Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.
Meine Damen und Herren! Der Bundestag hat die Freude, sechs Mitglieder des englischen Unterhauses heute hier begrüßen zu dürfen. Wir freuen uns, daß die Damen und Herren Gäste des Deutschen Bundestages sind. Ich darf sie herzlich willkommen heißen.
Vor Eintritt in die Tagesordnung darf ich bekanntgeben, daß der Ältestenrat in seiner gestrigen Sitzung einem Wunsche des Herrn Staatssekretärs des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit folgend vereinbart hat, den Punkt 9 in der heutigen Tagesordnung — betreffend Vorlage des OEEC-Berichts an den Ausschuß für Wirtschaftspolitik — vorzuziehen und hinter Punkt 3 zu behandeln.
Die übrigen amtlichen Mitteilungen werden ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:
Auf der 37. Tagung der Internationalen Arbeitskonferenz in Genf vom 2. bis 24. Juni 1954 ist die Empfehlung 98 betreffend den bezahlten Urlaub angenommen worden, die die Bundesregierung nach Art. 19 Nrn. 6 und 7 der Verfassung der Internationalen Arbeitsorganisation dem Bundestag am 14. Januar 1956 vorgelegt hat. Sie ist als Drucksache 2024 verteilt worden.
Der Herr Bundesminister des Innern hat unter dem 3. Januar 1956 die Kleine Anfrage 214 der Abgeordneten Kuntscher, Dr. von Buchka und Genossen betreffend schärfere Überprüfung erziehungsberechtigter Personen in Helmen — Drucksache 1932 — beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 2030 vervielfältigt.
Damit, meine Damen und Herren, kommen wir zur Tagesordnung. Ich rufe auf Punkt 1:
Große Anfrage der Fraktion des GB/BHE und Genossen betreffend Verhalten des Bundeskanzlers gegenüber den Entlassungsgesuchen der Bundesminister Kraft und Professor Dr. Dr. Oberländer .
Ich frage, ob das Wort zur Begründung der Großen Anfrage gewünscht wird. — Bitte sehr, Herr Abgeordneter Engell!
Engell , Anfragender: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Deutsche Bundestag hat in seiner 114. Sitzung vom 1. Dezember 1955 den Antrag meiner Fraktion — Drucksache 1809 — betreffend Entlassung der Bundesminister Kraft und Professor Dr. Dr. Oberländer durch einen Gegenantrag des Abgeordneten Stücklen und Fraktion auf Übergang zur Tagesordnung gemäß § 29 der Geschäftsordnung mit den Stimmen der Fraktion der CDU/CSU abgewürgt.
In den letzten Wochen haben wir alle in zahlreichen Veröffentlichungen von dem Würgegriff gelesen, mit dem der Herr Bundeskanzler und seine Mehrheitspartei über das Wahlgesetz die kleineren Parteien der Bundesrepublik in ihrer Existenz oder Eigenständigkeit zu bedrohen suchen. In beiden Fällen handelt es sich um die zentralen Probleme der parlamentarischen Demokratie — Verhältnis von Regierung und Parlament und Wahlgesetz —, also um die Verfassungswirklichkeit, welche in dieser völlig unvertretbaren Weise von verantwortlichen Stellen behandelt werden. Wir sind der Meinung, daß wir als ein Mitgliedstaat der freien Welt, worauf wir uns so viel zugute halten, es in gar keinem Falle zulassen sollten, daß für den Gebrauch derartiger Vokabeln begründeter Anlaß gegeben wird. Für die Bundesrepublik kommt noch erschwerend hinzu, daß in letzter Zeit von östlicher Seite die Freiheiten in unserem Lande in Zweifel gezogen oder bestritten werden.
Der Herr Bundeskanzler hat in seiner Weihnachtsansprache ausgeführt:
Allen, die in diesen Tagen den Willen und die Kraft haben, nachzudenken, möchte ich zurufen: Ungeheuer sind die Gefahren, die den Menschen, die insbesondere uns Deutschen und unserer Heimat drohen.
Wie begegnet man aber in der Praxis der Bundesrepublik diesen Gefahren, die auch unser politisches Gewissen beschweren? Hier von dieser Stelle und in der gesamten Öffentlichkeit ist so oft geklagt worden, daß die verhärteten politischen Fronten bei uns den erforderlichen gemeinsamen Einsatz von Regierung und Opposition für die Lebensfragen unseres Volkes verhindern. Diese Kluft soll offensichtlich durch ein neues Grabensystem noch weiter vertieft werden. Die Pioniere dieser Minierarbeit sind schon mit dem neuen Sprengstoff an das Tageslicht gekommen. Das bestehende Wahlgesetz hat 1953 zu einer arbeitsfähigen Regierungsmehrheit im Parlament geführt, ja darüber hinaus einer Partei die absolute Mehrheit in diesem Hause gebracht. Da die CDU/CSU an eine Wiederholung ihres Wahlerfolges nicht zu glauben scheint,
will sie heute Manipulationen mit dem Wahlgesetz vornehmen, die ihr in jedem Falle die Mehrheit in dem künftigen Bundestag sichern.
— Das sage ich Ihnen jetzt, was das mit dem künftigen Bundestag zu tun hat!
Das heute hier auf Grund unserer Großen Anfrage zur Behandlung anstehende Problem der Ministerentlassung liegt auf genau derselben Linie. Gegen jeden parlamentarischen Brauch werden hier offensichtlich zwei Minister in Ämtern gehalten, um sie heute — und das ist geschehen — und auch für die Bundestagswahl 1957 als mutmaßliche Zubringer von Wählerstimmen für die CDU/CSU einzusetzen.
Das scheint uns der Hauptgrund für das Verhalten des Herrn Bundeskanzlers zu sein.
Mit großer Genugtuung stellen wir fest, daß außerhalb der Bonner Atmosphäre, die sich anscheinend in einem unaufhaltsamen Vergiftungsprozeß befindet, in der Bevölkerung noch Sinn für Fairneß und politische Vernunft herrschen.
Einen Augenblick, Herr Abgeordneter! — Meine Damen und Herren, ich muß dringend um etwas mehr Ruhe bitten. Selbst hier oben ist kaum zu verstehen, was gesagt wird, und ich höre Klagen, daß weiter hinten im Raum nichts verstanden wird.
— Nein, es muß mehr Ruhe eintreten; dann wird die Sache gleich verständlich. Vielleicht können Sie noch etwas lauter sprechen, Herr Abgeordneter. — Fahren Sie bitte fort! Sprechen Sie etwas lauter und langsamer.
Engell , Anfragender: Mit der Genehmigung des Herrn Präsidenten zitiere ich eine solche Stimme aus dem christlich-demokratischen Lager, die genau unsere eigene Auffassung wiedergibt:
Seit dem Beschluß des BHE, in die Opposition zu gehen, ja eigentlich bereits seit dem Zerfall der Fraktion des Blocks im Bundestag, entfällt für die Ministerschaft Oberländers — und auch Waldemar Krafts — neben der politisch-moralischen nunmehr auch die politischmachtmäßige, die parlamentarische Legitimation. Man verweise uns nicht auf jene Verfassungskonstruktion, nach der die Minister nichts weiter als Gehilfen des Bundeskanzlers seien, die dieser nach völlig freiem Ermessen unter mehr fachlichen als politischen Gesichtspunkten ernenne und entlasse.
In Wirklichkeit ist die Ministerschaft eben z. B. des Herrn Oberländer das Ergebnis eines Koalitionsvertrages mit dem BHE. Es hieße das Kanzlerprinzip überspannen, wollte man nicht nach Kündigung des Koalitionsvertrages durch einen Partner die wenngleich nicht verfassungsrechtlich, so doch politisch geforderten Konsequenzen ziehen. Taktiker mögen sich aus einem Bleiben Oberländers und Krafts in der Bundesregierung irgendwelche Vorteile für ihre jeweiligen eigenen Gruppen versprechen, — solche Gesichtspunkte dürfen jedoch nicht zur Geltung kommen, will man den deutschen Parlamentarismus nicht langsam zerrütten.
Praktisch haben die beiden jetzt bei der CDU/ CSU-Fraktion hospitierenden ehemaligen „Entrechteten", da man die Sieben der Ministergruppe ja nicht als Rechtsnachfolger des koalierenden BHE ansehen kann, heute die Eigenschaft von CDU-Ministern. Dagegen müssen sich aber nicht nur FDP und DP, sondern vor allem die CDU selber zur Wehr setzen. Mochten politische Erfordernisse wie die bekannte Zweidrittelmehrheit für Verträge als einleuchtender Grund gelten, die Vertreter eines gewissen Stimmenkombinats zu Amt und Würden zu bringen — sozusagen als ein malum necessarium, moral-theologisch gesprochen —, nach dem Wegfall dieses Grundes ist das Bleiben Oberländers und Krafts ein Übel ohne Notwendigkeit, ein anstößiges Übel also.
So weit CIVIS, Zeitschrift für Christlich-Demokratische Politik, Heft 11 vom November 1955.
Mit dieser Stellungnahme wird auch das Verhalten jener Mehrheit dieses Hauses nochmals in das rechte Licht gerückt, welche hier am 1. Dezember 1955 zu der miserablen Methode der Mundtotmachung ihre Zuflucht nahm.
Mit Erstaunen sei nur noch vermerkt, daß dieselben Kreise, die uns so unfair behandelt haben, nunmehr ganz unbekümmert zur gemeinsamen Abwehr der östlichen Integration aufrufen, mit deren Sprechern im 1. Bundestag sie uns hier auf eine gleiche Stufe gestellt haben. Weite Kreise unseres Volkes haben schon sehr überzeugende Beweise für ihre freiheitliche politische Haltung erbracht. Wir neigen aber der Auffassung zu, daß zunächst einmal andere Kreise in der Bundesrepublik durch ihr Verhalten bezeugen müssen, wie ernst es ihnen mit der Aufrechterhaltung demokratischer Freiheiten im eigenen Lande ist.
Um zu verhindern, daß die Beantwortung unserer Großen Anfrage Drucksache 1945 durch einige lapidare Hinweise auf das Grundgesetz wiederum den Kern unseres politischen Anliegens unberücksichtigt läßt,
sehen wir uns gezwungen, zunächst der abwegigen Argumentation, die Behandlung des hier zur Debatte stehenden Problems gehöre nicht vor den Bundestag und sei ein Verstoß gegen den Geist des Art. 64 des Grundgesetzes, wie Herr Kollege Stücklen sich auszudrücken beliebte, mit allem Nachdruck zu widersprechen. Vorweg bleibt festzustellen, daß wir nicht die Entlassung der Minister beantragt, sondern den Herrn Bundeskanzler ersucht haben, dies auf dem verfassungsmäßigen Wege zu veranlassen.
Einen Augenblick, Herr Abgeordneter!
Meine Damen und Herren, es ist möglich, daß es an unserer Übertragung liegt, daß irgendeine Störung vorhanden ist. Wir können das jetzt nicht ändern. Ich muß deshalb bitten, daß noch größere Ruhe im Saal eintritt, weil der Redner sonst bei einem großen Teil des Hauses nicht verstanden
wird. Auch wir hier oben haben große Schwierigkeiten. Also bitte, meine Damen und Herren, behalten Sie Ruhe!
Herr Abgeordneter, sprechen Sie bitte so laut wie möglich!
Engell , Anfragender: Es handelte sich also nur um ein Entlassungsvotum, welches wir mit uns zwingend erscheinenden politischen Gesichtspunkten begründen wollten. Da die größte Regierungspartei dieses Hauses sich stets wenig geneigt zeigt, auch gegenteilige Auffassungen ernsthaft zu prüfen, beschränke ich mich zunächst darauf, mit der Genehmigung des Herrn Präsidenten einige Stimmen zu dieser Streitfrage zu zitieren, die nicht aus unseren eigenen Reihen kommen.
Das Archiv des öffentlichen Rechts, zu dessen Herausgebern auch die Professoren Grewe und Kaufmann gehören, hat in seinem 76. Band anläßlich des Antrags der Fraktion der Bayernpartei vom 27. Juli 1950, der Bundestag möge den Bundeskanzler ersuchen, dem Herrn Bundespräsidenten die Entlassung des Bundesfinanzministers Schäffer vorzuschlagen, nach Darlegung des verfassungsrechtlichen Sachverhalts nachstehende Ausführungen gemacht:
Ergibt sich aus dieser Unzulässigkeit des zwingenden — echten — Mißtrauensvotums, daß auch alle anderen Beschlüsse des Bundestags, die einem einzelnen Minister die parlamentarische Mißbilligung förmlich attestieren, außerhalb des Zuständigkeitsbereiches des Bundestags liegen? Wäre das der Fall, so dürfte ein auf ein solches „Mißbilligungsvotum" gerichteter Antrag nicht auf die Tagesordnung des Bundestags gesetzt werden. Ein trotzdem beschlossenes Mißbilligungsvotum wäre, als außerhalb der parlamentarischen Kompetenz liegend, als null und nichtig anzusehen. So meinte der Reichskanzler Bethmann-Hollweg das am 4. Dezember 1913 mit großer Mehrheit vom Reichstag aus Anlaß des Zabern-Konfliktes beschlossene „Mißtrauensvotum" für staatsrechtlich nicht existent ansehen und ignorieren zu dürfen.
Anscheinend neigt der Herr Bundeskanzler Dr. Adenauer in der Frage der Mißbilligungsvoten gegen Bundesminister einer entsprechenden Auffassung zu. Nach Pressemeldungen hat er aus Anlaß des Falles Schäffer das Präsidium des Bundestages in einem Schreiben darauf aufmerksam gemacht, daß der Anträg der Bayernpartei auf Entlassung des Bundesfinanzministers Schäffer nach seiner Meinung verfassungsrechtlich nicht zulässig sei.
Schon in dem Bericht „Die Konstituierung der westdeutschen Bundesorgane" ist eine dieser Ansicht des Bundeskanzlers entgegengesetzte Meinung entwickelt worden: Die Beseitigung des echten Mißtrauensvotums hindere den Bundestag nicht, einem Bundesminister die Mißbilligung des Hauses auszusprechen. In der Tat gehört es zum Wesen der parlamentarischen Regierungskontrolle, die dem Bundestag nicht nur gegenüber dem Bundeskanzler und der Bundesregierung im ganzen, sondern auch gegenüber jedem einzelnen Bundesmini-
ster zusteht, daß das Parlament sein Mißfallen gegenüber der von einem Bundesminister gezeigten politischen Haltung in jeder geeigneten und angemessenen Form zum Ausdruck bringen kann. Es hieße das Kontrollrecht des Parlaments willkürlich begrenzen, wenn man seine Befugnisse darauf beschränken wollte, die Kritik an den Maßnahmen oder der Haltung eines Bundesministers nur im Rahmen der Parlamentsdebatte vorzubringen. Bei der bloß rhetorischen Polemik bleibt die Frage offen, ob die Mehrheit des Parlaments sich mit den von einzelnen Abgeordneten vorgetragenen Angriffen gegen einen Minister identifiziert. Es kann dem Parlament nicht verwehrt werden, die Folgerungen, ,die es aus seiner Kritik an einem Minister gezogen zu wissen wünscht, in einem förmlichen Beschluß zu dokumentieren, auch wenn die Regierung staatsrechtlich nicht verpflichtet ist, sich diesen Folgerungen zu unterwerfen. Das parlamentarische Kontrollrecht wäre sozusagen ein Degen ohne Klinge, wenn das Ergebnis der parlamentarischen Kritik nicht durch einen förmlichen Beschluß festgestellt werden könnte.
Diese hier vertretene Auffassung ist ja auch durch den Herrn Kollegen Professor Carlo Schmid in der Debatte dahingehend bestätigt worden, daß man im Parlamentarischen Rat anläßlich der Beratung des Grundgesetzes zwar der Meinung war, daß es nicht zu den Prärogativen des Bundestages gehören sollte, der Regierung oder einem Minister das Mißtrauen im technischen Sinne des Wortes auszusprechen, d. h. damit einen Zwang zur Abberufung auszuüben, wohl aber der Auffassung, daß jedem Parlament das Recht zusteht, der Regierung zu sagen, was es von ihr wünscht.
In dem angezogenen Aufsatz in dem Archiv des öffentlichen Rechts werden dann die Formen des Mißbilligungsvotums behandelt: Erstens Streichung des Ministergehalts, zweitens spezielles Mißbilligungsvotum, drittens generelles Mißbilligungsvotum, und nun zitiere ich weiter wörtlich:
Viertens ist statthaft, daß der Bundestag einen Beschluß faßt, durch den der Bundeskanzler ersucht wird, dem Bundespräsidenten die Entlassung eines Bundesministers vorzuschlagen . Man wird sagen müssen, daß diese im Fall Schäffer zum ersten Mal. entwickelte Form des Mißbilligungsantrags zwar nicht die allein zulässige, wohl aber angesichts des Bonner Regierungssystems die präziseste und korrekteste ist.
Und weiter ebenda:
Wenn somit das Mißbilligungsvotum in keiner seiner Formen zu einem direkten Ministersturz führen kann, so liegt doch auf der Hand, daß es sich politisch als eine wirksame Waffe erweisen kann, um das parlamentarische Kontrollrecht gegenüber den einzelnen Bundesministern zur Geltung zu bringen. Vor allem aber könnte das Mißbilligungsvotum ein wichtiges Mittel werden, um darzutun, daß die Verantwortung, die Art. 65 Satz 2 des Grundgesetzes den einzelnen Bundesministern auferlegt, eine echte parlamentarische Ministerverantwortlichkeit und keine bloße Dienstverantwortung gegenüber dem Bundeskanzler ist. Das Mißbilligungsvotum könnte somit der Gefahr ,der „Staatssekretarisierung" der Bundesminister entgegenwirken.
Uns geht es hier nun 'gar nicht so sehr um die formale Seite des Problems, da es sich ja um einen verfassungs politischen Konflikt handelt. Wir wollten nur den dürftigen Einwand, die Behandlung der Frage der Ministerentlassung vor dem Bundestag sei verfassungs rechtlich nicht zulässig, nicht erneut zu hören bekommen. Wir treten vollinhaltlich der Auffassung bei, daß unser seinerzeitiges Entlassungsersuchen eine präzise und korrekte Form der parlamentarischen Mißbilligung des Verhaltens des Bundeskanzlers war und daß dieses Haus jederzeit berechtigt ist, in Ausübung seines Kontrollrechtes gegenüber der Bundesregierung durch Beschluß seine Meinung in jedem Falle zum Ausdruck zu bringen.
Sechs Monate nach der Einreichung 'der Rücktrittsgesuche der Minister Kraft und Oberländer und erst nach Festlegung der heutigen Tagesordnung, auf der unsere Große Anfrage zur Behandlung ansteht, hat der Herr Bundeskanzler in dieser Sache entschieden. Diese Entscheidung gibt keine Veranlassung, die Angelegenheit als abgeschlossen anzusehen, im Gegenteil.
In der Begründung der Ablehnung der Entlassungsgesuche der Minister führt der Herr Bundeskanzler aus:
Die Bundesminister werden gemäß Art. 64 GG auf Vorschlag des Bundeskanzlers vom Bundespräsidenten ernannt und entlassen. Der Bundeskanzler 'ist — unter Vorbehalt seiner parlamentarischen Verantwortlichkeit — in der Auswahl seiner Mitarbeiter in der Bundesregierung frei. Dies gilt auch für den Fall, daß eine Koalitionsregierung gebildet ist. Die Mitglieder der Bundesregierung sind daher nicht von dem Vertrauen der Fraktionen abhängig, die sie bei der Regierungsbildung in Vorschlag gebracht haben.
