Rede:
ID0401920300

insert_comment

Metadaten
  • sort_by_alphaVokabular
    Vokabeln: 7
    1. Dais: 1
    2. Wort: 1
    3. hat: 1
    4. der: 1
    5. Abgeordnete: 1
    6. Dr.: 1
    7. Deist.: 1
  • tocInhaltsverzeichnis
    Deutscher Bundestag 19. Sitzung Bonn, den 14. März 1962 Inhalt: Fragestunde (Drucksache IV/239) Frage des Abg. Lohmar: Sondermarken zum 20. Jahrestag des 20. Juli 1944 Dr. Steinmetz, Staatssekretär . . . 625 B Frage des Abg. Rademacher: Münzfernsprecher auf Bahnsteigen der Bundesbahn Dr. Steinmetz, Staatssekretär 625 B, C, D Rademacher (FDP) 625 C, D Frage des Abg. Rademacher: Briefmarken- und Wechselautomaten der Bundespost Dr. Steinmetz, Staatssekretär . . . 626 A Fragen des Abg. Dr. Dittrich: Stellenzulagen für Beamte des mittleren Dienstes bei der Bundespost Dr. Steinmetz, Staatssekretär . . 626 B Frage des Abg. Keller: Ortstarif im Brief- und Fernsprechverkehr zwischen Bonn und Bad Godesberg Dr. Steinmetz, Staatssekretär . . 626 C, D, 627 A, B, C, D, 628A Keller (FDP) . . . . . . . . . 626 D Büttner (SPD) . . . . . . . . . 626 D Wittrock (SPD) 627 A, B Stiller (CDU/CSU) . . . . . . 627 C Hauffe (SPD) . . . . . . . . 627 C Ritzel (SPD) 627 D, 628 A Frage des Abg. Schmidt (Kempten) : Sonderstempel „Kampf gegen die Malaria" Dr. Steinmetz, Staatssekretär . . 628 A, B Schmidt (Kempten) (FDP) . . . . 628 B Frage des Abg. Blachstein: Versorgung der Gebiete Ostfriesland und Emsland mit Fernsehprogrammen Dr. Steinmetz, Staatssekretär . . 628 B, D Blachstein (SPD) . . . . . . . 628 C, D Frage des Abg. Ritzel: Bezüge des Prof. Dr. Gladenbeck als Geschäftsführer der Gesellschaft Freies Fernsehen von Eckhardt, Staatssekretär . . 628 D 629 B, C Ritzel (SPD) 629 B Dr. Hettlage, Staatssekretär . . 629 C Erler (SPD) 629 C Frage des Abg. Sanger: Äußerung des Bundeskanzlers über eine Konferenz der Außenminister Lahr, Staatssekretär . 629 D, 630 A, B Sänger (SPD) 630 A II Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 19. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. März 1962 Frage des Abg. Schmidt (Kempten) : Verurteilung deutscher Studenten durch ein römisches Schwurgericht Lahr, Staatssekretär . . . 630 B, C. D Schmidt (Kempten) (FDP) . . . 630 B, C Erler (SPD) 630 D Frage des Abg. Keller: Blumenspende bei Beerdigung von Bundesbediensteten Höcherl, Bundesminister . 630 D, 631 A Keller (FDP) 630 D Frage des Abg. Bauer (Würzburg) : Teilnahme von Mitgliedern österreichischer Jugendverbände am Winterlager des „Bundes Heimattreuer Jugend" Höcherl, Bundesminister . . . . 631 A, C Bauer (Würzburg) (SPD) 631 C Frage des Abg. Bading: Auskunftserteilung der Bundesregierung über die Ausführung der Beschlüsse des Bundestages Höcherl, Bundesminister 631 D, 632 A, B, C, D Bading (SPD) • . . . . 631 D, 632 A Dr. Mommer (SPD) 632 A, D Börner (SPD) 632 B Jahn (SPD) 632 B, C Ritzel (SPD) . . . . . . . . 632 C Frage des Abg. Busse: Tätigkeit von Richtern in Umlegungsausschüssen Dr. Strauß, Staatssekretär . . . 632 D, 633 A, B Busse (FDP) 633 A Dr. Ramminger (CDU/CSU) . . . 633 A Frage des Abg. Wittrock: Gesetzentwurf zur Reform des Strafregisters Dr. Strauß, Staatssekretär . 633 B, C, D Wittrock (SPD) 633 B, C Dr. Dittrich (CDU/CSU) . . . . 633 D Frage des Abg. Dr. Brecht: Gesetzentwurf über ein soziales Miet- und Wohnrecht Dr. Strauß, Staatssekretär 633 D, 634 A Dr. Brecht (SPD) . . . . 633 D, 634 A Frage des Abg. Dr. Brecht: Werkwohnungen und freifinanzierte neue Wohnungen bei der Regelung des sozialen Miet- und Wohnrechts Dr. Strauß, Staatssekretär . 634 B, C, D Dr. Brecht (SPD) 634 B Büttner (SPD) 634 C Fragen der Abg. Frau Dr. Diemer-Nicolaus: Zusammenveranlagung von Ehegatten zur Einkommensteuer Dr. Hettlage, Staatssekretär . 635 A, B, C, D Frau Dr. Diemer-Nicolaus (FDP) 635 B, C Frau Meermann (SPD) . . . . . . 635 D Fragen des Abg. Dr. Dollinger: Mangel an Zwei-Pfennig-Münzen Dr. Hettlage, Staatssekretär . . . . 636 A Fragen des Abg. Stiller: Betriebsprüfungen Dr. Hettlage, Staatssekretär . . 636 B, C Stiller (CDU/CSU) 636 C Frage des Abg. Müller (Nordenham) : Beihilfen für Gasölbetriebe Dr. Hettlage, Staatssekretär 636 D, 637 A Müller (Nordenham) (SPD) 636 D, 637 A Frage des Abg. Wendelborn: Zollfreier Treibstoff für den Segelflugsport Dr. Hettlage, Staatssekretär . . . . 637 A Entwurf eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Rechnungsjahr 1962 (Haushaltsgesetz 1962) (Drucksache IV/200) — Fortsetzung der ersten Beratung — Schoettle (SPD) . . . . . . . . 637 C Dr. Vogel (CDU/CSU) 645 C Kreitmeyer (FDP) 652 B Niederalt (CDU/CSU) 654 C Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller (SPD) 658 C Dr. Schmidt (Wuppertal) (CDU/CSU) 662 A Dr. Deist (SPD) . . . . 664 B, 681 D Dr. Dr. h. c. Erhard, Bundesminister 674 A Dr. Dahlgrün (FDP) 678 A Dr. Burgbacher (CDU/CSU) . . . 679 D Hermsdorf ,(SPD) . . . 681 C, 688 A Struve (CDU/CSU) 682 D Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 19. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. März 1962 III Dr. Starke, Bundesminister . . . 683 C Ritzel (SPD) 688 C D. Dr. Gerstenmaier (CDU/CSU) 689 A Entwurf eines Gesetzes über die Feststellung ,des Wirtschaftsplans des ERP-Sondervermögens für das Rechnungsjahr 1962 (ERP-Wirtschaftsplangesetz 1962) (Drucksache IV/237) — Erste Beratung — Wacher (CDU/CSU) 690 B Zoglmann (FDP) . . . . . . . 690 B Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Einkommensteuergesetzes (SPD) (Drucksache IV/67) — Erste Beratung — Seuffert (SPD) . . . . . . . . 690 D Dr. Schmidt (Wuppertal) (CDU/CSU) 693 D Freiherr von Kühlmann-Stumm (FDP) 695 A Nächste Sitzung 695 D Anlage 697 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 19. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. März 1962 625 19. Sitzung Bonn, den 14. März 1962 Stenographischer Bericht Beginn: 9.03 Uhr.
  • folderAnlagen
    Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich a) Beurlaubungen Arendt (Wattenscheid) 15. 3. Dr. Arnold 16. 3. Dr. Aschoff 14. 3. Dr. Atzenroth 23. 3. Dr. Dr. h. c. Baade 13. 4. Berlin 23. 3. Dr. Birrenbach 16. 3. Brand 15. 3. Dr. von Brentano 14. 3. Corterier 15. 3. Cramer 12. 4. Drachsler 15. 3. Dr. Dr. h. c. Dresbach 14. 3. Dr. Eppler 16. 3. Dr. Franz 14. 3. Dr. Furler 16. 3. Gerns 14. 3. Geiger 16. 3. Glombig 16. 3. Frau Herklotz 14. 3. Dr. Hesberg 6. 4. Hoogen 14. 3. Iven (Düren) 14. 3. Frau Jacobi (Marl) 16. 3. Dr. Kohut 20. 3. Kraus 16. 3. Dr. Kreyssig 15. 3. Krüger 31. 3. Kühn (Hildesheim) 16. 3. Leber 15. 3. Lenz (Bremerhaven) 16. 3. Lenze (Attendorn) 15. 3. Anlage zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich Liehr (Berlin) 16. 3. Dr. Löbe 16. 3. Dr. Löhr 14. 4. Dr. Baron Manteuffel-Szoege 14. 3. Margulies 14. 3. Dr. h. c. Menne (Frankfurt) 16. 3. Dr. Menzel 31. 3. Dr. Miessner 31. 3. Müller (Remscheid) 15. 3. Dr. Müller-Emmert 16. 3. Neumann (Allensbach) 16. 3. Oetzel 7. 4. Dr. h. c. Pferdmenges 23. 3. Pöhler 16. 3. Dr. Reinhard 16. 3. Reitzner 31. 3. Riedel (Frankfurt) 31. 3. Dr. Schneider 26. 3. Schulhoff 14. 3. Seifriz 16. 3. Dr. Sinn 16. 3. Steinhoff 16. 3. Storch 15. 3. Striebeck 23. 3. Strohmayr 14. 3. Verhoeven 16. 3. Frau Dr. h. c. Weber (Essen) 23. 3. Weinkamm 16. 3. Werner 14. 3. Dr. Winter 14. 3. Wullenhaupt 16. 3. b) Urlaubsanträge Schlick 14. 4.
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Otto Schmidt


