Protokoll:
4019

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 4

  • date_rangeSitzungsnummer: 19

  • date_rangeDatum: 14. März 1962

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 09:03 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 19:06 Uhr

  • account_circleMdBs dieser Rede
  • tocInhaltsverzeichnis
    Deutscher Bundestag 19. Sitzung Bonn, den 14. März 1962 Inhalt: Fragestunde (Drucksache IV/239) Frage des Abg. Lohmar: Sondermarken zum 20. Jahrestag des 20. Juli 1944 Dr. Steinmetz, Staatssekretär . . . 625 B Frage des Abg. Rademacher: Münzfernsprecher auf Bahnsteigen der Bundesbahn Dr. Steinmetz, Staatssekretär 625 B, C, D Rademacher (FDP) 625 C, D Frage des Abg. Rademacher: Briefmarken- und Wechselautomaten der Bundespost Dr. Steinmetz, Staatssekretär . . . 626 A Fragen des Abg. Dr. Dittrich: Stellenzulagen für Beamte des mittleren Dienstes bei der Bundespost Dr. Steinmetz, Staatssekretär . . 626 B Frage des Abg. Keller: Ortstarif im Brief- und Fernsprechverkehr zwischen Bonn und Bad Godesberg Dr. Steinmetz, Staatssekretär . . 626 C, D, 627 A, B, C, D, 628A Keller (FDP) . . . . . . . . . 626 D Büttner (SPD) . . . . . . . . . 626 D Wittrock (SPD) 627 A, B Stiller (CDU/CSU) . . . . . . 627 C Hauffe (SPD) . . . . . . . . 627 C Ritzel (SPD) 627 D, 628 A Frage des Abg. Schmidt (Kempten) : Sonderstempel „Kampf gegen die Malaria" Dr. Steinmetz, Staatssekretär . . 628 A, B Schmidt (Kempten) (FDP) . . . . 628 B Frage des Abg. Blachstein: Versorgung der Gebiete Ostfriesland und Emsland mit Fernsehprogrammen Dr. Steinmetz, Staatssekretär . . 628 B, D Blachstein (SPD) . . . . . . . 628 C, D Frage des Abg. Ritzel: Bezüge des Prof. Dr. Gladenbeck als Geschäftsführer der Gesellschaft Freies Fernsehen von Eckhardt, Staatssekretär . . 628 D 629 B, C Ritzel (SPD) 629 B Dr. Hettlage, Staatssekretär . . 629 C Erler (SPD) 629 C Frage des Abg. Sanger: Äußerung des Bundeskanzlers über eine Konferenz der Außenminister Lahr, Staatssekretär . 629 D, 630 A, B Sänger (SPD) 630 A II Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 19. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. März 1962 Frage des Abg. Schmidt (Kempten) : Verurteilung deutscher Studenten durch ein römisches Schwurgericht Lahr, Staatssekretär . . . 630 B, C. D Schmidt (Kempten) (FDP) . . . 630 B, C Erler (SPD) 630 D Frage des Abg. Keller: Blumenspende bei Beerdigung von Bundesbediensteten Höcherl, Bundesminister . 630 D, 631 A Keller (FDP) 630 D Frage des Abg. Bauer (Würzburg) : Teilnahme von Mitgliedern österreichischer Jugendverbände am Winterlager des „Bundes Heimattreuer Jugend" Höcherl, Bundesminister . . . . 631 A, C Bauer (Würzburg) (SPD) 631 C Frage des Abg. Bading: Auskunftserteilung der Bundesregierung über die Ausführung der Beschlüsse des Bundestages Höcherl, Bundesminister 631 D, 632 A, B, C, D Bading (SPD) • . . . . 631 D, 632 A Dr. Mommer (SPD) 632 A, D Börner (SPD) 632 B Jahn (SPD) 632 B, C Ritzel (SPD) . . . . . . . . 632 C Frage des Abg. Busse: Tätigkeit von Richtern in Umlegungsausschüssen Dr. Strauß, Staatssekretär . . . 632 D, 633 A, B Busse (FDP) 633 A Dr. Ramminger (CDU/CSU) . . . 633 A Frage des Abg. Wittrock: Gesetzentwurf zur Reform des Strafregisters Dr. Strauß, Staatssekretär . 633 B, C, D Wittrock (SPD) 633 B, C Dr. Dittrich (CDU/CSU) . . . . 633 D Frage des Abg. Dr. Brecht: Gesetzentwurf über ein soziales Miet- und Wohnrecht Dr. Strauß, Staatssekretär 633 D, 634 A Dr. Brecht (SPD) . . . . 633 D, 634 A Frage des Abg. Dr. Brecht: Werkwohnungen und freifinanzierte neue Wohnungen bei der Regelung des sozialen Miet- und Wohnrechts Dr. Strauß, Staatssekretär . 634 B, C, D Dr. Brecht (SPD) 634 B Büttner (SPD) 634 C Fragen der Abg. Frau Dr. Diemer-Nicolaus: Zusammenveranlagung von Ehegatten zur Einkommensteuer Dr. Hettlage, Staatssekretär . 635 A, B, C, D Frau Dr. Diemer-Nicolaus (FDP) 635 B, C Frau Meermann (SPD) . . . . . . 635 D Fragen des Abg. Dr. Dollinger: Mangel an Zwei-Pfennig-Münzen Dr. Hettlage, Staatssekretär . . . . 636 A Fragen des Abg. Stiller: Betriebsprüfungen Dr. Hettlage, Staatssekretär . . 636 B, C Stiller (CDU/CSU) 636 C Frage des Abg. Müller (Nordenham) : Beihilfen für Gasölbetriebe Dr. Hettlage, Staatssekretär 636 D, 637 A Müller (Nordenham) (SPD) 636 D, 637 A Frage des Abg. Wendelborn: Zollfreier Treibstoff für den Segelflugsport Dr. Hettlage, Staatssekretär . . . . 637 A Entwurf eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Rechnungsjahr 1962 (Haushaltsgesetz 1962) (Drucksache IV/200) — Fortsetzung der ersten Beratung — Schoettle (SPD) . . . . . . . . 637 C Dr. Vogel (CDU/CSU) 645 C Kreitmeyer (FDP) 652 B Niederalt (CDU/CSU) 654 C Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller (SPD) 658 C Dr. Schmidt (Wuppertal) (CDU/CSU) 662 A Dr. Deist (SPD) . . . . 664 B, 681 D Dr. Dr. h. c. Erhard, Bundesminister 674 A Dr. Dahlgrün (FDP) 678 A Dr. Burgbacher (CDU/CSU) . . . 679 D Hermsdorf ,(SPD) . . . 681 C, 688 A Struve (CDU/CSU) 682 D Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 19. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. März 1962 III Dr. Starke, Bundesminister . . . 683 C Ritzel (SPD) 688 C D. Dr. Gerstenmaier (CDU/CSU) 689 A Entwurf eines Gesetzes über die Feststellung ,des Wirtschaftsplans des ERP-Sondervermögens für das Rechnungsjahr 1962 (ERP-Wirtschaftsplangesetz 1962) (Drucksache IV/237) — Erste Beratung — Wacher (CDU/CSU) 690 B Zoglmann (FDP) . . . . . . . 690 B Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Einkommensteuergesetzes (SPD) (Drucksache IV/67) — Erste Beratung — Seuffert (SPD) . . . . . . . . 690 D Dr. Schmidt (Wuppertal) (CDU/CSU) 693 D Freiherr von Kühlmann-Stumm (FDP) 695 A Nächste Sitzung 695 D Anlage 697 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 19. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. März 1962 625 19. Sitzung Bonn, den 14. März 1962 Stenographischer Bericht Beginn: 9.03 Uhr.
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    Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich a) Beurlaubungen Arendt (Wattenscheid) 15. 3. Dr. Arnold 16. 3. Dr. Aschoff 14. 3. Dr. Atzenroth 23. 3. Dr. Dr. h. c. Baade 13. 4. Berlin 23. 3. Dr. Birrenbach 16. 3. Brand 15. 3. Dr. von Brentano 14. 3. Corterier 15. 3. Cramer 12. 4. Drachsler 15. 3. Dr. Dr. h. c. Dresbach 14. 3. Dr. Eppler 16. 3. Dr. Franz 14. 3. Dr. Furler 16. 3. Gerns 14. 3. Geiger 16. 3. Glombig 16. 3. Frau Herklotz 14. 3. Dr. Hesberg 6. 4. Hoogen 14. 3. Iven (Düren) 14. 3. Frau Jacobi (Marl) 16. 3. Dr. Kohut 20. 3. Kraus 16. 3. Dr. Kreyssig 15. 3. Krüger 31. 3. Kühn (Hildesheim) 16. 3. Leber 15. 3. Lenz (Bremerhaven) 16. 3. Lenze (Attendorn) 15. 3. Anlage zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich Liehr (Berlin) 16. 3. Dr. Löbe 16. 3. Dr. Löhr 14. 4. Dr. Baron Manteuffel-Szoege 14. 3. Margulies 14. 3. Dr. h. c. Menne (Frankfurt) 16. 3. Dr. Menzel 31. 3. Dr. Miessner 31. 3. Müller (Remscheid) 15. 3. Dr. Müller-Emmert 16. 3. Neumann (Allensbach) 16. 3. Oetzel 7. 4. Dr. h. c. Pferdmenges 23. 3. Pöhler 16. 3. Dr. Reinhard 16. 3. Reitzner 31. 3. Riedel (Frankfurt) 31. 3. Dr. Schneider 26. 3. Schulhoff 14. 3. Seifriz 16. 3. Dr. Sinn 16. 3. Steinhoff 16. 3. Storch 15. 3. Striebeck 23. 3. Strohmayr 14. 3. Verhoeven 16. 3. Frau Dr. h. c. Weber (Essen) 23. 3. Weinkamm 16. 3. Werner 14. 3. Dr. Winter 14. 3. Wullenhaupt 16. 3. b) Urlaubsanträge Schlick 14. 4.
Gesamtes Protokol
Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0401900000
Die Sitzung ist eröffnet.
Ich rufe auf Punkt 1 der Tagesordnung: Fragestunde (Drucksache IV/239).
Wir kommen vorab zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für 'das Post-und Fernmeldewesen, zunächst zur Frage XI/1 — des Herrn Abgeordneten Lohmar —:
Ist die Bundesregierung bereit, zum 20. Jahrestag des 20. Juli 1944 eine Briefmarkenserie zum Gedenken an die Männer und Frauen, die aus religiösen, rassischen oder politischen Gründen Widerstand gegen die Diktatur geleistet haben, herauszugeben?
Zur Beantwortung der Herr Staatssekretär des Bundesministeriums für das Post- und Fernmeldewesen.

Dr. Willy Steinmetz (CDU):
Rede ID: ID0401900100
Ich darf antworten: Eine Sondermarke zum Gedenken an die Blutzeugen für die Glaubens- und Gewissensfreiheit im Widerstand gegen die Diktatur soll nicht erst am 20. Jahrestag des 20. Juli 1944, sondern bereits aus Anlaß der Einweihung der Gedenkstätte Regina Martyrum in Berlin-Plötzensee herausgegeben werden. Mit der Vollendung der Gedenkstätte und damit der Ausgabe der Gedenkmarke kann bereits für den Herbst 1962 gerechnet werden.

Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0401900200
Keine Zusatzfrage.
Frage XI/2 — des Herrn Abgeordneten Rademacher —:
Kann der Herr Bundespostminister Auskunft darüber geben, wieviel Münzfernsprecher auf den Bahnsteigen der Deutschen Bundesbahn den Reisenden zur Verfügung stehen?
Zur Beantwortung der Herr Staatssekretär.

Dr. Willy Steinmetz (CDU):
Rede ID: ID0401900300
Innerhalb 'der abgesperrten Teile der Bahnhöfe der Deutschen Bundesbahn stehen den Reisenden etwa 80 Münzfernsprecher 'zur Verfügung.

Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0401900400
Zusatzfrage!

Willy Max Rademacher (FDP):
Rede ID: ID0401900500
Halten Sie das für genügend, um den Bedarf der Reisenden zu decken, die in wichtigen Fällen etwa beim Umsteigen auf den Bahnhöfen Gespräche führen wollen?

Dr. Willy Steinmetz (CDU):
Rede ID: ID0401900600
Herr Abgeordneter, Münzfernsprecher auf Bahnsteigen werden nur dort aufgestellt, wo sich ein echtes Bedürfnis ergibt. Ein solches echtes Bedürfnis läßt sich nur durch entsprechende Anregungen des Publikums feststellen. Anregungen dieser Art werden von den Dienststellen der Deutschen Bundespost sorgfältig geprüft. Ihnen wird nach Möglichkeit auch entsprochen. Ein Bedürfnis über die 80 vorhandenen Münzfernsprecher hinaus ist zur Zeit bei uns nicht bekannt. Außer diesen 80 Münzfernsprechern sind noch weitere tausend Münzfernsprecher außerhalb Ides abgesperrten Teiles in den Bahnhöfen vorhanden, deren sich die Reisenden ohne Schwierigkeiten bedienen können.
Münzfernsprecher auf Bahnsteigen oder außerhalb der abgesperrten Teile in den Bahnhöfen dürfen nur mit Zustimmung der Deutschen Bundesbahn an den von ihr bestimmten Standorten aufgestellt werden.

Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0401900700
Eine weitere Zusatzfrage!

Willy Max Rademacher (FDP):
Rede ID: ID0401900800
Da ich nur nach Münzfernsprechern auf den Bahnsteigen gefragt hatte, frage ich weiter, Herr Staatssekretär: Woher nehmen Sie die Weisheit, ,daß 80 Apparate auf den Bahnsteigen der gesamten deutschen Bundesrepublik genügen?

Dr. Willy Steinmetz (CDU):
Rede ID: ID0401900900
Herr Abgeordneter, ich möchte nicht meinen, daß dies eine besondere Weisheit ist; aber in unserem Ministerium ist bislang nichts darüber bekannt, daß weitere Münzfernsprecher auf Bahnsteigen gefordert werden.

(Abg. Blachstein: Keine Weisheit im Ministerium!)


Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0401901000
Frage XI/3 — des Herrn Abgeordneten Rademacher —:
Kann der Herr Bundespostminister erklären, wie es möglich ist, daß — insbesondere nach Feiertagen — die Briefmarken- und Wechselautomaten oft tagelang leer bleiben?



Präsident D. Dr. Gerstenmaier
Zur Beantwortung der Herr Staatssekretär für das Post- und Fernmeldewesen.

Dr. Willy Steinmetz (CDU):
Rede ID: ID0401901100
Die Dienststellen der Deutschen Bundespost sind angewiesen, sicherzustellen, daß die Münzwertzeichengeber und die Münzwechsler, insbesondere außerhalb der Postschalterstunden, stets gefüllt sind und Störungen so bald wie möglich beseitigt werden. Bei der großen Zahl dieser Geräte und der breiten Streuung über den gesamten Bereich der Postämter kann es vorkommen, daß ein Gerät infolge einer nicht vorauszusehenden starken Inanspruchnahme, etwa wenn ein Postkunde seinen großen Bedarf an Wertzeichen aus einem Wertzeichengeber deckt, schneller als üblich leer ist und nicht sofort wieder aufgefüllt wird, weil Personalmangel und das Gebot einer möglichst wirtschaftlichen Betriebsführung es nicht gestatten, daß jedes Gerät ununterbrochen überwacht wird. Hier kann es sich jedoch nach unseren Beobachtungen und Erfahrungen nur um Einzelfälle handeln. Das Bundespostministerium wird dennoch Ihre Anfrage, Herr Abgeordneter, zum Anlaß nehmen, die Dienststellen erneut auf eine sorgfältige Überwachung der Münzwertzeichengeber und Münzwechsler hinzuweisen.

Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0401901200
Frage XI/4 — des Herrn Abgeordneten Dr. Dittrich —:
Werden im Bereich der Deutschen Bundespost Stellenzulagen gemäß § 21 Abs. 2 des Bundesbesoldungsgesetzes, erstmals seit dem 1. Januar 1962, nur an diejenigen Beamten des mittleren Dienstes gezahlt, die am 1. Januar 1961 mehr als zehn Jahre Tätigkeiten des gehobenen Dienstes ausgeübt haben und diese auch weiterhin ausüben werden?

Dr. Willy Steinmetz (CDU):
Rede ID: ID0401901300
Gestatten Sie, daß ich beide Fragen des Herrn Abgeordneten Dr. Dittrich gemeinsam beantworte?

Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0401901400
Frage XI/5 — des Herrn Abgeordneten Dr. Dittrich —:
Beabsichtigt der Herr Bundespostminister, Anweisung zu geben, die Stellenzulagen gemäß § 21 Abs. 2 des Bundesbesoldungsgesetzes auch an die Beamten des mittleren Dienstes zu zahlen, die am Stichtag (1. Januar 1961) weniger als zehn Jahre auf Dienstposten des gehobenen Dienstes verbracht haben?

Dr. Willy Steinmetz (CDU):
Rede ID: ID0401901500
Die Zahlung von Zulagen nach § 21 Abs. 2 des Bundesbesoldungsgesetzes ist grundsätzlich nur möglich, wenn und soweit Planstellen entgegen ihrer Zweckbestimmung nicht zur Anstellung oder Beförderung von Beamten benötigt werden und deshalb länger als ein Jahr frei sind. Da sich im Bereich der Deutschen Bundespost weniger Beamte und Beamtinnen des mittleren Dienstes zum Aufstieg gemeldet hatten, als voraussehbar war, blieb eine Anzahl von Planstellen der Besoldungsgruppe A 9 unausgenutzt. Sie sind zur Zahlung von Zulagen nach § 21 Abs. 2 des Bundesbesoldungsgesetzes verwendet worden. Ihre Zahl deckt sich rein zufällig mit der Zahl der Beamten und Beamtinnen des mittleren Dienstes, die seit zehn Jahren auf Dienstposten des gehobenen Dienstes eingesetzt sind. Eine Ausdehnung der Zahlung von Zulagen auf weitere Beamte des mittleren Dienstes ist nicht möglich, da keine weiteren Planstellen der Besoldungsgruppe A 9 zur Verfügung stehen. Eine Anforderung zusätzlicher Planstellen, um daraus Zulagen zu zahlen, ist rechtlich unzulässig. Sie würde zu einer Ausweitung des § 21 Abs. 2 des Bundesbesoldungsgesetzes führen, und die ist dem Gesetzgeber vorbehalten.

Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0401901600
Zusatzfrage? — Keine Zusatzfrage.
Frage XI/6 — des Herrn Abgeordneten Keller —:
Welche Bedenken bestehen beim Herrn Bundespostminister, im Raum der Bundeshauptstadt, z. B. zwischen Bonn und Bad Godesberg, den Ortstarif im Brief- und Fernsprechverkehr einzuführen?
Dr. Steinmetz, Staatssekretär 'im Bundesministerium für das Post- und Fernmeldewesen: Es gibt im Bundesgebiet eine Reihe von selbständigen Städten, die eng miteinander verflochten sind. Vor allem im Hinblick auf den verfassungsmäßig garantierten Gleichheitsgrundsatz ist es fraglich, ob die Einführung von Ortsgebühren im Brief- und Fernsprechverkehr ausschließlich auf den Raum Bonn—Bad Godesberg beschränkt werden kann.
Eine Erweiterung der Ortsverkehrsbereiche in einem größeren Umfang hat aber nicht unerhebliche finanzielle Auswirkungen durch Gebührenausfall und durch Investitionen, die auf dem Fernmeldesektor erforderlich werden. Das Bundesministerium für das Post- und Fernmeldewesen prüft zur Zeit im Auftrag des Ministers neben den technischen Möglichkeiten auch die Frage, ob die finanziellen Auswirkungen in Kauf genommen werden können. Nach Abschluß dieser Prüfung wird der Herr Bundesminister für das Post- und Fernmeldewesen seine endgültige Entscheidung treffen.

Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0401901700
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Keller!

Ernst Keller (FDP):
Rede ID: ID0401901800
Herr Staatssekretär, billigen Sie die Drohung eines Ministerialdirektors vom 10. Februar laut FAZ: „Der Ortstarif geht nur über meine Leiche"? Oder werden in erster Linie postalische Überlegungen den Vorrang behalten?

Dr. Willy Steinmetz (CDU):
Rede ID: ID0401901900
Herr Abgeordneter, mir ist dieser Ausspruch nicht bekannt. Ich bin aber sicher, daß kein Ministerialdirektor in unserem Hause die Absicht hat, nur etwas zuzulassen, was über seine Leiche geht.

Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0401902000
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Büttner!

Fritz Büttner (SPD):
Rede ID: ID0401902100
Herr Staatssekretär, darf ich Ihnen die Frage vorlegen, ob die Möglichkeit besteht, Ortsgebühren für die Gemeinden zu erheben, die innerhalb des Bereiches eines Hauptpostamtes liegen? Ich darf Ihnen ein Beispiel dafür nennen. Im Bezirke des Hauptpostamts Moers liegt auch die



Büttner
Gemeinde Rheinkamp-Meerbeck, die mit Moers ineinander übergeht. Die Stelle Rheinkamp-Meerbeck wird von der Hauptpost Moers betreut. Ich bin auch damit einverstanden, daß mir die Antwort schriftlich erteilt wird.

Dr. Willy Steinmetz (CDU):
Rede ID: ID0401902200
Herr Abgeordneter, da es sich um einen Einzelfall handelt, darf ich die Frage entsprechend Ihrer Bitte schriftlich beantworten.

(Abg. Büttner: Sie steht im Zusammenhang mit dem Grundsatz!)


Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0401902300
Bine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Wittrock!

Karl Wittrock (SPD):
Rede ID: ID0401902400
Herr Staatssekretär, Sie sprachen von den finanziellen Auswirkungen. Darf ich folgendes fragen: Sind Sie nicht der Meinung, daß die öffentliche Aufgabe, die die Bundespost zu erfüllen hat, es gebietet, zusammengehörende Wirtschaftsräume — ich meine jetzt räumlich und wirtschaftlich fest miteinander verschmolzene Städte wie beispielsweise die Städte Wiesbaden und Mainz — gebührenmäßig entsprechend den Bedürfnissen weiter Wirtschaftskreise unter Zurückstellung etwaiger finanzieller Erwägungen als eine Einheit zu behandeln?

Dr. Willy Steinmetz (CDU):
Rede ID: ID0401902500
Es ist dem Herrn Bundesminister und seinen Mitarbeitern sehr wohl bekannt, daß sie nach den Vorschriften des Postverwaltungsgesetzes verpflichtet sind, den berechtigten Belangen und Bedürfnissen der Wirtschaft Rechnung zu tragen. Es ist aber vielleicht außerhalb der Deutschen Bundespost nicht zur Genüge bekannt, 'daß nach den Bestimmungen des gleichen Gesetzes der Herr Bundespostminister verpflichtet ist, seine Ausgaben aus den Einnahmen zu decken, und daß ,er von dem Herrn Bundesfinanzminister irgendwelche Zuschüsse nicht erhält. Diese einzelnen Vorschriften miteinander in Einklang zu bringen ist nicht immer ganz einfach.

Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0401902600
Eine zweite Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Wittrock!

Karl Wittrock (SPD):
Rede ID: ID0401902700
Herr Staatssekretär, ist Ihnen erinnerlich, ,daß Ihr Haus und Ihr Minister mir auf eine schriftliche Anfrage in ähnlichem Zusammenhang erwidert haben, nicht diese Gesichtspunkte seien wesentlich, sondern wesentlich sei das Veto des rheinland-pfälzischen Ministerpräsidenten, obgleich das rechtlich gar keine sichere Grundlage hat?

Dr. Willy Steinmetz (CDU):
Rede ID: ID0401902800
Von dieser Mitteilung meines Ministers an Sie ist mir zur Stunde nichts bekannt.

(Abg. Wittrock: Es kann auch ein Sachbearbeiter gewesen sein! Darauf kann ich mich jetzt nicht festlegen!)

— Ich kann nur wiederholen: Von diesem Brief ist mir zur Stunde nichts bekannt.

Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0401902900
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Stiller!

Georg Stiller (CSU):
Rede ID: ID0401903000
Herr Staatssekretär, wenn man für Bonn und 'Godesberg den Ortstarif gewährt, wird man dann auch daran denken, daß auch Nürnberg und Fürth, die Doppelstadt, den Ortstarif bekommen werden?

Dr. Willy Steinmetz (CDU):
Rede ID: ID0401903100
Herr Abgeordneter, ich darf darauf hinweisen, daß ich eingangs meiner Bemerkungen gesagt habe, die Lösung der Frage sei im Hinblick auf den Gleichheitsgrundsatz nicht ganz einfach.

Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0401903200
Es kommen noch mehrere Beispiele. Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Hauffe.

Herbert Hauffe (SPD):
Rede ID: ID0401903300
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß z. B. für Nürnberg-Fürth im Fernsprechverkehr ein Ortstarif über ein Fernsprechamt gilt, obwohl Fürth nicht nach Nürnberg eingemeindet ist, daß es auf der anderen Seite Fälle gibt, wie in Bayreuth, wo ich für einen Brief von Bayreuth nach meiner Gemeinde Leineck 20 Pfennig zahlen muß, das Postamt Leineck aber Teile der Stadt Bayreuth mitbetreut und dann die Briefe für 10 Pfennig von Bayreuth nach Leineck und wieder zurück nach Bayreuth transportiert? Also können hier doch rein wirtschaftliche oder finanzielle Dinge nicht maßgebend sein. Ich glaube, wenn man schon in der Organisation einen Wirtschaftsraum berücksichtigt und es Beispiele dafür gibt, dann könnte man das doch von Fall zu Fall so klären. Ist Ihr Haus bereit, diese Dinge zu prüfen und auf Antrag von Fall zu Fall Entscheidungen zu treffen?

Dr. Willy Steinmetz (CDU):
Rede ID: ID0401903400
Herr Abgeordneter, ich bitte Sie um Verständnis dafür, daß ich die gesamte Landkarte des Gebiets der Deutschen Bundespost im Augenblick nicht parat habe.

(Heiterkeit.)

Es ist klar, daß es im Postdienst und Fernmeldedienst aufgrund verschiedener Rechtsgrundlagen eine Reihe von Unterschieden gibt. Ich darf aber noch einmal darauf hinweisen, daß der Herr Bundesminister den gesamten Fragenkomplex zur Stunde prüfen läßt und dann seine Entscheidungen treffen wird.

Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0401903500
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Ritzel.

Heinrich Georg Ritzel (SPD):
Rede ID: ID0401903600
Dann darf ich, Herr Staatssekretär, aus einem Ihnen geographisch wohlbekannten Gebiet eine gleiche Frage stellen. Sie kennen den engen Zusammenhang der beiden Kleinstädte Er-



Ritzel
bach und Michelstadt. Dort wäre ein Ortsverkehr zwingend notwendig. Wie steht's damit?

Dr. Willy Steinmetz (CDU):
Rede ID: ID0401903700
Ich bin sicher, Herr Abgeordneter Ritzel, daß auch diese Frage mit der Gesamtentscheidung entschieden werden dürfte.

Heinrich Georg Ritzel (SPD):
Rede ID: ID0401903800
Das ist möglich.

Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0401903900
Keine weiteren Zusatzfragen. Ich rufe auf die Frage XI/7 — des Herrn Abgeordneten Schmidt (Kempten) —:
Beabsichtigt die Bundesregierung gemäß einer dem Deutschen Bundestag in der Sitzung vom 13. Dezember 1961 gegebenen Auskunft des Staatssekretärs im Bundespostministerium, Dr. Steinmetz, den Weltgesundheitstag am 7. April 1962 durch Herausgabe eines Sonderstempels „Kampf gegen die Malaria" zu unterstützen, obwohl der Weltgesundheitstag in der Bundesrepublik wie in vielen anderen europäischen Ländern unter dem Motto "Schützt das Augenlicht" begangen wird?

Dr. Willy Steinmetz (CDU):
Rede ID: ID0401904000
Der Sonderstempel zum diesjährigen Weltgesundheitstag wird in Übereinstimmung mit dem Deutschen Grünen Kreuz die Inschrift tragen: „Schützt das Augenlicht! Weltgesundheitstag."

Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0401904100
Eine Zusatzfrage.

Hansheinrich Schmidt (FDP):
Rede ID: ID0401904200
Herr Staatssekretär, 1 war dieser Sonderstempel „Schützt das Augenlicht" auch schon bekannt, als die Erklärung des Bundespostministeriums über den Sonderstempel „Kampf gegen die Malaria" abgegeben wurde?

Dr. Willy Steinmetz (CDU):
Rede ID: ID0401904300
Nein, sie war damals noch nicht bekannt.

Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0401904400
Die Frage XI/8 — des Herrn Abgeordneten Schmitt-Vockenhausen — ist vom Fragesteller zurückgestellt.
Frage XI/9 — des Herrn Abgeordneten Blachstein —:
Ist die Deutsche Bundespost bereit, zur Verbesserung der technischen Versorgung der Gebiete Ostfriesland, Emsland und Bremen mit Fernsehprogrammen auch vorhandene Fernsehsender des NDR (z. B. Steinkimmen) zu benutzen?

Dr. Willy Steinmetz (CDU):
Rede ID: ID0401904500
Für die Versorgung der Gebiete Ostfriesland und Emsland mit dem zweiten Fernsehprogramm stehen betriebsbereite Fernsehsendeanlagen des Norddeutschen Rundfunks nicht zur Verfügung. Zur Versorgung dieser Gebiete errichtet die Deutsche Bundespost zur Zeit an den Standorten des Norddeutschen Rundfunks in Aurich und Lingen Fernsehsendeanlagen, für deren Betrieb die vorhandenen Baulichkeiten und technischen Hilfseinrichtungen des Norddeutschen Rundfunks so weit als möglich mitbenutzt werden. Mit der Inbetriebnahme dieser Fernsehsender der Deutschen Bundespost ist im Laufe dieses Frühjahrs zu rechnen. Eine betriebsbereite Sendeanlage des Norddeutschen Rundfunks zur Ausstrahlung des zweiten Programms ist in Steinkimmen nicht vorhanden. Durch die Mitbenutzung des Senderstandorts Steinkimmen des Norddeutschen Rundfunks würde eine Verbesserung der Versorgung dieses Gebiets auch nicht erreicht werden können. Außerdem stehen für den Standort Steinkimmen nach dem Europäischen Rundfunkabkommen von Stockholm von 1961 für weitere Programme keine Frequenzen zur Verfügung. Im übrigen wird das Gebiet Bremen von dem Fernsehsender Bremen der Deutschen Bundespost mit dem zweiten Fernsehprogramm gut versorgt.

Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0401904600
Zusatzfrage!

Peter Blachstein (SPD):
Rede ID: ID0401904700
Ihre letzte Bemerkung, Herr Staatssekretär, wird zumindest in Bremen sicher mit Erstaunen aufgenommen werden.

Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0401904800
Frage!

Peter Blachstein (SPD):
Rede ID: ID0401904900
Ich möchte Sie fragen: Ist die Bundespost bereit, ohne Rücksicht auf Prestigegründe alle vorhandenen Einrichtungen, zum Beispiel bei öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, zur Versorgung der heute noch nicht voll versorgten Gebiete mitzubenutzen?

Dr. Willy Steinmetz (CDU):
Rede ID: ID0401905000
Herr Abgeordneter Blachstein, ich darf darauf antworten: Prestigegründe spielen bei der Entscheidung der Bundespost, insbesondere im Hinblick auf die Versorgung mit dem Zweiten Programm, überhaupt keine Rolle. Ich darf Ihnen darüber hinaus sagen, daß die Deutsche Bundespost mit dem. Norddeutschen Rundfunk sehr loyal und positiv zusammenarbeitet, um das Bestmögliche herauszuholen.

Peter Blachstein (SPD):
Rede ID: ID0401905100
Danke sehr!

Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0401905200
Ich komme zum Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes. Die Frage des Herrn Abgeordneten Ritzel lautet:
Welche Bezüge hat der wegen Dienstunfähigkeit aus dem Bundesdienst ausgeschiedene frühere Staatssekretär Prof. Dr. Gladenbeck von der aus Bundesmitteln finanzierten Gesellschaft Freies Fernsehen erhalten?
Zur Beantwortung der Herr Staatssekretär des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0401905300
Ich darf Ihre Frage, Herr Abgeordneter Ritzel, in folgender Weise beantworten:
1. Die Freies Fernsehen GmbH ist am 5. Dezember 1958 von Vertretern einer Gruppe von Zeitungsverlegern und Firmen der Markenindustrie gegründet worden. Ein Gesellschafterausschuß, dem Vertreter der genannten Gruppen sowie der Zeitschriftenverleger und des Mittelstandes angehörten, berief im Februar 1960 zwei Geschäftsführer. Einer hiervon war der aus dem Bundesdienst ausgeschiedene Staatssekretär Prof. Dr. Gladenbeck, und zwar



Staatssekretär von Eckardt
an Stelle der beiden ursprünglichen Gesellschafter, die bis dahin zugleich als Geschäftsführer fungiert hatten. Die Gesellschaft, vertreten durch den Vorsitzenden des Gesellschafterausschusses, schloß sodann im April 1960 Anstellungsverträge mit den beiden Geschäftsführern ab. Darin war für die beiden Geschäftsführer ein festes Gehalt von monatlich 5000 DM brutto sowie für die Jahre 1960/61/62 eine jährliche Gratifikation von 24 000 DM vereinbart. Die Verträge wurden auf die Dauer von 5 Jahren abgeschlossen. Ausdrücklich bemerken darf ich, daß die Bundesregierung weder die Auswahl 'der Geschäftsführer noch die Festlegung ihrer Gehälter vorgenommen hat.

(Zuruf von der SPD: Nur das Risiko!)

Es muß aber festgestellt werden, 'daß sowohl die Gehälter der Geschäftsführer wie überhaupt die Monatsverdienste aller Bediensteten der Freies-
Fernsehen-Gesellschaft im Vergleich zu den Gehältern .der Rundfunkanstalten angemessen waren.
2. Nachdem das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 28. Februar 1961 der Auftrag an die Gesellschaft, ein zweites Fernsehprogramm vorzubereiten, gegenstandslos geworden war, suchte die Gesellschaft eine vorzeitige Auflösung des Vertragsverhältnisses mit den Geschäftsführern herbeizuführen. Die Geschäftsführer erklärten sich mit einer Beendigung .des Vertragsverhältnisses zum 30. September 1961 einverstanden. Zur Ablösung ihrer weitergehenden Ansprüche wurde vom Liquidator der Gesellschaft im Einvernehmen mit dem Bundesminister der Finanzen und mit mir als Leiter des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung eine Abfindungssumme in Höhe eines Jahresbetrages ihrer Ansprüche aus dem Anstellungsvertrag vereinbart.

Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0401905400
Zusatzfrage!

Heinrich Georg Ritzel (SPD):
Rede ID: ID0401905500
Darf ich fragen, Herr Staatssekretär: Wie hoch war denn in der gleichen Zeit, auf ein Jahr bezogen, die Pension des aus dem 'Bundesdienst ausgeschiedenen Herrn Staatssekretärs?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0401905600
Herr Abgeordneter Ritzel, das kann ich Ihnen leider aus dem Kopf nicht sagen. Mir sind die Zahlen nicht bekannt. Aber ich nehme an, daß die Pension nach der Länge seiner Dienstzeit und nach seiner Dienststellung berechnet war.

(Lachen bei der SPD.) Die Zahl selbst ist mir nicht bekannt.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0401905700
Dr. Gerstenmaier: Zweite Zusatzfrage!

Heinrich Georg Ritzel (SPD):
Rede ID: ID0401905800
In der Annahme, daß dem so ist — nämlich nach dem Gesetz —, möchte ich fragen, ob vielleicht der Herr Staatssekretär der Finanzen in der Lage ist, die mangelnde Kenntnis in bezug auf die Höhe des Ruhegehaltes eines Staatssekretärs zu ersetzen. Es sind ja einige Herren Staatssekretäre hier, die vielleicht ihr Ruhegehalt schon berechnet haben.

(Heiterkeit bei 'der SPD.)


Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0401905900
Ich frage den Herrn Staatssekretär des Bundesfinanzministeriums, ob er diese Frage beantworten will.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0401906000
Ich kann die Frage des Herrn Abgeordneten Ritzel zu meinem Bedauern nicht beantworten.

(Anhaltende Heiterkeit.)


Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0401906100
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Erler.

Fritz Erler (SPD):
Rede ID: ID0401906200
Herr Staatssekretär, ist von der Gesellschaft bei der Festsetzung des Gehalts für den Geschäftsführer Professor Dr. Gladenbeck berücksichtigt worden, daß seine Arbeitsfähigkeit doch sicher durch die Tatsache eingeschränkt ist, daß er wegen Dienstunfähigkeit aus dem Bundesdienst ausgeschieden ist? Ist diese Minderung der Erwerbsfähigkeit berücksichtigt worden?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0401906300
Herr Abgeordneter Erler, diese Frage ist schon einmal in ähnlicher Form gestellt worden, und zwar in der 'Fragestunde vom 29. September 1960. Sie wurde damals von dem amtierenden Bundesminister des Innern, Dr. Schröder, beantwortet. Herr Dr. Schröder erklärte damals — ich darf zitieren —: „Die Feststellung der Dienstunfähigkeit ist nach den geltenden Bestimmungen unter den dazugehörenden Umständen erfolgt." Er fügte 'hinzu — ich darf noch einmal zitieren —: „Geld verdienen allein ist noch kein Anzeichen für Gesundheit und Dienstfähigkeit."

(Heiterkeit.)


Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0401906400
Keine Zusatzfrage.
Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts, zunächst zu der Frage II/1 —des Herrn Abgeordneten Sänger —:
Welche Presseberichte hatte das Auswärtige Amt im Auge, als es im Zusammenhang mit der Äußerung des Bundeskanzlers vom 20. Februar 1962, es müsse eine Konferenz der Außenminister einberufen werden, am 22. Februar 1962 pauschal erklärte, die Presseberichte über diese Äußerung seien nicht zutreffend gewesen?
Zur Beantwortung der Herr Staatssekretär des Auswärtigen Amts.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0401906500
Ich darf dem Herrn Abgeordneten Sänger antworten.
Die Annahme, das Auswärtige Amt habe Presseberichte im Zusammenhang mit der Äußerung des Herrn Bundeskanzlers vom 20. Februar 1962 pauschal als nicht zutreffend bezeichnet, trifft in dieser Form nicht zu. Das Auswärtige Amt hat am 22. Februar, nachdem es von dem Herrn Bundeskanzler dazu ermächtigt worden war, lediglich erklärt, daß



Staatssekretär Lahr
sich die Äußerung des Herrn Bundeskanzlers nicht auf eine Ost-West-Außenministerkonferenz, sondern auf eine westliche Viermächtekonferenz bezogen habe.

Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0401906600
Zusatzfrage!

Fritz Sänger (SPD):
Rede ID: ID0401906700
Wenn ich recht verstanden habe, Herr Staatssekretär, wandten Sie sich soeben gegen das Wort „pauschal". Ich möchte aber wissen, welche Presseberichte als unzutreffend bezeichnet worden sind; denn in der Erklärung des Auswärtigen Amts, in der es hieß, daß der Herr Bundeskanzler eine andere Außenministerkonferenz gemeint habe, war zwar von Presseberichten die Rede, es wurde aber nicht gesagt, welche Presseberichte gemeint seien.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0401906800
Herr Abgeordneter, das Auswärtige Amt hat in seinen Auskünften nicht auf bestimmte frühere Presseberichte Bezug genommen, sondern sich auf die Feststellung beschränkt, die ich soeben verlesen habe.

Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0401906900
Eine zweite Zusatzfrage!

Fritz Sänger (SPD):
Rede ID: ID0401907000
Sind Sie dann bereit, Herr Staatssekretär, zu konzedieren, daß sich die Presse bemüht, in solchen Fragen korrekt und sorgfältig zu berichten, und daß es untunlich ist, in einer allgemeinen Form der Presse mißverständliche Äußerungen anderer zur Last zu legen?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0401907100
Herr Abgeordneter, ich darf wiederholen: Das Auswärtige Amt hat eine pauschale Feststellung dieser Art nicht getroffen, sondern sich lediglich darum bemüht, den Tatbestand klarzustellen.

Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0401907200
Wir kommen zur Frage II/2 — des Herrn Abgeordneten Schmidt (Kempten) —:
War der Bundesrepublik bekannt, daß unter den dieser Tage von einem römischen Schwurgericht verurteilten sieben Studenten drei Bürger der Bundesrepublik waren?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0401907300
Ich darf dem Herrn Abgeordneten Schmidt antworten, daß seine Frage zu bejahen ist. Der Bundesregierung war bekannt, daß sich unter den sieben verurteilten Studenten drei Deutsche befanden.

Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0401907400
Zusatzfrrage!

Hansheinrich Schmidt (FDP):
Rede ID: ID0401907500
Herr Staatssekretär, können Sie darüber Auskunft geben, was die Bundesregierung während dieser fast sechsmonatigen Untersuchungshaft, bis das Verfahren abgeschlossen war, zur Aufklärung des Falles getan hat?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0401907600
Herr Abgeordneter, das Auswärtige Amt hat von diesem Fall aus der Presse erfahren. Es haben im übrigen Kontakte mit der italienischen Regierung stattgefunden.
Was speziell die Verteidigung der Angeklagten betrifft, so ist zu bemerken, daß diesen nach Maßgabe der italienischen Gesetze ein Pflichtverteidiger zustand. Außerdem haben die Verwandten der Angeklagten von dem Recht Gebrauch gemacht, einen eigenen Verteidiger zu bestellen. Die Frage — die wir uns gestellt haben —, ob von uns aus ein Verteidiger zu bestellen sei, war daher zu verneinen.

Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0401907700
Eine zweite Zusatzfrage?

Hansheinrich Schmidt (FDP):
Rede ID: ID0401907800
Herr Staatssekretär, sieht die Bundesregierung eine Möglichkeit, die Freilassung dieser sicher irregeleiteten jungen Menschen zu erreichen?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0401907900
Nach dem, was uns aus dem Gerichtsverfahren bekanntgeworden ist — einem Verfahren, das offensichtlich in voller Objektivität durchgeführt worden ist —, besteht kein Zweifel daran, daß diese Angeklagten ein Verschulden trifft und daß eine rechtliche Handhabe, auf ihre Freilassung hinzuwirken, nicht gegeben ist.

Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0401908000
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Erler.

Fritz Erler (SPD):
Rede ID: ID0401908100
Darf ich der ersten Antwort des Herrn Staatssekretärs entnehmen, daß auch er Wert darauf legt, daß wir von „deutschen Staatsbürgern" und „Deutschen" sprechen und uns nach Möglichkeit nicht den Sprachgebrauch „Bürger der Bundesrepublik" angewöhnen?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0401908200
Ich stimme dem zu, Herr Abgeordneter.

Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0401908300
Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern, zunächst zu der Frage III/1 — des Herrn Abgeordneten Keller —:
Trifft es zu, daß beim Tode eines Bundesbediensteten ein Beamter des höheren bzw. gehobenen Dienstes auf Kosten der Dienststelle mit einem Kranz, eine Sekretärin nur mit einem Blumenstrauß bei der Beendigung geehrt wird?
Zur Beantwortung der Herr Bundesminister des Innern.

Hermann Höcherl (CSU):
Rede ID: ID0401908400
Es trifft nicht zu, daß solche Unterschiede gemacht werden.

Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0401908500
Eine Zusatzfrage?

Ernst Keller (FDP):
Rede ID: ID0401908600
Herr Minister, wäre es nicht besser, den Amtsvorständen mehr freie Hand zu lassen, anstatt in solchen Takttragen bis ins einzelne gehende bürokratische Regelungen zu erlassen? Ich verweise auf die Ausführungen von 1954.




Hermann Höcherl (CSU):
Rede ID: ID0401908700
Ich meine, daß es eine gute Regelung ist, wenn alle gleichmäßig behandelt werden, daß also keine Unterschiede gemacht werden dürfen.

Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0401908800
Ich rufe auf die Frage I11/2 — des Herrn Abgeordneten Bauer (Würzburg) —:
Hat die Bundesregierung die einer breiteren Öffentlichkeit durch die offiziöse Nachrichtenagentur „Italia" — Deutscher Sonderdienst der Bozener Redaktion — zugegangene Meldung überprüft bzw. kommentiert, in der letzten Dezemberwoche habe der „Bund Heimattreuer Jugend" auf dem Dreisesselberg im Bayerischen Wald einen Lehrgang für die Winterausbildung der Mitglieder organisiert, an dem auch eine gewisse Anzahl von Mitgliedern des infolge neonazistischer Tätigkeit aufgelösten „Bundes der vaterländischen Jugend Österreichs" beteiligt gewesen sei, und am 21. und 22. Juli 1962 werde ein großes internationales Treffen der neonazistischen Jugend in Bordenau (Deutschland) stattfinden?
Zur Beantwortung der Herr Bundesminister des Innern!

Hermann Höcherl (CSU):
Rede ID: ID0401908900
Die Bundesregierung ist über die beiden Veranstaltungen, auf die sich die Anfrage bezieht, unterrichtet. Ich darf dazu folgendes ausführen.
Bei der Veranstaltung, die vom 26. Dezember 1961 bis zum 2. Januar 1962 am Dreisesselberg im Bayerischen Wald stattfand, handelte es sich um ein Winterlager des „Bundes Heimattreuer Jugend". Insgesamt trafen sich etwa 35 Personen, darunter einige Teilnehmer aus Österreich und Flandern. Drei der erkannten Teilnehmer aus Österreich gehörten österreichischen Jugendverbänden an, die wegen ihrer rechtsradikalen Betätigung in Osterreich verboten wurden.
Der „Bund Heimattreuer Jugend" vertritt sogenanntes völkisches Gedankengut. Dies kam auch in den Vorträgen, die auf der Veranstaltung gehalten wurden, zum Ausdruck. Zahlenmäßig ist die Organisation ziemlich bedeutungslos. Im ganzen Bundesgebiet gehören ihr rund 250 Mitglieder an. Gleichwohl wird die Organisation, wie alle rechtsradikalen Vereinigungen, sorgfältig beobachtet. Das Hohe Haus darf davon überzeugt sein, daß die zuständigen. Behörden gegen die Organisation einschreiten werden, wenn es geboten ist und die gesetzlichen Voraussetzungen dafür vorliegen.
Vorerst hat das Bundesministerium des Innern am 26. Februar 1962 gegen diesen Jugendverband ein Uniformverbot nach § 3 Abs. 2 des Versammlungsgesetzes erlassen, das allerdings noch nicht rechtskräftig ist. Durch dieses Verbot wird klargestellt, daß es solchen Jugendgruppen verwehrt wird, in der Öffentlichkeit die irrige Vorstellung einer pseudomilitärischen Organisation zu erwekken.
Das Treffen am 21. und 22. Juli 1962 in Bordenau am Steinhuder Meer, dem Geburtsort Scharnhorsts, wird durch die Jugendorganisation des „Stahlhelm", das „Jugendkorps Scharnhorst", anläßlich des 40 jährigen Bestehens dieses Jugendverbandes durchgeführt. Das „Jugendkorps Scharnhorst", das über etwa 200 Mitglieder im Bundesgebiet verfügt, veranstaltet alljährlich in Bordenau ein Bundestreffen. Die Veranstaltungen dieser Organisation haben bisher keinen Anlaß zu Beanstandungen geboten. Es liegen auch keine Erkenntnisse darüber vor, daß Verbindungen zwischen dem „Jugendkorps Scharnhorst" und rechtsradikalen Jugendorganisationen bestehen oder daß Angehörige solcher Jugendverbände beabsichtigen, an dem Treffen des „Jugendkorps Scharnhorst" am 21. und 22. Juli 1962 teilzunehmen. Die Information der Nachrichtenagentur ITALIA, wonach es sich bei dieser Veranstaltung um ein großes internationales Treffen der neonazistischen Jugend handeln soll, ist somit nach den hier vorliegenden Informationen unzutreffend.

Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0401909000
Eine Zusatzfrage Herr Abgeordneter Bauer (Würzburg)!

Hannsheinz Bauer (SPD):
Rede ID: ID0401909100
Herr Bundesminister, ist die Bundesregierung grundsätzlich bereit, derartige Tagungen sehr sorgfältig überprüfen zu lassen, und ist sie weiter bereit, gegebenenfalls Falschmeldungen, die in diese Richtung gehen, mit aller Entschiedenheit entgegenzutreten?

Hermann Höcherl (CSU):
Rede ID: ID0401909200
Ich beantworte beide Fragen mit Ja.

Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0401909300
Frage III/3 — des Herrn Abgeordneten Bading —:
Ist die Bundesregierung nicht auch der Ansicht, daß über die Ausführung der Beschlüsse des Bundestages gemäß § 115 seiner Geschäftsordnung schriftlich Auskunft gegeben werden muß, innbesondere, wenn eine auf seine einstimmige Beschlußfassung zurückgehende Verhandlung negativ ausläuft?
Zur Beantwortung der Herr Bundesminister des Innern.

Hermann Höcherl (CSU):
Rede ID: ID0401909400
Es 'entspricht nicht nur der allgemeinen Praxis der Bundesregierung, sondern auch den Bestimmungen der Geschäftsordnung, daß auf Beschlüsse des Bundestages nach § 115 der Geschäftsordnung des Bundestages schriftlich Auskunft gegeben wird. Ob und in welchem Umfang die Auskunft im Einzelfall zu erteilen ist, bestimmt sich nach dem Inhalt des Beschlusses. Da Sie, Herr Kollege, in Ihrer Frage den Beschluß des Bundestages, auf den Sie abzielen, nicht genannt haben, bedauere ich, weitere Einzelheiten nicht angeben zu können.

Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0401909500
Eine Zusatzfrage!

Harri Bading (SPD):
Rede ID: ID0401909600
Wenn die Bundesregierung diesen Standpunkt, den Sie soeben vorgetragen haben, einnimmt, wie beurteilt sie dann das Verhalten des Bundesverkehrsministers, der auf den einstimmigen Beschluß des Bundestages, mit der französischen Regierung über einen direkten Eisenbahnverkehr zwischen Colmar und Breisach zu verhandeln, dem Bundestag keinen Bericht gegeben hat, obwohl die Verhandlungen negativ ausgefallen sind, so daß der Bundestag nicht erfahren hat, wie sein Beschluß ausgeführt wurde?




Hermann Höcherl (CSU):
Rede ID: ID0401909700
Die Bundesregierung ist der Meinung, daß der Herr Verkehrsminister die Lage optimistisch beurteilt und versuchen wird, die Verhandlungen trotz des bisherigen negativen Zwischenergebnisses wieder aufzunehmen und zu einem positiven Abschluß zu bringen.

Harri Bading (SPD):
Rede ID: ID0401909800
Herr Bundesminister, was sagen Sie dazu, daß diese Verhandlungen bereits im Frühjahr 1961 abgeschlossen worden sind und daß die Erledigung des Beschlusses des Bundestages erst durch eine in der Fragestunde gestellte Frage bekannt geworden ist?

Hermann Höcherl (CSU):
Rede ID: ID0401909900
Ich glaube, es gibt verschiedene Grade des Optimismus. Offenbar liegt hier ein sehr intensiver Optimismus vor.

(Heiterkeit.)


Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0401910000
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Mommer!

Dr. Karl Mommer (SPD):
Rede ID: ID0401910100
Herr Minister, können Sie uns sagen, wie die Bundesregierung es technisch sicherstellt, daß Beschlüsse des Bundestages so verfolgt werden, daß dem Hause zu gegebener Zeit dann auch — sozusagen automatisch — der Ausgang der Sache mitgeteilt wird?

Hermann Höcherl (CSU):
Rede ID: ID0401910200
Herr Abgeordneter Mommer, in der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesministerien gibt es genaue Vorschriften darüber, wie das im Geschäftsgang zu behandeln ist.

Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0401910300
Eine Zusatzfrage!

Holger Börner (SPD):
Rede ID: ID0401910400
Herr Minister, ist die Bundesregierung bereit, ebenso wie verschiedene Landesregierungen das bei ihren Parlamenten tun, dem Bundestag in Abständen einen Sammelbericht über die Erledigung von Parlamentsbeschlüssen zuzuleiten?

Hermann Höcherl (CSU):
Rede ID: ID0401910500
Vorschriften darüber bestehen nicht; man müßte die Geschäftsordnung ändern. Man könnte über dieses Thema durchaus sprechen.

Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0401910600
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Jahn!

Gerhard Jahn (SPD):
Rede ID: ID0401910700
Herr Minister, halten Sie es, trotz allen Optimismus, den Sie dem Herrn Verkehrsminister unterstellen, nicht für notwendig, daß dem Bundestag nach einer angemessenen Frist wenigstens ein Zwischenbericht gegeben wird?

Hermann Höcherl (CSU):
Rede ID: ID0401910800
Auf die Möglichkeit des Zwischenberichtes ist in ,der Geschäftsordnung hingewiesen. Ich glaube, daß es gelegentlich zweckmäßig ist, einen oder sogar mehrere Zwischenberichte zu geben.

Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0401910900
Eine zweite Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Jahn!

Gerhard Jahn (SPD):
Rede ID: ID0401911000
Billigt die Bundesregierung das Verhalten des Verkehrsministers, 'der bis heute 'dem Bundestag formell noch keinen Bericht erstattet hat?

Hermann Höcherl (CSU):
Rede ID: ID0401911100
Die Bundesregierung hat keine Veranlassung, das Verhalten des Herrn Verkehrsministers zu mißbilligen.

Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0401911200
Eine Zusatzfrage Herr Abgeordneter Ritzel!

Heinrich Georg Ritzel (SPD):
Rede ID: ID0401911300
Würden Sie bereit sein, Herr Bundesinnenminister, im Schoße der Bundesregierung dafür zu sorgen, daß einmal eine kleine Inventur über nicht erstattete Berichte gemacht wird?

Hermann Höcherl (CSU):
Rede ID: ID0401911400
Ich werde eine solche Anregung geben.

(Abg. Ritzel: Danke!)


Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0401911500
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Mommer.

Dr. Karl Mommer (SPD):
Rede ID: ID0401911600
Herr Minister, wenn, obwohl es in 'der Geschäftsordnung der Bundesregierung sichergestellt ist, eine Berichterstattung nicht erfolgt, darf man dann daraus schließen, daß das absichtlich nicht geschieht?

Hermann Höcherl (CSU):
Rede ID: ID0401911700
Das möchte ich nicht annehmen.

(Heiterkeit.)


Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0401911800
Wir kommen zu den Fragen aus dem 'Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz.
Frage IV/1 — Herr Abgeordneter Busse —:
Teilt der Herr Bundesjustizminister die in der Rundverfügung 3110 - I A 12 des Justizministers des Landes Nordrhein-Westfalen geäußerte Ansicht, daß § 4 Abs. 1 des Deutschen Richtergesetzes die Tätigkeit eines Richters als Vorsitzender eines Umlegungsausschusses (§ 46 des Bundesbaugesetzes vom 23. Juni 1960, BGBl. I S. 341) verbietet?
Zur Beantwortung der Herr Staatssekretär im Bundesministerium der Justiz.

Dr. Franz Josef Strauß (CSU):
Rede ID: ID0401911900
Der Bundesminister der Justiz teilt die Auffassung des Herrn Justizministers des Landes Nordrhein-Westfalen, derzufolge nach Inkrafttreten des Deutschen Richtergesetzes Richter nicht mehr in Umlegungsausschüssen oder Oberen Umlegungsausschüssen der Länder tätig sein dürfen.




Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0401912000
Eine Zusatzfrage.

Hermann Busse (FDP):
Rede ID: ID0401912100
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß dadurch die Tätigkeit der Umlegungsausschüsse insbesondere in kleineren Gemeinden praktisch lahmgelegt werden könnte?

Dr. Franz Josef Strauß (CSU):
Rede ID: ID0401912200
Das ist mir nicht bekannt. Ich halte es auch nicht für zutreffend. Die Tätigkeit der Umlegungsausschüsse ist unbestritten Ausübung der vollziehenden Gewalt. Ich glaube, daß es an sich leichter sein wird, Angehörige der vollziehenden Gewalt für diese Tätigkeit zu finden, insbesondere in kleineren Gemeinden, in denen Gerichte als Organe der rechtsprechenden Gewalt bekanntlich nicht bestehen.

Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0401912300
Eine Zusatzfrage.

Dr. August Ramminger (CSU):
Rede ID: ID0401912400
Herr Staatssekretär, ich darf eine Zusatzfrage stellen: Fallen darunter auch die stellvertretenden Bürgermeister?

Dr. Franz Josef Strauß (CSU):
Rede ID: ID0401912500
Worunter?

Dr. August Ramminger (CSU):
Rede ID: ID0401912600
Unter die Bestimmung, daß sie nach dem Richtergesetz ihre Tätigkeit als stellvertretende Bürgermeister nicht ausüben dürfen?

Dr. Franz Josef Strauß (CSU):
Rede ID: ID0401912700
Das deutsche Gemeinderecht ist nach 1945 so zersplittert, daß ich im Augenblick keine Kenntnisse über die verschiedenen Funktionen verschiedenartiger stellvertretender Bürgermeister habe. Soviel kann ich jedoch sagen: Sofern ein stellvertretender Bürgermeister Tätigkeiten der vollziehenden Gewalt ausübt, kann diese Tätigkeit von einem aktiven Richter nicht wahrgenommen werden.

Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0401912800
Frage IV/2 — Herr Abgeordneter Wittrock —:
Wird die Bundesregierung den bereits in der Fragestunde des Bundestages vom 12. Dezember 1957 von dem damaligen Bundesjustizminister angekündigten Entwurf eines Gesetzes zur Reform des Strafregisters unter Berücksichtigung der in der Öffentlichkeit seit Jahren immer wieder angeregten Reform der Straftilgungsvorschriften nun bald den gesetzgebenden Körperschaften vorlegen?
Dr. Strauß, Staatssekretär im Bundesministerium der Justiz. Herr Abgeordneter, die Bundesregierung hofft, den gesetzgebenden Körperschaften noch vor Beginn der Sommerpause den Entwurf eines neuen Straftilgungsgesetzes zuleiten zu 'können.

Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0401912900
Eine Zusatzfrage!

