen werden, wird noch näher auf diese Frage eingehen. Da ich das weiß, möchte ich Wiederholungen hier vermeiden. Ich möchte nur soviel sagen: Unser Grundgesetz sieht erstens den Weg der Gesetzgebung vor, der beschritten werden muß, wenn es sich darum handelt, sich überstaatlichen Einrichtungen auch unter Abtretung von Souveränitätsrechten anzuschließen. Zum zweiten ist in der Bestimmung über die Möglichkeit der Kriegsdienstverweigerung gesagt: Das Nähere bestimmt ein Gesetz. Also hier ist ausdrücklich für die wehrgesetzliche Ordnung im Grundgesetz auf den Weg der einfachen Gesetzgebung verwiesen. Das entspricht auch durchaus der Natur und dem Wesen einer repräsentativen Demokratie. Wenn ein Volk eine Volksvertretung wählt, dann gibt sie das Mandat bestimmten Personen, und dann erteilt sie ihnen das Vertrauen und das Recht, innerhalb einer bestimmten Zeit Entschlüsse zu fassen und Entscheidungen zu treffen und sich dann nach einer bestimmten Frist bei einer Neuwahl wegen dieser Entscheidungen zu verantworten.

    (Sehr richtig! bei der FDP.)

    Diese Ordnung würde völlig gestört werden, wenn wir damit anfangen würden, Einzelheiten von politischen Entscheidungen und des öffentlichen Lebens jeweils zum Gegenstand einer Art Volksabstimmung zu machen.

    (Abg. Dr. Laforet: Sehr richtig!)

    Meine Damen und Herren! Wir haben seinerzeit im Parlamentarischen Rat sehr bewußt davon abgesehen, Möglichkeiten des Plebiszits einzuführen, u d haben uns sehr bewußt dabei von der Weimarer Verfassung unterschieden. Wir wissen, daß das Plebiszit eine ganz schöne Sache sein kann, etwa in der Idylle eines Schweizer Kantons, aber wir wissen auch, daß es im modernen Massenstaat eine ungeheure Gefahr für die Demokratie schlechthin bedeutet.

    (Sehr richtig! bei der FDP. — Zuruf von der SPD: Sie nehmen die Masse als Material!)

    — Nicht die Masse als Material, sondern die Masse als eine Angelegenheit, die bei ihrer Willensbildung sich differenziert im Wahlvorgang und sich wieder zusammenfügt in bestimmten Wiliensträgern der politischen Entscheidung.

    (Sehr gut! bei der FDP.)

    Gerade der nimmt die Masse als Material, der sie vor die einfachen mechanischen Fragen eines Pblebiszits stellt.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    So ist es immer gewesen, meine Damen und Herren, mit plebiszitären Formen hat stets eine totalitäre Entwicklung angefangen.

    (Erneuter Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Das zeigt die Staatenentwicklung von Bonaparte über Lenin bis zu Hitler und Mussolini. Also ich glaube: angesichts dieser Erfahrungen und dieser Erkenntnisse sollte man sich wirklich überlegen, ob man wieder die Gefahr einer totalitären Entwicklung auch dadurch fördern will, daß man durch fortgesetzte Wahlen — wir haben ja jetzt schon ein Übermaß davon durch diese ewige Fülle von Länder-, Bundestags-, Gemeindewahlen und was sonst alles ist —

    (Beifall bei den Regierungsparteien)

    einfach die Demokratie durch die Übertreibung ad absurdum führt.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Herr Kollege Schumacher hat zwar gemeint, eine solche Überlegung entspräche autoritärem Denken. Nein, gerade weil wir eine autoritäre, totalitäre Entwicklung vermeiden möchten, haben wir die stärksten Bedenken gegen eine solche Art und Weise der politischen — wie soll ich sagen — Moralphilosophie, wie sie vom Herrn Kollegen Schumacher als Ersatz für staatsrechtliche Überlegungen vorgetragen worden ist. Vielleicht haben ihn seine intimen Gesprache mit hervorragenden Theologen,

    (lebhafter Beifall und große Heiterkeit bei den Regierungsparteien)

    die sich noch dazu auf das Geschäft der Torpedierung verstehen,

    (erneute große Heiterkeit und Beifall bei den Regierungsparteien)

    dazu verleitet.

    (Zurufe von der SPD: Unerhört! — Glocke des Präsidenten. — Zuruf von der SPD: Lächerliche Redensart! — Unruhe bei der SPD. — Erneuter Beifall bei den Regierungsparteien. — Zuruf von der SPD: Provokateur!)

    Ich weiß nicht, meine Herren,

    (Abg. Dr. Arndt: Schamlos!)

    warum soll nicht mal jemand etwas Ihnen nicht Passendes in ironischer Form sagen, nachdem Sie die Lauge Ihrer Ironie doch auch nach Kräften auf andere Seiten dieses Hauses zu spritzen belieben.

    (Lebhafter Beifall bei der FDP.)

    Also, meine Damen und Herren, ich muß sagen: hier liegt eine geradezu bedenkliche Gefährdung der staatlichen .Entwicklung vor. Wir werden uns dem widersetzen, nicht weil wir eine autoritäre, sondern eine gesicherte demokratische staatliche Entwicklung haben wollen.

    (Beifall bei der FDP. — Zuruf rechts: Keine Flucht aus der Verantwortung!)

    Das ist die Sache, die ich eben meinte, als ich von der Moralphilosophie sprach. Bei diesen Dingen habe ich das Gefühl, man würde gar nicht entsprechend der Verpflichtung handeln, die man als Abgeordneter übernommen hat. Kommt eine schwere Entscheidung von großer Tragweite, dann


    (Dr. Schäfer)

    entscheidet man nicht selbst, sondern appelliert an die Wähler. Meine Damen und Herren, ist das das Recht oder die Pflicht des Mandates, das wir übernommen haben? Sollen wir wirklich dies Rückzugsmanöver vor der parlamentarischen Verantwortung mitmachen? Ich glaube, es ist notwendig, es so zu kennzeichnen, wie wir es sehen.

    (Lebhafter Beifall bei der FDP.)

    Meine Damen und Herren, ich habe Ihnen ausgeführt, daß wir die Notwendigkeit einer europäischen Solidarität und ihrer Gesamtverteidigung durchaus erkennen. Es ist kein freudiges Bekenntnis, was von mir ausgesprochen wird, sondern es ist eine beinahe quälende Anerkenntnis sehr bitterer, sehr verwünschter Realitäten. Aber ich glaube, wir müssen den Menschen, die da meinen, sie könnten sich mit dem Hinweis auf irgendwelche persönliche Gefühle oder Abneigungen dieser Erörterung -und der Entscheidung innerhalb der Erörterung entziehen, sagen, daß es nun einmal um die Frage einer aktiven Solidarität freier und gleichberechtigter Völker geht.
    Die jüngste Vergangenheit hat eine merkwürdige Wandlung gebracht. In den letzten Jahrzehnten ist vieles von den Humanitätsidealen, die die Entwicklung gerade seit dem Ende des 18. Jahrhunderts über das 19. Jahrhundert fortgeführt haben — woraus im Grunde genommen fast alle politischen Gesinnungen und gesellschaftlichen Lehrgebäude, die hier im Hause vertreten sind, ihre Beweggründe abgeleitet haben — weitgehend versunken. Wir haben seither einen Wettlauf der Bestialitäten, wie man ihn vielleicht vor 30, 40 Jahren sich noch gar nicht vorgestellt haben könnte. In dieser Erkenntnis müssen wir sagen — leider sagen, aber wir müssen es aussprechen —, daß heute nur ein wehrhafter Humanismus die wahrhafte Humanität garantiert.