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mein verehrter Kollege Herr Möller beklagte das Auseinanderfallen von Verfassungsrecht und Verfassungswirklichkeit im Hinblick auf die unterbliebene bzw. verzögerte Finanzreform. Ich vermag Ihnen, Herr Kollege, darin nicht zu folgen. Ich meine im Gegenteil, es ist zunächst einmal zu begrüßen, daß wir institutionell noch nicht so verhärtet sind, daß sich die Verwirklichung notwendiger allgemeiner Belange nicht auch ohne, neben und manchmal sogar auch gegen Institutionen durchsetzen könnte.

    (Sehr richtig! in der Mitte.)

    Das ist vor allem dann ein Glück, wenn sich die Entwicklungen so überstürzen, wie es in den letzten Jahren der Fall war.
    Die Finanzreform hätte früher und ernster in Angriff genommen werden sollen, meinten Sie, verehrter Herr Kollege Möller. Wir versagen uns aber — meines Erachtens mit Recht in diesem Augenblick — sogar einer gesetzlichen Änderung des Quotenverhältnisses von 35 zu 65 im Rahmen des Artikels 106 des Grundgesetzes, weil wir selbst die Verhältnisse des Jahres 1963 noch nicht so übersehen können, daß wir sagen könnten: es ist jetzt schon der Zeitpunkt gekommen, um über zwei Jahre die Verhältnisse zwischen Bund und Ländern zu ordnen. Ist das nicht, meine Damen und Herren, doch schon ein Symptom dafür, daß grundlegende Reformen nur möglich sind, wenn die Verhältnisse auf übersehbare Zeit einigermaßen zur Ruhe gekommen sind?
    Reformvorstellungen erfordern aber auch menschliche Einsicht, und zwar nicht nur — wie Sie mit Ihrem Appell an die Bundesregierung meinten — eine Einsicht der Bundesregierung, sondern eine Einsicht bei allen im Kraftfeld der Interessen mitwirkenden Kräfte in den Ländern, in den Gemeinden, auch in der Opposition. Nicht nur der Wunsch nach einer Reform entscheidet, sondern es müssen auch im wesentlichen einheitliche und nicht gegensätzliche Vorstellungen von einer Reform vorhanden sein. Von der Aufgabenstellung her bestimmt sich dann die Reformvorstellung.
    Sie werden es mir nicht verübeln, meine Damen und Herren von der Opposition, daß ich daran erinnere, wie lange Sie dazu gebraucht haben, um sich etwa im wirtschaftspolitischen und im verteidigungspolitischen Bereich den grundsätzlichen Vorstellungen der Regierungsmehrheit auch nur anzunähern.