Der Bundeskanzler hat vielmehr bei Differenzen zwischen einem Minister und seiner Fraktion in eigener Verantwortung gegenüber dem ganzen Bundestag über das Verbleiben eines Ministers in der Bundesregierung zu entscheiden.
Sollte der Herr Bundeskanzler die Absicht haben, uns mit einem Exkurs über Verfassungsrecht abzuspeisen, so wollen wir schon vorweg die Forderung erheben, daß er uns die politischen Gründe sagen möchte, die ihn zu seinem ungewöhnlichen Verhalten veranlaßt haben.
Denn hier handelt es sich nicht um Differenzen zwischen einem Minister und seiner Fraktion, wobei wir uns durchaus so gelagerte Fälle vorstellen können, in denen der Bundeskanzler als Regierungschef eine Vermittlerrolle einnimmt, um sein Kabinett zusamenzuhalten. Hier sind zwei Minister aus ihrer Partei und Fraktion, die sie auf Grund der Koalitionsabsprachen zu Ministern vorgeschlagen haben, ausgetreten und haben ihre Ent-
lassungsgesuche zutreffend mit diesem völlig veränderten Sachverhalt begründet. Nach jeder demokratischen Praxis mußte solchen Anträgen, die an sich schon eine parlamentarische Selbstverständlichkeit waren, entsprochen werden.
Bedeutsame Vorgänge der letzten Zeit haben uns zu der Überzeugung gebracht, daß das Verhalten des Herrn Bundeskanzlers nur zu erklären ist, wenn man von der Annahme ausgeht, daß es sich hier mehr um parteipolitische Schachzüge im Hinblick auf die nächste Bundestagswahl handelt.
Die Verweigerung der Entlassung scheint daher zusätzlich auch noch auf eine andere Fraktion zu zielen, deren Ministergruppe dadurch ermuntert werden soll, der Koalitionstreue dem Bundeskanzler gegenüber den Vorrang zu geben. Auch die derzeitigen Auseinandersetzungen um das neue Wahlgesetz, bei denen der Antrag der CDU ganz unverhohlen als Massageantrag bezeichnet wird, können nur zu der Erkentnis führen, daß wir anscheinend einer neuen Ära im politischen Leben der Bundesrepublik entgegengehen, in der neben der Opposition der Sozialdemokratischen Partei nur noch kleinere Satellitenparteien der CDU geduldet werden sollen, und dies auch nur, um unserem Parteileben ein gewisses Scheinkolorit zu geben, welches den wahren politischen Sachverhalt zwecks Stimmenfangs verschleiern soll. In der Presse finden sich so zahlreiche Stimmen, die die Lage ähnlich beurteilen, daß ihre Wiedergabe hier gar nicht möglich ist.
Das Amt eines Bundesministers endet
2. durch Rücktritt.
Bei der Aussprache über die Streichung dieses Satzes wurde betont, daß die Streichung nur erfolge, weil die aufgezählten Fälle als selbstverständlich zu betrachten seien. Vergleiche Bonner Kommentar zum Grundgesetz Anmerkung 1 zu Art. 69. Demnach hätten die Minister ihren Rücktritt vollziehen können, da nicht anzunehmen ist, daß der Herr Bundeskanzler in sechs Monaten keinen geeigneten Nachfolger für den Vertriebenenminister finden konnte. Für einen Sonderminister war eine Nachfolgeschaft keinesfalls dringlich, zumal die vom Herrn Bundeskanzler bestimmte Aufgabe, die Verbindung zwischen Regierung und Koalition zu pflegen, entfallen war und vom Gesamtdeutschen Block wohl kaum auf die CDU übertragen werden konnte.
Wenn die hier vorgetragene staatsrechtliche Auffassung von dem Herrn Bundeskanzler nicht bestritten werden kann, hat seine Haltung und die der Minister unsere Wertung der Vorgänge nur weiterhin bestärkt, zumal der Herr Bundeskanzler
bis zum heutigen Tag den Ausführungen des Abgeordneten Dr. Ka t h e r in der 118. Sitzung des Deutschen Bundestages nicht widersprochen hat, nach denen er es uns gegenüber als Koalitionspartner mit seinen Pflichten für vereinbar gehalten hat, bei bestehender Koalition mit unseren Ministern wegen des Austritts oder Übertritts zu verhandeln oder verhandeln zu lassen.
Besondere Kritik ist aus Anlaß der Verschleppung der Entscheidung laut geworden. Daß diese das Ungewöhnliche des Falles besonders unterstrichen hat, ist nicht verwunderlich. Schon im Juli 1955 hatte der Herr Bundeskanzler aus Murren unserer Fraktion schriftlich zugesagt, daß er nach Rückkehr aus dem Urlaub die Entscheidung treffen wolle. Bestimmend für eine Frist war auch sein Wunsch, die weitere Entwicklung im Gesamtdeutschen Block abzuwarten. Die Auswirkung des Anschlags hatte also den Erwartungen nicht entsprochen, die die Minister wohl auch gegenüber dem Herrn Bundeskanzler als mit Sicherheit eintretend vorausgesagt hatten. Hier ist überhaupt wohl eine gewisse Panne zu verzeichnen, die dem Ablauf der Ereignisse eine unerwartete Wendung gegeben hat und zur Erklärung dieses seltsamen Falles herangezogen werden muß.
Die Demission zweier Bundesminister und ihr gleichzeitiger Austritt aus ihrer Fraktion und Partei ist ein so ungewöhnlicher Vorgang, daß die Öffentlichkeit auf dessen Behandlung durch den Bundeskanzler ihr besonderes Augenmerk richtete.
Es kann dem Ansehen höchster Staatsämter nicht dienlich sein, wenn Entlassungsgesuche nicht in dem vertretbaren Rahmen einer ordnungsmäßigen Geschäftsführung erledigt werden.
Aus Gründen der Staatsräson wäre eine baldige und korrekte Behandlung und Entscheidung dringend geboten gewesen. In einem demokratischen Staate wird die Verfahrensweise des Herrn Bundeskanzlers kaum Verständnis finden.
Das Amt des Bundesministers für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte ist in Anbetracht des großen Personenkreises und der Dringlichkeit seiner Betreuung für die Konsolidierung der politischen Verhältnisse in der Bundesrepublik von eminenter Bedeutung. Ein Bundesminister auf jederzeitigen Abruf kann weder im Kabinett noch im Bundestag noch bei den Geschädigtenverbänden jene Autorität vertreten, die für dieses Amt vorausgesetzt werden muß. Wenn daher aus diesen Kreisen Stimmen laut geworden sind, die diese Verschleppung mit Empörung registrierten, dürfte unsere Kritik an dem Sachverhalt nur bestätigt sein.
Die Ziffer 4 unserer Großen Anfrage enthält unser eigentliches Anliegen, welches wir schon durch unseren Antrag Drucksache 1809 zu klären versucht hatten. In dieser Hinsicht liegt nunmehr eine Stellungnahme des Herrn Bundeskanzlers vor, der die Auffassung vertritt, daß die Bundesminister nicht von dem Vertrauen ihrer Fraktionen abhängig sind. Wir sind für diese klare Stellungnahme dankbar. Damit ist auch für uns bestätigt, daß die seit einem halben Jahr urbi et orbi betriebene Popularisierung der Kanzlerdemokratie auf die diesbezüglichen Ansichten des Herrn Bundeskanzlers zurückzuführen ist.
Es muß festgestellt werden: Der Herr Bundeskanzler hat bei der Bildung seiner Regierung nicht im entferntesten erkennen lassen, daß er derartigen Verfassungsauslegungen huldigt. Er hat vielmehr die Ministerinflation des Jahres 1953 mit der Notwendigkeit begründet, das politische Element im Kabinett stärker zur Geltung kommen zu lassen und dadurch eine engere Verbindung mit den hinter dem Kabinett stehenden Fraktionen des Bundestages und diesem herbeizuführen. Er hat dabei der Überzeugung Ausdruck gegeben, daß durch die stärkere Verbindung mit den Fraktionen, dem Bundestag und der Öffentlichkeit das Werk der Gesetzgebung sich besser vollziehen wird. Wer diesen Standpunkt damals vernommen hat, konnte bona fide nur zu dem Schluß kommen, daß der Herr Bundeskanzler sich für eine weitere Stärkung der parlamentarischen Demokratie im klassischen Sinne aussprechen wollte.
Wir können heute nach zweieinhalb Jahren feststellen, daß dem Herrn Bundeskanzler eine völlig andere Entwicklung vorschwebt und von ihm angestrebt wird. Nachdem das Experiment des Jahres 1953, alle Parteien außer der Sozialdemokratischen Partei in einer Koalition zusammenzufassen, in der eine Fraktion allein die Mehrheit im Bundestag besitzt, an dem parlamentarischen Widersinn einer solchen Konstruktion gescheitert ist, zeichnet sich die neue Planung des Herrn Bundeskanzlers für 1957 nunmehr allen sichtbar ab. In immer weitgehenderer Abwandlung der parlamentarischen Demokratie wird in Kombination mit einem entsprechenden Wahlgesetz die Konstituierung eines pseudoparlamentarischen Obrigkeitsstaates betrieben.
Die derzeitigen Machtverhältnisse im Bundestag bieten dafür die Voraussetzung. Es erhebt sich nunmehr die Frage, welche Maßnahmen diejenigen Parteien ergreifen können, die auf diesem Wege zu folgen unter keinen Umständen bereit sind. Obwohl wir der Meinung sind, daß Warnungen hier wenig Wirkung zeigen werden, möchten wir doch zunächst zur Begründung unseres gegenteiligen Standpunktes einer eigenen kurzen Stellungnahme nicht ausweichen.
Das Kernstück der parlamentarischen Demokratie ist die Verzahnung von Regierung und Parlament über die von den Fraktionen in das Kabinett entsandten Vertrauensmänner: die Minister. Wer an diesem Grundsatz rüttelt, hebt den eminenten Funktionswert dieses Systems auf. Es hat immer Kreise gegeben, die aus den unterschiedlichsten Gründen jeder Form autoritativer Herrschaft vor der ihnen verhaßten Parlamentsmacht den Vorzug gegeben haben. Man soll das dann aber offen sagen und die schon vorhandene Begriffsverwirrung über Demokratie nicht noch mehren.
Auf jeden Fall steht fest, daß die Mitglieder des Parlamentarischen Rates bei der Abfassung des Grundgesetzes die parlamentarische Demokratie in der Bundesrepublik schaffen wollten. Der Art. 64 des Grundgesetzes steht dieser Auffassung nicht entgegen, da er bewußt gegen die für eine Demokratie tödliche Gefahr einer heterogenen Obstruktion in das Grundgesetz hineingenommen ist. Hier setzt nun eine Verfassungsauslegung an, die zweifelsohne mit dem Willen des Gesetzgebers und dem Geist einer parlamentarisch-demokratischen Ordnung nicht vereinbar ist.
Der hier ohne Not und zwingende Gründe heraufbeschworene Streit um die Verfassung ist auch noch aus der Sicht des zweigeteilten Deutschlands völlig unvertretbar. Unsere eigene Geschichte einer Zeit, die der Herr Bundeskanzler noch persönlich erlebte, hat uns doch den unbestrittenen Beweis erbracht, daß selbst eine säkulare Erscheinung und ihr Werk letzten Endes über ungelöste Verfassungs- und Wahlrechtsprobleme gescheitert sind. Die ganze politische Misere des wilhelminischen Deutschland ist doch auf die Verfassungskonstruktionen Bismarcks zurückzuführen, die ausschließlich auf seine cäsarische Gestalt und sein persönliches Verhältnis zu dem damaligen Träger der Krone zugeschnitten waren. Nach dem Thronwechsel veränderte sich auch für ihn die Lage. Ein machtvolles Parlament stand ihm nicht zur Seite. So kam es zu seinem klanglosen Abgang und zu der Beamtenherrschaft bis zum Ausbruch des ersten Weltkriegs, in den wir dann unter dieser Führung hineingeschlittert sind. Es gab keine echten Reichsminister und kein Reichskabinett. Die Reichsgeschäfte wurden von Staatssekretären versehen. 1917 erkannte man dann zu spät, daß ein in der Volksmeinung verankertes Parlament und diesem verantwortliche Minister für die Meisterung der damaligen Aufgabe dringend erforderlich waren. Erscheint eine Rückentwicklung nach dieser Richtung wirklich so erstrebenswert?
Neben der grundsätzlichen Bedeutung dieser Verfassungsfragen, die wir wenigstens beantwortet haben wollen, liegt für uns und wohl auch für viele Mitglieder dieses Hauses noch ein aktueller Grund vor. Nach dem Wunsche des Herrn Bundeskanzlers sollen die Wehrgesetze baldigst verabschiedet werden. Es kann wohl keinem Zweifel unterliegen, daß die anläßlich des Falles Kraft/Oberländer gezeigte Auffassung des Herrn Bundeskanzlers den Abgeordneten für ihre Überlegungen und Forderungen wichtige Hinweise geben wird, die für die Gestaltung dieser Gesetze nicht ohne Bedeutung sein werden.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich abschließend versichern, daß wir diese Debatte nicht führen wollten, um irgendwelchen Ressentiments gegen unsere ehemaligen Minister Luft zu machen.
Auch Verfassungs- und Wahlrechtsfragen kann man sehr wohl von unterschiedlichen Standpunkten aus diskutieren. Aber man kann nicht von der Theorie her oder gar vom Parteiinteresse die politischen Realitäten dieser Welt, wie sie heute ist, ignorieren. Die grausame Wirklichkeit unseres Volkes ist seine Teilung in zwei Hälften, die sich in ihren gesamten Lebensformen täglich weiter voneinander fortentwickeln. Weil zu jeder Stunde die Wiedervereinigung ein unverzichtbarer Bestandteil unseres politischen Denkens und Handelns bleiben muß, müssen auch die hier erörterten Probleme unseres Verfassungslebens in der Bundesrepublik unter den ausschließlichen Vorrang gesamtdeutscher Verpflichtung gestellt werden.
Uns bei der Vertretung dieser Auffassung vorbehaltlos zu unterstützen, ist die Bitte, die ich namens meiner Fraktion an dieses Hohe Haus zu richten habe.
Das Wort zur Beantwortung der Großen Anfrage hat der Herr Bundeskanzler.
Herr Präsident! Meine Damen und meine Herren! Die Bundesminister Kraft und Oberländer haben mir am 11.7.1955 nach ihrem Ausscheiden aus der Fraktion des GB/ BHE ihren Rücktritt aus ihrem Ministeramt angeboten. Der Entschluß der beiden Herren ist freiwillig gefaßt worden. Nach dem Grundgesetz waren sie nicht verpflichtet, ihre Ämter zur Verfügung zu stellen.
Es gibt im Grundgesetz keine Vorschrift, die besagt, daß die Mitgliedschaft in einer Partei oder die Zugehörigkeit zu einer Fraktion Voraussetzung für die Belassung eines Bundesministers in seinem Amte sei. In der Auswahl der Minister ist der Bundeskanzler nach dem Grundgesetz bei der Regierungsbildung und während der Legislaturperiode frei.
Bei Differenzen zwischen einem Bundesminister und seiner Fraktion hat der Bundeskanzler in eigener Verantwortung gegenüber dem gesamten Bundestag über das Verbleiben dieses Ministers in der Bundesregierung zu entscheiden.
Diese Grundsätze stehen nach dem Grundgesetz völlig klar fest. Koalitionsabreden zwischen den Fraktionen, die die Regierung tragen, schaffen keine verfassungsrechtlichen Verpflichtungen, sondern haben politische Bedeutung. Eine Verpflichtung des Bundeskanzlers, eine bestimmte Persönlichkeit mit einem bestimmten Ministeramt zu beauftragen und sie auf Verlangen einer Koalitionsfraktion wieder abzuberufen, würde mit dem Grundgesetz nicht vereinbar sein. Eine solche Auffassung ist übrigens bei den Koalitionsbesprechungen aus Anlaß der Regierungsbildung 1949 und 1953 von keiner Fraktion vertreten worden. Ich würde mich auch nicht darauf eingelassen haben.
— Nein, meine verehrten Damen und Herren, Sie vergessen, daß der Bundeskanzler, ehe er zur Bildung seiner Regierung kommt, schon vom Bundestag gewählt ist.
— Nachdem Verabredungen gewesen sind!
Im einzelnen möchte ich die mir gestellten Fragen wie folgt beantworten.
Zu Frage 1. Ich habe mit dem Herrn Bundespräsidenten über die Gesuche der Herren Oberländer und Kraft gesprochen, und zwar im Sommer, nachdem sie eingegangen waren. Ich habe ihm die Entlassungen aber nicht vorgeschlagen, weil mir ihre weitere Mitarbeit im Kabinett trotz der Meinungsverschiedenheiten, die zu ihrem Ausscheiden aus der Fraktion des BHE geführt haben und die nicht in ihrer Tätigkeit begründet waren, wertvoll erscheint.
Zu Frage 2. Nach § 9 Abs. 2 des Bundesministergesetzes können zwar die Bundesminister jederzeit ihre Entlassung verlangen. Wenn ein Minister aus gesundheitlichen oder sonstigen persönlichen Gründen seine Entlassung nachsucht, so ist diesem Wunsch auch stattzugeben. Stellt jedoch -ein Minister dem Bundeskanzler durch ein Rücktrittsangebot sein Amt zur Verfügung, so besteht in diesem Falle für den Bundeskanzler keine Verpflichtung, dem Bundespräsidenten die Entlassung vorzuschlagen.
Zu Frage 3. Die Bundesminister Kraft und Oberländer sind auch nach ihrem Rücktrittsangebot auf meinen Wunsch als Minister tätig geblieben. Die ordnungsmäßige Führung der Regierungsgeschäfte ist dadurch nicht beeinträchtigt worden.
Zu Frage 4. Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit;
sie sind auch in der Verfassungswirklichkeit von wesentlicher Bedeutung. Der Bundeskanzler, der das Recht hat, dem Bundespräsidenten die Entlassung der Bundesminister vorzuschlagen, wird jedoch nach dem Grundgesetz nicht von Parteien, sondern von der Mehrheit des Bundestages getragen, dessen Mitglieder nicht Bevollmächtigte der Parteien, sondern eigenverantwortliche Vertreter des gesamten Volkes sind.
Es ist mir vorgeworfen worden, ich hätte die Grundregeln der parlamentarischen Demokratie außer Kraft gesetzt. Ich möchte dazu sagen, meine Damen und Herren: ich habe die Grundregeln der parlamentarischen Demokratie weder jetzt noch früher einmal außer Kraft gesetzt,
sondern ich habe die wichtigste parlamentarische Grundregel beachtet, die lautet: bei aller gebotenen Rücksichtnahme auf die Auffassung einer Minderheit ist in einer Demokratie nicht ihr Wille maßgebend, sondern das Vertrauen der Parlamentsmehrheit.
Von einer Außerkraftsetzung der Grundregeln der parlamentarischen Demokratie durch mich kann keine Rede sein. Der Bundeskanzler ist dem Parlament verantwortlich. Das Parlament kann auf die im Art. 67 des Grundgesetzes vorgesehene Weise sein Recht gegenüber dem Bundeskanzler zum Vollzug bringen.
Ich möchte im Interesse der Wahrung der Verfassung noch einige Bemerkungen hinzufügen. Die Bundesminister sind bei ihrer Tätigkeit im Kabinett nicht Beauftragte bestimmter Fraktionen.