Karl Wittrock (SPD):
Rede ID: ID0401913000
Herr Staatssekretär, erachten Sie es im Hinblick auf die — begrüßenswerterweise bald — durchzuführenden Beratungen als zweckmäßig, vielleicht einige Landesjustizverwaltungen zu bitten, Repräsentativerhebungen durchzuführen, damit so einmal genau festgestellt werden kann, wie hoch doch— man darf sagen: im Grunde genommen erschreckend hoch — der Prozentsatz der irgendwie straffällig Gewordenen ist? Eine solche Klärung und Feststellung könnte zur Erhellung und Lösung dieses dinglichen Problems beitragen, dem man eben durch ein neues Straftilgungsgesetz beikommen will.

Dr. Franz Josef Strauß (CSU):
Rede ID: ID0401913100
Herr Abgeordneter, soweit mir bekannt ist, läßt sich diese Zahl aus der jährlich vom Statistischen Bundesamt veröffentlichten Straffälligenstatistik schon jetzt entnehmen.

Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0401913200
Zweite Zusatzfrage!

Karl Wittrock (SPD):
Rede ID: ID0401913300
Stimmen Sie mir darin zu, daß das Problem, das dieser Fragestellung zugrunde liegt, vielleicht noch einmal zu überprüfen ist? Ich habe doch Zweifel, ob sich das ohne weiteres aus der alljährlichen Kriminalitätsstatistik ergibt.

Dr. Franz Josef Strauß (CSU):
Rede ID: ID0401913400
Ich bin gern bereit, eine solche Überprüfung anzuregen.

Karl Wittrock (SPD):
Rede ID: ID0401913500
Danke sehr.

Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0401913600
Zu einer Zusatzfrage Abgeordneter Dittrich.

Dr. Stefan Dittrich (CSU):
Rede ID: ID0401913700
Herr Staatssekretär, sieht der Entwurf zur Reform der Straftilgungsvorschriften vor, daß die Fristen bis zur Straftilgung oder bis zur beschränkten Auskunft aus dem Strafregister verringert werden?

Dr. Franz Josef Strauß (CSU):
Rede ID: ID0401913800
Jawohl.

Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0401913900
Frage IV/3 — Herr Abgeordneter Dr. Brecht —:
Bis wann wird die Bundesregierung das seit längerer Zeit wiederholt angekündigte Gesetz über ein soziales Miet- und Wohnrecht dem Bundestag zur Beratung vorlegen, nachdem die sogenannten Abbaugesetze des Jahres 1960 das soziale Miet-
und Wohnrecht nicht enthalten?
Zur Beantwortung der Herr Staatssekretär der Justiz.

Dr. Franz Josef Strauß (CSU):
Rede ID: ID0401914000
Wünschen Sie, daß ich die beiden Fragen zusammen beantworte?

Dr. Julius Brecht (SPD):
Rede ID: ID0401914100
Es wäre mir lieber, Sie würden sie getrennt beantworten.

Dr. Franz Josef Strauß (CSU):
Rede ID: ID0401914200
Die Bundesregierung hofft, bereits in den nächsten Wochen das Gesetz über ein soziales Miet- und Wohnrecht zu verabschieden.




Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0401914300
Zusatzfrage?

Dr. Julius Brecht (SPD):
Rede ID: ID0401914400
Ist Ihnen klar, Herr Staatssekretär, daß es sich bei dieser Aufgabe um eine sehr dringliche und sehr wichtige Aufgabe handelt, da dieses soziale Miet- und Wohnrecht bis zum 30. Juni 1963 verkündet und in Kraft getreten sein muß, weil von diesem Zeitpunkt an das Mieterschutzgesetz außer Kraft sein wird?

Dr. Franz Josef Strauß (CSU):
Rede ID: ID0401914500
Jawohl.

Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0401914600
Eine weitere Zusatzfrage?

Dr. Julius Brecht (SPD):
Rede ID: ID0401914700
Glauben Sie trotz der Schwierigkeit der Materie und der widersprüchlichen Auffassungen erreichen zu können, daß das soziale Mietrecht rechtzeitig ergeht, bevor das Mieterschutzgesetz außer Kraft tritt?

Dr. Franz Josef Strauß (CSU):
Rede ID: ID0401914800
Ich glaube, daß ein Jahr Beratungsfrist für die Ausschüsse des Bundestages eine Zeit ist, in der man zur Verabschiedung kommen kann.

Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0401914900
Ich rufe die von dem Abgeordneten Dr. Brecht gestellte Frage IV/4 auf:
Sind die Mitteilungen in der Presse richtig, daß bei der Ausarbeitung des Gesetzes über das soziale Miet- und Wohnrecht Schwierigkeiten dadurch aufgetreten sind, daß sogenannte Werkwohnungen und die in den letzten Jahren freifinanzierten neuen Wohnungen nicht unter die Regelungen eines sozialen Miet- und Wohnrechtes fallen sollen?

Dr. Franz Josef Strauß (CSU):
Rede ID: ID0401915000
Die von Ihnen angeschnittenen Fragen wären schon entschieden worden, wenn nicht durch eine kurzfristige Auslandsreise des Herrn Bundesministers der Justiz und neuerdings durch den bedauerlichen Unfall des Herrn Bundeswohnungsbauministers Zeit verlorengegangen wäre.

Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0401915100
Zusatzfrage?

Dr. Julius Brecht (SPD):
Rede ID: ID0401915200
Aber können Sie sich zur Frage selbst äußern: welche Absichten z. B. hinsichtlich der Behandlung der Werkwohnungen bestehen, also zu der Frage, ob auch für Werkwohnungen das soziale Miet- und Wohnrecht gelten soll, namentlich wenn ab 1. Juli 1963 auch für Werkwohnungen der Mieterschutz in der heutigen Form aufhört?

Dr. Franz Josef Strauß (CSU):
Rede ID: ID0401915300
Die Bundesregierung ist gewiß, daß sie auch in dieser Frage eine Lösung finden wird, die den Interessen aller Beteiligten gerecht wird.

Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0401915400
Eine weitere Zusatzfrage?

Dr. Julius Brecht (SPD):
Rede ID: ID0401915500
Kann ich also davon ausgehen, Herr Staatssekretär, daß auch nach Auffassung der Bundesregierung ebenfalls für Werkwohnungen
Mieterschutz in Form eines sozialen Miet- und Wohnrechtes gegeben sein muß, so wie jetzt Mieterschutz gilt?

Dr. Franz Josef Strauß (CSU):
Rede ID: ID0401915600
Ich bitte Sie, zu warten, bis die Gesetzesvorlage von der Bundesregierung verabschiedet ist. Ich glaube, daß die Lösung, die wir anstreben, durchaus in dem Sinne ist, der Ihrer Frage zugrunde liegt.

Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0401915700
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Büttner.

Fritz Büttner (SPD):
Rede ID: ID0401915800
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß infolge Fehlens dieses angekündigten Gesetzes die Praxis schon eine andere ist und sehr viele Räumungsklagen zu verzeichnen sind?

Dr. Franz Josef Strauß (CSU):
Rede ID: ID0401915900
Einzelheiten hierüber sind mir nicht bekannt. Wir können aber davon ausgehen, daß die Gerichte das zur Zeit geltende Recht unverändert anwenden.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0401916000
Zweite Zusatzfrage!

Fritz Büttner (SPD):
Rede ID: ID0401916100
Herr Staatssekretär, darf ich Sie in dem Zusammenhang bitten, dafür einzutreten, daß das von Herrn Bundesminister Lücke in Aussicht gestellte diesbezügliche Material, das in Ihrem Ministerium gesammelt ist, zur Verfügung gestellt wird?

Dr. Franz Josef Strauß (CSU):
Rede ID: ID0401916200
Das Material ist vorhanden und kann natürlich auch zur Verfügung gestellt werden.

Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0401916300
Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen. Ich rufe die von Herrn Abgeordneten Riedel (Frankfurt) gestellte Frage V/1 auf:
Wie werden sich die Einnahmen aus der Grundsteuer in den nächsten Jahren unter dem Gesichtspunkt der auslaufenden Begünstigungen entwickeln?
Ist Herr Abgeordneter Riedel im Saal? — Er ist
nicht im Saal; die Frage wird schriftlich beantwortet.
Ich rufe sodann die von der Abgeordneten Frau Dr. Diemer-Nicolaus gestellten Fragen V/2 und V/3 auf:
Welche Maßnahmen beabsichtigt die Bundesregierung zu ergreifen, um zu erreichen, daß die zwingende gesetzliche Vorschrift, daß bei der Zusammenveranlagung von Ehegatten die gemeinsame Steuererklärung von beiden Ehegatten unterzeichnet sein muß, auch von den Finanzämtern beachtet wird?
Ist es richtig, daß der Erlaß des Hessischen Finanzministers vom 3. August 1961 mit dem Aktenzeichen S 2123 - 27 - II/21, nach dem die Finanzämter bei der Zusammenveranlagung von Ehegatten zur Einkommensteuer auf eine vollständige Ausfüllung der gemeinsamen Steuererklärung nicht zu bestehen brauchen, wenn diese nur von einem Ehegatten unterzeichnet wurde, im Einvernehmen mit dem Bundesfinanzministerium erlassen wurde?
Zur Beantwortung der Herr Staatssekretär des Bundesfinanzministeriums!




Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0401916400
Frau Abgeordnete, nach § 57 a der Durchführungsverordnung zum Einkommensteuergesetz haben Ehegatten bei gemeinsamer Veranlagung auch eine gemeinsame Steuererklärung abzugeben. Es ist ergänzend bestimmt, daß die gemeinsame Steuererklärung von beiden Ehegatten unterschrieben werden muß. Diese Bestimmung verpflichtet das Finanzamt aber nicht, sie zwangsweise durchzusetzen. Wenn also Ehegatten aus bestimmten Gründen trotz gemeinsamer Veranlagung eine gemeinsame Steuererklärung nicht abgeben möchten, können die Finanzämter ausnahmsweise getrennte Steuererklärungen zulassen. Diese Regelung ist in Anwendung des behördlichen Ermessens durch Erlasse der Länderfinanzminister mit Zustimmung des Bundesfinanzministers getroffen worden.
Erlauben Sie mir einige kurze Bemerkungen zur praktischen Seite. Worum handelt es sich denn? Es handelt sich um die kleinen Geldgeheimnisse, die Ehegatten untereinander haben können.

(Hört! Hört! und Heiterkeit.)

Die Finanzämter ermöglichen es auf diesem Wege, daß Ehegatten nicht gezwungen werden, sich in einer gemeinsamen Einkommensteuererklärung gegenseitig alle Geldangelegenheiten zu offenbaren.

(Erneute Heiterkeit.)

Diese Diskretion in Geldsachen gehört, wie mir scheint, in die menschliche Fülle der Fragen von Ehe und Familie, die Art. 6 des Grundgesetzes der staatlichen Ordnung empfiehlt.

(Beifall.)

Das Amt der Finanzbeamten ist so schwierig, daß
wir ihnen nicht die Gelegenheit versagen sollten,
auch einmal Diskretion und Menschlichkeit zu üben.

(Erneuter Beifall.)


Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0401916500
Zusatzfrage!

Dr. Emmy Diemer-Nicolaus (FDP):
Rede ID: ID0401916600
Herr Staatssekretär, die Verhandlungen im Finanzausschuß im Jahre 1958 über die seinerzeitige Reform der Einkommensteuer sind Ihnen ja bekannt. Sie werden wissen, daß damals lange über diese Frage im Finanzausschuß beraten worden ist. Der Finanzausschuß hatte unter Berücksichtigung dessen, was Sie jetzt gesagt haben, trotzdem die Auffassung vertreten, daß die gemeinsame Einkommensteuererklärung von beiden Ehegatten unterzeichnet werden müsse. Meine Frage dazu lautet: Halten Sie es für vertretbar, daß, obwohl das Parlament diesen Wunsch ausdrücklich geäußert hat, dem jetzt von der Verwaltung etwas anderes entgegengehalten wird? Halten Sie eine gemeinsame Steuererklärung für rechtswirksam, die entgegen den gesetzlichen Bestimmungen nicht von beiden unterzeichnet wurde?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0401916700
Frau Abgeordnete, die Rechtslage ist klar. Sie entspricht dem Ergebnis der Ausschußberatungen. Danach muß eine gemeinsame
Steuererklärung von beiden Ehegatten unterschrieben sein. Es ist aber eine andere Frage und eine Frage des Verwaltungsermessens, ob und wieweit die Finanzämter im Einzelfall die Unterschrift beider Ehegatten unter einer gemeinsamen Steuererklärung erzwingen wollen. Die Landesfinanzämter sind aus Gründen, die ich andeutete, zu der Meinung gekommen, daß nicht in jedem Falle eine solche beiderseitige Unterzeichnung einer gemeinschaftlichen Steuererklärung erzwungen werden sollte, sondern in Ausnahmefällen trotz gemeinsamer Veranlagung getrennte Steuererklärungen dem Zweck des Gesetzes genügen.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0401916800
Zweite Zusatzfrage.

Dr. Emmy Diemer-Nicolaus (FDP):
Rede ID: ID0401916900
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß auf Grund dieser gemeinsamen Steuererklärung das Splitting-Verfahren zur Anwendung kommt und damit erhebliche steuerliche Vergünstigungen erreicht werden, daß außerdem eine entsprechende Mithaftung der Ehefrau für die Steuerschulden eintritt? Ist Ihnen weiter bekannt, daß das auch der sachliche Grund war, warum die Unterzeichnung der Einkommensteuererklärung durch beide Ehegatten vom Finanzausschuß gewünscht wurde?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0401917000
Gnädige Frau, diese Mithaftung wird durch die gemeinsame Veranlagung der Ehegatten ausgelöst, nicht durch eine gemeinsame Steuererklärung. Das Finanzamt ist in der Lage, die Ehegatten auch gemeinsam aus getrennten Steuererklärungen zur Einkommensteuer zu veranlagen.

Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0401917100
Zusatzfrage der Frau Abgeordneten Meermann.

Hedwig Meermann (SPD):
Rede ID: ID0401917200
Herr Staatssekretär, Sie sagten in Ihrer ersten Antwort, daß das Finanzamt auf eine gemeinsame Erklärung verzichten könne, wenn die Eheleute erklärt hätten, daß sie eine gemeinsame Erklärung nicht abgeben wollen. Meine Frage geht nun dahin: Befreit das Finanzamt von der Pflicht, daß beide Ehegatten unterschreiben, auch dann, wenn nur ein Ehegatte erklärt, daß er die Steuererklärung nicht gemeinsam abgeben möchte?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0401917300
Gnädige Frau, nach den Verwaltungserlassen der Landesfinanzminister, denen der Bundesfinanzminister zugestimmt hat, sind die Finanzämter nicht gehalten, in jedem Falle beide Unterschriften zu erzwingen, d. h. durch Verwaltungsmaßnahmen, beispielsweise durch eine Geldstrafe als Beugestrafe, durchzusetzen. Ob die Erklärung eines Ehegatten genügt, erscheint mir zweifelhaft. Es scheint mir dann doch notwendig zu sein, daß beide Ehegatten mit überzeugenden Gründen dartun, warum sie von einer gemeinsamen Steuererklärung absehen möchten.




Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0401917400
Ichrufe auf die Fragen V/4 und V/5 — des Abgeordneten Dr. Dollinger —:
Sind der Bundesregierung die von seiten des Handels erhobenen Klagen über den Mangel an 2-Pfennig-Münzen bekannt?
Ist die Bundesregierung bereit, den Mangel an 2-Pfennig-
Münzen zu beheben, der sich bei Rationalisierungsbestrebungen — z. B. bei den mit der Registrierkasse gekoppelten sog. Rückgeldgebern — bemerkbar macht?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0401917500
Herr Abgeordneter Dollinger, es ist bekannt, daß zur Zeit ein gewisser Mangel an Kleingeld, insbesondere an 2-Pfennig-Münzen, besteht. Schon vor längerer Zeit ist im Hinblick auf den wachsenden Kleingeldbedarf durch Automaten und anderes mehr die Herstellung von Scheidemünzen, insbesondere von kleineren Münzen — 1 Pf, 2 Pf, 10 Pf bis zu 1 DM — gesteigert worden. Geht man von den Stückzahlen aus, so werden gegenwärtig ungefähr 130 bis 150 v. H. der Scheidemünzen hergestellt, die in dem Vergleichsmonat des Vorjahres hergestellt wurden. In Iden ersten 'beiden Monaten des Jahres 1962 sind insgesamt 422 000 neue 2-Pfennig-Stücke in Auftrag gegeben worden; das entspricht ungefähr einem Volumen von 33 Eisenbahnwaggons. Insgesamt scheint uns, daß durch eine etwas zügigere Vorratshaltung bei der Bundesbank und durch etwas schleunigeren Umlauf der Scheidemünzen der 'Mangel 'behoben werden könnte.
Bei den Kupfermünzen 'besteht eine gewisse Hortungsneigung. So werden etwa die 1-Pfennig-Stücke von angehenden Bräuten und die 2-Pfennig-Stücke von Müttern für die Kinder gesammelt und dergleichen mehr. Daher müssen wir bei den 2-Pfennig-
Stücken als Kopfbedarf erheblich mehr in Aussicht nehmen, als es bei den früheren Zahlungsgepflogenheiten erforderlich war.

Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0401917600
Keine Zusatzfrage.
Ich rufe 'auf die Fragen V/6, V/7 und V/8 — des Abgeordneten Stiller —:
Inwieweit ist in den letzten Jahren der für die Betriebsprüfungen vorgesehene Turnus eingehalten worden?
Nach welchen Gesichtspunkten werden die unterschiedlichen Prüfungszeiträume für Betriebsprüfungen bestimmt?
Wie hoch waren die Zahlungseingänge aus den auf Grund
der Betriebsprüfungen 1960 berichtigten Steuerbescheiden?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0401917700
Herr Abgeordneter Stiller, Betriebsprüfungen werden auf Grund der Bestimmung des § 162 der Abgabenordnung bei den Großbetrieben alle drei Jahre vorgenommen. Früher war das eine Muß-Bestimmung, heute ist es eine Soll-Bestimmung. Das Gesetz enthält eine Bestimmung über den Prüfungsabstand nur für Großbetriebe. Tatsächlich werden die Mittelbetriebe in der Verwaltungspraxis in der Regel mit einem durchschnittlichen Abstand von sechs Jahren und die kleineren Betriebe mit einem durchschnittlichen Abstand von etwa zehn Jahren geprüft.
Mit diesem Prüfungsabstand darf nicht der Prüfungszeitraum verwechselt werden, für den eine
Überprüfung stattfindet. Bei den Großbetrieben fällt dieser Prüfungszeitraum, der überprüft wird, im allgemeinen mit dem Prüfungsabstand von vier Jahren zusammen. Bei den Mittel- und bei den Kleinbetrieben ist das schon wegen der gesetzlichen Verjährungsbestimmungen nicht möglich. Bei den Mittelbetrieben und den Kleinbetrieben erfaßt die Steuerprüfung einen kürzeren Prüfungszeitraum, in der Regel einen solchen von drei bis vier Jahren, auch wenn die Prüfungen in größeren Zeitabständen erfolgen.
Im Haushaltsjahr 1960, das ein Dreivierteljahr war, sind durch solche Betriebsprüfungen insgesamt rund 1 037 000 000 DM nachträglich veranlagt und eingehoben worden. Dieser Betrag von rund einer Milliarde DM an Nachzahlungen auf Grund von Betriebsprüfungen entfällt zu über 70 v. H. auf Großbetriebe.

Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0401917800
Eine Zustazfrage, Herr Abgeordneter Stiller!

Georg Stiller (CSU):
Rede ID: ID0401917900
Eine Zusatzfrage, Herr Staatssekretär! Liegen die Zahlen für 1961 auch schon vor? Sie sagten, für das Haushaltsjahr 1960, das ein Dreivierteljahr gewesen sei, seien über eine Milliarde DM nacherhoben worden.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0401918000
Ich kann Ihre Frage nach der Zahl für 1961 noch nicht beantworten.

Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0401918100
Frage V/9 — des Herrn Abgeordneten Müller (Nordenham) —.
Ist der Bundesregierung bekannt, daß durch einen Erlaß des Bundesfinanzministers vom 3. Januar 1962 (V B13 - F 6204 - 45/81) bisher gezahlte Beihilfen auf Grund § 1 Abs. 3 der Gasöl-Betriebsbeihilfe-VO-Wirtschaft vom 20. März 1961 (Bundesgesetzbl. I S. 264) für den Betrieb von stromerzeugenden Maschinen, soweit es sich nicht um die Erzeugung von Lichtstrom handelt, eingestellt worden sind?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0401918200
Herr Abgeordneter, die Betriebsbeihilfen nach dem Verkehrsfinanzgesetz werden an Inhaber von Betrieben aller Art für das Gasöl gezahlt, das zum Antrieb von Maschinen zur Stromerzeugung verwendet wird. Diese Betriebsbeihilfe beträgt 16,45 DM für 100 kg. Diese Dieselaggregate sollen also in erster Linie und überwiegend der Stromerzeugung dienen. In modernen Baggergeräten und Baukränen findet sich vielfach ein technischer Verbund dieser Aggregate mit elektrischer Krafterzeugung. Bei diesem dieselelektrischen Maschinenverbund in den Baggern und dergleichen werden keine Gasölbetriebsbeihilfen gegeben, weil das Dieselaggregat nicht selbständig zur Kraftherstellung verwendet wird.

Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0401918300
Zusatzfrage!

Heinrich Müller (SPD):
Rede ID: ID0401918400
Herr Staatssekretär, Ihre Antwort trifft in einem Falle, der Grundlage meiner Anfrage, nicht zu. Dort hat das Hauptzollamt in Oldenburg — —




Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0401918500
Frage bitte, Herr Abgeordneter!

Heinrich Müller (SPD):
Rede ID: ID0401918600
Ja. Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß das Hauptzollamt in Oldenburg auch in dem Fall, den Sie weiter mit Beihilfe bedienen wollen, eine andere Auffassung vertreten und die Beihilfe eingestellt hat?
Dr. Hettlage, Staatssekretar des Bundesministeriums der Finanzen: Herr Abgeordneter, ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mir diese Unterlage zugänglich machten, damit ich ihr nachgehen kann.

Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0401918700
Frage V/10 — des Herrn Abgeordneten Wendelborn —:
Welche Gründe haben den Herrn Bundesfinanzminister bewogen, die zollfreie Abgabe von Treibstoff für den Segelflugsport ab 1. Januar 1962 aufzuheben?

(Abg. Wächter: Herr Präsident, eine Zusatzfrage zu der vorigen Frage!)

— Nein, verzeihen Sie, ich habe Ihre Wortmeldung nicht gesehen. Ich kann jetzt nicht mehr zurückgehen.
Herr Staatssekretär, bitte zur Beantwortung der Frage des Herrn Abgeordneten Wendelborn.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0401918800
Ich beantworte die Frage nach der Steuerbefreiung für Mineralöl, das zum Antrieb von Seilwinden für Segelflugzeuge dient.
Durch einen Verwaltungserlaß vom 30. April 1954 war zugelassen, daß zum Antrieb des Motors der Seilwinde, durch die ein Segelflugzeug in die Luft geschleudert wird, zoll- und steuerfreier Treibstoff verwendet werden darf. Nach dem Inkrafttreten des neuen Zollgesetzes am 1. Januar dieses Jahres entstanden Zweifel, ob diese Vergünstigung durch die Ermächtigung des § 25 des neuen Zollgesetzes weiter gedeckt sein würde. Diese Zweifel sind inzwischen auf Grund befriedigender Aufklärung des Deutschen Aero-Clubs ausgeräumt worden. Es kann also für diesen Zweck nach wie vor abgabenfreier Treibstoff unter zollamtlicher Überwachung verwendet werden. Die Zollstellen sind entsprechend angewiesen worden.

Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0401918900
Keine Zusatzfrage. Damit, meine Damen und Herren, beenden wir die Fragestunde für heute. In der morgigen Fragestunde werde ich zuerst die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft aufrufen.
Wir kommen zu Punkt 2 der Tagesordnung:
Fortsetzung der ersten Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Rechnungsjahr 1962 (Haushaltsgesetz 1962) (Drucksache IV/ 200) .
Ich eröffne die Aussprache in erster Lesung. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schoettle.

(Unruhe.)


Erwin Schoettle (SPD):
Rede ID: ID0401919000
Ich darf vielleicht so lange warten.

(Zuruf von der SPD: Da müssen erst einmal Hände geschüttelt werden!)


Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0401919100
Meine Herren, ich bitte Sie, sich zu beeilen.

(Anhaltende Unruhe. — Abg. Wehner [zur Regierungsbank gewendet] : Wollen Sie den Haufen von Beamten nicht bald verabschieden? — Zuruf von der SPD: Kein Minister kommt!)

Einen Augenblick, Herr Abgeordneter Schoettle!

(Abg. Jahn: Die hören überhaupt nicht zu!) Herr Staatssekretär, — —(Abg. Wehner: Das ist ein Bundestag hier!

— Abg. Jahn [zur Regierungsbank gewendet] : Ja, Sie sind gemeint!)
Meine Herren, ich bitte Sie, sich so zu verabschieden, — —

(Abg. Wehner: Das ist doch kein Jagdausflug!)

Meine Herren, ich bitte Sie, sich so zu verabschieden, daß die Beratungen des Hauses weitergehen können.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schoettle.

(Anhaltende Zurufe von der SPD.) Fangen Sie an!


(Anhaltende Unruhe. — Zurufe von der SPD: Unerhört! — Hinsetzen, da oben auf der Tribüne!)

— Ruhe, Ruhe, meine Herren!
Bitte, Herr Abgeordneter, fangen Sie an!

(Unruhe. — Abg. Dr. Mommer: Bis der Letzte sich hingesetzt hat, Herr Präsident! — Zuruf des Abg. Wehner. — Abg. Jahn: Ungehörigkeit sondergleichen! — Gegenruf des Abg. Dr. Vogel: Keine Übertreibung!)


Erwin Schoettle (SPD):
Rede ID: ID0401919200
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich befinde mich in der nicht gerade angenehmen Lage, mich gleich zu Beginn dieser Debatte einer Situation gegenübergestellt zu sehen, die eigentlich nicht der Würde dieses Hauses entspricht;

(Zustimmung bei der SPD.)

Denn daß bei einer Debatte über den Bundeshaushalt, der die 'Gesamtheit der Bundesregierung angeht, die Regierungsbank so besetzt ist, wie wir es vor uns sehen, ist eigentlich nicht gerade der Stil, den wir uns wünschen.

(Beifall bei der SPD.)

Leider muß man sich mit manchen dieser Stilwidrigkeiten abfinden, weil sie offenbar sehr schwer zu
ändern sind; aber ich glaube, das Haus sollte sich



Schoettle
nicht länger von Fragen aufhalten lassen, die nicht nur Etikettefragen sind.

(Zuruf von der SPD: Wo ist denn der Bundesfinanzminister?)

Ich hoffe, der Bundesfinanzminister wird noch im Laufe der Beratung eintreffen. Sein Staatssekretär sitzt ja auf der Regierungsbank; aber es wäre besser, wenn er dieser Debatte von Anfang an beiwohnen würde.
Nun, meine Damen und Herren, lassen Sie mich endlich beginnen! Der Herr Bundesfinanzminister hat gestern diesem Hause einen Etat vorgelegt, der schon seit geraumer Zeit Gegenstand der öffentlichen Diskussion und noch mehr Gegenstand zahlloser Gespräche und Verhandlungen hinter den Kulissen gewesen ist. Selten in der kurzen Geschichte dieser Bundesrepublik ist ein Haushalt mit so großer Verspätung und unter solchen Krämpfen eingebracht worden. Es ist der Haushalt einer neuen Bundesregierung, die zu ihrem Zustandekommen selbst geraume Zeit gebraucht hat und unter Umständen geboren worden ist, die ja noch in aller Erinnerung sind. 'Es ist zugleich ein Haushalt, der eine entscheidend veränderte finanzpolitische Lage signalisiert.
Der Herr Bundesminister der Finanzen hat in seiner gestrigen Rede noch ein Übriges getan; er hat die Lage in einer Weise dramatisiert, die nicht ganz den tatsächlichen Gegebenheiten entspricht. Das gilt sowohl für die Konjunktur, die die Grundlage auch der finanzpolitischen Entscheidungen der öffentlichen Hand ist, als auch für die haushaltspolitische Situation; die ist sicher nicht besonders erfreulich, wenn man an vergangene Jahre denkt. Da war es nicht nur leichter, den vom Grundgesetz vorgeschriebenen ausgeglichenen Haushalt vorzulegen, man konnte auch fast risikolos damit rechnen, daß die Steuereingänge alles in allem schließlich doch ausreichen würden, um nicht nur die Ansätze des ordentlichen Haushalts zu decken, sondern auch den außerordentlichen Haushalt aus laufenden Einnahmen zu finanzieren, ohne daß man von den Anleiheermächtigungen des Haushaltsgesetzes Gebrauch machen mußte.
Das ist nun offenbar vorüber. Dem Herrn Bundesfinanzminister der vierten Regierung Adenauer ist daraus kaum ein Vorwurf zu machen. Er hat ein Erbe übernommen, und sicher blieb ihm wenig Zeit, tiefgründige Untersuchungen über Einzelheiten des Haushalts anzustellen, dessen Grundlagen wohl schon Monate vor seiner Amtsübernahme gelegt worden sind.
Was ist nun geschehen, meine Damen und Herren, was die Lage für den Bundeshaushalt so verändert hat, daß tatsächlich ernste Schwierigkeiten für den Haushaltsausgleich entstanden sind? Wo sind die Veränderungen? Gestern ist uns beinahe mit der Haushaltsrede des Herrn Bundesfinanzministers auch der Finanzbericht 1962 auf den Tisch gelegt worden. Ich glaube nicht, daß es einem Mitglied dieses Hauses möglich gewesen sein wird, in den wenigen Stunden dieses, verglichen mit seinen Vorgängern, auch umfangreichere Opus zu lesen, geschweige denn gründlich zu studieren, obwohl es ein gründliches Studium in der Tat wert ist. Denn es enthält eine Fülle von Tatsachen und Feststellungen, die zwar noch längst nicht das darstellen, was wir unter einer volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung verstehen würden, die aber doch immerhin eine Grundlage für die Beurteilung bestimmter Aspekte der Finanzpolitik des Bundes und der öffentlichen Hand in der Bundesrepublik ganz allgemein 'darbieten.
Da ist vor allem — da einige Statistiken ja schon auf den ersten Blick hängenbleiben — die Feststellung interessant, die wir auf Seite 29 des Finanzberichts nachlesen können, daß der gesamte öffentliche Finanzbedarf trotz des lauten Rufens mancher Leute, die das Gegenteil behaupten, in den Jahren von 1958 bis 1961 im Durchschnitt um 9,9 % zugenommen hat und damit unter dem durchschnittlichen Wachstum des Bruttosozialprodukts lag. Das ist eine interessante Feststellung. Mit 29,3 % des Bruttosozialprodukts ist der Anteil des reinen Finanzbedarfs der öffentlichen Verwaltung seit 1951 fast konstant geblieben. Im Vergleich zum Haushaltsjahr 1958/59 ist er sogar gesunken. Die ewige Klage über die wachsende Gefräßigkeit der öffentlichen Hand muß im Lichte dieser Zahlen, die das Bundesfinanzministerium und seine sachverständigen Mitarbeiter uns liefern, doch etwas anders aussehen, ,als man gemeinhin behauptet.
Auch die Behauptung, daß wir in der Bundesrepublik die höchste Besteuerung in der westlichen Welt haben, muß in etwa auf die Tatsachen zurückgeführt werden. Ganz abgesehen davon, daß die Steuerlast nicht durchweg gerecht verteilt ist —darüber wird an anderer Stelle noch zu reden sein — und daß unsere Spitzenbelastung unter dem liegt, was anderwärts üblich ist — und das ist eine bescheidene Feststellung —, muß man feststellen: Daß die steuerliche Belastung in den Jahren der Hochkonjunktur absolut gestiegen ist, liegt vor allem an unserem deutschen Steuersystem, das bei wachsendem Sozialprodukt und gleichbleibendem Steuerrecht die Steuereinnahmen überproportional zunehmen läßt. Daraus erklärt sich die Kassenfülle bei der öffentlichen Hand in den vergangenen Jahren weit besser, als etwa aus angeblich überhöhten Steuersätzen. Ich kann diese Überlegung hier nicht weiter vertiefen. Nur soviel noch: Hier scheinen uns Möglichkeiten für die Finanzpolitik zu liegen, die freilich in eine andere Richtung weisen als 'diejenige, die unsere Steuergesetzgebung in den letzten Jahren unter dem Druck lautstarker Interessentengruppen und vor allem in den Wahlzeiten eingeschlagen hat.
Was ist nun geschehen, so frage ich noch einmal, was die Lage des Bundeshaushalts so verändert hat, daß mit einer beträchtlichen Diskrepanz zwischen Einnahmen und Ausgaben gerechnet werden muß und daß der Ausgleich des Haushalts des Bundes mit den bisher üblichen Mitteln offenbar Schwierigkeiten bereitet? Die Antwort ist einfach. Die Aufgaben und damit die Ausgaben beim Bund haben sich im Verhältnis zu den zwar immer noch wachsenden Einnahmen so gesteigert, daß die Schere



Schoettle
zwischen Einnahmen und Ausgaben sich beträchtlich öffnen mußte, zumal das Steueraufkommen sich ebenfalls zu ungunsten des Bundes anders verteilte als früher, wie ein Blick auf die Zahlen des Finanzministeriums dartut. Aber dieses Beweises hätten wir gar nicht bedurft; denn die Tatsachen sind ja seit längerem bekannt.
Der Anteil des Bundes am Steueraufkommen geht, verglichen mit 1953, wo er 56 % betrug, im Steuerjahr 1962 auf 52,5 % zurück, während der Anteil der Länder von 25,4 % im Jahre 1953 auf 32,2 % ansteigt. Da gleichzeitig die Aufgaben des Bundes beträchtlich gewachsen sind, ergibt sich in der Tat die neue haushaltspolitische Lage, die den Herrn Bundesfinanzminister sicher vor eine schwierige Aufgabe stellt. Wenn es richtig ist, daß die Anforderungen der einzelnen Bundesministerien um das Doppelte höher lagen als das, was schließlich nach schwerem Ringen in den Regierungsentwurf einging, dann muß man dem Herrn Bundesfinanzminister eigentlich Kredit dafür einräumen, daß er eine noch stärkere Steigerung abgewehrt hat. Ich bitte das aber nicht in Anführungszeichen zu verstehen.
Was wir jetzt vor uns haben, ist immer noch ein starkes Stück: eine Steigerung des Haushaltsvolumens um 6,9 Milliarden DM, das sind 14,8 % gegenüber dem Vorjahr.
Sicher gibt es viele — auch anerkennenswerte — Gründe für diese Steigerung. Es läßt sich nicht leugnen, daß die internationale Lage, wie sie sich nach dem 13. August des vorigen Jahres gestaltet hat, erhöhte Anstrengungen im militärischen Bereich und auf manchen anderen Gebieten notwendig gemacht hat. Die Anstrengungen der Bundesrepublik für die Entwicklungshilfe sind ebenfalls gewachsen, und dafür gibt es gute Gründe. Auch die Hilfe für Berlin müßte gesteigert werden, und wir Sozialdemokraten sind sicher die letzten, die dagegen Einwendungen erheben werden; im Gegenteil, wir wünschten, und wir möchten das mit allem Nachdruck hier zum Ausdruck bringen, daß gerade in diesem Punkt sich nicht eine Denkrichtung durchsetzen kann — die es gibt —, die etwa mit dem Gedanken spielt, daß man erst die Entscheidung über das Schicksal dieser bedrohten Stadt abwarten wolle, ehe man wirksame Maßnahmen zur Sicherung der Lebensfähigkeit dieses vorgeschobenen Postens demokratischer und freiheitlicher Lebensweise trifft.

(Sehr richtig! bei der SPD.)

Es ist auch richtig, daß der Übergang in die zweite Phase des gemeinsamen europäischen Marktes, der durch die schwierigen Verhandlungen in Brüssel um die Jahreswende eingeleitet worden ist, Maßnahmen für unsere einheimische Landwirtschaft notwendig macht, die ihr den Übergang erleichtern, aber auch materielle Anstrengungen des Bundes verursachen.
Wenn man alle diese Faktoren akzeptiert, dann bleibt der Sprung nach oben doch außerordentlich; und dabei sind — auch das muß hier angemerkt werden — noch einige Belastungen nicht berücksichtigt, die zweifellos auf den Bundeshaushalt zukommen. Ich denke dabei nur an die Reform der Beamtenbesoldung, die anläßlich der Debatte um das Weihnachtsgeld für die Angehörigen des öffentlichen Dienstes in Gestalt einer Novelle zur Besoldungsordnung in Aussicht gestellt worden ist, und daran, daß auch im Bereich der Kriegsopferversorgung einiges wird getan werden müssen, — um nur zwei ,der gravierenden Punkte zu nennen, für die der Entwurf des Haushalts nichts vorsieht. Es wird diesem Hause nicht erspart bleiben, in absehbarer Zeit zu diesen Fragen Stellung zu nehmen und Farbe zu bekennen.
Aber selbst wenn man davon absieht, so steht schon jetzt die Tatsache fest, daß der Haushalt des Jahres 1962 nicht ausgeglichen werden kann — wie es das Grundgesetz befiehlt—, wenn man nicht zu außerordentlichen Mitteln greift. Der Herr Bundesfinanzminister hat solche außerordentlichen Mittel selbst ins Auge gefaßt. Es ist zu fragen, ob es die richtigen Mittel sind.
Wir Sozialdemokraten sind bereit, diese Frage sehr ernst und gewissenhaft zu prüfen. Denn obwohl wir auch in der 4. Legislaturperiode des Bundestages in der Opposition stehen — nach Herrn Mende war es ja geradezu das wichtigste Anliegen seiner Partei oder vieleicht ihrer Hintermänner, die Sozialdemokratie von der Regierung fernzuhalten—, fühlen wir keine geringere Verantwortung für eine gesunde Finanzwirtschaft des Bundes als die Träger der Regierungsverantwortung.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der CDU/CSU.)

Unsere Ansichten über die Rangordnung der öffentlichen Aufgaben werden zwar in manchen Punkten von denen abweichen, 'die die Regierung vertritt und die sie in ihrem Haushaltsgesetzentwurf niedergelegt hat. Aber im Bemühen, mit dem Blick auf 'das Ganze und das allgemeine Interesse die Schwierigkeiten der finanzpolitischen Situation zu meistern, werden wir sicher nicht die Letzten sein.
Übrigens hat auch der gegenwärtige Herr Bundesfinanzminister selbst gelegentlich durchblicken lassen, daß dieser Haushalt in manchen Punkten nicht seinen Auffassungen entspreche; und das war nicht etwa zu der Zeit, als er mit seiner Partei noch in der Opposition stand, sondern schon während seiner Ministertätigkeit; aber vielleicht waren das Anfangsschwierigkeiten.
Sicher ist 'die Aufgabe für ihn nicht leicht. Er muß sowieso oft in seiner jetzigen Rolle Dingen abschwören, die er in den glücklichen Tagen vor seinem Eintritt in die Regierung entschieden vertreten hat; ich denke dabei nur an die Kaffee- und Teesteuer.

(Beifall bei der SPD. — Abg. Niederalt: Die Opposition hat es leichter!)

— Vielleicht läßt sich das hier feststellen, Herr Kollege Niederalt.
Herr Dr. Starke hat vor allem die letzten Passagen seiner gestrigen Rede sehr auf Moll gestimmt, und manches von dem, was er an Warnungen aussprach, könnte man durchaus akzeptieren, wenn man nicht unterstellen müßte, daß



Schoettle
manche dieser Warnungen nicht im rechten Gleichgewicht zu den Aufgaben stehen, die der öffentliche Haushalt und vor allem der Haushalt des Bundes auch in den nächsten Jahren zu bewältigen haben wird. Die „ungedultige Häufung der Ausgaben", von der der Herr Bundesminister gestern sprach, war schließlich nicht nur Willkür oder Verschwendungssucht des Parlaments, sondern in vielen, vielen Fällen Ergebnis bitterer Notwendigkeiten, während — das muß man hinzufügen — auf der anderen Seite die Träger der Regierungsverantwortung und die Mehrheit dieses Hauses in den Jahren der Hochkonjunktur und vor allem in Zeiten der herannahenden Wahlen entgegen den Warnungen der Opposition steuerpolitische Maßnahmen beschlossen haben, die zwar den Beschenkten Freude bereitet halben, aber den Bundesfinanzen im Hinblick auf die zu lösenden Aufgaben schädlich waren. Mancher dieser unzeitigen Beschlüsse wirkt auch heute noch nach.

(Sehr richtig! bei der SPD.)

Werfen wir nun einen Blick auf die Verteilung der Gewichte in diesem Haushalt, wobei es sich natürlich nur um eine Betrachtung der Größenverhältnisse im großen und ganzen handeln kann. Da fällt uns auf, daß die entscheidende Steigerung beim Verteidigungshaushalt eingetreten ist. Rund 16,5 Milliarden DM entfallen auf die Verteidigungsausgaben und davon 15 Milliarden allein auf die Bundeswehr. Neben diesen 15 Milliarden nimmt sich der Betrag von 800 Millionen für die zivile Verteidigung recht bescheiden aus. Gerade dieses Gebiet ist von der Bundesregierung jahrelang vernachlässigt worden, und auch jetzt will uns scheinen, daß der zivile Bevölkerungsschutz, sowohl was die Planung angeht wie in seiner finanziellen Ausstattung, noch immer in unzulässiger Weise im Schatten steht.

(Sehr wahr! bei der SPD. — Abg. Dr. Conring: Was sagt denn Herr Hoegner dazu?)

Der Verteidigungshaushalt selbst mit seiner außerordentlichen Steigerung von rund 4 Milliarden zeigt zweierlei. Er zeigt erstens, wie sehr wir Sozialdemokraten in früheren Jahren recht hatten mit unseren Voraussagen hinsichtlich der Tendenz der militärischen Lasten, sprunghaft anzuwachsen.

(Sehr richtig! bei der SPD.)

Man hat uns damals gelegentlich etwas höhnisch als schlechte Propheten bezeichnet, aber ich glaube, die Tatsachen geben uns doch recht, und wenn nicht alle Anzeichen trügen, wird auch der Haushalt des nächsten Jahres diese Tendenz bestätigen. Man hört auch jetzt schon Summen nennen, die in diese Richtung deuten.

(Sehr richtig! bei der SPD.)

Zweitens zeigt uns die Höhe des Verteidigungsaufwandes auch, wie wichtig Fortschritte zu einer vereinbarten und kontrollierten, gleichwertigen Abrüstung wären. Wir wissen natürlich auch um die Schwierigkeiten, die auf dem Wege zu einer solchen, der menschlichen Vernunft und den tatsächlichen Interessen aller Völker entsprechenden Lösung zu überwinden sind. Wir meinen aber, daß die deutsche Politik nicht nur einen fairen Anteil an den Verteidigungslasten der westlichen Allianz übernehmen muß, sondern daß sie auch ihren geistigen Beitrag zur Abrüstungsstrategie des Bündnisses zu leisten hätte.

(Beifall bei der SPD.)

Dieser Beitrag, meine Damen und Herren, sollte nicht nur in Bedenken gegen Gedanken anderer bestehen; er sollte auch zu positiven deutschen Vorstellungen auf diesem Gebiet führen.

(Erneuter Beifall bei der SPD.)

Schließlich möchte ich zu diesem Thema „Verteidigungshaushalt" noch anmerken, daß er angesichts der Gesamtfinanzlage des Bundes nicht wie in den vergangenen Jahren ein Blümchen Rührmichnichtan sein darf. Wir sind der Auffassung, daß der Verteidigungshaushalt genauso sorgfältig wie andere Einzelpläne daraufhin geprüft werden muß, ob nicht auch in ihm Möglichkeiten für Einsparungen und Kürzungen liegen, die einen Beitrag zur Entspannung der Haushaltslage liefern,

(Beifall bei der SPD)

ohne die Wirksamkeit unserer Verteidigungsbemühungen zu schmälern.
Der Bundesfinanzminister hat in seiner Rede, wie das nur natürlich und seit Jahren Übung ist, den Sozialhaushalt des Bundes in eine Parallele zu den Verteidigungslasten gestellt. Man könnte ihm nicht gut darin widersprechen, daß die für soziale Zwecke, wie er sagte, aufgewendeten Leistungen des Bundes in den letzten Jahren erheblich zugenommen haben, sofern man alles das als Sozialleistungen akzeptiert, was die offizielle Terminologie unter diesem Begriff verstanden haben will. Gerade in diesem Punkt, meine Damen und Herren, müssen wir ganz entschieden widersprechen; denn nicht der Sozialhaushalt der Bundesrepublik ist der höchste in der westlichen Welt, wie immer wieder behauptet wird, sondern der Kriegsfolgenhaushalt.

(Sehr richtig! bei der SPD.)

Die angeblichen Soziallasten sind zu einem großen Teil nichts anderes als die Folge zweier Weltkriege, insbesondere des letzten, der für unser Volk neben den unerhörten politischen Belastungen für die Nachkriegszeit auch unerhörte Lasten an Gut und Blut gebracht hat. Wir verstehen eigentlich nicht, warum die Bundesregierung diesen Tatbestand immer wieder dadurch vernebelt, daß sie all das, was an Kriegsfolgelasten in unserem Haushalt seinen Niederschlag findet, in die unzutreffende und irreführende Verpackung „Sozialhaushalt" steckt.

(Beifall bei der SPD.)

Auch wenn man der offiziellen Terminologie folgen wollte, ist nur richtig, daß die Leistungen der absoluten Höhe nach angestiegen sind. Ihr verhältnismäßiger Anteil an den gesamten Bundesausgaben ist aber ständig zurückgegangen. Auch das kann man nachlesen, wenn man die Statistiken ins Auge faßt. Er betrug im Jahre 1950 37 %, im Jahre 1957 30,4 %, und in diesem Haushalt 1962 ist er auf rund



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25 % abgesunken. Das ist erklärlich angesichts des Steigens des Verteidigungshaushalts.
Da sich die Relationen einfach von Grund auf verändert haben, ergibt sich, auch wenn man die sogenannten Soziallasten auf das Sozialprodukt bezieht, eine fallende Tendenz. Ihr Anteil am Sozialprodukt, und zwar Bund, Länder, Gemeinden und Sozialversicherung zusammengenommen, erreichte im Jahre 1958 mit 14,1 % seinen Höhepunkt. Nach den Mitteilungen des Herrn Bundesfinanzministers in seiner gestrigen Rede beträgt der Anteil jetzt 12,7 %.
Die gleiche Tendenz zeigen auch die Sozialleistungen des Bundes. Sie haben den Höhepunkt mit 4,9 % des Sozialprodukts im Jahre 1953 erreicht und sind jetzt auf 3,6 % gesunken.
Demgegenüber — das muß man auch feststellen — sind die Sozialleistungen aus Beiträgen gestiegen, und zwar von 5,7 % des Sozialprodukts im Jahre 1953 auf 8,2 % in diesem Jahr. Es hat also eine Verlagerung der Sozialausgaben stattgefunden von den Leistungen des Bundes zu Lasten der Beitragszahlung.

(Sehr gut! bei der CDU/CSU.)

Das wirkt sich negativ nicht nur für die beschäftigten Arbeiter und Angestellten aus, sondern auch für die lohnintensiven Betriebe, die ja in einem höheren Umfang zu den Soziallasten herangezogen werden als andere.
Zu dem größeren Brocken im neuen Bundeshaushalt gehört auch die Entwicklungshilfe in ihren verschiedenen Formen und Spielarten. Wenn man alles zusammennimmt, stehen da runde 5 Milliarden, d. h. nahezu 10 % des Haushaltsvolumens, zu Buche, und dazu eine neues Ministerium, das man angesichts des großen Umfangs und der Kompliziertheit der Aufgabe eigentlich begrüßen muß, was wir keineswegs für alle Neuschöpfungen dieser vierten Regierung Adenauer sagen wollen. Das Ministerium ist neu und seine Aufgabe im großen und ganzen auch. Es sind viele Erfahrungen zu sammeln, und es ist vielleicht auch manches Lehrgeld zu zahlen. Wir Sozialdemokraten wünschen, daß dieses Ministerium voll arbeitsfähig wird. Daß es dazu die nötigen Arbeitskräfte in ausreichendem Umfang braucht, bejahen wir. Aber die personelle Ausstattung dieses neuen Ministeriums ist nur die eine Seite des Problems.
Die andere ist, wie uns scheint, eine klare Ordnung der Zuständigkeiten, die Reibungen und Überschneidungen nach Möglichkeit verhindert. Aufgaben, die bisher mindestens bei sieben Ressorts verteilt waren, müssen auf das Entwicklungsministerium übergehen. Auswärtiges Amt und Wirtschaftsministerium werden entsprechende Abteilungen und Referate an das neue Ministerium abzugeben haben, so daß im ganzen nicht eine weitere Aufblähung des Apparats zustande kommt, sondern eine wirklich konzentrierte und koordinierte Arbeit. Wenn das nicht geschähe, würde das bisherige Nebeneinander bestehen bleiben und die dringend notwendige Konzentration und Koordinierung unserer Entwicklungspolitik nicht erreicht werden.
Wir verkennen nicht, daß auch bei einer Zusammenfassung der Arbeiten und der Verantwortlichkeiten in dem neuen Ministerium eine Koordinierung mit anderen Ministerien notwendig ist. Das Auswärtige Amt wird auch weiterhin die außenpolitischen Aspekte der Entwicklungshilfe bearbeiten, und das Bundeswirtschaftsministerium wird auch künftig prüfen müssen, ob die Entwicklungspolitik mit den wirtschaftlichen und finanziellen Möglichkeiten der deutschen Wirtschaft übereinstimmt. Dafür aber stehen diesen beiden Ressorts auch nach Abgabe ihrer Referate oder Abteilungen für die Entwicklungspolitik ausreichende Kräfte zur Verfügung.
Noch eine Anmerkung zu diesem Thema. Wir Sozialdemokraten glauben, daß die Verwendung aller Etatpositionen, die die Entwicklungshilfe betreffen, vom Bundestag sehr genau nachgeprüft werden muß.

(Beifall bei der SPD.)

Noch am Anfang des Monats Februar war die Bundesregierung nicht imstande, die einzelnen Positionen des Etats auf diesem Gebiete klar darzustellen und zu erläutern. 'Mit Recht sind deshalb im Parlament und in der Öffentlichkeit Befürchtungen aufgetaucht, daß die Finanzierung der Entwicklungshilfe bis jetzt nicht ausreichend auf ihre Zweckmäßigkeit und Notwendigkeit hin geprüft worden sei. Wir schlagen deshalb vor, daß alle diese Etatstitel mit einem qualifizierten Sperrvermerk versehen werden, dessen Aufhebung nur im Einverständnis mit dem Haushaltsausschuß und dem Ausschuß far Entwicklungshilfe erfolgen dürfte.
Es geht uns dabei keineswegs um die Verzögerung von Planungen und Leistungen, sondern ausschließlich um die zweckmäßige und wirksame Verwendung von Steuermitteln. Die Entwicklungshilfe der Bundesrepublik ist in der deutschen Öffentlichkeit und im Bewußtsein der Menschen in der Bundesrepublik nicht unumstritten, wie wir alle wissen. Vorhandenes oder entstehendes Mißtrauen kann aber abgewehrt und bekämpft werden, wenn Regierung und Parlament die Vergabe der großen Summen, um die es sich hier handelt, so öffentlich vornehmen, daß der Staatsbürger weiß, was mit seinem Gelde geschieht.
Da wir gerade bei neuen Ministerien sind, die sich aus den langandauernden Verhandlungen um die Neubildung der Bundesregierung ergeben haben, noch eine andere Bemerkung! Die Ausgestaltung des neugeschaffenen Bundesministeriums für Gesundheitswesen erweckt den Eindruck, daß es sich hier wirklich nur um ein Ministerium handelt, mit dem man den Wünschen der Damen in der CDU nach einer Frau im Kabinett entgegenkommen wollte.

(Sehr wahr! bei der SPD.)

Nichts spricht dafür, meine Damen und Herren, daß man wirklich die Notwendigkeit erkannt hätte, den Fragen der Gesundheitspolitik auch vom Bund aus mehr Beachtung und Nachdruck zu verleihen als bisher.

(Abg. Dr. Conring: Woher wissen Sie das?)




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Damit, daß aus anderen Bundesministerien einige Gruppen herausgenommen und mit der bisherigen Gesundheitsabteilung des Innenministeriums vereinigt worden sind, ist noch keine tragfähige Grundlage für ein Gesundheitsministerium geschaffen. Wenn die so überaus wichtigen Aufgaben der Reinhaltung des Wassers und der Luft sowie der Lärmbekämpfung wirklich in der erforderlichen Weise durchgeführt werden sollen und wenn der Erlaß der Rechtsverordnungen, die durch Lebensmittelgesetz und Arzneimittelgesetz notwendig geworden sind, sich nicht noch weiter unerträglich verzögern soll, dann wird der Bundestag dafür Sorge tragen müssen, daß dieses Ministerium wirklich arbeitsfähig gemacht wird.

(Beifall bei der SPD.)

Meine Damen und Herren, auch der Haushalt des Ernährungsministeriums hat durch die Aufstockung des Grünen Plans eine beträchtliche Erhöhung erfahren. Wir wollen dagegen nicht argumentieren, obwohl die Zweckbestimmungen des Grünen Plans nicht in allen Punkten unserer Auffassung entsprechen. Es wäre aber nach unserer Meinung zweckmäßig und dringend erwünscht, den Grünen Plan mit dem Haushalt besser zu koordinieren. In diesem Jahr ist es lediglich dem Umstand, daß der Bundeshaushalt so spät im Parlament vorgelegt wird, zu verdanken, daß der Grüne Plan noch reibungslos eingeordnet werden konnte. Es sollte aber überlegt werden, ob für den normalen Ablauf der Haushaltsgesetzgebung — den wir hoffentlich doch noch einmal erreichen werden — der Termin für die Vorlage des Grünen Berichts an den Bundestag nicht vorverlegt werden könnte.
Die Alternative dazu wäre ein wirklicher Nachtragshaushalt. Das wäre übrigens eine Methode, die sich auch sonst empfehlen würde. Aber wir kennen die Abneigung der Bundesregierung gegen Nachtragshaushalte, eine Abneigung, die wahrscheinlich ihre entscheidende Ursache in dem schwerfälligen Gang unserer Gesetzgebung hat, von dem auch die Haushaltsgesetzgebung betroffen ist. Auf jeden Fall: Koordinierung mit dem Haushalt wäre hier am Platze, und sie scheint uns auch möglich, wenn man sich anstrengt.
Vielleicht darf ich hier eine Bemerkung machen, die etwas gewagt ist: überhaupt würde sich eine Abstimmung mancher Teile unserer Gesetzgebung mit dem Haushaltsgesetz und seiner Verabschiedung durchaus empfehlen! Ich sage das, obwohl mir bewußt ist, daß ich damit ein heißes Eisen berühre. Ich spreche hier zunächst einmal nur für mich selber. Ich spreche es offen aus, daß die bisherige Praxis der Verabschiedung von Haushaltsgesetzen und — völlig ohne Zusammenhang damit — finanziell wirksamen Gesetzen von häufig nicht geringem Gewicht eine wirklich konsequente und geplante Finanzpolitik außerordentlich erschwert hat.

(Beifall auf allen Seiten.)

Gerade angesichts der angespannten Finanzlage wird es immer schwieriger werden, die materiellen Ergebnisse solcher Gesetze dem laufenden Haushalt zu unterschieben. Hier wird ein scharfes Nachdenken und auch eine gewisse Eigendisziplin des Parlaments nötig sein.

(Sehr richtig! in der Mitte.)

Ich weiß nicht, in welchem Tempo wir dieses von
mir für notwendig erachtete Ziel erreichen werden.
In diesem Zusammenhang noch eine Frage, die zu stellen ich mir eigentlich abgeschworen hatte: Wie steht es mit der Reform unseres Haushaltsrechts?

(Abg. Niederalt: Ausgezeichnet!)

Wir haben so oft gehört, daß daran gearbeitet wird; aber das ist auch alles, was wir gehört haben. Im Finanzbericht des Jahres 1962, der uns in den letzten Tagen in die Fächer gelegt worden ist, finden wir nicht mehr als drei Seiten über ausländische Reformversuche. Ich meine, Wohltätigkeit beginnt auch hier zu Hause, und wir sollten endlich einmal damit anfangen, uns selber wohlzutun, indem wir wirklich in allem Ernst an die Reform unseres Haushaltsrechts gehen; diese Angelegenheit muß etwas ernsthafter betrieben werden als bisher. Unsere alte gute Reichshaushaltsordnung hat es wirklich nötig, einmal auf etwas jüngere Beine gestellt zu werden.

(Beifall bei der SPD.)

Ehe ich mich den Problemen des Haushaltsausgleichs zuwende, zu denen vieles zu sagen ist, möchte ich noch einige Anmerkungen zu Einzelheiten machen, die ihrer zahlenmäßigen Größe nach nicht allzu gewichtig sind, die aber von einer gewissen politischen Bedeutung sind.
Da ist einmal die Art, wie die Bundesregierung in diesem Haushalt mit ihrem Versprechen umgeht, die Erfordernisse des sogenannten Goldenen Plans der Deutschen Olympischen Gesellschaft in die Tat umzusetzen. Gewiß, der Bundesfinanzminister hat gestern gesagt, daß man das eine lassen müsse, um das Wichtigere tun zu können. Das ist eine schöne Maxime. Ich möchte aber sagen, es gibt doch wohl neben den Sicherheitsanstrengungen, die auch unzulänglich wären, wenn sie sich nur auf das Militärische beschränkten, nichts Wichtigeres als die Gesundheit unseres Volkes.

(Beifall bei der SPD.)