    (Beifall in der Mitte.)

    Es gehört eben zur Reform eine Vorausschau dessen, was in der Zukunft möglich ist, und zwar setzt eine Reform eine weitgehende Übereinstimmung auch in der Vorausschau voraus.
    Mir ist in diesen Tagen ein Aufsatz von Winfried Martini mit dem Titel „Das Kind im Brunnen" unter die Hände gekommen. Er beschäftigt sich da mit einem Kommentar, der unter der Überschrift „Politisches Süppchen" in der Frankfurter Rundschau vom 21. Februar erschien. Dort hieß es, ein Notstandsgesetz sei deshalb überflüssig, weil wir ja das Bundesleistungsgesetz hätten. Sein Fehler sei nur, daß danach bezeichnenderweise lediglich Leistungen gefordert werden könnten zur Abwendung einer drohenden Gefahr für den Bestand der inneren Grundordnung, für Zwecke der Verteidigung usw., und sein typischer Fehler sei, daß dabei niemand an die Naturkatastrophen gedacht habe.
    Dabei stellt man fest, daß die Bundesregierung sehr wohl und durchaus daran gedacht hat, und zwar im Jahre 1955, als noch kein Mensch an die Flutkatastrophe dachte. Da hat sie nämlich in der Regierungsvorlage eines Bundesleistungsgesetzes — Drucksache 1804 des Bundestages vom 21. Oktober 1955 — einen § 1 gefordert, in dem es hieß:
    . . . Als öffentlicher Notstand gelten insbesondere a) gemeine Gefahren wie Überschwemmungen, Brände und Explosionsunglücke . . .
    Die Regierung hatte also im Jahre 1955 die Vorausschau, daß es in Hamburg zu einer Flutkatastrophe dieses Ausmaßes kommen könnte.

    (Lachen bei der SPD. — Abg. Dr. Deist: Welche Einsicht!)

    — Doch, hören Sie mal zu, das ist ein wirklich interessanter Fall, Herr Deist.

    (Erneute Zurufe von der SPD.)

    Doch damit war der Bundesrat — sehen Sie, ich habe Sie gar nicht gemeint — nicht einverstanden. In seinen Änderungsvorschlägen heißt es, daß der Buchstabe a zu streichen ist. Die Begründung dafür lautet:
    Die Gesetzgebungskompetenz des Bundes ist im Grundgesetz erschöpfend geregelt.

    (Abg. Haase [Kassel]: Ausgezeichnet!)

    Die Verhütung und Beseitigung eines öffentlichen Notstandes fällt nicht darunter, und zwar auch dann nicht, wenn sich der Notstand im Einzelfall über den Bereich eines Landes auswirkt.

    (Zuruf von der Mitte: Ausgezeichnet!)

    Eine Zuständigkeit aus der Natur der Sache kann nicht anerkannt werden.

    (Abg. Haase [Kassel] : Sicher von Hamburg konzipiert!)

    So der Bundesrat.

    (Abg. Wehner: Flegel! Das kann man wohl sagen!)




    Dr. Schmidt (Wuppertal)

    I Dann hat die Bundesregierung darauf geantwortet, — —

    (Zuruf von der SPD: Unerhört! — Abg. Wehner: Das hatte seinen besonderen Akzent jetzt!)

    — Ich erwähne den Fall lediglich unter dem Gesichtspunkt der Vorausschau der Möglichkeiten für eine Reform, d. h. der Vorausschau im Hinblick auf mögliche, voraussehbare Verhältnisse. Nur unter diesem Gesichtspunkt, meine Damen und Herren, führe ich das hier als Beispiel an. — Die Bundesregierung ihrerseits hat dazu Stellung genommen und erklärt:
    Die Bundesregierung muß auch aus praktischen
    Gründen den größten Wert darauf legen, . .
    So hat die Bundesregierung diese Stellungnahme des Bundesrates zurückgewiesen.
    Dann ergibt allerdings die Lektüre des § 1 des Bundesleistungsgesetzes vom Jahre 1956 — ich zitiere mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten Winfried Martini —, „daß sich die föderalistischen Prinzipienreiter 'des Bundesrates gegen die realistischen Visionen der Bundesregierung weitgehend durchgesetzt haben. Von einem Recht, Leistungen auch für den Fall von Naturkatastrophen anzufordern, ist nun nicht mehr 'die Rede."
    Meine Damen und Herren, so verhält es sich eben mit Reformvorstellungen. Es genügt nicht, daß die Regierung ihrerseits Vorstellungen hat, sondern sie muß politisch abwägen, was im Kräftefeld der gesamten Wirklichkeit, der politischen Wirklichkeit an Möglichkeiten zum Zusammenwirken vorhanden ist, um zu einem bestimmten Ziel zu kommen. So verhält es sich auch mit 'der' von Ihnen, Herr Kollege Möller, beklagten verzögerten Finanzreform.
    Die Verhältnisse sind so sehr im Fluß, daß wir heute wiederholt auch vom Bundesfinanzminister in seiner Rede das Wort von der Wende des Haushalts gehört haben. Dabei ist noch gar nicht von einem Punkt geredet worden, der den Finanzausschuß in besonderer Weise tangiert, nämlich von der Wende zu einem europäischen Steuerrecht. Auch da sind die Verhältnisse in einem großen Maße im Fluß. Mit dem Abbau der Zölle werden die Verbrauchsteuergrenzen immer problematischer. Die Verbrauchsteuern, insbesondere die Umsatzsteuer, sind ein entscheidendes Rückgrat des Haushalts; das kann niemand bezweifeln. Aber auf der anderen Seite können die Steuergrenzen innerhalb 'des europäischen Marktes auf die Dauer nicht fortbestehen. Wir haben 'das im Zusammenhang mit der Tee- und Kaffeesteuer zur Genüge erörtert. Auch kann die mangelnde Wettbewerbsneutralität unseres Allphasen-Umsatzsteuersystems im Rahmen des europäischen Marktes noch problematischer werden, als sie es auf dem inneren Markte schon ist.
    Angesichts solcher großer Bewegungen auf neue, unvorhergesehene Möglichkeiten hin ist der Vorwurf verzögerter Finanzreform meines Erachtens, Herr Kollege Möller, nicht ganz gerecht. Eine Finanzreform, eine Finanzverfassungsreform wird sich angesichts 'dieser Bewegungen sehr vorsichtig vortasten müssen, um nicht Entwicklungen nach innen und außen zu präjudizieren, zu verbauen oder gar noch neue Gegner auf den Plan zu rufen.
    Herr Kollege Möller, Sie hatten den Appell des Finanzministers an die Bundesregierung und an den Bundestag auf die Hörner genommen und gemeint, er habe damit bewußt und gewollt die Politik der Bundesregierung in den vergangenen Jahren kritisieren wollen. Nach meiner Auffassung ist 'das eine völlige Fehlinterpretation, verständlich nur aus dem Wunsch der Opposition, innnerhalb der Koalition Klüfte aufzureißen, die meines Erachtens nicht da sind.

