Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.
Meine Damen und Herren, nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die heutige Tagesordnung erweitert werden um die zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über das Kreditwesen, Drucksachen 2563, zu 2563 und Nachtrag zu 2563. — Das Haus ist damit einverstanden; es ist so beschlossen.
Herr Senator Dr. Klein hat gebeten, die beiden Berichte des Vermittlungsausschusses, Drucksachen 2598 und 2599, vorzuziehen, zu denen er Berichterstatter ist. — Das Haus ist auch damit einverstanden.
Weiter ist vereinbart worden, heute vor Fortsetzung der Haushaltsberatung die unstrittigen Vorlagen — Punkt 3 der Tagesordnung und die vorgestern aufgesetzten Zusatzpunkte mit Ausnahme der noch verbleibenden Berichte des Vermittlungsausschusses — zu erledigen. — Auch dies ist so beschlossen.
Dann komme ich zu dem ersten Bericht des Vermittlungsausschusses:
Mündlicher Bericht des Vermittlungsausschusses zu dem Außenwirtschaftsgesetz
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Ich erteile das Wort dem Herrn Senator Dr. Klein.
Dr. Klein, Senator des Landes Berlin: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Außenwirtschaftsgesetz, das seinerzeit in diesem Hohen Hause mit großer Mehrheit beschlossen wurde, enthält in § 19 — früher § 17 a — eine Bestimmung, die Gegenmaßnahmen bei der Schädigung deutscher Luftverkehrsunternehmen durch konkurrierende ausländische Luftverkehrsgesellschaften ermöglicht. Wohl niemand in diesem Hause ist damals auf die Idee gekommen, daß diese Bestimmung sich in irgendeiner Weise auf den Luftverkehr von und nach Berlin auswirken würde oder könnte. Dennnoch haben wir zur Kenntnis nehmen müssen, daß diese Selbstverständlichkeit, die sich aus dem Gesetzestext ohnehin ergibt, noch einmal gesagt werden müßte.
Der Bundesrat hat deshalb am 3. März den Vermittlungsausschuß angerufen mit dem Ziel, daß diese Klarstellung in das Gesetz genommen wird. Der Vermittlungsausschuß ist diesem Begehren gefolgt und schlägt Ihnen vor, in die Berlin-Klausel den Zusatz aufzunehmen:
§ 19 gilt nicht für den Luftverkehr von und nach Berlin.
Anläßlich der Anrufung des Vermittlungsausschusses aus diesem Grunde hat der Bundesrat noch gewünscht, daß die Aufhebung des § 10 des Energiewirtschaftsgesetzes — enthalten in § 47 Abs. 2 Nr. 1 des Gesetzes — unterbleibt. Der Bundesrat glaubte, auf diese Vorschrift des Energiewirtschaftsgesetzes nicht verzichten zu können, damit Schutzmaßnahmen für den deutschen Verbraucher bei Unterbrechung von Energielieferungen aus dem Ausland getroffen werden können. Diesem Begehren hat jedoch der Vermittlungsausschuß nicht stattgegeben.
Ich darf daher das Hohe Haus bitten, dem vom Vermittlungsausschuß vorgeschlagenen Zusatz in § 51 zuzustimmen und das Gesetz in dieser Fassung zu beschließen.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter.Das Wort wird nicht gewünscht. Wer dem Bericht des Vermittlungsausschusses zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Keine Gegenstimmen! Enthaltungen? — Auch keine Enthaltungen; einstimmig angenommen!Ich komme zum nächsten Punkt der Tagesordnung:Mündlicher Bericht des Vermittlungsaus-schusses zu dem Reichsvermögen-Gesetz
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Ich erteile das Wort dem Herrn Senator Dr. Klein.Dr. Klein, Senator des Landes Berlin: Das Reichsvermögengesetz enthält u. a. Vorschriften über die Schäden, die von den Stationierungsstreitkräften verursacht werden. Schäden dieser Art können in Berlin nicht entstehen, weil es Stationierungskräfte im Sinne der Bonner Verträge dort nicht gibt. Dennoch sind wir von maßgebender Seite darauf
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Senator Dr. Kleinhingewiesen worden, daß die unbeschränkte Berlin-Klausel in diesem Gesetz und die damit verbundene Übernahme der Vorschrift auf Berlin eine Vermutung begründen könnte, daß der Truppenvertrag nun auch in Berlin gelte. Um einen solchen, einem gewöhnlichen Menschen wahrscheinlich nicht ohne weiteres einfallenden Einwand von übelwollender Seite auszuschließen, mußte der Bestimmung, welche die in Berlin unmöglichen Schadensfälle behandelt, als Absatz 3 der Zusatz angefügt werden: „Absatz 2 gilt nicht im Lande Berlin".Der Bundesrat hatte am 3. März dieserhalb den Vermittlungsausschuß anrufen müssen, der den erwähnten Zusatz zum § 16 des Gesetzes vorschlägt. Ich bitte das Hohe Haus, diesem Vorschlag zuzustimmen und das Gesetz in dieser Fassung zu beschließen.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter.Das Wort wird nicht gewünscht. Wer dem Antrag des Vermittlungsausschusses zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Keine Gegenstimmen! Enthaltungen? — Auch keine Enthaltungen; einstimmig angenommen.Wir kommen nunmehr zu folgendem Tagesordnungspunkt:Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über das Kreditwesen ;Schriftlicher Bericht des Wirtschaftsausschusses (Drucksachen 2563, zu 2563, Nachtrag zu 2563)
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Der Abgeordnete Ruland hat einen Schriftlichen Bericht vorgelegt, für den ich ihm danke. Muß dieser Bericht mündlich ergänzt werden? — Das ist nicht der Fall.Meine Damen und Herren, ich rufe in zweiter Beratung die §§ 1 bis 64, Einleitung und Überschrift in der Fassung der Drucksache 2563 und der Drucksache Nachtrag zu 2563 auf. Wird hierzu das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Die aufgerufenen Bestimmungen sind so beschlossen.Ich komme jetzt zurdritten Beratung.Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Wird das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Ich schließe die allgemeine Aussprache. Wer dem Gesetzentwurf in der Schlußabstimmung zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Keine Gegenstimmen! Enthaltungen? — Keine Enthaltungen; einstimmig angenommen.Auf Drucksache 2563 liegen noch Entschließungsanträge vor. Ich darf diese gemeinsam mit dem Antrag, die zu den Gesetzentwürfen eingegangenen Petitionen für erledigt zu erklären, zur Abstimmung stellen. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Keine Gegenstimmen! Enthaltungen? —Keine Enthaltungen; einstimmig beschlossen.Nunmehr kommen wir zu den übrigen unstreitigen Punkten der Tagesordnung:Punkt 2:Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Einstufung einzelner Gruppen von Pflichtversicherten in die Beitragsklassen der Arbeiterrentenversicherung .Auf Begründung und Aussprache wird verzichtet. Ich schlage Überweisung an den Ausschuß für Sozialpolitik vor. — Widerspruch erfolgt nicht; es ist so beschlossen.Punkt 3:Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu der Vereinbarung vom 23. November 1957 über Flüchtlingsseeleute .Auf Begründung und Aussprache wird verzichtet. Ich schlage vor Überweisung an den Ausschuß für auswärtige Angelegenheiten — federführend — und an den Ausschuß für Inneres — mitberatend —. — Widerspruch erfolgt nicht; es ist so beschlossen.Punkt 4:Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ergänzung des Schiffsbankgesetzes .Auf Begründung und Aussprache wird verzichtet. Ich schlage Ihnen Überweisung an den Wirtschaftsausschuß vor. — Widerspruch erfolgt nicht; es ist so beschlossen.Punkt 5:Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Wiederinkraftsetzung oder Verlängerung von Polizeiverordnungen, die auf Grund der Verordnung über die Polizeiverordnungen der Reichsminister vom 14. November 1938 erlassen worden sind (Drucksache 2558).Auf Begründung und Aussprache wird verzichtet. Ich schlage Überweisung an den Ausschuß für Inneres vor. — Widerspruch erfolgt nicht; es ist so beschlossen.Punkt 6:Erste Beratung des von der Bundesregierungeingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zudem Abkommen vom 29. Oktober 1959 zwi-
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Vizepräsident Dr. Jaegersehen der Bundesrepublik Deutschland und dem Spanischen Staat über Soziale Sicherheit .Auf Begründung und Aussprache wird auch hier verzichtet. Ich schlage Überweisung an den Ausschuß für Sozialpolitik vor. — Widerspruch erfolgt nicht; es ist so beschlossen.Punkt 8:Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu der Entscheidung des Rates der Organisation für Europäische Wirtschaftliche Zusammenarbeit vom 12. Juni 1959 über die Annahme von Strahlenschutzvorschriften (Drucksache 2581).Auf Begründung und Aussprache wird verzichtet. Ich schlage vor Überweisung an den Ausschuß für Atomkernenergie und Wasserwirtschaft. — Widerspruch erfolgt nicht; es ist so beschlossen.Punkt 9:Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 20. September 1960 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Argentinischen Republik über den Luftverkehr .Auf Begründung und Aussprache wird verzichtet. Ich schlage Überweisung an den Ausschuß für Verkehr, Post- und Fernmeldewesen vor. — Widerspruch erfolgt nicht; es ist so beschlossen.Punkt 10:Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 15. April 1958 über die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen auf dem Gebiet der Unterhaltspflicht gegenüber Kindern .Auf Begründung und Aussprache wird verzichtet.Ich schlage Überweisung an den Rechtsausschuß vor.— Widerspruch erfolgt nicht; es ist so beschlossen.Punkt 11:Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ausführung des Haager Übereinkommens vom 15. April 1958 über die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen auf dem Gebiet der Unterhaltspflicht gegenüber Kindern .Auf Begründung und Aussprache wird auch hier verzichtet. Ich schlage Überweisung an den Rechtsausschuß vor. — Widerspruch erfolgt nicht; es ist so beschlossen.Punkt 12:Erste Beratung des von der Bundesregierungeingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zudem Übereinkommen vom 24. Oktober 1956über das auf Unterhaltsverpflichtungen gegenüber Kindern anzuwendende Recht .Auf Begründung und Aussprache wird verzichtet. Ich schlage Überweisung an den Rechtsausschuß vor. — Widerspruch erfolgt nicht; es ist so beschlossen.Punkt 14:Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über eine Kreditermächtigung aus Anlaß der Erhöhung des Beitrages der Bundesrepublik Deutschland an den Europäischen Fonds ;Schriftlicher Bericht des Wirtschaftsausschusses (Drucksachen 2553, zu 2553)
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Ich danke dem Berichterstatter, dem Abgeordneten Dr. Fritz , für seinen Schriftlichen Bericht.Ich rufe auf in zweiter Beratung Art. 1, — 2, — 3,— 4, — Einleitung und Überschrift. — Das Wort wird nicht gewünscht. Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe.— Es ist so beschlossen.Wir kommen zurdritten Beratung.Das Wort in der allgemeinen Aussprache wird nicht begehrt. Wer in der Schlußabstimmung dem Gesetzentwurf zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich vom Platz zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Keine Gegenstimmen. — Enthaltungen? — Auch keine Enthaltungen; einstimmig verabschiedet.Punkt 16 wird bis nach Schluß der Haushaltsberatungen zurückgestellt.Ich rufe auf Punkt 17 der Tagesordnung:Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu der Erklärung vom 12. November 1959 über den vorläufigen Beitritt Tunesiens zum Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommen ;Schriftlicher Bericht des Außenhandelsausschusses (Drucksache 2568)
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Ich danke dem Herrn Berichterstatter, dem Abgeordneten Werner, für seinen Schriftlichen Bericht.Ich rufe in zweiter Beratung auf Art. 1, — 2, — 3,— Einleitung und Überschrift. — Das Wort wird nicht gewünscht. Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Beschlossen!
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Vizepräsident Dr. Jaeger Ich komme zurdritten Beratung.Das Wort in der allgemeinen Aussprache wird nicht begehrt. Wer dem Gesetzentwurf als Ganzem zuzustimmen wünscht, den muß ich bitten, sich zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Keine Gegenstimmen! Enthaltungen? — Auch keine Enthaltungen! Einstimmig angenommen!Ich rufe auf Punkt 20 der Tagesordnung:Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 16. Februar 1960 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Vereinigten Arabischen Republik über den Luftverkehr ; Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Verkehr, Post- und Fernmeldewesen (23. Ausschuß) (Drucksache 2603)
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Ich danke dem Herrn Berichterstatter, dem Abgeordneten Cramer, für seinen Schriftlichen Bericht.Ich rufe in zweiter Beratung auf Art. 1 und 2 sowie Einleitung und Überschrift. — Das Wort wird nicht gewünscht. Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Es ist so beschlossen.Wir kommen zurdritten Beratung.Das Wort in der allgemeinen Aussprache wird nicht begehrt. Wer dem Gesetzentwurf als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Keine Gegenstimmen! Enthaltungen? — Keine Enthaltungen! Einstimmig angenommen.Wir kommen zu Punkt 21 der Tagesordnung:Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 28. April 1960 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Spanien über den Luftverkehr ;Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Verkehr, Post- und Fernmeldewesen (Drucksache 2604)
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Ich danke dem Herrn Berichterstatter, dem Abgeordneten Baur , für seinen Schriftlichen Bericht.Ich rufe in zweiter Beratung auf Art. 1 und 2, Einleitung und Überschrift. — Das Wort wird nicht gewünscht. Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Es ist so beschlossen.Wir kommen zurdritten Beratung.Das Wort in der allgemeinen Aussprache wird nicht begehrt. Wer dem Gesetzentwurf als Ganzem zuzustimmen wünscht, den muß ich wiederum bitten, sich zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Keine Gegenstimmen, keine Enthaltungen! Einstimmig angenommen.Ich rufe auf Punkt 22 der Tagesordnung:Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 20. Juli 1960 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Pakistan über den Luftverkehr ;Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Verkehr, Post- und Fernmeldewesen (Drucksache 2605)
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Ich danke dem Herrn Berichterstatter, dem Abgeordneten Eisenmann, für seinen Schriftlichen Bericht.Ich rufe auf in zweiter Beratung Art. 1 und 2, Einleitung und Überschrift. — Das Wort wird nicht gewünscht. Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Es ist so beschlossen.Ich komme zurdritten Beratung.Das Wort in der allgemeinen Aussprache wird nicht begehrt. Wer dem Gesetzentwurf als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Ein kleiner Ersatz für den ausgefallenen Frühsport!
Ich bitte um die Gegenprobe. — Keine Gegenstimmen! Enthaltungen? — Auch keine Enthaltungen! Einstimmig angenommen.Ich rufe auf Punkt 23 der Tagesordnung:Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Durchführung einer Straßenverkehrsunfallstatistik (Drucksache 2310) ;Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Verkehr, Post- und Fernmeldewesen (Drucksache 2606)
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Ich danke dem Herrn Berichterstatter, dem Abgeordneten Schulze-Pellengahr, für seinen Schriftlichen Bericht.Ich rufe auf in zweiter Beratung Art. 1, — 2, —3, — 4, — 5, — Einleitung und Überschrift. — Das Wort wird nicht begehrt. Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe! — Es ist so beschlossen.
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Vizepräsident Dr. Jaeger Ich komme zurdritten Beratung.Das Wort in der allgemeinen Aussprache wird nicht gewünscht. Wer dem Gesetzentwurf als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Keine Gegenstimmen! — Enthaltungen? — Keine Enthaltungen! Einstimmig angenommen.Ich rufe auf Punkt 25 der Tagesordnung:Beratung des Schriftlichen Berichts des Ausschusses für Verkehr, Post- und Fernmeldewesen über den Antrag der Abgeordneten Brück, Rösing, Lermer, Mengelkamp und Fraktion der CDU/CSU betr. Erhöhung der Verkehrssicherheit (Drucksachen 1471, 2551).Ich danke dem Herrn Berichterstatter, dem Abgeordneten Eisenmann, für seinen Schriftlichen Bericht. Wird das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall.Wer dem Antrag des Ausschusses zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? — Auch keine Enthaltungen. Einstimmig angenommen.Ich rufe auf Punkt 26:Beratung des Schriftlichen Berichts des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten über den Antrag der Abgeordneten Dr. Meyer (Frankfurt), Dr. Zimmer und Genossen betr. Konferenzen europäischer Fachminister (Drucksachen 2290, 2555).Ich danke dem Berichterstatter, dem Abgeordneten Mattick, für seinen Schriftlichen Bericht. — Das Wort wird nicht gewünscht.Wer dem Antrag des Ausschusses zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? — Keine Enthaltungen. Einstimmig angenommen.Ich rufe auf Punkt 27:Beratung des Mündlichen Berichts des Haushaltsausschusses über den Antrag des Bundesministers der Finanzen betr. Veräußerung des bundeseigenen Grundstücks der ehemaligen Infanteriekaserne in Mülheim (Ruhr) an die Stadt Mülheim (Drucksachen 2441, 2567).Der Berichterstatter ist der Abgeordnete Windelen. Ich erteile ihm das Wort. — Ich nehme an, das Haus verzichtet auf den mündlichen Bericht. — Das Wort wird nicht gewünscht.Wer dem Antrag des Ausschusses zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? — Auch keine Enthaltungen. Einstimmig angenommen.Ich rufe auf Punkt 28:Beratung des Schriftlichen Berichts des Außenhandelsausschusses über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf einer Sechsundzwanzigsten Verordnung über Zolltarifänderungen zur Durchführung des Gemeinsamen Marktes der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (Wälzlagerstahl usw. — 1. Halbjahr 1961) (Drucksachen 2411, 2569).Ich danke dem Berichterstatter, dem Abgeordneten Bäumer, für seinen Schriftlichen Bericht. — Das Wort wird nicht gewünscht.Wer gemäß dem Antrag des Ausschusses dem Verordnungsentwurf unverändert zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? — Auch keine Enthaltungen. Einstimmig beschlossen.Ich rufe auf Punkt 29 der Tagesordnung:Beratung des Antrags des Bundesministers der Finanzen betr. Veräußerung eines Teils der ehem. Artillerie-Kaserne in GöttingenWeende an das Ev. Krankenhaus GöttingenWeende e. V. und an das Diakonissenmutterhaus „Ariel" e. V. .Auf Begründung und Aussprache wird verzichtet. Ich schlage Ihnen Überweisung an den Haushaltsausschuß vor. — Widerspruch erfolgt nicht; es ist so beschlossen.Ich rufe auf den letzten dieser Punkte:Beratung des Antrags der Abgeordneten Seither, Corterier, Erler, Frau Herklotz, Rimmelspacher und Genossen betr. Bundesmittel für die durch die Blauschimmelkrankheit geschädigten Tabakbaubetriebe .Auf Begründung und Aussprache wird verzichtet. Ich schlage Ihnen Überweisung an den Haushaltsausschuß — federführend — und an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zur Mitberatung vor. — Widerspruch erfolgt nicht; es ist so beschlossen.Wir kommen dann noch zu Punkt 3 der alten Tagesordnung:Beratung der Sammelübersicht 33 des Ausschusses für Petitionen über Anträge von Ausschüssen des Deutschen Bundestages zu Petitionen (Drucksache 2572).Das Wort wird nicht begehrt. Wer dem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? — Auch keine Enthaltungen. Einstimmig verabschiedet.Meine Damen und Herren, nunmehr können wir uns der Hauptaufgabe des heutigen Tages zuwenden, die allerdings mehr Ihre rednerischen Fähigkeiten beansprucht als die Notwendigkeit, sich bei
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Vizepräsident Dr. JaegerAbstimmungen zu erheben, nämlich der Haushaltsberatung:Fortsetzung der zweiten Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Rechnungsjahr 1961 (Drucksachen 2050, 2300) .Berichte des Haushaltsausschusses .Welcher Haushalt wird jetzt als erster beraten? —
— Sie wünschen offenbar:Einzelplan 24 — Geschäftsbereich des Bundesministers für wirtschaftlichen Besitz des Bundes .Berichterstatter ist der Abgeordnete Windelen. — Er ist offensichtlich nicht da. — Das Hohe Haus verzichtet auf den Bericht. Wird das Wort in der Aussprache gewünscht? — Das ist auch nicht der Fall. Änderungsanträge liegen nicht vor.Ich lasse in der zweiten Beratung über den Haushalt des Bundesministers für wirtschaftlichen Besitz des Bundes, Einzelplan 24, abstimmen. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Ohne Enthaltungen gegen die Stimmen der sozialdemokratischen Abgeordneten mit Mehrheit beschlossen.Wir kommen nunmehr zum Einzelplan 25 — Geschäftsbereich des Bundesministers für Wohnungs-bau —.
- Es wird gewünscht, zuerst den Einzelplan 26— Geschäftsbereich des Bundesministers für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte — zu nehmen.
Offenbar allgemeiner Wunsch.
— Vielleicht ist es möglich, daß sich die Fraktionen friedlich verständigen.
— Bitte sehr, ich biete Ihnen dazu Gelegenheit.
— Sie kommen doch zu meinem ersten Vorschlag zurück, der Reihe nach vorzugehen.Wir kommen zumEinzelplan 25 — Geschäftsbereich des Bundesministers für Wohnungsbau .Berichterstatter ist der Abgeordnete Heiland.
Herr Abgeordneter Heiland scheint auch nicht anwesend zu sein. Das Haus verzichtet auch hier auf den mündlichen Bericht.Ich eröffne die Aussprache. Herr Abgeordneter Dr. Brecht!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die SPD-Fraktion wird zum Haushalt des Wohnungsbauministers wie jedes Jahr einige Änderungsanträge stellen, die sich aus der Kritik an der Wohnungspolitik des Wohnungsbauministers ergehen. Sie beziehen sich auf die Deckung der Wohnungsbauprämien und auf die Versorgung der jungen Familien, der Normalverbraucher und ebenso der Evakuierten mit Wohnungen. Namentlich die beiden ersten Gruppen, die jungen Familien und die Normalverbraucher, sind unseres Erachtens bei den bisherigen Maßnahmen des Wohnungsbauministers und insbesondere in dieser erbarmungslosen Mühle der Bevorrechtigungen und Begünstigungen zu kurz gekommen. Meine Freunde werden die beiden Anträge nachher noch im einzelnen kurz begründen; ich darf vielleicht einige allgemeine Bemerkungen zur Tätigkeit des Wohnungsbauministeriums und zur Wohnungspolitik vorbringen.Damit nachher in der Diskussion uns niemand in den allgemeinen Redensarten entgegenhält, wir seien gegen den Wohnungsbau, darf ich vorweg folgendes sagen:Auch wir begrüßen und erkennen an, daß im vergangenen Jahr wieder rund 573 000 neue Wohnungen — einschließlich Westberlin — bezugsfertig erstellt worden sind. Auch wir erkennen an, daß in den vergangenen Jahren rund 51/2 Millionen Wohnungen, darunter rund 3 Millionen soziale Wohnungen, geschaffen worden sind. Auch wir freuen uns und begrüßen es, daß wir Anfang dieses Jahres etwa 465 000 Überhangswohnungen haben, die in diesem Jahr fertiggestellt werden können. Wir sind auch überzeugt, daß — und wir begrüßen auch dies — in der Zahl der fertiggestellten Wohnungen wieder ein beachtlicher Anteil von Kleinsiedlerstellen und Eigenheimen enthalten ist.Um es erneut und eindringlich nochmals zu sagen: wir kritisieren eine wohnungspolitische Maßnahme des Wohnungsbauministers nicht immer deshalb, weil es sich um Einfamilienhäuser handelt, sondern nur dann, wenn es sich um eine außerordentliche Sonderbegünstigung handelt und um eine Vernachlässigung der übrigen Bevölkerungskreise, die weder das Geld noch die Mittel haben oder die nicht den Willen haben, sich ein Eigenheim zu schaffen. Wir sind durchaus für eine paritätische Förderung des Eigenheimbaues nach Maßgabe des tatsächlichen realisierbaren Bedarfs und an den dafür geeigneten Bau- und Wohnorten.Wir möchten aber eines zu diesen Ergebnissen vorweg betonen, da wir annehmen, daß wir nachher von dem Herrn Wohnungsbauminister eine vollkommen druckreife und plakatreife Darstellung der Wohnungsbauleistungen der vergangenen Jahre als Grundlage für die künftigen Wahlreden erhalten werden. Wir sehen im Unterschied zum Wohnungs-
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Dr. Brechtbauminister und seiner Pressestelle diese Wohnungsbauleistung des Jahres 1960 als das Produkt einer Gemeinschaftsleistung an und nicht nur als das Ergebnis der Wohnungspolitik des Ministeriums und des Wohnungsbauministers. Wir halten es für überheblich, wenn immer so getan wird, als ob nur die CDU oder nur die Regierungsparteien dieses Wohnungsbauergebnis erreicht hätten.
Das ist so falsch und so überheblich wie das, was der Herr Bundestagsabgeordnete Dr. Jaeger am ersten Tag dieser Haushaltsdebatte hier in den Saal gerufen hat: „Wir" — nämlich die CDU und die Regierung „haben den Wiederaufbau und den Wohnungsbau in die Wege geleitet". Auch die Länder und vor allem die so oft hier kritisierten Gemeinden sowie alle Gruppen von Bauherren, auch die gestern von dem Herrn Wohnungsbauminister so scharf attakierten gemeinwirtschaftlichen und nicht erwerbswirtschaftlich tätigen Baugenossenschaften und gemeinnützigen Wohnungsunternehmen, haben zu diesem Ergebnis beigetragen.
Wir sollten uns, glaube ich, auch gemeinsam darüber freuen, daß es den vereinten Anstrengungen gelungen ist, die drohende Gefahr, die zweifellos im vergangenen Jahr angesichts der Diskontpolitik der Bundesbank für den Wohnungsbau vorhanden war, zu überwinden; so konnten wir die Finanzierung des Wohnungsbaues 1961 unter besseren Aspekten beginnen.Wir glauben, daß auch der Wohnungsbauminister und seine manchmal etwas voreilige und auch liebedienerisch übereifrige Pressestelle die Tatsache, daß es sich um eine gemeinsame Leistung aller handelt, anerkennen und herausstellen sollte.Aber trotz des Ergebnisses des Wohnungsbaues im Jahre 1960 haben wir auf einiges Bedenkliche und unseres Erachtens völlig Unbefriedigende in der wohnungspolitischen Situation hinzuweisen. Ich sehe dabei ganz davon ab, auf einige Details von Internas des Wohnungsbauministeriums einzugehen, etwa auf das Verhalten gegenüber den wissenschaftlichen Beiräten oder das Durcheinander bei den Untersuchungen und Forschungen und der Bekanntgabe der Forschungen; wegen dieses Komplexes haben wir schon einmal eine Kleine Anfrage an das Ministerium gerichtet. Wir haben darauf auch eine Antwort bekommen, haben aber nicht feststellen können, daß die Dinge inzwischen wesentlich besser geworden sind. Ich möchte demgegenüber nur einige grundsätzliche Dinge herausheben.Das erste ist folgendes! Der noch nicht gedeckte Bedarf an Wohnungen darf sicherlich nicht hochgeredet werden. Aber die fortgesetzte Verniedlichung und Verharmlosung der wichtigen Frage, wieviel Wohnungen notwendig sind, bis der Bedarf gedeckt ist, ist einfach nicht mehr erträglich.
Niemand bestreitet die großen Ergebnisse. Aber es ist einfach falsch und sozial unreal, nur eine ministeriell zurechtgemachte Statistik mit einem möglichst niedrigen Wohnungsbedarf aufzuziehen und die amtliche Wohnungstatistik, mit der in der gesetzlich festgelegten Weise errechnet wird, wie hoch das Wohnungsdefizit ist, einfach deshalb nicht gelten zu lassen, weil sie einem nicht in den Kram paßt. Die wesentlich exaktere Statistik des Statistischen Bundesamtes hat den größeren Aussagewert. Die Rechthaberei gegenüber dieser amtlichen Statistik ist kein Ruhmesblatt; sie ist sogar sehr gefährlich, wenn sie dazu führt, daß auf falschen Grundlagen wohnungspolitische Maßnahmen aufgebaut werden.
Der Wohnungsbauminister weiß, daß es neben dem Bedarf zur Deckung des Wohnungsdefizits einen menschlich, sozial und wohnungspolitisch ebenso dringlichen und unaufschiebbaren weiteren Bedarf gibt, den man nicht als Wohlstandsbedarf bezeichnen kann. In der Zahl der ermittelten Wohnungen und unter den statistisch gezählten Wohnungen befinden sich Hunderttausende von Behausungen, die nicht einmal diesen Namen verdienen, geschweige denn auf die Dauer als Wohnungen für Familien und Personen angesehen werden dürfen.
Die illusionäre Angabe, wir brauchten nur noch zwei oder drei Jahre im bisherigen Umfang Wohnungen zu bauen, dann wären die Wohnungsnot und das Wohnungselend überall beseitigt, entspricht nicht den Tatsachen. Das ist eine Verharmlosung der gestellten sozialen Aufgabe. Wir müssen dieser immer wieder vorgebrachten irrigen These entgegentreten, nicht weil wir die Not möglichst lange erhalten wollen, sondern weil durch sie die finanzielle Bereitschaft, auch außerhalb der Maßnahmen der Wohnungspolitik gegen die Wohnungsnot anzugehen, und die innere Einstellung, der Wohnungsnot zu begegnen, geschwächt werden. Die beim Wohnungsbauminister üblich gewordene Verniedlichung dieses Problems ist gefährlich und wird von uns wegen der unsozialen Wirkungen abgelehnt.
— Würden Sie das noch einmal deutlicher sagen!
— Ich habe ja vorhin gesagt — Sie haben nicht zugehört, Sie haben gerade gelesen —, man darf selbstverständlich den Bedarf nicht hinaufreden. Aber die statistisch ermittelten Bedarfszahlen des Statistischen Bundesamtes sind doch zunächst einmal — das müßten auch Sie zugeben — eine reale Grundlage. Zu diesen Zahlen des Statistischen Bundesamtes, Herr Dr. Vogel, muß man nun noch den weiteren Bedarf hinzurechnen, der sich aus der teilweisen schlechten Qualität unseres Wohnungsbestandes ergibt. Sie können ja nachher einiges dazu sagen.
In diesem verbliebenen Rest Wohnungsnot sitzt der harte Kern, der viel schwerer aufzubrechen
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Dr. Brechtund aufzulösen ist als alles, was bisher auf dem Gebiete der Wohnungsversorgung getan werden mußte. Bei diesem harten Kern ist es eben nicht damit getan, daß nur besser ausgestattete Wohnungen, etwa im steuerbegünstigten Wohnungsbau mit Mieten von 3 DM, 4 DM oder darüber hinaus je Quadratmeter Wohnfläche oder im öffentlich geförderten Wohnungsbau mit Mieten von 2 DM bis 2,50 DM, gefördert werden. Hier genügt es auch nicht, das System der Mietbeihilfen zu proklamieren und die objektbezogenen zinsgünstigen Darlehen oder die Aufwendungsbeihilfen so schnell wie möglich einzustellen. Das aber wird leider vom Wohnungsbauminister und seinem Ministerium immer wieder als das große Allheilmittel verkündet. In einem Ländererlaß von Schleswig-Holstein vom 10. Februar ist jetzt sogar feierlich als das Prinzip der Bundeswohnungspolitik erklärt worden.Wir warnen vor diesen einseitigen Wegen. Wir sind nicht der Meinung, daß nur der eine Weg der Kapitalförderung oder nur der Weg der Aufwendungsbeihilfen gegangen werden muß, sondern meinen, daß alle Wege beschritten werden sollten.
— Warum hat dann Ihre Fraktion einen neuen Gesetzesantrag vorgelegt, mit dem sie selber erklärt,daß sie mit Ihrem System eben nicht zufrieden ist.
— Ich mußte auf diese etwas merkwürdige und der Sache nicht gemäße Zwischenfrage eine Antwort geben.
— Ach, die Kritik brauchen wir nicht krampfhaft zu suchen. Warten Sie einmal ab, Herr Kollege Baier!Für die Bevölkerungskreise mit besserem Einkommen mögen diese Ausweichsysteme durchaus angebracht sein. Aber für die sozial vordringlichen Fälle, die Menschen mit den ganz geringen Einkommen, um die es sich bei dem harten Restkern handelt, sind diese Methoden in ihrer Ausschließlichkeit nicht anwendbar. Der soziale Wohnungsbau mit billigen Mieten ist vordringlich, nicht der gehobene oder der ideologisch hochgetriebene Zusatzbedarf für die bereits wohnlich gut Versorgten. Das Wohnungsbauministerium sollte in den nächsten Wochen einmal darüber nachdenken, daß jetzt schon jedes Jahr viele, viele Millionen öffentlicher Mittel nicht zur Beseitigung der Wohnungsnot der wenig verdienenden Bevölkerungskreise und für echte Sozialwohnungen gegeben werden, sondern für den gehobenen Wohnungsbedarf und für die zusätzliche Verbesserung eines bereits gedeckten Bedarfs. Wir Sozialdemokraten würden die öffentlichen Mittel zu allererst für die Beseitigung der schlimmsten und der schwersten sozialen Mißstände verwenden.
Erst wenn diese beseitigt wären, würden wir darangehen, den Abbau der hierzu getroffenen Maßnahmen einzuleiten.Wir fordern deshalb in unseren Anträgen erneut, daß wenigstens in diesem Jahre noch die 300 Millionen DM nicht dem sozialen Wohnungsbau entzogen und für die Wohnungsbauprämien abgezweigt werden. Wir müßten eigentlich beantragen, daß auch die Degression eingestellt wird.
Wir mußten beantragen, daß die Mittel für den SBZ-Wohnungsbau erhöht werden; denn die Ansätze für den SBZ-Wohnungsbau sind zweifellos in diesem Jahre angesichts des verstärkten Zustroms von Flüchtlingen zu gering. Aber wir verzichten auf solche Anträge, weil wir wissen, daß Sie sie ja doch ablehnen, und weil wir hoffen, daß Sie wenigstens einen einzigen Antrag, diesen Antrag, die Ungerechtigkeiten bei den Wohnungsbauprämien jetzt zu beseitigen, annehmen werden.
Ich möchte noch ein etwas kritisches Wort — das meiner Ansicht nach etwas nachdenklich stimmen sollte — zu den inneren Widersprüchen sagen, die sich allmählich in der Wohnunasbauförderung mit öffentlichen Mitteln herausgebildet haben. Wir haben einerseits eine Gruppe der Förderung mit öffentlichen Darlehen, Aufwendungszuschüssen usw., und wir haben andererseits die öffentliche Förderung durch Steuervergünstigungen, insbesondere die großen Steuervergünstigungen über § 7 b. Wir erleben nun, daß fortgesetzt proklamiert wird: Die Förderungsmaßnahmen auf Grund von Darlehen und Zuschüssen sollen abgebaut werden. Aber der Herr Wohnungsbauminister hat an mehreren Stellen erklärt: Auch wenn diese Maßnahmen abgebaut sind, muß die Steuervergünstigung im Rahmen des § 7 b nach wie vor erhalten bleiben. Das ist ein Widerspruch in sich und etwas, was zu einer unsozialen Gestaltung führt.Hinzu kommt die zweite Gegensätzlichkeit. Die Darlehen, die Zinszuschüsse, die Mietbeihilfen und auch die Grundsteuervergünstigung werden ausschließlich gewährt, um den letzten Wohnungskonsumenten, den Mieter, zu begünstigen. Bei den Förderungsmaßnahmen, die der Herr Wohnungsbauminister im Rahmen des § 7 b dauernd beibehalten will, die er nicht abbauen will, werden Vergünstigungen in gleich hoher Art gewährt, aber nicht zugunsten der Mieter, sondern nur zugunsten der Grundstückseigentümer, d. h. praktisch derjenigen, die bereits über ein erhebliches Vermögen oder Einkommen verfügen. Ihnen werden noch zusätzliche Steuergeschenke gegeben, ohne daß sie verpflichtet sind, diese Vorteile wieder an die Mieterschaft weiterzugeben. Daraus ergibt sich unseres Erachtens allmählich ein Zustand der inneren Gegensätzlichkeit und eine unsoziale Situation über die einmal sehr ernsthaft nachgedacht und geredet werden muß.Lassen Sie mich gerade an dieser Stelle ein paar Worte einschalten zu dem, was gestern in der Frage-
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Dr. Brechtstunde auf Fragen zu den zwei Sachgebieten geantwortet worden ist. Es war die Frage nach dem Vermögenszuwachs der Wohnungsbaugesellschaften gestellt worden. Der Herr Wohnungsbauminister hatte dann ausflüchtend, wie er meistens auf solche Anfragen antwortet, gesagt: Es gebe darüber kein Material; es gebe nur Material über die gemeinnützigen Wohnungsbaugesellschaften. Damit hatte er die glänzende Möglichkeit, gegen diese Gesellschaften, die bei ihm nun gar nicht beliebt sind, einiges zu sagen. Wenn es wahr wäre, Herr Minister, daß Ihr Ministerium kein Material über die Vermögensbildung und Vermögensentwicklung bei den Wohnungsbaugesellschaften erwerbswirtschaftlicher Art oder bei den großen privaten Bauherrn besitzt, dann haben Sie ein Versäumnis zu verantworten.
Denn über diese Grundsatzfrage hätte wirklich das entsprechende Material in Ihrem Ministerium längst gesammelt werden sollen. Sie geben für alle möglichen nötigen und unnötigen Forschungszwecke Hunderttausende aus. Erst recht hätte dann eine solche vordringliche wohnungspolitische Frage wie die der Vermögensbildung bei den nicht gemeinnützigen Gesellschaften bearbeitet werden müssen.
Aber das, was Sie gestern gesagt haben, nämlich daß es kein Material darüber gibt, ist ja gar nicht wahr. Ich darf Sie einmal auf das dreibändige Werk „Die Konzentration in der Wirtschaft" in den „Schriften des Vereins für Sozialpolitik", Band 20, verweisen, in dem erhebliches Material auch zu dieser Frage enthalten ist. Ein Ministerium wie das Ihre, ,das über einen so großen Apparat verfügt, müßte dieses Material eigentlich kennen.
Wenn Sie aber ernsthaft an die Frage herangingen, wie dieser Vermögenszuwachs erfaßt werden soll, wäre es notwendig, auch die tatsächlichen Sachverhalte zu nennen. Dann kann man nicht einfach nur sagen: soundso viel Bauwerte sind geschaffen worden. Herr Minister, Sie wissen doch sehr genau, daß diesen Bauwerten zu mindestens rund 80 bis 90 % Fremdschulden, also Darlehen gegenüberstehen. Man kann also nicht so tun, als ob diese Bauwerte Vermögen und Vermögenszuwachs wären.
Wenn Sie jetzt an die Privatisierung der gemeinwirtschaftlichen Teile der Wohnungsversorgung herangehen wollen, dann seien Sie sich darüber klar, daß Sie dann das bekämpfen, was Sie bei der Erarbeitung Ihres Lücke-Plans immer wieder als die großen Vorteile herausgestellt haben. Damals haben Sie immer gesagt, diese Wohnungsbestände seien notwendig, um einen Druck und einen Einfluß auf die Gestaltung der Mietpreise auszuüben. Wenn Sie sie privatisieren und von der gemeinwirtschaftlichen Bindung, unter der sie jetzt stehen, der erwerbswirtschaftlichen Gewinnerzielung überschreiben — das wäre der Inhalt dieser Privatisierung —, dann tun Sie genau das Gegenteil dessen, was Sie seinerzeit bei Ihrem Mietenplan erklärt haben.Seien Sie sich auch darüber klar, daß eine solche Maßnahme gegen alle Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit verstößt,
gegen den Grundsatz vom Schutz des Eigentums im Grundgesetz und gegen die elementaren Grundsätze einer Marktwirtschaft, in der es jedem Unternehmen möglich ist, sich im Rahmen bestehender Gesetze zu entfalten, sich auszudehnen und sich zu entwickeln.
Warum soll das dann beim gemeinwirtschaftlichen Sektor der Wohnungsversorgung nicht der Fall sein?Wir sind uns sicherlich über eines einig. Marktwirtschaft ist nicht gleich einer reinen Erwerbswirtschaft,
vielmehr gibt es neben dem erwerbswirtschaftlichen Sektor in der Marktwirtschaft auf allen Gebieten stets auch den gemeinwirtschaftlichen Sektor. Ich weiß nicht, weshalb Sie als Vertreter der Marktwirtschaft jetzt plötzlich den gemeinwirtschaftlichen Sektor innerhalb der Marktwirtschaft minderwertiger behandeln wollen als den erwerbswirtschaftlichen Sektor.
Ich möchte aber noch eines sagen. Die FDP geht nun — das können Sie als erfreulich zur Kenntnis nehmen, Herr Minister — Ihren Ideen der Privatisierung der Wohnungsbaugesellschaften noch weit voraus. Herr D r. Mende hat ja angekündigt, daß die FDP einen Gesetzentwurf über die entsprechenden Eingriffe bei den Wohnungsbaugenossenschaften einbringen will. Die FDP möchte also geradezu noch die 1,2 Millionen Familien, die sich aus ihrem kleinen Einkommen heraus Anteile an Unternehmen erspart haben, irgendwie in den Griff bekommen oder ihnen diese Anteile wegnehmen, und das alles zur selben Zeit, in der über Volksaktien, Volksobligationen und über Vermögensbildung in Arbeiterhand gesprochen wird. Das alles sind doch Gegensätze und unausgereifte Thesen, die man meines Erachtens in einer Fragestunde nicht einfach über den Tisch sagen darf. Diese Probleme darf man vielmehr nur vorbringen, Herr Minister, nachdem eine sorgfältige Untersuchung stattgefunden hat.
— Das glaube ich allerdings auch, da muß ich Ihnen vollkommen recht geben.
Der Herr Finanzminister hat schon vor zwei Jahren in einer Haushaltsrede groß angekündigt — er sprach damals von sieben Sonderprogrammen —, daß die zahlreichen Sonderprogramme zusammengefaßt und vereinheitlicht werden sollten. Sie haben das dann mehrfach bestätigt, Herr Minister, und
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Dr. Brechtauf verschiedene Anfragen auch immer gesagt: Jawohl, es kommt. Ich gebe durchaus zu, in einer einzigen Maßnahme ist eine Vergünstigung gekommen, nämlich beim Wohnungstausch und bei der Erstbelegung, aber nicht bei der Zuteilung und bei der Bewirtschaftung der Mittel in den einzelnen Töpfchen, Es wird dann immer gesagt: Ja, das soll demnächst kommen, oder: Das wird anders gemacht usw. Tatsächlich ist auf diesem Gebiet nichts geschehen und nichts erreicht worden.Je mehr wir uns aber dem Abbau und der Minderung der öffentlichen Mittel nähern, um so dringender und wichtiger ist es doch, daß die restlichen Mittel, die noch vorhanden sind, konzentriert werden, konzentriert werden auf die einzig vordringliche Aufgabe, die zu lösen ist, nämlich die, den Ärmsten und den Geduldigsten in bezug auf die Wohnungsversorgung endlich auch zu einer Wohnung zu verhelfen, zu der Wohnung, die die anderen, die mehr Einkommen und höhere Mittel haben, schon bekommen haben.
Ich meine, das wäre eine der dringendsten Aufgaben, die Ihr Ministerium beim nächsten Haushalt wirklich einmal zu bewältigen hätte. Denn sehen Sie sich den vorliegenden Haushalt an! Das ist doch eine einzige Aufsplitterung auf Teilmaßnahmen und Einzelmaßnahmen, wie man sie sich stärker nicht denken kann. Das setzt sich fort bis zur Aufteilung der Mittel aus den Rückflüssen in der Zusammenstellung zum Haushalt, und das setzt sich fort bis zur Zersplitterung und Verteilung der Mittel für Forschungszwecke, Untersuchungszwecke und dergleichen. Hier ist wirklich einmal eine durchgreifende Konzentration notwendig; denn die Zersplitterung, die Sie jetzt haben, fördert nur die Zahl der Beamten und die verwaltungswirtschaftliche Methode, sie dient aber nicht dem eigentlichen Kern der großen Aufgabe.Dabei gibt es ein Spezialgebiet — ich will es kurz anschneiden —, die öffentlichen Bürgschaften. Wir haben in einer Fragestunde auch da einmal ganz konkret gefragt, wie es damit stünde. Sie haben uns vertröstet und erklärt, das komme in Kürze. So geschieht es immer und ist es auch hier wieder geschehen. Entweder wird man vertröstet auf Erwägungen, oder es kommt nach einiger Zeit irgendeine Presseerklärung — um die Dinge wenigstens platonisch weiterzubringen —, die besagt: Jetzt ist das und das und das geschehen. Aber praktisch kommen die Dinge nicht weiter. Auch hier müßte man glauben, daß endlich einmal ein Fortschritt erzielt werden kann. Denn je mehr man in der Wohnungsbaufinanzierung von den alten Methoden auf die Wohnungsbaufinanzierung und die Methoden der modernen Marktwirtschaft übergeht, desto mehr brauchen wir das Instrument der öffentlichen Bürgschaft zur zusätzlichen Aufnahme von Kapitalmarktmitteln.Wir wissen sehr wohl, daß das von Ihnen allein nicht gemacht werden kann, sondern nur im Zusammenwirken mit den Ländern. Aber Sie haben doch in der Rückbürgschaft des Bundes den Drücker in der Hand. Sie brauchen auf dem Gebiete nicht zubefürchten, daß die Bundesregierung etwa wieder einen Prozeß in Karlsruhe bekommen wird und ihn wieder verliert, denn hier ist durchaus ein Zusammenwirken möglich.Solche praktischen Aufgaben und Lösungen erscheinen uns sehr viel richtiger und notwendiger, als daß Ihr Ministerium jetzt schon etwa darauf trainiert wird, hochfliegenden Tauben nachzujagen, aus dem jetzigen Ministerium zur Überwindung der Wohnungsnot ein Ministerium für Städtebau und Raumordnung zu machen. Es ist sicherlich falsch, heute dafür schon Stellenpläne aufzustellen. Denn ob und wie das geschehen wird, wird ja erst der Kanzler entscheiden, der nach der nächsten Bundestagswahl das Bundeskabinett bildet.
Sie wissen sicher auch schon, daß dieser Kanzler eine sehr klare und konkrete Vorstellung davon hat, daß Wohnungsbauförderung, Städtebau, Raumordnung und Mietenpolitik aufeinanderabgestimmt und in ein in sich zusammengehöriges System gebracht werden müssen und auch von einer Konzeption getragen sein müssen.Ich möchte nur glauben, daß es historisch falsch ist, in einer beweihräuchernden Presseerklärung darzulegen, daß das alles erst in einer abendlichen Übereinstimmung mit dem derzeitigen Bundeskanzler erfunden sei und daß da zum erstenmal entdeckt worden sei, daß Städtebau und Wohnungsbau eine Einheit bilden müßten und mit der Raumordnung zusammengehörten.Herr Minister, lassen Sie einmal im Archiv Ihres Ministeriums nachforschen! Dort wird Ihnen bestätigt werden, daß das in den in wohnungsbaupolitischer und 'städtebaulicher Hinsicht sehr, sehr fruchtbaren Jahren der Weimarer Zeit von 1925 bis 1930 schon eine Selbstverständlichkeit war, was da vor kurzem in einer Presseerklärung des Ministeriums als fulminante neue Weisheit verkündet worden ist.Im übrigen warne ich sehr eindringlich davor, in diesem Zusammenhang allzu oft und zu betont das Wort von der Raumordnung in den Mund zu nehmen. Sie wäre dringend notwendig gewesen, seitdem die CDU die Regierung gebildet hat. Die Regierung hat seit 1949 die Möglichkeit gehabt, diese Raumordnung zu schaffen. Sie hat es nicht getan. Bei uns gibt es eine Raumordnung nur als Wort, vielleicht noch als ein theoretisierendes Mauerblümchen, aber eben nicht als eine wirksam gemachte Institution. Wir hätten in der Bundesrepublik viele Hunderte Millionen besser investiert, wenn wir seit 1950 eine wirksame Raumordnung hätten. Sie haben die ganze Zeit die politische Macht in den Händen gehabt, und Sie konnten zur Raumordnung kommen. Sie haben es aber nicht getan. Statt dessen wird in der Bundesrepublik mit dem so schönen und schillernden Wort „Raumordnung" immer dann operiert, wenn man nicht mehr weiter weiß oder wenn man Illusionen anleuchten will oder wenn viele Mängel und Fehler verdeckt werden sollen.
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Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Baier?
Einen Augenblick! Ich darf diesen Gedanken noch zu Ende führen.
Mit dem Wort der Raumordnung, das eine notwendige und wichtige Sache anspricht, wird Mißbrauch getrieben. Sie dürfen das nicht tun, Herr Minister, denn im Ernstfall werden auch Sie, wie fast alle Ihre Kollegen im Bundeskabinett und in der Regierungspartei, die Raumordnung wieder verleugnen, weil sie ja ein Stück planender Volkswirtschaft ist.
Nun bitte, Herr Baier!
Herr Kollege Dr. Brecht, meinen Sie nicht auch, daß die Raumordnung primär eine Aufgabe der Länder ist, und glauben Sie etwa, daß in den Ländern, wo Ihre Partei seit einem Jahrzehnt an der Regierung ist, mehr an Raumordnung getan wurde?
Wir müssen auch hier — Herr Minister Strauß hat das gestern so schön gesagt — „terminologische Sauberkeit" einführen, nämlich auch in bezug auf den Begriff der Raumordnung. Seien wir uns darüber klar, daß er das Übergeordnete betrifft, das über die Ordnungsmaßnahmen der Länder hinausgeht.
— Ja, nach unten muß es sie auch geben. Sie können aber sicher sein, daß gerade in einer Reihe von Ländern, in denen die Sozialdemokraten maßgebend sind
- z. B. in Hamburg —,
eine ganze Reihe von raumordnerischen Maßnahmen getroffen werden.
— Es bestehen enge Vereinbarungen zwischen Hamburg und Schleswig-Holstein bis hin zur Wohnungsbauförderung am Rande von Schleswig-Holstein oder am Rande von Hamburg, mit Hamburger Mitteln!
Gestatten Sie eine Zwischenfrage? — Bitte, Herr Abgeordneter!
Herr Kollege Dr. Brecht, haben Sie die Möglichkeit, im Hinblick auf die Zwischenfrage des CDU-Kollegen im Rahmen Ihrer Ausführungen auf die Leistungen auf dem Gebiet der Raumordnung einzugehen, die in den letzten zehn Jahren in Hessen vollbracht warden sind?
Das Beispiel ist zweifellos richtig. Ich bin sehr dankbar, daß darauf hingewiesen wird, daß in Hessen solche Ordnungsmaßnahmen auf Landesebene durchgeführt worden sind. Aber wir wollen uns hier nicht in eine Debatte über Raumordnung verlieren.
— Aber nicht in den Details!
Ich habe eine grundsätzliche Bemerkung im Zusammenhang damit gemacht, daß vor kurzem eine Presseerklärung herausgekommen ist, wonach der Herr Minister in einem Gespräch mit dem Herrn Bundeskanzler im Rahmen einer Fernsehstunde im Februar 1961 erstmals entdeckt hat, daß Städtebau, Wohnungsbau und Raumordnung zusammengehören. Das habe ich kritisiert.Damit hängt nun sehr eng zusammen, was wir auf Grund unserer Großen Anfrage vorn 22. Februar über die fortgesetzte Steigerung der Bodenpreise, den Bodenwucher und die Bodenspekulation diskutiert haben, Wir wollten Sie dabei dazu bringen, daß die Regierung und die Regierungsparteien mit uns gegen dieses Übel vorgehen und mit anderen Maßnahmen einschreiten als denjenigen, die im Bundesbaugesetz stehen und die wir nicht für wirksam genug halten. Ich will nichts von dieser Debatte wiederholen. Die Feststellungen, die wir in jener Debatte getroffen haben, sind nachträglich bestätigt worden, und zwar nicht nur von der, sagen wir mal, noch freien Presse, der selbständigen Presse, sondern auch von den Sozialausschüssen der christlich-demokratischen Arbeitnehmerschaft, und zwar selbst von denjenigen Abgeordneten und Delegierten, die hier im Hause noch der Verharmlosung und Bagatellisierung des Bodenproblems zugestimmt hatten. Dabei wurde sogar unsere Forderung, den unverdienten Wertzuwachs, die Bodengewinne abzuschöpfen, als wirksames Gegenmittel anerkannt. Wir bestreiten die Verdienste um das Zustandekommen der planungsrechtlichen und der bodenordnerischen Bestimmungen im Bundesbaugesetz in keiner Weise. Wir haben dabei konstruktiv mitgearbeitet. Unsere Wege gingen auseinander, und sie mußten scharf auseinandergehen, als der Herr Minister, entgegen seinen früheren Erkenntnissen und Einsichten, die allein wirksame Maßnahme der Wertausgleichsabgabe oder eine ähnliche Form der Besteuerung des Vermögenszuwachses aus Bodengewinn gegen das klägliche Linsengericht der Baulandsteuer schmählich verkaufte.
Deshalb müssen Sie sich jetzt die Feststellung gefallen lassen, daß die Bundesregierung und das Wohnungsbauministerium mit ihrer Politik gegen die Bodenspekulation nichts Wirksames getan haben, daß sie sie nicht unmöglich gemacht und nicht verhindert haben. Sie haben auch nicht ausgeschlossen, daß die Baulandpreise seit Jahren unentwegt ansteigen und daß sie auch nach Verkündung des Bundesbaugesetzes weiter gestiegen sind, sogar erheblich gestiegen sind, daß sie sogar über die Schwarzmarktpreise hinausgegangen sind. Es ist auch nichts Wirksames dagegen unternommen wor-
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8688 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 152. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. März 1961
Dr. Brechtden, daß sich diese gefahrdrohende Situation künftig auch noch verschärft und verstärkt und daß die Bodenpreise weiter steigen werden.Sie bringen jetzt das Angebot der Baulandbereitstellung aus Bundesbesitz. Wir haben dies begrüßt. Der Vorschlag ist sogar zuerst von uns gemacht worden; Sie haben ihn dann als Ihre Initiative aufgegriffen und herausgestellt. Aber jetzt erleben wir bereits, daß nach dem Beschluß im Haushaltsausschuß bei dieser Sache schon wieder versucht wird, das Parlament auszuschalten. Im Haushaltsausschuß ist beschlossen worden, bei der Aufstellung der Richtlinien für diese Maßnahmen auch den Haushaltsausschuß einzuschalten. Kaum war der Beschluß gefaßt, schon kam der CDU/CSU-Änderungsantrag, wonach auf die Mitwirkung des Haushaltsausschusses bei der Aufstellung dieser doch wirklich bedeutsamen Richtlinien verzichtet werden soll. Sie können es uns nicht verargen, wenn wir dann die Zweifel und Bedenken nicht aufgeben können, daß Sie doch sehr geheimnisvoll mit dieser Maßnahme versuchen, eine oder einige ganz bestimmte Organisationen monopolistisch oder oligopolistisch zu bevorzugen.Wir lassen uns auf keinen Fall, auch nicht durch diese Maßnahmen, aber auch nicht durch die üblich gewordene Bagatellisierung des Problems, wie sie in der letzten Debatte betrieben wurde, einschläfern und durch die Verniedlichung und Verharmlosung beruhigen. Wir werden die Anklage der Bodenpreissteigerung immer wieder vorbringen, bis endlich wirksame Maßnahmen gegen Bodenspekulationen und gegen Bodenwucher zum Schutze des Wohnungsbaues, des Eigenheimbaues und der Bausparer durchgeführt werden.
Herr Abgeordneter Brecht, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Fritz ?
Bitte sehr!
Herr Dr. Brecht, ich bin ebenfalls der Meinung, daß die Bodenpreise nicht zu sehr in die Höhe getrieben werden sollten. Aber verwechseln wir da nicht etwas, wenn wir auf der einen Seite meinetwegen 30 oder 40 DM für den Quadratmeter Bauland als zu hoch betrachten und auf der anderen Seite bereit sind, für einen Kunststoffboden auch 35 DM auszugeben? Der Kunststoffboden ist womöglich nach 10 Jahren futsch, und der andere Boden wird dableiben, wenn die Welt nicht untergeht.
Ich halte dieses Argument für eines der schlechtesten. Folgt man dem Vergleich mit dem, was durch die Baustoffproduktion als Bodenbelag geschaffen werden kann, dann kann man morgen sagen: „Wunderbar, jetzt werden wir die Bodenpreise steigern, denn wir bauen die Geschichte nicht mehr auf dem Bodenbelag, den Sie für 35 DM errichten, sondern auf einem Perserteppich für 1000 DM". Dann haben Sie wieder die Bodenpreissteigerung, je nachdem wie der verwendete Untergrund ist. Das war also ein schlechtes Beispiel.Ich will es mir versagen, schon an dieser Stelle neue und alte Kritik zu den Sachverhalten vorzubringen, die den sogenannten Lücke-Plan und seine Durchführung betreffen; das muß einer besser dafür geeigneten Zeit vorbehalten bleiben.Es ist für uns eine ganz winzige Genugtuung, daß jetzt endlich die so zähen und sterilen Tabus aufgelockert werden, die der Wohnungsbauminister bisher unerbittlich um das Zweite Wohnungsbaugesetz gelegt hat. Es ist erfreulich, daß anscheinend gegen Ende dieser Legislaturperiode doch noch die Einsicht durchgedrungen ist, daß z. B. jetzt endlich einem Antrag entsprochen werden sollte, den wir seit 4 Jahren wiederholt in diesem Hause gestellt und eingehend begründet haben, einen Änderungsantrag zum Zweiten Wohnungsbaugesetz über die Einkommengrenzen, den wir aus wohnungspolitischen Gründen für gerechtfertigt hielten.Es ist für uns auch noch eine gewisse Freude, hier feststellen zu können, daß Sie, meine Damen und Herren, hinsichtlich des Lücke-Plans auf die Dauer doch nicht ganz unbelehrbar sind und daß jetzt — nach knapp einem Jahr — schon zwei wesentliche Änderungen, die wir schon vor einem Jahr in den Beratungen beantragt haben, in einem Änderungsgesetz verwirklicht werden sollen, nämlich im Mietbeihilfengesetz. Danach sollen Mietbeihilfen auch bei Wegfall von Grundsteuervergünstigungen und für alle Kategorien des sozialen Wohnungsbaus nach dem Zweiten Wohnungsbaugesetz gegeben werden.Diese beiden wesentlichen Änderungen sind zweifellos ein Positivum, das wir durchaus herausstellen wollen. Wenn Sie noch länger Wohnungsbauminister wären, Herr Minister, würde uns das sogar noch zu großen Hoffnungen berechtigen.
