Rede von
Dr.
Eugen
Gerstenmaier
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Einen Augenblick, Herr Abgeordneter!
Meine Damen und Herren, es ist möglich, daß es an unserer Übertragung liegt, daß irgendeine Störung vorhanden ist. Wir können das jetzt nicht ändern. Ich muß deshalb bitten, daß noch größere Ruhe im Saal eintritt, weil der Redner sonst bei einem großen Teil des Hauses nicht verstanden
wird. Auch wir hier oben haben große Schwierigkeiten. Also bitte, meine Damen und Herren, behalten Sie Ruhe!
Herr Abgeordneter, sprechen Sie bitte so laut wie möglich!
Engell , Anfragender: Es handelte sich also nur um ein Entlassungsvotum, welches wir mit uns zwingend erscheinenden politischen Gesichtspunkten begründen wollten. Da die größte Regierungspartei dieses Hauses sich stets wenig geneigt zeigt, auch gegenteilige Auffassungen ernsthaft zu prüfen, beschränke ich mich zunächst darauf, mit der Genehmigung des Herrn Präsidenten einige Stimmen zu dieser Streitfrage zu zitieren, die nicht aus unseren eigenen Reihen kommen.
Das Archiv des öffentlichen Rechts, zu dessen Herausgebern auch die Professoren Grewe und Kaufmann gehören, hat in seinem 76. Band anläßlich des Antrags der Fraktion der Bayernpartei vom 27. Juli 1950, der Bundestag möge den Bundeskanzler ersuchen, dem Herrn Bundespräsidenten die Entlassung des Bundesfinanzministers Schäffer vorzuschlagen, nach Darlegung des verfassungsrechtlichen Sachverhalts nachstehende Ausführungen gemacht:
Ergibt sich aus dieser Unzulässigkeit des zwingenden — echten — Mißtrauensvotums, daß auch alle anderen Beschlüsse des Bundestags, die einem einzelnen Minister die parlamentarische Mißbilligung förmlich attestieren, außerhalb des Zuständigkeitsbereiches des Bundestags liegen? Wäre das der Fall, so dürfte ein auf ein solches „Mißbilligungsvotum" gerichteter Antrag nicht auf die Tagesordnung des Bundestags gesetzt werden. Ein trotzdem beschlossenes Mißbilligungsvotum wäre, als außerhalb der parlamentarischen Kompetenz liegend, als null und nichtig anzusehen. So meinte der Reichskanzler Bethmann-Hollweg das am 4. Dezember 1913 mit großer Mehrheit vom Reichstag aus Anlaß des Zabern-Konfliktes beschlossene „Mißtrauensvotum" für staatsrechtlich nicht existent ansehen und ignorieren zu dürfen.
Anscheinend neigt der Herr Bundeskanzler Dr. Adenauer in der Frage der Mißbilligungsvoten gegen Bundesminister einer entsprechenden Auffassung zu. Nach Pressemeldungen hat er aus Anlaß des Falles Schäffer das Präsidium des Bundestages in einem Schreiben darauf aufmerksam gemacht, daß der Anträg der Bayernpartei auf Entlassung des Bundesfinanzministers Schäffer nach seiner Meinung verfassungsrechtlich nicht zulässig sei.