    (Widerspruch bei 'der SPD.)

    — So leicht, meine Damen und Herren, ist es natürlich nicht, unsere neue Koalition auseinanderzubringen. Der Finanzminister hat ebenso wie der Haushaltsausschuß die legitime Funktion, das Ganze unter finanziellen Aspekten zusammenzusehen und auch zusammenzuführen. Er hat dabei die ebenso legitime Aufgabe, die sehr legitimen Ressortwünsche und die sehr legitimen Wünsche der Fachausschüsse immer in den notwendigen Grenzen zu halten. Es geht einfach — so war der Appell des Finanzministers zu verstehen — um die notwendige Haushaltsdisziplin angesichts einer Tendenz zur Expansion, die uns nun nachgerade allen gefährlich werden kann. Meine Damen 'und Herren von der Opposition, wenn Sie Ihrer legitimen Aufgabe, dieser Expansion im Interesse 'des Steuerzahlers zu wehren, nicht nachkommen, dann müssen wir das eben selber tun und müssen Ihrem Optimismus, mit dem Herr Möller meinte noch weitere Ausgaben ermöglichen zu können, entgegentreten. Übersehen Sie, meine 'Damen und Herren von der Opposition, doch nicht, daß die öffentliche Nachfrage nicht über die Leistungsfähigkeit der Volkswirtschaft hinaus entwickelt werden darf und daß in demselben Augenblick, wo wir auch nur diesen Versuch machen, die Folge sein muß, daß die Leistungen und damit auch die Dienstleistungen, die 'Dienste falsch nach oben hin bewertet werden und sich daraus zwangsläufig Lohntreiberei entwickeln muß, mit der Tendenz zur Geldfülle und damit zur Steigerung der Nachfrage über die Leistungsfähigkeit der Volkswirtschaft hinaus, mit der dann zwangsläufig sich ergebenden inflatorischen Tendenz.
    Herr Kollege Möller schnitt 'das Thema der Steuerschätzungen an. Die Steuerschätzungen von Bund und Ländern brauchen selbstverständlich nicht übereinzustimmen, das war auch in den letzten Jahren nicht immer der Fall. Verlangen wir aber von den Ländern Beiträge, dann 'ist es verständlich, daß die Länder auf eine gemeinsame Urteilsgrundlage als Ausgangspunkt Wert legen müssen und darauf drängen.

    (Sehr gut! bei der CDU/CSU.)

    So werden wir uns im Finanzausschuß in der nächsten Woche mit den Steuerschätzungen beschäftigen müssen. Wir werden dann von der Bundesregierung wohl auch hören, mit welchen volkswirtschaftlichen Überlegungen die Länder ihre Ansätze rechtfertigen, und wir werden prüfen müssen, ob wir sie übernehmen können.



    Dr. Schmidt (Wuppertal)

    Ich stimme mit Ihnen darin überein, daß die Gemeinden im Rahmen der Finanzverfassungsreform zu ihrem Recht kommen müssen. Aber auch hierzu darf wohl daran erinnert werden, wie schnell alle Prognosen der kommunalen Spitzenverbände über Finanzbedarf über den Haufen geworfen worden sind. Das Gewerbesteueraufkommen hat den von den kommunalen Spitzenverbänden errechneten Fehlbetrag bei weitem überspielt. Wir werden prüfen müssen, wie an den wirklich neuralgischen Punkten geholfen werden kann. Aber 'auch unter den Gemeinden geht es genauso menschlich zu wie im Bund und unter den Ländern. Von einem interkommunalen Lastenausgleich wollen die finanzstarken Gemeinden — und deren Zahl ist ja auch nicht gering — gar nichts wissen.

    (Zustimmung bei der CDU/CSU.)

    Sie haben 'die Wiedergutmachung erwähnt und beklagt, daß hier große menschliche Not durch allzu bürokratische Handhabung des Gesetzes noch vergrößert worden sei. Das mag durchaus zutreffen. Aber die Durchführung ist ja Sache der Länder, und es wäre, glaube ich, ungerecht, alle Länder generell unter .das gleiche Urteil stellen zu wollen. Ich kann z. B. von meinem eigenen Lande Nordrhein-Westfalen sagen, daß unser Ministerpräsident Meyers und auch die zuständigen Wiedergutmachungsstellen wiederholt in aller Öffentlichkeit Anerkennung und Lob für die schnelle und im allgemeinen befriedigende Durchführung des Wiedergutmachungsgesetzes gefunden 'haben.

    (Abg. Dr. h. c. Möller: Das war nicht mein Ausgangspunkt!)

