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ID0401920700

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Deutscher Bundestag 19. Sitzung Bonn, den 14. März 1962 Inhalt: Fragestunde (Drucksache IV/239) Frage des Abg. Lohmar: Sondermarken zum 20. Jahrestag des 20. Juli 1944 Dr. Steinmetz, Staatssekretär . . . 625 B Frage des Abg. Rademacher: Münzfernsprecher auf Bahnsteigen der Bundesbahn Dr. Steinmetz, Staatssekretär 625 B, C, D Rademacher (FDP) 625 C, D Frage des Abg. Rademacher: Briefmarken- und Wechselautomaten der Bundespost Dr. Steinmetz, Staatssekretär . . . 626 A Fragen des Abg. Dr. Dittrich: Stellenzulagen für Beamte des mittleren Dienstes bei der Bundespost Dr. Steinmetz, Staatssekretär . . 626 B Frage des Abg. Keller: Ortstarif im Brief- und Fernsprechverkehr zwischen Bonn und Bad Godesberg Dr. Steinmetz, Staatssekretär . . 626 C, D, 627 A, B, C, D, 628A Keller (FDP) . . . . . . . . . 626 D Büttner (SPD) . . . . . . . . . 626 D Wittrock (SPD) 627 A, B Stiller (CDU/CSU) . . . . . . 627 C Hauffe (SPD) . . . . . . . . 627 C Ritzel (SPD) 627 D, 628 A Frage des Abg. Schmidt (Kempten) : Sonderstempel „Kampf gegen die Malaria" Dr. Steinmetz, Staatssekretär . . 628 A, B Schmidt (Kempten) (FDP) . . . . 628 B Frage des Abg. Blachstein: Versorgung der Gebiete Ostfriesland und Emsland mit Fernsehprogrammen Dr. Steinmetz, Staatssekretär . . 628 B, D Blachstein (SPD) . . . . . . . 628 C, D Frage des Abg. Ritzel: Bezüge des Prof. Dr. Gladenbeck als Geschäftsführer der Gesellschaft Freies Fernsehen von Eckhardt, Staatssekretär . . 628 D 629 B, C Ritzel (SPD) 629 B Dr. Hettlage, Staatssekretär . . 629 C Erler (SPD) 629 C Frage des Abg. Sanger: Äußerung des Bundeskanzlers über eine Konferenz der Außenminister Lahr, Staatssekretär . 629 D, 630 A, B Sänger (SPD) 630 A II Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 19. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. März 1962 Frage des Abg. Schmidt (Kempten) : Verurteilung deutscher Studenten durch ein römisches Schwurgericht Lahr, Staatssekretär . . . 630 B, C. D Schmidt (Kempten) (FDP) . . . 630 B, C Erler (SPD) 630 D Frage des Abg. Keller: Blumenspende bei Beerdigung von Bundesbediensteten Höcherl, Bundesminister . 630 D, 631 A Keller (FDP) 630 D Frage des Abg. Bauer (Würzburg) : Teilnahme von Mitgliedern österreichischer Jugendverbände am Winterlager des „Bundes Heimattreuer Jugend" Höcherl, Bundesminister . . . . 631 A, C Bauer (Würzburg) (SPD) 631 C Frage des Abg. Bading: Auskunftserteilung der Bundesregierung über die Ausführung der Beschlüsse des Bundestages Höcherl, Bundesminister 631 D, 632 A, B, C, D Bading (SPD) • . . . . 631 D, 632 A Dr. Mommer (SPD) 632 A, D Börner (SPD) 632 B Jahn (SPD) 632 B, C Ritzel (SPD) . . . . . . . . 632 C Frage des Abg. Busse: Tätigkeit von Richtern in Umlegungsausschüssen Dr. Strauß, Staatssekretär . . . 632 D, 633 A, B Busse (FDP) 633 A Dr. Ramminger (CDU/CSU) . . . 633 A Frage des Abg. Wittrock: Gesetzentwurf zur Reform des Strafregisters Dr. Strauß, Staatssekretär . 633 B, C, D Wittrock (SPD) 633 B, C Dr. Dittrich (CDU/CSU) . . . . 633 D Frage des Abg. Dr. Brecht: Gesetzentwurf über ein soziales Miet- und Wohnrecht Dr. Strauß, Staatssekretär 633 D, 634 A Dr. Brecht (SPD) . . . . 633 D, 634 A Frage des Abg. Dr. Brecht: Werkwohnungen und freifinanzierte neue Wohnungen bei der Regelung des sozialen Miet- und Wohnrechts Dr. Strauß, Staatssekretär . 634 B, C, D Dr. Brecht (SPD) 634 B Büttner (SPD) 634 C Fragen der Abg. Frau Dr. Diemer-Nicolaus: Zusammenveranlagung von Ehegatten zur Einkommensteuer Dr. Hettlage, Staatssekretär . 