Ich will an dieser Stelle auch nichts mehr über die sozialen Auswirkungen der zurückliegenden Mieterhöhungen sagen, obwohl ich glaube, daß man nicht in der teilweise leichtfertigen Art über die Dinge hinweggehen kann, wie das erst kürzlich in einer Betrachtung im Deutschland-Union-Dienst geschehen ist.
Wir sind mit unserer damaligen Konzeption gegen den Wohnungsbauminister unterlegen. Wir wollten die Mieten immer an die nachgewiesenen Kosten binden und nicht darüber hinaus steigen lassen. Wie gesagt, damit sind wir unterlegen, die wirtschaftlichen Fakten sind nun eben da. Aber die Umschaltung im Konsum von jetzt nahezu einer Milliarde innerhalb eines Jahres ist ein Vorgang, der wirtschaftspolitisch nicht gleichgültig ist und nicht einfach so leicht hingenommen werden kann.Auch die Mietsteigerung von 14 bis 15 % ist — ganz im Unterschied zu der Auffassung, die im DUD vertreten worden ist — von erheblichem Gewicht; sie berührt die Lebenshaltung und die sonstigen Bedürfnisse der Bevölkerung erheblich, besonders wenn es sich um Bezieher von Einkommen von 300,
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Dr. Brecht400 oder 500 DM handelt. Selbstverständlich machen14 % oder 15 % Mietsteigerung nicht viel aus,wenn Sie ein Einkommen von 1000 DM und mehrzugrunde legen. Aber man sollte sich endlich einmal abgewöhnen, immer nur an die Bevölkerungsschichten mit höherem Einkommen zu denken, ohnezu berücksichtigen, daß es auch Bevölkerungsschichten mit wesentlich geringerem Einkommen gibt, fürdie eben auch eine solche Mieterhöhung zu Bucheschlägt, auch wenn sie jetzt zum Teil bereits verkraftet ist.Sie müssen im übrigen noch folgendes bedenken: Zum 1. April 1961 kommt jetzt für rund 400 000 Wohnungen eine weitere Mieterhöhung von 13 bis15 %; es sind wieder Sozialwohnungen. Am 1. Januar 1962 folgt für rund 600 000 in der Zwischenkriegszeit gebaute Wohnungen eine weitere Mietsteigerung von rund 3,5 bis 4 % und am 1. April 1962 wieder eine Erhöhung um rund 15 % für 400 000 Sozialwohnungen usw., usw. Mit dieser Entwicklung müsesn wir rechnen. Aber ich will, wie ich schon gesagt habe, jetzt darüber keine Einzelheiten mehr vorbringen; man wird vielleicht an anderer Stelle darüber sprechen müssen.Wir wollten hier die weitergehenden Auswirkungen des Lücke-Gesetzes behandeln; deshalb möchte ich noch auf eines hinweisen. Herr Minister, wir haben bisher von Ihnen, von Ihrem Ministerium und von Ihrer sonst so rührigen Pressestelle kein klares, scharfes und eindeutiges Wort gehört gegen die fortgesetzten, sich ständig vermehrenden illegalen Mieterhöhungen, gegen die Mieterhöhungen für Bruchbuden und ähnliche Objekte und gegen die Mieterhöhungen über die gesetzlich festgelegten Grenzen hinaus. Sie wissen, daß deswegen viele Prozesse schweben. Sie kennen auch die ständigen Klagen in ,der Tagespresse, z. B. auch im „Bild", die durch Einzelfälle sehr trefflich belegt sind. Es werden Hunderttausende Mark zur Aufklärung ausgegeben, oft unnötigerweise wie z. B. für die „Lücke-Fibel", für die sogar über eine Million ausgegeben wurde; aber es wird nichts Wirksames an Aufklärung gegen diese illegalen Mieterhöhungen, gegen die Mieterhöhungen für Bruchbuden und sonstige unzulängliche Behausungen getan. Das zu tun wäre viel besser und auch notwendiger als die Herausgabe von allen möglichen Traktätchen und Broschüren zur Wohnungsbaupolitik. Mit diesen unkontrollierten Mieterhöhungen wird sehr, sehr viel soziales Gift gestreut. Sie müssen etwas dagegen tun, weil dieses soziale Gift dann die Atmosphäre nach 1962 und 1963, wenn Sie in die wirkliche marktwirtschaftliche Freiheit kommen, noch mehr vergiftet.Wie oft haben wir in diesem Hause schon auf den um sich greifenden und immer frecher werdenden Mietwucher in seinen verschiedenen Formen hingewiesen! Entweder ist dann der im sozialen Bereich manchmal nur mangelhaft informierten Bundesregierung darüber nichts bekannt, wie auf eine Anfrage geantwortet wurde, oder wir werden auf demnächstige Erwägungen vertröstet.
— Die Lücke-Fibel enthält eben keine Informationen, die gegen den Mietwucher ausgenutzt werden können, da sie überhaupt wirkungslos geblieben ist und bleiben mußte, weil die Konzeption falsch ist, weil sie nicht richtig angelegt ist.
— Wenn sie zweckmäßig und sinnvoll sind und richtig gezielt werden und wir dabei mitwirken, — durchaus einverstanden!
Gerade gegen den Mietwucher muß neben Aufklärung noch ein sicherer Schutz eingeführt werden; das würde sogar dem Lücke-Gesetz manche unsoziale Härten nehmen. Das ist viel, viel wichtiger als die Vorverlegung von Terminen, wann die Wohnraumbewirtschaftung oder der Mieterschutz aufgehoben werden sollen. Der Mietwucher und die illegalen Mietpreiserhöhungen, Herr Minister, sitzen ganz nahe, beinahe geschwisterlich nahe, vereint mit dem Bodenwucher und der Bodenspekulation. Deshalb müssen beide Dinge, weil sie sich gegenseitig dauernd treiben, bekämpft werden.Lassen Sie mich zu der gestrigen Fragestunde noch etwas einschalten. In der Fragestunde ist ja ein zweiter Sachverhalt angeschnitten worden, nämlich hinsichtich der Mietverhältnisse in Wohnungen des sozialen Wohnungsbaus solcher Personen, deren Einkommen inzwischen größer geworden ist, als es den Grenzen des sozialen Wohnungsbaus entspricht. Herr Bayer hatte schon am 22. Februar in der wohnungspolitischen Debatte eine merkwürdige Andeutung zu diesem Punkt gemacht, daß hier Zwangsmaßnahmen vorgesehen sind. In dem offiziellen Protokoll hat er seine Aussagen etwas geändert und gemildert, was ich ihm durchaus zugestehe. Aber nun ist die Absicht gestern auf die dringenden Fragen des Abgeordneten Erler herausgekommen! Der Minister hat gesagt, er würde dabei bis zu einer Verfassungsänderung gehen. Ich gebe Ihnen zu, Herr Minister, hier liegt ein ernstes und schwieriges Problem vor, wie hier vorgegangen werden muß. Ich will Ihnen nur sagen: heute können Sie es so, wie Sie es gestern über den Tisch hinweg erklärt haben, nicht mehr lösen. Im 2. Bundestag, noch im Jahre 1955, hat die SPD einen Gesetzentwurf zum Zweiten Wohnungsbaugesetz vorgelegt. In diesem Gesetzentwurf ist dieses Problem behandelt worden. Damals wurde von uns ein sehr konstruktiver Vorschlag gemacht, wie man hier vorgehen könnte. Aber bei Ihrem unergründlichen Haß gegen alles, was von der SPD vorgeschlagen wird,
haben Sie natürlich auch diesen Vorschlag einfach auf die Seite gelegt und nicht berücksichtigt. Heute könnten Sie froh sein, wenn Sie ihn damals berücksichtigt hätten.
— Dann sagen Sie dafür „unergründliche Gegnerschaft"; ich bin gern bereit, es zu mildern.8690 Deutscher Bundestag — 3, Wahlperiode — 152. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. März 1961Dr. BrechtHerr Minister, heute bestehen Mietverträge, es bestehen sogar Dauermietverträge, bestehen Dauernutzungsrechte. Sie können unter unserer geltenden Rechtsordnung nicht einfach in bestehende privatrechtliche Mietverträge, die aus solchen Gründen nicht kündbar sind, eingreifen und willkürlich etwa diese Leute heraussetzen, herausklagen oder herausbringen. Sie bringen ja neue Unruhe in die Mietverhältnisse hinein. Wenn man gleichzeitig den Mieterschutz aufheben will, müßte heute bereits überlegt werden, ob man nicht einen neuen Mieterschutz gegen solche geplanten Maßnahmen wieder einzurichten hat. Ich möchte Sie jetzt schon warnen, diese Wege zu gehen, und Sie bitten, das, was Sie gestern so bis zur Absicht einer Verfassungsänderung über den Tisch hinweg gesagt haben, doch noch einmal sehr reiflich nach der rechtlichen, nach der gesetzestechnischen, auch nach der soziologischen und nach der sozialen Seite hin zu überprüfen, bevor Sie mit solchen Maßnahmen weiterhin die Mieterschaft und die Nutzungsberechtigten draußen beunruhigen.Nun noch ein letzter Punkt! Bei den Mieterhöhungen, die auf Grund des besonderen Gesetzes Ihren Namen tragen, ist es ja nicht geblieben und bleibt es nicht. Wir haben schon damals in der Debatte um das Gesetz darauf hingewiesen. Die Entwicklung hat uns auch auf diesem Gebiet recht gegeben, wie bei den Bodenpreisen. Wir wollen dabei gar nicht von den legalen Mieterhöhungen sprechen, nicht einmal nur von den illegalen Mieterhöhungen, die ich vorhin angesprochen habe, sondern davon, daß dadurch und mit dem Lücke-Gesetz — bitte nicht juristisch, wie Ihr Staatssekretär immer meint, sondern wirtschaftlich! — eben ein allgemeiner Trend zu weiteren, und zwar erheblichen Mieterhöhungen in allen anderen Bereichen ausgelöst worden ist, in Bereichen, die gar nicht unter das Lücke-Gesetz oder unter das neue Mietengesetz fallen. Das geht Hand in Hand mit den fortgesetzten Bodenpreissteigerungen. Dieser Situation, auch diesem Zusammenwirken müssen Sie, wenn Sie sozial verantwortlich an Ihre Aufgabe herangehen, wirklich ein größeres Gewicht und eine größere Bedeutung beimessen, und Sie müssen ihm eine größere Beachtung schenken!Obwohl sich die Wohnungsversorgung angeblich — nach Ihren Statistiken sogar wesentlich — gebessert hat, steigen in letzter Zeit die Mieten für die im steuerbegünstigten und im frei finanzierten Wohnungsbau erstellten Wohnungen in einer ungewöhnlichen Weise. Dabei will ich einmal ganz von den Leistungen absehen, die daneben immer noch gefordert werden. Das gilt für die erstmalige Vermietung, das gilt aber ebenso, wenn eine steuerbegünstigte oder frei finanzierte Wohnung ein zweites Mal vermietet wird, bei der dann immer wieder diese unglaublich hohen Baukostenzuschüsse, praktisch versteckte Mieterhöhungen, gefordert werden. Das gilt zu einem großen Teil auch für Altwohnungen, bei denen heute Baukostenzuschüsse angeblich für Modernisierung und Instandhaltung, de facto in dieser Form für eine verschleierte Mieterhöhung, gefordert werden. Das ist ein allgemeiner Trend, derin dieser Entwicklung liegt. Mieten von 3 und 4 DM je Quadratmeter Wohnfläche sind leider längst auch im steuerbegünstigten Wohnungsbau selbstverständlich geworden, und wir kommen auf diesem Gebiet heute leider schon an Preise bis zu 5 und mehr DM je Quadratmeter heran. Auch im öffentlich geförderten Wohnungsbau wird ja niemand mehr schamrot oder verlegen, wenn etwa von Mietpreisen von 2,20, 2,50 oder 2,90 DM gesprochen wird. Bedenken Sie doch bitte einmal: vor wenigen Jahren standen wir im sozialen Wohnungsbau noch bei Mieten von 70 Pf.
— Die 5 DM können Sie in Köln, aber auch in Hamburg und in München feststellen.
— Für Wohnungen des sozialen Wohnungsbaus 2 DM, 2,50 DM, 2,90 DM!
— In Bremen haben wir — Sie werden es nicht glauben — bei den ganzen Wohnungen in der Vahr noch die alten Mietpreise des Ersten Wohnungsbaugesetzes.
— Es wurde in Bremen — bringen Sie doch das nicht! — nur darüber geredet, ob zu Ihrem System, zum CDU-System, ausschließlich mit den Mietbeihilfen übergegangen werden sollte, um dann bei den hohen Mieten zur Mietabdeckung durch Mietbeihilfen zu kommen. Aber das ist ja längst aufgegeben. Sie sollten solche Erwägungen, die irgendwo einmal angestellt worden sind und die längst nicht mehr diskutiert werden, nicht gleich als politisches Faktum in die Welt setzen.
— Ich weiß hier nun sehr genau Bescheid; denn ich selber habe ihnen diese These ausgeredet und mich darum bemüht, daß es anders gemacht wird, in Form eines Mischsystems.Aber vergleichen Sie doch bitte einmal die heutigen Mieten im sozialen Wohnungsbau, die 2,20, 2,50 und 2,90 DM betragen, mit den Mieten etwa der Jahre 1950 bis 1953, in denen 70 Pf, 1 DM, oder 1,10 DM als Obergrenze galten!Nach alledem ergibt sich — —
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Krammig?
Bitte sehr!
Herr Abgeordneter Krammig!
Herr Kollege Dr. Brecht, Sie sprachen soeben davon, daß man in Bremen die Mietbeihilfen und alles, was damit zusammenhängt,
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Krammigaufgegeben habe. Ist Ihnen denn nicht bekannt, daß die Regierungsfraktion in Bremen zur Zeit ein Zweites Gesetz zur Behebung der Wohnungsnot im Lande Bremen beraten, in dem das alles vorgesehen ist?
Ich habe nicht gesagt, daß man in Bremen die Mietbeihilfen aufgibt. Um es ganz klar zu sagen: Bremen hatte einmal erwogen, ob es im Sinne der CDU-Vorschläge von der Kapitalförderung und der Aufwendungsbeihilfenförderung abgehen und reine Kostenmieten ohne diese Förderung berechnen und die Verbilligung dann nur durch Mietbeihilfen herbeiführen sollte. Das hätte dazu geführt, daß Mieten von 3,20 DM herausgekommen wären. Das ist in Bremen in den Beratungen um das Zweite Bremer Wohnungsbaugesetz, das ich selbstverständlich in allen Details sehr genau kenne, dann abgebogen worden. Jetzt soll ein Mischsystem eingeführt werden.
Aber ich bin gleich zu Ende, und Sie werden nachher noch sprechen können. Es geht doch hier gar nicht um diese Details, sondern es geht um die Grundsätze, um den Grundgedanken.
— Nehmen Sie den schleswig-holsteinischen Erlaß vom 10. Februar!
Das Entscheidende ist, daß durch das Lücke-Gesetz mit den legalen Steigerungen, verstärkt durch die zusätzlichen illegalen Mietsteigerungen und durch den weiteren Mietwucher ein allgemeiner Trend entwickelt worden ist, so daß auch im steuerbegünstigten und im frei finanzierten Wohnungsbau und überall dort, wo das Lücke-Gesetz gar nicht eingreift, erhebliche Mieterhöhungen sich durchgesetzt haben. Diese Entwicklung muß unseres Erachtens schärfer in Kontrolle genommen und berücksichtigt werden.
Diesen Preistrend für den Wohnkonsum dürfen Sie nicht isoliert sehen als etwas, was mit der ganzen Wirtschaftspolitik nichts zu tun habe. Dieser Trend ist mit ein Teil des allgemeinen Preistrends, der sich in unserer Volkswirtschaft heute leider weitgehend ständig nach oben bemerkbar macht. Gerade nach der D-Mark-Aufwertung muß jetzt auch von dieser Seite aus versucht werden, zu verhindern, daß die Preise ausbrechen und damit wieder soundso viele Vergünstigungen, die für die Sparer usw. aus der DM-Aufwertung herauskommen, hinfällig gemacht werden. Hier liegt doch ein echtes politisches Anliegen! Dabei ist es unwesentlich, ob das im einzelnen in Bremen oder anderswo dann so oder so gemacht worden ist.
Ich möchte noch darauf hinweisen, daß diese legalen Mieterhöhungen auch nicht dazu beigetragen haben, den Mietenwirrwarr und die Mietenverzerrung zu beenden. Die Spannungen zwischen den Mietpreisen für Wohnungen gleicher Art und Größe haben sich auch nicht verkleinert, was immer zur
Begründung der Lücke-Gesetze vorgebracht worden ist, sondern die Mietpreise klaffen noch viel weiter auseinander. Damit sind neue, gefährliche Spannungsverhältnisse auf diesem Preissektor eingetreten.
Lassen Sie mich abschließen. Eine solche Entwicklung, solche Pläne und Absichten, sowohl beim Bodenpreis wie beim Mietpreis die Dinge zu verniedlichen, zu verharmlosen und ihren Ernst und ihre Bedeutung nicht zu sehen, führen zu einer Wohnungspolitik, die wir ablehnen. Damit werden zwar in dem einen Sektor große private Vermögen nichtgemeinwirtschaftlicher Art mit riesigen Steuervorteilen begünstigt. In der sozialen Belastung und in den sozialen Gegensätzen werden aber trotz mancher mengenmäßigen Verbesserung der Wohnungsversorgung neue Unterschiede aufgerissen. Diese Wohnungspolitik sichert nicht, daß alle Familien und Personen wirklich gleichzeitig und alsbald gute Wohnungen bekommen. Wir lehnen deshalb diese Wohnungspolitik und ihre unvermeidlichen unsozialen Auswirkungen ab. Wir brauchen eine Wohnungspolitik — auf wirtschaftspolitischer Grundlage —, die, die soziale Sicherung und die Wohnungsversorgung aller Familien zu tragbaren Bedingungen im Rahmen eines neuzeitlichen Städtebaues gewährleistet.
Das Wort hat der Abgeordnete Mick.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte die Rede des Herrn Kollegen Brecht unter das Motto stellen: Und wenn die Welt voll Teufel wär, ich wollte sie bestehen. Denn was hier alles aufgezeigt worden ist, das kann nur unter ein solches Motto gestellt werden. Hier ist überall Teufelei am Werke, wenn der Herr Kollege Dr. Brecht auch so in einem kurzen Schlenker sagt, daß immerhin doch etwa geschehen ist. Dahinter kommt dann: aber, aber, aber.
Nun, Herr Kollege Dr. Brecht, wenn Sie gefochten hätten auf einen Punkt hin, dann hätte man hier ein Konzept haben können. Aber Sie haben ja so wild um sich gehauen, daß man überhaupt nicht weiß, gegen wen und gegen was Sie gefochten haben.
Verehrter Herr Kollege Dr. Brecht, wenn ich Grundstücksspekulant wäre, dann wäre ich Ihnen sehr dankbar, und wenn ich Geschäfte mit Wohnungen machen wollte, dann wäre ich Ihnen noch dankbarer; denn dann hätten Sie mir unendliche Dienste geleistet.
Wenn Sie z. B. hier erklären, Mietpreise von 3, 4, 5 DM pro Quadratmeter seien eine Selbstverständlichkeit, wenn das der Experte der SPD sagt, — wie wollen Sie dann noch einem verübeln, wenn diesen Beispielen des SPD-Wohnungsbauexperten gefolgt
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8692 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 152. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. März 1961
Mickwird und derartige Mietpreise als selbstverständlich genommen werden.
Herr Abgeordneter Dr. Brecht zu einer Zwischenfrage.
Darf ich fragen, Herr Abgeordneter Mick: habe ich denn diese Mietpreise proklamiert und erklärt, sie seien richtig und notwendig? Haben Sie denn nicht gehört, daß ich diese Entwicklung auf das schärfste kritisiert habe?
Herr Kollege Dr. Brecht, Sie haben diese Mietpreise als eine Selbstverständlichkeit in der Praxis bezeichnet;
das ist entscheidend; und was Sie als Selbstverständlichkeit bezeichnen, das hat natürlich die Chance, in die Praxis einzugehen.
Zu einer Zwischenfrage der Abgeordnete Börner.
Herr Kollege Mick, bestreiten Sie, daß die von Herrn Kollegen Dr. Brecht genannten Preise in zahlreichen Großstädten der Bundesrepublik schon gefordert und leider auch bezahlt werden?
Ich betrachte das als Auswüchse und nicht als Selbstverständlichkeit; darin liegt der Unterschied in unserer Auffassung.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sehen Sie, Herr Dr. Brecht, — —
— Bitte etwas lauter! Man versteht Sie nicht. Sie müssen lauter schreien. — Verehrter Herr Kollege Dr. Brecht, es hat sich noch nie jemand von uns die Feder an den Hut gesteckt, als wenn wir die Wohnungsbauleistungen der Bundesrepublik allein zuwege gebracht hätten. Allein, Herr Kollege Brecht, wenn man einmal Statistik darüber führen würde, wie oft Sie schon das Ende des sozialen Wohnungsbaues vorausgesagt haben, ich glaube, dann käme man immerhin auf ganz erkleckliche Zahlen.
Meine Damen und Herren, ich darf Sie doch um etwas Ruhe für den Redner bitten. Wir wollen ja mit den Haushaltsberatungen heute fertig werden.
Vor mir liegt ein Artikel des SPD-Pressedienstes vom 9. März: „Mal so, mal so." Das ist wohl so eine kleine Sache zwischen uns beiden, Herr Kollege Dr. Brecht. Aber mir scheint, daß man das, was Sie da geschrieben haben — ich werde darauf zurückkommen —, doch auch in Ihren eigenen Reihen mit Fragezeichen versieht. Ich habe hier gleichzeitig die Informationen der „Neuen Heimat". Dort nimmt man auf Ihren Artikel Bezug: „Spaltung der CDU in der Baulandpolitik"; aber dort setzt man ein Fragezeichen dahinter. Ich nehme an, Herr Kollege Dr. Brecht, daß selbst die „Neue Heimat" gemerkt hat, daß Sie hier etwas allzu polemisch geworden sind und nicht mehr, wie es nötig gewesen wäre, vor dem sachlichen Hintergrund geblieben sind.Ich habe schon bei der Baulanddebatte gesagt, es wird Ihnen nicht gelingen, uns in eine Situation hineinzumanövrieren, in der wir die Bodenpreise in ihrer nach der Beseitigung des Bodenpreisstopps zu einem großen Teil ungerechtfertigten Höhe als legal bezeichnen. Wir haben bis zum Überdruß festgestellt, daß jetzt sichtbar geworden ist, was vorher unter dem Tisch gemacht worden ist. Herr Kollege Dr. Brecht, mit dem, was Sie gesagt haben, können Sie mir also nicht imponieren.
Zunächst einmal muß das Ergebnis der getroffenen Maßnahmen abgewartet werden. Es ist hier in aller Offenheit ausgesprochen worden, daß die Maßnahmen verstärkt werden müssen, wenn sie sich als nicht genügend erweisen sollten.Ich freue mich immer, meine sehr verehrten Herren von der linken Opposition, daß Sie so eine besondere Liebe zu der christlich-demokratischen Arbeitnehmerschaft haben. Die Liebe ist hier im Hause wohl allgemein; denn auch die Rechte liebt uns, allerdings von einer ganz anderen Seite. Also wir haben immer beide Arme voll von Liebeserklärungen und sind deshalb besonders glücklich.
Herr Kollege Dr. Brecht, ich weiß nicht, von wem Sie Ihre Informationen über die Tagung der christlich-demokratischen Arbeitnehmerschaft in Königswinter haben. Ich würde an Ihrer Stelle den Informanten nochmals ansprechen und mich erkundigen, ob das alles stimmt, was er berichtet hat. Er muß nämlich gesagt haben, wir —die Arbeitnehmerabgeordneten dieses Hauses — verteidigten die These, daß es sich bei den gestiegenen Bodenpreisen um legalisierte Schwarzmarktpreise handele. Eine solche Wiedergabe, Herr Dr. Brecht, betrachte ich ganz schlicht und einfach als unwahr, das ist wider besseres Wissen gesagt.
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MickHerr Dr. Brecht, Sie haben mehrfach die gestrige Anfrage des Kollegen Müller-Hermann angezogen. Auch hier will ich Ihnen eine klare Antwort geben. Wir haben oft die Ehre, von ihnen auf das Ahlener-Programm angesprochen zu werden.
— Ich habe nicht gesagt, daß das heute der Fall gewesen sei, sondern ich habe gesagt: Wir haben oft die Ehre, von ihnen — „ihnen" diesmal kleingeschrieben — auf das Ahlener-Programm angesprochen zu werden. Wenn wir von ihnen — „ihnen" kleingeschrieben — auf das Ahlener-Programm angesprochen werden, dann wissen wir, daß wir auf die Sozialisierung angesprochen werden, obwohl das bei ihnen — Hannover hat es bestätigt — ein Ladenhüter geworden ist, der gegen den Willen derjenigen, die ihn noch in das Schaufenster legen wollten, unter der Theke verschwunden ist.
Wenn wir „Ahlen" sagen, dann meinen wir machtverteilendes Prinzip,
und das machtverteilende Prinzip, Herr Kollege Brecht, gilt für uns auch im Wohnungsbau.
Das machtverteilende Prinzip gilt auch da, wo Gesellschaften mit Hilfe öffentlicher Mittel Tausende von Wohnungen irgendwie in ihr Eigentum gebracht haben. Damit ist nichts gegen Formen der Gemeinwirtschaft im Wohnungsbau, etwa gegen Genossenschaften, die nach einem genossenschaftlichen Prinzip Wohnungen erstellen, gesagt. Ich möchte aber nicht, Herr Kollege Dr. Brecht, daß Sie der Vorkämpfer für Machtzusammenballung in der Wohnungswirtschaft sind, weil Sie sich jeder Erwägung des Problems der Machtverteilung von vornherein verschießen.
— Frau Kollegin Berger-Heise, wieso ausgerechnet? Nein, selbstverständlich, besonders im Wohnungsbau!
— Sie wissen, daß man seine Sorgen hat; Sorgen haben Sie, Sorgen haben wir. Wer in die Politik geht, der hat Sorgen; das ist ganz selbstverständlich.
Und nun weiter in diesem Spiel. Sie sprachen von den „Bruchbuden" und davon, daß für diese „Bruchbuden" Mieten verlangt werden, die nicht in Ordnung sind. Was können wir mehr tun, als eine entsprechende Bestimmung in das Gesetz aufzunehmen? Sie können mir glauben, Herr Kollege Brecht, daß ich überall dort, wo ich spreche — und das tue ich sehr häufig —, auf diesen „Bruchbuden-Paragraphen" aufmerksam mache. Das scheint mir wichtiger zu sein, als aus einer solchen Sache Kapital zu schlagen.Sie sagen, Sie verzichteten auf Anträge, weil Sie von vornherein wüßten, daß diese abgelehnt würden. Nun, Herr Kollege Brecht, das hängt ganz davon ab, wie solche Anträge aussehen. Es ist wohl eine Selbstverständlichkeit, daß wir uns von Ihnen und auf Grund Ihrer Anträge nicht eine Wohnungspolitik, die nicht die unsere ist, oktroyieren lassen, und die bisherige Bauleistung hat in jedem Jahr bewiesen, daß unsere Wohnungspolitik nicht gerade die schlechteste sein kann, sondern daß sie sich bewährt hat.Ich hätte auch erwartet, daß Sie für Ihre Ausführungen Quellen angeführt hätten, die etwas über den Kenntnissen von wohnwirtschaftlichen Gegebenheiten liegen, wie sie etwa „Bild" — das Sie nannten — besitzt. Man sollte auf solche Presseäußerungen nicht allzuviel geben.Sie sprachen davon, daß wir noch nicht zu dem einheitlichen Wohnungsbauprogramm gekommen sind. Gewiß, aber wir wissen doch alle, daß immer neue Probleme auf uns zukommen. Sollen wir etwa nichts gegen die Wohnungsnotstände bei unseren Verteidigungsstreitkräften tun? Sollen wir die Soldaten jahrelang von ihren Familien trennen, weil wir eine gemeinsame Wohnungspolitik betreiben wollen? Daß hier etwas Besonderes getan werden muß, das ist doch wohl klar, und wir werden es in Zukunft auch tun. Wir werden in Ausnutzung der uns gegebenen Möglichkeiten gezielte Hilfsmaßnahmen treffen. Wir werden aber nicht durch Mittel helfen, die nachher allen auf die Butterseite fallen und letzten Endes jedem zum Nachteil gereichen.Im übrigen bin ich froh, Herr Kollege Dr. Brecht, wenn wir uns wieder in das Verhandlungszimmer setzen können; denn dort werden die Dinge auch von Ihnen entschieden nüchterner und sachlicher behandelt, als das heute von diesem Katheder aus geschehen ist.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Will.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte die Diskussion auf den eigentlichen Anlaß, nämlich auf den Einzelplan 25, zurückführen und in die Polemik mit dem Herrn Kollegen Dr. Brecht nicht eingreifen, was nicht bedeutet, daß ich nicht nachher da und dort eine Anmerkung anbringen muß. Worauf es mir aber ankommt, ist, den Einzelplan 25 von einer unabhängigen Partei aus kritisch zu würdigen. Dazu ein besonderes Wort: die Freie Demokratische Partei rechnet sich nicht grundsätzlich zur Opposition, weder gegen die Regierungspartei noch gegen die SPD. Sie ist nicht in der Regierung, aber sie ist unabhängig in ihren Urteilen und in ihrer kritischen Würdigung. In diesem Sinne darf ich sachlich zu den Fragen Stellung nehmen.Wenn man einen öffentlichen Haushalt zu kritisieren hat, wird man zunächst immer davon ausgehen, ob er in seinem Gesamtumfang zu- oder ab-
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Dr. Willgenommen hat. Das gilt natürlich nicht nur für den Gesamthaushalt, sondern auch für den Einzelhaushalt, in diesem Fall für den Haushalt im Bereich des Herrn Wohnungsbauministers.Sicher kann man dabei von zwei verschiedenen Voraussetzungen ausgehen. Wer, wie ich, den liberalen Standpunkt vertritt, ist grundsätzlich der Meinung, daß der Haushalt möglichst klein sein soll, daß es möglichst wenig Staat geben soll, infolgedessen nur geringe Staatsaufgaben und damit auch geringere Staatsausgaben. Im Unterschied dazu ist die Partei, die dem Kollektivismus huldigt, der Meinung, daß ein möglichst großer Aufgabenbereich des Staates und damit ein möglichst umfangreicher Staatshaushalt nützlich und wünschenswert sei.Bei der Betrachtung des Einzelplans 25 wird man zunächst sagen müssen, daß er im letzten Jahr immerhin um eine Viertelmilliarde abgenommen hat, was bisher nicht ausdrücklich erwähnt worden ist. Diese Entwicklung ist vom liberalen Standpunkt aus durchaus zu begrüßen. Die Gesamtsumme ist, rund gerechnet, von etwa 13/4 Milliarden auf l 1/2 Milliarden zurückgegangen.
— Natürlich, aber ich spreche jetzt vom Haushalt des Bundes, der steht zur Diskussion. Selbstverständlich müssen die Mittel der Länder mit gewürdigt werden. Jedenfalls hat der Einzelplan 25 praktisch die erwähnte Minderung erfahren. Ich halte das für einen Vorteil.In dem gleichen Zeitraum sind die Einnahmen nach diesem Einzelplan 25 um rund 16 Millionen gestiegen. Der Betrag ist nicht so groß, daß es sich lohnen würde, darauf näher einzugehen.Ein Wort wäre vielleicht noch zu dem Personalstand zu sagen.. Wir wissen alle, daß er beinahe unverändert geblieben ist. Er hat sich von 312 auf 316 Stellen erhöht. Auch dieser Umstand sollte erwähnt werden. Ein solcher minimaler, man kann sagen: gleichbleibender Personalstand bei einem Ministerium von der Bedeutung des Wohnungsbauministeriums ist doch immerhin sehr beachtlich und kann uns auf allen Seiten des Hauses mit einiger Genugtuung erfüllen.Daß in der gleichen Zeit die Personalausgaben etwas gestiegen sind, hängt mit den Gehaltserhöhungen zusammen. Ich möchte sagen: das beruht auf höherer Gewalt. Auch darauf brauche ich nicht näher einzugehen. Einwendungen können praktisch nicht erhoben werden.Das gleiche gilt für die Sachausgaben. Damit wäre bereits das Kap. 25 01 eigentlich gewürdigt, und zwar in einer Form, die, bisher jedenfalls, von keinem Redner dieses Hauses hat angegriffen werden können.Etwas anderes ist es natürlich schon bei dem nächsten wichtigen Kapitel, dem Kap. 25 02. Bei den Allgemeinen Bewilligungen ist festzustellen, daß die Einnahmen aus den Tilgungen in den letztenJahren immerhin nicht unerheblich gestiegen sind, nämlich von 59 Millionen auf 75 Millionen und schließlich auf rund 88 Millionen, während eine solche Steigerung bei den Zinsen aus den Darlehen nicht zu verzeichnen ist. Sie sind in all diesen Jahren in der Höhe von etwa 23 Millionen DM effektiv gleichgeblieben. Das ist angesichts der ungeheuren Summen, die aus öffentlichen Mitteln für den Wohnungsbau gegeben worden sind, ein sehr bescheidener Betrag. Wir haben gestern vom Wohnungsbauminister gehört, daß für den Wohnungsbau aus öffentlichen Mitteln, wenn ich mich recht entsinne, 32 Milliarden DM aufgewendet worden sind. Das ist etwa ein Drittel dessen, was man überhaupt für den Wohnungsbau ausgegeben hat, nämlich über 100 Milliarden DM. Das ist eine Zahl, die man in der Öffentlichkeit nicht übersehen sollte. Wenn man zu diesen 32 Milliarden DM, die allerdings nur zur Hälfte aus Bundesmitteln kommen — das andere sind Länderaufwendungen —, die Verzinsung von nur 23 Millionen DM in Beziehung setzt, muß man sagen, daß das nur ein sehr bescheidener Betrag ist. Das ist ein Umstand, auf den man im Deutschen Bundestag in den nächsten Jahren wahrscheinlich noch sehr oft zurückkommen wird, nämlich dann, wenn es allmählich auf allen Seiten dieses Hauses als unerträglich angesehen wird, daß ein so großer Teil der Sozialwohnungen — auch bei den gemeinnützigen Gesellschaften — blockiert ist durch Mietparteien, denen eine Marktmiete durchaus, wenigstens in etwa, zugemutet werden kann. Ich glaube — ich brauche dafür wohl keine Beispiele zu bringen —, niemand wird es als gerecht empfinden, daß junge Familien in sehr bedrängter Lage vielleicht doppelt soviel an sozialer Miete aufbringen müssen wie andere, die inzwischen, seit sie diese Wohnungen bezogen haben, im Laufe von zehn Jahren ihr Einkommen vervielfacht haben und dennoch nur die alten Mietsätze zahlen.Es wird sich eine Auflockerung, ein Hinschmelzen dieses gewaltigen Blocks an Darlehen der öffentlichen Hand als erforderlich erweisen, was auf der anderen Seite natürlich dazu führen wird, daß dieser geringe Betrag von 23 Millionen an Zinsen sich entsprechend erhöhen wird, ein Ergebnis, das selbstverständlich wiederum einer Steigerung im Städtebau wird zugute kommen müssen; denn dafür soll ja letzten Endes der erhöhte Zinsertrag reserviert bleiben. Mit dieser Entwicklung werden wir also in den nächsten Jahren rechnen müssen.Unter den Ausgaben in Kap. 25 02 befinden sich einige Posten, die einer Betrachtung wert sind. Es handelt sich zunächst einmal bei Tit. 580, der uns allen bekannt ist, um die Summe der Aufwendungen, die der Bund zur Förderung des Wohnungsbaues gemäß § 18 des Zweiten Wohnungsbaugesetzes regelmäßig macht. Das ist der Betrag, der im Jahre 1957 ursprünglich noch 700 Millionen ausgemacht hat, der im Wege der Degression um 10 %, also jährlich 70 Millionen, abgenommen hat und infolgedessen im nächsten Jahr nur noch die Hälfte, nämlich 350 Millionen DM ausmachen wird. Im diesjährigen Haushalt beläuft sich der Ansatz noch auf 397 Millionen DM; dazu kommen 40 Millionen DM für Aufwendungszuschüsse und 50 Millionen DM für
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Dr. WillDarlehen an Länder mit überdurchschnittlicher Wohnungsbauprämienleistung.Bei diesem Tit. 580 in Verbindung mit Tit. 620 liegt nun in der Tat schon seit Jahren ein vordringliches und sehr wichtiges Änderungsbedürfnis vor. Ich darf annehmen, daß das weder der Regierungspartei noch der SPD entgangen ist, schon gar nicht der FDP. Ich meine die Vorschrift, daß gezahlte Wohnungsbauprämien über einen Sockelbetrag von 100 Millionen DM hinaus aus diesen Förderungsmitteln des Bundes entnommen werden müssen. Als wir diese Bestimmung vor Jahren schufen, konnte niemand voraussehen, welchen Umfang diese Wohnungsbauprämienleistung annehmen würde. Wir hören nun — ich habe mir die Zahlen aus dem Wohnungsbauministerium geben lassen —, daß für das abgelaufene Jahr mit etwa 450 Millionen DM für Wohnungsbauprämien zu rechnen ist. Daraus ergibt sich, daß praktisch, jedenfalls in absehbarer Zukunft, überhaupt die gesamten Förderungsmittel des Bundes allein hierfür aufgezehrt würden. In einigen Ländern, jedenfalls in Baden-Württemberg, ist das inzwischen schon eingetreten. Man hat da, soweit ich unterrichtet bin, schon Sondervereinbarungen treffen müssen, um die nicht vorgesehene Wirkung in etwa aufzufangen. Hier wird also eine grundsätzliche Änderung eintreten müssen.Die SPD hat in ihrem Änderungsantrag Umdruck 794 die Erhöhung des Sockelbetrages von 100 Millionen auf 400 Millionen DM vorgeschlagen. Das ist ein Anliegen, dem die Fraktion der Freien Demokraten mit großer Sympathie gegenübersteht, weil hier, wie ich schon sagte, eine Änderung unbedingt erforderlich ist.Aber wir möchten eigentlich darüber hinausgehen und einen Vorschlag machen, der überhaupt eine Bindung der Wohnungsbauprämien an die Förderungsmittel des Bundes ausschließt, so daß beides völlig voneinander getrennt ist. Ich glaube unterrichtet zu sein, daß solche Überlegungen auch schon bei der derzeitigen Regierung im Gange sind. Das ist allerdings, wie ich zugeben will, deshalb nicht ganz einfach, weil dann nicht mehr der Herr Wohnungsbauminister, sondern der Herr Bundesfinanzminister zuständig sein wird. Auf ihn wird dann diese halbe Milliarde — damit können wir etwa rechnen — zukommen. Wir können nur hoffen, daß angesichts der Dringlichkeit des Wohnungsbaus hier das genügende Verständnis bei dem Herrn Bundesfinanzminister der nächsten Regierung entweder vorhanden ist oder durch den Herrn Wohnungsbauminister bei ihm geweckt wird.Ich möchte nun noch einige grundsätzliche Bernerkungen über die vergangene und die künftige Finanzierung des Wohnungsbaues machen. Wir haben damit angefangen, und zwar mehr der Not gehorchend, daß wir den Wohnungsbau im wesentlichen aus öffentlichen Mitteln finanziert haben, weil es einen Kapitalmarkt einfach nicht gab und die Hypothekenbanken und auch die Kapitalsammelstellen nicht in der Lage waren, die ungeheuren Mittel aufzubringen, die in den ersten Jahren und in der Folge erforderlich gewesen sind, um die dringendste Wohnungsnot zu beseitigen.Diese Situation hat sich erfreulicherweise etwas geändert. Die öffentlichen Mittel werden in zunehmendem Maße nicht mehr unmittelbar als Kapitalzuteilung an die Bauträger gegeben, sondern sie können nun schon im sogenannten Mischverfahren herausgelegt werden, d. h. sie können als Aufwendungszuschüsse zur Zinsverbilligung verwendet werden, in einer Form, in der das Kapital anderweitig vom Kapitalmarkt besorgt wird.Es würde zu weit gehen, zu behaupten, daß die Wirkung der öffentlichen Mittel auf diese Weise verzwanzigfacht würde, weil 5 % etwa ein Zwanzigstel vom vollen Darlehnsbetrag sind. So ist es natürlich nicht. Aber wir haben durch das gemischte Verfahren doch wesentliche Fortschritte erreicht. Diese Möglichkeit ist schon im Zweiten Wohnungsbaugesetz vorgesehen, und man hat davon Gebrauch gemacht.Ich habe mich dafür interessiert, welche Wirkung diese Änderung bisher gehabt hat. Man hat mir Zahlen gegeben, die ich hier vortragen will. Im Rechnungsjahr 1959 mußten immerhin noch 62 %, also zwei Drittel, der öffentlichen Mittel, jedenfalls des Bundes, in dieser Kapitalform herausgegeben werden, während der Anteil im Jahre 1960, wie ich in der Notiz hier lese, die ich bekommen habe, 27 %, also etwa ein Viertel, betragen hat, so daß also drei Viertel der Finanzierung des Wohnungsbaus, soweit der Bund in Frage kommt, nicht in der Form der Hingabe von Darlehen, sondern in Form der Zinsverbilligung erfolgt ist. Das ist eine Entwicklung, die man als erstaunlich und auf alle Fälle — sicher auf allen Seiten — erfreulich bezeichnen darf, weil der Wirkungsgrad der öffentlichen Mittel auf diese Weise so sehr vervielfältigt werden kann.Das ist noch nicht der letzte Abschnitt, und da komme ich auf ein Kapitel, das vom Herrn Kollegen Brecht in etwa berührt worden ist. Natürlich werden wir im Zuge der Weiterentwicklung der Wohnungsbauwirtschaft in eine soziale Marktwirtschaft dahin kommen, daß sich der Neubau von Wohnungen rentabel gestalten, sich in sich selber tragen muß. Die Entwicklung wird dahin führen, daß nur dort, wo durch die Marktmiete eine nach unserem Urteil unerträgliche Belastung eintritt, eine entsprechende Entlastung der Mietparteien Platz greift, wie das ja bereits in der Verordnung vom 30. Dezember und auch in der neuen Vorlage der CDU vorgesehen ist. Die Regelung sieht so aus, daß nur ein bestimmter Betrag des Einkommens — maximal 20 %, bestenfalls 7 % — für Wohnungsmiete ausgegeben werden muß und daß für alle Mieter ein Rechtsanspruch darauf besteht, von dem darüber hinausgehenden Mietbetrag entlastet zu werden. Die Durchführung dieser Regelung liegt noch einiger Ferne; sie ist sicherlich nicht in den allernächsten Jahren zu erwarten. Aber wir werden dahin kommen — und es kann ja auch nicht anders sein —, daß die Wohnungswirtschaft in derselben Weise behandelt wird, wie das auch sonst in der sozialen Marktwirtschaft üblich ist. Die soziale Intervention des Staates wird sich also darauf beschränken, überall dort, wo die Belastung durch die Miete als untragbar angesehen
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Dr. Will) wird, eine Entlastung der Mietparteien durch Beihilfen vorzunehmen.Nun sind wir noch lange nicht über den Berg; das hat Herr Kollege Brecht mit Recht gesagt. Es ist nicht so, daß wir nun schon alle Schwierigkeiten überwunden hätten. Aber wir wissen doch, daß dieser Berg in naher Zukunft wird erklommen werden können. Zu Beginn des Jahres war ein Überhang von 470 000 Wohnungen vorhanden. Zusammen mit den inzwischen genehmigten Neubauten ergibt sich ein Bauvolumen von weit über 600 000 Wohnungen. Das ist ein Quantum, das nicht mehr durch Schwierigkeiten bei der Beschaffung des Baubodens oder bei der Finanzierung beeinträchtigt werden kann. Also selbst wenn von heute an keine Neubauten mehr genehmigt würden, dürften wir für 1%1 mit einem Bauvolumen rechnen, das mindestens dem der letzten Jahre entspricht.Herr Kollege Brecht — ich muß seinen Namen noch einmal nennen; ich tue es überall da, wo ich ihn besonders loben kann — hat mit Recht darauf hingewiesen, daß diese Bauleistung ein Verdienst des ganzen Hauses ist. Auch die Regierungspartei hat niemals bestritten, daß im Ausschuß, in dem ja aus naheliegenden Gründen ein viel freundlicheres Klima als hier im Plenum herrscht, in nicht wenigen Fällen den Vorschlägen der SPD gefolgt worden ist und daß sie infolgedessen an diesem Ergebnis mitgewirkt hat. Das wird ihr von der CDU und ganz besonders auch von meiner Fraktion gegönnt und wird anerkannt.Nun liegen aber die eigentlichen Schwierigkeiten auf einem anderen Gebiet als dem der Baubodenbeschaffung. Sicher, auch die Erhöhung der Bodenpreise — wir haben uns darüber vor kurzem ausführlich unterhalten — ist ein sehr ernstes Problem, dessen Tragweite auch wir Freien Demokraten durchaus nicht übersehen, ein Problem, zu dem ich im Augenblick nicht sprechen möchte. Aber die eigentlichen Schwierigkeiten liegen doch woanders, nämlich in der unaufhörlichen Kostensteigerung für Bauleistungen, wie wir sie in der letzten Zeit gehabt haben. Seit dem Erlaß des Zweiten Wohnungsbaugesetzes haben sich die Kosten für eine Durchschnittswohnung beinahe verdoppelt. Sie betragen nach den Unterlagen, die uns zur Verfügung stehen, zur Zeit nahezu 30 000 DM, während sie vor zehn Jahren bei 13- oder 14 000 DM gelegen haben. Das ist natürlich nicht, wie ich ausdrücklich betonen möchte, allein eine Folge der Kostensteigerung, sondern natürlich auch des Umstandes, daß die Wohnflächen erheblich größer geworden sind, daß die Ausstattungen besser sind und daß weitere ähnliche Verbesserungen des Wohnungsbaus eingetreten sind.
Aber im ganzen bleibt es eben doch dabei, daß die Kostensteigerung gerade auch in den letzten beiden Jahren sehr stark gewesen ist, und zwar so stark, daß gerade im Eigenheimbau die Schwierigkeiten, zum Erfolg zu kommen — das gilt insbesondere für die Bausparer —, im wesentlichen von dieser starken Steigerung herrühren. Ich sehe mit einigerSorge, daß die erneute Erhöhung der Löhne in der Bauwirtschaft — 11 % am 1. Mai, falls der Vertrag in Kraft treten sollte — eine Folge haben wird, die unseren Wünschen nach erhöhter Bauleistung und besserer Wohnungsversorgung entgegengerichtet ist. Nun, das letzte Wort darüber ist noch nicht gesprochen, wir werden es in naher Zukunft hören.Das andere, was den Wohnungsbau bedroht, ist die starke Konkurrenz des öffentlichen Baues und des gewerblichen Baues. Leider ist es nicht gelungen, den öffentlichen Bau so zurückzudrängen, wie es wegen der immer noch erforderlichen Bevorzugung des Wohnungsbaus in den kommenden Jahren wünschenswert gewesen wäre. Natürlich sind es die übervollen Kassen der Länder — weniger der Gemeinden, obwohl es natürlich auch da große, finanzkräftige Gemeinden gibt —, die über die Investitionen in der Bauwirtschaft zu der gegenwärtigen Erhitzung, zu der Überbeanspruchung der Kapazität der Bauwirtschaft wesentlich beigetragen haben. Etwas Ähnliches gilt natürlich auch für die Investitionen des gewerblichen Baues, obwohl hier ein Eingriff aus naheliegenden Gründen sehr viel schwieriger ist, als er beim Bau der öffentlichen Hand möglich wäre.Aus all dem ergeben sich zwei Fragen, die ich am Schluß meiner Ausführungen an den Herrn Wohnungsbauminister richten möchte. Die eine lautet: Was gedenkt die Bundesregierung zu tun, um dem Wohnungsbau den absoluten Vorrang auch in den nächsten Jahren zu sichern, und zwar in der Weise, daß sie einen Einfluß ausübt auf eine Eindämmung, auf eine Minderung des öffentlichen Baues, um auf der anderen Seite eine Überforderung der Kapazität und damit eine übermäßige Steigerung der Baupreise zu verhindern?Die zweite Frage an den Herrn Wohnungsbauminister lautet: Was gedenkt die Bundesregierung zu tun, um die nötige Zahl von Arbeitskräften in der Bauwirtschaft sicherzustellen, sei es durch Erhöhung oder mindestens durch Steigerung der erforderlichen Rationalisierung — die auch hier weitgehend eingetreten ist —, um die Bauwirtschaft zu entlasten? — Ich glaube, daß das ohne entscheidende Einflußnahme der Bundesregierung nicht möglich sein wird.Das also sehe ich im Augenblick als Hauptprobleme für die Bauwirtschaft an. Es ist nicht so sehr die Finanzierung, es sind nicht so sehr die Bodenpreise, abgesehen natürlich von den besonderen Ballungsgebieten und den Randgebieten der Großstädte, die ja immer ein Kapitel für sich sind, sondern es ist die Eindämmung der Kostensteigerung, die Zurückdämmung des öffentlichen Bauens und die Versorgung der Bauwirtschaft mit der genügenden Zahl von Arbeitskräften.Ich möchte noch eine Bemerkung an den Kollegen Brecht richten. Er hat vorhin davon gesprochen, die Freie Demokratische Partei habe nach einer Verlautbarung unseres Kollegen Mende die Absicht, die Genossen der Baugenossenschaften in etwa zu enteignen. — Herr Brecht, ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie eine Sekunde zuhörten! Sie haben vorhin gesagt, es sei zu Ihrer Kenntnis gekommen, Herr
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Dr. WillMende habe erklärt, man solle die Genossen der Baugenossenschaften gewissermaßen enteignen, so wenigstens habe ich Sie verstanden. Mir war das nicht bekannt. Ich habe mich inzwischen informiert und habe mich unterrichten lassen, der Vorschlag des Herrn Mende sei lediglich dahin gegangen, die mit staatlichen Mitteln arbeitenden Wohnungsbaugenossenschaften zu ermuntern, sie sollten die Genossenschaftswohnungen den Mietern zu Eigentum anbieten. übrigens etwas, was schon im Zweiten Wohnungsbaugesetz steht. Außerdem hat das in der Presse gestanden; ich brauche das nicht besonders hervorzuheben.
— Das ist nichts Neues, Herr Kollege Czaja, Sie haben völlig recht! Darauf also hat sich Herr Mende beschränkt, als er für den nächsten Bundestag ein Gesetz angekündigt hat. Es läge ja auch gar nicht in der Politik der Freien Demokratischen Partei, eine Enteignung zu befürworten, da sie ja, wie Sie alle wissen, daran interessiert ist, daß neues Eigentum geschaffen wird.Das ist das Wesentliche, was ich für meine Fraktion zum Einzelplan 25 sagen wollte. Ich habe mich bemüht, dazu eine Reihe von Anregungen zu geben. Die Freie Demokratische Partei hat seit Wildermuths Zeiten dem Einzelplan des Wohnungsbauministeriums zugestimmt und wird das auch diesmal tun, obwohl zweifellos gewisse Bedenken bestehen und die Freie Demokratische Partei der Meinung ist, daß wir keineswegs fiber den Berg sind und daß es noch vieler Arbeit in kommenden Jahren bedarf, um zu dem erstrebten Ziel zu kommen, die deutsche Bevölkerung in ihrer Gesamtheit mit ausreichendem, gesundem und befriedigendem Wohnraum zu versorgen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Czaja.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn man das sachliche Fazit aus der bisherigen Debatte zieht, so muß man den Bundeswohnungsbauminister beglückwünschen. Ich denke dabei besonders an die Ausführungen, die Herr Dr. Brecht, der Sprecher der Opposition, am Anfang gemacht hat. Herr Dr. Brecht, wir sind mit Ihnen einig, daß die Ergebnisse des Wohnungsbaus eine Gemeinschaftsleistung sind. Ich glaube, der Herr Wohnungsbauminister, der hier auf der Bank sitzt, war niemals anderer Meinung, als daß er auf seinem Platz seine Aufgabe zu erfüllen habe, das bedeutet, für Herbeischaffung der finanziellen Mittel für den Wohnungsbau zu sorgen und bei der Gesetzgebungsinitiative die Wegrichtung zu weisen.Wenn Sie, Herr Dr. Brecht, das im Wohnungsbau Erreichte — Sie haben dafür gewaltige Zahlen genannt — als eine Gemeinschaftsleistung bezeichnen, so haben Sie damit auch anerkannt, daß der Wohnungsbauminister seine Pflicht voll getan hat.
Ich glaube, das ist gerade das, wozu man einen Minister beglückwünschen kann.Wir nehmen Ihnen die Einzelkritik gar nicht übel und sind dankbar für jeden Ansporn, für jede motorische Kraft zur Durchsetzung des gemeinsam Erstrebten. Allerdings haben Sie in Ihren Darlegungen eigentlich nichts darüber gebracht, inwiefern die Konzeption der Regierung und insbesondere des Wohnungsbauministers anders hätte gestaltet werden können. Im Gegenteil, Sie haben diese Konzeption bestätigt und nur hier und dort andere Lichter aufgesetzt. Dazu möchte ich noch einiges sagen.Lassen Sie mich zuerst etwas zu der schillernden Aussage bemerken, Sie seien hinsichtlich der Eigentumsbildung im Wohnungsbau für Parität, aber nicht für Sonderbegünstigungen. Herr Dr. Brecht, was heißt da Parität? Soll das 50 zu 50 heißen? Oder was soll es heißen? Wir wären Ihnen sehr dankbar, wenn auch Sie die Mittel zu 50 % in die Eigentumsbildung lenken wollten. Ich weiß wirklich nicht, was Sie mit Parität meinen. Was uns betrifft, so möchten wir allerdings — Sie wissen, daß seit dem 2. Weltkrieg 110 Milliarden an Investitionen in den Wohnungsbau geflossen sind, davon bis Ende dieses Jahres 38 Milliarden aus der Hand des Bundes, der Länder und Gemeinden und aus dem Lastenausgleich —, daß in steigendem Maße eine Wiedergutmachung in der Eigentumsbildung erfolgt und deshalb bei förderungswürdigen Vorhaben die eigentumsbildenden Maßnahmen den Vorrang haben.
Herr Dr. Brecht, diese Frage bitte ich einmal ganz klar beantworten: Sind Sie nunmehr — nunmehr im Jahre 1961 — für den Vorrgang von eigentumsbildenden Maßnahmen für Bewerber mit förderungsfähigen Anträgen, insbesondere Einkommensschwacher beim Familienheimbau, oder sind Sie es nicht? Im .Jahre 1958 noch hat einer Ihrer Hauptexperten, Herr Senator Nevermann — ich habe seine Ausführungen gestern erst nachgelesen —, wörtlich erklärt, daß er gegen den Vorrang auch für diese Eigenheime sei. Demgegenüber steht der wiederholte Ausspruch Ihres Wirtschaftsexperten Herrn Dr. Deist, der mit uns die Form der Eigentumsbildung über das Eigentum an der Wohnung als die ursprünglichere und am meisten anstrebenswerte bezeichnet hat. Ich wäre aber dankbar, wenn sich die Kollegen, die in der Praxis des Wohnungsbaus stehen, auch bei der Bewilligung der Mittel, auch bei der Gesetzgebung und auch bei der Stellungnahme zum Vorrang des Eigenheims in den Vorschriften des Zweiten Wohnungsbaugesetzes klar dazu bekennen würden. Hic Rhodus, hic salta! Hier muß man das Bekenntnis zur tatsächlichen Eigentumsbildung im Wohnungsbau abgeben.
Meine Damen und Herren, ich darf noch einmal die Erfolgsmeldungen nennen, denn letztlich wird der Minister daran gewogen, und anführen, wieviel Wohnungen überhaupt gebaut und wieviel im öffentlich geförderten Wohnungsbau errichtet worden sind. Bei aller Einzelkritik fällt dabei die letzte
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Dr. CzajaEntscheidung, ob er eine richtige oder falsche Politik betrieben hat. Hier haben Sie ein klares Wort gesprochen, Herr Dr. Brecht; ich darf es wiederholen: Trotz der Schwierigkeiten auf dem Arbeitsmarkt im Jahre 1960 575 000 fertiggestellte Wohnungen; das sind nur 15 000 weniger als 1959. Ich glaube, wir können zu dieser Gemeinschaftsleistung uns alle, aber auch die Regierung — und über die wird heute gesprochen — beglückwünschen.Sie haben weiter einen Überhang von etwa 450 000 Wohnungen genannt. Ich muß die Zahl etwas korrigieren. Es ist genau ein Bauüberhang von 472 000 begonnenen Wohnungen und von 194 000 bewilligten, aber noch nicht begonnenen Wohnungen. Ich nenne diese Zahlen, meine Damen und Herren, weil schon sie garantieren, daß das Fertigstellungergebnis für das Jahr 1961, wenn nicht plötzlich der Arbeitsmarkt aus den Nähten platzt, mindestens so gut sein wird wie für 1960. Das müssen wir von der Tribüne dieses Hohen Hauses erklären für alle die Familien, die Sie erwähnt haben, für die jungen Familien, für die, die noch in Lagern sitzen, für die, die unzumutbar untergebracht sind, und für die, die auch noch in sonstigen Behausungen leben, von denen Sie sprachen, damit wieder Zuversicht und Hoffnung in die Herzen so vieler Mütter und Väter einkehren.
