Herr Präsident! Meine Damen, meine Herren! Am 3. November 1949 hat das Hohe Haus die Wahl der provisorischen — ich unterstreiche: der provisorischen! — Bundeshauptstadt vorgenommen und Bonn gewählt.
— Ich glaube, dieser Beifall ist nicht allseitig! — Nun haben wir in der Zwischenzeit einiges an Versprechungen und an Wirklichkeiten erlebt, und wir wurden oft an den ersten Teil des Wortlauts eines alten deutschen Liedes erinnert, der da heißt: „Es gibt im Volkesmunde viel Märchen ohne Zahl". Meine Damen und Herren, mit dem Begriff des Provisoriums sind die Bonner Bundesbauten nicht mehr in Einklang zu bringen,
und der Antrag der sozialdemokratischen Fraktion will nun einmal, daß über die wirklichen Kosten berichtet wird, um den verschiedenen Meinungen, die im Volk umlaufen, zu begegnen. Er will zum andern auch, daß mit dem Weiterbauen von Büropalästen ein Ende gemacht wird.
Ich erinnere mich daran, daß ein CDU-Abgeordneter, Herr Dr. Bergmeyer, es war, der hier im Hause einen Antrag auf Vereinfachung der Verwaltung eingebracht hat. Je mehr Verwaltungspaläste in Bonn gebaut werden, meine Damen und Herren, desto geringer ist die Möglichkeit, eine Verwaltungsreform durchzuführen.
Nun erlauben Sie mir, zu den drei Teilen, aus denen sich dieser Antrag zusammensetzt, einige wenige Bemerkungen zu machen. Wir fordern in dem ersten Teil des Antrags Drucksache 1897 eine detaillierte Übersicht darüber, welche Bundesmittel einschließlich der Ansätze im Bundeshaushalt 1955 bisher im Raume Bonn a) für Wohnungsbauten, b) für Bürogebäude und sonstige Bauten aufgewendet wurden. Ich habe in meinen alten Akten über die Wahl der Bundeshauptstadt geblättert und habe da eine sehr interessante Zeitungsnotiz über eine Erklärung des für diese Dinge damals verantwortlichen Staatssekretärs gefunden, des Herrn Dr. Wandersleb, der einmal sagte — nach dem, was da zitiert ist —, daß er beauftragt sei, eine Arbeitshose für Bonn zu beschaffen, aber aus dieser Arbeitshose seien in der Zwischenzeit einige Maßanzüge geworden. Ich befürchte, meine Damen und Herren, daß das Maß noch nicht voll ist und daß immer noch weitere Maßanzüge verlangt werden, wenn wir nicht dafür sorgen, daß der Uferlosigkeit des Verlangens gesteuert wird. Ich werde Ihnen das im einzelnen nachher nachweisen.
Es ist in der geschichtlichen Erinnerung, daß dem vom Bundestag eingesetzten Sonderausschuß gegenüber erklärt wurde, die Bundesregierung habe gesagt, die Errichtung neuer Dienstgebäude in Bonn erscheine nicht erforderlich. 52 000 qm Nutzfläche, so hieß es, würden für die Büros der Bundesregierung benötigt, 47 630 qm seien vorhanden oder sollten durch Umbau erzielt werden, und es seien nur etwa 4000 qm neu zu erstellen. Ich möchte die Bundesregierung ergebenst bitten — sie ist ja leider nicht vertreten —, daß sie bei der Berichterstattung zu unserem Antrag auch die Zahl der Kubikmeter umbauten Raumes nicht anzugeben vergißt, damit das Haus in der Lage ist, den Unterschied zwischen einst und jetzt zu erkennen.
In dem zweiten Teil unseres Antrags fordern wir einen Bericht der Bundesregierung,
welche Baumaßnahmen — getrennt nach Wohnungsbauten und Bürogebäuden sowie sonstigen Bauten — noch im Gang sind,
welche Verpflichtungen zur Durchführung dieser Baumaßnahmen bereits eingegangen wurden und
mit welchen Summen die einzelnen Rechnungsjahre aus Anlaß dieser Baumaßnahmen künftig belastet werden sollen.
