Gesamtes Protokol
Nehmen Sie bitte Platz . Die Sitzung ist eröffnet .Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ichbegrüße Sie zum letzten Tag unserer Haushaltsberatun-gen – Tagesordnungspunkt 1 –, die wir nun fortsetzen:a) Erste Beratung des von der Bundesregierungeingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über dieFeststellung des Bundeshaushaltsplans für dasHaushaltsjahr 2016
Drucksache 18/5500Überweisungsvorschlag:Haushaltsausschussb) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre-gierungFinanzplan des Bundes 2015 bis 2019Drucksache 18/5501Überweisungsvorschlag:HaushaltsausschussWir hatten bereits am Dienstag für die heutige Debatteeine Redezeit von insgesamt 4 Stunden und 48 Minutenbeschlossen .Wir beginnen heute mit dem Geschäftsbereich desBundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur, Einzelplan 12.Dazu erteile ich dem Bundesminister AlexanderDobrindt das Wort .
Alexander Dobrindt, Bundesminister für Verkehrund digitale Infrastruktur:Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her-ren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Investitions-hochlauf ist das Wachstums- und Wohlstands-Upgradefür das digitale Zeitalter . Rund 40 Prozent mehr Geld fürunsere Infrastruktur – das gab es in der Vergangenheitnoch nie, das ist eine große Leistung der Großen Koa-lition . Wir starten den Investitionshochlauf und stärkenunsere Infrastruktur in Deutschland .
Zu Beginn der Legislaturperiode haben wir gesagt,dass wir wesentlich mehr in die Infrastruktur investierenmüssen, um Wachstum und Wohlstand dadurch sichernzu können . Ich habe zu Beginn meiner Amtszeit daraufhingewiesen, dass dies durch einen Investitionshochlaufermöglicht werden soll, und habe dann diesen Investiti-onshochlauf, der aus fünf Punkten besteht und auch ge-nau das leistet, vorgestellt .
Mit dem Haushalt 2015 und der mittelfristigen Finanz-planung haben wir diesen gestartet, und mit dem Haus-halt 2016 gehen wir jetzt den nächsten Schritt und un-terstützen diesen Investitionshochlauf weiter . Wir sehenschon jetzt die Erfolge, meine Damen und Herren:Das Sonderprogramm zur Brückenmodernisierungwurde mit 1 Milliarde Euro gestartet . Mit dem Haus-halt 2016 werden wir die Mittel dafür auf 2 MilliardenEuro verdoppeln . Und ich mache da die klare Ansage:Jede Maßnahme zur Sanierung einer Brücke, die Bau-recht erhält, wird auch finanziert werden.
Im Juli haben wir 72 Straßenbauprojekten in einemUmfang von rund 2,7 Milliarden Euro eine Baufreigabeerteilt und damit auf einen Schlag beinahe alle Straßen-bauprojekte in Deutschland, die planfestgestellt sind undBaurecht haben und damit sofort umgesetzt werden kön-nen, finanziert. Das hat es in der Vergangenheit noch niegegeben .Gleichzeitig mit den Neubaumaßnahmen stärken wirdas Prinzip Erhalt vor Neubau,
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weil wir die Erhaltungsmittel von 2,5 Milliarden Euro auffast 4 Milliarden Euro im Jahr 2018 erhöhen werden . Al-lein im Haushalt 2016 steigern wir die Erhaltungsmittelfür die bestehenden Straßen um circa ein Drittel, nämlichvon 2,5 Milliarden Euro auf 3,3 Milliarden Euro . Das istein Riesenerfolg für die Sanierung der bestehenden In-frastruktur .
Wir haben die Einnahmen aus der Versteigerung derDigitalen Dividende II zusätzlich mit Mitteln aus der In-vestitionsoffensive von Bundesfinanzminister WolfgangSchäuble gebündelt und damit ein Milliardenpaket fürden Breitbandausbau geschnürt . Zur Erinnerung: In denersten Haushaltsreden wurde hier von Vertretern der Op-position darauf hingewiesen, dass wir beim Breitband-ausbau mit 0 Euro gestartet wären . – Ja, wir sind mit0 Euro gestartet und sind jetzt bei 2,7 Milliarden Eurogelandet, die wir in die flächendeckende Versorgung mitschnellem Breitband investieren . Das ist nachhaltige Po-litik .
Wir gehen nach dem Dreiklang Investition, Innovati-on, Modernisierung vor . Die Große Koalition macht das .Die Erfolge zeigen: Die Investitionswende ist vollzogen .Wir investieren wieder, und zwar auf Rekordniveau . Ins-gesamt steigern wir im Bundesministerium für Verkehrund digitale Infrastruktur mit dem Investitionshochlaufunsere Investitionslinie von 10,4 Milliarden Euro aufrund 14 Milliarden Euro im Jahr 2018 . Es steht somitmehr Geld für die Infrastruktur zur Verfügung als jemalszuvor .
Ich weiß, dass das von dem einen oder anderen hierauch kritisch beäugt wird . Ich lese die Kommentare, diemir immer wieder auf den Weg mitgegeben werden, ge-rade auch von den Kollegen der Grünen . Wenn sich IhrVorzeigeverkehrspessimist, der grüne Minister WinneHermann, der in Baden-Württemberg vom Investitions-hochlauf übrigens am meisten profitiert, auch noch be-schwert, dass zu viele Straßen in Baden-Württemberggebaut werden, dann kann ich nur sagen: Sie bleibenganz offensichtlich eine straßenfeindliche Entmobilisie-rungspartei .
Sie haben sich seit den 80er-Jahren, als Sie gemeinsamKarl, der Käfer gesungen haben, verkehrspolitisch nichtweiterentwickelt .
Aber die Menschen erkennen das . Der Bund hat ohne IhrZutun in die Infrastruktur investiert und die Vorausset-zungen dafür geschaffen, 15 Projekte in einer Größen-ordnung von einer halben Milliarde Euro gleichzeitig zufinanzieren. Sehen Sie es endlich ein: Ihre Aussagen sindfalsch .
Liebe Frau Wilms, Sie haben noch vor Kurzem gesagt,ein Bundesverkehrsminister würde hier ideologische Po-litik nach Parteibuch machen .
Ich glaube, das trifft auf den grünen Minister zu, der inBaden-Württemberg regiert .
Einen Augenblick .
Alexander Dobrindt, Bundesminister für Verkehr
und digitale Infrastruktur:
Ideologisch, liebe Kolleginnen und Kollegen, sind die
Grünen an dieser Stelle .
Es ist für unsere Stenografen außerordentlich schwie-rig, gleichzeitig alle Zwischenrufe sorgfältig fürs Proto-koll zu notieren . Deswegen wäre eine gewisse Sequenzauch schon im Sinne der Beweisführung anzustreben .
Alexander Dobrindt, Bundesminister für Verkehrund digitale Infrastruktur:Ich habe alle mitbekommen . Sie bewegen sich auf derLinie, die ich hier gerade versucht habe darzustellen . Eswar nichts Neues dabei .Ich weiß wohl, dass Sie von den Grünen mit Ihrer Kri-tik ein Stück weit verzweifelt sind,
weil Sie mein Investitionspaket in eine unangenehme Si-tuation gebracht hat . Sie wollen keine Straßen bauen; dashat Winne Hermann noch einmal deutlich gesagt .
Die Fixierung auf den Infrastrukturausbau sei der Wegzurück .Bundesminister Alexander Dobrindt
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Ich sage: Wir wollen Straßen bauen . Wir wollen be-stehende Straßen modernisieren . Wir wollen die Lebens-qualität in der Region steigern .
Wir wollen die Kapazität der Netze erhöhen, und wirwollen den Verkehr effizienter machen. Genau das leistetdiese Große Koalition mit dem Investitionshochlauf fürdie Infrastruktur .
Wir feiern Anfang Oktober dieses Jahres 25 Jahredeutsche Einheit und Freiheit . Wenn wir zurückblicken,dann können wir feststellen: Die Wiedervereinigung wareine echte Aufbruchzeit, gerade auch mit Blick auf dieInfrastruktur . Die Verantwortlichen haben sich damalsder Wohlstandspyramide moderner Volkswirtschaftenerinnert, sich daran orientiert und verstanden: ohne Mo-bilität keine Prosperität . In einem historischen Kraftaktwurde damals mit dem Wiederaufbau der Infrastrukturdie Voraussetzung für neues Wachstum und Wohlstand inDeutschland geschaffen . Leider sind diese Erkenntnisseder Aufbruchzeit in den späten 90er-Jahren und zu Be-ginn der 2000er-Jahre wieder in Vergessenheit geraten –mit der Folge, dass über Jahre hinweg zu wenig in unsereInfrastruktur investiert wurde .In dieser Zeit wurde auch versucht, dem immer wie-der formulierten Irrglauben Bahn zu brechen, man müssenicht in die Infrastruktur und die Mobilität investieren,um Wirtschaftswachstum zu erzeugen . Man hat ja ver-sucht, das Gefühl zu verbreiten, dass man Mobilität undWirtschaftswachstum entkoppeln könnte .
Das war aber grundfalsch . All die, meine Damen undHerren, die das erzählt haben, sollten sich dringend kor-rigieren . Wer weiterhin erzählt, man könne auf Investiti-onen in die Infrastruktur verzichten und trotzdem Wachs-tum erzeugen, der wird nur eines tun: unsere Gesellschaftvom Wohlstand abkoppeln .
Und das werden wir nicht zulassen, meine Damen undHerren .
Diesen Irrweg – gerade jetzt – weiterzuverfolgen, wäreein fataler Fehler .Wir stehen heute, 25 Jahre nach der Wiedervereini-gung, ebenfalls vor einem historischen Kraftakt: der Mo-dernisierung und der Digitalisierung unserer Infrastruk-tur . Jetzt geht es darum, die Erfolgsgeschichte unseresLandes im 21 . Jahrhundert fortzuschreiben . Dabei istübrigens das Ergebnis noch lange nicht gesetzt . Globa-lisierung und Digitalisierung mischen die Karten auf derWelt komplett neu . Die Industrienationen von heute sindnicht zwingend die Digitalnationen von morgen . Da giltes, intensiv daran zu arbeiten . Wir haben – genauso wievor 25 Jahren – erkannt: Es müssen große Investitions-anstrengungen mit einem klaren Auftrag zur Moderni-sierung und Digitalisierung gemacht werden, wenn wirweiterhin Innovationsland bleiben wollen .Wir haben die Haushaltsmittel für die Modernisierun-gen deutlich erhöht . Wir haben den Systemwechsel vonder Steuerfinanzierung zur Nutzerfinanzierung voran-getrieben . Wir haben die Ausweitung der Lkw-Maut inBreite und Tiefe vorbereitet .
Die erste Stufe haben wir im Juli umgesetzt . Die zweitewird im Oktober umgesetzt . Wir haben die Einführungder Infrastrukturabgabe beschlossen . Das Vertragsver-letzungsverfahren der Kommission, meine Damen undHerren, wird scheitern .
Der Bundestag hat europarechtskonforme Mautgesetzebeschlossen . Wir führen diese Auseinandersetzung mitBrüssel gern, und wir werden uns durchsetzen . Um eskurz zu sagen: Brüssel irrt, die Maut kommt, Gerechtig-keit siegt, meine Damen und Herren!
Wir haben die öffentlich-privaten Partnerschaften ge-stärkt . Ich habe eine Liste mit einer neuen Generationvon ÖPP-Projekten erstellt, die ins Leben gerufen wer-den sollen . Es handelt sich dabei um elf Projekte mit ei-nem Umfang von 15 Milliarden Euro für den Bau, Erhaltund Betrieb von rund 670 Kilometern Straße . Ich möchtemich an dieser Stelle ausdrücklich auch für die konstruk-tive Zusammenarbeit innerhalb der Koalition bedanken .Es war nicht ganz einfach, bei jedem einzelnen Projektdie unterschiedlichen Einschätzungen aufzulösen . Dassdies in besonderem Maße auch gerade in Hessen mit denhessischen Kollegen aus der Union und der SPD gelun-gen ist, zeigt, wie erfolgreich die Große Koalition zusam-menarbeiten kann, wenn es darum geht, die Infrastrukturin Deutschland erfolgreich auszubauen .
Wir haben das auch bei den ÖPP-Projekten in Hessen ge-meinsam gut geschafft .Die Digitalisierung, meine Damen und Herren, istdie Voraussetzung, damit Deutschland Innovationslandbleiben kann . Wir wollen unsere Erfolge der Vergangen-heit auch digital weiterschreiben . Dazu brauchen wir vorallem eine leistungsfähige digitale Infrastruktur . Ohnesuperschnelles Breitband gibt es keine digitale Wert-Bundesminister Alexander Dobrindt
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schöpfung . Deswegen haben wir uns das Ziel gesetzt,mindestens 50 Mbit/s in der Fläche bis 2018 zu errei-chen . Dafür haben wir ein Investitionspaket in Milliar-denhöhe geschnürt und geben mit dem Haushalt 2016den Startschuss für die Bundesförderung . Dabei habendie innovations- und investitionsfreundlichen Unterneh-men der Netzallianz übrigens schon eine Vorleistung er-bracht . Sie haben die Zusage gegeben, in der NetzallianzDigitales Deutschland, die wir gegründet haben, allein indiesem Jahr 8 Milliarden Euro in den Breitbandausbauzu investieren; auch das kommt hinzu .Wir werden nun in einem Gesetz, dem Digitale- Netze-Gesetz, klare Vorgaben für den Netzausbau auf den Wegbringen . Dazu gehört, dass wir bei Neubau und Mo-dernisierung von Bundesfernstraßen den Digitalausbaumit vorantreiben . Wo Straßen neu gebaut werden, mussgleichzeitig Glasfaser verlegt werden . Wo Neubaugebie-te in Städten entstehen, darf nicht mehr mit Kupfer aus-gebaut werden . Es muss Glasfaser verlegt werden, meineDamen und Herren .
Das bedeutet mehr Bandbreite, weniger Baustellen, Ein-sparungen in Milliardenhöhe und einen deutlichen Fort-schritt auf dem Weg hin zu einem modernen High-Speed-Netz .Wir stecken nicht am Anfang einer digitalen Revo-lution – das habe ich auch in der Vergangenheit immerwieder erwähnt –, sondern wir stecken inzwischen mit-tendrin . Die Digitalisierung hat bereits einen disruptivenProzess für Märkte, Branchen und Produkte erzeugt .Auf einigen digitalen Innovationsfeldern konnten wirmit einer erfolgreichen Industrie mitziehen und unsereMarktstellung behaupten . Auf anderen Feldern sind einwesentlicher Teil der Wertschöpfung und damit auchWachstums- und Wohlstandschancen bereits abgewan-dert .Das aktuell spannendste Feld der Digitalität ist dieMobilität .
Deswegen haben wir hier die Aufgabe, dafür zu sorgen,dass wir auch im digitalen Zeitalter erfolgreich bleiben .Das automatisierte und vernetzte Fahren steht in denStartlöchern und bringt die größte Mobilitätsrevolutionseit der Erfindung des Automobils. Mit dem Autopilotwird das Auto zu einem dritten Platz, zum „third place“,einem neuen Lebensmittelpunkt neben Arbeit und Zu-hause .
Durch die Vernetzung des Autos mit anderen Fahrzeugenund der Infrastruktur wird Verkehr vorhersehbar, Stausund Unfälle werden vermieden . Die Echtzeitdatenkom-munikation erweitert das Sichtfeld von Fahrer und Autovon einigen Hundert Metern auf mehrere Kilometer . Dassind Potenziale, deren Entwicklung wir nutzen wollen .Studien zeigen, dass die Kapazität auf Autobahnen durchAutomatisierung um 80 Prozent erhöht werden kann .Gleichzeitig können wir den größten volkswirtschaftli-chen Schaden, den Stau, um ungefähr 40 Prozent redu-zieren, wenn wir mehr Automatisierung auf die Straßebringen .
Deshalb wollen wir hier kräftig investieren .
Meine Damen und Herren, Sie werden auf der IAAin der nächsten Woche feststellen können, was moderneFahrzeuge in der Lage sind zu leisten . Mit moderner Sen-sorik bei heutigen Serienfahrzeugen können Sie schoneiner Kolonne im Stau bis 65 km/h dem Verkehrs- undStraßenverlauf vollkommen folgen, ohne selber eingrei-fen zu müssen .
Die Zukunft der Mobilität entscheidet sich jetzt in dieserFrage . Wir wollen unsere hervorragende Ausgangspositi-on weiterhin erhalten, wenn es darum geht, mit unsererAutomobilindustrie einen wesentlichen Teil von Wachs-tum, Wohlstand und Arbeitsplätzen in Deutschland zu er-halten . Deswegen investieren wir in das Digitale TestfeldAutobahn . Auf der A 9 wird die erste intelligente und volldigitalisierte Straße entstehen .
Wir haben vor einer Woche den Startschuss dazu gege-ben . Die A 9 wird mit moderner Sensorik, Mobilfunk-technik der neuesten Generation und allen anderen Tech-nologien, die für das automatisierte und vernetzte Fahrennotwendig sind, ausgestattet werden . Das wird uns denWeg in die Mobilität 4 .0 weisen .Wir haben auf der IAA ein Treffen der G-7-Verkehrs-minister anberaumt, unter anderem auch, um uns überdie grundsätzliche Frage nach neuen Regeln für das au-tomatisierte Fahren zu unterhalten, um neue Standards zudefinieren und um dafür zu sorgen, dass wir internationaleine gleichgerichtete Entwicklung bekommen . Wir sinddiejenigen, die diesen Markt vorantreiben müssen . Wirsind die erfolgreichste Automobilnation der Welt . Wirwollen Leitanbieter bleiben und den Leitmarkt weiterhinregeln . Wir wollen das auch in einer zukünftig automati-sierten Mobilität mit voll digitalisierten Autos und Stra-ßen tun . Deswegen investieren wir in die A 9 .
Bundesminister Alexander Dobrindt
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Herr Minister, ich darf Sie an die Zeit erinnern .
Alexander Dobrindt, Bundesminister für Verkehr
und digitale Infrastruktur:
Danke schön . – Meine Damen und Herren, die Zu-
kunft ist digital . Wir sind darauf vorbereitet . Der Haus-
halt 2016 legt die notwendige Grundlage dafür, um den
Investitionshochlauf konsequent weiterentwickeln zu
können . Wir werden die digitale Wertschöpfung auch in
Deutschland, wo erprobt, getestet und produziert wird,
zum Erfolg bringen . Deutschland bleibt auch mit diesem
Haushalt Innovationsland .
Danke schön .
Roland Claus ist der nächste Redner für die Fraktion
Die Linke .
Guten Morgen, Herr Präsident! Meine Damen undHerren! Der größte Investitionsetat des Bundes liegt unsallen am Herzen, zuweilen auch auf der Tasche; aber oftdient er einem guten Zweck . Wie leicht zu verstehen ist,sind mit einem so gewaltigen Investitionsetat TausendeProbleme verbunden . Zwei davon sind die entscheiden-den .Das erste Problem: Etwa 25 Milliarden Euro Haus-haltsmittel plus etliche zentral veranschlagte, zum Teilnicht mehr zu überblickende Investitionsprogramme sindnatürlich sehr viel Geld . Gemessen an dem Zustand unse-rer öffentlichen Infrastruktur ist es aber dennoch zu we-nig . Wenn Sie hier ständig von einem Investitionshoch-lauf sprechen, Herr Minister, ist das den Dingen nichtwirklich angemessen, sondern es ist Investitionshochsta-pelei . Das müssen wir Ihnen einmal sagen .
Das zweite entscheidende Problem ist: Das viele Geldist in schlechten Händen .
Im Deutsch des Bundesrechnungshofs, der ja recht höf-lich formuliert, heißt das – ich zitiere –: Es geht nichtnur um die Bereitstellung von mehr Investitionsmitteln,sondern darum, „die Investitionsmittel zielgerichtet undwirtschaftlich einzusetzen“ . – Wenn Sie da die Kritiknicht heraushören, ist Ihnen nicht zu helfen .
Meine Großmutter hätte über dieses Ministerium gesagt:Junge, die können nicht mit Geld umgehen, schon garnicht mit viel Geld .
Schon aus Respekt vor meiner Großmutter muss ich dasjetzt natürlich beweisen, was aber nicht so schwer ist .Ich fange einmal mit der digitalen Infrastruktur an .Bislang war da nur eine Überschrift vorhanden – das hatder Minister ja eben auch eingestanden –, und noch imletzten Haushalt waren – das haben wir Ihnen einmal vor-gerechnet – im Wirtschaftsministerium, im Bildungsmi-nisterium, selbst im Landwirtschaftsministerium größereProgramme für die digitale Infrastruktur eingestellt alsin dem Ministerium, das „digitale Infrastruktur“ in sei-nem Namen trägt . Das soll sich nun gewaltig ändern . AlsHauptquelle dafür wurden die Einnahmen aus den Ver-steigerungen von Mobilfunkfrequenzen angenommen .
Nun hat der Bund, wie wir gehört haben, im Sommer,begleitet von einigen Überraschungen, über 4,5 Milliar-den Euro bei der Versteigerung dieser Frequenzen einge-nommen . Wie es immer hieß, sollten diese Gelder zumGroßteil für den Breitbandausbau verwendet werden .Nun höre und lese ich, dass gerade einmal 1,3 MilliardenEuro – das ist also weniger als ein Drittel von 4,5 Milli-arden Euro – dem Bundesministerium für Verkehr unddigitale Infrastruktur und zur Hälfte auch noch den Län-dern zur Verfügung gestellt werden sollen, und das für2016 und 2017 zusammen .
Das ist doch wohl ein Treppenwitz . Das ist nicht Breit-band, sondern Schmalspur, was Sie hier machen .
Ich kann Ihnen versichern, Herr Bundesminister, dassich das heute Mittag auch dem Bundesfinanzministernoch einmal so deutlich sagen werde . Ich weiß natürlich,wo auf die Bremse getreten wird .
– Die Zahlen stimmen . Sie sind gerade bestätigt worden .Wir können uns gern weiter darüber unterhalten . Sie wer-den doch nicht bestreiten, dass ein Drittel von der einge-nommenen Summe, über zwei Jahre gestreckt, zwischenBund und Ländern geteilt, nun wirklich nicht das ist, wasunter „Großteil“ verstanden wird .
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Nun droht uns auch noch ein Vertrag des Bundes mitder Telekom, der deren Monopolstellung verfestigenwürde .
Herr Kollege Claus, darf der Kollege Dörmann eine
Zwischenfrage stellen?
Darf er gerne .
Vielen Dank, Herr Kollege Claus . – Herr Kollege
Claus, Sie haben gerade suggeriert, dass Zusagen hin-
sichtlich der Verwendung von Mitteln für den Breit-
bandausbau, die im Vorfeld der Versteigerung der Mobil-
funkfrequenzen gemacht worden sind, nicht eingehalten
wurden . Würden Sie mir bestätigen, dass die Zusage, die
Mittel gehen in den Breitbandausbau, nur für den Be-
reich der Digitalen Dividende II gelten, nämlich für den
700-Megahertz-Bereich und den 1,5-Gigahertz-Bereich,
und dass genau diese Zusage auch eingehalten wurde?
Abzüglich der notwendigen Umstellungskosten wird
nämlich genau der eingenommene Betrag von 1,3 Mil-
liarden Euro auf Bund und Länder verteilt, und zwar
zweckgebunden für den Breitbandausbau . Das ist aber
nicht der einzige Betrag . Der Bundesminister hat ja vor-
getragen, dass über 2 Milliarden Euro zur Verfügung
stehen . Sie haben nämlich die 1,4 Milliarden Euro, die
im Investitionspaket von Minister Schäuble vorgesehen
sind, einfach unterschlagen .
Würden Sie mir zustimmen, dass diese Zahlen richtig
sind?
Ich kann Ihnen ausdrücklich bestätigen, dass Sie ge-rade nichts Falsches gesagt haben, aber das bessert dieLage überhaupt nicht .
Es wäre gescheit gewesen, die Einnahmen, die ja weitüber den erwarteten Einnahmen lagen, tatsächlich fürdiese große Aufgabe einzustellen und nicht einfach imHaushalt versickern zu lassen .
Aber ich kann Ihnen gerne bestätigen, dass Ihre Zahlenrichtig waren .
Zurück zu meiner Rede . Nun droht auch noch einVertrag des Bundes mit der Telekom, der deren Mono-polstellung verfestigen würde . Die Linke unterstützt hierausdrücklich die Netzbranche bei deren Widerstand ge-gen einen solchen Monopolvertrag .
Wir sind die Fraktion, die Ihnen gerne erklären kann, woes hinführt, wenn man zu viel Zentralismus an den Taglegt .Übrigens, Herr Minister: Auf der Homepage des Bun-desministeriums für Verkehr und digitale Infrastrukturwerden viele Bilder des Ministers präsentiert . Ich habemir aber auch die Seite „Digitales“ angeschaut; da kamich doch schon etwas ins Staunen . Auf der Seite „Digita-les“ findet man als letzte Eintragung eine Meldung überdie CeBIT .
Die war bekanntlich im März dieses Jahres . Das ist pein-lich, meine Damen und Herren .
Also, Herr Minister, weniger Posieren, mehr Digitali-sieren ist die Aufgabe der Zeit .
Das ist auch aus einem weiteren Grunde wichtig: Flücht-linge aus Afrika – wir haben schon viel über Flüchtlingegeredet – haben, wenn sie hierherkommen, in der Regelihr Smartphone dabei und sind es gewöhnt, dass sie mitihrem Smartphone bezahlen können . Sie wissen, wie dieZusammenhänge sind . Wenn sie in einem deutschen La-den damit bezahlen wollen, stehen sie erneut vor einerGrenze, diesmal einer digitalen, weil das in Deutschlandnicht geht . Also, da gibt es noch eine Menge an Aufgabenzu lösen .
Den Bereich Verkehr muss ich nun in Stichwortenabarbeiten . Herr Bundesminister, Sie haben an dieserStelle und auch gegenüber den Medien gesagt, die Pkw-Maut oder wie auch immer Sie sie genannt haben – ichsage es nicht gerne verklausuliert –
werde am 1 . Januar 2016 scharf gestellt . Sie sind demDeutschen Bundestag und der Öffentlichkeit eine Klar-stellung schuldig, dass das nicht so ist . Ihre Rechthaberei,die Sie vorgetragen haben, hätte nur noch getoppt werdenkönnen, wenn Sie gesagt hätten: Die Maut in ihrem Laufhält weder Ochs noch Esel auf . – Also holla die Waldfee!
Roland Claus
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Nun haben Sie gelegentlich öffentlich und nichtöffent-lich darüber spekuliert, wie man mehr privates Geld fürdie Finanzierung der öffentlichen Infrastruktur einsetzenkönnte . Da sagen wir als Linke: Das geht in Ordnung .Der einzige Unterschied ist: Sie wollen bei den Superrei-chen betteln gehen und sie Geschäfte machen lassen, wirdagegen wollen sie gerecht besteuern und diese Mitteleinsetzen . Das macht den kleinen Unterschied aus .
Auch bei der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung desBundes haben Sie eine riesige offene Baustelle . Wir hat-ten Sie davor gewarnt, in Bonn eine Zentralbehörde zuschaffen, auch noch Generaldirektion genannt . Sie habennicht auf uns gehört .
Deshalb erneuern wir unseren Vorschlag: Denken Sie lie-ber darüber nach, wie man die Bundesregierung vernünf-tig in Berlin wiedervereinigt, anstatt pausenlos irgend-welche Stellen außerhalb zu schaffen .
Das war doch jetzt ein schöner Schlusssatz, Herr
Claus, oder?
Herr Bundesminister, seitens der Opposition wurde
Ihnen häufig genug angeboten, die großen und schwieri-
gen Infrastruktur- und Investitionsvorhaben gemeinsam
anzupacken . Ich habe den Eindruck, in den Koalitions-
fraktionen wurde das verstanden, bei Ihnen bin ich mir da
noch nicht so sicher . Aber Haushaltsberatungen haben ja
auch immer einen Lerneffekt . Bauen wir darauf!
Sören Bartol erhält nun das Wort für die SPD-Frak-
tion .
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Lie-be Kolleginnen und Kollegen! Deutschland ist ein wirt-schaftlich starkes Land . Als fünftgrößte Volkswirtschaftprofitieren wir von starken Unternehmen im Mittelstandund in der Industrie . Tausende von Mitarbeiterinnen undMitarbeitern sichern täglich den wirtschaftlichen Erfolgunseres Landes .Ich denke, wir sind uns einig, dass wir die aktuellenHerausforderungen nur bewältigen können, wenn dieWirtschaft auch weiter stark bleibt . Eine wesentlicheVoraussetzung dafür ist eine funktionierende Verkehrsin-frastruktur . In einer Exportnation wie unserer sind Un-ternehmen davon abhängig, dass die hier produziertenWaren auf funktionierenden Verkehrswegen schnell ihreKundinnen und Kunden erreichen . Arbeitnehmerinnenund Arbeitnehmer wollen ohne große Probleme morgensmit der Bahn zur Arbeit kommen, und das junge IT-Un-ternehmen braucht eine schnelle Internetverbindung,um seine Kundinnen und Kunden in Fernost oder Nord-amerika zu erreichen . Wer möchte, dass Deutschland einwirtschaftlich starkes Land bleibt, muss daher in Straße,Schiene und Wasserstraße investieren . Wer möchte, dassDeutschland sich auf den Weg in die Gigabitgesellschaftmacht, muss den flächendeckenden Ausbau schneller In-ternetdatenautobahnen vorantreiben .
Wer gegen zusätzliche Mittel für Verkehrsinvesti-tionen kämpft, verhindert, dass wir wirtschaftlich er-folgreich bleiben, und gefährdet Arbeitsplätze . Wer denBreitbandausbau jetzt nicht staatlich fördert, akzeptiert,dass strukturschwache Regionen bei der digitalen Revo-lution abgehängt werden . Diese Koalition hat sich ent-schieden . Wir setzen auf zusätzliche Investitionen undarbeiten damit für den wirtschaftlichen Erfolg Deutsch-lands . Das stärkt die Konjunktur . Das bringt Bürgerinnenund Bürger in Arbeit . Ich sage: Das bringt auch unserLand voran .
Wir wissen, dass die digitalen Daten und der Verkehrnicht im Stau stecken bleiben dürfen . Wir werden daherim kommenden Jahr die Investitionen allein in die Ver-kehrswege auf 12 Milliarden Euro erhöhen . Damit wer-den so viele Mittel investiert wie nie zuvor . ZusätzlicheEinnahmen aus Steuern und der Lkw-Maut machen diesmöglich . Mit der Ausdehnung der Lkw-Maut auf dierestlichen vierspurigen Bundesfernstraßen und auf Fahr-zeuge ab 7,5 Tonnen haben wir die Nutzerfinanzierungausgeweitet . Im Gegenzug garantieren wir, dass jederzusätzliche Maut-Cent in die Verkehrsinfrastruktur in-vestiert wird . Das ist ein großer Erfolg, nicht nur wegeneines Mehr an Einnahmen, sondern auch deswegen, weildiejenigen an der Finanzierung beteiligt werden, die un-sere Straßen besonders stark abnutzen .
Erhalt muss bei den Investitionen in die Verkehrswe-ge vor dem Neu- und Ausbau stehen . Bei den Bundes-fernstraßen wollen wir allein mehr als 3 Milliarden Euroin den Erhalt investieren . Das ist doppelt so viel wie fürden Neu- und Ausbau der Bundesfernstraßen . Konkretbedeutet dies – wir haben das gerade schon gehört –:Jede Brücke, die vollziehbares Baurecht hat, wird so-fort und umgehend saniert . Dafür stocken wir auch dasBrückensanierungsprogramm bei der Straße noch einmalauf .