635 A, B, C, D Frau Dr. Diemer-Nicolaus (FDP) 635 B, C Frau Meermann (SPD) . . . . . . 635 D Fragen des Abg. Dr. Dollinger: Mangel an Zwei-Pfennig-Münzen Dr. Hettlage, Staatssekretär . . . . 636 A Fragen des Abg. Stiller: Betriebsprüfungen Dr. Hettlage, Staatssekretär . . 636 B, C Stiller (CDU/CSU) 636 C Frage des Abg. Müller (Nordenham) : Beihilfen für Gasölbetriebe Dr. Hettlage, Staatssekretär 636 D, 637 A Müller (Nordenham) (SPD) 636 D, 637 A Frage des Abg. Wendelborn: Zollfreier Treibstoff für den Segelflugsport Dr. Hettlage, Staatssekretär . . . . 637 A Entwurf eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Rechnungsjahr 1962 (Haushaltsgesetz 1962) (Drucksache IV/200) — Fortsetzung der ersten Beratung — Schoettle (SPD) . . . . . . . . 637 C Dr. Vogel (CDU/CSU) 645 C Kreitmeyer (FDP) 652 B Niederalt (CDU/CSU) 654 C Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller (SPD) 658 C Dr. Schmidt (Wuppertal) (CDU/CSU) 662 A Dr. Deist (SPD) . . . . 664 B, 681 D Dr. Dr. h. c. Erhard, Bundesminister 674 A Dr. Dahlgrün (FDP) 678 A Dr. Burgbacher (CDU/CSU) . . . 679 D Hermsdorf ,(SPD) . . . 681 C, 688 A Struve (CDU/CSU) 682 D Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 19. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. März 1962 III Dr. Starke, Bundesminister . . . 683 C Ritzel (SPD) 688 C D. Dr. Gerstenmaier (CDU/CSU) 689 A Entwurf eines Gesetzes über die Feststellung ,des Wirtschaftsplans des ERP-Sondervermögens für das Rechnungsjahr 1962 (ERP-Wirtschaftsplangesetz 1962) (Drucksache IV/237) — Erste Beratung — Wacher (CDU/CSU) 690 B Zoglmann (FDP) . . . . . . . 690 B Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Einkommensteuergesetzes (SPD) (Drucksache IV/67) — Erste Beratung — Seuffert (SPD) . . . . . . . . 690 D Dr. Schmidt (Wuppertal) (CDU/CSU) 693 D Freiherr von Kühlmann-Stumm (FDP) 695 A Nächste Sitzung 695 D Anlage 697 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 19. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. März 1962 625 19. Sitzung Bonn, den 14. März 1962 Stenographischer Bericht Beginn: 9.03 Uhr.
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    Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich a) Beurlaubungen Arendt (Wattenscheid) 15. 3. Dr. Arnold 16. 3. Dr. Aschoff 14. 3. Dr. Atzenroth 23. 3. Dr. Dr. h. c. Baade 13. 4. Berlin 23. 3. Dr. Birrenbach 16. 3. Brand 15. 3. Dr. von Brentano 14. 3. Corterier 15. 3. Cramer 12. 4. Drachsler 15. 3. Dr. Dr. h. c. Dresbach 14. 3. Dr. Eppler 16. 3. Dr. Franz 14. 3. Dr. Furler 16. 3. Gerns 14. 3. Geiger 16. 3. Glombig 16. 3. Frau Herklotz 14. 3. Dr. Hesberg 6. 4. Hoogen 14. 3. Iven (Düren) 14. 3. Frau Jacobi (Marl) 16. 3. Dr. Kohut 20. 3. Kraus 16. 3. Dr. Kreyssig 15. 3. Krüger 31. 3. Kühn (Hildesheim) 16. 3. Leber 15. 3. Lenz (Bremerhaven) 16. 3. Lenze (Attendorn) 15. 3. Anlage zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich Liehr (Berlin) 16. 3. Dr. Löbe 16. 3. Dr. Löhr 14. 4. Dr. Baron Manteuffel-Szoege 14. 3. Margulies 14. 3. Dr. h. c. Menne (Frankfurt) 16. 3. Dr. Menzel 31. 3. Dr. Miessner 31. 3. Müller (Remscheid) 15. 3. Dr. Müller-Emmert 16. 3. Neumann (Allensbach) 16. 3. Oetzel 7. 4. Dr. h. c. Pferdmenges 23. 3. Pöhler 16. 3. Dr. Reinhard 16. 3. Reitzner 31. 3. Riedel (Frankfurt) 31. 3. Dr. Schneider 26. 3. Schulhoff 14. 3. Seifriz 16. 3. Dr. Sinn 16. 3. Steinhoff 16. 3. Storch 15. 3. Striebeck 23. 3. Strohmayr 14. 3. Verhoeven 16. 3. Frau Dr. h. c. Weber (Essen) 23. 3. Weinkamm 16. 3. Werner 14. 3. Dr. Winter 14. 3. Wullenhaupt 16. 3. b) Urlaubsanträge Schlick 14. 4.
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Heinrich Deist