Sie leisten nach Art. 64 des Grundgesetzes einen besonderen Eid, der wie folgt lautet:
Ich schwöre, daß ich meine Kraft dem Wohle
des deutschen Volkes widmen, seinen Nutzen
mehren, Schaden von ihm wenden, das Grund-
gesetz und die Gesetze des Bundes wahren und verteidigen, meine Pflichten gewissenhaft erfüllen und Gerechtigkeit gegen jedermann üben werde.
Danach haben sie eine eigene Verantwortung und eine eigene Verpflichtung, und ich bin überzeugt, meine Damen und Herren, daß die Mitglieder des Kabinetts diesem Eid entsprechend handeln.
Sie haben die Antwort auf die Große Anfrage der Fraktion des GB/BHE gehört. Ich frage, ob in die Beratung eingetreten werden soll.
— Mehr als 30 Mitglieder des Hauses unterstützen die Beratung. Ich frage, wer das Wort wünscht. — Herr Dr. Gille hat das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe mit der Wortmeldung zunächst noch etwas gezögert. Ich hatte die Hoffnung und glaubte auch, es sei vielleicht besser, daß das Anliegen meiner Fraktion zunächst einmal aus der Sicht einer anderen Partei behandelt würde.
— Na ja, es gibt außer der CDU noch einige andere Parteien. Ich möchte meinen, daß nicht alle so mit einer Handbewegung über dieses durchaus ernst zu nehmende Anliegen hinweggehen werden wie mein verehrter Herr Zwischenrufer hier auf der Prominentenbank.
Herr Bundeskanzler, ich muß offen sagen, daß ich auch hinsichtlich Ihrer Ausführungen, soweit sie verfassungsrechtlichen Charakter trugen, nicht unsere Zustimmung aussprechen kann. Das Verfassungsgebäude, so wie es unser Grundgesetz vorsieht, hat nicht nur eine, sondern eine ganze Reihe von Säulen. Wenn man bei der Interpretation eines einzigen Artikels allein auf diesen Artikel abstellt, ohne sich die Mühe zu geben, dabei zu überlegen, inwieweit bei einer sehr ausweitenden Interpretation der in diesem Artikel gegebenen Rechte etwa andere tragende Pfeiler unseres Verfassungsgebäudes berührt werden, dann kann man nur zu unrichtigen Urteilen kommen.
Nicht nur im deutschen Verfassungsrecht, sondern vielleicht sogar über Deutschlands Grenzen hinaus ist die Aufgabe der politischen Parteien im praktischen Verfassungsleben immer außerordentlich stiefmütterlich behandelt worden. Kein Geringerer als Herr Professor Carlo Schmid hat darauf im Parlamentarischen Rat hingewiesen, wie ich mich beim Studium der Protokolle vergewissert habe. Wir haben in unserer Verfassung den Art. 21, der erstmals im deutschen Recht wenigstens den Begriff „politische Parteien" in das verfassungsrechtliche Grundgesetz hineingebracht hat. Der Artikel ist dürftig genug, aber ich glaube, auch bei dieser sehr zurückhaltenden Formulierung bleibt man doch wohl im Rahmen einer richtigen Beurteilung unseres Verfassungssystems, wenn man anerkennt, daß die politischen Parteien nicht nur als Träger der politischen Willensbildung draußen im Lande, sondern auch hier durch ihre Fraktionen eine ganz
wesentliche Aufgabe zu erfüllen haben, die nicht einfach so als Nebenbestimmung im Grundgesetz betrachtet werden kann.
Es geht letzten Endes um die Frage, wie das Verhältnis zwischen Regierung und Parlament gestaltet werden soll. Wir übersehen nicht, daß die neue Verfassung im Gegensatz zur Weimarer Verfassung eine stärkere Unabhängigkeit der Regierung vom Parlament bewußt gewollt hat, und dieser Gedanke ist insonderheit in Art. 65, in dem die Stellung, die Rechte und die Befugnisse des Bundeskanzlers niedergelegt sind, zum Ausdruck gekommen. Aber, verehrter Herr Bundeskanzler, die Interpretation, die Sie den Befugnissen des Bundeskanzlers nach diesem Artikel geben, scheint doch für diesen, ich möchte sagen, absonderlichen Fall, den der Bundesverfassungsgeber wahrscheinlich gar nicht sich überhaupt vorzustellen in der Lage war, nicht zuzutreffen.
Ich glaube, nicht zuviel zu sagen, wenn ich behaupte, daß es, als im Jahre 1948/49 der Parlamentarische Rat an die Arbeit ging, kaum vorstellbar gewesen ist, daß es möglich sein würde, daß zwei von einer Fraktion durch ihr Vertrauen dem Herrn Bundeskanzler zur Hineinnahme ins Kabinett vorgeschlagene Mitglieder in der Lage sein würden, aus der Fraktion und Partei auszutreten, und daß sie dennoch nicht selbst den Wunsch hätten, um der Sauberkeit unseres politischen Lebens willen nun den Herrn Bundeskanzler ernstlich zu bitten, sie von ihrer Verantwortung zu befreien.
Hier ist doch ein Spiel getrieben worden, das über den Einzelfall hinaus wirklich ernste Beachtung in unserem politischen Leben verdient.
Ich möchte, um jeder Legendenbildung vorzubeugen, folgendes noch einmal deutlich aussprechen. Als mein Freund Engell hier sprach, kamen unter Lächeln einige Zwischenrufe aus den Reihen der CDU; deshalb ganz klar folgende Feststellung. Im Gesamtdeutschen Block/BHE ist nach dem Schritt der beiden Minister Oberländer und Kraft nicht in einem Augenblick eine ernste Erwägung darüber angestellt worden, an Stelle der beiden Herren dem Herrn Bundeskanzler andere Persönlichkeiten vorzustellen.
Davon kann gar keine Rede sein. Wir sahen dieses Zerwürfnis für so stark an, daß wir glaubten, daß damit wahrscheinlich die Grundlagen einer Zusammenarbeit in der Regierungskoalition für uns nicht mehr vorhanden waren.
— Es sind keine Ressentiments! Ich möchte das vor der Öffentlichkeit gegenüber allen anderen Behauptungen feststellen. Deswegen glauben wir auch, daß wir nicht nur das Interesse einer kleinen Fraktion hier zum Ausdruck bringen, sondern daß es um mehr geht.
Sie haben dann, sehr verehrter Herr Bundeskanzler, ein Wort ausgesprochen, bei dem man wieder einmal merkt, daß Verfassungsparagraphen und Verfassungswirklichkeit sehr schnell auseinanderzuklaffen pflegen. Sie haben bemerkt, ein
Bundeskanzler würde verfassungswidrig handeln, wenn er bei der Regierungsabsprache über Personalien spräche. Ja, verehrter Herr Bundeskanzler, ich habe nur den Vorzug gehabt, die Regierungsbildung des Jahres 1953 am Rande zu erleben. Aber ich kenne keine Regierungsbildung in unserem parlamentarischen Bereich, bei der es nicht selbstverständlich ist, daß bei der Absprache über das Regierungsprogramm auch über Persönlichkeiten gesprochen wird. So und nicht anders ist es auch hier gewesen. Selbstverständlich hat sicherlich keine der beteiligten Fraktionen etwa die Meinung gehabt, sie könne Ihnen, Herr Bundeskanzler, der Sie ja schon gewählt waren — allerdings zum Zeitpunkt der Absprachen oder Abreden noch nicht —, irgendeine Persönlichkeit aufzwingen. Davon ist selbstverständlich keine Rede. Aber daß es der Verfassungswirklichkeit entspricht und daß es praktisch eigentlich auch kaum anders möglich ist, als daß man bei dem Versuch, eine gemeinsame Regierungsgrundlage zu finden, auch über Personen redet, ist doch eine Selbstverständlichkeit.
Herr Bundeskanzler, ich habe es besonders als Mitglied der antragstellenden Fraktion als etwas peinlich empfunden, daß Sie glaubten, uns auf den Eid der Minister hinweisen und uns in feierlicher Form den Wortlaut in Erinnerung rufen zu müssen. Ich weiß nicht, wie ich darauf reagieren soll. Man könnte es ja so auslegen, Herr Bundeskanzler, als ob Sie meiner Fraktion irgendwie unterstellen wollten, wir wollten mit dem Anliegen, das wir heute vertreten, in die Eidespflicht und Eidesverantwortung eines Bundesministers irgendwie eingreifen. Davon kann selbstverständlich gar keine Rede sein.
— Ja, sehr verehrter Herr Dr. Krone, Sie weisen ab. Ich wollte auch nur mit allem Respekt und in aller Ehrerbietung den Herrn Bundeskanzler darauf aufmerksam machen, daß dieser Teil seiner Antwort von uns als etwas unangenehm empfunden worden ist.
Dann haben Sie, Herr Bundeskanzler, zum Ausdruck gebracht, daß die beiden Minister ihre Aufgaben ausgezeichnet erfüllt hätten und Sie aus diesem Grund keinen Anlaß gesehen hätten, aus der politischen Situation heraus eine andere Entscheidung zu treffen. Ich erlaube mir nur, darauf hinzuweisen, daß das hinsichtlich des Aufgabenbereichs des Herrn Ministers Kraft schon deshalb gar nicht zutreffen kann,
weil mit seinem Ausscheiden aus der Fraktion seine wesentliche Aufgabe in Fortfall gekommen ist, die wesentliche Aufgabe, die Sie selber in Ihrer Regierungserklärung für die Einrichtung der Sonderministerien hier vor dem Parlament und der deutschen Öffentlichkeit mit den Worten umrissen haben, es komme Ihnen darauf an, angesichts der Fülle von gesetzgeberischen Aufgaben und der Entscheidung schwerer politischer Fragen, die vor uns stünden, eine sehr enge und dauernde Verbindung zwischen Kabinett und Fraktion zu haben und zu diesem Zweck aus dem Steuersäckel jeder Fraktion eine besondere Person, genannt Sonderminister, zur Verfügung zu stellen. Daran kann man doch nicht vorübergehen!
Es ist doch eigentlich zumindest zu erwarten, daß nun — nicht uns, sondern dem Parlament, vielleicht auch als der steuerbewilligenden Instanz — die Frage beantwortet wird: was soll denn nun dieser unglückliche Sonderminister machen, nachdem ihm seine Hauptfunktion durch die veränderten Umstände nicht mehr möglich ist?
Es kann doch nicht im Ernst angenommen werden,
daß die Arbeit an der Koordinierung der wasserrechtlichen Gesetzgebung nicht ein gut ausgebildeter Oberregierungsrat mindestens mit der gleichen Akkuratesse machen kann.
Dazu brauchen wir doch keinen politischen Auftrag. keine politische Persönlichkeit, sehr verehrter Herr Bundeskanzler. Das sind doch Fragen, auf die wir aus der ganzen Situation heraus eine Antwort glaubten erwarten zu können.
Sicherlich, der Aufgabenbereich des Herrn Bundesministers Oberländer hat sich durch sein Ausscheiden aus meiner Fraktion und Partei in keiner Weise geändert. Aber man sollte nicht überhören, was mein Parteifreund Engell mit Recht hier kritisch andeutete: daß durch Ihr langes Verzögern der Entscheidung ein so wichtiges Ministerium, das für seine politische Arbeit auch draußen im Lande im besonderen — das liegt in der Art der Aufgabe — einer Vertrauensgrundlage und einer Autorität bedarf, sechs Monate in der Schwebe war. Das kann man doch nicht tun! Auch das ist eine Kritik. auf die wir eigentlich eine Antwort erwarten dürften.
Ich möchte also meinen — um noch einmal auf das Verfassungsrechtliche zurückzukommen —. daß eine so weite Auslegung der Befugnisse des Herrn Bundeskanzlers nach Art. 64 des Grundgesetzes, wie er sie selbst sich zumißt, ein anderes tragendes Element unseres verfassungsrechtlichen Systems irgendwie beeinträchtigt, nämlich die Mitwirkung der politischen Parteien und ihrer Fraktionen nicht nur bis zum Zeitpunkt der Regierungsbildung, sondern auch als parlamentarische Mitspieler und Zusammenspieler
gegenüber der Regierung. Es kann doch nicht im Ernst die Auffassung des Herrn Bundeskanzlers sein, daß die Mitwirkung der Fraktionen — denn so haben Sie es formuliert, Herr Bundeskanzler — in dem Augenblick verfassungsrechtlich beendet ist, in dem nach vorhergehenden Absprachen mit dem zu wählenden Bundeskanzler die erforderliche Mehrheit erreicht wurde. Dann — das ist die Konsequenz Ihrer verfassungsrechtlichen Grundauffassung — können die Fraktionen als Regierungsfraktionen, die ja die Regierung ins Leben gesetzt haben und schon deshalb die Verantwortung tragen. getrost die Hände in den Schoß legen und alles Weitere der Verantwortung des Herrn Bundeskanzlers überlassen.
Ich glaube. Herr Bundeskanzler, es ist auch verfassungsrechtlich nicht richtig.
Aber es ist ja auch gar nicht in erster Linie eine verfassungsrechtliche Frage, sondern es ist eine
verfassungspolitische Frage, vielleicht eine politische Frage ganz allgemein, Man sollte sich doch ganz nüchtern und ohne jede Leidenschaft die Frage vorlegen: Cui bono? Zu wessen Nutzen wird dieses ganze Schauspiel eigentlich vollführt?
Herr Bundeskanzler, ich habe mir vergeblich den Kopf darüber zerbrochen; ich bin nicht dahintergekommen. Wenn man nicht mit sehr üblen Unterstellungen arbeiten und diese als Motive für Ihre Einstellung in dieser Frage annehmen will, dann findet man eigentlich keinen sinnvollen Grund. Bezüglich des Sonderministers ist jede Funktionsfähigkeit auch dieses Kabinettsmitglieds für die gesamte übriggebliebene Fraktionsgemeinschaft doch völlig sinnlos geworden. Daß andere Kabinettsmitglieder, die einfach nur als besonders hervorragende politische Persönlichkeiten, als Ihre engeren Ratgeber im Kabinett sitzen sollen, diese Konstruktion kennen wir nicht. Jeder hat eine Aufgabe; die Sonderminister hatten diese, und bei Kraft ist sie weggefallen.
— Ach, reden Sie doch nicht vom Wasserrecht!
Wir wollen im Interesse dieser Aufgabe die Dinge nicht ins Lächerliche ziehen. Das ist doch keine politische Aufgabe. So eine Frage wird normalerweise — das kann der Herr Vorsitzende des Haushaltsausschusses aus der Fülle seiner Kenntnisse wahrscheinlich gleich nachweisen — mit der Einrichtung einer neuen Beamtenstelle erledigt, aber nie und nimmer mit der Erteilung eines politischen Auftrages.
Aber wem nützt man damit? Herr Bundeskanzler, es kommt doch letzten Endes auch darauf an, daß der parlamentarische Stil, der Stil zwischen Regierung und Parlament, in den Auseinandersetzungen, die notwendig sind und die ja auch der Sinn des parlamentarischen Lebens sind, sauber und für jeden überzeugend bleibt. Es kann doch niemand annehmen, daß man über das, was sich durch den freiwilligen Entschluß der beiden Herren Oberländer und Kraft damals abgespielt hat, einfach als über ein Faktum, das im politischen Leben nun mal vorkommen kann, zur Tagesordnung übergeht und sagt, daraus brauche man keine Konsequenzen zu ziehen. Wir sind alle daran interessiert, einen parlamentarisch sauberen und für die Bevölkerung verständlichen und überzeugenden Stil beizubehalten und zum Ausdruck zu bringen.
— Ja, ich meine, daß man hier auch die Worte „sauber" oder „unsauber" gebrauchen darf. Ich möchte meinen, Herr Bundeskanzler, daß die Entscheidung, die Sie nun einmal gefällt haben, für uns als Fraktion damit insoweit abgetan ist, als es sich um diese beiden Herren handelt. Sie sollte aber noch nicht abgetan sein für das gesamte Haus, soweit es sich um die Frage handelt: Ist Ihre rechtliche Auslegung des Art. 64 des Grundgesetzes an Hand dieses Vorfalls nicht zu weitgehend? Berühren Sie damit nicht die echte, für den Parlamentsbetrieb notwendige Partnerschaft zwischen Fraktionen und der Regierung, und ist es insbesondere politisch zu verantworten, in dieser Weise mit einer Fraktion umzuspringen und eine solche Entscheidung zu fällen, und das nach einem Zeitraum von sechs Monaten?
Herr Bundeskanzler, ich möchte mir die Offenheit gestatten, Ihnen zu sagen: Meine Fraktion hat es außerordentlich bedauert, daß Sie es als Bundeskanzler für möglich gehalten haben, diese Frage sechs Monate in der Schwebe zu lassen. Ich bedaure dies schon um des Klimas willen und weil doch Gesprächsmöglichkeiten vorhanden bleiben müssen. So kann man doch nicht mit Fraktionen und Parteien umspringen, selbst wenn sie hier im Bundestag in einer kleinen Gruppe vertreten sind. So sollte man mit ihnen um des Stiles der gemeinsamen Arbeit willen nicht umspringen.
Wir würden sehr herzlich bitten — die CDU hat offenbar keine Neigung dazu —, daß doch die anderen Parteien die Angelegenheit nicht dadurch bagatellisieren, daß sie es nicht für nötig halten, zu dem wirklichen Problem, um das es sich handelt, auch ihre Auffassung hier dem Parlament und damit der Öffentlichkeit mitzuteilen.
Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.
Herr Präsident! Meine Damen und meine Herren! Herr Gille hat offenbar einen Teil meiner Ausführungen — daran mag die Akustik schuld sein — nicht richtig verstanden. Ich will sie ihm deswegen wiederholen.
Ich möchte aber zuerst auf die Daten eingehen. Das Angebot der beiden Herren kam am 11. Juli. Die Parlamentsferien begannen am 18. Juli und dauerten bis 12. September. Ich konnte selbstverständlich während der Parlamentsferien in der Sache gar nichts tun, habe das auch damals nicht getan,
weil eine solche Sache nur nach Rücksprache mit den Parlamentariern erledigt werden kann.
— Wie man es Ihnen recht machen soll, weiß ich nicht.
Wenn ich während Ihrer Abwesenheit etwas tue, wird es heißen: er bekümmert sich nicht um uns; und wenn ich nun sage: Sie hatten Ferien, und ich mußte mit den Parlamentariern sprechen, dann sagen Sie: Warum denn? Es ist nicht nötig. — Was soll ich denn nun machen?
Aber, meine Damen und Herren, lassen Sie mich doch in Ruhe — d. h. in Ruhe von Ihrer Seite — fortfahren. Die Parlamentsferien gingen am 12. September zu Ende. Am 7. Oktober bin ich, wie Sie wissen, schwer erkrankt, und dann ist die Sache liegengeblieben.
Nun möchte ich aber doch — Herr Kollege Gille, ich habe eben wörtlich verlesen — Ihnen die Sätze vorlesen, die Sie besonders glauben beanstanden zu müssen. Ich habe erstens gesagt:
Koalitionsabreden zwischen den Fraktionen, die die Regierung tragen, schaffen keine verfassungsrechtlichen Verpflichtungen, sondern haben politische Bedeutung.
Ich glaube, damit kann man einverstanden sein. Dann habe ich weiter gesagt:
Eine Verpflichtung des Bundeskanzlers, eine bestimmte Persönlichkeit mit einem bestimmten Ministeramt zu beauftragen und sie auf Verlangen einer Koalitionsfraktion wieder abzuberufen, würde mit dem Grundgesetz nicht vereinbar sein.