Im Bereich des Sports und der Körperpflege heißt das für den Bundeshaushalt nicht viel mehr, als daß seine Leistungen in diesem Jahr nicht auf 30 Millionen DM zurückgesetzt werden sollten; sie müßten eigentlich auf die ursprünglich vorgesehenen 40 Millionen DM erhöht werden. Der Bund bliebe auch dann noch hinter den mehrfach gegebenen Zusagen zurück. Er bliebe auch hinter dem zurück, was die Länder tun, die im Schnitt bereits 80 % ihrer Zusagen erreicht haben, ganz zu schweigen von den Gemeinden, die zum Teil noch über dem Länderdurchschnitt liegen.
Eine andere Kleinigkeit — wie man vielleicht sagen wird; ich betrachte sie als eine nicht unbedeutende Sache — möchte ich hier ebenfalls zur Sprache bringen. Sie gehört sicher in den Bereich der Organisationsgewalt der Bundesregierung, auf die man sich bei solchen Gelegenheiten zurückzieht. Aber die Wirkungen des Vorgangs, von dem ich sprechen will, gehen weit darüber hinaus und be-



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rühren ernste volkswirtschaftliche Probleme. Die Bundesregierung hat es für richtig gehalten, die Pause zwischen dem Auseinandergehen des 3. Bundestages und dem Zusammentritt des 4. Bundestages dazu zu benutzen, die Bauabteilung für Militärbauten vom Schatzministerium weg ins Verteidigungsministerium zu verlegen.

(Hört! Hört! bei der SPD.)

Aus diesem Hause sind gegen eine solche Entwicklung immer wieder Bedenken erhoben worden, die sich auf betrübliche Erfahrungen mit militärischen Bauabteilungen stützen konnten, bei denen die Verwirklichung der Bauabsichten um jeden Preis alle anderen Gesichtspunkte in den Hintergrund drängte. Genau das erleben wir jetzt mit der Bauabteilung beim Bundesverteidigungsministerium. Die Wirkung auf Bodenpreise und Baukosten in den betroffenen Gebieten ist bereits in verheerender Weise eingetreten.

(Sehr wahr! bei der SPD.)

Wir möchten in aller Form unseren Widerspruch gegen diese Maßnahme hier zum Ausdruck bringen. Die Bundesregierung wird sich nicht daran kehren; die Folgen wird sie allerdings zu verantworten haben.
Nachdem ich einige kleine Dinge behandelt habe, möchte ich zu dem zentralen Problem des Haushaltsausgleichs kommen. Um die Frage, wie dieser Haushalt ausgeglichen werden soll, hat sich eine lebhafte Debatte entwickelt, an der auch die Öffentlichkeit mit Recht großen Anteil genommen hat. Dabei sind nicht nur finanzwirtschaftliche, sondern auch staats- und verfassungsrechtliche Fragen aufgetaucht, die keineswegs am Rande der Betrachtung liegen bleiben dürfen.
Gehen wir zunächst einmal von den nüchternen Zahlen aus; der Herr 'Bundesfinanzminister hat gestern eine Reihe davon genannt. Ich kann mich darauf beschränken, von den Zahlen, die der Bundesfinanzminister seinem Ausgleichsvorschlag zugrunde legte, noch einmal die wichtigsten zu nennen. Sie sind in der bisherigen Diskussion nicht wesentlich verändert worden, können also auch hier als Grundlage akzeptiert wenden.
Bei einem Ausgabevolumen von 54,7 Milliarden DM, über dessen Verteilung auf den ordentlichen und den außerordentlichen Haushalt noch ein Wort zu sagen sein wird, ist eine Deckungslücke — auf „deutsch" : ein Defizit — von rund 2,9 Milliarden DM festgestellt worden. Für die Bewältigung dieses Ausgabenüberschusses hat der Bundesfinanzminister einige Maßnahmen vorgeschlagen, die noch Gegenstand der Diskussion sind.
Als erste nenne ich die Einstellung einer Minderausgabe von 560 Millionen DM. Wir finden sie in Ordnung. Denn die Summe ist bereits im Rechnungsjahr 1961 zu Lasten Ides Haushaltsjahres 1962 gezahlt worden, kann also aus allen Überlegungen ausscheiden.
Die zweite Maßnahme, die der Herr Bundesfinanzminister vorgeschlagen hat, war 'die zwölfprozentige Kürzung aller nicht 'auf Rechtsverpflichtungen beruhenden Ausgaben der zivilen Ressorts — so heißt es in den Erklärungen dazu — mit 260 Millionen DM. Dazu ist zu sagen: eine solche brutale Maßnahme ist in jeder Hinsicht bedenklich. Würde sie wirklich angewandt, wäre das Budgetrecht des Parlaments in unerträglicher Weise ausgehöhlt. Denn jeder einzelne Ressortminister und seine Bürokraten hätten es dann in der Hand, Haushaltsansätze, die das Parlament beschlossen hat, so zu manipulieren, daß der Wille des Parlaments schließlich auf den Nullpunkt reduziert werden könnte. Deshalb hat dieser Vorschlag des Bundesfinanzministers mit Recht Widerspruch gefunden
Der Haushaltsausschuß dieses Hohen Hauses selber, der sich mit Rücksicht auf die Zeitbedrängnis schon vor der offiziellen Überweisung des Etatentwurfs an die Arbeit gemacht hat, hat den bis jetzt, soweit ich sehe, erfolgreichen Versuch gemacht, jene Stellen ausfindig zu machen, an denen aus dem einen oder anderen guten Grund so gekürzt werden kann, daß der Betrag, den der Bundesfinanzminister durch das Fallbeil der 12 % herausholen wollte, zumindest erreicht werden kann. Ich sage: zumindest erreicht werden kann. Ich kann die Frage nicht ganz unterdrücken, meine Damen und Herren, ob dieser Effekt nicht schon in den Beratungen des Entwurfs auf der interministeriellen Ebene hätte erreicht werden können.
Sehr richtig! bei der SPD.)
Der groß aufgemachten Sparkommission der Koalition bedurfte es dazu bestimmt nicht. Man muß leider vermuten, daß sich die Tätigkeit dieser Kommission — das ist allerdings nur ein kleiner Seitenhieb — auf andere Gebiete konzentrieren wird, die sozialpolitisch bedenklich sein dürften.
Notabene: die Beschränkung der geplanten zwölfprozentigen Kürzung auf die zivilen Ressorts wäre etwas, was wir auf keinen Fall hätten hinnehmen können. In dieser Hinsicht könnte auch der Verteidigungshaushalt nicht als tabu betrachtet werden. Es scheint, daß diese von mir vertretene Auffassung auch in den Kreisen der Koalition Boden gewonnen hat. Ich hoffe, daß sich in der Haushaltsberatung dieser Standpunkt durchsetzt.

(Abg. Dr. Conring: Das werden Sie sehen!)

— Ich hoffe sehr, Herr Kollege Conring, daß ich das erlebe; das wäre eine durchaus erwünschte Bereicherung meiner parlamentarischen Erfahrung.

(Beifall bei der SPD.)

Bleibt der dritte entscheidende Punkt, der Länderbeitrag zum Bundeshaushalt, den der Herr Bundesfinanzminister auf 1,74 Milliarden DM errechnet hat. Der Betrag ist identisch mit der Summe, die sich ergibt, wenn alle anderen vom Finanzminister vorgesehenen Ausgleichsmaßnahmen eingestellt sind, aber nicht dazu ausreichen die Lücke zu schließen. Arithmetisch sieht sich das Ganze tadellos an. Nur hat der Herr Bundesfinanzminister — das ist unsere Meinung —, ehe er diesen Betrag in seine Rechnung einstellte, nicht wirklich mit den Ländern verhandelt. Er hat seinen Entwurf einfach dem Bundesrat im regulären Gesetzgebungsgang zugeleitet. Erst dann kam die Diskussion in der Sache in Gang. Das



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hat der Sache sicher nicht genützt. Wir halten dieses Verfahren nicht für gerade zweckmäßig im Hinblick auf den gewünschten Erfolg.
Bei den Auseinandersetzungen im Bundesrat, die in Wirklichkeit eine Auseinandersetzung mit den Länderfinanzministern waren, hat sich gezeigt, welche Problematik in dem Ausgleichsvorschlag des Herr Bundesfinanzministers tatsächlich steckte. Die Länderfinanzminister machten ihrerseits über den Bundesrat eigene Deckungsvorschläge, deren Einzelheiten — bis auf zwei — hier nicht weiter interessieren, weil sie ziemlich aus der Diskussion verschwunden sind.
Ein Vorschlag des Bundesrates, der die Einnahmeseite betrifft, könnte nach unserer, der Sozialdemokraten Meinung akzeptiert werden. Es handelt sich um die Steuerschätzungen. Der Bundesrat vertrat die Ansicht, daß der Bundeshaushalt bei der Steuererwartung von den gleichen Annahmen ausgehen sollte, wie sie die Länder ihren Haushalten für 1962 zugrunde gelegt haben — das ist vielleicht nicht ganz ungerechtfertigt —, wenn der Bund von den Ländern einen Beitrag zum Ausgleich seines eigenen Haushalts verlangt.

(Sehr richtig! bei der SPD.)

Da auch für den Bundeshaushalt in den Veranlagungen für 1960 und 1961 noch gewisse Reserven stecken, sollte man diesen Vorschlag des Bundesrates akzeptieren. Das würde eine Höherschätzung der Steuereinnahmen um zirka 290 Millionen DM bedeuten und die Deckungslücke um diesen Betrag verkürzen.
Der weitaus bedenklichste Teil des bundesrätlichen Ausgleichsvorschlags war das Angebot, die beiden wichtigen Kulturtitel des Bundeshaushalts, die Wissenschaftsförderung — Wissenschaftsrat — und die Studentenförderung — Honnefer Modell — im Gesamtbetrag von 458 Millionen DM zu übernehmen. Zuerst sollten sowohl die Titel wie die Summen aus dem Haushalt des Bundes herausgenommen werden, also Aufgaben und Ausgaben von den Ländern übernommen werden. Zu einem späteren Zeitpunkt des Gesprächs ging man dann auf die bloße Übernahme der Kosten zurück, — zunächst, möchte ich hinzufügen, denn ich glaube die Hintergedanken einigermaßen zu kennen.
In diesem Vorschlag steckt ein ernstes staats-
und verfassungsrechtliches Problem. Einmal: über die Wissenschaftsförderung haben Bund und Länder in klarer Erkenntnis, daß es sich hier um eine gesamtstaatliche Aufgabe handelt, bindende Abkommen getroffen. Ähnliches gilt für die Studentenförderung nach dem Honnefer Modell. Wäre man den Vorschlägen des Bundesrats — sprich der Länder — gefolgt, wäre man ein gutes Stück hinter den bereits erreichten und bewährten Zustand zurückgefallen. Das darf unter keinen Umständen sein.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der FDP.)

Hinter diesem Vorschlag des Bundesrates tauchte aber etwas anderes auf, nämlich die bei verschiedenen Länderchefs klar erkennbare Neigung, unter
Berufung auf das Karlsruher Urteil im Fernsehprozeß die Kulturhoheit der Länder so extensiv zu interpretieren, daß der Bund aus jedem kulturpolitischen Engagement verdrängt wird. Die Flurbereinigung auf diesem Gebiet ist gewiß notwendig, und sie wäre vielleicht schon weiter gediehen, wenn die Bundesregierung ihrerseits bereits den angekündigten Katalog zur Abgrenzung der Aufgaben vorgelegt hätte.
Unabhängig davon zeigt die Diskussion, die sich an diesem Punkt entwickelt hat, Tendenzen, die bis zur Schaffung neuer Institutionen für die Bewältigung überregionaler, ja gesamtstaatlicher Aufgaben durch Staatsverträge der Länder geht. Wir möchten vor solcher Entwicklung rechtzeitig und nachdrücklich gewarnt haben.

(Abg. Niederalt: Das habe ich aus Anlaß des Karlsruher Urteils schon vor einem Jahr gemacht!)

— Dann befinde ich mich ja in guter Gesellschaft, Herr Niederalt.
Ich sage noch einmal, wir möchten vor dieser Entwicklung rechtzeitig und nachdrücklich warnen. Ihre Advokaten berufen sich — zu Unrecht, wie wir glauben — auf die föderalistische Grundstruktur unserer Bundesrepublik. Was sie erreichen würden — heute auf dem Gebiet der Kulturpolitik, morgen in anderen Bereichen —, wäre eine entscheidende Veränderung der Verfassungswirklichkeit, sehr zum Schaden des Gesamtstaates und seiner Bevölkerung.

(Abg. Etzel: Sehr richtig!)

Nun aber zurück zum Problem des Ausgleichs! Wir Sozialdemokraten sind der Ansicht, daß infolge der Verschiebung der Aufgaben und der daraus sich ergebenden Ausgabenotwendigkeiten eine Lage entstanden ist, die man bei Art. 106 Abs. 4 des Grundgesetzes ins Auge gefaßt hat, als man die Revision der Anteile von Bund und Ländern an der Einkommen- und Körperschaftsteuer ermöglichen wollte. Der Bund kann nachweisen — dieser Überzeugung sind wir —, daß sich seine Lage entscheidend geändert hat. Will er jetzt, aus noch zu überlegenden Gründen, die Revisionsklausel nicht in Anspruch nehmen, dann sollte er wenigstens auf der Grundlage des Prozentschlüssels für die Steuerverteilung bei der Einkommen- und Körperschaftsteuer eine Leistung der Länder in etwa der Höhe von 2 bis 3 % des Aufkommens der Einkommen- und Körperschaftsteuer im Wege der Vereinbarung erstreben. Ob das staatsrechtlich möglich ist, muß untersucht werden. Aber ich glaube, eine Vereinbarung dieser Art ist jetzt eher möglich als die Schaffung eines Gesetzes, das notwendig ist, um die Bestimmung des Art. 106 Abs. 4 zu realisieren, und ließe sich wahrscheinlich mit einem geringeren Zeitaufwand ermöglichen. Offenkundig sind die Länder auch bereits so weit, daß sie mindestens mit einem Betrage in einer Höhe von 1 Milliarde DM einspringen würden. Man wird sich also in der Sache wahrscheinlich gar nicht sehr zusammenzuraufen brauchen. Man würde dabei aber einen Betrag erreichen, der den Deckungsbedarf des Bundeshaushaltes befriedigen würde, wobei hinzuzufügen ist — auch das will ich nicht unterlassen —,



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daß der tatsächliche Deckungsbedarf noch keineswegs feststeht. Er kann erst durch das Ergebnis der Beratungen im Ausschuß ermittelt werden.
Schließlich bleibt noch die Frage offen, ob der Bundeshaushalt in der vorliegenden Fassung wirklich alle Möglichkeiten z. B. auch der Kreditbeschaffung ausgeschöpft hat. Hier haben wir Sozialdemokraten ja die bescheidene Genugtuung, daß die Bundesrepublik endlich einen ernsten Anfang macht mit dem Bemühen, vermögenswirksame Investitionen durch die Inanspruchnahme des Kapitalmarktes zu finanzieren. Es war ein Kredo, das ich bei jeder Haushaltsberatung vorgebracht habe, daß der Bundesfinanzminister seine Ansprüche an den Kapitalmarkt zu Unrecht hinter andere Bedürfnisse zurückstellt. Wir sind nicht überzeugt, daß der ordentliche Haushalt nach dem Entwurf die Übertragung wichtiger Investitionsvorhaben in den außerordentlichen Haushalt mit voller Konsequenz durchgeführt hat. Nach unserer Auffassung ist es falsch, Aufgaben, die über viele Jahre hinaus wirksam werden und für eine ganze Generation Bedeutung haben, aus laufenden Einnahmen weniger Haushaltsjahre zu finanzieren. Die bisherige Scheu der Bundesregierung, für solche Ausgaben den Kapitalmarkt in Anspruch zu nehmen, war schon lange nicht mehr durch die Rücksichtnahme auf private Kreditwünsche gerechtfertigt. Sie ist es heute erst recht nicht, und wir sind keineswegs davon überzeugt, daß der Kapitalmarkt nicht für die Investitionsabsichten des Bundes ergiebiger ist, als das die Bundesregierung und der Präsident der Bundesbank wahrhaben wollen. Hier bietet sich nach unserer Auffassung noch ein zusätzliches Mittel zum Ausgleich des Bundeshaushalts an, wenn man den Mut hat, über den Schatten einer überholten Kreditpolitik des Bundes zu springen,

(Beifall bei der SPD)

zumal da der Bund im wesentlichen ohne Verschuldung ist, während die Länder und vor allem die Gemeinden in hohem Maße verschuldet sind.
In diesem Zusammenhang muß ich noch einmal auf den Länderbeitrag zurückkommen. Wir sind der Auffassung, daß die Inanspruchnahme der Länder für den Haushaltsausgleich unter keinen Umständen die ebenso notwendige Finanzreform stören oder gar unmöglich machen dürfte. Dazu und zu einigen anderen Fragen, die gewisse Aspekte des Bundeshaushalts betreffen, werden meine Freunde Dr. Möller und Dr. Deist im Laufe dieser ersten Beratung noch sprechen.
Ich möchte für meine politischen Freunde zum Schluß folgendes sagen: Wir werden mit allem Ernst an der Gestaltung des Bundeshaushalts 1962 mitarbeiten. Unsere sachlichen Entscheidungen werden bestimmt sein durch die Einsicht in die Notwendigkeiten. Unsere politische Entscheidung kann letzten Endes aber nur bestimmt werden durch unser Urteil über die Politik der Regierung und ihrer einzelnen Repräsentanten, denen Vertrauen zu schenken wir bis auf weiteres keinen Grund haben.

(Lebhafter Beifall bei der SPD.)


Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0401919300
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Vogel.

Dr. Rudolf Vogel (CDU):
Rede ID: ID0401919400
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich meinen Kommentar zu der Rede des Herrn Bundesfinanzministers mit einer erfreulichen Feststellung beginnen. Herr Kollege Schoettle, ich begrüße es sehr, daß Sie sich in Ihrer Rede zu der „gemeinsamen Verantwortung" des Hohen Hauses für diesen Haushalt bekannt haben. Wir haben im Haushaltsausschuß seit 12 Jahren eine Praxis für diese gemeinsame Verantwortung eingeleitet, die, glaube ich, von hohem Nutzen für das gesamte Haus und die staatspolitische Entwicklung der letzten 12 Jahre gewesen ist.
Ich freue mich, daß auch diese Debatte auf einem sachlich hohen Niveau fortgesetzt werden kann. Gleichzeitig möchte ich allerdings — darin werden Sie sich mir nicht anschließen — dem Herrn Bundesfinanzminister für die entschlossenen Worte danken, die er gestern am Schluß seiner Rede ausgesprochen hat.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Hier darf ich jedoch gleich zu einer gewissen Einschränkung kommen. Bitte fassen Sie, Herr Bundesfinanzminister, das nicht als eine Korrektur auf! Nicht erst am 13. August, sondern bereits durch das furchtbare Ultimatum der Sowjetunion in der Berlin-Frage zwei Jahre vorher war im Grunde genommen die große Zäsur in unserem Verhältnis zum Osten, im Kampf um Berlin eingetreten. Wir hatten bislang geglaubt, diesen Zustand auch militärisch ignorieren zu können. Aber jeder Kenner der Bundeswehr, jeder Haushaltskenner wußte, daß die Aufstellung und Ausrüstung einer Division einen bestimmten Betrag kosten würde, und jeder konnte sich also die Zeit ausrechnen, innerhalb deren bestimmte Summen für die Verteidigung im Bundeshaushalt aufgebracht werden mußten.
Wenn durch die Verzögerung bei der Aufstellung der Bundeswehr, durch die Überschattung dieses Aufbaus durch eine Hochkonjunktur sondergleichen und durch die ungeheuer schwer zu bewältigende Schaffung der personellen Voraussetzungen für diesen Aufbau erneut Erschwernisse eingetreten waren, so wußte man doch aber, daß diese Verzögerung die Kosten höchstens erhöhen, niemals aber ermäßigen konnte.
Hier komme ich nun zu einem Vorwurf, den mein verehrter Herr Vorredner gegenüber dem Herrn Bundesfinanzminister erhoben hat, indem er sagte, er bitte ihn, das Ausmaß dieser Erhöhung der Verteidigungslasten nicht zu dramatisieren. Ich muß sagen, ich bedauere es, daß wir es nicht bereits früher getan haben; denn früher wäre besser gewesen.
Ich habe seit einigen Jahren an dieser Stelle und bei dieser Gelegenheit immer darauf hingewiesen, daß wir seit 1955 durch die Verzögerung unserer Verteidigungsanstrengungen, zu denen wir seit 1955 ja vertraglich verpflichtet waren, mindestens etwa 20 Milliarden DM vor uns hergeschoben haben. Ein außergewöhnlich hoher Betrag! Wenn dieser Betrag, der in den vergangenen Jahren vorwiegend für So-



Dr. Vogel
zialausgaben verwandt worden ist, jetzt, 1962, infolge der Warnungszeichen des sowjetischen Ultimatums und auch infolge des Druckes unserer Verbündeten von uns gefordert wird, ist es, glaube ich, höchste Zeit, daß wir uns hier auch voll und ganz zu dieser Notwendigkeit bekennen.
Ich sage das deswegen ausdrücklich, weil es anscheinend noch nicht ganz in das Bewußtsein einiger auch prominenter Zeitgenossen eingegangen ist, wie wir aus bestimmten Fernsehsendungen entnehmen können und wie ich es auch aus der Bemerkung von Herrn Knoeringen entnehmen mußte, das neunte Schuljahr in Bayern sei wichtiger als die Verlängerung der Dienstpflicht. Offensichtlich ist man sich also noch nicht überall dessen bewußt, daß wir uns hier in einer solchen Zäsur befinden und daß wir bestimmte Konsequenzen daraus zu ziehen haben.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, auch wenn der Bundesfinanzminister logischerweise in seiner Rede die Verteidigungsausgaben für die Bundeswehr mit den erhöhten Ausgaben für Berlin zusammengezogen und von einem Gesamtmehrbedarf von 8,1 Milliarden DM 4,4 Milliarden DM, d. h. 55 %, dafür angesetzt hat, darf keinesfalls übersehen werden, daß sich die rein militärischen Aufwendungen auf nur 3,8 Milliarden DM belaufen, denen zivile Mehranforderungen in Höhe von 4,2 Milliarden DM gegenüberstehen. Das heißt, daß infolge der zum Teil gesetzlich festgelegten Automatik des Haushalts selbst in diesem Stadium einer unbestreitbar außergewöhnlichen Bedrohung und Zwangslage der Nation die zivilen Mehranforderungen den militärischen mindestens gleichkommen, sie zum Teil sogar noch übertreffen.
Sofort erhebt sich auch hier die Frage, ob diese Automatik auch in den kommenden Jahren mit noch größeren militärischen Anforderungen unbegrenzt volkswirtschaftlich zu verkraften sein wird. Mit anderen Worten: Können wir hier im Bundeshaushalt, der praktisch eine finanzielle Willenserklärung des Volkes darstellt, an den massiven Bedrohungen unserer staatlichen und nationalen Existenz vorbei-leben oder nicht? Können wir in unserem geteilten Deutschland, nach zwei grausigen Katastrophen der beiden verlorenen Weltkriege und zwei darauffolgenden Inflationen einen Bleichhohen Lebensstandard auf die Dauer neben unseren Verteidigungsausgaben aufrechterhalten oder nicht? Das ist, glaube ich, die volkswirtschaftliche und Haushaltskernfrage, die sich hier vor uns auftut.
Nun, meine sehr verehrten Damen und Herren, die Mehrheit des Haushaltsausschusses kann für sich in Anspruch nehmen, bereits vor Weihnachten noch vor der Einbringung dieses Haushalts sich entschlossen gegen eine neue Ausgabenflut zur Wehr gesetzt zu haben. Mein verehrter Vorredner hat hier einiges zur Verteidigung der damals von seiner Fraktion gestellten Mehrausgabenanträge angeführt. Wir stehen auf dem Standpunkt, daß, wenn wir hier von seiten des Bundestages damals Ihren Anträgen gefolgt wären, es heute noch weitaus schwieriger sein würde, das Loch im Defizit zu dekken, als es ohnehin der Fall ist.

(Zustimmung bei den Regierungsparteien. — Abg. Wehner: Den Herrn Schäffer von damals zitieren!)

— Es wäre mir ein besonderes Vergnügen, Herr Kollege Wehner, gerade hier Herrn Kollegen Schäffer zu zitieren. Ich habe nie ein Hehl daraus gemacht, daß ich seine Politik der Rückstellungen damals, für diese Zeit, für richtig gehalten habe. Ich habe sie vor diesem Hause auch immer verteidigt.

(Sehr gut! in der Mitte.)

Aber ich möchte noch eines sagen: Wenn Sie von seiten der Opposition jetzt noch einen Schritt weiter gehen und sagen, auch die auf 800 Millionen gesteigerte Summe für den zivilen Bevölkerungsschutz sei noch bei weitem nicht ausreichend, dann darf ich doch darauf hinweisen, daß nach den vorsichtigen Berechnungen der Ressorts — des Bundesinnenministeriums zusammen mit dem Wohnungsbauministerium — sich die Minimalsumme allein für Luftschutzbauten auf rund 40 Milliarden DM belaufen würde, daß aber die weitergehenden Forderungen sich auf ungefähr 70 bis 80 Millarden belaufen.
Die Frage ist die: Glauben Sie ernstlich, daß wir, um ein Wort des Bundesfinanzministers aufzugreifen, wirklich alles in einem Atemzuge und alles zu gleicher Zeit schaffen können? Wir sind der Überzeugung, daß das volkswirtschaftlich eben nicht verkraftbar ist.

(Abg. Dr. Schäfer: Also gar nicht!)

In diesem Zusammenhang noch ein Wort an den Herrn Bundesfinanzminister persönlich. Er ist neu in diesem Geschäft, und gerade die Schlußsätze seiner Rede drücken genau das aus, was sich in den vergangenen zwölf Jahren im Haushaltsausschuß zu einer Tradition gefestigt hat. Die Koalition im Haushaltsausschuß arbeitet naturgemäß sehr eng mit dem jeweiligen Bundesfinanzminister zusammen. Sie erwartet von ihm ein hohes Maß von Härte und von Festigkeit gegenüber den unvermeidlichen Anforderungen von seiten seiner eigenen Kollegen und auch von Gruppen dieses Hohen Hauses. Wir haben, glaube ich, in der Vergangenheit bewiesen, daß wir uns, wenn der Finanzminister fest bleibt. nicht von ihm in dieser Tugend übertreffen lassen. Wir bitten aber auch unsere eigenen Freunde innerhalb der Koalition, uns jetzt in dieser finanziell so wesentlich schwieriger gewordenen Periode zu helfen und zu unterstützen.

(Beifall 'bei der FDP.)

Ich zögere nicht, zu unterstreichen, daß wir mit der Opposition gemeinsam eine 'Reihe von staatspolitisch wichtigen Aufgaben hier zu lösen haben, und ich hoffe, daß dieses Klima, das wir im Haushaltsausschuß geschaffen haben, uns auch in der Zukunft erhalten bleiben wird.
Nun auch noch ein Wort meinerseits zum Finanzbericht 1962, der uns in einem gewachsenen Volumen leider erst vor genau 48 Stunden vorgelegt worden ist. Selbst zwei Nächte haben nicht ausgereicht, Herr Bundesfinanzminister, um auch nur die wichtigsten Passagen dieses ganz ausgezeichneten Werks für uns hier und für diese Haushaltsdebatte einigermaßen nutzbar zu machen.
Zum erstenmal wird sich nun der Haushaltsausschuß in diesem Jahr nach der Verabschiedung des Haushalts seiner schwierigsten Aufgabe unterziehen müssen — sofern ihm dieses Hohe Haus durch



Dr. Vogel
das Haushaltsgesetz die Vollmacht dazu erteilt —, der Aufgabe nämlich, die Personalanforderungen der Bundesbehörden zu prüfen und zu verabschieden, nachdem wir den Haushalt als solchen verabschiedet haben. Mein Freund Niederalt wird nach mir dazu Ausführungen machen.
Nun aber zu den Kernfragen, die dieser Haushalt naturgemäß aufwirft! Sichert der Haushalt als Willenserklärung der Bundesregierung die Existenz des deutschen Volkes oder nicht? Ist er gemäß der Verfassung ausbalanciert oder ist er nicht ausbalanciert? Hier erheben sich sofort eine Reihe von Fragen.
Zu der ersten Frage, der des Länderbeitrags in der Höhe von einer Milliarde, wird, glaube ich, mein Freund Niederalt Ausführungen machen, so daß ich es mir hier erspare, darauf einzugehen.
Auf die zweite Frage, die Frage einer stärkeren Inanspruchnahme des Kapitalmarkts, ist mein verehrter Vorredner bereits eingegangen. Daß es in der Vergangenheit der Eingang der Steuermittel möglich gemacht hat, den Haushalt ohne eine Inanspruchnahme des Kapitalmarkts zu vollziehen, halte ich für einen schönen Glückszufall, den wir keinesfalls zu bedauern brauchen. Ich habe niemals ein Verdienst darin gesehen, Schulden zu machen. Ich glaube, auch keine Körperschaft des öffentlichen Rechts, erst recht nicht der Bund, sollte ein Verdienst darin sehen, Schulden anzuhäufen, solange sie sich vermeiden lassen.
Wenn wir in diesem Haushaltsjahr dazu übergehen müssen, den Kapitalmarkt in Anspruch zu nehmen, so möchte ich dabei gleich vor einem Vorgang warnen. Es ist, soviel ich gehört habe, geplant, den Kapitalmarkt selbst nur mit einer Milliarde und darüber hinaus den mittelfristigen und vielleicht auch den kurzfristigen Geldmarkt mit einer weiteren Milliarde in Anspruch zu nehmen. Wenn man die Gewißheit hätte, daß uns das folgende Finanzjahr 1963 vor leichtere Deckungsaufgaben stellen würde als das Jahr 1962, könnte man hier vielleicht sogar ein Auge zudrücken, so schwer einem dies verfassungsrechtlich fiele. Wenn man aber mit Sicherheit weiß, daß das Jahr 1963 wesentlich schwierigere Haushaltsfragen stellen wird als das Haushaltsjahr 1962, dann, glaube ich, sollte man von einer Deckung durch kurzfristige Geldaufnahmen auf dem Geldmarkt absehen und versuchen, das mit anderen Mitteln zu erreichen. Wir haben noch eine ganze Reihe von anderen Möglichkeiten an der Hand. Ich komme gleich im einzelnen auf sie zu sprechen.
Eine dritte Frage, die wir in diesem Zusammenhang erörtern müssen, ist die, ob sich die Steuererwartungen und damit die Konjunkturerwartungen im Laufe dieses Jahres 1962 erfüllen werden oder nicht. In den voraufgegangenen zwei Jahren war die Fortdauer der Hochkonjunktur beinahe zu einer Selbstverständlichkeit geworden. Die Frage erhebt sich, ob sie das heute noch in dem gleichen Maße ist, wie sie das in der ersten Hälfte des Jahres 1961 war. Ich glaube, diese Frage wird von entscheidender Bedeutung sein, wenn man höhere Steuereinnahmen, als sie bis jetzt veranschlagt sind, in den Haushalt einsetzen will. Wenn man gemäß den Ländererwartungen vielleicht einen Betrag von 300 Millionen DM an höheren Steuereinnahmen einsetzt, so ist dagegen wohl schwerlich etwas einzuwenden. Ein solcher Betrag bleibt bei der Riesensumme von annähernd 54 Milliarden ohnehin von nicht ausschlaggebender Bedeutung.
Aber bleiben wir zunächst einmal bei der Konjunktur und den Erwartungen, die wir in sie setzen dürfen oder auch nicht in sie setzen dürfen. Der Arbeitskräftemangel hält beinahe unverändert stark an. Wir haben jetzt schon, obwohl die Frostperiode noch nicht abgeklungen ist, über eine halbe Million offener Stellen, die nicht zu besetzen sind, eine ungewöhnliche Angelegenheit nach dem Rückgang der Auftragsbestände in der zweiten Hälfte des Jahres 1962! Die Arbeitskraft ist nach wie vor teuer geblieben. Die Effektivlöhne sind nach wie vor zum Teil sogar höher als die Tariflöhne.
Die übermäßige Baukonjunktur, die voraussichtlich noch das ganze Jahr 1962 anhalten wird, droht das Bild der Gesamtkonjunktur des Jahres 1962 zu verzerren. Ich möchte ausdrücklich auf diesen Umstand aufmerksam machen. Wir können die Gesamtkonjunktur unserer Wirtschaft nicht allein nach der Baukonjunktur beurteilen. Die Stagnation in der Textilindustrie, die Stagnation bei der Kohle, das Absinken der Stahl- und Eisenproduktion und das erhebliche Nachlassen der Auftragsbestände bei der Investionsgüterindustrie dürfen von uns nicht außer acht gelassen werden.
Es erhebt sich sofort die Frage, die ich unlängst auch in einer Veröffentlichung des Wirtschaftswissenschaftlichen Instituts der Gewerkschaften sah: Kann man durch eine Steigerung des Konsums der Konjunktur nachhelfen oder nicht? Es handelt sich dabei um einen Vorgang, den wir bereits in anderen Ländern beobachten konnten. Ich bin der Auffassung — und ich glaube, meine Freunde teilen sie —, daß nichts gefährlicher wäre, als durch ein zu großes Vorausschnellen der Löhne vor dem Volkseinkommen, durch eine gewaltsame Aufpulverung des Konsums eine neue Konjunkturbewegung zu provozieren. Wir haben das Beispiel in England und in den Vereinigten Staaten vor uns. Beide Länder bemühen sich heute — nach dem totalen Schwinden der Devisen in England und nach dem sehr erheblichen Abnehmen der Goldbestände in den Vereinigten Staaten —, Fehler der Vergangenheit rückgängig zu machen. Die Frage erhebt sich: Wollen ausgerechnet wir in der Bundesrepublik uns anschicken, die klar erkannten Fehler einer solchen Wirtschaftspolitik heute nachzuahmen?

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Man kann eben meiner Überzeugung nach nur dann mehr verdienen und mehr Steuern einnehmen, wenn man auf der anderen Seite mehr arbeitet und mehr produziert. Das ist eine Binsenwahrheit. Aber ich glaube, es ist notwendig, sie auch hier einmal zu wiederholen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Daß die Bundesregierung heute, was die Zahl der Arbeitsstunden betrifft, trotz zweier verlorener



Dr. Vogel
Kriege nicht mehr an der Spitze der Industrievölker Europas marschiert, sondern hinter benachbarten konkurrierenden Völkern, wird wohl heute von niemandem mehr bestritten. Ich kann also nur das eine unterstreichen, was der Herr Bundesfinanzminister, wenn auch in dramatisierter Form, dem Hause zugerufen hat: daß letzten Endes die deutsche Konkurrenzfähigkeit auf dem Weltmarkt auch für die Haushaltsgestaltung der kommenden Jahre entscheidend sei.
Wir haben einige freundliche Lichtblicke zu verzeichnen. Die Spartätigkeit hat sich im Januar und im Februar 1962 wieder ganz beachtlich erhöht. Der Kapitalmarkt 1961 erwies sich als ungewöhnlich ergiebig, vor allen Dingen was die Rentenwerte betrifft. Das Sinken der Aktienkurse hat dazu geführt, daß sich heute die Sparer in weitaus größerem Maße dem Rentenmarkt, aber leider auch dem Grundstücksmarkt zugewandt haben, als das früher der Fall war. Hier liegt ein entscheidender Grund dafür, daß wir bei den Bausparkassen eine weitere, eigentlich kaum voraussehbare Konjunktur zu verzeichnen haben. Wir werden sehr bald sehen, wohin z. B. die Überhitzung der Baukonjunktur führen wird. Es wird entscheidend davon abhängen — das haben wir im Haushaltsausschuß auch bei der Behandlung der Folgen der Flutkatastrophe ausgesprochen —, ob es möglich sein wird, hinreichend viele Baufirmen und hinreichend viele Arbeitskräfte an die bedrohten Punkte der Nordseeküste zu bringen, und ob wir hinreichend viele Menschen und Firmen bereitstellen können, um die Dämme vor dem Anprall einer neuen Hochflut zu schützen. Das wird eine sehr entscheidende Frage innerhalb der kommenden Sommermonate werden.
Um auf die Schätzungen des Bundesfinanzministers zurückzukommen: Ich glaube auch, daß erhöhte Steuereinnahmen bei der Lohnsteuer ziemlich sicher sein werden. Bei der Umsatzsteuer wird das gleiche in beschränkterem Umfange eintreten. Bei der Einkommensteuer scheint mir das schon fraglicher zu sein. Die Gewinne der Industrie sind im zweiten Halbjahr 1961 bereits unbestreitbar zurückgegangen. Die Aufwertung der D-Mark hat als Konjunkdämpfungsmaßnahme weithin sichtbarer gewirkt, als man es ursprünglich geglaubt hat. Der Bundeswirtschaftsminister hat es damals hier vor dem Hause gesagt. Ich glaube, er hat mit seiner Prophezeiung recht behalten. Die Statistik beweist heute, in welch einschneidendem Maße seitdem auch eine Dämpfung der überspannten Konjunktur eingetreten ist.
Aber nicht umsonst hat der Herr Bundesfinanzminister generell so ausführlich über die steuerlichen Auswirkungen bzw. die Voraussetzungen des Hineinwachsens in die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft gesprochen. Hier liegt in der Tat einer der entscheidendsten Vorgänge der kommenden Jahre vor uns, und ich glaube, wir werden gut daran tun, 'die jetzt in der Ausarbeitung befindlichen Empfehlungen, die bereits stattgehabten Beratungen zwischen den Finanzministern der EWG rechtzeitig und umfassend in die kommenden Steuerumbauten und -verschiebungen mit einzukalkulieren. Darüber, daß sich in der Zukunft, vor allen Dingen auch im Jahre 1962, nicht um Steuersenkungen generell handeln kann, sondern um Steuerumbauten, sind wir uns angesichts dieses Haushalts wohl alle im klaren.
Lassen Sie sich mich hier etwas zu dem sehr schwierigen Problem der vollkommenen Gerechtigkeit bei der Streichung von Ausgaben sagen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn Verzichte gefordert werden, sollten sie auf alle Ressorts und auf alle Wünsche, 'die hier vorgebracht werden, ausgedehnt werden. Wir wollen versuchen, im Haushaltsausschuß — und wir sollten das auch für die 2. und 3. Lesung, die ja bereits in drei Wochen stattfinden werden, vornehmen — so gerecht wie möglich zu verfahren. Eine vollkommene Gerechtigkeit werden wir niemals erreichen können. Es werden immer Wünsche offenbleiben, und es werden am Ende einer solchen Beratung immer Beschwerden da sein.
Selbst wenn es gelingt, von seiten der Länder 1 Milliarde DM zu erhalten — ich sage das ausdrücklich mit einem „Wenn", denn auch der Beschluß des ,Bundesrates ist ja noch kein Kassenvollzug; ich werde froh sein, wenn am Ende des Haushaltsjahres die Bundeskasse den Eingang dieser 1 Milliarde DM gemeldet haben wird —,

(Abg. Dr. Conring: Sehr gut!)

selbst wenn das eintreffen sollte, würde es immer noch eine offene Frage bleiben, wie 'die weiteren 740 Millionen DM des Defizits gedeckt werden.
Man kann natürlich—ich habe davon gesprochen — die Steuereinnahmen um vielleicht 200 bis 300 Millionen DM höher ansetzen; das ist durchaus vertretbar. Man kann den Kapitalmarkt etwas mehr in Anspruch nehmen; wenn man von 1,8 Milliarden DM auf 2 Milliarden DM ginge, wäre das, glaube ich, kein Schade, es wäre vertretbar. Man kann bei einem 54-Milliarden-Haushalt den Haushalt so vollziehen, daß auch durch den Vollzug erhebliche Einsparungen eintreten.
Darf ich hier eine Bemerkung zu den Resten machen, die der Haushaltsvollzug 'das Jahres 1961 ergeben hat. Es ist für uns nicht uninteressant, daß es — und hier gebührt dem Bundesverteidigungsministerium ein hohes Lob — gelungen ist, das sehr drohende Gespenst der Reste gerade beim Verteidigungshaushalt in relativ kurzer Zeit zu bannen, und daß heute die zivilen Reste ein wesentlich größeres Problem darstellen als die militärischen Reste.
Immerhin bliebe dann noch die Notwendigkeit erhöhter Streichungen. Hier komme ich nun auf das Problem der 12%igen Generalkürzung. Herr Kollege Schoettle, Sie dürfen sicher sein, daß wir — wir haben das ja im Haushaltsausschuß bereits praktiziert — auch bei den jetzt legalen Beratungen, vor denen wir stehen — was wir bis jetzt gemacht haben, waren ja im Grunde genommen illegale Vorgriffe, aber von heute ab werden wir in der Lage sein, Beschlüsse zu fassen —, das tun werden, was wir bei den Vorbereitungen in Aussicht genommen haben; das war ja immerhin schon eine Umgruppierung im Haushaltsausschuß, wie sie in diesem Umfange in den letzten zwölf Jahren noch niemals statt-



Dr. Vogel
gefunden hat. Aber ich möchte hier die Erwartung aussprechen, daß, wenn wir uns auf diesem schwierigen Felde in Zukunft weiter gemeinsam bewegen, Sie auch mehr Verständnis als bis jetzt aufbringen werden, wenn wir so starke Kürzungen anbringen müssen, wie wir sie bei der Bundesbahn — mit 280 Millionen DM — gegen Ihren Widerstand bei der SPD durchgesetzt haben. Wenn man sich überlegt, daß die Bundesbahn auch dann noch 100 Millionen DM, ganz abgesehen von der Bundesgarantie für eine 500-Millionen-Anleihe, mehr haben will als im Jahre 1961, dann scheint uns eine solche Kürzung durchaus vertretbar zu sein.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Bei den bisherigen, Vorberatungen, die wir jetzt legalisieren werden, haben wir bereits annähernd 500 Millionen DM einsparen können. Das heißt, der größte Betrag der Kürzungen, die durch die globale Kürzung von 12 °/o erreicht werden sollten, konnte bereits durchgesetzt werden.
Zum erstenmal wird der Haushaltsausschuß auch beim restlichen Ausgleich vor Notwendigkeiten stehen, die in den letzten 12 Jahren noch niemals gegeben waren. Bis jetzt beschränkte sich die Rolle des Haushaltsausschusses im Grunde genommen leider auf die Rolle des Chors in der griechischen klassischen Tragödie, d. h. der Haushaltsausschuß beweinte sehr oft den Gang der Ereignisse, ohne ihn ändern zu können. Ich verhehle keineswegs die Schwierigkeiten, die wir in der Zukunft im Haushaltsausschuß zu meistern haben werden. Härten werden völlig unvermeidlich sein, ja, wir werden sogar manche Tabus angreifen müssen. Je mehr aber der Zwang zur Einsparung und zur Kürzung schon im Jahre 1962 durch den Haushaltsausschuß sichtbar gemacht werden wird, desto leichter wird es dem Bundesfinanzminister und der Bundesregierung fallen, ihren ebenso mutigen wie ausgezeichneten Beschluß durchzuhalten, für das kommende Haushaltsjahr 1963 in den einzelnen Ressorts dafür Sorge zu tragen, daß die Ansätze für 1962 nicht überschritten werden.
Der Bundesfinanzminister hat am Schluß seiner Rede den listenreichen Dulder Odysseus zitiert, der an seine Gefährten vor der Durchfahrt durch Scylla und Charybdis einige Worte der Ermutigung richtete. Wir Mitglieder des Haushaltsausschusses sind gern bereit, dem Herrn Bundesfinanzminister hilfreich unter die Arme zu greifen, indem wir ihn an den Mast der Sparsamkeit anbinden werden.

(Beifall und Heiterkeit in der Mitte.)

Wir möchten ihm allerdings empfehlen, ungleich Odysseus für sich und seine Haushaltsabteilung rechtzeitig eine Ladung Ohropax zu beschaffen, damit sie den Sirenengesängen der benachbarten Ressorts im kommenden Jahre mutig widerstehen können.

(Erneute Heiterkeit und Beifall. — Zuruf des Abg. Dr. Schäfer.)

— Ich hoffe, Herr Kollege Dr. Schäfer, man wird dann nicht auf das allzu leichte Mittel der überplanmäßigen bzw. außerplanmäßigen Ausgaben ausweichen.
Wir täuschen uns wohl nicht, wenn wir heute in den breitesten Schichten unseres Volkes ein spürbares Erschrecken vor diesen gewaltig gesteigerten Haushaltsausgaben verspüren. Die Furcht vor einer Inflation in einer Generation, die zwei Inflationen erleben mußte, hat dazu beigetragen, daß das Erschrecken vor diesen Mehrausgaben in Höhe von 8 Milliarden heute ungewöhnlich groß ist. Auch wenn es manchmal den Anschein hat, daß bei der jüngeren Generation die Tugend der Sparsamkeit an Ansehen eingebüßt hatte, scheint mir die moralische Kraft der Sparsamkeit als solcher bei der Generation, die sich der zwei Inflationen noch erinnert, ungebrochen zu sein, und auf die sollten wir in diesem Jahre und in den kommenden Jahren vertrauen.
Der Haushaltsausschuß hat die Hauptmühe und die Hauptplage jedesmal damit, sich mit den Wünschen der Ressorts in bezug auf die Vermehrung der Stellen auseinanderzusetzen. Damit wird sich mein Freund Niederalt nachher mit der bei ihm gewohnten Gründlichkeit befassen. Wir können nur durch eine minutiöse Prüfung der einzelnen Titel des Haushalts die allzu üppig wuchernden Schößlinge beschneiden. Aber manchmal haben wir den Eindruck, daß selbst die Axt in der Hand des Haushaltsausschusses nicht mehr stark genug ist, allzu knorrig gewordene Bäume zu fällen, die in der Zwischenzeit munter herangewachsen sind.
Wenn die jetzigen ersten Drangsale bei der Dekkung des Defizits zu einer Selbstbesinnung auch in diesem Hohen Hause führen würden, wäre schon sehr viel gewonnen, und der Haushaltsausschuß würde sicherlich — nun lassen Sie mich eine besondere Bitte aussprechen — die erste Empfehlung eines Fachausschusses in bezug auf eine einschneidende Kürzung des Haushalts mit besonderer Freude begrüßen.

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Wehner: Sie meinten wohl: außer dem Verteidigungsausschuß?!)

— Herr Kollege Wehner, nehmen Sie doch bitte einmal die Protokolle der vergangenen Jahre gerade bei der Behandlung des Verteidigungshaushalts zur Hand. Nicht Sie und Ihre Fraktion, Herr Kollege Wehner, haben damals die Anträge auf Kürzung von Generalsstellen gestellt, sondern wir haben sie gestellt, und wir haben damals an einem Vormittag 25 Generalsstellen gestrichen. Wir haben auch die Zerstörer zurückgestellt und einige andere vernünftige Dinge gemacht. Wir nehmen das für uns in Anspruch, obwohl uns das wahrscheinlich schwerer fällt als Ihnen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Bei aller Sparsamkeit wird niemand so töricht sein, die Augen vor einigen Notwendigkeiten zu verschließen, die die Nation als solche angehen.
Hier ist von meinem verehrten Herrn Vorredner ein Doppelproblem in einem Zuge angesprochen worden: das Problem der Verteidigungs- und Sozialausgaben. Erlauben Sie mir, daß auch ich zugleich zu beiden Problemen einiges ausführe. We-



Dr. Vogel
der die CDU noch ich persönlich stehen in dem Geruch, daß wir in der Vergangenheit die Notwendigkeit der deutschen Verteidigung jemals auch nur im geringsten bestritten haben. Wir haben sie stets voll bejaht. Aber wir haben uns auch — was ich soeben gesagt habe — damals gegen eine allzu schnelle Personalvermehrung, gerade bei den hohen Stellen, mit Erfolg gewandt.
Ich darf Ihre Aufmerksamkeit jetzt auf ein Problem lenken, das für uns langsam am Horizont heraufzieht und das in der Zukunft unsere und auch die Aufmerksamkeit der Bundesregierung in einem ganz anderen Maße beanspruchen wird als bisher. Wir haben jetzt schon 6,3 Milliarden DM laufende Kosten innerhalb des Bundesverteidigungshaushalts. Im kommenden Haushaltsjahr werden es 8,3 Milliarden sein. Mehr als die Hälfte und in den kommenden Jahren noch mehr als die Hälfte des Verteidigungshaushalts werden zur Befriedigung der Sach- und Geschäftsbedürfnisse der Truppe, zur Deckung der Pensionslasten, für die Verpflegung, die Bekleidung usw. in Anspruch genommen werden. Das bedeutet, daß es automatisch zu einer Einengung derjenigen Dinge kommen wird, die tatsächlich die Kampfkraft der Truppe mit ausmachen. In einer Beziehung sind wir uns mit Ihnen wohl völlig einig: eine Bundeswehr, die nicht die modernste Ausrüstung dieser Welt hat, erfüllt nicht ihren Zweck, nämlich der Verteidigung unseres Volkes zu dienen.

(Zuruf von der SPD: Sie meinen doch atomare Waffen!)

4 Wir sind in der Vergangenheit dafür eingetreten und werden auch in der Zukunft dafür eintreten — das möchte ich in aller Klarheit sagen —, daß die Bundeswehr in ihrer Ausrüstung hinter keiner anderen Wehr der Welt zurückstehen darf, wenn sie jemals, was Gott verhüten möge, in den Kampf ziehen muß.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Hier besteht die Tendenz — diesen Vorwurf kann ich Ihnen, meine Herren von der Opposition leider nicht ersparen —, die laufenden Kosten weiter zu erhöhen. Ich spreche dieses Problem hier einmal in aller Deutlichkeit an: Der Bundeswehr droht die Gefahr, in ihrem laufenden Haushalt, ganz zu schweigen von den jetzt schon sehr stark anwachsenden Pensionslasten, so teuer 2u werden, daß die für ihre Kampfkraft, für die modernste Ausrüstung, für die Munition usw. notwendigen zusätzlichen Ausgaben volkswirtschaftlich nur sehr schwer verkraftet werden können. Die Bundeswehr ist einzig und allein dafür geschaffen und dafür da, unser Volk im Ernstfall Seite an Seite mit unseren Verbündeten zu verteidigen. Sie kann niemals Selbstzweck sein. Das Hohe Haus wird der Bundeswehr und sich selbst den besten Dienst erweisen, wenn es vieles von dem überprüft, was es zum Teil selbst geschaffen hat, wenn es die Wehrmachtsbürokratie mit verkleinern hilft, wenn es dafür sorgt, daß die laufenden Kosten geringer werden und dafür der Apparat, die Bundeswehr insgesamt schlagkräftiger wird. Dann wird die 'Bundeswehr
auch die hohen Kosten rechtfertigen, die sie verursacht.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Mein verehrter Herr Vorredner hat darauf hingewiesen, daß die Baulandkosten angeblich von seiten der Bundeswehr erheblich erhöht worden seien. Auf unser Betreiben im Haushaltsausschuß hin ist diesem Vorwurf sofort nachgegangen und eine gewisse Untersuchung durchgeführt worden. Ich möchte doch annehmen, daß die Ausführungen, die wir von seiten des Bundesverteidigungsministeriums gerade zu diesem Punkt gehört haben, diesen Vorwurf weitgehend entkräftet haben.

(Sehr richtig! in der Mitte. — Zuruf von der SPD: Keineswegs, Herr Kollege!)

— Wir sind anderer Ansicht. Wir haben doch zumindest das eine festgestellt: daß in keinem Fall von seiten des Bundesverteidigungsministeriums den durchführenden Stellen der Bundesvermögensverwaltung Anweisungen gegeben worden sind, überhohe Preise zu zahlen. Das ist der entscheidende Punkt gewesen.
Ist es verwegen, wenn man in diesem Zusammenhang auch ein anderes Tabu angreift, das bis jetzt eigentlich unseren erlauchten Sachkennern auf diesem Gebiete, den Sozialexperten, vorbehalten blieb, die mit den Statistikern wahrscheinlich besser umgehen können, als es ein armer Sachverständiger des Haushalts zu tun vermag? Dem Hohen Hause oder vielleicht nur dem zuständigen Ausschuß sind inzwischen wohl einige Zahlen über die voraussichtliche Zahl der Pflichtversicherten in den kommenden Jahren bei der Arbeiterrentenversicherung und bei der Angestelltenversicherung mitgeteilt worden. Danach wird bei der Arbeiterrentenversicherung 1973 eine fast mit der von 1960 gleichbleibende Zahl an Pflichtversicherten vorhanden sein, — umgekehrt werden aber statt einer Zahl von 4,8 Millionen Rentnern wie 1960 6,1 Millionen Rentenempfänger dem gegenüberstehen. Bei der Angestelltenversicherung wird 1978 die Zahl von 5,8 Millionen Versicherten einer Zahl von rund 2,3 Millionen Rentnern gegenüberstehen. 5,8 Millionen zu 2,3 Millionen! Das heißt: Gegenüber 1960 wird sich die Zahl der Rentner von 28 auf 40 % vermehrt haben. Das sind neue Tatbestände, die man rechtzeitig ins Auge fassen sollte. Ich möchte darauf hinweisen, daß die moderne Sozialversicherung ihren Ursprung inmitten einer Industriegesellschaft fand, die damals eine gewaltige Bevölkerungsvermehrung erlebte, und daß man sich damals einem ganz anderen Wachstum und einem ganz anderen Altersaufbau gegenübersah, als sie heute vorhanden sind. Ich gebe einmal zu erwägen, ob es nicht klug wäre, jetzt schon rechtzeitig Überlegungen anzustellen, ob wir hier nicht neue Wege beschreiten und neue Ideen verwirklichen sollten. Da wir uns beim Haushalt schließlich mit Milliardenzahlen an Zuschüssen zu beschäftigen haben, darf man es wohl .einmal wagen, auf diese Entwicklungen hinzuweisen.
Ob wir uns auch z. B. — um hier andere Probleme anzuschneiden — an dem phantastischen neuen



Dr. Vogel
Traum der Menschheit finanziell beteiligen sollten, mit den anderen Völkern Flüge zum Mond und zu den Planeten zu entwickeln, ob das gerade eine Existenzfrage des deutschen Volkes in den nächsten Jahren sein wird, wage ich bescheiden zu bezweifeln, auch wenn wir schon ganz beachtliche Ansätze in unserem Haushalt vorliegen haben.
Nun komme ich auf einen Vorwurf zu sprechen, den mein verehrter Herr Vorredner gegenüber dem neugeschaffenen Gesundheitsministerium erhoben hat. Wenn wir nun einmal 10 bis 15 % mehr Fahrzeuge auf den Straßen und vor allen Dingen in unseren Städten haben, wenn durch den Siegeszug der modernen chemischen Industrie leider auch der Wasservorrat in Deutschland immer stärker in Mitleidenschaft gezogen wird und wenn mit der wachsenden Industrialisierung die Luft auch nicht gerade reiner wird, dann in der Tat scheinen uns ganz andere Anstrengungen zur Reinhaltung von Luft und Wasser und zur Förderung der allgemeinen Volksgesundheit notwendig zu sein, als es bis jetzt der Fall ist. Ich sehe in der Person der Bundesgesundheitsministerin nicht allein eine Verneigung vor dem weiblichen Element innerhalb meiner Fraktion und des Hohen Hauses schlechthin, sondern die Errichtung dieses Ministeriums entspricht der Notwendigkeit, diesen Problemen jetzt mehr Aufmerksamkeit zuzuwenden, als das in der Vergangenheit der Fall war. Wir werden uns im Haushaltsausschuß noch damit zu befassen haben, ob die Probleme allein mit Personalvermehrungen angegangen werden können oder ob hier nicht andere Ansätze notwendiger sein werden. Ich denke an höhere Sachverständigentitel und ich denke auch an mehr Mittel für die notwendige Volksaufklärung, die auf diesem Gebiet bitter Not tut. Das könnte man auf der anderen Seite durch bloße Stellenvermehrungen nicht schaffen. Vielleicht wird es gerade in diesem 'Bereich auch bei den Ländern mehr darauf ankommen, daß bereits geschaffene Gesetze in der Zukunft mehr beachtet und rigoroser durchgeführt werden, als das in der Vergangenheit der Fall war.
Nun möchte ich noch einige Detailprobleme anreißen. Eines dieser Probleme hat auch meinen verehrten Vorredner sehr stark beschäftigt: die Entwicklungshilfe. Hier ist ein neues Ministerium entstanden. Ich weiß allerdings nicht, verehrter Herr Kollege Schoettle, wie Sie bei der Entwicklungshilfe auf einen Betrag von 5 Milliarden DM gekommen sind. Ich sehe eigentlich nur 2,5 Milliarden DM.
Aus dem ERP-Fonds erhält die Entwicklungshilfe eine zusätzliche Leistung von 220 Millionen DM. Als eines der Mitglieder dieses Hauses, die sich in den vergangenen Jahren immer ganz besonders stark für die Entwicklungshilfe eingesetzt haben, glaube ich in diesem Jahr der Flutkatastrophe und der besonderen Bedrohung Berlins anregen zu dürfen, daß wir in der Zukunft darin übereinstimmen sollten, 'die 220 Millionen DM aus .dem ERP-Fonds nicht der Entwicklungshilfe zuzuführen, sondern sie mit heranzuziehen zur Bewältigung der Schäden, die die furchtbare Flutkatastrophe an der Nordseeküste hervorgerufen hat, und damit auch den Berlinern — da stimme ich völlig mit Ihnen überein —, bevor überhaupt weitere Schäden eintreten, rechtzeitig unter die Arme zu greifen, damit ihre Wirtschaft sich entsprechend weiterentwickeln kann. Mir scheint es notwendig zu sein — ich glaube, daß wir dafür auch das erforderliche Verständnis bei den Entwicklungsländern selber finden werden —, inmitten einer derartigen eigenen Zwangslage auch daran zu denken, die gröbsten Schäden mit Hilfe dieses Feuerwehrfonds — so haben wir den ERP-Fonds doch immer genannt — zu beseitigen.
Darf ich vielleicht, wenn ich jetzt auf die Entwicklungshilfe im besonderen zu sprechen komme, eine ein wenig ketzerische Meinung zum Ausdruck bringen. Ich bin nicht so sicher, ob die Freude, die wir bei der Übergabe eines Schecks oder bei der Leistung einer Unterschrift unter ein Kreditabkommen erregen, auch dann noch anhalten wird, wenn es darum geht, die Zinsen einzutreiben bzw. auf die Amortisation zu drängen. Ich möchte annehmen, daß unter Umständen die Freundschaft sehr schnell getrübt werden kann, wenn von der anderen Seite Verpflichtungen erfüllt werden müssen, auf die wir leider nicht verzichten können. Lassen Sie mich deshalb einmal meiner Überzeugung Ausdruck geben, die ich schon bei der Eröffnung der Deutschen Stiftung für Entwicklungsländer vor zwei Jahren in Berlin-Tegel deutlich unterstrichen habe: Es kann nach meinem Dafürhalten nicht die Hauptaufgabe des deutschen Volkes sein, nur durch finanzielle Beiträge den Entwicklungsländern zu helfen. Für uns wird in Zukunft die Hilfe bei der Ausbildung das Entscheidende sein

(Beifall bei der CDU/CSU und bei der SPD.)