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Danke vielmals!
    Ich darf mit Genehmigung ,des Herrn Präsidenten zitieren, was ich damals ausgeführt hatte:
    Nach dem Willen der Bundesregierung, und ich meine, nach unser aller Willen soll die Neufestsetzung ,des Außenwertes der D-Mark den Sinn haben, Preissenkungen herbeizuführen und damit den augenblicklichen Preissteigerungstendenzen Einhalt zu gebieten.
    Und ich habe dann fortgesetzt:
    Denn darüber sollten wir uns klar sein: Der Verbraucher ist jedenfalls in einigen Wochen und Monaten in der Lage, an Hand von Fakten zu beurteilen, ob die Mark mehr wert ist, ob sie wenigstens so viel wert ist wie vorher oder ob sie weiterhin an Wert verliert. Wir hoffen, daß er in der Lage ist, ein positives Urteil abzugeben.
    Heute wissen wir, daß er leider nicht in der Lage ist, ein solches positives Urteil abzugeben. Denn die D-Mark-Aufwertung kam viel zu spät, als daß sie rechtzeitig, d. h. im Boom, hätte wirken können. Ihre Auswirkungen zeigten sich vielmehr erst im Herbst des Jahres 1961 — wenn nicht später —, als wir bereits in gewisse Abschwungtendenzen geraten waren. Sie trägt damit einen Teil der Schuld daran, daß dieser Abschwung für bestimmte Gewerbezweige eine sehr harte Sache geworden ist.
    Zu den irreführenden Darstellungen gehört auch der Vergleich zwischen dem realen Zuwachs der Produktivität in der Wirtschaft und der nominellen Lohnsteigerung, ein Vergleich, der ebenso unzulässig ist wie der Vergleich von Birnen und Äpfeln. Ein solcher unzulässiger Vergleich führt zu jenen kuriosen Konsequenzen, die Herr Fried, von dem ich bereits gesprochen habe, gezogen hat: Wir haben einen Zuwachs der Produktivität von nur 4 %, infolgedessen sind Lohnerhöhungen von 6 % und mehr zuviel.
    Und was lesen wir in den Erläuterungen zum Bundeshaushalt? Die Bundesregierung veranschlagt das Wachstum der gesamtwirtschaftlichen Produktivität auf etwa 7,5 % bei einem realen Zuwachs von 4 %. Dabei wird eine Preiserhöhung von etwa 3 bis 3,5 % im Laufe eines Jahres einkalkuliert. Das Ergebnis dieser merkwürdigen Vergleiche wäre, wenn das alles richtig wäre: Der Staat stellt sich bei seinem Einkommenszuwachs selbstverständlich auf die 7,5 % Zuwachs ein; der Arbeitnehmer soll gefälligst bei 4 % verbleiben. Und sollen etwa die Unternehmergewinne um den Teil jener 7,5 % erhöht werden, der bei den Arbeitnehmern eingespart wird? Meine Damen und Herren, Sie müssen sich überlegen, ob bei derartigen Darstellungen auf der Seite der Betroffenen nicht solche Vorstellungen hervorgerufen werden.
    Tatsächlich ist es so, daß sich im Laufe der Jahre 1950 bis 1960 die gesamte wirtschaftliche Leistung der Bundesrepublik je Erwerbstätigen real um 67 % erhöht hat, während sich die Nettolöhne und -gehälter je Arbeitnehmer, das, was der Arbeitnehmer bekommen hat, real um 64 % erhöht haben. Das heißt, die Entwicklung der Löhne und Gehälter ist hinter der wirtschaftlichen Entwicklung zurückgeblieben. Kein Mensch bestreitet, daß im Jahre 1961 die Lohnentwicklung stärker angezogen hat und daß damit ein Teil des Rückstandes eingeholt worden ist. Er ist aber auch nur eingeholt worden, und niemand hat ein Recht, zu behaupten, die Löhne seien in unerhörter Weise vorangeschritten.
    Der Vergleich, der hier dauernd angeführt wird, lautet so: Das Sozialprodukt ist real um 67 % gestiegen, aber die Löhne und Gehälter nominal um 101 %; das muß natürlich die Wirtschaft in Unordnung bringen! — Was würden Sie sagen, meine Damen und Herren, wenn wir darlegten: Das Bruttosozialprodukt ist real um 67 % gestiegen, aber die Einkommen der Selbständigen und der Unternehmen sind — nominal — um 164 %, nämlich um das Dreifache gestiegen!? — Diese Argumentation wäre genauso falsch wie die ihre. Ich hoffe nicht, daß einer auf die Idee kommt, zu argumentieren: Wenn schon die Löhne und Gehälter um das Doppelte des realen Sozialproduktzuwachses steigen, müssen eben die Unternehmereinkommen und Gewinne um das Dreifache steigen.
    Dann einige Bemerkungen zu der von mir bereits erwähnten Formel von dem „ungezügelten Fordern und Gewähren von Lohnerhöhungen, Arbeitszeitverkürzungen und Urlaubsverlängerungen". Ist es richtig, eine solche Darstellung herauszugeben? Ist es nicht so, daß gerade bezüglich der Arbeitszeitverkürzung ein hohes Maß von Verantwortungsbewußtsein geherrscht hat? Tatsächlich wurde die Arbeitszeitverkürzung im Bewußtsein dessen, daß sie natürlich Einfluß auf die Kostenlage der Unternehmungen hat, über einen langen Zeitraum verteilt. Zum Beispiel ist im Bereich der Industriegewerkschaft Metall die Arbeitszeitverkürzung von 48 auf 40 Stunden auf einen Zeitraum von acht Jahren verteilt worden, um den Übergang erträglich zu machen. Angesichts dessen davon zu sprechen, daß der Produktivitätszuwachs unangemessen gemindert werde, weil eine allzu starke plötzliche Verkürzung der Arbeitszeit eingetreten sei, ist einfach nicht richtig. Als das Bundeswirtschaftsministerium das in seinem letzten Lagebericht schrieb, erschien zu gleicher Zeit ein Bericht der Bundesbank zu demselben Problem. Darin wurde festgestellt: Die Arbeitszeit ist im Jahre 1961 zwar um 2 % zurückgegangen, aber dabei handelte es sich vorwiegend um den Abbau von Überstunden, um verlängerten Urlaub, „während durch Tarifvereinbarungen die ordentliche Arbeitszeit im Jahre 1961 nur in wenigen Bereichen verkürzt wurde". — Man sollte doch anerkennen, daß hier ein Versuch unternommen worden ist, den Notwendigkeiten der wirtschaftlichen Entwicklung Rechnung zu tragen und Verantwortungsbewußtsein zu zeigen. Eine solche Beeinflussung der öffentlichen Meinung mit Darstellungen, die irreführend wirken müssen, wird bei uns systematisch betrieben.
    Aus dieser Überlegung ergeben sich drei harte Folgerungen. Eine solche zielbewußte Irreführung über Tatsachen muß dazu führen, daß das Verständnis der verschiedenen Gruppen in Deutschland füreinander, für ihre verschiedenartigen Interessen immer geringer wird. „Es ist unerhört, wie hier, zum Teil bewußt, mit falschen Zahlen gearbeitet