    (Lebhafte Zustimmung bei den Regierungsparteien.)

    In diesem Zusammenhang und in der gegenwärtigen verwickelten, keineswegs zu klaren Linien und Entwicklungsformen vorgedrungenen politischen Lage, hat die Regierung eine besonders schwere Verantwortung zu tragen. Es wäre für sie viel leichter, wenn sie einer einfachen staatsrechtlichen Lage, einer unabhängigen politischen Entwicklung und einer freien Entscheidung in allen Dingen ausgesetzt wäre. Ich meine jetzt nicht die Unfreiheit der Entscheidung im Hinblick auf all die Vorbehalte, Restriktionen, Fesselungen und Knebelungen, von denen ich vorhin gesprochen habe. Ich meine jetzt all die Schwierigkeiten, die sich durch unsere eigene Lage, belastet mit den Folgeerscheinungen des Krieges, ergeben. Aber ich bin der Ansicht, sie hätte in diesem Zusammenhang doch eine wichtige Aufgabe, der sie sich zuwenden müßte, nämlich trotz dieser Wirrnisse und trotz der Verworrenheiten der Haltung hüben wie drüben so etwas wie eine bestimmte klare Zielsetzung herauszuarbeiten; denn das ist notwendig, um viel mehr, als es bisher geschehen ist, dieser Angst, dieser Gedrücktheit, diesem Verfolgungswahn, der manche Menschen schon überkommen hat, so etwas wie eine Zuversicht gegenüberzustellen.

    (Zustimmung bei der FDP.)

    Dazu ist notwendig, meine Damen und Herren, daß vor allen Dingen — was sich leicht einmal in dem Anfangsstadium eines neuen staatlichen Wachs-turns ergibt — Experimente und Improvisationen vermieden werden. Wir sind jetzt soweit, daß wir auf allen Gebieten unserer Politik zu einer Systematik übergehen können, zu einer Systematik aller Funktionen dieses staatlichen Lebens. Wir sind also auch in die Lage versetzt, nunmehr einen besonderen auswärtigen Dienst zu entwickeln und ihn einem besonderen Ressort mit Kabinettsrang zu übertragen. Damit kann gleichzeitig erreicht werden, was zweifellos der Vervollständigung und Ergänzung bedarf, nämlich eine stärkere Beteiligung des Parlaments auch bei den Vorstadien politischer Auseinandersetzung und Entschließung. Ich glaube allerdings, eines ist von Herrn Schumacher vorhin mißverstanden worden, als er die Erklärung des Kabinetts als eine Entschließung aufgefaßt hat und daraus nun glaubte, auf die Möglichkeit, weitere Verhandlungen zu führen, Schlüsse ziehen zu müssen. Ich halte im Gegenteil die Herstellung immer besserer Auseinandersetzungsmöglichkeiten zwischen Regierung und Parlament durch einen verantwortlichen Chef der auswärtigen Dienste und die Beauftragten außenpolitischer Verrichtungen für unbedingt notwendig. Das kann auf die Dauer nicht nebenher im Bundeskanzleramt bleiben, sondern diese Funktion der Meinungsbildung und der Meinungsklärung und der Erörterung von Einzelheiten muß einem besonderen Beauftragten mit Kabinettsrang übertragen werden.
    Meine Damen und Herren, ich möchte mit einer ganz allgemeinen Erkenntnis abschließen. Alle geschichtliche Entwicklung vollzieht sich als Wellengang zwischen Knechtschaft und Freiheit. Immer wieder versuchen tyrannische Machtstreber, aus politischer Gemeinschaft Herrschaft und aus sozialer Verbundenheit Knechtschaft zu machen; und so muß immer wieder der Freiheitstrebende gegen diese Machtstreben einen immer neuen Freiheitskampf führen. Das ist eine Aufgabe, die unserem Menschenschicksal eigentümlich ist, ob man sie mag oder nicht mag. Dabei, meine Damen und Herren, sollte man auch einer tröstlichen geschichtlichen Erfahrung nicht aus dem Wege gehen: Macht ist, wenn sie dasteht, scheinbar ungeheuer und unerschütterlich; aber in Wirklichkeit lehrt die Geschichte immer wieder, daß die Macht etwas Fragwürdiges ist, wenn sie lediglich von Herrschsucht und Machtgier getragen wird und wenn hinter ihr nicht der Wille wirkt, große moralische Gedanken zu vertreten.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Meine Damen und Herren, hier geht es darum, in der Erkenntnis, in der Gewißheit, daß die Macht des Bösen etwas Vergängliches ist, in einer Gemeinschaft, in einer Solidaritätsgemeinschaft der freien Völker dafür zu sorgen, daß die Bäume der Macht nicht in den Himmel wachsen.

    (Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)



Rede von Dr. Hermann Ehlers
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. von Merkatz.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Hans-Joachim von Merkatz


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (DP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, daß es sich angesichts der sehr ernsten Frage, die zur Aussprache gestellt worden ist, empfiehlt, weder irgendwelchen Theaterdonner zu veranstalten, noch Krokodilstränen zu weinen. Wir haben die Aufgabe, uns die Lage zu vergegenwärtigen, und der Ausgangspunkt unserer Diskussion muß sein, daß ein Beitrag zur Verteidigung von uns zur Zeit noch nicht verlangt und von der Regierung auch nicht angeboten worden ist.

    (Abg. Rische: Stimmt ja gar nicht!)

    Die Regierung hat ihre Auffassung dargelegt. Es ist hier fälschlicherweise davon gesprochen worden, daß es sich um einen Entschließungsentwurf


    (Dr. von Merkatz)

    handle. Es handelt sich aber hier nicht um ein Instrument, das in diesem Hause irgendwie der Gegenstand einer Beschlußfassung sein könnte. Es handelt sich um ein Resümee, in dem die Regierung ihre Auffassung klar dargelegt hat. Wer dieses Dokument aufmerksam liest, wird darin sehen, daß die Regierung nichts weiter getan hat, als das Spiel zu eröffnen.

    (Zuruf von der SPD: „Spiel" ist gut!)

    Sie hat mit keinem Wort irgendeine Position dahingehend bezogen, w i e sie sich die Durchführung und Gestaltung der Dinge denkt.

    (Sehr richtig! bei der CDU.)