Auch dagegen werden Sie nichts sagen können.
Dann hatten Sie, Herr Gille, meine Ausführungen noch in einem dritten Punkt bemängelt. Sie haben gesagt, es habe Ihre Fraktion unangenehm berührt, daß ich auf den Eid hingewiesen habe. Ich habe ausdrücklich gesagt — und zwar im Hinblick darauf, daß eine falsche Anschauung doch hier und da vertreten wird —: Die Bundesminister sind bei ihrer Tätigkeit im Kabinett nicht Beauftragte bestimmter Fraktionen. Sie leisten einen besonderen Eid und haben sodann ihre besonderen Verpflichtungen. Ich habe den Eid hier nur ganz allgemein angeführt, nicht im Hinblick auf Ihre Anfrage, sondern weil doch hier und da eine entgegengesetzte Meinung vertreten wird, nämlich daß ein Minister, der auf Vorschlag einer Fraktion vom Bundeskanzler dem Bundespräsidenten zur Ernennung vorgeschlagen wird, nach seiner Ernennung Beauftragter einer bestimmten Fraktion sei. Das haben Sie nicht gesagt, Herr Gille, aber diese Meinung ist in der Öffentlichkeit vertreten worden, und es lag mir wirklich daran, diese Stellung — die staatsrechtliche und verfassungsrechtliche Stellung — der Minister innerhalb des ganzen Gefüges einmal klarzulegen.
Nun möchte ich zur Frage der Verbindungsminister etwas sagen. Meine Damen und Herren, diese Sonderminister sollten die Verbindung zwischen dem Kabinett und den einzelnen Fraktionen herstellen. Ich habe zu meinem großen Bedauern feststellen müssen, daß, sobald ein Mitglied einer Fraktion — das geht nicht auf Ihre Fraktion allein
— Sonderminister geworden war, sein Einfluß und sein Ansehen in seiner Fraktion bedenklich sanken.
Weshalb soll ich etwas, was offenbar ist, nicht ruhig gestehen?
— Nur was offenbar ist, habe ich gesagt.
Deswegen habe ich, noch ehe das Schreiben der beiden Herren eingegangen war, den Sonderministern besondere Aufgaben gestellt,
nicht nur Herrn Kraft, sondern auch Herrn Kollegen Dr. Schäfer und auch anderen Ministern.
Meine Damen und Herren, Sie urteilen nicht richtig, wenn Sie glauben, daß die Aufgabe, die Herr Kraft bekommen hat, eine weniger wichtige und umfangreiche sei.
Nach meiner Auffassung ist die Frage Wasser genau so wichtig wie die Frage Atom.
Meine Damen und Herren, jahrelang haben sich drei verschiedene Ministerien mit dieser Frage beschäftigt, und wir sind keinen Schritt weitergekommen.
— Sie rechtfertigen ja nur, was ich sage, meine Damen und Herren.
— Ach, von welcher Partei, ist j a gleichgültig. Wenn es von Ihrer Partei gewesen wäre, wäre es genau so passiert, weil jeder nur die Interessen seines Ressorts vertrat und nicht die Interessen der Gesamtheit an dem Faktor Wasser.
— Ich hätte nie gedacht, daß das Wasser so belebend wirken würde, meine Damen und Herren.
Meine Damen und Herren, ich habe, und zwar, wie ich offen sage, unter Widerstreben der beteiligten Ressortminister, Herrn Kraft diese Aufgabe übertragen, und der erste, umfangreiche Gesetzentwurf ist ja nun beim Bundesrat eingegangen. Glauben Sie mir das eine, meine Damen und Herren: Es ist wirklich eine Frage, die schon jetzt denjenigen, die etwas davon wissen, schwerstes Kopfzerbrechen machen muß und die in zehn Jahren eine Lebensfrage für uns ist.
— Nein, meine Damen und Herren, das soll keine Lebensstellung sein, wirklich nicht! Wir haben ja im Jahre 1957 wieder Wahlen, und dann werden wir ja doch sehen, wer dann Wasserminister wird.
Aber ich möchte Ihnen allen, meine Damen und Herren, sehr ernst sagen, daß Sie die verfassungsrechtlichen Fragen und die politischen Fragen genau auseinanderhalten müssen. Die verfassungsrechtlichen Fragen, die Rechte des Bundespräsidenten, des Bundeskanzlers, des Parlaments, stehen fest. Die Koalitionsfragen sind politische Fragen, die durch Verabredungen keine verfassungsrechtliche Bedeutung gewinnen können.
Das Wort hat der Abgeordnete Hoogen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich stimme durchaus dem Herrn Bundeskanzler zu,
wenn er sagt — ich darf fortfahren —, daß die verfassungsrechtliche Frage feststeht. Aber da sie für Herrn Kollegen Dr. Gille nicht festzustehen scheint, bin ich zu meinem eigenen Bedauern gezwungen, etwas weiter auszuholen, als ich mir ursprünglich vorgenommen hatte.
Dabei darf ich eines vorausschicken, Herr Kollege Gille und auch Herr Kollege Engell. Sie haben uns hier eine Vorlesung über das Kernstück der parlamentarischen Demokratie gehalten, wie Herr Engell sich ausdrückte. Ich habe nicht alles verstanden. Das war sehr bedauerlich, meine Damen und Herren. Am Lautsprecher kann es nicht gelegen haben; denn Herrn Gille habe ich sehr gut verstanden. Sie haben uns weiter eine Vorlesung darüber gehalten, was ein echt demokratischer Stil, ein parlamentarischer Stil sei. Meine Damen und Herren, ich hoffe, mit Ihnen davon auszugehen, daß die Grundregel unseres demokratischen Staatswesens das Grundgesetz ist — darüber besteht doch kein Zweifel — und nicht irgendeine sonstige Ordnung, die vielleicht in früheren Jahren, in den Jahren 1933/1934 in einem anderen deutschen Land gegolten haben mag, die ich nicht kenne.
Meine Damen und Herren, manche Bestimmungen des Grundgesetzes sind nicht so klar, wie es wünschenswert wäre. Sie geben oft Anlaß zu Auslegungsstreitigkeiten und -schwierigkeiten, die dann das Bundesverfassungsgericht beschäftigen. Aber keine Bestimmungen des Grundgesetzes sind so klar, so exakt und so eindeutig formuliert worden wie die Bestimmungen über die Konstruktion der Bundesregierung in diesem Regierungssystem. Da sind durchaus keine Zweifel möglich. Wer glaubt, sie seien möglich, hat meines Erachtens die Protokolle des Parlamentarischen Rates, seines Hauptausschusses, insbesondere aber des Ausschusses, der sich mit der Organisation der Bundesrepublik befaßte, nicht gelesen. Dieses Regierungssystem ist entscheidend charakterisiert durch den Art. 67 des Grundgesetzes, der die neue Rechtsfigur des konstruktiven Mißtrauensvotums eingeführt hat. Diese Vorschrift und die mit ihr zusammenhängenden Vorschriften des Art. 65, des hier in Rede stehenden Art. 64 und des Art. 68 geben ein ganz klares, konsequent durchkonstruiertes und Auslegungszweifel ausschließendes System. Es ist, gerade im Gegensatz zu den mancherorts unklar gefaßten Vorschriften des Grundgesetzes, festzuhalten, daß hier der Grundgesetzgeber seinen politischen Willen exakt und eindeutig erklärt hat und daß darüber hinaus die Beratungsmaterialien, die in einer großen Fülle vorliegen, eine deutliche Interpretation der einschlägigen Verfassungsbestimmungen und des gesetzgeberischen Willens gestatten.
Zur verfassungsrechtlichen Seite — es ist durchaus nicht nur die verfassungsrechtliche Seite, aber Herr Kollege Gille hat gerade diese Frage, von der er selbst sagte, daß sie nicht erstrangig sei, sehr ausführlich behandelt, und ich glaube, daß diese seine Meinung hier nicht unwidersprochen bleiben kann — hat der Herr Bundeskanzler zutreffend ausgeführt, daß die beiden Herren Bundesminister grundsätzlich nicht verpflichtet gewesen seien, ihm ihre Ministerämter zur Verfügung zu stellen.
Deshalb hat der Herr Bundeskanzler auch mit Recht hervorgehoben, daß dieses Zurverfügungstellen einem echten Gefühl für politische Imponderabilien entsprochen habe.
Dieses Zurverfügungstellen ist aber verfassungsrechtlich keineswegs ein Entlassungsverlangen. Hier liegt in der Anfrage eine Vermengung der Begriffe vor, denn im Eingang der Großen Anfrage spricht man von dem Inhalt des Briefes vom 11. Juli 1955 als von einem Zurverfügungstellen, aber in den Fragen 1, 2 und 3 spricht man von Entlassungsgesuchen, die in Wirklichkeit nicht vorliegen. Ein Entlassungsgesuch, ein Rücktrittangebot liegt nämlich nicht vor. Infolgedessen brauche ich mich mit dieser Frage auch nicht in erster Linie zu befassen.
— Herr Schoettle, ich bin nicht dabeigewesen und weiß nicht, ob dabei mit den Augen gezwinkert worden ist.
Meine Damen und Herren, in allen übrigen Fällen entscheidet der Bundeskanzler, d. h. in den Fällen, in denen, wie der Herr Bundeskanzler ausgeführt hat, nicht nach den Vorschriften des Ministergesetzes von 1953 ein Rücktrittsverlangen vorliegt, dem entsprochen werden muß, allein, in eigener Verantwortung und nach eigenem Ermessen, ob er dem Herrn Bundespräsidenten die Entlassung eines Bundesministers vorschlagen will oder nicht. Das folgt, wie wir unterdessen alle wissen, aus Art. 64 des Grundgesetzes. Diese Bestimmung gestattet aber nach der Entstehungsgeschichte nicht die Konsequenzen, die Sie, Herr Dr. Gille, aus ihr gezogen haben, nämlich daß der Bundeskanzler dann verpflichtet sei, die Entlassung eines Bundesministers vorzuschlagen wenn dessen parteipolitische Bindung und die Zugehörigkeit zu einer Fraktion des Parlaments aus irgendeinem Grunde gelöst wurde.
Sie haben eben gesagt, Herr Dr. Gille, daran könne der Verfassungsgesetzgeber gar nicht gedacht haben. Ich darf Ihnen aus den Materialien eine Stelle vorlesen, aus der sich ergibt, daß er gerade an diesen Fall gedacht hat. Sehr aufschlußreich ist die Streichung von zwei Absätzen, die im Organisationsausschuß des Parlamentarischen Rates vorgenommen worden ist, ehe man zu dieser Formulierung kam, die mit voller Absicht gewählt worden ist. Der eine der beiden Absätze, die das wollten, was Sie heute wollen, die aber mit Absicht gestrichen worden sind, lautete:
Die Bundesminister bedürfen zum Antritt
ihres Amtes des Vertrauens des Bundestages.
Der Fall liegt nicht vor; der Satz ist gestrichen worden. Ich sage das mit Absicht deshalb, weil ich in diesen Tagen Vorstellungen höre, daß man irgendwie einen Bundesminister in der Zukunft zum Antritt seines Amtes von einer Zustimmung des Parlaments abhängig machen möchte. Diese Vorschrift ist im Entwurf mit Absicht gestrichen worden, weil der Grundgesetzgeber das nicht
wollte. Es ist aber etwas Weiteres gestrichen worden, Herr Gille, nämlich der Absatz, der lautete:
Auf Ersuchen des Bundestages kann der Bundeskanzler dem Bundespräsidenten die Entlassung vorschlagen.
Nicht einmal das wollte man; auch diese Vorschrift ist gestrichen worden.
Als Begründung für diese Streichung wird in dem Protokoll des Organisationsausschusses des Parlamentarischen Rates über die Sitzung vom 16. Dezember 1948 folgendes ausgeführt:
Dazu hat der Redaktionsausschuß vorgeschlagen, den Abs. 3 zu streichen.
Das war der Absatz, den ich eben zuletzt vorgelesen habe.
Gegen die Streichung des Abs. 3 hätte ich
— ich sage gleich, wer das gesagt hat —
nicht die geringsten Bedenken; denn es . steht ja vorher in Abs. 1:
— das ist der heutige Art. 64 —
Der Bundespräsident ernennt und entläßt die Bundesminister auf Vorschlag des Bundeskanzlers.
Das ist, wie ich schon sagte, unser heutiger Art. 64.
Daher ist der Abs. 3, wie der Redaktionsausschuß meines Erachtens mit Recht ausführt, überflüssig. Daß das auch ohne den Antrag des betreffenden Ministers gegen seinen Willen erfolgen kann, ist darin einbegriffen. Der Streichung des Abs. 3 kann also ohne weiteres zugestimmt werden.
Dann kommt der Vorschlag
— heißt es im Protokoll weiter — auf Streichung des Abs. 2, der lautet:
Die Bundesminister bedürfen zum Antritt
ihres Amtes des Vertrauens des Bundestages.
Das ist
— fährt der Redner im Protokoll fort —
die wichtige Frage des Vertrauens- und Mißtrauensvotums gegen einzelne Minister. Das Mißtrauensvotum gegen einzelne Minister hatten wir schon früher gestrichen.
Im Fall des Minderheitskanzlers
— heißt es weiter —
kann jedoch dann eine heterogene Mehrheit tatsächlich die Bildung einer Regierung unmöglich machen, und sie kann ferner, wenn die ursprüngliche Koalition, die die Regierung trägt, auseinandergefallen ist und der vorherige Mehrheitskanzler in einen Minderheitskanzler verwandelt worden ist, bei Rücktritt, Tod oder sonstiger Auswechslung den Ersatz eines Ministers unmöglich machen.
Das ist so ungefähr Ihr Fall, vielleicht noch etwas über Ihre Vorstellung hinausgehend.
Ich halte
— fährt der Redner fort — den Einwand für berechtigt
- der vom Redaktionsausschuß damals gegen
diese Absätze gemacht worden war —
und möchte das Risiko laufen, diesen Abs. 2
zu streichen. Es bleibt dabei nur ein Nachteil,
daß nämlich ein persönliches Vertrauensverhältnis zwischen dem Minister und dem Bundestag auf diese Art und Weise weggestrichen und daß jeder Minister irgendwie zu einer Art
— ich bitte, jetzt nicht zu erschrecken, wenn ich diese Stelle aus dem Protokoll vorlese —
Untergebener des Bundeskanzler wird, an dessen Glück und Unglück er dann irgendwie gebunden ist.
Er kann sich nicht auf ein selbständiges Vertrauensvotum
— Vertrauensvotum des Parlaments! —
mehr berufen oder seine Position darauf gründen. Trotzdem halte ich diesen Nachteil für geringer als die Folgen, . . . daß wir im Falle eines Minderheitskanzlers auf diese Art und Weise in die Krise kommen, die wir sonst so kunstvoll umschiffen wollen. Da uns in erster Linie daran liegt, eine demokratische, stabile und arbeitsfähige Regierung hinzustellen, halte ich die Einwendungen des Redaktionsausschusses für begründet.
Meine Damen und Herren, der so im Parlamentarischen Rat sprach, war nicht etwa das Mitglied des Parlamentarischen Rats und sein Präsident Dr. Konrad Adenauer, sondern es war der damalige Justizminister, glaube ich, des Landes Schleswig-Holstein, Herr Dr. Katz, von dem Sie alle, wissen, daß er heute der Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts, des höchsten deutschen Gerichtes ist.
Wir können uns in meiner Fraktion diesen seinen sehr zutreffenden Ausführungen nur anschließen.
Aber, Herr Gille, man kann aus einer Verfassung nicht das herauslesen, was einem paßt,
und das, was einem nicht paßt, beiseite lassen.
Ein anderer Abgeordneter hat folgendes ausgeführt:
Eine parlamentarische Verantwortlichkeit des einzelnen Ministers ist danach nicht vorstellbar.
Herr Gille, der so im Parlamentarischen Rat redete und mit Recht so redete, war der von uns allen hochgeschätzte Herr Kollege Dr. Dehler.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
erstens den Abbau der unmittelbaren Demokratie zugunsten der mittelbaren. Sie alle wissen, was damit gemeint ist. Der Parlamentarische Rat wollte auch insoweit nicht mehr die Zustände der Weimarer Zeit. Deswegen ist ja nicht einmal das Volk zur Abstimmung über das Grundgesetz aufgerufen worden,
sondern die Landtage haben darüber abgestimmt. Zum zweiten ist typisch die Schwächung der Stellung des Staatsoberhaupts zugunsten des Parlaments. Auch dafür kennen wir alle die Gründe.
Drittens ist typisch die Stärkung der Stellung des Bundeskanzlers als des allein verantwortlichen Chefs der Regierung gegenüber dem Parlament. Auch insoweit wissen wir, warum diese Bestimmung ins Grundgesetz gekommen ist und warum es diesem Erfordernis in den verschiedensten Artikeln in so eindeutiger und klarer Weise Rechnung trägt.
Der Bundeskanzler war hiernach, nach dem Wortlaut und dem Willen des Verfassungsgesetzes, staatsrechtlich ganz zweifelsfrei nicht verpflichtet, dem Bundespräsidenten die Entlassung der Bundesminister Kraft und Dr. Oberländer vorzuschlagen.
Der Herr Bundeskanzler hat ferner zutreffend ausgeführt, daß die ordnungsmäßige Führung der Regierungsgeschäfte durch die Hinausschiebung der endgültigen Beantwortung der Rücktrittsangebote der beiden Herren Bundesminister nicht beeinträchtigt worden sei. Das zu beurteilen, meine Damen und Herren, liegt in seinem pflichtgemäßen Ermessen und im Rahmen seiner Verantwortlichkeit gegenüber dem Parlament. Herr Gille, es sind keine einzelnen Tatsachen vorgetragen worden, die den Schluß zulassen könnten, daß die Regierungsgeschäfte durch die spätere Beantwortung irgendwie beeinträchtigt worden sind.
Nun zur letzten Frage — wie soll ich sie nennen? —, der Frage der Fraktionsgebundenheit der Bundesregierung. Diese Frage läuft letztlich darauf hinaus: Sind die im Rahmen einer Koalitionsvereinbarung vom Bundeskanzler dem Herrn Bundespräsidenten vorgeschlagenen Minister nach Lösung der Zugehörigkeit zu einer Koalitionsfraktion oder Partei zur Entlassung vorzuschlagen, d. h. ist ihre Fraktionszugehörigkeit eine wesentliche Voraussetzung für ihr Verbleiben im Amt? Die anfragende Fraktion scheint den Standpunkt zu vertreten, daß es mit den Grundregeln der parlamentarischen Demokratie nicht vereinbar sei, wenn der Bundeskanzler nach erfolgter Regierungsbildung die Zusammensetzung der Bundesregierung ohne Rücksicht auf den Willen einzelner Fraktionen allein bestimme. Ich habe schon eingangs meiner Ausführungen gesagt, daß ich hoffe, in diesem Hohen Hause auf allen Seiten von der Voraussetzung ausgehen zu dürfen, daß die Grundregeln unserer parlamentarischen Demokratie in erster Linie und in allen wesentlichen Punkten durch das Grundgesetz bestimmt werden. Das gilt insbesondere von Art. 64 des Grundgesetzes. Hiernach und insbesondere nach Art. 67 ist der Bundeskanzler allein dem Parlament, nicht einzelnen Fraktionen politisch verantwortlich.