Schon in dem Bericht „Die Konstituierung der westdeutschen Bundesorgane" ist eine dieser Ansicht des Bundeskanzlers entgegengesetzte Meinung entwickelt worden: Die Beseitigung des echten Mißtrauensvotums hindere den Bundestag nicht, einem Bundesminister die Mißbilligung des Hauses auszusprechen. In der Tat gehört es zum Wesen der parlamentarischen Regierungskontrolle, die dem Bundestag nicht nur gegenüber dem Bundeskanzler und der Bundesregierung im ganzen, sondern auch gegenüber jedem einzelnen Bundesmini-
ster zusteht, daß das Parlament sein Mißfallen gegenüber der von einem Bundesminister gezeigten politischen Haltung in jeder geeigneten und angemessenen Form zum Ausdruck bringen kann. Es hieße das Kontrollrecht des Parlaments willkürlich begrenzen, wenn man seine Befugnisse darauf beschränken wollte, die Kritik an den Maßnahmen oder der Haltung eines Bundesministers nur im Rahmen der Parlamentsdebatte vorzubringen. Bei der bloß rhetorischen Polemik bleibt die Frage offen, ob die Mehrheit des Parlaments sich mit den von einzelnen Abgeordneten vorgetragenen Angriffen gegen einen Minister identifiziert. Es kann dem Parlament nicht verwehrt werden, die Folgerungen, ,die es aus seiner Kritik an einem Minister gezogen zu wissen wünscht, in einem förmlichen Beschluß zu dokumentieren, auch wenn die Regierung staatsrechtlich nicht verpflichtet ist, sich diesen Folgerungen zu unterwerfen. Das parlamentarische Kontrollrecht wäre sozusagen ein Degen ohne Klinge, wenn das Ergebnis der parlamentarischen Kritik nicht durch einen förmlichen Beschluß festgestellt werden könnte.
Diese hier vertretene Auffassung ist ja auch durch den Herrn Kollegen Professor Carlo Schmid in der Debatte dahingehend bestätigt worden, daß man im Parlamentarischen Rat anläßlich der Beratung des Grundgesetzes zwar der Meinung war, daß es nicht zu den Prärogativen des Bundestages gehören sollte, der Regierung oder einem Minister das Mißtrauen im technischen Sinne des Wortes auszusprechen, d. h. damit einen Zwang zur Abberufung auszuüben, wohl aber der Auffassung, daß jedem Parlament das Recht zusteht, der Regierung zu sagen, was es von ihr wünscht.
In dem angezogenen Aufsatz in dem Archiv des öffentlichen Rechts werden dann die Formen des Mißbilligungsvotums behandelt: Erstens Streichung des Ministergehalts, zweitens spezielles Mißbilligungsvotum, drittens generelles Mißbilligungsvotum, und nun zitiere ich weiter wörtlich:
Viertens ist statthaft, daß der Bundestag einen Beschluß faßt, durch den der Bundeskanzler ersucht wird, dem Bundespräsidenten die Entlassung eines Bundesministers vorzuschlagen . Man wird sagen müssen, daß diese im Fall Schäffer zum ersten Mal. entwickelte Form des Mißbilligungsantrags zwar nicht die allein zulässige, wohl aber angesichts des Bonner Regierungssystems die präziseste und korrekteste ist.
Und weiter ebenda:
Wenn somit das Mißbilligungsvotum in keiner seiner Formen zu einem direkten Ministersturz führen kann, so liegt doch auf der Hand, daß es sich politisch als eine wirksame Waffe erweisen kann, um das parlamentarische Kontrollrecht gegenüber den einzelnen Bundesministern zur Geltung zu bringen. Vor allem aber könnte das Mißbilligungsvotum ein wichtiges Mittel werden, um darzutun, daß die Verantwortung, die Art. 65 Satz 2 des Grundgesetzes den einzelnen Bundesministern auferlegt, eine echte parlamentarische Ministerverantwortlichkeit und keine bloße Dienstverantwortung gegenüber dem Bundeskanzler ist. Das Mißbilligungsvotum könnte somit der Gefahr ,der „Staatssekretarisierung" der Bundesminister entgegenwirken.
Uns geht es hier nun 'gar nicht so sehr um die formale Seite des Problems, da es sich ja um einen verfassungs politischen Konflikt handelt. Wir wollten nur den dürftigen Einwand, die Behandlung der Frage der Ministerentlassung vor dem Bundestag sei verfassungs rechtlich nicht zulässig, nicht erneut zu hören bekommen. Wir treten vollinhaltlich der Auffassung bei, daß unser seinerzeitiges Entlassungsersuchen eine präzise und korrekte Form der parlamentarischen Mißbilligung des Verhaltens des Bundeskanzlers war und daß dieses Haus jederzeit berechtigt ist, in Ausübung seines Kontrollrechtes gegenüber der Bundesregierung durch Beschluß seine Meinung in jedem Falle zum Ausdruck zu bringen.