    Ich glaube, daß die Kontroverse, die in diesem Hause ausgetragen worden ist, irgendwie von falschen Voraussetzungen ausgegangen ist. Es geht hier bei der, Debatte zunächst nur um das Ob , aber in keinem einzigen Punkt um das W i e , und wenn Sie das Resümee der Regierung aufmerksam lesen, so werden Sie erkennen, daß über das Wie keinerlei Festlegung erfolgt. Das Wesentliche, worauf es der Regierung angekommen ist, ist die Festsetzung der Grundsatzentscheidung, die eigentich in ihrem Inhalt nichts weiter bedeutet, als daß man das Staatsbewußtsein und die Bereitschaft zum Staat auch zu realisieren bereit sein muß in der Bereitschaft, diesen Staat zu verteidigen. Das ist an sich eine selbstverständliche Grundsatzentscheidung. Wie sollte man den Anspruch auf Freiheit und auf Gleichberechtigung erheben können, wenn man nicht bereit ist, Freiheit und Gleichberechtigung durch Übernahme der Pflichten und Verantwortungen konkret zu erfüllen?
    In einem gesunden Staate würde bei einer Frage von solch vitaler Bedeutung die Opposition mit der Regierung auf das engste zusammenwirken. Es wäre im Grunde genommen ein Spiel mit verteilten Rollen, in dem der Opposition die Aufgabe zufällt, alle die Bedenken aufzuführen, die von einer Regierung in der konkreten Lage vielleicht nicht vorgebracht werden können. Wenn man die Rede der Opposition analysiert, so findet sich, wenn man den Wahlspeck davon abziehen will, nach außen ein verklausuliertes Ja und innenpolitisch ein sehr lautes Nein. Wir teilen viele der Bedenken, die die Opposition vorgebracht hat; aber wir können uns in einem grundsätzlichen Sinne der Methodik nicht anschließen, die die Opposition als die richtige verkündet hat.
    Es sind hier einige Selbstverständlichkeiten angesprochen worden. Es wurde davon gesprochen, daß der Geist der Kapitulation immer noch vorherrsche und in der Praxis der Entscheidungen vorherrschen würde. Das ist in mancher Hinsicht richtig. Aber die Aufgabe, die sehr mühevolle Aufgabe, der sich unsere Regierung zu unterziehen hat, ist ja gerade die, den Geist der Kapitulation zu beseitigen, das heißt mitzuwirken, damit ein Gedanke der Solidarität entsteht, damit ein Geist unter den Völkern der freien Kultur in dem Sinne entsteht, daß die Interessen des einen Volkes von dem andern als die eigenen Interessen empfunden werden und umgekehrt. Das läßt sich sehr leicht sagen, aber es ist ein überaus mühevoller Weg, der hier zu beschreiten ist und der nur in sehr nüchternem Sinne beschritten werden kann. Ohne aber den Glauben und den Idealismus an die Möglichkeit einer solchen Ordnung, wie sie sich aus der Gesamtlage der Dinge ergibt, ohne an eine solche Ordnung zu glauben, ohne den inneren Schwung und die Bereitschaft, diesen Weg zu
    gehen, läßt sich bei aller Zähigkeit ein so großes und schwieriges Werk nicht vollbringen.
    Es ist viel Kritik an der Politik der Regierung in dieser vitalen Frage geübt worden. Aber blicken wir doch einmal zurück. Es ist noch nicht lange her, da wurde in der Weltmeinung diskutiert, Europa müsse an den Pyrenäen verteidigt werden; und dann wenige Zeit später hat man darüber diskutiert, daß man es am Rhein verteidigen könne. Man dachte da an irgendein Dreieck, dessen eine Spitze mitten in Frankreich lag, dessen andere Spitze in Skandinavien und dessen dritte Spitze ungefähr bei München lag. Nun sind wir immerhin — und das ist ein Verdienst der Regierung — so weit gekommen, daß man einsieht, daß Europa verteidigt werden muß und nur verteidigt werden kann in der Erhaltung der Substanz Deutschlands.
    Wir sollten doch unter allen Umständen bei unseren Erwägungen auf diesem Gebiet Rücksicht nehmen auf unsere Deutschen in der sowjetisch besetzten Zone.

    (Sehr wahr! rechts.)

    Was bedeutet es für diese Menschen, wenn sie Äußerungen hören müssen, wie sie der Pastor und Kirchenpräsident Niemöller gemacht hat!

    (Abg. Frau Kalinke: Sehr gut!)

    Es bedeutet doch die letzte Verlassenheit! Es ist eine ganz hohe Verantwortung dieses Hauses, der Regierung und aller, diesen Menschen, die da dem unmittelbaren Terror des sowjetischen Systems, des kommunistischen Systems ausgesetzt sind, doch wenigstens die Gewißheit zu geben, daß wir uns hier nicht in irgendeiner nihilistischen Verneinung gehen lassen.

    (Lebhafter Beifall bei der DP.)

    Es ist in der Rede der Opposition eine vollkommene Verschiebung der Situation vorgenommen worden, indem von der von der Regierung vorgelegten Auffassung, die ja nur eine Diskussionsgrundlage soll, als von einem Fundament gesprochen worden ist, als ob irgend etwas in dieser Frage bereits präjudiziert wäre.

    (Sehr richtig! bei den Regierungsparteien. Zurufe vonder SPD: Ja eben!)

    Es ist nichts präjudiziert. Aber eines ist notwendig: Wenn das deutsche Volk nicht in der Lage ist, zu sagen: wir sind bereit, wir haben die innere moralische Kraft, uns zu verteidigen, dann glaubt man diesem Volke überhaupt nicht, daß es einen Staat habe.

    (Sehr richtig! bei der CDU. — Beifall bei der DP.)

    Ich bin der Auffassung und teile hier die strategischen Gesichtspunkte, die dargelegt worden sind: es ist der Unterschied zwischen uns und England und den Vereinigten Staaten, daß bei uns gewißlich die erste Schlacht das Drohende ist und für die anderen erst die Entscheidung in der letzten Schlacht gebracht wird. Aber es ist doch der ganze Sinn der von der Regierung verfolgten Politik — und das tritt ganz klar in dem Resümee der Regierungserklärung zutage —, eine Möglichkeit zu suchen für die Sicherung des Friedens. Es ist eine Frage von hohem Verdienst, daß man in dieser schwankenden Zeit rechtzeitig auf dieses Problem hingewiesen hat. Soweit ich unterrichtet bin, hat dieses Ansprechen der Frage der Sicherheit und damit die Mobilisierung der Energien — ja nicht nur der deutschen, sondern in einem europäischen Sinne — wesentlich dazu beigetragen, in der


    (Dr. von Merkatz)

    Ostzone die beharrlichen und zum Widerstand gegen die Überwältigung bereiten Geister festzuhalten und ihnen irgendwo eine Hoffnung zu geben.

    (Zustimmung und lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Machen wir uns doch über die beiden Dinge nichts vor. Was heißt das hier: Man soll sich versagen in einer festen Haltung? — Im Grunde genommen sind doch diese Dinge, ob verteidigt wird oder nicht, objektive Tatsachen, die dem Willen der Menschen der einen oder der andern Partei, dem einen oder dem andern Politiker überhaupt nicht untertan sind. Es sind objektive Dinge, mit denen wir uns ohne Krokodilstränen und ohne das falsche Pathos irgendeines Ressentiments auseinandersetzen müssen: mit allem Maß, mit aller Vorsicht und unter gar keinen Umständen irgendwie gedrängt und überhastet.
    Gewiß, Deutschland steht schon geographisch und als ein zerstörtes Land mit ungleich mehr Opfern anders da. Um so wichtiger, um so vitaler ist es, diese Frage anzusprechen. Wenn auf unserer Seite nicht die geringste Vorstellung über die Lösung dieses Problems vorhanden wäre, wie sollten wir dann verlangen, daß die anderen die Dinge für uns lösen? Dies ist doch der Beweis dafür, daß wir wieder da sind. Was heißt das: das Gewicht von 45 Millionen? Menschen sind keine Masse; sie sind nicht nur eine Quantität. Die Quantität allein tut hier gar nichts. In mein Weltbild von den politischen Vorgängen paßt das nicht hinein. Wenn man etwas erreichen will, muß man auch in sich selbst eine klare Initiative entwickeln. Sonst wird man von den Ereignissen überfahren, und es ist dann nicht die Frage, ob wir Ja oder Nein sagen, sondern es könnte sich die Frage ergeben, ob jemand das russische Gewehr über die Schulter nimmt.

