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ID0109800600

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    Deutscher Bundestag — 98. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. November 1950 3563 98. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 8. November 1950. Geschäftliche Mitteilungen 3563B Entgegennahme einer Erklärung der Bundesregierung (Beitrag der Bundesrepublik Deutschland zur Verteidigung des Westens, Pleven-Plan und Vorschlag der Sowjetregierung zur Einberufung der Außenministerkonferenz der vier Großmächte) 3563C Dr. Adenauer, Bundeskanzler 3563D, 3621D Aussprache über die Erklärung der Bundesregierung 3567B Dr. Schumacher ,(SPD) . . . 3567B, 3620C Frau Wessel (Z) 3576D Dr. Seelos (BP) 3582A von Thadden (DRP) 3587B Schuster (WAV) 3590C Dr. Richter (Niedersachsen) (parteilos) 3591B Dr. Doris (parteilos) 3593A Rische (KPD) 3594A Dr. Leuchtgens (DRP) 3599C Clausen (SSW) 3600D Fröhlich (BHE) 3601B Dr. Schäfer (FDP) 3602A Dr. von Merkatz (DP) 3608D Dr. von Brentano (CDU) 3615A Nächste Sitzung 3622C Die Sitzung wird um 13 Uhr 13 Minuten durch den Präsidenten Dr. Ehlers eröffnet.
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    Rede von Dr. Konrad Adenauer


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Meine Damen und meine Herren! Drei Ereignisse der letzten Zeit sind von solch entscheidender Bedeutung für die deutsche Zukunft, daß das deutsche Volk ein Recht darauf hat, die Stellung der Bundesregierung und, wie ich wohl hinzusetzen darf, auch der Fraktionen dieses Hauses zu diesen Ereignissen kennenzulernen. Diese Ereignisse sind
    1) die Beratung der Frage eines Beitrages der Bundesrepublik Deutschland zu der Verteidigung des Westens auf der New Yorker Außenministerkonferenz und den Konferenzen, die sich an diese angeschlossen haben;
    2) der von Frankreich vorgelegte Pleven-Plan;
    3) der Vorschlag der Sowjetregierung zur Einberufung der Außenministerkonferenz der vier Mächte — Vereinigte Staaten, England, Frankreich, Sowjetrußland — zwecks Erfüllung der Beschlüsse der Potsdamer Konferenz hinsichtlich der Demilitarisierung
    Deutschlands und der Durchführung der Beschlüsse der Prager Konferenz der Außenminister der Sowjetunion, Albaniens, Bulgariens, der Tschechoslowakei, Polens, Rumäniens, Ungarns und der Deutschen Demokratischen Republik
    — das ist der Wortlaut der Note — vom 20. und 2L Oktober 1950.
    Diese drei Ereignisse, meine Damen und Herren, stehen in innerem Zusammenhang; ihre zutreffende Würdigung ist nur möglich, wenn man die von Sowjetrußland seit 1940 und in verstärktem Maße seit 1944/45 verfolgte Politik kennt. Sowjetrußland hat sich in diesen wenigen Jahren ein ungeheures Gebiet unterworfen, zum Teil durch direkte Einverleibung, zum Teil durch Umwandlung der betreffenden Länder in ihm hörige Satellitenstaaten. Rußland ist dabei immer nach dem


    (Bundeskanzler Dr. Adenauer)

    gleichen Rezept vorgegangen: zunächst Schaffung einer Fünften Kolonne in dem betreffenden Lande von ihm blind gehorchenden, zu jeder Gewalttat fähigen Personen, gleichzeitig Einschüchterung und Lähmung der ihm ablehnend gegenüberstehenden Kreise durch jede Art von Terror, Wahlen auf Grund von Einheitslisten, Bildung einer Sowjetrußland hörigen Regierung durch das auf Grund der sogenannten Einheitswahlen zustandegekommene Parlament. Mit dieser Methode hat sich Sowjetrußland einverleibt: im Jahre 1940 Litauen, Lettland, Estland. Als Satellitenstaaten hat es seiner Herrschaft unterworfen: in den Jahren 1944/45 Albanien, 1944 bis 1949 Bulgarien, 1944/45 Jugoslawien, 1944 bis 1949 Polen, 1944 bis 1948 Rumänien, 1944 bis 1949 Ungarn, 1944 bis 1948 die Tschechoslowakei, 1945 bis 1950 die Mandschurei, 1945 bis 1948 Nordkorea.
    In zwei Ländern ist Sowjetrußland bei dem gleichen Vorgehen auf erbitterten Widerstand gestoßen, in Griechenland und in Aserbeidschan. Es hat infolgedessen hier sein Vorgehen nicht weiter verfolgt. In der Sowjetzone Deutschlands versucht es die Schaffung eines Satellitenstaates nach der gleichen Methode. Dort, wo es ihm nötig erschien, hat es nicht einmal den Schein einer gewissen Selbständigkeit des betreffenden Satellitenstaates gewahrt, sondern das Heer des Landes seinem Kommando direkt unterstellt; so insbesondere in Polen und in der Tschechoslowakei.
    Die Tendenz der Sowjetrussischen Republik gegenüber Deutschland und Westeuropa geht aus folgendem hervor. In der Sowjetzone sind erhebliche sowjetrussische Truppenmassen konzentriert. Der englische Verteidigungsminister Shinwell hat in einer Rede, die er im Juli dieses Jahres im britischen Unterhaus gehalten hat, erklärt, daß über 30 russische Divisionen in der Sowjetzone stünden. Diese Divisionen sind völlig ausgerüstet mit Munition, mit Treibstoff und mit feldmarschmäßiger Verpflegung, um nötigenfalls in kürzester Frist marschieren zu können. Es handelt sich um Panzerdivisionen und motorisierte Divisionen. Die Luftwaffe wird in der Sowjetzone ständig verstärkt.
    In der Sowjetzone hat man ferner seit Beginn des Jahres 1950 mit der Aufstellung einer aus Deutschen bestehenden Armee begonnen. Die Truppe wird zwar „Polizei" genannt, sie ist aber nach Ausbildung, Bewaffnung und Zielsetzung keine Polizeitruppe, sondern eine Armee. Die Zahl dieser deutschen Truppen beträgt zur Zeit zwischen 70 000 und 80 000. Man hat in der Sowjetzone zwölf Kriegsschulen eingerichtet, auf denen Unteroffiziere und Offiziere herangebildet werden. Die Truppen sind kaserniert. Die Organisation ist so angelegt, daß diese Armee im Jahre 1951 rund 150 000 Mann, im Jahre 1952 rund 300 000 Mann stark sein wird.
    Den Truppen dieser Armee wird von Propagandaoffizieren als Ziel die Befreiung der Bundesrepublik Deutschland von den Westalliierten und die Vereinigung mit der Ostzone zu einem russischen Satellitenstaat genannt.
    Die Aggressionen Sowjetrußlands haben zwar die Westalliierten mit Protestnoten beantwortet; sie haben sich aber bis zum Sommer dieses Jahres, das heißt bis zu den Vorfällen in Korea, nicht dazu entschließen können, mit Waffengewalt dagegen vorzugehen. Erst die Vorgänge in Korea, der Einfall der nordkoreanischen Truppen in Südkorea, haben dazu geführt, daß zunächst amerikanische Truppen, dann UNO-Truppen gegen die mit
    russischem Kriegsmaterial versehenen nordkoreanischen Truppen eingesetzt wurden. — Um das Bild vollständig zu machen, muß ich noch hervorheben, daß gegen den Bestand der Bundesrepublik Deutschland eine zielbewußte Wühlarbeit durch die Kommunistische Partei und durch die SED stattfindet.
    Ich wende mich nun, meine Damen und Herren, zu der Note Sowjetrußlands, in der der Zusammentritt einer Außenministerkonferenz verlangt wird. Bezeichnend ist, daß in dieser Note von der Sowjetzonenarmee keine Rede ist, sondern nur von der sogenannten Remilitarisierung Westdeutschlands. Bezeichnend ist ferner, daß sie in dem Augenblick übergeben wird, in dem die Frage eines deutschen Beitrags zur Verteidigungsfront gegen eine Aggression Sowjetrußlands akut wird. Ebenso bezeichnend ist, daß diese Note übergeben wird, während gleichzeitig Sowjetrußland Nordkorea mit neuem Kriegsmaterial versorgt.
    In dieser Note wird als Grundlage der Konferenz die Durchführung der Prager Beschlüsse bezeichnet. In diesen Prager Beschlüssen wird unter anderem verlangt: „Bildung eines gesamtdeutschen konstituierenden Rates unter paritätischer Zusammensetzung aus Vertretern Ost- und Westdeutschlands, der die Bildung einer gesamtdeutschen souveränen demokratischen und friedliebenden provisorischen Regierung vorzubereiten und der Sowjetunion, den Vereinigten Staaten, Großbritannien und Frankreich die entsprechenden Vorschläge zur gemeinsamen Bestätigung zu unterbreiten hat und der bis zur Bildung einer gesamtdeutschen Regierung zur Konsultation bei der Ausarbeitung des Friedensvertrages hinzuzuziehen ist."
    Dieser grundlegende und entscheidende Bestandteil des Prager Abkommens ist für die Bundesrepublik Deutschland nach der Meinung der Bundesregierung völlig unannehmbar.

    (Zustimmung bei den Regierungsparteien.)

    Es gibt in der Sowjetzone keine auf Grund von freien, gleichen und geheimen Wahlen zustande gekommene Vertretung.

    (Sehr richtig! in der Mitte und rechts.)

    Es ist ausgeschlossen, daß wir in irgendwelche Verhandlungen mit der Sowjetzone über Bildung eines gemeinsamen Organs treten, ehe das von uns wiederholt gestellte Verlangen auf Durchführung freier Wahlen in der Sowjetzone erfüllt ist.

    (Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien und bei der SPD.)

    Die sowjetrussische Note stößt in den Vereinigten Staaten auf Ablehnung. In England steht man ihr sehr skeptisch gegenüber. Lediglich in Frankreich haben sich Stimmen gefunden, die glaubten, in irgendeiner Form auf diese Note eingehen zu sollen. Beschlüsse einer Außenministerkonferenz, die die Prager Beschlüsse zur Grundlage haben, sind, wie ich eben schon gesagt habe und wie ich nochmals ausdrücklich wiederhole, für uns unannehmbar. Es ist zwar noch keine der westalliierten Regierungen mit der Bundesregierung über deren Meinung zu der sowjetischen Note in Verbindung getreten; ich darf aber wohl die Hoffnung aussprechen, daß eine Stellungnahme zu der Note nicht erfolgen wird, ohne daß unsere Meinung darüber eingeholt und entsprechend beachtet wird,

    (Sehr gut! bei der CDU)

    denn es handelt sich dabei um unser Schicksal,
    um das Geschick des deutschen Volkes. Die Entwicklung ist seit 1945, insbesondere aber seit


    (Bundeskanzler Dr. Adenauer)

    Schaffung der Bundesrepublik Deutschland so weit fortgeschritten, daß die Stimme der Bundesrepublik gehört und beachtet werden muß. Ich weise in diesem Zusammenhange auch darauf hin, daß nach der ausdrücklichen Erklärung der New Yorker Außenministerkonferenz die Organe der Bundesrepublik Deutschland als die einzigen legitimen Vertreter des deutschen Volkes von den Westalliierten anerkannt worden sind. Nach unserem Dafürhalten ist die sowjetrussische Note nichts anderes als einer der bekannten Störungsversuche Sowjetrußlands, um jede Konsolidierung einer Abwehrfront gegen die sowjetrussische Aggression zu verhindern oder wesentlich zu verlangsamen.