Die Schiene wird angesichts des weiter anwachsen-den Güterverkehrs neben der Straße die Hauptlast tragen .Roland Claus
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Wenn wir zum Beispiel im Ruhrgebiet oder anderswonicht im Verkehrskollaps enden wollen, brauchen wirmehr Kapazität im Schienennetz, um die Güter auch inZukunft transportieren zu können .
Daher werden wir mit fast 5 Milliarden Euro die beste-henden Schienenwege erhalten und das Schienennetz anwichtigen Stellen ausbauen .Liebe Kolleginnen und Kollegen, das bisher fehlen-de Geld für zusätzliche Investitionen wird in den kom-menden Jahren im Bundeshaushalt zu Verfügung stehen .Dazu tragen die Mehreinnahmen bei; das ist sicher . Da-mit gehört auch die Unterfinanzierung der Verkehrsinfrastruktur des Bundes Schritt für Schritt der Vergangenheitan. Es ist unsere gemeinsame Aufgabe, die Mittel effizi-ent einzusetzen und dort zu investieren, wo sie den größ-ten Nutzen für die Bürgerinnen und Bürger haben .
Ich sage hier auch ganz deutlich: Wir dürfen dabei kei-ne Angst vor klaren Entscheidungen haben . Ich bin denKoalitionspartnern von CDU und CSU dankbar, dass wiruns im Zuge der Verhandlungen über die Pkw-Maut nocheinmal auf eine klare Priorisierungsstrategie verständigthaben .
In wenigen Wochen wird die Bundesregierung den erstenEntwurf für den neuen Bundesverkehrswegeplan vorle-gen . Zum ersten Mal wird es auch eine breite Öffentlich-keitsbeteiligung der Bürgerinnen und Bürger geben .
Nach der Auswertung der Rückmeldungen wird dieBundesregierung dann am Ende mit uns gemeinsam denBundesverkehrswegeplan beschließen .
Es ist mit mehreren Tausenden Rückmeldungen ausallen Teilen Deutschlands zu rechnen . Danach wird derEntwurf noch einmal überarbeitet werden . Ich sage nocheinmal Danke dafür . Ich habe großen Respekt vor der Ar-beit des Bundesverkehrsministers und seiner Mitarbei-terinnen und Mitarbeiter, die sicherstellen werden, dasses zu einer ernsthaften Auswertung dieser Rückmeldun-gen kommt und wir am Ende gemeinsam eine sinnvolleÜberarbeitung machen .
Ich werbe für einen breiten Konsens aller Fraktionenin diesem Hause, dass wir bei den späteren Beratungenüber die Ausbaugesetze auch bei steigenden finanziellenMitteln realistisch bleiben und klare Prioritäten setzen .Dabei werden wir sowohl die Unterstützung der Wirt-schafts- und Umweltverbände als auch der einzelnenBundesländer brauchen .Liebe Kolleginnen und Kollegen, ab 2016 werden wirfür die kommenden Jahre ein milliardenschweres Förder-programm des Bundes starten, mit dem wir den weiterenAusbau der digitalen Infrastruktur unterstützen werden .Dafür werden – Kollege Claus hat sich gerade dankens-werterweise korrigiert – rund 2,7 Milliarden Euro zurVerfügung stehen . Dort, wo es eine Wirtschaftlichkeits-lücke gibt, wollen wir technologie- und wettbewerbsneu-tral den weiteren Ausbau des schnellen Internets fördern .
Unser Ziel bleibt der flächendeckende Ausbau mit schnel-lem Internet mit einer Geschwindigkeit von 50 Mbit bis2018 .
Keine Region darf bei der Digitalisierung unserer Gesell-schaft abgehängt werden .
Ich hoffe, dass wir am Anfang des nächsten Jahres dieersten positiven Förderbescheide verschicken können .Das muss jetzt schnell und zügig gehen . Dafür brauchenwir beim Bund die entsprechenden Strukturen . Ich bauevoll auf Bundesminister Dobrindt, dass er hierfür allesNotwendige vorbereitet hat .Liebe Kolleginnen und Kollegen, heute beginnen dieBeratungen des Haushaltsentwurfs für den Verkehrsbe-reich und die digitale Infrastruktur für das kommendeJahr . Lassen Sie uns gemeinsam schauen, an welcherStelle der gute Entwurf noch weiter verbessert werdenkann . Ich baue wie immer auf die konstruktive Zusam-menarbeit aller Fraktionen .Vielen Dank .
Das Wort hat der Kollege Sven-Christian Kindler fürdie Fraktion BÜNDNIS 90/Die Grünen .
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Es geht heute um Grundsätze in der Verkehr-spolitik . Ehrlich gesagt, Herr Dobrindt, war ich schonetwas überrascht und es hat mich fassungslos gemacht,dass Sie heute wieder eine Kabarettrede gehalten haben .Es kann doch nicht sein, dass Sie hier eine Rede wie ineinem bayerischen Bierzelt halten . Wir müssen über dieVerkehrspolitik streiten .
Sören Bartol
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Es sind zwei Jahre vergangen, Herr Dobrindt – Zeit,Bilanz zu ziehen . Was haben Sie eigentlich gemacht? Wirkönnen sehen, was Sie alles nicht gemacht haben . ZurReform der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung wur-de schon etwas gesagt . Nichts ist passiert . Brücken undStraßen zerbröckeln weiter in diesem Land . Zukunfts-weisende Ideen für den ÖPNV, für den Radverkehr, fürden Klimaschutz, für die Elektromobilität gibt es nicht .Fehlanzeige! Da ist nichts . Das liegt daran, dass Sie einzentrales Thema hatten, das Sie sich als CSU-Ministergesetzt haben: die Pkw-Maut . Zum Glück ist diese Pkw-Maut krachend gescheitert .
Deswegen waren es leider zwei verlorene Jahre derVerkehrspolitik in Deutschland . Das ist Ihre Verantwor-tung, Herr Dobrindt . Nach zwei Jahren muss man leiderfeststellen, dass Sie nicht mehr als der Mautminister ge-worden sind . Sie sind leider kein Verkehrsminister ge-worden . Anstatt zu begreifen, sich umzustellen und zusagen: „Okay, das war ein Fehler, wir hören auf damit“,was machen Sie stattdessen? Sie haben heute wiederim Plenum gesagt: Brüssel wird scheitern . Wir sind imRecht . – Ja, hallo, in welcher Welt leben Sie denn eigent-lich? Kommen Sie endlich einmal in der Realität an . Dasist doch wirklich absurd und bescheuert, was Sie bei derPkw-Maut machen .
Wenn man über den Autoverkehr redet, muss man sichvorstellen, dass Sie mit vollem Speed gegen die Wandgefahren sind . Es gab viele Warnungen . Alle haben Siegewarnt . Sie haben trotzdem weiter Gas gegeben . Danngab es einen Totalschaden . Jetzt setzen Sie noch einmalzurück und fahren wieder auf die Wand zu . Ich fragemich manchmal: Wann ist es einmal genug? Wann tut eseinmal wirklich weh? Wann begreifen Sie endlich, dasses keine diskriminierungsfreie Diskriminierung gibt? DieWand wird nicht wackeln, der EuGH wird nicht wackeln .Wann begreifen Sie das endlich? Das wird doch wiedervor dem EuGH scheitern .
Wir reden über den Verkehrsetat . Er steigt im Bereich derStraßen . Das stimmt; das haben Sie erwähnt . Aber dieFrage ist: Was machen Sie mit den zusätzlichen Geldern?Wenn man sich das im Haushalt ansieht, dann sieht man:Die Mittel für den Neu- und Ausbau von Straßen steigenum 37 Prozent im Soll, die für den Erhalt von Straßensteigen nur um 19 Prozent im Soll . Prozentual gesehenist die Steigerung beim Neu- und Ausbau also doppeltso hoch. Der Erhalt dagegen ist weiterhin unterfinanziert.
– Guck in den Haushalt, Sören; da steht es drin . Guck dirdie Sollzahlen an . Ich zeige ihn dir nachher gerne .
Dazu passen Ihre Sommerlochaktionen, HerrDobrindt . Während des Sommerlochs 2014 haben Siesich, ohne das Parlament zu fragen, neue Straßen, vorallem Ortsumgehungen, für 1,7 Milliarden Euro ge-nehmigt . Dieses Jahr haben Sie noch einmal ordentlichdraufgepackt und für 2,6 Milliarden Euro 69 neue Stra-ßen genehmigt . Trotz aller Sonntagsreden, die Sie hierüber den Erhalt der Straßen halten, zeigt das, wie ich fin-de, deutlich, dass Sie an der alten Spatenstichideologiefesthalten. Der Erhalt ist immer noch unterfinanziert. Ichfordere Sie auf, endlich umzudrehen und umzusteuern .
Pikant ist, dass von diesen 69 Straßen 52 Maßnah-men eigentlich noch einmal im neuen Bundesverkehrs-wegeplan überprüft werden sollten . Das habe nicht ichmir ausgedacht; das haben Sie sich ausgedacht, HerrDobrindt . Ihre Grundkonzeption sah vor, dass man keineneuen Fakten schafft . Sie haben jetzt aber neue Faktengeschaffen . Bei vielen dieser Maßnahmen handelt es sichum Ortsumgehungen . Das heißt: Auch das widersprichtder Grundkonzeption des Bundesverkehrswegeplans .Das sind keine notwendigen Lückenschlüsse . Das hatkeine überregionale, bundesweite Bedeutung . Das istkeine Knotenbeseitigung . Dass Sie sich hier nun auchnoch dafür feiern, den Bundesverkehrswegeplan so zuhintergehen, finde ich schon megadreist.
Das hat natürlich einen Grund . Das hängt damit zu-sammen, dass vor allen Dingen die Länder, besondersBayern, den Bundesverkehrswegeplan wieder massivüberbuchen wollen . Für den Straßenbereich sind Pro-jekte mit über 100 Milliarden Euro angemeldet . Bayernhat 400 Projekte für die nächsten 15 Jahre angemeldet .Mit der heutigen Finanzausstattung würde das aller-dings nicht 15 Jahre dauern, sondern sage und schreibe160 Jahre, also bis zum Jahr 2175 . Da kann man natürlichverstehen, dass der bayerische Minister Dobrindt seinemLand etwas Gutes tun will und die Priorisierung und den„Vordringlichen Bedarf Plus“ über Bord kippt . Man hatsomit wieder eine unfinanzierbare WünschdirwasListeohne Priorisierung, was zulasten des Erhalts der Brückenund der Straßen geht. Ich finde, das ist die komplett fal-sche Antwort der Verkehrspolitik .
Sie haben sich hier für öffentlich-private Partnerschaf-ten gefeiert, Herr Dobrindt . An Ihrem sogenannten neuenModell ist allerdings nichts neu . Das ist das alte Verfüg-barkeitsmodell . Der Bundesrechnungshof hat es Ihnenoft aufgeschrieben: Diese Projekte werden im Durch-schnitt 20 Prozent teurer sein . Man kann sie allerdingsauch ohne öffentlich-private Partnerschaften gut im EtatSvenChristian Kindler
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realisieren . Das geht schnell, das geht gut, und das gehtvor allen Dingen günstiger .
Deswegen finde ich, sollen Sie in diesem Punkt endlicheinmal auf den Bundesrechnungshof hören .Ich möchte noch etwas zum Breitbandausbau sagen .Es war richtig, dass Sie dafür nach zwei Jahren endlicheinmal Geld eingestellt haben . Ich halte das aber für kei-ne große Leistung . Denn wir wissen, dass das Geld beiWeitem nicht ausreichen wird, um den ländlichen Raumanzuschließen .Mich besorgt im Übrigen sehr, was die Deutsche Te-lekom momentan macht; der Kollege Claus hat es an-gesprochen . Die Telekom will für das Vectoring imwohnortnahen Bereich eine Monopolstellung bei derBundesnetzagentur erreichen . Es handelt sich dabei aberwieder – das wurde schon gesagt – um die alten Kupfer-kabel .
Das ist nicht die moderne Infrastruktur, die wir brauchen .Das verhindert den Wettbewerb . Deswegen ist das, wasdie Deutsche Telekom macht, inakzeptabel .
Das ist keine Innovation, und das wird uns auch nichtbeim Breitbandausbau helfen . Denn die Übertragungsra-ten werden in ein paar Jahren schon viel zu gering sein .Eigentlich sind die Kabel jetzt schon veraltet .Ich finde, die Große Koalition hat eine wichtige Verant-wortung, bei diesem Zukunftsthema nicht zu versagen .Bei Toll Collect, Herr Minister, sind Sie dem Lobby-druck der Telekom erlegen. Ich finde, das darf jetzt nichtwieder passieren .
– Ich weiß, dass die Bundesnetzagentur unter der Auf-sicht des Bundeswirtschaftsministers steht .
Deswegen hat die SPD eine wichtige Verantwortung .Aber auch Sie, Herr Dobrindt, haben eine wichtigeVerantwortung für den Breitbandausbau im ländlichenRaum. Das funktioniert nicht ohne Politik. Ich finde, Siesollten jetzt Ihren Einfluss nutzen und dafür sorgen, dassder Wettbewerb beim Breitbandausbau im ländlichenRaum gesichert wird, und auf Glasfaser setzen .
Wir reden im Rahmen dieser Haushaltsberatungen auchüber die Zukunft unserer Gesellschaft und darüber, wieunser Land in 5, 10 oder 15 Jahren aussehen soll . Ichmuss leider sagen, dass ich bei Herrn Dobrindt keine zu-kunftsweisenden Ideen finde. Da steht nichts zum ÖPNV,da steht nichts für einen wirklichen Klimaschutz, für ei-nen Durchbruch bei der Elektromobilität, für den Ausbauder Schiene, für effektiven Lärmschutz . Das alles müsstejetzt angepackt werden . Stattdessen gibt es leider nur vielMaut, viel Murks bei Herrn Dobrindt . So kann es nichtgehen . Sie müssen endlich umsteuern in der Verkehrspo-litik .Vielen Dank .
Arnold Vaatz ist der nächste Redner für die CDU/
CSU-Fraktion .
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Der Einzelplan 12, über den wir heute reden, isteiner der größten Erfolge in diesem Haushalt 2016 . Erist zugleich der Erfolg von langjährigen kontinuierlichenBemühungen, den Finanzbedarf im Verkehrsbereich anden tatsächlichen Handlungsbedarf anzupassen, und ichhalte das für eine große Teamleistung, an der sehr vielemitgearbeitet haben . Das beginnt bei Minister Dobrindt,bei Herrn Schäuble und endet bei den Haushältern derGroßen Koalition . Wir haben hier meines Erachtenswirklich sehr viel geschafft, und dies ist hier nicht derPlatz, diese Dinge kleinzureden .
Herr Kindler, mir ist bei Ihrer Tirade gegen die Mautaufgefallen, dass Sie sich ganz schön emotional reinge-steigert haben . Das macht man nur dann, wenn man sichnicht hundertprozentig sicher ist, dass man recht hat .
Deshalb weiß ich nicht, ob Sie hier nicht ein bisschenvoreilig gewesen sind . Wenn man genau zugehört hat,dann merkte man, dass Sie eigentlich am Haushalt relativwenig auszusetzen hatten . Aus diesem Grund haben Siesich auf andere Themen kapriziert .
Meine lieben Freunde von den Grünen,
ich glaube, Sie sollten einmal prüfen, was Sie an altem,abgestandenem ideologischem Krempel aus Ihrem In-strumentarium herauswerfen können . Die Dinge werdenjetzt schnell gehen . Wir alle brauchen Platz im Gehirn,Sie auch .
SvenChristian Kindler
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Lieber Herr Claus, auch Sie muss ich kurz ansprechen,
weil ich immer wieder staune, woher Sie die Dreistigkeitnehmen, uns so pauschal vorzuwerfen, wir könnten nichtmit Geld umgehen .
Diese Vermutung kann man sehr wohl äußern, wenn manselbst schon beeindruckende Beispiele der eigenen Fä-higkeit beim Umgang mit Geld hingelegt hat . Aber Siewissen, wie tragisch Sie gescheitert sind, als Sie vor 25,26 Jahren versucht haben, die vier Grundrechenarten zubeerdigen .
Wer versucht, die vier Grundrechenarten zu beerdigen,der macht die Erfahrung, dass sich diese vier Grundre-chenarten nach scheinbar erfolgreicher Beerdigung imGrab umdrehen und Erdbeben verursachen . Da ist Ihnendamals die Bude über dem Kopf eingebrochen .
Jetzt heißen Sie die Linken . Sie müssten eigentlich dieFlinken heißen, weil Sie dreimal den Namen gewechselthaben, um damit nicht mehr in Verbindung gebracht zuwerden .
Meine Damen und Herren, es ist meines Erachtens einsehr leistungsfähiger Haushalt aufgestellt worden . Jetztist es unsere Aufgabe – dieser müssen wir uns alle stel-len –, schnell an die Arbeit zu gehen .
Wir müssen dafür sorgen, dass dieses Geld auch an demPlatz, an den es hingehört, ausgegeben und verwendetwird, und das wird kein Spaziergang . Wir brauchen dazueine Reform der Auftragsverwaltung . Auch das habenwir schon im Koalitionsvertrag bedacht und niederge-schrieben . Es gibt konkrete Überlegungen dazu .Wir müssen verstehen, dass die gegenwärtigen Auf-tragsverwaltungen der Länder Defizite aufweisen. Zu-nächst einmal gibt es das Problem, dass es oftmals unter-schiedliche verkehrliche Prioritäten zwischen dem Bundund den Ländern gibt . Das sorgt regelmäßig für Reibung .Die Länder waren sich dessen auch bewusst . Für die Pla-nung und den Bau von Straßenprojekten bedienen sichinzwischen 12 der 16 Länder der DEGES, die als zen-trale privatrechtliche Verwaltungsstruktur die Kompeten-zen bündelt und enorm erfolgreich ist, zumindest in denneuen Ländern; ich nehme an, das wird auch für die altenLänder gelten .Wir brauchen eine von Bund und Ländern gemeinsamgetragene Priorisierung . Wir müssen darauf achten, dassdie unterschiedlichen Verwaltungsverfahren in den Län-dern nicht ständig zu Verzögerungen und Reibungen bishin zu Blockaden führen . Wir müssen außerdem errei-chen, dass der Bund dort, wo er finanziert, auch die Kon-trolle über die Ausführung hat . Dies ist im Augenblicknicht gegeben. Die Länder planen, der Bund finanziert.Was ist die Lösung? Die Finanz- und Aufgabenverant-wortung muss in eine Hand . Sie muss in einer Bundes-verwaltung zusammengeführt werden . Die Anzahl derVerwaltungsinstanzen in den Planungs- und Baurechts-verfahren muss reduziert werden . Wir können nur mitschnelleren Genehmigungsverfahren und einer zügige-ren Planung, zum Beispiel durch eine Instanzenverkür-zung bei Klageverfahren, die Infrastrukturprojekte, diewir durchführen müssen, bedarfsgerecht und wirtschaft-lich umsetzen .Wir brauchen eine Infrastrukturgesellschaft des Bun-des; Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble hat dasvor drei Tagen hier vorgetragen, und ich möchte dasunterstreichen . Des Weiteren ist eine für alle Bundesver-kehrswege verantwortliche Planfeststellungsbehörde aufBundesebene zu schaffen .Es ist notwendig, dass wir uns über die Prämissen klarwerden, die für eine solche strukturelle Veränderung gel-ten müssen . Selbstverständlich bleibt das Eigentum anden Bundesfernstraßen, Bundesautobahnen und Bundes-straßen, wie bisher beim Bund . Für die Bundesautobah-nen muss der Bund die Verwaltung übernehmen . Dazuwird eine privatrechtlich organisierte Gesellschaft im100-prozentigen Eigentum des Bundes gegründet . Erfor-derlich ist also eine Organisationsprivatisierung . Dabeimüssen wir nicht die ASFINAG aus Österreich kopieren .Aber wir müssen uns die dortigen Erfolge anschauen undversuchen, eine auf unsere Bedürfnisse zugeschnitteneEntsprechung zu schaffen .Die privatrechtliche Gesellschaft muss die Einnahme-kompetenz haben, was die Straßennutzungsgebühren fürdie Bundesautobahnen angeht . Neben dieser Einnahme-quelle muss sie die Möglichkeit haben, privates Kapitalvon Investoren für Investitionen in den Straßenbau zuakquirieren .Für die Umsetzung dieser Pläne bedarf es einer Ände-rung des Grundgesetzes, weil das dort bisher nicht vorge-sehen ist . Dafür brauchen wir eine Zweidrittelmehrheit .Ohne diese strukturellen Veränderungen wird es sehrschwierig, die enormen Mittel, die wir jetzt bereitstellen,an der Stelle unterzubringen, wo sie unserer Gesellschaftund unseren Bürgern den größten Nutzen bringen . Des-halb bitte ich alle, ernsthaft über diese strukturellen Ver-änderungen nachzudenken . Wir müssen möglicherweisenoch über viele Details sprechen; aber dass eine solchestrukturelle Änderung notwendig ist, daran kann es mei-nes Erachtens keinen Zweifel geben . Sonst werden wiruns weiter in endlosen Planungs- und Genehmigungsver-fahren verheddern und in endlosen Klagewegen steckenbleiben . Wir werden eine Politik des Stillstands haben,wenn wir an dieser Stelle nicht eine Schneise schlagen,wie Bundesminister Schäuble es in dieser Woche vorge-schlagen hat .Ich möchte noch einen Punkt nennen, bei dem diejeni-gen, die ähnlich denken wie ich, sich nicht durchgesetzthaben: die Luftverkehrsteuer . Zurzeit ist ein Luftver-kehrskonzept in Arbeit . Wir hoffen, dass dort die Rah-menbedingungen für den Luftverkehr in DeutschlandArnold Vaatz
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fixiert werden und wir so in der Zukunft eine stabileGrundlage für leistungsfähige Airlines, leistungsfähigeFlughäfen und einen reibungslosen Flugbetrieb habenwerden .Aber das ist noch nicht alles . Die Luftverkehrsteu-er trifft einseitig die Unternehmen, die in Deutschlandstarten und landen, und das sind unsere inländischen Air-lines . Es ist eine ordnungspolitische Fehlleistung, wennwir deutsche Unternehmen gegenüber ausländischenWettbewerbern einseitig benachteiligen, um Steuern zuakquirieren . Deshalb werde ich weiter meine Stimmeerheben . Ich weiß, dass meine Meinung nicht von allengeteilt wird
und dass wir bis jetzt noch nicht durchgekommen sind .
Aber ich werde das mir Mögliche tun, um darauf hin-zuwirken, dass die Luftverkehrsteuer irgendwann einmalfällt . Angesichts der enormen Steuereinnahmen, die wirim Augenblick haben, können wir das, glaube ich, ver-kraften .Vielen Dank, meine Damen und Herren .
Für die Fraktion Die Linke hat nun die Kollegin
Sabine Leidig das Wort .
Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Lie-be Besucherinnen und Besucher! Sehr geehrter Herr Mi-nister, wenn ich Sie so reden höre, dann frage ich mich,ob wir in Parallelwelten leben oder ob es mir peinlichsein sollte, dass ich so eine Rede im Deutschen Bundes-tag, in einem Entscheidungsgremium eines der wichtigs-ten Länder der Welt, hören muss .
Sie haben auf dem Zettel: mehr Straßen, 80 Prozentmehr Autos auf der Autobahn . Sie wollen keine sichereFinanzierung des öffentlichen Nahverkehrs gewähren,
und noch immer hängen die Länder in der Luft, was dieRegionalisierungsmittel angeht .Ich habe im Sommer viele Städte besucht und überdas Thema „öffentlicher Nahverkehr“ geredet . Dort gibtes große Unsicherheit darüber, wie es weitergehen soll .Sie stellen sich hin und behaupten, was Sie hier vorlegen,sei intelligent und modern . Ich kann das nicht erkennen .
Ich habe die Sommerpause zum Lesen genutzt – dashätte ich Ihnen auch empfehlen können –, Sie hingegenhaben die Sommerpause dazu genutzt, neue Straßenpro-jekte zu eröffnen . In der schönen Zeitschrift Das Parla-ment war Mitte Juli zum Beispiel ein Artikel zum ThemaVerkehr zu lesen . Die große Überschrift lautete: „FalscheAnreize“ . Darin wird sehr gut dargestellt – auch dasUmweltbundesamt hat dieses Thema im Sommer aufge-griffen –, wie Subventionen in den Bereichen Flug- undLkw-Verkehr systematisch dazu führen, dass die klima-schädlichen CO2-Emissionen, die aus dem Verkehr resul-tieren, immer weiter steigen . Es wird auch dargestellt,wie notwendig es ist, an diesen Stellschrauben zu drehen,die grundlegende Richtung zu verändern, damit wir eineumweltverträgliche Mobilität entwickeln können . Daswäre wirklich modern .
Das sieht übrigens auch die große Mehrheit der Bür-gerinnen und Bürger in unserem Land so . Das ist keineavantgardistische Position . In diesem Jahr wurde vomUmweltministerium eine große Studie über das Umwelt-bewusstsein in Deutschland veröffentlicht . Laut Studiesagen zwei Drittel der Befragten, dass ein hinreichenderUmwelt- und Klimaschutz eine grundlegende Bedingungdafür ist, dass die Zukunftsaufgaben, zum Beispiel dieGlobalisierung, gemeistert werden können .Angesichts des großen Zuzugs von geflüchteten Men-schen aus der ganzen Welt in diesen Monaten ist klar,dass wir uns den großen Fragen, die durch die großenVeränderungen in der Welt aufgeworfen werden, nichteinfach verschließen können . Jetzt geht es vor allen Din-gen um Kriege und Krisen . Es gibt aber auch Kriege undKrisen, die sich um Ressourcen wie Erdöl und SelteneErden drehen .
Wenn man aus dieser Falle heraus will, dann muss manauf Ressourcenschonung setzen, auf das „neue Mehr“,das weniger bedeutet . Außerdem werden in Zukunft vielmehr Menschen fliehen, weil sich die klimatischen Ver-hältnisse verändern. Die Klimaflüchtlingswelle wird dienächste große Welle sein, und das wissen die Menschen .Ein Ergebnis der von mir genannten Studie des Um-weltbundesamtes finde ich besonders interessant. Die Po-litik wird aufgefordert, sozial-ökologische Umbaukon-zepte zu entwickeln . Es werden zum Beispiel innovativeKonzepte gefordert, die geeignet sind, einen Beitrag zumUmwelt- und Klimaschutz zu leisten und gleichzeitig zueiner besseren Lebensqualität . Eine große Mehrheit derBefragten, 82 Prozent, betrachtet eine Abkehr vom Auto-verkehr und eine Hinwendung zum öffentlichen Nahver-kehr sowie zum Fahrradverkehr und zu kurzen Fußwegenals einen Beitrag zur Verbesserung der Lebensqualität .Damit wird genau das Gegenteil von dem formuliert, wasSie machen. Ich finde, diese 82 Prozent haben recht. Wirfordern, dass ein solcher Weg eingeschlagen wird .
Ich möchte einen letzten Punkt ansprechen und auf diesehr aktuelle Situation der Geflüchteten in diesem LandArnold Vaatz
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eingehen . Es ist verrückt, dass diese Menschen, von denendie meisten hier mit fast nichts ankommen, für jede Stre-cke in der Stadt, die sie nicht zu Fuß bewältigen können,sondern nur mit der S-Bahn, der U-Bahn oder dem Bus,ein Ticket zum Normalpreis lösen müssen . In Berlin sinddas mindestens 2,25 Euro . In der Flüchtlingsinitiative, inder ich mitwirke, wird ein Großteil der Spendengelderfür Bahntickets oder ÖPNV-Tickets für die Flüchtlingeverwendet . Es gibt eine tolle Initiative der Kolleginnenund Kollegen der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaftin Berlin . Sie fordern, die Bahn solle mit gutem Beispielvorangehen – das ist der größte öffentliche Betrieb, denwir haben – und ein A-und-O-Ticket ausgeben – ankom-men und orientieren – und damit diesen Menschen dieMöglichkeit geben, kostenlos mit dem ÖPNV zu fahren,ohne sich strafbar zu machen .
Wir finden diese Idee sehr gut. Das wäre zumindest einkleiner Beitrag, um Mobilität für alle sicherzustellen .Ich finde, dass die Bahn darüber hinaus von ihremEigentümer animiert werden sollte, darüber nachzuden-ken, welche Liegenschaften für die Unterbringung vonFlüchtlingen genutzt werden könnten, da viele Gebäudeleer stehen .Herr Minister, Ihre Sommerlochaktivitäten zieltenin die falsche Richtung . Ich wünsche mir sehr, dass Siejetzt, da der Parlamentsbetrieb und der politische Betriebwieder richtig losgehen, solche Initiativen ergreifen unddamit einen Beitrag zur Verbesserung dieser Gesellschaftleisten .Danke .
Ich erteile das Wort der Kollegin Bettina Hagedorn für
die SPD-Fraktion .
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!Liebe Zuschauer! Herr Minister, es ist eine Freude, ei-nen solchen Etat hier in der ersten Lesung vorstellen zudürfen . Dieser Etat ist das Ergebnis unserer gemeinsa-men Anstrengungen in der Großen Koalition, von HerrnSchäuble und uns Haushältern . So ist es uns möglich, dasin Deutschland dringend erforderliche Geld bereitzustel-len und für eine nachhaltige Finanzierung zu sorgen . Ichbin froh, dass wir mit dieser positiven Erkenntnis in dieHaushaltsberatungen starten können .
Die Zahlen, die im Einzelnen ausreichend erwähntworden sind, möchte ich kurz zusammengefasst darstel-len: Schon im Haushaltsjahr 2015 – das muss man sicheinmal auf der Zunge zergehen lassen – haben wir deut-lich mehr Investitionsmittel bereitgestellt, als das zuvorder Fall war . Wir haben es hinbekommen, im Entwurfdes Haushalts 2016 eine weitere Aufstockung der Mittelum über 2 Milliarden Euro vorzusehen . Wer fragt: „Wosind die denn?“, dem sei gesagt: Diese Mittel stehennicht komplett im Einzelplan 12, sondern zum Teil auchim Einzelplan 60; denn dort ist das 10-Milliarden-Eu-ro-Paket eingestellt . Aber über 1,3 Milliarden Euro ausdiesem 10MilliardenEuroPaket fließen schon 2016,und darauf können wir gemeinsam stolz sein .
Was hier noch nicht erwähnt worden ist, ist Folgendes:Wir haben im Juli aus Brüssel die Zusage bekommen,dass wir 1,7 Milliarden Euro aus CEF-Mitteln erhaltenwerden, überwiegend für Bahnprojekte in Deutschland,die von europäischer Bedeutung sind .
– Ja, das ist einen Applaus wert . – Das bedeutet, dass wirin den nächsten Jahren 1,7 Milliarden Euro, die wir schonzur Verfügung gestellt haben, für weitere Investitionen inden Bereichen Schiene und Wasserstraße frei haben .
Das heißt, wir haben das geschafft, was uns die Bode-wig- und die Daehre-Kommission zu Recht ins Stamm-buch geschrieben haben, auch dank der Aufstockung derMautmittel – der Lkw-Mautmittel wohlgemerkt – auf4,6 Milliarden Euro in diesem Jahr, die wir zu 100 Pro-zent für Investitionen zur Verfügung stellen und die – dashaben wir uns vorgenommen – ab 2018 sogar noch ein-mal um 2 Milliarden Euro steigen sollen, wenn wir dieLkw-Maut auf alle Bundesfernstraßen ausweiten . Wirstabilisieren damit den Verkehrsetat nachhaltig und sindin der Lage, die Schularbeiten endlich richtig grundsoli-de zu machen .