    (Sehr richtig! bei der DP.)

    Denn darüber wollen wir uns doch klar sein: ob man in Erdhöhlen oder in festen Häusern lebt, alles, was laufen kann, muß für die Leute drüben Munition karren oder kämpfen und wird um das letzte Restchen der eigenen Selbstachtung gebracht. Insofern glaube ich, daß es keinerlei Patentrezept dafür gibt, diese Fragen zu lösen, sondern daß eine innere moralische Bereitschaft, eine innere Gesundheit unserer Ordnung hervorgebracht werden muß, damit wir fähig sind, in ein System der Verteidigung eingegliedert zu werden, das uns und die anderen schützt. Allerdings muß dann auch bei uns wie bei den andern die Gesinnung Platz greifen, daß das Wohl und Wehe der andern als das eigene empfunden wird. Das ist durchaus möglich.
    Wenn man das innerpolitische Nein der Opposition analysieren will, so fällt einem dabei ein Wort auf. Es ist von der Gefahr der Restauration gesprochen worden. Welch merkwürdige Vorstellung: Gefahr der Restauration! Was soll restauriert werden? Es hat keinen Sinn — mein Herr Vorredner hat das bereits sehr eindringlich gesagt in der Vergangenheit zu wühlen and gegenseitig Ressentiments herauszustellen. Aber eines steht doch für jeden einsichtigen Menschen fest: Wenn man ein supranationales Verteidigungssystem und nicht nur einen leblosen Apparat bauen will, dann bedarf es dazu der Schaffung tiefster Grundlagen. Es ist ein Vorgang von dem gleichen geschichtlichen Rang wie nach 1806, als ein Scharnhorst etwas völlig Neues in den geistigen Grundlagen aus der Tiefe des Volkes schuf. Es werden hier Wesensbezirke angesprochen, die weit tiefer liegen, als wir es uns vorstellen. In der Bewältigung dieser Aufgabe liegt doch jene wirkliche Erneuerung unseres Abendlandes, sich zusammenzufinden in Formen der Zusammenarbeit, in denen eine echte Solidarität gegeben ist. Aber ohne daß wir daran mitschaffen, in uns den Ideengehalt entwickeln und dann diesem Ideengehalt folgend auch praktisch handeln, wird dies niemals entstehen können.
    Ich glaube, daß es in entscheidenden Stunden der Geschichte immer darauf ankommt, über den eigenen Schatten zu springen. Wir haben zunächst in unserem eigenen Hause die Entscheidung für uns zu fällen, ob wir über unseren Schatten springen können, ob wir in der Lage sind, die Großlinigkeit einer Idee in die praktische Tat umzusetzen. Wenn wir gerade als ein besiegtes Volk dieses Beispiel geben und darin die Kraft der Erneuerung finden, dann habe ich die Hoffnung, daß es sich nicht um eine Vorleistung handelt, sondern um ein Beispiel, das die guten Kräfte, deren Träger ¿a genau so denken wie wir, auch in den anderen Ländern zu dieser Idee bringt. Ich glaube, daß gerade wir als ein besiegtes Volk in der Lage sind, geistig diese große Wandlung zu vollziehen. Gerade das, was die Vertriebenen erlebt haben, diese ungewöhnliche Konfrontierung eines jeden einzelnen mit den Schicksalsmächten, mit dem Elementaren, kann und wird in uns einen Geist mobilisieren, der uns dazu befähigt, jene Großzügigkeit der Idee in die Tat umzusetzen.
    Ich möchte den Unterschied, der zwischen der Auffassung der Opposition und unseren eigenen Gedankengängen zutage getreten ist, einmal kurz zu kennzeichnen versuchen. Es ist bei der Sozialdemokratie nicht nur heute, sondern auch schon früher die These der Passivität vertreten worden. Ich will es nicht nur so absprechend charakterisieren. Es ist die Theorie, das deutsche Volk müsse sich versagen und durch das Fegefeuer eines solchen Versagens gehen, weil die Dinge auf es zureifen würden. Es ist so etwas wie eine Dignität des Sichversagens entwickelt worden, eine sehr gefährliche Theorie; denn wenn man sich bemüht, sie etwas einfacher auszudrücken, dann ist es die Theorie: ohne uns. Da ist dann kein Unterschied festzustellen. Aber wie soll etwas Konstruktives auf dieser Erde entstehen, wenn man nichts anderes zu sagen hat als Verneinung?
    Dann ist von einer Illusion gesprochen worden. Was ist nun mehr eine Illusion, die Bereitschaft zur Mitarbeit oder die doch sehr abstrakte Vorstellung einer Freiheit und Gleichberechtigung? Die Verweigerung der Verteidigungsbereitschaft ist Verneinen des Staates, der staatlichen Existenz.

    (Widerspruch bei der SPD. — Abg. Mellies: Sie haben sehr schlecht zugehört, Herr Dr. von Merkatz!)

    Wir sind der Auffassung, daß man den Vorgang der echten Legitimierung vollziehen muß. Gewiß, das Grundgesetz ist zunächst einmal ein Geschenk, ein Apparat, der uns kraft der Londoner Empfehlungen zur Verfügung gestellt wurde. Meine politischen Freunde haben die Auffassung vertreten, daß es darauf ankomme, eben diesen verfassungsmäßigen Zustand von innen heraus durch die Leistung zu legitimieren, es eben nicht bei einem Apparat, bei einem Provisorium bewenden zu lassen, sondern hier den Kern zu schaffen und aus eigener Kraft trotz des Geschenks von außen wieder zur Dignität eines Staates zurückzukommen, d. h. die Kraft zu entwickeln, den deutschen Gesamtstaat wieder zu ermöglichen und damit die Anziehungs-