    (Sehr wahr! bei der CDU. — Zuruf von der KPD: Das ist sehr deutlich!)

    Ich komme nun, meine Damen und Herren, zu dem Pleven-Plan. Ich darf dazu zunächst folgendes sagen. Herr Ministerpräsident Pleven hat durch den französischen Hohen Kommissar François-Poncet mir gestern Aufklärungen über gewisse Formulierungen des Pleven-Plans geben lassen. Er hat insbesondere erklären lassen, daß jede Diskriminierung Deutschlands ausgeschlossen sei, daß Deutschland im Pleven-Plan allen anderen Partnern völlig gleichberechtigt und gleichgestellt sein solle.

    (Unruhe bei der SPD.)

    Wir Deutsche nehmen — das darf ich wohl feststellen — mit Befriedigung und Dank von dieser Mitteilung Kenntnis. Wir freuen uns, daß dadurch gewisse Formulierungen des Pleven-Plans, die bei uns Erstaunen hervorgerufen haben, klargestellt sind. Wir betrachten den Pleven-Plan als einen wesentlichen Beitrag zur Integration Europas. Die Integration Europas ist nach wie vor eines der Hauptziele
    Auffassung, daß ie Schaffung einer europäischen Armee — möglichst unter Teilnahme Englands — einen sehr wesentlichen Fortschritt auf dem Wege zur Erreichung des Endzieles: Integration Europas, bedeuten wird. Wir wollen deswegen gern bei der Beratung des Pleven-Plans mitarbeiten.
    Gegen den Pleven-Plan sind auch von nichtdeutscher Seite Bedenken geäußert worden. Diese Bedenken sind verständlich. Es ist klar, daß der Versuch einer Regelung einer so schwierigen und wichtigen Materie nicht sofort und in allen Punkten alle interessierten Staaten befriedigen kann, so daß eine sehr sorgfältige Durchberatung nötig ist. Eine solche Beratung und die Verwirklichung des Ergebnisses dieser Beratung erfordert Zeit.
    Die Situation in der Welt ist aber derart, daß wir bald zu friedlichen Verhältnissen kommen müssen. Die Fortdauer der jetzigen Spannungen ist nicht weiter tragbar. Man sollte unseres Erachtens unabhängig von der Beratung des PlevenPlans den auf den Konferenzen der letzten Monate unternommenen Versuch, zu einer Beendigung der jetzigen gefährlichen Periode internationaler Spannungen zu kommen, so schnell wie möglich und so stark wie möglich weiterführen. Die Beratung des Pleven-Plans braucht darunter in keiner Weise zu leiden.
    Ich wende mich jetzt, meine Damen und Herren, zu der Frage eines Beitrags der Bundesrepublik Deutschland zu der Verteidigung des Westens, wie sie von der New Yorker Außenministerkonferenz und den Konferenzen, die sich an diese angeschlossen haben, gegen die Stimme Frankreichs verlangt worden ist. Ein solcher Beitrag ist von uns bisher nicht verlangt und von uns auch nicht angeboten worden. Es ist aber nötig, trotzdem über diese
    Frage hier zu sprechen, weil durch die bereits geführten Diskussionen sehr viel Unklarheit in Deutschland und außerhalb Deutschlands geschaffen worden ist. Wenn wir uns auch nicht anbieten, so dürfen wir es aber auch nicht zulassen, daß durch Reden unverantwortlicher Stellen die Stellung einer Frage an uns verhindert wird.

    (Unruhe bei der SPD.)

    Nach den Erfahrungen, die wir Deutschen mit dem totalitären Regime der Nazizeit gemacht haben, nach den Erfahrungen, die die Welt mit dem totalitären Sowjetrußland seit 1944 gemacht hat und die ich eben im einzelnen skizziert habe, sollte eines die gemeinsame Überzeugung aller Deutschen sein: Totalitäre Staaten, insbesondere Sowjetrußland, kennen nicht wie die demokratischen Staaten als wesentliche Faktoren des Zusammenlebens der Menschen und der Völker Recht und Freiheit; sie kennen nur einen maßgebenden Faktor: das ist die Macht. Mit einem totalitären Staat können daher Verhandlungen zur Regelung internationaler Fragen mit Aussicht auf Erfolg nur geführt werden, wenn derjenige, der diese Verhandlungen — mit Sowjetrußland — führt, ebenso stark, wenn nicht noch stärker ist als Sowjetrußland.

    (Zustimmung rechts. — Zuruf von der KPD: Das ist eine Erpressung!)

    Das Verhalten Sowjetrußlands seit 1944, insbesondere in Griechenland und in Aserbeidschan hat auch gezeigt, daß Sowjetrußland nicht ohne weiteres geneigt ist, Risiken einzugehen. Wir sind der Auffassung, daß die westlichen Mächte unter Führung der Vereinigten Staaten in der Lage sind, eine solche Abwehrfront rechtzeitig zu errichten. Wir begrüßen es, daß die Vereinigten Staaten die große und schwere Aufgabe, die ihnen ihre ungeheure wirtschaftliche und politische Macht auferlegt hat, erkannt haben und daß sie bereit sind, diese Aufgabe im Interesse des Friedens und der Freiheit zu erfüllen.

    (Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Rische: Siehe Korea! — Gegenrufe rechts.)

    Die Frage, ob Deutschland, wenn es dazu aufgefordert wird, sich an einer solchen Abwehrfront zu beteiligen, das tun soll, ist lebhaft diskutiert worden. Zunächst möchte ich folgendes vorausschicken. Es ist ganz klar, daß Voraussetzung für jeden Widerstand Deutschlands gegen irgendeine Aggression die Herbeiführung möglichst guter und ausgeglichener sozialer Verhältnisse im Innern ist.

    (Erneuter lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien. — Unruhe bei der SPD.)

    Bei der Beantwortung der Frage, ob Deutschland, wenn es darum gefragt wird, sich beteiligen soll, ist davon auszugehen, daß es sich bei dieser Aktion darum handelt, den Frieden zu retten, und daß die Bildung einer solchen Schutzfront für den Frieden

    (Abg. Dr. Wuermeling: Sehr gut!)

    die einzige Möglichkeit ist, den Krieg zu verhüten.

    (Erneute Zustimmung und Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Das Vorgehen Sowjetrußlands seit 1944 zeigt völlig klar die Tendenz der russischen Politik und die Möglichkeiten, trotz dieser Tendenzen zu einem Frieden mit Rußland zu kommen. Die Deutschen müssen sich darüber klar sein, daß sie unmöglich erwarten können, daß die Vereinigten Staaten, Kanada und die westeuropäischen Länder


    (Bundeskanzler Dr. Adenauer)

    die Opfer, die mit der Schaffung einer solchen Abwehrfront verbunden sind, auf sich nehmen, während Deutschland selbst nichts dazu beiträgt.

    (Sehr richtig! bei der CDU.)

    Für jeden Deutschen, meine Damen und Herren, mit gesundem Empfinden muß es auch ein zwingendes Gebot sein, seine Heimat und seine Freiheit zu verteidigen.

    (Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.) Und um nichts anderes handelt es sich!


    (Erneuter lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Zwei Voraussetzungen für eine Beteiligung Deutschlands an der Bildung einer solchen Abwehrfront muß ich besonders hervorheben. Einmal muß diese Abwehrfront so stark sein, daß sie jede russische Aggression unmöglich macht; und ferner muß die Bundesrepublik Deutschland, wenn sie sich mit einem angemessenen Beitrag beteiligen soll, die gleichen Pflichten, aber auch die gleichen Rechte haben wie alle anderen daran beteiligten Länder.

    (Erneuter lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Ich bin der Auffassung, daß auf diesem Wege, auf dem Wege der Bildung einer solchen Abwehrfront, auch die Wiedervereinigung mit unseren deutschen Brüdern und Schwestern in der Sowjetzone zu erreichen ist.

    (Anhaltender Beifall bei den Regierungsparteien und rechts. — Zurufe von der KPD.)

    Es sind in der Diskussion, insbesondere von sozialdemokratischer Seite. rechtliche Ausführungen im Zusammenhang mit dieser Frage gemacht worden, die ich in meiner Erklärung nicht unerwähnt lassen darf. Die sozialdemokratische Fraktion hat in einem Kommuniqué erklärt, daß jeder deutsche militärische Beitrag zu irgendeinem Verteidigungssystem verfassungändernden Charakter habe und daher nur mit Zweidrittelmehrheit beschlossen werden könne.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Sie hat ferner dem andereärtigen Bundestag das Recht bestritten, in dieser Frage zustimmend zu entscheiden, weil zur Zeit seiner Wahl das Problem noch nicht sichtbar gewesen sei; eine Entscheidung für einen etwaigen deutschen militärischen Beitrag sei daher nur auf der Grundlage von Neuwahlen zum Bundestag möglich.
    Diese Ausführungen, meine Damen und meine Herren, sind rechtlich nicht haltbar. Jeder Bundestag hat für die Zeit seiner Wahl das Recht und, meine Damen und Herren, auch die Pflicht,

    (Lebhafte Zustimmung bei den Regierungsparteien.)

    alle Aufgaben zu erfüllen, die während dieser Zeit an ihn herantreten,

    (Sehr richtig! bei der CDU/CSU)

    gleichgültig, ob diese Aufgaben bei der Wahl schon erkennbar waren oder nicht.

    (Zustimmung und Beifall bei den Regieparteien)

    Nach unserem Grundgesetz hat der Bundestag kein Recht der Selbstauflösung. Man hat nach reiflicher Überlegung und mit Zustimmung der sozialdemokratischen Mitglieder des Parlamentarischen Rats

    (Abg. Dr. Wuermeling: Hört! Hört!)

    für den Fall, daß politische Notwendigkeiten eine
    Neuwahl erforderten, nur dem Bundeskanzler das
    Recht gegeben, durch Stellung eines Vertrauensantrages eventuell eine Neuwahl zu erzwingen. Maßgebend, meine Damen und Herren, war bei allen diesen Überlegungen die bittere Erfahrung, die wir in der Weimarer Republik gemacht haben,

    (Abg. Frau Dr. Weber [Essen]: Weiß Gott!) daß sich heterogene politische Faktoren, die zu gemeinsamer politischer Arbeit nicht fähig waren, aus destruktiven Gründen zur Lahmlegung der politischen Arbeit zusammengefunden haben.


    (Sehr richtig! bei den Regierungsparteien.)

    Bei den Beratungen des Grundgesetzes im Parlamentarischen Rat ist auch ausführlich über die Fragen militärischer Natur und der Möglichkeit eines Krieges gesprochen worden. Im Art. 26 Abs. 1 GG ist mit Zustimmung der sozialdemokratischen Vertreter lediglich die Vorbereitung eines Angriffskrieges für verfassungswidrig erklärt worden.

    (Zustimmung bei der CDU.)