Ich darf, um die ganze Tragweite dieser Ergebnisse ins Gedächtnis zu rufen, daran erinnern, was die Opposition, als diese Regierung nach der Währungsreform ihren schweren Weg zu gehen begann, gefordert hat. Ihr verstorbener verehrenswerter Kollege Herr Klabunde hat damals 250 000 Wohnungen jährlich gefordert. Es ist das gute Recht der Opposition, immer mehr zu fordern, als geleistet werden kann. Es sind im letzten Jahr 300 000 öffentlich geförderte Wohnungen und darüber hinaus 270- bis 300 000 andere Wohnungen gebaut worden.Herr Dr. Brecht, ein Zweites, etwas Grundsätzliches. Sie sprachen davon, daß man etwas verharmlose, wieviel Wohnungen notwendig seien, daß ein zusätzlicher Bedarf vorhanden sei und ähnliches. Ich will mich nicht in den Streit um Zahlen einlassen, Herr Dr. Brecht. Ich glaube aber, daß der Minister und der Bundeskanzler — sie haben es hier schon hervorgehoben — klar den Weg nach vorn gewiesen und eindeutig erklärt haben, daß sie weiter zur öffentlichen Förderung des Wohnungsbaus, insbesondere in der Altstadtsanierung und Dekonzentration stehen. Ich habe hier die „Frankfurter Allgemeine", die dieses Kommuniqué vom 20. Februar teilweise wiedergibt. Ich würde sogar darum bitten, daß der Herr Bundesminister etwas dazu sagt, welche Grundsätze für die Altstadtsanierung und die Dekonzentration noch vorgesehen sind.Ich glaube, in die Erklärung des Bundeskanzlers und dieses Ministers, daß hier auch in der Zukunft sehr viel getan werden muß, ist das Bekenntnis zu den dafür erforderlichen finanziellen und anderen Maßnahmen eingeschlossen. Kein Mensch denkt an Verharmlosung dieser Dinge. Im Gegenteil, weil wir Eigentumsbildung durch Wohnungsbau wollen, bleiben wir nicht bei der Deckung des reinen Fehlbestandes, bei der Beseitigung der reinen Wohnungsnot stehen, sondern wir wollen auch Wohnungen bauen, um breiteste Schichten unserer deutschen Bevölkerung mit dem ursprünglichsten Eigentum, dem Eigentum an der Wohnung, zu versorgen. Wir wollen hier weitere Maßnahmen treffen, nachdem in den ersten Jahren nach dem 2. Weltkrieg — vielleicht unvermeidbar — eine starke Entpersönlichung des Gutes Wohnung eingetreten ist.Herr Dr. Brecht, Sie sprachen über die Mieten. Sie sind mit uns der Meinung, daß das Mietpreisniveau bei den steuerbegünstigten und den frei finanzierten Wohnungen letzten Endes nur durch ein genügendes Angebot reguliert werden kann. Deshalb weiterbauen, bis der noch bestehende Bedarf gedeckt ist, und auch dann noch einiges zur Eigentumsbildung, zur Altstadtsanierung und zur Dekonzentration tun!Offensichtlich peinlich war es der Opposition, daß die CDU/CSU-Fraktion als erste Fraktion diesem Hohen Hause den Antrag vorgelegt hat, die Miet-und Lastenbeihilfen als Finanzierungsfaktor für Neubauwohnungen zu verwenden. Wir sind uns über manche Schwächen dieses Initiativentwurfs klar. Aber eines verstehe ich nicht ganz, Herr Dr. Brecht: daß Sie — da Sie doch ein guter Fachmann sind — uns, obwohl wir das bereits im Ausschuß richtiggestellt haben, dauernd unterstellen, wir wollten die Miet- und Lastenbiehilfen auf eine ganz normal gebildete Kostenmiete ohne Objektsubventionierung aufpfropfen.
Nichts davon ist in unserem Antrag enthalten; bei genauer Überprüfung kann und darf das niemand behaupten. Im Gegenteil, wir wollen die dreifach kombinierte Subvention: Objektsubvention, Aufwendungsbeihilfen und auf der Spitze Miet- und Lastenbeihilfen. Diese Dreier-Kombination ist bereits seit Anfang 1957 im Zweiten Wohnungsbaugesetz vorgesehen. Wer jedoch damals an den Beratungen mitgewirkt hat, weiß, daß eine solche Maßnahme wegen des Einspruchs des Bundesrates nicht vorgesehen werden konnte. Ich selbst war etwas betrübt darüber, daß das noch in der letzten Minute geändert und daß daraus eine Kann-Bestimmung gemacht wurde, die bisher nur von einigen Ländern angewendet worden ist.
Erlauben Sie eine Zwischenfrage?
Bitte sehr!
Ist Ihnen nicht mehr bekannt, Herr Dr. Czaja, daß die SPD bei der Beratung des Lücke-Gesetzes und damit des Gesetzes über die Mietbeihilfen eindeutig beantragt hat, die Mietbeihilfen unabhängig von der Höhe der Einkommensgrenzen für alle Wohnungen nach dem Zweiten Wohnungsbaugesetz zu gewähren, und daß Sie und Ihr Minister diesen Antrag — den Sie jetzt aufgegriffen haben — damals abgelehnt haben?
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Herr Kollege Dr. Brecht, die Darstellung, die Sie hier gegeben haben, hinkt in einem Punkt. Für Neubauwohnungen ist diese Möglichkeit nicht erst seit Ihrem Antrag, sondern auf Grund eines Antrages der CDU/CSU bereits seit 1. Januar 1957 im Zweiten Wohnungsbaugesetz verankert. Hier ist nicht nur diese Möglichkeit, sondern auch die Verpflichtung des Bundes vorgesehen, den Ländern 50 % der daraus erwachsenden Kosten zu ersetzen. Was hier von der CDU/CSU neu beantragt worden ist, ist nur die bindende Verpflichtung zur Verwendung der Miet- und Lastenbeihilfen als drittem Finanzierungsfaktor in allen Ländern; einige Länder haben bisher nur die Mietbeihilfen, andere bereits Miet- und Lastenbeihilfen vorgesehen und gezahlt.Meine Damen und Herren, dieser CDU/CSU-Antrag zielt aber auf etwas anderes. Daher wäre ich dankbar, wenn wir uns über die Dinge sachlich und ohne das Mißverständnis unterhielten, wir wollten das auf die Kostenmiete noch aufpfropfen.Hierbei darf ich noch folgendes einfügen. Wenn wir einmal einen Kapitalmarkt zu den gleichen Bedingungen wie in Amerika, ein volles Bürgschaftsvolumen und Einkünfte wie in Amerika haben, Herr Dr. Brecht — unter Fachleuten —, dann können wir selbstverständlich auch darüber sprechen, ob dieses Mißverständnis nicht Wirklichkeit werden soll. Aber im Moment denkt auf unserer Ebene niemand daran.Was wollen wir mit dem Antrag, Herr Dr. Brecht? Wir wollen einmal die von Ihnen gerügten Gefahren abbremsen, daß von einer Familie, die es sich nicht leisten kann, unzumutbare Mieten gefordert werden.Darüber hinaus wollen wir ein zweites. Wo mehrere Einkommensquellen in der Familie sind, ist die durch Objektsubventionen hinuntergestaffelte Miete manchmal fast zu niedrig. Gerade die individuellen Miet- und Lastenbeihilfen werden dort, wo echte Härten bestehen, wo es in einer Familie nur eine Einkommensquelle gibt und mehrere Kinder vorhanden sind, erheblich helfen. Damit wird aber auch den Familien, die zwei oder drei Einkommensquellen haben und nur wenige Personen zählen, das zugemutet, was zumutbar ist, nämlich einen entsprechenden Anteil der Einkünfte für die Miete zu verwenden.Meine Damen und Herren von der Opposition, wir sollten auch aus einem anderen Grunde zu diesem Punkte stehen: wird hier doch das erstemal versucht, eine bisher deklaratorisch gebliebene Vorschrift des Grundgesetzes über den Schutz der Familie und die Würde des Menschen mit materiellen, ja mit finanziellem Inhalt dort zu erfüllen, wo es um eines der unmittelbarsten Güter geht, die die Familie und der Mensch braucht, nämlich um die Wohnung.
Ich kenne die Schwächen und ich weiß um die Schwierigkeiten, Herr Dr. Brecht. Wenn es uns gelingt, in der Bundesrepublik für den Schwächsten zu verankern, daß er nicht, wenn er ohne eigeneSchuld in finanzielle Schwäche kommt und die Wohnung für sich und seine Familie nicht mehr bezahlen kann, die Wohnung verliert, wenn wir in gemeinsamer Arbeit dazu kommen, dann haben wir etwas zum Aufbau unseres sozialen Rechtsstaates getan.Herr Dr. Brecht, Sie haben einen weiteren ernsten Punkt angeschnitten. Sie sprachen davon, daß wir am Abbau der wohnungsbaufördernden Maßnahmen kurbelten — ich übersteigere jetzt vielleicht etwas —, aber gegen die Steuervergünstigungen nichts getan hätten oder sie 'beibehalten wollten. Das rührt an die Wurzel des Wohnungsbaues, und dazu muß ich einiges sagen.Erstens ist es völlig unwahr, daß wir an dem Abbau der Förderungsmaßnahmen für den Wohnungsbau arbeiten. Das Volumen des Bewilligungsrahmens für das Jahr 1961 beweist das — Herr Dr. Will, ich muß Sie leider etwas korrigieren; ich spreche jetzt vom Bewilligungsrahmen, nicht vom Kassenansatz im Haushalt; vielleicht werde ich dazu nachher noch einige Worte sagen —, er liegt zahlenmäßig über dem Bewilligungsrahmen von 1960, nämlich bei 2615 Millionen DM. Sie müssen auch die Zinszuschüsse, das dadurch mobilisierte Kapital und das aus anderen Einzelplänen fließende Geld in Ansatz bringen. Außerdem müssen Sie bei den 1960 er Ansätzen ebenso wie bei ,den 1961 er Kassenansätzen die Honorierung von Vorjahrsverpflichtungen — das hat mit dem neuen Wohnungsbau nichts zu tun — jeweils absetzen und die zum Eingehen neuer Verpflichtungen berechtigenden Verträge, Bindungsermächtigungen und Zinszuschüsse hinzuzählen; denn das ist der Rahmen, der das Wohnungsbauvolumen für 1961 bestimmt.Wir brauchen auch — und dafür bin ich dem Haushaltsausschuß, dem Minister und diesem Hohen Hause dankbar — einen größeren Bewilligungsrahmen, weil die Baupreise und die übrigen Bedingungen schwieriger geworden sind, wir aber das Volumen im öffentlich geförderten Wohnungsbau halten wollen. Wir haben beim SBZ-Wohnungsbau nicht ein einziges Wort von Abbau gesprochen. Im Gegenteil, wir haben die sogenannte Kanzlerlösung im Raum, die bleibt bestehen. Es ist also irrig, von einem Abbau der öffentlichen Subventionierungsmaßnahmen zu sprechen. Ich betone noch einmal, daß für die Zukunft bezüglich der Altstadtsanierung und des Städtebaus verbindliche Erklärungen des für die Richtlinien der Regierung maßgebenden Mannes vorliegen.Nun ein Wort zu den Steuervergünstigungen. Herr Dr. Brecht, ich stelle hier eine sehr ernste Frage. Sie und die ganze Opposition wie auch wir wissen, daß wir den Wohnungsbau nicht nur aus öffentlichen Steuermitteln betreiben können; Sie wie wir wissen, daß wir dazu auch starke Kapitalmarktmittel mobilisieren müssen und daß es dazu Anreize geben muß. Wir sind dankbar, daß solche Anreize auch für den Wohnungsbau bestehen. Es hat sie für andere Sektoren und Investitionen in der Vergangenheit gegeben, und es bestehen auch heute noch sehr starke steuerliche Anreize. Wir wollen sie für den Wohnungsbau nicht missen. Wir bleiben deshalb fest bei 7 b, und ich würde den Herrn
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Dr. CzajaMinister auch ersuchen, zu prüfen, ob die Vergünstigungen, die nach 7 c dem Wohnungsbau gewährt worden sind, nicht doch wieder so gestaltet werden sollten, daß sie tatsächlich dem Wohnungsbau zugute kommen und daß nicht 7c-Gelder, die zurückgezahlt werden, die der Ausgeber aber aus steuerlichen Gründen nicht gern zurücknehmen mag, mittel- und kurzfristig in der Bankenwelt herumvagabundieren. Ich wäre sehr dankbar, wenn diese Mittel wieder dem Wohnungsbau zugeleitet würden.Wir hatten eine unterschwellige Kritik an § 7 b, Herr Dr. Brecht, obwohl gemeinwirtschaftliche und erwerbswirtschaftliche Unternehmen durch § 1 b sehr starke Zuflüsse haben.
— Doch, es war von § 7 b sehr stark die Rede! — Wir haben sonderbarerweise keine Kritik gehört damals, als Dutzende von Millionen des § 7 c an ganz bestimmte und wenige Unternehmen geflossen sind. Es gab einmal ein geflügeltes Wort an Rhein und Ruhr — wenigstens hörte ich es; ich weiß nicht, ob es von denen, denen man es zuschrieb, so ausgesprochen war —, daß es in manchen Kreisen der Arbeitsdirektoren geheißen habe: „Wir streiken nicht, aber gebt 7 c!" Das war vor einigen Jahren. Sie wissen, welche Dutzende Millionen an ganz bestimmte und ganz wenige Wohnungsunternehmen ganz bestimmter Färbung und ganz bestimmter Provenienz aus § 7 c geflossen sind.Ich möchte zu diesem einen Punkt abschließend folgendes sagen. Wir sind für die öffentliche Förderung des sozialen Wohnungsbaues, wir sind aber auch dafür, daß im Rahmen der Möglichkeiten des Kapitalmarktes die Anreize, die gewisse Teile dieser Kapitalmarktmittel dem Wohnungsbau zuleiten, nicht geschmälert oder abgebaut werden, sondern daß im Gegenteil die Dinge, die zum Vagabundieren von § 7 c-Geldern führen, abgestellt werden.Sie gingen dann, Herr Dr. Brecht, auf die gemeinwirtschaftliche und auf die erwerbswirtschaftliche Art des Wohnungsbaues ein. Ich war gestern nicht hier — ich mußte in Hamburg zum zehnjährigen Jubiläum des Wohnungseigentumgesetzes sprechen, und ich möchte bei Gelegenheit dieser allgemeinen Debatte auch unseres verstorbenen Kollegen Wirths von der FDP gedenken, der der Initiator des Wohnungseigentumsgesetzes war, das vor zehn Jahren in diesem Hohen Hause einstimmig verabschiedet worden ist —,
so daß ich nicht weiß, woher der Zungenschlag „gemeinwirtschaftlich" kommt. Ich bin sehr erstaunt über diesen Zungenschlag; ich hörte bisher immer von der „gemeinnützigen" Wohnungswirtschaft. Nun wurde das Tüchlein ein bißchen gehoben, und es wird nur von der gemeinwirtschaftlichen Wohnungswirtschaft geredet. Unter „Gemeinwirtschaft" versteht man aber draußen und in diesem Hohen Hause etwas ganz Bestimmtes. Ich war erstaunt, daß Sie die ganze gemeinnützige Wohnungswirtschaft nun auf den Sektor der Gemeinwirtschaft schieben.Das war interessant. Ich möchte dazu von mir aus keine Stellung nehmen.Dagegen möchte ich etwas zu dem angeblichen Gegensatz zwischen Erwerbswirtschaft und Gemeinwirtschaft sagen. Was ist heute der Nutzen des gemeinen Mannes? Ich glaube, alle Seiten dieses Hauses — hier knüpfe ich nicht nur an unsere Ausführungen, sondern auch an die Ausführungen von Herrn Dr. Deist an — sollten sagen: dem Nutzen des gemeinen Mannes dient im Wohnungsbau derjenige, der wieder möglichst viel Eigentum an Wohnungen schafft.
Wer diesem Ziel mit soliden, rationellen und überprüfbaren Mitteln dient, der sollte bei gleicher Leistung gleich behandelt werden. Ob es dabei um den Verwaltungsapparat oder um die beschränkten Gewinne geht, ist gleichgültig.Wir werden uns einmal gründlich überlegen müssen, ob wir schon genügend getan haben, um die Eigenkapitalbasis der erwerbswirtschaftlich betriebenen Wohnungsbauunternehmen, die ebenfalls das Ziel verfolgen, dem Nutzen des gemeinen Mannes zu dienen, ebenso zu stärken wie die derjenigen, die heute noch als gemeinnützig bezeichnet werden. Sie wissen, daß beispielsweise die Dividendenausschüttung bis zu 4 % bei den einen steuerfrei ist, während sie bei den anderen besteuert wird. Hier muß man gleichziehen. Ich möchte das unterstreichen, was Herr Dr. Will zu dem bisherigen Besitz sogenannter gemeinnütziger Wohnungsunternehmen gesagt hat. Dazu rechne ich diejenigen, die tatsächlich — und das ist die überwiegende Zahl — dem gemeinen Nutzen dienen. Daneben stehen solche, die nur dem Namen nach dazu gehören, und solche, die ein kollektives Vermögen aufgebläht haben.Bei der Prüfung des Wohnungsbestandes muß man sich streng an die Grundsätze des Grundgesetzes, der Rechtsstaatlichkeit und der Gleichheit vor dem Gesetz halten. — Bitte sehr!
Ist Ihnen klar, daß der Herr Minister gestern bei der Beantwortung der Anfrage erklärt hat: „Bis zu einer Änderung des Grundgesetzes"?
Ich habe ausdrücklich gesagt, daß wir uns an die Vorschriften des Grundgesetzes — selbstverständlich in seiner jeweils gültigen Form —
halten. Über Änderungen des Grundgesetzes entscheidet ja die qualifizierte Mehrheit dieses Hohen Hauses.
Das haben wir auch nie negiert.
Zu diesem Kapitel möchte ich aber noch zwei Punkte ganz klar herausstellen. Ich glaube, daß die Vorrechte, die den Unternehmen gewährt werden,
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Dr. Czajadie der Gemeinnützigkeit und dem Nutzen des gemeinen Mannes dienen, ihnen auf die Dauer nur dann zukommen dürfen, wenn sie zur Streuung des Eigentums — durch Neubau und Anbieten und Veräußern bestehenden Eigentums, das eine bestimmte Größe überschreitet — beitragen.
Dann können wir uns auch über die Erhaltung der Gemeinnützigkeit unterhalten.Das zweite möchte ich nach der Seite der Bundesregierung hin sagen. Wir müssen uns überlegen, wie wir das tote Kapital — ich möchte es so nennen —, das im nachrangigen Raum angelegt ist, mobilisieren können, ohne daß die Mieten und die Lasten davonlaufen. Wir müssen uns überlegen, wie wir es mobilisieren können, um es wieder zur Eigentumsbildung und zum Städtebau einsetzen zu können.Zu dem, was Herr Dr. Will über den Arbeitsmarkt gesagt hat, möchte ich zwei zustimmende Bemerkungen machen. Ich nehme die Sache sehr ernst. Der Bewilligungsrahmen reicht für die nächsten Aufgaben im Wohnungsbau, und durch Überhänge sind wir schon sehr weit voran. Die Arbeitsmarktsituation macht uns aber ernste Sorgen. Herr Bundeswohnungsbauminister und meine Herren von der Regierung, wir müssen, wenn die Dinge zu arg werden, auch in einer sozialen Marktwirtschaft — ich betone das Wort „soziale Marktwirtschaft" — unter Umständen durch drastische Maßnahmen die Versorgung mit dem Lebensnotwendigsten, nämlich mit dem Dach über dem Kopf, sicherstellen. Wenn sich am Arbeitsmarkt die Notwendigkeit ergibt, drastische Maßnahmen zu ergreifen, dann kämpfen Sie, Herr Wohnungsbauminister, mit Ihrer Energie und Zähigkeit dafür, daß der Vorrang des Wohnungsbaus und die Sicherstellung von Wohnungen für die Menschen in den Lagern und für die jungen Familien in den Behausungen, von denen Herr Brecht sprach, sichergestellt wird! Ich sage noch einmal, wir dürfen im Ernstfall vor drastischen Maßnahmen nicht zurückschrecken.
Denn wir können nicht verlangen, daß die Menschen bei ihrer Arbeit und in der Produktion ihr Bestes leisten, wenn nicht gleichzeitig alles getan wird, daß sie ein Dach über den Kopf bekommen. Der Wohnungsbau erhitzt nicht die Konjunktur. Die geleisteten Arbeitsstunden im Bauhauptgewerbe betrugen im Jahre 1959 2493 Millionen. Dagegen betrugen sie im gesamten Bauhauptgewerbe im Jahre 1960 nur noch 2467 Millionen, d. h. sie haben sich um 1 % verringert. Am Arbeitsmarkt hat also das Bauhauptgewerbe nicht erhitzend gewirkt. Herr Dr. Will hat bereits angedeutet, daß das Gesamtvolumen der Arbeitsstunden im Wohnungsbau innerhalb des Bauhauptgewerbes sich wieder um 7 % verringert hat, während das Volumen der Industriebauten und der öffentlichen Bauten hinsichtlich der geleisteten Arbeitsstunden um 11 % zugenommen hat.
Wenn die Appelle — das muß einmal gesagt werden — auch an die öffentliche Hand und an gewerbesteuerkräftige Gemeinden — ich spreche ausdrücklich von den gewerbesteuerkräftigen Gemeinden, denn man kann nicht alle Gemeinden über einen Kamm scheren — nicht helfen und wenn die „Seelenmassage" nichts hilft, müßten unter Umständen eines schönen Tages drastische Maßnahmen ergriffen werden.Lassen Sie mich noch zu folgender Frage etwas sagen. Peinlich war Ihnen, meine Damen und Herren von der Opposition, offensichtlich die Frage der Miet- und Lastenbeihilfen, peinlich war Ihnen auch die auf Anregung des Bundeswohnungsbauministers getroffene Ankündigung des Bundeskanzlers über Raumordnung und Städtebau in der Zukunft.
— Sie fühlen sich hier nicht sicher, Das ergibt sich daraus, daß Sie nichts anderes tun konnten, als sich auf die Weimarer Republik zu berufen und zu sagen, daß man schon damals daran gedacht habe, weiter daraus, daß Sie jetzt von „alter Sache" sprechen und daß Sie nicht mit einem einzigen konkreten Satz darauf eingegangen sind, was Sie sich darunter vorstellen. Im Gegenteil, aus den Zwischenrufen, beispielsweise zum Hessenplan, ging hervor, daß Sie sich darunter nur so etwas wie den Versuch vorstellen, Regionalprogramme für ausgesprochene wirtschaftliche Notstandsgebiete zu fördern. Sie haben aber nicht versucht, das anzusprechen, was der Bundeskanzler mit sehr dürren, aber klaren Worten
in dem Kommuniqué vom 19. Februar angesprochen hat, nämlich Auflockerung, Dekonzentration der Ballungsgebiete und Altstadtsanierung, diese zwei großen Wege, die gleichrangig nebeneinanderstehen. Daß Sie dazu nichts gesagt haben, zeigt, daß Sie sich hier nicht sicher fühlen. Sie haben gemeint, das seien „olle Kamellen". Sie haben gesagt, der Minister solle die Archive seines Ministeriums durchstöbern. Herr Dr. Brecht, der Minister braucht nicht die Archive durchzustöbern. Der Minister hat das Programm, das der Bundeskanzler jetzt gutgeheißen hat, ich glaube, bereits 1958 oder 1959 auf dem Deutschen Gemeindetag in Stuttgart verkündet. Fast alle wichtigen Ausführungen dieses Programms sind nunmehr vom Bundeskanzler gutgeheißen worden. Ich erinnere mich, weil es mich selbst betroffen hat, noch sehr gut an die Sitzung dieses Hohen Hauses im Jahre 1957, als wir über die Stockung des SBZ-Wohnungsbauprogramms sprachen und dabei auf die Schwierigkeiten bei der Baulandbeschaffung zu sprechen kamen. Damals habe ich im einzelnen mit sehr großem Nachdruck — ich bitte das im Protokoll nachzulesen — auf die Dekonzentration und auch auf eine Reihe von Maßnahmen, die dazu nötig sind, hingewiesen. Damals, Herr Dr. Brecht, prasselten von Ihrer Seite die Zwischenrufe: „Das gehört nicht hierher! — Bitte zur Sache!" — Nun, im Jahre 1961, merken Sie, daß es hierherge-
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Dr. Czajahört und daß, wenn auch auf weite Sicht, die Entzerrung von Angebot und Nachfrage die einzige Möglichkeit ist, damit die Überhöhung der Bodenpreise dort, wo in den Ballungskernen eine zu große Nachfrage auf ein zu kleines Angebot trifft, mit marktkonformen Mitteln bereinigt wird.In der Praxis tun Sie aber das Gegenteil. Sie beglücken uns alle Jahre wieder mit einem Antrag, die Mittel verstärkt auf die Ballungskerne zu richten. Gerade das will der Bundeskanzler, will der Bundeswohnungsbauminister nicht. Er will die Dekonzentration für diejenigen Menschen, die ihre Wohnstätten in erreichbarer Nähe des Arbeitsplatzes behalten müssen; er will die Dekonzentration in Gebieten, die die Ballungskerne zwar als gesellschaftlichen und kulturellen Mittelpunkt behalten, aber dennoch in erreichbarer Entfernung von diesen Ballungskernen neben den Wohnstätten auch Arbeitsstätten schaffen. — Bitte sehr!
Herr Kollege, ist Ihnen in der vorherigen Diskussion entgangen, daß ich angedeutet habe, daß die Gesichtspunkte einer gesunden Raumordnung bei den Wiederaufbaumaßnahmen, z. B. im Rhein-Main-Gebiet und auch in anderen Gebieten des Landes Hessen, bisher nicht nur bei der Planung berücksichtigt, sondern auch so gut praktiziert worden sind, daß beispielsweise die Ihrem Fraktionskollegen Dr. Bucerius gehörende Zeitschrift „Der Stern" in der vergangenen Woche den Wiederaufbau meiner von Sozialdemokraten geleiteten Heimatstadt Kassel sehr gelobt hat?
Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage, Herr Abgeordneter Czaja?
Ja, aber erlauben Sie, daß ich zunächst diese Frage beantworte, Herr Präsident.Ich habe mich nicht mit den Ausführungen des „Stern", sondern mit der Wirklichkeit zu beschäftigen, und die Wirklichkeit, Herr Kollege, sieht so aus, daß — das muß Herr Dr. Brecht bestätigen; ich verweise nur auf die Isenbergschen Tabellen — nach Übereinkunft aller Fachleute das Rhein-MainGebiet — Herr Kollege Börner, Sie haben Pech gehabt — zu einem der neun Ballungskerne in der Bundesrepublik gehört, wo sich auf 13 % des Landes 67 % der Steuerkraft und 54 % der in der Industrie Beschäftigten massieren.Nun zu Ihrer Stadt Kassel, die keineswegs mitten im Kern dieses Ballungsgebiets liegt. Ich habe auch nichts gegen manche Versuche in Kassel, aber sie entlasten nicht die Ballung im Rhein-Main-Gebiet und in seinem Kern. In diesem Zusammenhang muß ich allerdings die bisherigen Maßnahmen der Stadt Frankfurt sehr bedauern, die das Geld nur in den Hochhausbau steckt. Ich habe in den letzten Wochen ein Protokoll über eine Verhandlung in Frankfurt gelesen. Dort ist von der Planung einfach erklärt worden: Wir haben für eure Eigentumswohnungen kaum Gelände; das können wir bei unsim Großraum Frankfurt nicht machen. Ich bin dankbar dafür, daß jetzt wenigstens von einer anderen Seite im kleinen Ausmaß so etwas versucht wird.Auf weite Sicht gesehen liegt allein in der Dekonzentration die Möglichkeit, die Baulandpreise zu entzerren.Sie haben Ihre Vorschläge zum Halten der Bodenpreise in der Praxis noch nicht zu verwirklichen versucht. Sie wissen wie ich sehr genau, daß die Wertzuwachssteuer in die Gesetzgebungskompetenz der Länder fällt. Sie rufen so laut nach der Wertzuwachssteuer, aber keines Ihrer Länder — auch nicht dort, wo Sie die absolute Mehrheit haben — hat bisher versucht, die Wertzuwachssteuer einzuführen und dazu zu verwenden, den Bodenpreis irgendwie zu halten, weil Sie, Herr Dr. Brecht, genau wie ich wissen, daß die Wertzuwachsteuer für den Käufer keineswegs vermindernd auf den Kaufpreis einwirkt, daß sie allerdings gewisse Übersteigerungen in die öffentlichen Kassen abziehen kann, aber verbunden mit sehr, sehr viel und sehr schwieriger Verwaltungsarbeit.Ich möchte überhaupt ganz klar zum Ausdruck bringen, daß gegen Anhebung des Bodenpreises im Vergleich zu dem Preis des Jahres 1936 und dem Stopppreis, die sich im Rahmen der Preis-, der Lohn-und der Sparbewegung seit 1936 halten, nichts zu sagen ist, wenn man den Bauern und den Landbesitzer nicht ungerechter behandeln will als den Besitzer anderer Güter. Aber dort, wo Verzerrungen, wo Übersteigerungen auftraten, ist gegen das — man kann sagen: leider — auch auf dem Baulandmarkt bestehende eherne Gesetz in einer Marktwirtschaft von Angebot und Nachfrage noch kein sofort wirksames Heilmittel praktiziert worden. Ich betone noch einmal: wir wollen — und das dauert seine Zeit, und das ist unsere Schwierigkeit — die Dinge eben durch Dekonzentration entzerren.Es war Ihnen peinlich, daß der Bundeskanzler am 19. Februar 1961 dieses Programm ganz klar verkündet hat, und Sie haben gesagt, Ihr Kanzlerkandidat werde dazu auch einiges zu sagen haben. Ich bin felsenfest überzeugt, daß wir diese Aufgaben praktisch nicht lösen können, wenn wir, und zwar Bund, Länder und kommunale Arbeitsgemeinschaften, in der Praxis nicht alle zusammenhalten. Es handelt sich aber — und hier unterscheide ich mich von Ihnen — in erster Linie nicht um große dirigistische Planung, sondern es handelt sich auch um unternehmerische Initiative sowohl der Industrie als auch der Baulandbeschaffungs- und -erschließungsgesellschaften. Wir werden gemeinsam an einem Strick ziehen müssen. Ich wäre sehr für Ihre praktische Hilfe.Sie wissen, daß alles, was im Kleinen geschehen ist, natürlich noch nicht das ist, was wir meinen, Herr Kollege, daß das noch fern ist und daß wir im nächsten Bundestag damit beginnen müssen. Hier müssen Länder, kommunale Arbeitsgemeinschaften, Industrie und Privatwirtschaft zusammen helfen. Aber eines können Sie nicht mehr rückgängig machen: die geistige Führung in dieser Angelegenheit,
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Dr. Czajadas Aufwerfen dieses Problems im richtigen Augenblick hat die CDU/CSU Ihnen allerdings voraus.
Ich möchte noch folgendes unterstreichen. Einer Ihrer Kollegen hat das Problem rechtzeitig erkannt. Herr Kollege Jacobi hat nämlich in der ersten Lesung des Bundesbaugesetzes eingehend über diese Frage der Raumordnung, die der Herr Minister schon vorher und die wir im Jahre 1957 angefaßt hatten, gesprochen.Meine Damen und Herren, es zeigt sich also, daß die CDU sowohl bei den Miet- und Lastenbeihilfen, als auch bei der Sicherung der Wohnung für Familien und arbeitende Menschen, als auch bei dieser zukunftweisenden Konzeption der Altstadtsanierung und der Dekonzentration der Ballungskerne die geistige Führung in der Hand hat. Ich möchte diesem Minister, dem auch Sie wünschten, daß er sein Amt weiter ausübe, nur wünschen, daß er in der Zukunft die nötigen Mitarbeiter, die nötige Unterstützung und Kooperation in den Ländern und Gemeinden finden möge, damit auch das weitgesteckte Ziel — das mit der Eigentumsbildung verkoppelt ist, die nur so letzten Endes auch für die in den Großstädten arbeitenden Menschen durchführbar ist — der Raumordnung, des Städtebaues, der Dekonzentration und der Altstadtsanierung mit Ihrer Hilfe und unter seiner Führung in der Zukunft erreicht werden kann.
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Wohnungsbau.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist der 12. Etat des Bundesministers für Wohnungsbau, der hier heute verabschiedet wird. Innerhalb des Zeitraums, in dem wir in Bonn zusammen sind, in diesen zwölf Jahren, ist hier über Wohnungsbaufragen keine Rede gehalten worden, wie sie heute Herr Dr. Brecht gehalten hat.
Ich darf eine persönliche Bemerkung vorweg machen. Ihre Formulierungen, Herr Dr. Brecht: „abgrundtiefer Haß des Wohnungsbauministers gegen die SPD — überheblicher Minister — liebedienerische Pressestelle — rechthaberischer Minister — Verniedlicher der echten Wohnungsnot", verraten einen Stil, den Sie sicherlich in Ihrem privaten Beruf gebrauchen können, der aber dieses Hauses unwürdig ist.
Hier sind heute ehrenwerte Namen genannt worden. Ich möchte aus Ihrer Fraktion die Kollegen Görlinger, Meyer und Klabunde erwähnen, die in einer Zeit, in der wir vor der Lösung dieser Aufgabe standen, Herr Kollege Dr. Brecht, mit mir in einer Form über Wohnungsbau diskutiert haben, die sauber und fair war. Was Sie hier gesagt haben, ist unsachlich.
Wie weit Sie gekommen sind, darf ich Ihnen vielleicht mit dem Verlesen einer Rundfunkmeldung dartun:
Jedermann weiß, daß an dem noch vorhandenen Wohnungselend die CDU ein gerüttelt Maß Schuld trägt. Ihre Aufrüstungspolitik hat dazu geführt, daß die Mittel für den sozialen Wohnungsbau erheblich gekürzt wurden. Der Lücke-Plan mit seinen Mieterhöhungen hat die Lage auf dem Wohnungsmarkt weiter verschärft. Der Spekulation ist Tür und Tor geöffnet worden. Die Wähler von Nordrhein-Westfalen sollen am 19. März die richtige Antwort geben. Die Wohnungsnot kann man nur beseitigen, wenn man bereit ist, die Aufrüstung zu stoppen und die dadurch frei gewordenen Gelder dem Wohnungsbau zuzuführen.
Meine Damen und Herren, diese Meldung ist nicht von der deutschen Sozialdemokratie veröffentlicht worden. Mit dieser Meldung will ich Ihnen, Herr Dr. Brecht, nur einmal zeigen, daß sie haarscharf in den Stil und die Form Ihrer Rede hineinpaßt. Seit Monaten werden vom ostzonalen „Freiheitssender" diese Meldungen gebracht, worin man mir vorwirft, daß ich ein unsozialer Minister sei, daß ich ein Minister sei, der verniedliche.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Bitte!
Herr Minister, wie kommen Sie dazu, hier eine Äußerung, die ich nicht kenne, die in ostzonalen Blättern oder Rundfunkanstalten gebracht wird, mit meiner Auffassung über die Wohnungspolitik zu identifizieren? Halten Sie das für eine faire Methode?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich sagte das nur, um Ihnen zu zeigen, wie dicht Sie bei diesen Parolen liegen, wenn Sie hier diese Behauptungen aufstellen.
Als ich, meine Damen und Herren, in Permanenz seit Monaten vom ostzonalen Rundfunk wegen des Abbaugesetzes
bis zur persönlichen Verunglimpfung angegriffen wurde, fand ich Formulierungen, Herr Dr. Brecht, die in Ihrer Rede heute wiedergekehrt sind. Es ist einfach unglaublich, zu unterstellen, hier stehe ein Mann, der kein soziales Verständnis habe und nach elf-, zwölfjähriger Wohnungsbaupolitik nichts Bes-
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8704 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 152. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. März 1961
Bundesminister Lückeseres wisse, als die Wohnungsnot der breiten Volksschichten zu verniedlichen.
Meine Damen und Herren, was kann man einem Minister vorwerfen? Was hätte Herr Dr. Brecht heute hier sagen müssen? Er hätte einmal die Frage stellen müssen, warum nicht mehr gebaut wird. Wo ist die Frage?
— Verzeihen Sie, jetzt stelle ich Ihnen Fragen. —Warum haben Sie nicht die Frage an mich gerichtet,weshalb nicht noch mehr Wohnungen gebaut werden? Sie haben doch seit Jahren behauptet, der Wohnungsbau breche zusammen. Warum haben Sie mir nicht gesagt, daß wir mit den Baupreisen fertig werden müßten. daß wir Bauarbeiter beschaffen müßten, daß wir mit diesen Dingen fertig werden müßten? Wo sind ,die Fragen? Wo ist Ihre Bernerkung, daß ich mehr Wohnungen des sozialen Wohnungsbaus hauen müßte? Das wären echte, das wären sachliche Fragen gewesen.Sie haben sie nicht gestellt. Ihnen sollte diese Wohnungsdebatte — das ist Ihr historisches „Verdienst" nach zwölf Jahren gemeinsamer Arbeit in der Wohnungsbaupolitik — offenbar nur dazu dienen, die etwas lahm gewordenen Argumente der Opposition im Kommunalwahlkampf in Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen zu beleben.
Herr Dr. Brecht, Sie haben ,den Zug versäumt — entschuldigen Sie —, der Zug der Wohnungsbaupolitik fährt seit Jahren, und er hat eine Fracht geladen, die jährlich die Wohnungsbaukapazität bis an die Grenze ausschöpft. Der Bauüberhang dieses Jahres beträgt 666 000 Wohnungen. Die Herren Dr. Czaja und Dr. Will haben mit Recht die Frage gestellt, was ich unternehmen will, um dafür zu sorgen, daß der Wohnungsbau arbeitsmarktmäßig zu schaffen ist. Wo ist diese Ihre Frage gewesen? Ihnen müßte mit uns die Sorge gemeinsam sein, wie wir es anfangen, daß der Wohnungsbau nicht unter die Räder kommt, daß nicht mehr soviel Behördenpaläste, Verwaltungspaläste mit Vorrang gebaut werden.
Herr Dr. Brecht, so einfach können Sie es sich nicht machen, daß Sie mir in Artikeln Kommunalfeindlichkeit vorwerfen. — Sie haben auf diesem Gebiet Artikel geschrieben, Herr Dr. Brecht. Ich brauche Ihnen darauf keine Erwiderung zu geben; ich komme aus der Kommunalpolitik, fühle mich der Kommunalpolitik verpflichtet und bin mit allen sachkundigen Kommunalpolitikern einer Meinung, daß wir gemeinsam an die Lösung dieser großen Fragen herangehen müssen, daß wir in den nächsten Monaten in Ergänzung zu den währungspolitischen Maßnahmen sicherstellen müssen — ich werde Ihnen Vorschläge machen, und ich hoffe, daß auch die Opposition zustimmt —, daß für den Wohnungsbau die notwendigen Arbeitskräfte bereitstehen. Das ist eine Sache, die wir gemeinsam machen müssen, weil wir seit zwölf Jahren mit dem Bundesrat gemeinsam gesetzgeberische Maßnahmen getroffen, mit den Gemeinden gemeinsam gebaut haben. Ich möchte nicht, daß nach zwölf Jahren gemeinsamer Arbeit in dieser Form diskutiert wird, sondern möchte, daß wir sachlich diskutieren.Herr Dr. Will, Sie haben die Frage gestellt, was auf dem Arbeitsmarkt geschieht. Es fehlen einige tausend Arbeiter. Das habe ich nicht erst jetzt erkannt, sondern das habe ich im Ausschuß — das weiß Herr Dr. Brecht ebenso wie die anderen Damen und Herren des Wohnungsbauausschusses genau — seit über einem halben Jahr gesagt. Man kann nicht alles auf einmal bauen. Der Baumarkt ist eine gegebene Größe. Die Bauarbeiter werden mir von den Arbeitsstellen des sozialen Wohnungsbaus abgeworben. So wächst der Überhang an unfertigen Wohnungen. Hätte ich auf den Baustellen des sozialen Wohnungsbaus 200 000 Bauarbeiter mehr, würden wir in diesem Jahr über 600 000 Wohnungen fertigstellen können. Denn zu den 666 000 Wohnungen im Überhang kommen schätzungsweise weitere 500 000 neu genehmigte Wohnungen für das Jahr 1961 hinzu.Die Tatsache, daß wir im letzten Jahr im sozialen Wohnungsbau eine Steigerung der Baupreise von 7,95 % hatten, ist so alarmierend, daß der Wohnungsbauminister zu denen gehört, die im Kabinett und im Lande nicht nur für Maßhalten geworben haben, sondern auch mit Nachdruck für die Aufwertungsbeschlüsse eingetreten sind. Ich werde dem Bundestag demnächst eine Vorlage zuleiten, die die Möglichkeit geben soll, nicht dringende Baumaßnahmen zeitlich zurückzustellen. Man braucht nicht alles auf einmal zu bauen. Wir haben noch Wohnungsnot, und das ist das, Herr Dr. Brecht, was ich Ihnen persönlich so übel nehme: daß Sie mir mit diesem Streit um Zahlen der Statistiker nachweisen wollen, ich verniedlichte das Wohnungselend. Wir haben im letzten Jahr wieder rund 575 000 Wohnungen gebaut, und wir werden so lange weiterbauen, bis auch der letzte eine Wohnung hat. Ob dazu noch eine Million oder zwei Millionen erforderlich sind, ist von untergeordneter Bedeutung.Ich muß mit großem Nachdruck bitten, Herr Dr. Will, daß die angekündigte Vorlage die Unterstützung Ihrer Fraktion und der SPD findet, damit wir noch im Frühjahr damit beginnen können, Ordnung in die Sache hineinzubringen. Denn wenn die Entwicklung so weiter geht wie bisher, kommen wir in eine gefährliche Situation. Die von der Bundesregierung in Form der Aufwertung getroffenen Maßnahmen können nicht so rasch bis zum Wohnungsbau hin durchschlagen.Sie haben weiter gefragt, Herr Dr. Will, wie es mit der Finanzierung stehe. Herr Dr. Brecht hat dazu auch eine Menge Argumente vorgebracht. Es war meine größte und sicher schwierigste Aufgabe, dafür zu sorgen, daß wir den Wohnungsbau immer mehr marktgerecht finanzieren; erlauben Sie mir, daß ich bei dem Worte bleibe. 1958 wurden 85 % ausschließlich kapitalsubventioniert, d. h. nur mit öffentlichen Darlehen gefördert, gemischtsubventio-
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Bundesminister Lückeniert 8 %, ausschließlich lastensubventioniert 7 %. Ein Jahr später, 1959, sank der Prozentsatz von 85 % auf 62 % und stieg von 8 % auf 28 % bei der gemischten Subvention. Im Jahre 1960 betrug die reine Kapitalsubvention nur noch 27 %; 17 % der Sozialwohnungen waren ausschließlich lastensubventioniert, rund 56 % wurden gemischt subventioniert. Das ist volkswirtschaftlich der größte wohnungspolitische Erfolg, weil diese Entwicklung dazu dient, die Überleitung von der sehr summarischen Bausubvention zur sozialen Marktwirtschaft zu finden. Das mußte gegen den harten Widerstand einiger Kreise in den Ländern durchgesetzt werden. Dann hat sich diese Politik durchgesetzt, die nun trägt.Weiter haben Sie gefragt, Herr Dr. Will, was mit den Wohnungsbauprämien werde. Die Frage spielt leit langem eine Rolle. Ich darf mich deshalb zu diesem Teil auf eine formulierte Erklärung der Bundesregierung beschränken, um damit auch der Opposition auf viele Fragen und Unklarheiten, die da und dort noch bestehen, eine Antwort zu geben.Vom Rechnungsjahr 1962 an ist eine Änderung der gesetzlichen Bestimmungen über die Abdeckung der Wohnungsbauprämien beabsichtigt. Ziel der Gesetzesänderung ist die völlige Lösung der Zwischenprämienmittel und der allgemeinen Wohnungsbauförderungsmittel; nach der derzeitigen Rechtslage besteht noch Kopplung. Meine in dieser Richtung laufenden Verhandlungen haben zum Erfolg geführt. Mit dem Herrn Bundesfinanzminister, dem ich bei dieser Gelegenheit dafür besonders danke, ist abgesprochen, daß ab 1962 die Bundeswohnungsbaumittel uneingeschränkt für die unmittelbare Finanzierung des sozialen Wohnungsbaus zur Verfügung stehen. Die Frage des Verhältnisses, nach dem Bund und Länder sich künftig auf Grund der notwendigen Grundgesetzänderung an der Aufbringung der Prämienzahlungen beteiligen, wird damit ausschließlich zu einem sehr ernsten und schwierigen Problem des Finanzausgleichs zwischen Bund und Ländern.Hinsichtlich der Anbietungspflicht all der Wohnungen, die mit öffentlichen Mitteln gebaut worden sind, hat die Diskussion durch Herrn Dr. Brecht ein schiefes Licht bekommen. Herr Dr. Brecht, Sie wissen genau, was ich mit dieser Forderung seit 12 Jahren will. Das habe ich Ihnen, das habe ich allen, die in dieser Frage tätig sind, seit Jahren gesagt. Mir liegt daran, daß dort, wo es gewünscht wird und Wohnungen, die zur Übertragung als Wohnungseigentum geeignet sind, vorhanden sind, die Mieter die Entscheidung darüber fällen können, ob das möglich ist, daß also die öffentlichen Gelder zur Eigentumsbildung verwandt werden, politisch formuliert: daß der Bürger X und Lieschen Müller entscheiden können, ob .sie Wohnungseigentum kaufen wollen anstatt Miete zu zahlen. Nicht die Wohnungswirtschaft, sondern der Mieter soll entscheiden. Die Wohnungswirtschaft — Sie wissen, ich unterscheide nicht zwischen gemeinnütziger und anderer Wohnungswirtschaft — hat wie die gesamte Wirtschaft eine dienende Funktion und wird vom Wohl der Familie her bestimmt. So ähnlich lautete meine Antwort zu dieser Frage, die ich gestern gegeben habe. Ichmöchte jedoch hier darauf verweisen, Herr Dr. Brecht und meine Damen und Herren von der Opposition, daß bereits im Altenberger Programm von 1951 diese Forderung von uns erhoben worden ist. Der Herr Bundeskanzler hat in der öffentlichen Kundgebung damals in diesem Saal am 22. September 1951 die Schaffung von Eigenheimen als den sozial wertvollsten und am meisten förderungswürdigsten Zweck der staatlichen Wohnungsbaupolitik hervorgehoben. Er hat hinzugefügt, daß außerdem mit dem Wohnungseigentum, dessen Jubiläum wir in diesen Tagen feiern, ein Weg beschritten werden könne, die große Zahl der Besitzlosen zu mindern und zugleich zahlreichen Familien eine feste Fundierung zu geben.Ich habe am 14. Januar 1954 vor diesem Hohen Hause eine Große Anfrage meiner Fraktion begründet und dazu gesagt — das war damals meine Forderung, das ist sie heute und wird sie bleiben, und ich hoffe, daß sie Allgemeingut wird —, daß die Wohnungsunternehmen nicht mehr nur bauen sollten, um zu verwalten, sondern daß sie echte Trägerfunktionen übernehmen und die fertigen Häuser nach und nach, soweit das gewünscht wird, in das Eigentum von eigentumswilligen Familien überführen sollten. Das habe ich also im Jahre 1954 an der gleichen Stelle gesagt.
Ich habe gestern hier ausgeführt — ich habe dabei nicht zwischen gemeinnützigen und Unternehmen der freien Wohnungswirtschaft unterschieden —, daß nach meinem Eindruck diese Vorschriften des Wohnungsbau- und Familienheimgesetzes von den Unternehmen der Wohnungswirtschaft vielfach nicht genügend genutzt werden. Der Mieter muß aufgeklärt werden, ihm müssen die Möglichkeiten gezeigt und gegeben werden — notfalls muß das Grundgesetz geändert werden, so habe ich gestern erklärt —, damit wir das Ziel erreichen, daß die Familie und nicht ein Unternehmen, gleich welcher Art, Ordnungsbild der Politik ist.
Jeder weiß, daß eine Grundgesetzänderung der Zweidrittelmehrheit bedarf.Herr Dr. Brecht, Sie waren dabei, als ich bei meinem Amtsantritt vor 3 Jahren die Vertreter der gemeinnützigen Wohnungswirtschaft zu mir bat. Ich habe ihnen damals die Pläne, zu denen ich gestern eine Teilantwort gegeben habe, genauso vorgetragen und gesagt, daß das Gemeinnützigkeitsrecht reformiert werden müsse und daß die mit dem Prädikat „gemeinnützig" ausgezeichneten Unternehmen eine besondere Verpflichtung hätten, Eigenturn für breite Volksschichten zu schaffen. Ich habe darauf verwiesen, daß die Reform der Gemeinnützigkeit sehr schwierig sei. Seit Jahren wird an diesem Gesetz gearbeitet. Sie kennen den Inhalt. Sie kennen die Ziele. Sie kennen meine Grundsätze. Ich habe in den 12 Jahren und auch gestern keine andere Äußerung getan und tue sie auch heute nicht. Ich bin kein Gegner der gemeinnützigen Wohnungswirtschaft, ich bin nur Gegner einer Entwicklung,8706 Deutscher Bundestag 3. Wahlperiode — 152. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. März 1961Bundesminister Lückedie gelegentlich nichts mehr mit Gemeinnützigkeit zu tun hat.Ich würde deshalb, Herr Dr. Brecht, von Ihnen Unterstützung in dem Bemühen erwarten, Entartungserscheinungen auf ein normales Maß zu reduzieren.Wenn die gemeinnützige Wohnungswirtschaft nicht schon bereits seit 80 Jahren bestünde — ich denke vor allem an die Unzahl der kleineren Genossenschaften —, so wäre ich ihr Gründer geworden. In der Frage meines verehrten Kollegen Seuffert klang das gestern an, als er mich fragte: Herr Minister, sind Sie der Meinung, daß man diese Leistung im Wohnungsbau ohne die gemeinnützigen Wohnungsunternehmen hätte erreichen können, daß die gemeinnützigen Wohnungsunternehmen also nicht notwendig gewesen wären? Ich habe eine indirekte Antwort darauf gegeben und gesagt, daß das Erste und Zweite Wohnungsbaugesetz mit der Bereitstellung von über 32 Milliarden DM die erste und wichtigste Voraussetzung zur Erreichung des großen Zieles gewesen seien.Ich habe in Köln vor der gemeinnützigen Wohnungswirtschaft gesprochen und ihr denselben Respekt gezollt wie den freien Wohnungsunternehmen, den Haus- und Grundbesitzern und dem Ring deutscher Makler. Der Minister hat nicht eine Gruppe, sondern eine politische Linie zu vertreten. Diese vertrete ich hier allerdings mit Nachdruck.Herr Dr. Brecht, ich muß Ihnen jetzt eine Frage stellen. Sie haben ja die Möglichkeit, noch heute I hier zu sprechen, und wir haben auch noch Zeit.
— Herr Dr. Vogel, ich verstehe das; aber hier sind Fragen aufgeworfen worden, die so wichtig sind, daß ich darauf eine Antwort haben möchte.Herr Dr. Brecht, sind Sie eigentlich für die soziale Marktwirtschaft im Rahmen des Wohnungsbaus? Oder sind Sie für die Fortführung der Zwangswirtschaft? Sie sprachen von einer kostendeckenden Miete. Das hat mit sozialer Marktwirtschaft nichts zu tun. Das ist allerdings Gemeinwirtschaft. Auf diesen Gedanken hat Herr Dr. Czaja verwiesen. Was Sie hierzu sagten, ist nicht Fisch und nicht Fleisch. Was Sie zu dem Gebiet vorgetragen haben, ist Nebel. Der muß beseitigt werden. Sind Sie für die soziale Marktwirtschaft? Sind Sie für Ihr Godesberger Programm, das diese Ideen zum Parteiprogramm erhoben hat? Sind Sie auch dafür innerhalb des Wohnungsbaus, sind Sie also für eine soziale Wohnungswirtschaft?
— Herr Kollege Erler, es ist ihnen doch ganz klar geworden, welcher Unterschied hier besteht.
— An der Klarstellung lag mir. Ist das soziale Marktwirtschaft oder nicht? Wenn das gewollt wird— ich erkläre, es ist keine -, dann sollte man auch den Namen nicht dafür gebrauchen. W i r gehen den Weg der sozialen Marktwirtschaft und haben die soziale Komponente in das soziale Miet- und Wohnrecht verwiesen. Die Fortsetzung dieser Politik würde durch Ihre Überlegungen natürlich völlig verzerrt.Ich darf zum Schluß, meine Damen und Herren, noch einige allgemeine Bemerkungen machen. Sie sehen, Herr Dr. Brecht, die vorbereitete Rede hatte ich nicht, weil ich mit einem Angriff in dieser Form von Ihnen nicht gerechnet hatte. Die von der Bundesregierung seit langem nachdrücklich und mit steigendem Erfolg geförderte Bildung von Einzeleigentum in Form des Familienheims ist das beste Mittel, einer weiteren Zusammenballung von Wohnungsbesitz in den Händen anonymer Kapitalgesellschaften entgegenzuwirken. Ich habe das gestern ausgeführt und stelle es nochmals in den Vordergrund. In harter und entsagungsvoller Arbeit lösten Regierung, Parlament und Bundesrat in ausgezeichneter Zusammenarbeit mit unseren Gemeinden die schwierige Aufgabe — ich glaube, es war die schwierigste der 3. Legislaturperiode —, das Abbaugesetz — ich bitte auch die SPD, es so zu nennen —, das soziale Miet- und Wohnrecht und das Bundesbaugesetz zu verabschieden. Diese innenpolitische Leistung wird in die Geschichte des 3. Bundestages eingehen. Eine 40 Jahre währende Zwangswirtschaft abzubauen, ein Boden- und Baurecht zu schaffen, das in die Zukunft weist, ist eine staatspolitische Leistung, die beweist, daß es möglich ist, in unserer parlamentarischen Demokratie schwierigste Reformwerke zu verabschieden.Auch diese Gesetze wurden gegen den heftigen Kampf der Opposition — ich muß hier einschränkend sagen, der SPD - verabschiedet. Die FPD hat ihre durch den unvergessenen Kollegen Minister Wildermuth eingeleitete Tradition fortgesetzt und den Vorlagen bis auf einige Einschränkungen bei der Baulandsteuer und dem sozialen Miet- und Wohnrecht zugestimmt. Bei den Ausnahmen, Herr Dr. Will, spielten offenbar noch Vorstellungen aus einer Zeit eine Rolle, die Ihre Partei in den Kinderjahren gehabt haben mag.Alle Behauptungen, die Mieter würden vogelfrei und ähnliche unsachliche Angriffe, selbst die Fernsehsendung „Verwirrung im Quadrat" vermochten es nicht, unser Volk an einer sachlichen Stellungnahme zu diesen Gesetzeswerken zu hindern. Auch die bis zur Stunde mit Leidenschaft von Pankow gesteuerte Propaganda gegen dieses Abbaugesetz, gegen den Minister Lücke kann keine dauerhafte Unruhe stiften. Unsere Familien wissen, daß diese Gesetze zum Wohl aller erlassen wurden, und glauben der Regierung, daß auf diesem Gebiet keine Experimente gemacht werden. Ich erkläre hier noch einmal: Keine Familie darf und wird durch das Abbaugesetz unter die Räder kommen.An dieser Stelle muß ich nochmals die oft ausgeführte Feststellung wiederholen, die immer wieder in Zweifel gezogen wird: Es wird weiter gebaut, und zwar solange, bis die letzte Familie eine eigene Wohnung oder ihr eigenes Haus besitzt. Das ist bei
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Bundesminister Lückeunserer derzeitigen Bauleistung sehr, sehr bald der Fall. Diese Forderung gilt auch für alleinstehende Personen.Nun habe ich mich bemüht, in den letzten Jahren nicht nur die Zwangswirtschaft auf dem Gebiet des Wohnungswesens sowie des Bau- und Bodenrechts schrittweise abzulösen und dieses Gebiet in die soziale Marktwirtschaft zu überführen.Ich habe gleichzeitig in ausgezeichneter Zusammenarbeit mit den Kollegen in den Ländern, in den Gemeinden und in der Wohnungswirtschaft — den Gesamtverband gemeinnütziger Wohnungsunternehmen nicht ausgenommen — sichergestellt, daß auch die Wohnungsbaufinanzierung in stärkerem Maße marktgerecht geworden ist. Ich habe in der Zwischenzeit die Zahlen bekommen. Ich habe sie vorhin hier genannt. So darf man doch in Wahrheit bei dieser zwölften Debatte über den Etat des Bundesministers für Wohnungsbau davon sprechen, daß wir an einer Wende der Wohnungsbaupolitik angelangt sind, einer Politik, die in fast zwölf Jahren zu den schönsten Gemeinschaftsleistungen unseres Volkes in den Nachkriegsjahren, ja, überhaupt der Geschichte gehört.
Es gibt keinen Redner, Herr Dr. Brecht — mir liegt daran, ,daß wir zusammenarbeiten —, der mir nachweisen kann, daß ich jemals erklärt hätte, das sei eine ausschließliche Leistung der Christlich-Demokratischen Union. Ich erkläre dazu aber politisch: Ohne daß diese Union vor zwölf Jahren gegen Ihren Widerstand die soziale Marktwirtschaft eingeführt hätte, wäre diese Politik nicht möglich gewesen.
Diese Politik im Sinne unserer Gesellschaftsordnung fortzuführen und für die große Zukunftsaufgabe vorzubereiten, ist Aufgabe der nächsten Jahre.Vor Jahren habe ich in Kiel vor dem Haus- und Grundbesitzverein zu dem Thema „Vom Wohnungsbau zum Städtebau" gesprochen. Ich bin etwas überrascht, daß Sie ein wenig voreilig davon sprachen, daß der Kanzler Brandt diese Aufgabe auch lösen würde.
— Der Kanzler Brandt! Herr Kollege Brecht, ich kann Ihnen sagen: Wir werden alles dafür tun, daß der Kollege Brandt nicht Kanzler wird. Darauf können Sie sich verlassen. Es ist uns nämlich zu ungewiß, ob er diese Politik im Rahmen einer wirksamen Raumordnung und eines zukunftweisenden Städtebaues so sicher und mit so tiefem Verständnis betreiben wird wie der Bundeskanzler, den ich von dieser Stelle aus als den wahrhaft großen deutschen Städtebauer bezeichne. Er hat in seiner Oberbürgermeisterzeit in Köln gezeigt, wie man Städte der Zukunft baut.