    — Doch, das war Ihr Ausgangspunkt; und Sie haben die Ausführungen des Herrn Finanzministers, der erwähnt hat, daß wir in den ganzen Jahren immerhin 11,5 Milliarden DM aufgewandt haben und noch 8,5 Milliarden DM aufwenden werden, meiner Auffassung nach nicht gebührend gewürdigt.
    Ich darf zum Schluß kommen und mich mit Dankbarkeit darüber äußern, daß Sie, Herr Kollege Möller, am Schluß Ihrer Ausführungen eine so große staatspolitische Perspektive gegeben haben. „Der Staat sind wir", haben Sie gesagt. Und das heißt, es gibt auch keine Instanz oberhalb unserer Gemeinschaft, die wir anrufen könnten, um unsere Kassen zu füllen. Jeder Pfennig stammt aus unserer eigenen Tasche, aus der Tasche unserer Bürger als Steuerzahler. Wir sollten uns daher selber den Respekt erweisen, in erster Linie den Steuerzahler zu respektieren. Seine staatspolitische Verantwortungsbereitschaft wird wachsen, wenn wir als Volksvertreter uns ihm verantwortlich wissen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)



Rede von Dr. Richard Jaeger
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CSU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Dais Wort hat der Abgeordnete Dr. Deist.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Heinrich Deist


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ein Haushaltsplan sollte nicht nur Gelegenheit zu Analysen und Schlußfolgerungen von Finanzpolitikern geben. Durch die Finanzpolitik, wie sie im Haushaltsplan ihren Ausdruck findet, werden nicht nur die Grundlagen und zugleich die Munition für die Politik geschaffen, die geführt wird, sondern die Finanzpolitik selbst und die Auswirkungen des Haushalts beeinflussen unmittelbar über die Einnahmen- und Ausgabenpolitik die Struktur von Wirtschaft und Gesellschaft. Selbst die Haushaltsrede des Herrn Bundesfinanzministers, die sich einer weitgehenden Zurückhaltung befleißigte hinsichtlich allgemeiner politischer Erörterungen, die üblicherweise in der Vergangenheit auch vom Herrn 'Bundesfinanzminister in der Haushaltsrede mit angestellt wurden, hat doch gewisse Ausführungen und gewisse Töne enthalten, die den politischen Hintergrund deutlich machen und im Zusammenhang mit den politischen Ausführungen gesehen werden müssen, die wir sonst zu hören bekommen zu einer Politik, für 'die dieser Haushalt die Grundlage abgibt.
    Meine Damen und Herren, ich meine, daß solche Ausführungen hierher gehören. Der Herr Bundesfinanzminister hatte mehrere Akzente gesetzt, die diesen Zusammenhang klarmachen. Mein Freund Alex Möller hat bereits auf den Tenor hingewiesen: das Grundübel 'der letzten Jahre sei, alles auf einmal zu wollen. Mit diesem Satz sollen, sicherlich nicht unbeabsichtigt, bestimmte Gedankenassoziationen in der Öffentlichkeit hervorgerufen werden. Denn in engem Zusammenhang damit steht z. B., was im letzten Lagebericht des Bundeswirtschaftsministers gesagt worden ist, nämlich: daß alles auf einmal gefordert werde, nämlich Lohnerhöhungen, Urlaub und Arbeitszeitverkürzung. Das ist ja die Diskussinn, die in einer sehr 'bedenklichen Weise zur Zeit in Deutschland geführt wird.
    Ein zweiter Satz in der Rede des Herrn Bundesfinanzministers lautete: Wir haben nicht zuwenig Einnahmen, sondern wir haben zu viele Ausgaben. Die Mehrheit dieses Hauses hat dazu frenetisch Beifall geklatscht. Offenbar hat sie daran gedacht, daß der Herr Bundesfinanzminister vorher gesagt hatte, wie diese Ausgaben sich zusammensetzen, nämlich zu 35 % aus Aufwendungen für die Verteidigung und zu 28,5 % aus dem, was die Bundesregierung als soziale Sicherung zu bezeichnen pflegt. Und man ,kann sich vorstellen, was diese Beifall klatschenden Abgeordneten dabei gedacht haben, als der Minister davon sprach, daß wir zu viele Ausgaben hätten. Mir scheint, daß das an jene Erklärungen anklingt, die von den Grenzen des Wohlfahrtsstaates und den Grenzen .der Sozialpolitik sprechen.
    Sodann enthielt diese Rede des Herrn Bundesfinanzministers, ich möchte sagen, einige gezielte kleine Hinweise. Der eine Hinweis war der auf die Lohn- und Gehaltsforderungen im öffentlichen Dienst. Da wurde eine sehr große Zahl genannt: wenn diese Forderungen durchgehen, kommen 1,7 Milliarden Ausgaben auf uns zu. Der Herr Bundesfinanzminister sagte: Wir haben in diesen Haushaltsplan nichts eingesetzt. Nun, nach Adam Riese wissen wir alle, daß das Ergebnis der Verhandlungen weder die 1,7 Milliarden sein werden noch der Betrag von null DM; zu einem anderen Angebot hat sich der Herr Bundesfinanzminister bisher offenbar nicht durchringen können. Ich möchte ihn fragen,



    Dr. Deist
    ob er damit die Idee hervorrufen wollte, daß die Bundesregierung der Auffassung ist, daß die Frauen und Männer des öffentlichen Dienstes an dem ständigen Wachsen des Volkseinkommens überhaupt nicht beetiligt werden sollen.
    In der Rede war auch wieder ein Satz enthalten von Lohnerhöhungen, die über den Produktivitätszuwachs hinausgehen. Da war der Satz enthalten, daß der Welthandel durch die Kosteninflation gefährdet sei. Der Herr Bundesfinanzminister konnte nicht umhin, auch die Steuern zu nennen; aber er nannte wohlweislich vorweg Löhne und soziale Abgaben. Und unser Kollege Vogel hat es dann sehr deutlich ausgesprochen, indem er von der gewaltsamen Aufpulverung des Konsums durch die Lohn- und ,Gehaltsentwicklung sprach und sogar meinte, die Zahlungsbilanzschwierigkeiten der USA und Großbritanniens seien ein Menetekel; sie seien offensichtlich auch auf die Lohn- und Gehaltspolitik zurückzuführen. Meine Damen und Herren, was ist das für eine armselige Wirtschaftspolitik, die als einziges bewegendes Element der Wirtschaft überhaupt nur noch die Lohn- und Gehaltsbewegung sehen kann!