    Im Art. 4 Abs. 3 ist bestimmt, daß niemand gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden darf. Es heißt dort ferner: „Das Nähere regelt ein Gesetz", und in einem weiteren Artikel ist bestimmt, daß der Bund sich zur Wahrung des Friedens einem System gegenseitiger kollektiver Sicherheit einordnen könne. Aus allen diesen Bestimmungen geht ganz unzweideutig hervor, daß die Entscheidung über einen militärischen Beitrag — jetzt nehme ich die Worte auf, die in dem Kommuniqué der sozialdemokratischen Fraktion enthalten sind — das Wesen der Bundesrepublik nicht von Grund auf verändert.

    (Sehr richtig! bei der CDU.)

    Meine Damen und Herren! • Die westliche Welt befindet sich in einer wahrhaft großen Gefahr.

    (Zustimmung bei der CDU.)

    Die Bundesrepublik Deutschland ist Teil dieser westlichen Welt, ja sie ist infolge ihrer geographischen Lage der Gefahr sogar stärker ausgesetzt als andere Länder.

    (Sehr wahr! bei den Regierungsparteien. — Zuruf: Das kann man wohl sagen!)

    Diese gemeinsame Gefahr begründet eine Schicksalsgemeinschaft; denn wo auch die Aggression erfolgt, sie trifft diese Gemeinschaft in allen ihren Gliedern.
    Diese Gefahr aber ist nicht unabwendbar, und das deutsche Volk, das den Frieden liebt, wird auch niemals die Hoffnung aufgeben, daß der Friede erhalten werden kann.

    (Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien und rechts.)

    Es wird darum auch jede Anstrengung machen, uni den Frieden zu bewahren. Aus der Erfahrung folgt aber, daß in einer Lage wie der gegenwärtigen Verhandlungen mit dem Ziel einer Normalisierung der Beziehungen nur dann Aussicht auf Erfolg haben, wenn die Sowjetunion weiß, daß der Verhandlungspartner so stark ist, daß mit einer sowjetrussischen Aggression ein wirkliches Risiko für Sowjetrußland verbunden ist.

    (Zustimmung bei den Regierungsparteien.)

    Diese Stärke ist nur gewährleistet, wenn die westliche Welt ihre Verteidigung als eine einheitliche
    Verteidigung organisiert. Die westlichen Mächte sind
    sich ferner darin einig, daß die Kräfte nur dann
    zur Verteidigung ausreichen, wenn auch Deutschland seinen Beitrag dazu leistet. Das deutsche Volk


    (Bundeskanzler Dr. Adenauer)

    kann sich davon nicht ausschließen, nicht nur weil dieser Schutz es selbst vor einer tödlichen Gefahr bewahrt, sondern auch weil es selber eine Verpflichtung gegenüber Europa und den Völkern der westlichen Zivilisation zu erfüllen hat.
    Deswegen, meine Damen und Herren, darf ich Ihnen im Namen der Bundesregierung folgende Entschließung mitteilen:
    Die Bundesregierung erblickt in dem Pleven-Plan einen wertvollen Beitrag zu der Integration Europas, die eines der vornehmsten Ziele ihrer Politik ist.

    (Hört! Hört! bei der KPD.)

    Sie ist der Meinung, daß die gegenwärtige internationale Spannung einer schnelleren Beilegung bedarf, ais dies auf dem Wege der Gestaltung des Pleven-Planes möglich ist.
    Sie ist der Auffassung, daß eine allgemeine Befriedung auf dem Wege der Verhandlung mit der Sowjetunion herbeigeführt werden muß, daß diese Verhandlung aber nur dann Erfolg haben wird, wenn gegenüber der sowjetrussischen Bedrohung eine Abwehrfront der westlichen Mächte aufgebaut wird, die mindestens so stark ist wie jene.
    Die Bundesregierung ist der Auffassung, daß die Bundesrepublik Deutschland, wenn sie von den westlichen Mächten dazu aufgefordert werden wird, bereit sein muß, einen angemessenen Beitrag zu dem Aufbau dieser Abwehrfront zu leisten, und zwar um ihren Fortbestand, die Freiheit ihrer Bewohner und die Weitergeltung der westlichen Kulturideale zu sichern.
    Voraussetzung für die Leistung eines solchen Beitrags ist die völlige Gleichberechtigung Deutschlands in dieser Abwehrfront mit den übrigen an ihr teilnehmenden Mächten und ferner eine Stärke dieser Abwehrfront, die genügt, um jede russische Aggression unmöglich zu machen.

    (Langanhaltender lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien und rechts.)



Rede von Dr. Hermann Ehlers
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Meine Damen und Herren! Ich eröffne die
Aussprache über die Erklärung der Bundesregierung.
Der Ältestenrat hat Ihnen vorzuschlagen, daß die Aussprache auf acht Stunden — 480 Minuten — begrenzt wird. Ich bitte, davon Kenntnis zu nehmen, daß danach auf die CDU und SPD .je 100 Minuten, auf die FDP 60 Minuten, auf die kleinen Parteien je 40 Minuten, auf die Gruppe der Deutschen Reichspartei 24 Minuten entfallen. Ich nehme Ihr Einverständnis damit an, daß die Redezeit der unabhängigen Abgeordneten, soweit sie das Wort nehmen, auf 10 Minuten begrenzt wird. — Das Haus ist damit einverstanden.
Als erster Redner in der Aussprache hat das Wort der Herr Abgeordnete Dr. Schumacher.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Kurt Schumacher


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Meine Damen und Herren! Die New Yorker Beschlüsse sind durch die Erklärung des Herrn Bundeskanzlers nicht im einzelnen gewürdigt worden. Ich muß darum darauf verzichten, sie in den Vordergrund des ersten Teils meiner Rede zu stellen, und muß mich mit wenigen allgemeinen Bemerkungen begnügen. Eine genaue Untersuchung der New Yorker Beschlüsse zeigt, daß wir auch nach Erfüllung der Versprechungen der Beschlüsse noch nicht dort angelangt sein werden, wo uns nach einer freundlicheren Beurteilung der Situation im vorigen November der Herr Bundeskanzler bereits angelangt sah, als er meinte: „Zum ersten Male wird unsere Gleichberechtigung anerkannt". Die Gleichberechtigung ist noch immer ein Ziel, das es erst zu erringen gilt. Die Situation ist, abschließend zu diesem Punkt bemerkt, doch die: Man ist in den New Yorker Beschlüssen den Deutschen stückweise entgegengekommen; aber man behält es sich vor, jedes Entgegenkommen wieder zurückzunehmen. Man verlangt umgekehrt in der Frage des deutschen militärischen Beitrages zu irgendeinem System der Sicherung der Freiheit ein vollständiges, unkorrigierbares und unbedingtes Entgegenkommen und Sicheinordnen der Deutschen. Unter dieser Diskrepanz und unter dem Druckmittel, daß gewisse Andeutungen und Versprechungen von New York bei einer renitenten oder zu selbständigen Haltung der Deutschen verweigert werden könnten, steht jetzt, international gesehen, die Aussprache zu diesem Punkt.

    (Sehr wahr! bei der SPD.)

    Die politischen und militärischen Konzeptionen der Alliierten sind der große Gegner, mit dem wir uns nach Möglichkeit mit dem Ziel des Sichfindens auseinanderzusetzen haben. Aber im Abs. 11 des New Yorker Kommuniqués steht wörtlich zu lesen: „ ... das Besatzungsstatut abzuändern, indem sie aber die juridischen Grundlagen der Okkupation beibehalten".

    (Hört! Hört! bei der SPD.)

    Nun, meine Damen und Herren, das ist der Geist und die eindeutige Berufung auf diesen Geist der bedingungslosen Kapitulation.

    (Sehr richtig! Sehr wahr! bei der SPD.)

    Ich möchte das ganze Haus zum Zeugen für eine einheitliche Meinung der Deutschen anrufen, daß der Geist der bedingungslosen Kapitulation nicht der Geist ist, aus dem politische, moralische und militärische Werte geschaffen werden können.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD und bei der FDP.)

    Die Schwierigkeiten konzentrieren sich jetzt, ganz äußerlich gesehen, auf die Stellungnahme der französischen Nationalversammlung und der Regierung Pleven. Nach dieser Erklärung des französischen Herrn Ministerpräsidenten hat man überall in der Welt und offensichtlich am stärksten bei der deutschen Bundesregierung eine Fülle von Erklärungen und Kommentierungen zu diesem Standpunkt über sich ergehen lassen müssen. Aber diese Kommentierungen und Erklärungen, die zum Teil genau das Gegenteil von dem sagen, was der französische Ministerpräsident im Auftrage der Nationalversammlung gesagt hat,

    (Sehr richtig! bei der SPD)

    zeigen zwar eine geradezu bundesdeutsche Virtuosität im Dementieren und Exemplifizieren,

    (Heiterkeit und Beifall bei der SPD)

    aber sie können uns doch über das eigentliche Problem nicht hinwegtäuschen. Wir sind erstaunt und nicht erfreut darüber, daß der Herr Bundeskanzler die Erklärung Pleven als eine Diskussionsgrundlage betrachtet. Wir Sozialdemokraten betrachten sie nicht als das Fundament einer Auseinandersetzung.

    (Beifall bei der SPD.)



    (Dr. Schumacher)

    Uns ist gewiß wichtig und von größter Bedeutung das Zusammenarbeiten mit dem französischen Volke. Aber ich glaube, diesen Geist der Zusammenarbeit kann man nicht dadurch erreichen, daß man widerspruchslos eine politische Konzeption in Frankreich hinnimmt, die, alle Leiden und Enttäuschungen eingerechnet, doch unmöglich ist, weil sie so tut, als ob das eine Volk mit seinen Interessen allein da wäre und das andere Volk gar nicht in seinen Interessen und in seinen besten Empfindungen zu berücksichtigen wäre.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Nun zeigt sich doch daran, daß die große Hoffnung eines Teiles dieses Hauses, nicht durch sachliche Austragung und Aufzeigen der vorhandenen Schwierigkeiten, sondern durch Entgegenkommen von vornherein die französisch-deutsche Aussöhnung zu erreichen, sich nicht erfüllt hat. Denn der Geist des Planes Pleven ist nicht der Geist der Aussöhnung. Wir respektieren gewiß die Schwierigkeiten der französischen Innenpolitik, und wir wissen auch nachzufühlen Sorgen, die man vor drohenden kommenden Wahlen hat. Aber wir sind nicht bereit, diese Sorgen durch Opferung deutscher materieller und moralischer Substanz zu heilen.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD.)

    Ich erkenne an: In weiten Kreisen des französischen Volkes denkt man anders; bei anderen europäischen Völkern und vor allen Dingen auch bei den Amerikanern denkt man anders. Aber man hat die Äußerungen dieses nationalegoistischen Wollens niemals eingedämmt und von dieser Seite niemals auf die Unmöglichkeit hingewiesen, mit diesem Geiste eine europäische und eine internationale Konzeption und Praxis zu schaffen.
    Um hier nicht zu lange zu verweilen, möchte ich ausdrücklich erklären: der Weg einer Koppelung des Schuman-Plans mit der Erlaubnis, die Deutschen an irgendeiner Form einer militärischen Konzentrierung der demokratischen Kräfte teilhaftig werden zu lassen, erscheint uns Sozialdemokraten ungangbar,

    (Beifall bei der SPD)

    und er wirft ein merkwürdiges Licht auf den Schuman-Plan,

    (Sehr richtig! bei der SPD)

    auf die Vorteile und die Nachteile für den einen und den anderen Teil.
    Ich möchte auch gleich kurz den Komplex des Zurverfügungstellens deutscher Rohstoffe für die Ökonomie anderer Länder erwähnen, und dies im Zusammenhang mit dem Schuman-Plan, in seiner Bedeutung für die geschäftliche Ausbeutung, für das, was andere wollen, und das, was wir nicht wollen können. Aus diesem Geist heraus wird der Schuman-Plan, gegen den wir eine Reihe von materiellen Bedenken von vornherein angemeldet hatten, nicht gestaltet werden können, und über den Rahmen der Sozialdemokratischen Partei hinaus sage ich: mit dem Willen der arbeitenden Menschen in Deutschland.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD.)