Die Bundesminister sind — um ein Wort des Herrn Dr. Katz zu gebrauchen — „eine Art Untergebene des Herrn Bundeskanzlers". Meine Damen und Herren, niemand in diesem Hohen Hause wird diese von Herrn Dr. Katz richtig gemeinte und sehr prägnant bezeichnete Stellung der Bundesminister falsch verstehen. Wir haben nun einmal nicht die Verfassung der sogenannten Deutschen Demokratischen Republik, wo es in Art. 92 zur Frage der Regierung und Regierungsbildung wie folgt heißt:
Die stärkste Fraktion der Volkskammer benennt den Ministerpräsidenten; er bildet die
Regierung. Alle Fraktionen, soweit sie mindestens 40 Mitglieder haben, sind im Verhältnis ihrer Stärke durch Minister oder Staatssekretäre vertreten.
So steht es jedenfalls in der Verfassung; wie es praktiziert wird, wissen wir alle. Was hier letzten Endes verlangt wird und was nur im Wege einer Verfassungsänderung durchsetzbar wäre, ist praktisch die Regelung der Verfassung der sogenannten Deutschen Demokratischen Republik.
— Ich bitte Sie, das nachzulesen. Diese Verfassung existiert nun einmal!
— Das ist nicht „völlig falsch". Ich habe es Ihnen aus dem Text vorgelesen. Er steht hier zu Ihrer Verfügung: Sie mögen ihn nachlesen.
— Ja, Herr Kollege Arndt, wenn Ihnen das nicht paßt, — —
Es ist uns gesagt worden, daß die politischen Parteien — wir wußten es ohnehin schon — bei der Willensbildung des Volkes mitwirken. In den Parlamenten sind sie durch Fraktionen vertreten. Der Bundeskanzler ist aber nicht den Fraktionen, sondern dem gesamten Parlament, wie er zutreffend ausgeführt hat, verantwortlich
und kann nur durch die Wahl eines neuen Bundeskanzlers mit absoluter Mehrheit gestürzt werden. Wenn aber nicht einmal das Parlament, wie ich mir auszuführen erlaubt habe, vom Bundeskanzler die Entlassung eines Bundesministers verlangen kann, wie soll es dann eine einzelne Fraktion können, die doch nur ein Teil des Parlaments ist?
Das ist nicht verschieden, ob es sich um die Berufung eines Ministers oder um die Belassung in seinem Amte handelt.
Und nun zu der politischen Bedeutung einer Koalitionsvereinbarung.
Während nach dem Grundgesetz eine Regierung
stabil sein soll, steht eine Koalitionsvereinbarung
— das heißt die Regelung des Verhältnisses der einzelnen Parteien zueinander in der Koalition, zu der sie sich zusammengeschlossen haben — für die Dauer einer Legislaturperiode oder für einen Teil dieser Zeit notwendigerweise unter den labileren Verhältnissen des politischen Geschehens. Das ist eine Wirklichkeit, die wir alle kennen und die wir, glaube ich, auch anerkennen. Das bringt eben das politische Geschehen mit sich. Aber ebensowenig
wie einzelne Koalitionsfraktionen an diese Vereinbarung gebunden sind, sondern völlig frei sind in ihrer Entscheidung, ob sie Gesetzentwürfen oder sonstigen Maßnahmen der Regierung zustimmen wollen oder nicht, ebensowenig ist der Regierungschef gebunden — weil er nach dem Willen des Grundgesetzgebers die Stabilität seiner Regierung sicherzustellen hat —, nun auf die Umstände im politischen Geschehen der einzelnen Fraktionen zueinander und innerhalb der einzelnen Fraktionen Rücksicht zu nehmen.
— Sie haben ihre Ämter zur Verfügung gestellt — ich darf es noch einmal sagen —, sie haben nicht um ihre Entlassung gebeten, schon gar nicht ihre Entlassung verlangt.
Meine Damen und Herren, ich darf bitten, etwas mehr Ruhe zu halten.
Es kommt doch entscheidend darauf an, wie wir meinen, daß der Bundeskanzler eine stabile Regierung im Interesse des Vertrauens des In- und Auslands aufstellt und während der Legislaturperiode eines Parlaments auch bei Bestand erhält. Meine Damen und Herren, das ist nicht nur unsere Meinung, sondern ich glaube, sagen zu dürfen, daß ihm das der Wähler im September 1953 ostentativ bestätigt hat.
Meine Damen und Herren, ich bin mir durchaus im klaren darüber, daß diese Stellung und diese Stellungnahme des Herrn Bundeskanzlers, die nach dem Grundgesetz zwangsläufig ist, einer einzelnen Fraktion unbequem sein mag. Aber ich glaube, auch darauf hinweisen zu dürfen, daß diejenigen, die dem 1. Deutschen Bundestag anzugehören die Ehre hatten, selbst einmal Zeuge waren, wie der Herr Bundeskanzler diese seine Stellungnahme nicht nur den übrigen Fraktionen des Hohen Hauses, sondern auch seiner eigenen Fraktion gegenüber einnahm, indem er dem Hohen Hause und damit auch seiner eigenen Fraktion sagte, daß er hier von dieser Stelle aus nicht als Mitglied der CDU/CSU und nicht als Mitglied dieser Partei spreche und handle, sondern als Bundeskanzler, das heißt doch wohl: im richtigen und wohlverstandenen staatspolitischen und nicht parteipolitischen Interesse.
Meine Damen und Herren, wenn man die Regierungserklärung und die Stellungnahmen zu der Großen Anfrage der anfragenden Fraktion und der sie unterstützenden Mitglieder der sozialdemokratischen Fraktion betrachtet, dann, glaube ich, kann man der Antwort des Herrn Bundeskanzlers auf die Anfrage nur mit voller Überzeugung zustimmen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Becker.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Bei Behandlung dieser
Frage möchte ich von den Personen, um die es sich handelt, und von der Fraktion, um die es sich handelt, vollständig absehen.
Ich will mich nur mit den Dingen beschäftigen, die allerdings vom Standpunkt unserer Verfassung und vom Standpunkt der Verfassungswirklichkeit und vom Standpunkt der Schaffung einer guten Tradition wichtig sind, so wichtig, daß ich bitten möchte, daß wir diese Dinge in voller Sachlichkeit und ohne irgendwelche Erregungen besprechen.
Art. 64 Abs. 1 unseres Grundgesetzes sagt:
Die Bundesminister werden auf Vorschlag des Bundeskanzlers vom Bundespräsidenten ernannt und entlassen.
Einwandfreier, klarer Text!
Es steht weiter im Art. 65, daß der Bundeskanzler die Richtlinien der Politik bestimmt, daß aber innerhalb dieser Richtlinien jeder Bundesminister seinen Geschäftsbereich selbständig und unter eigener Verantwortung — das heißt doch auch: Verantwortung gegenüber dem Parlament — leitet. Wenn Meinungsverschiedenheiten im Kabinett bestehen, dann entscheidet — wiederum nach Art. 65 — die Bundesregierung, das heißt also hier: kollegial.
Meine Damen und Herren, wie sind diese Bestimmungen denn in das Grundgesetz hineingekommen? Die Mitglieder des Parlamentarischen Rates werden sich entsinnen, daß mein Freund Dehler und ich diejenigen waren, welche vorgeschlagen haben, das System der präsidentiellen Demokratie, wie es in den Vereinigten Staaten von Nordamerika herrscht, zu unserem System zu machen,
d. h. ein System, in dem Staatsoberhaupt und Chef der Regierung die gleiche Person sind, mit der Konsequenz, daß das Parlament und seine Fraktionen jeder einzelne für sich von der Regierung unabhängig sind, weil diese Regierung ihre Grundlage in einem Wahlakt fand, der außerhalb des Parlaments lag.
Das wurde abgelehnt,
und mit der Ablehnung ist festgestellt, daß im Grundsätzlichen nunmehr das gegenteilige System herrscht, das heißt, nicht die präsidentielle Demokratie, sondern die parlamentarische Demokratie. Das ist nicht nur ein Schluß aus dem Gegenteil, e contrario, sondern das ist deshalb so, weil es damals allgemein festgestellt wurde.
Die Grundlagen dieser parlamentarischen Demokratie sind nun in zwei Punkten eingeschränkt. Die erste Einschränkung ist das konstruktive Mißtrauensvotum. Nach den Erfahrungen der Weimarer Demokratie wollte man nicht, daß eine aus extremen Flügeln gebildete Majorität die Regierung stürzen konnte, und hat deshalb das konstruktive Mißtrauensvotum geschaffen. Dessen logische Folge war, nun auch ein Mißtrauensvotum gegen einzelne Minister zu untersagen, um zu ver-
hindern, daß nach und nach jeder einzelne Minister durch vereinzelte Mißtrauensvoten aus dem Kabinett herausgeschossen werden könnte. Das ist der Werdegang. Das sind die zwei Ausnahmen von dem Prinzip des sonst üblichen parlamentarischen Systems, und derartige Ausnahmen sind nach alter Rechtsregel niemals ausdehnend zu interpretieren.
Daraus ergibt sich weiter folgendes. Wenn der Herr Bundeskanzler vorhin der Meinung Ausdruck gegeben hat, daß ein Minister — so habe ich ihn wenigstens verstanden — nicht zurücktreten könne, auch wenn er ernstlich wolle, sein Rücktritt vielmehr an die Zustimmung des Herrn Bundeskanzlers gebunden sei, — —
— Gut, einverstanden, sehr gern einverstanden! Dann haben wir also den Fall, daß jeder Minister kraft eigenen Entschlusses zurücktreten kann, daß ihr Rücktritt an die Zustimmung des Herrn Bundeskanzlers, wie eben bestätigt ist, nicht gebunden ist.
— Mich interessieren Personen und Parteien bei dieser Auseinandersetzung überhaupt nicht.
Nun steht im Grundgesetz, daß der Herr Bundeskanzler vom Bundestag gewählt wird, d. h. seine Autorität entspringt aus der Wahl durch den Bundestag. Aber es gibt in der politischen Praxis verschiedene Dinge, die nicht im Grundgesetz geregelt sind und deshalb doch vorhanden sind, und das Vorhandensein der einen Tatsache ist doch wohl nicht zu bestreiten: daß einer solchen Wahl im Bundestag Besprechungen vorhergehen. Wer bespricht sich? Die Fraktionen, die Abgeordeten. Da wird dann eine Grundlage geschaffen. Diese Grundlage ist — das gebe ich auch zu — keine justitiable Grundlage, auf der man vor dem Verfassungsgerichtshof klagen könnte,
wenn man etwa die bizarre Idee hätte, dort drei Jahre hindurch Prozesse über diese Dinge führen zu wollen. Trotzdem ist es eine verfassungswirkliche Tatsache, nicht Verfassungsrecht, aber eine der Verfassungswirklichkeit entsprechende Tatsache, und eine solche Koalitionsabsprache ist etwa nach den Regeln des Gesellschaftsrechts auszulegen,
zumindest aber nach zwei Grundprinzipien, die jeder Vereinbarung zwischen Menschen zugrunde liegen. Dieses eine Grundprinzip heißt: Treu und Glauben,
und das andere Grundprinzip ist die clausula rebus sic stantibus, d. h. wenn die Verhältnisse, die bei Abschluß des Abkommens vorgelegen haben, sich irgendwie ändern, dann ist im Einvernehmen aller Beteiligten eine neue Vereinbarung zu treffen.
Daraus folgt, daß, wenn ein solches Ereignis eintritt, wie es ein Rücktritt ist, man sich wieder zu besprechen hat. Ich bin glücklich, mich mit dem Herrn Bundeskanzler hier in vollständiger Übereinstimmung zu befinden. Denn er hat in seiner zweiten Rede zum Ausdruck gebracht, daß er
willens gewesen sei, über diesen Fall mit den Parlamentariern Rücksprache zu halten, aber daran durch die Parlamentsferien und später durch seine Krankheit gehindert worden sei. Ich darf in diesem Zusammenhang feststellen, daß unsere Fraktion am 5. November 1955 ein Schreiben an den Herrn Bundeskanzler gerichtet hat, in dem sie unter Hinweis darauf, daß diese Dinge nun geklärt werden müßten, und unter Hinweis auf gewisse Rechtsauffassungen, die ich teilweise hier zum Ausdruck gebracht habe, erklärt hat, daß darüber verhandelt werden müsse. Wir haben, obwohl der Herr Bundeskanzler, wie wir vorhin gehört haben, mit den Parlamentariern hatte reden wollen, nichts gehört.
Eine Koalitionsvereinbarung beruht auf den zwei Prinzipien, die ich nannte, und diese haben zur Konsequenz, daß man von Fall zu Fall in voller Aufrichtigkeit miteinander verhandelt und die Grundlinien der Politik, die gemeinsam verfolgt werden sollen, miteinander bespricht.
Wir sind sehr gern bereit, das auch weiterhin zu tun, und ich bin überzeugt, daß man, je konkreter man über einzelne Dinge spricht, um so sehr viel leichter zur Verständigung in diesen Angelegenheiten kommen kann.
— Herr Kollege Arndt, ich sprach vorhin von Treu und Glauben; ich möchte diesen Grundsatz auch jetzt noch nicht aufgeben.
Diese Koalitionsvereinbarungen und ihr Charakter als ein immerhin vertragsähnliches — ich will gar keine pathetischen Worte gebrauchen — Agreement haben noch dadurch ihre Unterstreichung gefunden, daß man Sonderminister geschaffen hat.
Wir von der FDP sind damals — ich darf das in die Erinnerung zurückrufen — bereit gewesen, uns bei der Schaffung dieses Kabinetts mit zwei Ministern zu begnügen, wenn in entsprechender Weise überall eine Reduktion vorgenommen würde.
Der Herr Bundeskanzler hat dann erklärt, daß er sich in dem vorgeschrittenen Stadium der Verhandlungen nicht mehr auf diese Grundlage stellen könne, so daß also unser Vorschlag nicht durchgeführt wurde. Aber damit traten dann die Sonderminister in Erscheinung. Bitte, ich sage nichts gegen die Sonderminister, weder daß sie überflüssig seien, noch daß sie etwa ihr Ansehen in ihren Fraktionen verloren hätten!
Für uns und unseren Sonderminister gilt das nicht, sondern ich sage nur, daß die Schaffung dieser Sonderministerien gerade die enge Bindung unterstreicht, die zwischen der Regierung und den Fraktionen der Koalition hatte geschaffen und aufrechterhalten werden sollen.
— Bei wem?
Wir sprachen vorhin vom Rücktritt. Wir sind jetzt im Laufe dieser Besprechung darin übereingekommen, daß jeder Minister zurücktreten kann, wie er will.
— Natürlich auch, wenn er will. Es gibt da verschiedene Rücktrittsgründe und Rücktrittsmöglichkeiten. Der eine Grund ist z. B. der, daß sich im Geschäftsbereich des Ministeriums irgend etwas tut, wozu der Minister nichts kann. Es ist nicht sein Verschulden, aber es liegt in seinem Verantwortungsbereich. Im alten Preußen ging er dann, und ich glaube, wenn das geschähe, würde jeder in der Öffentlichkeit sagen: Na, er ist nicht schuld daran; es hätte nicht passieren dürfen, aber er ist wenigstens ein Kerl.
Der andere Rücktrittsfall ist der, daß ein Minister mit der allgemeinen Politik der Regierung nicht mehr völlig einverstanden ist — das soll auch manchmal vorkommen —; wenn er dann mit seiner Ansicht im Volk Anklang findet und seinen Rücktritt erklärt, dann heißt es vielleicht: Endlich einmal ein Mann!
Wenn er mit seiner Partei zerfallen ist — das kann auch mal vorkommen —, wenn er sich im Gegensatz zu seiner Partei befindet und dann zurücktritt, weil er das Vertrauen derer, die ihn in die Stellung gebracht haben, nicht mehr hat, wird die Öffentlichkeit, falls sie für seine Motive Verständnis hat, sagen können: Na, gut, er klebt wenigstens nicht an seinem Amt!
Schließlich gibt es eine vierte Rücktrittsmöglichkeit — ich hatte es hier schon auf meinem Zettel notiert, aber, Herr Kollege Schoettle, ich möchte Ihnen das Autorenrecht zugestehen —, das ist das Rücktrittsrecht mit einem bedeutungsvollen Augenzwinkern, mit dem Augenzwinkern, daß man sagt: Ich überlasse das Weitere Ihnen!
Das Volk, meine Damen und Herren, hat für diese verschiedenen Methoden und für die Motive, die dabei mitsprechen, sowie für die Praxis, die sich da einbürgern will, ein sehr feines Gefühl. Unterschätzen Sie das nicht.
Der Herr Bundeskanzler hat, wenn ich recht verstanden habe — ich bitte, mich zu korrigieren —, vorhin auf die Eidesformel verwiesen, die jeder Minister vor dem Präsidenten des Bundestages ausspricht. Wir ehren das, und wir wissen, daß dieser Appell an die darin enthaltenen Pflichten von den Herren durchaus gewahrt wird. Aber die Einhaltung dieser Pflichten schließt doch eines nicht aus, was bei solchen verschiedenen Rücktrittsmöglichkeiten auch zu beachten ist, nämlich Takt.
Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir hatten, bevor Kollege Becker sprach, von den Bestimmungen der Verfassung gesprochen. Nach dem BundesministerGesetz hat jeder Minister das Recht, um seine Entlassung aus dem Amte nachzusuchen; sie muß ihm gewährt werden.
— Also darüber sind wir uns vollständig einig.
Herr Kollege Becker hat dann von den Koalitionsvereinbarungen gesprochen. Diese haben mit I den Bestimmungen der Verfassung nichts zu tun. Aber ich akzeptiere die Erläuterungen, die Herr Becker gegeben hat, indem er eine Koalitionsvereinbarung als eine Art von Gesellschaftsvertrag betrachtet, bei dem man alles miteinander bespricht. Nun würde die Frage des Ausscheidens der beiden Herren Kraft und Oberländer nicht mehr in der Gesellschaft erörtert werden müssen, der auch der BHE einmal angehört hat, sondern in der durch das Ausscheiden des BHE aus der Koalition im Monat Oktober verkleinerten Gesellschaft.
Nun möchte ich Herrn Becker auf seine Worte: „Was haben wir gehört? Nichts!", folgendes erwidern. Am 28. November habe ich meinen Dienst wieder aufgenommen. Am 6. Dezember und mehrfach in der Folge haben Koalitionsbesprechungen zwischen CDU/CSU, FDP und Deutscher Partei stattgefunden, stundenlange Koalitionsbesprechungen, bei denen nun sehr wichtige andere Dinge erörtert worden sind. Ich glaube, es würde damals als direkt eigenartig aufgefallen sein, wenn man da plötzlich von den Herren Kraft und Oberländer gesprochen hätte.
— Das können Sie ja noch nicht wissen: immer Geduld haben und abwarten!
Ich glaube also, wenn in der rednerisch sehr geschickten Weise des Herrn Kollegen Becker mit der Bemerkung, man habe nichts gehört, zum Ausdruck
gebracht werden sollte, daß damit die Sache für die Koalition erledigt sei, dann irrt er. Selbstverständlich werde ich diese Frage in einer Koalitionsbesprechung auch zur Erörterung stellen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Arndt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Bundeskanzler hat soeben mit der ja nicht an uns als Opposition, sondern an Sie, meine Damen und Herren, die Sie die Koalition bilden, gerichteten Bemerkung geschlossen, daß er diese Frage, nämlich des Rücktritts der Herren Kraft und Oberländer, zum Gegenstand einer Koalitionsbesprechung machen werde. Nun, darüber kann man sich nur verwundern, nachdem der Herr Bundeskanzler vor einigen Tagen doch bereits verfügt hat, daß die beiden Herren ihre Ämter abzusitzen haben.