Das einzige Nadelöhr, das wir tatsächlich haben, istnicht fehlendes Geld, sondern sind Planungskapazitäten .Ich möchte ausdrücklich sagen: Das, was wir im Momentnicht wirklich brauchen, ist privates Geld; denn wir sindin der Lage, genug öffentliches Geld bereitzustellen . Da-rauf bin ich auch stolz .Privates Geld brauchen wir im Moment nicht . Aberwir haben einen enormen Fachkräftemangel, und der, lie-ber Kollege Vaatz, wird durch das, was Sie hier skizzierthaben, nicht wirklich behoben . Ich muss Ihnen sagen:Ich finde das ein bisschen bedauerlich. Sie haben ein sehrsensibles Thema auf eine Art und Weise angeschnitten,dass es mich als Koalitionspartner reizt, etwas dazu zusagen, was ich sonst nicht getan hätte. Ich finde, Sie ha-ben hier mit einer massiven Stellungnahme in ein laufen-des Verfahren zum Thema Bundesfernstraßenverwaltungund Konzentration eingegriffen . Dieses Thema ist nochlängst nicht abgearbeitet .Die von Ihnen genannte Grundgesetzänderung, die Sieanstreben und die viele für erforderlich halten, kann esnur geben, wenn wir in diesem Haus bei diesem Themabeieinanderbleiben; denn eine Grundgesetzänderung –bitte vergessen Sie das nicht – erreichen wir niemals mitSabine Leidig
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Ideologisierung, sondern nur mit breiter Zustimmung imBundestag und im Bundesrat .
Vor diesem Hintergrund möchte ich Ihnen sagen: Esgibt viele Vorschläge zu diesem Thema, die es wert sind,gelesen zu werden . Der Bundesrechnungshof hat im Ap-ril auf Wunsch der Mitglieder des Rechnungsprüfungs-ausschusses Bemerkenswertes dazu aufgeschrieben: Wirsind für eine Reform, ja . Wir sind nicht mit dem Statusquo zufrieden, ja. Eine Entflechtung der Zuständigkeitenkann enorme Effizienzgewinne bringen. – Das schreibtder Bundesrechnungshof . Dass der Bund das Geld gibtund die Länder es ausgeben, ist nicht wirklich das, wassich der Bundesrechnungshof wünscht . Aber er sagt auch:keine Mammutbehörde – damit haben wir nur schlechteErfahrungen gemacht –
und keine sinnlose Zentralisierung, sondern eine klareVerteilung zwischen Bund und Ländern, die man neustricken muss . Da mag es dann Zuständigkeiten auf Bun-desebene geben, beispielweise für die Autobahnen oderfür ein von nationalem Interesse gekennzeichnetes Netz .Aber dann muss es auch darum gehen, Aufgaben an dieLänder zu geben und dort Geld und Planung in einerHand zusammenzuführen .
Nur so können wir Effizienz erzielen. Dazu muss manmit den Ländern reden .Sie wissen, Herr Kollege Vaatz, dass die Länderver-kehrsminister Herrn Bodewig erneut beauftragt haben,hierzu etwas zu erarbeiten . Er hat gerade erst die Arbeitaufgenommen; den Auftrag hat er im Juli bekommen .Wer in Deutschland wirklich etwas verändern will, derwartet jetzt erst einmal auf die Ergebnisse, und dannschauen wir einmal . Wir müssen natürlich mit den Län-dern reden . Ich bin bei Ihnen, dass wir etwas ändern wol-len, aber bitte nicht, indem man an dieser Stelle Porzellanzerschlägt .
Ich habe es schon gesagt: Das wirkliche Nadelöhr,Herr Dobrindt, sind überall die Planungskapazitäten . Dasgilt für Straße, Schiene und Wasserwege . By the way:Wir planen im Moment in Deutschland auch noch die380-kV-Trassen . Für alle diese Planungsvorhaben wirdexakt das gleiche Planungspersonal gebunden, geradeauch in den Ländern . Man muss einmal sagen – auch dasgehört zur Wahrheit dazu –: Es war falsch, in den letztenzehn Jahren in der ganzen Bundesrepublik massiv Perso-nal einzusparen .
Wir Sozialdemokraten haben wegen großer Sparzwängeleider teilweise dabei mitgemacht . Aber ich muss schonsagen, dass der Ruf nach Privatisierung und nach einerEntkräftung der öffentlichen Hand maßgeblich von Ihnenmit Ihrem damaligen Koalitionspartner, der FDP, voran-getrieben worden ist .Ich finde, das muss man hier einmal sagen. Wir müs-sen da umsteuern . Wir müssen die öffentliche Hand wie-der stärker machen .Wir brauchen gutes Personal . Das müssen wir erst ein-mal anwerben; denn die Fachkräfte im Bereich Ingeni-eurswesen und in den technischen Berufen werden auchvon der Wirtschaft gebraucht . Im Übrigen hat durchausauch schon die DEGES ein paar Probleme, gute Leu-te zu bekommen . Sie werden vor allen Dingen in derWirtschaft hoch bezahlt . Wir als Haushälter haben daserkannt . Schon im letzten Jahr haben wir gemeinsameinen Maßgabebeschluss gefasst, in dem wir Sie, HerrDobrindt, bitten, eine außertarifliche Bezahlung für tech-nisches Personal in unserer eigenen Bundesbehörde – dasist die Wasser- und Schifffahrtsverwaltung – zu ermög-lichen; denn wir sehen, dass wir die Bauvorhaben, dieauch bei den Wasserstraßen erforderlich sind,
nicht realisieren können, wenn wir da nichts tun . Wir ha-ben 85 Stellen für Ingenieure und für technisches Perso-nal geschaffen, und zwar in der Fläche und nicht in Bonn .
Herr Minister, es gibt den Fortschrittsbericht zur Re-form der WSV, über den in den Gremien, auch im Rech-nungsprüfungsausschuss, noch diskutiert werden wird .Ich sehe den Bericht sehr kritisch, weil Sie an dieser Stel-le nicht zügig genug gehandelt haben . Ich muss sagen:Wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen .Sie schreiben allen Verkehrsministern in den A-Ländernim Moment gerne ins Stammbuch, dass sie nicht genugPlanungsvorräte haben . Herr Minister, die Wahrheit ist,dass viele Mittel für Wasserstraßen und Schleusen in denletzten Jahren von Ihrem Haus für Straßen ausgegebenworden sind, weil Sie nicht in der Lage waren, die Mittelfür Wasserstraßen auszugeben . An dieser Stelle wünscheich mir mehr Ehrgeiz, mehr Konsequenz . Die Wasser-straßen werden wir im Auge behalten; denn auch sie sindwichtig für die Daseinsvorsorge, wenn zum Beispiel Gü-ter von der Straße auf die Wasserwege umgeleitet wer-den . Das ist ein Ziel, Herr Minister, das wir gemeinsamanpacken wollen .Danke .
Nun hat das Wort die Kollegin Valerie Wilms für die
Fraktion BÜNDNIS 90/Die Grünen .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! WerteKolleginnen und Kollegen! Tja, aus diesem VerkehrsetatBettina Hagedorn
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kann man nur einen einzigen Schluss ziehen: Der zustän-dige Minister ist überfordert .
Je länger er überfordert ist, desto mehr rüstet er ver-bal auf und drischt auf die Grünen ein, auf unseren gutenVerkehrsminister Winne Hermann in Baden-Württem-berg; etwas anderes fällt ihm nicht ein .
Herr Dobrindt redet viel über Bürgerbeteiligung undModernisierung, aber viel mehr als Schönfärberei kannich nicht erkennen . Auf Ihre Bürgerbeteiligung beimBundesverkehrswegeplan bin ich gespannt; denn im De-zember soll der Kabinettsbeschluss stehen . Irgendwieklappt das nicht so ganz, Bürgerbeteiligung innerhalbeiniger weniger Wochen abzuarbeiten .
Mehr als Schönfärberei haben Sie wirklich nicht zu bie-ten .Jetzt schauen wir uns einmal Ihren Verkehrsetat in denDetails an . Sie reden gerne von „Erhalt vor Neubau“ . Dashaben Sie auch heute wieder gemacht . Das ist und bleibtbei Ihnen aber nichts als eine Floskel . In der Realität stei-gen die Mittel für den Neubau von Straßen doppelt sostark an wie die Gelder für den Erhalt . Da wird nicht um-gesteuert . Es geht einfach so weiter wie bisher .
Unsere Straßen und Brücken werden also weiterhinbröckeln, während Millionen in bayerische Umgehungs-straßen mit nur lokaler Bedeutung versenkt werden . Istes Ihnen nicht wenigstens ein bisschen peinlich, das Geldfür die teuerste Umgehungsstraße Bayerns ausgerechnetin Ihren Wahlkreis zu lenken?
Es geht um Oberau .
Sie greifen dreist in die Kasse, wenn es der politischenLandschaftspflege dient. Das finde ich absolut unver-schämt .
Aber es kommt noch schlimmer . Erst heben Sie dieUmgehung Oberau in den Haushalt, und kaum steht sieda drin, wird sie 1 Prozent teurer . Innerhalb von einemJahr kostet sie plötzlich stattliche 31 Millionen Euromehr . Das nenne ich Selbstbedienung .
Gleichzeitig zeigen Sie Ihre völlige Überforderung beiden entscheidenden Fragen in der Verkehrspolitik . Einesist inzwischen unbestritten: Wir müssen mehr Verkehrauf umweltfreundliche Verkehrsmittel verlagern . Jedersieht doch, was für Lkw-Lawinen auf unseren Autobah-nen unterwegs sind . Da ist längst die Schmerzgrenze er-reicht . Es muss umgesteuert werden . Aber Sie haben keinKonzept, geschweige denn eine Lösung . Fehlanzeige!Wir warten auf Vorschläge . Aber dafür müssten Siesich mit etwas anderem als mit Ihrer CSU-Maut zur Dis-kriminierung der Ausländer und mit Ortsumgehungen inBayern beschäftigen . Sie sollten endlich verstehen, dassSie seit bald zwei Jahren Bundesverkehrsminister sind,also nicht nur für das bayerische Wohlergehen zu sorgenhaben, sondern für das Wohlergehen der Menschen inder ganzen Bundesrepublik Deutschland, in Europa . Dashaben Sie scheinbar absolut verdrängt . Übernehmen Siedafür endlich die Verantwortung!
Liebe Kolleginnen und Kollegen, sehen wir uns docheinmal an, wie es wirklich aussieht . Die umweltfreund-lichen Verkehrsmittel geraten immer mehr unter Druck .Die Bahn schafft es nicht, die Mittel zu verbauen . Vie-le wichtige Projekte für umweltfreundliche Transportekommen nicht voran . Auch bei den Wasserstraßen ist dasso; Kollegin Hagedorn hat ja eben schon gewisse Ansät-ze aufgezeigt . Da kann man zwar behaupten, dass es nurum Schleswig-Holstein geht . Aber ganz so ist es nicht .Nur ein Viertel der Mittel wurde bei den Wasserstraßentatsächlich genutzt . Da können Sie nicht auf die Auftrags-verwaltung der Länder schimpfen, Herr Minister . Da hilftes auch nichts, in irgendwelchen Unterlagen zu blättern .
Das ist Ihre Aufgabe, die Sie nicht erfüllen!
Ein einziges Desaster ist auch der kombinierte Ver-kehr . Nur ein knappes Fünftel der Mittel konnte tatsäch-lich genutzt werden . Seit Jahren klappt es nicht mit derVerlagerung auf die Schiene . Und was machen Sie? Sieschauen sich das achselzuckend von der Seitenlinie ausan .
Dem Verkehrsminister ist die Erfolglosigkeit der eige-nen Förderprogramme offensichtlich ganz egal . Zumin-dest das Finanzministerium – Herr Kollege Spahn, daskönnten Sie ja jetzt einmal angehen – ist aufgewacht undprüft, was man hier verändern muss . Dafür wird es auchwirklich allerhöchste Zeit .
Dr. Valerie Wilms
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Minister mussein paar grundsätzliche Vorschläge machen, wie dieProbleme zu lösen sind . Mit Geld allein wird das nichtfunktionieren . Sie müssen schon an die Strukturen heran .Dazu müssen Sie jetzt in die Vollen gehen und dürfen IhrMinisterium nicht mit der Pkw-Maut beschäftigen . Aberda habe ich meine Zweifel . Mit der gescheiterten Mauthaben Sie Ihr ganzes Pulver verschossen . Es sieht so aus,als ob Ihnen für die Lösung der wirklichen Probleme jetztdie Kraft fehlt . Der Verkehrsetat vergibt die meisten Mit-tel, um unser Land durch Investitionen zu gestalten . AberSie missbrauchen ihn, um sich selbst und Ihre Günstlingezu beglücken . Einen solchen Verkehrsetat, einen solchenVerkehrsminister hat unser Land nicht verdient .Herzlichen Dank .
Das Wort hat nun der Kollege Reinhold Sendker – der
das vermutlich sofort richtigstellen wird – für die CDU/
CSU-Fraktion .
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ichdarf Ihnen antworten, Frau Kollegin: Unser Land hatauch eine bessere Opposition verdient .
Meine sehr verehrten Damen und Herren, beim Erhaltund beim Ausbau unserer Verkehrsinfrastruktur stehenwir vor gewaltigen Aufgaben; das ist heute schon betontworden . Ich nenne vor allem die Brückensanierungsar-beiten überall in Deutschland, mittlerweile mit einemSchwerpunkt in Nordrhein-Westfalen . Das ist weiß Gottnicht neu . Neu ist in unserer Haushaltsplandebatte dieWortschöpfung „Investitionshochlauf“ . Nun haben wirendlich mehr Geld für Investitionen in Straße, Schieneund Bundeswasserwege zur Verfügung .Verehrter Herr Kollege Claus von der Fraktion DieLinke, bei uns ist das Geld nicht in schlechten Händen .Das Geld ist in sehr guten Händen . Gerade der Verkehrs-etat, meine Damen und Herren, sorgt für Prosperität un-serer Volkswirtschaft, für Arbeit, für Wachstum und imErgebnis für Wohlstand . Das muss unser Ziel als Parla-mentarier sein .
– Ja, ich glaube das . Ich nenne Ihnen auch gleich dieZahlen . Wir werden im nächsten Haushaltsjahr, 2016,1,5 Milliarden Euro mehr zur Verfügung haben; der Mi-nister hat es gesagt . 2018 wird es einen weiteren Anstiegauf 14 Milliarden Euro geben . Wenn man an den Anfangder 17 ., also der letzten Wahlperiode zurückdenkt, stelltman fest: Damals waren es 50 Prozent weniger . Ich mussIhnen sehr deutlich sagen: Über die Jahre gesehen ist dasein klarer Erfolg der Arbeit unserer Großen Koalitionund – das muss einmal gesagt werden – ganz besondersunseres Ministers Alexander Dobrindt .
Für 2019 sind weniger Investitionsmittel eingestellt .Das ist aber keineswegs ein Rückfall . Denn durch dieUmsetzung unserer Koalitionsbeschlüsse zur Lkw-Mautauf den Bundesstraßen kann der Bund dann über 2 Milli-arden Euro zusätzliche Mittel generieren, die im Finanz-plan noch nicht angesetzt sind .Der Investitionshochlauf geht also über die Jahre wei-ter . Wir können in den nächsten Jahren das von ProfessorBodewig und Dr. Daehre aufgezeigte Delta der Unterfi-nanzierung schließen . Das, liebe Kolleginnen und Kol-legen, ist dann auch ein erfolgreicher Abschluss unsererArbeit in der Koalition und macht Hoffnung auf die Fort-setzung einer guten Politik .Entscheidend bleibt aber, dass vor allem mit Blick aufdie Zukunftsinvestitionen des Bundes für die Jahre 2016,2017 und 2018 jetzt tatsächlich mehr investiert wird .Nun müssen wir die Bundesländer bitten, ihre Planungenvoranzutreiben, die Baureife herzustellen, kurzum: dieHausaufgaben zu machen . Für das, was die Grünen ebengesagt haben, gilt:
Dabei lassen wir die Umgehungsstraßen im ländlichenRaum, die bitter notwendig sind, nicht von Ihnen in die-ser Debatte diskreditieren .
Eine verbesserte Finanzausstattung ist das eine in die-ser Debatte zur Feststellung des Bundeshaushalts . Dasandere ist: Wir haben in den beiden Jahren als Koalitionschon viel erreicht, meine Damen und Herren . So habenwir als Koalition die überjährige Verfügbarkeit der Ver-kehrsinvestitionsmittel durchgesetzt, ganz im Sinne einereffizienten Verwendung der Gelder für unsere Verkehrsträger . Liebe Kolleginnen und Kollegen, für diese Praxishaben wir lange gekämpft . Das ist ein echter Fortschritt,und deshalb sollten wir auch konsequent daran festhal-ten .Der Haushaltsausschuss des Bundestages hat zudembeschlossen, ab 2016 sämtliche Maut- und Steuermittelfür den Bundesfernstraßenausbau durch die Verkehrs infrastrukturfinanzierungsgesellschaft, unsere VIFG, zu be-wirtschaften . Ich nenne das ein starkes Signal für mehrEffizienz und Transparenz, mit Vorteilen für alle, vor al-lem für das Parlament . Es muss auch einmal gesagt wer-den, dass die bundeseigene Verkehrsinfrastrukturfinan-zierungsgesellschaft mit verhältnismäßig wenig Personaleine ganz hervorragende Arbeit leistet .
Dr. Valerie Wilms
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Nun zu den dringend notwendigen Erhaltungsinvesti-tionen: Für die Modernisierung unseres Schienennetzesstehen in diesem und in den nächsten Jahren sage undschreibe 28 Milliarden Euro zur Verfügung: 20 Milliar-den vom Bund und 8 Milliarden aus Eigenmitteln derBahn AG . Das ist ein absolutes Rekordniveau durch dieFortsetzung der Leistungs- und Finanzierungsverein-barung Schiene . Damit können in den nächsten Jahren875 Brücken voll- oder teilerneuert werden . Das ist einegute Grundlage für die Zukunftsfähigkeit des SystemsSchiene . Darüber hinaus generiert die Bahn AG bekannt-lich auch Nutzungsentgelte, und ich stelle fest: Insgesamtgesehen ist das weiß Gott eine starke Finanzausstattungangesichts unserer Zielsetzung, hochleistungsfähige Mo-bilitätsnetze zu erhalten .Für die dringende Brückenerneuerung beim Verkehr-sträger Straße stehen in den nächsten Jahren 2,3 Milliar-den Euro zur Verfügung . Angesichts der 50 000 Brücken-bauwerke in der Baulast des Bundes müssen wir aberauch die Bitte äußern – und ich bedanke mich für IhreZusage, Herr Minister, die Sie heute Morgen gegebenhaben; das war unüberhörbar –, die Erhaltungsmittel beiBedarf weiter zu erhöhen . Denn Erhalt und Instandset-zung dieser Anlagen muss für uns oberste Priorität ha-ben, und das hat sie auch .
Zu den Zahlen, Frau Kollegin Wilms: Sie haben ge-sagt, es gebe mehr Neubau als Erhalt . Ich bitte Sie, dierichtigen Zahlen zu verwenden . Im Bedarfsplan 2015 –das sind die Mittel, die wir jetzt als Verfügungsrahmenhaben – haben wir 1,2 Milliarden Euro für den Ausbauund fast 2,9 Milliarden Euro für den Erhalt vorgesehen .Nach Adam Riese ist das ein Verhältnis von 30:70 . Damitist die klare Priorität: Erhalt vor Neubau .
Auch die klare Perspektive unseres Ministers für dieneue Generation von ÖPP-Projekten bedeutet im Ergeb-nis mehr Qualität und mehr Leistungsfähigkeit bei denBundesfernstraßen und setzt gleichzeitig Wachstumsim-pulse . Sie haben eben von den Vergütungsmechanismengesprochen, die verbessert worden sind, Herr KollegeKindler . Was der Bundesrechnungshof zu dem Wechselder Verkehrsmengenprognose hin zur Verfügbarkeit derKonzessionsstrecken tatsächlich gesagt hat, würde ichgerne zitieren, Herr Präsident . Zitat: „Dadurch erhöhtsich auch die Validität der Wirtschaftlichkeitsuntersu-chung .“
Ich sage: Genau das wollen wir . Auch der verbesserteLeitfaden zur Wirtschaftlichkeitsuntersuchung, den wirgefordert haben, liegt mittlerweile vor .In unserem Koalitionsvertrag haben wir weiter verein-bart, ÖPP mittelstandsfreundlicher zu gestalten .
Der sehr geschätzte Kollege Sebastian Hartmann und ichsind federführend dabei, diese Zielsetzung gemeinsamumzusetzen .Wer öffentlich-private Partnerschaften grundsätzlichablehnt,
der möge sich doch einmal mit der Frage beschäftigen,verehrte Kollegen der Grünenfraktion, wie die Lage ohnedie mit ÖPP ausgebauten Fernstraßen bzw . sich im Baubefindlichen Projekte wäre.
Auf der Straßenkarte für Deutschland wäre deutlich mehrStau erkennbar,
es gäbe deutlich mehr Engpässe und einen deutlich grö-ßeren volkswirtschaftlichen Schaden .Man muss auch einmal daran denken, dass die Lan-desverwaltungen zu wenige Planungsressourcen haben .Politik beginnt ja bekanntlich mit der Wahrnehmung derRealität . Deshalb muss ich fragen: Wollen wir die Men-schen tatsächlich zehn Jahr länger im Stau stehen lassen?Ich sage: Die Prüfung von ÖPP war und bleibt für unsrichtig, absolut zielführend und unverzichtbar .
In Bezug auf das Thema „Lärmschutz an Straße undSchiene“, auf das NIP, das Nationale Investitionspro-gramm Wasserstoff- und Brennstoffzellentechnologie,und auf andere innovative Projekte kann unsere Koali-tion zur Halbzeit feststellen, dass sie investiv auf einemguten Weg ist .
Herr Kollege Sendker, darf die Kollegin Hagedorn
noch eine Zwischenfrage stellen?
Bitte schön, Frau Kollegin Hagedorn .
Sehr geschätzter Herr Kollege Sendker, Sie haben ge-rade eben einige Behauptungen zu ÖPP aufgestellt, überReinhold Sendker
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die es in diesem Hause durchaus geteilte Auffassungengibt .
Vor diesem Hintergrund möchte ich Ihnen sagen, dassich mit Ihrem Kollegen Norbert Brackmann – andereKollegen waren auch dabei – in diesem Sommer bei derASFINAG in Österreich war . Die ASFINAG ist ja auchvon Ihrem Kollegen Vaatz hier vorhin als vorbildlich ge-lobt worden . Dort gebe es manches, wovon wir lernenkönnen . Das sehe ich übrigens genauso .Fakt ist aber, dass sich die ASFINAG von PPP-Pro-jekten verabschiedet hat, nachdem ein einziges Projektdurchgeführt wurde . Wir haben auch die Aussage derASFINAG gehört, dass sie nicht vorhat, das weiterzu-führen, und dass sie von PPP nichts hält .Vor diesem Hintergrund möchte ich Ihnen sagen, dasswir als Rechnungsprüfungsausschuss den Minister undden Bundesrechnungshof gebeten haben, bis Ende die-ses Jahres gemeinsam festzustellen, wie die Wirtschaft-lichkeitsuntersuchung eines Vorhabens auszusehen hat,damit das Haus und der Bundesrechnungshof attestierenkönnen, dass es in Ordnung und für PPP-Projekte geeig-net ist . Wir haben im Koalitionsvertrag nämlich festge-legt, dass wir nur dann PPP-Projekte durchführen wollen,wenn sie sich als wirtschaftlicher erwiesen haben .
Frau Kollegin .
Sie sind im Moment noch nicht in der Lage, diesen
Beweis zu führen .
Ich finde es nicht respektvoll von Ihnen, dass Sie nicht
abwarten, bis diese Untersuchungen abgeschlossen sind .
Sehr verehrte Kollegin Hagedorn, Sie wissen, dass wirhier in Deutschland sehr positive Erfahrungen mit denÖPP-Projekten gemacht haben, die abgeschlossen sindbzw . gerade laufen .
Das zeigt zunächst einmal, dass die Projekte einesehr gute Qualität haben . Deshalb frage ich: Was ist hierkritikwürdig? Außerdem wurden alle Projekte vorzeitigabgeschlossen – teilweise zehn Jahre eher als nach derPlanung der Landesbauverwaltungen .
Daneben ist zu betonen, dass die Landesverwaltungendie notwendigen Ressourcen teilweise gar nicht zurVerfügung stellen könnten . Es wäre sonst also gar nichtmöglich, zu bauen .Schließlich muss ich Ihnen sagen: All das, wovon icheben gesprochen habe – der Ausbau von mittlerweile700 Kilometern Straße in Deutschland; manches ist nochim Bau befindlich –, hätten wir ohne ÖPP nicht.Der letzte Vorwurf kam von Herrn Kindler oder FrauKollegin Dr . Wilms – meine Reaktion darauf darf ich indie Beantwortung Ihrer Frage mit einfließen lassen –,wonach mehr ausgegeben worden sei . Nach der Istbe-rechnung des Ministeriums waren es tatsächlich ganze7 Millionen Euro mehr und nicht 1,9 Milliarden Eurooder 1,4 Milliarden Euro . Diese 1,4 Milliarden Euro sindja auf die Verkehrsmengenberechnung zurückgeführtworden . Der Bundesrechnungshof hat sehr deutlich ge-sagt – da sollten Sie einmal genau zuhören, Frau Kolle-gin –, das Ministerium liege schief .
Wir stellen heute fest: Die Verkehrsmengenprognosewar absolut richtig . Das gilt damit auch für die Istwerte .Gewöhnen Sie sich einmal daran, Ihre ideologischeSicht ein klein wenig an die Seite zu rücken,
verehrte Kollegen der Grünen, und den Blick für einerichtige Bewertung von öffentlich-privaten Partnerschaf-ten freizubekommen, die uns in diesen Jahren deutlichweiterbringen .
Ich komme zurück zum NIP, dem Nationalen Innova-tionsprogramm Wasserstoff- und Brennstoffzellentech-nologie . Hier geht es uns darum, die Marktvorbereitungneuer Technologien zu beschleunigen . Daran müssen wirim Interesse deutscher Wettbewerbsfähigkeit konsequentfesthalten .Herr Präsident, ich komme zum Ende . – Die Verkehr-spolitik dieser Regierung in Deutschland ist weder Hoch-stapelei noch Stillstand, sondern ein Investitionshoch-lauf, wie wir ihn in diesem Etat in einem Bundeshaushaltnoch nicht erlebt haben . Was wir im Zusammenhang mitder Zukunftsfähigkeit unserer Verkehrsanlagen bereitserreichen konnten, zeigt, dass die Koalition richtig gutunterwegs ist . Ich freue mich daher auf die Ausschuss-beratungen und danke Ihnen für Ihre Frage und für IhreAufmerksamkeit .Herzlichen Dank .
Bettina Hagedorn
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Martin Dörmann ist der nächste Redner für die
SPD-Fraktion .
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
Koalition will schnelles Internet für alle verwirklichen
und hat sich dabei ein sehr ehrgeiziges Ziel gesetzt: Bis
2018 sollen alle Haushalte in Deutschland eine Versor-
gung mit mindestens 50 Megabit pro Sekunde erhalten .
Ich will erinnern: Zu Beginn dieser Legislaturperiode
lag diese Zahl nicht bei 100 Prozent, sondern bei 60 Pro-
zent . Inzwischen nähern wir uns 70 Prozent an . Doch wir
alle wissen: Die letzten 30 Prozent sind die teuersten .
Die dort bestehenden Wirtschaftlichkeitslücken für Un-
ternehmen wollen wir schließen und zusätzliche Investi-
tionsanreize setzen .
Zentraler Baustein unseres Maßnahmenpaketes ist
das neue Förderprogramm des Bundes, das vom Kabi-
nett in Kürze verabschiedet werden soll . Ich will auch
daran erinnern: Für Breitbandförderung gab es unter
der schwarz-gelben Koalition, der Vorgängerregierung,
lediglich einen geringen zweistelligen Millionenbetrag .
Nun stehen alleine im Bundeshaushalt über 2 Milliarden
Euro zur Verfügung, die ab 2016 in eine zeitgemäße und
zukunftsfähige digitale Infrastruktur investiert werden
können .
Ich will den Kollegen Kindler und Claus von der
Opposition sagen: Das sollte auch eine Opposition ein-
mal anerkennen . Vor allen Dingen in Ihren Reden – das
möchte ich gerne ausführen, bevor die Kollegin Rößner
gleich ihre Frage stellen kann – machen Sie einen Gedan-
kenfehler . Sie reduzieren die Förderung des Breitband-
ausbaus alleine auf die Bundesmittel . Es stehen dafür
aber auch in den Landeshaushalten mehrere Milliarden
bereit, sodass insgesamt zwischen 4 und 5 Milliarden
Euro aus öffentlichen Kassen zur Verfügung stehen .
Herr Kollege Dörmann, darf Ihnen die Kollegin
Rößner eine Zwischenfrage stellen?
Sofort . – Dazu kommt noch, dass mit diesen Milliar-
den zusätzlich private Investitionen in Milliardenhöhe
angeregt werden sollen . Wenn man dann noch hinzurech-
net, dass unabhängig davon die Unternehmen die Net-
ze modernisieren und dass jetzt auch – das war unsere
Forderung – der LTEAusbau beinahe flächendeckend
erfolgt, dann geht insgesamt ein zweistelliger Milliarden-
betrag in den Netzausbau .
Jetzt möchte ich gerne die Zwischenfrage der Kolle-
gin Rößner zulassen .
Ich mache allerdings schon darauf aufmerksam, dass
das die letzte Zwischenfrage ist, die ich zu diesem Ein-
zelplan zulassen möchte . – Bitte schön .
Vielen Dank, Herr Präsident . – Vielen Dank, Kollege
Dörmann . Sie haben eben angemahnt, dass die Oppo-
sition eine ordentliche Politik machen und sich kritisch
mit Ihnen auseinandersetzen solle . Das würden wir ger-
ne tun, wenn zum Beispiel endlich das Förderprogramm
für den digitalen Infrastrukturausbau vorgelegt würde .
Die Kriterien sind überhaupt nicht klar . Genau davon
hängt doch ab, ob man in diesem Zusammenhang von
Zukunftsfähigkeit sprechen kann oder nicht . Deshalb in-
teressiert es mich, ob Sie uns die Kriterien hier und heute
darlegen können .
Ich bedanke mich, Frau Kollegin Rößner, für die Zwi-schenfrage . – Herr Dobrindt hat mehrfach bekundet, dassnun die Rahmenbedingungen zum Erreichen unsererAusbauziele tatsächlich gesetzt sind . Ich habe gerade dar-gestellt: Uns stehen mehrere Milliarden Euro von Bundund Ländern sowie private Investitionen zur Verfügung,damit wir wirklich einen Riesensprung machen können .Aber ich stimme Ihnen zu: Es kommt jetzt darauf an,dass wir die Förderprogramme so stricken, dass dabei einmöglichst optimaler Hebeleffekt entsteht . Ich darf Ihnensagen – das habe ich bei Minister Dobrindt gerade nach-gefragt –: Heute geht genau dieser Entwurf des Bundesfür eine Förderrichtlinie an die Länder . Das heißt, es be-steht in den nächsten Tagen und Wochen die Gelegen-heit, die Vorschläge miteinander abzugleichen . Ich binsehr zuversichtlich, dass dann das, was vonseiten derRegierung geplant ist, in Kürze zu einem entsprechendenKabinettsbeschluss führen und umgesetzt werden wird .Genau das werden wir in den nächsten Tagen erleben .
Frau Kollegin Rösler, jetzt habe ich durch Ihre Fragesogar eine Seite gespart . Ich wollte nämlich genau daraufhinweisen, dass es jetzt auf die richtige Ausgestaltungdieser Förderrichtlinie ankommt . Es erscheint uns da-bei wichtig, dass die abschließenden Gespräche mit denLändern dafür genutzt werden, eine schnelle Umsetzungund eine enge Verzahnung mit den Länderprogrammensicherzustellen .