Was wir in Gestalt einer Ausbildung von Facharbeitern, Meistern, Wissenschaftlern, vor allen Dingen auch Agrarhelfern, Verwaltungsbeamten in diesen Ländern investieren werden, und die Schulen, die wir dort neu errichten werden, das alles wird auf die Dauer ganz andere Frucht tragen als zeitweilig gegebene Kredite oder ein großer Geldhinfluß nach diesen Gebieten, dessen Kontrolle auch in der Zukunft wegen der hohen Empfindlichkeit dieser Völker immer ein überaus schwieriges Problem bleiben wird. Ich glaube, daß die Verlagerung der Ausbildung in diese Länder hinein — ich sage das ausdrücklich im Hinblick auf die Überfüllung unserer Hochschulen — eine der wesentlichsten Aufgaben in der Zukunft sein wird. Wir sollten dafür Sorge tragen, daß auch inmitten einer Hochkonjunktur den Kräften innerhalb unseres Volkes, die heute noch das notwendige Maß an Idealismus für eine solche Aufgabe aufbringen, die Möglichkeit gegeben ist, sich bei uns für eine solche Lehraufgabe im Ausland ausbilden zu lassen. Das wird ganz andere Frucht tragen als manche monumentalen Industriewerke, die wir dort draußen mit unseren Krediten errichten.
Die jüngste Entwicklung der Industrie in der ganzen Welt erweist eindeutig den Vorrang des Ausbildungsstands eines Volkes vor seinen natürlichen Rohstoffquellen. Sehen wir uns z. B. die Schweiz an! Sie ist ein geradezu schlagendes Beispiel dafür, daß es auf den technischen und wissenschaftlichen Ausbildungsstand eines Volkes entscheidender als dar-



Dr. Vogel
auf ankommt, wieviel Erdöl, wieviel Erz und wieviel Kohle in dem betreffenden Land verfügbar ist.
Ich bin bereits auf das Resteproblem zu sprechen gekommen, und ich möchte jetzt zum Schluß kommen; denn da wir beabsichtigen, hier anderthalb volle Tage zu diskutieren, sollten wir die einzelnen Reden nicht zu lang halten.
So schwierig die Finanzprobleme in der Zukunft auch sein mögen, im Haushaltsjahr 1962 sind sie lösbar. Der Herr Bundesfinanzminister hat hier im wesentlichen einige Grundzüge seines Lösungsvorschlags aufgezeigt. Wir werden innerhalb der nächsten drei Wochen diese Vorschläge im Haushaltsausschuß beraten, und ich glaube, wir werden eine vernünftige Lösung finden. Diese Lösung kann allerdings nur dann durchgesetzt werden, wenn sich dieses Hohe Haus zu den notwendigen Entschlüssen aufrafft. Wir sind überzeugt, daß ein Wille, der entschlossen sichtbar wird, durch einen ausbalancierten Haushalt die Währung stabil zu halten und damit den sichersten Baustein für einen weiteren stetigen Aufbau unseres Volkes beizutragen, auch von unserem ganzen Volk begrüßt werden wird.
Wir werden bis zur zweiten und dritten Lesung nur relativ wenig Zeit haben, in die Details der Probleme einzusteigen; denn die dritte Lesung werden wir bereits in vier Wochen haben. Noch nie ist dem zweiten Durchgang des Haushalts vor dem Bundesrat eine solche Bedeutung zugekommen wie in diesem Jahr. Wir vertrauen indessen auf eine entschlossene Führung der Bundesregierung durch den Herrn Bundeskanzler, der sich voll und ganz hinter ) die hier vorgetragenen Grundsätze der Finanzpolitik des Herrn Bundesfinanzministers gestellt hat.
Lassen Sie mich schließen mit einem alten lateinischen Grundsatz, einem römischen Grundsatz, der, glaube ich, in den kommenden Wochen, vielleicht im Jahre 1962 noch mehr Gültigkeit haben wird als heute: Ducunt fata volentem, nolentem trahunt. Das Schicksal führt den Wollenden, und es zieht den, der nicht will.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0401919500
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kreitmeyer.

Reinhold Kreitmeyer (FDP):
Rede ID: ID0401919600
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Wenn ich für die Fraktion der Freien Demokraten hier gleich zu Beginn erklären darf, daß der Haushalt im Gegensatz zu allen seinen Vorgängern unter dem Zeichen einer reichlich veränderten Lage steht, dann, sehr verehrter Herr Kollege Schoettle, glauben wir eben doch, daß der Herr Bundesfinanzminister in puncto Ausgaben nicht überdramatisiert hat. Denn es ist nun einmal unvermeidlich, festzustellen, daß diese jäh steigenden Ausgaben eben doch durch den 13. August verursacht sind. Wir stimmen durchaus dem Kollegen Vogel darin zu, daß man auf die Ausgaben vielleicht schon etwas früher hätte achten sollen und sie hätte zügeln sollen.
Aber wir sind auf der anderen Seite nicht etwa der Meinung, daß man den 13. August für alles verantwortlich machen kann; denn erstmals stehen wir gleichzeitig auch vor einem Rückgang der Einnahmen, der durch eine Verringerung des Wachstums des Sozialprodukts bedingt -ist. Wir müssen daher dem Herrn Bundesfinanzminister alle Unterstützung leihen, die erforderlich ist, um diesen schwierigen — um nicht zu sagen: zweifelhaft gedeckten — Haushalt in Ordnung zu halten.
Der entscheidende Umstand besteht doch darin, daß der Bund seine finanzielle Souveränität erstmalig verloren hat und von der wohlwollenden Hilfe der Länder abhängig ist. Tröstlich bei dieser Situation ist nur, daß der Ebbe in der Bundeskasse eine beachtliche Flut von Einnahmen auf der Länderebene gegenübersteht. Ein Landesfinanzminister würde sich hier sicherlich etwas zurückhaltender ausdrücken!
Insgesamt gesehen aber müssen wir feststellen, daß das Verlagern der Juliustürme von der Bundesebene — mit Umwegen über das Ausland — auf Länderebene nur erneut die Konstruktionsfehler in unserem Staate offenbart und nachdrücklich eine Korrektur erheischt, damit Bund, Länder und Gemeinden unter gleichen Bedingungen lebensfähig erhalten werden.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Wenn wir freien Demokraten jetzt wiederum Regierungsverantwortung übernommen haben, dann nicht zuletzt deshalb, weil wir das bewährte freiheitliche Wirtschaftssystem, dem wir vor mehr als 14 Jahren mit zum Durchbruch verholfen haben, nicht zerstören lassen wollen und nicht die vielen selbständigen Existenzen opfern wollen, die durch ihren Beitrag unseren Aufstieg mit ermöglicht haben. Die veränderte Situation führt zu der Forderung, daß man allen Teilen der Bevölkerung die Wahrheit nicht verheimlichen und den Mut besitzen sollte, die notwendigen Konsequenzen zu ziehen. Der Bundesfinanzminister hat diese Bedingung gestern vorbildlich erfüllt.
So schwierig die Situation auch sein mag, so muß man ihr doch die hoffnungsvolle Tatsache entgegenstellen, daß gerade die schweren Prüfungen, die unser Volk in den letzten Wochen in den verschiedensten Landesteilen durchleben mußte, eine unerwartete Bereitschaft und Einsatzfreudigkeit beim Auftreten von Gefahren offenbart haben und daß wir uns von dieser Seite keine Sorge im Hinblick auf eine schwere Zukunft zu machen brauchen.
Nun einige Sätze zu der Ausgabenseite! Beim Haushalt der Landesverteidigung, der in Verbindung mit den Verteidigungslasten und dem zivilen Bevölkerungsschutz eine Steigerung um 5,5 Milliarden DM erfährt, möchte ich nur die Forderung nach einer grundsätzlichen Überprüfung unserer Wehrpolitik stellen und auch dies nur im Hinblick darauf, daß bei allen unseren Bundesgenossen eine Überprüfung dieser Fragen in vollem Gange ist.
Einer nicht minder kritischen Überprüfung bedarf das Gebiet des zivilen Bevölkerungsschutzes. Jüngste Aufrufe lassen darauf schließen, daß man ihm endlich die Bedeutung einräumt, die er haben muß. Vier Jahre lang haben meine politischen Freunde und ich vergeblich die Herausgabe eines



Kreitmeyer
Weißbuches hierüber gefordert. Es ist sicherlich nicht leicht, zu entscheiden, welche unter den vielen kostspieligen Möglichkeiten und Methoden des Schutzes die zweckmäßigste ist. Aber wir sollten uns doch alle auf eine gemeinsame Mindestformel des Feuerschutzes, des Trümmerschutzes und des Schutzes vor radioaktivem Ausfall einigen können.
Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang ebenso, wie dies alle meine Vorredner getan haben, die Ausgaben im mittelbaren und unmittelbaren Kampf um die Erhaltung der Freiheit und Lebensfähigkeit Berlins behandeln. Wenn eine große verbündete Nation und wenn unsere Bundesgenossen uns immer wieder versichern, daß sie die Sache der Freiheit Berlins zu der ihren machen, dann können wir unter keinen Umständen mit unseren Anstrengungen in irgendeinem Punkte hinter unseren Freunden zurückstehen. Dieser Kampf um Berlin bedarf einer pausenlosen Führung und Nährung, nicht zuletzt durch eine weitere und intensivere Öffentlichkeitsarbeit. Ich verzeichne mit besonderer Freude, sehr verehrter Herr Kollege Schoettle, daß Sie in der gleichen Weise, vielleicht sogar noch drastischer als ich von dem „vorgeschobenen Posten Berlin" gesprochen haben.
Der Bundesfinanzminister hat in den Schlußworten seiner Rede seiner festen Überzeugung Ausdruck verliehen, daß wir in gemeinsamer Anstrengung in .der Lage sein werden, die Schwierigkeiten zu meistern. Dazu bedarf es aber eines gemeinsamen Willens in diesem Hause, zu dem ich alle Fraktionen aufrufe. Die Arbeit der Fraktionen im Haushaltsausschuß zeigt hoffnungsvollste Ansätze.
In der Lage, in der sich unser Volk befindet, dürfen wir den Haushalt 1962 nicht allein sehen. Diesen Haushalt hat der Bundesfinanzminister erst in einem späteren Stadium übernommen. Sein Ziel wird es sein, mit dem Haushalt 1963 eine Finanzpolitik einzuleiten, die uns in ,die Lage versetzen wird, alles für ,die äußere Sicherheit unseres Volkes zu tun, zugleich aber die dringend notwendig werdenden Reformwerke im Innern 'zu bewältigen, eine gesunde, wirtschaftliche Entwicklung zu sichern und die Stabilität der Währung zu erhalten. Bei jeder Forderung, die in diesem Hohen Hause in den nächsten Jahren erhoben wird, sollte an morgen und übermorgen gedacht werden.
Zum Sozialhaushalt möchte ich bei dieser Gelegenheit nur so viel bemerken, daß es dank der Marktwirtschaft gelungen ist, in der deutschen Nachkriegsgeschichte in kurzer Zeit ,die größte Not zu beseitigen. Wir sind — entgegen allen anders lautenden Vermutungen — bereit, in der Sozialpolitik die längst fälligen Reformen in Angriff zu nehmen, um das System der sozialen Sicherheit abzurunden. Bei langsamer steigenden Steuereinnahmen und schwächerem Wachstum des Sozialprodukts müssen jedoch die erforderlichen Schritte mit Bedacht vorgenommen werden. Es ist stets zu überprüfen, welche Weiterungen sich aus einem zu vollziehenden Schritt ergeben.
Wir sind der Bundesregierung zu Dank verpflichtet, daß sie bei den Brüsseler Verhandlungen über die Einleitung einer gemeinsamen Agrarpolitik in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft die nach dem Vertrage bestmögliche Ausgangsposition für die 'deutsche Landwirtschaft erreicht hat. Wäre es zu diesem Ergebnis nicht gekommen, so hätte für uns die Gefahr bestanden, daß der deutschen Landwirtschaft unabsehbare Mittel hätten zugeführt werden müssen, ohne daß sie damit bis zum Ablauf der Übergangszeit auf dem europäischen Markt konkurrenzfähig geworden wäre. Die jetzt im Bundeshaushalt trotz 'der großen Schwierigkeiten für den Haushaltsausgleich eingesetzten beträchtlichen Mittel werden angesichts der in Brüssel geschaffenen Ausgangsposition die deutsche Landwirtschaft in den nächsten Jahren in die Lage versetzen, sich für die Zeit nach dem Ablauf der Übergangsfrist wirksam vorzubereiten.
Es werden noch weitere Forderungen auf den verschiedensten Gebieten auf ,das Hohe Haus zukommen. Allen diesen Forderungen muß man entgegenhalten, daß man sich solcher Wünsche enthalten muß, solange noch keinerlei zusätzliche Mittel für die Opfer und Schäden der Flutkatastrophe und die Stärkung Berlins eingeplant sind. Erlauben Sie mir, daß ich die — allerdings nur von Ihnen persönlich, wie ich wohl sagen darf, gemachte — Bemerkung aufgreife, sehr verehrter Herr Kollege Schoettle. Es muß doch in Zukunft gelingen, wenn dazu der Wille des ganzen Hauses vorhanden ist, zu verhindern, daß unser Haushalt von der Ausgabenseite her durch zusätzliche gesetzliche Ausgaben während des Haushaltsjahres wieder durcheinandergebracht wird.
Zur Einnahmeseite sei nur bemerkt, daß die angekündigte nochmalige Überprüfung der Steuerschätzungen auch den letzten Zweifler innerhalb und außerhalb des Hohen Hauses überzeugen müßte, daß der Bundesfinanzminister bereit ist, his an die äußerste Grenze des nur irgendwie Vertretbaren zu gehen. Trotzdem wäre es angesichts der vorhandenen Reserven von 4 1/2 Milliarden DM, die sich außerordentlich unterschiedlich auf die Länder verteilen, ein Unding, zur Deckung des Bundesbedarfs neue Steuern zu erheben.
Der Bundesfinanzminister bemüht sich um eine gerechtere Gestaltung der Einkommen- und Lohnsteuertarife. Er hat damit nur einmal mehr bewiesen, daß er wirklich das letzte Bollwerk des Steuerzahlers ist. Der Deutsche Bundestag sollte ihn in dieser Rolle stärken, wo es immer möglich ist. Auch hier wird sich der Wille zu einer gemeinsamen Anstrengung unter Beweis stellen lassen. Wer durch kurzfristige Ausgabenanträge die Verwirklichung der von der deutschen Öffentlichkeit so einmütig begrüßten Ankündigung des Bundesfinanzministers gefährdet, wird dafür Rechenschaft ablegen müssen.
Aber auch der Bund muß bereit sein, seinerseits mit gutem Beispiel voranzugehen. Er tut es einmal, indem er sich in beträchtlichem Umfang an den Kapitalmarkt wendet. Trotz hoher Devisenüberschüsse sind wir nun einmal keine reichen Leute und verfügen über keine Reserven, sondern leben praktisch nur von der Hand in den Mund und stehen zugleich in der folgenschwersten Auseinandersetzung unserer Geschichte.



Kreitmeyer
Der eingeschlagene Weg, für das Jahr 1962 ohne gesetzliche Grundlage um eine Unterstützung durch die Länder zu bitten, war der einzig mögliche, um schnell zum Ziel zu kommen. Hier sind wir eben anderer Meinung, als es soeben von der Opposition dargetan wurde. Für die kommenden Jahre allerdings reicht es nicht mehr aus, diesen Weg zu gehen, und es ist auch nicht zumutbar, den Bund zum Dauerbittsteller zu machen.
Zur Finanzverfassung möchte ich an dieser Stelle jetzt nur bemerken, daß sie mehr als überfällig ist. Sie muß nun endlich so gestaltet werden, daß der dritten Säule in unserem. Staate, den Gemeinden, nicht nur die vermeintliche, sondern eine tatsächliche Selbständigkeit gegeben wird. Da der Mensch gewöhnt ist, sich selbst und seine Umwelt von seiner unmittelbaren Umgebung, seiner Häuslichkeit, seiner Heimatgemeinde — sei sie städtisch oder ländlich — her zu begreifen, wird es bei dieser Finanzverfassung darauf ankommen, ihm die Möglichkeit gerade zur Mitarbeit an der Gestaltung dieser kleineren Welt zu eröffnen. Das heißt, die kommunale Selbstverwaltung darf nicht nur auf dem Papier stehen, sondern es muß die echte Chance vorhanden sein, Demokratie von unten her zu praktizieren. Diese Forderung steht und fällt mit der finanziellen Selbständigkeit unserer Gemeinden.
Andererseits muß aber auch von Bund, Ländern und Gemeinden verlangt werden, daß sie ihre eigene Apparatur in Ordnung halten und, soweit das nur irgend möglich ist, rationalisieren. Es ist ) selbstverständlich, daß bei dieser Aufgabe die Parlamente selbst die entscheidendste Hilfestellung zu geben haben. Auch im Gesetzemachen ist eine Zurückhaltung geboten. Die Aufblähung des Apparates muß auch von dieser Seite her eingedämmt werden.
Dieser Haushalt verdient unsere besondere Aufmerksamkeit als ein finanzpolitisches Ereignis in der jungen Geschichte der Bundesrepublik. Was der Bundesfinanzminister aus Zeitmangel nicht mehr durchführen konnte, haben sich die Mitglieder des Haushaltsausschusses zur zusätzlichen Aufgabe gemacht. Sie sind bemüht, die zahlreichen 12 %igen Kürzungen bei den Einzelpositionen durch wenige größere Streichungen zu ersetzen. Dieses Unterfangen wird sicherlich nicht ohne Tadel für sie abgehen. Aber sie fühlen sich in dieser Aufgabe völlig solidarisch mit dem Bundesfinanzminister als letztem Bollwerk des Steuerzahlers. Die Mitglieder des Haushaltsausschusses betrachten den Titel „Streichorchester", wie es schon mehrfach betont wurde, nicht als negative Wertung. Denn nur so ist überhaupt noch ein Haushaltsausgleich zu erreichen, und wir wissen, daß die Gefahren beim nächsten Haushalt mindestens gleich groß, wenn nicht größer sind.
Der Bundesfinanzminister hat darauf hingewiesen, daß nicht nur die Auswirkung der Lohn- und Preisspirale und sonstiger dynamischer Regelungen der Währung gefährlich werden kann, sondern entscheidend auch die Ausdehnung der öffentlichen Haushalte. Wir fordern Tarifpartner und Wirtschaft zum Maßhalten auf. Wir müssen bereit sein, das, was wir anderen empfehlen, auch selbst zu tun. Auch wir müssen maßhalten und sparen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0401919700
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Niederalt.

Alois Niederalt (CSU):
Rede ID: ID0401919800
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es sind heute schon einige kritische Worte über den Haushalt 1962 gefallen. Wie Sie wissen, pflege auch ich bei den Haushaltsberatungen mit kritischen Bemerkungen nicht hinter dem Berge zu halten, und zwar einfach deshalb, weil nach meiner 'Meinung die Etatberatungen die klassische Gelegenheit zur Ausübung des Rechts des Parlaments 'zur Kontrolle gegenüber der Regierung sind. Daß auch wir, die Angehörigen der Regierungspartei, dieses Kontrollrecht des Parlaments gegenüber der Exekutive sehr ernst nehmen, haben wir, glaube ich, häufig unter Beweis gestellt, und wir — wir im Haushaltsausschuß — stellen es tagtäglich unter Beweis, manchmal sehr zum Leidwesen unserer Fraktionskollegen auf der Ministerbank. Aber darauf können wir nicht sonderlich Rücksicht nehmen, sondern wir glauben, unserer Funktion, unserer Aufgabe als Parlament nur gerecht werden zu können, wenn wir in diesem Fall eben die Sache vor die Person stellen.
Als Hauptpunkt meiner heutigen Kritik an diesem Haushalt 1962 möchte ich die außergewöhnliche Ausweitung des Haushaltsvolumens herausstellen. Herr Kollege Schoettle, Sie haben vorhin gemeint, es sei gar nicht so schlimm, denn der Durchschnitt der letzten Jahre habe gezeigt, daß das Anwachsen des Sozialprodukts ungefähr gleichmäßig mit dem Anwachsen der Ausgaben der öffentlichen Hand vor sich gegangen sei.
Es mag sein, daß es in den letzten Jahren im großen und ganzen so war. Aber bei diesem Haushalt stelle ich fest, daß er gegenüber dem Mammuthaushalt 1961 — wir dürfen ja nicht vergessen, daß wir schon im Jahre 1961 einen sehr großen Haushalt hatten — um genau 14,8 % angewachsen ist und daß das Anwachsen des Sozialprodukts sehr optimistisch auf 7,5 % geschätzt ist.
Nun weiß natürlich auch ich, Herr Kollege Schoettle, daß ein moderner sozialer Rechtsstaat den Haushalt nicht mehr nach dem früheren Bedarfsdeckungsprinzip aufstellen kann, daß in der heutigen Zeit der Haushalt weitgehend eine Umverteilungsfunktion haben muß. Die wollen wir ihm gut und gerne zugestehen. Aber das Bedenkliche, daß der prozentuale Zuwachs des Sozialprodukts nur halb so groß wie der Zuwachs des Haushalts ist, muß doch herausgestellt werden.
Nun sagt man gewiß mit Recht, das Anwachsen des Haushaltsvolumens in diesem Haushaltsjahr sei in der Hauptsache auf unsere gesteigerten Aufwendungen im Rahmen der zivilen und sonstigen Verteidigung zurückzuführen. Gewiß, diese Ausgaben sind gestiegen; sie machen 55 % der Steigerung aus. Aber leider stellen wir eben wiederum fest, daß auch die Ausgaben in allen anderen Ressorts gestie-



Niederalt
gen sind, und zwar auch dort, wo dies — nach meiner Auffassung jedenfalls — vielleicht hätte vermieden werden können.

(Abg. Dr. Conring: Sehr richtig!)

Es ist eben wiederum der alte Trend festzustellen, wonach die meisten Titel von Jahr zu Jahr, je nach der Größe des Titels um Zehntausende oder um einige Millionen Mark ausgeweitet werden.

(Abg. Dr. Conring: Schlechte Übung!)

In diesem Haushalt kommt ein Wörtchen, ein ganz kleines Wörtchen, sehr, sehr häufig vor. Sie lesen dieses Wörtchen in den Erläuterungen zu so vielen Titeln. Das Wörtchen heißt „Mehr" : Mehr infolge . . . Mehr wegen . . . , immer wieder das Wörtchen „Mehr". Nach diesem „Mehr infolge . . ." kommen meistens ganz plausible Gründe, warum der Ansatz erhöht werden mußte, plausible Gründe, die für sich allein gesehen eine Erhöhung des Ansatzes vielleicht rechtfertigen können. Wenn man aber diese ewigen Vermehrungen und Erhöhungen der Titel in einer Gesamtschau betrachtet, wenn man sie vor allem im Verhältnis zu der außerordentlich schwierigen Lage sieht, den Haushalt zu decken, wird man bei diesen Erhöhungen zu einem anderen Ergebnis kommen. Nur so darf der Haushalt gesehen werden. Wenn wir dazu kommen, jeden Titel für sich allein, gewissermaßen absolut, zu betrachten, meine Damen und Herren, werden wir der Ausweitung des Haushalts keinen Riegel vorschieben können.

(Abg. Dr. Vogel: Sehr richtig!)

Der Bundesfinanzminister selbst hat gestern eingestanden, daß wir mehr Geld ausgeben, als angebracht ist, vor allem, als angesichts der großen Schwerpunktaufgaben, die der Haushalt zu bewältigen hat, angebracht ist.
Aus dieser kritischen Bemerkung, die ich nicht unterlassen konnte, resultiert die Forderung an die Regierung und an das Parlament, bei den zukünftigen Haushaltsplänen mehr als bisher einige politische Schwerpunkte herauszustellen und bei den übrigen Ansätzen im Haushalt endlich einmal auf der Stelle zu treten. Wir sollten auf dieser schrecklichen Treppe, von der unser Freund Etzel seinerzeit, als er Bundesfinanzminister war, sprach, nicht weitergehen.
Kein Satz in der gestrigen Haushaltsrede hat mir so gut gefallen wie der, der die Ankündigung des Bundesfinanzministers enthielt, daß bei der Aufstellung des Haushalts 1963 die Ansätze des Haushalts 1962 grundsätzlich nicht überschritten werden dürfen. Das ist eine Forderung, die wir schon seit geraumer Zeit stellen. Wir sind sehr, sehr froh, daß sie von der Regierung akzeptiert wird. Ich werde diesen Satz „in meinem Herzen bewahren", um darauf zurückzukommen.

(Lachen und Rufe von der SPD: Ohl Oh!)

— Um darauf zurückzukommen; das letztere dürfen Sie nicht übersehen.
Nun, meine Damen und Herren, komme ich zu einem anderen, schwierigen Kapitel: Haushaltsausgleich, Deckungsmittel, Bund — Länder. Sie wissen, daß der vorgelegte Haushalt von den Ländern einen Betrag von rund 1,7 Milliarden verlangt. Als diese Forderung bekannt wurde, gab es bei den Ländern verständlicherweise große Aufregung. Ich muß aber sagen: im großen ganzen bin ich doch recht erfreut darüber, daß die Länder — zumindest in der Sitzung im Bundesrat — grundsätzlich ihre Verpflichtung anerkannt haben, dem Bund zu helfen. Wenn der Bund eine Rechnung aufmacht und dabei auf ein Defizit von 1740 Millionen DM kommt, dann ist es nur zu verständlich, daß die Länder sagen: „Da wollen wir doch auch einmal nachprüfen, da wollen wir auch einmal nachrechnen, ob es unbedingt so sein muß." Aber die prinzipielle Bereitschaft der Länder muß doch anerkannt werden.
Die Verhandlungen, die jetzt zwangsläufig mit den Ländern geführt werden müssen, erinnern mich an die Zeiten von 1952, 1953, als mein Freund Fritz Schäffer 'Bundesfinanzminister war. Er konnte kaum einen Haushalt vorlegen, der nicht eine große Unbekannte enthielt. Die große Unbekannte war der jeweilige Anteil des Bundes an der Einkommen- und Körperschaftsteuer. Damals hatten wir noch keinen festen 'Schlüssel. Im Haushaltsplan stand gewöhnlich eine ziemlich hohe Zahl, die natürlich die äußerste Forderung des Bundesfinanzministers darstellte. Man hörte aus der Presse, aus Verhandlungen im Bundesrat und aus Verhandlungen mit den Länderfinanzministern, daß die Länderfinanzminister 'diese hohe Zahl natürlich nicht anerkennen würden, so daß wir bei der Verabschiedung des Haushalts hier im Hause eigentlich nie hundertprozentig wußten, welches der Anteil wirklich sein werde, ob also die Ausgaben völlig gedeckt sind.
Die bisherigen Verhandlungen haben erfreulicherweise erkennen lassen, daß die Länder dem Bund helfen wollen. Was den Umfang der Hilfe anlangt, so haben die in den letzten Wochen geführten Verhandlungen gezeigt, daß die Länder bereit sind, von ihrem ursprünglichen Angebot von etwa 800 Millionen DM abzugehen und diese Summe um einige hundert Millionen aufzustocken. Man spricht heute schon von 1000 bis 1100 Millionen DM. Wenn wir von der Voraussetzung ausgehen, daß die Länder diesen Betrag an den Bund abgeben, ist, glaube ich, die Haushaltsdeckung einigermaßen gesichert. Natürlich hat der Bundesfinanzminister noch ein schweres Werk vor sich. Der Bundesfinanzminister wird in manchen Verhandlungen noch Detailrechnungen anstellen müssen. Aber die Sicherung des Haushaltsausgleichs zeichnet sich doch ab.
Ich gehe nur ganz kurz auf die Zahlen ein. Ich unterstelle, daß 1000 bis 1100 Millionen von den Ländern kommen. Man wird mit guten Gründen, und zwar mit guten 'sachlichen Gründen, nicht nur mit formellen Gründen, die Steuerschätzung bei der Einkommen- und Körperschaftsteuer und bei der Lohnsteuer um etwa 300 Millionen DM aufstocken können.
Wir vom Haushaltsausschuß haben uns darüber hinaus vorgenommen, über die im Haushalt vorgesehene 12%ige Kürzung, die 620 Millionen DM ausmachen würde, durch gezielte Sparmaßnahmen noch wesentlich hinauszukommen. Natürlich dürfen



Niederalt
wir in dieser Arbeit nicht gestört werden, auch nicht von unseren Freunden in den eigenen Fraktionen. Daß dabei nicht immer schöne Beschlüsse gefaßt werden können, ist selbstverständlich. Aber wenn wir zu einem Ausgleich kommen wollen, dann müssen wir Einsparungen vornehmen. Ich schätze, daß sie mit rund 300 Millionen DM über dem Betrag von 620 Millionen DM liegen werden, der im Haushalt enthalten ist.
Das ist nach meiner Auffassung eine moralische Pflicht des Bundestages, ich sage das ganz offen; denn was wir im Augenblick bezüglich der Deckung des Haushalts machen, ist nichts anderes, als daß wir um Nachbarschaftshilfe bitten. Wir erwarten von den Ländern Nachbarschaftshilfe, und jedermann, der um Nachbarschaftshilfe angeht, weiß, daß er sie nur fordern kann, wenn er selber alles getan hat, was in seiner Macht steht.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Deshalb sind wir, der Haushaltsausschuß, geradezu verpflichtet, diese Einsparungen vorzunehmen, ganz abgesehen davon — und jetzt beruhige ich diejenigen, die vielleicht die Zusammenhänge nicht so genau kennen —, daß alle bisherigen Einsparungen immer noch höhere Ansätze als den hohen Ansatz des Jahres 1961 zurücklassen. Mit anderen Worten: Unter die Ansätze des Jahres 1961 kommen wir sowieso in keinem Fall. Ich bin überzeugt, daß die zweite und die dritte Lesung, bis zu denen der Herr Bundesfinanzminister seine Verhandlungen mit den Ländern hoffenlich zu einem sichtbaren
Erfolg geführt haben wird, bezüglich der Deckung Klarheit schaffen.
Da ich aber nun vom Verhältnis Bund — Länder und von der Deckungsfrage spreche, möchte ich zwei Punkte unmißverständlich klar und deutlich herausstellen. Der erste Punkt: Keine Steuererhöhung, die nur darauf zurückzuführen ist, daß die Finanzmasse zwischen Bund und Ländern nicht richtig verteilt ist.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Das muß ein eiserner Grundsatz sein. Es ist unmöglich, in irgendeinem Zeitpunkt an eine Steuererhöhung zu denken, die nur darauf zurückzuführen ist, daß das Einkommen aus Steuern zwischen Bund und Ländern nicht richtig verteilt ist. Wir haben nur einen Staatsbürger, der Steuern zahlt. Er zahlt Steuern an die Gemeinde, er zahlt Steuern an das Land, er zahlt Steuern an den Bund. Dieser eine Staatsbürger würde es nicht verstehen, wenn er etwa nur wegen unrichtiger Verteilung zu höheren Lasten herangezogen würde. Ich bin glücklich sagen zu können, daß nach meiner Kenntnis der Dinge auch die Länder grundsätzlich auf diesem Standpunkt stehen.
Ein zweiter Punkt, der ebenso wichtig ist: Diese Beitragsregelung für den Haushalt 1962 muß ein einmaliges Provisorium sein.

(Sehr gut! bei der CDU/CSU.)

Es geht nicht an, daß etwa das System der Matrikularbeiträge langsam wieder Mode würde. Das politische Schwergewicht unserer Aufgaben, der Bundesaufgaben ist so groß, daß diese Aufgaben
unmöglich mit dem Matrikularbeitrag gelöst werden könnten. Das ist keine Methode: Der Bundesfinanzminister mit dem Hut in der Hand von Land zu Land — nein, das entspricht nicht der Bedeutung der Bundesaufgaben und nicht der Aufgabenteilung zwischen Bund und Ländern;

(Abg. Dr. Conring: Ist auch verfassungsrechtlich bedenklich!)

ganz abgesehen davon — Herr Conring, Sie nehmen mir den nächsten Satz schon weg —, daß es auch verfassungsrechtlich bedenklich wäre, denn die Verfassung sieht in Art. 106 klar vor, daß in diesen Fällen eben der Verteilungsschlüssel geändert werden muß. Wenn das in diesem Haushaltsjahr 1962 noch nicht geschehen ist und von der Regierung nicht vorgeschlagen wird und wurde, so hat das seine guten Gründe. Ich brauche mich darüber hier nicht im einzelnen zu äußern. Zeitdruck war mit maßgebend, und vor allem war maßgebend auch die Tatsache, daß man heute schwerlich den Umfang der unbedingt notwendigen Ausgaben des Jahres 1963 schon hundertprozentig sicher voraussehen kann.
Das sind also die beiden Punkte, auf die wir, glaube ich, unbedingt Wert legen müssen.
Nun haben bei der Auseinandersetzung zwischen Bund und Ländern um die Deckung im Bundesrat eine große Rolle auch die Ausgaben auf dem kulturellen Sektor gespielt. Das sind im wesentlichen die Ausgaben für die Wissenschaftsförderung, die Ausgaben für die Deutsche Forschungsgemeinschaft und die Max-Planck-Gesellschaft und die Ausgaben für die Studentenförderung. Der Bundesrat hat vorgeschlagen — im Hintergrund mit der Begründung: „Das sind ja Dinge, die in unsere Zuständigkeit fallen" —, zwar die Titel stehenzulassen, aber anstelle der Ansätze nur ein kleines bescheidenes Strichlein zu setzen. Jeder, der die Zusammenhänge kennt, weiß, daß mit diesem Strichlein natürlich einiges verbunden wäre, daß die Übertragung der Ausgaben auf die Länder natürlich nicht ohne Rückwirkung auf die Durchführung der Aufgaben wäre.
Das, glaube ich, können wir dem Bundesrat nicht abnehmen; dieser Vorschlag scheint mir nicht gut zu sein. Wir müssen vielmehr erwarten, daß die vom Bundesfinanzminister mit den Ländern noch auszuhandelnde Summe — sprich: 1000 bis 1100 Millionen DM etwa, so etwas liegt in der Luft — global und ohne Zweckbindung gegeben wird. Auf etwas anderes kann man sich, glaube ich, nicht einlassen.
Vor allem: Der Vorschlag des Bundesrates bezüglich der Wissenschaftstitel, so pauschal, ist schon deshalb nicht anwendbar, weil unter den Aufgaben, bei denen der Bundesrat das bekannte Strichlein anstelle der Ausgabenansätze setzen will, auch Aufgaben sind, für die nach unserer Verfassung zweifellos die Bundeszuständigkeit gegeben ist. Das sind vor allem die Ausgaben für die Forschungsgemeinschaft und die Max-Planck-Gesellschaft. Insoweit liegt unbestreitbar eine Aufgabe des Bundes vor. Aber auch bei den anderen Aufgaben, wo von der Verfassung her gesehen die Zuständigkeit der Län-



Niederalt
der wohl mehr im Vordergrund steht — ich denke an die Wissenschaftsförderung, die sich ja in der Hauptsache mit dem personellen und technischen Ausbau der Universitäten befaßt, was materiell gesehen nach unserer Verfassung im wesentlichen Aufgabe der Länder ist —, hat der Bund, das möchte ich doch deutlich herausstellen, eine Zuständigkeit und muß er eine Zuständigkeit haben im Rahmen seiner überregionalen Ausgleichsfunktion. Wenn wir dem Bund diese überregionale Ausgleichsfunktion auf diesem Gebiet nicht zuerkennen, hätte das zur Folge, daß auf diesem so wichtigen kulturellen Gebiet eine völlig ungleiche Entwicklung Platz greifen würde, weil bekanntlich in unserer Bundesrepublik die Wirtschaftslage der Länder nicht gleich, sondern sehr unterschiedlich ist, weil die reichen Länder dann auf diesem Gebiet sehr viel mehr tun könnten als die sogenannten armen Länder. Insoweit ist also auf jeden Fall im Interesse einer gleichmäßigen, vernünftigen Entwicklung eine überregionale Ausgleichsfunktion des Bundes anzuerkennen.
Nun sagen einige Superkluge, diese überregionale Ausgleichsfunktion des Bundes könnten auch die Länder durch Gemeinschaftseinrichtungen übernehmen. Meine Damen und Herren, ich habe schon vor einem Jahr oder vor einem halben Jahr von dieser Stelle aus gesagt, daß ich diese Entwicklung erstens für verfassungswidrig und zweitens für politisch unmöglich halten würde, und zwar deshalb, weil sie vom Bundesstaat zum Staatenbund führen würde,

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

abgesehen davon, daß es keine Lösung gibt für überörtliche Gemeinschaftseinrichtungen und Verwaltungseinrichtungen der Länder, die praktikabel ist, denn für alle diese Einrichtungen wären in der Praxis einstimmige Beschlüsse der Kabinette bzw. der Parlamente erforderlich, und man weiß ja inzwischen aus der Praxis, daß bei elf Ländern die Einstimmigkeit nicht sehr leicht erreichbar ist.
Ich meine also, diese Dinge müssen klargestellt werden. Allerdings möchte ich den Ländern gern zugestehen, daß wir bei der Aufstellung des Haushalts — Herr Bundesfinanzminister, Herr Bundesinnenminister, das wäre zu beachten — auf eine vernünftige Ausgaben- und Aufgabenverteilung auf diesem 'Gebiet mehr Rücksicht nehmen müssen, als es im Haushalt 1962 der Fall ist. Ich denke hier gerade an die Wissenschaftsförderung. Es ist nicht notwendig, 'daß hier ein Betrag von 250 Millionen DM mit der Klausel eingesetzt wird, daß auch die Länder einen Beitrag von 250 Millionen DM leisten. Wenn wir davon ausgehen, daß insoweit der Bund nur seine Überregionale Ausgleichsfunktion zu erfüllen hat, können wir hier den Bundeshaushalt durch einen wesentlichen Betrag entlasten, indem wir den Bund auf' die überregionale Ausgleichsfunktion verweisen, so daß die automatische Einschaltung des Bundes etwa bei Baumaßnahmen z. B. an Universitäten in Nordrhein-Westfalen ausscheidet; denn es wäre eine sinnlose Geldübertragung zunächst von den Ländern auf den Bund und dann vom Bund auf die Länder, wenn wir überall, in allen Ländern, bei Länderaufgaben vom Bund Zuschüsse geben würden. Insofern sollte also bei Aufstellung des Haushalts 1963 die verfassungsmäßige Zuständigkeit der Länder, gerade was die Wissenschaftsförderung anlangt, berücksichtigt werden.

(Abg. Dr. Conring: Sehr notwendig!)

Meine Damen und Herren! Es ist vor allem in der Haushaltsrede, aber auch von meinen Herren Vorrednern schon angedeutet worden, daß wir in diesem Jahre, wie es scheint, zum erstenmal an einer Wende in der Haushaltspolitik stehen. Nun muß man ja mit Formulierungen wie „Wende in der Haushaltspolitik", „am Rande des Defizits" usw. sehr vorsichtig sein. Wir wissen alle aus 'der Vergangenheit, daß wir in früheren Jahren sehr hohe Steuereinnahmen in den Haushalt eingesetzt haben, daß alle wissenschaftlichen Institute erklärt haben, mehr könne man bestimmt nicht verantworten, und daß wir trotzdem jedesmal durch noch höhere Steuereinnahmen überrascht worden sind. Daraus ist leider Gottes auch bei uns im Parlament eine Übung entstanden, die nur sehr schwer wieder zu beseitigen ist. Man hat sich nämlich daran gewöhnt, daß man im großen und ganzen alle Wünsche berücksichtigen kann, auch wenn die Haushaltsleute anfangs ein bedenkliches Gesicht gemacht haben. Deshalb muß man das Wort von der Wende in der Haushaltspolitik mit Vorsicht auffassen.
Dennoch bin ich persönlich davon überzeugt, daß wir in diesem Jahr an einer Wende sind. Sie ist sichtbar in dem Haushaltsdefizit von 1700 Millionen DM; denn ganz streng genommen ist der Haushalt ja nicht ausgeglichen vorgelegt worden, sondern er enthält als Einnahme einen Betrag von 1700 Millionen, die wir von den Ländern erwarten, obwohl von ihnen noch keine definitive Zusage vorliegt. Insofern jedenfalls ist die Wende sichtbar. Das bedeutet — und da stimme ich wieder hundertprozentig mit dem überein, was gestern Bundesfinanzminister Starke in seiner Haushaltsrede gesagt hat — für uns im Parlament die ernste Mahnung, doch das zu tun, was die alten Griechen mit weiser Mäßigung immer ausgedrückt haben: eine gewisse Zurückhaltung, nicht das Hektische unserer Zeit, auch in die Haushaltsgebarung hineinzutragen, nicht alles auf einmal, wie gestern Bundesfinanzminister Starke sehr richtig gesagt hat. Nur wenn wir hier im Bundestag ebenso wie in den Parlamenten der Länder sichtbar werden lassen, daß sich eine Wende in unserer Ausgabenpolitik anbahnt, nur wenn wir bereit sind, dafür die Voraussetzungen zu schaffen, nur dann können wir mit Fug und Recht erwarten, daß man auch in unserem Wirtschaftsleben, draußen bei den Tarifpartnern, bei den Arbeitgebern und den Arbeitnehmern, davon Kenntnis nimmt, daß es so nicht mehr weitergeht.
Dabei liegt mir eine Bemerkung auf der Zunge, die ich nicht unterdrücken möchte. Man sagt so gern: Bundesbank — Hüterin der Währung, Bundesfinanzminister — Hüter der Währung, Parlament — Hüterin der Währung. Das stimmt alles nicht ganz, denn bei den Genannten handelt es sich nur um Teile, die zur Stabilität unserer Währung beitragen. Die Tarifpartner, die draußen im Rahmen ihrer
65R Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 19, Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. März 1962
Niederalt
Tarifautonomie handeln, sind mindestens genauso Hüter der Währung.

(Beifall bei den Regierungsparteien.) Das müssen wir festhalten.

Diese Wende in der Haushaltspolitik — und damit richte ich wiederum eine Bitte an die Bundesregierung — muß aber in allen Teilen des Haushalts zum Ausdruck kommen, auch in den Teilen, die das Personal betreffen.

(Sehr gut! bei der CDU/CSU.)

Sie wissen, daß wir bei den jetzigen Haushaltsberatungen die Personalfragen ausgeklammert haben, um einigermaßen bis Ostern mit der Beratung hinzukommen, und daß auf die Mitglieder des Haushaltsausschusses die „angenehme" Aufgabe zukommt, in den schönen Monaten Mai und Juni die Personalfragen zu beraten. Meine Damen und Herren von der Regierung, falls Sie das Wort „Wende der Haushaltspolitik" ernst nehmen, beweisen Sie das bitte, indem Sie uns bei diesen Beratungen unterstützen. Wir, die wir uns mit dem Haushalt zu beschäftigen haben, erwarten das von Ihnen.

(Beifall in der Mitte.)

Was jetzt im Haushaltsplan an Personalwünschen enthalten ist, ist zuviel. Darüber gibt es gar keinen Zweifel.

(Abg. Börner: Sehr richtig!)

Da ist noch nichts von der „Wende in der Haushaltspolitik" zu spüren. Da möchten wir von der Bundesregierung zu unserer Entlastung — lassen Sie uns doch auch noch etwas leben! — neue, vernünftigere Vorschläge sehen, nicht die Ansätze des Haushalts.
Noch ein Wert zu der Aufstellung des Haushalts 1963. Sie ist, das zeichnet sich klar und deutlich ab, noch schwieriger als die des Haushalts 1962. Die Regierung wird sich sehr ernst überlegen müssen, ob gewisse Tabus noch aufrechterhalten werden können. Wenn ich „Tabus" sage, so meine ich gewisse gesetzliche Bestimmungen, die eine Automatik in der Ausgabe nach sich ziehen, gesetzliche Bestimmungen, die Zweckbindungen enthalten, reine Spezialgesetze, aus denen sich die Ausgaben automatisch ergeben, die dann nur noch in den Haushalt zu übertragen sind, wobei weder das Parlament noch die Regierung irgend etwas zu äußern hat. Diese Tabus werden von der Regierung angegriffen werden müssen. Nach meiner Überzeugung müssen wir aufräumen unter diesen „heiligen Kühen"; die sind bei uns nicht so heilig.

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und rechts.)

Mit dieser Bitte — beinahe hätte ich gesagt: mit diesem Aufruf an die Bundesregierung — möchte ich schließen, indem ich mein Ceterum censeo sage: Landgraf, werde endlich hart!

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0401919900

(Möller. Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller Man hätte spätestens auf Grund des Urteils des Bundesverfassungsgerichts über die Tilgung der Ausgleichsforderungen Veranlassung nehmen müssen, sich ernstlich über eine Neuordnung in der Verteilung der Aufgaben und der Zuweisung von Steuereinnahmen zu unterhalten und zu einer Verständigung mit den Ländern zu kommen. Ich möchte darauf aufmerksam machen, daß zu dieser Frage und eng damit zusammenhängend zu Art. 120 des Grundgesetzes, zu der Regelung der Kriegsfolgelasten, überhaupt nichts gesagt worden ist und daß eine gesetzliche Regelung, die sich aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts ergeben müßte — und zwar nicht nur für die Tilgung, sondern zweifellos auch für die Verzinsung der Ausgleichsforderungen —, noch aussteht. Der zweite Tatbestand, über den noch gesprochen werden muß, weil er Sünden der Vergangenheit aufzeigt, ist der, daß statt einer wegweisenden finanzpolitischen Konzeption mit Schwerpunkten immer die Vielzahl der Ressortstandpunkte den finanzpolitischen Rahmen abgesteckt haben, und dieser finanzpolitische Rahmen erhielt von der Koalition vor den Bundestagswahlen einen anderen Lack. Insoweit ist die Rede des Herrn Bundesfinanzministers am gestrigen Tage besonders beachtlich. Eine angesehene Zeitung hat heute morgen seine Ausführungen wie folgt kommentiert: Pointierter als der neue 'Finanzminister hat kaum ein Oppositionsredner den finanzpolitischen Schlendrian der letzten Jahre gerügt. (Heiterkeit bei der SPD. — Zurufe von der CDU/CSU.)


(Zurufe von 'der Mitte: Ist längst geregelt!)

- Das schreibt die „Stuttgarter Zeitung" von heute morgen!

(Abg. Niederalt: Da sind wir aber froh, daß das kein Evangelium ist!)

— Ja, aber ich habe nicht sehr viel anders gestern die Rede des Herrn Bundesfinanzministers und



Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller
seinen Notschrei — Ziffer 76 der Rede — verstanden,

(Heiterkeit)

nämlich den Notschrei — ich zitiere wörtlich —:
Ich darf zunächst an die Bundesregierung und an dieses Hohe Haus appellieren, den Bund für 1962 nicht mit zusätzlichen Ausgaben zu belasten, weder im Haushalt noch durch neue Gesetze.
Meines Wissens ist es ungewöhnlich, daß in einem solchen Stadium der Herr Bundesfinanzminister im Parlament

(Zuruf von der Mitte: Das ist gar nicht ungewöhnlich! Das haben wir sehr häufig gehört!)

auch an die Bundesregierung appellieren muß; das ist ganz zweifellos auf gravierende Umstände zurückzuführen.

(Abg. Dr. Conring: Das haben wir schon von Herrn Schäffer gehört! — Abg. Dr. Vogel: Das haben die Vorgänger auch getan! Sie können es nachlesen!)

Dann darf ich noch einmal festhalten, was der Herr Bundesfinanzminister dem Hohen Hause mitgeteilt hat: Es hat sich um Anforderungen der Ressorts in Höhe von 11,6 Milliarden DM gehandelt; es war ihm möglich, davon 3,5 Milliarden abzuhandeln.

(Abg. Dr. Conring: Das ist doch seines Amtes!)

Es sind noch 8,1 Milliarden DM als unabweisbar übriggeblieben.
Ich kann mir nicht vorstellen, daß der frühere Herr Bundesfinanzminister Etzel seinem Nachfolger ein solches Erbe hinterlassen hat. 'Es wäre immerhin interessant, zu erfahren, welches Haushaltsvolumen vorhanden gewesen ist, als 'der frühere Bundesfinanzminister Etzel noch die Dinge mitbeeinflußt hat. Ich kann mir nicht vorstellen, daß eine so erhebliche Erhöhung — eine Erhöhung um 11,6 Milliarden DM — seine Billigung gefunden haben könnte.
Im übrigen erinnere ich an den Art. 113 des Grundgesetzes. Dieser Art. 113 behandelt die Ausgabenerhöhungen und sagt:
Beschlüsse des Bundestages und des Bundesrates, welche die von der Bundesregierung vorgeschlagenen Ausgaben des Haushaltsplanes erhöhen oder neue Ausgaben in sich schließen oder für die Zukunft mit sich bringen, bedürfen der Zustimmung der Bundesregierung.
Das bedeutet, 'daß die 'Bundesregierung — die früheren Bundesregierungen waren entweder eine Koalitionsregierung von CDU/CSU und FDP oder wurden von der CDU/CSU getragen — in vollem Umfange auch die Verantwortung für die hier von allen Rednern beklagte finanzpolitische Situation zu tragen haben.
Drittens. Gerade in schwierigen Lagen darf es nach unserer Auffassung keine Überbewertung von Ausgabenpositionen und keine Unterbilanz bei den
Einnahmen geben. Man muß sich bemühen, beide Positionen möglichst realistisch zu schätzen. Der finanzwirtschaftliche Teil des Regierungsprogramms der SPD bietet dafür den besten Beweis.

(Zuruf von der CDU/CSU: Reine Milchmädchenrechnung!)


(daß das Ist-Ergebnis 1961 78,6 Milliarden DM beträgt und die Schätzungen für das Jahr 1962 sich auf 86,9 Milliarden DM belaufen; das ergibt den Betrag von 165,5 Milliarden DM und eine Differenz von 0,7 Milliarden DM gegenüber unseren Schätzungen. Das kann man also nicht als eine Milchmädchenrechnung bezeichnen. — Über die Ausgabenseite dieses Programms hat es so viele Berechnungen von Ihrer Seite gegeben, daß wir schon während des Wahlkampfes im vorigen Jahr empfohlen haben, Sie möchten sich doch wenigstens auf eine Zahl einigen, damit man sich mit dieser Zahl auseinandersetzen kann. Sehen Sie sich doch einmal das vom Industrieinstitut herausgegebene Büchlein an. Dort ist man bei der Aufrechnung zu einer Belastung von rund 18 Milliarden DM gekommen. (Zuruf von der Mitte: Diese Berechnung stammt doch nicht von uns!)


(Zuruf von der CDU/CSU: Aber die Ausgabenseite!)


(Beifall bei der SPD.)

— Ich nehme an, auch Sie sind der Auffassung, daß dort immerhin einige Experten sitzen. Ich möchte feststellen, daß diese 18 Milliarden DM, geplant für eine Legislaturperiode, doch immerhin beachtlich abstechen von der Mehrforderung der Ressorts für das Etatjahr 1962 in Höhe von 11,6 Milliarden DM, wobei wir hinter erhebliche Positionen dieser Rechnung noch ein Fragezeichen setzen müssen.
Was nun die Steuereinnahmen des Bundes angeht, so haben wir sie für 1961 auf 42 Milliarden DM geschätzt. Das ist alles nachzulesen. Herausgekommen sind 41,5 Milliarden DM. Für das Jahr 1962 sind wir von Steuerschätzungen in Höhe von 44,4 Milliarden DM ausgegangen, und Sie schätzen jetzt Steuereinnahmen für den Bund in Höhe von 45,6 Milliarden DM. Ich meine also, daß sich diese unsere Schätzungen durchaus sehen lassen können.
Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie in Zukunft von Bezeichnungen wie „Milchmädchenrechnung" absähen; denn sie würden weder objektiv sein noch Sachverstand verraten.

(Beifall bei der SPD.)

Hinsichtlich der Steuerschätzungen gibt es, wie Sie wissen, eine Differenz. Sie ist am heutigen Vormittag schon mehrere Male erwähnt worden. Bei der Steuer vom Einkommen schätzt der Bund ein Mehr von 14,9 %, die Länder schätzen ein Mehr von



Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller
18 %. Wir sind der Auffassung, daß diese Differenz von 291 Millionen DM, wie Herr Kollege Schoettle schon vorgetragen hat, vom Bundesfinanzminister übernommen werden sollte, da wir bei den Schätzungen von Bund und Ländern doch den gleichen Ausgangspunkt anerkennen müssen.
Im übrigen kann ich nur einen Satz aus einem vor kurzem erschienenen Artikel von Herrn Dr. Muthesius zu der Haushaltslage des Bundes unterstreichen: „Es hat auch in den vergangenen Jahren" — so sagt Dr. Muthesius — „des öfteren nicht an Dramatisierungseffekten gefehlt." Und auf Dramatisierungseffekte sollten wir im Hinblick auf den Ernst der Lage, in der sich die Bundesrepublik Deutschland und Berlin befinden, wirklich verzichten, weil nie so sehr wie jetzt eine pessimistische Beurteilung zu Fehlschlüssen und Fehlhandlungen führen könnte.

(Beifall bei der SPD.)