    Dr. Deist
    wird. Hier übt die Bundesregierung eine rücksichtslose und propagandistische Aktivität, der die unkritische, ressentimentgeladene Öffentlichkeit erliegt." Diese Sätze etwa gebrauchte der nordrhein-westfälische Ministerpräsident, Herr Meyers, als er sich mit dem Verhalten der Bundesregierung bei den Verhandlungen über die 'Finanzfragen der letzten Zeit befaßte.

    (Hört! Hört! bei der SPD.)

    Das ist symptomatisch. So verkümmern wir die für eine Demokratie notwendige Einsicht, daß es verschiedenartige berechtigte Interessen geben muß, daß wir in einem demokratischen Staat dafür zu wirken haben, daß ein Ausgleich zwischen diesen verschiedenen Interessen geschaffen wird. Wir erschüttern damit die in unserem Grundgesetz niedergelegten fundamentalen 'Grundsätze, daß die Tarifparteien nicht nur legitimiert, sondern verpflichtet sind, als wesentliche Ordnungsfaktoren der Wirtschaft durch ihre eigene Aktivität für eine angemessene Beteiligung der Arbeitnehmer am Sozialprodukt zu sorgen. Das ist die eine Schlußfolgerung, die sich ergibt.
    Gestatten Sie mir, daran eine zweite anzuknüpfen. Die Bundesregierung nimmt hier eine einseitige Beeinflussung der öffentlichen Meinung zuungunsten eines großen, großen Teils unserer Bevölkerung vor. Überlege ich mir, daß sie durch ihre Politik die größeren Einkommen und Vermögen gegenüber den kleineren stark bevorzugt, daß sie durch den Verzicht auf eine wirksame Kartell- und Preispolitik die Reallöhne beeinträchtigt und daß sie auch die Organisationen der Arbeitnehmerschaft bei der Vorbereitung von Gesetzen nicht in gleicher Weise — vielleicht formal in gleicher Weise, aber nicht materiell in gleicher Weise — beteiligt wie andere Gruppen, — wenn das also die Politik von Regierung und Parlamentsmehrheit ist, dann können die Arbeitnehmerorganisationen ihren Auftrag, den sie nach 'dem Grundgesetz haben, gar nicht anders betreiben als durch eine, wie ich sie nennen möchte, kompensatorische Lohnpolitik. Sie können nichts anderes tun, als 'durch ihre Lohnpolitik dafür zu sorgen, daß die Folgen einer solchen einseitigen Wirtschafts- und Unternehmenspolitik von der Arbeitnehmerschaft abgewehrt und Preiserhöhungen durch Lohnerhöhungen kompensiert werden. Mehr Verantwortungsbewußtsein, als die Bundesregierung von sich und der Unternehmerschaft erwartet, kann sie auch nicht von den Arbeitnehmerorganisationen verlangen.