Gerade an dieser letzten Bemerkung sieht man, worum es geht: nicht um Rechtsfragen, sondern um Fragen des politischen Stils und um die Achtung, die der Herr Bundeskanzler seiner eigenen Koalition entgegenbringt.
Der Herr Bundeskanzler hat uns geraten, wir sollten die verfassungsrechtlichen und die politischen Fragen auseinanderhalten. Das ist ein guter Rat. Aber man darf dann nicht das tun, was der Herr Bundeskanzler getan hat, nämlich auf politische Einwendungen mit rechtlichen Argumenten antworten und auf rechtliche Einwendungen mit politischen antworten.
Dasselbe gilt für den Herrn Kollegen Hoogen, der uns hier ein Kolleg gehalten hat über Dinge, die kein Mensch bezweifelt.
Kein Mensch bezweifelt, daß es keine rechtliche Abhängigkeit der Bundesminister von dem Bundestag gibt. Das ist klar aus dem Grundgesetz zu lesen; das ist einhelliger Wille des Parlamentarischen Rates gewesen. Also wozu diese Vorlesung? Übrigens mit dem Ergebnis, daß die Bundesminister hier in einer Art und Weise hingestellt werden, als ob sie eigentlich für nichts und wieder nichts eine große Rente bezögen und im übrigen nichts zu sagen hätten.
Das dient dem Rang und dem Ansehen der Bundesminister nicht, wenn es so vorgebracht wird, wie das hier geschehen ist.
Es ist völlig richtig, was Herr Katz gesagt hat, daß die Bundesminister eine Art Untergebene des Bundeskanzlers sind. Das ist auch absolut nichts Ehrenrühriges; das ist in Weimar nicht anders gewesen. Es muß immer einen Primus inter pares geben, und der Herr Bundeskanzler hat eine gewisse Führungsaufgabe dadurch, daß er die Richtlinien der Politik bestimmt. Das ist also alles keine Offenbarung, was uns hier vom Herrn Hoogen vorgetragen worden ist, und hat mit der Sache gar nichts zu tun. Die Sache liegt in einem ganz anderen Punkte.
Ich will nur noch zwei Bemerkungen zu den Ausführungen des Herrn Kollegen Hoogen machen, ehe ich auf die Ausführungen des Herrn Bundeskanzlers zurückkomme. Herr Kollege Hoogen hat gesagt, man habe „nicht einmal" das Volk angerufen, um das Bonner Grundgesetz bestätigen zu lassen, weil man auf eine mittelbare Demokratie hinausgewollt habe. Ich möchte dieser Legendenbildung hier keinen Vorschub leisten. Der Grund, warum man das Bonner Grundgesetz von den Landtagen ratifizieren ließ und nicht zur unmittelbaren Volksabstimmung gestellt hat, ist schlicht der, daß Deutschland damals nicht nur geteilt und besetzt war, sondern auch der heute bei manchen vergessene Wille geherrscht hat, es nur zu einem Provisorium kommen zu lassen, hier dieser Ordnung noch nicht den Charakter des Endgültigen zu geben, den sie durch eine Volksabstimmung bekommen hätte.
Ich warne davor, dem Worte „Demokratie" irgendwelche Zusätze beizufügen, „unmittelbar" oder „mittelbar" und ähnliches mehr. Das Wesen der Demokratie als Selbstbestimmung des Volkes und als Staatsgewalt, die immer nur vom Volke ausgehen kann, verträgt keinen Zusatz oder Beisatz, weder den, Volksdemokratie zu sein, noch den, Kanzlerdemokratie zu sein.
Nun zu einer zweiten Bemerkung des Herrn Kollegen Hoogen, über die ich mich nicht ereifern will. Herr Kollege Hoogen hat gesagt, was hier vertreten und gefordert werde, sei nur im Wege der Verfassungsänderung zu erreichen, und dann komme man zum Blocksystem der Verfassung der „DDR". Meine Damen und Herren, ich muß im weiteren Verlauf meiner Ausführungen noch auf einen Begriff kommen, der hierbei auch schon eine Rolle spielt; das ist der Begriff der politischen Gesittung. Ich glaube, daß die politische Gesittung es in diesem Hause verbieten sollte, einer anderen demokratischen Fraktion oder einem Kollegen in diesem Hause, der einer demokratischen Fraktion angehört, irgend etwas zu unterstellen, was ihn ostverdächtig macht oder ihn in den Verdacht bringt, er habe etwas angestrebt, was dem östlichen totalitären Regime entspreche. Mehr will ich dazu nicht sagen.
Ich komme auf Ausführungen des Herrn Bundeskanzlers zurück, der zwei Grundsätze aufgestellt hat, einmal den, daß ein Bundesminister nach dem Grundgesetz nicht verpflichtet sei, sein Amt zur Verfügung zu stellen, und zweitens den, daß der Herr Bundeskanzler bei der Auswahl seiner Mitarbeiter frei sei. Das sind rechtliche Antworten
auf politische Einwendungen. Ich bleibe aber jetzt erst einmal beim Rechtlichen, nur in ganz kurzer Ergänzung dessen, was der Herr Kollege Becker schon so ausgezeichnet vorgetragen hat.
Der schwerste Fehler, den man bei dem Verständnis einer Verfassungsurkunde begehen kann, ist der, eine einzelne Vorschrift herauszugreifen — so wie man das in Weimar mit dem Art. 48 getan hat — und diese eine Vorschrift auszuweiten und verstehen zu wollen ohne Zusammenhang mit den anderen. So kann man weder den Art. 64, der besagt, daß der Bundeskanzler die Bundesminister ernennt und entläßt, isolieren noch etwa gar das konstruktive Mißtrauensvotum. Die Bestimmungen des Grundgesetzes darüber fangen an mit der Bundesregierung. Dieses Wort fällt, bevor überhaupt vom Bundeskanzler die Rede ist, im Art. 62. Dort heißt es, die Bundesregierung besteht aus dem Bundeskanzler und den Bundesministern. Sie ist also für sich ein besonderes Organ, in das auch der Bundeskanzler eingegliedert ist, soweit er nicht die Richtlinienbestimmung hat. Nun gibt es einen wesentlichen Unterschied zur Weimarer Reichsverfassung. In der Weimarer Reichsverfassung bekam der Reichskanzler seine Legitimation dadurch, daß das Staatshaupt, der Reichspräsident, ihn ernannt hat, ein Weg, der zur Präsidialkabinettsbildung geführt hat, und ein Weg, der den Reichskanzler insoweit in gewisser Weise sogar unabhängig vom Reichstag gemacht hat. Das hat das Bonner Grundgesetz nicht gewollt. Darum beginnen die Bestimmungen, denen die Vorschrift über die Ernennung und Entlassung von Ministern nachfolgt, damit, daß der Bundeskanzler vom Bundestag gewählt wird. Das wird mit Recht in der Rechtslehre dahin ausgelegt, daß nicht der Akt der Ernennung durch den Herrn Bundespräsidenten, sondern diese Wahl den Bundeskanzler legitimiert, und zwar in einer ganz besonderen Weise, nämlich dahin, daß er dauernd ein Gewählter bleibt. Das ist ein ständig gegenwärtiger und unaufhörlicher Vorgang, der sich auch mit dem Art. 67 verkoppelt. Dabei handelt es sich nicht etwa nur um die Gestaltung der Regierungsbildung, sondern auch des Regierens selber, das heißt, daß von einem gewählten Kanzler zu regieren ist.
In diesen Zusammenhang gehört der Art. 64, zu dem der Bonner Kommentar — ein rechtswissenschaftlicher Kommentar — bezüglich des Vorschlags des Kanzlers auf Ernennung des einen oder anderen Ministers sagt, daß „dieser Vorschlag eine bedeutsame politische Entscheidung ist, d. h. eine verantwortliche Entscheidung vor allem gegenüber den politischen Parteien, die dem Bundeskanzler mit der Wahl das Vertrauen auch für eine den Parteien genehme Regierungsbildung gegeben haben". Es gibt also hier durchaus diesen rechtlichen Zusammenhang auch zwischen der Kanzlerwahl und der politischen Regierungsbildung für die Gestaltung der Bundesregierung.
Gerade die größte Fraktion des 2. Bundestages hat sich doch deshalb oft und oft auf dieses verfassungsrechtliche und politische Formprinzip berufen, indem sie die Frage der Koalitionstreue aufgeworfen hat. Welchen Sinn könnte es denn haben, von der Koalitionstreue zu sprechen und sie zu fordern, falls nicht die Bundesregierung in ihrer Gesamtheit und die Fraktionen der sie tragenden Mehrheit in einer Wechselbeziehung der gegenseitigen Legitimation bleiben?
Sonst sollte man nicht von Koalitionstreue, sonst sollte man statt dessen von Koalitionsgehorsam reden.
Warum geht uns das etwas an? Aus dem Grunde, weil hier eine Tradition geschaffen werden könnte, die wir für schlecht halten, aber vor allen Dingen deshalb, weil das, was hier geschieht, auf eine Entwertung der politischen Fraktionen hinausläuft, auf eine Entwertung der politischen Parteien. Die Freiheit ist nun einmal mit der Parteibildung und mit dem Wesen und der Existenz politischer Parteien in einer Demokratie unlösbar verknüpft. Darum haben wir dieses Interesse, hier die politischen Parteien nicht in einer solchen Weise entwerten zu lassen, wie es geschehen ist.
Darum ist es politisch nicht richtig, daß eine Freiheit des Bundeskanzlers bei der Auswahl seiner Mitarbeiter besteht, weil er immer ein gewählter Kanzler bleibt. Dieses ganze Spiel kann ja nur deshalb gespielt werden, weil die eine Fraktion der Koalition, der der Herr Bundeskanzler selber angehört, allein die Mehrheit hat,
und ich glaube, daß Sie, meine Damen und Herren von der CDU/CSU, nicht mitspielen würden, wenn der Herr Bundeskanzler aus Ihrer Fraktion austräte und sagte, er könne gleichwohl Kanzler bleiben.
Das sind die Argumente des Herrn Bundeskanzlers, die ich damit einmal ad absurdum führen will, weil er juristische Antworten auf politische Fragen gibt.
Nun zu erzählen, daß ein Bundesminister verfassungsrechtlich nicht verpflichtet sei, zurückzutreten, ist doch genauso gut, wie wenn uns gesagt würde, daß er nicht verpflichtet sei, einen besonderen Anzug zu tragen oder irgend etwas Derartiges zu tun. Das ist doch gar nicht das, worum es geht. Es handelt sich nicht um die rechtliche Struktur der Bundesregierung im Innenverhältnis zwischen Bundeskanzler und Bundesminister. Es handelt sich um die politische Beziehung zwischen der Bundesregierung und dem Bundestag als dem Parlament. Das ist das Thema, um das es geht,
ein Thema, zu dem Sie manches nicht in den Artikeln des Grundgesetzes finden, weil sich das nicht paragraphieren läßt. In der Mutter der Parlamente, im britischen Unterhaus, gibt es überhaupt keine geschriebene Verfassung. Es wäre aber dort ein Fall Oberländer-Kraft niemals vorstellbar gewesen;
denn die Engländer regieren mit dem, was man politische Gesittung nennt. Der Fall Kraft-Oberländer zeigt wieder einmal, daß wir darin noch ein unterentwickeltes Gebiet sind.
Meine Damen und Herren, Wortmeldungen liegen nicht mehr vor. Punkt 1 der Tagesordnung ist damit erledigt.
Ich rufe Punkt 2 der Tagesordnung auf:
Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes zu dem Gesetz über die Inanspruchnahme eines Teils der Einkommensteuer und der Körperschaftsteuer durch den Bund im Rechnungsjahr 1955 (Drucksache 1820).
Das Wort als Berichterstatter hat der Abgeordnete Seidl .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der vorliegende Bericht des Vermittlungsausschusses, Drucksache 1820, stammt bereits aus dem Oktober des vorigen Jahres. Er konnte in diesem Hause nicht beraten werden, bevor nicht Klarheit über die Frage der Reform des Finanzausgleichs zwischen Bund und Ländern geschaffen war. Das Finanzverfassungsgesetz ist nunmehr im Bundesgesetzblatt verkündet, und zwar am 28. Dezember 1955. Da es nach seinem § 2 bereits mit Wirkung vom 1. April 1955 in Kraft tritt, erübrigt sich die Verabschiedung eines Inanspruchnahmegesetzes für dieses Jahr. Der Antrag des Vermittlungsausschusses, den Gesetzesbeschluß aufzuheben und die seinerzeitige Vorlage abzulehnen, setzt damit den Schlußstein unter die ganze Finanzreform.
Ich darf Sie namens des Vermittlungsausschusses bitten, dem Antrag auf Drucksache 1820 Ihre Zustimmung zu geben.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter. — Das Wort zur Abgabe von Erklärungen wird nicht gewünscht.
Wir kommen zur Abstimmung. Wer dem Antrag des Vermittlungsausschusses auf Drucksache 1820 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Das ist die Mehrheit; es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 3 der Tagesordnung auf:
Wahl des Abgeordneten Struve zum stellvertretenden Mitglied des Bundestages im Vermittlungsausschuß.
Vereinbarungsgemäß ist hierzu keine Diskussion. Widerspruch erfolgt nicht. Die Wahl des Abgeordneten Struve ist beschlossen.
Ich rufe nun vereinbarungsgemäß Punkt 9 der Tagesordnung auf:
Beratung des Antrags der Fraktion der SPD betreffend Vorlage des OEEC-Berichts an den Ausschuß für Wirtschaftspolitik .
Wer wünscht den Antrag zu begründen? — Bitte sehr!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf zunächst kurz auf den Inhalt unseres Antrages Drucksache 1927 eingehen. In der Vorlage wird der Tatbestand angesprochen, daß die Bundesregierung jährlich einen Bericht an die Organisation für die europäische wirtschaftliche Zusammenarbeit zu geben hat. Das Ziel unseres Antrages ist, daß die Bundesregierung diesen Bericht vor seiner Absendung in dem Fachausschuß des Hohen Hauses, im Wirtschaftspolitischen Ausschuß, zur Diskussion bringt, um eine Stellungnahme zu diesem Bericht herbeizuführen. Der Anlaß für den Antrag ist unser Anliegen, der Fachausschuß des Hohen Hauses solle Kenntnis davon haben, wie die Regierung ihre Vorausschätzungen für die künftige Entwicklung im Sinne einer volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung vornimmt.
Diese Vorausschätzungen haben eine entscheidende Bedeutung, nicht nur wirtschaftspolitisch, sondern auch haushaltspolitisch. Die volkswirtschaftliche Gesamtrechnung ist die Grundlage für die Beurteilung der Wirtschaftsentwicklung und aller wirtschaftspolitischen Maßnahmen. Diese Vorausschätzungen liefern ebenfalls in ihren Ergebnissen wesentliches Material für die Aufstellung des Bundeshaushalts. Ferner bilden diese Berichte die Basis für die Festsetzung der NATO-Beiträge. Diese Berichte bedürfen daher unseres Erachtens einer eingehenden Diskussion im eigenen Kreise.
Wir sind der Meinung, daß sie außerdem nicht nur für die Bundesrepublik, sondern auch für das Ausland von Interesse sind, denn die von der Bundesregierung eingesandten Berichte werden in Paris einem Examen unterworfen, das Examen wird von Experten anderer Länder durchgeführt, und die Ergebnisse der Examen dieser Berichte sind nicht immer sehr erfreulich. Im Oktober 1955 wurde der Bericht der Bundesregierung einem solchen Examen unterworfen. Das Ergebnis dieses Examens wurde in der Öffentlichkeit diskutiert, und das Ergebnis war nicht gerade sehr erfreulich; es war sogar peinlich. Der Bericht mußte mehrfach ergänzt werden, und die Zahlen mußten wieder neu zusammengestellt werden. Deshalb meinen wir, daß eine offene Diskussion eines so grundlegenden Berichts der Bundesregierung im Fachausschuß des Hohen Hauses sicher sehr zweckmäßig wäre, nicht weil wir meinen, die fachliche Weisheit des Ausschusses gibt die Gewähr dafür, daß die Prozentzahl bezüglich der Industrieentwicklung und des Sozialprodukts treffsicher ist, sondern weil wir der Auffassung sind, daß eine solche Diskussion immerhin in der Sache eine größere Sicherheit geben kann. Eine derartige Diskussion im eigenen Hause führt zu einer Vervollständigung und Überprüfung und erspart der Bundesregierung manche Peinlichkeit, erspart darüber hinaus dem Parlament bzw. seinem Fachausschuß auch eine Unterrichtung über diese Dinge a posteriori durch die Presse, denn anders erfolgt die Orientierung ja kaum.
Alles das sind Argumente, meine Damen und Herren, die sicher Ihnen allen einleuchten. Wir sind deshalb auch der Meinung, daß es eigentlich eines solchen Antrages gar nicht bedurft hätte, sondern daß die Bundesregierung selbst das Bedürfnis haben müßte, solche Berichte, bevor sie in den internationalen Raum gehen, im eigenen Parlament besprechen zu lassen. Wir können nur annehmen, daß die Verwaltung der Bundesregierung so überlastet ist, daß sie auf diese Idee gar nicht gekommen ist.
Wir beantragen, daß diese Berichte vorher im Wirtschaftspolitischen Ausschuß besprochen werden und daß eine Stellungnahme des Ausschusses eingeholt wird. Ich darf der Hoffnung Ausdruck geben, daß dieser Antrag so klar ist, daß er allgemeine Zustimmung findet, und darf deshalb darum bitten, von einer Überweisung dieses Antrags an den Ausschuß abzusehen und gleich hier über ihn abzustimmen.
Wird das Wort gewünscht? — Das Wort hat Herr Staatssekretär Dahlgrün.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zu dem eben begründeten Antrag möchte ich mir erlauben, einige Worte zu sagen, aus denen hervorgehen soll, daß sich bei der Verwirklichung des zweiten Teils des Antrags einige praktische, aber auch rechtliche Schwierigkeiten ergeben. Soweit der Antrag lediglich darauf gerichtet ist, daß der deutsche Beitrag zum OEEC-Jahresbericht dem Bundestag oder einem Ausschuß, dem Ausschuß für Wirtschaftspolitik, zur Kenntnis gebracht wird, bestehen selbstverständlich keine Schwierigkeiten. Aber die Einholung einer Stellungnahme des Bundestages verursacht solche Schwierigkeiten.
Damit Sie diese Schwierigkeiten erkennen, erlaube ich mir, mit wenigen Worten die Art des Berichtsverfahrens und den Gang der Handlung zu erläutern. Jährlich gibt die OEEC in Paris Richtlinien bekannt, nach denen die Länder ihre Berichtsbeiträge liefern sollen. In Deutschland setzen wir uns dann im interministeriellen Ausschuß zusammen und entwerfen gemeinsam den deutschen Beitrag. An diesem Ausschuß sind alle Ministerien beteiligt, die sich für die Arbeit und die Angelegenheiten der OEEC interessieren. Außerdem wirkt das Statistische Bundesamt sehr stark mit. Der Ausschuß bildet auch Arbeitskreise. Ich möchte die zwei wichtigsten nennen. Der eine Arbeitskreis ist für die Probleme der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung, der zweite Arbeitskreis für die Fragen der Zahlungsbilanzstatistik gebildet. Die Arbeiten dieser Arbeitskreise dürften es sein, die gerade auch unter dem Blickpunkt des Antrags interessant sind.