    Wir sind enttäuscht, daß der Herr Bundeskanzler in diesem Zusamenhang die Betonung des deutschen Charakters der Saar unterlassen hat.

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    Der Prozeß der Herausschälung dieses Gebietes aus
    Deutschland geht vorwärts; der Prozeß der Unterdrückung der Andersdenkenden schreitet weiter
    voran. Die Deutschen können einen rechtlich, in seinen Voraussetzungen und in seinen politischen und moralischen Qualitäten nicht befähigten Partner nicht weiter als gleichberechtigt im Europäischen Rat anerkennen. Man spricht jetzt auf französischer Seite von der Verleihung neuer Souveränitätsrechte an die Saar. Man erklärt auch schon, wenn auch nicht öffentlich, daß man sie in der Schaffung eines saarländischen Staatspräsidenten sehen will.

    (Hört! Hört! bei der SPD.)

    Die Diskussion geht bereits darüber, daß die Saarländer das „Privileg" genießen sollen, französische Soldaten zu werden.

    (Hört! Hört! bei der SPD.)

    Ich glaube, die Aufgabe der Deutschen ist es jetzt, die Menschen an der Saar nicht allein zu lassen und einen unverzichtbaren Teil von Deutschland nicht durch Stillschweigen in eine eindeutig gefährliche Zukunft hineinzubringen.

    (Beifall bei der SPD.)

    Die internationale Sicherheit ist der Hauptkomplex. Die internationale Solidarität kann nicht durch Worte, sondern nur durch Taten etabliert werden.

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    Hier ein Wort zu dem Schicksal der jungen Deutschen in den Arbeitsdienstgruppen der Alliierten, die jetzt praktisch in ihr Gegenteil umgewandelt werden. Heute werden junge Menschen unter Ausnutzung ihrer sozialen Notlage gezwungen, in einer paramilitärischen Institution zu dienen. Im Falle ihrer Weigerung sind sie von der Arbeitslosigkeit bedroht, wenn sie auch den neuen Dienst nach ihrem eigenen Willen nicht akzeptieren würden.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Die Bundesregierung sollte aus staatspolitischen und aus sozialen und humanen Gründen jetzt aktiv werden, um der Ausnutzung junger Deutscher durch fremde Mächte unter Ignorierung der deutschen staatlichen Instanzen entgegenzutreten und diesem Übelstand abzuhelfen.

    (Zustimmung bei der SPD.)

    Es ist nicht möglich, daß hier der einzelne Staatsbürger der Übermacht einer alliierten Staatsmacht gegenübertritt und mit ihr einen verbindlichen Vertrag schließt. Das ist nicht möglich in einem Land, dem man die Gleichberechtigung und die gleiche Achtung versprochen hat.

    (Beifall bei der SPD.)

    Nun, meine Damen und Herren, hat es keinen Zweck, durch falsche Formulierungen und Gegenüberstellungen in der Proklamierung der einen oder der anderen politischen These Dinge schief hinzustellen und falsche Alternativen zu behaupten. Wir sollten über Antithesen, die es nicht gibt, nicht streiten, sondern wir sollten die wirklichen Gegensätzlichkeiten in der Auffassung in den Vordergrund stellen. Man darf die Angst vor dem Osten nicht als ein Propagandainstrument für eine Militarisierung unter den heute gegebenen Voraussetzungen einspannen.

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    Das Ergebnis einer solchen Propaganda ist nämlich das Hinaustragen der Angst mit ihren lähmenden Wirkungen

    (Sehr gut! bei der SPD)

    und nicht die Schaffung eines lebensfähigen, krisenfesten Wehrwillens. Die aktuelle Kriegsgefahr


    (Dr. Schumacher)

    und die Frage einer deutschen Beteiligung militärischer Natur sind verschiedene Themen, so sehr sie sich auch tagespolitisch berühren können. Wir sollten uns auch dankend verbitten, von außen her Belehrungen über unsere Verpflichtung zur Verteidigung der Freiheit zu bekommen. Wir sollten aber auch das innerpolitische Bardengedröhn von der Verteidigung von Weib und Kind und Haus und Hof nicht in eine falsche Gegensätzlichkeit zu den Tatsachen bringen lassen. Man soll nie eine große Idee und ein großes Gefühl in erster Linie unter dem Gesichtspunkt der Propaganda entwickeln.

    (Zustimmung bei der SPD. — Lebhafte Zustimmung und Händeklatschen in der Mitte und rechts.)

    Wenn mich etwas von Herzen freut, meine Damen und Herren von der Mitte, dann ist es Ihre Zustimmung.

    (Lachen in der Mitte und rechts.)

    Denn das gibt die Möglichkeit, einmal zur sachlichen Klärung der Dinge zu kommen.

    (Erneutes Lachen in der Mitte und rechts. — Händeklatschen bei der SPD.)

    Wenn bei dieser Aussprache der militärische Faktor im Vordergrund steht, so darf niemand vergessen, daß die militärischen Machtmittel heute bei keinem Deutschen unter dem Gesichtspunkt einer Vorbereitung des Krieges betrachtet werden sollten.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Auch militärische Stärke erhält ihre Rechtfertigung heute mehr als je in der Vergangenheit nur als Instrument für die Wahrung des Friedens.

    (Sehr wahr! in der Mitte.)

    Diesen Eindruck von der heutigen Debatte in unserem Volke zu schaffen, sollte ein allgemeines Anliegen sein.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD. — Lebhafte Zustimmung in der Mitte und rechts.)

    Aber ein gewisser Geist, der erst versteckt hier zurückzustrahlen beginnt, läßt mich daran zweifeln, ob die Ernsthaftigkeit dieser Forderung bei allen Teilen des Hauses vorhanden ist.

    (Lachen und Widerspruch in der Mitte und rechts. — Zuruf rechts: Unerhört!)

    Es gibt nur Möglichkeiten internationaler Verteidigung zu diskutieren; es gibt nur Möglichkeiten einer Verteidigung, die in ihren Mitteln weit und entscheidend über den europäischen Rahmen hinausgeht.

    (Zustimmung bei der SPD. — Händeklatschen in der Mitte und rechts.)

    Und wir haben hier zu untersuchen, wie der Wille und die Auffassung anderer Faktoren ist.
    Ungern zitiere ich die Äußerung des französischen Verteidigungsministers vom 4. 8.:
    Wir müssen für uns die Verteidigung des Glacis sichern, welches der Sieg von 1945 uns erlaubt hat zu besetzen. Unsere dauernde Sorge muß die Schaffung eines Manövrierfeldes zwischen Elbe und Rhein sein.
    Auch wenn wir die strategische und besonders die strategisch-populäre Literatur der amerikanischen Zeitschriften betrachten — und in diesen Zeitschriften schreiben die hervorragendsten, an verantwortlicher Stelle stehenden Sachverständigen —, dann ist die Diskussion vorwiegend bedingt durch die Unterstreichung der Luftstreitkräfte, eventuell
    der Seestreitkräfte. Immer wieder ist sie von dem( Tenor getragen, daß die Landstreitkräfte in erster Linie von den Europäern gestellt werden müssen. Bei dieser Betrachtung, meine Damen und Herren, kann man die Verteidigung der amerikanischen Volkssubstanz durch seine Generalität durchaus verstehen. Aber man muß dann auch wissen, daß ohne die Deponierung entscheidend starker, auf das modernste bewaffneter militärischer Landstreitkräfte der anderen Kontinente das Problem für uns Deutsche einfach aussichtslos ist.

    (Zuruf von der CDU: Darüber streiten wir gar nicht! — Weitere Zurufe von der Mitte.)

    — Ja, nun warten Sie mal! Ich glaube doch, wir streiten gerade darüber miteinander.

    (Widerspruch in der Mitte.)

    — Meine Damen und Herren, bei acht Stunden Redezeit und bei der zentralen Wichtigkeit dieses Themas sowie bei der gespannten Aufmerksamkeit, mit der das deutsche Volk uns lauscht, sollten wir die elegante Eloquenz der Zwischenrufe etwas bebeschränken! - Europa kann nicht der vorgeschobene Verteidigungsgürtel Amerikas und Deutschland nicht der vorgeschobene Verteidigungsgürtel der anderen europäischen Staaten sein. Ich will mir hier eine Reihe von Zitaten aus der amerikanischen Militärliteratur der jüngsten Wochen und Monate ersparen. Aber wir sollten uns doch hüten, uns illusionär als den Bestandteil eines Sicherheitssystems mit vollen Rechten und Pflichten zu betrachten, solange die praktische Behandlung unseres Volkes vorwiegend unter dem Gesichtspunkt des Instruments anderer vor sich geht.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Es kann nicht ein Land zur Verteidigung anderer
    Länder dienen. Eine militärische Verteidigung ist
    nur auf der Grundlage der Gemeinsamkeit möglich.

    (Sehr richtig! rechts.)

    Was uns nämlich in der bisherigen Konzeption zugemutet wird — haben Sie doch den Mut, meine Damen und Herren, diesen Dingen ins Gesicht zu sehen —, ist doch die Ungleichheit, die praktische Ungleichheit im Opfer, die Ungleichheit im Risiko, die Ungleichheit in der Chance für unser Volk gegenüber anderen Völkern. Aber für die Deutschen ist nur die Gleichheit im Tatsächlichen und die Unlöslichkeit der Verbindungen und Verkettungen mit den anderen Nationen die positive Voraussetzung. Eine andere positive Voraussetzung gibt es nicht, weil keine andere Voraussetzung die Möglichkeit des Erfolges in sich trägt.
    Niemand in der Sozialdemokratischen Partei hat in der Diskussion gerade der letzten Monate bei irgendeinem noch so kleinen Teil die Meinung geäußert, man solle etwas an Leistung und Opfer verweigern, was die anderen tatsächlich im selben Umfange an Opfer tragen.

    (Gut! und Bravo! rechts.)