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Es ist gut und richtig, dass ein Scoring-Modell vorge-sehen ist, das die Förderung an den von uns vorgesehenenAusbauzielen orientiert . Gleichzeitig ist natürlich daraufzu achten, dass die Umsetzung von Projekten zügig undunbürokratisch erfolgen kann und dass für die Antrags-bearbeitung die notwendigen personellen Ressourcen zurVerfügung stehen .
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Wir diskutieren heute Morgen den Einzel-plan 12, Verkehr und digitale Infrastruktur .
Dieser ist aber nur ein Teilstück eines Gesamtwerkes .Es ist ein Teilstück, das es dieser Regierung ermöglicht,Deutschland ein Stück weit in die Zukunft zu bringen .Dazu gehören zwei große Teile . Der eine Teil ist derBereich Bildung und Forschung, der schon seit vielenJahren einen überproportionalen Aufwuchs erfährt . Wirschaffen es jetzt mit dieser Finanzplanung für die nächs-ten Jahre auch für den Bereich Infrastruktur einen genausolchen zukunftsgerichteten Haushalt auf die Beine zustellen und damit Deutschland für die Zukunft fit zu ma-chen . Das ist ein Verdienst dieser Großen Koalition . Dasmuss, glaube ich, vorweggeschickt werden .
Dabei geht es nicht nur um die einzelnen Verkehrs-wege . Es geht nicht darum, beispielsweise mehr Schie-nen – oder Ähnliches – zu bauen . Wir haben den Ver-kehrsetat Schiene kräftig – um 390 Millionen Euro fürdas nächste Jahr – erhöht . Aber wir haben auch Schwer-punkte gesetzt. Das Geld fließt in die Verbesserung desLärmschutzes. Es fließt in die Verbesserung der Barrie-refreiheit an den einzelnen Stationen. Auch fließt es inein neues Seehafen-Hinterland-Programm . Das ist einegute Sache . Man sieht daran, dass wir uns auch inhaltlichweiterbewegen und die Sorgen und Nöte der Menschenernst nehmen .Das Gleiche gilt für die Wasserstraßen . Auch hier wer-den wir 50 Millionen Euro mehr in die Hand nehmen .Natürlich werden wir in den Ausbau und den Erhalt derWasserstraßen investieren . Wir werden aber – das wer-den die Haushaltsberatungen im Detail zeigen – ebenauch daran denken müssen, dass es bei Verkehr und In-frastruktur nicht nur darum geht, in Asphaltwege undDeiche zu investieren, sondern auch darum, Zukunftsin-novationen durchzuführen . Deswegen wird eine der Her-ausforderungen sein, dass wir etwas für die Logistik tun,dass wir nach dem Auslaufen des Programms ISETEC IIeinen neuen Anlauf unternehmen und für Innovationensorgen, dass wir für die Verwendung umweltfreundliche-rer Treibstoffe auf Ost- und Nordsee sorgen, indem wireinen Akzent beispielsweise auf LNG-Produktion bzw .-Verarbeitung und -Nutzung setzen . Das werden in denzukünftigen Beratungen Schwerpunkte sein, meine sehrverehrten Damen und Herrn .
Wir werden natürlich auch in die Bundesfernstraßeninvestieren . Hier werden die Mittel ebenfalls kräftig nachoben gefahren . Der Verkehrsminister hat schon einendeutlichen Akzent gesetzt .
Ich bin ihm besonders dafür dankbar, dass er am Beispielder A 9 gezeigt hat, dass es in Wirklichkeit nicht nur da-rum geht, einzelne Verkehrswege auszubauen . Vielmehrhat er begriffen – das setzt er auch in praktisches Handelnum –, dass die Verknüpfung aller Systeme, nicht nur der-jenigen, die dem Transport von Gütern dienen, sondernauch derjenigen, die dem Transport von Daten dienen,Arbeitsplätze schafft, Zukunftschancen bietet und ausunserer Infrastruktur eine zukunftsgerichtete und moder-ne Infrastruktur macht .
Ich will aber auch nicht verschweigen, dass wir einigeProbleme haben . Auch derer müssen wir uns annehmen .Martin Dörmann
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Wir diskutieren heute in erster Lesung über den Haus-halt, das Geld, die Ressourcen, die wir zur Verfügungstellen . Wir stellen fest, dass wir in einigen Bereichenerheblichen Nachholbedarf haben, weil das Geld, daswir zur Verfügung stellen, noch nicht einmal ausgegebenwerden kann .
Es mangelt an Projekten . Das hat unterschiedlicheGründe . So haben wir im Bereich der Fernstraßen dasProblem – das wurde bereits angesprochen –, dass dieLandesbauverwaltungen oft nicht in der Lage sind, unsbaureife Projekte zu liefern . Wenn ich daran denke,dass fast allen Ländern nach der ersten Tranche, die indiesem Jahr vergeben wurde, die baureifen Projekte fi-nanziert werden, dann stelle ich vorsorglich die Frage,welche Projekte als Nächstes kommen sollen . Wenn wirden Schrei der Länder nach mehr Geld vernehmen undihnen dann sagen: „Wir haben das Geld; nun gebt es dochaus“, und die Länder dann Carte blanche machen, dannzeigt das, dass auch auf Länderseite Defizite bestehen;das muss man ganz deutlich so sagen .
Ich habe vorhin nicht ohne Grund den Hinweis gege-ben, dass es eine Verbindung zwischen der Infrastruktursowie Bildung und Forschung gibt . Auch Bildung undForschung befinden sich zumindest in der Breite im Auf-gabenkreis der Länder . Wenn man einen Blick über dieVerkehrsträger hinaus wirft, dann stellt sich die Frage:Worin bestehen die Probleme der Länder, und in welchenBereichen, in denen wir als Bund verantwortlich sind –zum Beispiel bei den Bundeswasserstraßen –, bestehenProbleme? Uns fehlen in Deutschland schlichtweg diePlanungskapazitäten . Noch deutlicher gesagt: Uns fehlenin Deutschland Ingenieure .
– Das Ja hört sich gut an .
Das ist zunächst einmal eine klare Beschreibung . Aberwas tun wir, um diesen Mangel zu beheben? Ausweislichder Studierendenstatistik für das Bauingenieurwesen –Bachelor und Diplom – gab es im Jahr 2000 6 399 Ab-solventen und im Jahr 2013 3 860 Absolventen . Wennüber einen so langen Zeitraum die Zahl der Bauingenieu-rabsolventen sinkt, dann dürfen wir uns über die Folgennicht wundern .
An der Universität in Kiel zum Beispiel kann man GenderStudies oder friesische Philologie, aber nicht Bauingeni-eurwesen studieren . Das zeigt ganz deutlich, wo zukünf-tig in Deutschland Mangel herrschen wird .
Wir müssen uns der Zukunft widmen und begreifen,dass es nicht um einzelne Verkehrswege geht . Eigentlichist schon der Name des Ministeriums nicht richtig; dennes geht nicht allein darum, einzelne Verkehrswege sowiedie digitale Infrastruktur auszubauen . Vielmehr müssenwir begreifen, dass es sich hier um ein Infrastrukturmi-nisterium handelt, das ein Stück weit unsere Zukunft mit-gestalten soll und muss . Dafür müssen wir mit diesemHaushalt die Grundlagen legen .
Deswegen kommt natürlich auch dem Breitbandaus-bau eine besondere Bedeutung zu . Deswegen müssen wiraber auch die Dinge sehen – wir diskutieren hier in diesenTagen nicht nur über Einzelpläne –, die uns im Momentim wahrsten Sinne des Wortes überrennen . Aber wennwir auch hier einmal ein Stück weit in die Zukunft schau-en, dann müssen wir davon ausgehen, dass ein nennens-werter Teil der Flüchtlinge länger- oder auch langfristigin Deutschland bleiben wird . Wenn wir diese Menschenbei uns erfolgreich integrieren wollen, dann müssen wirihnen auch Arbeitsplätze bieten, dann müssen wir auchheute die Grundlage dafür legen, dass diese Form derIntegration vollendet werden kann . Genau dafür ist einemoderne Infrastruktur wichtig .
Eine moderne Infrastruktur ist sicherlich nicht alles; aberohne eine moderne Infrastruktur ist alles nichts .Danke .
Udo Schiefner ist der nächste Redner für die
SPD-Fraktion .
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wirhaben heute Morgen schon vieles dazu gehört, wie großund wichtig der Investitionsetat für Verkehr in Deutsch-land ist .Ich möchte gerade als Berichterstatter für Güterver-kehr, Transport und Logistik einen Blick darauf richten,warum wir auf eine zukunftsfähige Verkehrsinfrastrukturangewiesen sind . Die Antwort lautet: Moderne Verkehrs-infrastruktur macht Transportdienstleistungen erst mög-lich .
Transport und Logistik bilden das Rückgrat unserer In-dustrie, unserer Wirtschaft, unseres täglichen Lebens .Der jährliche Umsatz der Logistikbranche hat sich in denletzten 20 Jahren fast verdoppelt, auf fast eine viertel Bil-lion Euro, und es wird auch so weitergehen, wenn manden Prognosen glauben kann .Dennoch – dies muss man feststellen – funktioniertunsere Infrastruktur für alle Verkehrsträger gerade nochso . Wir haben ein großes Straßen- und Schienennetz, vie-le Kanäle, See- und Binnenhäfen, Flughäfen und Anla-gen für den kombinierten Verkehr . Dies ist aber für dieNorbert Brackmann
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Zukunft nicht in Stein gemeißelt, sondern es wird daraufankommen, dass wir hier dem wachsenden Bedarf in dennächsten Jahren angemessen begegnen . Dafür haben wirim Koalitionsvertrag die Weichen gestellt, was sich auchin diesem Einzelplan niederschlägt .
Dem wachsenden Bedarf müssen wir heute begegnen .Brücken- und Schleusensperrungen zum Beispiel – diesist bereits angesprochen worden – beeinträchtigen denVerkehr schon jetzt enorm . Die Kollegin Hagedorn hat esauf den Punkt gebracht: Der Bund muss gerade dort, woer direkte Verantwortung trägt, diese Verantwortung auchwahrnehmen, damit sanierungsbedürftige Wasserstraßenganz schnell so saniert werden, dass beispielsweise einContainerschiff, das 2 500 Lkws ersetzt, dort fahren kannund damit diese Fracht von der Straße auf den Wasser-weg bringt .
Generell gilt: Damit unsere bestehende Infrastrukturleistungsfähig bleibt, müssen Investitionen gezielt dorteingesetzt werden, wo der größte Nutzen und der Bedarfbestehen . Es sei mir als Nordrhein-Westfalen erlaubt,kritisch anzumerken, dass diesem Ziel noch nicht im-mer hundertprozentig entsprochen wurde . Da, denke ich,müssen wir kräftig nacharbeiten .
Deutschlands wirtschaftliche Zukunft hängt davonab, dass Logistik und Verkehrssysteme effizient imumfassenden Sinne werden . Der nächste entscheiden-de Schlüssel ist dabei die Digitalisierung . Dies wurdeauch im Beitrag des Kollegen Dörmann deutlich . Dassbeispielsweise Hafenkräne Container zentimetergenauumsetzen, dass Lkws exakt bereitstehen, Waren auf La-deflächen ihre Position und ihren Zustand weitergeben,Roboter Ladungen automatisch sortieren, hört sich füreinige nach Zukunftsmusik an; andere meinen, so sei esdoch bereits heute .Tatsächlich sind wir aber von optimal verzahnten Pro-duktions- und Logistikketten, in denen alles synchronläuft, weit entfernt . Hier werden wir mit entscheidendenMaßnahmen ansetzen und auch in den nächsten Jahrenweiter darauf setzen . Denn gerade kleine und mittlereLogistiker müssen dafür erheblich investieren . Ohne öf-fentliche Unterstützung ist dies kaum zu schultern . Siesind auf unsere Hilfe angewiesen, und diese Hilfe werdenwir geben .
Letzter Punkt – Kollege Brackmann hat es bereitsangesprochen –: Wir sind auf leistungsfähiges Personalangewiesen, das den Anforderungen der Branche ge-recht wird . Logistik schafft und sichert anspruchsvolleArbeitsplätze . Fast 10 Prozent der sozialversicherungs-pflichtig Beschäftigten arbeiten in der Logistikbranche,etwa 2,8 Millionen Menschen . Fast ein Drittel von ihnenfahren auf unseren Straßen . Die eigentlichen Stützpfeilerunseres wirtschaftlichen Erfolges sitzen also hinter demLenkrad . Anerkennung und Wertschätzung erhalten siedafür kaum . Im Gegenteil: Ihre Arbeit hat unberechtigtein schlechtes Ansehen, wie ich finde. Die Branche leidetan Nachwuchsmangel .
Herr Kollege
Deshalb müssen wir – das ist mein letzter Satz – die
Rechte und Möglichkeiten dieser Branche und deren
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter stärken und müssen vor
allen Dingen das Nomadentum auf den Autobahnen und
Rastplätzen Deutschlands beseitigen .
Danke für Ihre Aufmerksamkeit .
Letzte Rednerin zu diesem Einzelhaushalt ist die Kol-
legin Rita Hagl-Kehl für die SPD-Fraktion .
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Nicht mit allen verkehrspolitischen Debatten,die in dieser Legislaturperiode schon geführt wurden, ha-ben wir uns europapolitisch Lorbeeren verdient .
Mit dem vorliegenden Entwurf für den Einzelplan 12ist das anders . Ohne zu übertreiben, kann man sagen:Es ist ein echter europäischer Verkehrshaushalt . Mitder Neukonzeption der transeuropäischen Netze wurdeEnde 2013 ein Anreizsystem für die EU-Mitgliedstaatengeschaffen, national verstärkt in solche Verkehrsprojektezu investieren, die einen besonders hohen Nutzen für dieeuropäische Vernetzung haben . Es geht dabei um solcheProjekte, die in besonders hohem Maße zum Zusammen-wachsen der Menschen und Volkswirtschaften in Europabeitragen . Dass dieses Anreizsystem ausgezeichnet funk-tioniert, sieht man deutlich auch an diesem Haushaltsent-wurf .Um Fördermittel der EU zu erhalten, müssen die Pro-jekte, wie bei solchen Programmen üblich, eine ganzeReihe von Kriterien erfüllen . Eine Voraussetzung ist,dass sie in den nationalen Haushalten zunächst einmalvoll ausfinanziert sein müssen. Durch diese Förderme-chanik entfalten die eingesetzten EU-Mittel nicht nureine enorme Hebelwirkung, sondern es werden auch na-tionale Egoismen in ihr Gegenteil verkehrt . Es gilt näm-lich: Derjenige, der viele Zuschüsse erhalten will, mussauch besonders viel „europäisch“ bauen, also viel mehrProjekte ausfinanzieren, als am Ende gefördert werden.Weil das so ist, sind die transeuropäischen Netze ein gu-tes Beispiel wider den Europa-Pessimismus: Sie zeigenUdo Schiefner
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ganz konkret, dass wir Europa brauchen, dass Europafunktioniert und dass Europa leistungsfähig ist .
Im vorliegenden Entwurf des Einzelplans findensich folgerichtig zahlreiche Vorhaben mit hoher euro-päischer Vernetzungswirkung . Wer seine Hausaufgabenmacht, der darf sich besonders freuen: Im Juli teilte dieEU-Kommission mit, dass 17 Projekte, bei denen dasVerkehrsministerium Antragsteller war, in der Konkur-renz um die Fördermittel erfolgreich waren . Im Ergebnisprofitiert der Verkehrsetat bis 2020 von EUZuschüssenin einer Höhe von über 1,6 Milliarden Euro . Das beruhtzuallererst auf sehr, sehr guter Arbeit, die da im Ministe-rium geleistet wurde, und auf diese gute Arbeit will ichhier auch einmal ausdrücklich hinweisen .
Besonders freut mich, dass dieses Geld komplett indas Schienennetz und in die Wasserstraßen fließt. Über95 Prozent der Projekte sind im Bereich der Eisenbahn-infrastruktur angesiedelt . Für unser Ziel, mehr Verkehrvon der Straße auf die Schiene zu bringen, ist dies einzukunftsweisendes Zeichen . Ich will hier nur 4 der17 Projekte exemplarisch aufgreifen: den Ausbau derBahnstrecke Karlsruhe-Basel, die Hinterlandanbindungder Fehmarnbelt-Querung, den Ausbau der BahnstreckeFreilassing–Salzburg und der Bahnstrecke von Horka inSachsen bis zur polnischen Grenze .Um diese Erfolgsgeschichte zu Ende zu schreiben,sollten wir im Sinne einer nachhaltigen Verkehrspolitikin den bevorstehenden Beratungen zwei Dinge berück-sichtigen:Erstens sollten wir unbedingt sicherstellen, dass dieseMittel, die durch die EU-Förderung im Haushalt frei wer-den, weiterhin demjenigen Verkehrsträger zugutekom-men, für den sie eingestellt wurden, also hauptsächlichder Schiene .
Zweitens wünsche ich mir als Fachpolitikerin einenoch bessere Nachvollziehbarkeit, was die Zahlungender EU im Verkehrshaushalt angeht . Hier gilt wie im-mer – besonders wenn es um investive Mittel geht –: Jemehr Transparenz und je mehr Kostenrealismus wir ha-ben, umso besser können wir Parlamentarier arbeiten .Ich bin optimistisch, dass es in den Beratungen ge-lingt, diese beiden Punkte noch zu stärken . Am Endekönnen wir mit Fug und Recht von einer großzügigen eu-ropäischen Signatur dieses Verkehrshaushaltes sprechen .Vielen Dank .
Ich schließe damit die Aussprache zum Geschäftsbe-reich des Bundesministeriums für Verkehr und digitaleInfrastruktur .Ich rufe nun den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit, Einzelplan 16, auf .Das Wort hat die zuständige Bundesministerin, FrauDr . Hendricks .
– Warten Sie bitte noch einen kleinen Augenblick, bis wirden Schichtwechsel ordnungsgemäß erledigt haben . –Bitte schön .Dr. Barbara Hendricks, Bundesministerin für Um-welt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit:Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kol-legen! Die große Anzahl der Menschen, die auf derFlucht vor Krieg und Vertreibung nach Europa und nachDeutschland kommen, ist in den vergangenen Wochenzum Hauptthema geworden . Auch diese Haushaltsdebat-te ist stark davon geprägt . Ich sage: Wir können und wer-den unter Beweis stellen, zu welcher humanitären Leis-tung unser Land fähig ist . Es ist bewundernswert, was dievielen Helferinnen und Helfer vor Ort und insbesonderedie Verantwortlichen in den Städten und Gemeinden leis-ten .
Die Bundesregierung wird mit allen verfügbaren Mit-teln daran arbeiten, die Länder und die Kommunen zuunterstützen . Ich will daran erinnern, dass wir bereits imletzten Herbst Erleichterungen beim Bau von Flüchtlings-unterkünften beschlossen und umgesetzt haben . Anlasswaren damals rund 200 000 Flüchtlinge, die 2014 nachDeutschland gekommen sind . Inzwischen gehen wir fürdieses Jahr von 800 000 Flüchtlingen aus, eine Zahl, diedie Dimension der Herausforderung verdeutlicht .Die steigende Nachfrage nach Wohnraum trifft in denGroßstädten und Ballungsräumen auf Wohnungsmärk-te, die bereits angespannt sind . Um diese angespanntenMärkte kümmern wir uns, zum Beispiel mit dem Bünd-nis für bezahlbares Wohnen und Bauen . Zusammenmit den Bündnissen in den Ländern und Kommunenhaben wir den Trend zu mehr Baugenehmigungen undmehr Fertigstellungen bereits verstärkt . 2014 sind rund240 000 Wohnungen neu fertiggestellt worden . Aber dasreicht nicht aus . Wir müssen uns jetzt auf einen Bedarfvon jährlich rund 350 000 Wohnungen einstellen, viel-leicht sogar auf einen noch größeren . Um das zu schaf-fen, brauchen wir alle Akteure und alle verfügbaren Ka-pazitäten, auch in der Wirtschaft .
Es ist völlig klar, dass wir deutlich mehr Geld in densozialen Wohnungsbau investieren müssen . Deshalbhabe ich vorgeschlagen, die Kompensationszahlungen andie Länder in Höhe von rund 518 Millionen Euro für dieRita HaglKehl
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nächsten Jahre – zunächst befristet bis 2019, würde ichmeinen – mindestens zu verdoppeln .
Ich gehe davon aus, dass dies im Rahmen der parla-mentarischen Beratungen des Haushalts 2016 realisiertwerden kann und wird . Darüber hinaus starten wir 2016ein neues Programm für Modellprojekte zum modularenBauen für Studierende und Auszubildende, das mit ins-gesamt 120 Millionen Euro für die Dauer von drei Jahrenaus dem Zukunftsinvestitionsprogramm ausgestattet ist .Auch das hilft .
Und trotzdem wird all das nicht ausreichen . Deshalbhabe ich zusätzlich die befristete und regionalisierte Wie-dereinführung der degressiven Abschreibung vorgeschla-gen . Wir brauchen das Engagement der privaten Inves-toren . Auch sie sollen dabei helfen, für Mietwohnungenim bezahlbaren Segment zu sorgen . Ich bin sicher, dasssich auch private Investitionen in bezahlbaren Wohn-raum lohnen, wenn am richtigen Ort gebaut wird . DerBund unterstützt das mit seiner Liegenschaftspolitik . DieBImA wird neben den Konversionsflächen auch anderegeeignete Liegenschaften identifizieren, herrichten undzur Verfügung stellen, das heißt zum Beispiel an kom-munale Wohnungsbaugesellschaften veräußern .
Länder und Kommunen, aber auch private Flächen-vermarkter sind aufgefordert, das Gleiche zu tun und ihreFlächen für den Wohnungsbau zu aktivieren . Ich will einBeispiel für private Flächenveräußerungen nennen . DerBürgermeister von Schwäbisch Hall hat vor einiger Zeitzu mir gesagt: Wir haben ein Problem in unserer Stadt .Wir sind gleichsam wegen Reichtums geschlossen . Un-sere Grundstückseigentümer haben es nicht nötig, zuverkaufen . Sie wollen auch nicht verkaufen . Wir könnenunsere Wohnungspolitik nicht fortentwickeln . – Auch ansolche Grundstückseigentümer, die eigentlich nicht dar-auf angewiesen sind, zu verkaufen, appelliere ich: Den-ken Sie darüber nach, ob Sie Ihre Stadt sich fortentwi-ckeln lassen können! Ich appelliere auch an die Kirchen,die häufig über Grund und Boden verfügen. Auch diesesollten, wie es häufig üblich ist, im Wege des Erbbau-rechtes Grund und Boden zur Verfügung stellen .
Wir werden in Bezug auf Erstunterkünfte und vorüber-gehende Unterkünfte bau- und bauplanungsrechtlich al-les ermöglichen, damit diese schnell und unbürokratischerrichtet und zur Verfügung gestellt werden können . Na-türlich werden wir beim Wohnungsbau unsere bewährtenQualitätsstandards im deutschen Bauwesen halten .
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, mir ist wich-tig, klarzumachen, dass wir mit unseren Aktivitäten ei-nem gesamtgesellschaftlichen Bedarf nachkommen . Esgibt ganz verschiedene Gründe, warum der Bedarf anbezahlbarem Wohnraum steigt . Der Zuzug von Flücht-lingen ist nur einer dieser vielen Gründe . Wir haben alsStaat die Verantwortung dafür, dass genügend bezahlba-rer Wohnraum für alle zur Verfügung steht .
Unter anderem auch deshalb erhöhen wir ab Januar dasWohngeld und stellen im Haushalt 2016 200 MillionenEuro mehr zur Verfügung . Und deshalb haben wir erfolg-reich Mietpreisbremse und Bestellerprinzip eingeführt .Damit erleichtern wir die Situation insbesondere fürMenschen mit kleinen Einkommen .
Wir sorgen dafür, dass auch in Zukunft ein gutes Zusam-menleben in unseren Städten und Gemeinden möglichist . Dies ist unsere politische Verantwortung .Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, ich willhier auch auf den steigenden Bedarf an altersgerechtemWohnraum hinweisen . Der im Haushalt veranschlagteAnsatz steigt um über 2 Millionen Euro . Das neu auf-gelegte Zukunftsinvestitionsprogramm sieht zusätzlicheMittel für altersgerechten Wohnraum in Höhe von ins-gesamt 27 Millionen Euro vor . Ich freue mich, dass dasProgramm sehr gut angenommen wird und die Nachfragemöglicherweise das Programmvolumen schon bald über-steigt .Der Gesamtansatz des Einzelplans 16 steigt 2016 aufüber 4 Milliarden Euro . Das gibt uns die Möglichkeit,unsere Anstrengungen für den Klima-, Umwelt- und Na-turschutz weiter zu verstärken . Das ist für die Bundesre-gierung, aber auch für mich persönlich ein ganz zentralesAnliegen .
Präsident Obama hat in Alaska gerade erneut auf diesichtbaren Folgen des Klimawandels hingewiesen . Auchin Deutschland sind die Folgen des Klimawandels fürMensch und Umwelt durchaus spürbar . Das größte Leidbringt der Klimawandel aber vor allem in Ländern, indenen ohnehin schon die Ärmsten der Armen leben . Esist deshalb allerhöchste Zeit, diesen Wandel aufzuhalten .
Die Beschlüsse der G 7 auf Schloss Elmau waren ge-nau aus diesen Gründen sehr wichtig . Es bestand Einig-keit darüber, dass die Weltwirtschaft bis zum Ende diesesJahrhunderts vollständig dekarbonisiert werden muss .Die Einigkeit von Elmau ist Rückenwind auf dem Wegzu einem neuen Klimaabkommen, das wir am Ende desJahres in Paris beschließen wollen .Deutschland kann für den internationalen Klima-schutz eine zentrale Rolle spielen und tut dies auch .Im BMUB-Haushalt erhöhen wir die Investitionen zumSchutz des Klimas und der Biodiversität im RahmenBundesministerin Dr. Barbara Hendricks
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unserer internationalen Klimaschutzinitiative um über75 Millionen Euro auf dann rund 340 Millionen Euro .Insgesamt wird Deutschland seine internationale Klima-finanzierung bis 2020 verdoppeln und sorgt damit fürGlaubwürdigkeit gegenüber den Ländern des Südens .Deutschland und die EU-Staaten haben ihre internati-onalen Klimaschutzbeiträge für das Klimaabkommen inParis bereits vorgelegt, ebenso die USA, China und vieleandere Staaten . Das alles zeigt, dass wir weltweit diesmaldeutlich besser aufgestellt sind als vor den Verhandlun-gen im Jahr 2009 in Kopenhagen .Ich sehe aber auch mit Sorge, dass die Summe allernationalen Anstrengungen im ersten Anlauf nicht ausrei-chen wird, um das 2-Grad-Ziel zu erreichen, also die Er-höhung des weltweiten Temperaturanstiegs auf maximal2 Grad zu begrenzen . Das ist also nicht im allererstenAnlauf zu erreichen . Deshalb steht im Mittelpunkt un-serer Verhandlungen derzeit die Verankerung eines Me-chanismus, durch den die Klimaschutzanstrengungenweltweit schrittweise immer weiter erhöht werden . Wirwerden also nicht lange warten, sondern unseren Ehr-geiz – schrittweise, wie auch immer –steigern . Das kannja auch durch den Fortschritt in der technologischen Ent-wicklung gut fundiert werden .Ein wichtiger Aspekt kommt in der Diskussion häufignoch zu kurz: Klimaschutzpolitik ist auch deshalb not-wendig, um Konflikten um Land, Wasser, Nahrungsmit-tel und Böden vorzubeugen .
Denn diese Konflikte könnten in der Zukunft weltweitneue Flüchtlingsströme auslösen .
Darüber müsste man sich dann nicht wundern . Wir wis-sen, dass es diesen Zusammenhang gibt;
zuletzt hat Papst Franziskus in seiner Enzyklika daraufdeutlich und eindringlich hingewiesen . Wir müssen des-halb, wie in allen anderen Bereichen auch, langfristig,vorsorgend und nachhaltig handeln . Klimaschutzpolitikist in diesem Sinne auch Friedenspolitik, und die ist heutenotwendiger denn je .
Wenn die Staatengemeinschaft beim Klimaschutz zueiner neuen Gemeinsamkeit findet, dann kann sie auchbei anderen heute noch ungelösten Konflikten zu ge-meinsamen Lösungen kommen und tatsächlich zu einerfriedlicheren Welt beitragen .Herzlichen Dank .
Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abge-
ordneten Heidrun Bluhm für die Fraktion Die Linke .
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Mi-nisterin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Haushaltsde-batten sind traditionell die Gelegenheit, zu fragen, wiedie Regierung mit den Herausforderungen der Gegen-wart umgeht und wie sie mit ihrer Haushaltspolitik nichtnur auf Handlungszwänge reagiert, sondern wie sie auchagierend Zukunft gestalten will .
Der Haushaltsansatz im Einzelplan 16 bleibt da aller-dings vieles schuldig . Zu Beginn der Amtszeit dieser Re-gierung habe ich tatsächlich für einen kurzen Momentgeglaubt, auf dem Feld „Bauen, Wohnen, Stadtentwick-lung“ wird jetzt endlich einiges besser . Schlechter, als esvorher war, ging es auch nicht . Doch noch mehr habe ichgehofft als geglaubt, dass hinter der Zusammenlegungvon Umwelt und Bau mehr steckt als nur das Feilschenum Partei- oder Regionalproporz: zum Beispiel die Ab-sicht, die zukunftsentscheidenden Politikfelder Umweltund Bau unter einem Dach zusammenzuführen, damitdauerhaft existenzielle Fragen wie der Klimaschutz, dasWohnen, die Stadt- und Regionalentwicklung zusam-mengedacht und langfristig konzeptionell auch voran-gebracht werden können . Denn ebenso wie das Wohnender Zukunft und die Stadt- und Regionalentwicklunggravierenden Einfluss auf den Umwelt und Klimaschutzhaben, ist der Klimaschutz zutiefst eine soziale Aufgabe .
Demnächst findet in Paris der nächste Klimagipfelzum Kyoto-Protokoll statt, und ich frage mich, was dieBundesministerin für Umwelt, Naturschutz, Bau und Re-aktorsicherheit als deutschen Beitrag zur Klimarettungdort in die Waagschale werfen will . Sie hat eben ange-kündigt, sie hat ein Programm, das auch schon vorgelegtwurde, aber die Inhalte, die sie hier heute vorgelegt hat,bleiben für uns – glaube ich – sehr nebulös . Wir hättengern mit ihr darüber diskutiert .Mit diesem Haushalt jedenfalls kann sie nicht, wie dieKanzlerin, behaupten: Wir schaffen das . – Wir müssendas aber schaffen . Wir müssen die selbst gesetzten Kli-maschutzziele erreichen, und wir müssen spätestens jetztdafür die erforderlichen Mittel zur Verfügung stellen .
Wir alle wissen: Das ist keine kurzfristige Kampagne,sondern eine dauerhafte Aufgabe, die nicht Ressortego-ismen oder parteipolitischen Profilierungen unterworfensein darf .Gegenwärtig, und das ist auch richtig so, wenden wirder Unterbringung von Menschen, die durch Krieg undBürgerkrieg aus ihrer Heimat vertrieben wurden, vielAufmerksamkeit zu . Wir müssen aber wissen: Auch dasBundesministerin Dr. Barbara Hendricks
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ist keine Kampagne, und ein Dach über dem Kopf alleinreicht bei Weitem nicht aus .
