Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe mit der Wortmeldung zunächst noch etwas gezögert. Ich hatte die Hoffnung und glaubte auch, es sei vielleicht besser, daß das Anliegen meiner Fraktion zunächst einmal aus der Sicht einer anderen Partei behandelt würde.
— Na ja, es gibt außer der CDU noch einige andere Parteien. Ich möchte meinen, daß nicht alle so mit einer Handbewegung über dieses durchaus ernst zu nehmende Anliegen hinweggehen werden wie mein verehrter Herr Zwischenrufer hier auf der Prominentenbank.
Herr Bundeskanzler, ich muß offen sagen, daß ich auch hinsichtlich Ihrer Ausführungen, soweit sie verfassungsrechtlichen Charakter trugen, nicht unsere Zustimmung aussprechen kann. Das Verfassungsgebäude, so wie es unser Grundgesetz vorsieht, hat nicht nur eine, sondern eine ganze Reihe von Säulen. Wenn man bei der Interpretation eines einzigen Artikels allein auf diesen Artikel abstellt, ohne sich die Mühe zu geben, dabei zu überlegen, inwieweit bei einer sehr ausweitenden Interpretation der in diesem Artikel gegebenen Rechte etwa andere tragende Pfeiler unseres Verfassungsgebäudes berührt werden, dann kann man nur zu unrichtigen Urteilen kommen.
Nicht nur im deutschen Verfassungsrecht, sondern vielleicht sogar über Deutschlands Grenzen hinaus ist die Aufgabe der politischen Parteien im praktischen Verfassungsleben immer außerordentlich stiefmütterlich behandelt worden. Kein Geringerer als Herr Professor Carlo Schmid hat darauf im Parlamentarischen Rat hingewiesen, wie ich mich beim Studium der Protokolle vergewissert habe. Wir haben in unserer Verfassung den Art. 21, der erstmals im deutschen Recht wenigstens den Begriff „politische Parteien" in das verfassungsrechtliche Grundgesetz hineingebracht hat. Der Artikel ist dürftig genug, aber ich glaube, auch bei dieser sehr zurückhaltenden Formulierung bleibt man doch wohl im Rahmen einer richtigen Beurteilung unseres Verfassungssystems, wenn man anerkennt, daß die politischen Parteien nicht nur als Träger der politischen Willensbildung draußen im Lande, sondern auch hier durch ihre Fraktionen eine ganz
wesentliche Aufgabe zu erfüllen haben, die nicht einfach so als Nebenbestimmung im Grundgesetz betrachtet werden kann.
Es geht letzten Endes um die Frage, wie das Verhältnis zwischen Regierung und Parlament gestaltet werden soll. Wir übersehen nicht, daß die neue Verfassung im Gegensatz zur Weimarer Verfassung eine stärkere Unabhängigkeit der Regierung vom Parlament bewußt gewollt hat, und dieser Gedanke ist insonderheit in Art. 65, in dem die Stellung, die Rechte und die Befugnisse des Bundeskanzlers niedergelegt sind, zum Ausdruck gekommen. Aber, verehrter Herr Bundeskanzler, die Interpretation, die Sie den Befugnissen des Bundeskanzlers nach diesem Artikel geben, scheint doch für diesen, ich möchte sagen, absonderlichen Fall, den der Bundesverfassungsgeber wahrscheinlich gar nicht sich überhaupt vorzustellen in der Lage war, nicht zuzutreffen.
Ich glaube, nicht zuviel zu sagen, wenn ich behaupte, daß es, als im Jahre 1948/49 der Parlamentarische Rat an die Arbeit ging, kaum vorstellbar gewesen ist, daß es möglich sein würde, daß zwei von einer Fraktion durch ihr Vertrauen dem Herrn Bundeskanzler zur Hineinnahme ins Kabinett vorgeschlagene Mitglieder in der Lage sein würden, aus der Fraktion und Partei auszutreten, und daß sie dennoch nicht selbst den Wunsch hätten, um der Sauberkeit unseres politischen Lebens willen nun den Herrn Bundeskanzler ernstlich zu bitten, sie von ihrer Verantwortung zu befreien.
Hier ist doch ein Spiel getrieben worden, das über den Einzelfall hinaus wirklich ernste Beachtung in unserem politischen Leben verdient.