    (Beifall bei der SPD.)

    In denselben Rahmen gehören die Darlegungen von Herrn Kollegen Schmidt (Wuppertal), der von „Lohntreiberei" mit ihren unweigerlich preissteigernden Tendenzen gesprochen hat. Ja, dann ist es nicht mehr weit bis zu jener Ausführung des Herrn Ferdinand Fried in der „Welt", der nach der Bereinigung der Tarifstreitigkeiten im Bereich der Metallindustrie durch einen Vertrag, der mit Unterstützung und Hilfe des baden-württembergischen Ministerpräsidenten zustande gekommen ist, glaubte schreiben zu dürfen: Es ist wie ein Dammbruch, der jetzt bei den Löhnen eingesetzt hat, nachdem man in der Metallindustrie auf die entscheidende Kraftprobe verzichtet hat.
    Da wird deutlich, was man will. Man will gar nicht, daß man sich friedlich zusammenrauft, sondern man wünscht im Grunde genommen Kraftproben; und darum macht man aus dem erfreulichen Ergebnis der Auseinandersetzung in der Metallindustrie, die ein Zeichen für das Verantwortungsbewußtsein dieser Gewerkschaft gewesen ist, den Beginn eines Dammbruchs.
    Hier geht es um eins der Kernprobleme unserer sozialen Ordnung. In dem Memorandum der acht evangelischen Laien und Theologen — über dessen Einzelteile man streiten kann, das aber doch einen Diskussionsbeitrag geleistet hat, der jedenfalls offiziell auch von Ihnen anerkannt worden ist — findet sich der wichtige Satz: Die soziale Ordnung ist nicht schon deshalb gesund, weil es den meisten gutgeht. Daß es vielen bei uns gutgeht, bestreitet niemand. Wir wollen heute keine Diskussion darüber entfachen, wer dazu beigetragen hat, aber wir sollten auch die Mängel sehen, die in unserer gesellschaftlichen Ordnung vorhanden sind.

    (Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

    Einer der entscheidenden Mängel ist, daß es uns
    weder in der Weimarer Republik noch nach 1945
    gelungen ist, eine gesunde Einordnung der verschiedenen Kräfte einer freien Gesellschaft in das gesamte Gesellschaftsleben und in das Staatsgefüge zuwege zu bringen.

    (Abg. Dr. Besold: Na, na, na!)

    — Ich werde Ihnen gleich einiges dazu sagen.
    Großbritannien hat eine jahrhundertealte Entwicklung zur Demokratie hinter sich. Dort ist es beinahe selbstverständlich, daß sich die Wirtschaft wirtschaftspolitischen Entscheidungen beugt, sogar ohne daß dazu gesetzliche oder institutionelle Maßnahmen ergriffen werden müssen. Die Geschichte der Vereinigten Staaten beginnt mit der Gründung eines demokratischen Staates. Auch dort gibt es eine geschichtlich gegebene Einordnung der verschiedenen Kräfte. Wir tragen die Last einer vielhundertjährigen Geschichte. Es sind noch keine fünfzig Jahre her, daß bei uns die politischen Kräfte freigesetzt worden sind. Und wir tragen seit 12 Jahren das Schicksal einer CDU-Regierung, deren Aufgabe es gewesen wäre, die Grundlagen für eine solche Einordnung zu schaffen.

    (Abg. Dr. Vogel: Was für eine Bürde für Sie! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)

    — Ich habe es wenigstens nett gesagt, Herr Vogel; das werden Sie mir konzedieren müssen.
    In diesem Zusammenhang möchte ich auf das zurückkommen, was ich im Anfang sagte. Gestatten Sie mir, den Rahmen nur in wenigen Strichen anzudeuten, ohne daß ich das jetzt weiter ausführen kann.
    Zunächst: Bei kritischer Überprüfung kann man nicht bestreiten, daß die Regierungspolitik der letzten 12 Jahre sehr stark in einer einseitigen Stützung mächtiger wirtschaftlicher Interessengruppen bestanden hat und von ihnen wiederum stark beeinflußt worden ist.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Darum war es bei uns möglich, daß der Bundesverband der Industrie das Zustandekommen eines brauchbaren Kartellgesetzes verhinderte und bis heute die dringend notwendige Reform des bestehenden unzulänglichen Kartellgesetzes hinauszögern konnte. Demgegenüber ist es in den Vereinigten Staaten selbstverständlich — ich möchte mal sehen, was bei uns passiert, wenn so etwas passierte —, daß die Direktoren eines großen leitenden Konzerns wegen Verstoßes gegen die Antitrustbestimmung hinter schwedische Gardinen gesetzt werden!

    (Abg. Dr. Vogel: Aber auf der anderen Seite der Präsident auch Streiks unterbinden kann!)

    — Darüber können wir uns gleich mal unterhalten.
    Zweitens. Es hat sich allmählich herumgesprochen
    — auch wenn das hier im Hause nicht gern gehört wird —, daß es in den vergangenen 12 Jahren jedenfalls nicht gelungen ist, die selbständigen Mittelschichten zu einem integrierenden Bestandteil der Wirtschaft zu machen, in der sie ihren Platz ihrer Aufgabe gemäß einnehmen können. Wir haben in



    Dr. Deist
    der Regierungserklärung wiederholt gehört, was geschehen soll. Wir haben diesmal wiederum die Mitteilung gehört, daß der Buckel in der Einkommensteuerprogression für die mittleren und kleineren Unternehmer beseitigt werden soll. Eines ist sicher: in den Vereinigten Staaten, in denen es auch wirtschaftliche Macht gibt, ganz groß gibt, in denen es große Unternehmungen gibt, wird jedenfalls gesetzlich, institutionell und verwaltungsmäßig für die mittleren und kleineren Unternehmungen sehr viel mehr getan als bei uns, um sie sinnvoll in die Gesamtwirtschaft einzugliedern.
    Und ein Letztes! Trotz Landwirtschaftsgesetz ist es nicht gelungen —wir alle bemühen uns gemeinsam um diese Aufgabe —, den Gegensatz zwischen Stadt und Land angemessen zu beseitigen. Im Gegenteil, die Diskrepanz zwischen der Einkommensentwicklung 'in der Landwirtschaft und der Einkommensentwicklung in der gewerblichen Wirtschaft wird trotz Landwirtschaftsgesetz, trotz Grünem Plan nicht kleiner, sondern sie wird größer. Das ist auch ein Beispiel dafür, was in unserer sozialen Ordnung, Herr Kollege, nicht ganz in Ordnung ist.
    Hierzu kommt — ich will es ganz deutlich sagen — die unangemessene Frontstellung gegen die Arbeitnehmerorganisationen, die noch schärfer geworden ist, seit die FDP dieser Regierungskoalition angehört.