Im übrigen, meine Damen und Herren, sind wir dem Herrn Bundesfinanzminister sehr dankbar, daß er uns gestern auch den Finanzbericht 1962 hat überreichen lassen. Ich kann mich dem Urteil der Herren Kollegen, die erklärt haben, daß es sich hier um eine besonders wertvolle, ausgezeichnete Arbeit handelt, nur anschließen. Gerade diese Arbeit, die Sie wahrscheinlich auch als einen objektiven Ausgangspunkt für eine Stellungnahme, eine Beurteilung anerkennen, erleichtert uns diese Beurteilung.
An dieser Stelle darf ich einmal auf die Entwicklung der Steuereinnahmen des Bundes hinweisen. Man muß sich diese Zahlen noch einmal vor Augen führen, um zu erkennen, welcher Wert der jetzigen Prognose beizumessen ist. 1951 hatten wir beim Bund Steuereinnahmen von 14,6 Milliarden DM, 1956 von 26,1 Milliarden DM, 1961 von 41,5 Milliarden DM, und für 1962 werden, wie ich schon vorhin sagte, die Einnahme des Bundes auf 45,6 Milliarden DM beziffert. Das bedeutet für 1962 gegenüber 1961 immer noch ein Mehr von 4,1 Milliarden DM.
Wenn Sie sich nun einmal die Zuwachsrate in der 3. Legislaturperiode des Bundestages ansehen und sie mit der in unserer augenblicklichen Situation vergleichen, so stellen Sie fest: die Zuwachsrate betrug 1957 3,3 %, 1958 4,3 %, und sie ist später entsprechend gestiegen. Wenn wir also jetzt im ersten Jahr unserer Tätigkeit im 4. Bundestag mit einer Zuwachsrate von 10 % rechnen, dann ist das immerhin erheblich mehr als die tatsächliche Zuwachsrate 1957 mit 3,3 % oder 1958 mit 4,3 %.
Mein Kollege Schoettle hat schon auf das Verhältnis der Entwicklung des reinen Finanzbedarfs und des Wachstums des Bruttosozialproduktes hingewiesen. Es ist doch wohl nicht zu bestreiten, daß man ein solches Verhältnis nicht nur für den Ablauf eines Jahres ermitteln kann, sondern daß man eine solche Prüfung auf einen größeren Zeitraum zu erstrecken hat. Es ist durchaus nicht notwendig, daß die Entwicklung des Finanzbedarfs in einem Jahr mit dem Wachstum des Bruttosozialprodukts übereinstimmt. Das haben die letzten zehn Jahre erwiesen. Denn bei einem Vergleich der Zuwachsraten von 1952 bis 1961, also für zehn Jahre, können wir feststellen, daß die Zuwachsrate des Finanzbedarfs in sieben Jahren höher war als die des Bruttosozialproduktes; die Zuwachsrate des Bruttosozialproduktes lag in den letzten zehn Jahren fünfmal unter 9,9 %.
Nun hat der Herr Finanzminister gestern erklärt—nachzulesen unter Ziffer 76 des Manuskripts seiner Rede —, ab 1963 könne deshalb mit den bisherigen Wachstumsraten auch bei den Steuereingängen nicht mehr gerechnet werden. Das, was ich hierzu aus der Vergangenheit vorgetragen habe, vermag eine solch düstere Prognose nicht zu rechtfertigen. Seine eigenen Schätzungen, die für 1962 immerhin noch eine Zuwachsrate von 10 % enthalten, weichen von dieser Prognose ab. Ich darf hier noch einmal zwei Zahlen nennen, nämlich die Steuereinnahmen des Bundes von 1957 mit 26,9 Milliarden DM und von 1961 mit 41,5 Milliarden DM. Man muß doch wohl anerkennen, daß dieser gewaltige Zuwachs an Steuereinnahmen dem Bund hinsichtlich seiner Ausgaben eine besondere Manövrierfähigkeit verschafft hat. Es bestehen lediglich etliche Meinungsverschiedenheiten über die Schwerpunkte, die man in der Ausgabenwirtschaft, insbesondere beim Bund, zu beachten hat.
Da wir vor der Mittagspause stehen, muß ich leider darauf verzichten, die Statistiken auf Seite 46 des Finanzberichts zu kommentieren. Dort ist der Anteil von Bund, Lastenausgleichsfonds, Ländern und Gemeinden am Steueraufkommen wiedergegeben. Ich will nur festhalten, daß diese Statistik noch einmal die Notwendigkeit unterstreicht, im Zuge einer Finanz- und Steuerreform dafür zu sorgen, daß auch die Gemeinden finanziell in die Lage versetzt werden, ihre wichtigen Aufgaben zu erfüllen. Wir sollten gerade in dieser Diskussion nicht vergessen, daß nicht nur beim Bund ein Finanzbedarf vorhanden ist, sondern daß auch die Länder und Gemeinden wichtige, bedeutungsvolle Aufgaben für Volk und Staat zu erfüllen haben. Wir werden darüber noch sprechen müssen, wenn der Antrag auf Einsetzung einer Expertenkommission aus den Beratungen der Ausschüsse ins Plenum zurückkehrt.
Ein Wort nur zu der Statistik im Finanzbericht, die sich mit dem Länderfinanzausgleich beschäftigt. Immerhin müssen vier Länder für das Jahr 1962 im internen Ausgleich 1623 Millionen DM aufbringen. Dabei darf nicht die Auswirkung der Flutkatastrophe übersehen werden. Diese vier Länder sind Nordrhein-Westfalen mit 843 Millionen DM, Baden-Württemberg mit 252 Millionen DM, Hessen mit 160 Millionen DM und Hamburg mit 368 Millionen DM. Rückwirkungen der Flutkatastrophe werden diesen Länderfinanzausgleich ändern und werden zu anderen Belastungsquoten bei den finanzstarken Ländern führen.
In Ziffer 79 hat der Herr Bundesfinanzminister einen Katalog der Leistungen der Bundesrepublik Deutschland, insbesondere der Bundesregierung, aufgeführt und dabei unter anderem darauf hingewiesen, daß der Bund auch die Auslandsschulden weitgehend bezahlt habe. Die Übersicht über den Schuldenstand, die im Finanzbericht nach dem Stand vom 31. Dezember 1960 wiedergegeben ist, ist be-



Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller
sonders interessant. Wir behalten uns vor, im Laufe der weiteren Beratung des Bundeshaushaltes hierauf noch einmal zurückzukommen, weil gerade diese Schuldenübersicht — verbunden mit der Feststellung des Herrn Bundesfinanzministers, daß die Auslandsschulden weitgehend bezahlt seien —, weil also diese geänderte Situation, die für 1962 festgehalten werden muß, doch Rückschlüsse ermöglicht hinsichtlich des Versuches des Bundes, an den Kapitalmarkt zu gehen. Ich trete völlig der Auffassung des Herrn Kollegen Vogel bei, daß man für eine langfristige Anleihe nicht unbedingt einen Betrag von 1 Milliarde DM als Grenze, die nicht überschritten werden darf, anzusehen braucht. Ich meine auch, daß der Bund in stärkerem Umfange als bisher mit Schatzanweisungen, mit Kassenobligationen arbeiten sollte, zumal mir das eine sehr wichtige und zweckmäßige Brücke vom Geld- zum Kapitalmarkt zu sein scheint.
Der Herr Bundesfinanzminister hat in Ziffer 80 seiner Rede ein sehr böses Wort gesprochen. Er hat gesagt, das Grundübel der letzten Jahre liege in dem Ruf und der darin eingeschlossenen Praxis „Alles auf einmal". Ich füge hinzu, daß im nächsten Absatz vom Herrn Bundesfinanzminister eine erhebliche Abschwächung vorgenommen worden ist, wo bemerkt wird: „Gewiß, die Aufbaujahre standen unter dem Druck der Unaufschiebbarkeit." Ich meine, das ist wohl der entscheidende Gesichtspunkt. Man kann offen darüber reden, daß Interessengruppen in Bonn in den vergangenen Jahren eine besondere Rolle spielen konnten. Man kann aber nicht alles in einen Topf werfen und unterstellen, daß die Bevölkerung und insbesondere die, die es angeht, alles auf einmal haben möchte. Das trifft nur für Teile unseres Volkes zu.
Sicherlich trifft das nicht für die Teile zu, auf denen die Kriegsfolgeschäden lasten. Sie können nicht davon sprechen, alles werde auf einmal gefordert, wenn Sie an den großen Teil des Volkes denken, der unter den Lastenausgleich fällt, der immerhin von 1949 bis 1979 läuft, also 30 Jahre. Es ist sicher nicht richtig, wenn man unterstellt, unser Volk sei so materialistisch und so wenig zu zügeln, daß es alles auf einmal haben wolle. Ich erkläre, große Gruppen der sozial Bedrängten haben in den vergangenen Jahren eine Langmut bewiesen, die staatspolitisch nicht hoch genug eingeschätzt werden kann.

(Beifall bei der SPD.)

Wir alle sollten das in diesem Zusammenhang einmal dankbar vermerken.
Lassen Sie mich noch etwas hinzufügen. Ich habe in früheren Jahren einiges mit dem Personenkreis zu tun gehabt, der unter den Komplex Wiedergutmachung fällt. Hier wird die Anklage erhoben, es werde alles auf einmal gefordert. Was sich aber gerade bei diesen Personen an menschlicher Tragik, an Bürokratismus vollzogen und was sich da an mangelndem Willen zu helfen gezeigt hat,

(Beifall bei der SPD)

paßt eigentlich nicht in diesen demokratischen
Staat. Wir sind da der Meinung, die im Manifest
der Acht zum Ausdruck kommt, aus dem ich folgende Sätze zitieren möchte:
Es wäre eine Illusion, zu meinen, die Verteidigung gegen den Kommunismus sei in erster Linie Sache der Außenpolitik und der Rüstung. Die Entscheidung darüber, ob unsere Gesellschaftsordnung der Herausforderung durch den Kommunismus gewachsen ist, fällt auf den Gebieten der Sozialpolitik und der Kulturpolitik, die nur in ihrem wechselseitigen Zusammenhang richtig verstanden und vernünftig geplant werden können.
Das ist auch unsere Auffassung, und gerade deswegen müssen wir manche Schwerpunkte der Haushalte in Bund, Ländern und Gemeinden anders sehen. Wir möchten, daß die Bundesrepublik Deutschland durch einen bewußten Ausbau zu einem — wie der Art. 20 des Grundgesetzes vorschreibt — demokratischen und sozialen Bundesstaat wird, in der Gewißheit, daß nur ein solcher Staat lebensfähig und krisenfest ist. Wir möchten einen solchen Staat auch im Staatsbewußtsein eines jeden einzelnen Bürgers verankert wissen. Wir möchten, daß jeder einzelne Bürger eine solche Verbindung zu unserem Staat bekommt, daß er sagt: Der Staat bin ich, der Staat sind wir alle. Wenn wir diese Auffassung durch unser politisches Handeln erreichen, haben wir, meine ich, einen entscheidenden Schritt getan, um das Bollwerk gegen den Kommunismus zu verstärken.

(Beifall bei der SPD.)

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich mit den Worten schließen, die der Herr Bundesfinanzminister am Ende seiner Rede gesagt hat:
Ich bin der Überzeugung, daß wir trotz der
aufgezeigten echten Schwierigkeiten in gemeinsamer Anstrengung die Lage meistern werden,
— diese Gemeinsamkeit möchte ich besonders hervorheben —
und ich möchte deshalb meine Ausführungen mit den Worten des Odysseus an seine Begleiter, die vor der Scylla erschraken, schließen:
— Herr Kollege Vogel hat sich darauf bezogen. Das hat mir den letzten Mut gegeben, mich auch darauf zu beziehen; warum, das werden Sie gleich merken —
Freunde, wir sind ja bisher nicht ungeübt in Gefahren.
— Das kann man wohl sagen, auch bei allen aktuellen Ereignissen!

(Heiterkeit.)

Und ich hoffe, wir werden uns einst auch dieser erinnern.
Nun, meine Damen und Herren, die Syclla wird vom Homer im 12. Gesang wie folgt beschrieben:
Diese Höhle bewohnt die fürchterlich bellende Scylla, deren Stimme hell wie der jungen saugenden Hunde Winseln tönt;
sie selbst ein greulich Scheusal, daß niemand ihrer Gestalt sich freut,
wenn auch ein Gott ihr begegnet.



Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller
Bei ,allen Vorbehalten, — so, Herr Bundesfinanzminister, möchte selbst die Opposition Ihren Bundeshaushalt nicht sehen.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD.)


Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0401920000
Meine Damen und Herren, wir treten in die Mittagspause ein. Der nächste Redner heute nachmittag ist der Abgeordnete Dr. Schmidt (Wuppertal). Weitere Wortmeldungen liegen noch nicht vor. Die Sitzung ist bis 15 Uhr unterbrochen.

(Unterbrechung der Sitzung von 12.59 Uhr bis 15.02 Uhr.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0401920100
Die unterbrochene Sitzung wird wiederaufgenommen.
In Fortsetzung der Haushaltsdebatte hat der Herr Abgeordnete Dr. Schmidt (Wuppertal) das Wort.

Dr. Otto Schmidt (CDU):
Rede ID: ID0401920200
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mein verehrter Kollege Herr Möller beklagte das Auseinanderfallen von Verfassungsrecht und Verfassungswirklichkeit im Hinblick auf die unterbliebene bzw. verzögerte Finanzreform. Ich vermag Ihnen, Herr Kollege, darin nicht zu folgen. Ich meine im Gegenteil, es ist zunächst einmal zu begrüßen, daß wir institutionell noch nicht so verhärtet sind, daß sich die Verwirklichung notwendiger allgemeiner Belange nicht auch ohne, neben und manchmal sogar auch gegen Institutionen durchsetzen könnte.

(Sehr richtig! in der Mitte.)

Das ist vor allem dann ein Glück, wenn sich die Entwicklungen so überstürzen, wie es in den letzten Jahren der Fall war.
Die Finanzreform hätte früher und ernster in Angriff genommen werden sollen, meinten Sie, verehrter Herr Kollege Möller. Wir versagen uns aber — meines Erachtens mit Recht in diesem Augenblick — sogar einer gesetzlichen Änderung des Quotenverhältnisses von 35 zu 65 im Rahmen des Artikels 106 des Grundgesetzes, weil wir selbst die Verhältnisse des Jahres 1963 noch nicht so übersehen können, daß wir sagen könnten: es ist jetzt schon der Zeitpunkt gekommen, um über zwei Jahre die Verhältnisse zwischen Bund und Ländern zu ordnen. Ist das nicht, meine Damen und Herren, doch schon ein Symptom dafür, daß grundlegende Reformen nur möglich sind, wenn die Verhältnisse auf übersehbare Zeit einigermaßen zur Ruhe gekommen sind?
Reformvorstellungen erfordern aber auch menschliche Einsicht, und zwar nicht nur — wie Sie mit Ihrem Appell an die Bundesregierung meinten — eine Einsicht der Bundesregierung, sondern eine Einsicht bei allen im Kraftfeld der Interessen mitwirkenden Kräfte in den Ländern, in den Gemeinden, auch in der Opposition. Nicht nur der Wunsch nach einer Reform entscheidet, sondern es müssen auch im wesentlichen einheitliche und nicht gegensätzliche Vorstellungen von einer Reform vorhanden sein. Von der Aufgabenstellung her bestimmt sich dann die Reformvorstellung.
Sie werden es mir nicht verübeln, meine Damen und Herren von der Opposition, daß ich daran erinnere, wie lange Sie dazu gebraucht haben, um sich etwa im wirtschaftspolitischen und im verteidigungspolitischen Bereich den grundsätzlichen Vorstellungen der Regierungsmehrheit auch nur anzunähern.

(Beifall in der Mitte.)

Es gehört eben zur Reform eine Vorausschau dessen, was in der Zukunft möglich ist, und zwar setzt eine Reform eine weitgehende Übereinstimmung auch in der Vorausschau voraus.
Mir ist in diesen Tagen ein Aufsatz von Winfried Martini mit dem Titel „Das Kind im Brunnen" unter die Hände gekommen. Er beschäftigt sich da mit einem Kommentar, der unter der Überschrift „Politisches Süppchen" in der Frankfurter Rundschau vom 21. Februar erschien. Dort hieß es, ein Notstandsgesetz sei deshalb überflüssig, weil wir ja das Bundesleistungsgesetz hätten. Sein Fehler sei nur, daß danach bezeichnenderweise lediglich Leistungen gefordert werden könnten zur Abwendung einer drohenden Gefahr für den Bestand der inneren Grundordnung, für Zwecke der Verteidigung usw., und sein typischer Fehler sei, daß dabei niemand an die Naturkatastrophen gedacht habe.
Dabei stellt man fest, daß die Bundesregierung sehr wohl und durchaus daran gedacht hat, und zwar im Jahre 1955, als noch kein Mensch an die Flutkatastrophe dachte. Da hat sie nämlich in der Regierungsvorlage eines Bundesleistungsgesetzes — Drucksache 1804 des Bundestages vom 21. Oktober 1955 — einen § 1 gefordert, in dem es hieß:
. . . Als öffentlicher Notstand gelten insbesondere a) gemeine Gefahren wie Überschwemmungen, Brände und Explosionsunglücke . . .
Die Regierung hatte also im Jahre 1955 die Vorausschau, daß es in Hamburg zu einer Flutkatastrophe dieses Ausmaßes kommen könnte.

(Lachen bei der SPD. — Abg. Dr. Deist: Welche Einsicht!)

— Doch, hören Sie mal zu, das ist ein wirklich interessanter Fall, Herr Deist.

(Erneute Zurufe von der SPD.)

Doch damit war der Bundesrat — sehen Sie, ich habe Sie gar nicht gemeint — nicht einverstanden. In seinen Änderungsvorschlägen heißt es, daß der Buchstabe a zu streichen ist. Die Begründung dafür lautet:
Die Gesetzgebungskompetenz des Bundes ist im Grundgesetz erschöpfend geregelt.

(Abg. Haase [Kassel]: Ausgezeichnet!)

Die Verhütung und Beseitigung eines öffentlichen Notstandes fällt nicht darunter, und zwar auch dann nicht, wenn sich der Notstand im Einzelfall über den Bereich eines Landes auswirkt.

(Zuruf von der Mitte: Ausgezeichnet!)

Eine Zuständigkeit aus der Natur der Sache kann nicht anerkannt werden.

(Abg. Haase [Kassel] : Sicher von Hamburg konzipiert!)

So der Bundesrat.

(Abg. Wehner: Flegel! Das kann man wohl sagen!)




Dr. Schmidt (Wuppertal)

I Dann hat die Bundesregierung darauf geantwortet, — —

(Zuruf von der SPD: Unerhört! — Abg. Wehner: Das hatte seinen besonderen Akzent jetzt!)

— Ich erwähne den Fall lediglich unter dem Gesichtspunkt der Vorausschau der Möglichkeiten für eine Reform, d. h. der Vorausschau im Hinblick auf mögliche, voraussehbare Verhältnisse. Nur unter diesem Gesichtspunkt, meine Damen und Herren, führe ich das hier als Beispiel an. — Die Bundesregierung ihrerseits hat dazu Stellung genommen und erklärt:
Die Bundesregierung muß auch aus praktischen
Gründen den größten Wert darauf legen, . .
So hat die Bundesregierung diese Stellungnahme des Bundesrates zurückgewiesen.
Dann ergibt allerdings die Lektüre des § 1 des Bundesleistungsgesetzes vom Jahre 1956 — ich zitiere mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten Winfried Martini —, „daß sich die föderalistischen Prinzipienreiter 'des Bundesrates gegen die realistischen Visionen der Bundesregierung weitgehend durchgesetzt haben. Von einem Recht, Leistungen auch für den Fall von Naturkatastrophen anzufordern, ist nun nicht mehr 'die Rede."
Meine Damen und Herren, so verhält es sich eben mit Reformvorstellungen. Es genügt nicht, daß die Regierung ihrerseits Vorstellungen hat, sondern sie muß politisch abwägen, was im Kräftefeld der gesamten Wirklichkeit, der politischen Wirklichkeit an Möglichkeiten zum Zusammenwirken vorhanden ist, um zu einem bestimmten Ziel zu kommen. So verhält es sich auch mit 'der' von Ihnen, Herr Kollege Möller, beklagten verzögerten Finanzreform.
Die Verhältnisse sind so sehr im Fluß, daß wir heute wiederholt auch vom Bundesfinanzminister in seiner Rede das Wort von der Wende des Haushalts gehört haben. Dabei ist noch gar nicht von einem Punkt geredet worden, der den Finanzausschuß in besonderer Weise tangiert, nämlich von der Wende zu einem europäischen Steuerrecht. Auch da sind die Verhältnisse in einem großen Maße im Fluß. Mit dem Abbau der Zölle werden die Verbrauchsteuergrenzen immer problematischer. Die Verbrauchsteuern, insbesondere die Umsatzsteuer, sind ein entscheidendes Rückgrat des Haushalts; das kann niemand bezweifeln. Aber auf der anderen Seite können die Steuergrenzen innerhalb 'des europäischen Marktes auf die Dauer nicht fortbestehen. Wir haben 'das im Zusammenhang mit der Tee- und Kaffeesteuer zur Genüge erörtert. Auch kann die mangelnde Wettbewerbsneutralität unseres Allphasen-Umsatzsteuersystems im Rahmen des europäischen Marktes noch problematischer werden, als sie es auf dem inneren Markte schon ist.
Angesichts solcher großer Bewegungen auf neue, unvorhergesehene Möglichkeiten hin ist der Vorwurf verzögerter Finanzreform meines Erachtens, Herr Kollege Möller, nicht ganz gerecht. Eine Finanzreform, eine Finanzverfassungsreform wird sich angesichts 'dieser Bewegungen sehr vorsichtig vortasten müssen, um nicht Entwicklungen nach innen und außen zu präjudizieren, zu verbauen oder gar noch neue Gegner auf den Plan zu rufen.
Herr Kollege Möller, Sie hatten den Appell des Finanzministers an die Bundesregierung und an den Bundestag auf die Hörner genommen und gemeint, er habe damit bewußt und gewollt die Politik der Bundesregierung in den vergangenen Jahren kritisieren wollen. Nach meiner Auffassung ist 'das eine völlige Fehlinterpretation, verständlich nur aus dem Wunsch der Opposition, innnerhalb der Koalition Klüfte aufzureißen, die meines Erachtens nicht da sind.

(Widerspruch bei 'der SPD.)

— So leicht, meine Damen und Herren, ist es natürlich nicht, unsere neue Koalition auseinanderzubringen. Der Finanzminister hat ebenso wie der Haushaltsausschuß die legitime Funktion, das Ganze unter finanziellen Aspekten zusammenzusehen und auch zusammenzuführen. Er hat dabei die ebenso legitime Aufgabe, die sehr legitimen Ressortwünsche und die sehr legitimen Wünsche der Fachausschüsse immer in den notwendigen Grenzen zu halten. Es geht einfach — so war der Appell des Finanzministers zu verstehen — um die notwendige Haushaltsdisziplin angesichts einer Tendenz zur Expansion, die uns nun nachgerade allen gefährlich werden kann. Meine Damen 'und Herren von der Opposition, wenn Sie Ihrer legitimen Aufgabe, dieser Expansion im Interesse 'des Steuerzahlers zu wehren, nicht nachkommen, dann müssen wir das eben selber tun und müssen Ihrem Optimismus, mit dem Herr Möller meinte noch weitere Ausgaben ermöglichen zu können, entgegentreten. Übersehen Sie, meine 'Damen und Herren von der Opposition, doch nicht, daß die öffentliche Nachfrage nicht über die Leistungsfähigkeit der Volkswirtschaft hinaus entwickelt werden darf und daß in demselben Augenblick, wo wir auch nur diesen Versuch machen, die Folge sein muß, daß die Leistungen und damit auch die Dienstleistungen, die 'Dienste falsch nach oben hin bewertet werden und sich daraus zwangsläufig Lohntreiberei entwickeln muß, mit der Tendenz zur Geldfülle und damit zur Steigerung der Nachfrage über die Leistungsfähigkeit der Volkswirtschaft hinaus, mit der dann zwangsläufig sich ergebenden inflatorischen Tendenz.
Herr Kollege Möller schnitt 'das Thema der Steuerschätzungen an. Die Steuerschätzungen von Bund und Ländern brauchen selbstverständlich nicht übereinzustimmen, das war auch in den letzten Jahren nicht immer der Fall. Verlangen wir aber von den Ländern Beiträge, dann 'ist es verständlich, daß die Länder auf eine gemeinsame Urteilsgrundlage als Ausgangspunkt Wert legen müssen und darauf drängen.

(Sehr gut! bei der CDU/CSU.)

So werden wir uns im Finanzausschuß in der nächsten Woche mit den Steuerschätzungen beschäftigen müssen. Wir werden dann von der Bundesregierung wohl auch hören, mit welchen volkswirtschaftlichen Überlegungen die Länder ihre Ansätze rechtfertigen, und wir werden prüfen müssen, ob wir sie übernehmen können.



Dr. Schmidt (Wuppertal)

Ich stimme mit Ihnen darin überein, daß die Gemeinden im Rahmen der Finanzverfassungsreform zu ihrem Recht kommen müssen. Aber auch hierzu darf wohl daran erinnert werden, wie schnell alle Prognosen der kommunalen Spitzenverbände über Finanzbedarf über den Haufen geworfen worden sind. Das Gewerbesteueraufkommen hat den von den kommunalen Spitzenverbänden errechneten Fehlbetrag bei weitem überspielt. Wir werden prüfen müssen, wie an den wirklich neuralgischen Punkten geholfen werden kann. Aber 'auch unter den Gemeinden geht es genauso menschlich zu wie im Bund und unter den Ländern. Von einem interkommunalen Lastenausgleich wollen die finanzstarken Gemeinden — und deren Zahl ist ja auch nicht gering — gar nichts wissen.

(Zustimmung bei der CDU/CSU.)

Sie haben 'die Wiedergutmachung erwähnt und beklagt, daß hier große menschliche Not durch allzu bürokratische Handhabung des Gesetzes noch vergrößert worden sei. Das mag durchaus zutreffen. Aber die Durchführung ist ja Sache der Länder, und es wäre, glaube ich, ungerecht, alle Länder generell unter .das gleiche Urteil stellen zu wollen. Ich kann z. B. von meinem eigenen Lande Nordrhein-Westfalen sagen, daß unser Ministerpräsident Meyers und auch die zuständigen Wiedergutmachungsstellen wiederholt in aller Öffentlichkeit Anerkennung und Lob für die schnelle und im allgemeinen befriedigende Durchführung des Wiedergutmachungsgesetzes gefunden 'haben.

(Abg. Dr. h. c. Möller: Das war nicht mein Ausgangspunkt!)

— Doch, das war Ihr Ausgangspunkt; und Sie haben die Ausführungen des Herrn Finanzministers, der erwähnt hat, daß wir in den ganzen Jahren immerhin 11,5 Milliarden DM aufgewandt haben und noch 8,5 Milliarden DM aufwenden werden, meiner Auffassung nach nicht gebührend gewürdigt.
Ich darf zum Schluß kommen und mich mit Dankbarkeit darüber äußern, daß Sie, Herr Kollege Möller, am Schluß Ihrer Ausführungen eine so große staatspolitische Perspektive gegeben haben. „Der Staat sind wir", haben Sie gesagt. Und das heißt, es gibt auch keine Instanz oberhalb unserer Gemeinschaft, die wir anrufen könnten, um unsere Kassen zu füllen. Jeder Pfennig stammt aus unserer eigenen Tasche, aus der Tasche unserer Bürger als Steuerzahler. Wir sollten uns daher selber den Respekt erweisen, in erster Linie den Steuerzahler zu respektieren. Seine staatspolitische Verantwortungsbereitschaft wird wachsen, wenn wir als Volksvertreter uns ihm verantwortlich wissen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0401920300
Dais Wort hat der Abgeordnete Dr. Deist.

Dr. Heinrich Deist (SPD):
Rede ID: ID0401920400
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ein Haushaltsplan sollte nicht nur Gelegenheit zu Analysen und Schlußfolgerungen von Finanzpolitikern geben. Durch die Finanzpolitik, wie sie im Haushaltsplan ihren Ausdruck findet, werden nicht nur die Grundlagen und zugleich die Munition für die Politik geschaffen, die geführt wird, sondern die Finanzpolitik selbst und die Auswirkungen des Haushalts beeinflussen unmittelbar über die Einnahmen- und Ausgabenpolitik die Struktur von Wirtschaft und Gesellschaft. Selbst die Haushaltsrede des Herrn Bundesfinanzministers, die sich einer weitgehenden Zurückhaltung befleißigte hinsichtlich allgemeiner politischer Erörterungen, die üblicherweise in der Vergangenheit auch vom Herrn 'Bundesfinanzminister in der Haushaltsrede mit angestellt wurden, hat doch gewisse Ausführungen und gewisse Töne enthalten, die den politischen Hintergrund deutlich machen und im Zusammenhang mit den politischen Ausführungen gesehen werden müssen, die wir sonst zu hören bekommen zu einer Politik, für 'die dieser Haushalt die Grundlage abgibt.
Meine Damen und Herren, ich meine, daß solche Ausführungen hierher gehören. Der Herr Bundesfinanzminister hatte mehrere Akzente gesetzt, die diesen Zusammenhang klarmachen. Mein Freund Alex Möller hat bereits auf den Tenor hingewiesen: das Grundübel 'der letzten Jahre sei, alles auf einmal zu wollen. Mit diesem Satz sollen, sicherlich nicht unbeabsichtigt, bestimmte Gedankenassoziationen in der Öffentlichkeit hervorgerufen werden. Denn in engem Zusammenhang damit steht z. B., was im letzten Lagebericht des Bundeswirtschaftsministers gesagt worden ist, nämlich: daß alles auf einmal gefordert werde, nämlich Lohnerhöhungen, Urlaub und Arbeitszeitverkürzung. Das ist ja die Diskussinn, die in einer sehr 'bedenklichen Weise zur Zeit in Deutschland geführt wird.
Ein zweiter Satz in der Rede des Herrn Bundesfinanzministers lautete: Wir haben nicht zuwenig Einnahmen, sondern wir haben zu viele Ausgaben. Die Mehrheit dieses Hauses hat dazu frenetisch Beifall geklatscht. Offenbar hat sie daran gedacht, daß der Herr Bundesfinanzminister vorher gesagt hatte, wie diese Ausgaben sich zusammensetzen, nämlich zu 35 % aus Aufwendungen für die Verteidigung und zu 28,5 % aus dem, was die Bundesregierung als soziale Sicherung zu bezeichnen pflegt. Und man ,kann sich vorstellen, was diese Beifall klatschenden Abgeordneten dabei gedacht haben, als der Minister davon sprach, daß wir zu viele Ausgaben hätten. Mir scheint, daß das an jene Erklärungen anklingt, die von den Grenzen des Wohlfahrtsstaates und den Grenzen .der Sozialpolitik sprechen.
Sodann enthielt diese Rede des Herrn Bundesfinanzministers, ich möchte sagen, einige gezielte kleine Hinweise. Der eine Hinweis war der auf die Lohn- und Gehaltsforderungen im öffentlichen Dienst. Da wurde eine sehr große Zahl genannt: wenn diese Forderungen durchgehen, kommen 1,7 Milliarden Ausgaben auf uns zu. Der Herr Bundesfinanzminister sagte: Wir haben in diesen Haushaltsplan nichts eingesetzt. Nun, nach Adam Riese wissen wir alle, daß das Ergebnis der Verhandlungen weder die 1,7 Milliarden sein werden noch der Betrag von null DM; zu einem anderen Angebot hat sich der Herr Bundesfinanzminister bisher offenbar nicht durchringen können. Ich möchte ihn fragen,



Dr. Deist
ob er damit die Idee hervorrufen wollte, daß die Bundesregierung der Auffassung ist, daß die Frauen und Männer des öffentlichen Dienstes an dem ständigen Wachsen des Volkseinkommens überhaupt nicht beetiligt werden sollen.
In der Rede war auch wieder ein Satz enthalten von Lohnerhöhungen, die über den Produktivitätszuwachs hinausgehen. Da war der Satz enthalten, daß der Welthandel durch die Kosteninflation gefährdet sei. Der Herr Bundesfinanzminister konnte nicht umhin, auch die Steuern zu nennen; aber er nannte wohlweislich vorweg Löhne und soziale Abgaben. Und unser Kollege Vogel hat es dann sehr deutlich ausgesprochen, indem er von der gewaltsamen Aufpulverung des Konsums durch die Lohn- und ,Gehaltsentwicklung sprach und sogar meinte, die Zahlungsbilanzschwierigkeiten der USA und Großbritanniens seien ein Menetekel; sie seien offensichtlich auch auf die Lohn- und Gehaltspolitik zurückzuführen. Meine Damen und Herren, was ist das für eine armselige Wirtschaftspolitik, die als einziges bewegendes Element der Wirtschaft überhaupt nur noch die Lohn- und Gehaltsbewegung sehen kann!

(Beifall bei der SPD.)

In denselben Rahmen gehören die Darlegungen von Herrn Kollegen Schmidt (Wuppertal), der von „Lohntreiberei" mit ihren unweigerlich preissteigernden Tendenzen gesprochen hat. Ja, dann ist es nicht mehr weit bis zu jener Ausführung des Herrn Ferdinand Fried in der „Welt", der nach der Bereinigung der Tarifstreitigkeiten im Bereich der Metallindustrie durch einen Vertrag, der mit Unterstützung und Hilfe des baden-württembergischen Ministerpräsidenten zustande gekommen ist, glaubte schreiben zu dürfen: Es ist wie ein Dammbruch, der jetzt bei den Löhnen eingesetzt hat, nachdem man in der Metallindustrie auf die entscheidende Kraftprobe verzichtet hat.
Da wird deutlich, was man will. Man will gar nicht, daß man sich friedlich zusammenrauft, sondern man wünscht im Grunde genommen Kraftproben; und darum macht man aus dem erfreulichen Ergebnis der Auseinandersetzung in der Metallindustrie, die ein Zeichen für das Verantwortungsbewußtsein dieser Gewerkschaft gewesen ist, den Beginn eines Dammbruchs.
Hier geht es um eins der Kernprobleme unserer sozialen Ordnung. In dem Memorandum der acht evangelischen Laien und Theologen — über dessen Einzelteile man streiten kann, das aber doch einen Diskussionsbeitrag geleistet hat, der jedenfalls offiziell auch von Ihnen anerkannt worden ist — findet sich der wichtige Satz: Die soziale Ordnung ist nicht schon deshalb gesund, weil es den meisten gutgeht. Daß es vielen bei uns gutgeht, bestreitet niemand. Wir wollen heute keine Diskussion darüber entfachen, wer dazu beigetragen hat, aber wir sollten auch die Mängel sehen, die in unserer gesellschaftlichen Ordnung vorhanden sind.

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

Einer der entscheidenden Mängel ist, daß es uns
weder in der Weimarer Republik noch nach 1945
gelungen ist, eine gesunde Einordnung der verschiedenen Kräfte einer freien Gesellschaft in das gesamte Gesellschaftsleben und in das Staatsgefüge zuwege zu bringen.

(Abg. Dr. Besold: Na, na, na!)

— Ich werde Ihnen gleich einiges dazu sagen.
Großbritannien hat eine jahrhundertealte Entwicklung zur Demokratie hinter sich. Dort ist es beinahe selbstverständlich, daß sich die Wirtschaft wirtschaftspolitischen Entscheidungen beugt, sogar ohne daß dazu gesetzliche oder institutionelle Maßnahmen ergriffen werden müssen. Die Geschichte der Vereinigten Staaten beginnt mit der Gründung eines demokratischen Staates. Auch dort gibt es eine geschichtlich gegebene Einordnung der verschiedenen Kräfte. Wir tragen die Last einer vielhundertjährigen Geschichte. Es sind noch keine fünfzig Jahre her, daß bei uns die politischen Kräfte freigesetzt worden sind. Und wir tragen seit 12 Jahren das Schicksal einer CDU-Regierung, deren Aufgabe es gewesen wäre, die Grundlagen für eine solche Einordnung zu schaffen.

(Abg. Dr. Vogel: Was für eine Bürde für Sie! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)

— Ich habe es wenigstens nett gesagt, Herr Vogel; das werden Sie mir konzedieren müssen.
In diesem Zusammenhang möchte ich auf das zurückkommen, was ich im Anfang sagte. Gestatten Sie mir, den Rahmen nur in wenigen Strichen anzudeuten, ohne daß ich das jetzt weiter ausführen kann.
Zunächst: Bei kritischer Überprüfung kann man nicht bestreiten, daß die Regierungspolitik der letzten 12 Jahre sehr stark in einer einseitigen Stützung mächtiger wirtschaftlicher Interessengruppen bestanden hat und von ihnen wiederum stark beeinflußt worden ist.

(Sehr richtig! bei der SPD.)

Darum war es bei uns möglich, daß der Bundesverband der Industrie das Zustandekommen eines brauchbaren Kartellgesetzes verhinderte und bis heute die dringend notwendige Reform des bestehenden unzulänglichen Kartellgesetzes hinauszögern konnte. Demgegenüber ist es in den Vereinigten Staaten selbstverständlich — ich möchte mal sehen, was bei uns passiert, wenn so etwas passierte —, daß die Direktoren eines großen leitenden Konzerns wegen Verstoßes gegen die Antitrustbestimmung hinter schwedische Gardinen gesetzt werden!

(Abg. Dr. Vogel: Aber auf der anderen Seite der Präsident auch Streiks unterbinden kann!)

— Darüber können wir uns gleich mal unterhalten.
Zweitens. Es hat sich allmählich herumgesprochen
— auch wenn das hier im Hause nicht gern gehört wird —, daß es in den vergangenen 12 Jahren jedenfalls nicht gelungen ist, die selbständigen Mittelschichten zu einem integrierenden Bestandteil der Wirtschaft zu machen, in der sie ihren Platz ihrer Aufgabe gemäß einnehmen können. Wir haben in



Dr. Deist
der Regierungserklärung wiederholt gehört, was geschehen soll. Wir haben diesmal wiederum die Mitteilung gehört, daß der Buckel in der Einkommensteuerprogression für die mittleren und kleineren Unternehmer beseitigt werden soll. Eines ist sicher: in den Vereinigten Staaten, in denen es auch wirtschaftliche Macht gibt, ganz groß gibt, in denen es große Unternehmungen gibt, wird jedenfalls gesetzlich, institutionell und verwaltungsmäßig für die mittleren und kleineren Unternehmungen sehr viel mehr getan als bei uns, um sie sinnvoll in die Gesamtwirtschaft einzugliedern.
Und ein Letztes! Trotz Landwirtschaftsgesetz ist es nicht gelungen —wir alle bemühen uns gemeinsam um diese Aufgabe —, den Gegensatz zwischen Stadt und Land angemessen zu beseitigen. Im Gegenteil, die Diskrepanz zwischen der Einkommensentwicklung 'in der Landwirtschaft und der Einkommensentwicklung in der gewerblichen Wirtschaft wird trotz Landwirtschaftsgesetz, trotz Grünem Plan nicht kleiner, sondern sie wird größer. Das ist auch ein Beispiel dafür, was in unserer sozialen Ordnung, Herr Kollege, nicht ganz in Ordnung ist.
Hierzu kommt — ich will es ganz deutlich sagen — die unangemessene Frontstellung gegen die Arbeitnehmerorganisationen, die noch schärfer geworden ist, seit die FDP dieser Regierungskoalition angehört.

(Beifall bei der SPD. — Oho-Rufe in der Mitte.)

Der Herr Bundeskanzler ist häufig erregt, wenn sich Gewerkschaften mal etwas stärker regen. Das soll auch in diesen Tagen mal wieder geschehen sein. Er ist merkwürdig unempfindlich, wenn es sich um massive Eingriffe von anderer Seite handelt. Herr Bundesfinanzminister Starke hat hier seinem britischen früheren Kollegen Thorneycroft in einem Augenblick Beifall gespendet, in dem sich zeigt, daß der Versuch dieser Regierung, die Kosten einer mißratenen Wirtschaftspolitik auf die Arbeitnehmer abzuwälzen, gescheitert ist.

(Zurufe von der CDU/CSU. — Abg. Dr. Vogel: So kann man es auch nennen!)

Es wäre die Aufgabe eines Psychoanalytikers, einmal den tieferen Grund dieser merkwürdigen Bruderschaft nachzuforschen.

(Beifall bei der SPD. — Heiterkeit.)

Dazu gesellt sich dann der Vorsitzende der zweiten Regierungspartei, Herr Kollege Dr. Mende. Ich kann nicht umhin, hierzu einige deutliche Worte zu sagen. Die Tarifparteien und die Gewerkschaften haben die Aufgabe — die verfassungsmäßige Aufgabe nach dem Grundgesetz —, in gegenseitigen Auseinandersetzungen auf dem Arbeitsmarkt — gewissermaßen als Marktparteien — miteinander um eine angemessene Lohn- und Gehaltsregelung zu kämpfen. Und was macht der Herr Kollege Mende daraus? Er wirft den Gewerkschaften vor, die sozialen Forderungen seien nicht aus sozialer Notwendigkeit gestellt, sondern um der Festigung der eigenen Machtposition willen.

(Pfui-Rufe bei der SPD. — Zurufe von der FDP.)

Das sagt der Chef einer Partei, die bei der letzten Regierungsbildung alle .ihre vorher verkündeten Grundsätze über den Haufen geworfen hat, nur um einiger Minister- und Staatssekretärsessel willen!

(Lebhafter Beifall bei der SPD. — Erneute Zurufe von der FDP.)

Dann wagt Herr Dr. Mende zu sagen, der DGB könne sich nicht als Vertreter der Arbeitnehmer aufspielen, denn er vertrete nur einen Teil der Arbeitnehmer.

(Zurufe von der SPD.)

Nun, er hat übersehen, daß diese Gewerkschaft mehr als 6 Millionen Mitglieder hat und daß sie bei den letzten Personalrats- und Betriebsratswahlen das Vertrauensvotum von 80 % der Arbeitnehmer erhalten hat.

(Beifall bei der SPD. — Zuruf von der Mitte: 99 %!)

Dann überlege ich mir, daß Herr Kollege Mende in seiner Partei, wenn ich mal ganz großzügig bin, wohl nicht mehr als 100 000 Mitglieder zählt und bei den letzten Wahlen knapp 13 % der Wähler gewonnen hat. Da erhebt sich die Frage: wer legitimiert eigentlich Herrn Dr. Mende, so in der Öffentlichkeit zu sprechen?

(Beifall bei der SPD.)

Das ist ein bitteres Kapitel unserer Innenpolitik. Sie ist nämlich gespickt mit irreführenden Darstellungen, die die öffentliche Meinung in völlig falscher Weise beeinflussen sollen. Lassen Sie mich über diese irreführenden Darstellungen, die für die politische Meinungsbildung eine wichtige Rolle spielen, einige Worte sagen.
Der Herr Bundesfinanzminister hat das Lob der Preisstabilität in Deutschland gesungen. Ich halte es lieber mit dem Herrn Bundeswirtschaftsminister, der auf der Frankfurter Messe sagte, auch der jährliche Kaufkraftschwund von 2 bis 3 % sei eine inflationäre Tendenz, die gefährlich sei. Ich entsinne mich, daß der Herr Kollege Etzel vor zwei Jahren — so war es wohl — im Zusammenhang mit dem Haushalt sehr deutlich darauf hingewiesen hat, wir könnten uns nicht dabei beruhigen, daß die ständige Aushöhlung der Kaufkraft 'der D-Mark — sie beträgt inzwischen seit der Währungsreform um 20 % — immer weiter fortschreite. Wir wissen, daß im Januar die Lebenshaltungskosten um 3,5 % über dem Stand vom Januar 1961 gelegen haben. Wir sind uns alle darüber einig — wir sollten uns da keine falschen Unterstellungen machen —, daß das eine bedenkliche und gefährliche Entwicklung ist, der wir entgegenzuwirken haben. Denn diejenigen, die darunter leiden, sind in erster Linie die Bezieher von festen Einkommen und die kleineren Sparer.

(Zuruf von der Mitte: Vollkommen richtig!)

Darum ist es schon der Mühe wert, sich zunächst einmal ernsthaft über die Ursachen einer solchen Entwicklung zu unterhalten.
Die Bundesregierung operiert unbedenklich—muß ich beinahe sagen — mit der ständigen Wiederho-



Dr. Deist
lung der Behauptung, daß die Lohn-. und Gehaltsentwicklung der entscheidende Grund für die Preisentwicklung sei.

(Zuruf von der Mitte: Sicher ein sehr wichtiger Grund!)

— Ich spreche gleich darüber, daß die Lohn- und Gehaltsentwicklung im Rahmen der Einkommensverteilung auch eine Rolle spielt; das werde ich nicht bestreiten. Wir werden uns vielleicht auch einmal über die Konsequenzen unterhalten können, die wir daraus zu ziehen haben. Aber erst müssen wir einmal die öffentliche Atmosphäre bereinigen, damit man sich vernünftig über dieses Problem unterhalten kann.
Die Bundesregierung weist in Übereinstimmung mit der gesamten Presse zu Beginn jeden Jahres auf die drohende große Lohnwelle hin. Nun, in einem Staat mit aufsteigender Wirtschaft ist es ja wohl notwendig, daß auch die Arbeitnehmer an der Einkommensvermehrung beteiligt werden. Da wir etwa 20 Millionen Arbeitnehmer unter Tarif haben und die Tarifverträge ungefähr 1 1/4 bis 1 1/2 Jahre laufen, ist es ganz natürlich, daß jedes Jahr für 12 bis 14 Millionen Arbeitnehmer eine Anpassung erfolgen muß. Das ist keine ungeheuerliche Lohnwelle, sondern der normale Ablauf der Dinge, wenn Sie nicht wollen, daß die Arbeitnehmer an der Steigerung des Volkseinkommens nicht beteiligt werden.

(Abg. Dr. Vogel: Das hat niemand von uns hier bestritten! — Weitere Zurufe von der Mitte.)

— Ich habe gesagt: Wenn! Ich habe gesagt, das sei die normale Entwicklung, und Sie müßten das anerkennen, wenn nicht — — Ich habe noch nicht gesagt, was Sie wollen. Ich überlasse es anderen, die Konsequenzen zu ziehen. Manchmal ist das für viele so deutlich, so daß man nicht besonders viel dazu zu sagen braucht. Jedenfalls hat die Bundesnotenbank in den letzten Jahren am Schluß jeden Jahres festgestellt, daß nach der ganzen Konstellation der wirtschaftlichen Daten die Lohnentwicklung des abgelaufenen Jahres nicht der entscheidende Grund für die Preisentwicklung sein konnte. Darum müssen wir uns sehr deutlich gegen irreführende Darstellungen wenden, die trotz aller gegenteiligen Darlegungen immer wieder wiederholt werden. Weil Sie, meine Damen und Herren, und diejenigen, die zu Ihnen stehen, diese Behauptung ständig wiederholen, sehen wir uns gezwungen, immer wieder darauf hinzuweisen, wo die entscheidenden Ursachen der unglücklichen Preisentwicklung in den letzten Jahren zu suchen sind. Ich kann mich heute kurz fassen, weil wir dies wiederholt getan haben.
Sie sind dem Handelsbilanzüberschuß der vergangenen Jahre nicht rechtzeitig und nicht wirksam genug begegnet. Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat wohl einige Versuche gemacht, dieser Entwicklung rechtzeitig zu begegnen; er ist aber bei der Mehrheit dieses Bundestages damit meist nicht durchgedrungen.
Punkt 2. Es gehört zu den wesentlichen Erkenntnissen der modernen Konjunkturwissenschaft, daß die Konjunkturpolitik unglücklichen Entwicklungen rechtzeitig entgegentreten muß. Der Konjunkturüberhitzung, ,die wir im Jahre 1960 erlebt haben, mußte im Laufe des Jahres 1960, spätestens im Herbst 1960, entgegengetreten werden. Wir wissen aus der öffentlichen Erörterung in der Presse, daß der Herr Bundeswirtschaftsminister auch damals einige Pläne hatte, die dann aber auf Veranlassung des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, der sich sehr stark gegen solche Eingriffe wandte, zurückgestellt worden sind, so daß uns dann mit Verspätung im Frühjahr 1961 die D-Mark-Aufwertung beschert wurde.
Schließlich gehört in dieses Kapitel eine völlig unzulängliche Kartell- und Preispolitik. Aus dem Bundeswirtschaftsministerium stammte die Meldung, die vor einiger Zeit durch die Presse ging, wonach man nicht so sehr darauf starren sollte, daß einige Preise in Gewerbezweigen mit hohem Lohnanteil steigen — das sei ein normaler Vorgang —. Es komme vielmehr darauf an, daß die Preise in den lukrativen, der Rationalisierung und Automation zugänglichen Großunternehmungen gesenkt würden. Das ist ein Problem, das bei uns in Deutschland nicht zulänglich angepackt worden ist.
Ich muß mich mit diesen kurzen Hinweisen begnügen, um darzulegen, daß 'der entscheidende Grund für die 'Entwicklung der letzten Jahre nicht die Löhne, sondern das Versagen ,der Wirtschaftspolitik der Bundesregierung — jedenfalls auf diesem Gebiet — war.

(Beifall bei der SPD.)

Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang, da sich die D-Mark-Abwertung gerade jährt — —

(Zuruf von der CDU/CSU: Aufwertung!)

— D-Mark-Aufwertung!

(Abg. Dr. Stoltenberg: Sie sind so in der Abwertung begriffen, Herr Deist, daß Sie von ,der Aufwertung gar nicht mehr sprechen können! — Heiterkeit.)

— Darüber unterhalten wir uns bei anderer Gelegenheit, 'Herr Stoltenberg. Bei mir können Sie immerhin voraussetzen, daß ich den Unterschied einigermaßen kenne.

(Heiterkeit.)

Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat damals zur D-Mark-Aufwertung ausgeführt: „Niemand behauptet und niemand wird glauben wollen, daß die Aufwertung das Allheilmittel zur Lösung aller wirtschaftlichen, sozialen und finanziellen Sorgen ist. Aber mit diesem Schritt haben wir die Grundlage für eine zielbewußte, aktive Konjunkturpolitik zurückgewonnen." Ich habe mir erlaubt, das mit der Genehmigung 'des Herr Präsidenten zu zitieren. Ich bitte um Entschuldigung, daß ich für dies Zitat nicht die Genehmigung des Herrn Präsidenten eingeholt habe.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0401920500
Sie haben sie mit Recht stillschweigend vorausgesetzt.




Dr. Heinrich Deist (SPD):
Rede ID: ID0401920600
Danke vielmals!
Ich darf mit Genehmigung ,des Herrn Präsidenten zitieren, was ich damals ausgeführt hatte:
Nach dem Willen der Bundesregierung, und ich meine, nach unser aller Willen soll die Neufestsetzung ,des Außenwertes der D-Mark den Sinn haben, Preissenkungen herbeizuführen und damit den augenblicklichen Preissteigerungstendenzen Einhalt zu gebieten.
Und ich habe dann fortgesetzt:
Denn darüber sollten wir uns klar sein: Der Verbraucher ist jedenfalls in einigen Wochen und Monaten in der Lage, an Hand von Fakten zu beurteilen, ob die Mark mehr wert ist, ob sie wenigstens so viel wert ist wie vorher oder ob sie weiterhin an Wert verliert. Wir hoffen, daß er in der Lage ist, ein positives Urteil abzugeben.
Heute wissen wir, daß er leider nicht in der Lage ist, ein solches positives Urteil abzugeben. Denn die D-Mark-Aufwertung kam viel zu spät, als daß sie rechtzeitig, d. h. im Boom, hätte wirken können. Ihre Auswirkungen zeigten sich vielmehr erst im Herbst des Jahres 1961 — wenn nicht später —, als wir bereits in gewisse Abschwungtendenzen geraten waren. Sie trägt damit einen Teil der Schuld daran, daß dieser Abschwung für bestimmte Gewerbezweige eine sehr harte Sache geworden ist.
Zu den irreführenden Darstellungen gehört auch der Vergleich zwischen dem realen Zuwachs der Produktivität in der Wirtschaft und der nominellen Lohnsteigerung, ein Vergleich, der ebenso unzulässig ist wie der Vergleich von Birnen und Äpfeln. Ein solcher unzulässiger Vergleich führt zu jenen kuriosen Konsequenzen, die Herr Fried, von dem ich bereits gesprochen habe, gezogen hat: Wir haben einen Zuwachs der Produktivität von nur 4 %, infolgedessen sind Lohnerhöhungen von 6 % und mehr zuviel.
Und was lesen wir in den Erläuterungen zum Bundeshaushalt? Die Bundesregierung veranschlagt das Wachstum der gesamtwirtschaftlichen Produktivität auf etwa 7,5 % bei einem realen Zuwachs von 4 %. Dabei wird eine Preiserhöhung von etwa 3 bis 3,5 % im Laufe eines Jahres einkalkuliert. Das Ergebnis dieser merkwürdigen Vergleiche wäre, wenn das alles richtig wäre: Der Staat stellt sich bei seinem Einkommenszuwachs selbstverständlich auf die 7,5 % Zuwachs ein; der Arbeitnehmer soll gefälligst bei 4 % verbleiben. Und sollen etwa die Unternehmergewinne um den Teil jener 7,5 % erhöht werden, der bei den Arbeitnehmern eingespart wird? Meine Damen und Herren, Sie müssen sich überlegen, ob bei derartigen Darstellungen auf der Seite der Betroffenen nicht solche Vorstellungen hervorgerufen werden.
Tatsächlich ist es so, daß sich im Laufe der Jahre 1950 bis 1960 die gesamte wirtschaftliche Leistung der Bundesrepublik je Erwerbstätigen real um 67 % erhöht hat, während sich die Nettolöhne und -gehälter je Arbeitnehmer, das, was der Arbeitnehmer bekommen hat, real um 64 % erhöht haben. Das heißt, die Entwicklung der Löhne und Gehälter ist hinter der wirtschaftlichen Entwicklung zurückgeblieben. Kein Mensch bestreitet, daß im Jahre 1961 die Lohnentwicklung stärker angezogen hat und daß damit ein Teil des Rückstandes eingeholt worden ist. Er ist aber auch nur eingeholt worden, und niemand hat ein Recht, zu behaupten, die Löhne seien in unerhörter Weise vorangeschritten.
Der Vergleich, der hier dauernd angeführt wird, lautet so: Das Sozialprodukt ist real um 67 % gestiegen, aber die Löhne und Gehälter nominal um 101 %; das muß natürlich die Wirtschaft in Unordnung bringen! — Was würden Sie sagen, meine Damen und Herren, wenn wir darlegten: Das Bruttosozialprodukt ist real um 67 % gestiegen, aber die Einkommen der Selbständigen und der Unternehmen sind — nominal — um 164 %, nämlich um das Dreifache gestiegen!? — Diese Argumentation wäre genauso falsch wie die ihre. Ich hoffe nicht, daß einer auf die Idee kommt, zu argumentieren: Wenn schon die Löhne und Gehälter um das Doppelte des realen Sozialproduktzuwachses steigen, müssen eben die Unternehmereinkommen und Gewinne um das Dreifache steigen.
Dann einige Bemerkungen zu der von mir bereits erwähnten Formel von dem „ungezügelten Fordern und Gewähren von Lohnerhöhungen, Arbeitszeitverkürzungen und Urlaubsverlängerungen". Ist es richtig, eine solche Darstellung herauszugeben? Ist es nicht so, daß gerade bezüglich der Arbeitszeitverkürzung ein hohes Maß von Verantwortungsbewußtsein geherrscht hat? Tatsächlich wurde die Arbeitszeitverkürzung im Bewußtsein dessen, daß sie natürlich Einfluß auf die Kostenlage der Unternehmungen hat, über einen langen Zeitraum verteilt. Zum Beispiel ist im Bereich der Industriegewerkschaft Metall die Arbeitszeitverkürzung von 48 auf 40 Stunden auf einen Zeitraum von acht Jahren verteilt worden, um den Übergang erträglich zu machen. Angesichts dessen davon zu sprechen, daß der Produktivitätszuwachs unangemessen gemindert werde, weil eine allzu starke plötzliche Verkürzung der Arbeitszeit eingetreten sei, ist einfach nicht richtig. Als das Bundeswirtschaftsministerium das in seinem letzten Lagebericht schrieb, erschien zu gleicher Zeit ein Bericht der Bundesbank zu demselben Problem. Darin wurde festgestellt: Die Arbeitszeit ist im Jahre 1961 zwar um 2 % zurückgegangen, aber dabei handelte es sich vorwiegend um den Abbau von Überstunden, um verlängerten Urlaub, „während durch Tarifvereinbarungen die ordentliche Arbeitszeit im Jahre 1961 nur in wenigen Bereichen verkürzt wurde". — Man sollte doch anerkennen, daß hier ein Versuch unternommen worden ist, den Notwendigkeiten der wirtschaftlichen Entwicklung Rechnung zu tragen und Verantwortungsbewußtsein zu zeigen. Eine solche Beeinflussung der öffentlichen Meinung mit Darstellungen, die irreführend wirken müssen, wird bei uns systematisch betrieben.
Aus dieser Überlegung ergeben sich drei harte Folgerungen. Eine solche zielbewußte Irreführung über Tatsachen muß dazu führen, daß das Verständnis der verschiedenen Gruppen in Deutschland füreinander, für ihre verschiedenartigen Interessen immer geringer wird. „Es ist unerhört, wie hier, zum Teil bewußt, mit falschen Zahlen gearbeitet



Dr. Deist
wird. Hier übt die Bundesregierung eine rücksichtslose und propagandistische Aktivität, der die unkritische, ressentimentgeladene Öffentlichkeit erliegt." Diese Sätze etwa gebrauchte der nordrhein-westfälische Ministerpräsident, Herr Meyers, als er sich mit dem Verhalten der Bundesregierung bei den Verhandlungen über die 'Finanzfragen der letzten Zeit befaßte.

(Hört! Hört! bei der SPD.)

Das ist symptomatisch. So verkümmern wir die für eine Demokratie notwendige Einsicht, daß es verschiedenartige berechtigte Interessen geben muß, daß wir in einem demokratischen Staat dafür zu wirken haben, daß ein Ausgleich zwischen diesen verschiedenen Interessen geschaffen wird. Wir erschüttern damit die in unserem Grundgesetz niedergelegten fundamentalen 'Grundsätze, daß die Tarifparteien nicht nur legitimiert, sondern verpflichtet sind, als wesentliche Ordnungsfaktoren der Wirtschaft durch ihre eigene Aktivität für eine angemessene Beteiligung der Arbeitnehmer am Sozialprodukt zu sorgen. Das ist die eine Schlußfolgerung, die sich ergibt.
Gestatten Sie mir, daran eine zweite anzuknüpfen. Die Bundesregierung nimmt hier eine einseitige Beeinflussung der öffentlichen Meinung zuungunsten eines großen, großen Teils unserer Bevölkerung vor. Überlege ich mir, daß sie durch ihre Politik die größeren Einkommen und Vermögen gegenüber den kleineren stark bevorzugt, daß sie durch den Verzicht auf eine wirksame Kartell- und Preispolitik die Reallöhne beeinträchtigt und daß sie auch die Organisationen der Arbeitnehmerschaft bei der Vorbereitung von Gesetzen nicht in gleicher Weise — vielleicht formal in gleicher Weise, aber nicht materiell in gleicher Weise — beteiligt wie andere Gruppen, — wenn das also die Politik von Regierung und Parlamentsmehrheit ist, dann können die Arbeitnehmerorganisationen ihren Auftrag, den sie nach 'dem Grundgesetz haben, gar nicht anders betreiben als durch eine, wie ich sie nennen möchte, kompensatorische Lohnpolitik. Sie können nichts anderes tun, als 'durch ihre Lohnpolitik dafür zu sorgen, daß die Folgen einer solchen einseitigen Wirtschafts- und Unternehmenspolitik von der Arbeitnehmerschaft abgewehrt und Preiserhöhungen durch Lohnerhöhungen kompensiert werden. Mehr Verantwortungsbewußtsein, als die Bundesregierung von sich und der Unternehmerschaft erwartet, kann sie auch nicht von den Arbeitnehmerorganisationen verlangen.