    Stets ist aber die Realität — als Gegensatz zur Illusion —, die Tatsache und nicht die Versprechung, die Konzentration wirklicher Macht und damit wirklicher Erfolgschancen der Maßstab in der Betrachtung aller militärischen Dinge gewesen und ist es auch heute noch.
    Nun haben eine Reihe von Mitgliedern der Bundesregierung in den letzten elf Monaten eine verwirrende Fülle von Variationen über den möglichen deutschen Standpunkt verkündet. Dadurch, meine


    (Dr. Schumacher)

    Damen und Herren, ist die deutsche Position nicht gestärkt worden,

    (Sehr richtig! bei der SPD)

    daß wir ein gewisses aktives Interesse zeigten. Die Neigung, von vornherein und ohne Prüfung des tatsächlich in den Voraussetzungen Notwendigen in solche Erklärungen hineinzugehen, hat bisher gegenüber der alliierten Politik in den letzten zwölf Jahren noch niemals einen Erfolg gehabt. Man sollte die Illusion über angebliche neue Erfolgschancen dann nicht Realpolitik nennen. Letzten Endes ist doch alles, was sich an Stimmen für die sofortige Leistung eines deutschen Beitrages unter den heutigen Umständen oder den Umständen der Verwirklichungsmöglichkeiten der nächsten Zeit, gemessen an den Versprechungen der Alliierten, erhebt, eigentlich nur von dem ein en Gedanken getragen: es muß doch etwas geschehen! Wir sind der Meinung: es kann nur etwas geschehen, was richtig und die Frage lösend ist.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Die Sozialdemokratie hat z. B. am 13. Juni gewarnt, unter der damaligen Voraussetzung, unter der damaligen Degradierung in den Europäischen Rat hineinzugehen. Ich glaube, die Warnungen haben sich praktisch alle als berechtigt erwiesen. Wir sehen jetzt, daß Straßburg tatsächlich das Vorzimmer war und daß unser Eintritt den anderen die Möglichkeit gegeben hat, selbst zu bestimmen und entscheidende Worte zu sprechen, ob, wann und in welchem Umfang Deutschland aufzurüsten hat. Wir sollten heute den Mut finden, zu erklären, daß wir nicht mehr in internationale Bindungen und Verpflichtungen unter solchen Voraussetzungen der Ungleichheit hineingehen wie damals in den Europäischen Rat in Straßburg.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD.)

    Der Herr Bundeskanzler hat erklärt, niemals Angebote für einen deutschen Beitragswillen gemacht zu haben. Ich könnte das durch Zitate aus dem zweiten Absatz des amtlichen Memorandums vom 29. August dieses Jahres widerlegen. Darin hat der Herr Bundeskanzler den deutschen Willen zu einem militärischen Beitrag für eine europäische Armee mindestens für seine Person versichert. Ich will jetzt auch die mir hier vorliegenden Zitate, etwa aus „Plain Dealer" oder aus „New York Times", nicht wiederholen. Ich möchte bloß sagen: diese Atmosphäre und diese Äußerungen amtlicher Persönlichkeiten haben doch dazu geführt, daß es im Abs. 9 des New Yorker Kommuniqués wörtlich heißt:
    Die Minister
    - nämlich die Außenminister —
    haben indessen Kenntnis genommen von den Gefühlen, wie sie kürzlich in Deutschland und anderswo ausgedrückt wurden zugunsten einer deutschen Beteiligung an einer integrierenden Streitmacht —
    und so weiter. Sehen Sie, hier sollte man diesen Außenministern gegenüber dementieren, aber nicht bei uns!
    Die Äußerungen in den letzten Monaten und Wochen sowie am heutigen Tage gehen doch dahin, daß die tatsächliche Entscheidung bereits gefallen ist in der Vorstellungsweise der maßgebenden Regierungsmitglieder,

    (Sehr richtig! bei der SPD)

    vor allem des Herrn Bundeskanzlers. Sie betrachten
    den militärischen deutschen Beitrag bereits als eine
    feststehende Tatsache. Sie haben immer wieder erklärt — und der Herr Bundeskanzler wird mir die Erlaubnis geben, darauf Bezug zu nehmen —, daß kein Deutscher sich vor dem Einlaufen der alliierten Forderungen auf diesem Gebiet positiv äußern solle. Nun, der Geist der verschiedensten Interviews, beispielsweise nach dem Mißglücken der Verhandlungen des Verteidigungsrates der Atlantikpaktmächte, oder der Geist der Reden von Goslar, Bad Boll oder Stuttgart sprechen eine andere Sprache.

    (Sehr richtig! links.)

    Die Sozialdemokraten sind nun der Meinung, daß am heutigen Tage durch den Herrn Bundeskanzler etwas Neues eingeführt worden ist. Der Herr Bundeskanzler hat dem Hohen Haus eine Entschließung der Bundesregierung in einer Frage vorgelegt, die nach seinen heutigen Äußerungen und nach den Äußerungen der führenden Leute aller Parteien nach Möglichkeit von einer gemeinschaftlichen Willensbildung getragen werden sollte. Ich habe gestern einer Einladung des Herrn Bundeskanzlers Folge geleistet. Wir haben über die heutige Debatte gesprochen. Der Herr Bundeskanzler hat mir mit keiner Silbe davon Kenntnis gegeben, daß er heute dem Hohen Hause eine Entschließung in dieser Frage vorlegen wird.

    (Lebhafte Rufe von der SPD: Hört! Hört!)

    Die Vorlage dieser Entschließung ist in der Sache der Bruch aller der Opposition und dem deutschen Volke bisher gegebenen Versprechungen.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Eine Aufforderung der Alliierten zu einer verbindlichen Meinungsäußerung liegt bis heute nicht vor.

    (Lebhafte Rufe von der SPD: Hört! Hört! Sehr richtig!)

    Trotzdem wird die Taktik des Anerbietens durch den Geist und Inhalt dieser Entschließung dem Parlament zur Zustimmung unterbreitet. Wir verwahren uns gegen diese Methode der Überrumpelung

    (lebhafter Beifall bei der SPD und bei der BP)

    und des Bruchs aller Versprechungen in einer zentralen Frage der deutschen Nation. Was spricht man denn immer von „Gemeinschaft", wenn man der Chance eines Husarenritts wegen den Geist dieser Gemeinschaft in flagranter und nicht mehr gutzumachender Weise verletzt?

    (Erneute lebhafte Zustimmung bei der SPD.)

    Etwas anderes, meine Damen und Herren, ist eine genaue, exakte, gewissenhaft verantwortliche politische und militärische Untersuchung der Voraussetzungen eines deutschen Beitrages, d. h. mit anderen Worten eine Analyse der internationalen und nationalen Voraussetzungen der tatsächlichen Kräfteverhältnisse und der objektiven Möglichkeiten. Gegen eine die Fundamente klärende wissenschaftlich exakte Tätigkeit, die alle Parteien dieses Hauses in die Lage versetzt, an Hand von gewissenhaft geprüftem Material dem Volk Rede und Antwort zu stehen, hat niemand von uns etwas. Aber alles haben wir gegen Vorbereitungshandlungen,

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    die davon ausgehen, als ob die große politische Entscheidung des Ja oder Nein bereits gefallen wäre. Wir halten solche Vorbereitungshandlungen in unserer nationalen Position gegenüber anderen Mächten für sachlich nicht gut. Wir sehen in ihnen


    (Dr. Schumacher)

    unerlaubte Praktiken gegenüber dem Volk und seiner Vertretung.

    (Beifall bei der SPD.)

    Darum wenden wir uns auch gegen die Einrichtung eines sogenannten Sicherheitsbeauftragten. Es ist unmöglich, eine solche Einrichtung ohne vorhergehende Etatisierung zu schaffen. Es ist auch unmöglich, sie wieder einmal — wie soviele Instrumente der deutschen Politik — im Bundeskanzleramt einzubauen. Es handelt sich doch tatsächlich bei dieser Einrichtung — erklärterweise — um die Schaffung eines Sicherheitsamtes mit der Tendenz der Entwicklung zu einem Sicherheitsministerium. Eine solche Institution zu schaffen, bevor das Volk in seiner Vertretung entschieden hat, halte ich für unmöglich. Ich sehe darin einen Schritt auf einem Wege, von dem noch niemand mit absoluter Gewißheit sagen kann, ob er überhaupt gegangen werden wird.
    Die geplante Gliederung des Amtes und gewisser Ausschüsse des Kabinetts, die zur Behandlung dieser Fragen eingesetzt worden sind, scheinen uns von der nach der Meinung der Regierung absolut feststehenden Tatsache auszugehen, als ob die Deutschen schon entschieden hätten. Wenn der neue Staatssekretär wirklich nur ein Mann für die Unterbringung alliierter Truppen wäre, nun, dann hätte man ihn doch ins Wohnungsbauministerium tun können.

    (Sehr gut! bei der SPD. — Heiterkeit.)

    Das Problem des deutschen militärischen Beitrages verträgt auch nach innen keine andere Behandlung als die vollständiger und nichts verschweigender Wahrheit und Offenheit. Die große Auseinandersetzung vollzieht sich ja nicht zwischen den Remilitarisierern schlechthin und irgendwelchen absoluten Pazifisten mit einer Friedensformel des garantierten Erfolges. Die große Auseinandersetzung vollzieht sich zwischen denjenigen, die unter heutigen Umständen ihren Willen zur Remilitarisierung einfach durchdrücken wollen, und denjenigen, die eine feste nationale und internationale Voraussetzung dafür verlangen, ohne deren Durchführung sie nein sagen werden.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD.)

    Nun bin ich überzeugt, daß alle hier versammelten Damen und Herren den gemeinsamen Wunsch im Herzen tragen, Deutschland nicht zum Vorfeld der Verteidigung anderer Länder werden zu lassen. Aber ein Jetzt-Hineinschlittern in eine voraussetzungslose Militarisierung kann ja nicht die Fakten erfolgreicher Abwehr schaffen, sondern vergrößert die Gefahren deutscher Vernichtung oder Beeinträchtigung bis ins Gigantische hinein. Nur - das ist die Meinung der Sozialdemokratie—wenn die demokratischen Streitkräfte hier in Deutschland so stark sind, daß sie die Kraft haben, bei einem Angriff aus dem Osten im sofortigen Gegenstoß die Kriegsentscheidung außerhalb der deutschen Grenzen zu tragen, nur dann kann das deutsche Volk seinen militärischen Beitrag für die Verteidigung der Freiheit in der Welt leisten.

    (Beifall bei der SPD. — Unruhe in der Mitte und rechts. — Glocke des Präsidenten.)

    Wir haben über die Verantwortung noch anderer Völker hinaus die Verpflichtung der Berücksichtigung der Schmälerung unserer Volkssubstanz. Wir preisen andere Völker glücklich, daß sie in der Vergangenheit nur Bruchteile der deutschen Verluste zu erleiden hatten. Aber wir I
    können doch von der Tatsache nicht weg, daß wir mehr als 3 Millionen Tote, rund 11/2 Millionen Vermißte und 3 Millionen Kriegsbeschädigte haben. Wir haben über den Rahmen der normalen nationalen Verpflichtung hinaus noch die Auflage besonderer Sorgfalt in der Behandlung dieser Frage.
    Der jetzt diskutierte Beitrag, der Beitrag, zu dessen Einleitung sich auch der Herr Bundeskanzler bekannt hat, hat keine abschreckende und damit kriegsverhütende Wirkung auf den potentiellen Angreifer im Osten. Dieses Ergebnis kann nur bei Erfüllung der von den Sozialdemokraten geforderten Voraussetzung erreicht werden. Es ist nicht die Etablierung der kriegverhindernden Macht, die jetzt nach dem Wunsch des Bundeskanzlers besprochen werden soll, einfach deswegen nicht, weil es nicht die Etablierung der ausreichenden Macht ist.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Wenn das utopischen Charakter tragen würde, dann, meine Damen und Herren, hätte ja die ganze Verteidigung Europas utopischen Charakter.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Wir glauben aber nicht an die Utopie. Wir glauben an die Erfüllbarkeit, und wir glauben an die deutsche Verpflichtung, diese Erfüllbarkeit durch Festigkeit des Standpunktes zu erreichen.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD.)