    (Dr. von Merkatz)

    kraft, die dieser Kernbereich, der in Freiheit sich selbst verwirklicht, ausstrahlt. Ich bin der Überzeugung, daß die Legitimität, die immer für jedes staatliche Handeln verlangt wird, nur aus dem Innersten des Volkes kommen kann. Nichts wird verliehen, nichts wird geschenkt, es sei denn, wir erwerben es uns selbst.
    Ich bin nun genötigt, einige juristische Fragen anzusprechen, da die Behauptung der Opposition, daß jeder deutsche militärische Beitrag zu irgendeinem Verteidigungssystem verfassungändernden Charakter habe, der ganz präzisen Widerlegung bedarf. Zunächst ist grundsätzlich zu sagen, daß diese Auffassung von dem sogenannten formellen Verfassungsbegriff ausgeht. Es kann aber nicht erwartet und nicht gefordert werden, daß sich die Verfassungsurkunde über alle Verhältnisse ausspricht, die zu der elementaren Grundordnung eines Staatsvolkes gehören. Die materielle Verfassungswirklichkeit hat den höheren Rang, und es ist klar, daß bei der Existenz der Londoner Empfehlungen, bei den Memoranden der Militärgouverneure, bei den Grenzen, die das Genehmigungsschreiben der Militärgouverneure gesetzt hat, und bei den Grenzen, die das Besatzungsstatut setzte, nicht alle Fragen mit der Deutlichkeit gekennzeichnet werden konnten, wie sie für ein vollständiges Staatswesen notwendig wäre. Es liegt aber — und damit folge ich der Grundkonzeption meiner politischen Freunde — im Wesen dieses Grundgesetzes, daß es der Entfaltung fähig ist, um jedes Stück der ruhenden Souveränität unseres Landes auch wieder in feste Hände nehmen zu können.
    Ich muß einen juristischen Unterschied machen zwischen dem Begriff der obersten Gewalt, die als Rechtsgrundlage unseres Besatzungszustandes gilt, und der Souveränität. Diese oberste Gewalt hat ihren Ursprung im völkerrechtlichen Kriegsrecht. Sie hat keinerlei Beziehung zur deutschen Souveränität, die weder treuhänderisch noch sonst von auswärtigen Machten wahrgenommen werden kann. Die Souveränität ruht ausschließlich bei uns und kann einem Volke nicht genommen werden. Nicht in jedem Stadium dieser Rückentwicklung zur vollen Gleichberechtigung als Staat ist es möglich, einen konstituierenden, einen verfassungsgesetzgebenden Akt zu machen. Das spricht das Grundgesetz ganz klar aus. Denn im Art. 146, dem letzten Artikel des Grundgesetzes, wird darauf hingewiesen, daß dieses Grundgesetz gelten soll, bis das gesamte deutsche Volk eine Verfassung in freier Entscheidung beschließt. In dieser systematischen Stellung des Art. 146 in Verbindung auch mit der Präambel des Grundgesetzes ist angedeutet, daß wir in der Zeit der Geltung des Grundgesetzes Stück für Stück einen geduldigen, beharrlichen Weg fortzuschreiten haben, indem uns Teil um Teil unserer bei uns ruhenden Souveränität wieder freigegeben wird. Bis es möglich ist, daß das deutsche Volk in seiner Gesamtheit in freier Entscheidung den verfassungsgesetzgebenden Akt vollzieht, bleibt es aufgefordert, in freier Selbstbestimmung die Einheit und Freiheit Deutschlands zu vollenden. Jeder Schritt. der auf dem Wege der Vollendung dieser vollen Staatlichkeit geschieht, liegt nach dem Willen des Verfassungsgesetzgebers im Rahmen der für uns bis dahin geltenden grundgesetzlichen Ordnung. Daraus ergibt sich die Verfassungswirklichkeit, die das eigentlich Gestaltende in sich schließt, alle Maßnahmen vorwärts zu tragen, die erforderlich sind, Stück für Stück die an uns zurückfallende Selbstbestimmung zu ergreifen mit dem Ziel, den deutschen Gesamtstaat wieder zu vollenden und die Voraussetzung für die Erhaltung der deutschen Substanz zu gewährleisten. Auch wenn sich das Grundgesetz über die Frage der äußeren Verteidigung gänzlich ausgeschwiegen hätte, was nicht der Fall ist, würde die Verteidigung und auch die Vorbereitung einer Verteidigung ohnehin zu den elementaren Grundrechten und Grundpflichten des Staatswesens gehören.
    Insofern kann von einem Naturrecht der Notwehr, das die Gesamtheit des Staatsvolkes besitzt, ausgegangen werden. Dr. Dehler hat in der 48. Sitzung des Hauptausschusses des Parlamentarischen Rates am 9. Februar 1949 die Feststellung getroffen, daß kein Volk ein Recht habe, sich der Pflicht zu seiner Verteidigung zu entziehen. Auf Grund des Antrages von Herrn Dr. Dehler, der angenommen worden ist, kann man diese Auffassung als eine grundsätzliche Auffassung des Parlamentarischen Rats und damit des Verfassungsgebers feststellen.

    (Hört! Hört! rechts.)

    In den Beratungen des Parlamentarischen Rates ist jedoch die Möglichkeit zukünftiger bewaffneter Zusammenstöße durchaus nicht unerwähnt geblieben. Obwohl die Militärgouverneure in ihrem Memorandum vom 2. März 1949 dem Parlamentarischen Rat zu verstehen gaben, daß letzten Endes sie für die Sicherheit verantwortlich sind, hat der Parlamentarische Rat nicht die Auffassung vertreten, daß das deutsche Volk auf seine eigene Verteidigung verzichten müsse oder hierfür keine Vorbereitungen treffen solle. Es ist in diesem Zusammenhang auch nicht der Gedanke aufgetaucht, daß es in einem späteren Stadium einer erneuten Verfassungsgesetzgebung oder eines Appells an das Staatsvolk bedürfe. So sind denn auch diese Gedankengänge in verschiedenen Formulierungen des Grundgesetzes mit hinreichender Deutlichkeit zum Ausdruck gekommen. Schon in den ersten Worten der Präambel heißt es, daß dieses Grundgesetz beschlossen und damit eine staatliche Ordnung errichtet würde, um die nationale und staatliche Einheit zu wahren. Zur Wahrung der staatlichen Einheit gehört aber auch heute noch die Verteidigungsbereitschaft. In Art. 1. Abs. 1 des Grundgesetzes heißt es, daß die Verpflichtung aller staatlichen Gewalt in dem Schutz der Menschenwürde besteht. Die Menschenwürde kann aber auch vor allem durch äußere Angriffe auf die Gesamtheit gefährdet sein, und gerade dann ist der' Staat zu ihrem Schutz verpflichtet. Der Herr Bundeskanzler hat bereits den Art. 4 Abs. 3 erwähnt, wo vom Kriegsdienst mit der Waffe die Rede ist. Diese Bestimmung kann nur einen Sinn haben, wenn man von der logischen Voraussetzung ausgeht, daß sogar die Begründung einer Kriegsdienstpflicht nach dem Grundgesetz möglich und zulässig ist. Nach Abs. 3 des Art. 4 soll das Nähere durch ein einfaches Bundesgesetz geregelt werden. Eine solche bundesgesetzliche Regelung, wie hier ausdrücklich stipuliert ist, ist entweder nur als Teil eines allgemeinen Bundesgesetzes über das Verteidigungswesen oder als nachfolgen des Sondergesetz nach vorheriger Regelung des Verteidigungswesens denkbar.

    (Sehr richtig! rechts.)