Begriffe wie „vorübergehend“ oder „zeitweilig“ müssenwir in diesem Zusammenhang aus dem politischen Vo-kabular streichen, aber auch die Frau Ministerin hat sieheute wieder verwendet . Aktuell und auf absehbare Zeitsuchen Menschen aus Kriegsgebieten bei uns Zuflucht.Wenn wir nicht endlich den Klimaschutz beherzt vo-ranbringen, statt weiter mit dem Wachstumsfetisch zuwedeln, wenn uns eine zeitweilige schwarze Null wich-tiger ist als Investitionen in dauerhaften Klima- und Zu-kunftsschutz, dann werden sehr bald auch Menschen zuuns nach Europa kommen, denen wir mit unserer fossilenIndustriepolitik die Heimat weggeschwemmt haben,
denen wir das Trinkwasser vergiftet, denen wir die Luftverpestet haben .
Selbst der amerikanische Präsident – auch das sagt dieMinisterin – scheint das schon erkannt zu haben . Wirdürfen also handeln .
In einem Haushaltsplan, über dem „Umwelt, Natur-schutz, Bau und Reaktorsicherheit“ steht, sollte manZahlen erwarten, die der Größe der Aufgabe auch ange-messen sind . In der Titelgruppe „Klimaschutz“ werdeninternationale und nationale Klimaschutzinitiativen alswesentliche Ziele definiert. Es soll – ich zitiere –:„eine in Klimaschutzzielen festgelegte Reduzierungder Treibhausgasemissionen in Deutschland biszum Jahr 2020 um 40 Prozent, … bis zum Jahr 2050um 80 bis 95 Prozent“unterstützt werden . Das ist unser aller Ziel . Gut so!Mit rund 300 Millionen Tonnen Kohlendioxid verur-sacht der Gebäudesektor rund ein Drittel der deutschenTreibhausgasemissionen . Wenn die Bau- und Wohnungs-wirtschaft einen signifikanten Beitrag zur Reduzierungder CO2-Emissionen leisten soll, dann muss die Quoteder energetischen Gebäudesanierung sofort auf mindes-tens 2 Prozent verdoppelt werden . Das wissen wir alleaber auch schon lange .
Das darf nicht eine Privatsache der Bau- und Woh-nungswirtschaft sein . Das ist eine hochpolitische ge-sellschaftliche Aufgabe, die sich nicht durch Appelleund Ankündigungen lösen lässt, sondern mit ernsthaftenHaushaltsansätzen angegangen werden muss .
Also, was liegt näher, als in diesen Einzelplan die da-für notwendigen Mittel einzustellen? Umweltverbände,Fachinstitute und selbst Mitarbeiter aus den Bundesmi-nisterien sehen hier eine Finanzierungslücke von 5 bis9 Milliarden Euro jährlich . Welchen Beitrag will dasBundesministerium leisten, um diese Lücke zu schlie-ßen? Mit den veranschlagten 1,5 Milliarden Euro ausdem EKF wird das jedenfalls nichts .Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich will ja gern an-erkennen, dass sich diese Bundesregierung im Vergleichzur Vorgängerregierung bemüht, dem Politikfeld Woh-nen und Bauen mehr Aufmerksamkeit zuzuwenden . De-ren Ignoranz war ja damals auch kaum zu überbieten . DieErhöhung des Wohngeldes etwa oder die Aufstockungder Städtebauförderung sind richtig und lange überfällig,aber sie sind leider rückwärtsgewandte Reparaturmaß-nahmen geblieben . Mit diesem Haushaltsansatz sind eskeine an den aktuellen und zukünftigen Aufgaben orien-tierte Gestaltungsziele geworden . Dafür wäre mindestenseine Dynamisierung des Wohngeldes einschließlich einerKlimakomponente notwendig . Notwendig wäre aucheine progressive Ausgestaltung der Städtebauförderpro-gramme, beispielsweise eine Gestaltungs- anstelle einerAbrissphilosophie in den Stadtumbauprogrammen Ostund West . Hier müssen wir kurzfristig umdenken . Dasfordern auch die Länder .
Kolleginnen und Kollegen, es fehlen schon jetzt in derBundesrepublik mindestens 5 Millionen Sozialwohnun-gen . Hier kommt der von den Sozialverbänden berech-nete Bedarf von 2 Millionen altersgerechten Wohnungenhinzu . Das allein wäre Grund genug, die Kompensati-onsmittel des Bundes für den sozialen Wohnungsbaudeutlich aufzustocken . Das hat die Ministerin heute er-freulicherweise anerkannt, und ich wünsche ihr, uns allenund vor allem den betroffenen Bürgerinnen und Bürgern,dass sie sich an dieser Stelle gegenüber Herrn Schäubledurchsetzen kann .
Wenn die Ministerin ihre Ankündigung wahr macht,den sozialen Wohnungsbau mit 1 Milliarde Euro aus demBundeshaushalt zu fördern, dann wäre das eine sehr be-grüßenswerte Aktion .
Aber schon die Einschränkung, dass dies eine zeitweiligeAufstockung wäre, die auch noch mit dem Zustrom anFlüchtlingen und Asylbegehrenden begründet wird, istwohnungs- und gesellschaftspolitisch das völlig falscheSignal . Denn die sozial benachteiligten Gruppen bei derWohnraumversorgung gegeneinander zu stellen, sorgtfür sozialen Brennstoff in der Bevölkerung . Das dürfenwir nicht tun .
Die Bundesregierung hat ihrem Koalitionsvertragvollmundig den Anspruch vorangestellt: „DeutschlandsZukunft gestalten“ . Deutschlands Zukunft lässt sich nurim internationalen Kontext denken . Von diesem An-spruch ist dieser Haushaltsansatz meilenweit entfernt .Selbst der angekündigte kraftvolle wohnungspolitischeHeidrun Bluhm
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Dreiklang, den auch ich hier schon oft zitiert habe, hatinzwischen das Outfit einer rostigen Klingel.Danke schön .
Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abge-
ordneten Marie-Luise Dött, CDU/CSU-Fraktion .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bun-desregierung hat im Juli einen sehr ordentlichen Haus-haltsentwurf vorgelegt – so ordentlich, dass der DeutscheBundestag auch noch die Möglichkeit hat, die aktuelleEntwicklung zu berücksichtigen . Deutschland wird diezusätzlichen Aufwendungen für die Flüchtlingswelle fi-nanziell bewältigen .Ich persönlich verbinde mit dieser Herausforderungauch ein gutes Paket an Chancen und Optionen . Einedavon liegt im Wohnungsbau . Er hinkt seit Jahren demeigentlichen Bedarf hinterher, sowohl der frei finanzier-te als auch der soziale Wohnungsbau . Wir haben bereitsjetzt eine Konkurrenz um freien Wohnraum in Ballungs-regionen . Diese soll sich durch den anhaltenden Zuzugvon Flüchtlingen nicht verschärfen . Die Koalition hatdaher den Wohnungsbau in ihre Beschlüsse vom Sonntagintegriert: Es soll eine steuerliche Förderung des Woh-nungsneubaus in Gebieten mit Wohnungsmangel geprüftwerden . Der Bund wird noch mehr bundeseigene Liegen-schaften zum Zweck des sozialen Wohnungsbaus verbil-ligt bereitstellen . Das ist der Beitrag des Bundes .Beim sozialen Wohnungsbau erwarten wir jedoch inerster Linie den Beitrag der Länder . Denn seitdem dieLänder die Verantwortung für den sozialen Wohnungs-bau tragen, beschäftigt sich der Deutsche Bundestag of-fenbar mehr mit dem Thema als die zuständigen Landes-regierungen . Von hier aus an alle Ministerpräsidenten:Was ist da schiefgelaufen? Der Bund gibt seit 2007 denLändern für den sozialen Wohnungsbau mehr Geld alsvor der Föderalismusreform . Aber: Gebaut wurden weni-ger Sozialwohnungen als vorher .Bevor über eine Erhöhung der Kompensationsmittelgesprochen werden kann, liebe Frau Ministerin, muss dieVerantwortung der Länder für die bisher gezahlten Mittelnatürlich aufgearbeitet werden . Und, liebe Frau Bundes-ministerin: Auf laue Zusagen der Länder können wir unsbeim sozialen Wohnungsbau nicht verlassen .
– Sie können ja freiwillig darstellen, wie Sie das gemachthaben . Ich weiß, dass es keine Zweckbindung gab, aberes war so beabsichtigt . – Ich wundere mich schon überIhren Vertrauensvorschuss, Frau Ministerin, für die Län-der bei diesem Thema. Ohne gesetzlich fixierte Zweck-bindung für die gesamten Kompensationsmittel werdendie Enttäuschungen wachsen .
Dann lieber nach eigenständigen Bundeslösungen su-chen,
wenn sich die Länder zu ihrer Aufgabe nicht verlässlichverpflichten lassen!
Meine Damen und Herren, was wir brauchen, sind be-lastbare Ansätze . Da vertraue ich in erster Linie auf dieKräfte des Marktes . Wo immer sich Wohnungsbau ren-tiert, wird sich auch ein privater Investor finden. Na-türlich kann der Staat finanzielle Anreize geben. Dasbeschleunigt Investitionsentscheidungen . Wenn mandas geschickt ausgestaltet, kann man diese auch an dierichtigen Orte lenken . Ich begrüße daher ausdrücklich,dass Bund und Länder über steuerliche Anreize für denWohnungsbau sprechen werden . Diese waren beim Woh-nungsbau in Deutschland stets erfolgreich .Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, es geht nichtnur ums Geld. Neben den finanziellen Aspekten unter-stütze ich nachdrücklich, dass wir zur Bewältigung derAufgaben auch Abweichungen von Standards und An-forderungen in unterschiedlichen Bereichen ermögli-chen werden . Aber ich will auch jedem klar sagen: Die-se befristeten Abweichungen dürfen und werden unserezentralen Ziele der Umweltpolitik nicht gefährden . Dassage ich auch mit Blick auf die Klimaziele . Die Vorbild-funktion Deutschlands beim Klimaschutz steht nicht zurDisposition . Instrumente können und müssen wir disku-tieren, in Deutschland, in Europa und auch global . Dasnationale Klimaziel aber steht, genau so, wie es im Koa-litionsvertrag vereinbart ist .Zum Klimaschutz gehört aber nicht nur unser nationa-ler Beitrag zur Minderung der Treibhausgasemissionen,dazu gehört auch unsere Unterstützung des internationa-len Klimaschutzes . Die im Haushaltsentwurf vorgesehe-ne Erhöhung der Mittelausstattung für die InternationaleKlimaschutzinitiative um 75 Millionen Euro begrüße ichsehr . Die deutliche Erhöhung der Mittel, mit denen wirKlimaschutz vor allem in Entwicklungsländern fördern,ist für Paris ein wichtiges Signal für die Übernahme glo-baler Verantwortung und Solidarität . Und sie sollte auchein Signal für andere Geberländer sein .Liebe Kolleginnen und Kollegen, im Entwurf des Ein-zelplans 16 ist im Personalbereich ein Stellenzuwachszu verzeichnen; das auch deshalb, weil die sachgrundlosbefristete Beschäftigung bis zum Ende der Legislaturpe-riode beendet werden soll
und weil die Inanspruchnahme von Werkvertragsneh-mern zurückgefahren wird . Denn sowohl BefristungenHeidrun Bluhm
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als auch das Auslagern von Tätigkeiten können immernur Zwischenlösungen sein . Die stärkere Wahrnehmungsolcher Tätigkeiten durch BMUB-eigenes Personal un-terstützen wir gerade mit Blick auf die Arbeits- und Le-benssituation der Betroffenen nachdrücklich .
Wichtig ist mir hier gerade die personelle Stärkungvon Arbeiten in den Arbeitsgebieten „Ressourceneffizi-enz“ und „Kreislaufwirtschaft“ . Hier liegt in dieser Le-gislaturperiode zu Recht ein Schwerpunkt der Arbeit .Und hier stehen noch wichtige Projekte an .Nach der Einigung auf Eckpunkte des Gesetzes zwi-schen den Koalitionsfraktionen wird derzeit das Wert-stoffgesetz erarbeitet . Die Gewerbeabfallverordnung, dasBatteriegesetz und die Klärschlammverordnung werdennovelliert, und die Fortschreibung des Deutschen Res-sourceneffizienzprogramms, ProgRess II, befindet sichderzeit in der Erarbeitung .Die Fragen des Umgangs mit Ressourcen und dieVermeidung oder Wiedernutzung von Abfällen sind Zu-kunftsfragen ersten Ranges, gerade für eine Industrie-nation wie Deutschland. Hier brauchen wir qualifizierteund motivierte Mitarbeiter .Da wir gerade bei der Frage der Wettbewerbsfähigkeitunserer Industrie sind: Ich wäre sehr dankbar, wenn wirbei allen Maßnahmen, egal ob im Umwelt- oder Bau-bereich, künftig stärker auf den Abbau von Bürokratieachten würden . Wir als CDU/CSU-Fraktion werden je-denfalls sehr genau darauf achten, wie das Bürokratie-entlastungsgesetz im BMUB umgesetzt wird . Liebe FrauMinisterin, das soll absolut keine Drohung sein, sondernein freundliches Angebot zur Unterstützung .
Wir haben dafür eigens einen Bürokratiebilanzbeauftrag-ten in unserer Arbeitsgruppe, weil wir uns wirklich dar-auf fokussieren wollen . Er wird sich um diese Aspekteganz besonders kümmern . Sie sehen: Wir nehmen diesesThema sehr ernst, auch weil es in der Vergangenheit häu-fig leider nicht ernst genug genommen wurde.Ich freue mich auf konstruktive Beratungen in dennächsten Wochen .
Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abge-
ordneten Peter Meiwald, Bündnis 90/Die Grünen .
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Frau Ministerin, Sie haben in Ihrer Rede sehr viel überdas Bauen gesprochen, über die Herausforderung, inDeutschland günstigen Wohnraum bereitstellen zu müs-sen, nicht nur für Flüchtlinge . Dass dies eine große Her-ausforderung ist, ist unbestritten . Das ist wichtig . Das istein zentrales Arbeitsthema, gerade in dieser Zeit .Seit einem Jahr fordern wir Grüne ein Bundesbau-programm . Das haben Sie verschlafen und bisher nichtumgesetzt . Frau Dött, angesichts dessen hilft es nichts,auf den Ländern herumzuhacken und zu sagen: Die Län-der müssten . . .! – Nein, das Bundesbauprogramm ist eineChance, als Bund Verantwortung zu übernehmen .
Frau Ministerin, Sie sind auch – nicht nur: „auch“ –die Umweltministerin in unserem Land . Zentrale The-men der Umweltdiskussion kommen bei Ihnen deutlichzu kurz, nicht nur in den bisherigen zwei Jahren IhrerAmtszeit, sondern auch in Ihrer Rede eben . Ich meinedie planetaren Grenzen, den Ressourcenverbrauch – FrauDött hat gerade darauf hingewiesen, allerdings ohne zusagen, was konkret passieren soll – und den Zustand alldessen, was um uns herum ist: Luft, Wasser, Feinstaub,all diese Dinge . Ich werde ausführen, was dazu aus unse-rer Sicht dringend getan werden muss .Zunächst zu den planetaren Grenzen . Am 16 . Januardieses Jahres meldete das Potsdam-Institut für Klima-folgenforschung, dass vier von neun planetaren Grenzendurch den Einfluss des Menschen bereits überschrittensind . Den Klimawandel haben Sie angesprochen; aberes geht auch um Landnutzung, um Nitrat- und Phospor-kreisläufe, um Biodiversität .Zum Klimawandel . Was unternimmt die Bundesregie-rung, um den Klimawandel einzudämmen? Wir habengerade gehört, wie wichtig das ist . Das bestätigen alleimmer wieder . Aber was passiert außer Lippenbekennt-nissen? Was gibt es an konkreten Maßnahmen? Bereitsam Mittwoch nach der Konferenz von Elmau war dashochgelobte Versprechen der G-7-Konferenz, Anreizefür Investitionen hin zu kohlenstoffarmen Wachstums-möglichkeiten zu setzen, nur noch Makulatur . Dabeiklingt „Dekarbonisierung“ doch so schön; Sie haben esgerade auch gesagt . Doch der Deal von Kanzlerin undWirtschaftsminister mit der Kohleindustrie stellt das Kli-maengagement – nein, nicht in den Regen – in die Hitze .
Die Kohleabgabe kommt nicht . Die Klimakiller derBraunkohlekonzerne werden einmal mehr geschont . Diekleinen Klimaschutzmaßnahmen, die an der einen oderanderen Stelle in Paris zugestanden werden, sollen daskaschieren . Sie werden vom Steuerzahler bezahlt werdenund nicht von den Konzernen, die die Probleme verursa-chen . Die Zeit bis Paris ist knapp, Frau Hendricks . Zie-hen Sie der Kohleindustrie endlich den Stecker .
Zum Flächenverbrauch . Die Bundesregierung hältverbal an dem Ziel fest, den Flächenverbrauch bis 2020auf – immer noch – 30 Hektar pro Tag zu reduzieren .Im Moment liegen wir bei ungefähr 73 Hektar pro Tag .Doch wo bleiben die wirklich großen Maßnahmen, dieMarieLuise Dött
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notwendig sind, um dieses Ziel zu erreichen? ReduzierenSie die privilegierten Nutzungen im Außenbereich . Neh-men Sie die Ausweitung der Privilegierung zurück, dieunter Schwarz-Gelb vorgenommen wurde .
Zum Stickstoff, zur Überdüngung . Die planetarenGrenzen sind auch hier und bei Phosphor weit überschrit-ten . In Deutschland sind 25 Prozent der Grundwasserkör-per aufgrund von hohen Nitratwerten in einem schlech-ten chemischen Zustand . Nur 10 Prozent der natürlichenFluss- und Bachabschnitte sind in einem guten oder sehrguten ökologischen Zustand . Bei unseren Küstengewäs-sern sieht es noch schlimmer aus . Da gibt es nirgendseinen guten ökologischen Zustand . Auch hier passiertseitens der Bundesregierung nichts . Ein Vertragsverlet-zungsverfahren ist seit Langem anhängig; doch Streitzwischen dem Landwirtschaftsministerium und IhremHaus, in dem man das eigentlich besser weiß – das wis-sen wir auch –, führt dazu, dass die Düngeverordnungnicht verändert wird, dass die Novelle nicht kommt, dassin diesem Land weiter Stillstand herrscht . Machen Sieendlich eine Umweltpolitik, die diesen Namen verdient,und verteilen Sie keine weiteren Geschenke an die Ag-roindustrie .
Zur Biodiversität . Wenn Sie die Herausforderungender überbordenden Stickstoffeinträge, des exzessivenFlächenverbrauchs und des Kohleausstiegs ernsthaft an-gehen, dann nützt das auch der Artenvielfalt . Durch Ver-güllung der Böden und Stickstoffüberschüsse kommendie Ökosysteme schon seit Langem an ihre Belastungs-grenzen . 22 Wirbeltierarten sind seit Beginn des 20 . Jahr-hunderts in Deutschland schon ausgestorben, unlängsterst der Steinsperling – Petronia petronia; was für einschöner Name . Weitere 28 Prozent der heimischen Wir-beltiere sind längst bestandsgefährdet . Da gibt es viel zutun . Wir alle merken am Beispiel der Feldlerche oder desKiebitzes, dass die Bedingungen nicht so gut sind, auchwenn die Kanzlerin sagt: Alles wird gut in unserem Land .Zu den Ressourcen . Das wichtige Programm Pro-gRess II – Frau Dött hat es eben angesprochen – ist schönund gut . Unser Energiehunger, unser Lebensstil zeigendoch: Wir verbrauchen zu viel Ressourcen . Am 12 . Au-gust dieses Jahres war der Earth Overshoot Day, der Tag,ab dem wir weltweit mehr natürliche Ressourcen ver-brauchen, als uns für dieses Jahr eigentlich zustehen . Wirleben weit darüber hinaus . ProgRess II bietet dazu zwarWorte, gute Analysen und Beschreibungen, aber letztlichkeine Lösungen . Was uns fehlt, sind pragmatische Vor-schläge; einen zahnlosen Tiger brauchen wir nicht .
Vielleicht habe ich das noch nicht ausreichend und inten-siv gelesen . Aber die einzige Maßnahme, Frau Ministe-rin, die ich bisher darin gefunden habe und die konkretist, ist die Erhöhung des Anteils von Recyclingpapier inden Bundesbehörden auf 100 Prozent .
Das ist schön, und das ist auch in unser aller Sinn . Nie-mand kann etwas dagegen haben . Aber reicht es wirklichaus, um den Ressourcenverbrauch unserer Wirtschafts-weise so zu minimieren, wie es nötig wäre, wenn erst ein-mal mehr Recyclingklopapier in den Ministerien hängt?Ist uns das genug?
– Nicht nur in den Ministerien, sondern auch in den un-tergeordneten Behörden . Das wird uns weiterhelfen . Vie-len Dank für diesen Hinweis .Die Dekarbonisierung ist als Stichwort angesprochenworden . Aber es geht nicht nur um Rohstoffe wie Kohleund Öl, um die fossilen; es geht um mehr . Es geht umMetalle, Seltene Erden, sauberes Wasser, aber auch umnachwachsende Rohstoffe wie Holz, Kautschuk und vie-les andere . Das alles ist im heutigen System so billig,dass wir es uns leisten können, so verschwenderisch da-mit umzugehen, wie wir es tun .Wiederverwertbare Rohstoffe haben hingegen kaumeine Chance auf dem Markt . Dabei müsste ihr Einsatzdoch eigentlich günstiger sein, als dass wir immer neueRohstoffe aus dem Boden holen . Woran liegt das? DieMarktpreise – das ist keine ganz neue Erkenntnis – sa-gen leider nicht die ökologische Wahrheit . Sie bilden diesozialen und ökologischen Folgekosten der Gewinnungdieser Rohstoffe nicht ab . Diese Kosten werden noch vielzu oft der Allgemeinheit oder den nachfolgenden Gene-rationen aufgebürdet . Das darf nicht so bleiben . Das wis-sen Sie, und das wissen wir alle .Unsere Lösungsvorschläge liegen auf dem Tisch –wenn Sie keine besseren haben, bitte, übernehmen Sieunsere gerne –:
ökologisch gestaffelte Ressourcenabgaben auf Rohstoff-verbrauch – nicht nur für Verpackungen –, ein Wert-stoffgesetz mit deutlich höheren, dynamisch steigendenRecyclingquoten auf dem Weg zu einer echten Kreislauf-wirtschaft – das ist gerade angesprochen worden; daraufwarten wir seit zwei Jahren –, die Stärkung von Mehrwegstatt Einweg und die Verbannung besonders ressourcen-verschwendender Einwegprodukte wie Coffee-to-go-Be-cher oder Plastiktüten . – Das sind zwar nur kleine Bei-spiele . Aber da könnte man konkret werden, anstatt nurein schönes ProgRess-Programm zu schreiben .Nun noch ganz kurz etwas zur Wahrnehmung IhrerPolitik im Allgemeinen . Früher war Deutschland Vor-reiter an vielen Stellen . Mittlerweile beschreibt man unsals das Land, in dem wir gemäß einer Untersuchung zumMüll pro Kopf auf Platz 28 von 34 liegen; es gibt erheb-liche Mängel bei der Mülltrennung . Die Grenzwerte vonStickoxiden im Straßenverkehr werden regelmäßig über-schritten . Bei der Feinstaubbelastung liegt Deutschlandauf Platz 27 von 34 . Das alles sind die Ergebnisse deraktuellen Politik .Peter Meiwald
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Herr Kollege, erstens – Stichwort „überschritten“ –
haben Sie Ihre Redezeit schon weit überschritten . Zwei-
tens gibt es eine Zwischenfrage . Ich weiß nicht, ob Sie
sie noch zulassen wollen . Ich gebe Ihnen noch ein paar
Sekunden . Wollen Sie sie zulassen?
Ja .
Bitte schön, Herr Kollege .
Lieber Kollege, Sie hatten in Ihrer Rede erwähnt, dass
der Steinsperling aktuell ausgestorben sei . Ich habe ein-
mal Biologie studiert und gelernt: Das war vor 1950 . Au-
ßerdem ist er nicht ausgestorben, weil sich die Umwelt so
verschlechtert hat, sondern weil andere Arten ihn aus sei-
nem Lebensraum verdrängt haben . Mich würde interes-
sieren, woher Sie diese Information haben .
Danke .
Nach meiner Kenntnis hat der Steinsperling schon
noch bis zum Ende des letzten Jahrhunderts bei uns ge-
lebt . Dass er ausgestorben ist, hat sicherlich verschiedene
Gründe . Die Veränderung der Umwelt, das, was um uns
herum passiert, ist genau der Punkt, der uns beschäftigt .
Da gibt es viele Einflüsse. Der Einfluss des Menschen
darf einfach nicht übergangen werden . Es geht darum,
unser Ökosystem insgesamt zu stabilisieren . Der Stein-
sperling ist da nur ein Beispiel . Die Lerche und andere
Vögel sind aktuell bedroht; das hatte ich gesagt .
Das war doch eigentlich ein schönes Schlusswort,
Herr Kollege, oder?
Zum Schluss möchte ich noch etwas zu den Finanzen
sagen, und zwar zu den Subventionen . Die Bundesregie-
rung hat eine Nachhaltigkeitsprüfung für ihren Subven-
tionsbericht eingeführt . Darin wird auf einmal alles, was
es an Subventionen gibt – für Agrardiesel, was man den
Griechen gerade abgewöhnen möchte, Spitzenausgleich
für die Industrie und Stromsteuerbegünstigungen für Un-
ternehmen –, als nachhaltig eingestuft . Das sollte uns zu
denken geben . Frau Ministerin, Sie kennen die Stellung-
nahmen des Umweltbundesamtes dazu . Die Strompreis-
kompensation läuft der Wirkungsweise des Emissions-
handels zuwider; denn der Emissionshandel soll gerade
durch einen entsprechenden Preis für Emissionszertifika-
te Anreize für eine verbesserte Energieeffizienz geben.
Lieber Herr Kollege .
Das nur als Beispiel . – Ich glaube, ich komme zum
Ende, ehe der Präsident ärgerlich wird .
Ich danke für die Aufmerksamkeit .
Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abge-
ordneten Steffen-Claudio Lemme von der SPD-Fraktion .
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Liebe Gäste! Der Haushaltsentwurf 2016 zeigt bei denAusgaben im Umwelt- und Baubereich ganz deutlich,wie viele Koalitionsziele wir in dieser Wahlperiode ange-packt und umgesetzt haben – beim Umwelt- und Klima-schutz und auch auf dem Weg zu gutem und bezahlbaremWohnraum .
Auf diese Ergebnisse, die sich jetzt im Haushalt wider-spiegeln, können wir stolz sein . Ich möchte das den Kol-legen, die hier Kritik vorgetragen haben, gern an einigenBeispielen verdeutlichen .Die Wohngeldreform beispielsweise: Mit der Reform,die am 1 . Januar 2016 in Kraft tritt, beenden wir siebenJahre Stillstand, in denen das Wohngeld nicht mehr andie Entwicklung von Mieten und Einkommen angepasstwurde. 870 000 Haushalte werden profitieren, 27 000 da-von sind Haushalte von Alleinerziehenden, und 90 000werden nicht mehr länger auf eine Aufstockung durchSozialhilfe angewiesen sein .
Das macht im Haushalt eine Erhöhung um 200 MillionenEuro aus . Das Wohngeld ist mit insgesamt 730 MillionenEuro der größte Posten. Das ist definitiv eine klare Bot-schaft des SPD-geführten Hauses .
Unter das Stichwort „bezahlbares Wohnen“ fällt auchdie Erhöhung der Städtebauförderung auf 700 MillionenEuro jährlich . Um das Auseinanderdriften in reiche Vier-tel und arme Viertel zu verhindern, haben wir die „So-ziale Stadt“ mit 150 Millionen Euro zum Herzstück derStädtebauförderung gemacht .Mit dem Zukunftsinvestitionsprogramm stellen wirbereits mit Beginn des Jahres 2016 140 Millionen Eurofür die Sanierung kommunaler Sport-, Jugend- und Kul-tureinrichtungen zur Verfügung . 120 Millionen Euro sindfür besseres Wohnen für Studentinnen und Studenten undAzubis vorgesehen .
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Auch für den altersgerechten Umbau – die Ministerinist darauf eingegangen – haben wir über den Nachtrags-haushalt in diesem Jahr noch einmal eine Schippe drauf-gelegt, und zwar zu Recht . Wir haben hier einen immenshohen Bedarf und eine große Nachfrage . Während bei derKreditanstalt für Wiederaufbau im Jahr 2011 im Schnitt20 Anträge pro Tag für diese Zuschussförderung eingin-gen, sind es jetzt 80 Anträge pro Tag, also viermal so vie-le . Der altersgerechte Umbau – das merkt man an diesenZahlen – wird uns in unserer alternden Gesellschaft nochstark beschäftigen . Wir werden hier zukünftig auf jedenFall einen weiteren Aufwuchs benötigen .
Mithilfe des Zukunftsinvestitionsprogramms ha-ben wir auch die Nationale Klimaschutzinitiative um450 Millionen Euro aufgestockt . Die Gelder werdenüberwiegend für die Umsetzung des AktionsprogrammsKlimaschutz 2020 und die Erreichung der deutschen Kli-maschutzziele eingesetzt . Gerade in diesem Jahr, vor derso wichtigen Weltklimakonferenz in Paris, ist das Eintre-ten für unsere eigenen Emissionsziele ein sehr wichtigesund dringendes Signal, zum einen natürlich innerhalbDeutschlands, aber auch an andere Staaten, die sich nochnicht auf konkrete Beiträge zum Klimaschutz geeinigthaben .Ein zentraler Punkt, der über Erfolg und Misserfolgin Paris mitentscheiden wird, ist die internationale Kli-mafinanzierung. Die meisten Gelder hierfür fließen imBereich der Entwicklungshilfe . Deshalb ist hier ein Blickauf den Gesamthaushalt notwendig .Im Haushalt des Bundesministeriums für wirtschaftli-che Zusammenarbeit und Entwicklung werden die multi-lateralen Umwelt- und Klimaschutzhilfen um 118 Milli-onen Euro erhöht . Auch die Mittel für die internationaleKlimaschutzinitiative, mit der das Bundesumweltministe-rium Klimaschutzprojekte in Entwicklungs- und Schwel-lenländern finanziert, wachsen um 75 Millionen Euro an.Liebe Kolleginnen und Kollegen, jetzt noch ein Punkt,der uns im parlamentarischen Raum gut zu Gesicht steht:Wir schreiben die 3 Millionen Euro, die Deutschland imRahmen des Engagements gegen die Wilderei zum Ein-satz bringt, mit dem Haushalt im Jahre 2016 fort .