Ich möchte, um jeder Legendenbildung vorzubeugen, folgendes noch einmal deutlich aussprechen. Als mein Freund Engell hier sprach, kamen unter Lächeln einige Zwischenrufe aus den Reihen der CDU; deshalb ganz klar folgende Feststellung. Im Gesamtdeutschen Block/BHE ist nach dem Schritt der beiden Minister Oberländer und Kraft nicht in einem Augenblick eine ernste Erwägung darüber angestellt worden, an Stelle der beiden Herren dem Herrn Bundeskanzler andere Persönlichkeiten vorzustellen.
Davon kann gar keine Rede sein. Wir sahen dieses Zerwürfnis für so stark an, daß wir glaubten, daß damit wahrscheinlich die Grundlagen einer Zusammenarbeit in der Regierungskoalition für uns nicht mehr vorhanden waren.
— Es sind keine Ressentiments! Ich möchte das vor der Öffentlichkeit gegenüber allen anderen Behauptungen feststellen. Deswegen glauben wir auch, daß wir nicht nur das Interesse einer kleinen Fraktion hier zum Ausdruck bringen, sondern daß es um mehr geht.
Sie haben dann, sehr verehrter Herr Bundeskanzler, ein Wort ausgesprochen, bei dem man wieder einmal merkt, daß Verfassungsparagraphen und Verfassungswirklichkeit sehr schnell auseinanderzuklaffen pflegen. Sie haben bemerkt, ein
Bundeskanzler würde verfassungswidrig handeln, wenn er bei der Regierungsabsprache über Personalien spräche. Ja, verehrter Herr Bundeskanzler, ich habe nur den Vorzug gehabt, die Regierungsbildung des Jahres 1953 am Rande zu erleben. Aber ich kenne keine Regierungsbildung in unserem parlamentarischen Bereich, bei der es nicht selbstverständlich ist, daß bei der Absprache über das Regierungsprogramm auch über Persönlichkeiten gesprochen wird. So und nicht anders ist es auch hier gewesen. Selbstverständlich hat sicherlich keine der beteiligten Fraktionen etwa die Meinung gehabt, sie könne Ihnen, Herr Bundeskanzler, der Sie ja schon gewählt waren — allerdings zum Zeitpunkt der Absprachen oder Abreden noch nicht —, irgendeine Persönlichkeit aufzwingen. Davon ist selbstverständlich keine Rede. Aber daß es der Verfassungswirklichkeit entspricht und daß es praktisch eigentlich auch kaum anders möglich ist, als daß man bei dem Versuch, eine gemeinsame Regierungsgrundlage zu finden, auch über Personen redet, ist doch eine Selbstverständlichkeit.
Herr Bundeskanzler, ich habe es besonders als Mitglied der antragstellenden Fraktion als etwas peinlich empfunden, daß Sie glaubten, uns auf den Eid der Minister hinweisen und uns in feierlicher Form den Wortlaut in Erinnerung rufen zu müssen. Ich weiß nicht, wie ich darauf reagieren soll. Man könnte es ja so auslegen, Herr Bundeskanzler, als ob Sie meiner Fraktion irgendwie unterstellen wollten, wir wollten mit dem Anliegen, das wir heute vertreten, in die Eidespflicht und Eidesverantwortung eines Bundesministers irgendwie eingreifen. Davon kann selbstverständlich gar keine Rede sein.
— Ja, sehr verehrter Herr Dr. Krone, Sie weisen ab. Ich wollte auch nur mit allem Respekt und in aller Ehrerbietung den Herrn Bundeskanzler darauf aufmerksam machen, daß dieser Teil seiner Antwort von uns als etwas unangenehm empfunden worden ist.