Nach diesen Vorarbeiten geht der gemeinsam formulierte Entwurf ins Kabinett und wird dort genehmigt oder geändert. Erst dann überreichen wir ihn in Paris.
Nun wird dieser deutsche Beitrag keineswegs sofort inhaltlich oder wörtlich übernommen, sondern die OEEC setzt dann das sogenannte Länderexamen an, dem jedes Mitgliedsland unterworfen ist. Dieses Länderexamen wird durch formulierte Fragen vorbereitet, die von jeweils zwei Ländern unter Mitarbeit des Länderreferenten der handelspolitischen Abteilung der OEEC aufgesetzt werden. Zu diesen Fragen muß jedes Land, also auch die deutsche Bundesrepublik, binnen sehr kurzer Zeit Stellung nehmen. Es folgt dann die Examensverhandlung selbst, die mündlich in Paris stattfindet. Dieses Examen sieht auf der einen Seite die Vertreter der OEEC und auf der anderen Seite die deutschen Regierungsvertreter.
Noch vor dem Examen geht die OEEC an die Ausarbeitung des endgültigen Länderkapitels Deutschland. Dieses endgültige Kapitel wird uns vor seiner Drucklegung zugesandt. Wir können dann noch Änderungswünsche äußern; das tun wir auch. Die OEEC ist aber in der Gestaltung ihres Berichts hinsichtlich der einzelnen Länder einschließlich Deutschlands frei. Unser Berichtsentwurf ist nur Material ebenso wie die Ergebnisse des Länderexamens und die sonstigen Statistiken oder Unterlagen, die sich die OEEC auf andere Weise beschafft.
Es schließt sich daran die Arbeit der OEEC an dem allgemeinen Teil an, der die einzelnen Länderkapitel überdeckt und in dem die Gesamtlage der in der OEEC vereinigten Länder beurteilt und einer Würdigung unterworfen wird. Dann folgt eine Darstellung der künftigen Entwicklung und Aussichten. Auch diese Arbeit wird jedem einzelnen Land zugestellt, und so ist auch Deutschland in der Lage, dazu Stellung zu nehmen. Diese ganze Berichtsarbeit wollen Sie bitte unter dem Blickpunkt sehen, daß die Arbeit der OEEC unter dem Aspekt einer kritischen Darstellung und Würdigung der Wirtschaftslage der einzelnen Mitgliedsstaaten und der Zukunftsaussichten steht. Es scheint mir ungemein schwierig zu sein, eine verantwortliche Mitarbeit des Bundestages oder eines Ausschusses in dieses Verfahren einzugliedern, weil sich dieses Verfahren in mehreren Etappen abspielt. Wenn eine echte Mitwirkung sachlicher Art erfolgen sollte, müßte eigentlich der Ausschuß oder müßten wenigstens eine Reihe von Mitgliedern desselben in jeder Phase beteiligt sein. Das ist praktisch wohl kaum darzustellen.
Noch schwieriger wäre die etwaige Mitwirkung im Examen in Paris, weil dort auf der Länderseite immer nur Regierungsvertreter aufzutreten pflegen, überhaupt nur auftreten können. Allerdings können die Regierungsvertreter Sachverständige zuziehen, was auch vorkommt. Aber ein Bundestagsmitglied könnte nicht als solches, nicht in seiner Eigenschaft als Bundestagsmitglied auftreten. Außerdem könnten die deutschen Regierungsvertreter bei der Vertretung einer These auch nicht mit dem Einwand kommen, sie werde zwar nicht von ihnen, sondern vom Bundestag oder einem seiner Ausschüsse vertreten. Mit diesem Einwand würden sie nicht gehört werden, weil der OEEC gegenüber eben die Vertreter der Bundesregierung für das Vorgetragene verantwortlich sind. — Soweit meine Bedenken und meine Schilderung der Hindernisse auf der praktischen, verwaltungstechnischen Seite.
Ich muß mir erlauben, auch noch einige rechtliche Bedenken hinzuzufügen. Soweit die Einschaltung des Bundestages oder des Wirtschaftspolitischen Ausschusses über die lediglich zu Informationszwecken erfolgende Berichterstattung der Bundesregierung hinausgeht, soweit mehr als ein Kenntnisnehmen, vielleicht auch ein kritisches Kenntnisnehmen erfolgen soll, nämlich ein Stellungnehmen mit aktiver Beteiligung, scheinen mir die Kompetenzen des Parlaments überschritten zu sein.
Rechtlich ist die Berichtstätigkeit Deutschlands die Erfüllung einer völkerrechtlichen Verpflichtung, nämlich der des Art. IX der Konvention über wirtschaftliche Zusammenarbeit. Diese völkerrechtliche Pflicht zu erfüllen, ist Aufgabe der Regierung. Die Staatsrechtler stimmen mit dem Grundgesetz darin überein, daß hier die Aufgabe des Parlaments ihre Grenze findet. Am Abkommen selbst mitzuwirken, ist Sache des Parlaments; aber die Ausführungshandlungen vorzunehmen, die Berichterstattung selbst und auch die Verantwortung dafür zu tragen, ist Sache der Regierung. Ich erlaube mir, die Meinung zu äußern, daß ein Hineinragen der einen Tätigkeit in die andere immer unschön und eine saubere Trennung der Kompetenzen zu empfehlen ist.
Ich habe mit Absicht die mehr praktischen Hindernisse an den Anfang meiner Ausführungen ge-
stellt und ihnen etwas mehr Raum gegeben als den rechtlichen, weil ich weiß, daß nur rechtliche, besonders staatsrechtliche Betrachtungen oft formalistisch sind und als Vorwände für andere Gründe gelten können, die nicht genannt werden. Aber immerhin wollte ich darauf aufmerksam machen.
Was den Wunsch nach Information betrifft, so kann ich erklären, daß unser Haus gern bereit ist, ihn voll zu erfüllen. Ich glaube auch gerade für meinen Minister, Herrn Dr. Blücher, sagen zu können, daß es ihm nicht die Erfüllung einer lästigen Pflicht bedeutet, den Wirtschaftspolitischen Ausschuß auf dem laufenden zu halten, sondern es ihn geradezu befriedigt, um nicht zu sagen, ihm eine Freude macht, wenn er dem Ausschuß diese Dinge unterbreiten kann. Denn wir haben im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit immer das Empfinden gehabt, daß die Beiträge Deutschlands zu den Arbeiten der OEEC dem Parlament und darüber hinaus der Öffentlichkeit nicht genügend zur Kenntnis gelangen. Diesen Wunsch zu erfüllen, wäre mir ein ernstes Anliegen und verspreche ich. Insoweit, glaube ich sagen zu können, gehen wir mit Ihrem Antrag durchaus konform.
Herr Abgeordneter Schöne.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach den Ausführungen des Herrn Staatssekretärs glaube ich, daß es am zweckmäßigsten ist, die Fragen, die schon angeschnitten sind, hier nicht weiter zu vertiefen. Ich möchte meine vorigen Ausführungen insofern korrigieren, als ich nunmehr bitte, den Antrag doch dem Wirtschaftspolitischen Ausschuß zu überweisen, an Hand der Ausführungen des Herrn Staatssekretärs die Fragen zu erörtern und dann möglichst bald über den Antrag zu entscheiden.
Das Wort hat der Abgeordnete Margulies.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Man kann an sich darüber streiten, ob der OEEC-Bericht dem Ausschuß für Wirtschaftspolitik oder dem Ausschuß für Außenhandelsfragen zur Kenntnis zu bringen wäre. Ich glaube, das ist eine Streitfrage, die wir hier nicht lösen können. Es handelt sich um einen Bericht, der zwar an eine internationale Wirtschaftsorganisation geht, der jedoch die innerdeutsche wirtschaftliche Situation betrifft. Nun weiß ich aus früheren Äußerungen des Herrn Ministers Dr. Blücher, daß er es sehr bedauert, keinen Parlamentsausschuß zu haben, dem er seine Auffassungen darlegen kann. Die Tendenz des Antrags würde sicher in seinem Sinne sein. Auf der anderen Seite scheint mir das Objekt, nämlich der OEEC-Bericht, für diese Zwecke wenig geeignet. Wir wissen doch, daß es sich bei den Zahlen um Schätzungen handelt, zwar um möglichst exakte Schätzungen, aber doch eben um Schätzungen, um eine Voraussicht, um eine Art amtlicher Prophetie in Wirtschaftsfragen. Je länger der Zeitraum zwischen der Berichterstattung und der Erarbeitung dieser Zahlen ist, um so unsicherer wird das Material. Wenn sich also der Wirtschaftsausschuß oder ein anderer Ausschuß etwa noch einmal wochenlang mit der Materie befassen müßte — das wäre wohl erforderlich, wenn er seine Arbeit ernst nimmt —, dann würde der Abstand zwischen der Erstattung des Berichtes und der Erarbeitung des Materials noch größer, als er bedauerlicherweise jetzt schon ist. Wir würden genau das Gegenteil von dem erreichen, was Herr Kollege Schöne vorhin meinte. Gewiß können in den Schätzungen gelegentlich auch Fehler vorkommen. Ich würde es begrüßen, wenn wir uns über diesen Antrag nicht weiter unterhielten, sondern versuchten, andere Wege zu finden, um Herrn Dr. Blücher entgegenzukommen und ihm eine Möglichkeit zu geben, seine Auffassungen vor einem Parlamentsausschuß darzulegen.
Wortmeldungen liegen nicht mehr vor.
Der Herr Abgeordnete Schöne hat Überweisung an den Ausschuß für Wirtschaftspolitik beantragt. — Widerspruch erfolgt nicht; es ist so beschlossen.
Wir kommen dann zu Punkt 4 der Tagesordnung:
Beratung des Antrags der Fraktion der DP betreffend Hilfsmaßnahmen für die Landwirtschaft .
Das Wort zur Geschäftsordnung hat der Abgeordnete Dr. Horlacher.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Namens der Fraktion der CDU/CSU habe ich zu beantragen, diesen Punkt der Tagesordnung heute nicht zu behandeln, sondern zurückzustellen. Es handelt sich bloß noch um ein paar Wochen — dazwischen ist noch eine sitzungsfreie Woche —, bis der Bericht nach dem Landwirtschaftsgesetz über die Lage der Landwirtschaft von der Bundesregierung vorliegt. In einer ganzen Reihe anderer Fragen warten wir schon auf den Bericht, und manches Problem wird im Zusammenhang mit dem Bericht geklärt werden müssen. Das alles kann dann vielleicht viel gründlicher und besser erörtert werden, als wenn wir es in einer Debatte vorwegnehmen, die dann doch wieder vergessen ist und ihren Zweck nicht so erfüllen kann, wie wir es wünschen.
Ich möchte ausdrücklich betonen: Wir wollen mit unserem Vorschlag die Behandlung dieser Dinge nicht etwa hinauszögern, sondern beschleunigen. In dem Bericht werden eine Reihe von Fragen angesprochen; ich greife nur den Milchkomplex heraus. Wir sind dafür, daß darüber möglichst rasch entschieden wird. Die Gesetzentwürfe sind von den Ausschüssen zum Teil schon erledigt; sie kommen demnächst ins Plenum. Ich nenne ferner die ganzen Fragen der Umsatzsteuer, die damit zusammenhängen, die Zinsverbilligungsaktion, die Tbc-Bekämpfung und die Werkwohnungen. All das ist schon in verschiedenen Ausschüssen in Angriff genommen worden. Die Vorarbeiten dazu sind schon im Gange, so daß bei Vorliegen des Berichts des Bundesernährungsministeriums endgültig dazu Stellung genommen werden kann.
Es handelt sich also um eine Ordnung unserer Arbeiten, um eine Frage der Arbeitsökonomie, und um sonst gar nichts. Es geht darum, eine Wiederholung der gleichen Debatte zu vermeiden und in eine gründliche Aussprache einzutreten, wenn der sogenannte „Grüne Bericht" vorliegt. Aus diesen Gründen bitte ich das Hohe Haus, den Antrag von der heutigen Tagesordnung abzusetzen
und ihn wieder auf die Tagesordnung zu nehmen,
wenn der Bericht der Bundesregierung vorliegt.
Das Wort hat der Abgeordnete Fassbender.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bin eigentlich etwas erstaunt, daß Herr Kollege Horlacher hier einen Antrag, der von uns zur Behandlung in diesem Hause eingebracht wurde, ablehnt
mit der Begründung
— warten Sie doch ab, meine Herren! —, daß das bei dem „Grünen Bericht" mit gemacht werden könne. Ich will nicht hoffen, daß hier eine Verzögerungstaktik einsetzen soll. Ich kann aber nicht umhin festzustellen, daß das, was wir hier beantragen — meine Damen und Herren, das wird Ihnen der „Grüne Bericht" mit aller Deutlichkeit zu Gemüte führen —, Lappalien sind gegenüber dem, was wir nachher noch werden verlangen müssen. Und wenn Herr Horlacher sagt, die Milchpreisgeschichte — ja, ja, gerade bei dem Milchpreis, dem Kernstück dieses Antrags, haben wir keine Zeit mehr. Meine Damen und Herren, wenn Sie nicht wünschen, daß die Unruhe draußen auf den Dörfern weiter wächst, dann habe ich die herzliche Bitte an Sie: Stimmen Sie unserem Antrag zu, verhandeln wir heute darüber. Jede Woche, die ins Land geht, ist eine verlorene Woche, wenn wir nicht für unsere bäuerliche Bevölkerung jetzt ernsthaft und schnellstens etwas unternehmen.
Darüber hinaus darf ich darauf hinweisen, daß bei der großen Debatte, die das Landwirtschaftsgesetz abschloß, ausdrücklich ein Antrag der DP gegen ein paar Stimmen angenommen worden ist, die Bundesregierung aufzufordern, schnellstens Sofortmaßnahmen durchzuführen. Nun, das war am 8. Juli. Wir haben heute — ich muß das zu meinem Bedauern feststellen — den 19. Januar. Zeit genug wäre gewesen, entsprechende Sofortmaßnahmen in Angriff zu nehmen und bereits zur Verabschiedung zu bringen. Wir haben keine Zeit mehr. Diese Sofortmaßnahmen müssen durchgeführt werden, aus dem ganz einfachen Grunde, weil die Lebenshaltung unserer bäuerlichen Bevölkerung von Tag zu Tag sinkt; ich befürchte allen Ernstes, daß das in Zukunft Schäden für unsere gesamte Bevölkerung nach sich ziehen wird.
Ich bitte Sie deshalb, unserem Antrag stattzugeben und ihn heute von uns begründen zu lassen.
Meine Damen und Herren! Es ist für und gegen den Absetzungsantrag gesprochen worden. Ich lasse nunmehr über den Absatzungsantrag abstimmen.
— Herr Abgeordneter Schneider, das Wort zur Geschäftsordnung wird nach Ermessen des Präsidenten erteilt. Es ist einmal für und einmal gegen den Antrag gesprochen worden.
Ich lasse abstimmen. Wer dem Antrag auf Absetzung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um
das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Das erste war die große Mehrheit.
— Zu diesem Punkt? Wir haben nunmehr Punkt 5 der Tagesordnung.
— Das können Sie jetzt nicht mehr machen, sondern erst bei der nächsten Abstimmung. Die Abstimmung zu Punkt 4 ist schon beendet.
Wir kommen zu Punkt 5 der Tagesordnung:
a) Erste Beratung des Entwurfs eines Bundesbesoldungsgesetzes (Drucksache 1993);
b) Erste Beratung des von den Abgeordneten Kühn , Dr. Miessner, Kramel, Dr. Brühler, Dr. Sornik und Genossen eingebrachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Besoldungsrechts (Drucksache 2028 [neu]).
Nach der Vereinbarung im Ältestenrat wird auf Begründung zu beiden Entwürfen verzichtet, ebenso auf Aussprache. Der Altestenrat schlägt Ihnen Überweisung an den Ausschuß für Beamtenrecht
— federführend — und an den Haushaltsausschuß vor. — Widerspruch erfolgt nicht; es ist so beschlossen.
Ich komme zu Punkt 6 der Tagesordnung:
Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Gewährung von Sonderzulagen zur Unterhaltshilfe nach dem Lastenausgleichsgesetz ;
Schriftlicher Bericht des Ausschusses für den Lastenausgleich (Drucksachen 1983, zu 1983; Umdruck 513).
Der Berichterstatter, Herr Abgeordneter Schütz, verweist auf seinen Schriftlichen Bericht*), teilt Ihnen aber mit, daß in diesem ein Druckfehler unterlaufen ist. Im zweiten Absatz muß es in Zeile 7 statt „Januar" „Juni" heißen. Diese Berichtigung bitte ich vorzunehmen.
Ich rufe in zweiter Lesung die §§ 1 und 2 auf. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Das ist die Mehrheit; es ist so beschlossen.
Ich rufe auf den Umdruck 513**), Antrag auf Einfügung des § 2 a. Das Wort zur Begründung hat der Abgeordnete Dr. Klötzer.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Namens und im Auftrage meiner Fraktion habe ich den auf Umdruck 513 dem Hause vorliegenden Änderungsoder besser Ergänzungsantrag zu begründen. Ich darf hierzu kurz folgendes ausführen. Der heute zur zweiten und dritten Beratung anstehende Gesetzentwurf sieht erstmals die Durchbrechung eines vom Deutschen Bundestag sowohl in seiner
*) Siehe Anlage 2. **) Siehe Anlage 3.
ersten als auch in seiner zweiten Legislaturperiode stets anerkannten und auch angewandten Grundsatzes vor. Das Unterhaltshilfezulagen-Gesetz soll, wie auch in dem vorliegenden Schriftlichen Bericht des Ausschusses ausgeführt wird, eine Gleichstellung der Empfänger von Unterhaltshilfe nach dem Lastenausgleichsgesetz mit denjenigen Personen bringen, die in der gesetzlichen Rentenversicherung, nach dem sogenannten Rentenzulagengesetz, solche Sonderzulagen bereits zugebilligt erhalten haben. Dem letztgenannten Personenkreis ist durch das Gesetz über die Gewährung von Sonderzulagen in den gesetzlichen Rentenversicherungen eine solche Sonderzulage in der Höhe von zweimal je 20 DM, zahlbar im Dezember 1955 und im Juni 1956, gewährt worden. Nunmehr soll durch den heute vorliegenden Gesetzentwurf auch dem Kreis der Unterhaltshilfeempfänger nach dem Lastenausgleichsgesetz eine gleiche Zulage zugebilligt werden.
In beiden Fällen sind die Sonderzulagen dazu bestimmt, die durch Teuerung bedingte Steigerung der Lebenshaltungskosten auszugleichen. Der eingangs von mir erwähnte Grundsatz, der heute erstmals von diesem Gesetz durchbrochen wird, besteht darin, daß bisher stets Mehraufwendungen, die durch Teuerung bedingt waren, aus den öffentlichen Haushalten, d. h. dort, wo der Bund die Leistung zu erbringen hat, aus dem Bundeshaushalt aufgebracht werden müssen. Im vorliegenden Gesetzentwurf wird von diesem Grundsatz abgewichen, indem 50 % dieser Mehraufwendungen dem Lastenausgleichsfonds aufgebürdet werden. Diese Durchbrechung des bisher unbestrittenen Grundsatzes ist um so weniger verständlich, als es sich hier um einen verhältnismäßig geringen Betrag, nämlich um rund 12 Millionen DM, handelt, der den Bundeshaushalt keinesfalls erschüttern oder in Unordnung bringen könnte.