Hier investiert das Bundesumwelt- und -bauministeriumin Projekte in China und Vietnam, die dabei helfen sol-len, den Schwarzmarkt für Elfenbein und Nashornhorndort auszutrocknen, wo die Nachfrage am größten ist,beispielsweise durch Kampagnen zur Information derBevölkerung .Das waren nur ein paar herausgegriffene Beispiele . Ja,wir haben viel geschafft . Aber wir müssen natürlich nachvorn blicken . Wir stehen aufgrund des großen Flücht-lingsstroms gegenwärtig vor einer nationalen und eu-ropäischen Ausnahmesituation . Hier ist unser schnellesHandeln gefragt . Wir haben es in den Debatten der letztenTage sehr oft gehört: Wir müssen alle zusammenrücken,und wir müssen uns den Herausforderungen stellen . Da-mit möchte ich nicht sagen, dass unsere Bemühungen imBau- und Umweltbereich enden . Ganz im Gegenteil, eskann lediglich sein, dass wir nicht jedes Projekt, nichtjede Programmerhöhung, die wir uns vorstellen, sofortund noch in diesem Jahr in die Umsetzung bringen .Momentan müssen wir für eine menschenwürdigeUnterbringung, eine menschenwürdige Behandlungund die Integration in Gesellschaft und Arbeitsmarktoberste Priorität anmelden . Hierbei ist ganz zuvorderstauch der Bauetat zu berücksichtigen . Denn sprechenwir über menschenwürdige Unterbringung, so könnenwir die alleinige Verantwortung eben nicht den Ländernund Kommunen überlassen . Wir stehen gesamtstaatlichder dringenden Notwendigkeit gegenüber, vor allem inBallungszentren schnellstmöglich mehr Wohnraum zuschaffen . Laut Deutschem Städtetag müssen in Deutsch-land jedes Jahr mindestens 300 000 Wohnungen neu ge-baut werden, um den Bedarf zu decken . Wichtig ist beidieser Debatte, dass wir nicht nur speziell für Flüchtlingeneu bauen wollen;
das würde jedem Integrationsgedanken zuwiderlaufen .Vielmehr benötigen wir in angespannten Wohnungs-märkten generell preisgünstigen Wohnraum für Fami-lien mit geringerem Einkommen, für Alleinerziehende,für Rentnerinnen und Rentner . Dieser Druck wird durchdie Flüchtlinge, von denen sich viele in Deutschland eineneue Heimat aufbauen wollen, nun noch verstärkt .Der Koalitionsausschuss hat hierzu am vergangenenSonntag formuliert:Der Bund unterstützt Länder und Kommunen beimNeubau von Wohnungen und bei der Ausweitungdes Bestands an Sozialwohnungen .Ich möchte mich stark dafür aussprechen, dass dieservagen Formulierung auch Taten folgen und wir die Fi-nanzhilfen an die Länder für den sozialen Wohnungsbauverdoppeln .
Klar ist auch, Frau Dött: Dieser Vorschlag beinhaltet eineverpflichtende Zweckbindung für die Länder,
damit dieses Geld auch tatsächlich dafür verwendet wird,dass sozialer Wohnraum entsteht .Herzlichen Dank .
Zu ihrer ersten Rede im Deutschen Bundestag ertei-le ich nun der Abgeordneten Birgit Menz, Fraktion DieLinke, das Wort .
SteffenClaudio Lemme
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Danke . – Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolle-
ginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Die Welt blickt im
Dezember dieses Jahres nach Paris . Auf der Weltklima-
konferenz wollen sich 196 Staaten auf verbindliche Kli-
maziele einigen . Seit dem Scheitern von Kyoto ist dies
der erste ernstzunehmende Anlauf . Eines ist klar: Die
Welt braucht einen Klimavertrag, der konkret beschreibt,
wie die globale Erwärmung zu begrenzen ist .
Ohne diesen Vertrag gerät das 2-Grad-Ziel in noch wei-
tere Ferne, als das ohnehin schon der Fall ist . Die kli-
mabedingten Probleme der Menschen werden sich im-
mer mehr verschärfen . Dadurch werden die Gründe für
Kriege und Flucht weiter zunehmen . Auch deshalb ist
diese Konferenz so wichtig .
Auch in Sachen Klimaschutz will die Bundesregie-
rung Vorreiterin sein . Bei diesem Thema unterstütze ich
das ausdrücklich . Allerdings habe ich große Sorgen, dass
sie diesem Anspruch nicht gerecht werden kann . Lassen
Sie mich das an einigen Punkten deutlich machen .
Beispiel Elmau . Die G-7-Länder haben das Ziel for-
muliert, die Energiewirtschaft weltweit bis 2050 kohlen-
stoffarm umzubauen . Das ist ein wichtiges Signal . Aber
diese Dekarbonisierung fordert von Deutschland mehr
als nur ehrgeizige Klimaschutzziele und eine erfolgrei-
che Energiewende . Sie erfordert ein grundlegendes Um-
denken, wie wir in Zukunft wirtschaften wollen .
Doch dazu fehlt der politische Wille . In der Realität wird
so weitergemacht wie bisher . Das können wir uns nicht
länger leisten .
Die Bundesregierung muss den Klimaschutz endlich
ernst nehmen und darf sich nicht vor der Industrie- und
Kohlelobby wegducken . Es gab ja brauchbare Vorschlä-
ge . Minister Gabriel wollte eine Abgabe auf die ältesten
und dreckigsten Kohlekraftwerke, eigentlich ein inte-
ressantes Instrument, um die Produktion dieser Dreck-
schleudern einzudämmen und den Strukturwandel einzu-
leiten . Herausgekommen ist ein kläglicher Kompromiss,
die sogenannte Kohlereserve . Damit wird die Kohlein-
dustrie aus der Verantwortung entlassen, es werden weni-
ger Emissionen eingespart, und für die Verbraucherinnen
und Verbraucher wird es teurer . Bei dieser Art der Kli-
mapolitik machen wir nicht mit . Die Linke steht für einen
sozialökologischen Umbau .
Das nächste Problem ist der Atomausstieg . Wie-
der wird die Industrie hofiert. Fragen wie Stilllegung
und Rückbau von Kraftwerken und die Entsorgung des
Atommülls, all das ist ungeklärt . Wir meinen, hier muss
das Verursacherprinzip gelten . Die Kosten dürfen nicht
auf die Allgemeinheit abgewälzt werden . Deshalb ruhen
unsere Hoffnungen auf einem Haftungssicherungsgesetz
ohne Schlupflöcher.
Wir wollen, dass die Rückstellungen der Atomkonzer-
ne – immerhin 38 Milliarden Euro – in einem öffent-
lich-rechtlichen Fonds gesichert werden .
Offensichtlich hat Deutschland aus der Atomproble-
matik nichts gelernt . Denn dank Ministerin Hendricks
soll Fracking nun auch in Deutschland möglich werden .
Das ist unverantwortlich .
Fracking ist keine zukunftsweisende Technik . Fracking
ist eine Gefahr für Mensch und Natur . Die Klimabilanz
ist miserabel, die Ressourcenverschwendung enorm,
und der volkswirtschaftliche Nutzen beschränkt sich auf
kurzfristige Profitinteressen. Deshalb sagen wir: Stoppen
Sie diesen Irrsinn! Verbieten Sie Fracking, ohne Ausnah-
men!
Meine Damen und Herren, ob bei Kohle, Atom oder
Fracking – die Last trägt immer die Umwelt . Machen
wir uns nichts vor: Auch wir Menschen werden die Kon-
sequenzen dieser Politik zu spüren bekommen . Lassen
Sie es mich noch einmal betonen: Wir brauchen endlich
eine klare politische Entscheidung für den sozial-öko-
logischen Umbau . Aber der Haushalt ist hier so wenig
konsequent wie die aktuelle Politik . Ja, insgesamt soll es
einen Aufwuchs geben – das erkennen wir an –, und es
sollen mehr Mittel für die Internationale Klimaschutzin-
itiative zur Verfügung gestellt werden . Aber Geld ist nur
dann hilfreich, wenn es sinnvoll eingesetzt und gerecht
verteilt wird .
Ich komme zum Schluss noch auf eine große Forde-
rung von uns: Die Klima- und Umweltpolitik muss einen
zentralen Stellenwert erhalten . Wir möchten, dass Sie
jetzt endlich Verantwortung übernehmen – für Klima,
Umwelt und Menschen .
Danke .
Frau Kollegin Menz, im Namen des Hauses beglück-wünsche ich Sie zu Ihrer ersten Rede und wünsche nochweitere interessante Debatten .
Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abge-ordneten Christian Hirte, CDU/CSU-Fraktion .
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Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-ren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte esuns ersparen, in aller epischen Breite noch einmal aufalle Einzelheiten des Einzelplans 16 einzugehen . MeinKollege Lemme von der SPD hat bereits die wichtigstenPunkte angesprochen – vielen Dank dafür –, und ich gehedavon aus, dass mein Kollege aus dem Haushaltsaus-schuss, Josef Rief, den Baubereich würdigen wird . Des-wegen werde ich mich darauf konzentrieren, den Blickauf das Thema zu lenken, das die neue Kollegin geradeangesprochen hat, nämlich auf den Bereich Endlager .Dieser Bereich ist in den letzten Jahren etwas aus demBlick geraten, weil mit dem Ausstieg aus der Kernkraftdas Problem nicht mehr so drängend schien .Es ist gerade angesprochen worden: Energieversorgergalten einmal als sichere Unternehmen . Sie gehörten zumBasisinvestment für diejenigen, die ihr Geld sicher anle-gen wollten . Diese Zeiten sind lange vorbei . Hauptver-sammlungen großer Stromkonzerne sind heutzutage ehertrostlose Veranstaltungen . Bei RWE wurde zum Beispielvon „dunklen Wolken am Horizont“ gesprochen, und beiEon hörte man von einer „schwierigen Phase“ . Wenn Siedie aktuelle Situation verfolgen, dann sehen Sie, dass dieAktienkurse Tag für Tag neue Tiefststände erreichen .Es war und ist für die Konzerne ein echter finanziel-ler Kraftakt, die Kernkraftwerke abschalten zu müssen .Aufgrund der wachsenden Mengen an Wind- und Son-nenstrom und deren Einspeisevorrang stehen sie heutenatürlich auch bei den Kohle- und Gaskraftwerken vorneuen Herausforderungen . Man kann also sagen, dassdie finanziellen Vorteile der Energiewende – bis auf denOffshorebereich – an den Großkonzernen vorbeigegan-gen sind
und dass das bisherige Geschäftsmodell durch die poli-tischen Weichenstellungen der vergangenen Jahre ernst-haft infrage gestellt ist . Um es deutlich zu sagen: DenStromkonzernen ging es nie schlechter als heute .
Es ist gut, dass der Vizekanzler dieses Thema ange-sprochen hat . Wir sehen nämlich, dass wir uns dauerhaftum die Problematik der Altlasten kümmern müssen .
Das lässt den deutschen Steuerbürger und mich als Haus-haltspolitiker natürlich die Ohren spitzen, weil die Kon-zerne für die milliardenschweren Lasten der Zukunft ei-gentlich Versprechungen abgegeben hatten
und mittlerweile wegen des Entzugs der Geschäftsgrund-lage möglicherweise infrage gestellt ist, ob und wie dieKonzerne diesen Aufgaben nachkommen können . DieVorrednerin hat schon die etwa 38 Milliarden Euro anRücklagen angesprochen, die die Konzerne für die aufuns zukommenden Altlasten gebildet haben . Diese Rück-lagen sind in den Bilanzen der Konzerne in Form vonWertpapieren, aber auch Beteiligungen niedergelegt .Diese Beteiligungen bestehen aber eben auch und geradean Kraftwerken . Das heißt, das Thema steht uns ins Haus .Für das Haushaltsjahr 2016 reden wir über eine Stei-gerung der Mittel für die Asse von 10 Millionen Euro .Es ist aber noch völlig unklar, welche Kosten uns dainsgesamt blühen werden . Wenn es zu einer Rückholungkommt, dann sind die 10 Millionen Euro der Tropfen aufden – Achtung: Wortspiel! – Weißen Stein . Wir sind alsogehalten, uns mit dem Thema zu beschäftigen . Als Thü-ringer kann ich sagen: Unser Land hat schon einmal Alt-lasten übernommen, und zwar aus der Kaliindustrie, undwir haben gesehen, wo wir damals gelandet sind . DiesesThema ist also durchaus schwierig .
– Auch der Uranbergbau; ich danke dem KollegenGrund . – Wir müssen in der Politik ja nicht alle Fehlermehrfach begehen .Für den Einzelplan 16 besteht also nach wie vor unddauerhaft das Risiko, dass die Ausgaben für Rückbauund Endlagerung nur schwer abzuschätzen sind . Deswe-gen sind die im Bundeshaushaltsplan 2016 für die Endla-gerung radioaktiver Abfälle vorgesehenen 440 MillionenEuro nur eine grobe Schätzung und auch mit hohen Un-sicherheiten verbunden. Die finanziellen Auswirkungenaufgrund des Standortauswahlgesetzes sind dagegen mitjeweils 2,5 Millionen Euro für die Jahre 2015 und 2016geradezu marginal . Diese Dimension ist also undrama-tisch .Glücklicherweise gibt es noch ein paar andere, nichtganz so düstere Bereiche . Es ist von den Vorrednernschon angesprochen worden: Wir nehmen beim Klima-schutz, gerade auch beim internationalen Klimaschutz,mehr Geld in die Hand; das ist gut . Bei einem Punkt derKlimaschutzfinanzierung bin ich allerdings stutzig ge-worden . Der Bundesrechnungshof hat nämlich die Kam-pagne „Klima sucht Schutz“ geprüft und dem BMUBempfohlen, die Kampagne in ihrer jetzigen Form nichtweiterzuführen . Ich denke, darauf sollten wir im Rahmender Berichterstattergespräche zu sprechen kommen, weilhier ein zentrales Problem berührt wird . Die Kampag-ne informiert den Einzelnen nämlich über seine indivi-duellen Klimaschutzmöglichkeiten, insbesondere – dasbringt mich auf das Thema – beim Bauen und Sanieren .Hier sehe ich ein gravierendes Missverhältnis zwischendem Anspruch, CO2 einzusparen, und den Mitteln, die
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Häuslebauer einsetzen müssen, um diesem Anspruch ge-recht zu werden .Wir haben schon gehört, ob und in welcher Form ein-zelne Bestimmungen bei Ausschreibungen, im Bauge-setzbuch oder in der Baunutzungsverordnung geändertwerden können . Das ist auch richtig . Standards dürfennicht dauerhaft gesenkt werden, und energieeffizientesBauen darf nicht infrage gestellt werden . Trotzdem mussdie Frage erlaubt sein, ob Dämmen um jeden Preis tat-sächlich der Weisheit letzter Schluss ist . Denn die auf dieMieter umgelegten Modernisierungskosten bzw . die vonden Eigentümern aufzuwendenden Modernisierungs-oder Neubaukosten sind häufig so hoch, dass sie sichökonomisch nicht rentieren . Weil gerade darüber disku-tiert wird, dass schnell und viel gebaut und saniert wer-den soll, und dabei auch über Standards gesprochen wird,muss vielleicht auch darüber nachgedacht werden, keineweiteren Verschärfungen bei der Energieeinsparverord-nung vorzunehmen . Vielleicht müssen wir sogar darüberdiskutieren, ob in Anbetracht der wirklich schwierigenUmstände die EnEV 2016 nicht vorübergehend ausge-setzt werden sollte .
Zusammen mit den anderen angesprochenen Maßnah-men könnte das ein Schritt sein, um mehr Investitionenim Wohnungsbau zu erreichen .
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Kühn von BÜNDNIS 90/Die Grünen?
Ja, bitte .
Christian Kühn (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN):
Herr Kollege, Sie haben gerade angesprochen, dass
Menschen aus ihren Wohnungen heraussaniert werden .
Das hat aber weniger mit der EnEV zu tun, sondern eher
etwas mit der Art und Weise, wie die Modernisierungs-
umlage in Deutschland über das Mietrecht umlagefähig
gemacht wird . Diese Große Koalition hat in ihrem Ko-
alitionsvertrag auf diesen Punkt Bezug genommen . Ich
weiß auch, dass das zwischen den Koalitionären dis-
kutiert wird . Können Sie mir vielleicht sagen, wie Ihre
Vorstellungen – Sie haben das Heraussanieren selbst
beklagt – und die Vorstellungen der Koalition mit Blick
auf die Modernisierungsumlage sind, damit ein Heraus-
sanieren in Deutschland nicht mehr möglich ist und die
Mieterinnen und Mieter in Berlin und anderswo wirklich
effektiv geschützt werden?
Sehr geehrter Herr Kollege, vielen Dank für die Nach-frage . Das gibt mir Gelegenheit, die unterschiedlichenVorstellungen und Grundsatzüberzeugungen deutlich zumachen .Sie reden von „Heraussanieren“, während wir davonsprechen, möglichst viel Wohnraum zu schaffen . Derje-nige, der investieren soll, ohne eine Rendite zu erwirt-schaften,
wird eine Sanierung oder einen Neubau nicht vorneh-men . Uns ist es wichtig – dafür bin ich der Ministerinausdrücklich dankbar –, auch das Thema Abschreibungin den Blick zu nehmen . Uns ist es wichtig, dass mehrWohnraum geschaffen wird – viel mehr als heute –, umfür die Bevölkerung im Allgemeinen, aber auch für dieFlüchtlinge genügend Wohnraum zu schaffen .
Das, was der Kollege Lemme angesprochen hat, istganz wichtig:
Wir dürfen nicht nur wenige Gruppierungen in den Blicknehmen, zum Beispiel die Flüchtlinge, sondern müssendarüber nachdenken, wie wir in der Breite mehr Wohn-raum schaffen können .
Sie sprechen von Heraussanieren und haben eine völligfalsche Vorstellung von dem, was wir machen müssen .Wir müssen nicht darüber diskutieren, wie bei einer Bau-maßnahme die Kosten umgelegt werden, sondern darü-ber, wie der Markt insgesamt größer wird und wie mehrgebaut wird .
Ich hatte gerade das Thema Abschreibung ange-sprochen . Wir sollten auch darüber nachdenken, denWohnungsbau wie in der Zeit nach der deutschen Wie-dervereinigung – ich bin von Hause aus Fachanwalt fürSteuerrecht – in bestimmten Bereichen über Sonderab-schreibungen noch stärker anzureizen . Das kann also fürsolche Regionen gelten, wo Wohnungsmangel besteht,aber eben auch – ich finde, mit relativ hohen Sonderab-schreibungen – zum Beispiel für den Bau von Flücht-lingsunterkünften .Ich glaube, mittlerweile – wo wir schon über Flücht-linge reden – ist jedem klar, dass dieses Thema nicht nurin unserem europäischen Vorgarten stattfindet, sondernim wahrsten Sinne des Wortes in unserem Wohnzim-mer angelangt ist . Ich will deswegen an dieser Stelleauch ganz klar sagen: Klimawandel beeinflusst natürlichMigrationsbewegungen in der Welt, aber mit Klima-Christian Hirte
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schutz- und Umweltpolitik wird man der aktuellen Lagedefinitiv nicht Herr. Dafür brauchen wir ganz andereMaßnahmen . Ich sage an dieser Stelle auch ganz deut-lich: Nach meiner festen Überzeugung müssen wir auchdarauf achten, dass wir unsere nationalen Interessen inAnbetracht der aktuellen Migrations- und Flüchtlings-welle nicht vernachlässigen .Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .
Als nächstem Redner erteile ich das Wort der Abge-
ordneten Sylvia Kotting-Uhl, BÜNDNIS 90/Die Grünen .
Sehr verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Liebe Frau Ministerin für Reaktorsicherheit –so möchte ich Sie ansprechen –, der Reaktor, der die Be-völkerung meines Bundeslandes am meisten bedroht, istnicht Neckarwestheim oder Philippsburg, sondern Fes-senheim, das französische Uralt-Pannen-AKW direkt ander Grenze zu Baden-Württemberg – meistens weht derWind von Westen –, das mal 2016, mal 2018, mal über-haupt nicht abgeschaltet werden soll .Sie haben über das französische Hin und Her Ihre Ent-täuschung zum Ausdruck gebracht, aber das reicht mirnicht, Frau Ministerin . Wenn die Begründung für denAtomausstieg ernstgemeint ist – wir erinnern uns: das Ri-siko ist der Bevölkerung nicht mehr zuzumuten –, dannmuss die Bedrohung an den Grenzen Deutschlands auchernstgenommen werden . Wir reden von Temelin, Bez-nau, Cattenom und Fessenheim, auch Doel und Tihangesind nicht weit entfernt .Die Unwissenheit der Bundesregierung über die Ri-siken grenznaher AKWs ist legendär . In einer Anfragezu Beznau in der Schweiz konnten Sie mir reihenwei-se Fragen zur Sicherheit und zur konkreten GefährdungSüddeutschlands nicht beantworten . Das geht eigentlichnicht .
In Ihrem Haushalt sind 3,5 Millionen Euro für interna-tionale Zusammenarbeit eingestellt . Das ist verdammtwenig als Ressource, mit der zur internationalen Reak-torsicherheit beigetragen werden kann . Aus diesem Topfwerden auch die bilateralen Atomkommissionen finan-ziert . Was die tun, kann mir Ihr Haus nicht beantworten,aber ich fürchte, nicht viel . Welchen Sinn haben dieseKommissionen, wenn nicht den, Risiken zu verringern?Welchen Sinn hat eine bilaterale Atomkommission mitFrankreich, wenn nicht den, klarzumachen, dass das Ri-siko Fessenheim für Deutschland nicht akzeptabel ist?
Ihr Haushalt für Reaktorsicherheit ist schlecht ausge-stattet . Für atomare Sicherheitsforschung liegen größereBrocken als bei Ihnen im Forschungsministerium und imWirtschaftsministerium . Nur versteht man dort darunterdann auch die Forschungen an neuen Reaktorlinien odersteckt viel Geld in die Kernfusion . Machen Sie sich da-für stark, dass endlich mehr Geld für Forschung in IhremHaus konzentriert wird!
Bei dem noch nicht gelösten Problem, wohin mit denCastoren aus La Hague und Sellafield, unterstützen dieGrünen Ihre Haltung voll . Bleiben Sie dabei, lassen Sienicht nach, und lassen Sie vor allem Bayern nicht aus derPflicht! Die Drückebergerei der CSU muss aufhören.
Weniger unterstützen kann ich Sie in Ihrem Handelnbzw . Nichthandeln nach dem Brunsbüttel-Urteil . DiesesUrteil vom Januar dieses Jahres, das dem ZwischenlagerBrunsbüttel die Genehmigung entzogen hat, fußte dar-auf, dass relevante Unterlagen nicht vorgelegt werdenkonnten. Es fußte nicht darauf, dass Sicherheitsdefizitefestgestellt worden waren . Das heißt aber doch im Um-kehrschluss nicht, dass bewiesen wäre, dass keine Si-cherheitsdefizite da sind.Ich kenne die nicht vorgelegten Unterlagen so we-nig wie das OVG Schleswig, und ich kann dementspre-chend nicht beurteilen, welche Analogien es für andereZwischenlager oder die noch laufenden Atomkraftwer-ke gibt . Sie dürfen sich hier keinen schlanken Fuß ma-chen . Ich erwarte von Ihnen, dass Sie der Öffentlichkeitund der Opposition darlegen, dass die Sicherheit gegenpanzerbrechende Waffen und den Absturz eines Airbusgewährleistet ist . Oder Sie müssen die entsprechendenKonsequenzen ziehen .
Jetzt lassen Sie mich noch zu dem Thema kommen,das für zukünftige Haushalte sehr relevant werden kann –wenn man Herrn Hirte zugehört hat –: die Rückstellun-gen der AKW-Betreiber . Atomkonzerne stellen sich inder Phase des dicken Endes der Atomkraft, in der es nichtmehr um Einnahmen, sondern um Kosten geht, nicht alsPartner des Staates auf, sondern als seine Gegner . Dar-an ändert ihre Teilnahme an der Endlager-Kommissionüberhaupt nichts . Über 30 Klagen im Atombereich sindanhängig . Auf die angekündigte Klage gegen das Nach-haftungsgesetz verzichtet Eon nun allerdings und belässtseine AKW-Sparte im Mutterkonzern . Was sagt uns das?Es sagt uns erstens, dass es bei den Abspaltungsplänenselbstverständlich darum ging, das Kostenrisiko fürRückbau und Entsorgung auf die Steuerzahlerinnen undSteuerzahler abzuwälzen .
Es sagt uns zweitens: Klare staatliche Kante ist die rich-tige Haltung gegenüber den Konzernen .
Christian Hirte
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Es sagt uns drittens: Der Kampf um die Rückstellungenist noch lange nicht beendet .
So wie die Atomkonzerne derzeit an der Legende stri-cken, dass doch Staat und Gesellschaft den Einstieg indie Atomkraft wollten und dementsprechend jetzt auchfinanzielle Verantwortung übernehmen müssten, so wer-den sie beim Wirtschaftsminister auf der Matte stehenund ihr Erpressungspotenzial von Arbeitsplätzen undInvestitionssicherheit ausrollen . Der Wirtschaftsminis-ter möge es mir verzeihen, aber da halte ich Sie, FrauHendricks, für tougher . Ich baue auf Sie, dass Sie sichgegen jeden Versuch stellen, die Entsorgung der Cash-cows, die den Konzernen Milliarden eingebracht haben,auf die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler abzuwälzen .
Die Entsorgung des Atommülls ist finanziell alleinigeund vollständige Sache derer, die ihn verursacht haben,ganz egal, was eine anständige Endlagersuche kostet .
Die Bundesregierung muss sich entscheiden: entwe-der Anwalt der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler oderKomplize der Konzerne .
Als nächste Rednerin erteile ich das Wort der Abge-
ordneten Ute Vogt, SPD-Fraktion .
Vielen Dank, Herr Präsident . – Liebe Kolleginnenund Kollegen! Ich möchte gerne an das letzte Thema an-schließen . Ich bedanke mich für das Lob an die Bundes-regierung wegen der klaren Kante . In diesem Fall han-delte es sich um einen Entwurf aus dem Geschäftsbereichdes Wirtschaftsministers, der mit Sicherheit mit großerund nachhaltiger Unterstützung der Umweltministerinerarbeitet wurde . In diesem Sinne haben Sie völlig recht .Wir waren uns immer – übrigens im ganzen Hause – ei-nig, dass bei der Entsorgung des Atommülls und demRückbau der Atomkraftwerke eines gilt, und das ist dasVerursacherprinzip .
Deshalb, Herr Kollege Hirte, fiel es mir ein bisschenschwer, Ihren Beitrag einzuordnen . Wir haben schließ-lich gemeinsam in der letzten Legislaturperiode imDeutschen Bundestag mit der Verabschiedung des Stand-ortauswahlgesetzes eindeutig beschlossen, dass es eineHaftung der Unternehmen gibt . Deshalb wird es, wennes um Rückstellungen geht, kein Problem für den Bun-deshaushalt geben . Vielmehr handelt es sich um ein Pro-blem, das die Unternehmen zu lösen haben . Im Rahmender unternehmerischen Verantwortung war die Entsor-gung des Atommülls von Anfang an planbar . Für Feh-lentscheidungen und zu späte Umorientierung auf andereEnergieformen kann nicht der Steuerzahler haftbar ge-macht werden .
Ich möchte auf einen weiteren Punkt eingehen, der hierin der Debatte schon angesprochen wurde . Frau KolleginMenz hat sich darauf bezogen, dass im Haus der Bun-desumweltministerin nun auch das neue Fracking-Ver-hinderungsgesetz – so möchte ich es lieber nennen – er-arbeitet wird . Ich will Ihnen sagen: Es ist ein Problem,dass wir in Deutschland noch keine Regelung haben,die das Fracking für unkonventionelle Gasvorkommenverbietet . Deshalb ist es notwendig, dass man eine Re-gelung schafft, die klarstellt, dass wir nicht wollen, dassin Deutschland für gewerbliche Zwecke unkonventionellgefrackt wird .
Wenn wir keine Einigung über diesen Gesetzentwurffinden, dann ist ganz offensichtlich, was passiert: 35 Jah-re alte Umweltstandards würden für das konventionelleFracking gelten . Es gäbe keine Umweltverträglichkeits-prüfung für das konventionelle Fracking – das ist näm-lich neu erst im jetzigen Gesetzentwurf vorgesehen –,und es bestünde, was das unkonventionelle Frackingangeht, eine enorme Gefahr, dass geklagt wird und dassdie Behörden oder am Ende sogar die Gerichte über einThema entscheiden, das eigentlich in erster Linie auchuns angeht .Wir als Abgeordnete des Deutschen Bundestages ha-ben mit diesem Thema umzugehen . Deshalb halte iches für notwendig und für richtig, dass wir uns in dernächsten Sitzungswoche noch einmal zusammensetzenund schauen, dass es eine Einigung über diesen Gesetz-entwurf gibt, durch die klargestellt wird, dass es keineEntscheidung über Fracking gibt, die nicht vorher im Deutschen Bundestag ausführlich beraten worden ist .Ich möchte gern eine Expertenkommission haben, dieuns berät und die Forschungsprojekte begleitet . Aber amEnde sollten wir als Parlamentarier nicht unsere Verant-wortung ablegen, sondern darauf bestehen, dass wir denBericht der Kommission hier besprechen und dass wirauch darüber entscheiden können .
Ich denke, die Umweltministerin hat in vielen Berei-chen, die heute gar nicht alle angesprochen werden konn-ten, gute Vorarbeit geleistet . Es gibt aber noch ein paarDinge, in denen wir die Hilfe anderer Ressorts brauchen,um an das Ganze einen Knopf dranzumachen . Der Kol-lege Meiwald hat die Düngeverordnung angesprochen .Die entsprechende Baustelle befindet sich nicht mehr imUmweltministerium; vielmehr muss man im Bereich derLandwirtschaft endlich eingestehen, dass auch dort einBeitrag zum Erreichen des Klimaziels geleistet werdenSylvia KottingUhl
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muss . Das ist die Aufgabe nicht allein eines Ressorts,sondern alle müssen sich entsprechend beteiligen .
Das Gleiche gilt für ein Thema, das zumindest indi-rekt mit der Welternährung zu tun hat, nämlich die Fra-ge, inwieweit man das Vorantreiben von gentechnischveränderten Pflanzen weiterhin erlauben will. Wir habenhier schon ein ganz großes Stück geschafft . Wir alle imBundestag sind uns einig, dass wir keinen Anbau vongentechnisch veränderten Pflanzen wollen; aber wir allewollen hoffentlich ebenfalls keinen Flickenteppich von16 Bundesländern . Auch hier hat sich das Bundesum-weltministerium, finde ich, super positioniert. Jetzt gehtes darum, dass das ganze Haus mithilft, dass auch derrestliche Teil der beteiligten Ressorts die Bewältigungdieser Aufgabe mit übernimmt und gemeinsam das Opt-out umsetzt .
In diesem Sinne möchte ich mich bei der Ministerinherzlich bedanken . Denn im Gegensatz zu dem, was dieOpposition vorhin angemerkt hat, bin ich schon der Mei-nung, dass die Ministerin etwas geschafft hat, was vieleJahre brachlag: dass wir in Deutschland im Hinblick aufdie Verhandlungen auf der UN-Klimakonferenz in Pariswieder eine Vorreiterrolle innehaben . Es ist ein Verdienstvon Barbara Hendricks, dass der Klimaaktionsplan Handund Fuß hat . Das ist etwas, was uns gut ansteht . Ich binfroh, dass die Große Koalition an dieser Stelle an einemStrang zieht . Ich wünsche ganz viel Erfolg für die Ver-handlungen .
Auch wenn die Regierung gelobt wird, wäre es schön,
wenn das innerhalb der Redezeit erfolgt . Es reißt so ein
bisschen ein: Wenn man mit der eigentlichen Rede fertig
ist, äußert man noch Lob oder Kritik an der Regierung,
wodurch die Redezeit etwas überdehnt wird . Dies ist eine
freundliche Bitte an alle nachfolgenden Redner .
Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abge-
ordneten Christian Haase, CDU/CSU-Fraktion .
Sehr geehrter Herr Präsident! Frau Ministerin! LiebeKolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damenund Herren! Ich hätte es gerne gemacht, aber dann mussich mir das Lob sparen .
Von Karl-Heinz Karius stammt der Satz: „Mit derfalschen Leiter ist jeder Baum zu hoch .“ Nutzen wiralso nicht die richtigen Instrumente, sind wir nicht er-folgreich . In der Haushalts- und Finanzpolitik hat unserFinanzminister Dr . Schäuble in den vergangenen Jahrendie richtigen Instrumente eingesetzt . Nun können wir ge-meinsam die Früchte seiner Arbeit ernten .Diese vorsorgende Politik ist Grundlage dafür, dasswir auf die aktuellen Herausforderungen wie die Flücht-lingskrise reagieren können, ohne unsere Haushaltszielezu gefährden . Bei der Flüchtlingskrise – es wurde bereitsmehrfach darauf hingewiesen – sind wir in zweierleiHinsicht betroffen .Das eine ist der soziale Wohnungsbau . Ich kenne dieÜberlegungen von Frau Hendricks . Sie sagt: Wir müs-sen die Mittel aufstocken . – Darüber können wir reden .Aber was zuerst passieren muss, ist, dass die Länder – indiesem Fall alle Länder – ihre Mittel für diesen Bereicheinsetzen .