    Mit welcher Realistik und gleichzeitig mit welch großer Humanität der Parlamentarische Rat diese Fragen angesehen hat, geht aus den einschlägigen Äußerungen des Herrn Bundespräsidenten Dr. Heuß, des Herrn Vizepräsidenten des Bundestages Dr. Schmid und des Herrn Staatssekretärs Dr. Eberhard auf der 43. Sitzung des Hauptausschusses des Parla-
    3612 Deutscher Bundestag — 98: Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. November 1950

    (Dr. von Merkatz)

    mentarischen Rates vom 18. Januar 1949 hervor. Ich halte es für richtig und für notwendig, daß in dieser Stunde auf die wörtlichen Texte zurückgegriffen wird. Der Herr Bundespräsident, damaliger Abgeordneter Heuss, hat damals zu der Frage der Verteidigung, des Kriegsdienstes sehr grundsätzliche, richtungweisende Ausführungen gemacht. Er hat gesagt:
    Ich habe .... in diesen Dingen die Empfindung, man muß sehen, mit sch selber im Reinen zu ble ben. .... Die allgemeine Wehrpflicht ist das legitime Kind der Demokratie;

    (Beifall rechts.)

    seine Wiege stand in Frankreich.
    Und dann zum Schluß:
    Wenn man schon Demokratie machen will, muß
    man auch das Funktionelle der Demokratie anerkennen und den Mut haben, es auszusprechen.
    Herr Vizepräsident Professor Schmid hat als
    nächster Diskussionsredner dazu gesagt:
    Unter diesem Gesichtspunkt gesehen, könnte dieser Artikel vielleicht auch akzeptiert werden, wenn man grundätzlich zu der Frage der Demokratie und der Pflicht, sie zu verteidigen,

    (Abg. Schoettle: Richtig!)

    steht wie Sie, Herr Kollege Dr. Heuss.
    - Er tritt also der Auffassung des Herrn Bundespräsidenten bei. —
    Wenn Sie glauben, daß im Falle eines Krieges wegen dieses Artikels
    -- es handelt sich um die Kriegsdienstverweigerung —
    ein billiger Verschleiß von Gewissen stattfinden würde, dann bezweifle ich, ob das richtig ist.
    Herr Dr. Eberhard, auch SPD-Abgeordneter, hat dazu gesagt:
    Ich glaube durchaus, daß man weder die Demokratie noch den Frieden unter allen Umständen durch ein Bekenntnis zum Frieden oder durch ein Bekenntnis zur Kriegsdienstverweigerung verteidigen kann.

    (Hört! Hört! rechts.)

    Man hat also absolut deutlich und klar das Problem gesehen, so wie es liegt.

    (Abg. Schoettle: Darüber streiten wir uns gar nicht!)

    In Art. 24 — ich kann es Ihnen nicht erlassen, diese meine Ansicht hier darzulegen - ist von einem System kollektiver Sicherheit ausdrücklich die Rede, ganz in der Form, wie es gegenwärtig geplant wird. Der Bund hat im Art. 24 des Grundgesetzes im voraus seine Bereitwilligkeit erklärt, sich in ein solches System einzuordnen und die sich hieraus ergebenden Verpflichtungen mit unmittelbarer Verbindlichkeit zu übernehmen. In Art. 26 des Grundgesetzes wird ausdrücklich nur die Vorbereitung eines Angriffskrieges als verfassungswidrig erklärt. Demnach liegen Maßnahmen zur Verteidigung durchaus im Rahmen der Verfassung.
    Die oben erwähnte Äußerung des Justizministers Dr. Dehler in der 24. Sitzung des Parlamentarischen Rates ist im Zusammenhang mit einer Beschlußfassung getan worden, durch die das Wort „Angriffskrieges" bewußt an die Stelle des Wortes „Krieges" gesetzt wurde. Der Hauptausschuß hat diesen Beschluß mit 14 gegen 3 Stimmen gefaßt, also auch mit den Stimmen der Sozialdemokratie. Es kann also keine Rede davon sein, daß sich unser Verfassungsgesetzgeber mit dem Problem der äußeren Verteidigung nicht auseinandergesetzt habe und daß er keine entsprechende Regelung in das Grundgesetz hineingeschrieben habe. In Art. 26 Abs. 2 ist außerdem vorgesehen, daß die Herstellung und Beförderung von Kriegswaffen unter gewisser Kontrolle zulässig ist.
    Ich halte es nun für meine Pflicht, ergänzend die Genesis des Art. 24 zu bringen.

    (Abg. Zinn: Das ist die Rede eines Uk.-Gestellten! Darum handelt es sich doch gar nicht!)

    Die Fraktion der Sozialdemokratischen Partei bestreitet dem gegenwärtigen Bundestag das Recht, in dieser Frage, d. h. in Ausführung des Art. 24, zustimmend zu entscheiden, weil zur Zeit seiner Wahl das Problem noch nicht sichtbar gewesen sei und es sich nicht um die normale politische Willensbildung, sondern um eine Entscheidung handle, die das Wesen der Bundesrepublik von Grund auf verändere. Diese Auffassung steht mit dem Grundgesetz und der Entstehungsgeschichte des Art. 24 in eklatantem Widerspruch. Es waren gerade die sozialdemokra`ischen Vertreter, die bei diesem Artikel d e politische Entscheidung, die mit ihm getroffen wird, herausgearbeitet haben.

    (Hört! Hört! und Sehr gut! rechts.)

    Herr Dr. Seebohm, mein Parteifreund, vertrat die Meinung, daß darin eine Strukturänderung des Grundgefüges des Bundesstaates liege, weil die Übertragung von Hoheitsrechten zugleich die Hoheit der Länder berühre. Diese Auffassung ist ausdrücklich abgelehnt worden.

    (Hört! Hört! in der Mitte und rechts.)

    Ich möchte dazu - das ist notwendig - doch auf die Stellen zurückgreifen, in denen die Meinungen zum Ausdruck kommen. Zunächst hat Professor Schmid zu diesem Problem gesprochen. Er hat Besag t:
    Die grundsätzliche Entscheidung, ich möchte sagen, die Entscheidung vom Rang einer Verfassungsbestimmung soll nicht bei den einzelnen Akten, sondern schon in. dem Augenblick, in dem wir das Grundgesetz beschließen, als eine Entscheidung allgemeiner und fundamentaler Art getroffen werden.

    (Hört! Hört! rechts.)

    Der Abgeordnete Dr. Katz sagte weiter:
    Die Pointe ist gerade die, daß es durch einfaches Gesetz geschehen kann.

    (Hört! Hört! rechts.)

    Darin sehen wir den Fortschritt. Wir wollen uns her aus Anlaß dieses Grundgesetzes bereits grundsätzlich bereit erklären, eventuell in ein derartiges System
    - also der kollektiven Sicherheit —
    einzutreten.

    (Hört! Hört! rechts. Zuruf von der DP: Wetterfahne!)

    Ferner hat Herr Dr. Katz gesagt:
    Das ist eine außerordentlich wichtige Entscheidung. Diese Bestimmung hat also nur Sinn, wenn wir uns jetzt schon darauf festlegen, daß wir bereit sind, Hoheitsrechte auf zwischenstaatliche Einrichtungen zu übertragen, sobald der Augenblick gekommen ist.

    (Hört! Hört! rechts.)