(der Gewinne, die auch 1961 immer noch recht hoch gewesen sind, aber geringer gestiegen sind als in den vergangenen Jahren, hat in keiner Weise, wie immer getan wird, die Investitionstätigkeit in der Wirtschaft beeinflußt. Im Gegenteil, im Jahre 1961 sind in Investitionen wiederum überproportional gestiegen. Die Selbstfinanzierung der Brutto-Investitionen betrug immer noch 62 %. In dieser Entwicklung ist ein Normalisierungsvorgang zu sehen. Was hätte denn das ganze Lamento der letzten Jahre, daß wir eine zu große Selbstfinanzierung und eine zu große Vermögensansammlung bei den Großunternehmungen haben, für einen Sinn, wenn nicht die Zurückdrängung der Gewinne und die Zurückdrängung dieser Vermögenszusammenballung eine sinnvolle Normalisierung wäre! Tatsächlich ist festzustellen, daß sich bei der Unternehmerschaft zur Zeit eine gewisse Zurückhaltung, ein gewisser Attentismus in bezug auf die Investitionen entwickelt. Das hat seine psychologischen Ursachen. Vielleicht darf man hinzufügen: die wirklichen Stützen der augenblicklichen Konjunkturentwicklung und des Konjunkturaufschwungs sind tatsächlich die Verbrauchernachfrage, die durch die Lohnentwicklung genügend hochgehalten wurde, und die öffentlichen Ausgaben. Der unangebrachte Pessimismus, der heute vielfach an Hand der für Dezember und Januar zur Verfügung stehenden, zunächst für eine gültige Aussage nicht ausreichenden Zahlen über die konjunkturelle Entwicklung zum Ausdruck gebracht wird, birgt allerdings die Gefahr in sich, daß die unternehmerische Zurückhaltung in der Wirtschaft verstärkt und damit die konjunkturelle Entwicklung wirklich gefährdet wird. Das ist ein Gesichtspunkt, den auch die verantwortlichen Stellen beachten sollten. Daraus ergibt sich — und damit komme ich auf die Frage zurück, die vorhin gestellt wurde —, daß sich zur Zeit wie eigentlich immer in einer freien Wirtschaft, die in großem Umfang auf freien Entscheidungen autonomer Menschen und autonomer Gruppen beruht, Gefahren für die wirtschaftliche Entwicklung ergeben und daß es die normale Aufgabe der Wirtschaftspolitik ist, dafür zu sorgen, daß diese Gefahren nicht zur Wirklichkeit werden. Meine Damen und Herren, wir wissen, daß zu den Grundlagen der freien Wirtschaft, unabhängig von der Bundesregierung und der autonomen Bundesnotenbank, eben freie Unternehmerentscheidungen und die freie Entscheidung der Tarifpartner auf dem Arbeitsmarkt gehören. Ich nenne Ihnen jetzt die Zahlen zu Ihrem Einwand. Wir wissen, daß sich das Volkseinkommen netto gerechnet zu 45 % aus Löhnen und Gehältern und zu 15 % aus Sozialeinkommen zusammensetzt, die in gewissem Umfange von der Lohnund Gehaltsentwicklung abhängig sind. Hier haben wir einen Block von 60 % gegenüber 20 % Einkommen der Selbständigen und 20 % Einkommen des Staates. Damit wird zugleich der Zusammenhang zwischen der Lohnpolitik der Tarifparteien, der Gewinnund Preispolitik der Unternehmungen und der Wirtschafts-, Finanzund Sozialpolitik des Staates deutlich. Es kommt daher darauf an, Methoden zu finden, um alle diese Partner in gleicher Weise — ich betone: in gleicher Weise — volkswirtschaftlicher Verantwortung zu unterstellen. Das ist die Ordnungsaufgabe des demokratischen Staates. Meine Damen und Herren, wir sollten uns doch darüber klar sein, daß freie Lebensformen nicht Freiheit für die Willkür der Starken, Freiheit für die Auslieferung der Wirtschaftspolitik an mächtige Dr. Deist Interessengruppen bedeuten darf. Es fragt sich also, welche Methoden der moderne Staat zur Verfügung hat. Mein Kollege Schoettle hat heute schon angedeutet und hat es in früheren Haushaltsdebatten ausführlich dargelegt, daß die modernen Industriestaaten des freien Westens sich auf der Grundlage einer volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung ein Instrument für diese Dinge erarbeitet haben, nämlich vorausschauende Wirtschaftsbudgets für die nächsten Jahre. Es ist vielleicht nicht uninteressant, darauf hinzuweisen, daß der Konjunkturausschuß bei der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, der bezeichnenderweise unter dem Vorsitz des deutschen Staatssekretärs Professor Müller-Armack tagt — der sich hier ein großes Verdienst erworben hat —, einstimmig festgestellt hat, es sei für die Sicherung einer gesunden wirtschaftlichen Entwicklung in Europa notwendig, in allen Mitgliedstaaten — in allen Mitgliedstaaten — vorausschauende Wirtschaftsbudgets nach gleichen Grundsätzen aufzustellen. Wir lesen in der Presse, daß in Großbritannien der konservative Schatzkanzler, Selwyn Lloyd — alle, die etwas ängstlich sind in bezug auf Ausdrücke, bitte ich um Entschuldigung; ich habe den Ausdruck aus Großbritannien übernommen —, ein Planungsgremium geschaffen hat mit der Aufgabe, die Wirtschaftslage und die Pläne der Industrie zu prüfen, die Hindernisse zu untersuchen, die einem schnelleren Wachstum der Wirtschaft 'entgegenstehen, und Methoden zu entwickeln, mit denen die Leistungsfähigkeit der Wirtschaft mit dem Ziel eines gesunden Wachstums verbessert werden kann. Das ist auch unser Problem: ob wir uns zu Maßnahmen entschließen, die geeignet sind, eine gesunde Ordnung im Ablauf der Wirtschaft auch bei uns in Deutschland sicherzustellen. Wir wissen, der Herr Bundeswirtschaftsminister ist einem solchen Wirtschaftsinstrument innerlich nicht sonderlich geneigt, wenn ich mich vorsichtig ausdrücken soll. Er hat das Anfang des Jahres 1960 in einer ausführlichen Denkschrift auch zum Ausdruck gebracht. Daraus erklärt es sich, daß bei uns in 'Deutschland wesentliche Voraussetzungen für eine ausreichende Diagnose der Wirtschaftsentwicklung und damit für eine langfristige Wirtschaftspolitik fehlen. In diesen Tagen, Anfang März, hat in 'Düsseldorf die Arbeitsgemeinschaft Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen getagt. Auf dieser Tagung hat Herr ,Professor Wagenfür aus Brüssel dargelegt, daß er in Deutschland einen beschämenden Rückstand der Konjunkturstatistik feststellen müsse. Und Herr Professor Krelle aus Bonn hat von den Unzulänglichkeiten unserer gesetzlichen Voraussetzungen für eine solche zielbewußte Wirtschaftspolitik gesprochen. Hier liegt das Problem. Der Unterschied zwischen uns, der freien Wirtschaft, und der Wirtschaft des Ostens besteht doch nicht darin, daß man da drüben planmäßig und zielbewußt wirkt und bei uns Plan-und ziellos wirtschaftet; (Beifall bei der SPD — Zurufe von der CDU/CSU)




der Unterschied muß doch — ich bin sehr froh, wenn Sie dem zustimmen, und hoffentlich können wir gemeinsam die Konsequenzen ziehen — in den Methoden 'bestehen, mit denen wir eine gesunde wirtschaftliche Entwicklung sichern.
Eine Voraussetzung für eine solche mit freiheitlichen Mitteln durchgeführte Wachstumspolitik sind eben diese vorausschauenden Wirtschaftsbudgets. Und sie unterscheiden sich grundlegend von dem, was jenseits der Zonengrenze geschieht. Sie unterscheiden sich darin, daß alle gemeinsam unter das Gesetz der Verantwortung gestellt, aber nicht einheitlich kommandiert werden. Sie unterscheiden sich darin, daß die Ziele für die langfristige Wirtschaftspolitik aufgestellt werden auf der Grundlage von Feststellungen unabhängiger Experten und auf einer Grundlage, die mit den freien gesellschaftlichen Kräften, insbesondere mit den Arbeitnehmern und Arbeitgebern, beraten worden ist. Sie unterscheiden sich dadurch, daß sie der Kontrolle des Parlaments unterliegen. Und sie unterscheiden sich schließlich darin entscheidend von dem, was im Osten geschieht, daß den Wirtschaftsbürgern — Unternehmern sund Arbeitnehmern — prinzipiell ihre freie Entscheidung gesichert wird und daß ihnen Schutz gegen behördliche Eingriffe in die freie Wirtschaftssphäre 'gegeben wird. Das ist der Unterschied zwischen einer zielbewußten Wirtschaftspolitik im Westen und dem, was wir im Osten erleben.
In der Entwicklung eines solchen vorausschauenden Wirtschaftbudgets liegt auch zugleich der Zwang, eine Wirtschaftspolitik zu betreiben, die nicht einseitig bestimmte Wirtschaftsinteressen fördert, sondern dem gemeinsamen Verantwortungsbewußtsein gerecht wird. Ich möchte anerkennen, der Herr Bundeswirtschaftsminister hat ungeachtet seiner theoretischen Abneigung im Anfang des Jahres 1958 einen Versuch gemacht, ein solches konjunkturwissenschaftliches Gremium zu gründen. Er ist dann am Widerspruch des Bundesverbands der Industrie und dem darauffolgenden Veto des Herrn Bundeskanzlers gescheitert.
Inzwischen habe ich einige Hoffnung. Ein Sohn des Herrn Bundeskanzlers hat einen bemerkenswerten Artikel veröffentlicht, in dem jedenfalls Ansatzpunkte zu einer solchen Regelung enthalten sind. Herr Bundeskanzler, ich habe die stille Hoffnung, daß der Sohn vielleicht einen größeren Einfluß auf den Vater hat als der Vizekanzler auf seinen Bundeskanzler.

(Heiterkeit. — Beifall bei der SPD.)

Herr Kollege Starke, auch bei Ihnen möchte ich die Hoffnung nicht ganz aufgeben.

(Erneute Heiterkeit.)

Sie waren zwar nicht bereit, die gleiche Konsequenz zu ziehen wie der offenbar von Ihnen so sehr geschätzte britische Kollege Thorneycroft, nämlich zurückzutreten. Aber vielleicht sind Sie bereit, die Konsequenz zu ziehen, die der jetzige Schatzkanzler und Kollege in Großbritannien gezogen hat, nämlich ein Planungsgremium, das für die Grundlagen einer ausreichenden Wirtschaftsdiagnose und -prog-



Dr. Deist
nose verantwortlich ist, einzuberufen. Vielleicht sind Sie dazu bereit.
Herr Bundesfinanzminister, es ist nicht meine Aufgabe, Ihnen Ratschläge zu erteilen. Aber wenn Sie einen Finanzplan für mehrere Jahre, für 1962 bis 1964 aufstellen wollen — „Plan" ist in Ihrer Umgebung schon ein gefährliches Wort; ich warne Neugierige —,

(Heiterkeit)


(die frei entscheiden sollen, unter das Gesetz der gemeinsamen Verantwortung gegenüber der Gesamtheit zu stellen. Sie müssen sich aber bewußt sein, meine Damen und Herren: Solange die Unternehmer es ablehnen, auch Richtpunkte für ihre Unternehmenspolitik anzuerkennen, haben sie kein Recht, nach dem Staat zu rufen, wenn es um die Lohnpolitik der Arbeitnehmer geht. Und solange Regierung und Parlamentsmehrheit diese ihre Verantwortung, wie ich sie eben dargelegt habe, verleugnen, haben sie kein Recht, andere verantwortlich zu machen, wenn die Wirtschaftspolitik auf bestimmten entscheidenden Gebieten zu Fehlentwicklungen führt. Lassen Sie mich nun zu zwei anderen Problemen noch einige Worte sagen, zunächst zur Flutkatastrophe. Ich möchte nicht die Methode meines Vorredners aufnehmen und dieses Unglück, das über uns gekommen ist, zu polemischen Auseinandersetzungen benutzen. (Lebhafte Zurufe von der Mitte: Das hat er doch nicht getan!)


(Beifall bei der SPD.)

— Na, die Sache mit dem Bundesleistungsgesetz und der Zwischenruf „Das kam wohl von Hamburg!" waren ja nicht so ganz ohne!

(Abg. Etzel: Der Redner hat das aber nicht getan!)

— Meine Damen und Herren, ich sage: gut, bemühen wir uns gemeinsam darum, bei den mit der Flutkatastrophe zusammenhängenden Problemen nach Möglichkeit alle Polemik zu vermeiden; denn damit werden wir der Sache nicht gerecht. Ich bitte, auch das, was ich jetzt dazu sage, als einen Beitrag zu der gemeinsamen Anstrengung, die wir hier alle zu machen haben, anzusehen.
Der Herr Bundesfinanzminister hat darauf hingewiesen, daß die Bundesregierung sehr schnell einen Kredit von 200 Millionen DM zur Verfügung gestellt hat, der für zwei Jahre zinslos ist. Ich möchte dieses schnelle Handeln in keiner Weise bagatellisieren, sondern anerkennen.
Der Herr Bundesfinanzminister hat ferner ausgeführt, daß über weitere Aufbauhilfen beraten werde. Meine Damen und Herren, wir sollten uns im gemeinsamen Interesse überlegen, ob wir uns in diesem Augenblick — mehr als vier Wochen nach der Katastrophe — mit einer solchen kurzen Darstellung begnügen können. Es wird nicht wenige geben, die noch die Ausführungen im Ohr haben, die der amtierende Präsident, unser Freund Carlo Schmid von dieser Tribüne aus gemacht hat. Ich darf drei Sätze von ihm zitieren:
Diese Katastrophe hat nicht einzelne Ortschaften und Bundesländer für sich allein geschlagen, sie traf das ganze deutsche Volk. Darum steht das ganze Volk für alle einzelnen ein, in deren Person es von dem Unheil geschlagen worden ist. Bundesrepublik, Länder, Gemeinden, Wirtschaft und Gesellschaft Deutschlands sind in unlösbarer Notgemeinschaft aufgerufen, zu handeln und vorzusorgen.
Der Herr Bundeswirtschaftsminister Erhard hat als Stellvertreter des Bundeskanzlers in der Regierungserklärung zwei ähnliche Sätze gesagt, die ich — auch um der Parität willen — hier anführen möchte:
Meine Damen und Herren, daß diese Katastrophe in ihrem Ausmaß über die Leistungskraft eines einzelnen Landes oder einer Stadt hinausgeht, ist selbstverständlich. Auch die Bundesregierung ist sich darüber klar, daß neben anderen Lasten ... das ganze deutsche Volk eine Verpflichtung hat, hier mit zu helfen und mit zu heilen.
Wir sollten uns nun gemeinsam fragen: Wie ist die Lage heute, werden wir der heutigen Lage gerecht? Der Gesamtschaden läßt sich noch nicht überblicken. Aber die einzelnen, die betroffen sind und den ersten Schock überwunden haben, stehen jetzt vor sehr, sehr harten nackten Tatsachen. Es sind große und kleine Unternehmen betroffen. Die großen Unternehmen sind aus der Natur der Sache in der Lage, das, was sie getroffen hat, zum Teil selbst zu verkraften. Ich möchte hier anerkennend sagen: Sie haben das auch in hervorragender Weise getan. Aber diejenigen, die das Geschehen mit aller Gewalt getroffen hat, sind die große Zahl selbständiger mittlerer und kleiner Unternehmen.
Meine Damen und Herren, wir müssen uns fragen, ob eine Überbrückungshilfe mit der Bemerkung, wir erörterten andere Hilfen, wirklich der Situation gerecht wird. Alle diese mittleren und kleineren Unternehmer — Industrielle, Handwerker und Einzelhändler — haben zu einem erheblichen Teil ihre Maschinen, ihre Ladeneinrichtung, ihre Vorräte, d. h. ihre Existenzgrundlage verloren. Ein großer Teil von ihnen hat Angst, in dieser Situation Kredite und Überbrückungshilfen zu übernehmen, weil er nicht weiß, wie die Dinge weitergehen sollen. Und die Marschbauern, deren ganzes Vermögen in ihrem Vieh bestand — dabei denken wir daran, daß in dem Katastrophengebiet an der Unterelbe zwei Drittel des Viehbestandes verlorengegangen sind —, die Obstbauern im Alten Land, deren einziger Wert und deren Existenzgrundlage in ihren Obstbäumen und ihren Obstvorräten bestand, und die sonstigen landwirtschaftlichen Betriebe, die alle bis zur näch-



Dr. Deist
sten Ernte keine Betriebseinnahmen mehr haben? Auch sie haben Angst, Kredite und Überbrückungsbeihilfen anzunehmen und sich damit zu verschulden. Es ist vielleicht doch unsere Aufgabe, sich damit einmal zu befassen. Man sehe sich an, wie in dieser ungeklärten Situation die Hausbanken Fragebögen an die Betroffenen austeilen, die beinahe nach einem Offenbarungseid aussehen. Wenn ich das so sage, meine Damen und Herren, sehen Sie, daß ich keinerlei polemische Bemerkungen machen will, sondern daß es sich hier um ein wichtiges gemeinsames Problem handelt. Ich meine jedenfalls, wir haben die Aufgabe, dafür zu sorgen, daß diese Menschen, die zur Zeit Angst und Sorge um ihre Zukunft haben, nicht der Mutlosigkeit und der Verzweiflung anheimfallen.
Wir sollten ernsthaft überlegen: Haben diese Menschen nicht Anspruch darauf, zu wissen, wie in etwa der Schaden geregelt wird? Ich habe ein beklemmendes Gefühl, wenn ich sehe, mit welcher ängstlichen Sorge dieser Gedanke zurückgehalten wird, über Schaden und Schadenserstattung zu sprechen.
Hier handelt es sich nicht mehr um Einzelschicksale, hier handelt es sich um eine Katastrophe nationalen Ausmaßes, für die die Gemeinschaft einstehen muß. Jene, die betroffen sind, verlangen von uns, daß wir uns der Worte erinnern, die hier am 22. Februar gesagt worden sind. Wir haben in den letzten Wochen Beispiele des Gemeinschaftsbewußtseins, des solidarischen Handelns, der Hilfsbereitschaft und der Opferbereitschaft in einem Maße erlebt, wie wir das vorher kaum erwartet hatten. Das waren nicht nur Kommunen, nicht nur die Bundeswehr, nicht nur die Polizei, sondern das waren vor allem auch die Freiwilligen des Deichschutzes, die Freiwilligen in den Wohlfahrtsverbänden. Das waren Tausende, die spontan zur Hilfe eilten. Da gab es große Beispiele nachbarschaftlicher Hilfe. Und es gibt Hunderttausende, die gespendet haben und noch spenden, weil sie meinen, helfen zu müssen. Das sind breite Schichten unseres Volkes, die hier in Bewegung gerieten. Das sind auch Dinge, über die wir in unserer Zeit froh sein können.
Diesen Menschen gehört nicht nur der Dank, den der Bundestag ihnen aussprechen sollte, sondern ihr Verhalten muß uns auch zu der Überlegung zwingen, ob wir, Bundestag und Bundesregierung, uns dieser Situation gegenüber wirklich gerecht verhalten. Es sind gewaltige Schäden entstanden, sie gehen in die Milliardengröße. Das ist eine Aufgabe, die gemeinsam von Unternehmungen, Ländern und Bund getragen werden muß.
Aber wenn das eine nationale Katastrophe ist, dann hat der Bund eine entscheidende Verantwortung zu tragen und auch einen entscheidenden Teil der Lasten mitzutragen. Die Gemeinden, die Länder und die Unternehmen haben sehr viel aufzubringen, ob es Lohnerstattung, Soforthilfen, Unterhaltshilfen, Hausratsentschädigung oder ob es vieles andere mehr ist. Aber über diesen Rahmen gehen hinaus die ungeheuren Sachschäden insbesondere jener breiten Schicht mittlerer und selbständiger Existenzen, die doch nach unser aller Auffassung ein wichtiger Bestandteil unserer freien Ordnung sind.
Meine Damen und Herren, das gilt für die Sachschäden an Hausbesitz und die Sachschäden an Betriebsgebäuden, Maschinen und Geräten, Grund und Boden, Vieh und Vorräten. Alle diese Werte haben eines gemeinsam: sie sind die Existenzgrundlage der Selbständigen. Es geht über die Kraft der Länder hinaus, diese Schäden angemessen zu entgelten. Es handelt sich hier um eine so große Aufgabe, daß sie nur als Bundesangelegenheit betrachtet werden kann.

(Abg. Etzel: Doch nicht nur! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU: Nicht nur!)

— Federführend als 'Bundesangelegenheit! Ich habe gesagt: Es ist eine gemeinsame Aufgabe, die Lasten zu tragen. Ich bin ferne davon, zu meinen, die gesamten Lasten müsse der Bund übernehmen.

(Abg. Dr. Vogel: Bitte keine Spezialdebatte über die Flutkatastrophe!)

Jene dort oben wissen, was in den Niederlanden getan wurde. Und vielleicht könnten wir uns ein Beispiel an der niederländischen Regelung nehmen. Da ist unmittelbar nach der Flutkatastrophe von 1953 ein Gesetzentwurf über die Regelung der Schäden vorgelegt worden.

(Sehr richtig! bei der SPD.)

Die kleineren Sachschäden sind voll entschädigt worden. Darüber hinaus ist mit Abschlägen entschädigt worden.
Meine Damen und Herren, wir sollten uns nicht zu viel vormachen; wir sollten wissen, daß eine sinnvolle Regelung der Sachschäden der Flutkatastrophe unumgänglich ist.

(Zustimmung bei der SPD.)

Wir sollten uns auch bewußt sein, daß das Grundgesetz mit der Bestimmung, diese deutsche Bundesrepublik zu einem sozialen Rechtsstaat auszubauen, uns Verpflichtungen auferlegt, und daß Vorgänge wie bei der Entschädigung der Vertriebenen und Flüchtlinge Vorgänge sind, die kraft Grundgesetzes zu einer gleichen Behandlung in ähnlich gelagerten Situationen zwingen.
Darum meine ich, wir sollten uns bereitfinden, über das hinaus, was der Herr Bundesfinanzminister gesagt hat, hier deutlich zum Ausdruck zu bringen, daß die Totalschäden kleiner und mittlerer selbständiger Existenzen — naturgemäß bis zu einer angemessenen Grenze — entschädigt werden, damit die Betroffenen wissen, daß sie eine Grundlage für den Wiederaufbau ihrer Existenz bekommen. Wir sollten uns dahin entscheiden, daß Teilschäden mit entsprechenden Abschlägen erstattet werden. Dabei setze ich voraus, daß bei der Beurteilung der Frage, ob ein Teilschaden vorliegt, die wirtschaftliche Einheit als Ganzes, das gesamte wirtschaftliche Unternehmen betrachtet wird.
Ich habe das hier mit Absicht dargelegt, weil ich fürchte, wie verlieren allzuviel Zeit, und weil wir uns bewußt sein müssen, daß eine solche Katastro-



Dr. Deist
phe auch psychologische Auswirkungen auf .die Menschen hat, die von ihr betroffen sind.
Wir sollten deshalb die Bundesregierung bitten, sehr bald einen Gesetzentwurf einzubringen, der diese Grundsätze für die Entschädigung deutlich werden läßt. Es sollte deutlich werden, ,daß es sich insoweit um eine gemeinsame Aufgabe handelt. Es wäre nicht gut, wenn eine Partei — zum Beispiel wir — sich gezwungen sähe, hier eine Initiative zu ergreifen. Wir sind dazu bereit, wenn ,die Bundesregierung nicht das Erforderliche veranlaßt. Das Bewußtsein gemeinsamer Verantwortung sollte aber durch eine Vorlage der Bundesregierung zum Ausdruck kommen. Wir haben hier nicht mehr sehr viel Zeit zu verlieren.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0401920700
Herr Abgeordneter Deist, gestatten Sie eine Zwischenfrage ,des Abgeordneten Struve?

Dr. Heinrich Deist (SPD):
Rede ID: ID0401920800
Bitte!

Detlef Struve (CDU):
Rede ID: ID0401920900
Herr Kollege Deist, ist Ihnen nicht bekannt, daß auf Anregung meiner politischen Freunde ein interfraktioneller Ausschuß gegründet worden ist? Ist Ihnen weiter nicht bekannt, daß dieser in seiner ersten Zusammenkunft einstimmig beschlossen hat, daß das Parlament in dieser Frage nur interfraktionell vorgeht?

Dr. Heinrich Deist (SPD):
Rede ID: ID0401921000
Herr Kollege Struve, mir ist bekannt, daß ein solcher interfraktioneller Ausschuß besteht. Mir ist bekannt, daß er Erörterungen anstellt. Mir ist bekannt, daß Initiativen interfraktionell ergriffen werden sollen, daß heißt Entschließungsanträge, Gesetzentwürfe und dergleichen mehr interfraktionell eingebracht werden sollen. Aber, meine Damen und Herren, ich glaube, zumal wenn man es in einer solch sachlichen Form macht, wie ich das hier getan habe, — —

(Zuruf von der CDU/CSU: Na, na! — Abg. Dr. Vogel: Wir könnten das ja genauso machen!)

— Ich bin allerdings der Auffassung, meine Damen und Herren, daß 'der Herr Bundesfinanzminister zu diesem Problem ein klein wenig mehr hätte sagen müssen.

(Beifall bei der SPD.)

Ich bin auch der Auffassung, auch das sollte unsere gemeinsame Sorge sein, daß eine etwaige Vereinbarung im ,geschlossenen Kämmerlein, nichts zu unternehmen nach außen, außerordentliche Gefahren in sich birgt, wenn sie zur Folge hat, daß man draußen nicht weiß, was praktisch geschehen soll. Meine Damen und Herren, ich kann Sie nicht hindern, meine Darlegungen anders zu interpretieren, als ich sie gemeint habe. Aber Sie waren gemeint als ein sachlicher und ernster Beitrag zu einem Problem, dessen Gefahren schneller über uns hereinbrechen können, als sich das mancher hier träumen läßt.

(Beifall 'bei der SPD.)

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Schluß einige wenige Worte zum Berlin-Problem sagen. Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat berichtet, wie die zusätzliche Bundeshilfe von 500 Millionen DM aufgebracht wird. Wir wissen, daß ein Berlin-Plan vorbereitet wird. Wir wissen, daß in diesen Tagen ernsthafte Beratungen in Berlin stattfinden. Ich bin weit davon entfernt, durch Äußerungen von dieser Tribüne aus diese Unterhaltungen stören zu wollen; im 'Gegenteil, wir haben nach allem, was )darüber bisher in die Öffentlichkeit gedrungen ist, die Hoffnung, daß ein gutes Ergebnis erzielt werden wird. Trotzdem meine ich, daß man einige allgemeine Bemerkungen machen sollte, zumal die Dinge in der Öffentlichkeit leider weit mehr erörtert werden, als das von offizieller Seite vielleicht möglich ist, was ich gern konzediere.
Bei idem Versuch, Berlin wirtschaftlich abzuschnüren und auszuhöhlen, handelt es sich um eines der wichtigsten Mittel der sowjetischen Zonenpolitik. Ich will das unterstreichen, weil ich meine, daß in der Öffentlichkeit die Bedeutung der wirtschaftlichen Aspekte des Berlin-Problems nicht genügend erkannt wird. Bis heute sind die Hoffnungen, die sich ,der Osten in dieser Beziehung gemacht hat, enttäuscht worden; von einer Ausdörrung Berlins ist keine Rede. Aber es ist unsere Aufgabe, den wirtschaftlichen Aufschwung Berlins zu sichern und dafür zu sorgen, daß Berlin ein wirtschaftliches und geistiges Zentrum der westlichen Welt wird.
Es sind Vorschläge vorbereitet worden, die, glaube ich, der heutigen Situation insofern besonders gerecht werden, als sie strukturelle Maßnahmen zum Gegenstand haben, die der Wirtschaft und dem sozialen Leben Berlins neue Antriebskräfte verleihen, so daß sich die Berliner Wirtschaft aus eigener Kraft entwickeln kann. Wenn ich hierzu das Wort ergreife, dann deshalb, weil es sich um ein wichtiges Problem handelt. Wir wissen, daß die Vorschläge und die Überlegungen, die gemeinsam angestellt werden, von Fachsystematikern der verschiedenen Sparten, sei es des Steuerrechts oder des Sozialrechts oder anderer ehrenwerter Fachsparten, immer wieder gehemmt werden. Lassen Sie mich hinzufügen: diese Fachsystematiker sitzen auf allen Seiten; niemand hat ein Privileg auf sie. Ich meine, wir sollten zum Ausdruck bringen, daß hier Mut zur Entscheidung vordringlich ist, daß wir über diese allgemeinen Bedenken und Hemmungen fachsystematischer Art hinwegkommen müssen. Es geht um eine politische 'Entscheidung, die der Bedeutung und der Größe des Berlin-Problems gerecht werden muß.

(Beifall bei der SPD.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0401921100
Meine Damen und Herren! Aus der Mitte das Hauses wurde ich darauf aufmerksam gemacht, daß während der Rede des Abgeordneten Schmidt (Wuppertal) der Abgeordnete Wehner den Zwischenruf gemacht hat: „Flegel!". Der Zwischenruf war im Präsidium nicht zu verstehen. Nach dem stenographischen Protokoll ist dieser Zwischenruf gemacht worden. Er stellt eine Formatbeleidigung und eine Störung der Ordnung dieses Hauses dar. Ich rufe den Abgeordneten Wehner zur Ordnung.



Vizepräsident Dr. Jaeger
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Wirtschaft.

Dr. Ludwig Erhard (CDU):
Rede ID: ID0401921200
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte mich zunächst für mich und für die Bundesregierung gegen den Vorwurf verwahren, wir betrieben eine bewußte Irreführung in unserer Politik und unterrichteten die Menschen mit falschen Zahlen. Das ist bestimmt nicht der Fall. Jede Zahl, die ich Ihnen jetzt und auch nachher nennen werde, ist erhärtet; sie ist auch nicht von mir errechnet.

(Abg. Dr. Deist: Ich habe nicht von falschen Zahlen gesprochen!)

Herr Kollege Deist sagte, es müßte eigentlich selbstverständlich sein, daß auch die Arbeitnehmer an dem Fortschritt der Wirtschaft, der höheren Produktivität und der steigenden Leistungskraft teilhaben. Das ist eine bare Selbstverständlichkeit. Folgende Ziffern beleuchten das noch ein weiteres Mal: Das Sozialprodukt pro Erwerbstätigen hat in der Zeit von 1960 auf 1961 realiter um 3,5 % zugenommen. Die Arbeitszeitverkürzung hat 1 1/2 % betraggen. Der Zuwachs an Beschäftigten ist durch die Arbeitszeitverkürzung praktisch aufgelöst worden. Die Bruttolöhne und -gehälter haben sich nach der Gesamtsumme im Jahr 1960/61 um 12,7 % erhöht, bezogen auf die einzelnen. Erwerbstätigen in abhängiger Stellung um 10,1 %. Demgegenüber sind die Bruttoeinkommen der Unternehmen in dem gleichen Zeitraum von 1960 auf 1961 um 4,7 % gestiegen, nach Steuerabzug netto um 0,8 %. Die nichtentnommenen Gewinne sind um 18 % zurückgegangen.
Angesichts dieser Situation und dieser Entwicklung kann man wirklich nicht sagen, daß wir den Arbeitnehmer nicht vollwertig an dem Fortschritt, der höheren Produktivität und der steigenden Leistungsergiebigkeit haben teilnehmen lassen.

(Sehr ,richtig! bei der CDU/CSU.)

Es gibt noch eine andere Zahl, die Sie, wie ich glaube, in den letzten Tagen selbst verwendet haben. Sie besagt, daß wir die Schallmauer der 60 % jetzt durchbrochen haben; —d. h. vom Volkseinkommen entfallen 62,3 % auf Löhne und Gehälter.
Ich spreche diese Dinge an, weil wir nicht nur an das Heute zu denken haben, aber nicht ,etwa, weil wir glaubten, es sei bei uns alles zum besten geordnet und es gebe nichts mehr zu korrigieren. Nein, wie oft habe ich von dieser Stelle aus gesagt: in diesem turbulenten, dynamischen und expansiven Geschehen seit dem Zusammenbruch und seit dem Wirken der Bundesregierung konnte keine göttliche Gerechtigkeit obwalten. Das Gesellschaftsbild, das mir vorschwebt, hat zweifellos eine etwas andere Struktur als die Gegenwart. Aber das schöne und gute Ziel kann man ganz bestimmt nicht einfach dadurch erreichen, daß man die Nominaleinkommen nach Belieben erhöht. Da muß ich schon sagen: warum begnügen wir uns dann mit 10 %; 20 % wären noch besser?!

(Abg. Dr. Deist: Wer verlangt denn das?!)

— Sie haben behauptet, daß der Arbeitnehmer, gemessen an dem Einkommen der übrigen, zu kurz kommt. Ich habe Ihnen, Herr Deist, gesagt: die Investitionen sind leider nicht mehr so strahlend, wie Sie das vorhin angeführt haben. Es ist zwar von 1960 auf 1961 noch ein Zugang zu verzeichnen. Sie meinen, wir hätten eine so schlechte Statistik. Tatsächlich ist aber bei den EWG-Ländern jetzt unser deutscher Konjunkturtest eingeführt worden.
Wir sind z. B. auch das einzige Land, das vorausschauend eine Statistik über den Auftragseingang führt, und darüber will ich jetzt berichten: Der Auftragseingang in der Investitionsgüterindustrie ist von Oktober 1961 his Januar 1962 — die Februarzahlen habe ich leider noch nicht, aber der Trend setzt sich sicher fort — gegenüber dem Vorjahr jeweils von minus 1,6 % dm Oktober 1961 von Monat zu Monat mehr auf im Januar minus 6,6 % gesunken, soweit Investitionsbestellungen aus dem Inland in Frage kommen. Bei den Investitionsbestellungen aus dem Ausland sind die Verhältnisse noch ungünstiger. Da ist der Rückgang, bezogen auf die jeweils gleichen Vorjahrsmonate, von minus 5,7 % im Oktober auf minus 14,3 % im Januar angestiegen.
Wenn ich überhaupt das ganze Bild der Wettbewerbslage im übernationalen Raum betrachte, dann haben wir, so muß ich sagen, keinen Grund zu jubilieren. Ich bin der letzte, der den Teufel an die Wand malen wollte. Das würde gar nicht zu meinem Temperament passen. Aber nehmen Sie es mir ab, daß es die Vorsorge ist und die Vorausschau — Sie rügen immer, daß sie nicht vorhanden seien —, die mich hier ernste Töne sagen lassen. Z. B. haben innerhalb der EWG-Länder alle anderen EWG-Staaten ihren Absatz in die übrigen Räume des EWG-Marktes mehr steigern können, als es die Bundesdespublik umgekehrt vermocht hat. Das scheint auch nicht ein Zufall zu sein.
Wenn ich in diesem Jahr bei Reisen nach den Vereinigten Staaten und Großbritannien und in der Schweiz unmittelbar frontal angesprochen wurde: „Vor dem deutschen Wettbewerb haben wir keine Angst mehr; ihr tut ja alles, um ihn selber zu zerstören", dann ist das ganz gewiß von außen her gesehen, und so mag auch etwas Zweckhaftes mitspielen. Aber nehmen Sie z. B. die Fertigwareneinfuhr! Sie ist besonders symptomatisch, weil hier unmittelbare Vergleichsmöglichkeiten von Land zu Land gegeben sind. Die Fertigwareneinfuhr steigt von Monat zu Monat, d. h. der Anteil der Fertigwaren an der Gesamteinfuhr ist steigend.

(Abg. Dr. Deist: Das haben wir gewollt!)

— Das haben wir gewollt, um den Wettbewerb zu beleben. Aber wir müssen schließlich sehen, daß wir unsere Wettbewerbsfähigkeit, unsere Leistungskraft aufrechterhalten.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Wir sind immer weniger allein in der Welt. Der Gemeinsame Markt ist mitten in Deutschland. Das spüren wir sehr deutlich. Sie sagen, wir haben nichts getan; — na, wir haben, um die Konjunktur zu bremsen und Preiserhöhungen zu verhindern, in zweimaligen Aktionen, ohne nach einer Gegen-



Bundeswirtschaftsminister Dr. Dr. h. c. Erhard
leistung zu fragen, die Zölle auf dem gewerblichen Sektor um insgesamt 45 % gesenkt.
Wir haben im vorigen Jahr im März die Währungsaufwertung durchgeführt. Es ist ganz interessant, zu sehen, wie die Reaktion auf diese Währungsaufwertung gewesen ist. Die Gewerkschaften haben gesagt: „Das geht uns überhaupt nichts an, das braucht uns nicht zu interessieren", — immerhin eine bemerkenswerte Aussage. Aber auch die Unternehmer haben sich merkwürdig verhalten. Die einen haben gesagt: „Der deutsche Export wird damit vernichtet". — Na, er ist nicht vernichtet worden, er ist etwas schwieriger geworden. Die anderen haben gesagt: „Die Gewinne, die da anfallen, werden sich schon die Unternehmer teilen." Die Tatsache ist die, daß unsere Einfuhrgüter seit dem Zeitpunkt der Währungsaufwertung eine Preissenkung um 5 % erfahren haben und daß damit zweifellos ein sehr erheblicher Druck auf das deutsche Preisniveau ausgeübt wurde. Natürlich hat sich das auch in Gewinnminderungen ausgewirkt. Sie selber haben das anerkannt, aber diese Entwicklung stößt natürlich an Grenzen. Wenn die Investitionstätigkeit erlahmt, aus welchen Gründen auch immer, dann müßte jeder, meine ich, jede Partei und jeder Stand und jede Gruppe, darum besorgt sein, daß daraus kein Unheil erwächst, und sollte anerkennen, daß derjenige verantwortungsbewußt handelt, der zur rechten Zeit mahnt.
Es ist auch nicht so, daß wir nur die Arbeitnehmer ansprechen. Sie haben den letzten Lagebericht des Bundeswirtschaftsministeriums zitiert. Hätten Sie den vorletzten hergenommen, hätten Sie darin eine bewegte Klage über eine zu hohe Selbstfinanzierungsquote in der Wirtschaft gelesen.

(Abg. Dr. Deist: O nein! Einerseits — andererseits heißt es dort zur Selbstfinanzierung!)

Dann sagen Sie, daß Mängel unserer Ordnung vorhanden sind. Ja, es gibt Mängel, nämlich einmal den Gruppenegoismus, der in Deutschland üppige Blüten treibt und der dazu noch die Wirkung hat, daß das, was der einzelne Mensch, das Individuum, fühlt und wünscht, was an Hoffnungen und Sorgen lebendig ist, gar nichts mehr mit dem zu tun hat, was als kollektiver Wille der Gruppen in die Welt hinaustönt.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Das ist einer der Mängel unserer Ordnung, daß hier
das demokratische Spiel nicht richtig funktioniert.

(Abg. Dr. Deist: Sehr richtig!)

Es kommt noch etwas dazu, und ich glaube, dessen sollten wir auch eingedenk sein, das ist unsere deutsche Hybris. Wenn man einmal vom Ausland auf Deutschland hereinblickt und viel mit Ausländern spricht, stellt man folgendes fest. Wir sind einst bewundert worden, was wir im Aufbau seitens aller Schichten, Stände und Berufe geleistet haben. Aber anders beurteilt man jetzt unsere Sucht, auf allen Gebieten Rekorde schlagen zu wollen; ich nenne hier nur die Steigerung der Einkommen, die Überschätzung der möglichen Gewinne und was es auf diesem Felde mehr gibt. Auch die Arbeitszeitverkürzung gehört dazu, die man von anderer Seite aus teils sogar gerne sieht, weil sich dadurch ein Konkurrent selber schädigt. Das trägt aber alles nicht dazu bei, uns in der Welt Ansehen zu verschaffen. Man hört jetzt schon wieder solche Stimmen: Die Deutschen können doch nicht maßhalten; sie können es nicht ertragen, wenn es ihnen gut geht. Das müssen wir uns auch einmal merken. Aus der deutschen Geschichte wissen wir, daß wir nicht immer nur durch einen Anstoß von außen her gescheitert sind; nein, wir sind oft auch an unserer eigenen Hybris gescheitert und haben darunter Schaden gelitten.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Mattick: „Die ich rief, die Geister, werd ich nun nicht los!")

— Na, ich hoffe, das ist keine Klage wegen des raschen Aufstiegs der deutschen Volkswirtschaft. Herr Kollege Deist hat zwar gesagt, daß wir nach dem Ende der Hitler-Herrschaft 12 Jahre CDU-Regierung gehabt hätten. Ich glaube, das deutsche Volk weiß das zu schätzen, denn diese CDU-Regierung hat ihm immerhin einiges gebracht.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Sie haben dann von der mangelnden Berücksichtigung der Interessen der Arbeitnehmer gesprochen. Eines ist hier ganz interessant. Ich entsinne mich ganz deutlich — ich weiß nicht, ob Sie, Herr Deist, es selber gewesen sind —, daß vor der Bundestagswahl von seiten Ihrer Partei gesagt worden ist, so, wie der Fortschritt der Produktivität sei, könne man damit rechnen, daß in 15 Jahren eine Verdoppelung des Einkommens gerade der breiten Massen eintreten werde. Wenn wir die jetzige Lohnzuwachsquote von 10 % nehmen und nach der Zinseszinsrechnung vorgehen — was man bekanntlich tun muß —, dann ergibt sich in zehn Jahren eine Steigerung — wenn Sie von heute als 100 % ausgehen — um 159 % auf 259 %, und in 15 Jahren, die Sie für die Verdoppelung vorgesehen haben, würde bereits eine Vervierfachung eingetreten sein. Seinerzeit waren Sie ja der Meinung, daß die SPD den Sieg erringen würde. Man kann daraus nur schließen, daß Sie der Meinung waren, bei einer SPD-Regierung würden sich die Arbeitnehmer mit einem geringeren Lohnzuwachs begnügen als bei einer CDU-Regierung.

(Beifall in der Mitte. — Abg. SchmittVockenhausen: Billige Wahlrede! — Weitere Zurufe von der SPD.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0401921300
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Deist?

Dr. Heinrich Deist (SPD):
Rede ID: ID0401921400
Herr Bundeswirtschaftsminister, ist Ihnen bewußt, daß Sie diesen Teil des Hannoverschen Appells nicht ganz zutreffend zitiert haben? Ist Ihnen nicht bewußt, daß wir nicht gesagt haben: Wir versprechen euch, sondern daß wir gesagt haben: Es ist möglich — das hat sogar die Vergangenheit gezeigt —, diese Entwicklung zu haben, und



Dr. Deist
hier ergibt sich eine große Chance, durch gerechte Verteilung allen Menschen die Möglichkeit zur freien Entfaltung zu geben? Das war der Sinn dieses Absatzes.

Dr. Ludwig Erhard (CDU):
Rede ID: ID0401921500
Ich werde Ihnen eine andere Rechnung aufmachen, die mir realistischer zu sein scheint. Wenn Sie einen jährlichen Zuwachs von 6 °/%o annehmen, würde sich in 12 Jahren eine Verdoppelung ergeben. Und davon habe ich vor der Wahl gesprochen. Sie haben eine Verdoppelung in 15 Jahren in Aussicht gestellt und halten gleichzeitig eine Lohnerhöhungsquote von jährlich 10 % womöglich für angemessen und praktizierbar. — Aber was hat das alles für einen Sinn!

(Zurufe von der SPD: Eben!)

Ich will Ihnen jetzt einmal etwas anderes sagen. Es gehört wenig Phantasie dazu, sich vorzustellen, daß wir dieses Tempo einfach nicht durchstehen können. Wir sind im Gemeinsamen Markt. Er weitet sich aus; Großbritannien wird dazukommen. Sie kennen die Pläne von Präsident Kennedy, der die Vollmacht erbeten hat, in weiten Bereichen auf linearer Grundlage die Zölle um 50 % senken zu dürfen und bei den Positionen, bei denen 'sich der Handel zu 80 % zwischen Nordamerika und Europa abgewickelt, sogar eine Zollsenkung um 80 % vornehmen zu dürfen. Hier kommt also noch einmal ein Wettbewerber mit einer hohen Produktivkraft auf uns zu, und da glauben Sie, wir könnten uns von allen Normen, von allen Maßen lösen. Das ist doch nicht möglich. In den Vereinigten Staaten sind die Löhne in den letzten drei Jahren jeweils um 2 bis 3 % erhöht worden. In Großbritannien hat man ein Gremium geschaffen, das nicht zuletzt die Lohnentwicklung in den volkswirtschaftlich tragbaren Maßen halten soll. Sie wissen, daß bei dem Abschluß der Lohnverhandlungen mit den Eisenbahnern in Großbritannien der Pegel für dieses Jahr auf ungefähr 3 % gesetzt worden ist; er war im vorigen Jahr sogar geringer. Für uns soll das alles nicht gelten? Allein der gesunde Menschenverstand müßte uns sagen, daß es hier gewisse Grenzen gibt, und wenn wir diese Grenzen mißachten, wird die Konjunktur eben zusammenbrechen müssen. Ich habe mir bisher die erdenklichste Mühe gegeben, die Konjunktur auf Hochtouren zu halten, schon allein deswegen, weil unsere Soziallasten, die durch Gesetze gebunden sind, so hoch sind, daß wir uns überhaupt keinen Einbruch leisten können, ohne daß Unheil über uns kommen müßte.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Deshalb scheint mir die Erhaltung der gesunden Grundlagen das Wesentliche zu sein.
Wir wollen auch eine Änderung der Vermögensstruktur. Das setzt aber voraus, daß die Stabilität der Preise, die Sicherheit der Währung gewährleistet bleiben; sonst hat alles Streben keinen Sinn. Darum hat derjenige, der das deutsche Volk anspricht und mahnt, die Wahrheit auf seiner Seite.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Sie meinen, die tatsächlichen Ursachen für die Preissteigerungen lägen nicht bei den steigenden Gehältern und Löhnen, sondern auf dem Gebiete der Zahlungsbilanz bzw. der Handelsbilanz. Nun, Sie wissen, was wir alles getan haben, um die Handelsbilanzüberschüsse — nicht zuletzt auch aus Solidarität gegenüber anderen Ländern der freien Welt
— abzubauen und einen besseren Zahlungsbilanzausgleich zu erreichen. In einem Jahr allein hat sich die Zahlungsbilanzposition — allerdings mit Sonderleistungen und einmaligen Abzahlungen — um rund 8 Milliarden DM verschlechtert. Also auch von dieser Seite her ist alles getan worden.
Die Preise: Ich habe wiederholt ausgesprochen, daß ich es sehr begrüßen würde, wenn den Preissteigerungen, die dort eintreten, wo sehr viel Arbeitsleistung enthalten ist, Preissenkungen dort gegenüberstünden, wo die technische Rationalisierung so weit fortgeschritten ist, daß man füglich annehmen kann, daß die Möglichkeit für Preissenkungen gegeben ist. Sie wollen damit auf Folgen der Konzentration und auf den Einfluß wirtschaftlicher Macht hinweisen. Es ist gewiß interessant, daß die Preise dort am meisten gesunken sind, wo der Wettbewerb am stärksten ist. Darum kommt es darauf an, den Wettbewerb immer wieder aufs neue zu beleben.
Ich befinde mich, wie Sie wissen, im Augenblick in einer Abwehrsituation in bezug auf die Umsatzausgleichsteuer. Hier wäre eine Änderung zwar technisch durchaus gerechtfertigt, weil tatsächlich die gegenwärtige Belastung durch die Umsatzausgleichsteuer beim grenzüberschreitenden Verkehr nicht ganz die innere Belastung ausmacht. Aber ich meine, wir haben das seit vielen Jahren so gehandhabt, und es besteht im Augenblick, da die Konjunktur hier und dort einmal etwas schwächer geworden ist, kein Anlaß, eine Maßnahme zu treffen, die wieder auf das deutsche Preisniveau durchschlagen könnnte. Sie können mir also beim besten Willen — und ich spreche hier stellvertretend für die Bundesregierung — nicht vorhalten, ich sei von einer sozialreaktionären Gesinnung erfüllt. Nein, ich verteile meinen Segen schon gerecht und ich spreche jeden an, den es angeht, so wie es der Augenblick und wie es die Sache erfordern.
Übrigens haben Sie sich eines intellektuellen Irrtums schuldig gemacht, indem Sie z. B. die Steigerung des Sozialprodukts in den letzten zehn Jahren
— ich glaube, Sie hatten diesen Zeitraum genannt
— um 64 % mit der Steigerung der Unternehmereinkommen um 165 % verglichen haben. Die 64 % Sozialproduktsteigerung sind reale Steigerung,

(Abg. Dr. Deist: Genau das habe ich gesagt!)

während die 165 % Erhöhung der Unternehmereinkommen 'die nominelle Steigerung aufzeigen.

(Abg. Dr. Deist: Genau das habe ich gesagt!)

Zieht man jetzt die 20 % ab, um die leider die Kaufkraft der D-Mark verwässert worden ist, verändert sich die Lage. Wenn Sie dann noch die Einkommensteuerprogression berücksichtigen, sieht das Schlußbild unter dem Strich ganz anders aus als das Ergebnis, das sie mit Ihrem Zahlenvergleich andeuten wollten.



Bundeswirtschaftsminister Dr. Dr. h. c. Erhard
Ich bekenne mich nach wie vor dazu, daß eine jährliche Verwässerung der Kaufkraft oder, anders ausgedrückt, eine durchschnittliche Steigerung der Lebenshaltungskosten um 3 % keine Bagatelle ist, und wir sind alle dafür verantwortlich, daß ein solches Unheil verhindert wird.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Aber wenn Sie internationale Vergleiche ziehen, und zwar gerade auch mit den Ländern, die nach Ihrer Meinung tugendhafter als wir gewesen sein sollten, dann erweisen sich Ihre Vorwürfe nicht als gerechtfertigt. Das einzige Land, ,das eine Preissteigerung zu verzeichnen hat, die unter der in der Bundesrepublik liegt, ist die Schweiz, in der die Kaufkraft der Währung heute 117 % von 1950 beträgt. Danach kommen die USA, .die mit uns auf der gleichen Höhe liegen. Es schließen sich an Italien mit 137 %, Großbritannien mit 154 %, Schweden mit 158 % und Frankreich mit 176 %.
Ich sage das nicht zum Trost, ich sage das nicht einmal zur Entschuldigung, sondern ich sage das deshalb, um damit zu dokumentieren, daß unsere Konjunkturpolitik und unsere Anstrengungen, das deutsche Preisniveau angesichts all der Erscheinungen und Ereignisse in ,der Umwelt zu stabilisieren, eben doch relativ erfolgreich waren.
Die Sünden, die begangen worden sind, darf man nicht auf einer Seite sehen. Ich habe nie gesagt, daß nur die Arbeitnehmer, nur die Gewerkschaften Schuld an falscher Entwicklung tragen. Ich habe nie gesagt, daß der Zuwachs an Produktivität der alleinige Maßstab für die Lohnfindung sein sollte. Aber der Lohn kann sich auch nicht völlig von der Produktivität loslösen.
Ich darf Ihnen in diesem Zusammenhang noch einige Ziffern nennen. Im Jahre 1959 lagen die Lohn- und Produktivitätssteigerungen ungefähr auf der gleichen Höhe, so bei 5,5 %. Im Jahre 1960 sind die Löhne pro Kopf um 8,9 % gestiegen, die Produktivität um 6,6 %, im Jahre 1961 die Löhne um 10,1 % und die Produktivität um nur 3,9 %.

(Abg. Dr. Deist: Jetzt vergleichen Sie wieder reale und nominelle Werte!)

— Ja, hier schlägt nämlich das Nominelle ins Reale durch.

(Abg. Dr. Deist: Das ist ja die Frage, die beantwortet werden muß! — Weiterer Zuruf von .der SPD: Sie haben selbst gesagt, daß man .das nicht vergleichen kann!)

— Wissen Sie, was wir machen? Wir machen folgendes neckische Spiel: Nehmen Sie an, in einer Kantine werden 100 Eintopfgerichte von je einem Liter gekocht, und es werden 100 Essenmarken ausgegeben, dann bekommt jeder seinen Liter Eintopf. Wenn Sie aber 110 Marken ausgeben und jeder bedient werden soll, gibt es eben keinen Liter, sondern nur noch 0,9 Liter. In der Volkswirtschaft heißt das: die Preise steigen. Das ist eine ganz einfache Rechnung.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0401921600
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Dr. Ludwig Erhard (CDU):
Rede ID: ID0401921700
Ja.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0401921800
Bitte, Herr Abgeordneter!

Hans Matthöfer (SPD):
Rede ID: ID0401921900
Herr Minister, haben Sie soeben nicht einen Vergleich zwischen Nominal- und Realzahlen gebracht, so daß das, was Sie dem Abgeordneten Deist vorgeworfen haben, jetzt für Ihre eigene Argumentation zutrifft, nämlich einen intellektuellen Irrtum begangen zu haben?

Dr. Ludwig Erhard (CDU):
Rede ID: ID0401922000
Nein. Ich wollte damit sagen, daß, wenn das Nominaleinkommen stärker steigt als die Produktivität, Preissteigerungen selbstverständlich sind. Es gibt keinen anderen Ausweg.

(Abg. Dr. Deist: Darüber gibt es aber auch keinen Streit!)

Die sogenannte arbeitnehmerfeindliche Bundesregierung bemüht sich immer wieder — und ich kann das für mich besonders in Anspruch nehmen —, mit den Gewerkschaften im Gespräch zu bleiben, um zu einer vernünftigen Plattform des Gedankenaustauschs hinzufinden. Ich hoffe auch jetzt noch, daß es mir gelingen wird, wieder einen gemeinsamen Tisch — ich will absichtlich noch keine Namen nennen — zustande zu bringen, an dem die Probleme auf sachlicher, objektiver Grundlage mit möglichst hohem wissenschaftlichem Rang abgeklärt werden. Dort soll nicht nur einseitig festgestellt werden, wie hoch Löhne und Gehälter steigen dürfen; dort soll vielmehr einmal das gesamte volkswirtschaftliche Tableau aufgezeigt werden. Ich hoffe, daß das dazu beitragen wird, zu einer besseren Verständigung zu gelangen, aber auch zu einer größeren inneren Wahrhaftigkeit der Argumente, die in der Öffentlichkeit vorgetragen werden. Es scheint mir ein Krebsübel zu sein, daß jeder nur seine eigene Sprache und nur zum Fenster hinaus spricht. Ich habe mir vorgenommen, das deutsche Volk mit Zahlen und Argumenten anzusprechen, gegen die einfach nicht anzugehen ist, gerade weil ich die Zukunft des deutschen Volkes gesichert sehen möchte, gerade weil ich weiß, daß wir schon etwas auf die schiefe Bahn geraten sind.
Aus diesem Grunde ist es höchste Zeit, von den Ländern zu lernen, die Unheil erfahren haben, heute um ihre Währungen bangen und Kraftanstrengungen machen, wieder ins Gleichgehicht zu kommen. Auch bei ihnen begann diese Entwicklung mit einer absinkenden Produktivität der volkswirtschaftlichen Arbeit, mit steigenden Preisen und einem langsameren Wachstum. Alle diese Zeichen sind heute auch schon in Deutschland wahrzunehmen. Wir wollen nicht durch ein Absinken unserer Wettbewerbskraft auch noch das allerletzte Elend erfahren, nämlich in Zahlungsbilanznöte zu geraten. Dann hätten wir alles wiederholt, was uns an Fehlern und Sün-



Bundeswirtschaftsminister Dr. Dr. h. c. Erhard
den praktiziert worden ist. Während sich die anderen bemühen, allmählich einen Prozeß der Heilung einzuleiten, sind wir trotz böser Beispiele, die heute in der ganzen Welt bekannt sind, daran, womöglich das nachzuahmen, was die anderen gefehlt und gesündigt haben. Davor müssen die Bundesregierung und der Deutsche Bundestag das deutsche Volk bewahren.

(Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0401922100
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Dahlgrün.

Dr. Rolf Dahlgrün (FDP):
Rede ID: ID0401922200
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich muß eingangs meiner Ausführungen ganz kurz — ich darf sagen, leider — auf die Äußerungen von Herrn Kollegen Deist zu der Hamburger Flutkatastrophe zurückkommen. Es kann wohl keinem Zweifel unterliegen, daß sich die interfraktionelle Verabredung ,darauf bezogen hat, den Wettbewerb innerhalb der Fraktionen auszuschließen, auch wenn nur darüber geredet wird. Das hat sich nicht allein auf die Gesetzesinitiative bezogen.

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU. — Abg. Dr. Conring: Gerade das war der Sinn!)

Wir haben die interfraktionelle Arbeitsgemeinschaft gebildet, um ungestört in Zusammenwirken mit der Bundesregierung der Not steuern zu helfen, die wirklich katastrophal ist.
Ich kann in sehr vielen Punkten den Ausführungen von Herrn Kollegen Dr. Deist durchaus zustimmen. Insbesondere ist — das darf ich vielleicht mit einem an die Adresse der Bundesregierung gerichteten Satz auch sagen — das, was Herr Kollege Deist über die Ungewißheit hinsichtlich der Verzinsung nach den ersten zwei zinslosen Jahren gesagt hat, sicherlich der im Moment bedrückendste Umstand. Aber ich bin sicher, daß wir nach der dankenswerten Initiative und Hilfe, die wir bisher von Bonn aus bekommen haben, auch dieses Problem in aller Kürze lösen werden. Die Schwierigkeit besteht eben auch darin, daß noch niemand weiß, in welcher Höhe Schäden wirklich entstanden sind. Das ist in Hamburg durchaus noch offen, in Niedersachsen und den anderen Küstenländern ebenso. Das eingangs zu der Frage, die von Herrn Dr. Deist — ich sage noch einmal, leider — behandelt worden ist.
Ich muß nun zurückkommen auf die Haushaltsrede — wir sind ja in einer Haushaltsdebatte, wenn ich nicht irre — des Herrn Kollegen Möller von der sozialdemokratischen Fraktion heute vor der Mittagspause. Ich möchte dabei einen Punkt herausgreifen. Herr Kollege Möller hat sehr geschickt, finde ich, in seiner Haushaltsrede heute morgen das Regierungs- und Finanzprogramm 'der Sozialdemokratischen Partei, dem der Wähler am 17. September 1961 eine Absage erteilt hat, durch den Hinweis auf die Steuerschätzzahlen des Bundesfinanzministers als richtig darzustellen versucht. Ich will die Übereinstimmung oder die annähernde Übereinstimmung der Steuerschätzungen gar nicht bestreiten. Er hat es aber geflissentlich vermieden, sich zu der Ausgabenseite dieses „Programms der Verheißungen", wie man es genannt hat, zu äußern, eines Programms, dem nachgewiesenermaßen auf der Ausgabenseite keine Realität beizumessen gewesen ist. Ich will dazu im. einzelnen keine Ausführungen machen. Wir erinnern uns aber alle noch, daß Herr Möller auf Fragen nach der Höhe der Ausgaben, die den Programmpunkten, zum Beispiel bei der Kulturpolitik usw., gegenüberzustellen seien, Fragen, die nicht zuletzt an ihn persönlich gestellt worden sind, geäußert hat, dazu könne er noch keine Zahlen nennen, das sei noch nicht zu schätzen, so weit sei man noch nicht.

(Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller: Stimmt ja nicht!)