Solange wir diese Garantie nicht haben, sollten wir darü-ber keine Verhandlungen mit den Ländern führen .Zum anderen geht es um eine Flexibilisierung desBau-, Planungs- und Energierechts . Ich würde mir wün-schen, dass damit indirekt auch der eher schleichendeProzess in der Baukostensenkungskommission neuenSchwung bekommt, damit das Bündnis für bezahlbaresWohnen und Bauen zum Erfolg wird . Zudem können wirin diesem Zusammenhang einmal zeigen, dass wir es inDeutschland mit dem Bürokratieabbau ernst meinen .
Ich will aber auch ganz deutlich sagen, dass wir beimBau neuer Flüchtlingseinrichtungen nicht zu kurz den-ken dürfen . Ich hoffe, irgendwann und möglichst baldebbt das Erfordernis ab, neue Flüchtlingseinrichtungenzu schaffen . Wir müssen überlegen: Was wird dann ausdiesen Gebäuden? Da brauchen wir Nachnutzungskon-zepte, die bereits jetzt bei der Planung berücksichtigtwerden sollten . Deshalb freut es mich, dass die ostwest-fälisch-lippische Wirtschaft da besonders innovativ ist .Es ist ein Bielefelder Systembauer, der im Augenblick inMünchen ein Flüchtlingsheim baut, das anschließend alsHotel genutzt werden soll .Kommen wir zum vorliegenden Entwurf . An ersterStelle möchte ich die fortlaufende Entfristung vielerStellen im Ministerium und auch in den nachgeordnetenBundesämtern loben . Insgesamt werden für das kom-mende Jahr 98 Stellen verstetigt . Ich glaube, es ist unsergemeinsames richtiges Ziel, dass es am Ende der Legis-laturperiode keine sachgrundlos befristet Beschäftigtenmehr bei uns in den Bundesbehörden gibt .
Das ist angesichts der derzeitigen guten Lage auf demArbeitsmarkt eine wichtige Entwicklung; denn wir brau-chen gut ausgebildetes Personal, insbesondere in unserenBundesämtern . Wir wollen außerdem die Vereinbarkeitvon Familie und Beruf fördern, und da ist ein sichererArbeitsplatz ganz elementar .
Allerdings bleibt die Personalsituation im Umwelt-und Bauressort trotz der großen Hilfe des Haushaltsaus-Ute Vogt
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schusses immer noch angespannt . Auch für 2016 kom-men wieder neue Aufgaben dazu, wie beispielsweiseim Bundesamt für Naturschutz die Umsetzung des Na-goya-Protokolls und die Bekämpfung invasiver Arten,ohne dass es eine entsprechende Stellenaufstockung gibt .Gleiches gilt für die Arbeit der Standortauswahlkom-mission, die unter anderem zu einem Mehrbedarf beider Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffeführt . Ich glaube, da müssen wir schauen, was wir nochmachen können . Allerdings steht obendrüber: UnsereHaushaltsziele dürfen wir dabei nicht gefährden .Werfen wir einen kurzen Blick auf das Thema Klima .Es ist schon mehrfach angesprochen worden: Die Mittelfür die Internationale Klimaschutzinitiative sind deutlicherhöht worden . Es sind 75 Millionen Euro mehr . Das istgut . Die Internationale Klimaschutzinitiative dient natür-lich in erster Linie dazu, Zusagen aus den internationalenVerhandlungen, die wir führen, zu erfüllen . Diese sindessenziell, um in vielen Partnerländern überhaupt erstden Aufbau einer umweltfreundlichen Wirtschaft anzu-stoßen . Nur so, glaube ich, schaffen wir das notwendigeweltweite Bewusstsein, das für einen erfolgreichen Ab-schluss der Klimakonferenz in Paris nötig sein wird .Daneben stellt sich mir aber auch die Frage, ob dieUnterstützung internationaler Projekte nicht am Endeeinen größeren Beitrag zur Bekämpfung des Klimawan-dels leisten kann als so manches nationale Projekt . Ichwill damit sagen, dass wir in Deutschland unter Effizi-enzgesichtspunkten – da müssen wir die Auswirkungenauf die Kosten, auf Arbeitsplätze mit beachten – am Endeunserer Bemühungen angelangt sind . Es muss uns dabeium das Ganze gehen, und da können viele Klimainves-titionen im Ausland effizienter für die globale Klimaent-wicklung sein .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, als Berichterstattermeiner Fraktion für Bundesbauten freut es mich, dass wirmit dem Berliner Stadtschloss ein öffentliches Großpro-jekt haben, dessen Bau im geplanten Zeit- und Finanz-rahmen verläuft . Das Humboldt-Forum verfügt über eineinzigartiges Konzept und wird ein Kulturzentrum mitinternationaler Strahlkraft . Daher bin ich zuversichtlich,dass die anvisierten Spenden auch erreicht werden . Ichwill mich an dieser Stelle einmal ausdrücklich bei allenSpendern bedanken, die schon bereit waren, an diesemProjekt mitzuarbeiten .
Lassen Sie mich noch eines grundsätzlich zu diesemBereich sagen: Die Bautätigkeit des Bundes ist in denHänden des BBR gut aufgehoben . Das gilt für die Ver-gangenheit, und das gilt auch für die Zukunft .
Eine weitere Erfolgsgeschichte ist die Förderung städte-baulicher Maßnahmen . Laut wissenschaftlichen Studienbewirkt jeder Euro in der Städtebauförderung 7 Euro anFolgeinvestitionen . Ein besseres Konjunkturprogrammkönnen wir uns, glaube ich, gar nicht vorstellen . Deshalbbegrüßen wir, dass die Mittel in diesem Bereich auch indiesem Jahr weiter verstetigt werden konnten .Meine Damen und Herren, lassen Sie mich in die-sem Zusammenhang einmal das Thema Zeitwohlstandanschneiden . Es scheint, als würde unser Leben immerschneller und ruheloser werden . Zeit ist Mangelware ge-worden . Das Idealbild einer geringen räumlichen Distanzzwischen Wohnen, Arbeiten, Versorgung, Dienstleistun-gen, Freizeit- und Bildungsorten ist in unserer arbeits-teiligen und gewachsenen Gesellschaft nur bedingt zuverwirklichen . Dennoch geht es darum, Verkehre mög-lichst zu vermeiden und frei verfügbare Zeit zu gewin-nen . Deshalb müssen nachhaltige Raumordnungs- undStadtentwicklungskonzepte besser umgesetzt sowie Pla-nungsprozesse vereinfacht und beschleunigt werden .Zwei weitere Programme möchte ich noch lobend er-wähnen, die positive Entlastungswirkung mit sich brin-gen .Viele haben es schon erlebt: Man kommt nach Hause,das Fenster bzw . die Balkontür steht auf, Spuren drecki-ger Füße in der ganzen Wohnung . Bevor man sich un-tereinander streitet, wer das Fenster aufgelassen oderdie Füße nicht abgetreten hat, wird mit Blick auf durch-wühlte Schränke klar: Bei uns ist eingebrochen worden .Ich habe das selbst erlebt, und ich kann Ihnen sagen: Dableibt lange ein ungutes Gefühl in der Familie zurück .Ich freue mich daher, dass wir mit dem Nachtragshaus-halt das Programm „Kriminalprävention durch Einbruch-sicherung“ eingeführt haben . 150 000 Einbrüche in 2014,der höchste Stand seit 16 Jahren, alle drei Minuten einEinbruch in Deutschland: Ich glaube, das zeigt deutlichdie Handlungsnotwendigkeit . Dieses Programm kann einTeil der Gesamtstrategie sein, um diese Situation zu ver-bessern .
Aber wenn wir das hier im Bundestag in Einmütigkeitbeschließen und das richtig gemacht haben, dann mussdie Exekutive das auch umsetzen. Ich glaube, da findetim Augenblick ein Possenspiel statt, wer denn die Aus-zahlung übernehmen kann . Es ist bis heute kein Euroausgezahlt worden . Frau Hendricks, ich würde Sie bitten,sich dafür einzusetzen, dass das endlich in Gang kommt .Auch das KfW-Programm „Altersgerecht Umbauen“,das das BMUB bezuschusst, hilft dem Bund langfristig,Kosten zu sparen . Bisher sind nur zwischen 1 und 2 Pro-zent des Wohnungsbestandes altersgerecht . Viele alteMenschen sind daher gezwungen, im Pflegefall in einHeim umzuziehen . Nach einer Studie der Prognos AGwürden sich Einsparungen von bis zu 3 Milliarden Europro Jahr ergeben, wenn nur 15 Prozent der pflegebedürf-tig werdenden Menschen durch den altersgerechten Um-bau in ihrer Wohnung bleiben könnten . Auch im Sinneeines würdevollen Alterns ist es wünschenswert, dass dieMenschen so lange wie möglich selbstbestimmt lebenkönnen . Gerade hier müssen örtliche Wohnraum- undStadtentwicklungskonzepte anknüpfen .Mit dem Projekt „Gemeinsam in Steinheim“ ist esin meinem Wahlkreis gelungen, hierfür ein Modellpro-jekt in Gang zu bringen . In einem Nachbarschaftszen-trum entwickeln Bewohnerinnen und Bewohner desHelene-Schweitzer-Zentrums, Angehörige, Vereine undChristian Haase
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Menschen aus der Nachbarschaft neue Formen des Mit-einanders . Kochen, Essen, handwerkliche Arbeiten, Kul-tur- und Sportangebote stehen auf der Tagesordnung . Da-durch gelingt es, Menschen in ihrem häuslichen Umfeldzu halten und eine breite Partizipation in der Bevölke-rung zu erreichen . Ziel ist es, eine Kultur des Miteinan-ders zu entwickeln, von der später alle Menschen profi-tieren werden .Vielen Dank . Ich freue mich auf die Beratungen .
Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abge-
ordneten Michael Groß, SPD-Fraktion .
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damenund Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich nutzegerne meine Zeit, um zu Beginn die Kritik an der Mi-nisterin zurückzuweisen . Ich sage: Sie macht ihre Arbeithervorragend . Die ersten zwei Jahre sind völlig im Plan .Wir haben vieles umgesetzt, was wir versprochen ha-ben . Das ist völlig anders als vorher . Herzlichen Dank,Barbara Hendricks, für die gute Arbeit .
Wir haben darauf gesetzt, im Aktionsprogramm Kli-maschutz 2020 bestimmte Ziele zu formulieren und einenAbbaupfad für die Treibhausgasemissionen festzulegen .Das Programm ist nicht zu Ende . Wir haben zusätzlichGeld eingespart . Uns ist klar – insbesondere BarbaraHendricks und ihren Staatssekretärinnen und Staatsse-kretären –, dass wir Wohnungsbau, Stadtentwicklungund Klimaschutz zusammen denken müssen und nichtgetrennt . Insofern ist die Kritik auch völlig falsch . Wirsind auf einem guten Weg . Das wird sich auch auf dasBündnis für bezahlbares Wohnen und Bauen auswirken .
Insbesondere an Städte und Kommunen werden zurzeitgroße Anforderungen gestellt . Ich glaube, dass wir de-ren Anstrengungen sehr stark unterstützen müssen . Wirmüssen die Stadtpolitik ganzheitlich denken und auch dieRäte, Kreistage und Länder unterstützen . Wir müssen vordem Hintergrund, dass die Menschen, die hierherkom-men, eine Wohnung brauchen – das hat die Ministerin be-tont –, eine Stadt für alle bauen, damit die Adresse keinenegative Voraussetzung für die Lebenschancen wird . Dastehen wir vor riesigen Aufgaben . Deswegen ist es rich-tig, dass der Koalitionsausschuss zumindest zwei Dingebeschlossen hat . Zum einen müssen wir eine steuerlicheFörderung prüfen, um den Wohnungsbau anzureizen, ummehr Wohnraum zur Verfügung zu stellen . Zum Zwei-ten – darauf bin ich ganz stolz – soll die Bundesanstaltfür Immobilienaufgaben endlich gezwungen werden,ihre Grundstücke, ihre Immobilien und Liegenschaftenpreiswerter zur Verfügung zu stellen .
Damit wird verhindert, dass – das hören wir täglich –diese Wohnungen zu Spekulationsobjekten werden undHedgefonds sie nutzen, um Menschen zu vertreiben . Wirsind hier auf einem guten Weg. Ich finde, dies müssenwir jetzt schnell umsetzen .
Ein weiterer Punkt wurde heute schon mehrfach ange-sprochen . Ich bin der festen Überzeugung, dass wir eineAufstockung der sozialen Wohnraumförderung brauchen .Es ist richtig, dass wir eine Zweckbindung brauchen, weildas Geld nämlich bei den Menschen ankommen muss,die für das Wohnen zu viel Geld aufwenden müssen . Ichhabe gesehen, Sie haben genickt und sind gesprächsbe-reit . Man muss aber auch sagen: Herr Ramsauer hat inder letzten Legislatur verpasst, die Zweckbindung ein-zuführen . Ich hoffe, dass Frau Hendricks in der Funktionals Bauministerin das verhandeln wird . Ich habe von denLändern Signale, dass sie sehr daran interessiert sind,diese Unterstützung zu bekommen .Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnenund Kollegen, wir haben gehört, dass der Bund Bundes-bauprogramme auflegen soll. Das war eine Kritik. Ichglaube, wir haben im letzten Jahr so etwas getan . Wirhaben die Projekte von nationaler Bedeutung finanziellunterstützt; über 46 Projektstandorte mit großem Erfolg .„Grün in der Stadt“ und „altersgerechter Umbau“ sindThemen . Es ist aber insbesondere auch die Frage: Wiebeteiligen wir die Bürger und Bürgerinnen bei der Ge-staltung ihres Wohnumfeldes, bei der Gestaltung ihrerWohnungen? Ich glaube, das ist ein Riesenerfolg, eben-so wie die jetzt aufgelegten Programme im Rahmen desZukunftsinvestitionsgesetzes . Ich brauche das nicht zuwiederholen: Kriminalprävention, Modellvorhaben fürStudenten und – das ist mir wichtig – Auszubildende . Wirwollen auch Kultur- und Sporteinrichtungen fördern . Dasist ein richtiger Weg und ein Zeichen für die Kommunen .
Wir haben, was viele in der Opposition nicht geglaubthaben, die Programme der Städtebauförderung verstetigt,mit 650 bzw . 700 Millionen Euro . Ein großer Teil die-ser Programmmittel geht in die „Soziale Stadt“ . Wir sindsehr daran interessiert – das Ministerium arbeitet daran –,dass es eine ressortübergreifende Strategie wird, dass wiralle verpflichten, in den Quartieren zusammenzuarbei-ten, um die Situation für die Menschen zu verbessern .Ich hoffe, Frau Hendricks, dass wir bald ein Ergebnisbekommen werden . Ich gehe davon aus, dass es in derzweiten Jahreshälfte vorliegen wird .Zum Schluss: Wir haben eine Situation, in der wirinsgesamt im Bereich der Gebäudeenergieeffizienz bun-desweit 5 Milliarden Euro ausgeben. Ich finde es an derZeit, dass wir sehr genau schauen, dass wir die Klima-Christian Haase
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schutzziele erreichen, aber auch dafür sorgen, dass dieMaßnahmen die richtigen sind .
Ich halte es für außerordentlich wichtig, dass wir eineEvaluation der Instrumente, die wir anwenden, und derFörderrichtlinien durchführen und dafür sorgen, dass wirdie Klimaschutzziele erreichen .Herzlichen Dank . Glück auf!
Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abge-
ordneten Dr . Anja Weisgerber, CDU/CSU-Fraktion .
Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen undKollegen! Der Haushalt des Umwelt- und Bauministe-riums ist in dieser Woche der letzte Einzelplan, den wirdebattieren . Auch wenn momentan die Asylpolitik eineganz große Herausforderung darstellt, verdient dieseDebatte dennoch unsere volle Aufmerksamkeit; dennes geht hier gerade auch um Themen, die für die kom-menden Generationen wichtig sind, wie die Umwelt- undKlimapolitik oder der Städtebau .Deshalb möchte ich gleich zu Beginn den Schwerpunktauf die Klimapolitik legen . In Paris muss es uns gelingen,ein verbindliches Abkommen zu verabschieden . Nur sohaben wir eine realistische Chance, die Erderwärmungnachhaltig einzudämmen . Wir brauchen diesen Erfolg,und wir werden alles daransetzen, dass uns ein guter Ab-schluss gelingt und sich möglichst viele Länder dieserWelt zu ambitionierten Klimazielen bekennen, die aucheinem Überprüfungsmechanismus unterliegen; denn die-se Kontrolle ist sehr wichtig .
Wir setzen hierbei auch auf eine gute Zusammenar-beit mit dem Gastgeberland Frankreich . Auf der Ebeneder Parlamentarier gibt es einen regen Austausch mit denfranzösischen Klimapolitikern . Das gibt uns Anlass zurHoffnung .Auch die Beschlüsse der G-7-Staaten mit dem klarenBekenntnis zum 2-Grad-Ziel und dem Beschluss zur De-karbonisierung geben uns Anlass zur Hoffnung . Das istein ganz wichtiger Erfolg von Kanzlerin Merkel . DieseBeschlüsse geben uns Auftrieb für die kommenden Ver-handlungen . Sie haben Strahlkraft, und diese Strahlkraftmüssen wir weiter nutzen und noch mehr Staaten dieserWelt mitreißen .Auf dem Petersberger Klimadialog hat unsere Kanz-lerin gesagt, die nationalen Klimaanstrengungen fallenuns leichter, wenn wir wissen, dass die Partner in derEuropäischen Union, aber auch generell in der Welt, dasgleiche Ziel ebenso ambitioniert und ehrgeizig verfolgen .Auf der europäischen Ebene hat man frühzeitig ambitio-nierte Ziele vorgelegt . Ich halte es für ein ganz wichtigesSignal, dass das Herzstück der europäischen Klimapo-litik, der europäische Emissionshandel, weiter refor-miert wird . Wir haben vonseiten der Kommission schonim Juli, direkt nach dem Abschluss der Debatte um dieMarktstabilitätsreserve, die grundlegende Reform vorge-legt bekommen, und damit werden wir uns jetzt ausein-andersetzen . Bei dieser weitergehenden Reform werdenwir stets das Ziel verfolgen, die Klimaziele zu erreichen,aber eben auch eine Verlagerung von Arbeitsplätzen zuverhindern . Das ist ebenfalls ein ganz wichtiges Ziel .
Auch von anderen Staaten dieser Welt erhalten wirwichtige positive Signale zur Klimapolitik . Viele Län-der – es kommen täglich neue hinzu – haben ihre natio-nalen Ziele, die sogenannten INDCs, vorgelegt . Zunächstlief es schleppend . Wichtig ist aber, dass nun einige großeIndustrienationen wie die USA, Japan oder Russland ihreZiele vorgelegt haben; denn das sind Länder, die beimKioto-Protokoll nicht dabei waren .Mit insgesamt 59 Staaten haben deutlich mehr Staatenihre Ziele vorgelegt als in der zweiten Verpflichtungspe-riode von Kioto . Damals waren es 37 Staaten . Das isteine gute Basis, um jetzt den Druck auf internationalerEbene zu erhöhen .Eines möchte ich noch sagen: Es ist wichtig, dass wirnational ambitionierte Klimaziele haben . Aber alleinekönnen wir das Weltklima nicht retten . Wir brauchendazu die anderen Staaten dieser Welt .
Genauso wichtig ist natürlich auch der Beitrag der Ent-wicklungs- und Schwellenländer . Gerade diese Länderspüren die Auswirkungen des Klimawandels am meis-ten; wir haben das vorhin bereits gehört und andiskutiert .Diese Länder brauchen unsere Unterstützung . Deswegenist es ein ganz wichtiges Signal, dass Deutschland sei-ne Verantwortung in puncto Klimaschutzfinanzierungwirklich ernst nimmt . Deutschland hat im vergangenenJahr 570 Millionen Euro für den internationalen GrünenKlimafonds bereitgestellt . Im Mai hat die Bundeskanz-lerin angekündigt, die Klimafinanzierung bis 2020 imVergleich zu 2014 zu verdoppeln . Wir sind hier also aufeinem guten Weg .Dieses Versprechen bildet sich auch im aktuellen Haus-halt ab . Das zeigt sich daran, dass der Haushalt rund340 Millionen Euro für die internationalen Klimaschutz-maßnahmen vorsieht und die Mittel um 75 MillionenEuro aufgestockt wurden . Das ist ein ganz wichtiges Si-gnal . Da werden wichtige Projekte, zum Beispiel in Bra-silien im Bereich der erneuerbaren Energien und im Be-reich Waldschutz, unterstützt . Das ist der richtige Weg,und diesen Weg müssen wir weitergehen .
Ich möchte noch kurz zum Geschäftsbereich Baupoli-tik kommen . Ich halte es für ausgesprochen positiv, dasswir die Städtebaufördermittel weiterhin fortschreiben aufdem hohen Niveau, das wir schon im Koalitionsvertragbeschlossen hatten, nämlich auf 700 Millionen Euro . DieMichael Groß
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Bundesregierung sendet hier ein ganz wichtiges Signalan die Städte und Gemeinden; denn wir dürfen geradebei der Bewältigung des Strukturwandels und des demo-grafischen Wandels die Städte, aber auch den ländlichenRaum nicht alleinlassen . Die Städtebaufördermittel sindein ganz wichtiges Instrument, um die Kommunen dabeizu unterstützen .Ja, es ist so, dass diese Mittel – entgegen dem NamenStädtebaufördermittel – auch für den ländlichen Raumund für die Gemeinden zur Verfügung stehen . Es istwichtig, dass wir diese Ausgewogenheit hinbekommen .Wir haben den Auftrag zu erfüllen, gleichwertige Le-bensbedingungen im gesamten Land herzustellen . Des-wegen mache ich mich immer dafür stark, dass auch derländliche Raum weiterhin profitiert.
Im Bereich der Städtebaufördermittel halte ich esauch für einen Erfolg, dass wir neben dem altbewähr-ten Bund-Länder-Programm dieses neue Programm fürdie nationalen Projekte des Städtebaus aufgelegt haben .Für dieses Programm sehen wir wieder 50 MillionenEuro vor . Mehr als 160 Kommunen hatten sich im ver-gangenen Jahr beworben . Es war nicht einfach, in derExpertenkommission die Entscheidung zu treffen, weiles wirklich viele gute Projekte gab . Wir haben heraus-ragende und über Regionen hinaus wirkende Projekteausgewählt . Das war ja der Zweck, dass wir genau dieseProjekte fördern .Das zeigt das große Potenzial, und ich finde es aus-gesprochen gut, dass wir dieses Programm fortführenund jetzt mit diesen Punkten eine neue Schwerpunktset-zung haben: bundesländerübergreifende Kooperationen,barrierefreier Umbau von Städten und Gemeinden, aberauch Konversion von Militärflächen. Das ist auch an dieKonversionskommunen ein wichtiges Zeichen, die beimKonversionsprozess die Unterstützung des Bundes ver-dienen; denn auch sie übernehmen jetzt in puncto Asyl-politik Verantwortung .
Ein weiterer Schwerpunkt unserer Baupolitik muss na-türlich das Thema bezahlbares Wohnen und Bauen sein .An dieser Stelle möchte ich nur sagen: Die Asylpolitikist eine Herausforderung, die uns jetzt wirklich voll inAnspruch nimmt; aber dies kann auch eine Chance sein,denn wir Baupolitiker haben die ganze Zeit gefordert,dass wir Instrumente des steuerlichen Anreizes für denNeubau einführen . Jetzt, im Zusammenhang mit dieserDebatte, wird dies wieder auf die Tagesordnung genom-men . Diese steuerlichen Anreize können dazu beitragen,dass Wohnraum geschaffen wird . Diesen Wohnraum,auch den sozialen Wohnungsbau, brauchen wir nicht nurfür Flüchtlinge, sondern für uns alle . Ich halte es für sehrgut, dass das jetzt angepackt wird .
Ich muss zum Ende kommen . Ich bedanke mich fürdie Aufmerksamkeit und möchte abschließend sagen:Das Bundesumwelt- und -bauministerium hat einen aus-gewogenen Haushalt vorgelegt, und ich freue mich aufdie Fortsetzung der parlamentarischen Beratungen mitIhnen und auf die weitere Diskussion zum Thema Kli-mapolitik, auf dass uns in Paris wirklich ein guter Ab-schluss gelingt .Vielen Dank .
Als letztem Redner in der Aussprache zu diesem Haus-
halt erteile ich das Wort Josef Rief, CDU/CSU-Fraktion .
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damenund Herren! Liebe Besucher auf der Tribüne, vor allenDingen aus Erolzheim und Bad Wurzach!
Es vergehen kein Tag und keine Stunde in dieser Haus-haltswoche, in denen wir nicht darüber sprechen, wiewir die Herausforderungen durch die vielen Flüchtlingelösen, die täglich zu uns kommen . Nur der soliden Haus-haltspolitik der letzten Jahre ist es zu verdanken, dass wirjetzt flexibel reagieren können, und unser Finanzminis-ter, der Vater dieser guten Haushaltspolitik, ist da . Ichdarf mich dafür bei ihm herzlich bedanken .
Wir planen, 3 Milliarden Euro an die Kommunen zugeben und die Mittel im Bundeshaushalt gleichfalls um3 Milliarden Euro zu erhöhen . Das ist nur möglich, weilwir konsequent an der schwarzen Null gearbeitet haben .Richtig ist natürlich, dass Zinsniveau und gute Steuerein-nahmen dazu beigetragen haben . Es ist aber ebenso rich-tig, dass ohne eine strukturelle Sanierung des Haushaltesdies so nicht möglich gewesen wäre .An meinem Heimatland Baden-Württemberg siehtman, dass es nicht egal ist, welche Regierung bei gutemZinsniveau und höheren Steuereinnahmen regiert . So wardie Regierung Kretschmann 2013 trotz guter EinnahmenSchuldenkönig der Bundesländer mit fast 1,8 MilliardenEuro neuen Schulden .
Im Jahr 2014 waren es dann immer noch 1,4 MilliardenEuro . Es ist auch – so würde man in meiner Heimat sagen– eine Schande, dass im Haushalt von Baden-Württem-berg für dieses Jahr immer noch ein Defizit von 700 Mil-lionen Euro steht .
Dr. Anja Weisgerber
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Es ist schon ein Versagen der dort Regierenden, und derVerdacht liegt nahe, dass im Haushalt Wohltaten für denkommenden Wünsch-dir-was-Wahlkampf mit Schul-den finanziert werden. Das kann so nicht gehen. Bayernwurde heute schon kritisiert . Hier ist Bayern eindeutigVorbild . Es geht auch anders . Oder schauen Sie nachOberschwaben, wo ein großer Teil der Gemeinden keineSchulden hat .
Herr Kollege, es gibt den Wunsch auf eine Zwischen-
frage des Kollegen Kühn von der Fraktion BÜNDNIS 90/
Die Grünen . – Ach nein, das war nur so eine spontane
Armbewegung .
Okay .
Es war nur eine emotionale Aufwallung, aber keine
Meldung zu einer Zwischenfrage .
Hat mich das jetzt Redezeit gekostet, Herr Präsident?
Ja, die fünf Sekunden kriegen Sie noch .
Gut . – Ich glaube, Baden-Württemberg muss 2016wieder an die Spitze, damit es dort auch so gut vorangehtwie im Bund .
Es ist aktuell nicht nur eine politische und gesellschaft-liche Herausforderung für unser Land, sondern auch einefinanzielle Kraftanstrengung. Es ist bewundernswert, wiewir das meistern . Ich möchte allen Menschen in Deutsch-land danken, die sich mit großem Engagement für dieFlüchtlinge einsetzen . Wir müssen denen helfen, bei de-nen die Not am größten ist,
und in Europa endlich für eine gleichmäßige Verteilungder Flüchtlinge sorgen . Ich glaube, wir müssen da schnellhandeln, und die Koalition tut gerade in unserem Haus-halt schon einiges dafür . Den Verantwortlichen ebenfallsherzlichen Dank!Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir handelnim Sinne der Generationengerechtigkeit . Für die Uni-onsfraktion ist klar: keine neuen Schulden, keine neuenSteuern und Abgaben . Nur so sind wir für die Zukunftgut aufgestellt und leisten unseren Beitrag zur Stabilitätin Europa .
Im Einzelplan des Bundesministeriums für Umwelt, Na-turschutz, Bau und Reaktorsicherheit sind fast 60 Prozentdes Ausgabevolumens von etwas mehr als 4 MilliardenEuro für Investitionen veranschlagt; das sind 2,3 Milli-arden Euro im kommenden Jahr . Damit investieren wirim Bau- und Wohnungsbereich fast 1,5 Milliarden Euromehr als noch im Jahr 2014 . Das kann sich sehen lassen .
Die Städtebauförderung ist der bedeutendste Eckpfei-ler unserer Stadtentwicklungspolitik . Sie wirkt nahezu injeder Stadt, in jedem Landkreis in unserem Land . Sie för-dert Projekte von besonderer Bedeutung und gibt Kom-munen die Möglichkeit, Vorhaben anzufassen, die sonstnicht realisierbar wären . Mit Modellprojekten geben wirwesentliche Impulse und helfen den Kommunen dabei,öffentliche Einrichtungen klimafreundlich zu sanieren .Dieses Geld ist gut angelegt und zieht weitere Investi-tionen nach sich . Das Geld muss aber auch immer amBestimmungsort ankommen . Ich bin nicht der Erste, aberauch ich darf es sagen: Es darf nicht an den klebrigenFingern in den Ländern hängen bleiben und damit weni-ger werden .
Städtebauförderung ist immer auch ein kleines Kon-junkturprogramm für Handwerk und Dienstleister vorOrt, meine Damen und Herren . Schon über den Nach-tragshaushalt 2015 konnten wir hier zusätzliche Mittelinvestieren . 2016 erhöhen wir die Mittel für die Städteb-auförderung um immerhin 73,5 Millionen Euro . Als gro-ße Programme sind hier zu nennen der Stadtumbau Ostund West sowie der Denkmalschutz Ost und West . DieChancengleichheit im ländlichen Raum liegt mir dabeibesonders am Herzen . Deshalb begrüße ich die Program-me für aktive Stadt- und Ortsteilzentren und für kleinereStädte und Gemeinden sehr . Frau Ministerin, herzlichenDank für Ihren Einsatz für diese Programme .
Mit dem Nachtragshaushalt 2015 konnten wir dasProgramm zur Sanierung kommunaler EinrichtungenJosef Rief
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für den Bereich Sport, Jugend und Kultur neu auflegenund auch das Programm „Nationale Projekte des Städ-tebaus“ besser ausstatten . Damit fördern wir herausra-gende Projekte des Städtebaus verschiedener Größe inganz Deutschland . Die mehrfache Überzeichnung zeigtdas große Interesse der Kommunen an diesen Förderun-gen . Für 2016 werden wir 50 Millionen Euro für das Pro-gramm veranschlagen .Aber auch für private Haushalte gibt der Bund ausdiesem Haushalt Zuschüsse zum altersgerechten Umbauoder zu Investitionen in den Einbruchschutz; darauf istbereits eingegangen worden . Mit 730 Millionen Euroist das Wohngeld ein großer Posten im Einzelplan desMinisteriums . Er dient der wirtschaftlichen Sicherungvon angemessenem und familiengerechtem Wohnen . Wirwollen auch Menschen mit geringem Einkommen direkthelfen und für besseres Wohnen sorgen . Das hatten wirim Koalitionsvertrag so vereinbart . Jetzt halten wir Wort .Durch die Föderalismusreform von 2006 wurden dieFinanzhilfen für die soziale Wohnraumförderung been-det . Der Bund leistet daher noch bis 2019 jährlich Kom-pensationszahlungen an die Länder in Höhe von immer-hin 518 Millionen Euro . Man kann nicht oft genug an dieLänder appellieren, diese Mittel entsprechend für Wohn-raumförderung einzusetzen .Ich finde, es ist auch eine gute Idee, die EckhardtRehberg am Dienstag geäußert hat . Er hat angeregt, vordem Hintergrund der aktuellen Flüchtlingssituation auchüber den Einsatz dieser Mittel bei der Unterbringung vonFlüchtlingen nachzudenken . Das wäre ein guter Beitragder Länder zur Lösung des Problems .Meine Damen und Herren, wir investieren in unserLand und gehen gleichzeitig verantwortlich mit den unsanvertrauten Steuermitteln um . Unsere Messlatte ist undbleibt die schwarze Null . Der Einzelplan 16 trägt seinenAnteil dazu bei: für eine gute Entwicklung in Deutsch-land und letztendlich für die Menschen .Herzlichen Dank .