    (der Gewinne, die auch 1961 immer noch recht hoch gewesen sind, aber geringer gestiegen sind als in den vergangenen Jahren, hat in keiner Weise, wie immer getan wird, die Investitionstätigkeit in der Wirtschaft beeinflußt. Im Gegenteil, im Jahre 1961 sind in Investitionen wiederum überproportional gestiegen. Die Selbstfinanzierung der Brutto-Investitionen betrug immer noch 62 %. In dieser Entwicklung ist ein Normalisierungsvorgang zu sehen. Was hätte denn das ganze Lamento der letzten Jahre, daß wir eine zu große Selbstfinanzierung und eine zu große Vermögensansammlung bei den Großunternehmungen haben, für einen Sinn, wenn nicht die Zurückdrängung der Gewinne und die Zurückdrängung dieser Vermögenszusammenballung eine sinnvolle Normalisierung wäre! Tatsächlich ist festzustellen, daß sich bei der Unternehmerschaft zur Zeit eine gewisse Zurückhaltung, ein gewisser Attentismus in bezug auf die Investitionen entwickelt. Das hat seine psychologischen Ursachen. Vielleicht darf man hinzufügen: die wirklichen Stützen der augenblicklichen Konjunkturentwicklung und des Konjunkturaufschwungs sind tatsächlich die Verbrauchernachfrage, die durch die Lohnentwicklung genügend hochgehalten wurde, und die öffentlichen Ausgaben. Der unangebrachte Pessimismus, der heute vielfach an Hand der für Dezember und Januar zur Verfügung stehenden, zunächst für eine gültige Aussage nicht ausreichenden Zahlen über die konjunkturelle Entwicklung zum Ausdruck gebracht wird, birgt allerdings die Gefahr in sich, daß die unternehmerische Zurückhaltung in der Wirtschaft verstärkt und damit die konjunkturelle Entwicklung wirklich gefährdet wird. Das ist ein Gesichtspunkt, den auch die verantwortlichen Stellen beachten sollten. Daraus ergibt sich — und damit komme ich auf die Frage zurück, die vorhin gestellt wurde —, daß sich zur Zeit wie eigentlich immer in einer freien Wirtschaft, die in großem Umfang auf freien Entscheidungen autonomer Menschen und autonomer Gruppen beruht, Gefahren für die wirtschaftliche Entwicklung ergeben und daß es die normale Aufgabe der Wirtschaftspolitik ist, dafür zu sorgen, daß diese Gefahren nicht zur Wirklichkeit werden. Meine Damen und Herren, wir wissen, daß zu den Grundlagen der freien Wirtschaft, unabhängig von der Bundesregierung und der autonomen Bundesnotenbank, eben freie Unternehmerentscheidungen und die freie Entscheidung der Tarifpartner auf dem Arbeitsmarkt gehören. Ich nenne Ihnen jetzt die Zahlen zu Ihrem Einwand. Wir wissen, daß sich das Volkseinkommen netto gerechnet zu 45 % aus Löhnen und Gehältern und zu 15 % aus Sozialeinkommen zusammensetzt, die in gewissem Umfange von der Lohnund Gehaltsentwicklung abhängig sind. Hier haben wir einen Block von 60 % gegenüber 20 % Einkommen der Selbständigen und 20 % Einkommen des Staates. Damit wird zugleich der Zusammenhang zwischen der Lohnpolitik der Tarifparteien, der Gewinnund Preispolitik der Unternehmungen und der Wirtschafts-, Finanzund Sozialpolitik des Staates deutlich. Es kommt daher darauf an, Methoden zu finden, um alle diese Partner in gleicher Weise — ich betone: in gleicher Weise — volkswirtschaftlicher Verantwortung zu unterstellen. Das ist die Ordnungsaufgabe des demokratischen Staates. Meine Damen und Herren, wir sollten uns doch darüber klar sein, daß freie Lebensformen nicht Freiheit für die Willkür der Starken, Freiheit für die Auslieferung der Wirtschaftspolitik an mächtige Dr. Deist Interessengruppen bedeuten darf. Es fragt sich also, welche Methoden der moderne Staat zur Verfügung hat. Mein Kollege Schoettle hat heute schon angedeutet und hat es in früheren Haushaltsdebatten ausführlich dargelegt, daß die modernen Industriestaaten des freien Westens sich auf der Grundlage einer volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung ein Instrument für diese Dinge erarbeitet haben, nämlich vorausschauende Wirtschaftsbudgets für die nächsten Jahre. Es ist vielleicht nicht uninteressant, darauf hinzuweisen, daß der Konjunkturausschuß bei der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, der bezeichnenderweise unter dem Vorsitz des deutschen Staatssekretärs Professor Müller-Armack tagt — der sich hier ein großes Verdienst erworben hat —, einstimmig festgestellt hat, es sei für die Sicherung einer gesunden wirtschaftlichen Entwicklung in Europa notwendig, in allen Mitgliedstaaten — in allen Mitgliedstaaten — vorausschauende Wirtschaftsbudgets nach gleichen Grundsätzen aufzustellen. Wir lesen in der Presse, daß in Großbritannien der konservative Schatzkanzler, Selwyn Lloyd — alle, die etwas ängstlich sind in bezug auf Ausdrücke, bitte ich um Entschuldigung; ich habe den Ausdruck aus Großbritannien übernommen —, ein Planungsgremium geschaffen hat mit der Aufgabe, die Wirtschaftslage und die Pläne der Industrie zu prüfen, die Hindernisse zu untersuchen, die einem schnelleren Wachstum der Wirtschaft 'entgegenstehen, und Methoden zu entwickeln, mit denen die Leistungsfähigkeit der Wirtschaft mit dem Ziel eines gesunden Wachstums verbessert werden kann. Das ist auch unser Problem: ob wir uns zu Maßnahmen entschließen, die geeignet sind, eine gesunde Ordnung im Ablauf der Wirtschaft auch bei uns in Deutschland sicherzustellen. Wir wissen, der Herr Bundeswirtschaftsminister ist einem solchen Wirtschaftsinstrument innerlich nicht sonderlich geneigt, wenn ich mich vorsichtig ausdrücken soll. Er hat das Anfang des Jahres 1960 in einer ausführlichen Denkschrift auch zum Ausdruck gebracht. Daraus erklärt es sich, daß bei uns in 'Deutschland wesentliche Voraussetzungen für eine ausreichende Diagnose der Wirtschaftsentwicklung und damit für eine langfristige Wirtschaftspolitik fehlen. In diesen Tagen, Anfang März, hat in 'Düsseldorf die Arbeitsgemeinschaft Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen getagt. Auf dieser Tagung hat Herr ,Professor Wagenfür aus Brüssel dargelegt, daß er in Deutschland einen beschämenden Rückstand der Konjunkturstatistik feststellen müsse. Und Herr Professor Krelle aus Bonn hat von den Unzulänglichkeiten unserer gesetzlichen Voraussetzungen für eine solche zielbewußte Wirtschaftspolitik gesprochen. Hier liegt das Problem. Der Unterschied zwischen uns, der freien Wirtschaft, und der Wirtschaft des Ostens besteht doch nicht darin, daß man da drüben planmäßig und zielbewußt wirkt und bei uns Plan-und ziellos wirtschaftet; (Beifall bei der SPD — Zurufe von der CDU/CSU)