    Nur wenn kein Rückzug der angelsächsischen Mächte oder der demokratischen Mächte schlechthin mehr möglich ist, wenn die Angelsachsen und die andern demokratischen Potenzen der Welt ihr eigenes nationales und militärisches Schicksal mit dem deutschen Schicksal vereinigen, kann diese Frage positiv beantwortet und eine große deutsche Leistung erwartet werden. Ich will nicht zu weit schweifen, aber die Konzeption aller starken Wirtschaftsmächte mit intelligenter und technisch tüchtiger Bevölkerung, die außerdem auch noch die Rohstoffe und die industriellen Produktionsmittel zu vier Fünfteln in den entscheidenden Punkten in der Hand haben, ist doch immer die: Wenn es uns am Anfang auch schlecht geht, zum Schluß kassieren wir kraft unserer ökonomischen, technischen und menschlich-qualitativen Übermacht den Sieg des Ganzen ein. Aber, meine Damen und Herren, die deutsche Situation ist eben weder die Situation der letzten Schlacht für die Angelsachsen noch die Situation der letzten Schlacht für die Russen. Die haben ihre militärische Übermacht wohl in erster Linie deswegen nicht ausgenutzt, weil sie die Übermacht des Kriegspotentials und der Intelligenz auf der andern Seite sehen. Zudem ist auch die Entwicklung gewisser kriegsentscheidender Waffen sehr zugunsten der Angelsachsen und nicht zugunsten der Sowjets gegangen. Aber das deutsche Schicksal ist ein anderes, es ist das Schicksal der ersten Auseinandersetzung.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Von diesem Schicksal kann uns kein Versprechen der andern entbinden. Von diesem Schicksal lösen wir uns auch nicht durch bedingungslose Bereitfertigkeit jetzt im Verteidigungskomplex. Dieses Schicksal können wir für unser Volk nur ertragbar machen, wenn die andern ihr eigenes Schicksal mit dem unseren in der Situation der ersten Auseinandersetzung, die für uns die entscheidende ist, verbinden.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD.)



    (Dr. Schumacher)

    Meine Damen und Herren! Jede militärische Abwehr muß einen realisierbaren Zweck und ein erreichbares Ziel haben. Das ist bei dem Divisionstaumel, der heute in Europa diskutiert wird, nicht gegeben. Allein aus der Möglichkeit des Erreichbaren ergibt sich der Sinn von Opfern. Nichts anderes kann diesen Sinn ersetzen als die Schaffung von Voraussetzungen, die eine tatsächliche Solidarität der andern mit uns darstellen.
    Davon, meine Damen und Herren, hängt doch auch Wesen und Wert jeder möglichen deutschen Formation ab. Die Militarisierung unter den heute gegebenen oder heute versprochenen und diskutierten Voraussetzungen ist auch in der Struktur der militärischen Organisation eine Wiederanknüpfung an Perioden der Vergangenheit. Die Gefahr, die von innen aus ökonomisch, sozial und militärisch den Deutschen droht, ist hier wie immer die Gefahr der Restauration und des Nichtbegreifens des Neuen.

    (Beifall bei der SPD.)

    Gibt man jetzt diesem Drängen nach, so erhält man eine Anzahl militärtechnisch sehr sorgfältig aufgebauter Organisationen, aber man bekommt nicht ein Heer mit den unverzichtbaren Eigenschaften eines Heeres, das für seine Nation oder für eine große Idee einstehen soll.

    (Richtig! bei der SPD.)

    Man bekommt einen Apparat, und dem Apparat werden sich auch manche zur Verfügung stellen, die wir alle lieber nicht sehen wollten.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Aber ich will mit denen jetzt nicht streiten. Ich will aber sagen, daß auch sehr viel ehrenhafte Menschen in den Apparat gehen, aber Menschen, deren Vorstellungswelt von gesellschaftlichen, von deren oder interessenmäßigen Motiven bestimmt ist. Diese Motive mögen so sozial erklärlich oder für die Betroffenen notwendig wie immer sein, sie schaffen nicht die entscheidende Kampfkraft einer Armee des Volkes.

    (Sehr wahr! bei der SPD.)

    Das Ethos der Armee im modernen Massenstaat ist das Gefühl der staatsbürgerlichen und nationalen Freiheit und der Wille, einer großen internationalen, einer großen menschlichen Idee zu dienen. Militärische Organisationen ohne ethische Bindungen sind die Quelle innen- und außenpolitischer Gefahr,

    (Sehr gut! bei der SPD)

    auch für diejenigen, die auf ihre Bildung drängen, sie mögen außerhalb Deutschlands oder innerhalb Deutschlands sein.

    (Zustimmung bei der SPD.)

    Die Menschen, die nach den Erfahrungen dieser beiden Weltkriege aus einer militärischen Herkunft nach einem neuen Bild ringen, die eine Verpflichtung in sich tragen, über das Standesinteresse hinaus der Nation und dem Frieden und einer Menschheitsidee zu dienen, werden unter den Voraussetzungen von heute für einen deutschen Beitrag sehr zurückhaltend sein.

    (Erneute Zustimmung bei der SPD.)

    Der Grund dafür ist klar. Er ist erwachsen aus dem Gefühl der Verantwortung gegenüber dem eigenen Volk und gegenüber den militärischen Untergebenen. Wenn die Frage nach dem deutschen Beitrag eine Frage nach Sinn und Aussicht dieses Beitrages ist, so spiegelt sich der Widerstreit dieser Gefühle und Erwägungen in jedem Militär wider, der über Befehlsgewalt verfügt. Heute weiß man auch in diesen Kreisen, daß ein Nein zu der vorbehaltslosen Remilitarisierung unter den Bedingungen von heute sehr viel mehr Verständnis für das Wesen und den Wert dieser Menschen aus dem Soldatischen haben kann als eine bedingungslose Bejahung.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Wenn der Sinn des Opfers im Politischen entscheidend ist, meine Damen und Herren, dann ist er auch entscheidend in den Entschlüssen der Militärs. Ein Kampf ohne Aussicht ist auch für sie ein Kampf ohne Sinn. Der wertvolle und aufgeschlossene Mensch wird sich dagegen wehren, Untergebene in die Situation des sinnlosen Opfers zu bringen.

    (Beifall bei der SPD.)

    Also unter den heutigen Voraussetzungen, unter den Voraussetzungen, wie sie der Herr Bundeskanzler hier definiert hat, sagt die Sozialdemokratische Partei Deutschlands zu diesen Bemühungen der Remilitarisierung nein. Sie wird auch nein sagen, wenn die halben und matten Versprechungen der Alliierten für die nächsten Monate verwirklicht werden sollten. Sie wird erst ja sagen, wenn die unzweideutige Entscheidung für die internationale Solidarität der anderen Nationen mit der deutschen Nation durch militärische und politische Tatsachen geschaffen ist.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD.)

    Deutschland ist ein nicht wegzudenkendes Stück Europa. Es ist nicht das Vorfeld der anderen Länder Europas, sondern auch Deutschland ist Europa selbst. Deutschland ist ebenso verteidigungswert und das deutsche Volk ebenso verteidigungswürdig auch für die anderen demokratischen Völker der Welt wie irgendein Land oder Volk in der Demokratie der Welt sonst noch draußen.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Diese Anerkennung erwarten wir durch Tatsachen. Diese Anerkennung werden wir nicht auf dem Wege erreichen, den die Entschließung des Herrn Bundeskanzlers uns zu weisen versuchte.

    (Zustimmung bei der SPD.)

    Die Erörterung des deutschen Beitrags ist nicht die Erörterung eines isolierten militärischen oder gar militärtechnischen Problems, sie ist der Bestandteil — ein sehr wichtiger Bestandteil — eines großen Komplexes, der von den anderen Faktoren, von den Faktoren der inneren und äußeren Freiheit und der sozialen Fundamentierung der Demokratie, nicht allein gelöst werden kann.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Ich glaube, China und Korea sind eine große Warnung - oder sollten es sein — an alle besitzenden Kreise der Welt.

    (Lebhafte Zustimmung bei der SPD.)

    Das Problem des Kommunismus wird nicht durch dogmatische Sterilität in der Verteidigung des Eigentums gelöst werden können.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD und beim Zentrum.)

    Man muß schon etwas Positives setzen: in der menschlichen, in der politischen und in der sozialen Freiheit.

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    Der Anteil der Arbeitenden und Hilfsbedürftigen am Sozialprodukt ist eine Frage von zentraler politischer Wichtigkeit bei der Auseinandersetzung mit dem Weltkommunismus. Je stärker der Anteil der Arbeitenden und Hilfsbedürftigen


    (Dr. Schumacher)

    am Sozialprodukt ist, desto stärker ist die soziale Fundierung der Demokratie.

    (Sehr wahr! bei der SPD.)

    Die stärkste innere Bastion bei den bisherigen Auseinandersetzungen mit dem Kommunismus in Europa ist die höhere Lebenshaltung im Vergleich mit der Lebenshaltung in den Ländern der Sowjets und ihrer Satellitenstaaten gewesen. Wer sie mindert, verstärkt - wenn auch ungewollt - die totalitäre Chance. Soziale Gesundheit ist politische Kraft, ist lebendige Demokratie.

    (Beifall bei der SPD.)

    Gegenüber den Mächten des Auslandes muß ich sagen: Die Gleichberechtigung der Deutschen ist nicht nur eine formalpolitische, sie ist auch eine soziale Frage. Mit der Aufwerfung dieses Themas will ich heute erst die Tendenz der Entwicklung aufzeigen, die kommen muß, um die soziale Basierung der demokratischen Chance vorzunehmen. Wenn aber die Diskussion im Ausland und leider auch bei einem großen Teil des Inlandes über die Kosten eines deutschen militärischen Beitrags zur Sicherung der Weltdemokratie betrachtet wird, dann hat man den Eindruck von etwas Irrealem und Gespenstischem. Es fehlt die Planung, vor allen Dingen der zentrale Punkt der Planung, wohin das sozial Notwendige mit dem militärisch Möglichen in eine Relation der Vernunft, die von allen angenommen werden könnte, ausmündet.

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    Es ist keine Relation vorhanden. Man stopselt bei der Behandlung dieser Frage Schritt für Schritt durch. Ich möchte die Erbitterung der Sozialdemokratischen Partei über die Rede des deutschen Bundeswirtschaftsministers in Goslar ausdrücken. In einer Periode, in der der Bundesfinanzminister den Geschmack hat, neue Steuern für die Befriedigung der notwendigsten Ansprüche der Opfer des letzten Krieges zu verlangen, hat er von neuen Steuern für den deutschen militärischen Beitrag gesprochen.

    (Sehr wahr! bei der SPD.)

    Gestern hat der Bundeswirtschaftsminister zwar in Berlin das Gegenteil davon gesagt, aber das täuscht uns doch nicht darüber hinweg, daß so ein Hurra-Enthusiasmus der Ökonomie für diese Probleme das Fehlerhafteste ist, was man sich überhaupt denken kann. Das Schicksal Deutschlands ist sozial und ökonomisch durch alle möglichen Krisenerscheinungen mehr gefährdet, als man heute gemeinhin zugibt. Das Schwinden der Devisenvorräte, die hemmungslose Einfuhr, die beginnende Kapitalflucht, die Erhöhung der Diskontsätze — das alles sind doch Dinge, die für die Entwicklung der Wirtschaft und des Arbeitsmarktes von größter Bedeutung sein werden. Man denke dabei vor allem einmal an den Wohnungsbau. Die voreiligen Steuererleichterungen der Vergangenheit machen sich heute sehr negativ bezahlt.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Zugleich diskutiert man ja nicht nur seitens des Herrn Bundeswirtschaftsministers, sondern auch im Bundesfinanzministerium über die Notwendigkeit neuer Steuern. Es ist kein Zufall, daß man dabei auf Verbrauchssteuern, besonders auf die Umsatzsteuer zu sprechen kommt.