Dazu gibt es einige ganz interessante Betrachtungen. Die interessanteste ist vielleicht die, die gestern mindestens einem Teil des Hauses, den Mitgliedern des Haushaltsausschusses, in Form einer Berichtigung zum Entwurf des Haushaltsplans 1956 übergeben wurde. Diese Berichtigung bezieht sich auf das Gebäude des Auswärtigen Amts. Die Fenster schließen dort noch nicht dicht, und die Tünche ist noch nicht trocken, aber in dieser Berichtigung des Haushaltsplans für 1956 können Sie zu Tit. 713 folgendes lesen:
Bei der Planung des Neubaus des Auswärtigen Amts im Haushaltsjahr 1952/53 wurde bei der Ermittlung des Raumbedarfs das damalige Stellen-Soll zugrunde gelegt. Inzwischen hat sich der Personalbestand um rund 200 Kräfte erhöht, wodurch die zur Zeit verfügbare Bürofläche unzureichend geworden ist. Durch den Ankauf des unmittelbar an das Auswärtige Amt angrenzenden Grundstücks Koblenzer Straße 109 können ca. weitere 300 Quadrat-
meter Bürofläche gewonnen werden. Außerdem könnte der in den jetzigen Parkplatz des Auswärtigen Amts hineinreichende Garten des Grundstücks zur Begradigung und Erweiterung der ungenügenden Parkfläche Verwendung finden.
Veranschlagt sind für den Erwerb des Grundstücks 83 000 DM, für die Herrichtung 27 000, für die Freimachung 15 800 DM, zusammen 125 000 DM. — Ich wiederhole: kaum ist das Auswärtige Amt mit seinem riesigen Neubau, mit seiner Tausendfensterflucht fertig, und schon wieder werden Summen von der Größenordnung von 125 000 DM verlangt, nur um ein Grundstück zu erwerben. Das ist die Ouvertüre, und das Hauptspiel kommt nachher. Der erste Akt wird in einer Vorwegbewilligung bestehen, der zweite Akt dann in einer ersten Rate im Haushalt. Kurzum: wir werden wiederum einen Büropalast erweitern,
dieses Auswärtige Amt, das so hervorragend gebaut ist, daß mir einer der Herren des Amtes dieser Tage auf meine Frage, warum man in dem neuen Haushalt 20 elektrische Ofen für das Auswärtige Amt anfordere, sagte, es ziehe so sehr, die Scheiben seien nicht dicht, weil die Fensterrahmen aus Metall bestünden, und man könne es ohne Heizung nicht aushalten. — Dabei hat das Amt eine ausgezeichnete Zentralheizungsversorgung.
Auf einem anderen Gebiet wird das Haus gut daran tun, die Augen offenzuhalten. Unser verehrter Herr Bundesverteidigungsminister Blank beabsichtigt doch — vermutlich war er einmal in Washington —, ein Pentagon auch im Gebiete der Bundesrepublik und möglichst im Raume Bonn zu errichten. Darin sollen nicht weniger als 8000 Bedienstete zivilen und militärischen Charakters untergebracht werden. Daraus und aus manchem anderen erklärt sich auch die Mitteilung, die in Ausschüssen von der Regierung gemacht worden ist, daß in drei Jahren nicht weniger als 15 Milliarden DM für den Wehretat der Bundesrepublik Deutschland benötigt werden. Es sind auch schon Anmeldungen aus einem weiteren Raume Bonn erfolgt, nämlich aus Koblenz, wegen der Beschaffung von Räumen für die dortige Beschaffungsstelle des Bundesverteidigungsministeriums. Ich bin sehr dankbar und habe es sofort notiert, daß unser Kollege Herr Dr. Atzenroth im Haushaltsausschuß darauf hingewiesen hat, daß es durchaus möglich sei, in genügendem Umfang in Koblenz Räume in Miete für diese Beschaffungsstelle des Bundesverteidigungsministeriums zu erhalten.