Dann haben Sie, Herr Bundeskanzler, zum Ausdruck gebracht, daß die beiden Minister ihre Aufgaben ausgezeichnet erfüllt hätten und Sie aus diesem Grund keinen Anlaß gesehen hätten, aus der politischen Situation heraus eine andere Entscheidung zu treffen. Ich erlaube mir nur, darauf hinzuweisen, daß das hinsichtlich des Aufgabenbereichs des Herrn Ministers Kraft schon deshalb gar nicht zutreffen kann,
weil mit seinem Ausscheiden aus der Fraktion seine wesentliche Aufgabe in Fortfall gekommen ist, die wesentliche Aufgabe, die Sie selber in Ihrer Regierungserklärung für die Einrichtung der Sonderministerien hier vor dem Parlament und der deutschen Öffentlichkeit mit den Worten umrissen haben, es komme Ihnen darauf an, angesichts der Fülle von gesetzgeberischen Aufgaben und der Entscheidung schwerer politischer Fragen, die vor uns stünden, eine sehr enge und dauernde Verbindung zwischen Kabinett und Fraktion zu haben und zu diesem Zweck aus dem Steuersäckel jeder Fraktion eine besondere Person, genannt Sonderminister, zur Verfügung zu stellen. Daran kann man doch nicht vorübergehen!
Es ist doch eigentlich zumindest zu erwarten, daß nun — nicht uns, sondern dem Parlament, vielleicht auch als der steuerbewilligenden Instanz — die Frage beantwortet wird: was soll denn nun dieser unglückliche Sonderminister machen, nachdem ihm seine Hauptfunktion durch die veränderten Umstände nicht mehr möglich ist?
Es kann doch nicht im Ernst angenommen werden,
daß die Arbeit an der Koordinierung der wasserrechtlichen Gesetzgebung nicht ein gut ausgebildeter Oberregierungsrat mindestens mit der gleichen Akkuratesse machen kann.
Dazu brauchen wir doch keinen politischen Auftrag. keine politische Persönlichkeit, sehr verehrter Herr Bundeskanzler. Das sind doch Fragen, auf die wir aus der ganzen Situation heraus eine Antwort glaubten erwarten zu können.
Sicherlich, der Aufgabenbereich des Herrn Bundesministers Oberländer hat sich durch sein Ausscheiden aus meiner Fraktion und Partei in keiner Weise geändert. Aber man sollte nicht überhören, was mein Parteifreund Engell mit Recht hier kritisch andeutete: daß durch Ihr langes Verzögern der Entscheidung ein so wichtiges Ministerium, das für seine politische Arbeit auch draußen im Lande im besonderen — das liegt in der Art der Aufgabe — einer Vertrauensgrundlage und einer Autorität bedarf, sechs Monate in der Schwebe war. Das kann man doch nicht tun! Auch das ist eine Kritik. auf die wir eigentlich eine Antwort erwarten dürften.
Ich möchte also meinen — um noch einmal auf das Verfassungsrechtliche zurückzukommen —. daß eine so weite Auslegung der Befugnisse des Herrn Bundeskanzlers nach Art. 64 des Grundgesetzes, wie er sie selbst sich zumißt, ein anderes tragendes Element unseres verfassungsrechtlichen Systems irgendwie beeinträchtigt, nämlich die Mitwirkung der politischen Parteien und ihrer Fraktionen nicht nur bis zum Zeitpunkt der Regierungsbildung, sondern auch als parlamentarische Mitspieler und Zusammenspieler
gegenüber der Regierung. Es kann doch nicht im Ernst die Auffassung des Herrn Bundeskanzlers sein, daß die Mitwirkung der Fraktionen — denn so haben Sie es formuliert, Herr Bundeskanzler — in dem Augenblick verfassungsrechtlich beendet ist, in dem nach vorhergehenden Absprachen mit dem zu wählenden Bundeskanzler die erforderliche Mehrheit erreicht wurde. Dann — das ist die Konsequenz Ihrer verfassungsrechtlichen Grundauffassung — können die Fraktionen als Regierungsfraktionen, die ja die Regierung ins Leben gesetzt haben und schon deshalb die Verantwortung tragen. getrost die Hände in den Schoß legen und alles Weitere der Verantwortung des Herrn Bundeskanzlers überlassen.
Ich glaube. Herr Bundeskanzler, es ist auch verfassungsrechtlich nicht richtig.
Aber es ist ja auch gar nicht in erster Linie eine verfassungsrechtliche Frage, sondern es ist eine
verfassungspolitische Frage, vielleicht eine politische Frage ganz allgemein, Man sollte sich doch ganz nüchtern und ohne jede Leidenschaft die Frage vorlegen: Cui bono? Zu wessen Nutzen wird dieses ganze Schauspiel eigentlich vollführt?