Darum ist der Wohnungsbauminister ganz besonders daran interessiert, daß Bundeskanzler Dr.Adenauer die nächste Regierung bildet, damit aus der Raumordnung und dem Städtebau etwas Vernünftiges wird.
Die Zukunftsaufgabe der nächsten Jahre: Vom Wohnungsbau zum Städtebau! Bund, Länder und Gemeinden können und werden die in zwölf Jahren im Wohnungsbau bewährte Zusammenarbeit jetzt für die uns alle gemeinsam berührenden viel größeren Aufgaben einsetzen. Es gilt, die erfolgreiche Wohnungsbaupolitik der Bundesregierung rechtzeitig — ich hätte dafür an sich ein Lob verdient — im Rahmen einer wirksamen Raumordnung zu einer umfassenden Städtebaupolitik zu erweitern. Das ist der Beschluß, den wir gefaßt haben.Moderner, zukunftweisender Städtebau ist eine staatspolitische Aufgabe ersten Ranges. Es gilt, in Dorf, Gemeinde und Stadt an die Erneuerung überalterter Wohngebiete ebenso wie an ,die Modernisierung des Hausbesitzes heranzugehen. Die Auflockerung und Gliederung sowie die Durchgrünung unserer vielfach zu dicht bebauten und besonders im letzten Jahrzehnt unorganisch gewachsenen Wohngebiete sind vordringlich.Diese Aufgaben werden seit Jahren — nicht erst jetzt — in meinem Hause vorbereitet. Bevor man mit diesen Aufgaben an die Öffentlichkeit treten konnte, Herr Dr. Brecht, war es unerläßlich, daß das Bundesbaugesetz, das Abbaugesetz und ein soziales Miet- und Wohnrecht verabschiedet waren. Die Gesetze sind da. Es war ein schwerer Weg. Jetzt, nachdem die Tür in die soziale Marktwirtschaft weit aufgestoßen ist, müssen sich alle Parteien zusammenfinden und sich darauf besinnen, daß diese Aufgaben, wie Herr Dr. Czaja richtig sagte, nur gelöst werden können, wenn alle Parteien gemeinsam an die Lösung dieser für die Zukunft unseres Volkes so wichtigen Aufgabe gehen. Von der rechten Lösung dieser Frage hängt die innere Sicherheit unseres Volkes in den nächsten Jahrzehnten ab. Ich erkläre hier noch einmal, daß das Ordnungsbild dieser Politik entsprechend dem gesellschaftspolitischen Leitbild der Union die Familie ist. Gemeinde, Land, Regierungen, Wirtschaft haben miteinander eine dienende Funktion, die vom Ordnungsbild der Familie her bestimmt wird.Diese vorbereitende Arbeit dient nicht zuletzt dem Ziel, unserer hochentwickelten Bauindustrie, Herr Dr. Will, dem Baugewerbe und schließlich den Millionen Arbeitern und Handwerkern, die direkt und indirekt — ein Bauarbeiter zieht drei bis vier andere Arbeiter nach sich — beim Wohnungsbau tätig sind, auch dann in angemessenem Umfang eine kontinuierliche Beschäftigung zu sichern, wenn die öffentliche Förderung in der bisherigen Form überflüssig wird. Das wird sehr bald der Fall sein, meine Damen und Herren. Im Rahmen der allgemeinen Konjunktur soll dann der Wohnungsbau vornehmlich auch zur Stützung der allgemeinen Wirtschaftslage dienen und so in Wahrheit seine konjunkturelle Schlüsselstellung einnehmen.8708 Deutscher Bundestag — 3, Wahlperiode — 152. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. März 1961Bundesminister LückeDamit er diese Aufgaben bei einem Einbruch der allgemeinen Konjunktur wirksam erfüllen kann, müssen die Maßnahmen jahrelang vorbereitet und vorgeplant sein. Meine Damen und Herren, wäre man 1930 und vielleicht schon früher, in der damaligen Zeit der Hochkonjunktur um 1928, darangegangen, diese Aufgaben vorzubereiten, hätte man, als eine Arbeitslosigkeit in diesem Umfang über unser Volk hereinbrach, die Möglichkeit gehabt, überall dort, wo Engpässe entstanden, den Wohnungsbau, die Sanierung der Dörfer, die Modernisierung der Städte konjunkturell einzuschieben. Wenn wir daran in Zeiten der Hochkonjunktur denken, dann sollten wir dafür nicht kritisiert werden, Herr Dr. Brecht. Man muß in Zeiten der Hochkonjunktur für die Not Vorsorge treffen.
— Sie haben es doch mit Ihrer Rede getan. Sie haben doch kein positives Wort zu den Vorschlägen gefunden, die der Herr Bundeskanzler akzeptiert hat. Er bestimmt jetzt und im nächsten Kabinett die Richtlinien. Es war entscheidend, daß wir ihn hinter diese Konzeption brachten und er sie vollinhaltlich gebilligt hat. In Zeiten der Hochkonjunktur ist also die Vorsorge zu treffen, daß die Menschen Arbeit haben auch im Dorf, auch außerhalb der Ballungsräume, wenn einmal ein Einbruch in die allgemeine Konjunktur, was wir alle nicht hoffen, eintreten sollte.Bevor ich meine Ausführungen schließe, muß ich noch eine zweite persönliche Bemerkung machen. Herr Dr. Brecht, Sie haben meiner Pressestelle liebedienerische Tätigkeit vorgeworfen. Ich weise diesen Vorwurf scharf zurück. Die Organisation eines Ministeriums ist Sache des Ministers, und Sie sollten, wenn eine Pressestelle oder eine andere Stelle ihre Aufgaben erfüllt, diese Stelle nicht so abwertend kritisieren. Das für die Männer der Pressestelle, da sie solche Kritik von Ihnen hier erfahren haben.Ich habe mich immer bemüht, an allem, was wir auf diesem Gebiete tun, die Öffentlichkeit möglichst teilnehmen zu lassen, weil die Öffentlichkeit an diesen Fragen interessiert ist. Darum werde ich das auch weiter tun, Herr Dr. Brecht.
Nur sollten Sie davon Abstand nehmen, einzelne Beamte und Herren meines Hauses hier anzugreifen.Ich schließe: Es wird weiter gebaut. Gleichzeitig werden die großen Zukunftsaufgaben vorbereitet. Ich glaube, daß die Bundesregierung mit diesen Programmen und der bisherigen Leistung eine gute Ordnungsnummer verdient hat.Ich habe Sie jetzt nicht recht verstanden, Herr Dr. Brecht. Wollen Sie unseren Haushalt ablehnen? Das wäre das erstemal in zwölf Jahren. Das haben Sie gesagt.
— Sie lehnen also den Haushalt nicht ab?
Weil es noch zweifelhaft ist, will ich jetzt schon sagen, was ich sagen wollte. In den zwölf Jahren hat die SPD, wie ich weiß, sich bei der Abstimmung über diesen Einzelplan der Stimme enthalten. Sollten Sie den Haushalt ablehnen — ich will die Debatte nicht noch verlängern —, dann lehnen Sie damit nicht nur die Politik des Bundesministers ab, Sie lehnen auch die Möglichkeit ab, den sozialen Wohnungsbau fortzuführen.
Ich gebe Ihnen hier nicht die Chance, die Sie seit Jahren in der Frage der atomaren Verteidigung genutzt haben.Ich bitte Sie also darum, den Etat des Bundesministers für Wohnungsbau anzunehmen.
Das Wort hat Abgeordneter Dr. Brecht.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Laufe dieser Debatte sind eine Reihe von sehr konkreten und klaren und auch durchaus berechtigten Fragen gestellt worden. Auch in dem zweiten Teil der Rede des Herrn Ministers, den er vorbereitet hatte und so zur Kenntnis brachte, waren solche Fragen enthalten, jedoch nicht in dem unvorbereiteten Teil. Ich hatte an sich vor, auf einige dieser grundsätzlichen Fragen noch einzugehen. Ich muß Ihnen aber sagen, daß ich angesichts des persönlichen Angriffs, den der Herr Minister gegen mich vorgebracht hat, mich jetzt einfach nicht mehr in der Lage sehe und nicht die Möglichkeit habe, zu diesen Einzelfragen jetzt zu sprechen, weil es sonst vielleicht zu einer Debatte käme, bei der man seine Ausführungen nicht mehr immer sicher kontrollieren kann. Zu einer Frage aber, die der Wohnungsbauminister an mich gestellt hat, will ich eine ganz klare Antwort geben, obwohl sie nicht nötig wäre, sie ist ihm nämlich schon sehr oft gegeben worden. Das ist die Frage, ob ich für die soziale Marktwirtschaft in der Wohnungsversorgung bin. Herr Minister, ich habe Ihnen das wiederholt bestätigt und ich erkläre Ihnen nochmals: Jawohl, ich bin für die soziale Marktwirtschaft in der Wohnungsversorgung, nämlich für die freie Konsumwahl und damit auch für eine Preisbildung, die sich am Markt vollzieht. Aber
am Markt können Sie, wenn Sie sozial handeln, Preiselemente einbauen, durch die möglich wird, daß die marktwirtschaftlich gebildeten Preise nicht erwerbswirtschaftliche Gewinnpreise größten Stils sind, sondern daß eine Preisbildung zustande kommt, die man gemeinwirtschaftlich und sozial nennen kann.Ich bin aber gegen eine Marktwirtschaft, wie sie anscheinend in einigen Köpfen dieses Hauses — ob
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Dr. Brechtbei Ihnen selber, weiß ich nicht - eben nur als eine erwerbswirtschaftliche Marktwirtschaft angesehen wird. Denn es gibt innerhalb einer Marktwirtschaft immer, auf allen Gebieten, zwei Sektoren: einmal den erwerbswirtschaftlichen Sektor mit der Gewinnmaximierung und zum anderen den gemeinwirtschaftlichen Sektor mit der Bedarfsdeckung.
— Ich habe doch nicht von Abschaffen geredet!
Beides gehört zusammen, und beide Sektoren bilden die soziale Marktwirtschaft. Jeder Wirtschaftszweig ist um so besser organisiert, je mehr und je stärker in ihm der Sektor der Gemeinwirtschaft ist, weil dieser gemeinwirtschaftliche. Sektor dann Kontrollfunktionen und Einflußfunktionen gegenüber der Gewinnmaximierung im erwerbswirtschaftlichen Sektor hat. Aber das sind Dinge, die man nicht hier in einer politischen Debatte in diesem großen Stil im einzelnen auseinandersetzen kann, sondern die ein tieferes Eindringen notwendig machen.Ich habe auch nicht, Herr Minister, zu den selbstverständlichen Aufgaben des Ministeriums etwas gesagt, weil ich glaubte, das wäre nicht notwendig. Es braucht hier nicht vorgebracht zu werden, was alles erfolgreich gemacht wird, sondern hier wäre all das vorzubringen, was eben nicht als Lob und Anerkennung und Ruhmesblatt und meinetwegen auch Byzantinismus vorzubringen ist, hier wäre das vorzubringen, was als Kritik zu sagen ist. Ich glaube doch, daß es einem Abgeordneten überlassen sein muß, auch zu dem Haushalt eines Wohnungsbauministeriums wirklich ernsthafte und sachlich begründete Kritik vorzubringen.Ich verstehe Ihre persönlichen Angriffe in keiner Weise. Ich habe einen einzigen Ausdruck gebraucht, von dem zweifelhaft sein konnte, ob er vertretbar ist. Er ist von dem Herrn Präsidenten nicht gerügt worden. Aber auf einen Einwurf von Ihrer Seite aus — ich glaube, des Kollegen Dr. Vogel - habe ich ihn sofort korrigiert und habe den „Haß" in eine „Gegensätzlichkeit" umgemünzt. Sie sind in Ihrem Zitat wieder vom „Haß" ausgegangen.
— Nein; das können Sie von mir auch nicht verlangen, daß ich nun Haß gleich in Liebe ummünze. Mir genügte, daß konkret, genau gesagt wurde, was ich meinte, daß gar keine Verschwommenheit aufkommt, nämlich: echte Gegensätzlichkeit. Daß der Herr Minister eine Gegensätzlichkeit zur SPD hat, das wird man doch wohl noch sagen dürfen. Alle übrigen Ausdrücke und Erklärungen, die ich gebraucht bzw. abgegeben habe, bewegten sich in parlamentarischen Formen und stellten eine Kritik dar, die ein Abgeordneter vorbringen kann und darf.
Ich möchte aber auf das entschiedendste zurückweisen, daß Sie, Herr Minister, dieses Forum undIhre Stellung als Minister dazu benutzt haben, um Erklärungen des ostzonalen Rundfunks und Überschriften der ostzonalen Presse in eint unmittelbare Beziehung zu meiner Rede zu bringen. Sie haben gesagt, hier zeige sich der gleiche Geist, und das sei die gleiche Einstellung.
Ich betrachte das als eine Methode, die ich nur auf das schärfste verurteilen und zurückweisen kann.
Ich habe keinen parlamentarisch zulässigen Ausdruck, um meine Erregung und meinen Unwillen über diese Art und Methode des politischen Kampfes auszudrücken.
Angesichts einer solchen Kritik, die nur ins Persönliche ging und die nur das Persönliche treffen sollte, ist es mir nicht recht verständlich, daß sowohl Sie als auch Ihre Kollegen von der CDU gesagt haben, wir hätten auch weiterhin eine Gemeinschaftsaufgabe, dazu müsse man sich gemeinschaftlich zusammenfinden, und die Probleme sollten gemeinschaftlich gelöst werden. Herr Minister, wenn man etwas gemeinschaftlich lösen will — ich bin wirklich davon ausgegangen, daß hier eine Gemeinschaftsaufgabe vorliegt —, darf man nicht vorher die Elemente, die dazu verhelfen können, daß man zu einer Gemeinschaft kommt, mit derartigen persönlichen und in diesem Falle persönlich gehässigen Angriffen vernichten.
Das Wort hat der Abgeordnete Hesberg.
Herr Präsident Meine Damen und Herren! Zu den letzten Bemerkungen habe ich folgendes zu sagen. Herr Kollege Brecht, Sie haben die Wohnungsbaupolitik und gerade die Maßnahmen des vergangenen Jahres wiederholt in der Presse derart herabgesetzt, daß es Ihnen eigentlich hätte auffallen müssen, welche Resonanz Ihre Ausführungen in der Zonenpresse und bei den Zonensendern gefunden haben. Damit haben Sie uns hier in der Bundesrepublik keinen guten Dienst erwiesen.
Deshalb habe ich hier zu sagen, daß wir uns in vollem Umfange hinter den Minister stellen und ,daß wir ihm für alle die Leistungen dankbar sind, die er in den letzten Jahren und während seiner ganzen Amtszeit sowie als Abgeordneter in diesem Hause vollbracht hat. Gerade die Leistungen des vergangenen Jahres sind bewunderswert. Es ist bewundernswert, daß angesichts der Schwierigkeiten, die sich im vergangenen Jahr auftürmten, der Wohnungsbau in dieser Weise durchgeführt werden konnte.
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8710 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 152. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. März 1961
Wird noch das Wort in der allgemeinen Aussprache gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Dann schließe ich die allgemeine Aussprache.
Wir kommen nun zur Einzelaussprache und zur Abstimmung über die Änderungsanträge. Die sechs Änderungsanträge werde ich in folgender Reihenfolge aufrufen: Umdruck 794 Ziffer 1, Umdruck 830, Umdruck 794 Ziffern 2, 3, 4 und 5.
Zunächst Änderungsantrag Umdruck 794 Ziffer 1 Wird er besonders begründet? — Das ist nicht des Fall. Wird das Wort gewünscht? — Das ist auch nicht der Fall. Dann stimmen wir ab. Wer dem Antrag zustimmen will, der gebe das Handzeichen. — Gegenprobe! - Das ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Umdruck 830! Wird der Antrag begründet? — Bitte sehr!
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Dieses Haus hat sich in diesem Jahre daran erinnert, daß es gut sei, wenn man den Jungverheirateten unter die Arme greift, um zu einer Wohnung zu kommen.
— Also, ein solcher Antrag liegt vor.
Aber bei dieser Gelegenheit möchte ich darauf hinweisen, daß es noch eine Volksgruppe gibt, die .wir heute nicht vergessen sollten, und das sind die Evakuierten. In diesem Hause ist vor drei Jahren einmal gesagt worden, es sei die Politik der Bundesregierung, dafür zu sorgen, daß es in drei Jahren kein Evakuiertenproblem mehr gebe. Diese drei Jahre sind inzwischen vergangen. Heute müssen wir die Tatsache verzeichnen, daß immer noch 100 000 Evakuierte draußen in ihren Zufluchtsorten sitzen und keine Möglichkeit sehen, an ihren Ausgangsort zurückzukehren. Warum können sie nicht zurückkehren? Sie können nicht zurückkehren, weil es an den notwendigen Wohnungen fehlt. Und warum fehlt es an den notwendigen Wohnungen? Weil alle diejenigen, die ihre Rückkehr aus eigener Kraft managen konnten, zurückgekehrt sind und weil alle diejenigen, die lastenausgleichsberechtigt sind oder auf eine andere Art und Weise einen Zuschuß zur Wohnungsbeschaffung haben geben können, zurückgekehrt sind. Zurückgeblieben aber sind diejenigen, die nicht über solche Möglichkeiten verfügten. Es fehlt an der Spitzenfinanzierung für den Wohnungsbau für diese rückkehrwilligen Evakuierten, die jetzt noch — 16 Jahre nach Kriegsschluß - in großer Zahl draußen auf den Dörfern hocken.
Der Antrag, den wir vorgelegt haben, bezweckt, den Bund zu veranlassen, eine Bindungsermächtigung einzugehen, um durch die Spitzenfinanzierung den Evakuierten, die draußen sitzen — dem „Bodensatz", möchte ich einmal sagen —, die Möglichkeit zu geben, zurückzukehren. Wir versprechen
uns von einer Annahme unseres Antrages durch das Hohe Haus eine verstärkte Initiative der Länder und eine verstärkte Initiative der Gemeinden, um diese Art und Weise endlich einmal das so lange anstehende, aber doch begrenzte Problem zu lösen. Zwischen dem Bund und den Ländern besteht leider immer noch der Streit über die Rückführung der Evakuierten. Der Bund steht auf dem Standpunkt, er sei nur für die Rückführung von Land zu Land zuständig, die Rüchführung der Evakuierten innerhalb der Länder sei Sache der Gemeinden, sei Sache der Länder. Wir glauben, daß dieser Standpunkt nicht aufrechtzuerhalten ist; denn letzten Endes ist doch die Evakuierung während des Krieges erfolgt, und für solche Kriegsfolgen ist der Bund zuständig. Insbesondere für uns in Bayern ist diese Zweiteilung in der Frage der Rückführung der Evakuierten sehr zweischneidig. Wir haben so gut wie keine Außenevakuierten. Wir müssen mit dem Problem der Rückführung der Innenevakuierung ganz allein fertig werden, weil wir nicht auf die Hilfe des Bundes rechnen können.
Deshalb unser Antrag. Er geht aus von dem Gedanken, den Ärmsten der Armen zu helfen. Ich möchte Sie herzlich bitten, unserem Antrag die Zustimmung nicht zu versagen; denn wir können dadurch ein Problem lösen, ,das seit 16 Jahren nach einer Lösung schreit.
Das Wart hat der Abgeordnete Baier .
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst eine kurze Bemerkung: mit diesem Titel würde ein neuer „Sondertopf" geschaffen werden. Wir haben bisher in dem unbedingt notwendigen Rahmen gezielte Maßnahmen gefördert und „Sondertöpfe" geschaffen. Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, haben sie immer verdammt. Heute ist wieder von einer Zersplitterung der Wohnungsbaumittel gesprochen worden. Nun übertreffen Sie uns in den letzten Wochen schon zum zweiten Male, indem Sie neue Sondertöpfchen im Etat für das Bundeswohnungsbauministerium anlegen wollen. Ich frage mich wirklich, wo die Konsequenz in Ihren Reden liegen soll.Ein zweites. Die Rückführung der Evakuierten innerhalb der Länder ist zweifellos ausschließlich eine Aufgabe der Länder. In § 9 des Bundesevakuiertengesetzes ist eine Verpflichtung des Bundes bei der Rückführung von Evakuierten festgelegt. Sie beläuft sich auf einen Gesamtbetrag von 98 Millionen DM. Dieser Betrag ist bis zu 82 Millionen verteilt; die restlichen 16 Millionen stehen zur Verfügung. Bei aller Würdigung des Schicksals der Evakuierten hat damit der Bund die ihm durch das Bundesevakuiertengesetz auferlegten Verpflichtungen erfüllt. Ich bitte daher, den Antrag abzulehnen.
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 152. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. März 1961 8711
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Wir kommen zur Abstimmung. Wer dem Antrag zustimmen will, gebe das Handzeichen. — Gegenprobe! — Das ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Ich rufe auf den Änderungsantrag Umdruck 794 Ziffer 2. Soll er begründet werden? — Das ist nicht der Fall. Das Wort wird nicht gewünscht.
Wir kommen zur Abstimmung. Wer dem Antrag Umdruck 794 Ziffer 2 zustimmen will, gebe das Handzeichen. — Gegenprobe! — Das ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Ich rufe auf die Änderungsanträge Umdruck 794 Ziffern 3 und 4. — Das Wort hat der Abgeordnete Reitz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Baier hat soeben zu unseren Anträgen Stellung genommen. Leider ist es uns in der noch vor uns liegenden Zeit nicht möglich, die Konzeption und die Maßnahmen der Bundesregierung zu ändern. Wir müssen uns nun einmal der gegebenen Situation anpassen.Bei unserem Antrag geht es uns um den Personenkreis, der bisher bei dem Wohnungsbau auf der Strecke geblieben ist, nämlich um die Normalverbraucher mit geringem Einkommen und um die jungen Familien, die bei unserer Töpfchenwirtschaft bis jetzt in keine Kategorie hineinpassen.Die jetzige Aktion für junge Familien, die ihre gesetzliche Grundlage hat, ist nach unserer Auffassung unzureichend, da sie nur auf Eigenheime Bezug nimmt. Das mag in rein ländlichen Gegenden sinnvoll sein, aber das an den Arbeitsplatz in einer größeren Stadt gebundene junge Ehepaar kann nur in seltenen Fällen einen Bauplatz erhalten. Es verfügt auch nicht über die notwendigen Ersparnisse, um selbst einen wesentlichen Beitrag zur Schaffung von neuem Wohnraum leisten zu können und geht aus diesen Gründen leer aus.
Wir beantragen deshalb, die Mittel ausschließlich zur Gewährung von Zinszuschüssen und Aufwendungsbeihilfen im Rahmen der Wohnungsbauförderung für die Bevölkerungskreise mit geringem Einkommen, für den Normalverbraucher und insbesondere für junge Familien zu verwenden.Wir sind der Meinung, daß durch unseren Antrag ein Weg aufgezeigt wird, wie gerade jenen Bevölkerungskreisen, die bisher im sozialen Wohnungsbau fast leer ausgegangen sind, geholfen werden kann. Allerdings sind wir im Gegensatz zu anderen nicht der Auffassung, daß die Bereitstellung dieser 30 Millionen DM eine einmalige Sache sein sollte; das sollte vielmehr im Jahre 1961 beginnen und auf mehrere Jahre ausgedehnt werden.Der Ansatz von rund 50 Millionen DM Zinszuschüssen würde einen 5 % igen Zuschuß zu einem Kapital in Höhe von 1 Milliarde DM erlauben, und bei einem Kostensatz von 30 000 DM je Wohneinheit könnten im ersten Jahre rund 33 300 Wohnungen damit gefördert werden. Durch die Verbilligung der Kapitalmarktmittel auf vielleicht 2 % könnten dann aber gleichzeitig für den von uns vorgeschlagenen Personenkreis Wohnungen mit tragbaren Sozialmieten erstellt werden.In dem Antrag Umdruck 794 machen wir gleichzeitig zur Deckung dieser Mittel auch einige Vorschläge, und zwar soll der größte Teil der Mittel aus anderen Positionen des Einzelplans 25 genommen werden. Durch unseren Antrag würde also keine große zusätzliche Belastung eintreten. Für die kommenden Jahre müßten die Mittel allerdings aus den dann ja erfolgenden Rückflüssen genommen werden.Nun zu unserem Antrag Umdruck 794 Ziffer 4. Der Ansatz in Tit 620 a) in Höhe von 100 Millionen DM ist unzureichend. Er ist auch in Verbindung mit den in Tit. 620 c) ausgewiesenen 70 Millionen DM unzureichend; denn diese insgesamt 170 Millionen DM reichen nicht entfernt aus, um die Wohnungsbauprämie zu decken, werden doch dazu in diesem Jahre etwas über 450 Millionen DM benötigt. Das bedeutet, daß dem sozialen Wohnungsbau im Jahre 1961 fast 300 Millionen DM tatsächlich entzogen werden. Wir stellen deshalb in unserem Umdruck 794 Ziffer 4 den Antrag, daß diese 300 Millionen DM vom Bund gesondert bereitgestellt werden. Wir sind uns doch in diesem Hause darüber einig — das ist auch heute vormittag in der Debatte wiederholt zum Ausdruck gebracht worden —, daß wir von der Objektförderung nicht ganz abgehen wollen und auch nicht abgehen können. Deshalb ist es einfach eine zwingende Notwendigkeit, für 1961 so zu verfahren.Auch der Bundesrat vertritt die Auffassung, daß die Ausgaben für das Wohnungsbauprämiengesetz als einem Bundesgesetz in voller Höhe vom Bund zu tragen sind und nicht den Ländern angelastet werden können, da dies in dem Bundesgesetz sowieso nicht bestimmt ist.Unsere früheren im Sinne des Umdrucks 794 Ziffer 4 gestellten Anträge wurden von dem Herrn Bundeswohnungsbauminister immer mit der Begründung abgelehnt, der soziale Wohnungsbau werde nicht beeinträchtigt. Aber im Bulletin vom 23. Dezember 1960 hat der Herr Minister seine Meinung doch revidiert. Er hat dort den Standpunkt vertreten, man dürfe den sozialen Wohnungsbau nicht gleichzeitig von zwei Seiten abbauen, einmal durch die Degression in Höhe von 70 Millionen DM jährlich und zum andern durch den Entzug der Mittel für die Wohnungsbauprämie. Trotz dieser Erkenntnis wurde die Lösung schon im Jahre 1960 hinausgeschoben, und auch im Bundeshaushalt 1961 ist bis jetzt noch keine Änderung vorgesehen.Gewiß, der Herr Wohnungsbauminister hat versprochen — er hat es auch vorhin in seinen Ausführungen darzulegen versucht —, daß die alten Anträge, die die SPD früher gestellt hat, im Jahre 1962 verwirklicht werden sollen. Er hat mitgeteilt, es sei ihm gelungen, mit dem Finanzminister eine entsprechende Gesetzesänderung zu vereinbaren. Diese Mitteilung war auch im Union-Dienst vom 6. Februar 1961 zu lesen. Nach dieser Mitteilung
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8712 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 152. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. März 1961
Reitzsollen die Mittel für die Wohnungsbauprämie gesondert und ohne Beeinträchtigung des Wohnungsbaues zur Verfügung gestellt werden.Meine Damen und Herren, abgesehen davon, daß eine Gesetzesänderung nicht durch eine Vereinbarung zwischen zwei Ministern, sondern nur durch die Legislative rechtswirksam werden kann, vertrete ich die Auffassung, daß dies außerdem doch nur eine unverbindliche Erklärung darstellt. Wir sollten nicht auf den 4. Deutschen Bundestag warten, sondern den unhaltbaren Zustand dadurch beseitigen, daß wir Gelder für Wohnungsbauprämien schon jetzt aus den Mitteln des sozialen Wohnungsbaus im Einzelplan 25 des Etatjahrs 1961 besonders einsetzen.Ich bitte Sie deshalb, unserem Antrag zuzustimmen.
Das Wort hat der Abgeordnete Baier .
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Grundsätzlich darf ich zu den Anträgen der SPD folgendes sagen. Es wundert mich, daß Sie heute diesen immerhin umfangreichen Änderungskatalog vorbringen, während in der Haushaltsausschußberatung von Ihrer Fraktion nicht ein einziger Änderungsantrag gestellt wurde.
Ich darf zum zweiten darauf hinweisen, daß Ihr Antrag Umdruck 794 immerhin beachtliche Mehrausgaben in der Höhe von 320 Millionen DM aufzeigt, wofür, wenn er realisiert werden soll, natürlich auch eine Deckung vorhanden sein muß. Sie sagen zwar, einen Teil — das stimmt — wollen Sie durch Manipulationen in anderen Titeln übernehmen. Darf ich darauf hinweisen, daß Sie durch die von Ihnen vorgeschlagenen Manipulationen die Abtötung sämtlicher zusätzlichen Eigentumsmaßnahmen erreichen würden,
daß Sie den Bau von Wohnungen für Facharbeiter im Zonenrandgebiet dabei herauswerfen würden und daß Sie durch Ihre Maßnahme auch den Studenten- und Schwesternwohnheimbau treffen würden?
Das alles wollen wir nicht. Deshalb glauben wir,daß auch eine solche Deckung nicht zweckmäßig ist.Zur Sache selbst, zu Tit. 588 darf ich folgendes sagen. Ihr Antrag stellt einen Aufguß des Antrags dar, den Sie uns anläßlich der Baulanddebatte hier präsentiert haben. Ich sagte Ihnen damals: es ist ein illusionärer Antrag. Dazu stehe ich auch heute noch. Denken Sie daran, daß Sie durch diesen Antrag im Endeffekt 1750 Millionen DM für diese Maßnahme mobilisieren! Das ist bei all dem, was heute zur Wohnungsbausituation gesagt wurde, einfach eine Illusion.Wir haben seitens der CDU/CSU-Fraktion in dieser Frage getan, was richtig und zweckmäßig war, um den jungen Ehepaaren zu einer Wohnung zu verhelfen.
Wir haben einen Antrag gestellt, der bereits angenommen und im Etat verankert ist, daß 30 Millionen DM für Darlehen für junge Ehepaare zur Verfügung gestellt werden.Wir haben als zweites Miet- und Lastenbeihilfen— den Antrag kennen Sie — als Finanzierungsfaktor ab 1. Januar 1962 vorgesehen, quasi für Bauten, die in diesem Jahr entstehen. Ich glaube, daß wir damit den jungen Familien und den Minderbemittelten sowie auch den kinderreichen Familien wirkungsvoll, aber auch in einer für den Haushalt des Staates rationellen Weise geholfen haben.Im übrigen wäre es auch eine Aufgabe der Länder — diese haben angesichts ihrer Steuermehreinnahmen wahrhaftig die Möglichkeit dazu —, sich diesen Maßnahmen anzuschließen.
Ein Hinweis 'zu Ihrem anderen Antrag, die Mittel für Prämien nach dem Wohnungsbauprämiengesetz um 300 Millionen DM zu erhöhen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, es wurde heute des öfteren davon gesprochen, daß aus Bundesmitteln für Prämien nur 100 Millionen DM zur Verfügung stehen. Ich darf sagen: neben den 100 Millionen stehen noch 73 Millionen DM.
— Sie haben es gesagt, Herr Kollege. In der vorhergehenden Diskussion allerdings ist das immer unter den Tisch gefallen. Aber außer dem, was Sie genannt haben, stehen noch 50 Millionen DM für die Länder mit überdurchschnittlicher Belastung zur Verfügung. Der Bund gibt also bereits heute 223 Millionen DM zur Abdeckung der Wohnungsbauprämien. Die Situation ist auf dem Gebiet der Wohnungsbauprämien der vergangenen Jahre, vor allem für das besonders belastete Land Baden-Württemberg, in zufriedenstellender Weise geregelt. Auch für das Jahr 1961 ist eine Regelung durch die Teilung des Spitzenbetrages zwischen Bund und Land gefunden worden. Für das Jahr 1962 erfolgt, wie wir heute gehört haben, die endgültige Lösung der Wohnungsbauprämien von der Wohnungsbaufinanzierung. Wir begrüßen das, und wir alle wünschen nur, daß die angekündigte Regelung sehr bald kommt.Auf Grund dieser Tatsachen dürfte sich Ihr Antrag— abgesehen von der Deckungsfrage, auf die ich nicht noch einmal eingehen will — erübrigen.
— Für dieses Jahr ist eine Regelung zwischen Bund und Land getroffen. Der Bund bringt 223 Millionen DM dafür auf. Sie müssen doch auch, bevor sie einen solchen Antrag stellen, klären, wie die für die Dekkung erforderlichen Mittel aufgebracht werden sol-
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Baier
len. Man kann doch nicht aus der hohlen Hand 300 Millionen DM auf den Tisch legen!Zum Schluß noch ein Wort zu dieser Debatte. Wir haben gehört, auch im Jahre 1961 wird seitens des Bundes ein Bewilligungsrahmen von 2,6 Milliarden DM zur Verfügung stehen. Dadurch ist sowohl die Degression der öffentlichen Mittel als auch die Belastung durch die Wohnungsbauprämien in geeignet ter Form aufgefangen worden, so wie es in den vergangenen Jahren der Fall war.Es läßt sich nicht bestreiten: es ist eine stolze Bilanz, die unser Wohnungsbau, das zuständige Ministerium und die Regierungspartei ziehen kann. Sie haben gesagt, die Leistung des Wohnungsbaues sei nicht Sache des Bundes allein. Niemand bestreitet das, auch wir nicht. Aber Sie haben heute in der Debatte alle Verantwortung für den Wohnungsbau dem Bundeswohnungsbauminister und der Bundesregierung auferlegt. Dieser Bundeswohnungsbauminister und diese Bundesregierung haben die Verantwortung für den Wohnungsbau hervorragend getragen und hervorragend erfüllt. Deshalb haben sie Anspruch auf Lob und Anerkennung, und das sprechen wir diesem Bundeswohnungsbauminister uneingeschränkt aus.
Die Sitzung wird fortgesetzt.
Zum Einzelplan 25 ist noch nachzuholen die Abstimmung über Ziffer 2 des Antrags des Haushaltsausschusses auf Drucksache 2517, den Antrag der Fraktion der CDU/CSU durch die Beschlußfassung zu Ziffer 1 für erledigt zu erklären. Ich darf das Einverständnis des Hauses feststellen; es ist so beschlossen.
Ich rufe dann auf den Einzelplan 26:
Einzelplan 26 — Geschäftsbereich des Bundesministers für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte .
Der Bericht des Herrn Abgeordneten Windelen liegt vor. Soll dieser Bericht ergänzt werden?
Ich danke dem Herrn Berichterstatter und eröffne die allgemeine Aussprache. Herr Abgeordneter Jaksch hat das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Anträge zum Einzelplan 26 berühren nur zwei Teilabschnitte des großen Aufgabenbereichs des Ministeriums für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte. Wir können nicht umhin, im Zusammenhang damit auch die Gesamtverpflichtungen dieses Ministeriums einer Erörterung zu unterziehen. Meine politischen Freunde von der SPD-Fraktion dieses Hauses sind der Meinung, daß die Existenz dieser großen Betreuungsstelle für die besonderen Anliegen eines Viertels der Gesamtbevölkerung der Bundesrepublik auch weiterhin zu bejahen ist. Der Schein einer oberflächlich vollzogenen Eingliederung trügt. Der große soziale
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JakschDeklassierungsvorgang, der mit den Massenvertreibungen verbunden war, ist noch lange nicht behoben. Allein die Losreißung von dem immensen Realvermögen Ostdeutschlands, des Sudetenlandes und der anderen Vertreibungsgebiete hat eine Verschiebung der sozialen Startbedingungen für Millionen Menschen bedeutet, Nachteile auch im Status der betroffenen Familien, die in einer Generation gar nicht aufzuholen sind. Darum, meine Damen und Herren, lehnen wir es ab, das oftmals tendenziös überzeichnete Bild des „Erfolgsflüchtlings" als eine wahrheitsgetreue Aussage über die soziale und wirtschaftliche Situation in diesem Bevölkerungssektor hinzunehmen. Was sich diese Menschen aus eigener Bewährung neu errungen haben mit zusätzlicher Arbeit, mit tapfer getragener Entbehrung sei ihnen endlich ohne Neid und Mißgunst gegönnt.Uns obliegt es aber gerade bei der Behandlung dieses Kapitels des Haushalts, auf die vielen offenen Fragen hinzuweisen, auf die Härten und Ungerechtigkeiten, die noch immer das Vertriebenen-und Flüchtlingsschicksal in der Bundesrepublik begleiten. Es würde ein zu langer Katalog werden, all diese Dinge hier aufzuzählen. Man braucht nur an die Lastenausgleichsgesetzgebung zu erinnern, an die Hoffnungen, die an das 131 er Schlußgesetz geknüpft werden, an die effektiven Benachteiligungen, die sich aus der Anwendung des Fremdrentengesetzes ergeben, und nicht zuletzt an die unerfüllten Forderungen der Sowjetzonenflüchtlinge, Kriegssachgeschädigten und Evakuierten.Bei der Fülle der Probleme der modernen Industriegesellschaft wird es immer schwieriger, diese Fragen zur Erörterung zu stellen — auch in diesem Hause —, und damit entstehen Diskrepanzen, auf die von Zeit zu Zeit mit dem gleichen Nachdruck hingewiesen werden sollte, mit dem Herr Rehwinkel die Forderungen der Grünen Front anzumelden pflegt. Es spricht warhaftig jedem sozialen Rechtsempfinden hohn, wenn das ganze Land von der Diskussion über eine breite Vermögensstreuung und Vermögensbildung widerhallt, während rechtschaffene Bauersleute, Handwerker und andere ehemals selbständig Berufstätige in ihrem Alter auf die Bettelsuppen der Wohlfahrtsunterstützung angewiesen sind,
weil sie bei der großen Vertreibungswelle zuerst in Mitteldeutschland oder in Osterreich landeten und erst nach dem 31. Dezember 1952 in der Bundesrepublik eingetroffen sind.Meine politischen Freunde betrachten es als eines der größten Versäumnisse dieses Ministeriums, daß es das Problem der sogenannten Stichtagversäumer nicht als einen vordringlichen Sonderfall behandelt und rechtzeitig einer Sonderregelung zugeführt hat.
Hier geht es um das Schicksal von einer halben Million Menschen, die sich zu Recht benachteiligt fühlen, weil sie wie alle anderen Schicksalsgefährten aus ihren Heimatgebieten alles verloren haben, eine zweite Heimat aber erst auf Umwegen undunter neuerlicher Zurücklassung ihrer bescheidenen Habe erreichen konnten.Gewiß können wir nicht den Anreiz dazu geben — das sei ohne weiteres zugestanden —, daß alle 3,5 Millionen Vertriebenen aus der Zone zu uns übersiedeln und hier jenen Lastenausgleich begehren, den ihnen Herr Ulbricht schuldig geblieben ist. Jenen aber, die sich schon seit Jahr und Tag in der Bundesrepublik aufhalten, die hier durch ihre Arbeit, durch ihren Fleiß zur Vergrößerung des Sozialprodukts beigetragen und alle Härten eines neuen Existenzaufbaus auf sich genommen haben, sollten wir eine Einbeziehung in die Leistungen des Lastenausgleichs nicht versagen.Herr Minister Dr. von Merkatz hat uns hier am 16. Dezember vorigen Jahres die Zusage gegeben, daß er sich besonders der „unterentwickelten Gruppen" annehmen wolle. Hier wäre ein dankbares Feld für die Einlösung seiner Worte gegeben, zumal auch sein Parteifreund, der Ministerpräsident von Schleswig-Holstein, Herr von Hassel, im Bundesrat bereits weitreichende Zusagen hinsichtlich der Gleichstellung der Sowjetzonenflüchtlinge und der Vertriebenen gemacht hat.Ich zögere fast, eine sehr milde Kritik an den Herrn Minister anzuschließen. Ich muß sagen, ich habe keinen Blumenstrauß mitgebracht, um ihn überreichen zu können. Aber auf Grund der Erfahrungen, die heute vormittag der Kollege Brecht gemacht hat, müssen wir uns sehr in acht nehmen, insbesondere vor der Methode, ,die wir da erlebten, daß der Herr Minister den Abgeordneten der Opposition examiniert und befragt, warum er diese und jene Fragen nicht gestellt hat.
Meine Damen und Herren, ich kann mir eine solche Prozedur im englischen Unterhaus nicht vorstellen; denn da ist für die Würde des Parlaments auch dann noch ein Gefühl vorhanden, wenn Abgeordnete der Opposition gesprochen haben. Das nur als kleine Zwischenbemerkung.Ich möchte also in diesem Zusammenhang heute keine Detailkritik üben, obwohl mancher Anlaß dazu bestünde. Was uns betrübt und was wir anläßlich der Haushaltsberatung zu kritisieren haben, das ist der Geist der Kleinmütigkeit
— sagen Sie nicht zu früh „Sehr richtig", Herr Kollege —, der in dem Haus in der Husarenstraße herrscht, wenn es darum geht, den Anstoß für die Verbesserung der Gesetzgebung zugunsten der ihm anvertrauten Bevölkerungsgruppen zu geben. Ich weiß nicht, wie das kommt. Sobald die Finanzierungsfragen für die Berücksichtigung der noch ausstehenden Anliegen der Vertriebenen und Sowjetzonenflüchtlinge auf die Tagesordnung kommen, wird immer der kleine Rechenstift in die Hand genommen. So kam es bezüglich des Aufkommens, bezüglich der Leistungsfähigkeit des Lastenausgleichs zu grotesken Fehlschätzungen, zu Fehlschätzungen, welche natürlich das Tempo und den Umfang der Novellierungen sehr beeinträchtigt
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 152. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. März 1961 8715
Jakschhaben. Ich habe bisher kein anderes Gebiet der Bundesverwaltung kennengelernt, in das der Geist eines schwarzen Pessimismus Einzug hält, wenn bloß von der Planung finanzieller Aufwendungen zugunsten des anvertrauten Personenkreises die Rede ist.Die Folge ist, daß die Lastenausgleichsberechtigten an der Erhöhung des Sozialproduktes nicht einmal jenen Anteil hatten, den sogar die statische Konstruktion der Lastenausgleichsgesetzgebung gestattet hätte. Es ist kein Ruhmesblatt für die Führung des Bundesministeriums, dessen Haushalt wir hier beraten, daß die Ansätze zur Finanzierung der 13. und jetzt der 14. Novelle zum Lastenausgleichsgesetz so beschämend niedrig gewesen sind. In der ersten Fassung, die zur Begutachtung in Umlauf gesetzt wurde, war von Mehraufwendungen in der Höhe von 2,5 Milliarden die Rede. Nach einigen Verbesserungen, die dann später hinzugefügt wurden, kam eine Regierungsvorlage vor dieses Haus, die mit einem Gesamtaufwand von 4,6 Milliarden rechnete. Zur Zeit ist aber der Lastenausgleichsausschuß bereits bei Vorschlägen und Formulierungen, die nach unserer Schätzung fast den doppelten Aufwand erfordern.
Es sind also immerhin 4 Milliarden DM versteckter Reserven inzwischen gefunden worden, und es wird von Experten angenommen, daß im Haushalt des Bundesausgleichsamts noch immer 4 Milliarden oder 5 Milliarden DM versteckter Reserven vorhanden sind.Ich will hier in aller Fairneß einschalten, daß sich auch die sachverständigen Kollegen von der CDU-Seite des Hauses gerade im Lastenausgleichsausschuß sehr um die Verbesserung der Regierungsvorlage mit bemüht haben. Ich möchte hier besonders den Kollegen Kraft erwähnen, der als Vorsitzender des Lastenausgleichsausschusses sich zweifellos in dieser Richtung — Verbesserung der Regierungsvorlage — sehr angestrengt hat, was ich hiermit bestätige.
— Verehrter Herr Kollege, ich glaube jedoch, dem Kollegen Kraft ging es ungefähr so, wie es dem englischen Feldherrn Wellington in der Schlacht bei Waterloo gegangen ist.
— Sie erinnern mich schon an den Wortlaut des Zitats. In diesem Falle könnte man an Stelle der „Preußen" die SPD-Fraktion dieses Hauses setzen;
denn, meine Damen und Herren, als die Schlachtschon an einem sehr kritischen Punkt angelangt war— Herr Kollege Kraft, Sie wissen es —, ist die SPD-Fraktion zu Hilfe gekommen, und die Anträge des Bundes der Vertriebenen haben in ihrem vollen Umfange die Unterstützung der SPD-Fraktion dieses Hauses gefunden.Es ist in dieser Debatte schon sehr viel an der Haltung der Opposition kritisiert worden. Ich bin neugierig, ob auch einmal ein gutes Wort an die Adresse .der Opposition von Ihrer Seite gesagt werden wird.In der Tat, die Verbesserungen der Lastenausgleichsgesetzgebung, die nun in Form der 14. Novelle Gestalt annehmen sollen, sind nicht zuletzt darauf zurückzuführen, daß auch die große Oppositionspartei dieses Hauses die Forderungen des Bundes der Vertriebenen übernommen hat.Dazu noch eine Bemerkung. Es wird manchesmal innerhalb und außerhalb dieses Hauses die Vermutung ausgesprochen, daß die SPD mit ihren Gesprächen mit den Landsmannschaften und den Landesorganisationen der Vertriebenen nur wahltaktische Absichten verfolge. Wir können jedoch mit Genugtuung sagen, daß auch die anderen Parteien dieses Hauses mittlerweile denselben Weg gegangen sind.Wir wollen das Ergebnis der Beratungen des Lastenausgleichsausschusses dieses Hauses in der Haushaltsberatung nicht vorwegnehmen. Ich halte es aber für meine Pflicht, den zuständigen Herrn Minister und seinen Herrn Staatssekretär auf die tiefgehende Unruhe aufmerksam zu machen, die sich der Heimatvertriebenen und Sowjetzonenflüchtlinge wegen des schleppenden Ganges der Verbesserungsgesetzgebung in den letzten Monaten bemächtigt hat. Ich würde die Kollegen der CDU/ CSU-Fraktion dieses Hauses sehr darum bitten, die Frage der Einbeziehung der sogenannten Stichtagsversäumer in den Lastenausgleich nochmals aufzugreifen und die Entscheidung zu überprüfen. Wenn Sie unserem Rat nicht folgen, werden Sie in mancher Versammlung die Enttäuschung der Betroffenen erleben.Zum Schluß möchte ich noch kurz zu unseren Änderungsanträgen Stellung nehmen. Der Änderungsantrag Umdruck 802 ist von Kollegen aller Fraktionen dieses Hauses unterzeichnet. Der Antrag bezweckt eine Erhöhung der Mittel für die Betreuung der heimatlosen Ausländer in der Bundesrepublik. Der Antrag ist eine noble Geste gegenüber den Menschen, die um ihrer Überzeugung willen ihre Heimat verlassen mußten und bei uns in Westdeutschland eine Zuflucht gefunden haben. Wir stimmen aus vollem Herzen zu, daß diesen Menschen jede kulturelle Förderung gewährt wird und daß ihnen geholfen wird, ihr geistiges und kulturelles Eigenleben im Exil zu bewahren. Ich kenne das bittere Los der Emigration aus eigener Erfahrung und weiß, welche Ermutigung es bedeutet, in einem ungleichen Ringen von der Seite des Gastlandes wenigstens Verständnis zu finden.Nun besteht aber eine gewisse Diskrepanz zwischen dem gerade genannten Posten und den Mitteln für die Förderung und Erhaltung des kulturellen Heimaterbes der Vertriebenen. Für die heimatlosen Ausländer sind 540 000 DM vorgesehen. Es würde nicht sehr gut aussehen, wenn daneben die Mittel für die Kulturförderung der Heimatvertriebenen mit einem Betrag von 1 Million DM
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Jakscheingefroren blieben. Meine politischen Freunde haben daher den Änderungsantrag gestellt, die Mittel in Tit. 601 — Zuschüsse zur Erhaltung und Ausweitung des kulturellen Heimaterbes der Vertriebenen — von 1 Million DM auf 1 200 000 DM zu erhöhen.Lassen Sie mich gleich hinzufügen, daß unser Antrag kein Ausdruck unseres .Vertrauens zu den Methoden der Kulturbetreuung im Bundesvertriebenenministerium darstellt. Im Gegenteil, wir haben das Empfinden, daß hinsichtlich dieser Dinge dort manchmal ein engherziger Geist herrscht, ein Geist der Exklusivität und eine gewisse Abneigung gegen Breitenwirkungen. Wir haben unsere diesbezüglichen Bedenken und Wünsche bereits angemeldet. Ich möchte der Hoffnung Ausdruck geben, daß der Periode der Plan- und Ziellosigkeit bald eine Konzeption der Aufgeschlossenheit folgt und daß eine Koordinierung mit den Kulturförderungsmaßnahmen der einzelnen Länder vorgenommen wird. Jedenfalls vertreten wir mit diesem Antrag die Forderung nach einer Überprüfung der bisherigen Gesichtspunkte und die Forderung nach mehr Volkstümlichkeit und größerer Breitenwirkung bei der Förderung des kulturellen Heimaterbes der Vertriebenen. Diese Forderungen werden nicht von der Tagesordnung verschwinden.Ich muß mir mit Rücksicht auf die etwas knappe Zeit versagen, zum Schluß noch eine ganze Reihe von schmerzlichen Versäumnissen der Bundesregierung auf dem Gebiet der Betreuung der Vertriebenen, der Sowjetzonenflüchtlinge und der Evakuierten ausführlich darzulegen. Ich meine damit vor allem den Wohnungsnotstand der sogenannten Altvertriebenen. Diesen Wohnungsnotstand können Sie ohne gezielte Maßnahmen nicht beseitigen.
Denn auf dem Wohnungsmarkt kommen diese Menschen, die seinerzeit nach 'der Vertreibung irgendwo auf einem Dorf draußen in einer Behelfs- oder Notwohnung gelandet sind, nicht zum Zuge.Ich meine damit auch die Siedlungsprobleme des heimatvertriebenen Landvolks, die eine Ausschöpfung aller vorhandenen Möglichkeiten, wahrscheinlich aber auch neue Finanzierungsmethoden erfordern. Denn trotz aller Zusagen, die uns bisher seitens der Regierung gemacht wurden, sind die uns vorliegenden Berichte über die Leistungen der letzten Jahre auf dem Gebiet der Ansiedlung des heimatvertriebenen Landvolks keineswegs zufriedenstellend. Hier ist in der Tat eine neue, große Kraftanstrengung erforderlich.Auch die Frage einer wirksamen Vorfinanzierung des Lastenausgleichs möchte ich hier erwähnen. Wir haben die Ankündigung einer solchen Vorfinanzierung schon mehrfach gehört, zuletzt in den Ausführungen des Herrn Ministers Dr. von Merkatz am 16. Dezember vorigen Jahres. Es wäre keine Sensation mehr, wenn der Herr Minister uns heute mitteilen könnte, daß diese Ankündigung endlich realisiert worden sei.
Schließlich möchte ich gern aus dem Munde des Herrn Ministers oder seines Staatssekretärs erfahren, wie weit es mit dem guten Vorsatz gekommen ist — der uns ebenfalls am 16. Dezember verkündet wurde —, die Laufzeit der Lastenausgleichsabgaben für finanzstarke Abgabepflichtige abzukürzen, um dadurch die Voraussetzungen für eine schnellere Abwicklung des Lastenausgleichs zu schaffen. Kollege Reitzner hat schon mehrfach, ich glaube, auch von dieser Tribüne aus, gesagt — und ich wiederhole es hier —, daß wir einen Lastenausgleich für die Lebenden brauchen und nicht einen Lastenausgleich für die Toten. Der Herr Minister hat uns in dieser Richtung zwar Andeutungen gemacht, die uns mit Hoffnung erfüllten. Aber wenn er diese Ankündigungen Wahrmachen will, dann ist es höchste Zeit, daß die gesetzgeberischen Maßnahmen eingeleitet werden. Denn der Rest der Legislaturperiode müßte mit Eile genützt werden.Zusammenfassend möchte ich also sagen, daß wir berechtigte Zweifel hegen, ob in dem Ministerium für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte noch genügend motorische Kraft steckt, um die Aufgaben bewältigen zu können, die noch einer Erledigung harren.Wir wollen nicht zu dem heutigen Chef des Ressorts ungerecht sein. Er hat sicher kein sehr erfreuliches Erbe übernommen. Er kann auch nicht die Versäumnisse im Handumdrehen wiedergutmachen, die zweifellos vor seiner Amtstätigkeit zu verzeichnen gewesen sind. Mit diesen Einschränkungen möchte ich aber doch hinzufügen: auf die Dauer ist den Vertriebenen und Sowjetzonenflüchtlingen — immerhin einer bedeutenden Schicht in der Bevölkerung — mit einem Mehrzweckminister nicht geholfen. Diese Aufgabe erfordert doch die ganze Arbeitskraft eines tätigen und rührigen Mannes. An dem guten Willen des Herrn Ministers wollen wir nicht zweifeln. Aber er hat auch noch das Pech gehabt, mit in die Angelegenheiten der Entwicklungsländer verwickelt zu werden. Dafür kann er nichts; daran war die Erkrankung des Herrn von Brentano schuld. Aber wir fürchten sehr, daß der Vertriebenenminister im Endspurt der Legislaturperiode nicht genügend Energie und Initiative entfalten kann, die nach Lage der Dinge notwendig sind. Wir beklagen daher, daß dieses wichtige Schlüsselministerium seit dem Abgang des Schlesiers Lukaschek zu einem Objekt der Machtspekulationen — ich muß es leider sagen — des Herrn Bundeskanzlers geworden ist.
Meine politischen Freunde in diesem Hause haben mehrfach ihr Verständnis für den Aufgabenbereich des Vertriebenenministeriums bekundet, indem sie in früheren Jahren dem Einzelplan 26 ihre Zustimmung gegeben haben. Dieses überparteiliche Verständnis hat jedoch auf der anderen Seite nicht das entsprechende Echo gefunden. Die SPD-Fraktion wird sich daher in der jetzigen Haushaltsberatung bei der Abstimmung über den Einzelplan 26 der Stimme enthalten.
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 152. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. März 1961 8717
JakschWir bitten jedoch das Hohe Haus, unserem Änderungsantrag Umdruck 826 zuzustimmen. Selbstverständlich werden wir auch für den gemeinsamen Antrag Umdruck 802 unsere Stimme abgeben.
Das Wort hat der Abgeordnete Kuntscher.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will keine lange Rede halten, sondern nur einige der Ausführungen meines Herrn Vorredners berichtigen. Daß auf dem Sektor Flüchtlinge und Vertriebene noch eine ganze Reihe von Problemen offen sind, ist uns allen klar. Der Herr Kollege Jaksch hat ein besonderes Problem herausgegriffen. In der Lastenausgleichsgesetzgebung beraten wir jetzt die 14. Novelle. Uns ist im Hause bereits der Vorwurf gemacht worden, daß innerhalb von wenigen Jahren 14 Novellen zu einem Gesetz hätten verabschiedet werden müssen. Die Antwort, die darauf zu geben ist, lautet: In den Jahren 1950/51, als diese schwierige Gesetzesmaterie beraten wurde, konnte niemand genau sagen, was auf der Einnahmenseite als erhaltengebliebenes Vermögen und was auf der Ausgabenseite nach der Schadensfeststellung stehen würde. Auf beiden Seiten eine Nebelbank und Schätzungen, für die greifbare Unterlagen fehlten. So ist es gekommen, daß wir 14 Novellen verabschieden und immer wieder Bilanz machen mußten. Auf der einen Seite mußten wir fragen: Was steckt im Fonds noch drin?, und auf der anderen Seite mußten wir eben Korrekturen anbringen, um Härten, die sich aus der ersten Gesetzesfassung ergaben, zu beseitigen.Es ist richtig, daß es bei den Vorbesprechungen zu dieser 14. Novelle ein ziemliches Handeln darüber gegeben hat, was noch im Fonds stecke. Wenn wir auf die laufenden Beratungen sehen, müssen wir sagen, daß diese Novelle wegen der Leistungserhöhungen in allen Sparten die beste aller bisherigen Novellen werden wird.
Darüber wollen wir uns alle miteinander freuen. Wir wollen uns aber auch darüber Rechenschaft geben und zugestehen, daß das Klima und die Atmosphäre gerade im Lastenausgleichsausschuß sehr gut sind, und es ist bekannt, daß das mehr oder wenig gute Klima die Güte der Arbeit in einem Ausschuß sehr stark beeinflußt.Ich möchte auch einige Worte zu dem Problem der Versorgung der ehemals Selbständigen sagen. Dieses Problem beschäftigt uns schon sehr lange. Wir haben mit der 12. Novelle den ersten Schritt zur Verbesserung der Altersversorgung für die Selbständigen getan, indem wir zur Unterhaltshilfe eine Alterszulage in Höhe von 27 DM pro Monat beschlossen haben. Wir haben die Absicht, diesen Betrag der Altershilfe auch in der 14. Novelle wesentlich zu erhöhen. Daß wir damit natürlich nicht allein die Bauern, sondern die Selbständigen allgemein bedenken müssen, ist für uns eine Selbstverständlichkeit. Das Fremd- und Auslandsrenten-Besetz, das wir wirklich sehr begrüßen, ist ein weiterer Schritt auf dem Wege zu einer besseren Altersversorgung der Vertriebenen und Flüchtlinge.Lassen Sie mich noch ein Wort zu dem Thema Stichtag sagen. Wir wissen, daß in jedem Gesetz die Festlegung eines Stichtages Härten mit sich bringt; das läßt sich nicht ändern. Sie wissen auch, daß der im Lastenausgleichsgesetz für die Wohnsitznahme bestimmte Stichtag — 31. Dezember 1952 — uns allen sehr viel Sorgen macht. Wir wollen aber nicht vergessen, daß dieser Stichtag heute in dreizehn weiteren Gesetzen festgelegt ist und daß seine Aufhebung zwangsläufig auch den Druck jener Gruppen erzeugen würde, für die in den sie betreffenden Gesetzen der gleiche Stichtag festgesetzt ist. Daß aber ein Teil der Heimatvertriebenen — auch Kollege Jaksch hat von ihnen gesprochen —, die bei der Vertreibung aus ihren Heimatgebieten schließlich nicht bestimmen konnten, daß sie in der russischen, in der französischen, in der amerikanischen oder in der britischen Zone mit ihrem Transport abgesetzt werden — 3 1/2 oder 4 Millionen Menschen, die erst nach dem Stichtag aus der Zone flüchten mußten, landeten in der Zone —, nicht lastenausgleichsberechtigt ist, ist eine große Härte. Wir werden aber mit der 14. Novelle den ersten Schritt vorwärts tun. Wir werden den Heimatvertriebenen, die als Zonenflüchtlinge nach dem Stichtag 31. Dezember 1952 ihren Wohnsitz in der Bundesrepublik genommen haben und die den C-Ausweis besitzen, als vollberechtigt in alle Lastenausgleichsleistungen einbeziehen.