Ich finde, daß das keine Art ist, mit den Schätzungen auf der Einnahmenseite hier zu versuchen, die Ausgabenseite zu rechtfertigen.
Herr Möller, ich will nicht ins einzelne gehen; es waren ja auch noch andere Punkte in diesem Programm der SPD nicht klar. Es stellt nämlich Voraussetzungen auf, die wenigstens für die breite Öffentlichkeit nicht erkennbar waren. Es hat zur Voraussetzung, daß die Finanzreform, um die wir ringen,

(Abg. Schmitt-Vockenhausen: Im Programm war nur eine klare Voraussetzung: Adenauer muß weg!)

in Ihrem Sinne durchgeführt würde; erst dann können Sie dieses Programm als Realität prüfen, vorher unter keinen Umständen.
Nun kann ich mich meinem sehr geschätzten Herrn Kollegen Deist zuwenden, der es als Aufgabe übernommen hatte, sich nun insbesondere an der Freien Demokratischen Partei zu reiben und uns Mitgliederzahlen vorzuhalten, 100 000 Mitglieder. Herr Kollege Deist, ich kann nur fragen: woher wissen Sie?

(Abg. Hermsdorf: So viel hat sie gar nicht!)

Wenn Sie uns die Mitgliederzahl entgegenhalten, Herr Deist

(Zurufe von der SPD)

— ich komme gleich darauf zurück —, dann möchte ich sagen: es sind immerhin 4 Millionen Wähler, die vielleicht einem Parteivorsitzenden auch das Recht geben, wenn es nötig ist, einmal etwas gegen die Gewerkschaften zu sagen oder auf Bedenken aufmerksam zu machen.

(Abg. Wehner: „Einmal etwas" ist sehr nett gesagt!)

Herr Deist, wenn Sie mit 100 000 Mitgliedern kommen — Herr Wehner, es kommt noch viel schlimmer —, könnte ich Ihnen z. B. vorhalten, daß wir in der Bundesrepublik 25 Millionen Beschäftigte haben und daß der Deutsche Gewerkschaftsbund 6,5 Millionen Mitglieder angibt. Man könnte immerhin auch einmal die Frage stellen, ob der Deutsche Gewerkschaftsbund auf Grund dieses Verhältnisses den Anspruch erheben darf, ausschließlich für alle Arbeitnehmer zu sprechen.

(Abg. Dr. Mommer: Wie viele Mitglieder hat die FDP?)




Dr. Dahlgrün
— Ich komme gleich darauf, Herr Mommer, einen Augenblick. Wenn Sie mir Ihre Zahlen bringen, gebe ich Ihnen meine. Ich bin bereit, sie auszutauschen.

(Abg. Wehner: Die sind genauso bekannt wie die Kassenberichte bei uns!)

— Bitte, ich weiß, daß Ihnen diese Zahlen unangenehm sind; ich muß aber nach den wirklich sehr scharfen und unsachlichen Angriffen nach dem, was Sie uns alles vorgehalten haben— das darf ich doch wohl in aller Freundschaft sagen, Herr Kollege Deist —, auch Ihnen einmal sagen, wie es bei Ihnen aussieht.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Es ist ja doch nicht so, Herr Deist, daß, wenn wir von den Grenzen des Wohlfahrtsstaates reden, wir immer die Gedanken haben, die Sie uns hier in einer ganz bestimmten Art unterstellen.

(Zurufe von der SPD.)

Ich kann Ihnen dafür in derselben Art sagen, Herr Deist: Am besten arbeitet man für die Wohlfahrt, wenn man die Preise stabil hält und wenn man dafür sorgt, daß man für die Mark immer wieder dasselbe kaufen kann.

(Beifall bei den Regierungsparteien und bei der SPD.)

Wir haben vorhin von Herrn Bundeswirtschaftsminister Erhard etwas über das englische Beispiel der Lohnerhöhungsgrenze van ca. 2,5 % gehört. Gerade in den letzten Tagen haben wir in der Presse darüber gelesen. Im Laufe der letzten zehn Jahre sind in den USA auch nicht viel mehr als jährlich durchschnittlich 2,5- bis 3,5prozentige Lohnerhöhungen durchgeführt worden. Ich gebe gerne zu, daß wir vielleicht von einem niedrigeren Level ausgegangen sind, daß wir mehr nachzuholen haben; aber ich verlange, daß auch die Gewerkschaften, und selbstverständlich die Arbeitgeber, die gesamtwirtschaftliche Rechnung mit in Betracht ziehen und sich darüber klar sind, daß es, wenn ich die Grenzen des Wohlfahrtsstaates dadurch überschreite, daß ich die Schraube überdrehe und die schlimmen Wirkungen, von denen Sie selbst gesprochen haben, erzeuge, dann absolut richtigt ist, zu bremsen.
Ich will mich auch nicht, weil wir ja in einer Haushaltsdebatte und nicht in einer Wirtschaftsdebatte sind, weiter mit Ihnen über diese Vergleiche unterhalten. Bei den Vergleichen Löhne — Gehälter — Unternehmergewinne vergessen Sie immer wieder, wieviel an Investitionsrate in diesen Unternehmergewinnen enthalten ist.
Herr Dr. Deist, Sie haben Ferdinand Fried zitiert und ihm seine Äußerung wegen des Dammbruchs vorgeworfen. Nun schön, im Zusammenhang mit der Tarifregelung der Metallindustrie von einem Dammbruch zu sprechen, ist möglicherweise eine sehr scharfe journalistische Ausdrucksweise. Aber Fried wollte auf die wichtige Frage der Abhängigkeit der einen Lohngruppe von der anderen hinaus. Er wollte in diesem Aufsatz, den ich gelesen habe, zeigen, daß, wenn die einen zuviel fordern und die Sache überziehen, das selbstverständlich bei der
Abhängigkeit der Löhne innerhalb der einzelnen Gruppen untereinander schlimme Wirkungen haben muß, Wirkungen, die mit dem Stein zu vergleichen sind, den man ins Wasser wirft und der sich immer weiter ausdehnende Ringe hervorruft.
Herr Dr. Deist, Sie haben von der Plan- und Ziellosigkeit der Politik der Bundesregierungen der letzten 12 Jahre gesprochen. Ich muß .Sae wirklich fragen: Woher sind denn nun die Erfolge, die Sie selber anerkennen, eigentlich gekommen? Haben Sie schon einmal überlegt, wie durch ziel- und planloses Handeln verschiedener Bundesregierungen ein derartiger wirtschaftlicher Aufschwung hervorgebracht werden könnte? Da liegt doch irgendwo in Bruch in der Beweisführung. Nach normaler Lebenserfahrung kann man solche Erfolge mit Ziel- und Planlosigkeiten keineswegs erzielen.
Ich möchte jetzt auch noch zum Schluß ein. Wort zu Ihrer Art sagen, uns immer zu unterstellen, daß wir Angst hätten vor dem Wort „Plan", vor dem Begriff „Planung". Sie entschuldigen sich ungefähr, wenn Sie das Wort benutzen. Nun, ich weiß gar nicht: Wo wird eigentlich mehr geplant und vorausgeschaut als 'in der Wirtschaft? Herr Professor Erhard hat das schon für die Regierung gesagt. Aber-Herr Dr. Deist, es kommt darauf an, was und in welchem Geiste geplant und vorausgeschaut wird.

(Abg. Dr. Deist: Genau das habe ich gesagt!)

— Ich bin mit Ihnen völlig einig. Ehe wir aber gemeinsam planen und vorausschauen können, müssen Sie Ihre Gedanken aufgeben, die irgendwie mit Umverteilung von Eigentum und Vermögen, irgendwie mit Umschichtung zusammenhängen. Ich nenne als ein Beispiel die Deutsche Nationalstiftung, wo ausgerechnet von Ihnen eine riesige Wirtschaftsmacht zusammengebracht werden soll, die dann allerdings jede Planung überflüssig macht.
Eine wirkliche wirtschaftliche Planung ist etwas, was wir absolut bejahen; ja, sie ist im Wirtschaftsleben eine Selbstverständlichkeit. Aber die Planung, die Sie meinen, ist ganz etwas anderes; hinter der stehen eben doch — Herr Dr. Deist, Sie haben mich bisher noch nicht vom Gegenteil überzeugt — irgendwelche Sozialisierungstendenzen, Verplanungstendenzen, die wir nicht wollen. Es ist schon richtig, wenn Sie den Gegensatz zwischen Weist und Ost in dem Unterschied der Methode gesehen haben. Gerade auf die Methode, Herr Dr. Deist, kommt es an.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0401922300
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Burgbacher.

Dr. Fritz Burgbacher (CDU):
Rede ID: ID0401922400
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In einer Haushaltsdebatte spielt die Wirtschaftspolitik .als einer der entscheidenden Hintergründe für die Gestaltung des Haushalts und vor allem für etwaige, im Laufe des Etatjahres noch mögliche Veränderungen ides Haushalts und noch viel mehr für kommende Haushalte natürlich eine große Rolle.
Wer versucht, den bisherigen Ablauf der Debatte auf einen Nenner zu bringen, kann mit einiger



Dr. Burgbacher
Überraschung feststellen, daß die Kollegen aus der Regierungskoalition, an der Spitze der Bundeskanzler, der Bundesfinanzminister und damit das Kabinett, eine warnende Haltung einnehmen und zum Ausdruck bringen: „Achtung, maßhalten!" und daß uns Idle Vertreter der Opposition mehr zutrauen, als wir im Augenblick selbst für möglich halten. Mir scheint das eine für unsere Politik durchaus beachtenswerte positive Folge zu sein, wenn der, der eine Politik zu verantworten hat, diese mahnende, maßvolle Haltung einnimmt, während die Opposition, die diese Politik eigentlich zu kritisieren hätte, der Meinung ist: Na, ganz so dramatisch, ganz so schlimm und ganz so ernst, wie ihr es sagt, ist es eigentlich nicht. Meine Damen und Herren, wir buchen das als eine Anerkennung für das bisher Erreichte. In der Tat, wenn vor zehn Jahren von diesem oder einem entsprechendem Platz aus jemand gesagt hätte, welchen Inhalt und welche Problematik heute unsere Haushaltsdebatte haben würde, er wäre unter die Phantasten abgelegt worden.
Was wollen wir? Es ist besonders herausgegriffen worden: „Nicht alles auf einmal" und „Nicht zu viele Ausgaben". Ich meine, dieses „Nicht alles auf einmal" sollten wir alle sehr ernst nehmen. Die Kollegen der SPD haben die Meinung, das richte sich nur an die Gewerkschaften. Das ist absolut nicht so. Dieses „Nicht alles auf einmal" richtet sich an jeden in seiner eigenen Verantwortung, gleichgültig ob er in einer Verwaltung, in einem Unternehmen, in einer Gewerkschaft, in einem Parlament oder sonstwo tätig ist. Dieses „Nicht alles auf einmal" kann man auch nicht in Atome auflösen. Man kann nicht sagen: Lohnerhöhung, Urlaub, Freizeit, Preise, Investitionen aus der Selbstfinanzierung, das geht jedes für sich. Das sind alles die Dinge, die nicht mehr „alle auf einmal" gehen. Obwohl wir uns alle nach 'dem glücklichen Verlauf der letzten zehn Jahre daran gewöhnt haben, ist es jetzt an der Zeit, zu sagen: Bitte nicht so schnell!
Das andere Wort lautet: „Nicht zu viele Ausgaben" ! Was die öffentliche Hand kassiert, gleichgültig von welchem Bürger, entzieht sie der privaten Dispositionssphäre dieses Bürgers. Anders ausgedrückt: Was von der öffentlichen Hand kassiert wird, kann nicht mehr in die private Eigentums- und Vermögensbildung hinein. Sonst wäre es die Lösung für die Quadratur des Kreises, aber die haben wir bis jetzt noch nicht gefunden. Wenn es aber in einer prosperierenden Wirtschaft nicht möglich ist, durch Sparprozesse Eigentum zu bilden, weil die öffentlichen Aufwendungen zu hoch werden, dann ist ein sehr bestimmtes und wichtiges Ziel einer freien, demokratischen, personbezogenen, rechtsstaatlichen Ordnung in Frage gestellt. Deshalb kämpfen wir darum, daß neben der Erfüllung der öffentlichen Aufgaben und neben der Befriedigung der Lebensbedürfnisse Raum für private Vermögensbildung bleibt. Denn wir sind der Meinung, daß zur Personenwürde das personbezogene Eigentum im möglichen Umfang nun einmal gehört.
Herr Kollege Deist hat gesagt, wir stützten einseitig mächtige Interessengruppen. Ich nehme an, er meint die Wirtschaft. Ich wüßte nicht, was er sonst im Zusammenhang mit 'der Debatte meinen könnte. Es wäre nun eine billige Antwort, wenn ich sagte, daß wir zum großen Teil die Vermutung haben, daß auch unsere Kollegen von der SPD gelegentlich 'einseitig mächtige Interessengruppen stützen. Ich glaube, die mächtigste Interessengruppe in der Bundesrepublik neben oder nach der Regierung ist der DGB. Ich glaube nicht, daß es noch eine ebenso mächtige gibt. Was soll das also? Daß die Interessengruppen in einer Demokratie ihren legalen Platz haben und daß sie berechtigt sind, die Abgeordneten ihres Vertrauens anzusprechen, wird doch wohl niemand bezweifeln wollen.
Herr Kollege Deist hat ebenfalls die Landwirtschaft erwähnt. Nun, die Landwirtschaftsprobleme sind sicher noch nicht gelöst. Aber die Landwirtschaftsprobleme lösen wollen und sich gleichzeitig über die Steigerung von Lebensmittelpreisen beklagen, dazu finde ich nicht den Schlüssel. Entweder müssen Sie die Landwirtschaft noch stärker subventionieren und können die Preise halten, oder Sie müssen die Preise der Marktentwicklung folgen lassen, wobei die Lohnschwere der landwirtschaftlichen Produkte zu beachten ist; oder Sie müssen den Import billiger Nahrungsmittel zulassen, und dann ist die Verelendung der Landwirtschaft komplett. Was wollen Sie nun eigentlich?

(Abg. Kriedemann: Es gibt auch noch einen dritten, intelligenteren Weg!)

— Ja, dann sagen Sie es doch! Machen Sie doch das Hohe Haus mit Ihrer Intelligenz vertraut!

(Beifall bei der CDU/CSU.) Bitte, gehen Sie doch ans Mikrofon!


(Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Kurlbaum: Er darf ja nur Fragen stellen!)

— Er will ja nicht hingehen und fragen, Herr Kurlbaum. Ich habe es ihm vorgeschlagen; er tut es ja nicht!
Es ist gesagt worden, wir lüden die Kosten einer mißratenen Wirtschaftspolitik auf die Arbeitnehmer ab. Ich glaube, es ist unsere Pflicht, diesem Satz nachdrücklich zu widersprechen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Das ist eine objektive Unwahrheit.

(Erneute Zustimmung bei der CDU/CSU.)

Wer feststellt, daß sich der sogenannte Lebenshaltungsindex in Iden letzten zehn Jahren um etwa 24 % verändert hat, gleichzeitig aber das Nominaleinkommen um 70 bis 80 % gestiegen ist, und dann diesen Satz noch sagt, der bringt seine Glaubwürdigkeit ernstlich in Gefahr.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Zu dieser Frage der Kaufkraftveränderung möchte ich 'doch ein kurzes Wort sagen. Meine Damen und Herren, in einer Zeit, in der durch Energie, Automation, Technisierung das Bruttosozialprodukt ständig wächst, wachsen mit Recht die Löhne, nominell und absolut; müssen sie, sollen sie; es soll jeder seinen Anteil an der Steigerung des Bruttosozialprodukts haben. Daß damit natürlich eine wesent-



Dr. Burgbacher
liche Veränderung des Preisfächers verbunden ist, daß nämlich notwendige, aber lohnschwere Produkte im Preis steigen und andere, lohnleichte, die vorwiegend im Fließverfahren — um es einmal abgekürzt und stellvertretend für alle technische Verfahren so zu nennen — gefertigt werden, entweder im Preis fallen oder in 'der Qualität steigen — was dasselbe ist —, liegt auf der Hand. Zu den natürlichen Bedürfnissen auch des Arbeitnehmers gehören nicht nur, wie vor zehn, fünfzehn und zwanzig Jahren, Nahrung, Wohnung und Kleidung und ein wenig an Lebensfreude, sondern gehören heute auch Dinge, die damals noch zu den Luxusbedürfnissen rechneten, heute aber als Erzeugnisse technischer Produktion jedem zugänglich sind.
Deshalb genügt es nicht, nur die Preissteigerung lohnschwerer Produkte heranzuziehen, ohne die gesamte Veränderung in der Lebenshaltung jedes unserer Bürger ebenfalls in Betracht zu ziehen.

(Beifall 'bei der CDU/CDU.)

Professor Wagenführ ist zitiert worden. Auch ich habe ihn zitiert. Nach der Statistik von Professor Wagenführ stehen die Löhne und Gehälter in der Bundesrepublik an der Spitze aller sechs Länder des Gemeinsamen Marktes.

(Abg. Dr. Deist: Für 'Gehälter stimmt es nicht!)

— Nein, bei Gehältern führt Italien; entschuldigen Sie! Bei Löhnen stimmt es; bei Gehältern ist Italien uns etwas voran.
Nun will ich zum Schluß kommen. Was sollen eigentlich Prognosen? Ich möchte mir erlauben, vor Prognosen über die Entwicklung des Bruttosozialprodukts über drei, vier Jahre hinaus nachdrücklich zu warnen. Sie ist von zu vielen Umständen abhängig. Nehmen wir einmal — beispielsweise — an, die Abrüstung würde eine Tatsache werden — die Aussichten sind nicht groß, aber nehmen wir es einmal an —, ganz oder teilweise; dann würde die Veränderung des Bruttosozialprodukts in der westlichen Welt in den nächsten Jahren anders verlaufen, als sie bei der Aufrüstung verlaufen muß. Oder nehmen wir an, eine Befriedung mit dem Ostblock ist möglich, und es treten Wirtschaftsbeziehungen zwischen dem Ostblock, zwischen COMECON und EWG oder der atlantischen Welt ein. Dann wird die Entwicklung eine andere sein. Ja, sogar jede Veränderung in der Größe des Gemeinsamen Marktes wird sich auf den Umfang der Steigerung des Bruttosozialprodukts auswirken.
Ich kehre zu dem Anfang meiner Ausführungen zurück und sage: wir müssen bei dieser Haushaltsdebatte uns alle vornehmen, da wir doch alle das Beste für unser Volk wollen, mehr maßzuhalten, als wir auf Grund der stürmischen Entwicklung der letzten zehn Jahre geglaubt haben, maßhalten zu sollen. Wir treten in ein langsameres Tempo ein. Das ist kein Grund zur Beunruhigung. Aber — entschuldigen Sie das triviale Wort — macht mal Pause!

(Beifall und Heiterkeit bei der CDU/CSU.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0401922500
Das Wort hat der Abgeordnete Hermsdorf.

Hans Hermsdorf (SPD):
Rede ID: ID0401922600
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe nur eine kurze Bemerkung zu machen. Durch die Zwischenfragen des Abgeordneten Struve und des Kollegen Dahlgrün ist der Eindruck entstanden, mein Kollege Deist habe sich eines Bruches interfraktioneller Vereinbarungen schuldig gemacht. Dem ist nicht so. Ich stelle hier fest, daß wir in den Teilbesprechungen des interfraktionellen Ausschusses festgelegt haben, daß der Versuch gemacht werden soll, in der Frage der Flutkatastrophe gemeinsam zu beraten und gemeinsam vorzugehen. Diese Verabredung beinhaltet nicht, wie Kollege Dahlgrün gesagt hat, daß darüber auch nicht gesprochen werden soll; denn, meine Damen und Herren, es wird ja nicht nur in diesem Hause, sondern es wird generell über diese Frage gesprochen, und das halten wir nicht auf.
Ich möchte Sie bitten, die Bemerkungen meines Kollegen Deist hinsichtlich der Flutkatastrophe nur so zu verstehen, daß es erstens Gedanken sind, die wir dazu beitragen wollten, was zu geschehen hat und was gemacht werden müßte, und daß wir zweitens der Auffassung sind, daß wir, selbstverständlich in Absprache mit den Ländern, möglichst rasch zu einem Ergebnis kommen müssen. Im übrigen dürfen Sie sich darauf verlassen, daß die sozialdemokratische Fraktion sich nicht nur an die Verabredung halten wird, sondern alle Anstrengungen unternehmen wird, um möglichst bald zu helfen; denn wer bald hilft, hilft besser.

(Beifall bei der SPD.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0401922700
Das Wort hat der Abgeordnete Struve. — Er ist im Augenblick nicht im Saal.
Weitere Wortmeldungen? — Herr Abgeordneter Dr. Deist.

Dr. Heinrich Deist (SPD):
Rede ID: ID0401922800
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir einige abschließende Bemerkungen.
Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat recht mit dem Hinweis, daß es eine unglückliche Angelegenheit ist, wenn man, was heute in der Öffentlichkeit weidlich geschieht, mit Argumenten aneinander vorbeiredet. Meine Damen und Herren, ich habe mir Mühe gegeben, darzulegen, wie im langfristigen Trend die wirtschaftliche Entwicklung zu sehen ist, insbesondere auch die Lohn- und Gehaltsentwicklung. Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat demgegenüber durchaus zutreffende Zahlen über die Entwicklung im Jahre 1961 gegeben. Dann kann man natürlich schwerlich erfolgreich miteinander diskutieren.
Wie kommt der Herr Bundeswirtschaftsminister aber dazu, zu sagen, er wolle keine einseitigen Urteile abgeben, aber es sei völlig unmöglich, die Löhne und Gehälter uferlos steigen zu lassen; so etwa hat er sich ausgedrückt. Meine Damen und Herren, ich weiß nicht, gegen wen er damit polemi-



Dr. Deist
siert hat, jedenfalls nicht gegen uns. Wir wissen natürlich genau — ich habe selbst die Zahlen genannt —, welche Bedeutung die Lohn- und Gehaltsentwicklung hat und daß man sie nicht ins Uferlose laufen lassen kann, daß sie sich im Rahmen ökonomischer Grenzen halten muß, die nun einmal gegeben sind. Aber wir sind der Meinung, daß man innerhalb dieser ökonomischen Grenzen zielbewußt und planmäßig auf eine gerechtere Beteiligung aller am gemeinsam erarbeiteten Volkseinkommen hinwirken muß. Darum bedauere ich, daß der Herr Bundeswirtschaftsminister nicht etwas näher auf den Gedanken eingegangen ist, sich ein brauchbares Instrument für die Entwicklung einer langfristigen, planmäßigen Politik zu schaffen. Das ist nämlich ein Instrument, mit dem man abschätzen kann, was sich im Rahmen der ökonomischen Grenzen hält und was nicht, damit wir wenigstens im Tatsachenmaterial übereinstimmen, obwohl wir in der Beurteilung vielleicht verschiedener Meinung sind. Heute müssen wir uns beim Tatsachenmaterial mit sehr globalen Ziffern begnügen.
Ich stehe nicht an, zu unterstreichen, daß es ein Gebiet gibt, auf dem die deutsche Statistik vorbildlich ist. Das ist das Gebiet der Auftragsstatistik. Auf dem Gebiet ,der Statistik über 'die Vorräte und über vieles andere sind wir weit zurück. Aber rechnen wir uns das nicht einzeln vor. Sicher ist — und unsere Kollegen, die in Straßburg mitarbeiten, wissen das doch auch —, daß wir auf dem Gebiet der Konjunkturstatistik erheblich im Rückstand sind, daß vor allen Dingen die Statistiken für die verschiedenen Bereiche, z. B. für 'die Arbeitskräfte und für die Produktion, auf verschiedenen Grundlagen erstellt werden. Darum bedauere ich, daß der Herr Bundeswirtschaftsminister nur insofern eine Bereitschaft gezeigt hat, als er sagte: Wir wollen uns zusammensetzen. Das ist nicht mehr .die Methode, die den Aufgaben von heute gerecht wird. Wir haben so einen Tisch, an dem man zusammensitzt. Das ist — Herr Kollege Burgbacher, Sie kennen ihn — der Energiewirtschaftsausschuß. Sie selber wissen das Leid dieses Ausschusses. Ein solcher Ausschuß, in dem man sich gelegentlich unterhält und sich freundlich auf die Schulter klopft, ist kein Instrument der Wirtschaftspolitik. Da muß man sich schon zu etwas ernsthafteren Maßnahmen durchringen. — Ich sehe, auch Herr Bundesfinanzminister Starke nickt. Vielleicht können wir auf diesem Wege gemeinsam ein Stück voranschreiten. Das wäre keine schlechte Sache.
Ein Zweites. Herr Kollege Dahlgrün hat auf ,den Umfang der Investitionsplanung, der Produktionsplanung, der Absatzplanung usw. in der Industrie hingewiesen. Wenn der brave Staatsbürger das hört, muß er den Eindruck haben, die Unternehmen seien kollektivistische Sachen. Darum bedaure ich sehr, Herr Kollge Dahlgrün, ,daß Sie gesagt haben: Ja, aber was machen andere mit .dem Ding? Als ob man ein wichtiges wirtschaftspolitisches Instrument in die Ecke stellen könnte, weil vielleicht andere kommen, die es nicht sachgemäß anwenden! Nun, wir fühlen uns davon nicht betroffen. Wir haben unsere klaren Vorstellungen. Daß die Sozialdemokraten auf der Seite des freiheitlichen Westens stehen, darüber dürfte wohl kein Zweifel mehr bestehen. Auch wir wissen, daß das Konsequenzen auch für die Wirtschaft wie für die übrigen gesellschaftlichen Bereiche hat. Aber vielleicht haben Sie doch Angst, daß wir dieses Instrument einmal nutzen könnten und 'dann mit normalen, in unsere demokratische Ordnung passenden Mitteln dafür sorgen, daß die Grundlagen der heutigen Machtverteilung, soweit sie in der Einkommens- und Vermögensverteilung bestehen, ein wenig geraderücken. Nur so kann ich Ihre Hemmungen verstehen. Anders sind sie nicht zu verstehen.
Eine letzte Bemerkung zu Herrn Kollegen Burgbacher. Er hat von den mächtigen Interessengruppen gesprochen, und er hat nicht ganz falsch .geraten, wenn er meinte, daß ich damit auf die wirtschaftlichen Interessengruppen abgehoben hätte. Ich gehe sogar noch einen Schritt weiter, Herr Kollege Burgbacher: Natürlich sind auch die Gewerkschaften ihrer ganzen Struktur nach Interessengruppen und auch mächtige Interessengruppen. Ich stimme Ihnen weiterhin darin zu, daß alle diese Interessengruppen in der modernen Massengesellschaft eine legale Funktion zu erfüllen haben, nämlich die Funktion, ihre Interessen mit all den Mitteln, die ihnen im demokratischen Staat gegeben sind, zu vertreten. Hier aber liegt die Grenze.

(Vorsitz: Vizepräsident Schoettle.)

Es muß verhindert werden, daß sie in unangemessener Weise auf Gesetzgebung, Regierung und Verwaltung Einfluß nehmen. Das geschieht bei uns in Deutschland am laufenden Band. Warum, meine Damen und Herren — fragen Sie sich selbst! — schreibt eigentlich jeder Interessenverband, der etwas auf sich hält, an den Bundeskanzler, wenn er sonst, beim Bundeswirtschaftsminister, beim Bundesarbeitsminister oder was weiß ich wo, nicht ganz durchkommt? Weil er weiß: hier ist eine Tür, durch die kräftige Interessengruppen eindringen können. Das wissen wir aus Erfahrung.

(Beifall bei der SPD. — Zurufe rechts. — Abg. Dr. Dahlgrün: Das tun die Gewerkschaften auch!)

— Herr Kollege Dahlgrün, ich glaube, es war ein schlechter Witz, mit dem Gedanken zu spielen, die Gewerkschaften nähmen über den Bundeskanzler in unangemessener Weise auf die Gesetzgebung Einfluß. Das ist ja wohl „nicht drin", mein lieber Herr Kollege Dahlgrün. Und Sie sollten nicht von den Dingen ablenken, die heute wirklich ein Problem darstellen. Wir, Herr Kollege Dahlgrün, haben hier vorgeschlagen: registriert die Lobbyisten, mit Unterschrift und Bild, alle, auf allen Seiten! Sie haben sich dieser Bitte entzogen. Ich meine, das besagt eigentlich genug.

(Beifall bei der SPD.)


Erwin Schoettle (SPD):
Rede ID: ID0401922900
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Struve.

Detlef Struve (CDU):
Rede ID: ID0401923000
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bedauere, daß der Herr Kollege



Struve
Deist in längeren Ausführungen zu den Vorgängen Stellung genommen hat, die die vier Küstenländer wirtschaftlich schwer getroffen haben, die darüber hinaus in Hamburg so unendlich viele Menschenopfer gefordert haben. Allein von dieser Tatsache ausgehend, ist von meinen politischen Freunden angeregt worden, daß es unter Hinweis auf ein solches Schicksal wohl unangebracht wäre, wenn die einzelnen Parteien in einen Wettkampf einträten, um nach Wegen zu suchen, wie diese menschliche Not, vor allen Dingen in den Familien, die sie besonders hart traf, gelindert werden kann, und andererseits nach Wegen zu suchen, solchen Naturkatastrophen in Zukunft mit Erfolg zu begegnen.
Wir sind in der ersten Zusammenkunft, in der unter anderen die stellvertretenden Vorsitzenden der drei hier vertretenen Parteien zugegen waren, zu einem völlig einmütigen Standpunkt gelangt. Man einigte sich, daß man dem Hohen Hause nur interfraktionell die weiteren Ergebnisse der Untersuchungen, Vorschläge. der Regierung, eventuell auch Vorschläge von Mitgliedern des Hohen Hauses, abgestimmt in den einzelnen Fraktionen, vorlegen möchte. Ich glaube, durch die sehr langen Ausführungen, Herr Kollege Deist, mußte der Eindruck entstehen, als wenn diese Abmachungen nicht mehr Gültigkeit hätten, als wenn nun doch das eintreten sollte, was nach übereinstimmender Meinung aller drei Fraktionsvorstände nicht eintreten darf.
Deshalb möchte ich als Vorsitzender dieses Ausschusses nur kurz festhalten, daß wir zu mehreren Sitzungen zusammengetreten sind, daß kurze Niederschriften über die Besprechungsergebnisse — festgestellt ohne Widerspruch in den Fraktionen — den einzelnen Teilnehmern zugegangen sind. Eine erste Begegnung hat auf Einladung der Landesvertretung von Hamburg stattfinden können. Die nächste Begegnung ist morgen in der Landesvertretung Schleswig-Holstein vorgesehen, nachdem von unserer Landesregierung die Erstellung einer Denkschrift mit entsprechenden Ergebnissen und Vorschlägen an die Bundesregierung eingereicht worden ist. Ich höre, daß auch aus dem Lande Niedersachsen gerade in diesen Tagen eine Denkschrift eingegangen ist, in der einmal die Tatsachen festgestellt werden und zum anderen auch Vorschläge zur Behebung der Not enthalten sind.
Das Hohe Haus — d. h. die Öffentlichkeit — sieht also, daß die Bundesregierung im engsten Benehmen und Einvernehmen mit den vier beteiligten Küstenländern — das scheint mir das Entscheidende überhaupt zu sein — bemüht ist, der Not wirklich zu begegnen. Das heißt, solange nicht festgestellt wird, was im einzelnen an Schäden usw. entstanden ist, können wir noch keine Gesetzesvorlage darüber machen, wie solche Schäden beseitigt werden sollen. Über eines besteht völlige Einmütigkeit in unserem Ausschuß, innerhalb der Bundesregierung und auch bei den betroffenen Küstenländern: nach einheitlichen Grundsätzen muß auf breitester Front die menschliche Hilfe, die zunächst freiwilliger Natur war, durch vielseitige Maßnahmen unterstützt werden; solche Maßnahmen werden von den Landesregierungen eingeleitet und finden die volle Unterstützung der Bundesregierung.
Wir alle miteinander wären gut beraten, wenn wir den Sinn und Geist dieser Vereinbarung beherzigten. Täuschen wir uns nicht: es geht nicht nur darum, im Augenblick den betroffenen Familien, die viel menschliches Elend erlebt haben, zu helfen, sondern es ist der Einsatz des Hohen Hauses, aber auch der betroffenen Küstenländer nötig, damit man solchen Gefahren in Zukunft erfolgreich begegnen kann. Das ist aber nur möglich, wenn wir die Beschlüsse, die wir in der Begegnung am 20. Februar — unmittelbar nach der Katastrophe — einmütig gefaßt haben, immer und zu jeder Zeit im Auge behalten.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Erwin Schoettle (SPD):
Rede ID: ID0401923100
Das Wort hat der Herr Bundesminister der Finanzen.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0401923200
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir stehen am Schluß der Haushaltsdebatte; wie mir gesagt worden ist, liegen keine Wortmeldungen mehr vor. Ich möchte allen, die heute ihren Beitrag zu dieser Debatte geleistet haben, danken und möchte sagen, daß ich aus einer ganzen Reihe von Beiträgen Anregungen gewonnen habe, die für meine Arbeit in der Zukunft von Bedeutung
sein werden.
Ich möchte dabei auch dem Herrn Kollegen Schoettle für seine Rede danken. Ich habe festgestellt, daß in vielen Punkten Übereinstimmung besteht. Eines ist mir in Ihrer Rede, sehr geehrter Herr Präsident, und in den Ausführungen des Kollegen Möller besonders aufgefallen; auf die Ausführungen des Herrn Kollegen Deist komme ich noch gesondert. Rein haushaltspolitisch und finanzpolitisch haben sich der Herr Kollege Schoettle und der Herr Kollege Möller gegen eine Dramatisierung ausgesprochen. Das hat mich etwas bedenklich gestimmt. Ich glaube, daß die Zahlen doch eigentlich allzu deutlich sind. Den Gedanken, daß man nicht so sehr dramatisieren solle, wenn neue große Aufgaben auf uns zukommen, habe ich nicht recht verstanden. Gerade weil diese großen Aufgaben und Ausgaben, die zu einem großen Teil unabweisbar sein werden, auf uns zukommen, bestehen die Bedenken.
Diese Ausgaben muß man in Vergleich setzen zu der Einnahmeentwicklung und den Einnahmemöglichkeiten, die mit dem wirtschaftlichen Ablauf zusammenhängen. Da bin ich vom Finanzpolitischen her der Meinung— das muß ich Ihnen, Herr Kollege Deist, sagen —, daß man die Dinge sehr ernst sehen muß. Ich habe in meiner Rede betont — auch andere, z. B. Herr Professor Burgbacher, haben das getan —: es geht hier gar nicht um eine Krise, aber es geht um eine Normalisierung des Wirtschaftsablaufes, und diese Normalisierung wird sowohl im wirtschaftlichen wie im sozialpolitischen und im finanzpolitischen Bereich selbstverständlich nicht ohne Folgen bleiben. Es geht hier gar nicht darum, das Rad zurückzudrehen, sozialreaktionäre Gedanken zu verwirklichen. Wir werden uns aber — das war der Sinn meiner Haushaltsrede — auf allen Gebieten sehr genau überlegen müssen, was wir



Bundesfinanzminister Dr. Starke
in den kommenden Jahren nebeneinander tun können. Weil wir nicht mehr so wie bisher alles nebeneinander tun können, hatte ich mir erlaubt zu sagen, der alte gute Grundsatz „eins nach dem anderen" habe eben wieder mehr Bedeutung, und er wird sie haben müssen.
Ich möchte noch etwas zu dem sagen, was in den Reden zu der Sparkommission angeführt wurde, die uns eigentlich hier gar nicht zu beschäftigen hat. Die Sparkommission ist eine Einrichtung der Koalition, die ich für sehr nützlich und wichtig halte; denn in ihr soll das erörtert werden, was ich dargestellt habe, nämlich die Gefahr der Ausgabenflut. Man macht sich natürlich darüber Gedanken, wie man dieser Ausgabenflut begegnen soll. Ich kann nicht ganz verstehen, daß eine Eindämmung der Ausgaben „sozialreaktionäre" Ergebnisse zeitigen müsse, wie das fast alle Herren der Opposition mehr oder weniger wörtlich behauptet haben. Hier liegt einfach ein Unterschied in der Auffassung vor. Ich bin als Finanzminister nach allem, was ich in diesen Wochen und in den wenigen Monaten meiner Amtszeit gesehen habe, der Meinung, daß wir sehr viel mehr darauf werden achten müssen, was wir alles in einem Jahr tun können.
Ich habe mich sehr darüber gefreut — das möchte ich betonen —, daß auch Herr Kollege Schoettle den Gedanken aufgegriffen hat, Gesetze, die den Ausgabebedarf erhöhen, nur am 1. Januar eines jeden Jahres in Kraft treten zu lassen, weil sie dann nämlich auf die Haushaltsbedürfnisse abzustimmen sind. Ich glaube, dadurch würden wir ein ganzes Stück weiterkommen und die Schwierigkeiten beseitigen, die jedem Finanzminister, gleichgültig, welcher der drei Parteien dieses Hauses er angehört, entgegentreten. Insofern besteht hier wohl ein gemeinsames Interesse.
Ich habe eigentlich nicht einzusehen vermocht, Herr Kollege Möller, daß etwas Böses in meiner Äußerung liegen könnte, wir hätten allzuviel auf einmal machen wollen. Es war -vielmehr eine ernste und von mir sehr genau überlegte Mahnung. Sie haben dann allerdings einen weiteren Absatz aus meiner Rede zitiert und dazu gesagt, damit höbe ich das Böse etwas auf. Nun, dieser Absatz ist natürlich mit Absicht in die Rede aufgenommen; beide Absätze sind von mir, sowohl 'der erste wie der zweite, und in diesem Zusammenhang wollte ich das noch einmal gesagt haben.
Nun haben Sie, Herr Kollege Schoettle, im Zusammenhang mit der Sparkommission und den „sozialreaktionären Tendenzen" vom öffentlichen Dienst gesprochen." Ich habe 'in meiner Haushaltsrede erklärt, daß im Bundeshaushalt keine Ansätze zur Erfüllung der Forderungen der Arbeiter, der Angestellten wie auch 'der Beamten des öffentlichen Dienstes vorhanden sind. Das ist nicht etwas Sozialreaktionäres, sondern zunächst einmal einfach der Ausdruck dafür, daß noch keine Änderungen der Tarife und der Besoldungsgesetze vorliegen. Es ist zweitens ein Ausdruck dafür, daß wir kein Geld haben. Ich habe dabei erwähnt, daß die jetzt vorliegenden Forderungen zusammen 1,7 Milliarden DM ausmachen. Es wird natürlich etwas leichter, aber doch nicht sehr viel leichter dadurch, daß Sie, Herr Kollege Schoettle, meinen, der Betrag werde nicht ganz so hoch sein. Es ist eben bei diesem Haushalt, der noch nicht abgedeckt ist, bezüglich dessen Abdeckung wir erst in Verhandlungen mit den Ländern stehen, nicht einfach, die zusätzlichen finanziellen Lasten zu tragen, die uns, sei es in Berlin, sei es durch die Flutkatastrophe, sei es durch die 'Forderungen des öffentlichen Dienstes, entstanden sind. Mit „sozialreaktionär" hat das aber doch weiß Gott nichts zu tun. Die Herren von der Opposition haben, wie ich glauben möchte, hier einige Unterstellungen gemacht, die zumindest unbeweisbar sind.
Ich möchte noch etwas zum öffentlichen Dienst sagen. In früheren Reden habe ich in 'diesem Hause immer wieder zum Ausdruck gebracht, daß bei einer Entwicklung zur Geldentwertung die Bediensteten der öffentlichen Hand immer besonders schlecht stehen werden. In dem Augenblick — das möchte ich gerade hier noch einmal zum Ausdruck bringen —, in dem man in einer solchen Entwicklung finanziell an die Decke stößt, wie das jetzt mit dem Bundeshaushalt und in den öffentlichen Finanzen der Fall ist, tritt der Moment ein, daß die öffentlichen Bediensteten die Leidtragenden sind, wenn wir nicht zu einem allgemeinen Stopp kommen. Wenn wir aber bei den öffentlichen Bediensteten wieder den ersten Schritt tun und dann draußen in der Wirtschaft weitere Schritte getan werden, sind wir, Herr Kollege Deist, eben wieder auf dem Weg, daß man Jahr für Jahr einen 'höheren Anteil an dem in Anspruch nimmt, was Sie Volkseinkommen nennen und was ich als „vermeintliches Volkseinkommen" bezeichnen möchte, das, was man für Volkseinkommen hält. Immer mehr handelt es sich ja nur noch um ein nominelles Steigen, nicht mehr ein reales Steigen.

(Abg. Dr. Deist: Null Prozent ist kein Anteil am Volkseinkommen!)

— Null Prozent ist kein Anteil am Volkseinkommen; aber wir sind jedenfalls nicht, wie Sie meinen, Herr Kollege Deist, sozialreaktionär, und das Angebot soll nicht für alle Zeiten null sein. In dieser Situation jedoch müssen wir Schwerpunkte im öffentlichen Haushalt bilden. Solche Schwerpunkte sind die öffentliche Sicherheit, Berlin und eine ganze Reihe anderer Punkte. Wir müssen uns deshalb sehr genau überlegen, ob wir den öffentlichen Bediensteten wie auch den Arbeitnehmern draußen in der Wirtschaft einen Gefallen tun, wenn wir ihnen Jahr für Jahr einen Anteil an einer nur vermeintlichen Steigerung des Volkseinkommens zukommen lassen.

(Abg. Dr. Deist: Nicht an der vermeintlichen, an der wirklichen!)

Darüber hinaus läßt sich wohl auch noch sehr gut nachweisen, daß der Lohn- und Gehaltszuwachs bisher in manchen Jahren höher war als der effektive Zuwachs des Volkseinkommens. Auch diese Tatsache mußte man in die Überlegungen einbeziehen. Daß heute die öffentlichen Finanzen bedrängter sind, ist eigentlich noch nicht recht geläufig ge-



Bundesfinanzminister Dr. Starke
worden. Deshalb habe ich all das noch einmal in den Vordergrund stellen wollen.
Lassen Sie mich noch einmal zusammenfassen, was gesagt worden ist. Es ist u. a. von Ihnen, Herr Kollege Möller, gesagt worden: Warum so dramatisieren? Die Steuereingänge waren ja bisher immer sehr hoch! — Sie sollten Ihr Augenmerk aber auch auf die Entwicklung zum Jahre 1963 richten; das war mit der Sinn meiner Rede. Ich habe ja immer wieder auf die Schwierigkeiten ,des Jahres 1963 hingewiesen. Dazu haben Sie jedoch nichts gesagt. Angesichts der Ausgabensteigerungen, die ich vor mir sehe — und auch Sie haben eine ganze Reihe von Anregungen gegeben, die letzten Endes ebenfalls Ausgabensteigerungen beinhalten —, bringen mich die Entwicklungslinien bezüglich der gewaltigen Steuereinnahmen doch in Sorge. Eine solche Betrachtung würde ich aber nicht eine Dramatisierung nennen.
Ferner ist vom Sparen gesprochen worden. Nun, wir werden im Haushaltsausschuß, demgegenüber ich meinen Dank schon in meiner Rede zum Ausdruck gebracht habe und am Schluß wiederhole, darüber sprechen. Ich bin dankbar für jede Einsparung. Aber wir werden sehen, wie weit wir damit in diesem Hohen Hause kommen.
Dann ist mit anerkennenden Worten erwähnt worden, daß die Bundesregierung — Sie wissen, daß sie es diesmal tun muß — an den Kapitalmarkt geht. Zu den daran geknüpften Überlegungen muß
ich aber doch etwas sagen. Wir haben uns natürlich auch überlegt, daß die Verschuldung des Bundes nicht sehr hoch ist und daß der Anteil der Kreditmittel, die wir aufnehmen wollen, am Gesamtvolumen des Bundeshaushalts keineswegs besorgniserregend ist. Aber der Kapitalmarkt in Deutschland ist eben nicht so sehr ergiebig; das wissen Sie, Herr Kollege Deist und Herr Kollege Möller, ganz genau. Wenn wir uns da etwas Reserve auferlegen und nicht allzusehr in die Kreditaufnahme hineinsteigen, dann auch deshalb, weil ,der Bund nicht mit einem Satz auf den Kapitalmarkt gehen und damit dort störend auftreten darf. Sie wissen ebenso wie ich, daß wir auch in den kommenden Jahren an den Kapitalmarkt werden gehen müssen, vielleicht dann in noch größerem Umfang. Jedenfalls glaube ich, ,daß der Bund hier auf dem richtigen Wege ist, und wir waren uns im Grunde darüber auch einig.
Keine Übereinstimmung besteht bei uns hinsichtlich der Steuerschätzungen. Ich habe angekündigt, daß wir die Steuerschätzungen noch einmal überprüfen werden und daß die Arbeiten dazu im Gange sind. Also auch der Bundesfinanzminister ist damit einverstanden, daß man das tut. Wir werden das Ergebnis einer eventuellen Mehrschätzung zur Abdeckung des Haushalts heranziehen. Aber schon im Jahre 1962 werden Sie, je weiter es fortschreitet, sehen — bei einer genauen Betrachtung sehen Sie es schon an Hand der Zahlen des Jahres 1961 —, daß der Steuerzuwachs nachläßt. Nur um dieses Absinken des Steuerzuwachses geht es ja, nicht etwa um eine Krise und ein Absinken der Steuereinnahmen überhaupt.
Ich möchte jetzt eine ausdrückliche Feststellung zu einem Punkt treffen, über den ich schon gesprochen habe. Die Herren von der Opposition haben — wie die Länder — der Bundesregierung zugemutet, sie solle sich den Steuerschätzungen der Länder anschließen. Das kann ich nicht akzeptieren.

(Abg. Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller: Nur in dem einen Punkt!)

— Wenn das nur für den einen Punkt gelten soll, dann will ich das zugeben, Herr Kollege Möller, dann habe ich nichts dagegen. Ich lasse auch das überprüfen. Nur generell muß ich Ihnen sagen: Sie können unmöglich die Schätzungen von 11 Ländern, von denen eines über 14 Millionen Einwohner hat und ein anderes etwa 600- oder 700 000, zur Grundlage des Haushaltsplans der Bundesregierung machen. Sie wissen genau, daß das gar nicht einmal Schätzungen der Länder sind, sondern überwiegend die Schätzungen des Bundes aus einer zurückliegenden Zeit, die einfach wegen der Steuerentwicklung im Jahre 1961 revidiert werden mußten. Aber nach dem, was Sie sagten, sind die Meinungsverschiedenheiten wohl auch hier nicht so groß. Ich habe mich gefreut, daß wir bezüglich der Mitverantwortung der Länder, von der wir gesprochen haben, in diesem Hohen Hause weitgehend einer Meinung sind.
Ich möchte noch über einen weiteren Punkt sprechen, um keine Unklarheit aufkommen zu lassen, und es ist gut, wenn das auch einmal in diesem Hohen Hause zu Protokoll festgestellt wird. Gegen die Bundesregierung ist der Vorwurf erhoben worden, sie hätte vor Verabschiedung und Vorlage des Haushalts mit den Ländern verhandeln müssen. Ich glaube, daß das erstens nach dem Grundgesetz nicht erforderlich gewesen ist, zweitens war die Zeit knapp, und drittens kommt noch hinzu, daß Besprechungen mit den Ländern stattgefunden haben. Die Länder wollten ganz bewußt im Januar noch einmal ohne den neuen Finanzminister allein zusammensitzen. Das geschah am 11. Januar in Wiesbaden. Einen Tag nach der Beschlußfassung über den Haushalt durch das Kabinett haben die Länder mit dem Bundesfinanzminister zusammengesessen, um die Fragen zu besprechen. Die Worte, die manchmal von den Ländern ausgesprochen worden sind und etwas zornig und empört klangen, sind doch wohl mehr so zu verstehen, daß sie eine gegebene Zurückhaltung gegenüber den Zahlen vertuschen sollten. Es lag mir daran, auch dazu noch etwas zu sagen.
Nun möchte ich noch auf die Ausführungen von Herrn Kollegen Dr. Deist eingehen. Herr Kollege Dr. Deist, im einzelnen hat der Herr Bundeswirtschaftsminister zu Ihren Ausführungen gesprochen. Ich kann hier nur feststellen, daß ich mit ihm im vollen Umfange übereinstimme. Ich möchte aber noch einmal das Wort Hybris aufgreifen, weil es in einer beinahe verschärften Form das wiedergibt, was ich in meiner Rede gesagt habe. Ich glaube, daß es tatsächlich so etwas wie eine Hybris bei uns gibt und daß wir alle gemeinsam sie bekämpfen sollten, solange dazu noch Zeit ist. Die Entwicklung in einer



Bundesminister Dr. Starke
ganzen Reihe unserer Nachbarländer, meine sehr geehrten Herren von der Opposition, — —

(Abg. Schmitt-Vockenhausen: Wo war denn die Hybris in Deutschland? Sie war doch bei der Rechten!)

— Ich möchte auf diese Frage nicht näher eingehen. Eine sehr eingehende Untersuchung wäre wohl erforderlich, bevor man sich auf eine Meinung einigen könnte.
Ich möchte Ihnen nur sagen, unsere Nachbarländer, auch Länder mit Regierungen, die Ihnen, meine Herren von der Opposition, keineswegs fremd sind, haben eine Entwicklung durchgemacht, die mit Geldentwertung verbunden war. Das wissen Sie ganz genau. Seit einigen Jahren zeichnet sich in diesen Ländern ein gewisses Stadium der Stabilisierung ab. Wir in Deutschland sind im Augenblick mit sehr viel größeren Schritten als die Nachbarn dabei, das nachzumachen, was die anderen getan haben. Ich wollte damit von der Finanzpolitik her das zum Ausdruck bringen, was der Herr Bundeswirtschaftsminister dargestellt und dann auch Herr Professor Burgbacher noch einmal aufgegriffen hat. Es war der Sinn meiner Rede, zu Besonnenheit und zum Maßhalten zu mahnen. Ich glaube, dazu war es an der Zeit.
Die Bundesnotenbank hat in ihrem Bericht gesagt — das gilt Ihren Ausführungen, Herr Kollege Deist —, wir näherten uns allzu schnell, so sagte sie es wohl, der Kostenstruktur der Vereinigten Staaten. Das möchte ich Ihrem Satz mit dem „von Jahr zu Jahr einen größeren Anteil haben" entgegenhalten.
Sie haben davon gesprochen, es gebe ökonomische Maßstäbe, auf die man sich einigen könne. Wenn wir versuchen werden, uns darauf zu einigen — Sie wissen, wie oft das schon versucht worden ist —, wird das eben nicht gelingen. Ich glaube, hier liegt einfach ein Gegensatz in den Auffassungen vor. Sie, Herr Kollege Deist, sind immer wieder, und zwar betont, von einer expansiven Lohnpolitik ausgegangen und haben deren Vorzüge geschildert. Wir, so wie wir in der Regierungskoalition vereinigt sind, sind nicht dieser Auffassung. Um es ganz präzise zum Ausdruck zu bringen: Wenn wir von der Regierung jetzt in bezug auf den öffentlichen Dienst in Schwierigkeiten kommen, so liegt das nicht zuletzt an der von Ihnen vertretenen expansiven Lohnpolitik.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Ich möchte also noch einmal ausdrücklich feststellen, daß wir uns bezüglich der von Ihnen apostrophierten ökonomischen Grenzen eben nicht einig sind, und das scheint mir das Schwierige an der Situation zu sein. Deshalb wird es eben hier einen Gegensatz zwischen der Regierung und der Opposition geben. Mir lag daran, das herauszustellen angesichts der Schwierigkeiten, vor denen wir im öffentlichen Dienst stehen.
Nun noch ein Wort zu dem Finanzplan. Herr Kollege Deist, ich möchte Ihnen dazu folgendes sagen. Dieses Wort „Finanzplan" enthält als Bestandteil das Wort „Plan". Es handelt sich aber um eine rein praktische Maßnahme, um ein praktisches Instrument zur Bewältigung der Schwierigkeiten, die sich aus der Einnahmen- und Ausgabenentwicklung ergeben. Der Finanzplan hat mit irgendeiner planwirtschaftlichen Ideologie natürlich auch nicht das geringste zu tun. Er ist vielmehr einfach ein praktisches Instrument für den Finanzminister.
Herr Kollege Möller, eines ist schon gesagt worden, und ich möchte Ihnen das auch von mir aus noch einmal sagen: Ich habe es eigentlich bedauert, daß Sie diese harten Worte bezüglich der Wiedergutmachung gesprochen haben. Ich habe mich dieser Fragen der Wiedergutmachung — das war natürlich in meiner Rede nur mit einem Satz angedeutet — in der kurzen Zeit, die mir dazu zur Verfügung stand, außerordentlich angenommen. Ich habe in dieser Zeit den Eindruck gewonnen, daß von der Bundesregierung auch in den zurückliegenden Jahren nun wirklich — und das beweisen doch die Zahlen, die ich angeführt habe — auf diesem Gebiet etwas getan worden ist, daß wir aber heute auch hier vor harten Tatsachen stehen. Denn auch diese Wiedergutmachung und ihre Fortsetzung muß ja eingebettet werden in das Ganze, in dieses Nebeneinander der Ausgaben. Wir müssen also prüfen, was wir sofort und was wir etwas später erfüllen müssen.
Daher ist es nicht ganz einfach für uns, wenn man bei einer Frage, die von einer so großen internationalen Bedeutung ist, so hart sagt, hier liege ein Versagen vor und man habe nicht genug getan. Das hat mich offen gestanden ähnlich getroffen wie neulich die ebenso harten Bemerkungen der Opposition, daß die Bundesregierung sozusagen gar nichts für die Entwicklungshilfe getan habe. Ich finde, daß es bei solchen internationalen Fragen etwas schwierig für uns ist, wenn man so etwas sagt.

(Abg. Hermsdorf: Völlig falsch verstanden!)

— Wenn ich es falsch verstanden habe, ist es um so besser, Herr Kollege Hermsdorf, aber ich habe es so verstanden.
Ich möchte noch auf einen weiteren Punkt eingehen, Herr Kollege Schoettle. Er betrifft die Höhe des Sozialhaushalts. Wir sind uns natürlich bewußt, daß dieser Sozialhaushalt anders zusammengesetzt ist als in anderen Ländern. Er muß anders zusammengesetzt sein. Sie haben auf die Kriegsfolgelasten hingewiesen. Eines läßt sich doch nicht bestreiten, daß nämlich dieser Sozialhaushalt sehr hoch ist, daß er laufend steigt und daß wir uns mit ihm durchaus sehen lassen können. Wenn die Kriegsfolgelasten, die ja eines Tages einmal absinken werden, geringer geworden sind, werden wir auch über einen Ausbau anderer Teile des Sozialhaushalts sprechen.
Über das Inkrafttreten von Gesetzen zum 1. Januar habe ich schon gesprochen.
Lassen Sie mich, Herr Kollege Deist, noch etwas von der Bundesregierung aus zu der Frage der Flutkatastrophe oben an der Küste sagen. Die Bundesregierung hat in ihrer Regierungserklärung dazu Stellung genommen. Herr Kollege Deist, wenn Sie das einmal sorgfältig prüfen, werden Sie zugeben, daß die Bundesregierung in dieser Sache außer-



Bundesminister Dr. Starke
ordentlich schnell gehandelt hat. Sie hat gerade das, was Sie, Herr Kollege Deist, verlangt haben, bereits praktiziert. Sie hat nämlich als ersten Schritt gerade für die von Ihnen mit Recht erwähnten mittleren und kleinen selbständigen Existenzen gehandelt. Ich habe es deshalb nicht ganz verstanden, daß Sie glaubten, hier so sehr als Sprecher für Schichten auftreten zu müssen, für die die Bundesregierung doch bereits gehandelt hat. Wenn ich Ihnen das offen sagen darf: die von Ihnen zitierten Länder und Gemeinden sind von uns gehört worden. Die Ländervertreter und die Ministerpräsidenten sind hier mit der Bundesregierung zusammen gewesen: auch der Regierende Bürgermeister von Hamburg war sowohl mit dem Herrn Bundeskanzler zusammen als auch mit uns in einer späteren größeren Zusammenkunft. Die anderen Ministerpräsidenten haben zum Ausdruck gebracht, daß sie in voller Übereinstimmung mit den Maßnahmen stehen, die die Bundesregierung getroffen hat, und daß man sich nun eben zusammensetzen muß, um die sehr schwierigen weiteren Schritte zu beraten. Diese Schritte nach den ersten Schritten betreffen nicht mehr so sehr die akute Not, sondern eine Lösung, die in die weitere Zukunft weist.
Herr Kollege Deist, das Beispiel Holland steht natürlich leuchtend vor Augen. Sie wissen aber doch ganz genau, wir müssen in Deutschland bei solchen Fragen selbstverständlich das Ganze in den Rahmen setzen, der uns durch die allgemeinen Kriegsfolgen und die dafür erlassenen Regelungen gegeben ist. In diesen Rahmen muß auch die neue Regelung eingepaßt werden.
Daß daneben auch die Landwirtschaft in diese Maßnahmen einbezogen ist, ist bereits bekanntgegeben. Auch in dieser Beziehung gibt es also zur Zeit keine Schwierigkeiten.
Ich habe ein wenig das Gefühl — das möchte ich noch sagen —: Wenn schon zwischen denen, die unmittelbar verantwortlich sind, wie den Landesregierungen, den Senaten der Hansestädte und der Bundesregierung, kein Mißklang bestanden hat, war doch ein so leidenschaftlicher Appell in der Öffentlichkeit — als ob nun aber auch noch gar nichts geschehen wäre — nicht so sehr nötig.

(Abg. Dr. Deist: Das hat doch kein Mensch gesagt!)