Herr Bundeskanzler, ich habe mir vergeblich den Kopf darüber zerbrochen; ich bin nicht dahintergekommen. Wenn man nicht mit sehr üblen Unterstellungen arbeiten und diese als Motive für Ihre Einstellung in dieser Frage annehmen will, dann findet man eigentlich keinen sinnvollen Grund. Bezüglich des Sonderministers ist jede Funktionsfähigkeit auch dieses Kabinettsmitglieds für die gesamte übriggebliebene Fraktionsgemeinschaft doch völlig sinnlos geworden. Daß andere Kabinettsmitglieder, die einfach nur als besonders hervorragende politische Persönlichkeiten, als Ihre engeren Ratgeber im Kabinett sitzen sollen, diese Konstruktion kennen wir nicht. Jeder hat eine Aufgabe; die Sonderminister hatten diese, und bei Kraft ist sie weggefallen.
— Ach, reden Sie doch nicht vom Wasserrecht!
Wir wollen im Interesse dieser Aufgabe die Dinge nicht ins Lächerliche ziehen. Das ist doch keine politische Aufgabe. So eine Frage wird normalerweise — das kann der Herr Vorsitzende des Haushaltsausschusses aus der Fülle seiner Kenntnisse wahrscheinlich gleich nachweisen — mit der Einrichtung einer neuen Beamtenstelle erledigt, aber nie und nimmer mit der Erteilung eines politischen Auftrages.
Aber wem nützt man damit? Herr Bundeskanzler, es kommt doch letzten Endes auch darauf an, daß der parlamentarische Stil, der Stil zwischen Regierung und Parlament, in den Auseinandersetzungen, die notwendig sind und die ja auch der Sinn des parlamentarischen Lebens sind, sauber und für jeden überzeugend bleibt. Es kann doch niemand annehmen, daß man über das, was sich durch den freiwilligen Entschluß der beiden Herren Oberländer und Kraft damals abgespielt hat, einfach als über ein Faktum, das im politischen Leben nun mal vorkommen kann, zur Tagesordnung übergeht und sagt, daraus brauche man keine Konsequenzen zu ziehen. Wir sind alle daran interessiert, einen parlamentarisch sauberen und für die Bevölkerung verständlichen und überzeugenden Stil beizubehalten und zum Ausdruck zu bringen.
— Ja, ich meine, daß man hier auch die Worte „sauber" oder „unsauber" gebrauchen darf. Ich möchte meinen, Herr Bundeskanzler, daß die Entscheidung, die Sie nun einmal gefällt haben, für uns als Fraktion damit insoweit abgetan ist, als es sich um diese beiden Herren handelt. Sie sollte aber noch nicht abgetan sein für das gesamte Haus, soweit es sich um die Frage handelt: Ist Ihre rechtliche Auslegung des Art. 64 des Grundgesetzes an Hand dieses Vorfalls nicht zu weitgehend? Berühren Sie damit nicht die echte, für den Parlamentsbetrieb notwendige Partnerschaft zwischen Fraktionen und der Regierung, und ist es insbesondere politisch zu verantworten, in dieser Weise mit einer Fraktion umzuspringen und eine solche Entscheidung zu fällen, und das nach einem Zeitraum von sechs Monaten?
Herr Bundeskanzler, ich möchte mir die Offenheit gestatten, Ihnen zu sagen: Meine Fraktion hat es außerordentlich bedauert, daß Sie es als Bundeskanzler für möglich gehalten haben, diese Frage sechs Monate in der Schwebe zu lassen. Ich bedaure dies schon um des Klimas willen und weil doch Gesprächsmöglichkeiten vorhanden bleiben müssen. So kann man doch nicht mit Fraktionen und Parteien umspringen, selbst wenn sie hier im Bundestag in einer kleinen Gruppe vertreten sind. So sollte man mit ihnen um des Stiles der gemeinsamen Arbeit willen nicht umspringen.
Wir würden sehr herzlich bitten — die CDU hat offenbar keine Neigung dazu —, daß doch die anderen Parteien die Angelegenheit nicht dadurch bagatellisieren, daß sie es nicht für nötig halten, zu dem wirklichen Problem, um das es sich handelt, auch ihre Auffassung hier dem Parlament und damit der Öffentlichkeit mitzuteilen.