    (Beifall bei der SPD. — Oho-Rufe in der Mitte.)

    Der Herr Bundeskanzler ist häufig erregt, wenn sich Gewerkschaften mal etwas stärker regen. Das soll auch in diesen Tagen mal wieder geschehen sein. Er ist merkwürdig unempfindlich, wenn es sich um massive Eingriffe von anderer Seite handelt. Herr Bundesfinanzminister Starke hat hier seinem britischen früheren Kollegen Thorneycroft in einem Augenblick Beifall gespendet, in dem sich zeigt, daß der Versuch dieser Regierung, die Kosten einer mißratenen Wirtschaftspolitik auf die Arbeitnehmer abzuwälzen, gescheitert ist.

    (Zurufe von der CDU/CSU. — Abg. Dr. Vogel: So kann man es auch nennen!)

    Es wäre die Aufgabe eines Psychoanalytikers, einmal den tieferen Grund dieser merkwürdigen Bruderschaft nachzuforschen.

    (Beifall bei der SPD. — Heiterkeit.)

    Dazu gesellt sich dann der Vorsitzende der zweiten Regierungspartei, Herr Kollege Dr. Mende. Ich kann nicht umhin, hierzu einige deutliche Worte zu sagen. Die Tarifparteien und die Gewerkschaften haben die Aufgabe — die verfassungsmäßige Aufgabe nach dem Grundgesetz —, in gegenseitigen Auseinandersetzungen auf dem Arbeitsmarkt — gewissermaßen als Marktparteien — miteinander um eine angemessene Lohn- und Gehaltsregelung zu kämpfen. Und was macht der Herr Kollege Mende daraus? Er wirft den Gewerkschaften vor, die sozialen Forderungen seien nicht aus sozialer Notwendigkeit gestellt, sondern um der Festigung der eigenen Machtposition willen.

    (Pfui-Rufe bei der SPD. — Zurufe von der FDP.)

    Das sagt der Chef einer Partei, die bei der letzten Regierungsbildung alle .ihre vorher verkündeten Grundsätze über den Haufen geworfen hat, nur um einiger Minister- und Staatssekretärsessel willen!

    (Lebhafter Beifall bei der SPD. — Erneute Zurufe von der FDP.)

    Dann wagt Herr Dr. Mende zu sagen, der DGB könne sich nicht als Vertreter der Arbeitnehmer aufspielen, denn er vertrete nur einen Teil der Arbeitnehmer.

    (Zurufe von der SPD.)

    Nun, er hat übersehen, daß diese Gewerkschaft mehr als 6 Millionen Mitglieder hat und daß sie bei den letzten Personalrats- und Betriebsratswahlen das Vertrauensvotum von 80 % der Arbeitnehmer erhalten hat.

    (Beifall bei der SPD. — Zuruf von der Mitte: 99 %!)

    Dann überlege ich mir, daß Herr Kollege Mende in seiner Partei, wenn ich mal ganz großzügig bin, wohl nicht mehr als 100 000 Mitglieder zählt und bei den letzten Wahlen knapp 13 % der Wähler gewonnen hat. Da erhebt sich die Frage: wer legitimiert eigentlich Herrn Dr. Mende, so in der Öffentlichkeit zu sprechen?

    (Beifall bei der SPD.)

    Das ist ein bitteres Kapitel unserer Innenpolitik. Sie ist nämlich gespickt mit irreführenden Darstellungen, die die öffentliche Meinung in völlig falscher Weise beeinflussen sollen. Lassen Sie mich über diese irreführenden Darstellungen, die für die politische Meinungsbildung eine wichtige Rolle spielen, einige Worte sagen.
    Der Herr Bundesfinanzminister hat das Lob der Preisstabilität in Deutschland gesungen. Ich halte es lieber mit dem Herrn Bundeswirtschaftsminister, der auf der Frankfurter Messe sagte, auch der jährliche Kaufkraftschwund von 2 bis 3 % sei eine inflationäre Tendenz, die gefährlich sei. Ich entsinne mich, daß der Herr Kollege Etzel vor zwei Jahren — so war es wohl — im Zusammenhang mit dem Haushalt sehr deutlich darauf hingewiesen hat, wir könnten uns nicht dabei beruhigen, daß die ständige Aushöhlung der Kaufkraft 'der D-Mark — sie beträgt inzwischen seit der Währungsreform um 20 % — immer weiter fortschreite. Wir wissen, daß im Januar die Lebenshaltungskosten um 3,5 % über dem Stand vom Januar 1961 gelegen haben. Wir sind uns alle darüber einig — wir sollten uns da keine falschen Unterstellungen machen —, daß das eine bedenkliche und gefährliche Entwicklung ist, der wir entgegenzuwirken haben. Denn diejenigen, die darunter leiden, sind in erster Linie die Bezieher von festen Einkommen und die kleineren Sparer.

    (Zuruf von der Mitte: Vollkommen richtig!)

    Darum ist es schon der Mühe wert, sich zunächst einmal ernsthaft über die Ursachen einer solchen Entwicklung zu unterhalten.
    Die Bundesregierung operiert unbedenklich—muß ich beinahe sagen — mit der ständigen Wiederho-



    Dr. Deist
    lung der Behauptung, daß die Lohn-. und Gehaltsentwicklung der entscheidende Grund für die Preisentwicklung sei.