— Herr Kollege Deist, was Sie gesagt haben, ist Ihre Sache. Wie wir es aufgenommen haben — wie Sie es aus der Reaktion im ganzen Hause sehen —, ist doch die Sache der anderen. Ich habe von der Bundesregierung auch etwas hinzufügen müssen; denn gerade der Herr Bundeskanzler wie auch der Herr Bundeswirtschaftsminister und auch ich haben uns der Sache angenommen. Der Herr Bundeswirtschaftsminister ist dort gewesen und wir haben laufend in telefonischer Verbindung gestanden. Wir haben zum Teil binnen 24 Stunden im Kabinett Entscheidungen getroffen, um in der Frage ganz in dem von Ihnen gewünschten Sinn voranzukommen.
Lassen Sie mich noch wenige Worte zur Finanzreform sagen. Herr Kollege Möller, über das was da geschehen muß, sind wir uns ganz einig. Ich bin aber etwas skeptisch, ob man in der Finanzreform in früherer Zeit schon sehr viel weiter gekommen wäre. Bei der Situation, wie wir sie haben, gehörte wohl der Druck der veränderten Finanzlage dazu, um die Dinge in Angriff nehmen zu können. Aber Sie wissen, daß jede Mitarbeit gerade von Ihnen, von der Opposition und den Herren, mit denen ich schon .darüber gesprochen habe, von uns dankbar begrüßt wird; denn wir wollen hier zu einem gemeinsamen Werk kommen.

(Abg. Niederalt: Außerdem gibt es auch noch einen Bundesrat!)

— Sicherlich.
Ich habe noch etwas über die Anleihen und ihre Höhe zu sagen. Über die Anleihepolitik habe ich gesprochen. Ich habe aber dankbar Ihre Anregungen aufgegriffen bezüglich der kurz- und mittelfristigen Finanzierung, Ihre Ausführungen über die Brücke vom Geld- zum Kapitalmarkt. Diese Erwägungen haben auch wir angestellt, und ich glaube, daß wir auch hier einen guten Weg gehen werden.
Über den Plan, über das Programm der Sozialdemokratischen Partei habe ich schon etwas gesagt. Bis 1961, Herr Kollege Möller, haben Sie die Steuereingänge richtig geschätzt. Das besagt noch nicht, daß Sie sie für die Zukunft richtig geschätzt haben. Ich bin sehr skeptisch, ob das der Fall sein wird. Ich glaube, daß außerdem der Kollege Dahlgrün recht hat, wenn er darauf hinwies, daß die Ausgabenseite dann natürlich nicht immer so läuft, wie Sie es in Ihrem Programm vorgesehen haben, sondern daß unabweisbar andere Dinge hinzukommen, die man eben auch mit in Rechnung stellen muß.
Insgesamt genommen möchte ich noch einmal folgendes ganz vorsichtig zum Ausdruck bringen: Ich habe eine außerordentlich deutliche Sprache in meiner Rede bezüglich des Nutzens und des Wertes von Steuererhöhungen gesprochen. Ich möchte noch ein Wort anfügen, das der Herr Bundeswirtschaftsminister gesagt hat: mit einer Steuererhöhung könne man die Steuererträgnisse der künftigen Jahre geradezu ruinieren. Ich habe ja über die sich vermehrende Belastung der Wirtschaft mit sozialen Abgaben gesprochen — der gesamten Wirtschaft, denken wir nicht immer nur an einzelne ganz Große — und ferner über die Belastung aus der Lohn- und Gehaltsentwicklung und aus der Steuerentwicklung.
Ich habe — wenn ich das zusammenfassen darf — bei Ihren Ausführungen ein bestimmtes Gefühl gehabt. Sie sagen, dramatisieren Sie doch die Dinge nicht so. Bei den Bemerkungen, was man alles noch tun sollte, wie Sie von der Opposition es andeuteten, habe ich dann noch stärker das Gefühl gehabt — Sie haben es zwar nicht gesagt —, daß Sie zu der Frage der Steuererhöhung eine andere Stellung einnehmen als wir. Ich habe dafür keine Beweise, ich sage Ihnen nur, daß mein Eindruck — ich kann es nicht ganz leugnen — in dieser Richtung geht.
Nun zum Schluß! Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich hoffe, daß wir nach dem dankenswerten Entschluß des Haushaltsausschusses, den Haushaltsplan beschleunigt zu beraten, in der kurzen Zeit, die



Bundesminister Dr. Starke
wir zur Verfügung haben, noch zu guten Ergebnissen kommen. Es steckt noch eine gewaltige Arbeit drin. Ich hoffe auch, daß die Verhandlungen mit den Ländern ein gutes Ergebnis bringen werden, wobei ich noch einmal den Willen der Bundesregierung zum Ausdruck bringen darf, zu einer freiwilligen Einigung zu kommen, uni der anomalen Lage, um der Übergangslage des Jahres 1962 gerecht zu werden. Wenn der Bundeshaushalt 1962 schnell beraten und verabschiedet wird, geben Sie auch der Bundesregierung Zeit und Raum, sich dem Haushaltsplan 1963 zuzuwenden, von dem ich hier noch einmal dem Hohen Hause sagen möchte: es wird aller Kräfte der Bundesregierung und des ganzen Parlaments bedürfen, um ihn in Grenzen zu halten, um ihn auch in der gesellschaftspolitischen Richtung, die Herr Professor Burgbacher angedeutet hat, zu einem guten Ende zu bringen, damit er uns nicht zurückwirft auf dem guten Wege, den wir bisher gegangen sind.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Erwin Schoettle (SPD):
Rede ID: ID0401923300
Das Wort hat der Abgeordnete Hermsdorf.

Hans Hermsdorf (SPD):
Rede ID: ID0401923400
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bedaure, daß ich auf Grund der Erklärung, die der Abgeordnete Struve hier als Vorsitzemder dies „Arbeitskreises Flutkatastrophe" abgegeben hat, noch einige Bemerkungen machen muß. Es ist von Herrn Struve gesagt und jetzt auch vom Herrn Finanzminister wiederholt worden, daß durch die Ausführungen meines Freundes Deist ein Bruch interfraktioneller Vereinbarungen vorliege. Dem ist nicht so. Herr Struve, in diesen interfraktionellen Vereinbarungen ist mit keinem Wort davon gesprochen, daß es einem Abgeordneten untersagt sei, über diese Dinge zu reden; mit keinem Wort! Und ich muß Ihnen ganz ehrlich sagen: was Ihrem Herrn Ministerpräsidenten von Hassel und anderen zusteht, dasselbe Riecht haben wir als Opposition. Es steht uns zu, darzulegen, welche Vorstellungen wir haben. Es hat keinen Sinn, hier eine pathetische Rede zu halten und der Opposition zu sagen: ihr habt das und das nicht eingehalten.
Ich stelle noch einmal ganz eindeutig fest — und ich würde Sie bitten, die Ausführungen des Abgeordneten Deist noch einmal zu lesen; vielleicht kommen Sie dann zu einem anderen Resultat als dem, das Sie hier vorgetragen haben —: das, was der Kollege Deist hier ausgeführt hat, war nichts weiter als der Versuch, klarzustellen, welche Vorstellungen wir darüber haben, was überhaupt und was rasch getan werden müsse. Dasselbe Recht hat die Regierung gehabt; sie hat ihre Vorstellungen vorgetragen. Interfraktionelle Vereinbarungen so auszulegen, als dürfe nur die Regierung reden und die anderen müßten zuhören, das geht nicht.
Ich muß sagen, daß Sie mit der Art, wile Sie als Ausschußvorsitzender gesprochen haben, zumindest nicht dein Tatsachen gerecht geworden sind. Ich würde sehr darum bitten, daß die Arbeit, wie wir sie bisher in den Ausschußsitzungen zusammen geleistet haben, fortgesetzt wird. Soweit es uns Sozialdemokraten betrifft, garantieren wir Ihnen das.
Aber derartige Polemiken und Unterstellungen möchte ich auf alle Fälle zurückweisen; denn damit gefährden Sie die Zusammenarbeit. Vielleicht liegt Ihnen daran.

(Beifall bei der SPD.)


Erwin Schoettle (SPD):
Rede ID: ID0401923500
Damit ist die Aussprache in der ersten Beratung des Haushaltsgesetzes geschlossen. Die Vorlage soll an den Haushaltsausschuß und nach einer Absprache der Fraktionen wegen des § 6 der Geschäftsordnung der Einzelplan 02 — das ist der Haushalt des Bundestages selbst — auch an den Vorstand des Bundestages überwiesen werden.
Herr Kollege Ritzel!

Heinrich Georg Ritzel (SPD):
Rede ID: ID0401923600
Darf ich aus grundsätzlichen Erwägungen auf ein Problem der Geschäftsordnung hinweisen, das sich in diesem Zusammenhang stellt. Nach § 6 Abs. 3 der Geschäftsordnung hat der Vorstand des Deutschen Bundestages den Haushaltsplan im Entwurf festzustellen. Dieser Haushaltsplanentwurf wird dann Gegenstand der Gesamtregierungsvorlage, d. h. ,des Entwurfs ,des Haushaltsplans eines Rechnungsjahres. Es ist Übung, daß die Regierung an den Ansätzen des Haushaltsplans 02 des Deutschen Bundestages nichts ändert. Es ist eine alte Regelung im Haus, und zwar seit Bestehen ,des Deutschen Bundestages, daß der Etatentwurf in Anlehnung an den § 94 der Geschäftsordnung jedesmal nur dem Haushaltsausschuß überwiesen wurde. Ich glaube, es wäre nützlich, bei diesem System zu verbleiben und ohne Vorbereitung und gründliche Überlegung keine Änderung vorzunehmen.
Bei vielen Fachausschüssen des Hauses besteht der sehr verständliche Wunsch, ebenfalls an der Etatberatung teilzunehmen. Darüber sollte man sich demnächst verständigen. Aber ein ganz anderes Problem ist es, daß nach diesem Vorschlag, über den ich vorsorglich getrennte Abstimmung beantrage, der von dem Vorstand des Deutschen Bundestages im Auftrag des Bundestages nach § 6 Abs. 3 der Geschäftsordnung erstellte Entwurf nunmehr dem Vorstand noch einmal zur Beratung in eigener Sache überwiesen werden soll. Das ist ein Novum; so etwas hat es bis jetzt nicht gegeben. Wenn Gründe, die mir nicht bekannt sind, vorliegen, den Vorstand noch einmal mit seinem Entwurf zu befassen, dann gibt es dafür sicherlich einen vernünftigen Weg. Aber zu präjudizieren, daß ein Entwurf, der Inhalt, Gegenstand, Bestandteil des gesamten Regierungsentwurfs Haushalt 1962 ist, einer Stelle, vergleichbar einem Ministerium, noch einmal überwiesen werden soll, könnte unter Umständen gefährliche Konsequenzen heraufbeschwören.
Ich möchte Ihnen in tiefer Sorge um eine geordnete Geschäftsführung vorschlagen, meine Damen und Herren, den Haushaltspianentwurf 1962 allein dem Haushaltsausschuß zu überweisen. Wenn ein Grund dafür vorliegen sollte, daß sich ,der Vorstand mit seinem Entwurf noch einmal befaßt, dann kann das im Wege der Verständigung vor der Behandlung des Einzelplans 02 im Ausschuß für Geschäftsordnung durchaus und in guten Treuen geschehen.




Erwin Schoettle (SPD):
Rede ID: ID0401923700
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Gerstenmaier.

Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0401923800
Meine Damen und Herren! Es geschieht selten, daß ein Abgeordneter nicht im eigenen Interesse, sondern in Wahrnehmung eines Amtes, das er eigentlich nicht an diesem Platze, sondern ausschließlich da oben zu vertreten hat, sich an das Haus wenden muß. Zuweilen kann er es aber nicht anders tun als von diesem Platz aus, jedenfalls wenn die Frage kontrovers ist.
Ich habe mir Mühe gegeben, dem Haus diese kleine Überraschung zu ersparen. Aber ich sehe, daß alles gute Zureden doch nur begrenzte Chancen hat. Infolgedessen muß ich mir hier einige Bemerkungen erlauben, die sich auf das beziehen, was der Herr Kollege Ritzel soeben gesagt hat.
Der § 6 der Geschäftsordnung ist es in der Tat allein, der mich veranlaßt, hier zu reden. In seinem Abs. 3 heißt es:
Der Vorstand beschließt über die inneren Angelegenheiten des Bundestages, soweit sie nicht dem Präsidenten oder dem Präsidium vorbehalten sind. Er stellt den Entwurf eines Haushaltsplanes für den Bundestag fest.

(Zuruf von CDU/CSU: Den Entwurf!)

— Das ist richtig Herr Kollege Etzel. Er stellt den Entwurffest. Denn den Entwurf in ein Gesetz zu verwandeln ist das alleinige Recht des Plenums dieses Hauses. Das ist uns allen wohl bewußt.
Die Kontroverse, die sich hier ankündigt, kommt allein aus folgender Tatsache. Der Bundestagspräsident ist nie und nimmer ein Mann, der ähnlich wie ein Ressortchef eines Ministeriums sich einem Organ ides Parlamments gegenüber zu verhalten vermag. Denn dabei handelt es sich immer um die eigene Sache des Hauses, und in dieser eigenen Sache ides Hauses wird und kann der Bundestagspräsident nicht aktiv werden, so wie etwa ein Minister für sein Haus aktiv wird. Der Bundestagspräsident ist in einer sehr viel bescheideneren Position. Er ist nämlich auch in diesem Falle wiederum nur der Sprecher eines parlamentarischen Organs, allerdings eines anderen parlamentarischen Organs, als es der Haushaltsausschuß ist. Dieses parlamentarische Organ ist ein von der Geschäftsordnung dafür bestimmter, abstimmungs- und beschlußfähiger Ausschuß, ,der Bundestagsvorstand heißt. Die Beschlüsse dieses Ausschusses vor dem anderen Ausschuß zu vertreten, war bis jetzt Sache des Bundestagspräsidenten. So wurde es gehandhabt, und ich habe niemals in Zweifel gezogen — ich tue das auch in diesem Augenblick nicht —, daß es gut und richtig ist, daß ,der Haushaltsausschuß — übrigens wie der Bundestagsvorstand selber — dem Haushaltsplan 02 des Bundestages gegenüber dieselben Normen und Gesichtspunkte kritischer Art anwendet, die er im gesamten übrigen Bundesdienst auch anwendet. Es ist einfach eine Unterstellung, meine Damen und Herren, die in nichts begründet ist — ich sage das ausdrücklich —, wenn man denen, die hier in dieser Sache meiner Meinung sind, unterstellt, daß wir etwa im Sinn 'hätten oder im Schilde führten, diese normative Kontrolle ides Haushaltsausschusses im mindesten anzutasten. Das ist gar nicht unsere Absicht.
Was wir meinen, ist folgendes: daß dieses Haus mit einer ganzen Reihe von internen Sachfragen befaßt ist, .die nicht im Haushaltsausschuß in gebührender Breite und Länge verhandelt werden können und sollen, sondern für die nun einfach einmal dieser Bundestagsvorstand da ist. Dazu ist er eingesetzt, das ist seine Sache!

(Beifall bei der SPD.)

Es begibt sich, daß in diesem Bundestagsvorstand hin und wieder auch Dinge 'beschlossen werden müssen, die selbstverständlich finanzielle Auswirkungen haben. Insofern sind wir natürlich bereit zu sagen: Gut, auch dazu soll der Haushaltsausschuß etwas sagen; aber er soll es nur tun im Rahmen seiner allgemeinen normativen Kontrolle, und er soll nicht die inneren Angelegenheiten 'des Bundestagsvorstandes, soweit sie finanzielle Auswirkungen haben, in seine Kompetenz mit hereinziehen, das heißt mit anderen Worten, sie im Haushaltsausschuß noch einmal in extenso verhandeln.
Meine Damen und Herren, es gibt übrigens einige Passagen in gesetzlichen Bestimmungen, die dieses Haus beschlossen hat und die ich Ihnen dazu vorhalten könnte. Es gibt z. B. einen § 5 des Diätengesetzes. Dieser § 5 des Diätengesetzes überbürdet dem Bundestagspräsidenten z. B. die Aufgabe, die Reisekostensätze festzusetzen im Benehmen mit dem Ältestenrat. Meine Damen und Herren, wie wäre es denn, wenn der Bundestagspräsident sich dieser Pflicht stellend zu finanziellen Konsequenzen kommen würde und dann zum Haushaltsausschuß gehen und fragen müßte: „Ja, meine Herren, sind Sie nun bereit, etwa die Ansätze dieser Art zu akzeptieren, oder nicht?" Das wäre zu dumm.
Und nun will ich Ihnen folgendes sagen. Die ganze Sache hier, dieser Vorschlag, den der Herr amtierende Präsident freundlicherweise dem Hause vorgetragen hat und der, wie ich meine, auf einer interfraktionellen Vereinbarung steht, dient nicht dem Krach im Hause, sondern im Gegenteil der Entschärfung der Kontroverse. Was will er denn? Er will, daß wir nicht die Haushaltsdebatte hier im Plenum belasten mit großen Kontroversen über alle möglichen mehr oder weniger wichtigen, im Vergleich zum Volumen des Bundeshaushalts meistens aber sehr unwichtigen Einzelfragen, sondern daß wir den Versuch machen, sie mit den dafür bestellten Organen des Hauses — nach der Geschäftsordnung Bundestagsvorstand und Haushaltsausschuß
in den Haushaltsberatungen so auszuräumen, daß wir nachher mit einem abgeklärten Vorschlag in die Plenardebatte kommen. Deshalb allein, im sachlichen Interesse des Hauses, dieser Vorschlag — ohne die berühmte Streitfrage „Federführung" usw. —, den Einzelplan 02 mit Blick auf die Bestimmungen des § 6 Abs. 3 auch an den Bundestagsvorstand zur Beratung zu überweisen.
Meine Damen und Herren, ich garantiere Ihnen dafür — und ich befinde mich hier in völliger Übereinstimmung mit dem Herrn Vorsitzenden des Haushaltsausschusses, wenn ich sage: ich garantiere



D. Dr. Gerstenmaier
Ihnen dafür —, daß wir auf diese Weise am schiedlich-friedlichsten und am sachgerechtesten für das Haus über die Runde kommen. Ich möchte Sie deshalb bitten, dem von dem Herrn. amtierenden Präsidenten vorgetragenen Vorschlag Ihre Zustimmung zu geben.

(Allseitiger Beifall.)


Erwin Schoettle (SPD):
Rede ID: ID0401923900
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor Wir kommen zur Abstimmung.
Da die Überweisung an den Haushaltsausschuß für den Gesamthaushalt nicht strittig ist, glaube ich annehmen zu dürfen, daß das Haus der Überweisung an den Haushaltsausschuß zustimmt.
Es ist getrennte Abstimmung über den zweiten Vorschlag empfohlen worden, nämlich den Einzelplan 02 wegen des § 6 der Geschäftsordnung auch an den Vorstand des Bundestages zu überweisen. Ich stelle diesen Vorschlag zur Abstimmung. Wer stimmt ihm zu? Ich bitte um ein Handzeichen. — Danke. Ich bitte um die Gegenprobe. — Das erste war die überwiegende Mehrheit; es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 3 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Wirtschaftsplans des ERP-Sondervermögens für das Rechnungsjahr 1962 (ERP-Wirtschaftsplangesetz 1962) (Drucksache IV/237).
Wird das Wort zur Begründung gewünscht? — Keine Begründung.

(Abg. Wacher: Überweisung!)

— Überweisung. Für die Überweisung sind vorgeschlagen der Wirtschaftsausschuß und der Ausschuß für wirtschaftlichen Besitz des Bundes, zur Mitberatung der Haushaltsausschuß. Über die Federführung ist keine Klarheit geschaffen.
Herr Abgeordneter Wacher, bitte!

Gerhard Wacher (CSU):
Rede ID: ID0401924000
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben diese Frage in der Fraktion der CDU/CSU sehr eingehend behandelt. Ich bitte Sie namens der Fraktion, den Gesetzentwurf dem Ausschuß für wirtschaftlichen Besitz des Bundes — federführend — sowie dem Wirtschaftsausschuß und dem Haushaltsausschuß zur Mitberatung zu überweisen.

Erwin Schoettle (SPD):
Rede ID: ID0401924100
Sie haben diesen Vorschlag gehört.
Herr Abgeordneter Zoglmann!

Siegfried Zoglmann (CSU):
Rede ID: ID0401924200
Ich bitte, diesen Gesetzentwurf zur Mitberatung auch dem Entwicklungsausschuß zu überweisen.

Erwin Schoettle (SPD):
Rede ID: ID0401924300
Ein weiterer Vorschlag: der Entwicklungsausschuß, mitberatend.
Wir müssen zuerst über die Federführung entscheiden. Vorgeschlagen ist der Ausschuß für wirtschaftlichen Besitz des Bundes. Ist das Haus damit einverstanden?

(Zustimmung.)

— Dann ist also der Ausschuß für wirtschaftlichen Besitz des Bundes federführend; dem Wirtschaftsausschuß und dem Haushaltsausschuß ist der Gesetzentwurf zur Mitberatung überwiesen.
Ferner ist der Ausschuß für Entwicklungshilfe vorgeschlagen. Stimmt das Haus diesem Vorschlag zu?
— Hierüber scheint keine einheitliche Meinung zu bestehen. Wir stimmen ab. Wer dafür stimmt, daß die Vorlage auch dem Ausschuß für Entwicklungshilfe überwiesen wird, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Danke. Ich bitte um die Gegenprobe. — Das erste scheint die Mehrheit zu sein, obwohl die Müdigkeit bei der Abstimmung sichtbar war.

(Heiterkeit.)

Damit ist auch dieser Punkt der Tagesordnung erledigt.
Ich rufe Punkt 4 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Einkommensteuergesetzes (Drucksache IV/67).
Wird das Wort zur Begründung gewünscht? — Das Wort hat der Abgeordnete Seuffert.

Walter Seuffert (SPD):
Rede ID: ID0401924400
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Den Antrag, den zu begründen ich die Ehre habe und der sich auf den sogenannten Weihnachtsfreibetrag bezieht, haben wir Ihnen bereits im Dezember vorigen Jahres vorgelegt, um ihn wenn möglich schon damals zur Auswirkung kommen zu lassen. Sie haben es, damals abgelehnt, ihn zu beraten. Wenn er heute in unmittelbarem Anschluß an die erste Lesung des Haushalts 1962 zur Beratung steht, so ist das vielleicht kein ungünstiger Zeitpunkt, um die Aufmerksamkeit darauf zu lenken, daß auf dem wichtigen Gebiet des Lohneinkommens und seiner steuerlichen Behandlung unabweislich und bald etwas geschehen muß, was auch Auswirkungen für den Haushalt haben kann. Denn, meine Damen und Herren, wir beabsichtigen
— das möchte ich von vornherein ankündigen —, die Diskussion über diesen Antrag nicht auf die Frage des Weihnachtsfreibetrags zu beschränken, sondern die Frage der Besteuerung des Lohneinkommens insgesamt einmal zur Debatte zu stellen. Deswegen halte ich es nicht für notwendig, den Antrag jetzt im einzelnen zu begründen. Die Begründung ergibt sich im übrigen aus den allgemein gestiegenen Zahlen für die Bemessungsgrundlagen der Lohnsteuer und für die Bemessung der Höhe der Weihnachtszahlungen von selbst.
Gestatten Sie mir aber ein Wort zu der Entwicklung der Besteuerung des Lohneinkommens in den letzten Jahren. Diesem Problem muß man einige Worte widmen, weil es offensichtlich vernachlässigt wird. Wenn dem nicht so wäre, hätte es nicht dazu kommen können und dürfen, daß wir sowohl beim Steueränderungsgesetz 1961, wie übrigens auch bei früheren Steueränderungsgesetzen, namens der



Seuffert
Opposition feststellen mußten, daß dieses Gesetz zwar vielen vieles gebracht hat, aber für den Arbeitnehmer gar nichts.

Erwin Schoettle (SPD):
Rede ID: ID0401924500
Darf ich einen Augenblick unterbrechen. Meine Damen und Herren, es scheint mir nicht zweckmäßig zu sein, daß sich das Haus in eine Strandpromenade verwandelt. Das ist weder für den Redner noch für das Haus selber zweckmäßig. Ich bitte doch, nach Möglichkeit Ruhe zu bewahren.
Bitte, Herr Abgeordneter, fahren Sie fort.

Walter Seuffert (SPD):
Rede ID: ID0401924600
Ich mußte davon sprechen, daß das Steueränderungsgesetz 1961 und auch frühere Steueränderungsgesetze zwar vielen vieles gebracht haben, aber für den Arbeitnehmer und für seine besondere Situation eben gar nichts. Wir haben auch in der Regierungserklärung neulich keine greifbare Andeutung finden können, daß diesem Problem Aufmerksamkeit gewidmet wird.
Die letzte Gesetzesänderung, die für den Sektor der Besteuerung des Lohneinkommens Bedeutung hatte, war die große Steuer- und Tarifänderung 1958. Sicher hat diese Änderung durch die Erhöhung der Grundfreibeträge und die Einführung des Proportionalsatzes wesentliche Erleichterungen auch und gerade für das Arbeitnehmereinkommen gebracht. Man hat damals angenommen, daß die Hälfte der Arbeitnehmer durch die Gesetzesänderung lohnsteuerfrei werde. Damals wurde — auch
daran muß man erinnern — eine Mehrbelastung für die jenige Arbeitnehmergruppe eingefuhrt, bei der beide Ehegatten ein Arbeitseinkommen beziehen. Das bedeutete eine Schlechterstellung gegenüber dem vorher bestehenden Zustand. Wir haben das damals in Kauf genommen, einmal weil die getroffene Lösung systematisch richtig erschien und zum anderen weil wir, wie wir jetzt offen gestehen müssen, seinerzeit auf Grund der vorliegenden Auskünfte und Unterlagen die Bedeutung und den Umfang dieser Gruppe wesentlich unterschätzt haben. Wir haben allerdings schon damals — auch daran muß ich erinnern — darauf hingewiesen, daß die Mehrbelastung dieser Gruppe bedenklich sei und daß sie vermeidbar sei, wenn man den allgemeinen Arbeitnehmerfreibetrag, den wir schon so lange fordern und den die Gerechtigkeit selbst fordert, in einem angemessenen Umfang bewilligen werde. Wir haben die entsprechenden Anträge gestellt. Sie sind abgelehnt worden.
Inzwischen hat sich herausgestellt, daß diese Gruppe der Arbeitnehmer, bei der auch die Ehefrau in Arbeit steht, mindestens etwa 50 % der Arbeitnehmerhaushalte ausmacht, wenn nicht den überwiegenden Teil und den Normalfall in den Arbeitnehmerkreisen überhaupt. Die Gründe dafür, warum das so ist, will ich jetzt nicht näher darlegen. Ich bin aber der Ansicht, daß man, um zu einer gerechten Besteuerung zu kommen, zunächst immer vom Normalfall ausgehen muß. Offensichtlich sind in einer großen Zahl von Fällen, wenn nicht gar in der überwiegenden Zahl, die Anforderungen an die familiengerechte Wohnung, die Anforderungen hinsichtlich des Unterhalts und der Erziehung der Kinder wie überhaupt der vertretbare Anspruch auf einen Anteil an der Wohlstandsentwicklung auch für den Arbeitnehmerhaushalt gestiegen. Ich brauche nicht näher zu begründen, wie wichtig all diese Dinge für unsere innere Verteidigung gegenüber dem Kommunismus sind, ganz abgesehen davon, daß sich diese Ansprüche auf die Menschenwürde und darauf gründen, daß alle an der Wohlstandsentwicklung teilhaben sollen. Wenn das in einer so großen, in der überwiegenden Zahl von Fällen dazu führt, daß auch die Ehefrau sich genötigt sieht, in Arbeit zu gehen, dann muß der Steuergesetzgeber mit diesem Tatbestand rechnen und muß ihm gerecht werden, ganz gleichgültig, wie man von irgendeiner Familienpolitik her über die Entwicklung sonst denken mag.
Der zweite Effekt, auf den man damals im Jahre 1958 so stolz war, die Verminderung ,der Lohnsteuerfälle, die Befreiung etwa der Hälfte der Arbeitnehmer von der Lohnsteuerpflicht, ist längst weggefallen. Das läßt sich nicht leugnen. Es kann gar keine Rede mehr davon sein, daß die Hälfte der Arbeitnehmer steuerfrei ist. Im Gegenteil, ,die Lohnsteuer hat sich überdimensional entwickelt, nicht nur gegenüber anderen Steuern, sondern auch gegenüber der Lohnsumme.
Was ich soeben hervorheben mußte, sind zwei sehr bedauerliche Minuspunkte in ,der Entwicklung seit 1958. Wie stellt sich nun die Gesamtentwicklung der Lohnsteuer dar? Die Lohnsumme ist von 1958 bis 1962 — ich beziehe jetzt die Schätzungen des Finanzberichts für 1962 ein — von 109 auf 160 Milliarden DM gestiegen. Das wären rund 54 %. Die Lohnsteuer ist im gleichen Zeitraum 1958 bis 1962 — wieder einschließlich der Vorausschätzung für 1962 — von 5,932 Milliarden auf 12 Milliarden gestiegen, also um rund 102 %. Sie ist mithin um fast das Doppelte dessen gestiegen, um das die Lohnsumme gestiegen ist.
Ich möchte die Frage stellen: wenn in irgendeinem Erwerbszweig die Steuerbelastung sich in einem so offenkundigen Mißverhältnis zu den Einkommen entwickelt hätte, was hätten wir .da zu hören bekommen, und welche Gedanken müssen wir einer solchen Entwicklung auf dem Sektor des Lohneinkommens widmen? Selbstverständlich habe ich hier vom Nominaleinkommen gesprochen, weil ich in der Diskussion zunächst keine andere Ziffer verwenden kann. Wenn man von den Realeinkommen ausginge, die eigentlich für die Frage der Belastbarkeit durch die Steuer die entscheidende Grundlage sein sollten, würden sich bekanntlich wegen der Preisentwicklung und wegen der Entwicklung der Lebenshaltungskosten noch viel ungünstigere Zahlen ergeben.
Ich gebe zu, daß Parallelzahlen für veranlagtes Einkommen äußerst schwer zu erarbeiten sind, weil sich allein schon wegen der bekannten Phasenverschiebung durch ,das Erhebungsverfahren andere Maßstäbe für die Zeiträume ergeben und diese Zahlen nicht so leicht wie die Lohnsteuerzahlen auf bestimmte Zeiträume des Einkommensanfalls zu beziehen sind. Aber es gibt eine ganze Reihe von



Seuffert
Gründen — auf die ich heute nicht eingehen kann —, die dafür sprechen, daß sich das Verhältnis zwischen Steuerbelastung und Einkommensentwicklung im Bereich dieser Einkommen, der Privateinkommen und der Körperschaftseinkommen, bei weitem nicht so markant verändert hat wie gerade bei der Lohnsteuer.
Diese Entwicklung bei der Lohnsteuer hat dazu geführt, .daß die durchschnittliche Steuerbelastung des Lohneinkommens jetzt — laut Finanzbericht 1962 — bereits auf 7,7 % in ,der Vorausschätzung angesetzt wird. Im Finanzbericht 1961 war sie auf 6,4 % geschätzt und ist dann auf Grund der Ist-Zahlen im Laufe des Jahres auf 7,15 % korrigiert worden. Die steigende Tendenz der Lohnsteuerbelastung ist ganz unverkennbar.
Das hat weiter dazu geführt, daß die Entwicklung der Nettolohnsumme hinter der Entwicklung der Bruttolohnsumme erheblich zurückbleibt. Laut Finanzbericht haben wir bei der Bruttolohnsumme einen Zuwachs von 12,4 % und bei der Nettolohn-summe einen solchen von 11,7 %. Das bedeutet, daß rund 5 1/2% des Zuwachses an Lohn schon allein durch Mehrsteuern aufgebraucht werden.
Worauf ist das zurückzuführen? Selbstverständlich auf die Auswirkung der Progression. Das zeigt, daß auch bei den Arbeitnehmereinkommen die Progression noch sehr wirksam ist. Bekanntlich liegt der ganz überwiegende Teil dieser Einkommen im Bereich des Proportionalsatzes; das heißt, es findet hier keine Progression des Steuersatzes oder des Spitzensatzes statt. Durch die Auswirkung der Abnahme der Grundfreibeträge findet, wie man aus diesen Zahlen sieht, berechnet auf das Gesamteinkommen, jedoch auch hier eine sehr, sehr wirksame Progression statt. Man muß das im Verhältnis zur nächsten Tarifzone sehen, wo die Auswirkung der Grundfreibeträge abnimmt und eine Progression der Steuersätze vorgesehen ist; man arbeitet hier bei dem Ledigen- und Splittingtarif mit ganz anderen Progressionskurven. Vor allen Dingen muß man das aber auch im Verhältnis zu der Zone der Einzeleinkommen über 110 000 DM sehen, bei denen überhaupt keine Progression mehr stattfindet, weder durch Auswirkung der Grundfreibeträge noch durch Ansteigen des Steuersatzes.
Daß in dem Zwischenbereich Tarifverbesserungen möglich sind, haben wir bereits 1958 ausgesprochen. Der Herr Bundesfinanzminister hat angedeutet, daß er sich diesem Problem in einem angemessenen Ausmaß widmen wolle. Wir haben sicherlich nichts dagegen. Die Zahlen beweisen jedenfalls, daß die Progression bei den Arbeitnehmereinkommen sich durch eine Erhöhung der Durchschnittsbesteuerung bereits sehr scharf ausgewirkt hat. Sie ist hier sehr bedenklich. Die Zahlen beweisen andererseits, daß eine Senkung des Proportionalsatzes sehr heilsam wäre; man hat hier von seiten der Sozialausschüsse der CDU in den letzten Tagen etwas gehört.
Hinter dieser Entwicklung stehen aber auch immer wieder die alten, Benachteiligungen der Arbeitnehmer in der ganzen Einkommensteuer. Sie sind gegenüber den zur Einkommensteuer Veranlagten durch das Verfahren benachteiligt. Das Verfahren der Lohnsteuer ist ein Abzugsverfahren nach Tabellen, die nach oben gerechnet sind; das heißt, sie sind von vornherein so festgesetzt, daß grundsätzlich die höchste Steuer eingezogen wird, die etwa in Frage kommen kann, um auf diese Weise Nachforderungen möglichst überflüssig zu machen; solche Nachforderungen sollen ja beim Abzugsverfahren überhaupt nicht in Frage kommen.
Die Nachprüfung nach unten innerhalb der Lohnsteuer erfolgt durch den Lohnsteuerjahresausgleich. Was ist das Ergebnis? Der Lohnsteuerjahresausgleich — das dürfte anzunehmen sein — ergibt, daß im Jahr eine runde Milliarde DM Lohnsteuern allein durch die Finanzämter — die Verrechnungen, die schon beim Arbeitgeber stattfinden, sind hier gar nicht einbezogen — zurückgezahlt wird. Diese Milliarde DM ist im Laufe des Jahres von den Arbeitnehmern zuviel gezahlt und zinslos vorgeschossen worden; sie wird erst später — natürlich ohne Zinsen — zurückgezahlt. Man muß dagegen sehen, daß bei der veranlagten Einkommensteuer — wenn man von der alten Regel ausgeht, daß ungefähr 30 % der Einkommensteuerzahlungen Abschlußzahlungen sind — jährlich über 3 Milliarden DM und bei der Körperschaftssteuer dazu noch gut 2 Milliarden DM erst ein bis zwei Jahre, nachdem das zu versteuernde Einkommen angefallen ist, gezahlt werden und inzwischen zinslos in den Händen der Steuerpflichtigen verbleiben. Das heißt, die Arbeitnehmer legen jedes Jahr 1 Milliarde DM vor, um sie erst später zurückzubekommen, während die Veranlagten und die Körperschaften jedes Jahr 3 Milliarden bzw. 2 Milliarden DM einstweilen gestundet bekommen, bis sie überhaupt bei ihnen eingefordert werden. Das ist ein Verhältnis, das auf die Dauer nicht tragbar ist. Wir glauben, meine Damen und Herren, Ihnen in Kürze Anträge vorlegen zu können, um dieses Mißverhältnis zu beseitigen. Sowohl für das Steueraufkommen wie für die gerechte Verteilung der Steuerbelastung muß — allein vom Verfahren her — etwas getan werden.
Wie (sieht übrigens dieses Verfahren bei der Lohnsteuer vom Standpunkt der Verwaltung her aus? Nach sehr genauen Zahlenunterlagen, die ich einsehen konnte, stellen ungefähr ein Drittel der Arbeitnehmer während des Jahres Anträge auf Lohnsteuerermäßigung und etwa ein Drittel der Arbeitnehmer stellen Anträge auf Lohnsteuerjahresausgleich, und zwar in den Fällen, in denen dies der Arbeitgeber nicht schon selbst erledigt hat. Das bedeutet, daß ungefähr 6 bis 6 1/2 Millionen derartige Anträge im Jahre von den Finanzämtern zu bearbeiten sind, und zwar sehr oft mit erheblichem Aufwand.
Daß diese Anträge nicht unberechtigt sind, wie sehr sie sogar berechtigt sind, ergibt sich aus folgender merkwürdiger Tatsache. Überprüfungen haben ergeben, daß ein Drittel aller Arbeitnehmer, die Anspruch auf Lohnsteuerermäßigung allein wegen Überschreitung der Sonderausgaben-Pauschale, allein durch ihre Sozialversicherungsbeiträge, gehabt hätten, diesen Antrag überhaupt nicht gestellt haben; offenbar, weil sie über ihr Recht nicht genügend aufgeklärt sind. Wie sähe es bei der Verwaltung erst aus, wenn auch die Anträge noch gestellt wor-



Seuffert
den wären, die nach den Überprüfungen ohne weiteres berechtigt gewesen wären? Es muß also etwas geschehen, damit auch diese Leute zu ihrem Recht kommen und damit die Verwaltung aus dem unerträglichen Zustand herauskommt. Eine Erhöhung mindestens der Sonderausgaben-Pauschale dürfte unvermeidlich sein; denn ein Abzugssystem, das in so vielen Fällen, mit so gewaltigem Arbeitsaufwand und mit so erheblichen Ergebnissen ständig korrigiert werden muß, kann in seiner Grundlage nicht mehr richtig sein. Ich meine, eine Erhöhung der Sonderausgaben-Pauschale von 636 DM jährlich auf mindestens etwa 900 DM jährlich sollte unvermeidlich sein, und zwar schon aus Verwaltungsgründen. Ich glaube, erkennen zu können, daß der Herr Bundesfinanzminister für diese Betrachtungen durchaus Verständnis zeigt. Ich darf in aller Bescheidenheit daran erinnern, daß auf dieses Problem bzw. auf diese Forderung bereits in unserem Regierungsprogramm zur Wahl Bezug genommen worden ist. Ich muß allerdings auch noch sagen, daß diese Forderung letzten Endes aus Gründen technischer Gerechtigkeit erhoben wurde, denen auch Gründe der Verwaltungsvereinfachung zur Seite treten, und ich muß darauf aufmerksam machen, daß mit einer Maßnahme, die sich nur auf die Sonderausgaben-Pauschale bezieht, die Forderung nach Gerechtigkeit für die Arbeitnehmer nicht abgegolten wäre, sondern weiter bestehenbleiben wird. Die Begründungen für diese Forderungen haben wir schon oft gegeben. Ich will einige der wesentlichen Begründungen noch einmal kurz vortragen.
Die Benachteiligung, die auszugleichen ist, liegt schon in der Zahlungsweise der Lohnsteuer einerseits und der veranlagten Einkommensteuer andererseits, wie ich vorhin ausgeführt habe. Sie liegt weiterhin in den viel erheblicheren Dispositionsmöglichkeiten des selbständigen Einkommensteuerpflichtigen. Er hat viel mehr Möglichkeiten, geschäftliche Maßnahmen mit Maßnahmen der persönlichen Lebenshaltung, der persönlichen Versorgung und der Vermögensbildung in Einklang zu bringen. Der selbständige Einkommensteuerpflichtige hat den großen Vorteil, den Verlust vortragen zu können. Der Arbeitnehmer kann dies nicht und hat infolgedessen nicht die Möglichkeit, seine Gesamtbemühungen um sein Einkommen in einen langfristigen Planungszusammenhang zu bringen. Das wirkt sich besonders schmerzlich in der Frage der Ausbildungskosten aus, worauf ich schon mehrfach hingewiesen habe. Der Arbeitnehmer kann für seine Ausbildungskosten keinerlei steuerliche Begünstigungen oder Hilfen 'in Anspruch nehmen. Er muß sie in der Regel dann aufwenden, wenn er noch kein Einkommen hat, von dem er die Ausbildungs- und Fortbildungskosten steuerlich absetzen könnte. Dadurch wird nicht nur die Ausbildung der Fachkräfte und die Fortbildung unserer Arbeitskräfte überhaupt, die gerade in der gegenwärtigen Situation für uns so sehr wichtig sind, beeinträchtigt, sondern es wird dem Arbeitnehmer fast unmöglich gemacht, seine Ausbildung unabhängig, d. h. ohne Anlehnung an ein Unternehmen, das sie in irgendeiner Weise finanziert, zu betreiben.
Noch einen anderen Punkt darf ich erwähnen. Unsere Gesetzgebung besteuert es in kleinlicher
Weise, wenn ein Arbeitgeber, ein Unternehmen seinen Arbeitnehmern freiwillige Leistungen erbringt. Ein Unternehmen kann jedem Geschäftsfreund Geschenke im Werte von bis zu 100 DM im Jahre machen und die Ausgaben dafür als Werbungskosten absetzen; auch bei dem Empfänger hat das keinerlei steuerliche Wirkungen. Sobald ein Unternehmen aber versucht, seinen Arbeitern oder Angestellten solche Geschenke zu machen, entstehen Lohnsteuerpflichten. Auch das muß einmal überprüft werden. Besonders wichtig ist — ich verweise in diesem Zusammenhang auf die Debatten über den bedenklichen Gesundheitszustand weiter Bevölkerungskreise und die Möglichkeiten, Abhilfe zu schaffen — die Frage der steuerlichen Behandlung von Erholungsbeihilfen und ähnlichem. Es sollte unserer Meinung nach möglich sein, eine präzise Fassung für eine angemessene Regelung zu finden.
In Wirklichkeit ist allen diesen Mängeln nur durch einen angemessenen Arbeitnehmerfreibetrag abzuhelfen. Das ist wie Sie schon lange wissen, unser Endziel, das wir nicht aufgeben und eines Tages erreichen werden. Solange wir das nicht erreicht haben, müssen viele wünschenswerte und notwendige Verbesserungen Platz greifen, wie ich sie Ihnen hier vorgetragen habe. Unsere Absicht ist — ohne daß ich damit unseren Antrag in diesem Augenblick schon erweitern möchte —, die Gesamtsituation zur Diskussion zu stellen. Wir werden dann unsere Vorschläge ,dazu machen, im Ausschuß oder im Plenum, wie sich das geschäftsordnungsmäßig ergibt. Denn nach unserem Dafürhalten ist es unsere, des ganzen Parlaments sowie der Regierung und insbesondere des Bundesfinanzministers, Aufgabe, auf diesem vernachlässigten Gebiet der Besteuerung des Lohneinkommens Abhilfe zu schaffen und dem Lohnsteuerpflichtigen Gerechtigkeit zukommen zu lassen. Dazu sollen unser Antrag und die Anträge, die wir, wie angekündigt, noch stellen werden, dienen, und dazu mußte ich Ihre Aufmerksamkeit 'in Anspruch nehmen, für die ich Ihnen ergebenst danke.

(Beifall bei der SPD.)


Erwin Schoettle (SPD):
Rede ID: ID0401924700
Der Gesetzentwurf ist begründet. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schmidt (Wuppertal).

Dr. Otto Schmidt (CDU):
Rede ID: ID0401924800
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die sozialdemokratische Fraktion hat Ihnen einen Antrag zur Erhöhung des Weihnachts-Freibetrages vorgelegt. Zur Begründung dieses Antrages haben wir aber mit Ausnahme eines einzigen Satzes nichts mehr gehört. Statt dessen ist eine grundsätzliche und allgemeine Debatte über einen allgemeinen Arbeitnehmer-Freibetrag eröffnet, ein altes Anliegen der SPD, das wir aus Anlaß verschiedenster Einkommensteueränderungen schon oft erörtert haben wie auch .die Frage der steuerlichen Vergünstigung von Weihnachtszuwendungen. Wir sind in einer Haushaltsdebatte, Herr Kollege Seuffert.

(Abg. Seuffert: Nein, nicht mehr!)

— doch, in einer Haushaltsdebatte, die uns noch einige Wochen beschäftigen wird und die uns zum



Dr. Schmidt (Wuppertal)

mindesten die Frage nahelegen sollte, was das eigentlich kostet.
Die Frage der Deckung liegt nahe: Wie werden diese zusätzlichen Einnahmeminderungen gedeckt? Die Einnahmeminderung bei Verwirklichung des Antrages, den die SPD-Fraktion gestellt hat, den Weihnachts-Freibetrag von 100 auf 200 DM zu erhöhen, wird im Finanzministerium auf jährlich etwa 300 Millionen DM geschätzt. Die Einnahmeminderung bei Gewährung eines allgemeinen Arbeitnehmer-Freibetrages etwa in dem Ausmaße von 600 DM jährlich wird auf 1,2 Milliarden DM geschätzt. Das sind immerhin schon Beträge, über deren Deckung wir, wenn wir hier im Hause davon sprechen, uns einige Gedanken machen sollten. Die offene Frage ist und bleibt zunächst einmal: Woher nehmen wir angesichts des Defizits im Haushalt, dessen Deckung noch in gar keiner Weise gewährleistet ist?
An der Geschichte des Weihnachts-Freibetrages kann man eigentlich sehr gut verfolgen, wie aus einer kleinen Sache etwas sehr, sehr Grundsätzliches wird.

(Abg. Seuffert: Warum nicht?!)

Es lohnt sich, in diesem Zusammenhang einmal ganz kurz die Geschichte aufzudecken. Zunächst handelte' es sich um freiwillige, geschenkweise Zuwendungen des Arbeitgebers aus Anlaß des Weihnachtsfestes, die selbstverständlich steuerfrei waren. Dann wurden daraus eine regelmäßige Zuwendung mit arbeitsrechtlichem Rechtsanspruch. So wird es eine Vergütung für Dienstleistungen, und damit treten die Steuerfragen auf. Man hat zunächst eine Steuervergünstigung für Zuwendungen in einem begrenzten Maße eingeführt. Dann sind wir im Jahre 1960 Ihrem Gedanken, Herr Seuffert, beim Steueränderungsgesetz gefolgt und sind auf Ihren grundsätzlichen Gedanken mit dem Arbeitnehmer-Freibetrag eingegangen.
Ich bin heute noch froh, daß wir damals diesen Schritt getan haben; denn er ist sicherlich weitaus gerechter als ,das, was vorher bestanden hat. Wir konnten dann zum mindesten denjenigen, die keine Zuwendungen erhalten, einen Vorteil im Sinne der steuerlichen Gleichmäßigkeit zuwenden. Aber nach denjenigen, die nicht mehr lohnsteuerpflichtig sind, also noch viel kleinere Einkommen haben, aber auch ein Weihnachtsfest feiern und etwas zu Weihnachten erhalten möchten, aber niemanden haben, der ihnen etwas gibt, was dann steuerfrei wäre oder auf Grund dessen ein Steuerfreibetrag geltend gemacht werden könnte — es sind jetzt vielleicht 5 Millionen Personen, die mit ihrem Lohneinkommen nicht mehr lohnsteuerpflichtig sind —, fragen wir nicht, wenn wir jetzt weiter aufstocken. Wir machen dann also mit anderen Worten denjenigen Zuwendungen, die sogar nach Ihrer Auffassung jetzt schon scharf in die Progression hineinwachsen, offenbar also doch in recht erfreulichen Verhältnissen leben. Insoweit, verehrter Herr Seuffert, vermag ich Ihnen nicht zu folgen. Als ob die Frage der weiteren Vergünstigung für Lohnsteuerpflichtige, die bereits scharf in die Progression hineingewachsen sind, eine der dringlichsten Fragen wäre, die wir hier zu lösen hätten! Das geht angesichts der Haushaltslage über mein Verständnis, bei aller Bereitschaft, nun auch sozialpolitisch die Probleme richtig in den Griff zu bekommen.
Nun, Herr Kollege Seuffert, wir sprechen vor einem fast leeren Hause, und ich möchte auch die Zeit dieser Sitzung heute abend nicht mehr über Gebühr in Anspruch nehmen. Über die Frage des allgemeinen Arbeitnehmerfreibetrages wäre sicherlich sehr viel zu sagen. Ich verkenne eines nicht: es gibt sicherlich im Lohnsteuerrecht Bereinigungsprobleme. Ich meine allerdings, daß wir uns im Rahmen der Beratungen und Verhandlungen über die Korrektur des Einkommensteuertarifs, die der Minister angekündigt hat, dieser Probleme im Lohnsteuerrecht annehmen müssen. Es gibt gewisse Vereinfachungsmöglichkeiten. Sie haben bestimmte unerfreuliche Dinge, die sich im Rahmen des Jahreslohnsteuerausgleichs usw. ergeben, erwähnt, was sicherlich in Betracht gezogen werden muß und sehr wohl eine Erörterung verdient. Aber ich meine, bei einer ernsthaften Verhandlung über einen Arbeitnehmerfreibetrag müßte ja wohl auch — und davon haben Sie kein Wort gesagt — über die Bereinigung des § 3 des Einkommensteuergesetzes mit seinen 36 Ziffern gesprochen werden.
Unter diesen 36 Ziffern — ich glaube, es sind 36 in § 3 des Einkommensteuergesetzes — befindet sich eine ganze Reihe von Steuervergünstigungen, die, wenn schon Steuervereinfachungsmaßnahmen in Betracht .gezogen werden sollten, zumindest auch berücksichtigt werden müssen: begrenzte Steuerfreiheit für Heirats- und Geburtsbeihilfen, für Jubiläumsgeschenke, für Trinkgelder, auf die kein Rechtsanspruch besteht, Steuerfreiheit für bestimmte Sonntags-, Feiertags- und Nachtarbeitszuschläge, Steuerfreiheit des Arbeitgeberbeitrags zur Sozialversicherung, begrenzte Steuerfreiheit für Aufwendungen zur Zukunftssicherung, begrenzte Steuerfreiheit bei der Gewährung von Fehlgeldentschädigungen, bei der Gewährung von unentgeltlichen oder verbilligten Mahlzeiten im Betrieb, bei der unentgeltlichen oder verbilligten Bereitstellung von Fahrzeugen für die Fahrt zwischen Wohnung und Arbeitsstätte, für Unterstützung in Notfällen. Es ist ja nicht so, verehrter Herr Seuffert, daß der Gesetzgeber an all dies nicht gedacht hätte. Wir haben uns doch in den letzten Jahren auch bei der Einkommensteuerreform dieser Dinge angenommen und haben Vergünstigungen geschaffen. Wenn nun von Ihnen an eine Pauschalregelung gedacht ist, müssen diese Vergünstigungen doch zwangsläufig und notwendigerweise mit in Betracht gezogen werden. Es kann ja nicht so sein, daß alle sozialen Besitzstände unüberprüft beibehalten und in eine allgemeine Regelung hineingenommen werden können, die dann aber zusätzlich erfolgt. Das geht nicht.
Ich bin selbstverständlich gern bereit, diese Fragen im Finanzausschuß in aller Breite erörtern zu lassen; denn nichts sollte uns mehr am Herzen liegen als eine gerechte, gleichmäßige Besteuerung, aber auch unter dem Gesichtspunkt, daß nun nicht eine bestimmte Gruppe ihrerseits wieder bevorrechtigt sein darf.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)




Dr. Schmidt (Wuppertal)

So viel zu diesem Antrag. Ich meine, er sollte dem Finanzausschuß überwiesen werden. Wir werden dann sehen, was aus dem Antrag werden wird.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Erwin Schoettle (SPD):
Rede ID: ID0401924900
Das Wort hat der Herr Abgeordnete von Kühlmann-Stumm.

Freiherr Knut von Kühlmann-Stumm (FDP):
Rede ID: ID0401925000
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Anregung des Herrn Dr. Schmidt folgend will ich mich kurz fassen und mich auf den Antrag der sozialdemokratischen Fraktion zum Weihnachtsgeld beschränken. Eine der ersten Sitzungen im Finanzausschuß, an, der ich teilnahm, beschäftigte sich mit demselben Thema. Seinerzeit hatte meine Fraktion einen sehr stolzen Antrag hierzu eingereicht, der sehr lange im Finanzausschuß geruht hat. Ich habe mich dann überzeugen lassen — und zwar von den Herren des Finanzministeriums —, daß das, was wir in diesem Antrag gefordert hatten, schon damals, bei einer sehr viel günstigeren Haushaltslage, nicht zu verantworten war. Der Herr Abgeordnete Seuffert hat seinerzeit selbst den Vorschlag gemacht, diese jetzt praktizierte gerechte Lösung in Gesetzesform zu fassen. Ich glaube, daß diese Lösung, da sehr viele Arbeitnehmer gar kein Weihnachtsgeld oder sehr viel weniger als 100 DM bekommen haben, sehr viel gerechter und besser gewesen ist.
Wenn wir Ihrem Antrag Folge leisten und den jetzigen Betrag praktisch verdoppeln, dann besteht doch wiederum die Gefahr, daß insbesondere die kleinen und mittelständischen Betriebe diesen Betrag nicht zahlen können. Dadurch kann eine Abwerbung durch größere Firmen erfolgen, wie es sehr oft der Fall ist. Man möchte ja den Arbeitnehmern gern diese Steuervergünstigung in vollem Umfang zugute kommen lassen; 'das können aber die kleineren und mittleren Betriebe im vollen Umfang zweifellos nicht.

Erwin Schoettle (SPD):
Rede ID: ID0401925100
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Freiherr Knut von Kühlmann-Stumm (FDP):
Rede ID: ID0401925200
Bitte.

Walter Seuffert (SPD):
Rede ID: ID0401925300
Herr Kollege von Kühlmann-Stumm, damit wir nicht aneinander vorbeireden, darf ich Sie darauf aufmerksam machen, daß die derzeitige Regelung gar nicht davon abhängt, ob eine zusätzliche Gratifikation gezahlt wird oder nicht, und daß sie deswegen gerade die Benachteiligung der mittelständischen Betriebe ausschließt, von der Sie eben gesprochen haben.

Freiherr Knut von Kühlmann-Stumm (FDP):
Rede ID: ID0401925400
Ja, aber trotzdem haben sich auch bei den hundert Mark sehr viele Betriebe damals entschlossen, diesen Betrag auch wirklich zu zahlen.

(Abg. Seuffert: Sie müssen es nicht!)

— Ja, Sie müssen es nicht, aber man muß es hier auch mitberücksichtigen. Ich darf in Übereinstimmung mit Herrn Dr. Schmidt hier feststellen: Es dreht sich hier darum, daß wir mit der Erhöhung dieses Weihnachtsgelds einen Teilbereich
bereinigen, was nach den Schätzungen, die hier auch schon genannt worden sind, etwa 300 Millionen DM kosten würde. Ich glaube, daß wir bei der augenblicklichen Haushaltslage und unter Berücksichtigung dessen, was hier in der Haushaltsdebatte von den Rednern und insbesondere von dem Herrn Bundesfinanzminister gesagt worden ist, nicht mit Teillösungen arbeiten können.
Wir sind dabei, glaube ich, alle der Auffassung, daß Herr Seuffert hier Mängel und Ungerechtigkeiten aufgezeigt hat, die zweifellos vorhanden sind. Wenn wir aber in Anbetracht der Situation des Bundeshaushalts doch aus der Rede des Herrn Finanzministers gehört haben, daß er dabei zu sein scheint, die Ungerechtigkeiten in dem augenblicklichen Einkommensteuer- und Lohnsteuertarif zu bereinigen und hier eine bessere Lösung vorzuschlagen, sollten wir doch dieser Lösung den Vorzug geben und nicht dieser kleinen Lösung, der ja andere Vorschläge und Gesetzesanträge folgen werden, zustimmen. Ich glaube, daß dann der Gesamtheit aller Betroffenen besser Rechnung getragen wird als durch einen solchen Antrag.
Ich würde also darum bitten, daß, wenn wir zu der Beratung dieser grundsätzlichen Fragen kommen, alle die Mängel und Bedenken, die Herr Seuffert aufgezeigt hat, sehr sorgfältig geprüft werden. Wenn es uns trotz der schwierigen Lage, in der wir uns augenblicklich befinden, gelingt — ich glaube, der Herr Bundesfinanzminister hat seine Sorgen hinsichtlich dieses Haushaltes 1962 sehr deutlich zum Ausdruck gebracht —, eine grundsätzlich gerechtere Lösung zu finden, dann sollten wir ihr den Vorzug vor diesem Sonderantrag geben. Dann sollten wir allerdings erreichen, daß auch auf dem Gebiete der Lohnsteuer wirklich eine gerechte und für alle Teile befriedigende Lösung erzielt wird. Ich glaube, darüber sollten wir im Finanzausschuß beraten. Wir werden dann zum Schluß feststellen, daß für alle Teile eine gute Lösung gefunden werden konnte. Während dieser Antrag nur einen Teil betrifft, den Herr Seuffert auch umrissen hat, und seine Auswirkung nicht allen zugute kommt, werden wir bei der Korrektur des Einkommensteuertarifs und des Lohnsteuertarifs einer breiten Masse von Betroffenen helfen können, die augenblicklich ohne Zweifel ungerecht besteuert werden.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Erwin Schoettle (SPD):
Rede ID: ID0401925500
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Die Aussprache ist geschlossen. Es ist vorgeschlagen, die Vorlage an den Finanzausschuß und gemäß § 96 der Geschäftsordnung an den Haushaltsausschuß zu überweisen. Wird dem widersprochen? — Das ist nicht .der Fall; es ist so beschlossen.
Meine Damen und Herren, damit sind wir am Schluß der Beratung der Tagesordnungsgegenstände, die für heute vorgesehen waren.
Ich berufe die nächste Sitzung auf Donnerstag, den 15. März 1962, 9 Uhr.
Die Sitzung ist geschlossen.