    (Hört! Hört! bei der SPD.)

    Meine Damen und Herren, eine derartige Entwicklung der Preise, der Tarife und der Gegensatz zu der Entwicklung der Löhne und Renten zernagt das soziale Fundament. Mit diesen Methoden ist
    die Demokratie gegenüber dem angreiferischen Kommunismus nicht zu einem lebendigen Bestandteil des Massenempfindens zu machen.

    (Zustimmung bei der SPD.)

    Ich erinnere an das Wort, das der über die Kreise unserer Partei hinaus verehrte Vorsitzende der Gewerkschaften Hans Böckler auf der großen Düsseldorfer programmatischen Kundgebung der Gewerkschaften gesprochen hat: „Nur ein lebenswertes Leben ist wert, verteidigt zu werden!"

    (Lebhafter Beifall bei der SPD.)

    In dieser Frage bekommt der Komplex der Besatzungskosten ein neues Gesicht. Sie sind ja nach Art und Umfang ein bis heute noch nicht ausreichend revidiertes Ergebnis der Sieger- und Besiegten-Situation von 1945. Man kann mit diesen Auffassungen nicht die Gefahren von 1950 meistern. Der schwächste Teil der europäischen Wirtschaft, der außerdem die größten sozialen Aufgaben aus der Entwicklung des letzten Jahrzehntes auferlegt erhalten hat, muß jetzt tatsächlich gewisse Anteile für die Verteidigung anderer Länder aufbringen, einfach aus der Tatsache heraus, daß der Standort der Truppen für die Verteidigung der deutsche Boden ist. Begriff und Inhalt der Besatzungskosten sind heute überholt. Das drängende Problem ist die Neuverteilung der internationalen Verteidigungskosten nach der Tragfähigkeit der Schultern der einzelnen Völker.

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    Meine Damen und Herren, ich stelle das in den Vordergrund, weil hier eine große zentrale und initiative Aufgabe der Bundesregierung liegt. Man kann diese Frage nicht mehr mit fiskalischen und diplomatischen Mitteln allein lösen. Man muß sie ihrer sozialen Konsequenz wegen in den Mittelpunkt der internationalen Diskussion stellen. Heute wird von alliierter Seite gekränkt und empört eingewandt, die Deutschen würden nur 4,6 Milliarden Besatzungskosten zahlen, andere Völker dagegen würden einen sehr viel höheren Prozentsatz ihres sozialen oder Steuer-Aufkommens für die Verteidigung verwenden. Diese isolierte Behandlung des Begriffs Besatzungskosten geht an den Dingen vorbei. Wir haben zusätzlich eine Reihe von Bürden durch das Dasein zu schleppen, die andere Völker nicht oder nicht in dem Umfange haben.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Ich denke an den Lastenausgleich für die 8 Millionen Vertriebenen, den Lastenausgleich, dessen zuletzt diskutierte Formulierung nicht imstande ist, diese 8 Millionen in unseren gesellschaftlichen und politischen Prozeß bindend einzuschalten. Ich denke an die Milliarden Ausgaben für die Kriegsbeschädigten, für die Kriegshinterbliebenen und für den sozialen Wohnungsbau in einem Lande, in dem die Behausungen stärker zerstört sind als irgendwo. Man sollte doch auf alliierter Seite nicht meinen, daß wir hier diese Positionen beliebig schrumpfen lassen oder gar abschaffen könnten. Damit würden wir das soziale und moralische Fundament der Demokratie zerbröckeln. Wir würden in die Lage kommen, in der noch so zahlreiche Divisionen nicht entscheidenden Wert haben könnten und zur Erfolglosigkeit verdammt wären. Es würde das belebende Moment der sozialen Zusammengehörigkeit und der sozialen Sicherheit fehlen.

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    Meine Damen und Herren, die Diskussion innen und außen arbeitet sehr stark mit den Mitteln des


    (Dr. Schumacher)

    Zeitdrucks. Wir sind mindestens in der Mehrheit dieses Hauses von der Agitation mit dem Zeitdruck schon zweimal düpiert worden.

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    Als wir unter Zeitdruck gehandelt haben, da hatten die anderen eine unbeschränkte Menge Zeit, die sie bis heute noch nicht konsumiert haben. Außerdem wehre ich mich grundsätzlich dagegen, daß eine zerklüftete und in ihrem Zusammenhang noch schwache Nation wie die deutsche die volle Verantwortung für das Scheitern sämtlicher alliierter Illusionen seit 1945 zu tragen hat.

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    Es ist viel Zeit verschenkt worden. Wir können diese verschwendete Zeit nicht aus der Substanz unserer Menschen heraus aufholen. Der Aufbau jeder militärischen Formation dauert Jahre. Für diese Frist kann keine deutsche Bereitwilligkeit Ersatz schaffen. Eine ungenügende militärische Kräfteversammlung der Deutschen und anderer Nationen hat die abschreckende Wirkung auf den ungleichen Angreifer, die immer als erstes Ziel ihr im Auge stehen sollte, nicht zur Folge. Schließlich scheint man sich ja über die Möglichkeit der Bewaffnung auch noch in einigen Irrtümern zu befinden,

    (Sehr gut! bei der SPD)

    besonders was den Zusammenhang von moderner Bewaffnung und Zeit anbetrifft.

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    Wir haben, glaube ich, die Zeitfrage ganz akkurat unter einer bestimmten Formel zu behandeln Wir können eine Tempobeschleunigung, ein nicht genaues Einhalten des gleichen Tempos, wie es die Alliierten in der Behandlung der deutschen Frage haben, nicht auf uns nehmen.

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    Sowenig wir die Neigung haben sollten, etwa hinterherzuschlürfen, sowenig können wir in der Frage des Tempos der Vorreiter sein. Wir wollen nicht noch zusätzlich die Gefahren auf uns nehmen, die kein Alliierter in dieser Art auf sich zu nehmen hätte.
    In diesem Zusammenhang möchte ich mich gegen die moralisierenden Methoden, mit denen auf uns von außen her eingewirkt werden soll, wenden. Wir haben nicht die Neigung, uns vor Fragen stellen zu lassen, die für uns keine Fragen sind. Wir waren ja schließlich hier gegen den Kommunismus und haben unter Opfern mit ihm gekämpft, als wir in der ganzen Welt allein waren und jeder Alliierte die Sowjets noch als seinen Verbündeten gegen die Deutschen betrachtet hat.

    (Sehr gut! und Beifall bei der SPD und rechts.)

    Für uns gibt es keine Frage: Freiheit oder Sklaverei; die haben wir aus dem Wesen unserer geistigen Überlieferung und aus der Erkenntnis der neuen Probleme von 1945 entschieden. Für uns gibt es nur die Aussichten für die im Kern doch selbstverständliche Solidarität der alliierten mit der deutschen Freiheit, weil es ohne deutsche Freiheit keine europäische Freiheit gibt.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD.)

    Wir wenden uns gegen diese moralinsaure Propagandakampagne, wie sie etwa am letzten Sonnabend von Seiten, die der amerikanischen Hohen Kommission nahestehen sollen, in der „Neuen Zeitung" eingeleitet worden ist.

    (Zustimmung bei der SPD.)

    Ich kann mir nicht denken, daß sich ein verantwortlicher politischer Mensch Amerikas auf diese
    Linie und auf die Anwendung dieser Methoden begeben würde. Um hier keine langen Ausführungen machen zu müssen, nehme ich einen Satz. Da steht das lapidare Wort: ,.Keine Zeit ist mehr für kleinliche Streitereien". Der Schreiber meint: in Deutschland; er hat in vorbildlicher Bescheidenheit nicht an den amerikanischen Wahlkampf gedacht.

    (Heiterkeit.)

    Denn wenn wir schon davon sprechen wollen, daß keine Zeit mehr ist für kleinliche Zänkereien (Heiterkeit)

    oder andere Streitigkeiten, dann sollten das die Alliierten einmal für ihr Verhältnis untereinander und für das alliierte Verhältnis gegenüber Deutschland zur Maxime ihres Handelns machen.

    (Lebhafter Beifall im ganzen Hause.)

    Dieser ganze Komplex steht doch innen- und
    außenpolitisch für Gegenwart und Zukunft unter
    dem Gesetz: Vorsicht ist besser als Schnelligkeit.

    (Zustimmung und Heiterkeit bei der SPD.)

    Nun, meine Damen und Herren, die Druckmittel, die von außen angewandt werden: dieses Irrlichtern mit einer Umdisponierung der amerikanischen Kräfte in der Welt ist ein Druckmittel, das zu erörtern gewisse Deutsche kaum legitimiert sind. Diese Druckmittel haben einen sehr phantomhaften Charakter. Hier geht es nicht um uns; hier geht es um die zentrale Position der Amerikaner in Europa, um die Unverzichtbarkeit dieser Position und um die Position der Amerikaner in der UNO. Wir stellen nun die Forderung nach den zentralen und kardinalen entscheidenden Voraussetzungen der nationalen und militärischen Solidarität, die jeden Rückzug der Angelsachsen ausschließt. Die Amerikaner antworten jetzt mit dem Gegenzug. Sie wollen ihre Verstärkungen in Europa von der deutschen Vorleistung abhängig machen. Das heißt, meine Damen und Herren, im Zeichen der internationalen Zusammenarbeit und der gleichen Achtung vor dem Leben und dem Schicksal aller Völker doch folgendes: Die Schwächsten und durch ihre Lage und ihre politische Situation am meisten Gefährdeten bekommen das ganze Risiko aufgehalst, und der Stärkste behält sich freie Hand vor.

    (Zustimmung bei der SPD.)

    Auch für Amerika geht es doch nicht um Deutschland, genau sowenig wie für irgendein anderes Land. Es geht doch für jedes Land um seine eigene Position und bei den vorausschauenden Menschen dieser Länder um die internationale Position der Freiheit, deren Bestandteil das eigene Land ist.

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    Wir können uns auf keine Differenzierung einlassen! Würde sich Deutschland jetzt auf das Gebiet der Aufrüstung begeben. dann würde es das ganze politische und soziale Leben in der Bundesrepublik von Grund auf umgestalten. Das Grundgesetz kennt keine Wehrverfassung.

    (Zustimmung bei der SPD.)

    Die beiden Argumente e contrario, die der Herr Bundeskanzler aus den Artikeln 26 und 4 heraus gebracht hat, treffen nicht zu. Diese Artikel sind nichts weiter als zusätzliche Beteuerungen des Friedenswillens. Der Geist des Grundgesetzes hat nach dem Willen der westlichen Alliierten und nach dem Willen der deutschen Gesetzgeber das militärische Problem für die Deutschen nicht als existent betrachtet.

    (Zustimmung bei der SPD.)



    (Dr. Schumacher)

    Ich glaube, daß die juristische Position des Herrn
    Bundeskanzlers zwar nicht ausreichend, aber doch
    besser wäre, wenn er sich nicht auf das Gutachten
    des Herrn Bundesjustizministers verlassen hätte.