Sie sehen, daß uns all diese Probleme wirklich, und zwar sehr ernsthaft bewegen.Zur Frage der Vorfinanzierung beim Lastenausgleich. Meine Damen und Herren, daß uns auch dieses Problem seit langem bewegt, ist allen Interessenten bekannt. Bereits in der 13. Novelle haben wir eine Regelung für eine echte Vorfinanzierung geschaffen. Ab 1. April dieses Jahres soll jeder, der einen Feststellungsbescheid in der Hand hat, über 50 Jahre alt ist und seinen Anspruch auf Hauptentschädigung nicht etwa durch Aufbaudarlehen oder durch Bezug der Unterhaltshilfe irgendwie belastet hat, die Möglichkeit haben, zu einem Geldinstitut zu gehen, um sich dort eine gesperrte Spareinlage errichten zu lassen. Es besteht die Aussicht, daß diese gesperrte Spareinlage bald freigegeben wird, wie es seinerzeit bei den Altsparguthaben geschehen ist. Ferner wird durch die Ausgabe von Obligationen und die Möglichkeit der Eintragung in das Bundesschuldbuch ein ganz beachtlicher Teil von Hauptentschädigungsberechtigten Werte in die Hand bekommen, mit denen sie etwas anfangen können. Die gesamte Aktion, die ich hier genannt habe — Errichtung von Sparguthaben, Obligationen, Eintragung ins Schuldbuch —, wird sich in einer Größenordnung von 4 bis 5 Milliarden DM bewegen. Diese 4 bis 5 Milliarden DM sind wiederum eine neuerliche indirekte Vorfinanzierung für den Lastenausgleich.
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8718 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 152. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. März 1961
KuntscherKollege Jaksch hat weiter von der Wohnungsnotlage der Altvertriebenen gesprochen, von den alten Wohnlagern. Es dürfte ihm nicht bekannt sein, daß bereits seit zwei Jahren ein Sonderprogramm läuft, welches diesem Notstand steuern soll. Im Haushalt 1961 sind 49 Millionen DM Bundesmittel vorgesehen, die bereits im Dezember des vergangenen Jahres an die Länder verteilt wurden, damit sie vorausplanen können, was mit diesen Mitteln auf dem Gebiet der Wohnlagerräumung getan werden soll, und zwar so schnell wie möglich. Dieses Programm soll vier Jahre laufen. In vier Jahren soll dadurch das unschöne Bild der Wohnlager beseitigt und soll die Not der Menschen in diesen Wohnlagern behoben sein.Zur kulturellen Betreuung! Herr Kollege Jaksch, ich stimme mit Ihnen vollständig überein, daß auf diesem Gebiet eine Bestandsaufnahme wird durchgeführt werden müssen. Denn was in der kulturellen Betreuung vor 12 Jahren vielleicht richtig und gut gewesen ist, muß und kann nach 12 Jahren eben nicht mehr das Richtige sein. Es wird wichtig sein, hier einmal eine Überholung vorzunehmen. Unter Überholung verstehe ich, daß die verschiedenen Institute, die sich auf diesem Gebiet betätigen, einmal durchleuchtet werden, damit festgestellt wird, ob die Existenz dieses oder jenes Instituts noch notwendig ist oder ob nicht hier oder da Einrichtungen nur noch zur Versorgung bestimmter Personen erhalten werden. Wir haben dieses Problem im engeren Kreis bereits besprochen, und wir werdet uns dieser Aufgabe unterziehen.Ich möchte die Gelegenheit der Aussprache über den Einzelplan 26 nicht vorübergehen lassen, ohne dem Ministerium in der Husarenstraße den Dank dafür auszusprechen, daß es die Sammlungen aus Anlaß des Weltflüchtlingsjahres in der Bundesrepublik doch noch zu einem ganz beachtlichen Erfolg geführt hat.
Das Aufkommen von mehr als 22 Millionen DM ist zum weitaus größten Teil durch Spenden aufgebracht worden. Nur etwa ein Viertel der Gelder stammt aus öffentlichen Haushalten. Mit dem genannten Aufkommen steht die Bundesrepublik an vierter Stelle aller Staaten. Vor der Bundesrepublik rangiert an erster Stelle England, von wo der Gedanke eines Weltflüchtlingsjahres ausgegangen ist. An zweiter Stelle stehen die USA, und an dritter Stelle folgt Österreich. Aber bei Österreich ist das etwas problematisch, weil die Osterreicher auch die Ausgaben für den sozialen Wohnungsbau für die Vertriebenen in ihr Aufkommen für das Weltflüchtlingsjahr einbezogen haben. So ist die Bundesrepublik an die vierte Stelle gerückt. Ich möchte also die Gelegenheit der heutigen Aussprache benutzen, dem Bundesvertriebenenministerium für die Mühe zu danken, die es aufgewendet hat, um im Weltflüchtlingsjahr diesen Erfolg zu erzielen.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Rutschke.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Herr Bundesfinanzminister hat vor einigen Tagen der Fraktion der Freien Demokratischen Partei den Vorwurf gemacht, sie habe auf der einen Seite Steuersenkungen verlangt, auf der anderen Seite aber dafür gesorgt, daß erhebliche Belastungen auf den Haushalt zugekommen seien. Wir werden im einzelnen zu dieser Frage noch Stellung nehmen; insbesondere mein Kollege Kreitmeyer wird bei der 3. Lesung dazu einiges zu sagen haben. Ich möchte heute im Rahmen dieser Debatte dazu folgendes bemerken.Wir haben schon seinerzeit darauf hingewiesen, daß wir Anträge gestellt haben, die in erster Linie die Kriegsfolgelasten betrafen. Das heißt, wir haben für die Kriegsopferversorgung und für den Lastenausgleich Mittel angefordert. Dazu stehen wir auch! Denn wir meinen, daß der Staat, der den Bürger in eine Notlage gebracht hat — sei es als Kriegssachgeschädigter, sei es als Kriegsopfer, sei es als Vertriebener —, auch bereit sein muß, dann deren Not zu beheben. Denn die Bürger, die in eine solche Notlage gekommen sind, trifft ja kein Verschulden hierfür, sondern es ist das Verschulden einer falschen und verbrecherischen Politik gewesen.
— Herr Kollege Windelen, das habe ich nicht behauptet. Man kann es aber nicht so machen, daß man zwar die Aktiva des Reiches in voller Höhe übernimmt, dann versucht, die Passiva sehr, sehr klein zu halten, um sagen zu können, damit hätte man nicht viel zu tun. Wenn man das Volkswagenwerk oder die Preußag als Aktivum aus dem Reich übernommen hat und jetzt verkauft, dann kann man nicht auf der anderen Seite sagen: Die Schulden und Verbindlichkeiten interessieren uns nicht, wir haben den Krieg ja nicht angefangen. Mit dieser Argumentation können Sie wirklich nicht bestehen, das müssen Sie doch zugeben. — Aber ich möchte diese Fragen im Rahmen dieser Aussprache nicht zu weit ausdehnen.Wir Freien Demokraten haben z. B. bei der Elften Novelle zum Lastenausgleich eine sehr „teuere Novelle" eingebracht. Aber die Anträge, die wir seinerzeit auch im Lastenausgleichsausschuß gestellt hatten, wurden von der Regierung abgelehnt und dann auch von der Mehrheit dieses Hauses, weil man, wie es hieß, kein Geld für das hatte, was darin gefordert wurde. Damals behauptete man, die Lastenausgleichsabgabe müsse erhöht werden, wenn unsere Anträge befriedigt werden sollten. Jetzt müssen wir die erstaunliche Feststellung machen, daß Milliardensummen — der Kollege Jaksch von der SPD hat bereits darauf hingewiesen — in diesem Haushalt versteckt worden sind. Herr Kollege Jaksch, Sie waren sehr bescheiden, Sie sprachen von 4,8 Milliarden DM. Das hatte die Regierung ursprünglich nur zugegeben. Aber im Lastenausgleichsausschuß mußte sie dann nach harter Diskussion auch zugeben, daß es wahrscheinlich bis zu 8 Milliarden DM sein werden. Das ist eine erstaunliche Praxis: erst sagt man, man habe kein Geld, um die bei der Elften Novelle von der FDP gestellten Forderungen zu erfüllen. Das war allerdings nicht
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 152. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. März 1961 8719
Dr. Rutschkevor den Wahlen; das ist richtig; später, wenn dann die Regierung kurz vor Wahlen selbst eine „teure" Novelle einbringt, stellt sie dann fest, daß Milliardensummen infolge neuer Schätzungen vorhanden seien.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte schön, Herr Kollege Kuntscher!
Herr Kollege Rutschke, ist Ihnen bekannt, daß damals, als wir die Elfte Novelle behandelten, erst 30 oder 38 % der Feststellungen klar waren, daß wir jetzt aber bereits mit einem Prozentsatz der Schadensfeststellungen von an die 70 % rechnen können, Herr Kollege Rutschke, so daß es möglich war, festzustellen, daß diese Reserven jetzt vorhanden sind?
Herr Kollege Kuntscher, das ist nicht einmal anderthalb Jahre her. Ich bin wirklich der Meinung, es geht nicht an, daß innerhalb von anderthalb Jahren auf der einen Seite die Regierung behaupten kann, es sei kein Geld da, und auf der anderen Seite anderthalb Jahre später festgestellt wird, es sind 8 Milliarden DM da. Das macht die Regierung eben unglaubwürdig, wenn sie mit ihren Schätzungen kommt.
Nun wurde uns der Vorwurf gemacht, wir hätten uns nur aus wahlpropagandistischen Gründen besonders für den Lastenausgleich oder die Kriegsopferversorgung eingesetzt. Wir haben damals einen sehr „teueren Gesetzentwurf" eingebracht. Das war im Jahre 1958 nach der Wahl. Damals hat die Regierung behauptet, sie habe kein Geld. Jetzt hat sie kurz vor der Wahl selbst einen sehr massiven Gesetzentwurf eingebracht, — worüber ich mich trotzdem freue für die Geschädigten.
— Sie sagen, das sei die Hauptsache; da werden wir uns immer einig sein, Herr Czaja. Aber es ist immerhin bedauerlich, daß man die Menschen, die ein hartes Schicksal erleiden und tragen müssen, in den Wahlkampf hineinzieht; zumindest drängt sich die Vermutung hierzu auf.
Warum setzen wir Freien Demokraten uns besonders für diesen Personenkreis ein? Es handelt sich nicht nur um Ausgaben, die nicht mehr steigen werden, vielmehr werden sie natürlicherweise niedriger werden müssen. Wir als liberale Partei haben uns von jeher gegen eine entschädigungslose Enteignung gewehrt; Das war schon vor hundert Jahren so. Man muß bedenken, daß der Bürger nicht durch eigenes Verschulden, sondern durch Verschulden des vorangegangenen Staates in diese Notlage gekommen ist. Wenn man auf der einen Seite das Eigentum bejaht — wie Freien Demokraten tun das —, muß man dem Bürger, der sein Eigentum, wie gesagt, nicht durch eigenes Verschulden, sondern durch Verschulden des Staates verloren hat, gerechterweise eine Entschädigung gewähren, um ihn aus seiner Notlage herauszubringen. Das ist unsere Auffassung, und dazu stehen wir.
Ich möchte Sie deshalb herzlichst bitten, in Zukunft, insbesondere in den kommenden Monaten, draußen nicht die Mär zu verbreiten, die Freien Demokraten seien sozusagen nur die Vorausabteilung des Bundes der Steuerzahler oder verweigerten grundsätzlich einer Regierung die Mittel, die sie zur Erfüllung ihrer Aufgaben brauche.
Wir treten mit allen Konsequenzen für die Menschen ein, die einen gerechtfertigten Anspruch auf Entschädigung an den Staat haben auch dann, wenn es viel Geld kostet.
— Sehr richtig, Herr Kollege! Man kann nämlich dann, wenn man ein ständig höheres Steueraufkommen hat, beides tun. Aber das Mehraufkommen wird ja bei uns dann in anderer Form „verbraten", wenn ich mal diesen Ausdruck gebrauchen darf, und weniger an die gegeben, die zunächst einen Anspruch darauf hätten.
Wir sprechen heute über den Etat des Vertriebenenministeriums. Da geziemt es sich, soweit es angebracht ist, einen Dank an die Herren auszusprechen, die die Verantwortung für dieses Ministerium haben. Im Bereich dieses Ministeriums haben wir tatsächlich Anlaß, Dank auszusprechen; denn Staatssekretär Dr. Nahm hat sich immer Mühe gegeben, zu helfen. Sicherlich wurde er vom Finanzminister nicht immer so unterstützt, wie er es sich wünschte. Wir verdanken es auch seinen Bemühungen, daß im Ausschuß für Lastenausgleich ein gutes Klima herrschte, was ja auch Sie, Herr Kollege Kuntscher, bereits sagten.
Herr Minister Dr. von Merkatz steht diesem Ministerium erst seit kurzer Zeit vor; aber ich glaube, daß wir bei ihm in den Angelegenheiten der Vertriebenen und der Kriegssachgeschädigten ebenfalls Unterstützung finden werden. Aus diesem Grunde stimmt die Fraktion der Freien Demokratischen Partei dem Haushalt dieses Ministeriums zu.
Das Wort hat der Abgeordnete Schmitt-Vockenhausen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Non multa sed multum, kann man dem Herrn Minister zurufen. Es ist eine schlechte Sache, wenn man als Versprengter der Bonner Koalition in der CDU übriggeblieben ist und am Ende jeder Legislaturperiode der Regierungschef den Eindruck hat, ein Minister sei nicht genügend ausgelastet, man könne ihn deshalb mit Reisen und mit freien Ressorts beauftragen. Das führt dazu, daß dann der Minister, wie der Kollege Jaksch ausgeführt hat, stark überlastet ist und sich
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8720 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 152. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. März 1961
Schmitt-Vockenhausennicht mehr genügend aller Ressortaufgaben annehmen kann.
— Er ist zweifellos ausgelastet; dem geht es wie dem Herrn Bundeskanzler, der auch Partei- und Regierungschef in einer Person ist.
Er ist Partei- und Regierungschef in Berlin. Entschuldigen Sie, Sie haben die Sache noch gar nicht mitgekriegt.Ich komme auf das zurück, was ich bezüglich des Herrn Ministers von Merkatz sagen wollte. Wir bedauern, daß der Herr Minister seine ursprünglichen Aufgaben als Minister für Angelegenheiten des Bundesrates und der Länder nicht mit dem Nachdruck wahrgenommen hat, wie wir das von ihm erwartet hätten. Er hat voriges Jahr an dieser Stelle Besserung gelobt, und wir setzten große Hoffnungen darauf. Herr Minister, Sie hätten in dem vergangenen Jahr wirklich sehr viel tun können. Das Kulturabkommen zwischen Bund und Ländern ist noch immer nicht unterzeichnet, der Finanzausgleich nicht geregelt, und in dem leidigen Fernsehstreit schließlich haben wir von Ihnen auch nichts gehört und gesehen. Das ist außerordentlich bedauerlich. Es wäre die Aufgabe des Ministers gewesen, seinen Einfluß und seine Haltung auch gegenüber der Öffentlichkeit klarzumachen. Wir wissen, ,daß die Verpflichtungen den Herrn Minister bis nach Djakarta in den Fernen Osten geführt haben.
— Entschuldigen Sie, Herr Kollege Rösing, ich komme wie immer gleich wieder zur Sache zurück. Wir wissen aber, daß die Reisen den Herrn Minister allzu wenig in die schönen Landeshauptstädte zwischen den Alpen und ,der Nord- und Ostsee geführt haben. Als Sie dann aber einmal, wie in der letzten Woche, in Mainz waren, Herr Minister, haben wir bedauerlicherweise feststellen müssen, daß in Ihrer schweigenden Gegenwart ein Vertreter des Herrn Bundesinnenministers den Ministerpräsidenten eines Bundeslandes glattweg der Lüge bezichtigt hat. Aber das ist natürlich für Sie immer eine große Schwierigkeit, bei den Föderalisten der CDU und der CSU, das ist die chronisch schwierige Situation zwischen der Kanzlerfurcht und der eigenen Meinung.Deshalb werden wir dem Herrn Minister persönlich auch bei der Abstimmung in der dritten Lesung nicht das Vertrauen aussprechen können. Meine Damen und Herren, die Verantwortlichkeit eines Ressortministers gegenüber dem Bundestag wird nicht dadurch aufgehoben, daß der Herr Bundeskanzler diesen Minister in der Ausübung seines Amtes behindert. Wenn sich der Minister durch den Kanzler zurückgesetzt fühlt, muß er die Konsequenzen ziehen und seinen Rücktritt anbieten, weil er seiner Verantwortung gegenüber dem Parlament nicht nachkommen kann. Lassen Sie mich ein Wort hinzufügen: Seinen Rücktritt im Kabinett Adenauer anzubieten, ist doch gar nicht so gefährlich; die Herren wissen doch, daß er meistens nicht angenommen wird.
Zur Begründung des Änderungsantrages auf Umdruck 802 hat der Abgeordnete Kraft das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Meinem verehrten Herrn Kollegen Jaksch möchte ich danken, und zwar aus zwei Gründen. Zunächst dafür, daß er mich gelobt hat. Ich bin sicher, daß das auch meine Fraktion freut, weil sie darum bemüht ist, in allen Fällen, wo es sich um vom Schicksal schwer getroffene Menschen handelt, in sachlicher und guter Weise mit allen Kräften in diesem Hause zusammenzuarbeiten. Zum anderen danke ich Herrn Kollegen Jaksch dafür, daß er sich im voraus für den Antrag auf Umdruck 802 ausgesprochen hat, den jetzt im einzelnen zu begründen ich die Ehre habe.Der Antrag ist von einer ausreichenden Zahl von Kollegen unterzeichnet. Ich muß aber mitteilen, daß versehentlich die Aufführung der Namen anderer Unterzeichner unterblieben ist. Ich kann hinzufügen, daß viele andere, deren Unterschrift nicht mehr beigeholt worden ist, .ebenfalls hinter dem Antrag stehen.Im Einzelplan 26 sind in Tit. 603, um den es sich hier handelt, 330 000 DM als Zuwendungen zur Betreuung von heimatlosen Ausländern eingesetzt. Da die Länder auch etwas in dieser Richtung tun, sind die Gesamtaufwendungen für den gedachten Zweck also höher. Dennoch muß ich feststellen, daß sie insgesamt so niedrig sind, daß wir uns damit wirklich nicht gut sehen lassen können.Die Erläuterungen zu Tit. 603 weisen darauf hin, daß in der Bundesrepublik zahlreiche Vereinigungen für kulturelle und soziale Aufgaben in den Reihen der heimatlosen Ausländer, also der Emigranten aus den Völkern Osteuropas, bestehen. Es bestehe, heißt es weiter, ein dringendes Bundesinteresse, die Organisationen und Institutionen der heimatlosen Ausländer, die bisher von amerikanischer Seite finanziert wurden, auch in Zukunft, soweit es im deutschen Interesse liege, „lebensfähig zu erhalten, um zu verhindern, daß die auf deutschem Boden lebenden heimatlosen Ausländer sozial absinken" — das sind sie schon, nebenbei bemerkt —, „national-radikal oder für kommunisbische Infiltration empfänglich würden und sich so zu einem Gefahrenherd für die Bundesrepublik und für den europäischen Gedanken entwickelten."So weit gut! Ich würde es begrüßen, wenn in Zukunft in den Erläuterungen zu Tit. 603 stärker zum Ausdruck gebracht würde, daß es sich in erster Linie um eine kulturelle Förderung der heimatlosen Ausländer handelt. Das würde ja auch der tatsächlichen Verwendung der Summe, die im Haushalt steht, in den vergangenen Jahren entsprechen. Es handelt sich um die Summe von 330 000 DM.
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 152. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. März 1961 8721
KraftSie wird nun seit Jahren in dieser Höhe von Haushalt zu Haushalt fortgeschleppt und ist nicht ausreichend.Wir müssen auf dem Gebiet der kulturellen Aufgaben mehr tun. Als Ziel möchte ich herausstellen: Wir sollten die einzelnen nationalen Gruppen der heimatlosen Ausländer in die Lage versetzen, sich und ihrer heranwachsenden Jugend ihre Muttersprache zu erhalten.
Um sie dazu zu befähigen, ist die Aufwendung von mehreren Millionen und nicht nur von mehreren hunderttausend Mark nötig. Um zu diesem Ziel zu kommen, hat der Ausschuß für Heimatvertriebene, für den ich auch spreche — denn auf ihn geht dieser Antrag zurück —, durch einstimmigen Beschluß das Bundesministerium für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte ersucht, einen Plan zu erstellen, aus dem sich ergebe, wie und mit welchen Mitteln in Zukunft eine ausreichende Betreuung der heimatlosen Ausländer — gemeint ist: der einzelnen nationalen Gruppen — in dem genannten Sinne erfolgen könne. Es wird weiter darauf hingewiesen, daß zwischen den beiden Kriegen die sogenannte Deutsche Stiftung zur Förderung der deutschen Minderheiten im Ausland bestanden habe und daß hier etwas Entsprechendes durch eine Institution, welcher Art sie auch sein möge — das soll geprüft werden —, für diese Menschen geschaffen werden sollte, die ihre Heimat, die unter kommunistisches Joch geraten sei, hätten verlassen müssen.Ich hoffe, daß das Ministerium diese Aufgabe, um deren Erfüllung es vor vier Monaten vorn Ausschuß für Heimatvertriebene ersucht worden ist, erfüllt. Ich richte in dieser Beziehung die besondere Bitte an den Herrn Minister selbst. Im Ministerium liegen inzwischen genügend Anträge vor. Ich darf z. B. darauf hinweisen — meine Damen und Herren, verzeihen Sie, daß ich Ihre Geduld noch einige Minuten in Anspruch nehmen muß —, daß eine nationale Gruppe, die ein Gymnasium unterhält, für die gesamte kulturelle Tätigkeit jetzt etwa 80 000 DM beantragt und zusätzlich einen Zuschuß für den Betrieb des Gymnasiums in Höhe von 120 000 DM haben möchte. Ich will dem Ministerium und dem Haushaltsausschuß hinsichtlich der Nachprüfung der einzelnen Summen nicht vorgreifen. Ich darf aber wohl erklären, daß das für eine Gruppe von, ich glaube, insgesamt 16 000 Menschen ein Betrag ist, über den ernsthaft diskutiert werden kann. Der Zuschuß für das Gymnasium wird erbeten, damit die Lehrergehälter angemessen erhöht werden können, Der Direktor dieses Gymnasiums — früher in seiner Heimat Universitätsprofessor — bezieht ein Bruttomonatsgehalt von 550 DM, während die Gehälter der weiteren Lehrkräfte, soweit diese Akademiker sind, von 500 DM abwärts liegen. Dazu müssen wir erklären: Daß paßt nicht mehr in die Landschaft unserer heutigen sozialen Entwicklung.
Es sollte unsere Aufgabe sein, in dieser Richtung im Hinblick auf unsere Möglichkeiten etwas zu tunfür diese armen Menschen, die bisher verdammt wenig bekommen haben. Ich werde mir erlauben, Ihnen, Herr Minister, noch Unterlagen über diese Dinge im einzelnen zu geben.Nach dem, was ich jetzt gesagt habe, fällt es mir geradezu schwer, darauf hinzuweisen, daß in dem Antrag, den ich zu vertreten die Ehre habe, um eine Aufstockung dieses Titels um nur 210 000 DM gebeten wird. Ich bin aber an den Beschluß des Ausschusses für Heimatvertriebene gebunden, der vor viereinhalb Monaten, als er sich mit der Sache beschäftigte, zugeben mußte, daß das zuständige Ministerium im Augenblick keine vorlagereifen — oder „haushaltsreifen" — Anträge der einzelnen nationalen Gruppen vorweisen konnte.Auf diese merkwürdige Summe von ausgerechnet 210 000 DM sind wir deshalb gekommen, weil die Bundesregierung im vergangenen Jahr aus ihrer Spende für das Weltflüchtlingsjahr 210 000 DM zur Verwendung in diesem Titel gegeben hat. Wenn wir also jetzt ankündigen, daß wir mit Ernst an eine angemessene Behandlung dieses Bevölkerungskreises nichtdeutscher Zunge gehen wollen, dann wollen wir den Anfang damit machen, daß die tatsächlich verfügbaren Mittel des Jahres 1961 wenigstens nicht unter die im Jahre 1960 tatsächlich verfügbaren Mittel absinken.Ich darf nach dem Gesagten wohl mit dem Hinweis schließen, daß wir uns für die kommenden Jahre eine Regelung vornehmen sollten, die unseren moralischen Pflichten gegenüber diesen unterentwickelten Teilen ihrer Völker — um einen I gängigen Ausdruck zu gebrauchen — entspricht, Teilen dieser Völker, die nicht unterentwickelt waren, sondern in der Situation, in der sie jetzt im Exil zu leben gezwungen sind, zwangsläufig absinken müssen, wenn nicht Abhilfe geschaffen wird. Wir müssen eine Regelung anstreben, die unserer Würde und der Würde dieser vom Schicksal so schwer getroffenen Menschen nichtdeutscher Zunge entspricht. Wir betonen bei jeder Gelegenheit, die uns gegeben ist, daß wir den Völkern Osteuropas gegenüber freundschaftlich eingestellt sind. Hier ist die Gelegenheit, uns glaubwürdig zu machen, indem wir den Teilen dieser Völker, die unter uns das bittere Brot der Emigration essen müssen, wirksam helfen und ihre Eigenständigkeit, ihr Volkstum damit voll achten.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Reitzner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will das Klima, von dem der Kollege Kuntscher gesprochen hat, nicht verschlechtern. Ich bin der letzte, der das tun würde. Aber ich kann einigen seiner Folgerungen nicht zustimmen. Ich bin grundsätzlich gegen jede Verzerrung, Verzerrung im Guten und Verzerrung im Schlechten. Der Herr Kollege Kuntscher ist als Mitglied der Regierungspartei natürlich psychologisch gezwungen, die Probleme eines Ministeriums mit den Augen des
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8722 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 152. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. März 1961
ReitznerRegierungsmannes zu sehen. Er ist immer sehr milde, und, ich möchte sagen: sehr freigebig mit Dankadressen gewesen.Das Jahr 1961 ist natürlich nicht mit den Jahren 1945 und 1946 zu vergleichen. Um Himmels willen, wenn nicht auch die Vertriebenen, Flüchtlinge und Kriegssachgeschädigten den Anteil an der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung genommen hätten, wohin kämen wir denn da?! Das leugnet auch niemand, daß der Anteil da mit zugerechnet werden soll. Aber, Kollege Kuntscher: Will jemand in diesem Hause leugnen, daß es noch sehr große Notstände gibt? Ich bin sehr für Entwicklungshilfe in allen entwicklungsfähigen Ländern. Aber gerade auf dem Sektor der Heimatvertriebenen, Sowjetzonenflüchtlinge und Kriegssachgeschädigten gibt es noch einige entwicklungsfähige Probleme und Aspekte.
Herr Kollege Kuntscher, Ihre Ausführungen gingen dahin: Es ist ja so ziemlich alles in Butter, und in vier Jahren wird alles gelöst sein. — Ich teile diesen Optimismus nicht. Wollen Sie leugnen, daß es einen Notstand bei den Altvertriebenen gibt, was das Wohnungsproblem und was den schrecklichen Stichtag angeht?
Herr Kollege Kuntscher, das Klima im Lastenausgleichsausschuß in Ehren — der Prüfstein unseres Verhaltens gegenüber den Vertriebenen und Sowjetzonenflüchtlingen wird sein, wie wir hier im Plenum über die 13. und 14. Novelle abstimmen.
Ich bin kein Reisender in marktgängiger Ware für die SPD; aber: wo wäret ihr geblieben, wenn wir nicht im Juni vorigen Jahres schon die 13. Novelle vorgelegt hätten, die euch gezwungen hat, hinterherzutraben?
Das ist doch der Tatbestand.
Natürlich gibt es im Ministerium tüchtige und fleißige und intelligente Mitarbeiter, Beamte und Angestellte. Wer leugnet das? Gar niemand! Aber dem Herrn Minister — seine persönliche Integrität unangetastet — hier für seine Reisen Dank auszusprechen, dazu sehe ich wirklich keine Veranlassung, bei aller Nettigkeit, über die ich verfüge. Mich wundert es überhaupt, daß der Herr Kanzler den Herrn von Merkatz schickt. Der Kanzler hat doch einen notariell bestätigten Treuhänder. Warum schickt er nicht den in die Welt?
Da hätte Herr von Merkatz Zeit, sich um das Haus zu kümmern.
Denn niemand, der die Dinge kennt — auch ihr nicht —, kann leugnen, daß eben aus der Vergangenheit her, infolge der Verzögerung der Ernennung des Ministers im vorigen Jahr, die Probleme vernachlässigt wurden und daß hier ein unerhört großer Nachholbedarf ist.
Erst dann, wenn ich sehen werde, daß der Herr Minister Motor und Wachhund ist, daß er hinter den Dingen her ist, daß er dem Herrn Finanzminister eine Forderung auf den Tisch zu legen wagt,
— Na gut; das ist wieder was anderes.
— Schön, schön. Ich bin ja nicht aggressiv.
— Nein, ich tue auch nicht so. Ich bin's gar nicht.Meine Damen und Herren! Die Eingliederung der Vertriebenen und Flüchtlinge ist ebensowenig abgeschlossen, wie wir den Weg zum sozialen Rechtsstaat abgeschlossen haben.
Ebensowenig! Daher müssen wir darauf bestehen, daß der Prüfstein nicht nur die Stellung von Anträgen, sondern auch die Zustimmung dazu ist. Ich bedaure, daß der Kollege Kuntscher zu dem Änderungsantrag der SPD Umdruck 826 — Zuschüsse zur Erhaltung und Ausweitung des kulturellen Heimaterbes — nichts gesagt hat. Stimmen Sie zu, oder stimmen Sie nicht zu? Es ist Schweigen. Niemand hat sich dazu geäußert. Wir sind doch daran interessiert, zu wissen: Stimmen Sie zu? Wenn ja, dann ist die Sache in Ordnung; und wenn Sie nicht zustimmen, dann wollen wir die Gründe kennen, damit man sich nachher mit den Argumenten auseinandersetzen kann. Ich wäre doch sehr neugierig, zu hören, ob Sie zustimmen oder nicht. Herr Kollege Kuntscher, ich muß hier doch an einen Teil der Dreigroschenoper erinnern, wenn ich an die Notlage vieler Sowjetzonenflüchtlinge und Vertriebenen denke: Man sieht die im Lichte — so ungefähr heißt es —, die im Dunkeln sieht man nicht. Das ist die Situation. Man weist immer auf die Erfolgsseite, auf die Erfolgsflüchtlinge hin, auf diejenigen, die im Lichte stehen; die im Dunkeln stehen, werden vernachlässigt. Unsere Aufgabe auf diesem Gebiet ist also noch lange nicht gelöst.Ich will ein gutes Beispiel geben und mithelfen, daß wir unser Soll bei dieser Debatte nicht überschreiten. Deshalb möchte ich jetzt nur noch einige Worte zu unserem Antrag auf Erhöhung der Mittel für die Erhaltung und Bewahrung des kulturellen Erbes sagen. Wie stehen wir dazu? Man kann sich
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 152. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. März 1961 8723
Reitznerhier auf den § 96 des Bundesvertriebenengesetzes berufen. Dieser Paragraph legt dem Bund und den Ländern die Pflicht auf, das kulturelle Heimaterbe zu pflegen, zu vertiefen, zu bewahren und weiter zu entwickeln. Ich darf hier einige Zahlen anführen, die zeigen, daß die Länder materiell — aber auch sonst — einen sehr ansehnlichen Beitrag für die Kulturarbeit leisten: Nordrhein-Westfalen 1 Million DM, Niedersachsen 1 Million DM — —
— Ach, lassen Sie das Bundesverfassungsgericht heraus. Sie sind sonst auch nicht so heikel mit dem Bundesverfassungsgericht; jetzt berufen Sie sich darauf.
Nein, das ist noch eine unbekannte Größe. Was bekannt ist, ist der § 96 des Bundesvertriebenengesetzes. Ihm haben wir zugestimmt. Der § 96 legt dem Bund und den Ländern Verpflichtungen auf. Wir müssen mitwirken, diese Verpflichtungen zu erfüllen. Soweit ich die Ziffern vor mir habe, kann ich sagen, daß die Länder in materieller Hinsicht ihre Pflicht erfüllt haben. Es gibt aber auch Aufgaben, die eine überregionale Bedeutung haben. Hier muß der Bund seine Unterstützung leisten.Diese Unterstützung ist nach unserer Auffassung auch deshalb sehr notwendig, weil es sich bei der kulturellen Förderung auch um ein finanzielles Problem handelt. Dabei geht es mir mehr um die Wekkung geistiger und schöpferischer Kräfte als um die Fragen der Organisation. Ich möchte mir erlauben, zu bemerken, Herr Minister oder Herr Staatssekretär, daß ich es nicht für gut halte, wenn das Ministerium versucht, in der Richtung Einfluß zu nehmen, im Vorstand einer kulturellen Organisation einen Wechsel herbeizuführen. Die Aufgabe des Ministeriums besteht darin, initiativ und schöpferisch zu wirken. Es hat aber nicht in den organisatorischen Betrieb einzugreifen. Die Organisationen haben ihre Bedeutung, sie haben ihren festen Platz in der Kulturarbeit. Wer einen solchen festen Platz in der Kulturarbeit hat — ich will hier keine Organisation nennen —, dem soll man die notwendige Freiheit zum schöpferischen Handeln geben.Ich möchte bitten, daß man uns deutlich sagt, ob die CDU/CSU für unseren Antrag Umdruck 826 stimmt. Ich will gar nicht die Länder als Zeugen für die Berechtigung und Notwendigkeit des Antrages anführen. Nachdem wir auf dem Wege der sozialen und wirtschaftlichen Eingliederung Fortschritte gemacht haben, steht jetzt eine stärkere kulturelle und geistige Eingliederung als Aufgabe vor uns. Diese Aufgabe können wir aber nur lösen, wenn wir bereit sind, dem Ministerium die notwendigen Mittel zu geben. Ich bitte Sie daher, unserem Antrag zuzustimmen.
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn die Sprecher der Opposition vielleicht der Meinung sind, daß der Bundesminister für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte jemals die Möglichkeit hätte, sich angesichts seiner Aufgabe in Selbstzufriedenheit zu wiegen, dann irren Sie sich sehr. Man hat überhaupt im öffentlichen Leben nicht Dank zu erwarten, und der Bundesminister für Vertriebene erwartet nicht, daß ihm angesichts seiner dornigen Aufgabe Blumensträuße gereicht werden. Er wäre froh, wenn diese gewaltige Aufgabe in etwa gelöst wäre.Ich bin dem Herrn Kollegen Jaksch ausgesprochen dankbar dafür, daß er das Wort gebraucht hat, daß Härten und Ungerechtigkeiten auch noch in unserer Gesellschaft bestehen. Wer wollte das leugnen, wenn er Vertriebenenminister ist? Das ist doch klar. Da liegen noch Aufgaben, die weit über den Maßstab parteipolitischer Programme gehen. Das sind letzten Endes Fragen, die aus der Tiefe menschlicher Qualität gelöst werden müssen, aus einer wahrhaft. herzlichen Anteilnahme am Menschlichen. Ich bin dankbar für jede Unterstützung, woher auch immer sie kommen mag, damit dieses Werk als etwas Gemeinsames empfunden wird, als etwas, was das deutsche Gesicht bestimmt, als etwas, das uns glaubhaft macht in der Welt.Aber es ist die Aufgabe des Bundesministers für Vertriebene, der ja kein Interessenvertreter der Vertriebenen ist, sondern ein Mitglied der Regierung, als solcher das Gesamte zu sehen und hier das richtige Maß zu setzen. Bitte, nehmen Sie mir das nicht übel: Härte, Notstände, ja, Elend gibt es in jedem Land der Welt, und sei es auch das reichste. Auch das muß gesehen werden. Es gibt Dinge, die so dornig sind, daß man mit ihnen kaum fertig wird, was nicht heißt, daß man nicht, mit dieser Aufgabe betraut, das Letzte einzusetzen hat, die letzte Überzeugungskraft, die, so möchte ich einmal sagen, mehr aus dem Seelischen kommen muß, als daß sie allzu lautstark nach den Methoden moderner Massenwerbung in Erscheinung träte. Ich bin mir klar darüber, wieviel Unruhe herrscht — ich sehe es in meinem eigenen Verwandtenkreis, bei den Menschen, mit denen ich befreundet bin —, was im Lande los ist und welche Menschen dort im Dunkeln leben. Fast geniert man sich, die Beteuerung abzugeben, daß einem das am Herzen liegt. Daß Sie, daß ich, daß wir alle diesen Dingen gerecht zu werden versuchen, das dürfte doch selbstverständlich sein.Der Geist der Kleinmütigkeit ist mir gewissermaßen als die Atmosphäre meines Ministeriums vorgeworfen worden. Nun, ich gebe zu, in meinem Hause — ich meine das Bundesministerium für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte — herrscht keine heitere und leichte Stimmung; das ist wahr. Es gibt auch manchmal bei meinen Mitarbeitern — ich gebe das zu — und bei mir selbst Stunden, in denen die Last der Dinge, die bewältigt werden muß, bedrückt. Das ist kein heiteres Haus.
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8724 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 152. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. März 1961
Bundesminister Dr. von MerkatzDas ist ein Stück der deutschen Realität, so wie Deutschland wirklich ist. Das erleben wir dort.
Es ist aber angesichts dieser Situation notwendig, daß wir und ich als Mitglied der Regierung Vorsicht und Realismus üben, — auch Realismus: daß heißt, das Mögliche abschätzen. Daß meine Mitarbeiter und auch ich hier tun, was wir können, das darf ich wohl sagen.Wir haben nun die Verschätzung hinsichtlich der Lastenausgleichserwartungen. Meine Damen und Herren, hierbei handelt es sich letzten Endes um Hypothesen. Wir haben nicht Milliarden versteckt, und auch der Präsident des Amtes, Herr Käss, und auch der Herr Bundesfinanzminister haben nicht irgendwelche Milliarden versteckt. Hier haben sich vielmehr Erwartungen angesichts einer früheren Hypothese — ich unterstreiche das noch einmal — anders dargestellt. Die Ursache ,der Fehlschätzungen ist einfach erklärt.
Vor zwei Jahren hat sich bei 30 % der Feststellungen ein Durchschnittsschaden pro Schadensfall von 5200 DM ergeben. Bei 60 % der Schadensfälle hat sich jetzt ein Durchschnittsschaden von 4350 DM je Fall ergeben. Das liegt einfach daran, daß man bei den ersten Feststellungsfällen wohl die einfacher liegenden großen Brocken angefaßt hat, daß aber nun bei den vielen Fällen, deren Untersuchung jetzt abgeschlossen ist, andere Ergebnisse zu verzeichnen sind. Das bedeutet eben einen Unterschied von 5200 : 4350, und das macht bei ,der Masse der Fälle eben Milliardenbeträge aus. Aber, ich muß es zum dritten Male sagen, weil das dazugehört: auch das sind alles Hypothesen, die sehr stark von der weiteren Entwicklung unseres gesamten Zustandes abhängen. Man kann nur sagen: Gebe Gott, daß sich im Hinblick auf die Bewältigung dieser Aufgaben eine gute kontinuierliche Entwicklung ergibt.Natürlich kann ich nicht alle Werkstattgeheimnisse, wie eine Regierung zusammenarbeitet und wie die Ressorts miteinander arbeiten, hier preisgeben. Aber ich darf sagen, daß wir uns selbst bemüht haben, daß sich das Ministerium an ,den Schätzungen und Berechnungen beteiligt und Überlegungen angestellt hat. Wie das im einzelnen innerhalb der Regierung vor sich geht, mag dahingestellt bleiben; es kommt auf das Ergebnis an. Ich bin nicht in der Lage, zu sagen, welcher Kollege hier geholfen hat und welche Meinungsverschiedenheiten bestanden haben. Wir haben nunmehr ein Schätzungsergebnis, auf das wir uns innerhalb der Ressorts auf Grund der Unterlagen einigen konnten. Das Weitere wird sich dann bei der Behandlung der Novelle zeigen.Mit besonderer Dankbarkeit darf ich vor allen Dingen die Vorschläge des Herrn Kollegen Kraft aufgreifen, die Betreuung der heimatlosen Ausländer. Hier gilt es, ein moralisches Beispiel zu geben. Die Bedeutung der Vorschläge des Herrn Kollegen Kraft wird von meinem Ministerium erkannt. Wir unterstützen diese Vorschläge und arbeiten in dieser Beziehung Hand in Hand.Es ist davon gesprochen worden, daß die Kulturmittel zu gering angesetzt seien. Das ist keine ganz einwandfreie Darstellung. Bei der Gesamtbetrachtung müssen auch noch die Kulturmittel beim Innenministerium, beim Auswärtigen Amt und beim Gesamtdeutschen Ministerium berücksichtigt werden.
die Einsparungen werden gemacht; das ist eine verbindliche Erklärung.Ich möchte kurz zu einzelnen sachlichen Fragen Stellung nehmen. Was die Frage der Stichtagversäumer und die Frage der Alterssicherung anlangt, kann ich mich auf die Ausführungen des Kollegen Kuntscher beziehen.Zu den Kulturfragen, zu Tit. 601, sei folgendes bemerkt. Der § 96 des Bundesvertriebenengesetzes weist Bund und Ländern die Pflicht zu, entsprechend ihrer durch das Grundgesetz gegebenen Zuständigkeit das Kulturgut der Vertreibungsgebiete zu erhalten und Wissenschaft und Forschung bei der Erfüllung einschlägiger Aufgaben zu fördern. Daraus ergibt sich die Pflicht einer Verständigung und einer Abgrenzung. Am 23. März tritt eine Konferenz der Länderminister mit mir zusammen, die sich hauptsächlich mit der Kulturarbeit befaßt. Die Konferenz ist von den Referenten meines Hauses, aber auch von den Referenten der Landesministerien eingehend vorbereitet. Die Länder, mit denen jetzt schon eine gute Zusammenarbeit besteht, werden Vorschläge unterbreiten. Loyalerweise kann ich darüber im Augenblick noch nicht sprechen. Ich erkenne jedoch aus den Vorschlägen die Tendenz, in erster Linie der Sache zu dienen, der Forschung, der Kulturpflege, der Ostkunde im Unterricht und der Breitenarbeit, nach der ein immer größer werdendes Bedürfnis besteht. Da auch die Bundesregierung in erster Linie die Aufgabe als solche sieht, hoffe ich auf eine pragmatische Einigung, nach der in Kürze gearbeitet werden kann.Zum Thema der Bestandsaufnahme der Förderungsmaßnahmen sei folgendes ausgeführt. Jahr für Jahr wird eine solche Sichtung vorgenommen. Seit 1954 wurden 25 Institutionen aus der Förderung ausgeschieden, die Jahreszuschüsse von insgesamt 236 300 DM erhalten hatten. Ich glaube Sie dahin verstanden zu haben, daß die gegenwärtige Zeit als eine Art Zäsur empfunden werden sollte, die zu einer gewissen Neuorientierung führen muß. Ich möchte Ihnen deshalb im Grundsatz zustimmen. Ich sehe in einer solchen Überprüfung eine Aufgabe, die nicht von mir allein gelöst werden sollte. Mir schwebt die Berufung eines Beirats vor, dem auch Vertreter dieses Hohen Hauses angehören sollen. Dieser Beirat soll laufend Einblick in Planung und Leistung nehmen und das Ministerium in allen Spar-
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 152. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. März 1961 8725
Bundesminister Dr. von Merkatzten der kulturfördernden Tätigkeit beraten. Ich glaube, daß wir dann eher Verständnis finden und im Ergebnis weiterkommen werden, als wenn ich Ihnen hier nun ein Kulturarbeitskonzept vortrüge, das zunächst ja einer Abstimmung mit den Ländern bedürfte.Hinsichtlich der sehr brennenden Frage der landwirtschaftlichen Siedlung ist gestern in der Debatte über den Etat des Ernährungsministeriums das Notwendige gesagt worden. Ich möchte hier nichts wiederholen.
— Darüber müssen wir bestimmt noch reden; es ist einer der Hauptsorgenpunkte, die das Ministerium hat, eine der allerschwierigsten Aufgaben. Ich habe hier nichts zu exkulpieren oder zu beschönigen. Das ist ein schwieriger Punkt.Nun könnte ich ja angesichts der vorgeschrittenen Zeit über die Frage der Raffung und über meine Erklärung vom November vorigen Jahres elegant hinweggleiten. Das möchte ich nicht. Ich möchte völlig ehrlich bleiben und hier klar vor Ihnen stehen. Die Bundesregierung, das darf ich sagen, hält an dem Gedanken der Raffung fest. Diese Raffung ist ein Mittel zur Vorfinanzierung, gleichzeitig aber auch eine finanzpolitische Maßnahme. Aus diesem Grunde bedarf sie wegen der jüngsten Entwicklung, die seit November nun einmal eingetreten ist, einer abermaligen Überprüfung, um jene Abgabepflichtigen auszunehmen, die niemand in diesem Hohen Hause erneut belastet sehen möchte. Diese auch an neuen Maßstäben zu messende Prüfung kann leider nicht innerhalb der Frist durchgeführt werden, welche sich der Lastenausgleichsausschuß zur Verabschiedung der 14. Novelle gesteckt hat.Die Bundesregierung hat durch die Herabsetzung des Alters für den Anspruch auf Auszahlung der Hauptentschädigung zu erkennen gegeben, daß sie die Alten nicht länger warten lassen will. Die 13. Novelle, die durch die Initiative des Hohen Hauses die Abwicklung der Hauptentschädigung über das Sparbuch früher als geplant beginnen läßt, gibt eine gewisse Zeit zu einer sorgfältigeren, der neuen Lage entsprechenden Prüfung, ohne daß den Hauptentschädigungsempfängern ein Nachteil erwächst. Das Ziel, die Hauptentschädigung trotz der durch die 14. Novelle kommenden wesentlichen Erhöhung bis 1970 abzuwickeln, bleibt bestehen. Wir sind uns dahin einig, daß wir alle einen Lastenausgleich für die Lebenden und nicht für die Toten wollen. Die erste praktische Tat ist die 13. Novelle, die in ihren Ursprüngen aus der Initiative der Regierung hervorgegangen ist und in diesem Hause fortgestaltet wurde.Meine Damen und Herren, ein Vorwurf lautete: nicht genügend motorische Kraft! Ich habe nicht das Recht und auch gar nicht die Absicht, mich selber zu beurteilen. Man wird zu guter Letzt sehen, ob ich motorische Kraft hatte oder nicht. Das Urteilliegt nicht bei mir, das Urteil liegt bei Ihnen. Ich kann nur sagen, daß es meinem Geschmack vielleicht etwas mehr entspricht, die stille Zähigkeit hier einzusetzen. Es ist vielleicht ein Erbe der Heimat, aus der ich komme. Wir waren in diesen Dingen nicht sehr laut und geschäftig, aber zäh, glaube ich, waren wir durch die Jahrhunderte, und so ein bißchen ist auch noch auf unsere Tage gekommen. Also nehmen Sie meinen guten Willen nicht als die Tat — das wird nicht verlangt —, aber gestehen Sie mir wenigstens zu, daß der gute Wille in Zähigkeit umgesetzt wird.Meine Damen und Herren, nun kommt etwas Merkwürdiges. Es wird einem manchmal von einem Nachrichtenmagazin sozusagen ein Etikett aufgeklebt. Da ist mir der „Mehrzweckminister" aufgeklebt worden. Eigentlich ist es ja notwendig, daß ein parlamentarischer Minister in mehreren Sätteln reiten kann. Sehen Sie sich die parlamentarischen Regierungen in manchen Ländern an; dort gibt es einen erheblichen Wechsel zwischen den Ressorts und gelegentlich auch eine Zusammenfassung.Meine Damen und Herren, ich habe es bisher nicht als einen Nachteil angesehen, daß man sich auch noch für andere Dinge interessiert. Mein Haus, das Bundesministerium für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte, ist ein Mehrzweckministerium, weil hier nämlich mehrere Aufgaben gehäuft sind. Seien Sie versichert, daß ich die Aufgaben, die mir übertragen werden, möglichst als eine Einheit sehe. Es kommt hier für den Vertriebenenminister sehr darauf an, als Bundesratsminister mit den Ländern in guten Beziehungen zu stehen.Es ist notwendig gewesen, daß für einen Kollegen, der unglücklicherweise erkrankt war, Herr von Brentano, schnell ein anderer Minister einspringen mußte. Seien Sie überzeugt, daß es vielleicht nicht die schlechteste Wahl war, gerade den Vertriebenenminister zu schicken. Er ist viel über die Wirklichkeit seines Landes befragt worden und nach dem Hilfswillen für Länder, die der Entwicklung bedürftig sind, wo wir ja letzten Endes auch um unsere Freiheit in der Welt kämpfen. Wo immer er etwas sagte, war er jedenfalls der Minister, der die großen Lasten zu verwalten hat, das Päckchen, das wir zu tragen haben. Der Hilfswille dieses Ministers hatte jedenfalls auch ein gewisses moralisches Gewicht.Ich darf Ihnen sagen, das, was meine Gesprächspartner gerade in diesen Ländern beeindruckt hat, waren die Antworten auf ihre Fragen, die sie hinsichtlich meines Ressorts stellten. Das ging sie an, das hat sie auch berührt.Wie gesagt, zu guter Letzt kann kein Minister, kein Mensch in irgendeinem Beruf eigentlich sagen: Du hast deine Aufgabe erfüllt. Es bleibt immer ein Rest zu tun übrig. Ich muß mich dann Ihrem Urteil heute oder später stellen. Ich tue das willig, meine Damen und Herren.
Das Wort hat der Abgeordnete Rehs.
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8726 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 152. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. März 1961
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Minister Merkatz hat hier soeben erklärt, daß die mit dem Umdruck 802 beantragten Mittel — mehr als 200 000 DM — aus verschiedenen anderen Titeln zur Verfügung gestellt werden sollen. Ich darf namens der Antragsteller erklären, daß wir über diese Zusicherung sehr befriedigt sind. Wir haben insbesondere mit großer Aufmerksamkeit die betonte Erklärung vernommen, daß diese Äußerung in Übereinstimmung mit dem Finanzminister verbindlich abgegeben worden ist. Wir erwarten also, daß diese Zusicherung im vollem Umfang erfüllt wird. Unter dieser Voraussetzung halten wir unseren Antrag heute in der Tat für gegenstandslos.
Das Wort zur Abstimmung hat der Herr Abgeordnete Windelen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe die Stellungnahme meiner Fraktion zum Änderungsantrag der SPD auf Umdruck 826 zu begründen. Ich bin Berichterstatter für ,den Einzelplan 26, und deshalb ist mir die Aufgabe zuteil geworden, diese Stellungnahme abzugeben.
Es ist gewiß nicht leicht, gerade auch für mich, der ich selber Vertriebener bin, diesem Anliegen widersprechen zu müssen. Aber es ist in diesem Hause ja nicht unsere Aufgabe, Wünsche, die uns am Herzen liegen, zu erfüllen, sondern Grenzen zwischen Wünschenswertem und Möglichem zu ziehen.
Zur Sache selbst! Der Tit. 601 ist in der Beratung im Haushaltsausschuß auch von der anderen Seite des Hauses gar nicht angesprochen worden. Auch bei den Beratungen des Vertriebenenausschusses über den Einzelplan 26 ist das nicht geschehen. Diese Frage ist also offensichtlich ganz plötzlich hochgekommen. Mir sind die Gründe nicht bekannt.
Nach der Zweckbestimmung umfaßt der Titel Zuschüsse zur Erhaltung und Auswertung des kulturellen Heimaterbes der Heimatvertriebenen. In den Erläuterungen sind aufgeführt: wissenschaftliche Forschung, ostdeutsches Schrifttum, ostdeutsche Kunstwerke, Volksgut der Heimatvertriebenen — Schrifttum, Heimatstuben, Volkstumsabende —, Beihilfen für ostdeutsche Musik und Theater. Es handelt sich also eindeutig um kulturelle Aufgaben. Die vorgesehenen Mittel in Höhe von einer Million DM — ein Ansatz, der seit Jahren gleichbleibend ist und auch ausgegeben worden ist — teilen sich in 30 Positionen auf. Ich habe mir die Mühe gemacht, die Wirtschaftspläne der einzelnen Zuschußempfänger durchzusehen. Danach werden zu ganzen drei dieser 30 Positionen von den Ländern und sonstigen Gebietskörperschaften Zuschüsse gewährt, und zwar in einer Höhe von 140 000 DM. Sie haben vorhin dargetan, daß die Länder in erheblichem Maße Beiträge für diese Aufwendungen leisteten. Ich muß ehrlich sagen, ich halte es nicht für sehr erheblich, wenn von 30 Positionen, die sich
eindeutig auf Länderaufgaben beziehen, ganze drei Positionen einen Zuschuß der Länder erhalten, und zwar in Höhe von etwas mehr als 10 % der Summe, die der Bund für diese Zwecke aufwendet.
Es muß hinzugefügt werden, daß der Ansatz in Tit. 601 nicht der einzige ist, der im Bundeshaushalt für diese Aufgaben vorgesehen ist. Sie wissen, daß in Einzelplan 27 sehr erhebliche Mittel gerade für die kulturelle Betreuung der Vertriebenen eingesetzt sind. Nach den Zahlen des Jahres 1959 sind es etwa 7,6 Millionen DM, die der Bund für diese Aufgaben aufgewendet hat.
Ich befürchte, daß jede Aufstockung nur eine Entlastung der Länder bedeuten würde. Das entnehme ich auch der Tatsache, daß der Bundesrat eine Aufstockung dieses Titels vorgeschlagen, allerdings einen sehr unrealistischen Deckungsvorschlag gemacht hat.
Aus den angegebenen Gründen sehen wir uns leider nicht in der Lage, diesem Antrag zuzustimmen.
Ich schließe die Aussprache der zweiten Lesung. Wir kommen zur Abstimmung.
Wer dem Änderungsantrag .der FDP auf Umdruck 824 zuzustimmen wünscht, den bitte ich, Zeichen zu geben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Die Gegenstimmen waren in der Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Wer dem Antrag der Fraktion der SPD auf Umdruck 826 zuzustimmen wünscht, gebe Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Antrag ist mit Mehrheit abgelehnt.
Der Antrag auf Umdruck 802 ist durch die verbindliche Erklärung der Regierung gegenstandslos geworden.
Wer dem Antrag des Ausschusses zum Einzelplan 26 auf Drucksache 2518 zuzustimmen wünscht, gebe das Handzeichen. — Gegenprobe!