    (Zuruf von der Mitte: Sicher ein sehr wichtiger Grund!)

    — Ich spreche gleich darüber, daß die Lohn- und Gehaltsentwicklung im Rahmen der Einkommensverteilung auch eine Rolle spielt; das werde ich nicht bestreiten. Wir werden uns vielleicht auch einmal über die Konsequenzen unterhalten können, die wir daraus zu ziehen haben. Aber erst müssen wir einmal die öffentliche Atmosphäre bereinigen, damit man sich vernünftig über dieses Problem unterhalten kann.
    Die Bundesregierung weist in Übereinstimmung mit der gesamten Presse zu Beginn jeden Jahres auf die drohende große Lohnwelle hin. Nun, in einem Staat mit aufsteigender Wirtschaft ist es ja wohl notwendig, daß auch die Arbeitnehmer an der Einkommensvermehrung beteiligt werden. Da wir etwa 20 Millionen Arbeitnehmer unter Tarif haben und die Tarifverträge ungefähr 1 1/4 bis 1 1/2 Jahre laufen, ist es ganz natürlich, daß jedes Jahr für 12 bis 14 Millionen Arbeitnehmer eine Anpassung erfolgen muß. Das ist keine ungeheuerliche Lohnwelle, sondern der normale Ablauf der Dinge, wenn Sie nicht wollen, daß die Arbeitnehmer an der Steigerung des Volkseinkommens nicht beteiligt werden.

    (Abg. Dr. Vogel: Das hat niemand von uns hier bestritten! — Weitere Zurufe von der Mitte.)

    — Ich habe gesagt: Wenn! Ich habe gesagt, das sei die normale Entwicklung, und Sie müßten das anerkennen, wenn nicht — — Ich habe noch nicht gesagt, was Sie wollen. Ich überlasse es anderen, die Konsequenzen zu ziehen. Manchmal ist das für viele so deutlich, so daß man nicht besonders viel dazu zu sagen braucht. Jedenfalls hat die Bundesnotenbank in den letzten Jahren am Schluß jeden Jahres festgestellt, daß nach der ganzen Konstellation der wirtschaftlichen Daten die Lohnentwicklung des abgelaufenen Jahres nicht der entscheidende Grund für die Preisentwicklung sein konnte. Darum müssen wir uns sehr deutlich gegen irreführende Darstellungen wenden, die trotz aller gegenteiligen Darlegungen immer wieder wiederholt werden. Weil Sie, meine Damen und Herren, und diejenigen, die zu Ihnen stehen, diese Behauptung ständig wiederholen, sehen wir uns gezwungen, immer wieder darauf hinzuweisen, wo die entscheidenden Ursachen der unglücklichen Preisentwicklung in den letzten Jahren zu suchen sind. Ich kann mich heute kurz fassen, weil wir dies wiederholt getan haben.
    Sie sind dem Handelsbilanzüberschuß der vergangenen Jahre nicht rechtzeitig und nicht wirksam genug begegnet. Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat wohl einige Versuche gemacht, dieser Entwicklung rechtzeitig zu begegnen; er ist aber bei der Mehrheit dieses Bundestages damit meist nicht durchgedrungen.
    Punkt 2. Es gehört zu den wesentlichen Erkenntnissen der modernen Konjunkturwissenschaft, daß die Konjunkturpolitik unglücklichen Entwicklungen rechtzeitig entgegentreten muß. Der Konjunkturüberhitzung, ,die wir im Jahre 1960 erlebt haben, mußte im Laufe des Jahres 1960, spätestens im Herbst 1960, entgegengetreten werden. Wir wissen aus der öffentlichen Erörterung in der Presse, daß der Herr Bundeswirtschaftsminister auch damals einige Pläne hatte, die dann aber auf Veranlassung des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, der sich sehr stark gegen solche Eingriffe wandte, zurückgestellt worden sind, so daß uns dann mit Verspätung im Frühjahr 1961 die D-Mark-Aufwertung beschert wurde.
    Schließlich gehört in dieses Kapitel eine völlig unzulängliche Kartell- und Preispolitik. Aus dem Bundeswirtschaftsministerium stammte die Meldung, die vor einiger Zeit durch die Presse ging, wonach man nicht so sehr darauf starren sollte, daß einige Preise in Gewerbezweigen mit hohem Lohnanteil steigen — das sei ein normaler Vorgang —. Es komme vielmehr darauf an, daß die Preise in den lukrativen, der Rationalisierung und Automation zugänglichen Großunternehmungen gesenkt würden. Das ist ein Problem, das bei uns in Deutschland nicht zulänglich angepackt worden ist.
    Ich muß mich mit diesen kurzen Hinweisen begnügen, um darzulegen, daß 'der entscheidende Grund für die 'Entwicklung der letzten Jahre nicht die Löhne, sondern das Versagen ,der Wirtschaftspolitik der Bundesregierung — jedenfalls auf diesem Gebiet — war.

    (Beifall bei der SPD.)

    Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang, da sich die D-Mark-Abwertung gerade jährt — —

    (Zuruf von der CDU/CSU: Aufwertung!)

    — D-Mark-Aufwertung!

    (Abg. Dr. Stoltenberg: Sie sind so in der Abwertung begriffen, Herr Deist, daß Sie von ,der Aufwertung gar nicht mehr sprechen können! — Heiterkeit.)

    — Darüber unterhalten wir uns bei anderer Gelegenheit, 'Herr Stoltenberg. Bei mir können Sie immerhin voraussetzen, daß ich den Unterschied einigermaßen kenne.

    (Heiterkeit.)

    Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat damals zur D-Mark-Aufwertung ausgeführt: „Niemand behauptet und niemand wird glauben wollen, daß die Aufwertung das Allheilmittel zur Lösung aller wirtschaftlichen, sozialen und finanziellen Sorgen ist. Aber mit diesem Schritt haben wir die Grundlage für eine zielbewußte, aktive Konjunkturpolitik zurückgewonnen." Ich habe mir erlaubt, das mit der Genehmigung 'des Herr Präsidenten zu zitieren. Ich bitte um Entschuldigung, daß ich für dies Zitat nicht die Genehmigung des Herrn Präsidenten eingeholt habe.