    (Heiterkeit bei der SPD.)

    Die Regelung dieses ganzen Komplexes des deutschen Beitrags kann weder durch offene noch durch heimliche Verwaltungshandlungen geschehen oder auch nur vorbereitenderweise eingeleitet werden. Auch die einfache Gesetzgebung reicht nicht aus. Jede Schaffung irgendeiner Art von Wehrverfassung ist verfassunggebend und verfassungändernd, d. h. sie braucht die Zweidrittelmajorität des Deutschen Bundestags.

    (Zustimmung bei der SPD.)

    Denn, meine Damen und Herren, es handelt sich doch nicht um die Fortentwicklung irgendeines vorhandenen Geistes des Grundgesetzes, wenn man dieses Problem jetzt angreift.

    (Zuruf von der CDU: Doch!)

    Es handelt sich nicht um die Ausfüllung irgendeines zufällig leeren Fleckes im Grundgesetz, dessen Rahmen man nach allgemeiner Übereinstimmung zu kennen meint. Es handelt sich um eine Umkehr, um die totale Umkehr gegenüber allen Linien, die das Grundgesetz gesetzlich fixiert hat.

    (Zustimmung bei der SPD.)

    Es handelt sich um etwas im Grundgesetz nicht Gewolltes und bei den Beratungen des Grundgesetzes sowohl von den innen- wie von den außenpolitischen Faktoren ausdrücklich Abgelehntes. Hier handelt es sich um eine völlig neue Ordnung der Beziehungen von Staat und Menschen.

    (Abg. Dr. Wuermeling: Es geht doch um die Verteidigung des Friedens!)

    Wenn man aber den Art. 24 hier einschaltet, wonach sogar Hoheitsrechte an zwischenstaatliche Organisationen abgetreten werden können und im Abs. 2 ähnliche Bemerkungen enthalten sind, dann möchten wir grundsätzlich eines feststellen: Man kann keine Rechte abtreten, die man nicht hat und zu keinem Zeitpunkt gehabt hat!

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    Man hat sie nicht gehabt und hat sie bis heute nach dem Willen der westlichen Alliierten nicht haben sollen. Nach dem Willen der deutschen Gesetzgeber sind sie auch niemals beansprucht worden.
    Der Einbau der demokratischen Kontrolle wäre in diesem Zusammenhang ein Kapitel, das besonderer Erwähnung wert wäre. Trotz der Internationalität des deutschen Kontingents in einer übernationalen Armee ist die Existenz deutscher Formationen auch eine innerpolitisch wirksame Tatsache, mit der man sich staatsrechtlich auseinanderzusetzen hat.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Wenn man sie einbaut, braucht man eine Zweidrittelmehrheit. Wenn man das Institut, das eingebaut werden soll, schafft, dann braucht man nach Ansicht der Bundesregierung nur eine einfache Gesetzgebungsmehrheit. Ich glaube nicht, daß man mit diesen Methoden eine positive Regelung erreichen kann. Uns ist der Hinweis auf den Art. 24 ein politischer Fingerzeig. Es liegt damit von seiten der Bundesregierung oder des Herrn Bundeskanzlers die Absicht vor, mit jeder Mehrheit die Regelung dieser Frage in seinem
    Sinne zu erzwingen, gleichgültig ob die Verfassung dabei zu Schaden kommt oder nicht.

    (Unruhe und Widerspruch bei den Regierungsparteien.)

    Das, meine Damen und Herren, ist eine Frage, die wir im deutschen Volke zur Diskussion stellen werden.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD.)

    Mit dieser Methode, meine Damen und Herren, erregen Sie doch mit aller Gewalt im Volke den Eindruck, daß es stumm gemacht und nicht befragt werden soll.

    (Widerspruch bei den Regierungsparteien.)

    Mit dieser Methode, ohne diese Achtung der Verfassung gehen Sie doch den Weg zum autoritären, die Demokratie negierenden Staat!

    (Sehr richtig! bei der SPD. — Lachen, Widerspruch und Zuruf von den Regierungsparteien: Und Sie nach Moskau dafür!)

    — Mein Gott! Seien Sie meines vollen Mitleides bewußt!

    (Heiterkeit und Beifall bei der SPD. — Widerspruch bei den Regierungsparteien.)

    Wenn der Bundestag diese Frage entscheiden wollte, dann müßten wir ihm die Legitimation zur Entscheidung dieser Frage bestreiten. Gewiß, der Bundestag ist auf vier Jahre gewählt. Gewiß, keiner ist kleinlich und wird bei jeder neuen Aufgabe immer gleich die Neuwahl des Bundestages verlangen. Aber was hier geschaffen werden soll, ist doch etwas Neues von grundsätzlicher und alles verändernder Bedeutung. Ist dies erst einmal positiv entschieden, dann kann eine solche Entscheidung kaum noch revidiert werden. Als der Bundestag am 14. August des vorigen Jahres gewählt wurde, hatte sich doch dieses Problem noch nicht einmal am Horizont abgezeichnet. Die Forderung nach der Neuwahl des Bundestages ist nicht eine juristische. Juristisch und politisch ist das Bestreiten der Legitimation, ist die Forderung nach Anerkennung des verfassungändernden Charakters. Die Forderung nach der Neuwahl ist eine politische Forderung,

    (lebhafte Zustimmung bei der SPD; — Lachen und Widerspruch in der Mitte und rechts)

    ist die Forderung an die Regierung.

    (Anhaltende Unruhe und Zurufe. — Glocke des Präsidenten.)

    Es entspricht nach sozialdemokratischer Auffassung nicht der Würde und der Bedeutung dieses Problems, es durch Plärren und Johlen lösen zu wollen.

    (Zustimmung bei der SPD.)

    Die Frage nach der Neuwahl konfrontiert die Bundesregierung und ihre Parteien mit der Frage: Welchen Respekt hat sie vor dem Volke? Will sie dem Volke die Chance geben, über seinen letzten Lebensinhalt selbst zu entscheiden?

    (Stürmischer Beifall bei der SPD. — Zurufe in der Mitte und rechts.)

    Die Frage nach der Neuwahl verlangt einen Akt der politischen Einsicht und Verantwortung. Die Neuwahl durchführen heißt, dieses Problem in allen seinen politischen Zusammenhängen nach innen und nach außen, sozial und militärisch, demokratisch oder autoritär diskutieren.

    (Erneuter lebhafter Beifall bei der SPD.)



    (Dr. Schumacher)

    Nun, meine Damen und Herren, haben die Angelsachsen und leider auch weite Teile unseres eigenen Volkes in der Vergangenheit allzulange den Kommunisten bzw. die Westmächte den Sowjetrussen die Parole von der deutschen Einheit überlassen. Ich möchte davor warnen, daß sie bei der sozialen Parole und bei der Parole vom Frieden den gleichen Fehler machen. Jede große Idee wird in der Hand der Diktatoren nur Scheidemünze der Propaganda. Hier, meine Damen und Herren, wäre eine internationale Kampagne der Aufklärung durch die Wahrheit nötig, um zu zeigen, wer den Frieden will und wer das Wort des Friedens zur Kriegsvorbereitung mißbraucht.

    (Zustimmung bei der SPD.)

    In diesem Zusammenhang — —

    (Zuruf rechts.)

    — Wie meinen Sie?

    (Zuruf rechts: Ob Sie glauben, Stalin überzeugen zu können?)

    — Das ist ja nicht nötig; ich will ja die Demokratien überzeugen!

    (Beifall bei der SPD und Zuruf: Aufpassen!)

    — Der Schüler hat das Ziel der Klasse nicht erreicht!

    (Große Heiterkeit bei der SPD. — Unruhe in der Mitte und rechts.)

    Nun, meine Damen und Herren, hat der Herr Bundeskanzler von der großen Viermächtekonferenz gesprochen, von den Basen dieser Konferenz, die die Sowjets dieser unterschieben wollen, und besonders von der Prager Außenministerkonferenz. Ob die vier Mächte sich zu einer Besprechung zusammenfinden, ob der eine Teil nicht mutmaßt, daß der andere Teil nur ein Täuschungsmanöver macht oder eine Falle stellt, darüber werden diese Mächte aus ihrer besseren Kenntnis der Zusammenhänge und aus der Tatsache ihrer Verantwortung in erster Linie selbst zu entscheiden haben. Aber wenn es zu einer solchen Viermächtekonferenz käme, ist es ein anderes, auf dieser Viermächtekonferenz die Deutschen mit dem Hauptthema der Remilitarisierung in den Mittelpunkt zu schieben, und es ist wieder ein anderes, ob es den demokratischen Kräften der Welt gelingt, einmal die Russen zu einer Klärung der Voraussetzungen der Befriedung der Welt zu veranlassen. Wir als Deutsche haben nur die Aufgabe, zu erklären, daß, nationalpolitisch gesehen, die Formel der Prager Außenministerkonferenz für uns nicht akzeptabel ist, im besonderen der Punkt 4 nicht. Die dort geforderte paritätische Zusammensetzung eines gesamtdeutschen konstituierenden Rates, die dem Osten und dem Westen Deutschlands die gleiche Anzahl von Mandaten geben möchte, bedeutet: eine erzwungene Stimme des Ostens soll soviel Wert haben wie zweieinhalb frei abgegebene Wählerstimmen des Westens.

    (Sehr gut! bei der SPD. — Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

    Wir haben hier in diesem Zusammenhang konkret einen Wunsch an die Alliierten. Die Westmächte sollten sich gegebenenfalls nicht einlassen und nicht einmal die Andeutung einer Einlassung zeigen, wenn von der andern Seite versucht wird, das zu erreichen, was für uns für die deutsche Einheit unverzichtbar ist: derselbe Grad von persönlicher und staatsbürgerlicher Freiheit und Gleichheit in allen vier Zonen und in Berlin.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD.)

    Rechnen Sie damit, daß die Politik des „nationalen Widerstandes" für die nächste Phase auf Eis gelegt wird, ohne im Kern aufgegeben zu sein! Rechnen Sie damit, daß eine Periode einer Einheitsfrontkampagne kommt, wie wir sie vielleicht noch nicht erlebt haben!

    (Zurufe von der KPD.)

    Heute schon zeichnet sich ganz deutlich eine Einheitsfrontkampagne mit der gloriosen Formulierung ab „mit den Sozialdemokraten und den
    fortschrittlichen Teilen der bürgerlichen Parteien!"

    (Zuruf von der KPD: Und es tut sich sogar was!)

    — Ach, meine Herren Kommunisten!

    (Heiterkeit.)

    Wir sind da krisenfest;

    (Beifall bei der SPD)

    denn sehen Sie: Zum Predigen gehört nicht nul der Prediger, sondern gehören auch die Gläubigen, und die deutschen Arbeiter sind ungläubig gegenüber jeder Formel des Kommunismus und des Totalitarismus!

    (Lebhafter Beifall im ganzen Hause außer bei der KPD. — Abg. Rische: Wir haben das letzte Wort!)

    Das einzige, meine Herren Kommunisten, was
    Sie noch für Ihre Idee tun können: Treten Sie ab!

    (Anhaltender lebhafter Beifall bei der SPD. — Heiterkeit im ganzen Hause. — Zurufe von der KPD. — Glocke des Präsidenten.)