— Mit Mehrheit bei Enthaltungen angenommen. Ich rufe auf:
Einzelplan 29 Geschäftsbereich des Bundesministers für Familien- und Jugendfragen
Zur Ergänzung seines Schriftlichen Berichts hat das Wort der Abgeordnete Dr. Aigner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf zur Drucksache 2521 noch ein paar Bemerkungen machen. Die Gesamtansätze für den Etat des Familienministeriums belaufen sich auf rund 84 Millionen DM, davon 2 Millionen für Personal- und Sachleistungen, 80 Millionen DM für den Bundesjugendplan einschließlich des sogenannten Garantiefonds in Höhe von 15 Millionen DM und 2 Millionen DM für Familienförderungsbeträge. Wir haben damit vom Finanzvolu-
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 152. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. März 1961 8727
Dr. Aignermen her gesehen eine Schwerpunktbildung in der Jugendarbeit: rund 80 Millionen DM von 84 Millionen DM insgesamt. Familienförderungspolitik liegt ja auch weniger in institutionellen Einrichtungen als im sozialen Gesetzgebungsbereich.Zur Aufgliederung des Bundesjugendplans selbst ein paar Bemerkungen: wir haben für Bildungsprogramme im heutigen Bundesjugendplan rund 16,2 Millionen DM, für Jugendschrifttum und Filme 2,3 Millionen DM, für sozialpädagogische Ausbildung rund 7 Millionen DM. Ich darf hier anfügen, daß wir für Kurse und Fahrten Beträge fixiert haben, die einen Personenkreis von rund einer halben Million Jugendlichen betreffen. Hinzu kommen 17,4 Millionen DM für den Bau von Jugendherbergen, Wohnheimen, Freizeitheimen und Bildungseinrichtungen.12,5 Millionen DM stehen in diesem Jahr — das ist ein erheblich gesteigerter Betrag — für Studentenwohnheime zur Verfügung.Ich darf dazu kurz berichten, daß der entsprechende Betrag im Jahre 1960 4 Millionen DM plus 2,5 Millionen DM Bindungsermächtigungen, also insgesamt 61/2 Millionen DM betrug. Wir haben ihn 1961 in Anlehnung an den sogenannten Düsseldorfer Studentenwohnheim-Plan aufgestockt, nämlich auf 6,5 Millionen DM Barmittel plus 6 Millionen DM Bindungsermächtigungen. Dazu kommen rund 2,5 Millionen DM Abdeckung der Bindungsermächtigungen aus dem Jahre 1960. Weiterhin sind von der Bundesregierung Zusagen gemacht worden, aus dem Etat des Bundeswohnungsbauministers aus sogenannten Rückflußmitteln weitere 5,5 Millionen DM zu nehmen, so daß hier bereits 18 Millionen DM plus 2,5 Millionen DM Abdeckung der Bindungsermächtigungen, insgesamt also 20,5 Millionen DM, zur Verfügung stehen. Will man die 2,5 Millionen DM aus der Abdeckung des Jahres 1960 redlicherweise nicht berücksichtigen, so ist noch eine Lücke von rund 2 Millionen DM vorhanden, wenn man die Jahresrate des sogenannten Düsseldorfer Plans mit rund 20 Millionen DM erfüllen will. Dieser Restbetrag ist vom Bundesfinanzministerium ebenfalls zugesichert worden, so daß wir einen Gesamtbetrag von 20 Millionen DM in diesem Jahr zum erstenmal erreichen. Das war ja auch unser Ziel. Denn wir sind der Auffassung, daß bei Aufrechterhaltung der Dreiteilung — ein Drittel der Bund, ein Drittel die Länder, ein Drittel die Träger —, wir über eine Jahresleistung von 60 Millionen DM nicht hinauskommen können.Zu diesen Mitteln für den Bau von Studentenwohnheimen kommen rund 23 Millionen DM für die berufliche und gesellschaftliche Eingliederung von jugendlichen Zuwanderern — einschließlich der 15 Millionen DM des sogenannten Garantiefonds — und 2,3 Millionen DM zur Anstellung von weiteren rund 320 zusätzlichen Erziehungskräften.Ich glaube, es muß noch eine Zahl genannt werden, um das gesamte Finanzvolumen für die Jugendarbeit zu sehen. Wenn aus Bund, Ländern, Gemeinden und Trägerschaften alle Mittel zusammengezogen werden, steht für die Jugendarbeit 1961 ein Betrag von rund einer Viertel Milliarde D-Mark zur Verfügung.Ich erinnere daran, daß wir im Jahre 1950 beim Bundesjugendplan mit 17,5 Millionen DM angefangen haben und daß wir jetzt bei rund 80 Millionen DM angelangt sind. Ich glaube, damit ist unserem Anliegen im Rahmen des Möglichen Rechnung getragen worden.Zur Information darf ich noch drei Beschlüsse bekanntgeben, die der Haushaltsausschuß als Empfehlung an die Regierung weitergegeben hat. Erstens empfiehlt er, die Richtlinien bezüglich der Höchstsätze für Kurse dahingehend zu ändern, daß die Eigenmittel der Träger auf die Bundeszuschüsse nicht mehr angerechnet werden, um damit einerseits eigene Reserven der Träger zu bilden und um andererseits die Initiative in der Erschließung anderer Finanzquellen nicht zu töten.Zweitens wurde empfohlen, im Einvernehmen mit der Bundesregierung die Programme etwas elastischer zu gestalten.Eine dritte Empfehlung geht dahin: Entstehende Haushaltsreste sollen in Ausschöpfung der Möglichkeiten des § 6 des Haushaltsgesetzes übertragbar und daher verwendungsfähig bleiben.Ich bitte, der Drucksache 2521 unter Berücksichtigung auch dieser Empfehlungen zuzustimmen.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Schanzenbach.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Etatberatungen am Ende einer Legislaturperiode geben Anlaß, nachzuprüfen, ob die Versprechungen, die gemacht worden sind, auch eingehalten wurden. Ich habe mir die Kanzlerrede vom 29. Oktober 1957 angesehen und mir herausgeschrieben, was der Herr Bundeskanzler damals gesagt hat, was er für die Familie tun wolle. Ich zitiere:Die Bundesregierung wird alles tun, um die Familie gegen schädigende äußere Einflüsse zu schützen und insbesondere der kinderreichen Familie nach Möglichkeit zu helfen.Der Herr Bundeskanzler war damals sehr schlau.
Er hat gar nicht gesagt, was er tun will. Er hat nur gesagt, daß er alles tun will. Dieses „alles" kann aus sehr vielem oder nichts bestehen. Wir wollen jetzt mal sehen, ob es viel war, ob es „alles" war, oder ob es nichts war.Was gemacht werden sollte, davon haben wir aus dem Vorwort, das der Herr Familienminister zum Etat geschrieben hat, allerdings einiges erfahren:Das Bundesministerium für Familien- und Jugendfragen hat die Aufgabe, den Lebensnotwendigkeiten der Familie und Jugend in der modernen Gesellschafts- und Staatsordnung Geltung zu verschaffen In enger Verbindung mit Wissenschaftlern undForschern arbeitet das Ministerium ständig an
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8728 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 152. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. März 1961
Frau Schanzenbacheinem Überblick über die gegenwärtige Gesamtsituation der Familie und Jugend und pflegt die Beziehungen zu ... Organisationen und Fachausschüssen ...Ich habe dann den Bericht der Bundesregierung für das Jahr 1960 eingehend studiert; denn ich wollte wissen: Was hat das Familienministerium zur Verwirklichung dieser Verlautbarungen wirklich getan, welche Leistungen weist das Ministerium auf? In dem Bericht wird geschrieben: finanziert wurde die Förderung von Ehe- und Elternberatung, finanziert wurde die Farmilienerholug, das Müttergenesungswerk, die Ausbildung von Haushalts-, Familienpflegerinnen und Dorfhelferinnen und die Förderung von Mädchenbildungsmaßnahmen.Meine Damen und Herren, wir begrüßen alle diese Maßnahmen; aber wir, die wir in der Jugendarbeit stehen und die Familienpoliktik mit besonderem Interesse betrachten, wissen, daß das, was da getan worden ist, eigentlich nur ein Tropfen ,auf einen heißen Stein ist.Wir erfahren aus diesem Bericht von 1960 ferner, daß eine Verbesserung des finanziellen Familienlastenausgleichs zu erwarten sei. Aber dem Bundestag liegt — das bedauern wir sicher alle — der Gesetzentwurf über die Verbesserung des Kindergeldes bis zur Stunde nicht vor. Wir wissen, daß er im Bundesrat liegt; aber wir haben ihn im Bundestag noch nicht gesehen und können deshalb in diesem Augenblick noch nichts Entscheidendes dazu sagen.Für meine politischen Freunde und mich ist also die Frage: hat die Bundesregierung ihr Versprechen gehalten? Da muß ich nun den Herrn Familienminister fragen, was er eigentlich mit „den Lebensnotwendigkeiten der Familie und Jugend in der modernen Gesellschafts- und Staatsordnung" meint. Ich werde einige Fragen anschneiden und um die Beantwortung unter diesem Gesichtspunkt der modernen Lebensnotwendigkeiten in unserer Industriegesellschaft bitten. Wenn Sie tatsächlich, Herr Minister, eine enge Verbindung zur Wissenschaft und Forschung unterhalten, wo sind dann die Forschungsergebnisse, aus denen Sie Ihre Aufgaben erkennen und Ihre Aufgaben ableiten? Es wäre in diesem Zusammenhang recht interessant, zu hören, ob das im Rahmen des Bundesjugendplans ins Leben gerufene Forschungsinstitut Aufträge erhalten hat und ob die Ergebnisse dieser Aufträge für die Familien- und Jugendpolitik der Regierung Verwendung gefunden haben. Ich wäre sehr dankbar, Herr Minister, wenn Sie uns nachher — Sie werden ja sicher in dieser Etatberatung noch das Wort ergreifen — einige Beispiele aus diesen Forschungsergebnissen und deren Verwendung sagten.Die Damen und Herren, die im 1. Bundestag mitgearbeitet haben, entsinnen sich vielleicht noch, daß wir am 12. Dezember 1951 das Mutterschutzgesetz zusammen mit einer einstimmig angenommenen Entschließung verabschiedet haben. Ich zitiere sie wörtlich:Der Bundestag gibt der Erwartung Ausdruck,daß der vom Bundesinnenministerium vorbereitete Gesetzentwurf zum Schutz von Mutter und Kind -eine über den derzeitigen Stand hinausgehende Fürsorge für solche werdenden Mütter vorsieht, die im Gesetz zum Schutz der erwerbstätigen Mutter nicht erfaßt werden.Zehn Jahre sind seitdem vergangen; zehn Jahre, in denen wir dieselbe Bundesregierung und auch dieselbe Mehrheit dieses Hauses hatten, und was ist geschehen? Darf ich fragen, Herr Minister, ob diese Entschließung in Vergessenheit geraten ist. Sie können jetzt vielleicht sagen: Das liegt nicht in meiner Zuständigkeit, das liegt in der Zuständigkeit des Ministers für Sozialordnung. Aber da ja Ihr Ministerium die Aufgabe hat, die Familienpolitik zu koordinieren, sind Sie eben auch in allen Aufgaben angesprochen, die mit Familienpolitik zusammenhängen, so daß Ihre Arbeit — und Sie haben auch immer gesagt, daß Sie das tun — eben in mehreren Ministerien ihre Zuständigkeit hat.Ich habe den Eindruck, daß die Politik der Bundesregierung an großen gesellschafts- und familienpolitischen Fragen vorbeigeht, und ich frage deshalb den Herrn Minister: Welche Konsequenzen für Ihre Politik hat die Bundesregierung aus der Veränderung unserer Familienstruktur gezogen? Welche Hilfen hat sie der erwerbstätigen Frau gegeben, damit die Doppelbelastung durch Familie und Erwerbsarbeit die Gesundheit der Frau nicht vorzeitig untergräbt? Sieht die Bundesregierung die Mutterschutzgesetzgebung als ausreichend an, und was hat sie getan, um die Müttersterblichkeit zu verringern?Bei den Veränderungen unserer Familien von der Großfamilie zur Kleinfamilie hin bedürfen sie von außen bestimmter Hilfen, wenn die Familie ihre Erziehungsaufgabe wirklich erfüllen soll. Die Kleinfamilie ist heute die häufigste Familienform in unserer Gesellschaft. Denn 83 % der Ehepaare mit ledigen Kindern leben im Haushalt allein. Das Zusammenleben von mehreren Generationen wird immer geringer. Nur zu weit unter 10 % kennen wir heute noch Großfamilien, also Familien, in denen mehrere Generationen zusammenleben. Aus dieser Veränderung der Familienstruktur ergeben sich schwerwiegende Probleme, Probleme, die es erforderlich machen, daß wir den Familien Einrichtungen zur Seite stellen, die ihnen bei der Erziehungsaufgabe mithelfen.
Ich frage deshalb: Haben wir in der Bundesrepublik, besonders in Anbetracht der sich immer mehr ausweitenden Erwerbstätigkeit ,der Frau, genügend Kindergärten, genügend Horte, genügend Kindertagesheime? Ich möchte sagen, hier ist ein weit unterentwickeltes Gebiet. Wir kennen das Problem der Schlüsselkinder, und wir kennen auch das Problem, daß unsere Kindergärten rein äußerlich, wenn sie neu gebaut sind, sehr hübsch aussehen, daß sie aber in ihrer inneren Struktur keine modernen Kindergärten, sondern Bewahranstalten sind, weil viel zuviel Kinder in einem Kindergarten aufgenommen werden müssen, einfach weil es viel zuwenig solcher Einrichtungen gibt. Mir steht eine Zahl zur Verfügung, die einige Jahre zurückliegt
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 152. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. März 1961 8729
Frau Schanzenbachund deshalb nicht ganz exakt sein kann. Danach hatten wir etwas mehr als zweieinhalb Millionen Mütter mit einem und mehreren Kindern, aber nur 818 668 Plätze in Kindergärten und Horten. Dies ist also ein Gebiet im Rahmen unserer Jugendhilfe, auf dem viel zu wenig getan worden ist.Ich möchte auch ,die Regierung, insbesondere den Herrn Familienminister, fragen: Wo ist der Plan, wo sind Maßnahmen, um den alten Menschen zu helfen? Sieht die Regierung überhaupt dieses Problem, das für uns ebenfalls völlig neu ist und das auch mit der veränderten Familienstruktur zusammenhängt? Die alten Leute sind heute sehr viel für sich allein, wohnen nicht mehr bei ihren Kindern Sie brauchen deshalb besondere Hilfe, besondere Pflege. Mit der Rente allein ist es nicht mehr getan. Wir sind als Gesellschaft verpflichtet, auch dem alten Menschen das Gefühl der Sicherheit, das Gefühl des Geborgenseins zu geben. Der alte Mensch darf sich nicht abgeschrieben fühlen. Hier frage ich: Welche Vorstellungen zu diesem neuen gesellschaftlichen Problem hat das Familienministerium, hat die Regierung?Ganz abgesehen von den Hilfen, die nicht in der vollen Zuständigkeit der Bundesregierung liegen, hat sie es nicht fertiggebracht, Familien mit Kindern wirtschaftlich ausreichend zu versorgen, obwohl gerade dieses Kapitel in der Regierungserklärung des Bundeskanzlers angesprochen war. Die Kindergeldgesetzgebung — wir wissen es alle - ist ein ganz dunkles Problem. Wir warten immer noch auf die Novelle. Wir wissen zwar, daß sich der Minister um die Verbesserung des Kindergeldes Mühe gegeben hat. Aber es zeigt die soziale Einstellung der Regierung, daß sein Einsatz so lange erfolglos war. Es ist für ihn persönlich sehr bitter, wenn er in einem Vortrag ausführen muß — ich zitiere den Herrn Minister —:Gegenüber unseren europäischen Nachbarn stehen wir in der Familienpolitik noch weit zurück. Alle anderen Länder des Gemeinsamen Marktes zahlen weit mehr Kindergeld als wir, und zwar fast überall ab dem ersten Kind.Ich brauche es gar nicht selbst zu sagen, schon das, was der Herr Minister sagt, beweist, daß das, was der Kanzler in seiner Regierungserklärung versprochen hat, nicht eingehalten worden ist.Dem Problem der Wohnungsbeschaffung im besonderen für junge Familien ist zuwenig Bedeutung beigemessen worden. Ich meine, gerade in diesem Punkt hätte der Herr Familienminister im Kabinett eine größere Aufmerksamkeit erreichen müssen.In wichtigen Teilen der Sozialgesetzgebung sind familienpolitische Gesichtspunkte nicht berücksichtigt worden, so u. a. bei der Krankenkassenreform; denn die Selbstbeteiligung würde den Familien mit Kindern eine sehr spürbare wirtschaftliche Belastung bringen.
— Ich meine, das ist eine wichtige familienpolitischeSache. Es ist für eine Familie, besonders für eineFamilie mit mehreren Kindern, sehr interessant, ob sie einen Teil der Arzt- und Arzneikosten bezahlen muß oder nicht. So sehe ich es.
— Fragen Sie jede Mutter. Sie wird Ihnen sagen, daß sie daran sehr interessiert ist, und daß das für sie ein familienpolitisches Problem ist.In den verschiedenen Gesetzen auf dem Gebiete der Sozialgesetzgebung, z. B. im Bundesversorgungsgesetz, im Lastenausgleichsgesetz, im Heimkehrergesetz, hatten wir sehr gut fundierte Ausbildungsbeihilfen verankert, und wir waren froh, daß in den vergangenen Jahren viele Menschen durch die Möglichkeiten, die ihnen diese Gesetze gaben, eine qualifizierte Ausbildung bekamen. Von Jahr zu Jahr verengt sich aber der Personenkreis, und dazu haben wir in den vergangenen Jahren immer festgestellt, daß für die Normalfamilie in bezug auf wirtschaftliche Hilfe für die Ausbildung der Kinder viel zuwenig getan worden ist. Wir haben zwar Ausbildungsbeihilfen aus 22 und noch mehr Töpfen gegeben, aber die Normalfamilie haben wir im Stich gelassen. Sie war letztlich auf Fürsorgeunterstützung angewiesen, und darin liegt keine Gerechtigkeit. Darum müssen wir zu einer Regelung kommen, die dem § 1 des Jugendwohlfahrtsgesetzes entspricht, nämlich jedem Kind das Recht auf Erziehung zur leiblichen, seelischen und gesellschaftlichen Tüchtigkeit auch von der wirtschaftlichen Seite her gibt.
Wir bedauern außerordentlich. daß das Ministerium die Vorlage, die vom Jugendaufbauwerk ausgearbeitet worden ist, für ein Berufsausbildungsbeihilfengesetz nicht aufgegriffen hat, und wir sind sehr traurig darüber, daß in allen Ländern, im Osten und im Westen, gesehen wird, welche Anstrengungen man machen muß, um die Jugend — —
— Nein! Ich erwähne den Osten deswegen, Herr Kollege, weil wir auch mit dem Osten konfrontiert werden, nicht nur mit dem Westen. Ich will nicht mitschuldig sein, daß eines Tages die Kinder und die Berufstätigen aus dem Osten auf Grund ihrer besseren Ausbildung tüchtiger sind als die Jugend aus dem Westen.
Aber wir haben den Eindruck, daß die Regierung ein zu geringes Interesse daran hat, diese wichtigste Frage der Ausbildungsbeihilfe in Ordnung zu bringen. Ich frage darum den Herrn Minister: Warum ist der Gesetzentwurf über die Berufsausbildungsbeihilfen noch nicht eingebracht worden? Warum ist nicht einmal die Möglichkeit der Novelle zum Reichsjugendwohlfahrtsgesetz wahrgenommen worden, damit diese Frage der Berufsausbildungsbeihilfen geregelt wird?Ein anderes Problem in unserer Zeit, das auch unter dem Blickwinkel der Familienpolitik gesehen werden muß, ist das der erwerbstätigen Frauen.
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8730 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 152. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. März 1961
Frau SchanzenbachRund 35 % aller Erwerbstätigen sind Frauen. Es ist bedauerlich, daß die Erwerbsverhältnisse der Mütter seit 1950 nicht mehr statistisch erfaßt wurden, so daß wir keine exakten Angaben darüber haben. Aber uns steht mindestens, gewissermaßen als Kontrolle, eine Erhebung von 1957 zur Verfügung. Daraus ergeben sich folgende Zahlen.Wir haben in der Bundesrepublik 21,74 Millionen Frauen über 15 Jahre. Davon sind 12,34 Millionen verheiratet. 4,09 Millionen verheiratete Frauen haben keine ledigen Kinder zu versorgen. Aber 8,25 Millionen verheiratete Frauen haben ledige Kinder zu versorgen, und 1,45 Millionen verwitwete und geschiedene Frauen haben ebenfalls Kinder. Von den verheirateten, verwitweten und geschiedenen Frauen sind 4,53 Millionen, das sind 28 %, erwerbstätig. Von 100 Frauen mit einem Kind gehen 15, von 100 verheirateten Frauen mit 4 Kindern gehen 5 einer außerhäuslichen Erwerbstätigkeit nach. Verwitwete und geschiedene Frauen mit kleinen Kindern sind weit stärker gezwungen, einer Erwerbsarbeit nachzugehen. Bis zu 41 % der verwitweten und geschiedenen Frauen mit Kindern unter sechs Jahren sind erwerbstätig.Das sind Zahlen, die uns zu denken geben. Das sind Zahlen, die uns zwingen, sozial- und familienpolitische Folgerungen zu ziehen. Ich frage deshalb den Herrn Minister, ob ihm diese Tatsachen bekannt sind und welche Hilfen er bisher den erwerbstätigen Müttern und deren Kindern zuteil werden ließ. Das zentrale Problem der erwerbstätigen Mütter ist ihre 'doppelte Belastung durch Beruf, Familie und Haushalt. Die Entscheidung — ich sage das deshalb, weil der Herr Minister in früheren Jahren oft gegen erwerbstätige Frauen polemisiert hat —, ob eine Frau erwerbstätig oder berufstätig sein will, hat sie selbst im Einvernehmen mit ihrer Familie zu treffen.
Leider sind die meisten Frauen gezwungen, aus einer wirtschaftlichen Not heraus
— aus einer wirtschaftlichen Not heraus! — der Erwerbsarbeit nachzugehen. Das Durchschnittseinkommen, meine Herren von der CDU, reicht nicht aus, daß damit eine Normalfamilie — sagen wir, eine Familie mit zwei Kindern — so ernährt und so erhalten werden könnte, wie das heute gang und gäbe ist.
Das Einkommen des Mannes, das Durchschnittseinkommen von 600 DM reicht nicht aus, einer Familieden heute üblichen Lebensstandard zu gewährleisten.
- Rechnen Sie aus, was sich eine vierköpfige Familie bei 600 DM Einkommen leisten kann bei einer Miete von 100 bis 150 DM,
dann wissen Sie, daß das hart an der Fürsorgeunterstützung liegt.
Nein, das ist kein Grenzfall, das ist das durchschnittliche Einkommen.
Der Wohlstand, meine Damen und Herren, von dem so gern geredet wird, geht auf Kosten der Frau, der Gesundheit der Frau. Denn nur in einer Familie, in der mindestens zwei Einkommen sind, kann man sich einigermaßen das leisten, was in dieser modernen Gesellschaft angeboten wird.
Das Ziel einer guten Familienpolitik muß meiner Meinung nach sein, daß keine Mutter mit kleinen oder schulpflichtigen Kindern gezwungensein sollte, aus wirtschaftlichen Gründen einer Erwerbsarbeit nachzugehen.
Ich glaube, diesen Grundsatz sollte man aufstellen.Und da frage ich: Was hat die Regierung in ihrer Sozialpolitik und Familienpolitik getan, um diesem Grundsatz, den wir alle miteinander unterstreichen, Rechnung zu tragen?
— Ritte sehr!
Sehr verehrte Frau Kollegin, welches Einkommen würden Sie denn so ungefähr ansetzen, bei dem es einer Frau nicht mehr notwendig erscheint, ebenfalls zu arbeiten und zusätzlich zu verdienen?
Ich würde sagen: Bei einer Normalfamilie müßte der Mann unter den heutigen Umständen mindestens 800 Mark verdienen.
Die Belastung der erwerbstätigen Frau ist außergewöhnlich; denn neben einer achtstündigen Arbeitszeit und neben einer Wegzeit von ein bis zwei Stunden muß sie für die hauswirtschaftlichen Funktionen täglich drei bis fünf Stunden aufwenden, so daß die tägliche Arbeitszeit einer berufstätigen Frau und Mutter heute mindestens elf bis dreizehn Stunden beträgt. Eine Untersuchung in Westberlin hat ergeben, daß von den verheirateten Müttern 16,2 % unter 80 Stunden wöchentlich arbeiten, 31,2 % 80 bis 90 Stunden und 52,5 % mehr als 90 Stunden in der Woche.
Den Urlaub, den die befragten Arbeiterinnen haben, einen Urlaub von 12 bis 16 Tagen im Jahr, verwenden 75 % dieser Arbeiterinnen, um liegengebliebene Arbeiten in ihrem Haushalt zu erledigen.
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 152. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. März 1961 8731
Frau SchanzenbachBei den Bäuerinnen ist es, wie Sie wissen, kein Jota anders. In mehr als einer halben Million landwirtschaftlicher Kleinbetriebe liegt fast die gesamte Arbeitslast bei der Frau. Herr Bauknecht, der Vizepräsident des Deutschen Bauernverbandes, hat in einer seiner Reden gesagt: „Die Landfrau ist mit 40 oder 50 Jahren verschafft." Bundeskanzler Adenauer hat am 29. Oktober 1957 in einer Rede gesagt: „In stärkerem Maße als bisher muß für die Erleichterung der Arbeit der Landfrau Sorge getragen werden."Nun frage ich: Was ist getan worden? Glücklicherweise sind jetzt im Grünen Plan 30 Millionen DM eingesetzt, die für die Erleichterung der Hausfrauenarbeit Verwendung finden sollen. Aber 12 Jahre ist nichts getan worden. Wir wissen doch alle miteinander, daß selbst in unserer hochindustrialisierten Zeit auf dem Lande zum Teil noch keine Wasserleitung ist, sondern viele Landfrauen jeden Liter Wasser schleppen müssen. Ich glaube, da ist ein großes unterentwickeltes Gebiet, da brauchen wir gar nicht in andere Länder zu gehen, da können wir bei uns noch vieles in Ordnung bringen.
Das ist eine Sache, die auch ein Familienministerium sehen muß. Untersuchungen haben ergeben, daß die Belastung der Frau durch Mutterschaft, Familie, Haushalt und Erwerbsarbeit so groß ist, daß sie ihr eigentlich gar nicht zugemutet werden kann. Bei 39 % der zusätzliche Hausarbieit leistenden erwerbstätigen Frauen übersteigt die Belastung ständig die normale Schwerarbeiterbelastung. Da ist es gar nicht verwunderlich, daß 85 % aller sozialversicherten Frauen vor dem 65. Lebensjahr invalide werden. Auch hier wieder meine Frage: welche Überlegungen hat die Regierung zu diesen familienpolitischen Problemen angestellt?Gegenüber anderen Ländern ist die Müttersterblichkeit in der Bundesrepublik besonders hoch. 1958 sind auf 100 000 Lebendgeborene 117,9 Müttersterbefälle gekommen. Was hat die Regierung getan oder was gedenkt sie zu tun, um den Ursachen auf die Spur zu kommen, und was gedenkt sie zu tun, damit auch bei uns ,die Müttersterblichkeit wesentlich vermindert wird?Als 1951 das Mutterschutzgesetz verabschiedet wurde, war es ausreichend. Es war damals eines der besten Mutterschutzgesetze, die man in Europa und weit darüber hinaus kannte. Aber heute ist das nicht mehr der Fall. Ich frage deshalb: sind in dem zuständigen Ministerium Vorbereitungen getroffen, um dieses Gesetz auf einen modernen Stand zu bringen?Ich kann nur feststellen, wenn ich dieses Kapitel überschaue, daß die Regierung für die erwerbstätige Frau viel zu wenig getan hat, um nicht zu sagen: sie hat auf dieser Ebene versagt.Ein anderes Thema! Was hat die Regierung dazu beigetragen, um zu helfen, den Art. 3 des Grundgesetzes zu verwirklichen? Man kann sich nicht des Eindrucks erwehren, daß die Regierung in Bezug auf die Stellung der Frau in der Gesellschaft altenLeitbildern anhing und daß sie kaum etwas getan hat, damit die Frau in der modernen Industriegesellschaft den ihr zukommenden Platz erhält.Frauen in qualifizierten Stellen in den Ministerien sind nach einer zwölfjährigen Regierungstätigkeit desselben Regierungschefs immer noch eine Seltenheit. 1953 und 1957 hat Dr. Adenauer den Frauen — besonders den Frauenverbänden — versprochen, daß eine Frau in sein Kabinett aufgenommen werde. In seinen Wahlreden hat er den Frauen versprochen, ihnen zu helfen. Er war zwar auch da wieder so klug, nicht zu sagen, wie er ihnen helfen wolle. Er hat nur gesagt, er werde ihnen helfen. Nachdem die Legislaturperiode nun bald vorbei ist, würde ich doch sehr gern erfahren, in welcher Weise er sein Versprechen gehalten hat. Ich habe eine Notiz vom 5. November 1957 gefunden, in der aufgezeichnet ist, daß Dr. Adenauer ausführte:Es trifft nicht zu, daß die Interessentengruppen die Bildung des Kabinetts irgendwie beeinflußt hätten. Es ist auch sonst niemand an mich herangetreten. Ich gebe aber zu, ich habe jetzt noch einen heißen Kampf mit den Frauen zu bestehen; er steht mir noch bevor.Aber was geschah dann? Eine Frau als Minister wurde nicht berufen. Als Trostpille gab es eine Staatssekretärin im Familienministerium. Sie ist heute auch schon im Ruhestand, und die Stelle ist bis zum heutigen Tage nicht wieder besetzt worden. Ich frage den Herrn Minister ganz leise und bescheiden: warum? Vielleicht bekommen wir das zu hören.Ich muß wiederholen, was ich schon einmal gesagt habe: Die Respektlosigkeit, mit der der Kanzler den Frauen begegnet, überträgt sich manchmal auch auf seine Minister.
— Herr Dr. Vogel, ich habe Ihnen doch Beispiele angeführt, und ich bringe Ihnen noch weitere; warten Sie nur.Ich empfinde es als eine Respektlosigkeit, daß z. B. ein Notdienstgesetz gemacht wird und zu allen anderen Gesetzen die Interessenverbände gehört werden, zu diesem Gesetz aber, in dem die Frauen so stark angesprochen werden, die Frauenverbände nicht gehört werden. In dieses Gesetz werden Paragraphen eingesetzt, von denen ich überzeugt bin, daß sie von einer großen Verständnislosigkeit gegenüber der Frau und ihrer Verpflichtung für ihre Kinder sprechen. Ich möchte sogar sagen, daß mit diesem § 13 der Staat, d. h. die Regierung, seine Schutzpflicht gegenüber der Familie verletzt.
Am 29. Oktober 1957 hielt im Bonner Presseclub der Vorsitzende Dr. Rapp eine launige Ansprache an den Bundeskanzler, wobei er die Frage aufwarf, warum der Herr Bundeskanzler davon abgesehen
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8732 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 152. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. März 1961
Frau Schanzenbachhabe, eine Frau ins Kabinett hineinzunehmen. Daraufhin gab ihm der Herr Bundeskanzler folgende Antwort:Ich habe niemals versprochen, eine Frau ins Kabinett hineinzunehmen. Ich bin allerdings in dieser Sache wiederholt von Journalisten angesprochen worden. Ich wäre aber ein kompletter Narr, wenn ich den Leuten damals gesagt hätte, ich dächte nicht daran, eine Frau ins Kabinett zu nehmen; das war nämlich vor der Wahl.
Und jetzt, so füge ich an, sind wir wieder vor den Wahlen. Deshalb hat der Herr Bundeskanzler die Vorsitzenden der Frauenverbände kürzlich zu sich ins Palais Schaumburg gebeten. Sie sind auch gekommen, um sich von ihm wieder einmal sagen zu lassen, daß er es begrüßen würde, wenn dem Kabinett eine Frau angehörte; denn ihre Mitarbeit und ihr Urteil seien besonders wertvoll. Meine Damen und Herren, zu einem solchen Verhalten sagt man in meiner Heimat: Der führt die aber ganz schön am Narrenseil rum!
Ich erlaube mir deshalb die Frage: Warum hat der Kanzler sein Versprechen, eine Frau als Minister in die Regierung zu nehmen, nicht eingehalten, und warum ist die Stelle des Staatssekretärs im Ministerium für Familien- und Jugendfragen nicht wieder von einer Frau besetzt worden?Zur Jugendpolitik hat der Herr Minister in den letzten Jahren viele Artikel geschrieben und Reden gehalten. Diese Reden weisen eine Einstellung zum Leben auf, die keineswegs der modernen Zeit entspricht. Seine Reden sind meistens von einer merkwürdigen Moral. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, daß der Herr Minister der Meinung ist, er habe die richtige sittliche Haltung in Erbpacht genommen. Wir brauchen aber einen Familienminister, der frisch und aufgeschlossen in unserer Zeit steht und der mit aller Offenheit die heutigen Probleme der Familie und der Jugend sieht und sie mit lösen hilft.Nach wie vor hat sich der seit 1950 bestehende Bundesjugendplan gut bewährt, und es sind auch heute noch positive Ansatzpunkte darin. Die Schwerpunkte haben sich in den verflossenen zehn Jahren allerdings wesentlich verlagert. Glücklicherweise bestehen jene Schwerpunkte von 1950 nicht mehr. Denn die Zeit der berufs-, der arbeits- und der heimatlosen Jugend ist überwunden. Heute liegt die Betonung im Rahmen des Bundesjugendplans auf der staatspolitischen Bildungsarbeit, den Freizeithilfen, der beruflichen und gesellschaftlichen Eingliederung jugendlicher Zuwanderer, der Ausbildung von Fachkräften für die Jugendarbeit und der Förderung der internationalen Zusammenarbeit.Wir können uns allerdings des Eindrucks nicht erwehren, daß sich die Verlagerung der Schwerpunkte im Bundesjugendplan mehr oder weniger zufällig ergeben hat. Mehr oder weniger sind sie durch bestimmte Interessen so gestaltet worden.Eine exakte Untersuchung über die heutigen Notstände unserer Jugend ist jedoch die Voraussetzung, um zu einer sinnvollen staatspolitischen Zielsetzung in der Jugendarbeit zu kommen. Wir haben in den Ausschußberatungen in den vergangenen Jahren wiederholt darauf hingewiesen. Leider ist unsere Anregung nicht aufgegriffen worden, obwohl das Ministerium angeblich in enger Verbindung zu Wissenschaft und Forschung steht und deshalb die Beschaffung exakter Unterlagen nicht allzu schwer sein dürfte.Die Vergabe der Mittel des Bundesjugendplans muß neu durchdacht werden. Denn wir wollen nicht, daß die Jugendverbände über diese Mittel stolpern und durch die schwierigen Abrechnungsbestimmungen zu Unkorrektheiten verleitet werden.Von Fachkreisen wird seit Jahren eine Reform des Jugendhilferechts gewünscht, weil das Reichsjugendwohlfahrtsgesetz von 1922 nicht mehr in allen Teilen unserer Zeit und den erforderlichen Hilfsmaßnahmen für die Jugend entspricht. Aber die am 9. Dezember 1960 dem Bundestag vorgelegte Novelle befaßt sich nur untergeordnet mit der Verbesserung und Weiterentwicklung der Jugendhilfe. Diese Novelle hat ein ausgeprägt politisches, ja ich möchte sogar sagen, kulturpolitisches Schwergewicht. Meine Kollegin Frau Keilhack hat in der ersten Lesung ausführlich zu diesem Thema gesprochen. Ich darf deshalb darauf Bezug nehmen. Ich wiederhole nur, weil wir glauben, daß das schwerwiegend ist: den Wohlfahrts- und Jugendverbänden soll gegenüber den Gemeinden in dieser Novelle ein Vorrang eingeräumt werden. Diese Gesetzesvorlage bedeutet eine Aushöhlung der Jugendhilfe der Gemeinden und Kreise. In ihrem fürsorgerischen Teil hinkt die Vorlage hinter der Praxis her. Man kann sagen, daß der jugendfürsorgerische Teil vor zehn .Jahren noch interessant gewesen wäre; heute aber sind diese Vorstellungen veraltet.Wir sind der Meinung, daß die vorgelegte Novelle zum Reichsjugendwohlfahrtsgesetz gegen das Grundgesetz verstößt. Wir sind in unserer Auffassung durch ein Rechtsgutachten bestärkt worden. Sollte dieser Entwurf eine Mehrheit im Hohen Hause finden, so würde das die Zersplitterung der gesamten Jugendarbeit
in sachlicher und politischer Hinsicht zur Folge haben.
Parteipolitik und Machtstreben einer Gruppe stehen in dieser Novelle vor dem Wohl der Jugend.
Das Ministerium für Familien- und Jugendfragen hat die entscheidenden familien- und jugendpolitischen Aufgaben unserer modernen Industriegesellschaft nicht erkannt und die notwendigen jugendpolitischen Maßnahmen nicht in die Wege geleitet. Positive familien- und jugendpolitische Maßnahmen
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 152. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. März 1961 8733
Frau Schanzenbachwerden stets die Förderung durch die SPD-Fraktion finden. Das haben wir in den letzten zwölf Jahren ausreichend unter. Beweis gestellt.So bejahen wir auch die in diesem Etat vorgesehenen Mittel für den Bundesjugendplan, für die , Ferienerholung für Kinder und Jugendliche, für die Beihilfen für jugendliche Zuwanderer und für die Zuwendungen für Familienferienstätten. Da wir aber an der Familien- und Jugendpolitik des Herrn Ministers und der Regierung erhebliche Kritik anzusetzen haben, werden wir uns bei der Abstimmung über den Einzelplan 29 der Stimme enthalten.
Das Wart hat der Abgeordnete Spitzmüller.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Wir Freien Demokraten waren seit eh und je der Meinung, daß es eines eigenen Ministeriums für Familien- und Jugendfragen nicht bedürfe, weil diese Aufgaben auch in anderen Ressorts gut aufgehoben seien. Man hat uns dann immer entgegengehalten: Nein, diese wichtige Frage bedürfe im Kabinett der Vertretung durch einen Minister, weil die Interessen dann besser durchgesetzt werden könnten.Bei den Worten der Frau Kollegin Schanzenbach hat man den Eindruck gewonnen, daß zwar ein weites Betätigungsfeld für den Herrn Familienminister gegeben ist, daß aber offensichtlich sein Bemühen nicht stark genug, mindestens aber nicht erfolgreich genug gewesen ist.
Dem muß ich mich anschließen. Friedrich der Große hat von seinen Generalen verlangt, daß sie fortune hätten. Nun, für einen Politiker gilt Ähnliches.
Für einen Politiker heißt das übersetzt: er müsse die Möglichkeit haben, möglichst nicht nur die eigene Fraktion, sondern auch politisch Andersdenkende für seine Ansichten zu gewinnen.Wir Freien Demokraten hatten zu Beginn dieser Legislaturperiode die Hoffnung — ich bekenne das offen und ehrlich -, daß der Herr Minister in dieser Hinsicht Fähigkeiten entwickeln könnte, und wir sind, Herr Minister Wuermeling, dann auch erstmals im Jahre 1958 auf Grund dieser Hoffnung in der Lage gewesen, Ihren Etat nicht ablehnen zu müssen. Sie erinnern sich noch, daß ich damals in meiner Fraktion um einen Vertrauensvorschuß für Sie und für Ihre zusätzliche Arbeit, die man Ihnen gegeben hatte, geworben habe.
Leider muß ich heute feststellen, daß Sie Ihre persönliche Haltung, Herr Minister, trotz dieser damals kritisch-wohlwollenden Einstellung der Freien Demokraten beibehalten haben. Vielleicht manchmal gegen Ihren Willen haben Sie bei Verhandlungen, die Probleme Ihres Ressorts betroffen haben, das Klima so verschlechtert, daß es dann sehr schwierig gewesen ist, überhaupt noch eine Einigung zu erzielen. Ich brauche in diesem Zusammenhang nur daran zu erinnern, daß Sie durch Ihre schroffen Äußerungen beider Beratung der Novelle zur Gewerbeordnung der Durchsetzung Ihrer eigenen Ansichten selbst einen sehr schlechten Dienst erwiesen haben.
— Nun, das geben Sie doch selbst zu, daß der Herr Minister damals hier seine Sache zwar vertreten hat, daß er damit aber keineswegs Freunde gewonnen hat, sondern daß im Gegenteil die Wellen hochgegangen sind. Denn Druck erzeugt Gegendruck, und manchmal kommt dieser Gegendruck erst, wenn man so aggressiv wird, wie der Herr Minister das manchmal an sich hat.
— Bitte, lassen Sie mich diese Problematik an einem anderen Beispiel darlegen.Der Herr Familienminister hat ja einige Herzenswünsche; einer dieser Herzenswünsche ist die Änderung des § 48 des geltenden Ehegesetzes. Nun, die Problematik der Ehescheidung nach mindestens dreijähriger Heimtrennung ist seit langem 'bekannt und wird in Fachkreisen sachlich, in Ruhe und ohne jede Leidenschaften diskutiert. Man kann darüber nach unserer Meinung auch im Bundestag ruhig sprechen. Aber wenn Sie, Herr Minister, zu dieser Sachfrage im Februar in Neustadt ausgeführt haben, Sie wollten mehr Schutz für Ehe und Familie und mehr Schutz für unschuldig verlassene Frauen und Kinder, mehr Schutz, als liberale und sozialistische Politiker aus falscher Rücksichtnahme auf Ehebrecher und Ehebrecherinnen zugestehen wollten, dann haben Sie, Herr Minister, doch schon wieder von Anfang an alles getan, um diese Sachfrage in den Strudel der Parteipolitik zu ziehen,
und damit nützen Sie diesem Anliegen, das Sie selbst vertreten, reichlich wenig.Müssen denn, Herr Minister — so meine ganz bescheidene Frage —, solche Sonntagsreden immer sein? Sie sind offensichtlich gefährlich, weil sie da und dort in der Bevölkerung einen falschen Eindruck erwecken. Erinnern Sie sich doch nur daran -- das ist sogar im Bundestagsprotokoll nachzulesen —, daß Sie, Herr Minister, es gewesen sind, der sich einmal nach einer Rede der Frau Alterspräsidentin Dr. Lüders gewundert hat - hier von diesem Platze aus daß der Ruf nach der Moral ausgerechnet von der FDP komme.Herr Minister, solche Äußerungen — ich könnte sie fortsetzen — sind politische Stilfehler, politische Stilfuhler, die dann mehr sind als Schönheitsfehler, wenn verletzende und die Atmosphäre vergiftende Äußerungen in der Debatte über Probleme erfolgen, bei denen sich die Politiker aller Parteien zusammensetzen sollten, um an einem Strang zu ziehen und möglichst gemeinsame Lösungen zu finden. Und
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8734 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 152. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. März 1961
Spitzmüllergerade bei den Familien- und Jugendfragen sollte die Gemeinsamkeit in den Vordergrund gestellt werden.
Hier müßte jeder Verantwortliche versuchen, einen falschen Zungenschlag zu vermeiden.Sehr geehrter Herr Minister, immer dann, wenn man so etwas durchklingen läßt, als ob allein die christlich-demokratische Fraktion der besondere Hüter von Ehe und Familie sei und als ob die andern, die politischen Gegner, dafür nichts übrig hätten, dann schädigt man diese notwendige Gemeinsamkeit. Außerdem wirft das, Herr Minister, manchmal auch ein etwas komisches Licht auf Ihre christliche Demut; sie wird damit etwas weniger glaubwürdig.
— Ja, sehen Sie, Herr Memmel, es war eine meiner ersten Aufgaben hier, das Gehalt des Herrn Ministers im Jahre 1958 gegen einen Antrag der SPD-Fraktion schützen zu müssen, die damals die Streichung des Gehalts beantragt hatte.
In der Zwischenzeit aber bin ich belehrt worden, daß man mit allzuviel Vorschußlorbeeren und mit allzuviel Vorschußvertrauen im Falle des Herrn Ministers Wuermeling nicht gut fährt.
Ich mußte mich von meinen eigenen Parteifreunden überzeugen lassen, daß ich damals die Fraktion mit meiner Argumentation nicht in die richtige Richtung geführt hätte.
Sehen Sie, das tut manchmal ein bißchen weh. Aber man muß es ja auch eingestehen, wenn man sich geirrt und sich getäuscht hat.Ich muß ehrlich sagen, ich bin immer noch der Meinung, daß es für den Familienminister nicht zu spät wäre, sein persönliches Verhalten ein bißchen mehr auf das Gemeinsame einzustellen, um der Sache der Familien- und Jugendpolitik mehr zu nützen, als es bisher der Fall gewesen ist.
— Sehr geehrter Herr Vogel, sehen Sie, wir müssen es dem Herrn Familienminister auch in der Frage des Jugendwohlfahrtsrechts anlasten, wenn hier die Meinungsverschiedenheiten sehr stark nach oben gespielt worden sind. Da gibt es Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Bund und den Länderregierungen. Man muß sagen, daß offensichtlich vor Einbringung des Entwurfs im Bundestag die Ländervertreter nicht gerade sehr pfleglich behandelt wurden.Es nützt nach unserer Meinung wenig, wenn man nun auf Eile drängt, um im Bundestag mit der nuneinmal vorhandenen absoluten Mehrheit dieses Gesetz durchzubringen. Denn der Erfolg ist doch schließlich der, daß hier nicht das Parlament, nicht die Länder entscheiden, was Rechtens ist, sondern letztendlich das Bundesverfassungsgericht. Allzu viele Verfassungsgerichtsprozesse jedoch schaden der Demokratie und damit uns allen. Man weiß ja nie, wie ein solcher Richterspruch aussieht. Man kann sehr viel Hoffnung tauf ein gutes Urteil haben, und es wird dann doch ein schlechtes Urteil, ein Urteil, das sogar falsch ist, wie sich der Herr Bundeskanzler von dieser Stelle aus einmal geäußert hat.Wir sind der Meinung, daß man nicht so viele Gesetze mit Zweifelsfragen mit der absoluten Mehrheit durchpeitschen sollte und Karlsruhe dann entscheiden soll, sondern hier, bitte, sollte der Versuch gemacht werden, vorher zu Einigungen zu kommen im Interesse eben gerade der Jugendwohlfahrt, im Interesse dieser Jugendarbeit.Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich will Sie nicht allzulange aufhalten. Ich möchte mir nicht den Vorwurf zuziehen, ausgerechnet ich habe durch meine Rede es veranlaßt, daß Sie unter Umständen erst etwas später in die Osterferien fahren können. Aber ob der Herr Minister es will oder nicht, wenn diese Änderung zum Reichsjugendwohlfahrtsgesetz Wirklichkeit werden soll, dann ist der Entwurf eben nur geeignet, das Vertrauen zu schwächen, das notwendig ist, wenn eine gute Zusammenarbeit zwischen Jugendamt und Wohlfahrtsverbänden garantiert werden soll.Wir Freien Demokraten wollen sehr klar herausstellen, daß wir bezüglich des Verhältnisses zwischen freier und öffentlicher Jugendarbeit für die Gleichrangigkeit von freier und öffentlicher Jugendarbeit sind. Wir sind nicht der Meinung, daß nur die Kommunalisierung oder nur die Konfessionalisierung der Jugendarbeit das A und O einer Jugendpolitik sein sollte. Wir sind vielmehr der Meinung, daß man die Gleichrangigkeit schützen und erhalten sollte, um eine vertrauensvolle Zusammenarbeit — und die können wir in der Regel feststellen, da können wir durch die deutschen Bundesländer gehen, wohin wir wollen — zu erreichen, damit diese Praxis im Interesse unserer Jugend aufrechterhalten bleibt. Wir sind der Meinung, daß durch diesen Entwurf, ob es der Herr Minister will oder nicht, leider ein gewisser Vertrauensschwund in dieser gemeinsamen Arbeit eingetreten ist. Warum? Weil der Herr Minister höchstpersönlich versucht, mit aller Macht den Vorrang eines der beiden Partner in der Jugendarbeit zu statuieren.Ich darf noch kurz daran erinnern — es gehört ja nicht unmittelbar zum Bereich des Herrn Ministers für Familien- und Jugendfragen —, daß es gerade der Herr Minister Wuermeling gewesen ist, der durch seine starre Haltung lange Jahre hindurch dazu beigetragen hat, daß man sich in diesem Hause in der Frage einer richtigen, guten, gerechten und endgültigen Lösung bei der Kindergeldregelung nicht nahegekommen ist. Ich möchte von dieser Stelle aus, Herr Minister, meine Bitte wiederholen, die ich bei der letzten Großen Anfrage der SPD zu diesem Problemkreis an Sie gerichtet habe: Versu-
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 152. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. März 1961 8735
Spitzmüllerchen Sie es doch einmal! Sprechen Sie einmal in der Frage der endgültigen Kindergeldregelung mit den Experten der Fraktionen! Es müßte mit dem Teufel zugehen, wenn man mit gutem Willen, in enger Zusammenarbeit und unter Betonung des Gemeinsamen sich nicht doch noch zu einer guten endgültigen Lösung zusammenfinden könnte. Ich glaube, es bedarf hier nur des Anstoßes von Ihrer Seite und durch Sie persönlich, Herr Minister Wuermeling.
Angesichts des vielen zerbrochenen Porzellans auf den letzten politischen Wegstrecken des Herrn Bundesfamilienministers ist es uns leider auch bei größtem Wohlwollen unmöglich, ja zu seinem Etat zu sagen.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Krappe.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte ein spezielles Problem ansprechen, nämlich den Studentenwohnheimbau. Ich will keinen Antrag auf Änderung der Ansätze stellen, weil 1961 eine Realisierung nicht mehr erfolgen könnte, sondern möchte den Grundsatz ansprechen. Ich möchte dabei gleichzeitig unseren Entschließungsantrag Umdruck 807 begründen, den wir zur dritten Lesung eingebracht haben und von dem ich hoffe, daß er morgen angenommen wird. Einen ähnlichen Entschließungsantrag haben wir im vorigen Jahr einstimmig angenommen. Daraufhin ist aber nichts geschehen. Der Antrag ist zur Mitberatung an den Haushaltsausschuß überwiesen worden, aber nicht bis dorthin gelangt, also aus dem Fachausschuß nicht herausgekommen. Ich hoffe, daß das Problem in diesem Jahr ernsthaft aufgegriffen und in den nächsten Jahren eingehend behandelt wird.
Im Haushaltsplan 1961 sind wieder bei drei Ministerien Mittel für den genannten Zweck vorgesehen. Wir möchten, daß eine Einheitlichkeit erreicht wird.
Die Wohnungsnot der Studenten ist bekannt. Im November 1958 wurde vom Studentenwerk der sogenannte Düsseldorfer Plan aufgestellt, um das Problem überhaupt einmal anzusprechen und aufzuzeigen, welche Nöte hier vorherrschen. 1960 ist ein neuer Plan aufgestellt worden. Danach ist der Bedarf noch wesentlich größer. Die Zahl der Studierenden an den Hochschulen der Bundesrepublik beträgt zur Zeit rund 212 000. Für diese Studenten stehen lediglich 21 500 Wohnheimplätze zur Verfügung, also für rund 10 %. Die Zahl der Studenten wird in den nächsten Jahren noch ansteigen, man schätzt in Fachkreisen um zirka 50 000.
Hinzukommen die Probleme der ausländischen Studenten. Im Sommer 1960 studierten etwa 22 000 ausländische Studenten in der Bundesrepublik, davon 8500 aus den Entwicklungsländern. Von den ausländischen Studenten wohnten 13 % in Wohnheimen. Dieser Prozentsatz ist gerade für diese Studentengruppe zu niedrig. Den afro-asiatischen Studenten
sollte ganz besonders geholfen werden, denn für sie ist aus verständlichen Gründen die Zimmerbeschaffung besonders schwierig. Außerdem ist für sie das erste Jahr bei uns entscheidend für ihre Einstellung zu unserem Land. Darum sollten wir darauf achten, daß gerade ihnen gute Wohnmöglichkeiten geboten werden._
Die Fachkreise sind sich darin einig, daß man in Zukunft für rund 30 % aller Studierenden Wohnheimplätze brauchen wird. Wenn man die Zahl von 30 % zugrunde legt — zum Teil werden auch 50 % für wünschenswert gehalten, aber das ist vorläufig völig unerreichbar —, fehlen über 57 000 Plätze. Für einen Wohnheimplatz benötigt man rund 10 000 DM Baukosten. Es wären also 570 Millionen DM nötig, um das genannte Ziel zu erreichen.
Wir müssen davon ausgehen, daß auch in der Zukunft Wohnheimplätze ständig zur Verfügung stehen müssen. Das entspricht den heutigen Gewohnheiten. Soviel Zimmer wie früher stehen heute nicht mehr zur Verfügung. Die Zahl der zur Untermiete angebotenen Zimmer ist aus den verschiedensten Gründen zurückgegangen. Darum sind diese Wohnheimplätze dringend notwendig.
Wir sind auch der Ansicht, daß dieses Problem nicht mit kleinen sozialen Hilfsmaßnahmen gelöst werden kann, zudem in diversen Haushalten immer ein paar Mittel zur Verfügung gestellt werden, um der dringendsten Not zu steuern. Wir möchten vielmehr eine echte Planung und geben daher die Anregung, dieses ganze Kapitel in das Innenministerium zu verlegen, nämlich automatisch zur Hochschulplanung, damit es von dort aus in Angriff genommen wird. Dann kann mit den einzelnen Universitäten abgesprochen werden, was in dem Universitätsort und seiner Umgebung notwendig ist. Am besten würde diese Sache wahrscheinlich bei der Kulturplanung im Innenministerium bearbeitet werden.
Wir bringen daher in unserem Entschließungsantrag drei Anliegen vor. Erstens wünschen wir jetzt wirklich einen Fünfjahresplan, zweitens möchten wir vor der Beratung des Haushalts 1962 einen Bericht im Parlament, drittens möchten wir, daß jetzt endgültig zur Kostenbeteiligung Stellung genommen wird. Diese hatten wir schon im vorigen Jahr folgendermaßen vorgeschlagen: 20 % der Träger, 40 % der Bund, 40 % die Länder. Die Miete darf keinesfalls höher als 60 oder 65 DM sein, weil sonst wieder wegen der Hilfsmaßnahmen neue Probleme entstehen würden. Die Schlüsselung von 20 : 40 : 40 entspricht einer Empfehlung der Kultusministerkonferenz vom 29./30. September 1960. Wir bitten, unserem Entschließungsantrag Umdruck 807 morgen in der dritten Lesung die Zustimmung zu gehen.
Das Wort hat Fran Abgeordnete Welter.
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8736 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 152. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. März 1961
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Meine verehrte Kollegin Frau Schanzenbach hat in ihren Ausführungen eine ganze Reihe von Dingen angesprochen, für die unser Familienminister in keiner Weise verantwortlich gemacht werden kann. Ich denke z. B. an die Tatsache, daß zuwenig Frauen in den höheren Regierungsämtern sind und daß keine Frau dem Kabinett angehört. Ich glaube, alle Frauen bedauern es gleichermaßen, daß tatsächlich sowenig Frauen an verantwortlicher Stelle stehen. Aber wenn ich in unserer Bundesrepublik umhersehe, stelle ich fest, daß es sehr wenige Länderregierungen gibt, in denen Frauen hohe oder gar Ministerposten innehaben, während wir im Lande Nordrhein-Westfalen immerhin einmal einen weiblichen Kultusminister hatten. Ich glaube, alle Frauen hier im Bundestag bedauern auch, daß nur knapp 10 % der Abgeordneten weiblichen Geschlechts sind. Dies entspricht in keiner Weise ihrer Bereitschaft zur Mitarbeit. Es wäre zu hoffen, daß in Zukunft die Frauen in allen Fraktionen besser berücksichtigt werden.
Aber nun zu unserem Minister selber! Ich meine, man kann
ihm keineswegs vorwerfen, es fehle ihm an Aktivität. Ich möchte im Gegenteil sagen, daß irgendeine Sache, die sich zugunsten der Familie auswirken könnte, von keinem so stark gefördert worden ist wie von ihm. Ich darf nur an die Steuerfreibeträge für die kinderreichen Familien erinnern, die für diese eine große Entlastung bedeuten und die wir wirklich nur dem Einsatz des Bundesfamilienministers zu verdanken haben.
Doch nun zur Lage der Frauen! Frau Schanzenbach, daß es auf dem Lande noch keine Erleichterung für die Frauen gibt, durch die Schaffung von Wasserleitungen, ist sehr traurig; aber auch das ist eine Sache, die wir nicht Herrn Dr. Wuermeling zur Last legen können.
— Ja, aber der Familienminister kann nicht für die Wasserleitung auf dem Lande sorgen!
Wir stimmen Ihnen vollkommen zu und finden es ebenfalls bedauerlich, daß Mütter mit kleinen, heranwachsenden Kindern erwerbstätig sein müssen. Aber, meine lieben Freunde, was ist denn schuld daran, daß ein so großer Teil unserer Frauen erwerbstätig ist? Es ist nicht allein eine wirtschaftliche Notlage. Viele Frauen, viele Mütter arbeiten, die es durchaus nicht nötig haben.
Wir machen den Frauen daraus keinen Vorwurf; aber wir stellen fest, daß auf dem Arbeitsmarkt in der Bundesrepublik die Frauen die letzte Reserve darstellen. Das ist eine Aussage, die Sie von allenStellen, die etwas mit Arbeitsvermittlung zu tun haben, hören können.Es ist sehr bedauerlich, daß die Industrie noch nicht stärker dazu übergeht, den Frauen Teilzeitarbeit anzubieten, Eine Mutter, die als Folge des Arbeitskräftemangels zur Arbeit kommt, würde mit ihren häuslichen Aufgaben sehr viel besser fertigwerden, wenn sie Gelegenheit zur Teilzeitarbeit hätte.Es ist gefragt worden: Was geschieht denn, um den erwerbstätigen Müttern in etwa zu helfen? Ich möchte Ihnen sagen, daß das Müttergenesungswerk in den letzten .fahren dazu übergegangen ist, für die erwerbstätigen Mütter Frühheilverfahren durchzuführen. Die Gesundheit von Frauen, die durch die Doppelbelastung — durch ihre mütterlichen Pflichten und durch die Erwerbsarbeit — sehr stark beansprucht sind, wird durch ein solches Frühheilverfahren in einem anerkannten Müttergenesungsheim wieder gestärkt und gefestigt.Ich möchte auch daran erinnern, daß wir im Sozialhilfegesetz die Hauspflege verstärken, damit für Mütter, die zu einer solchen Kur müssen oder eine Erholung nötig haben, eine Vertretung da ist.Ein Grund für die Überbelastung der Hausfrauen ist zweifelsohne, daß sie nicht ausreichend Hilfskräfte haben. Hier rühren wir an die sehr schmerzliche Tatsache, daß unsere weibliche Jugend weithin abgeneigt ist, hauswirtschaftliche Tätigkeiten zu übernehmen.Ich möchte an dieser Stelle dem Herrn Bundesfamilienminister ausdrücklich den Dank dafür aussprechen, daß Wege gesucht werden, auch über den Bundesjugendplan die frauliche Bildung durch die stärkere Erziehung zur Hausfrau und Mutter zu fördern und einen ersten Schritt zu tun, um unsere Mädchen wieder für die hausfraulichen Tätigkeiten zu gewinnen.Es ist gesagt worden, daß auch die alten Menschen zu berücksichtigen seien. Ja, meine Freunde, das ist ein sehr ernstes Problem. Wir sind allerdings nicht Ihrer Meinung, meine Herren und Damen, daß wir Altenzentren einrichten sollten, große Ansammlungen von alten Menschen, sondern wir sind mehr für eine individuelle Unterbringung in kleineren Heimen und wollen auch Rücksicht nehmen auf die Alten, die noch selbständig bleiben wollen, die noch gerne tätig sein möchten. Hier gibt es viele Wege; aber bestimmt fällt das nicht in die Kompetenz des Bundesfamilienministeriums.
Ich komme zu dem schweren Problem des Kindergeldes. Meine sehr verehrten Freunde, es ist richtig, daß in ,den Ländern des Gemeinsamen Marktes höhere Kindergeldbeträge gezahlt werden; aber man kann hier keinen schematischen Vergleich anstellen. Die übrigen Sozialleistungen sind in der Bundesrepublik in vielen Fällen so viel höher, daß dadurch ein Ausgleich geschaffen wird.