    der Unterschied muß doch — ich bin sehr froh, wenn Sie dem zustimmen, und hoffentlich können wir gemeinsam die Konsequenzen ziehen — in den Methoden 'bestehen, mit denen wir eine gesunde wirtschaftliche Entwicklung sichern.
    Eine Voraussetzung für eine solche mit freiheitlichen Mitteln durchgeführte Wachstumspolitik sind eben diese vorausschauenden Wirtschaftsbudgets. Und sie unterscheiden sich grundlegend von dem, was jenseits der Zonengrenze geschieht. Sie unterscheiden sich darin, daß alle gemeinsam unter das Gesetz der Verantwortung gestellt, aber nicht einheitlich kommandiert werden. Sie unterscheiden sich darin, daß die Ziele für die langfristige Wirtschaftspolitik aufgestellt werden auf der Grundlage von Feststellungen unabhängiger Experten und auf einer Grundlage, die mit den freien gesellschaftlichen Kräften, insbesondere mit den Arbeitnehmern und Arbeitgebern, beraten worden ist. Sie unterscheiden sich dadurch, daß sie der Kontrolle des Parlaments unterliegen. Und sie unterscheiden sich schließlich darin entscheidend von dem, was im Osten geschieht, daß den Wirtschaftsbürgern — Unternehmern sund Arbeitnehmern — prinzipiell ihre freie Entscheidung gesichert wird und daß ihnen Schutz gegen behördliche Eingriffe in die freie Wirtschaftssphäre 'gegeben wird. Das ist der Unterschied zwischen einer zielbewußten Wirtschaftspolitik im Westen und dem, was wir im Osten erleben.
    In der Entwicklung eines solchen vorausschauenden Wirtschaftbudgets liegt auch zugleich der Zwang, eine Wirtschaftspolitik zu betreiben, die nicht einseitig bestimmte Wirtschaftsinteressen fördert, sondern dem gemeinsamen Verantwortungsbewußtsein gerecht wird. Ich möchte anerkennen, der Herr Bundeswirtschaftsminister hat ungeachtet seiner theoretischen Abneigung im Anfang des Jahres 1958 einen Versuch gemacht, ein solches konjunkturwissenschaftliches Gremium zu gründen. Er ist dann am Widerspruch des Bundesverbands der Industrie und dem darauffolgenden Veto des Herrn Bundeskanzlers gescheitert.
    Inzwischen habe ich einige Hoffnung. Ein Sohn des Herrn Bundeskanzlers hat einen bemerkenswerten Artikel veröffentlicht, in dem jedenfalls Ansatzpunkte zu einer solchen Regelung enthalten sind. Herr Bundeskanzler, ich habe die stille Hoffnung, daß der Sohn vielleicht einen größeren Einfluß auf den Vater hat als der Vizekanzler auf seinen Bundeskanzler.

    (Heiterkeit. — Beifall bei der SPD.)

    Herr Kollege Starke, auch bei Ihnen möchte ich die Hoffnung nicht ganz aufgeben.

    (Erneute Heiterkeit.)

    Sie waren zwar nicht bereit, die gleiche Konsequenz zu ziehen wie der offenbar von Ihnen so sehr geschätzte britische Kollege Thorneycroft, nämlich zurückzutreten. Aber vielleicht sind Sie bereit, die Konsequenz zu ziehen, die der jetzige Schatzkanzler und Kollege in Großbritannien gezogen hat, nämlich ein Planungsgremium, das für die Grundlagen einer ausreichenden Wirtschaftsdiagnose und -prog-



    Dr. Deist
    nose verantwortlich ist, einzuberufen. Vielleicht sind Sie dazu bereit.
    Herr Bundesfinanzminister, es ist nicht meine Aufgabe, Ihnen Ratschläge zu erteilen. Aber wenn Sie einen Finanzplan für mehrere Jahre, für 1962 bis 1964 aufstellen wollen — „Plan" ist in Ihrer Umgebung schon ein gefährliches Wort; ich warne Neugierige —,

    (Heiterkeit)


    (die frei entscheiden sollen, unter das Gesetz der gemeinsamen Verantwortung gegenüber der Gesamtheit zu stellen. Sie müssen sich aber bewußt sein, meine Damen und Herren: Solange die Unternehmer es ablehnen, auch Richtpunkte für ihre Unternehmenspolitik anzuerkennen, haben sie kein Recht, nach dem Staat zu rufen, wenn es um die Lohnpolitik der Arbeitnehmer geht. Und solange Regierung und Parlamentsmehrheit diese ihre Verantwortung, wie ich sie eben dargelegt habe, verleugnen, haben sie kein Recht, andere verantwortlich zu machen, wenn die Wirtschaftspolitik auf bestimmten entscheidenden Gebieten zu Fehlentwicklungen führt. Lassen Sie mich nun zu zwei anderen Problemen noch einige Worte sagen, zunächst zur Flutkatastrophe. Ich möchte nicht die Methode meines Vorredners aufnehmen und dieses Unglück, das über uns gekommen ist, zu polemischen Auseinandersetzungen benutzen. (Lebhafte Zurufe von der Mitte: Das hat er doch nicht getan!)


    (Beifall bei der SPD.)

    — Na, die Sache mit dem Bundesleistungsgesetz und der Zwischenruf „Das kam wohl von Hamburg!" waren ja nicht so ganz ohne!

    (Abg. Etzel: Der Redner hat das aber nicht getan!)

