Rede von
Dr.
Konrad
Adenauer
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Meine Damen und meine Herren! Die Bundesminister Kraft und Oberländer haben mir am 11.7.1955 nach ihrem Ausscheiden aus der Fraktion des GB/ BHE ihren Rücktritt aus ihrem Ministeramt angeboten. Der Entschluß der beiden Herren ist freiwillig gefaßt worden. Nach dem Grundgesetz waren sie nicht verpflichtet, ihre Ämter zur Verfügung zu stellen.
Es gibt im Grundgesetz keine Vorschrift, die besagt, daß die Mitgliedschaft in einer Partei oder die Zugehörigkeit zu einer Fraktion Voraussetzung für die Belassung eines Bundesministers in seinem Amte sei. In der Auswahl der Minister ist der Bundeskanzler nach dem Grundgesetz bei der Regierungsbildung und während der Legislaturperiode frei.
Bei Differenzen zwischen einem Bundesminister und seiner Fraktion hat der Bundeskanzler in eigener Verantwortung gegenüber dem gesamten Bundestag über das Verbleiben dieses Ministers in der Bundesregierung zu entscheiden.
Diese Grundsätze stehen nach dem Grundgesetz völlig klar fest. Koalitionsabreden zwischen den Fraktionen, die die Regierung tragen, schaffen keine verfassungsrechtlichen Verpflichtungen, sondern haben politische Bedeutung. Eine Verpflichtung des Bundeskanzlers, eine bestimmte Persönlichkeit mit einem bestimmten Ministeramt zu beauftragen und sie auf Verlangen einer Koalitionsfraktion wieder abzuberufen, würde mit dem Grundgesetz nicht vereinbar sein. Eine solche Auffassung ist übrigens bei den Koalitionsbesprechungen aus Anlaß der Regierungsbildung 1949 und 1953 von keiner Fraktion vertreten worden. Ich würde mich auch nicht darauf eingelassen haben.
— Nein, meine verehrten Damen und Herren, Sie vergessen, daß der Bundeskanzler, ehe er zur Bildung seiner Regierung kommt, schon vom Bundestag gewählt ist.
— Nachdem Verabredungen gewesen sind!
Im einzelnen möchte ich die mir gestellten Fragen wie folgt beantworten.
Zu Frage 1. Ich habe mit dem Herrn Bundespräsidenten über die Gesuche der Herren Oberländer und Kraft gesprochen, und zwar im Sommer, nachdem sie eingegangen waren. Ich habe ihm die Entlassungen aber nicht vorgeschlagen, weil mir ihre weitere Mitarbeit im Kabinett trotz der Meinungsverschiedenheiten, die zu ihrem Ausscheiden aus der Fraktion des BHE geführt haben und die nicht in ihrer Tätigkeit begründet waren, wertvoll erscheint.
Zu Frage 2. Nach § 9 Abs. 2 des Bundesministergesetzes können zwar die Bundesminister jederzeit ihre Entlassung verlangen. Wenn ein Minister aus gesundheitlichen oder sonstigen persönlichen Gründen seine Entlassung nachsucht, so ist diesem Wunsch auch stattzugeben. Stellt jedoch -ein Minister dem Bundeskanzler durch ein Rücktrittsangebot sein Amt zur Verfügung, so besteht in diesem Falle für den Bundeskanzler keine Verpflichtung, dem Bundespräsidenten die Entlassung vorzuschlagen.
Zu Frage 3. Die Bundesminister Kraft und Oberländer sind auch nach ihrem Rücktrittsangebot auf meinen Wunsch als Minister tätig geblieben. Die ordnungsmäßige Führung der Regierungsgeschäfte ist dadurch nicht beeinträchtigt worden.
Zu Frage 4. Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit;
sie sind auch in der Verfassungswirklichkeit von wesentlicher Bedeutung. Der Bundeskanzler, der das Recht hat, dem Bundespräsidenten die Entlassung der Bundesminister vorzuschlagen, wird jedoch nach dem Grundgesetz nicht von Parteien, sondern von der Mehrheit des Bundestages getragen, dessen Mitglieder nicht Bevollmächtigte der Parteien, sondern eigenverantwortliche Vertreter des gesamten Volkes sind.
Es ist mir vorgeworfen worden, ich hätte die Grundregeln der parlamentarischen Demokratie außer Kraft gesetzt. Ich möchte dazu sagen, meine Damen und Herren: ich habe die Grundregeln der parlamentarischen Demokratie weder jetzt noch früher einmal außer Kraft gesetzt,
sondern ich habe die wichtigste parlamentarische Grundregel beachtet, die lautet: bei aller gebotenen Rücksichtnahme auf die Auffassung einer Minderheit ist in einer Demokratie nicht ihr Wille maßgebend, sondern das Vertrauen der Parlamentsmehrheit.
Von einer Außerkraftsetzung der Grundregeln der parlamentarischen Demokratie durch mich kann keine Rede sein. Der Bundeskanzler ist dem Parlament verantwortlich. Das Parlament kann auf die im Art. 67 des Grundgesetzes vorgesehene Weise sein Recht gegenüber dem Bundeskanzler zum Vollzug bringen.
Ich möchte im Interesse der Wahrung der Verfassung noch einige Bemerkungen hinzufügen. Die Bundesminister sind bei ihrer Tätigkeit im Kabinett nicht Beauftragte bestimmter Fraktionen.
Sie leisten nach Art. 64 des Grundgesetzes einen besonderen Eid, der wie folgt lautet:
Ich schwöre, daß ich meine Kraft dem Wohle
des deutschen Volkes widmen, seinen Nutzen
mehren, Schaden von ihm wenden, das Grund-
gesetz und die Gesetze des Bundes wahren und verteidigen, meine Pflichten gewissenhaft erfüllen und Gerechtigkeit gegen jedermann üben werde.
Danach haben sie eine eigene Verantwortung und eine eigene Verpflichtung, und ich bin überzeugt, meine Damen und Herren, daß die Mitglieder des Kabinetts diesem Eid entsprechend handeln.