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 152. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. März 1961 8737
Frau Welter
Wir sind aufs äußerste daran interessiert — das können Sie mir glauben —, daß der Familie eine echte Hilfe zuteil wird. Sie werden vielleicht wissen, daß der Familienbeirat bei dem Familienministerium soeben eine Schrift „Die ökonomische Lage der Familie in der Bundesrepublik Deutschland" herausgegeben hat. Falls dieses Buch des Wissenschaftlichen Beirates im Hause noch nicht verteilt worden ist, wird es sicher in Kürze geschehen. Sie werden hier eine auf streng wissenschaftlicher Grundlage beruhende Aussage finden, die ein klares und eindeutiges Bild der Lage der Familie gibt. Ich bin sehr dankbar dafür, daß wir dieses Buch jetzt haben, weil wir nun in einer ganz anderen Weise auch das Problem des Familienlastenausgleichs in Angriff nehmen können.Ich bin durchaus der Meinung, daß für alle Zweitkinder das Kindergeld gegeben werden müßte. Ich erkläre das ausdrücklich. Aber ich bin dankbar, daß ein erster Schritt auf diesem Wege durch die Novelle getan wird, die zunächst einen kleineren Kreis von Zweitkindern einbeziehen wird. Unser Ziel wird es sein, zu einer konstruktiven Lösung des Familienlastenausgleichs zu kommen. Es wird uns keine Mühe zu sauer sein, hier zu einer guten Lösung zu kommen, und ich möchte dem Wunsch Ausdruck geben, daß es gelingen möge, in einer Sache, die der deutschen Familie dienen soll, alle Fraktionen dieses Hauses auf eine Lösung zu einigen, die wirklich der Familie hilft.Ich möchte mit einem schönen Wort schließen, das einer unserer Wissenschaftler vor kurzer Zeit ausgesprochen hat, und möchte Sie alle in dieses Zitat mit einbeziehen; es lautet: „Die Familie ist die wertvollste Pflanze im großen Garten der sozialen Gebilde eines Volkes. Diese Pflanze braucht vielerlei gute Gärtner, die ihr Wachstum von außen her fördern und schützen." Ich hoffe und wünsche, daß wir alle zu diesen guten Gärtnern gehören werden.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Rollmann.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Novelle zum Reichsjugendwohlfahrtsgesetz befindet sich seit einigen Wochen in der Beratung des zuständigen Ausschusses für Familien- und Jugendfragen. Da aber Frau Kollegin Schanzenbach hier erneut einige Worte zu dieser Novelle gesagt hat, möchte ich mich auch meinerseits für unsere Fraktion dazu äußern. Hier ist wiederum die falsche Behauptung aufgestellt worden, durch diese von der Bundesregierung vorgelegte Novelle solle das Rangverhältnis der behördlichen und der freien Jugendhilfe geändert werden.
Wer einmal das Reichsjugendwohlfahrtsgesetz von 1922, die dazu gegebenen Begründungen und alle einschlägigen Kommentare durchliest, die in den vergangenen Jahrzehnten zu dieser Frage des Rangverhältnisses der behördlichen und der freien
Jugendhilfe in dem Gesetz von 1922 geschrieben worden sind, kann der Ansicht nicht zustimmen, daß durch ,die jetzige Novelle eine Änderung eintreten soll. In diesem Gesetz von 1922 ist bereits festgelegt worden, daß das Jugendamt erst dann tätig werden soll, wenn die Verbände der freien Jugendhilfe trotz der Anregung und Förderung des Jugendamts nicht tätig geworden sind.
Leider ist diese Bestimmung des Gesetzes von 1922 in der Praxis der vergangenen Jahrzehnte und insbesondere in der Praxis der sozialistisch regierten Gemeinden und ihrer Jugendämter nicht eingehalten worden. Aus diesem Grunde war es notwendig, daß die Bundesregierung in einer Novelle nunmehr diesen Grundsatz des Rangverhältnisses von öffentlicher und freier Jugendhilfe so eindeutig faßt, daß es auch künftighin von den sozialistisch regierten Gemeinden nicht umgangen werden kann.
Das, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist ,der Sinn der Formulierungen, die in § 4 Abs. 3 dieser Novelle gefunden worden sind.
Übergeordnet diesem Rangverhältnis zwischen öffentlicher und freier Jugendhilfe ist jedoch das Recht der Eltern, der Personensorgeberechtigten, wie es im § 2 a des Entwurfs heißt, die Grundrichtung der Erziehung des Kindes zu bestimmen. Dieses Recht beinhaltet unserer Auffassung nach auch das Recht der Eltern, darüber zu entscheiden, ob ihre Kinder durch eine freie oder durch eine öffentliche Einrichtung erzogen und betreut werden sollen.
Wir meinen, daß die Sozialdemokraten, die sich in den letzten Monaten in steigendem Maße darum bemüht haben, ihr früher so kühles Verhältnis zu den christlichen Kirchen etwas aufzufrischen, doch etwas mehr Verständnis für die Fragen des Elternrechtes und die Möglichkeiten, von ihm Gebrauch zu machen, entwickeln sollten. Es muß ein für allemal aufhören — wie es heute noch weithin gerade in den sozialistisch regierten Gemeinden die Praxis ist —, daß die Eltern, obwohl sie es manchmal vielleicht anders haben wollen, eigentlich nur die Möglichkeit haben, ihre Kinder in eine öffentliche Einrichtung zu schicken.
Wir wissen allerdings, daß das für die sozialistisch regierten Kommunen und ihre Jugendämter unter Umständen eine sehr zweischneidige Sache werden kann. Denn wenn unsere Vorstellungen, ,die in der dem Hause vorgelegten Novelle der Bundesregierung ihren Niederschlag gefunden haben, verwirklicht werden, werden sich in Zukunft möglicherweise mehr Eltern dafür entscheiden, ihre Kinder in freie Einrichtungen und nicht in kommunale Einrichtungen zu schicken, als es bisher der Fall gewesen ist.
Dieser unserer Absicht, endlich der faktischen Benachteiligung der freien Einrichtungen der Jugendhilfe ein Ende zu machen, dient der § 4 a
8738 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 152. Sitzung, Bonn, Donnerstag, den 16. März 1961
Rollmann
in dem Entwurf der Novelle der Bundesregierung. Nach diesem § 4 a sollen in Zukunft die Einrichtungen der freien Jugendhilfe in dem gleichen Umfang unter Berücksichtigung der Eigenleistung durch öffentliche Mittel gefördert werden wie die öffentlichen Einrichtungen der Jugendhilfe, die ja bisher durch die Steuerkraft der Bürger in vollem Umfang finanziert worden sind.
Wir sind der Ansicht, daß bisher eine nicht zu rechtfertigende Benachteiligung aller Kinder in den freien Einrichtungen dadurch eingetreten ist, daß die Finanzkraft dieser freien Einrichtungen nicht so groß ist wie die der Jugendämter.
Meine Damen und Herren, im § 1 des Reichsjugendwohlfahrtsgesetzes von 1922 ist das Recht eines jeden deutschen Kindes auf Erziehung festgelegt. Bisher ist dieses Recht ungleichmäßig gehandhabt worden. Die Kinder, die sich in freien Einrichtungen befunden haben, waren in ihrer materiellen Versorgung faktisch schlechter gestellt als die Kinder, die durch das Jugendamt gefördert worden sind.
Wir meinen, schon aus dem Gleichheitsgrundsatz, auf dessen Beachtung jedes deutsche Kind einen Anspruch hat, ergibt sich die Notwendigkeit einer Lösung wie der des beabsichtigten § 4 a, nach der in Zukunft die Kinder in den freien Einrichtungen finanziell genauso gut gestellt sein sollen wie die Kinder, die sich in öffentlichen Einrichtungen befinden.
Die Sozialdemokraten und ihre Hilfstruppen in den Gewerkschaften oder in den ihnen nahestehenden Berufsarbeiterverbänden haben zu unserem großen Bedauern in den vergangenen Wochen und Monaten überall im Lande eine unerhörte Agitation gegen diese Novelle der Bundesregierung entfaltet.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, vorhin war von mehreren Seiten von der Gemeinsamkeit der Jugendpolitik die Rede. Eine solche Gemeinsamkeit kann man nicht dadurch einleiten, daß man Gesetzentwürfen der Bundesregierung im Lande eine Tendenz unterstellt, die sie überhaupt nicht besitzen.
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Wenn Sie hier von einer Gemeinsamkeit der Jugendpolitik reden — wir stimmen diesem Gedanken der Gemeinsamkeit der Jugendpolitik im Grundsatz durchaus zu —, dann stellen Sie bitte an den Anfang dieser Gemeinsamkeit eine faire Behandlung und Beurteilung auch jener Gesetzentwürfe, die von der Bundesregierung eingebracht worden sind.
Ich habe vor einigen Tagen einige Zeilen über eine Kundgebung gelesen, die in Hamburg stattgefunden hat. Es handelt sich um eine Kundgebung. der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft im
Deutschen Gewerkschaftsbund. In einer Stellungnahme, die nach dieser Kundgebung herausgegeben wurde, ist diese Novelle, die von der Bundesregierung hier vorgelegt worden ist, als „spanische Novelle" bezeichnet worden.
In einer norddeutschen Zeitung hat eine Journalistin, die Ihnen nähersteht als uns, einen Artikel geschrieben und darin angedeutet, daß dieses Gesetz kein anderes Ziel habe als eine Konfessionalisierung der gesamten Jugendarbeit. In diesem Artikel wird von einem Subsidiaritätsprinzip gesprochen, das aus der katholischen Soziallehre stamme und das auf diese Weise Gesetz werden solle.
Lassen Sie mich mit dem letzten Punkt anfangen, weil diese Tendenzen überall im Lande bei den Menschen, die diese Novelle noch nicht gelesen haben, genährt werden. Ich möchte gerade als evangelischer Abgeordneter dieses Hauses sagen: Wie Sie und Ihre Freunde im Lande genau wissen, ist das Subsidiaritiätsprinzip nicht nur in der katholischen Soziallehre, sondern in gleicher Weise in der evangelischen Sozialethik verankert und zu Hause. Wir wehren uns dagegen, daß die guten Grundgedanken dieses Gesetzes in den norddeutschen evangelischen Gegenden von Ihnen so abgetan werden, als ob es sich hier um den Ausfluß irgendeiner speziell katholischen Politik handelte.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich persönlich und, wie ich glaube, viele meiner Freunde haben die Hoffnung gehabt, daß es bei der großen Mühe, die wir uns bei den bisherigen Beratungen im Ausschuß für Familien- und Jugendfragen gegeben haben, möglich sein würde, sich mit Ihnen doch noch über die Grundsätze dieser Novelle zu einigen. Denn die Grundsätze dieser Novelle, wenn sie Gesetz wird, helfen unserer Jugend weiter, und das ist doch das Entscheidende.
Verehrte Frau Kollegin Schanzenbach, Sie haben vorhin erklärt, es gebe in der Bundesrepublik Deutschland zu wenig Kindergärten. Ich sehe davon ab, daß die Einrichtung von Kindergärten nun einmal eine Angelegenheit der Gemeinden ist. Aber nun bemühen wir uns von seiten des Bundes darum, für die Errichtung von Kindergärten in stärkerem Umfange als bisher dadurch Sorge zu tragen, daß wir ihnen mehr öffentliche Mittel geben, so wie es in § 4 a dieses Entwurfes vorgesehen ist. Dann aber sollten die sozialdemokratischen Kollegen in diesem Hause uns bei dieser unserer Absicht, bei diesem unseren Plan nicht in die Arme fallen, sondern sie sollten uns in dem Bestreben unterstützen, die freien Verbände der Jugendhilfe stärker als bisher durch öffentliche Zuschüsse in die Lage zu versetzen, daß sie Kindergärten bauen und auf diese Weise dem Defizit abhelfen, in dem wir uns gegenwärtig noch befinden.
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Familien- und Jugendfragen.
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 152. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. März 1961 8739
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zu den zum Teil etwas aggressiven Ausführungen der Oppositionsredner möchte ich sagen: ich habe es nie als eine Schande betrachtet, von der SPD nicht geliebt zu werden und auch scharfe Kritik bei ihr zu finden. Ich finde es zwar nicht sehr freundlich, wenn man diese oder jene persönliche Eigenschaft eines Bundesministers oder eines Bundestagskollegen, die einem nicht gefällt, allzusehr in den Vordergrund stellt. Aber ich will mir über diese Urteile meinerseits hier keine Meinung erlauben; denn man ist ja nicht dazu da, seine eigene Güte selber zu beurteilen. Ich möchte hier nur sagen: was ich über meine Arbeit und über meine Aufgaben und über das, was wir erreicht haben, draußen im Lande, und nicht nur im Kreise der CDU/CSU, höre, das klingt ganz anders als die Töne, die ich hier von der Opposition höre.
Meine Damen und Herren, es scheint so etwas das Prinzip bei der Opposition zu sein, dann, wenn familienpolitisch oder auch jugendpolitisch irgendwo ein Fortschritt erzielt ist, die Verantwortung dafür dem jeweils federführenden zuständigen Fachminister zuzuschieben, dann aber, wenn irgendwo etwas noch nicht vollständig ihren oder unseren Wünschen entspricht, natürlich den — „völlig überflüssigen" — Familienminister für das Negative der Dinge verantwortlich zu machen. Meine Damen und Herren, wir leisten, wie ich hier schon früher einmal ausgeführt habe, in der Bundesregierung Teamarbeit. Da geht das nicht so, daß der Familienminister sich, wenn irgendein Gesetz herauskommt, hinstellt und sagt: „Meine Damen und Herren, diesen Paragraphen und diese Regelung habe i c h im Kabinett durchgesetzt." Sie können sich lediglich ein Urteil insgesamt darüber bilden, ob wir in den letzten Jahren familienpolitische Fortschritte erzielt haben oder nicht. Für die Grundlinie, die hier einzuhalten ist, habe ich allerdings eine gewisse Verantwortung.Nun, lassen Sie mich, über alles Persönliche hinweg, zu einigen Fragen, die angesprochen sind, kurz Stellung nehmen.Wie ich erwartet hatte, kam natürlich nicht nur heute, sondern auch schon gestern in den Darlegungen des Herrn Kollegen Schellenberg beim Etat des Arbeitsministers, und auch schon bei der Beratung des Haushaltsplans des Bundeskanzlers, die hier immer wieder so umstrittene Kindergeldfrage zur Erörterung, und zwar nicht so sehr unter dem Gesichtspunkt der Leistungen als unter dem Gesichtspunkt des Aufbringungssystems. Ich will hier keine lange Rede über das Kindergeldsystem halten. Da aber soviel Irrtümliches über diese Dinge — ich will gewiß niemandem nahetreten — im Raume steht, liegt mir doch daran, darüber heute einmal einige wenige Sätze zu sagen.Sie wissen, meine Damen und Herren, daß ich schon seit langer Zeit um eine überparteiliche Verständigung in der Aufbringungsfrage bemüht bin,weil es uns doch wohl allen darum zu tun sein muß, unsere Kindergeldgesetzgebung in den Leistungen fortzuentwickeln, anstatt uns zum Schaden unserer Familien in der Aufbringungsfrage immer wieder so zu zerstreiten. Ich meine, daß der neuerdings vom Kabinett verabschiedete und hier im Hause in den Grundzügen ja bekannte Gesetzentwurf über die Kindergeldgewährung an Zweitkinder einen Weg geht, der meines Erachtens bei allseitigem guten Willen zu einer Befriedigung in der Aufbringungsfrage führen kann, zumal wir ja mit diesem Entwurf — und der Aufbringung der Mittel aus Bundeshaushaltsmitteln — weitgehend den berechtigten Wünschen aus Mittelstandskreisen entgegenkommen. Ich weiß sehr wohl, daß dieser Entwurf keine Endlösung bietet, insbesondere nicht, was das Aufbringungssystem angeht. Das hat auch Herr Kollege Blank immer wieder sehr deutlich zum Ausdruck gebracht. Im Gegenteil, dieser Entwurf hat alle Nachteile einer Übergangsregelung. Aber er kommt doch wohl den Gegnern unseres bisherigen Aufbringungssystems ganz entscheidend entgegen, indem er die Aufbringung der Mittel für das Kindergeld für die Zweitkinder aus dem Bundeshaushalt vorsieht und dem künftigen Bundestag die endgültige Gesamtlösung der Aufbringungsfrage vorbehält. In dieser Übergangssituation, die als solche natürlich niemanden voll befriedigen kann, die aber in Kauf genommen werden muß, wenn wir unseren Familien alsbald wenigstens in dem vorgesehenen Ausmaß das Zweitkindergeld sichern wollen, scheint es mir dringend vonnöten — und ich möchte alle Beteiligten darum gebeten haben —, ohne alle Polemik einige Tatsachen zu sehen.Wir hören immer wieder die Formel, daß die Bundesrepublik das „schlechteste Kindergeldgesetz der Welt" habe. Wenn damit ein ungünstiges Urteil über das Ausmaß unserer Leistungen nach dem Kindergeldgesetz, die bisher erst ab drittem Kind gewährt werden, abgegeben werden soll, so kann man eine solche Formulierung als harte, aber immerhin nicht unsachliche Kritik hingehen lassen. Deshalb sind wir ja alle um die Ausweitung der Kindergeldleistungen bemüht. Es muß jedoch einmal — ich bitte die Damen und Herren der Opposition, die Öffentlichkeit und die Presse, das einmal in aller Ruhe aufzunehmen — vor aller Öffentlichkeit zum Ausdruck gebracht werden, daß die Formel vom schlechtesten Kindergeldgesetz der Welt schon deshalb auch bei kritischster Betrachtung nicht auf das bisherige Aufbringungssystem angewendet werden kann, weil fast alle westeuropäischen Länder, insbesondere alle Länder der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft die Mittel für ihr Kindergeld genau ,so wie wir in der Bundesrepublik durch Umlagen auf die Lohn- und Gehaltssumme der Betriebe aufbringen; zumeist erheben sie auch ebenso wie wir in der Bundesrepublik Beiträge der Selbständigen für deren Kinder.Der einzige Unterschied zwischen uns und den anderen westeuropäischen Ländern besteht darin, daß wir einen Umlagesatz von durchschnittlich 1 % haben, während jedes unserer Nachbarländer mindestens 5 % — meistens noch ganz erheblich mehr
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8740 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 152. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. März 1961
Bundesminister Dr. Wuermeling— als Abgabe auf die Lohn- und Gehaltssumme erhebt. Ich lege mir immer wieder die Frage vor — ich bitte auch die Gegner unseres Aufbringungssystems, das einmal zu tun —, warum in der Bundesrepublik bei viel geringeren Beiträgen das falsch, schlecht oder gar „schreiendes Unrecht" sein soll, was bei vielfach höheren Beiträgen in Holland, Luxemburg, Belgien, Frankreich und Italien, was in Spanien und Portugal, was in der Schweiz und was auch in Osterreich seit Jahren unangefochten praktiziert wird.Wir müssen einmal die These aus der öffentlichen Diskussion herausbringen, daß unser bisheriges Aufbringungssystem eine Erfindung irgendwelcher eigenwilliger CDU-Politiker sei. Wir müssen einmal vor aller Öffentlichkeit klarlegen, daß dieses System in der ganzen Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und weit darüber hinaus seit Jahren bestens funktioniert. Ich meine, das sollte man bei allen Meinungsverschiedenheiten doch sachlich anerkennen, auch wenn man ein anderes System für richtiger hält.Ich kenne sehr wohl die Einwände, die bezüglich der lohnintensiven Betriebe erhoben werden. Diese Betriebe werden bei allen lohnbezogenen Abgaben stärker als die anderen belastet. Aber das ist doch in unseren Nachbarländern auch nicht anders. Im übrigen sollte man dieses Problem nicht am kleinsten Objekt, dem Kindergeld, allein aufhängen. Wegen der Sorgen des Mittelstandes, die von uns geteilt werden, ist das Problem generell durch das Arbeitsministerium in aller Breite aufgegriffen worden. Die Frage wird das Hohe Haus zu gegebener Zeit noch gründlich beschäftigen.Wenn ich hier diese wenigen rein sachlichen Feststellungen treffe, dann ist es mir nicht darum zu tun, eine Verteidigungs- oder Rechtfertigungsoder gar rechthaberische Rede für unser bisheriges Kindergeldaufbringungssystem zu halten, nachdem ich zur Aufbringung der neuen Mittel aus dem Bundeshaushalt, also zur Verwirklichung der Wünsche der Gegner unseres Aufbringungssystems, ja gesagt habe. Es ist mir nur darum zu tun, hier die Atmosphäre endlich einmal zu entgiften, die Frage aus der rein parteipolitischen Schlagwortagitation herauszuheben und auf den Boden der Sachlichkeit zu stellen.
Ich meine, wir müßten über solche Fragen in diesem Hause auch einmal so reden können, daß nicht lediglich die Tendenz gilt, Wählerstimmen zu gewinnen, indem man für die Freistellung von Abgaben eintritt und dabei nichts darüber sagt, in welchem Ausmaß die zu entlastenden Kreise bei Zahlung aus Steuermitteln vielleicht noch stärker als bisher an der Aufbringung beteiligt würden.
Ich will die Frage jetzt nicht vertiefen; man kann darüber sehr lange hin und her argumentieren. Aber ich meine, daß wir darüber in Ruhe und Nüchternheit an Hand von Zahlen, die zu beschaffen sind, einmal reden können.Ich darf noch eines rein sachlich feststellen. Der selbständige Mittelstand bringt bei unserem jetzigen Aufbringungssystem fesgtestelltermaßen nur etwa ein Drittel der für seine Kinder benötigten Kindergelder aus eigenen Beiträgen auf, während die restlichen zwei Drittel vorwiegend aus der einprozentigen Lohnsummenabgabe, vor allem der größeren Betriebe, entnommen werden. Ich bin davon überzeugt, daß der selbständige Mittelstand — andere mögen anderer Meinung sein — an der Aufbringung des Kindergeldes stärker als bisher beteiligt würde, wenn das Kindergeld den allgemeinen Steuermitteln entnommen würde, weil wir nämlich da nicht so weitgehende Schutz- und Entlastungsvorschriften für den „Kleinen" haben, wie unser jetziges Aufbringungssystem das vorsieht.Noch eines. An Verwaltungskosten für die Einziehung und Auszahlung — das darf doch auch einmal öffentlich gesagt werden — entstehen bei unserem jetzigen System ganze 2,3 % der ausgezahlten Kindergelder. Ich habe keinen Zweifel daran, daß das der international niedrigste Verwaltungskostensatz ist, der durch unser angeblich „schlechtestes Kindergeldgesetz der Welt" erreicht wird.Man hat mir gesagt: Du bist umgefallen in deiner Meinung. Mir liegt an einer Erklärung dahin, daß ich der Kindergeldaufbringung aus allgemeinen Steuermitteln nicht etwa deshalb zugestimmt habe, weil ich meine Überzeugung von der Richtigkeit und der besseren Qualität unseres Aufbringungssystems aufgegeben hätte, sondern lediglich deshalb, weil ich weiß, daß wir über das bisherige Aufbringungssystem politisch keinen weiteren Ausbau der Kindergeldleistungen durchsetzen können.Wenn ich aber nun meinerseits mit meinen politischen Freunden der Sache wegen, um die es geht, in dieser Weise zu einem Kompromiß die Hand reiche, dann ist, glaube ich, die Bitte nicht unbescheiden, auch die Opposition möge ihrerseits bereit sein, einem vernünftigen Gesamtkompromiß bei der endgültigen Regelung zuzustimmen,
das in erster Linie unseren Familien hilft, bei dem man auf geringstmöglichen Verwaltungsaufwand bedacht ist und das das Vernünftige, Zweckmäßige und Gesunde der beiden gegensätzlichen Grundkonzeptionen zweckentsprechend zur Geltung bringt.
Wir haben Zeit genug, über das Wie nachzudenken,
bis der neue Bundestag in der Lage ist, die endgültige Regelung zu treffen. Aber wir sollten uns schon hier und heute darüber einig sein, daß wir im ganzen Hause zuerst an unsere Familien denken und in dieser Zielsetzung die widerstreitenden Grundauffassungen auf eine gemeinsame Linie bringen müßten. Ich glaube, wir erweisen gemeinsam unseren Familien den besten Dienst, wenn wir allseits auf jede Diffamierungskampagne gegen dieses oder jenes Aufbringungssystem verzichten und mit sachlichen Argumenten für und wider verhandeln.
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 152. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. März 1961 8741
Bundesminister Dr. WuermelingIch darf noch einen Augenblick bei den familienpolitischen Beanstandungen verweilen und in meine Antwort an Frau Kollegin Schanzenbach noch ein wenig mehr einbauen, als sie gefragt hat. Denn sie hat nur gefragt nach dem, was ihr noch an Wünschen offenzustehen scheint. Zum Teil hat sie mich allerdings nach Dingen gefragt, auf die der Familien- und Jugendminister nun wirklich von sich aus keinen Einfluß ausüben kann, erst recht nicht angesichts des Inhalts und Wortlauts des von Ihnen erstrittenen Urteils des Bundesverfassungsgerichts in der Frage der Zuständigkeiten des Bundes. Jetzt sind mir eher die Hände noch mehr gebunden als früher.Das gilt besonders für die Frage, warum zuwenig Kindergärten vorhanden sind. Es ist schon erwähnt worden, daß der Familien- und Jugendminister nicht von zentraler Stelle aus daran mitzuwirken hat, ob in der einzelnen Gemeinde dieser oder jener Kindergarten einzurichten ist oder wie viele Kindergärten einzurichten sind. Das ist wohl klar. Ich bemühe mich, über das neue Jugendwohlfahrtsgesetz die Voraussetzungen dafür zu schaffen — soweit der Bund das tun kann —, daß möglichst viele Kindergärten eingerichtet werden, gerade im Interesse der Frauen — und ich meine jetzt nur diese —, die wirklich aus Not gezwungen sind, berufstätig zu sein und ihre Kinder tagsüber zweckmäßig unterzubringen.Lassen Sie mich jedoch der sehr negativen Bilanz, die Frau Kollegin Schanzenbach soeben aufgemacht hat, einmal eine andere Bilanz gegenüberstellen. Ich stelle der negativen Bilanz der Frau Kollegin Schanzenbach dabei nicht nur das gegenüber, was der Herr Bundeskanzler in allgemeinen Grundsatzerklärungen gefordert hat, sondern auch das, was ich meinerseits ganz konkret in acht Punkten vor acht Jahren, als ich das Familienministerium einrichten sollte, als Ziele und Aufgaben unserer Familienpolitik herausgestellt habe. Nach der Kritik, die wir eben gehört haben, scheint es mir doch geboten zu sein, auch einmal das Positive nachdrücklich herauszustellen. Ich will es kurz machen, sozusagen im Vorbeifliegen. Meine Forderungen habe ich seinerzeit auf einer größeren Kundgebung in Köln aufgestellt. Ich will alle acht Punkte des Programms kurz durchgehen.Die erste Forderung lautete: familiengerechter Wohnungsbau. Unser Zweites Wohnungsbau- und Familienheimgesetz hat eine ganze Reihe von vorbildlichen familienpolitischen Regelungen gebracht, die international höchste Anerkennung gefunden haben: Vorrang für Kinderreiche bei der Zuteilung von öffentlichen Geldern für den Wohnungsbau, für Baudarlehen, für Zinszuschüsse und Mietbeihilfen, also öffentlicher Mittel, bei denen die Höhe der Unterstützung mit der Zahl der Familienangehörigen steigt. Ferner ist die Auflockerung der raumbeengenden Vorschriften zu nennen, insbesondere die Einbeziehung eines zweiten Kinderschlafzimmers in den Wohnungsbau in all den Fällen, in denen es vom künftigen Mieter oder vom Bauwilligen gewünscht wird.Hier sind die jungen Familien erwähnt worden. Ich erinnere an die vom Herrn Kollegen Lücke im Einvernehmen mit mir eingeleitete Aktion „Junge Familien", bei der den jungen Familien zusätzliche Mittel zur Verfügung gestellt werden, wenn das Eigenkapital fehlt.Ich erinnere weiter daran, daß wir schon vor Jahren das sogenannte Heiratssparen durch eine Vereinbarung mit dem Deutschen Sparkassen- und Giroverband eingeführt haben, das jungen Paaren, die zwei Jahre lang bestimmte Beträge auf der Sparkasse angesammelt haben, die Aussicht eröffnet, denselben Betrag, den sie angespart haben, nun noch einmal als zinsverbilligtes Darlehen von der öffentlichen Sparkasse zu erhalten. Es ist inzwischen gelungen, diese Regelung noch dadurch wesentlich attraktiver zu gestalten, daß nach einer Bestimmung des Sparprämiengesetzes die Frist für die Zahlung der Sparprämien von fünf auf zwei Jahre heruntergesetzt wird, wenn das junge Paar heiratet. Auf diesem Wege haben wir sogar schon eine Art von Heirats- oder Aussteuerbeihilfe, wenn auch in kleinem Umfang, für unsere jungen Paare ermöglicht.Es ist übrigens vorgesehen, daß der Kreis der bevorzugten Familien mit Kindern bei der Zuteilung von öffentlichen Mitteln zum Wohnungsbau — das sind die neuen CDU-Anträge — noch ausgeweitet wird und daß auch der Empfängerkreis von Mietbeihilfen so erweitert wird, daß künftig auch Familien des Mittelstandes erforderlichenfalls in den Genuß von Miet- und Lastenbeihilfen kommen können.Eine Feststellung zu unserer Wohnungsbaupolitik scheint mir gerade familienpolitisch von besonderer Wichtigkeit zu sein: Der Anteil der Kleinwohnungen — Kleinwohnungen bis zu drei Räumen einschließlich Küche, also die Ein- und Zweizimmerwohnungen — ist beim Wohnungsbau von 1953 bis 1959 von 59 % auf 31 % zurückgegangen, und um diese 28 % Differenz ist der Anteil der größeren Wohnungen von 41 % auf 69 % in diesen Jahren angestiegen. Sie sehen also deutlich, daß wir den Forderungen nach familiengerechtem Wohnungsbau —Platz und Raum für Kinder — durch unsere Wohnungsbaugesetzgebung wirksam Rechnung getragen haben.Meine zweite Kölner Forderung lautete: Bevorzugte Förderung des Familieneigenheims! Das Wohnungsbaugesetz und das Familienheimgesetz sichern dem Eigenheim in allen sozialen Schichten grundsätzlich den Vorrang vor der kollektiven Mietkaserne. So sollen u. a. die öffentlichen Förderungsmittel für Eigenheime grundsätzlich um 10 % höher bemessen werden als für gleichartige Mietwohnungen. Sie wissen, daß Familien mit drei und mehr Kindern für jedes dritte und weitere Kind ein zinsloses Familienzusatzdarlehen erhalten, das bisher 1500 DM beträgt und jetzt auf 2000 DM erhöht werden soll.Wenn in dem Wohnungsbaugesetz steht, daß die Bewilligung öffentlicher Mittel für den Bau von Mietwohnungen in Ein- und Mehrfamilienhäusern davon abhängig gemacht werden kann, daß das
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8742 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 152. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. März 1961
Bundesminister Dr. WuermelingEigenheim als Eigentum bzw. Eigentumswohnung den späteren Bewohnern auf Verlangen zu angemessenen Bedingungen übertragen wird, dann soll damit bewußt und betont ein Abbau des Kollektiveigentums der Gesellschaften und Genossenschaften erfolgen und eine Förderung des Aufbaues von Privateigentum an Familienheimen ermöglicht werden, und das ist ein Kernstück echter Sozialreform. Wenn die vielfach nicht in unserem Sinne eingestellten Bewilligungsbehörden von all den Möglichkeiten und Chancen dieses Gesetzes auch da etwas mehr Gebrauch machten, wo wir die politischen Verhältnisse nicht in der Hand haben, wären wir in der Schaffung und Förderung der Eigenheime fur unsere Familien wesentlich weiter.
Immerhin sind aber unter diesen günstigen Umständen in den letzten Jahren insgesamt 1 400 000 Eigenheime gebaut worden, davon etwa 40 % im Rahmen des sozialen Wohnungsbaues.Meine Damen und Herren, ich pflege bei der Behandlung der familienpolitischen Fragen den familiengerechten Wohnungs- und Eigenheimbau immer wieder an die Spitze zu stellen, weil ich der Meinung bin, das A und O jeder Familienpolitik ist und bleibt der familiengerechte Wohnungsbau. Lassen Sie mich, wenn es vielleicht auch nicht allzu üblich ist, auch hier einmal als Familienminister dem Wohnungsbauminister ein Wort des Dankes dafür sagen, daß er für diese Aufgabe des Familienheimbaues immer in vorbildlicher Weise Verständnis gezeigt hat.
Meine dritte Kölner Forderung lautete: Familiengerechter Lohn durch Kindergeld! Am besten kann man wohl die Wandlung der familienpolitischen Atmosphäre daran erkennen, daß ich damals die heute ganz bescheiden scheinende Forderung gestellt habe, in der Privatwirtschaft sollten 20 DM Kindergeld vom dritten Kind ab gezahlt werden. Sie wissen, daß wir dann durch das Gesetz von 1954 vom 1. Januar 1955 an gleich auf 25 DM gekommen sind, im Jahre 1957 auf 30 DM und im .Jahre 1959 auf 40 DM, also genau auf den doppelten Betrag dessen, was wir im Jahre 1953 als Forderung angemeldet haben.Aber grundsätzlich noch bedeutsamer ist und bleibt der Fortschritt, den wir nun in jüngster Zeit sichern konnten, nämlich die Ausweitung des Kindergeldes auf Zweitkinder. Sie wissen um den Entwurf des Bundeskabinetts, Sie wissen um die Bereitstellung aus öffentlichen Mitteln, über die ich schon gesprochen habe.Aber es soll auch einmal gesagt werden, wie sich die Mittel für das Kindergeld in den letzten Jahren entwickelt haben. Wir haben vor sechs Jahren .einen Jahresbetrag von 450 Millionen DM im Rahmen der Kindergeldgesetzgebung aus den aufkommenden Beiträgen zur Verfügung gestellt. Im vergangenen Jahr waren es ab drittem Kind bereits 750 Millionen DM. Wenn wir jetzt zusätzlich einen Jahresbetrag von 500 Millionen DM aus dem Bundeshaushalt bekommen, erhöhen sich die 450 Millionen DMvon vor sieben Jahren auf 1250 Millionen DM. Meine Damen und Herren, man kann wirklich nicht sagen, Fortschritte seien auf diesem schwierigen Gebiet nicht erzielt worden.Gewiß, es ist die Einkommensgrenze für Zweitkindergeld vorgesehen und muß vorläufig bestehen. Würde die Einkommensgrenze aufgehoben, wären fast weitere 500 Millionen DM erforderlich. Sie können in diesem Jahr aus Haushaltsmitteln und auch anders nicht aufgebracht werden. Es wird Aufgabe des nächsten Bundestages sein, diese Frage zu lösen.Sowohl der Herr Bundeskanzler als auch ich selbst haben immer wieder die Erklärung abgegeben: Der Weg zum Kindergeld fur Zweitkinder muß schrittweise, muß etappenweise gegangen werden. Ein großer Schritt wird getan und eine wesentliche Etappe wird nun dadurch erreicht, daß alle diejenigen, die so wenig Einkommen haben, daß ihnen nicht einmal die Begünstigungen der Steuergesetzgebung zuteil werden, das bekommen, was den Mittleren und Großen durch die Steuergesetzgebung bisher ohnehin schon zugefallen ist. Hier handelt es sich also nicht um einen ungerechten Akt irgendeiner Fürsorgepolitik, sondern ausgesprochen um einen Akt ausgleichender Gerechtigkeit, indem den Kleinen als Kindergeld das gegeben wird, was die Mittleren und Großen über die Steuer bereits haben.Meine Damen und Herren, meine vierte Kölner Forderung lautete: Erhöhung der Kinderzuschläge für alle Rentenempfänger. Dazu eine grundsätzliche Vorbemerkung.Es wird immer wieder beanstandet, daß die Rentenempfänger kein Kindergeld erhalten. Meine Damen und Herren, das hängt mit unserer Auffassung zusammen, daß die Rentenempfänger bezüglich der Gewährung der Familienzulagen deshalb nicht in die Kindergeldgesetzgebung einbezogen werden sollen, weil sie schon vom ersten Kind an Kindergeld brauchen und weil es viel einfacher und zweckmäßiger ist, dieses Kindergeld als Kinderzuschlag zu den Renten durch dieselbe Kasse zu zahlen, als daß für die Rentenempfänner lediglich für die Kindergeldauszahlung ein zusätzlicher Verwaltungsgang geschaffen wird.
Es ist also ein technischer Grund auf der einen und ein sachlicher Grund auf der anderen Seite, der Lane der Rentner Rechnung zu tragen. Darum wurde damals schon die Forderung gestellt: Kindergeld getrennt für die Schaffenden ah drittem Kind und für die Rentenempfänger ab erstem Kind.Lassen Sie mich nun einmal kurz durchgehen, meine Damen und Herren, wie sich die Kinderzuschläge in der Rentengesetzgebung entwickelt haben. In der gesetzlichen Altersversorgung — Angestellten- und Invalidenversicherung — hatten wir 1953 Zuschüsse für alle Kinder von 20 DM monatlich. Sie sind heute in der gesamten Altersversicherung auf über 40 DM gestiegen. sind also ah erstem Kind auf den Satz erhöht worden, der ab drittem Kind bisher in der privaten Wirtschaft dem Arbeitnehmer und dem Selbständigen gezahlt wird.
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 152. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. März 1961 8743
Bundesminister Dr. WuermelingZum zweiten. In der Kriegsopferversorgung — ich will nicht zuviele Einzelheiten bringen, sondern nur diese Zahlen nennen — erhielt eine Kriegerwitwe mit einem Kind im Jahre 1953 einschließlich Ausgleichsrente 136 DM, heute erhält sie mit Ausgleichsrente 310 DM. Bei zwei Kindern waren es damals 172 und sind es heute 400 DM. Bei drei Kindern sind es statt 203 DM 530 DM. Meine Damen und Herren, ich darf Ihnen sagen, daß es mir immer ein besonderes Anliegen war, gerade bei den Kindern, denen der Krieg den Vater genommen hatte, mit allen denkbaren Kräften dafür zu sorgen, daß ihnen nun nicht auch die Mutter dadurch genommen wurde, daß sie aus wirtschaftlicher Not gezwungen ist, eine Berufstätigkeit aufzunehmen.
Die Sätze in der Witwen- und Waisenversorgung sind jetzt so — es kommen noch Ausbildungsbeihilfen hinzu —, daß ein unbedingter Zwang zur Aufnahme einer Berufstätigkeit für die Kriegerwitwen nicht mehr besteht. Ich glaube, daß wir damit einer ganz besonderen Pflicht genügt haben.Der dritte Bereich ist der des Lastenausgleichsgesetzes. Die Kinderzuschläge betrugen damals 27,50 DM und betragen heute 47 DM. Sie sollen nach der vorgesehenen Novelle weiter erhöht werden. Diese Kinderzuschläge haben der Höhe nach immer an der Spitze gelegen.Auch bei der Arbeitslosenversicherung und Arbeitslosenhilfe erfolgte seit 1953 eine Verdoppelung der Familienzuschläge, und eine weitere Verbesserung um 50 v. H. steht nach dem neuen Kindergeldgesetz bevor.Ähnlich haben sich die Fürsorgeleistungen für die Kinder entwickelt, ohne daß der Bund hier ein unmittelbares Bestimmungsrecht hatte.Ich darf zur Forderung Nr. 4 zusammenfassend feststellen: Alle Zusatzleistungen für Kinder in den Bereichen der Sozialrenten sind kräftig angehoben worden. Sie setzen überall bereits beim ersten Kind ein und betragen fast allgemein ab erstem Kind 40 DM im Monat, vielfach auch mehr. Wir dürfen mit Befriedigung feststellen, daß wir mit diesen Sätzen für unsere Rentenempfänger in Westeuropa an der Spitze stehen.Die fünfte Forderung: Steuergerechtigkeit für unsere Familien. Sie kennen die Freibeträge. Ich will nicht viel Einzelheiten nennen. Schlußergebnis ist: Durch Verdoppelung des monatlichen steuerfreien Einkommens der Familie mit Kindern sind heute 70 % der Familien mit zwei Kindern, 80 % der Familien mit drei Kindern und 90 % der Familien mit vier und mehr Kindern von der Zahlung der Lohnbzw. Einkommensteuer völlig befreit. Hinzu kommt eine Fülle zusätzlicher und zum Teil neuer steuerlicher Vergünstigungen: bei auswärtiger Unterbringung von Kindern zu Schul- und Berufsausbildungszwecken, bei wegen körperlicher und geistiger Gebrechen erwerbsunfähigen Kindern, bei Beschäftigung einer Hausgehilfin, und trotz des Gleichberechtigungsgesetzes haben wir auch die Absetzbarkeit der Aufwendungen für die Aussteuer vonTöchtern unter weitherzigen Voraussetzungen wiederhergestellt. — Auch was die Steuerbegünstigung der Familie angeht, steht die Bundesrepublik an der Spitze aller europäischen Länder.Sechste Kölner Forderung: Familienermäßigungen bei der Bundesbahn. Sie wurde 1956 erstmals erfüllt mit der 50 %igen Ermäßigung für Kinder kinderreicher Familien zwischen 10 und 18 Jahren. 1957 kam dann die Ausdehnung dieser Vergünstigung auf Kinder bis zum 25. Lebensjahr, soweit diese noch in Ausbildung stehen. Ich weiß, weil ich immer wieder darauf angesprochen werde, wie gerade diese Vergünstigung von unseren Vätern und Müttern draußen im Lande ganz besonders dankbar begrüßt wird.Mit der siebenten Kölner Forderung komme ich auf ein Thema, das von Frau Kollegin Schanzenbach angesprochen worden ist: Schutz unserer Mütter. Mit . zu den wichtigsten Förderungsmaßnahmen gehört die Förderung der Müttererholung durch den Bund. Auch das ist etwas Neues, was wir früher nicht hatten. Sie setzte 1955 mit einem Bundeszuschuß von einer Million DM ein. Seit 1956 wurde der Bundeszuschuß doppelt so hoch angesetzt. Wir haben heute in der Bundesrepublik insgesamt 172 Müttergenesungsheime mit einer Aufnahmekapazität je Jahr von mehr als 80 000 erholungsbedürftigen Müttern.Weiter: Die Förderung der Familienferienerholung aus Bundeshaushaltsmitteln ist inzwischen ebenfalls Wirklichkeit geworden. 1957 war es noch eine Million DM, heute ist es Jahr für Jahr schon der dophelte Betrag. Wir haben es dahin gebracht — natürlich sind das nur erste Ansätze —, rund 2500 Ferienplätze in Heimen und Feriendörfern bereitzustellen — nicht von Staats wegen, sondern über freie Organisationen —, Ferienplätze, welche nun denjenigen Familien zur Verfügung stehen, die sich teure Hotels und Pensionen nicht leisten können. Den Müttern im besonderen dient die Förderung des Familienpflege- und Dorfhelferinnendienstes. Hier werden — neben Hilfen aus dem Grünen Plan — Mittel aus dem Bundesjugendplan für die Schulung hauptund ehrenamtlicher Lehrkräfte und für den Bau von Wohnheimen in Verbindung mit Ausbildungsstätten gegeben. Das in Beratung befindliche Bundessozialhilfegesetz soll außerdem künftig finanzielle Möglichkeiten bieten, überlasteten Müttern in gesundheitlichen Krisenzeiten eine Familien- und Hauspflegerin an die Seite zu stellen.Zu diesen direkten Hilfen müssen auch vorsorgende Maßnahmen in Gestalt einer Mädchenbildungsarbeit treten, die der Vorbereitung auf das Leben als Frau und Mutter dient. Neuerdings ist diese Förderung aus dem Bundesjugendplan noch ausgedehnt auf freiwillige soziale Dienste der Jugend. Gegenüber mancher Anfeindung, die die Aktion „Gemeinsinn" erfahren hat, möchte ich erklären, daß die Bundesregierung und vor allem der Bundesjugendminister es nur begrüßen kann, wenn junge Mädchen freiwillig und aus eigener Verantwortung sich bereit finden, in sozialen Einrichtungen und nicht zuletzt auch in Familien mitzuhelfen.
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8744 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 152. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. März 1961
Bundesminister Dr. WuermelingIch habe deshalb aus Mitteln des Bundesjugendplanes Gelder zur Verfügung gestellt, damit unsere jungen Mädchen und Frauen einen solchen freiwilligen und unbezahlt geleisteten sozialen Dienst nunmehr wohlvorbereitet durch Einführungskurse und wohlgeleitet durch sachverständige pädagogische Anweisung und Auswertung tun können.Mir ist da ein Protest eines Funktionärs einer Gewerkschaft zugegangen, ich hätte hierdurch Mittel aus dem Bundesjugendplan „zweckentfremdet". Ich möchte feststellen: wenn wir einmal an das Gute und nicht an materielle Instinkte in unserer Bevölkerung appellieren, dann liegt das genau im Sinne des Bundesjugendplans und auch im Sinne der Jugend.
Wir lassen uns von keinem Gewerkschaftsfunktionär verbieten, auch in Zukunft an das Gute in unserer Bevölkerung zu appellieren.
Es geht nicht an, daß man immer nur mit materiellen Forderungen auf Hebung des Lebensstandards kommt, sondern es muß auch einmal an Opferbereitschaft und Edelsinn appelliert werden. Sie werden es erlebt haben — ich habe es immer wieder erlebt —: bei unserer Jugend im Lande draußen kommt dieser Appell immer positiv an. Unsere junge Generation ist ja gar nicht schlechter als die anderer, früherer Zeiten.
Sie ist — das müssen wir leider sagen — nur „schlechter dran", weil die Erwachsenenwelt heute so viel Ungünstiges auf sie niederprasseln läßt.
Hier sollten wir ansetzen. Wir sollten als Erwachsene der Jugend mit dem rechten Beispiel vorangehen und an das Gute in ihr appellieren. Nochmals: die Jugend ist nicht schlechter als früher, wenn wir sie ernst nehmen und ihr helfen. Ich habe es in Gesprächen im Lande draußen immer wieder erlebt, wie jeder Appell an das Gute ein gesundes und erfreuliches Echo findet und wie die Jugend dankbar und bereit ist, wenn sie vor praktische Hilfsaufgaben gestellt wird, gern opferbereit und ohne Jagd nach klingendem Lohn zuzugreifen.Weiter die Förderung der Ehe- und Elternberatung, auch ein sehr wichtiges familienpolitisches Thema! Im vergangenen Jahr wurden erstmals Bundesmittel bereitgestellt. Besonders unsere Frauen und Mütter, die heute draußen die Hauptlast der Erziehung tragen, erkennen diese Förderung immer wieder dankbar an, und sie wird im Jahre 1961 um 50% erhöht werden.Nochmals die Entlastung der Mütter! Für den Wasserleitungsbau in den einzelnen Gemeinden allerdings kann der Bundesfamilien- und Jugendminister genauso wenig sorgen, wie er für die Kindergärten in den einzelnen Gemeinden sorgen kann. Sie dürfen aber sicher sein, daß ich in der Zusammenarbeit im Kabinett für die Förderung der bäuerlichen Familienhaushalte, für .die Maßnahmen zurEntlastung unserer Landfrauen, die heute die geplagtesten Frauen in der gesamten Bundesrepublik sind, immer mit größtem Nachdruck eingetreten bin, und da wird ja im Rahmen des Grünen Plans und zum Teil auch des Landjugendplans einiges getan.
Die achte und letzte Forderung — damit schließe ich diesen Überblick ab — lautete: rechtliche Sicherung für Bestand und Zusammenhalt der Familie. Da hatte ich damals schon, ich sage es ganz offen, die Problematik unseres Ehescheidungsrechts im Auge. Sie wissen, daß bei uns immer noch gewisse Bestimmungen aüs der Hitlerzeit gelten — sie sind durch die Alliierten damals in neuer Fassung aufrechterhalten worden —, die die bürgerliche Ehescheidung selbst gegen den Willen des die Treue haltenden unschuldigen Ehegatten zulassen und darüber hinaus die staatliche Sanktionierung des Ehebruchs durch spätere Heirat ermöglichen. Wir wollen, meine Damen und Herren, Schutz von Ehe und Familie und mehr Schutz für unschuldig verlassene Frauen und Kinder.
Ich spreche davon gelegentlich in Reden draußen im Lande, die Sie immer so liebenswürdig als „Sonntagsreden" bezeichnen. Nun, werktags muß ich ja auf dem Büro sein. Deshalb bleibt nichts anderes übrig, als daß ich auch mal sonntags draußen spreche. Wenn ich in diesen Reden draußen im Lande hinzufüge: mehr Schutz, als sozialistische und liberale Politiker zugestehen wollen, dann erinnere ich damit doch nur daran, daß es in dieser Frage des Ehescheidungsrechts zwischen den Politikern mit betont christlicher Programmatik und den Liberalen und den Sozialisten immer gründliche Meinungsverschiedenheiten gegeben hat.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Herr Minister? — Frau Diemer-Nicolaus zu einer Zwischenfrage!
Ist Ihnen bekannt, daß der Bundesgerichtshof dem § 48 eine Auslegung gegeben hat, die dem sittlichen Wert der Ehe weitgehend Rechnung trägt, und daß deshalb die Mißstände, die Sie glauben bekämpfen zu müssen, gar nicht mehr bestehen?
Frau Kollegin, Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in diesem Sinne sind mir bekannt. Wenn Sie die Reden, die ich draußen halte, noch genauer verfolgten, würden Sie feststellen, daß ich jedesmal, wenn ich dieses Thema berühre, unseren bewährten Richtern beim Bundesgerichtshof besonderen Dank dafür ausspreche, daß sie sich soundso oft bei ehebrecherischem Verhalten durch vernünftige, die Ehe schützende Entscheidungen dem Ziel des Ehebrechers in den Weg gestellt haben.
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 152. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. März 1961 8745
Bundesminister Dr. WuermelingIch weiß, Frau Kollegin, was Sie jetzt fragen wollen. Vielleicht erledigt sich Ihre weitere Frage durch das, was ich jetzt sagen will. Bei den unteren Instanzen ist nicht immer die gleiche Erkenntnis zu spüren. Worum es uns geht, ist lediglich, daß diese Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs einen so klaren Niederschlag im Gesetzestext findet, daß sich die Gerichte in allen Instanzen daran gebunden fühlen.Wollten Sie doch noch eine Frage stellen, Frau Kollegin?
Zusatzfrage!
Herr Minister, darf ich, da ja die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs letzten Endes auch für die unteren Gerichte verbindlich ist und da im Falle einer Revision vom Bundesgerichtshof entsprechend entschieden wird, fragen, warum Sie trotzdem eine Änderung wünschen.
Warum ich das noch für notwendig erachte, das ist eine berechtigte konkrete Frage, die ich dahin beantworte: Mir sind zahlreiche Beschwerden von geschiedenen Frauen zugegangen, daß die Revision durch die Oberlandesgerichte nicht zugelassen wurde, so daß sie der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht teilhaftig werden konnten.
Im übrigen, meine Damen und Herren, wenn wir uns über die Güte der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs einig sind, was für Bedenken haben wir denn dann dagegen, daß diese gute Haltung des Bundesgerichtshofs in dem Gesetz eindeutigen Niederschlag findet? Wenn Sie die Rechtsprechung bejahen, können Sie das ohne Schwierigkeiten mitmachen.
Nun, ich will ja in dieser Hinsicht heute hier gar keinen Streit suchen, ganz im Gegenteil!
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Herr Bundesminister, ist Ihnen nicht bekannt, daß der Unterausschuß „Familienrecht" des Rechtsausschusses einstimmig — Frau Kollegin Weber bestätigt es, alle Parteien des Bundestages haben da zugestimmt — beschlossen hat, die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu § 48 in dem Gesetz zu kodifizieren?
Herr Kollege Arndt, Sie haben mich eine Minute zu früh gefragt; denn gerade darauf wollte ich jetzt kommen und meiner besonderen Freude darüber Ausdruck geben, daß der Unterausschuß des Rechtsausschusses inzwischen eine Fassung beschlossen hat, die den von mir seit Jahren vorgetragenen Wünschen in sehr erfreulicher Weise entspricht. Ich habe mir zwar sagen lassen — ichwar nicht dabei —, die FDP sei an der Beschlußfasseng nicht beteiligt gewesen. Aber wenn wir nun zu einer einmütigen Haltung des Bundestages in dieser Frage kommen, dürfen Sie sicher sein, dann ist niemand dankbarer als der Bundesminister für Familien- und Jugendfragen, der sich mit seiner ganzen Fraktion darüber freut, daß das Gedankengut der CDU/CSU immer breiter in die anderen Parteien hineindringt.
Nun noch zu einigen in der Diskussion beanstandeten Punkten. Frau Kollegin Schanzenbach fragte, inwieweit ich den Lebensnotwendigkeiten der modernen Gesellschaft hinsichtlich der wirtschaftlichen Stellung usw. der Familie Rechnung getragen hätte. Ich habe Ihnen einen Katalog über die Ergebnisse unserer Arbeit vorhin vor Augen geführt. Aber es wurde auch nach den wissenschaftlichen Grundlagen gefragt. Ich darf jetzt darauf verweisen, daß Sie vor 14 Tagen oder drei Wochen zunächst eine — nun, ich kann meine eigenen Arbeiten nicht gut als wissenschaftlich bezeichnen, aber immerhin eine sehr materialreiche — Ausarbeitung über die wirtschaftliche Sicherung der Familie in der modernen Gesellschaft, wie ich sie in einem Vortrag in München dargelegt habe, in die Hand bekommen haben. Damit haben Sie eine erste Zusammenstellung von Material, das wir in langen Jahren im Bundesministerium für Familien- und Jugendfragen gemeinsam mit den anderen Ressorts erarbeitet haben, ein Material, das vor allem als Grundlage für die Ausarbeitung des Gesetzentwurfs über das Zweitkindergeld gedient hat.Ich möchte dazu noch das unterstreichen, was vorhin schon erwähnt wurde: Sie werden in dieser Hinsicht in aller Kürze eine zweite, im eigentlichen Sinne wissenschaftliche Ausarbeitung von Professoren und Fachwissenschaftlern über die ökonomische Lage der Familie in der Bundesrepublik Deutschland bekommen, in der, Frau Kollegin Schanzenbach, in besonderer Weise auch die Fragen behandelt werden, wieviel berufstätige Frauen und Mütter wir in den einzelnen Schichten haben usw. Nun haben wir in langer, wissenschaftlicher Arbeit, für die den Professoren nur sehr viel Dank gesagt werden kann, endlich wesentliche, von uns immer gewünschte Grundlagen, die hoffentlich zu gemeinsamen Arbeitsergebnissen für uns werden führen können. Ich habe den Band schon in einem ersten Druck in der Hand und werde dafür sorgen, daß er allen Mitgliedern des Hauses ergeht.Ferner ist nach der wissenschaftlichen Arbeit des Studienbüros für Jugendfragen gefragt worden. Darf ich, weil darüber in der Öffentlichkeit sowenig bekannt ist, in wenigen Minuten ein paar Sätze darüber sagen. Dieses Studienbüro für Jugendfragen ist ja auf die Initiative des Bundestages vom Jahre 1956 gebildet worden. Seine Aufgaben sind Zusammenfassung und Auswertung der in Einzeluntersuchungen dargebotenen Studien und Forschungen auf dem Gebiet der Jugendarbeit, Erarbeitung von Gesamtberichten über die deutsche Jugendarbeit, in denen die Grundsätze der Entwick-
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8746 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 152. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. März 1961
Bundesminister Dr. Wuermelinglung der Jugend und der Jugendhilfe dargelegt und das vorhandene statistische Material zusammengefaßt werden. Weiter erteilt das Büro Auskünfte für Studien und Forschung auf dem Gebiet 'der Jugendarbeit und berät schließlich Bundes- und Länderministerien und andere Stellen hei Gewährung von Beihilfen für solche Studien und Forschungen. Das Studienbüro für Jugendfragen, das ja noch nicht lange arbeitet, hat die wesentlichen Untersuchungen auf dem Gebiet der Jugendarbeit und sämtliche Forschungsstellen, die sich mit dieser Aufgabe befassen, in einem umfassenden „Handbuch zur Jugendforschung" zusammengestellt, das zur Zeit im Druck ist. Zwangsläufig hat sich das Studienbüro für Jugendfragen nach Beratungen durch seinen Vorstand und die Mitgliederversammlung auch mit Aufträgen zu Forschungen und Studien auf dem Gebiet der Jugendarbeit befassen müssen und bisher rund 70 Untersuchungen durchführen lassen oder angeregt. Darf ich ein paar Stichworte über den Inhalt dieser Untersuchungen sagen. Jugend und Beruf, politische Bildung und Erziehung der Jugend, Freizeitverhalten der Jugend, der Jugendliche in der Rechtsordnung, die öffentlichen und geheimen Miterzieher, Entwicklungsfragen und anderes mehr. Von diesen Untersuchungen sind etwa 12 Arbeiten jetzt druckfertig, 25 weitere Untersuchungen werden in den nächsten Monaten fertiggestellt sein, so daß ein genereller Überblick über die Ergebnisse dieser Forschungsarbeit möglich sein wird.Der Deutsche Bundestag hat bekanntlich bei Gründung des Studienbüros schon eine Anlehnung an das in München bestehende Deutsche Jugendarchiv befürwortet. Dieses Jugendarchiv hat die Aufgabe, alle Veröffentlichungen, die Fragen der Jugendpflege und Jugendfürsorge betreffen, zu sammeln, an interessierte Kreise zu vermitteln, auszuwerten und zu veröffentlichen. Die Vorstände beider Einrichtungen — das wird interessieren — haben nach langen Verhandlungen kürzlich beschlossen, die beiden Institutionen zu einem Deutschen Jugendinstitut in München zu vereinigen. Ich glaube, auf diese Weise garantieren wir am besten, daß keine doppelte Arbeit geleistet wird und daß sich die beiden Institutionen in sinnvoller Weise ergänzen.