    — Meine Damen und Herren, ich sage: gut, bemühen wir uns gemeinsam darum, bei den mit der Flutkatastrophe zusammenhängenden Problemen nach Möglichkeit alle Polemik zu vermeiden; denn damit werden wir der Sache nicht gerecht. Ich bitte, auch das, was ich jetzt dazu sage, als einen Beitrag zu der gemeinsamen Anstrengung, die wir hier alle zu machen haben, anzusehen.
    Der Herr Bundesfinanzminister hat darauf hingewiesen, daß die Bundesregierung sehr schnell einen Kredit von 200 Millionen DM zur Verfügung gestellt hat, der für zwei Jahre zinslos ist. Ich möchte dieses schnelle Handeln in keiner Weise bagatellisieren, sondern anerkennen.
    Der Herr Bundesfinanzminister hat ferner ausgeführt, daß über weitere Aufbauhilfen beraten werde. Meine Damen und Herren, wir sollten uns im gemeinsamen Interesse überlegen, ob wir uns in diesem Augenblick — mehr als vier Wochen nach der Katastrophe — mit einer solchen kurzen Darstellung begnügen können. Es wird nicht wenige geben, die noch die Ausführungen im Ohr haben, die der amtierende Präsident, unser Freund Carlo Schmid von dieser Tribüne aus gemacht hat. Ich darf drei Sätze von ihm zitieren:
    Diese Katastrophe hat nicht einzelne Ortschaften und Bundesländer für sich allein geschlagen, sie traf das ganze deutsche Volk. Darum steht das ganze Volk für alle einzelnen ein, in deren Person es von dem Unheil geschlagen worden ist. Bundesrepublik, Länder, Gemeinden, Wirtschaft und Gesellschaft Deutschlands sind in unlösbarer Notgemeinschaft aufgerufen, zu handeln und vorzusorgen.
    Der Herr Bundeswirtschaftsminister Erhard hat als Stellvertreter des Bundeskanzlers in der Regierungserklärung zwei ähnliche Sätze gesagt, die ich — auch um der Parität willen — hier anführen möchte:
    Meine Damen und Herren, daß diese Katastrophe in ihrem Ausmaß über die Leistungskraft eines einzelnen Landes oder einer Stadt hinausgeht, ist selbstverständlich. Auch die Bundesregierung ist sich darüber klar, daß neben anderen Lasten ... das ganze deutsche Volk eine Verpflichtung hat, hier mit zu helfen und mit zu heilen.
    Wir sollten uns nun gemeinsam fragen: Wie ist die Lage heute, werden wir der heutigen Lage gerecht? Der Gesamtschaden läßt sich noch nicht überblicken. Aber die einzelnen, die betroffen sind und den ersten Schock überwunden haben, stehen jetzt vor sehr, sehr harten nackten Tatsachen. Es sind große und kleine Unternehmen betroffen. Die großen Unternehmen sind aus der Natur der Sache in der Lage, das, was sie getroffen hat, zum Teil selbst zu verkraften. Ich möchte hier anerkennend sagen: Sie haben das auch in hervorragender Weise getan. Aber diejenigen, die das Geschehen mit aller Gewalt getroffen hat, sind die große Zahl selbständiger mittlerer und kleiner Unternehmen.
    Meine Damen und Herren, wir müssen uns fragen, ob eine Überbrückungshilfe mit der Bemerkung, wir erörterten andere Hilfen, wirklich der Situation gerecht wird. Alle diese mittleren und kleineren Unternehmer — Industrielle, Handwerker und Einzelhändler — haben zu einem erheblichen Teil ihre Maschinen, ihre Ladeneinrichtung, ihre Vorräte, d. h. ihre Existenzgrundlage verloren. Ein großer Teil von ihnen hat Angst, in dieser Situation Kredite und Überbrückungshilfen zu übernehmen, weil er nicht weiß, wie die Dinge weitergehen sollen. Und die Marschbauern, deren ganzes Vermögen in ihrem Vieh bestand — dabei denken wir daran, daß in dem Katastrophengebiet an der Unterelbe zwei Drittel des Viehbestandes verlorengegangen sind —, die Obstbauern im Alten Land, deren einziger Wert und deren Existenzgrundlage in ihren Obstbäumen und ihren Obstvorräten bestand, und die sonstigen landwirtschaftlichen Betriebe, die alle bis zur näch-



    Dr. Deist
    sten Ernte keine Betriebseinnahmen mehr haben? Auch sie haben Angst, Kredite und Überbrückungsbeihilfen anzunehmen und sich damit zu verschulden. Es ist vielleicht doch unsere Aufgabe, sich damit einmal zu befassen. Man sehe sich an, wie in dieser ungeklärten Situation die Hausbanken Fragebögen an die Betroffenen austeilen, die beinahe nach einem Offenbarungseid aussehen. Wenn ich das so sage, meine Damen und Herren, sehen Sie, daß ich keinerlei polemische Bemerkungen machen will, sondern daß es sich hier um ein wichtiges gemeinsames Problem handelt. Ich meine jedenfalls, wir haben die Aufgabe, dafür zu sorgen, daß diese Menschen, die zur Zeit Angst und Sorge um ihre Zukunft haben, nicht der Mutlosigkeit und der Verzweiflung anheimfallen.
    Wir sollten ernsthaft überlegen: Haben diese Menschen nicht Anspruch darauf, zu wissen, wie in etwa der Schaden geregelt wird? Ich habe ein beklemmendes Gefühl, wenn ich sehe, mit welcher ängstlichen Sorge dieser Gedanke zurückgehalten wird, über Schaden und Schadenserstattung zu sprechen.
    Hier handelt es sich nicht mehr um Einzelschicksale, hier handelt es sich um eine Katastrophe nationalen Ausmaßes, für die die Gemeinschaft einstehen muß. Jene, die betroffen sind, verlangen von uns, daß wir uns der Worte erinnern, die hier am 22. Februar gesagt worden sind. Wir haben in den letzten Wochen Beispiele des Gemeinschaftsbewußtseins, des solidarischen Handelns, der Hilfsbereitschaft und der Opferbereitschaft in einem Maße erlebt, wie wir das vorher kaum erwartet hatten. Das waren nicht nur Kommunen, nicht nur die Bundeswehr, nicht nur die Polizei, sondern das waren vor allem auch die Freiwilligen des Deichschutzes, die Freiwilligen in den Wohlfahrtsverbänden. Das waren Tausende, die spontan zur Hilfe eilten. Da gab es große Beispiele nachbarschaftlicher Hilfe. Und es gibt Hunderttausende, die gespendet haben und noch spenden, weil sie meinen, helfen zu müssen. Das sind breite Schichten unseres Volkes, die hier in Bewegung gerieten. Das sind auch Dinge, über die wir in unserer Zeit froh sein können.
    Diesen Menschen gehört nicht nur der Dank, den der Bundestag ihnen aussprechen sollte, sondern ihr Verhalten muß uns auch zu der Überlegung zwingen, ob wir, Bundestag und Bundesregierung, uns dieser Situation gegenüber wirklich gerecht verhalten. Es sind gewaltige Schäden entstanden, sie gehen in die Milliardengröße. Das ist eine Aufgabe, die gemeinsam von Unternehmungen, Ländern und Bund getragen werden muß.
    Aber wenn das eine nationale Katastrophe ist, dann hat der Bund eine entscheidende Verantwortung zu tragen und auch einen entscheidenden Teil der Lasten mitzutragen. Die Gemeinden, die Länder und die Unternehmen haben sehr viel aufzubringen, ob es Lohnerstattung, Soforthilfen, Unterhaltshilfen, Hausratsentschädigung oder ob es vieles andere mehr ist. Aber über diesen Rahmen gehen hinaus die ungeheuren Sachschäden insbesondere jener breiten Schicht mittlerer und selbständiger Existenzen, die doch nach unser aller Auffassung ein wichtiger Bestandteil unserer freien Ordnung sind.
    Meine Damen und Herren, das gilt für die Sachschäden an Hausbesitz und die Sachschäden an Betriebsgebäuden, Maschinen und Geräten, Grund und Boden, Vieh und Vorräten. Alle diese Werte haben eines gemeinsam: sie sind die Existenzgrundlage der Selbständigen. Es geht über die Kraft der Länder hinaus, diese Schäden angemessen zu entgelten. Es handelt sich hier um eine so große Aufgabe, daß sie nur als Bundesangelegenheit betrachtet werden kann.