Der Änderungsantrag meiner Fraktion strebt eine Aufrechterhaltung des genannten Grundsatzes an, und ich darf namens meiner politischen Freunde bitten, die bisher geübte Praxis auch bei dem vorliegenden Gesetz beizubehalten. Eine Ablehnung unseres Antrages würde bedeuten, daß man zwar den Unterhaltshilfeempfängern die Sonderzulagen mit zweimal je 20 DM, zahlbar im März und Juli 1956, zubilligt, ihnen aber auf der andern Seite gleichzeitig zumutet, 50 % dieser Leistungen aus eigener Tasche zu finanzieren, aus ihrem eigenen Fonds, dem Lastenausgleichsfonds, zu tragen. Die Forderung, daß die Hälfte der durch die Sonderzulagen verursachten Mehrkosten vom Lastenausgleichsfonds getragen werden muß, bedingt automatisch eine Schmälerung aller anderen Leistungen nach dem Lastenausgleichsgesetz für den gleichen Personenkreis. Die 12 Millionen müßten dann bei der Hausratshilfe, bei den Eingliederungsdarlehen für den Existenzaufbau — Siedlung und Wohnungsbau - oder bei den Ausbildungshilfen abgezogen werden. Ich kann mir nicht vorstellen, daß das Hohe Haus diesen Weg zu gehen beabsichtigt, weil man in diesem Falle eine Leistung, die man soeben mit der einen Hand geben will, im gleichen Moment zu 50 % mit der anderen Hand zurücknimmt. Ich bitte daher, unserem Änderungsantrag zuzustimmen.
Das Wort hat der Abgeordnete Schütz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der vom Kollegen
Ich rufe auf § 3, — § 4, — Einleitung und Überschrift. — Das Wort wird nicht gewünscht. Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Das ist die Mehrheit; es ist so beschlossen.
Wir kommen zur
dritten Beratung.
Ich eröffne die allgemeine Aussprache. — Das Wort wird nicht gewünscht. Ich schließe die allgemeine Aussprache.
Wer dem Gesetz als Ganzem in dritter Beratung zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.
Ich rufe auf Punkt 7 der Tagesordnung:
Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Beteiligung der Bundesrepublik Deutschland an den Internationalen Obereinkommen vom 25. Oktober 1952 über den Eisenbahnfrachtverkehr und über den Eisenbahn-Personen- und -Gepäckverkehr ;
Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Verkehrswesen (Drucksache 2023).
Das Wort als Berichterstatter hat der Abgeordnete Brück.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Aus dem Schriftlichen Bericht**), der Ihnen in Drucksache 2023 vorliegt, geht hervor, daß der
*) Siehe Anlage 3. **) Siehe Anlage 4.
Verkehrsausschuß des Deutschen Bundestages dem vorliegenden Gesetzentwurf einstimmig seine Zustimmung erteilt hat. Ich möchte Sie im Namen des Verkehrsausschusses bitten, dem Gesetzentwurf Drucksache 1926 ebenfalls zuzustimmen.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
Ich rufe auf in zweiter Beratung die §§ 1, — 2, — 3, — 4, — Einleitung und Überschrift. Das Wort wird nicht gewünscht. Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Das ist die Mehrheit; es ist so beschlossen.
Wir kommen zur
dritten Beratung.
Ich eröffne die allgemeine Aussprache. — Das Wort wird nicht gewünscht. Ich schließe die allgemeine Aussprache. Wer dem Gesetzentwurf im ganzen in der Schlußabstimmung der dritten Beratung zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich vom Platz zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? - Einstimmig angenommen.
Ich rufe Punkt 8 der Tagesordnung auf:
Beratung des Antrags der Fraktion der SPD betreffend Kosten der Bonner Bundesbauten und Einstellung weiterer Baumaßnahmen .
Das Wort zur Begründung hat der Abgeordnete Ritzel.
Herr Präsident! Meine Damen, meine Herren! Am 3. November 1949 hat das Hohe Haus die Wahl der provisorischen — ich unterstreiche: der provisorischen! — Bundeshauptstadt vorgenommen und Bonn gewählt.
— Ich glaube, dieser Beifall ist nicht allseitig! — Nun haben wir in der Zwischenzeit einiges an Versprechungen und an Wirklichkeiten erlebt, und wir wurden oft an den ersten Teil des Wortlauts eines alten deutschen Liedes erinnert, der da heißt: „Es gibt im Volkesmunde viel Märchen ohne Zahl". Meine Damen und Herren, mit dem Begriff des Provisoriums sind die Bonner Bundesbauten nicht mehr in Einklang zu bringen,
und der Antrag der sozialdemokratischen Fraktion will nun einmal, daß über die wirklichen Kosten berichtet wird, um den verschiedenen Meinungen, die im Volk umlaufen, zu begegnen. Er will zum andern auch, daß mit dem Weiterbauen von Büropalästen ein Ende gemacht wird.
Ich erinnere mich daran, daß ein CDU-Abgeordneter, Herr Dr. Bergmeyer, es war, der hier im Hause einen Antrag auf Vereinfachung der Verwaltung eingebracht hat. Je mehr Verwaltungspaläste in Bonn gebaut werden, meine Damen und Herren, desto geringer ist die Möglichkeit, eine Verwaltungsreform durchzuführen.
Nun erlauben Sie mir, zu den drei Teilen, aus denen sich dieser Antrag zusammensetzt, einige wenige Bemerkungen zu machen. Wir fordern in dem ersten Teil des Antrags Drucksache 1897 eine detaillierte Übersicht darüber, welche Bundesmittel einschließlich der Ansätze im Bundeshaushalt 1955 bisher im Raume Bonn a) für Wohnungsbauten, b) für Bürogebäude und sonstige Bauten aufgewendet wurden. Ich habe in meinen alten Akten über die Wahl der Bundeshauptstadt geblättert und habe da eine sehr interessante Zeitungsnotiz über eine Erklärung des für diese Dinge damals verantwortlichen Staatssekretärs gefunden, des Herrn Dr. Wandersleb, der einmal sagte — nach dem, was da zitiert ist —, daß er beauftragt sei, eine Arbeitshose für Bonn zu beschaffen, aber aus dieser Arbeitshose seien in der Zwischenzeit einige Maßanzüge geworden. Ich befürchte, meine Damen und Herren, daß das Maß noch nicht voll ist und daß immer noch weitere Maßanzüge verlangt werden, wenn wir nicht dafür sorgen, daß der Uferlosigkeit des Verlangens gesteuert wird. Ich werde Ihnen das im einzelnen nachher nachweisen.
Es ist in der geschichtlichen Erinnerung, daß dem vom Bundestag eingesetzten Sonderausschuß gegenüber erklärt wurde, die Bundesregierung habe gesagt, die Errichtung neuer Dienstgebäude in Bonn erscheine nicht erforderlich. 52 000 qm Nutzfläche, so hieß es, würden für die Büros der Bundesregierung benötigt, 47 630 qm seien vorhanden oder sollten durch Umbau erzielt werden, und es seien nur etwa 4000 qm neu zu erstellen. Ich möchte die Bundesregierung ergebenst bitten — sie ist ja leider nicht vertreten —, daß sie bei der Berichterstattung zu unserem Antrag auch die Zahl der Kubikmeter umbauten Raumes nicht anzugeben vergißt, damit das Haus in der Lage ist, den Unterschied zwischen einst und jetzt zu erkennen.
In dem zweiten Teil unseres Antrags fordern wir einen Bericht der Bundesregierung,
welche Baumaßnahmen — getrennt nach Wohnungsbauten und Bürogebäuden sowie sonstigen Bauten — noch im Gang sind,
welche Verpflichtungen zur Durchführung dieser Baumaßnahmen bereits eingegangen wurden und
mit welchen Summen die einzelnen Rechnungsjahre aus Anlaß dieser Baumaßnahmen künftig belastet werden sollen.
Dazu gibt es einige ganz interessante Betrachtungen. Die interessanteste ist vielleicht die, die gestern mindestens einem Teil des Hauses, den Mitgliedern des Haushaltsausschusses, in Form einer Berichtigung zum Entwurf des Haushaltsplans 1956 übergeben wurde. Diese Berichtigung bezieht sich auf das Gebäude des Auswärtigen Amts. Die Fenster schließen dort noch nicht dicht, und die Tünche ist noch nicht trocken, aber in dieser Berichtigung des Haushaltsplans für 1956 können Sie zu Tit. 713 folgendes lesen:
Bei der Planung des Neubaus des Auswärtigen Amts im Haushaltsjahr 1952/53 wurde bei der Ermittlung des Raumbedarfs das damalige Stellen-Soll zugrunde gelegt. Inzwischen hat sich der Personalbestand um rund 200 Kräfte erhöht, wodurch die zur Zeit verfügbare Bürofläche unzureichend geworden ist. Durch den Ankauf des unmittelbar an das Auswärtige Amt angrenzenden Grundstücks Koblenzer Straße 109 können ca. weitere 300 Quadrat-
meter Bürofläche gewonnen werden. Außerdem könnte der in den jetzigen Parkplatz des Auswärtigen Amts hineinreichende Garten des Grundstücks zur Begradigung und Erweiterung der ungenügenden Parkfläche Verwendung finden.
Veranschlagt sind für den Erwerb des Grundstücks 83 000 DM, für die Herrichtung 27 000, für die Freimachung 15 800 DM, zusammen 125 000 DM. — Ich wiederhole: kaum ist das Auswärtige Amt mit seinem riesigen Neubau, mit seiner Tausendfensterflucht fertig, und schon wieder werden Summen von der Größenordnung von 125 000 DM verlangt, nur um ein Grundstück zu erwerben. Das ist die Ouvertüre, und das Hauptspiel kommt nachher. Der erste Akt wird in einer Vorwegbewilligung bestehen, der zweite Akt dann in einer ersten Rate im Haushalt. Kurzum: wir werden wiederum einen Büropalast erweitern,
dieses Auswärtige Amt, das so hervorragend gebaut ist, daß mir einer der Herren des Amtes dieser Tage auf meine Frage, warum man in dem neuen Haushalt 20 elektrische Ofen für das Auswärtige Amt anfordere, sagte, es ziehe so sehr, die Scheiben seien nicht dicht, weil die Fensterrahmen aus Metall bestünden, und man könne es ohne Heizung nicht aushalten. — Dabei hat das Amt eine ausgezeichnete Zentralheizungsversorgung.
Auf einem anderen Gebiet wird das Haus gut daran tun, die Augen offenzuhalten. Unser verehrter Herr Bundesverteidigungsminister Blank beabsichtigt doch — vermutlich war er einmal in Washington —, ein Pentagon auch im Gebiete der Bundesrepublik und möglichst im Raume Bonn zu errichten. Darin sollen nicht weniger als 8000 Bedienstete zivilen und militärischen Charakters untergebracht werden. Daraus und aus manchem anderen erklärt sich auch die Mitteilung, die in Ausschüssen von der Regierung gemacht worden ist, daß in drei Jahren nicht weniger als 15 Milliarden DM für den Wehretat der Bundesrepublik Deutschland benötigt werden. Es sind auch schon Anmeldungen aus einem weiteren Raume Bonn erfolgt, nämlich aus Koblenz, wegen der Beschaffung von Räumen für die dortige Beschaffungsstelle des Bundesverteidigungsministeriums. Ich bin sehr dankbar und habe es sofort notiert, daß unser Kollege Herr Dr. Atzenroth im Haushaltsausschuß darauf hingewiesen hat, daß es durchaus möglich sei, in genügendem Umfang in Koblenz Räume in Miete für diese Beschaffungsstelle des Bundesverteidigungsministeriums zu erhalten.
Meine Damen und Herren, ich glaube, der Bedarf des Bundestages an Büropalästen ist gedeckt. Halten Sie doch nur einmal Umschau! Man braucht nur da drüben nach dem Neubau des Presse- und Informationsamtes zu sehen, der unserem Herrn Bundeskanzler den Ausblick auf das Siebengebirge in so bedauerlicher Weise versperrt, und man braucht sich im übrigen auch nur einmal an Hand verschiedener Beispiele — auch dieses Hohe Haus in seinen Gebäudeteilen zeugt dafür — an die Qualität dessen zu erinnern, was auf dem Gebiete der Neubautätigkeit geleistet wurde.
Wir haben im letzten Teil dieses Antrages verlangt, daß der Bundestag erkläre,
daß bereits bewilligte Bundesbauten im Raume Bonn nur noch zur Ausführung kommen sollen, wenn sie schon begonnen sind; bereits bewilligte, aber noch nicht begonnene Bauten sollen nicht mehr zur Ausführung gelangen. Die weitere Anforderung von Mitteln für Bürobauten ist zu unterlassen.
Ich glaube, wenn das beschlossen würde, wäre ein wirklich wichtiger Akt getan, um eine notwendige Reform, Vereinfachung und vor allem Verbilligung der gesamten Bundesverwaltung einzuleiten.
Und es wäre ein Weiteres getan. Wir haben ja schließlich auch in die Zukunft zu sehen. Vor kurzem hat sich der Herr Staatssekretär Dr. Wanders-leb mit der Sorge um die künftige Entwicklung in Bonn in bezug auf die Bundesbauten befaßt. Er hat festgestellt, daß 1949 die Zahl der Einwohner unserer Bundeshauptstadt, unserer provisorischen Bundeshauptstadt Bonn, 110 000 betragen habe und heute 140 000 betrage. Die Argumente, die in bezug auf die künftige Verwendung dieser Bundesbauten, so einmal Berlin wieder die Hauptstadt eines geeinten Deutschland sein sollte, gebracht wurden, liefen darauf hinaus, daß man ja in Bonn — ich möchte beinahe sagen: ausgerechnet in Bonn — ein geistiges und Kulturzentrum errichten könne. Wenn die von mir gewünschten Angaben in bezug auf die gesamte bebaute Fläche geliefert werden, wird sich sehr rasch zeigen, daß es eine glatte Illusion ist, anzunehmen, daß soviel Kultur und soviel Geist in Bonn eine Heimat suchen, um die Quadratmeter zu bevölkern, die aus den dann frei werdenden Bundesbauten zur Verfügung stehen.
Meine Damen und Herren, der Bund, der ja auch starke fiskalische Interessen an der künftigen Entwicklung hat und haben muß, muß sich auch die Frage vorlegen: Was wird denn einmal, wenn wir diese Gebäude hier weiterverkaufen oder wenn wir sie vermieten müssen? Die Bundesregierung — welche es auch sei — wird sich dann in einer Zwangslage befinden; denn jedes Kind auf der Straße wird wissen, daß diese Gebäude abgestoßen werden müssen. Es wäre ein schlechter Ausweg — das ist auch einmal von einem Staatssekretär der Bundesregierung öffentlich geäußert worden —, etwa anzunehmen, daß es zweckmäßig sei, dann eine Fülle von Bundesoberbehörden nach Bonn zu legen. Soweit Bundesoberbehörden nicht aus zwingenden Gründen irgendwoanders untergebracht sein müssen, gehören sie an den Sitz der Bundesregierung; und wenn das nicht mehr Bonn ist, gehören sie eben auch nicht hierher.
Meine Damen und Herren, wir wollen mit unserem Antrag nicht mehr und nicht weniger, als ein Signal aufrichten, durch den Bundestag ein Verbot ausgesprochen wissen: Es wird, von Wohnungen abgesehen, nicht mehr weitergebaut. Schluß mit dem Bau von Büropalästen! Dem provisorischen Charakter, dem „Provisorium" Bonn, soll endlich Rechnung getragen werden, damit nicht mit guten Gründen gesagt werden kann: Bonn baut weiter gegen Berlin.
Meine Damen und Herren, das Wort wird nicht begehrt. Ich schlage Ihnen vor, den Antrag an den Haushaltsausschuß zu überweisen. Widerspruch erfolgt nicht; es ist so beschlossen.
Punkt 9 der Tagesordnung ist bereits erledigt.
Ich rufe Punkt 10 der Tagesordnung auf:
Beratung des interfraktionellen Antrags betreffend Überweisung von Anträgen an die Ausschüsse .
Ich darf Ihnen vorschlagen, so zu verfahren, wie im Umdruck 512 *) vorgeschlagen ist. Es ist allerdings noch zu ergänzen, daß der unter Ziffer 1 genannte Antrag auch an den Ausschuß für Gesamtdeutsche und Berliner Fragen überwiesen werden soll. Stimmt das Haus dieser Ergänzung zu?
— Sie wollen zum Antrag sprechen? — Das Wort zum Antrag Umdruck 512 hat der Abgeordnete Mommer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dieser Antrag befaßt sich mit einer ganzen Reihe von Fachfragen, die nicht allein von den beiden genannten Ausschüssen, dem Auswärtigen und dem Gesamtdeutschen, erledigt werden können. Ich möchte Sie daher bitten, den Antrag weiterhin dem Ausschuß für Wirtschaftspolitik, dem Ausschuß für Außenhandelsfragen, dem Ausschuß für Verkehr, dem Ausschuß für Sozialpolitik und dem Ausschuß für innere Verwaltung als mitberatenden Ausschüssen zu überweisen.
— Mitberatende, meine Damen und Herren! Es sind technische Fragen in dem Antrag enthalten, die von dem federführenden Ausschuß nicht gelöst werden können.
Herr Abgeordneter, darf ich Sie bitten, die Ausschüsse noch einmal zu benennen.
Meine Damen und Herren, wird dieser Erweiterung der Ausschußüberweisung widersprochen?
*) Siehe Anlage 5.
- Sie wünschen jeweils Abstimmung? — Dann will ich zuerst einmal davon ausgehen, daß der Antrag unter Nr. 1 jedenfalls, wie im Ältestenrat besprochen, dem Ausschuß für auswärtige Angelegenheiten als federführendem und dem Ausschuß für Gesamtdeutsche und Berliner Fragen als mitberatendem Ausschuß überwiesen wird.
— Hierin ist sich das Haus einig. Über die Überweisung an die weiteren Ausschüsse muß ich dann wohl abstimmen lassen. Es ist beantragt, den Antrag dem Ausschuß für Wirtschaftspolitik als mitberatendem Ausschuß zu überweisen. Wer dafür ist, den bitte ich, die Hand zu heben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Meine Damen und Herren, der Sitzungsvorstand ist sich nicht darüber einig, welches die Mehrheit ist. Ich lasse die Abstimmung wiederholen; vielleicht können wir das Auszählen vermeiden. Wer für Überweisung an den Ausschuß für Wirtschaftspolitik ist, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Das zweite ist die Mehrheit; die Überweisung ist abgelehnt.
Ich rufe auf: Überweisung an den Ausschuß für Außenhandelsfragen. Wer dafür ist, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Abgelehnt.
Überweisung an den Verkehrsausschuß. Wer zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Abgelehnt.
Überweisung an den Ausschuß für Sozialpolitik. Wer zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen.
— Gegenprobe! — Abgelehnt.
Überweisung an den Ausschuß für innere Verwaltung. — Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Abgelehnt.
Ich darf dann festhalten, daß der Antrag unter Ziffer 2 des Umdrucks 512 der Abgeordneten Metzger und Genossen an den Haushaltsausschuß
— federführend — und an den Ausschuß für Verkehrswesen als mitberatenden Ausschuß überwiesen wird. — Widerspruch erfolgt nicht; es ist so beschlossen.
Wir stehen am Ende der heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste, die 125. Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 20. Januar 1956, 9 Uhr.
Die Sitzung ist geschlossen.