Sechs Monate nach der Einreichung 'der Rücktrittsgesuche der Minister Kraft und Oberländer und erst nach Festlegung der heutigen Tagesordnung, auf der unsere Große Anfrage zur Behandlung ansteht, hat der Herr Bundeskanzler in dieser Sache entschieden. Diese Entscheidung gibt keine Veranlassung, die Angelegenheit als abgeschlossen anzusehen, im Gegenteil.
In der Begründung der Ablehnung der Entlassungsgesuche der Minister führt der Herr Bundeskanzler aus:
Die Bundesminister werden gemäß Art. 64 GG auf Vorschlag des Bundeskanzlers vom Bundespräsidenten ernannt und entlassen. Der Bundeskanzler 'ist — unter Vorbehalt seiner parlamentarischen Verantwortlichkeit — in der Auswahl seiner Mitarbeiter in der Bundesregierung frei. Dies gilt auch für den Fall, daß eine Koalitionsregierung gebildet ist. Die Mitglieder der Bundesregierung sind daher nicht von dem Vertrauen der Fraktionen abhängig, die sie bei der Regierungsbildung in Vorschlag gebracht haben.
Der Bundeskanzler hat vielmehr bei Differenzen zwischen einem Minister und seiner Fraktion in eigener Verantwortung gegenüber dem ganzen Bundestag über das Verbleiben eines Ministers in der Bundesregierung zu entscheiden.
Sollte der Herr Bundeskanzler die Absicht haben, uns mit einem Exkurs über Verfassungsrecht abzuspeisen, so wollen wir schon vorweg die Forderung erheben, daß er uns die politischen Gründe sagen möchte, die ihn zu seinem ungewöhnlichen Verhalten veranlaßt haben.
Denn hier handelt es sich nicht um Differenzen zwischen einem Minister und seiner Fraktion, wobei wir uns durchaus so gelagerte Fälle vorstellen können, in denen der Bundeskanzler als Regierungschef eine Vermittlerrolle einnimmt, um sein Kabinett zusamenzuhalten. Hier sind zwei Minister aus ihrer Partei und Fraktion, die sie auf Grund der Koalitionsabsprachen zu Ministern vorgeschlagen haben, ausgetreten und haben ihre Ent-
lassungsgesuche zutreffend mit diesem völlig veränderten Sachverhalt begründet. Nach jeder demokratischen Praxis mußte solchen Anträgen, die an sich schon eine parlamentarische Selbstverständlichkeit waren, entsprochen werden.
Bedeutsame Vorgänge der letzten Zeit haben uns zu der Überzeugung gebracht, daß das Verhalten des Herrn Bundeskanzlers nur zu erklären ist, wenn man von der Annahme ausgeht, daß es sich hier mehr um parteipolitische Schachzüge im Hinblick auf die nächste Bundestagswahl handelt.
Die Verweigerung der Entlassung scheint daher zusätzlich auch noch auf eine andere Fraktion zu zielen, deren Ministergruppe dadurch ermuntert werden soll, der Koalitionstreue dem Bundeskanzler gegenüber den Vorrang zu geben. Auch die derzeitigen Auseinandersetzungen um das neue Wahlgesetz, bei denen der Antrag der CDU ganz unverhohlen als Massageantrag bezeichnet wird, können nur zu der Erkentnis führen, daß wir anscheinend einer neuen Ära im politischen Leben der Bundesrepublik entgegengehen, in der neben der Opposition der Sozialdemokratischen Partei nur noch kleinere Satellitenparteien der CDU geduldet werden sollen, und dies auch nur, um unserem Parteileben ein gewisses Scheinkolorit zu geben, welches den wahren politischen Sachverhalt zwecks Stimmenfangs verschleiern soll. In der Presse finden sich so zahlreiche Stimmen, die die Lage ähnlich beurteilen, daß ihre Wiedergabe hier gar nicht möglich ist.