    (Abg. Etzel: Doch nicht nur! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU: Nicht nur!)

    — Federführend als 'Bundesangelegenheit! Ich habe gesagt: Es ist eine gemeinsame Aufgabe, die Lasten zu tragen. Ich bin ferne davon, zu meinen, die gesamten Lasten müsse der Bund übernehmen.

    (Abg. Dr. Vogel: Bitte keine Spezialdebatte über die Flutkatastrophe!)

    Jene dort oben wissen, was in den Niederlanden getan wurde. Und vielleicht könnten wir uns ein Beispiel an der niederländischen Regelung nehmen. Da ist unmittelbar nach der Flutkatastrophe von 1953 ein Gesetzentwurf über die Regelung der Schäden vorgelegt worden.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Die kleineren Sachschäden sind voll entschädigt worden. Darüber hinaus ist mit Abschlägen entschädigt worden.
    Meine Damen und Herren, wir sollten uns nicht zu viel vormachen; wir sollten wissen, daß eine sinnvolle Regelung der Sachschäden der Flutkatastrophe unumgänglich ist.

    (Zustimmung bei der SPD.)

    Wir sollten uns auch bewußt sein, daß das Grundgesetz mit der Bestimmung, diese deutsche Bundesrepublik zu einem sozialen Rechtsstaat auszubauen, uns Verpflichtungen auferlegt, und daß Vorgänge wie bei der Entschädigung der Vertriebenen und Flüchtlinge Vorgänge sind, die kraft Grundgesetzes zu einer gleichen Behandlung in ähnlich gelagerten Situationen zwingen.
    Darum meine ich, wir sollten uns bereitfinden, über das hinaus, was der Herr Bundesfinanzminister gesagt hat, hier deutlich zum Ausdruck zu bringen, daß die Totalschäden kleiner und mittlerer selbständiger Existenzen — naturgemäß bis zu einer angemessenen Grenze — entschädigt werden, damit die Betroffenen wissen, daß sie eine Grundlage für den Wiederaufbau ihrer Existenz bekommen. Wir sollten uns dahin entscheiden, daß Teilschäden mit entsprechenden Abschlägen erstattet werden. Dabei setze ich voraus, daß bei der Beurteilung der Frage, ob ein Teilschaden vorliegt, die wirtschaftliche Einheit als Ganzes, das gesamte wirtschaftliche Unternehmen betrachtet wird.
    Ich habe das hier mit Absicht dargelegt, weil ich fürchte, wie verlieren allzuviel Zeit, und weil wir uns bewußt sein müssen, daß eine solche Katastro-



    Dr. Deist
    phe auch psychologische Auswirkungen auf .die Menschen hat, die von ihr betroffen sind.
    Wir sollten deshalb die Bundesregierung bitten, sehr bald einen Gesetzentwurf einzubringen, der diese Grundsätze für die Entschädigung deutlich werden läßt. Es sollte deutlich werden, ,daß es sich insoweit um eine gemeinsame Aufgabe handelt. Es wäre nicht gut, wenn eine Partei — zum Beispiel wir — sich gezwungen sähe, hier eine Initiative zu ergreifen. Wir sind dazu bereit, wenn ,die Bundesregierung nicht das Erforderliche veranlaßt. Das Bewußtsein gemeinsamer Verantwortung sollte aber durch eine Vorlage der Bundesregierung zum Ausdruck kommen. Wir haben hier nicht mehr sehr viel Zeit zu verlieren.


Rede von Dr. Richard Jaeger
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CSU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Herr Abgeordneter Deist, gestatten Sie eine Zwischenfrage ,des Abgeordneten Struve?

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Heinrich Deist


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Bitte!