    Herr Staatssekretär Dr. Eberhard hat gesagt: Wenn wir diesen Absatz so annehmen, wie er hier steht, ist es eine sehr schöne Antwort auf das, was die französische Republik in der Prä-


    (Dr. von Merkatz)

    ambel ihrer neuen Verfassung sagt. Es heißt
    dort, daß Frankreich einer Begrenzung der
    Souveränität zustimmt, die für die Organisation
    und die Verteidigung des Friedens notwendig ist.
    Dann hat die Kommunistische Partei einen Antrag gesteilt. Ich muß das anführen, um den Sinn und die Tragweite vollkommen klarzustellen. Herr Renner wollte in diesen Artikel hineingeschrieben haben:
    daß dieses System nicht der Vorbereitung eines Krieges dient und keine militärischen Hilfeleistungen irgendwelcher Art von der Republik oder ihren Angehörigen gefordert oder erwartet werden.
    Dieser Antrag des Abgeordneten Renner wurde abgelehnt.
    Auf einen Antrag des Abgeordneten Menzel, der den Begriff „kollektive Sicherheit" — was ja immerhin ein technischer und im Völkerrecht völlig klargestellter Begriff ist — durch den Begriff „gemeinsame Sicherheit" ersetzen wollte, hat Professor Schmid folgendes gesagt:
    Ich möchte kurz etwas zu dem Antrag Dr. Menzel bemerken, statt „gegenseitiger kollektiver Sicherheit" „gemeinsamer Sicherheit" zu sagen. Ich möchte bitten, diesen Antrag aus folgendem Grund zurückzuziehen. Der Begriff „kollektive Sicherheit" ist ein Terminus technicus, unter welchem etwas ganz Bestimmtes verstanden wird. Der Ausdruck „gemeinsame Sicherheit" entspricht einem indifferentiellen Sprachgebrauch, unter dem man sich das Verschiedenste vorstellen kann. Unter „kollektiver Sicherheit" ist etwas ganz Präzises zu verstehen, eine Institution aus dem großen Gebiet des Kriegsverhütungsrechts, das in den modernen Lehrbüchern als besonderer Abschnitt des Systems des positiven Völkerrechts behandelt zu werden pflegt.

    (Sehr gut! und Hört! Hört! rechts.)

    Professor Schmid sagt weiter:
    „Kollektive Sicherheit" ist ein genau so klar umrissener Terminus wie im Bürgerlichen Recht der Ausdruck „ungerechtfertigte Bereicherung".
    Herr Dr. Menzel hat seinen Antrag aufrechterhalten. Dieser Antrag ist aber abgelehnt warden.
    So ist in den Text unseres Grundgesetzes die Bestimmung des Art. 24 hineingekommen:
    Der Bund kann sich zur Wahrung des Friedens einem System gegenseitiger kollektiver Sicherheit einordnen; er wird hierbei in die Beschränkungen seiner Hoheitsrechte einwilligen, die eine friedliche und dauerhafte Ordnung in Europa und zwischen den Völkern der Welt
    - Atlantikpakt! —
    herbeiführen und sichern.
    Das ist, glaube ich, die ganz klare Genesis, die auch in der zweiten Lesung dieses Artikels aufrechterhalten wurde.
    In der zweiten Lesung sagt der Abgeordnete Dr. Eberhard, auch ein Angehöriger der SPD:
    Wir geben uns hier eine verfassungsmäßige Ordnung, genannt Grundgesetz. Wir haben in erster Lesung ausführlich darüber gesprochen, ob wir ein einfaches Gesetz vorsehen wollen, und wir haben uns dazu entschlossen, im Grundgesetz zu sagen, daß durch einfaches Gesetz Hoheitsrechte
    - in ein kollektives Sicherheitssystem

    (Abg. Dr. Schmid übertragen werden können, um unsere Bereitschaft eindeutig festzulegen, in der europäischen Ordnung und in der friedlichen Ordnung der Welt unsere Rolle dadurch zu spielen, daß wir es leicht machen, Hoheitsrechte auf zwischenstaatliche Einrichtungen zu übertragen. Ich bin dafür, daß wir dabei bleiben. Und man blieb dabei! Damit ist die Kompetenz des Bundestags, gemäß Art. 24 zu verfahren, eindeutig klargestellt, und es bedeutet eine erhebliche Irreführung der öffentlichen Meinung, zu behaupten, diese Probleme seien zur Zeit der Wahl dieses Bundestages nicht sichtbar gewesen. (Beifall in der Mitte und rechts. Zuruf von der SPD: Sie haben doch schwarz-weiß-rot gewählt!)


    (Zuruf von der SPD: So etwas vorzulesen!)

    Sie sind sichtbar seit Yalta und Potsdam.
    Wenn der Sozialdemokratie jetzt in der Frage der Verteidigung der Freiheit der Atem ausgeht und sie den Appell an den Nihilismus unserer Zeit versucht, um dem, was sie an Entscheidung selbst klar gesehen hat, im Mantel eines, wie ich sagen muß, falschen nationalen Pathos auszuweichen, um daraus, wie sie ja hofft, parteitaktische Wahlvorteile zu ziehen,

    (Sehr gut! rechts)

    also einen Appell an den Wahlspeck zu machen, so können wir uns darüber nur außerordentlich wundern.

    (Sehr gut! rechts.)

    Der Umfall in ihrer Haltung, verglichen mit ihrer klaren Linie im Parlamentarischen Rat, ist jedenfalls als eine Krisenerscheinung allerersten Ranges zu notieren.

    (Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien. — Zurufe von der SPD.)

    — Ich glaube, daß meine Rede nicht so sehr humoristisch ist. Der Stoff, der Gegenstand ist keineswegs humoristisch. Jedenfalls empfinde ich es als sehr wenig humoristisch, obwohl es ans Groteske streift, wenn es in dem Brief des Herrn Kirchenpräsidenten Niemöller

    (Zurufe von der SPD)

    nein, es ist nicht falsch gelesen, Sie können es nachlesen — heißt

    (Zuruf von der SPD)

    — ich glaube, daß ich das Problem zu gut erfasse! —, es halte sich hartnäckig die Behauptung, daß zwischen dem Bundeskanzler usw. eine Abmachung über die Verteidigung bereits bestehe und daß dann dieselben Männer, die hier eine völlig klare, logische Linie bezogen haben und sich damals dazu bekannt haben, in ein System kollektiver Sicherheit einzutreten, nun die Dinge vollkommen umdrehen.

    (Zurufe rechts.)

    Das deutsche Volk wünscht nichts sehnlicher als den Frieden und hat als Ziel einer deutschen Friedenspolitik, alle Deutschen in wahrer innerer und äußerer Freiheit zusammenzuführen. Angst und Unentschlossenheit fordern einen kommunistischen Angriff geradezu heraus. Eine klare, mutige und unzweideutige Politik in der Frage der Sicherheit tut not. Eine solche Politik ist in erster Linie eine Angelegenheit der Alliierten und der atlantischen


    (Ur. von Merkatz)

    Gemeinschaft. Dabei gehört es für ein freies Volk zu den Selbstverständlichkeiten, bereit zu sein den Boden der Heimat zu verteidigen.

    (Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Das sind eigentlich metapolitische Tatsachen.

    (Abg. Rische: Aggressionsvorbereitungen! — Gegenruf rechts: Der weiß auch alles!)

    Die Bundesrepublik hat sich weder anzubieten noch zu versagen, sondern zu ihrem Teil die Gewähr zu geben, daß im Bereich ihrer Zuständigkeit alle Bedingungen gesetzt werden, die einen wirksamen Schutz durch die Mächte der atlantischen Gemeinschaft erleichtern. In der Erkenntnis, daß die Erneuerung eines deutschen Staates nur aus der Bereitschaft für Europa erwachsen kann, fühlen wir uns mit den besten Kräften des deutschen Volkes darin einig, daß jeder Schritt gerechtfertigt ist, der dazu beitragen kann, Sicherheit und Freiheit aller freiheitliebenden Völker zu fördern. Wir bekennen uns zu einer europäischen Gemeinschaft, zu gleichem Opfer und zu gleichem Nutzen, zu gleichen Pflichten und zu gleichen Rechten.