Meine Damen und Herren, ich glaube, der Bedarf des Bundestages an Büropalästen ist gedeckt. Halten Sie doch nur einmal Umschau! Man braucht nur da drüben nach dem Neubau des Presse- und Informationsamtes zu sehen, der unserem Herrn Bundeskanzler den Ausblick auf das Siebengebirge in so bedauerlicher Weise versperrt, und man braucht sich im übrigen auch nur einmal an Hand verschiedener Beispiele — auch dieses Hohe Haus in seinen Gebäudeteilen zeugt dafür — an die Qualität dessen zu erinnern, was auf dem Gebiete der Neubautätigkeit geleistet wurde.
Wir haben im letzten Teil dieses Antrages verlangt, daß der Bundestag erkläre,
daß bereits bewilligte Bundesbauten im Raume Bonn nur noch zur Ausführung kommen sollen, wenn sie schon begonnen sind; bereits bewilligte, aber noch nicht begonnene Bauten sollen nicht mehr zur Ausführung gelangen. Die weitere Anforderung von Mitteln für Bürobauten ist zu unterlassen.
Ich glaube, wenn das beschlossen würde, wäre ein wirklich wichtiger Akt getan, um eine notwendige Reform, Vereinfachung und vor allem Verbilligung der gesamten Bundesverwaltung einzuleiten.
Und es wäre ein Weiteres getan. Wir haben ja schließlich auch in die Zukunft zu sehen. Vor kurzem hat sich der Herr Staatssekretär Dr. Wanders-leb mit der Sorge um die künftige Entwicklung in Bonn in bezug auf die Bundesbauten befaßt. Er hat festgestellt, daß 1949 die Zahl der Einwohner unserer Bundeshauptstadt, unserer provisorischen Bundeshauptstadt Bonn, 110 000 betragen habe und heute 140 000 betrage. Die Argumente, die in bezug auf die künftige Verwendung dieser Bundesbauten, so einmal Berlin wieder die Hauptstadt eines geeinten Deutschland sein sollte, gebracht wurden, liefen darauf hinaus, daß man ja in Bonn — ich möchte beinahe sagen: ausgerechnet in Bonn — ein geistiges und Kulturzentrum errichten könne. Wenn die von mir gewünschten Angaben in bezug auf die gesamte bebaute Fläche geliefert werden, wird sich sehr rasch zeigen, daß es eine glatte Illusion ist, anzunehmen, daß soviel Kultur und soviel Geist in Bonn eine Heimat suchen, um die Quadratmeter zu bevölkern, die aus den dann frei werdenden Bundesbauten zur Verfügung stehen.
Meine Damen und Herren, der Bund, der ja auch starke fiskalische Interessen an der künftigen Entwicklung hat und haben muß, muß sich auch die Frage vorlegen: Was wird denn einmal, wenn wir diese Gebäude hier weiterverkaufen oder wenn wir sie vermieten müssen? Die Bundesregierung — welche es auch sei — wird sich dann in einer Zwangslage befinden; denn jedes Kind auf der Straße wird wissen, daß diese Gebäude abgestoßen werden müssen. Es wäre ein schlechter Ausweg — das ist auch einmal von einem Staatssekretär der Bundesregierung öffentlich geäußert worden —, etwa anzunehmen, daß es zweckmäßig sei, dann eine Fülle von Bundesoberbehörden nach Bonn zu legen. Soweit Bundesoberbehörden nicht aus zwingenden Gründen irgendwoanders untergebracht sein müssen, gehören sie an den Sitz der Bundesregierung; und wenn das nicht mehr Bonn ist, gehören sie eben auch nicht hierher.
Meine Damen und Herren, wir wollen mit unserem Antrag nicht mehr und nicht weniger, als ein Signal aufrichten, durch den Bundestag ein Verbot ausgesprochen wissen: Es wird, von Wohnungen abgesehen, nicht mehr weitergebaut. Schluß mit dem Bau von Büropalästen! Dem provisorischen Charakter, dem „Provisorium" Bonn, soll endlich Rechnung getragen werden, damit nicht mit guten Gründen gesagt werden kann: Bonn baut weiter gegen Berlin.