— Ich habe nur noch ganz wenig zu sagen, meine Damen und Herren!Hinsichtlich des Bundesjugendplans wurde mir vorgeworfen, wir seien nicht fähig, uns an die modernen Notwendigkeiten und Entwicklungen anzupassen. Ich kann dazu nur sagen, daß die Programme des Bundesjugendplans in enger, harmonischer Zusammenarbeit mit allen Kreisen der Jugendarbeit geformt werden, die im Aktionsausschuß für Jugendfragen vereint sind. Wenn Sie, verehrte Frau Kollegin, hier den Bundesminister für Jugendfragen angreifen und ihm vorwerfen, er sei in diesen Dingen nicht modern genug, so muß ich sagen, daß dieser Angriff sich gegen den gesamten Aktionsausschuß für Jugendfragen, einschließlich Ihrer dort sitzenden politischen Freunde, richtet.Wir haben mit dein Aktionsausschuß für Jugendfragen in all diesen Fragen immer eine erfreuliche und dankenswerte Übereinstimmung erzielt. Ich möchte an dieser Stelle allen Mitgliedern des Aktionsausschusses für Jugendfragen meinen aufrichtigen Dank dafür sagen, daß sie mir trotz der unfreundlichen Ankündigung meiner Existenz durch Herrn Ollenhauer nach meiner Berufung zum Jugendminister mit viel Vertrauen und mit persönlicher Sympathie und Aufgeschlossenheit entgegengetreten sind. So haben wir es zu einer schönen und harmonischen Zusammenarbeit gebracht, die sich Herr Kollege Ollenhauer 1957 sicher nicht hätte träumen lassen.
Nun noch kurz etwas zu den Ausbildungsbeihilfen! Es wurde wieder beanstandet, daß der Gesetzentwurf für die Ausbildungsbeihilfen noch nicht vorliegt. Leider vermisse ich in der Gegenäußerung der Frau Kollegin Schanzenbach irgendein Eingehen auf die ausführlichen Darlegungen, die ich bei der Beratung der Novelle zum Jugendwohlfahrtsgesetz, um die Damen und Herren nicht allzu lange in Anspruch zu nehmen, zu Protokoll gegeben habe. Da habe ich schon Wesentliches zum Ausdruck gebracht. Ich will hier nur sagen: ich nehme dieses Anliegen nach wie vor sehr ernst. Aber ich bin mit Ihnen darin einig, daß hier eine besonders wichtige Aufgabe der Lösung harrt und daß man diese Lösung nicht übers Knie brechen kann. Ich gebe Ihnen die Zusicherung — wir sind in dein letzten Wochen mit den Vorbereitungen wesentlich fortgeschritten; Sie wissen, daß ich einen besonderen Referenten eingesetzt habe —, daß ich meinerseits alles tun werde, um es zu ermöglichen, daß der nächste Bundestag so frühzeitig wie nur möglich diesen Gesetzentwurf über Ausbildungsbeihilfen, der eine vielfältige Problematik in sich birgt, verabschieden kann.Nun muß .ich eigentlich noch eine Antwort auf die Bemerkungen zum Jugendwohlfahrtsgesetz geben. Ich habe aber das Gefühl, daß Herr Kollege Rollmann diese Fragen hier so ausführlich und so überzeugend behandelt hat, daß es nicht nötig ist, daß ich meinerseits jetzt noch einmal auf sie eingehe. Ich glaubte aber, da ich — nehmen Sie es mir nicht übel — früher bei den Haushaltsberatungen hinsichtlich der Äußerungen, die möglich waren, immer etwas kurz gekommen bin, wenigstens bei der letzten Haushaltsberatung dieser Wahlperiode einen kleinen Rechenschaftsbericht geben zu sollen, der eine Antwort auf die Beanstandungen der Opposition war.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Keilhack.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Ich möchte noch ganz kurz auf einige der Dinge, die Herr Minister Wuermeling hier dargestellt hat, und auf die voraufgegangenen Diskussionsbeiträge eingehen. Ich werde Sie bestimmt nicht lange aufhalten.
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 152. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. März 1961 8747
Frau KeilhackIhnen, Frau Welter, möchte ich sagen, daß die Beanstandungen, die meine Kollegin Frau Schanzenbach hier vorgebracht hat, meiner Ansicht nach völlig zutreffend sind. Denn das Familienministerium ist doch weitgehend ein Koordinierungsministerium. Es hat praktisch gar keine eigenen Aufgaben, — wenn es nicht den Bundesjugendplan zu verwalten hätte. Insofern ist also die Forderung nach Einwirkungsmöglichkeit oder sogar das Einwirkungsverlangen in familienpolitischer Hinsicht seitens des Familienministers meiner Ansicht nach völlig gerechtfertigt. Ich glaube auch, Frau Welter, daß meine Kollegin Schanzenbach nicht den Wasserwegebau gemeint hat, der nach dem Grünen Plan gesichert ist, sondern einfach das Wasser, das die Bäuerin im Haus haben muß, wenn sie einen Teil ihrer schweren Arbeit etwas erleichtert bekommen soll. Ich glaube, es liegt beim Familienministerium, das zu fördern. Außerdem gibt es im Grünen Plan sowieso Mittel dafür. Es fällt also auch in die Zuständigkeit des Bundes.
Ich möchte das nur sagen, weil Ihre Kritik vom Prinzip her falsch gewesen ist, Frau Welter. Aber die Sache ist nicht so wesentlich.Herr Minister, Sie haben einen wirklich beachtlichen Wettstreit entfaltet und erklärt, daß Sie die Leistungen erbracht haben, die Ihre Kollegen aus den anderen Ministerien, Herr Minister Lücke, Herr Minister Etzel und Herr Minister Blank, sicher auchfür sich in Anspruch nehmen. Wenn alles das, was Sie hier für sich als Ihre Leistung darstellen, von den Leistungen der zuständigen Minister abgezogen werden muß, dann haben diese beinahe gar nichts mehr getan. So kommt es mir jedenfalls vor.
Herr Minister, bei Ihnen merkt man sehr die Methode, und deshalb wird man verstimmt. Ich glaube, das kleine Zwischenspiel wegen der Reformierung des Eherechts ist für Ihre Haltung typisch gewesen, die Sie so oft zeigen, die Sie übrigens auch im Ausschuß eingenommen haben, weswegen wir leider sehr oft unnötige Polemiken haben mußten, wo wir sie lieber vermieden hätten.Sie haben gerade wegen des Eherechts in irgendeiner Versammlung, ich glaube, der Jungen Union, mit einem spitzen Pfeil auf eine liberalistische und, wie Sie zu sagen pflegen, sozialistische Haltung zu schießen versucht, immer im Sinne einer falschen Moral dieser beiden politischen Anschauungen. Mein Kollege Herr Dr. Arndt hat es Ihnen schon gesagt, Frau Weber hat es bestätigt, und auch Frau Dr. Diemer-Nicolaus hat erklärt, daß Ihre Versuche, in der Frage des Ehescheidungsrechtes die Sozialdemokraten und wahrscheinlich auch die Freien Demokraten moralisch zu diffamieren, gänzlich unbegründet und absolut vorbeigeschossen sind, denn im Unterausschuß des Bundestages für diese Fragen herrscht absolute Einstimmigkeit hinsichtlich der Reformierung des § 48. Über das, was Sie auch in diesem Falle nur für sich in Anspruch genommen haben, herrscht im Ausschuß absolute Einstimmigkeit. Wir finden es sehr pharisäerhaft, daß Sie dabei noch etwas für sich gewinnen wollen.
Ich möchte aber noch etwas zum Bundesjugendplan sagen, Herr Minister, weil ich darüber nachher nicht mehr sprechen will. Wir wollten bei der Verabschiedung des Gesetzes gegen jugendgefährdendes Schrifttum, und zwar angekündigt durch Herrn Kemmer, sehr gern eine beträchtliche Summe frei haben, um etwas für den positiven Jugendschutz in Richtung der Förderung guter Jugendbücher tun zu können. Herr Kemmer hat uns gesagt, daß Ihre Fraktion und die Haushaltsexperten Ihrer Fraktion einen solchen Antrag nicht unterstützt hätten. Da Sie ja 51 % hier im Hause und wir leider nicht die Mehrheit sind, war es unnötig, dann von uns aus in dieser Beziehung noch etwas zu versuchen. Herr Minister, wenn Herr Kemmer sich in der Fraktion nicht durchsetzen konnte, hätten Sie etwas tun müssen! Mir scheint das eine Ihrer entscheidenden Aufgaben zu sein, die Sie als Minister für den Bundesjugendplan wahrzunehmen haben.
Aber damit möchte ich jetzt schließen.
Herr Rollmann, ich meine, Sie verwechseln immer noch ein bißchen die Tribune des Landesparlaments im Hamburg mit der Rednertribüne hier im Bundestag. Sie sollten sehr regionale Dinge nicht immer in den Bundestag zu bringen versuchen. Ich will es deshalb auch nicht tun. Ich will Ihnen nur antworten, weil Ihre Kritik mehr als regionale Dinge umfaßt.Was die Gewerkschaft „Erziehung und Wissenschaft" und die „Hamburgische Gesellschaft zur Förderung des Vaterländischen Schul- und Erziehungswesens" in einer großen Veranstaltung mit 1200 Hamburger Lehrern und Sozialpädagogen zu dieser Novelle des Reichsjugendwohlfahrtsgesetzes zu sagen hatten, ist nicht von den Sozialdemokraten initiiert worden. Ich glaube, Sie unterschätzen überhaupt die geistige und organisatorische Selbständigkeit dieser Leute, die nicht am Gängelband der Sozialdemokraten laufen, die genau das wollten, was sie ausgedrückt haben, und mit denen Sie sich in der Kundgebung nicht auseinandergesetzt haben, obgleich Sie zwar alle eingeladen waren; aber von der CDU war niemand da.
Das möchte ich hier nur einmal sagen; und damit sollten, glaube ich, diese lokalen Dinge abgetan sein. Ich würde Sie nur bitten, das, was Sie in dieser Richtung noch von den Lehrerverbänden und auch von den Verbänden der Sozialarbeiter bekommen, die keine „sozialistischen" sind und oft auch keine Verbände des DGB, sehr ernst nehmen; denn es lohnt sich, sie ernst zu nehmen.Herr Rollmann, ich weiß nicht, ob Sie Jurist sind. Die Juristen verfügen ja über eine besondere Fähigkeit, die Schlüsse zu ziehen, die in ihrer Denkvorstellung liegen oder so gezogen werden müssen.
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8748 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 152. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. März 1961
Frau KeilhackDas ist zum großen Teil sogar ihre Aufgabe. Ein guter Rechtsanwalt muß das sogar tun.
Ich glaube aber, hier geht es nicht darum, Rechtsanwalt für die Bundesregierung zu sein, Herr Rollmann, sondern hier geht es darum, einige Fakten in einem sehr wichtigen Gesetz, das für die außerschulische Jugendarbeit in Zukunft von immenser Bedeutung ist, klarzulegen. Ich muß Ihnen sagen, ich wundere mich — Sie waren doch immer im Ausschuß daß Sie hier so olle Kamellen — das ist ein niederdeutscher Ausdruck —(Zuruf von der CDU/CSU: Wir kennenihn!)— Sie kennen ihn auch —
— Na gut, also darf ich es sagen: ich wundere mich, daß Sie olle Kamellen, die im Ausschuß schon längst erledigt waren, hier wieder anführen, z. B. daß sich das jetzt in der Novelle fixierte Rangverhältnis aus dem Reichsjugendwohlfahrtsgesetz von 1922 entwickelt. Das glaubt, nehme ich an, selbst Herr Minister Wuermeling nicht mehr; mindestens glaubt das Herr Dr. Rothe nicht. Herr Rollmann, Sie müßten sich doch eigentlich von den Gesetzgebern aus jener Zeit überzeugen lassen. Zu ihnen gehörte z. B. Frau Dr. Lüders, die Ihnen das genaue Gegenteil von dem gesagt hat, was Sie hier abermals behaupten. Ich weise Sie auch auf das schriftliche Material hin, auf all das, was der Deutsche Verein herausgegeben hat. Sie sollten sich einmal diese umfangreiche Dokumentation holen; darin stehen nämlich die ganzen Verhandlungen von 1922, und die sagen das genaue Gegenteil von dem aus, was Sie sagen. Ich nehme also Ihre Auslegung als eine juristische Auslegung hin, im Sinne der Aufgabe eines Rechtsanwalts, aber nicht als eine faktische Auslegung.Ich glaube, Sie haben auch da einen völlig falschen Akzent gesetzt. Gestatten Sie: ich meine zwar, daß wir uns hier eigentlich über das Reichsjugendwohlfahrstgesetz nicht in solcher Breite unterhalten sollten. Aber Herr Rollmann ist nur deswegen hier auf das Rednerpult gestiegen, und seine Ausführungen bedürfen jetzt einer Zurückweisung. Herr Rollmann, das Elternrecht — das ist sehr deutlich gesagt worden — ist nicht erst durch die jetzige Novelle gesichert, sondern das ist durch das Grundgesetz gesichert im Artikel 6; und diesem Artikel 6 haben wir, wie dem ganzen Grundgesetz, vollinhaltlich und ohne Einschränkung zugestimmt;
also auch dem Elternrecht. Ich bitte, das zur Kenntnis zu nehmen,
damit wir nicht immer von vorn anfangen müssen.Und ich möchte Ihnen noch sagen, Herr Rollmann— da sind Sie wirklich auch völlig schief gewickelt—: Die Zweischneidigkeiten, die, wie Sie behaupten, für die, Sie sagen: die „sozialistischen" Gemeinden, entstehen, — Sie meinen die Gemeinden, die mit sozialdemokratischer Mehrheit geführt werden —, diese Zweischneidigkeiten für diese Gemeinden bei einer möglichen Annahme dieser Novelle durch Ihre Bundestagsmehrheit sind nicht für die Gemeinden folgenschwer, sondern sie sind für die gesamte Jugendwohlfahrt schrecklich, Herr Rollmann.
Ich glaube, Sie sollten inzwischen auch gemerkt haben, daß, wenn diese Novelle Gesetz wird, es zunächst einmal — für wie lange, weiß ich nicht, aber möglicherweise für viele Jahre — völlig unnötige und der Jugendarbeit in den Gemeinden sehr schädliche Dispute gibt über Zuständigkeit, Art und Umfang der künftigen Maßnahmen für die Jugend. Ich weiß nicht, ob Sie diese Verantwortung für die Entwicklung der Jugendarbeit nicht fühlen. Wir fühlen sie sehr deutlich. Wir möchten, daß sich die Jugendarbeit weiter entwickelt.
und nicht, daß Streit darüber entsteht, ob die Verbände oder die Gemeinden bei der Vergabe von Steuermitteln vorrangig behandelt werden sollen. Es wird kein Kindergarten und kein Jugendheim mehr durch diese Novelle geschaffen. Die Steuermittel bleiben nämlich gleich. Sie gehen nur an einen anderen Träger. Nach dem Willen Ihrer Fraktion gehen sie an die freien Träger; diese freien Träger halten wir für weit überfordert. Nach unserem Willen sollen die Mittel in einer Zusammenarbeit von Gemeinden und freien Trägern verwendet werden.Herr Rollmann, Ihre Partei hat einmal vier Jahre in Hamburg regiert. Da hätten Sie zeigen können, was Sie unter besserer Jugendarbeit verstehen.
In diesen vier Jahren sind fast keine neuen Jugendeinrichtungen geschaffen worden. Sie sollten sich das einmal durchdenken. Ich kann mir vorstellen, daß Sie sich sehr ärgern, wenn gerade die sozialdemokratisch geführten Gemeinden und Städte — auch nach den Aussagen und den Urteilen Ihrer Parteifreunde — eine ganz ausgezeichnete Jugendarbeit, ja möglicherweise die beste Jugendarbeit in der ganzen Bundesrepublik machen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ja, bitte!
Ist Ihnen nicht bekannt, Frau Keilhack, daß in den Jahren, in denen die CDU den Hamburger Senat geführt hat, auf Wunsch aller Fraktionen der Hamburger Bürgerschaft Schulen gebaut worden sind, weil das vordringlich war,
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 152. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. März 1961 8749
Rollmannund daß aus diesem Grunde der Bau von Einrichtungen der Jugendwohlfahrt zurückgestellt worden ist?
Herr Rollmann, Schulen bauen wir jetzt auch, und zwar weitaus mehr als zu Ihrer Zeit.
Wir bauen aber auch sehr viele Jugendeinrichtungen.
Ich möchte anknüpfend an diese Darstellung nur den Wunsch äußern, daß die gute Jugendarbeit, die heute in den Gemeinden in guter Zusammenarbeit mit den Verbänden gemacht wird, bei den jetzigen Kommunalwahlen zu einer Vermehrung der sozialdemokratisch geführten Gemeinden führen wird; das hoffe ich.
— Das haben Sie heraufbeschworen.
Zusammenfassend möchte ich sagen, daß diese Novelle kein Gesetz zur Förderung, Vertiefung und Verbreiterung der Jugendarbeit darstellt; es ist vielmehr ein Gesetz, daß nur Streit über die Zuständigkeit bringen wird. Wir hätten dagegen gewünscht, Herr Minister, daß Sie sich durch Absprachen oder Rücksprachen mit den Ländern, Gemeinden und vor allem auch mit dem Bundesfinanzminister bemüht hätten, eine Möglichkeit und einen Weg zu Verbesserungen in Form neuer Finanzhilfen zu finden. Die Jugendarbeit hat zwar ganz gut begonnen. Aus finanziellen Gründen ist sie aber noch nicht so weit, wie wir uns das wünschen.
Herr Minister, alles, was Sie hier ausgeführt haben, und alles, was von Herrn Rollmann gesagt worden ist, kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß das erwartete und auch zugesagte umfassende Jugendhilfsgesetz vom Familienministerium nicht vorgelegt werden konnte. Dazu waren Sie nicht in der Lage, Herr Minister, Daran ändert auch Ihre derzeitige Erklärung nichts — das ist ja lediglich eine Erklärung und sonst nichts —, daß die Bildungs- und Berufschancen für jeden jungen Menschen in der Bundesrepublik durch ein entsprechendes Gesetz über Ausbildungs- und Erziehungsbeihilfen in einer wirklich annehmbaren Weise hätten gewährleistet werden müssen. Dazu haben Sie acht Jahre Zeit gehabt. In dieser Beziehung ist noch alles genau so vage, wie es vor vielen Jahren gewesen ist.
Ich meine, meine Damen und Herren von der CDU, daß die Feststellungen, die ich getroffen habe, mehr über Ihren Minister und über seinen Einfluß im Kabinett aussagen als die vielen Detailvorstellungen, die er vorgetragen und die Verteidigung seiner Arbeit, die er hier im einzelnen vorgenommen hat.
Das Wort hat die Frau Abgeordnete Dr. Weber.Frau Dr. h. c. Weber (CDU/CSU) (mit Beifall begrüßt): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mir liegt etwas daran, daß die noch nicht gelösten Fragen, über die heute gesprochen worden ist, so gelöst werden, daß wir sagen können: Wir haben gemeinsam daran mitgearbeitet.
Das sage ich Frau Schanzenbach und Frau Keilhack. Wir hatten noch in den vorigen Tagen eine kleine Sitzung, in der wir uns fragten, in welchen Fragen wir größere Klarheit schaffen können, wir uns vielleicht auch entgegenkommen können usw. Uns liegt nichts daran, eine Schranke aufzurichten, die so groß ist, daß man sagen würde: hier CDU und da SPD. Daran liegt uns wirklich gar nichts. Ich bin dankbar dafür, daß bei der Diskussion über die Ehescheidung gesagt worden ist, daß wir damals eine einstimmige Entscheidung hatten. Ich glaube, die FDP war an diesem Tage verhindert, dabei zu sein; aber im übrigen hatten wir wirklich eine einstimmige Entscheidung.Frau Keilhack, ich kann nicht umhin, Ihnen zu sagen, daß alles, was Sie sagen, so scharf klingt, daß man beinahe den Eindruck hat, Sie glauben und hoffen auch gar nicht, daß wir uns in dem einen oder anderen Punkt einigen können. Ja, warum diese Schärfe? Diese Schärfe ist nicht nötig. Frau Schanzenbach spricht schon nicht so scharf wie Sie. Ich weiß nicht, ob das an Hamburg liegt.
— Nein, ich weiß nicht, woran das liegt.Ich muß das heute wirklich einmal sagen, weil ich morgen 80 Jahre alt werde und mich nun mein ganzes Leben lang für die politische Arbeit der Frau eingesetzt habe und zu den ersten Reichstagsabgeordneten gehört habe.
Wir Frauen sollten vor allem vermittelnd sein.
Wir haben im Rechtsausschuß, in dem ich Mitglied bin, eine wirklich gute Atmosphäre. Wir haben auch in dem Ausschuß für das Bundessozialhilfegesetz, wo doch auch Ihre Fraktion vertreten ist, eine gute Atmosphäre, ohne daß wir alle derselben Meinung sind. Wir sind nicht immer derselben Meinung, weiß Gott nicht; aber wir haben eine gute Atmosphäre.Heute abend hatte ich den Eindruck, daß diese gute Atmosphäre nicht vorhanden ist, und das hat mir leid getan. Ich muß das als Frau sagen. Sehen Sie, ich gehöre zu den Abgeordneten der CDU, die eigentlich ein Familienministerium nicht gewollt haben. Damals hatte mir der Kanzler gesagt: „Auch Sie nicht?" Er hat nicht gerade gesagt: „Auch du nicht, mein Sohn Brutus?"
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8750 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 152. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. März 1961
Frau Dr. h. c. Weber
Das hat er nicht gesagt, und das kann er auch schlecht sagen. Aber ich habe ihm gesagt: „Nein, Herr Kanzler, ich bin eigentlich dagegen, weil ein solcher Minister in allen möglichen Fragen eingreifen muß und jedes Ministerium dann sagt, es sei allein zuständig." Ich kenne das doch, weil ich selber von 1920 bis 1933 in einem Ministerium gewesen bin. Ich habe den Frauen in diesem Ministerium, sagen wir ruhig, ein Ansehen und einen Platz geschaffen und sehe auf diese Zeit sehr gern zurück. Ich habe in diesem Ministerium eigentlich nur mit Männern zusammen gearbeitet, mit denen ich sehr gern zusammen gearbeitet habe.
Wenn Sie mich heute fragen, ob ich das Familienministerium noch wünsche, dann werde ich sagen: Ja. Denn was der Herr Minister Wuermeling mit sehr viel Arbeit und auch mit sehr viel Diskussionen in seiner eigenen Fraktion erreicht hat, das ist viel. Heute habe ich gedacht: wenn er nur aufhören wollte!
Es war mir zuviel.
Sehen Sie, ich bin Rheinländerin und nehme nun einmal die Sachen von der Höhe her. Darin kennt mich der Rechtsausschuß — auch die Kollegen von der SPD im Rechtsausschuß, mit denen ich gut zusammenarbeite — sehr gut. Ich habe heute sogar gedacht — das will ich offen sagen —: Dieser Mann, der hier so ganz männlich aufgetreten ist
— Ja, das tat er. Er ist auch ein ganzer Mann, aber er hat ein mütterliches Herz.
— Ja, das hat er.
Er kann sich sehr aufregen — glauben Sie es mir; Sie in den anderen Fraktionen sehen ihn ja nicht so menschlich, wie wir ihn sehen — über Familien, die keine Wohnungen haben, er kann sich aufregen,— er hat das ja alles aufgezählt, acht Punkte; beim sechsten habe ich gedacht: wenn er nur aufhören wollte. Ja, er kann sich aufregen — und das ist richtig — über die Not der Kinder, über die Not der verlassenen Ehefrauen.Wir haben im Rechtsausschuß den Beschluß einstimmig gefaßt. Die Sozialdemokratie war genauso dafür wie wir. Ich bin dafür sehr dankbar. Ich will gar nicht sagen: das ist ein Vorschlag der CDU und CSU. Daran liegt mir gar nichts. Mir liegt am Tage vor meinem 80. Geburtstag daran, zu sagen, was uns mit der Sozialdemokratie verbindet. Mir liegt etwas daran, zu sagen, was uns mit der FDP verbindet. Ich habe im Jahr 1922 genauso wie Frau Lüders an dem Reichsjugendwohlfahrtsgesetz mitgearbeitet. Die Fürsorgepflichtverordnung, das Gesetz zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten,an wie vielen Gesetzen haben wir Frauen schon mitgearbeitet! Der Unterschied zwischen dem Reichsjugendwohlfahrtsgesetz von 1922 und der Novelle von heute ist nicht so groß, Frau Keilhack, wie Sie ihn dargestellt haben.Es wird immer von Konfessionalisierung gesprochen. Ich hasse dieses Wort. Wer einen neutralen Kindergarten wünscht, der soll einen neutralen Kindergarten haben. Dann soll die Stadt ihn auch schaffen und ihn auch bezahlen. Wir wollen keinen konfessionellen Kindergarten oder Kinderhort. Wir wollen weiß Gott keinen dort hineinzwingen, der dort nicht hinein will. In der Beziehung bin ich eine Parlamentarierin und Demokratin, die das verteidigen will, was hier zu verteidigen ist.Ich will hier keine Rede mehr halten. Wir sind alle viel zu müde dazu. Ich werde mich auf wenige Bemerkungen beschränken. Herr Wuermeling, Sie haben viel Kritik gehört. Nun ja, Sie können aber auch viel auf Ihrem Buckel vertragen.
Ich möchte Ihnen heute danken - ich kann nur sagen: im Namen meiner Fraktion, obwohl ich die nicht gefragt habe.
— Ich tue allerlei, meine sehr Verehrten! Also hier habe ich meine Fraktion gar nicht gefragt; ich tue das dann eben persönlich. Ich möchte Herrn Wuermeling heute danken für alles das, was er geleistet hat, auch an schwierigen Debatten mit seiner eigenen Fraktion — glauben Sie es mir nur —, beim Kindergeld und auch jetzt bei der Novelle.
— Nun seien Sie doch nicht so! Sie sind doch sonst nicht so, ich kenne Sie doch. Sie können auch anders sprechen.Herr Wuermeling, ich möchte Ihnen heute danken. Man soll einmal danken, auch wenn man nicht mit allem einverstanden ist. Auch ich bin nicht mit allem einverstanden.
Aber ich möchte nicht, daß Sie am heutigen Abend wieder nervös werden. Die Männer, das habe ich gestern abend gemerkt, werden viel eher nervös — sie mögen mir das nicht übel nehmen — als wir Frauen.
— Gestern abend waren Sie doch so nervös, daß ich dachte: hoffentlich hört das bald auf.
Ihr seid viel eher nervös als wir, und das möchte ich nicht; denn sobald man nervös wird, sagt man auch Dinge, die man eigentlich nicht sagen sollte und die man eigentlich nicht sagen will.
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 152. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. März 1961 8751
Frau Dr. h. c. Weber
Ich möchte also Herrn Wuermeling im Namen meiner Fraktion — ob Sie das jetzt wollen oder nicht; ich frage Sie nicht danach —
herzlich danken für alles, was er getan hat.
Glauben Sie mir nur, er wird alles tun — und wir werden auch viel mit ihm zu leiden haben —,
um diese Kindergeldangelegenheit wirklich unter Bach und Fach zu bringen. Es sind noch viele Unvollkommenheiten da. Er wird auch alles tun, meine sehr Verehrten, und wir mit ihm, um bei der Novelle zum Reichsjugendwohlfahrtsgesetz in irgendeiner Weise das fertigzubringen, was auch die Sozialdemokraten und kommunalpolitischen Verbände fordern. Was mich so in Rage bringt, ist, daß sie sagen, wir wollten das Leben verkonfessionalisieren — wir wollen das gar nicht — und wir wollten die Jugendämter - um Gottes willen, wie könnte ich dafür sein?, dafür bin ich weiß Gott nicht! - lahmlegen, oder wie das alles heißt.Liebe Frau Keilhack — ich spreche Sie wirklich als „liebe Frau Keilhack" an, ja, das tue ich; wie könnte ich denn einen meiner Kollegen oder eine meiner Kolleginnen nicht lieben? —, wir haben uns wirklich alle: Mühe gegeben und werden uns weiter alle Mühe geben. Seien Sie ein wenig mehr optimistisch und vertrauensvoll, wie wir das in der genzen deutschen Politik sein müssen. Wie wollen wir Berlin retten, auch die Ostzone retten, das Problem der Oder-Neiße-Linie lösen und alles das erreichen, wenn wir nicht zukunftsfreudig sind?
Das will ich bleiben bis an mein Lebensende, und so will ich auch darin zukunftsfreudig bleiben, Herr Minister, daß die Kindergeldangelegenheit wirklich gut unter Dach und Fach kommt — sie ist es noch nicht — und daß auch bei der Novelle noch einige Änderungen erfolgen können, so daß auch Frau Keilhack sagen wird, sie sei nun zwar nicht ganz zufrieden, aber sie sei in etwa erleichtert. Das nehme ich der Frau Keilhack gar nicht übel, daß sie ihre eigene Meinung darüber hat. Sie ist, das weiß ich, eine tüchtige Frau, die ihre Meinung hat.Nun will ich aufhören, weil ich weiß, daß es jetzt lange genug war. Ich will nur noch einen Satz sprechen. Ich habe einen Kalender bekommen, auf dem steht: Seid nett miteinander!
So sage ich denn zuletzt: Wir wollen nett miteinander sein.
Je, gewiß, so nett miteinander, daß jeder als Demokrat seine Meinung vertreten kann als Demokrat und sein Recht als Parlamentarier vertreten kann. Das möchte ich sagen am Tage vor meinem 80. Geburtstag.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Schanzenbach.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren und — das darf ich jetzt noch sagen — liebe Frau Weber!
— Aber, Frau Weber, wie kann das anders sein, nachdem ich Sie seit 1929 kenne und Sie seither in guter Erinnerung habe und Sie sehr verehre. Damals waren Sie noch eine junge Frau und ich ein junges Mädchen. Damals haben Sie, als ich Schülerin der Arbeiterwohlfahrt-Schule in Berlin war, bei uns einen Vortrag über die Aufgaben des Caritas-Verbandes gehalten. Wir haben uns in derselben Arbeit hier im Parlament wiedergefunden.Ich komme aber nicht nur deswegen noch einmal an diesen Platz, um Ihnen ein Kompliment zu machen. Das erste, was ich sagen möchte, ist: Ich glaube, Sie haben meiner Kollegin Frau Keilhack Unrecht getan.
— Ja, das weiß ich, und darum möchte ich das richtigstellen, weil da nichts zurückbleiben soll, weil wir Sie, verehrte Frau Weber, in guter Erinnerung haben möchten, besonders an Ihrem 80. Geburtstag. Ich glaube, daß wir Frauen es im politischen Leben sehr schwer haben — Frau Weber, das werden Sie mir zugeben —,
weil wir in einer Welt arbeiten müssen, die noch ganz vom Mann geprägt ist.
Wenn wir uns durchsetzen wollen, müssen wir mit Argumenten arbeiten, die die Männer verstehen. Wenn wir die Argumente so vortragen, daß die Männer glauben, wir würden das nur aus einem guten Herzen heraus tun, dann nehmen sie uns als Frauen nicht ernst.Wenn wir uns aber mit den Argumenten auseinandersetzen, die Herr Rollmann vorgetragen hat — und er war in seiner Argumentation keineswegs liebenswürdig, sondern sehr hart —, nimmt man diese Argumentation einer Frau nicht ab, sondern dann sagt man, sie sei hart.Wir kennen Frau Keilhack als eine sehr gute Debatterin, als eine sehr kluge Frau, und, ich glaube, alle Herren, die im Bundestag sind, wissen, daß man ihre Argumente wägen muß.
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8752 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 152. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. März 1961
Frau SchanzenbachAber wir kennen sie nicht nur als eine tüchtige, sondern auch als eine menschlich sehr hilfsbereite und warmherzige Frau. Ich glaube deshalb, daß ich einfach verpflichtet bin, zu sagen: Frau Weber, Sie wissen das, und die anderen mögen es zur Kenntnis nehmen.Aber sonst, Frau Weber, sind wir von der SPD der Auffassung, daß wir so viele Gemeinsamkeiten wie nur möglich suchen sollten. Das wünschen wir uns alle zu Ihrem 80. Geburtstag.
Dieser Huldigung des Hauses an die achtzigjährige Frau Helene Weber wird der Präsident des Hauses, wie es sich geziemt, die Glückwünsche des Hauses folgen lassen.
Damit kehren wir zur Arbeit des Hauses zurück, meine Damen und Herren.
Wortmeldungen liegen nicht mehr vor. Wir kommen zur Schlußabstimmung in zweiter Lesung zum Einzelplan 29, Geschäftsbereich des Bundesministers für Familien- und Jugendfragen. Wer zustimmen will, gebe ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei zahlreichen Enthaltungen ist dieser Einzelplan ohne Gegenstimmen angenommen.
Ich rufe auf:
Einzelplan 31 — Geschäftsbereich des Bundesministers für Atomkernenergie und Wasserwirtschaft
Ich frage den Herrn Berichterstatter, ob er das Wort wünscht. — Der Herr Berichterstatter verzichtet, weil er krank ist.
Änderungsanträge liegen nicht vor. Ich frage, ob das Wort gewünscht wird. — Das Wort hat der Herr Abgeordnete Memmel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zwei Anmerkungen zum Einzelplan 31. Wenn Sie den Einzelplan 31 Seite 23 aufschlagen, finden Sie heuer zum ersten Mal bei dem Tit. 891, der im vorigen Jahr mit 16,7 Millionen DM bedacht war, einen Strich. Das bedeutet nun nicht, daß die Bundesregierung für „Maßnahmen zur Förderung der Projektierung und Errichtung von Versuchsreaktoren" — so lautet nämlich dieser Titel — nichts mehr auswirft, sondern der Titel ist mit 21 Millionen DM in den außerordentlichen Haushalt hinübergewechselt. Daß wir vom Fachausschuß diese Tatsache bedauern, ist selbstverständlich; denn die Förderungstätigkeit auf diesem Gebiet ist das Kernstück der künftigen Aufgaben des Ministeriums. Diese Bemerkung hat auch der Herr Berichterstatter, Dr. Gleissner, in seinem Schriftlichen Bericht zu Drucksache 2522 angebracht.Auch der Haushaltsausschuß selbst hat in seiner Sitzung vom 3. November 1960 Bedenken gegen diese Verschiebung in den außerordentlichenHaushalt geäußert und für die Schlußberatung des Bundeshaushalts die Rückübernahme in den ordentlichen Haushalt in Aussicht genommen. Auch diese Tatsache erwähnte der Herr Berichterstatter dankenswerterweise in seinem Bericht. Aus dieser Absicht des Haushaltsausschusses ist jedoch wegen der Deckungsschwierigkeiten für den außerordentlichen Haushalt nichts geworden.Nun werden Sie fragen, warum der Atomausschuß und die sonst an dieser Materie interessierten Mitglieder dieses Hohen Hauses keinen Änderungsantrag zur zweiten Lesung gestellt haben, was nahegelegen hätte. Darauf kann ich Ihnen sagen, daß der Herr Bundesfinanzminister und der Herr Staatssekretär zugesagt haben, den Titel auch im außerordentlichen Haushalt zu bedienen und im Haushaltsplan 1962 wieder in den ordentlichen Haushalt einzustellen. Im Vertrauen auf diese Zusage ist ein Änderungsantrag unterblieben.Sie werden mich nun fragen, warum trotz der Bedienungszusage hier noch Bedenken gegen die Einstellung im außerordentlichen Haushalt geäußert werden. Dazu darf ich folgendes erklären. Das kleine Reaktorenprogramm — vollständig heißt es „Reaktorexperimente zur Entwicklung fortgeschrittener Reaktortypen" — bedeutet für die ausführenden Firmen eine erhebliche Belastung, daß sie sich personell und auf sachlichem Gebiet für lange Zeit engagieren müssen, und zwar ohne jede Sicherheit, daß das Reaktorexperiment auch wirklich zu einem Erfolg, nämlich zu einem dann wirtschaftlichen Reaktortyp führen wird.Der technische Fortschritt verlangt aber zwingend, 1 daß sich auch die deutsche Industrie an der Entwicklung von Reaktoren der zweiten Generation beteiligt. Wir sind ohnehin ein nuklear unterentwickeltes Land, wie Sie vielleicht in der vorigen Woche in verschiedenen Zeitungen gelesen haben — richtiger wäre allerdings der Ausdruck: ein im Reaktorbau zurückgebliebenef Land —, weil wir uns nach dem Krieg jahrelang mit solchen Projekten nicht beschäftigen durften.Wenn nun aber die Reaktorbaufirmen sich auf lange Zeit für ein Entwicklungsprogramm fortgeschrittener Reaktoren engagieren, müßte auch das finanzielle Förderungsengagement des Bundes langfristig sein. Das heißt, daß dieses Programm nicht alljährlich bei den Beratungen des Haushalts wieder in Frage gestellt werden dürfte. Die Voraussetzung für eine Bindungsermächtigung ist jedoch, daß der Titel im Ordinarium verankert wird. Außerdem ist dieser Titel, wie Herr Dr. Gleissner in seinem Bericht richtig schreibt, das Herzstück des Ministeriums, und ein Herzstück sollte nicht im außerordentlichen Haushalt stehen.Ich habe noch einen zweiten Schönheitsfehler an diesem Haushaltsplan zu bemängeln, und zwar betrifft das den Tit. 950. Der Haushaltsausschuß hat bei Tit. 950 den Vermerk angebracht, daß sich der Bund bei den Mitteln für Baumaßnahmen nur mit höchstens 50 % beteiligt. In seiner 139. Sitzung hat der Haushaltsausschuß am Vormittag mit 8 gegen 6 Stimmen den Beschluß gefaßt, daß überhaupt für alle Mittel die 50-%-Klausel gilt. Gott sei Dank hat
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Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 152. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. März 1961 8753
Memmeler dann am Nachmittag diesen Beschluß rückgängig gemacht bzw. dahingehend eingeschränkt, daß die 50-%-Klausel nur für Baumaßnahmen gilt. Diese Beschränkung bedeutet aber eine gewisse Härte und eine gewisse Behinderung. Ich darf darauf hinweisen, daß die Länder an manchen Objekten nicht so interessiert sind wie das Ressortministerium und daß die Länder infolge ihrer anderen Aufgaben auch nicht die Mittel haben, die man für solche Typen braucht.Es wäre zu begrüßen, wenn diese beiden Schönheitsfehler beim nächsten Haushaltsplan ausgebügelt werden könnten bzw. wenn der Herr Bundesfinanzminister- oder der Herr Staatssekretär auch hier eine entsprechende Zusage machen könnte.
Keine weiteren Wortmeldungen.
Wir kommen zur Abstimmung. Wer dem Einzelplan 31, Geschäftsbereich des Bundesministers für Atomkernenergie und Wasserwirtschaft, zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Dieser Einzelplan ist einstimmig angenommen.
Ich benutze die Gelegenheit, mich zu korrigieren: Beim Einzelplan 29 habe ich übersehen, daß die FDP dagegen gestimmt hat.
— Also zwei Gegenstimmen bei der FDP; der übrige Teil war nicht anwesend. Ich habe jedenfalls das Abstimmungsergebnis auf diese Weise korrigiert; an der Entscheidung ändert sich nichts.
Ich rufe auf:
Einzelplan 60 — Allgemeine Finanzverwaltung
Das Wort hat der Berichterstatter, Abgeordneter Dr. Aigner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nur ein paar Bemerkungen zum Einzelplan 60!Zunächst zu den Steuerschätzungen: Sie mußten revidiert werden, und zwar mit einer Höherschätzung von 2,4 Milliarden DM, weil in diesem Jahr erstmals — wegen der Angleichung des Haushaltsjahres an das Kalenderjahr — bei Abschluß der Beratungen die Ist-Ergebnisse des Vorjahres vorlagen. Ich darf die Ist-Ergebnisse kurz vortragen. Für den Bund betrugen die Steuereinnahmen im Jahre 1960 36 373,8 Millionen DM, für die Länder 20 395,6 Millionen und für die Gemeinden 9,7 Milliarden, alles zusammen 66 469,4 Millionen. Wenn die Sonderabgaben in Höhe von rund 2 Milliarden hinzugenommen werden, sind es 68 512 100 000 DM. Bei einem Sozialprodukt von rund 291 Milliarden sind das rund 23,5 %. Die Zuwachsrate beim Bund gegenüber der Ist-Zahl 1959 betrug 14,9 %, bei den Ländern 22,1 % und bei den Gemeinden 11 %; der Durchschnitt ist also 14,9 %, genau die Zuwachsrate beim Bund, die auch 14,9 % beträgt.Ich glaube, daraus ist ersichtlich, daß ein Finanzausgleich eigentlich nur zwischen den Ländern und Gemeinden notwendig ist.Zur Ausgabenseite darf ich nur die neuen Ausgaben noch einmal erwähnen. Wir haben einen neuen Titel in Höhe von 500 Millionen, einen sogenannten Verstärkungstitel für die Beamtenbesoldungserhöhung einsetzen müssen. Für die Saar-Eingliederung sind noch einmal 25 plus 18 Millionen einzusetzen gewesen, weiter 15 Millionen neu zur Verzinsung der Anleihe der Wirtschaft für die Entwicklungshilfe, dann ein neuer Titel in Höhe von 1 Million DM für die neuerrichteten Sozialwerke der Bundesregierung, für die Volkszählung 23 Millionen DM, zum erstenmal auch die Ausgabenseite hinsichtlich der Heizölsteuer mit 78 Millionen soziale Anpassungshilfe und 104 Millionen Frachthilfe. Die Entschädigung für die Verfolgten mußte ebenfalls noch einmal um 200 Millionen erhöht werden auf insgesamt 1,5 Milliarden DM.Als neuer Titel — damit darf ich schließen — wurde zum erstenmal eingefügt der im außerordentlichen Haushalt Kap. A 60 07 stehende Tit. 570 der Entwicklungshilfe. Hier sind 1,5 Milliarden DM eingesetzt, die Anleihe der Wirtschaft, und nachrichtlich die übrigen Leistungen aufgeführt. Ich darf sie zur Veröffentlichung ganz kurz erwähnen. Es sind im Auswärtigen Amt: Förderung von entwicklungsfähigen Ländern 85 Millionen DM im Kap. 05 02 Tit. 669, Kap. 05 02 Tit. 302 18 Millionen DM, Kap. 05 02 Tit. 303 — Förderung auf dem Gebiete des Schul- und Erziehungswesens — 33 700 000 DM, Zuschuß an die Weltgesundheitsorganisation 500 000 DM, mögliche Inanspruchnahme aus Sicherheitsleistungen und Abwendung von Schadensfällen 140 Millionen DM, Beitrag zum Entwicklungsfonds überseeischer Länder und Hoheitsgebiete 189 Millionen DM, Erhöhung des Kapitalanteils bei der Weltbank 32 760 000 DM, Kapitalanteil der Bundesrepublik Deutschland am Internationalen Entwicklungsfonds 42 818 200 DM,
insgesamt 541 778 200 DM.
Hierzu kommt das ERP-Sondervermögen. Verzinsung und Tilgung für Kredite 24 380 000 DM, Finanzierungshilfen zugunsten von Entwicklungsländern 150 Millionen DM, Finanzierungshilfen für Investitionen und Niederlassungen in Entwicklungsländern 10 Millionen DM, Förderung für den Erfahrungsaustausch, Ausbildung von Fachkräften 3 Millionen DM, Darlehen aus dem Erlös der Volkswagenwerk-Stiftung 500 Millionen DM, insgesamt also aus ERP-Vermögen 687 380 000 DM. Hinzu kommen eine Finanzierungshilfe von 500 Millionen von der Ländern und weitere 300 Millionen der Kreditanstalt für Wiederaufbau. Das sind zusammen, wenn ich die Bundesmittel, ERP-Sondervermögen, Mittel der Länder und der Kreditanstalt zusammenzähle, insgesamt 4 029 158 200 DM.Ich glaube, ich durfte diese Zahlen nennen, um sie auch in der Öffentlichkeit bekanntzumachen.
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8754 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 152. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 16. März 1961
Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Wird das Wort gewünscht? — Das Wort wird nicht gewünscht.
Herr Berichterstatter, ich werde darauf aufmerksam gemacht, daß in dem Mündlichen Bericht ein Druckfehler zu berichtigen sei, und zwar auf Seite 3 bei Kap. 60 02 Tit. 300. Ich will die Millionen gar nicht erwähnen, denn ich höre die ganze Zeit immer nur „Millionen".
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist richtig, in dem Bericht über den Einzelplan 60 ist ein Schreibfehler unterlaufen. Die richtige Zahl bei Kap. 60 02 Tit. 300 ist 524 868 000.
Das Haus hat das zur Kenntnis genommen.
Keine Wortmeldungen? — Abstimmung! Wer dem Einzelplan 60 — Allgemeine Finanzverwaltung zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen.
— Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das erste war die Mehrheit. Der Einzelplan 60 ist in zweiter Lesung angenommen.
Ich rufe auf:
Haushaltsgesetz 1961
Ich frage den Herrn Berichterstatter, ob er das Wort wünscht.
— Der Herr Berichterstatter verweist auf den schriftlich vorliegenden Mündlichen Bericht. Ich bedanke mich bei dem Herrn Berichterstatter.
Ich rufe § 1, — § 2 auf. — Keine Wortmeldung! Wer zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen?
— Sind das Gegenstimmen?
— Ich bin ja schon bei der Feststellung der Enthaltungen gewesen. — Die §§ 1 und 2 sind einstimmig angenommen.
§ 3 Dazu liegt auf Umdruck 806 ein Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU vor. Wird zur Begründung des Änderungsantrages das Wort gewünscht? Herr Abgeordneter Dr. Vogel!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nur ein paar ganz kurze Worte! Dieser Antrag trägt dem allgemeinen Wunsche des Hohen Hauses Rechnung, möglichst viel Bauland, das im Besitz des Bundes ist, für Zwecke des sozialen Wohnungsbaus zur Verfügung zu stellen, und zwar mit der ausdrücklichen Bestimmung, daß bundeseigene unbebaute Grundstücke unter dem vollen Wert veräußert werden. Das ist das entscheidende. Es ist eine außergewöhnliche Maßnahme.
Wegen dieser Außergewöhnlichkeit sollte sie hier ausdrücklich erwähnt werden. Ich glaube, wir halten die Maßnahme alle miteinander für notwendig. Der Haushaltsausschuß hat dafür Sorge getragen, daß mit dieser Ausnahmebestimmung weder nach oben noch nach unten Mißbrauch getrieben werden kann.
Ich empfehle den Antrag Ihrer Zustimmung.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.
Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Umdruck 806! Wer zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! Enthaltungen? Der Änderungsantrag 806 ist einstimmig angenommen.
§ 3 in der so geänderten Fassung! Wer zustimmen will, gebe bitte ein Handzeichen. — Gegenprobe! - Enthaltungen? — Einstimmig!
§§ 4, 5, 6, 7, 8, 9, 9 a, 10, 11, 12, 13, 13a! Soweit keine Änderungsanträge! Wird das Wort gewünscht? — Das Wort wird nicht gewünscht! Wer den aufgerufenen Paragraphen zustimmen will, gebe bitte ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? Bei zahlreichen Enthaltungen angenommen!
Ich rufe § 14 auf! Dazu liegt auf Umdruck 797 ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD vor. Zur Begründung der Herr Abgeordnete Dr. Schäfer!
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir hatten im letzten Haushaltsgesetz 1960 einen § 14, in dem es hieß: Der Bundesminister der Finanzen kann zulassen, daß Schulbeihilfen an Bundesbedienstete nach Maßgabe besonderer Richtlinien, die der Zustimmung des Haushaltsausschusses bedürfen, gewährt werden. Der Begriff der Schulbeihilfen wurde sehr eng ausgelegt; es kamen nur Kinder in Frage, die auf die höhere Schule gingen.Wir sind der Auffassung und haben sie auch schon im Haushaltsausschuß vertreten, daß es unrecht ist, nur die Kinder zu berücksichtigen, die die höhere Schule besuchen. Wir sind der Auffassung, daß Kinder, die eine gewerbliche Lehre durchmachen, genauso in den Genuß dieser Beihilfe kommen müssen. Natürlich mag sich das finanziell etwas anders auswirken. Diejenigen, die in die Lehre gehen, haben schon ein gewisses eigenes Einkommen. Aber es ist eine Verletzung des Grundsatzes der Gleichheit, eine Verletzung des Grundsatzes der gleichen Chancen in gleicher Situation. Im wesentlichen bezieht es sich auf Angehörige der Bundeswehr und da wiederum insbesondere auf das technische Personal. Stellen wir uns z. B. vor, daß ein Angehöriger der Bundeswehr in Bonn stationiert ist, und sein Junge in einer technisch qualifizierten Lehre im dritten Lehrjahr ist. Wird der Vater nun auf einen entfernten Flugplatz versetzt, muß der Junge eben hier bleiben. Dann muß die Möglichkeit bestehen, daß er seine Lehre ordnungsgemäß hier zu Ende führt und
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Dr. Schäfernicht aus dieser Lehre herausgerissen wird. Das heißt, man muß genauso wie beim Schulbesuch Möglichkeiten für internatsmäßige Unterbringung schaffen und muß die Kosten auf den Bundeshaushalt übernehmen. Es ist einfach ungerecht, diejenigen, die die höhere Schule besuchen, anders zu behandeln als die übrigen. Das eine ist so notwendig wie das andere; sonst wird der Gleichheitsgrundsatz verletzt.Wenn unser Antrag angenommen wird — und ich möchte wirklich wünschen, daß er angenommen wird —, kommt es auf die Fassung der Richtlinien an. Im letzten Jahr ist uns ein Fehler unterlaufen,
indem wir nicht von vornherein eine Formulierung gewählt haben, die alle berücksichtigt. Die Richtlinien, die der Haushaltsausschuß ja genehmigen muß, können so gefaßt werden, daß sie sich im Rahmen des Erträglichen und des finanziell Möglichen halten.Ich darf Sie bitten, entsprechend dem Grundsatz der Gleichheit vor dem Gesetz dem Antrag zuzustimmen.
Herr Abgeordneter Dr. Stoltenberg!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Antrag, den Kollege Schäfer begründet hat, ist bereits im Haushaitsausschuß gestellt, eingehend erörtert und dort abgelehnt worden. Ich glaube auch nicht ganz, daß es eine Zufallsentscheidung oder lediglich eine Frage der Formulierung war, wenn wir ihm im vergangenen Jahr nicht zustimmen konnten. Ich möchte in aller Kürze darlegen. daß unseres Erachtens doch ein wesentlicher Unterschied zwischen der Bestimmung über Schulbeihilfen, der wir zugestimmt haben, und der über Ausbilldungsbeihilfen besteht. Wir haben der Bestimmung über Schulbeihilfen unter dem Gesichtspunkt zugestimmt, den Herr Schäfer schon erwähnte, ais einem Sonderfall fär einen kleinen Kreis von Bundesbediensteten - so sehen es auch die Richtlinien vor —, die an entlegenen Standorten der Bundeswehr oder anderen entsprechenden Dienststellen auch infolge häufiger Versetzung Schwierigkeiten haben, ihren Kindern eine angemessene Ausbildung zuteil werden zu lassen. Das ist ein Ausnahmefall.
Bei den Erziehungs- und Ausbildungsbeihilfen ist zweifellos eine andere Situation gegeben. Hier ist es ich will nicht sagen: der Regelfall - doch ein häufig gegebener Tatbestand, daß die Ausbildung fernab vom Wohnort der Eitern erfolgt, bei Hochschulen, Universitäten und Fachschulen ohnehin, aber auch zunehmend in der gewerblichen Wirtschaft. Wir meinen deshalb, daß hier die staatliche Fürsorge auch für die öffentlichen Bediensteten nach den allgemeinen Grundsätzen erfolgen sollte, wie sie in verschiedenen gesetzlichen Bestimmungen des Bundes und der Länder über die Gewährung von
Ausbildungsbeihilfen gegeben sind. Die Kinder von Bundesbediensteten sollen genauso gefördert werden wie Kinder aus anderen Berufszweigen. Die Zahlen dürften sich sonst auf mehrere hundert Millionen im Jahr belaufen. Aus diesem Grunde sehen wir uns nicht in der Lage, dem Antrag der Sozialdemokratie zuzustimmen.
Keine weiteren Wortmeldungen. Ich lasse über diesen Änderungsantrag abstimmen. Wer zustimmen will, gebe bitte ein Landzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das letzte war die Mehrheit. Der Änderungsantrag auf Umdruck 797 ist abgelehnt.
§ 14 entfällt. — §§ 15, - 16, — 17, — 18; soweit keine Änderungsanträge. Wird das Wort gewünscht? - Das Wort wird nicht gewünscht. Wer zustimmen will, bitte ein Handzeichen. — Gegenprobe! - Enthaltungen? — Bei Enthaltungen sind diese Paragraphen angenommen.
Zu § 19 liegt ein interfraktioneller Änderungsantrag auf Umdruck 785 vor. Wird .das Wort dazu gewünscht? - Das Wort wird nicht gewünscht. Wer diesem interfraktionellen Änderungsantrag auf Umdruck 785 zustimmen will, bitte ein Handzeichen. —Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.
§ 19 in der so geänderten Fassung! Wer zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? - § 19 ist in der geänderten Fassung. bei zahlreichen Enthaltungen angenommen.
§§ 20, 21, - 22, - 23, — 24, —25, — 26, — 27
und 28. -- Zu diesen Paragraphen liegen keine Änderungsanträge vor. Wird zu den aufgerufenen §§ 20 bis 28 das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Wer zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen - Gegenprobe! — Enthaltungen? -Diese Paragraphen sind bei zahlreichen Enthaltungen angenommen.
§ 29 und dazu .der Änderungsantrag der Fraktion der CPU/CSU nut Umdruck 823! Wird dazu das Wort gewünscht? - Herr Abgeordneter Dr. Vogel!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die ungewöhnliche Höhe der Summe von 1,5 Milliarden DM erfordert es, daß man noch einige Worte dazu sagt. Die Deutsche Bundesbank hat durch die Änderung des Wechselkurses der D-Mark zum Dollar einen buchmäßigen Verlust von erheblicher Höhe erlitten. Der Betrag übersteigt rechnerisch nicht nur das gesamte Grundkapital, sondern auch alle Rücklagen der Deutschen Bundesbank. Die Tatsache, daß der Bund der alleinige Träger der Bundesbank ist und ihre Gewinne regelmäßig in den Bundeshaushalt hineinfließen, macht es erforderlich, daß hier eine Regelung getroffen wird, durch die der rechnungsmäßige Fehlbetrag in irgendeiner Weise bei der Bundesbank wieder erwirtschaftet werden kann.Vermutlich werden in den kommenden Jahren—vielleicht in zehn und mehr Jahren — keine Ge-
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Dr. Vogelwinne mehr aus der Bundesbank in den Bundeshaushalt hineinfließen können. Durch Annahme des vorliegenden Änderungsantrages zu § 29 wird der Bundesregierung die Möglichkeit gegeben, eine entsprechende Vereinbarung mit der Deutschen Bundesbank zu treffen.Ich bitte Sie, dieser Notwendigkeit Rechnung zu tragen und infolgedessen der Änderung des § 29 Ihre Zustimmung zu erteilen.
Herr Abgeordneter Schoettle!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Was hier beschlossen werden soll, ist nicht schön. Es ist eine zwangsläufige Folge der Maßnahme, die die Bundesregierung beschlossen hat, nämlich der Aufwertung der D-Mark. Es ist deshalb nicht schön, weil es sozusagen aus der kalten Hand hier auf den Tisch des Hauses gelegt wird, gerade bei Schluß der Haushaltsberatungen. Immerhin, eineinhalb Milliarden sind keine Kleinigkeit! Ich sage das nicht, um jetzt zu erklären, daß wir Sozialdemokraten diesem Antrag nicht zustimmen. Wir stimmen ihm zu, weil wir es für unausweichlich halten. Aber ich möchte doch Bedenken gegen die Form der Erledigung aussprechen. Eine solche Belastung berührt ja doch in irgendeiner Weise den Bundeshaushalt. Ob das nun in Form von Ausfällen durch geringere oder gar keine Gewinnüberweisungen der Bundesbank an den Bundeshaushalt oder in einer anderen Weise geschieht, spielt keine Rolle. Auf jeden Fall berührt es den Haushalt. Deshalb sage ich noch einmal: die Methode ist nicht schön. Aber wir schlucken zweimal, weil wir glauben, daß es in dieser Situation nicht anders geht.
Keine weiteren Wortmeldungen. Wer diesem Änderungsantrag auf Umdruck 823 zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei Enthaltungen der FDP ist dieser Änderungsantrag angenommen. § 29 ist damit angenommen.
Ich rufe auf die §§ 30, — 31, — 32, — 33, — Einleitung und Überschrift. — Änderungsanträge liegen dazu nicht vor. Wird das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Wer zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei zahlreichen Enthaltungen angenommen. Damit ist das Haushaltsgesetz 1961 in zweiter Lesung angenommen. Meine Damen und Herren, daher sind wir mit dem gesamten Haushalt in der zweiten Lesung am Ende.
Ich habe mich soeben mit den Herren Fraktionsgeschäftsführern, soweit sie im Saal anwesend sind, verständigt, ob wir mit der dritten Lesung beginnen sollen. Die Fraktionsgeschäftsführer — die es ja wissen müssen — huldigen dem Optimismus, will ich einmal vorsichtig sagen, daß wir morgen in der normalen Zeit fertig werden. Wir beginnen morgen vormittag um 9 Uhr. Ohne Fragestunde oder mit Fragestunde? —
— Meine Damen und Herren, ich kann die Fragen nicht übergehen. Die wenigen Fragen, die da sind, müssen zunächst aufgerufen werden. Ich schätze, das wird eine Viertelstunde dauern.
— Die Berichte des Vermittlungsausschusses werden ebenfalls keine lange Debatte ergeben. Ich schätze also, daß wir etwa um 9.30 Uhr mit der dritten Lesung des Bundeshaushalts beginnen können. Wenn das, was mir von den Fraktionen angekündigt ist, auch eingehalten wird, würde ich sogar der optimistischen Schätzung zufallen, daß wir morgen zwischen 13 und 14 Uhr mit dem Bundeshaushalt zu Ende sind. Es liegen relativ wenige Änderungsanträge vor, wohl aber eine Reihe von Entschließungsanträgen, über die nach der dritten Lesung verhandelt und abgestimmt werden muß.
In Anbetracht dieser Situation halte ich es für vertretbar, Feierabend zu machen und morgen vormittag um 9 Uhr wieder zu beginnen. — Es ist so beschlossen.
Ich schließe die Sitzung.