    (Zuruf links: Unter der Flagge schwarzweiß-rot!)

    Die Bereitschaft, Europa zu verwirklichen, schließt notwendig auch die Bereitschaft ein, Europa zu verteidigen. Den Mächten der atlantischen Gemeinschaft muß klargemacht werden, daß Deutschland nicht als Vorfeld mißbraucht werden darf. Mit der Vernichtung der deutschen Substanz wäre Europa ebenso zerstört wie mit der Vernichtung des französischen oder irgendeines anderen europäischen Volkes. Wir müssen der Gefahr ganz ruhig gegenübertreten und ihr ins Auge blicken.
    Ein deutscher Beitrag kann aber nur wirksam werden, wenn die westliche Welt die. moralische und praktische Wende in ihrem Verhältnis zum deutschen Volk so aufrichtig vollzieht, wie auch das deutsche Volk dazu bereit ist. Fragen der Verteidigung rühren an das innerste Wesen des Staates. Sie dürfen nicht Gegenstand der Parteipolitik und der Wahlagitation sein.

    (Sehr gut! rechts.)

    Keine deutsche Regierung ist legitimiert, deutsche Staatsbürger in einen Helotenbeitrag zu verstrikken. Der Soldat muß der Fahne und darf nicht der Gulaschkanone verpflichtet sein.

    (Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Er muß wissen, wofür er kämpft. Diese Fahne, diese Idee kann nur die europäische sein.

    (Zurufe links.)

    Noch weht die europäische Fahne nicht, noch herrschen teilweise Mißtrauen, nationaler Eigennutz, und noch und das ist ein besonderes Anliegen meiner politischen Freunde — ist die Diffamierung des deutschen Soldaten nicht wiedergutgemacht.

    (Sehr richtig! rechts.)

    Ich stehe auf dem Standpunkt, daß die Ehre des deutschen Soldaten durch nichts gekränkt werden kann.

    (Lebhafte Rufe: Sehr gut! und Händeklatschen bei den Regierungsparteien.)

    Die Ehre des deutschen Soldaten ist für uns unantastbar und steht fest.

    (Bravorufe.)

    Aber auch der Versuch, ehrenwerte Männer unter zum Tel unwürdigen Verhältnissen in Hait zu halten, bedarf des Widerspruchs, und es bedarf wirklich einer tatkräftigen Handlung — ich möchte
    das in aller Ruhe hier vorbringen —, um den Deutschen diese Last von der Seele zu nehmen. Denn darüber sind wir uns doch klar: Männer wie Manstein, wie Kesselring und andere, die in Landsberg und Werl einsitzen, diese Männer und wir, wir sind doch eines. Wir haben doch das mitzutragen, was man ihnen, stellvertretend für uns, auferlegt.

    (Zuruf des Abg. Rische.)

    Man schaffe die moralischen und praktischen Voraussetzungen in Europa, damit der ehrliche Wille und die geschichtliche Einsicht in die Fehler und die Schuld auch der deutschen Vergangenheit die besten deutschen Kräfte vereinigt mit einer entschlossenen europäischen und atlantischen Politik in der Notwendigkeit, durch Stärke und Zusammenarbeit die Gefahren eines dritten Weltkrieges zu bannen.
    Wir begrüßen es lebhaft, daß der Kerngedanke der Regierungserklärung der gewesen ist: Sicherung des Friedens. Starke alliierte Truppenverbände müssen an der Elbe stehen, die eine weitere Ausbreitung des Sowjetismus hindern und deren Vorhandensein eine Revision in der Aggressionspolitik der östlichen Welt einleiten wird. Man stärke die Bundesrepublik in ihrer friedlichen Absicht, den deutschen Menschen ein lebenswertes Leben zu ermöglichen. Man gebe Sicherheit und Beweise des guten Willens sowie des Vertrauens, die den deutschen Menschen Hoffnung verleihen, den Weg der Arbeit wad des zähen Fleißes fortzusetzen, um die Wunden zu heilen und so einen Beitrag für die Gesundung der Welt zu leisten.
    Man nenne unsere Sorge um die deutschen Menschen im Osten, die dem kommunistischen Regime ausgesetzt sind, nicht Revisionismus. Deutschland will nicht in der Verblendung von einst wiederkehren, sondern als Glied des vereinigten Europas. Das deutsche Volk lebt in der Erkenntnis neuer Horizonte einer besseren Welt, die mit der Verwirklichung der europäischen Gemeinschaft heraufkommen wird.
    Wir alle haben die Besten dahingehen sehen; wir alle haben unsere Gräber draußen. Uns bleibt in dunkelster Stunde der deutschen Geschichte die Aufgabe, eine Nachtwache zu halten,

    (Zuruf von der SPD: Bundesnachtwächter!)

    um zu behüten und zu bewahren, was Inhalt unserer Menschenwürde ist. Wir haben vor die Schwachen, die Verzweifelten und vor die Bedenkenlosen hinzutreten, um sie zu schützen vor Unbedacht und Gehenlassen — sei es mit den Gefühlen ohnmächtigen Nationalismus' gepaart —, oder vor der Versuchung zu bewahren, als käufliche Menschen alles zu verraten, was uns allein zukommt: Beharrung und Selbstverwirklichung.
    Ich bin mit meinen politischen Freunden im Angesicht eines furchtbaren Gegners ganz ruhig. Diese Ruhe ist dem deutschen Volke lebensnotwendig und ist mit der wichtigste Beitrag, daß wir unser Dasein erhalten: uns nicht einschüchtern zu lassen, weder durch die Methoden der direkten Aggressionsdrohung noch durch die indirekten Methoden des Nervenkrieges.
    Wir beklagen es tief, daß sich so viele Deutsche im Osten als Helfershelfer eines Systems gefunden haben, das seine willkürliche Utopie aller Welt gewaltsam aufzwingen will, um diese Erde einer kleinen Cliqué machthungriger Menschen botmäßig zu machen. Es ist nicht das erste Mal, daß wir Europäer uns solchen Bedrohungen gegenübersehen. Ohne uns geht es nicht. Wir setzen der Parole des „ohne uns" oder des „ohne mich" ganz bewußt die Forderung entgegen: mit uns.


    (Dr. von Merkatz)

    nicht nur für uns, sondern für eine Welt freier
    Völker, die begriffen haben, daß der größere Horizont, die Selbstbereinigung nationalistischer Instinkte das Tor für eine Ordnung öffnet, die den
    Schlußstein in die Verwirklichung der sozialen
    Forderungen und Verpflichtungen setzt, die uns in
    diesem rätselhaften Jahrhundert aufgegeben sind,

    (Zuruf von der SPD: S i e sind rätselhaft! — Weitere Zurufe — Glocke des Präsidenten)

    daß aus der Summe unermeßlicher Brutalität und
    Lüge ein neues Gesetz menschlichen Daseins gebären wird. Unser Volk steht in Gefahr, die Richtung
    zu verlieren. Bei dem Thema, das heute hier besprochen worden ist, handelt es sich um eine echte
    Führungsaufgabe. Gebe Gott uns und unserem
    Volk die Kraft, daß wir unserer Pflicht genügen!

    (Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.— Zurufe links. — Gegenrufe rechts.)