Vielen Dank . – Weitere Wortmeldungen zu diesem
Einzelplan liegen mir nicht vor .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir kommen dann
zur Schlussrunde.
Wenn Sie die Plätze gewechselt haben, würde ich ger-
ne die Debatte eröffnen . – Wenn sich alle Kolleginnen
und Kollegen gesetzt haben, können wir loslegen; das
könnte ein bisschen zügiger gehen .
Als erster Redner in der Schlussrunde hat Dr . André
Berghegger das Wort .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolle-ginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Wirstarten nun mit der Schlussrunde in dieser ersten Lesungdes Regierungsentwurfes für den Haushaltsplan des Jah-res 2016 . Wir haben eine Woche mit intensiven Debattenhinter uns . Man kann einige Schwerpunkte erkennen,und man kann beginnen, ein erstes Fazit zu ziehen .Die schwarze Null war letztes Jahr in aller Munde . Wirhaben etwas Historisches erreicht, nämlich seit 40 Jah-ren zum ersten Mal einen ausgeglichenen Haushalt ohneneue Schulden . In dieser Debatte wurde bis jetzt aber re-lativ wenig erwähnt, dass wir diesen Kurs mit dem vor-liegenden Regierungsentwurf fortsetzen . Das ist für michaber nachvollziehbar angesichts der vielen Menschen,die sich auf den Weg nach und durch Europa machen .Uns allen ist bewusst, dass die Asyl- und Flüchtlingspo-litik all unsere Kraft fordern wird . Diese Gewissheit hat,denke ich, die ganze Debatte geprägt und viele andereThemen, Schwierigkeiten, Herausforderungen als nichtso dringend erscheinen lassen .Dennoch möchte ich vor diesem Hintergrund die Be-deutung der schwarzen Null herausstellen . Die schwarzeNull steht für mich für einen grundsoliden Haushalt ohneSteuererhöhungen .
Sie steht für eine wachstumsfreundliche Haushaltskonso-lidierung, und sie steht für Schwerpunkte und zukunfts-gerichtete Investitionen . Wir müssen immer bedenken,dass die prioritären Maßnahmen aus dem Koalitionsver-trag im Haushalt 2015 und im Finanzplan bereits völligaufgenommen worden sind . Die fünf Schwerpunkte lau-teten: Bildung, Forschung, Entlastung der Länder undder Kommunen, öffentliche Infrastruktur und Entwick-lungshilfe . Wir dürfen immer wieder erwähnen, dassauch steuerliche Entlastungen in einer Größenordnungvon 5 Milliarden Euro Eingang in unsere Finanzpla-nung gefunden haben . Hier möchte ich gerne Stichwortenennen: Grundfreibetrag, Kinderfreibetrag, Kindergeld,Kinderzuschlag und natürlich der Einstieg in den Abbauder kalten Progression .Weiter ist mir wichtig, darauf hinzuweisen, dass dervorliegende Haushaltsentwurf eine weitere Senkung dergesamtstaatlichen Schuldenquote vorsieht, weil wir diein den Maastricht-Kriterien abverlangten 60 Prozent er-reichen wollen . In diesem Jahr werden wir versuchen,die 70-Prozent-Marke zu unterschreiten . Ich möchte inErinnerung rufen, dass wir in Sachen europäischer Sta-bilitätspakt einmal ein Sünder waren . Als der Finanzmi-nister sein Amt antrat, musste er mit über 80 MilliardenEuro neue Schulden in einem Haushaltsjahr planen . Erhat es geschafft, diesen Schuldenstand nach und nachzu senken . Die Situation war schwierig, aber der Abbauwar schneller möglich, als wir alle uns das vor wenigenJahren gedacht haben . Die Entwicklung ist hervorragendund schafft Handlungsspielräume, die wir jetzt dringen-der denn je brauchen .Sie sehen, die schwarze Null ist kein Selbstzweck,sondern sie ist vorsorgende Haushaltspolitik . Erst da-Josef Rief
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durch ist es möglich, dass wir auf die aktuelle humani-täre, politische und kulturelle Herausforderung durchdie Flüchtlingssituation finanziell angemessen reagieren.Wir wollen, können und werden das leisten .Weitere Kennzeichen dieses Haushalts sind für mich:Jeder zweite Euro wird für Soziales ausgegeben und10 Prozent für Investitionen . Die absoluten Werte sindmit denen der vergangenen Jahre vergleichbar . Wir müs-sen mittelfristig versuchen, nachzubessern; denn feststeht, dass Investitionen der Schlüssel zu Wachstum sind .Bei dieser Gelegenheit möchte ich gerne auch die Fi-nanzsituation der Länder erwähnen . In den letzten Jah-ren hat sich die Finanzsituation der Länder deutlich ge-bessert . Erst waren es 4, dann 6 und in 2014 waren es9 von 16 Bundesländern, die einen Haushaltsüberschusserwirtschaften . Die durchschnittliche Verschuldung derLänder pro Einwohner war 2014 nur halb so hoch wiedie Verschuldung des Bundes pro Einwohner . Ich glau-be, diese Fakten sollte man immer wieder erwähnen . Siesind wichtig für weitere Gespräche mit den Ländern indiversen Politikfeldern . Gespräche über die Bund-Län-der-Finanzbeziehungen stehen an . Der Flüchtlingsgipfelund Gespräche über diverse finanzielle Herausforderun-gen, die wir zu bewältigen haben, stehen an . Ich denke,wir sollten immer erst die Aufgabe beschreiben und dannschauen: Wer finanziert wann was?Jede staatliche Ebene sollte ihre Hausaufgaben ma-chen, und jede staatliche Ebene sollte solide öffentlicheHaushalte anstreben . Das sichert Handlungsfähigkeit .Herr Schäuble hat es in den letzten Jahren immer ge-schafft, den Haushalt auf Sicht zu fahren . Ich denke, dasist gut und richtig . Man sollte auftretende Spielräumenicht immer sofort nachhaltig verplanen, sondern denHaushalt sich entwickeln lassen und auftretende Spiel-räume für plötzlich eintretende schwierige Situationennutzen. Davon profitieren wir jetzt deutlich.
Spare in der Zeit, dann hast du in der Not – dieser Grund-satz hat sich in der Haushalts- und Finanzpolitik unterunserem Finanzminister Wolfgang Schäuble offensicht-lich bewährt . Das ist jetzt offensichtlich und für jeder-mann nachvollziehbar, auch für diejenigen, die sich bis-her nicht ganz sicher waren . Deswegen vielen Dank andas Bundesfinanzministerium unter der Führung unseresFinanzministers für diese vorausschauende und guteHaushaltspolitik .
Die derzeitige Finanzsituation verdanken wir natür-lich der gut laufenden Wirtschaft, den Unternehmen,den Mitarbeitern und den Steuerzahlern . Wir können denMenschen in unserem Land nur danken für diesen Fleißund die Leistungsbereitschaft, die sie jederzeit an denTag legen .Aber auch die Politik – das hat unser Fraktionsvorsit-zender immer wieder erwähnt – ist nicht ganz unbeteiligt .Wir setzen die Rahmenbedingungen . Wenn ich mir denRahmen und die wirtschaftliche Entwicklung insgesamtanschaue, dann muss ich sagen, dass diese Rahmenbe-dingungen nicht ganz schlecht sein können . Natürlicharbeiten wir daran, diesen Rahmen zu verbessern . Aberdas Gesamtbild macht einen guten Eindruck .Wir stellen auch fest, dass in den letzten Jahren dasErgebnis dieser Politik bei den Bürgern ankommt . Re-aleinkommen wachsen . Die Lohnsteigerungen lagen inden letzten Jahren über den Preissteigerungen, teilweisedeutlich, teilweise sogar über den Wachstumsraten desBIP . Da muss man genauer hinschauen und aufpassen,dass sich das gut weiterentwickelt . Auch in Zukunft wer-den wir diese Wachstumsraten anstreben .Noch nie zuvor hatten so viele Menschen Arbeit indiesem Land, wie wir es jetzt vorfinden. Erfreulich istauch, dass die Zahl der sozialversicherungspflichti-gen Arbeitsverträge steigt . Sie sehen: Die Entwicklungkommt bei den Bürgern an .Der Haushalt setzt aus meiner Sicht richtige Priori-täten; denn bei aller Sparsamkeit wird auch weiter in-vestiert . Wir, die Koalition, setzen Schwerpunkte in denZukunftsfeldern . Insbesondere die Bereiche Bildung,Forschung, Verkehrsinfrastruktur und Breitbandausbausind hier zu nennen . Wir dürfen uns in diesem Land nichtausruhen; denn wir müssen weitermachen, um die Wett-bewerbsfähigkeit zu erhalten . Vor dem Hintergrund desdemografischen Wandels ist von zentraler Bedeutung,dass wir in diesen Zukunftsfeldern weiter investieren .Seit 2005 haben wir die Ansätze beispielsweise imBereich Bildung und Forschung verdoppelt . Wissen-schaftler kommen zu uns . Die Anzahl der Patente steigt .Das sind positive Signale .Wir setzen den Investitionskurs im Infrastrukturbe-reich fort . Mit einem wahren Investitionshochlauf wer-den wir die Lücke des Bundes nach der Daehre-Bode-wig-Kommission schließen . Salopp gesagt können wirsagen: Wir müssen das vorhandene Geld nur noch aufdie Straße, auf die Schiene und in das Wasser bringen .Als Bürgermeister ist mir besonders wichtig, zu be-tonen, dass wir eine kommunalfreundliche Regierunghaben . Wir handeln sehr kommunalfreundlich . In derGesamtschau für die Jahre 2010 bis 2018 hat der BundLänder und Kommunen in einem Gesamtvolumen von125 Milliarden Euro entlastet . 125 Milliarden Euro wer-den es sein; das muss man immer wieder betonen undauch anerkennen . Der Bund leistet damit aus meinerSicht sehr viel in dem föderalen System und nimmt seinegesamtstaatliche Verantwortung sehr gut wahr .Durch den so aufgestellten Haushaltsplan haben wirerstmals die Chance, auch in dieser schwierigen Situa-tion die jetzt auftretenden Herausforderungen solide an-zugehen . Da komme ich kurz auf die in der vergangenenWoche getroffenen Vereinbarungen des Koalitionsaus-schusses zurück . Wir werden schnell und umfassend han-deln und bereits bis Mitte Oktober versuchen, verbind-liche Gesetzespakete zu beschließen . Wir werden aberauch versuchen, eine angemessene Balance zwischenHerz und Verstand zu wählen . Die Menschenwürde giltfür alle, egal wie lange jemand hierbleibt . Diejenigenmit Bleiberecht müssen sehr schnell auf die KommunenDr. André Berghegger
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verteilt werden, weil Integration dort am besten geleistetwerden kann .Wie unser Bundestagspräsident am Dienstag gesagthat, gehört zur Redlichkeit ebenso dazu, dass nicht alle,die zu uns kommen, auch hierbleiben können, weder inDeutschland noch in Europa . Wenn wir diese Aufgabe,die vor uns liegt, als absolut vorrangig ansehen und unsmit anderen Wünschen zurückhalten, dann bin ich derfesten Überzeugung, dass wir mit diesem GesamtpaketMitte Oktober einen wesentlichen Zwischenschritt hinzur Bewältigung dieser Situation leisten können . Es be-stehen gute Chancen . Wir können das gemeinsam schaf-fen .Meine Damen und Herren, wir sehen, dass solide Fi-nanzen und wachstumsorientierte Finanzpolitik keineGegensätze sind, sondern sich einander bedingen . Dasmüssen wir uns immer wieder deutlich machen .Schließen möchte ich mit einem kurzen Zitat: Wohl-stand kommt nicht von Umverteilung, Wohlstand kommtvon Fleiß und Leistung . – Dieses Zitat stammt von – MaxStraubinger müsste es wissen – eurem großen LandesvaterFranz Josef Strauß,
der am letzten Wochenende 100 Jahre alt geworden wäre .
Ich denke, das kann man an dieser Stelle ruhig erwähnen .Ich weiß auch, dass Franz Josef Strauß viel schmissigereZitate hatte, nur entweder passten sie hier nicht oder ichhätte einen Ordnungsruf bekommen .
Vielen Dank fürs freundliche Zuhören .
Vielen Dank . – Als nächste Rednerin hat Gesine
Lötzsch von der Fraktion Die Linke das Wort .
Vielen Dank . – Frau Präsidentin! Meine sehr geehrtenDamen und Herren! Ich möchte auf fünf Punkte eingehen,die in der Debatte dieser Woche zu kurz gekommen sind .Erstens . Wir haben viel über Flüchtlinge gesprochen,aber viel zu wenig über die Fluchtursachen . Der NaheOsten ist die Region mit der größten sozialen Ungleich-heit weltweit . Circa 300 Millionen Menschen leben dort,doch der Reichtum ist in den Händen der Herrscher inSaudi-Arabien und in den anderen Ölmonarchien kon-zentriert . Allein Saudi-Arabien hat durch den Ölverkaufjährlich Einnahmen in Höhe von 300 Milliarden Dollar .Damit sich an dieser ungerechten Verteilung nichts ändert,finanzieren diese Monarchien die Waffen für den „Islami-schen Staat“ . Aber was tut die Bundesregierung? Fordertsie einen Wirtschaftsboykott gegen die Ölmonarchien?Nein, sie liefert auch noch Waffen nach Saudi-Arabien .Das muss ein Ende haben .
Auch im Krieg gegen die Kurden werden deutsche Pan-zer eingesetzt . Wo bleibt da der Aufschrei der Bundesre-gierung? Darum ist es das Gebot der Stunde, endlich einVerbot von Waffenexporten durchzusetzen und wirksameMaßnahmen gegen kriegsfinanzierende Monarchien zu er-greifen .
Zweitens . Interessant an der Rede des Finanzministers wa-ren die Dinge, die Sie, Herr Schäuble, nicht angesprochenhaben . Sie haben kein Wort über Verteilungsgerechtigkeitverloren . Selbst das Weltwirtschaftsforum, beileibe keineVorfeldorganisation der Linken, hat in einem aktuellenVergleich von 112 Ländern den Schluss gezogen, dass inDeutschland Wachstum und Gerechtigkeit eben nicht mit-einander verbunden werden . Ich darf dazu kurz zitieren,was der OECD-Generalsekretär dort sagte:Unsere Analyse zeigt, dass wir nur auf starkes unddauerhaftes Wachstum zählen können, wenn wir derhohen und weiter steigenden Ungleichheit etwas ent-gegensetzen .Es ist also Zeit, endlich eine Vermögensteuer und höhereErbschaftsteuern einzuführen .
Drittens . Annelie Buntenbach, Mitglied des DGB-Bundes-vorstandes, hat in einer schlichten Auflistung gezeigt, wieder Finanzminister seinen Haushalt auf Kosten der Sozi-alkassen in Ordnung gebracht hat . Sie erinnert völlig zuRecht daran, dass die Mütterrente im Jahr 6,5 MilliardenEuro kostet und nicht aus dem Bundeshaushalt finanziertwird, obwohl es sich dabei zweifelsohne um eine gesamt-gesellschaftliche Aufgabe handelt . Diese Tricksereien aufKosten der Sozialkassen wollen wir endlich beenden .
Denn das ist eine Umverteilung zugunsten der Menschen,die gar nicht oder wenig in die Sozialkassen einzahlen .Auch das ist eine weitere Kritik des Weltwirtschaftsfo-rums .Es ist doch so, dass Einkommensmillionäre, wennüberhaupt, nur einen Minianteil ihres Einkommens in dieSozialsysteme einzahlen . Meine Damen und Herren vonder CDU/CSU, ich frage Sie: Ist es nicht eine unglaubli-che Gleichmacherei, dass die Sekretärin genauso viel indie Krankenkasse einzahlen muss wie ihr Chef? Das istdoch ungerecht .
– Prozentual .Dr. André Berghegger
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Viertens . Es gibt ja einen Dauerstreit zwischen demFinanzminister und der Kinderministerin, wie sie sichselbst nennt, sei es um die mickrige Kindergelderhöhung,die lange verzögerte Besserstellung von Alleinerziehen-den oder jetzt aktuell die Nutzung der Mittel, die für dasBetreuungsgeld vorgesehen waren, für den erforderlichenAusbau der Kinderbetreuung . Der Finanzminister, HerrSchäuble, verweist dann immer gern auf die prioritärenFinanzmaßnahmen des Koalitionsvertrages . Stimmt, daspielen Kinder nur eine untergeordnete Rolle . Schlimmgenug! Doch die Bundeswehr steht übrigens auch nichtauf der Liste der prioritären Maßnahmen . Trotzdem solldie Bundeswehr 8 Milliarden Euro mehr bekommen . Viel-leicht sollten Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, an die-ser Stelle einmal selbstbewusst auf den Koalitionsvertragverweisen und die Mehrausgaben für die Bundeswehr ab-lehnen . Unsere Unterstützung hätten Sie .
Fünftens . Minister Schäuble fordert einen europäischenFinanzminister . Ich sage Ihnen – das wissen Sie genausogut wie ich –: Wir brauchen den nicht; denn wir haben ihnschon . Sie, Herr Schäuble, sind es selbst .
– Ist doch so! – Die Sozialkürzungen, die Krisenlän-dern wie Griechenland in den letzten Jahren aufgetragenwurden, tragen die gestochene Handschrift von HerrnSchäuble . Widerspruch wird in der informellen Runde derFinanzminister nicht geduldet . Ich frage Sie nur: Warumschaffen Sie es als informeller Finanzminister Europas seitüber fünf Jahren nicht, endlich die Finanztransaktionsteuerdurchzusetzen?
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Wir haben jetzt ja eine Woche hier diskutiert .Wir hatten eine Anberatung . Wir sind die Einzelhaushaltedurchgegangen . Ich glaube, man kann wirklich mit gro-ßem Stolz sagen, dass wir uns alle hier in diesem Hauseeinig sind, die große Aufgabe, die vor uns liegt – die Fi-nanzierung der Kosten für die Flüchtlinge in Deutschland,die Finanzierung von notwendigen Maßnahmen auch inden Ländern, aus denen sie kommen –, mit den großenSummen, die wir in den Bundeshaushalt eingestellt haben,zu meistern . Dass Konsens darüber besteht, das zu tragen,ist, wie ich glaube, ein hohes Gut . Das hat sich ja auchdurch alle Reden – sei es von der Regierung, sei es vonder Opposition – gezogen . Und das ist etwas, das man garnicht hoch genug schätzen kann .
Eine kleine Anmerkung sei mir gestattet – es gab ja kei-ne großen Konfliktfelder, weil man sich in der Sache ingar so vielen Dingen einig ist –: Das, was Frau Lötzsch,die ich als Vorsitzende meines Ausschusses ja sehr schät-ze, gesagt hat, hat mich an die Rede von Herrn Gysi er-innert . Er hat hier bei der Einbringung dieses Haushaltseine bemerkenswerte Rede gehalten . Er hat nämlich nichtsgesagt . Das war ein Kessel Buntes, eine Phrasendreschma-schine, per Zufallsgenerator ermittelte linke Textbaustei-ne, die dann heruntergerattert wurden . Sie hatten mit demHaushalt nicht viel zu tun .
Sie hatten mit der Sache nicht viel zu tun . Sie wären wun-derbar gewesen auf linken Parteitagen – ich habe die Freu-de, dort nicht dabei sein zu müssen –;
da hätte man das alles bringen können . Hier war das leiderkomplett überflüssig.
Das hatte mit dem Thema nichts zu tun und stand nicht aufder Tagesordnung des Hohen Hauses . Der Vorteil ist: Mankann in solchen Debatten alles mal erzählen . Das bringtaber in der Sache nichts .Ich würde vorschlagen, dass wir einen Hauch mehr aufdie Sachebene zurückkommen und nicht jedes Vorurteil indiesem Land – und sei es noch so platt – bedienen . Wirsollten uns vielmehr diesen Entwurf und die erfolgreicheArbeit dieser Bundesregierung angucken .
Dann kommt man relativ schnell darauf, dass das, washier vorgelegt wird, nicht selbstverständlich ist . Der Kol-Dr. Gesine Lötzsch
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lege von der Union, der vor mir geredet hat, hat ja schondarauf hingewiesen, dass das alles nicht selbstverständlichist . Wir wollen hier nämlich Großes leisten, schultern undfinanzieren, und tun dies, ohne neue Schulden zu machen.Ich glaube, wenn man sich die Geschichte unserer Repu-blik anguckt – egal übrigens, wer regiert hat –, stellt manfest: So etwas fand nicht allzu häufig statt.Vor diesem Hintergrund war es gut, dass die Große Koa-lition, und zwar die erste, beschlossen hat, die Schulden-bremse im Grundgesetz zu verankern . Vergessen wir ein-mal die vier Jahre, die danach gekommen sind .
In dieser Großen Koalition haben wir es geschafft, keineneuen Schulden zu machen und das durchzutragen . Wiralle wollen einerseits, dass die Schuldenbremse durchgän-gig eingehalten wird . Das ist – auch das zeichnet diese Ko-alition aus – eine Solidität, die sich sehen lassen kann . Aufder anderen Seite gibt es aber auch ein beispielloses Maßan Investitionen in Infrastruktur, aber auch in Personal,und gleichzeitig können wir die Aufgabe, um die es in denletzten Tagen gegangen ist, finanzieren. Ich glaube, dieseMischung ist es, die diesen Haushalt auszeichnet .
Es wurde bereits angesprochen – ich möchte es nocheinmal kurz erwähnen –: 3 Milliarden Euro sollen dieLänder und Kommunen erhalten . Darüber, wie man dasvernünftig umsetzt, wird zu reden sein . Uns ist wichtig,dass dieses Geld da ankommt, wo es gebraucht wird . DieSPD hat ja in den letzten Wochen und Monaten dafür ge-sorgt, dass wir 5 Milliarden Euro mehr für die Kommunenausgeben . Ich glaube, auch das gehört zur Wahrheit dazu .
Grundsätzlich ist es so, dass der Bund Mehreinnahmenhat – das ist auch eine Folge der guten Regierungsarbeitvon Gerhard Schröder und der rot-grünen Koalition
und natürlich auch eine Folge der glücklichen Umstände,was den Ölpreis und den Dollar-Euro-Kurs angeht – unddass wir mehr Menschen in Arbeit haben . Deutschland hatseine Hausaufgaben seit dem Jahr 1998 gemacht . Heuteprofitieren wir davon. Das ist gut so, und deswegen kön-nen wir diesen Haushalt vorlegen . 3 Milliarden Euro zu-sätzlich wird der Bund also für Länder und Kommunenausgeben .Wir wollen alleine bei der Bundespolizei 3 000 zusätz-liche Stellen in den Haushalt einstellen . An dieser Stellemöchte ich Sigmar Gabriel dafür noch einmal ganz herz-lich danken .
Wir wollen für den Haushalt des Auswärtigen Amtes400 Millionen Euro zusätzlich bereitstellen . 10 000 Bufdissind eine gute Ansage, aus der klar wird, dass wir auchden Freiwilligendienst in diesem Land mit unterstützenwollen . Wichtig ist, glaube ich, auch, dass wir Bundeslie-genschaften zur Verfügung stellen . Wichtig ist: Hier wirdviel gemacht .
Es darf aber von diesem Haushalt nicht die Botschaftausgehen, dass wir uns ausschließlich darum kümmern,das Flüchtlingsproblem zu bewältigen . Es darf von diesemHaushalt nicht die Botschaft ausgehen, dass die anderenAufgaben in diesem Land, die auch wichtig sind, ver-nachlässigt oder nicht mehr angegangen werden . Wer dieBeratungen der Einzeletats in den letzten Tagen verfolgthat, hat mitbekommen, dass die Kollegen in ihren jewei-ligen Etats all die Punkte angesprochen und abgearbeitethaben – wir werden sie auch noch im Haushaltsausschussbehandeln –, die für dieses Land wesentlich sind . Dabeigibt es große und kleinere Punkte . Einen kleineren Punktmöchte ich vorwegnehmen .Es ist gut, dass wir Mittel für Sprachkurse zur Verfü-gung stellen, übrigens auch insbesondere für C1-Sprach-kurse, an denen es einen großen Bedarf gibt . Genau dasbrauchen wir: dass man den Flüchtlingen, die mit einerentsprechenden Qualifikation hierherkommen und studie-ren wollen, die Möglichkeit gibt, Deutsch zu lernen .Neben diesem erfreulichen Umstand ist es aber aucheine Tatsache, dass diejenigen, die als Dozenten in diesemBereich tätig sind, anständig entlohnt werden sollen .
Ich glaube, dass das eine Aufgabe ist, der wir uns stel-len . Das ist ja ein gemeinsames Anliegen von SPD, CDUund CSU, wie ich einem Brief von Annegret Kramp-Karrenbauer entnehmen kann, in dem sie als Präsidentindes Deutschen Volkshochschul-Verbandes den Bundesin-nenminister auffordert, dringend etwas dafür zu tun, dassdiese Dozenten anständig bezahlt werden . Als Sozialde-mokrat kann ich sagen: Die Frau hat recht .
Sie gehört ja auch einer Großen Koalition an . Dann solltenwir das in den Haushaltsberatungen auch alle gemeinsamangehen .
Es gibt aber auch andere Punkte, die wesentlich sindund die wir in unserem Koalitionsvertrag festgelegt haben .Einer der Punkte ist das Thema Kitaausbau . Wir habenim Koalitionsvertrag viel geregelt und so auch Gelder fürdas Betreuungsgeld aufgebracht . Wir alle wissen, welchenWeg das Betreuungsgeld genommen hat . Jetzt sind dieseGelder im Bundeshaushalt wieder frei . Wir Sozialdemo-kraten wollen sie gerne für Kinder und Familien einsetzen .Wir wollen sie für den Kitaausbau ausgeben und dabei ins-besondere in Qualität investieren .
Ich glaube, dass es richtig ist, die Gelder den Kom-munen und Ländern zukommen zu lassen, allerdings mitder klaren Ansage verbunden, dass es um Qualität, Perso-nalausstattung und die Qualifikation der Fachkräfte geht.Vielleicht schafft man es auf diese Art und Weise auch,den Kitastreik gesichtswahrend für alle Beteiligten zu be-Johannes Kahrs
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enden . Denn auch die Eltern in diesem Land können dasauf Dauer nicht mehr aushalten .
Wenn man die ursprünglich für das Betreuungsgeldvorgesehenen Mittel für diesen Zweck einsetzt, dann wirdes, glaube ich, richtig eingesetzt . Das wäre vernünftig undfür den sozialen Frieden in diesem Land ganz wunderbar .Wir haben im Koalitionsvertrag auch das Teilhabege-setz erwähnt . Das wird zurzeit im Bundesarbeits- und -so-zialministerium erarbeitet . Ich glaube, wir sind hier gegen-über den Menschen mit Behinderungen in diesem Land ineiner Verpflichtung. Anfang des Jahres wollen wir einenvernünftigen Gesetzentwurf vorlegen, und wir werden indieser Legislaturperiode dann auch noch zusehen müssen,dass wir den Fortschritt in unserem Haushalt abbilden . Ichdenke, das ist etwas Wichtiges . Wir haben das als Koali-tion versprochen und zugesagt . CDU, CSU und SPD sindhier in der Pflicht. Deshalb wollen wir auch liefern.Des Weiteren ist es, wie ich glaube, wichtig, dass mansich noch einmal dem sozialen Wohnungsbau zuwendet .Wir haben hier ja schon darüber diskutiert, als wir überdie Einzeletats gesprochen haben . Es ist mir aber wich-tig, für die SPD noch einmal zu sagen: Insbesondere inden Ballungsbereichen haben wir das Problem, dass dieanerkannten Flüchtlinge, wenn sie irgendwann aus denEinrichtungen auf den Wohnungsmarkt drängen, auf eineBevölkerung treffen, die auch nicht genug Wohnraum hat .Es ist wichtig, dass man die Kommunen und Länder hierunterstützt . Dabei muss dann aber auch sichergestellt sein,lieber Eckhardt, dass das Geld auch in dem Bereich „sozi-aler Wohnungsbau“ und nirgendwo anders ankommt . Dasmüssen wir vernünftig hinbekommen . Wenn man es dannauch noch schafft, Genossenschaften entsprechend zu för-dern, dann haben wir alle etwas Gutes getan . Ich glaube,das ist eine der Aufgaben, denen wir uns am Ende allewidmen müssen .
All das vor Augen habend bleibt es hier dabei: Wir ha-ben uns dem Ziel verpflichtet – ich habe das am Anfangschon gesagt –, dass wir keine neuen Schulden machenwollen . All diejenigen, die in den letzten Tagen die Redender Opposition verfolgt haben – ob es nun die der Grünenoder die der Linken waren –, haben festgestellt, dass siesich in vielen Einzelpunkten verhoben haben und dass siezu vielen Punkten viel gesagt, aber nur wenige Vorschlägegemacht haben .
Sie haben gesagt, dass dieser Etat ausbaufähig sei und dassman total viel verändern solle . Ich glaube, demgegenüberfeststellen zu können: Diese Koalition leistet Großes .Herr Bundesfinanzminister, Sie wurden von den Linkenjetzt schon zum europäischen Finanzminister ernannt . Inder Sache könnte ich damit leben, damit, dass die LinkeSie dazu ernennt, nicht . Vielleicht bekommen wir es abereinmal grundsätzlich hin, dass es in Deutschland eine Be-wegung bzw . eine Kraft gibt, die dafür kämpft, dass wirdie Vereinigten Staaten von Europa bekommen mit einemParlament, das eine europäische Regierung wählt . Dannwird es dort auch einen europäischen Finanzminister ge-ben .Vielen Dank .
Vielen Dank . – Als nächste Rednerin hat Anja Hajduk
von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort .
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Ich glaube, es geht nicht um die Auseinanderset-zung eines ausgeglichenen Haushaltes oder nicht . LieberJohannes Kahrs, wir stellen das jedenfalls nicht infrage .Damit sind die Haushaltsberatungen aber nicht leichtergeworden; denn es geht jetzt um die Frage, ob wir in derLage sind, aufgrund einer sehr großen neuen Herausforde-rung, vor die unsere Gesellschaft und ganz Europa gestelltist, in diesem Haushalt entschlossen umzusteuern .
Der Haushalt, der hier vor uns liegt, ist nämlich in ganzvielen Teilen Makulatur . Diese Erkenntnis zog sich jadurch die ganze Woche .Ich möchte hier ganz klar einen Vorschlag machen –das haben Sie ja eingefordert –: Wir Grünen verlangenheute hier eine klare Aussage zu einem Nachtragshaushalt2015, und zwar so schnell wie möglich, Herr Bundesfi-nanzminister .
Es geht hier nicht um Rituale, sondern das hat Gründe .Es geht darum, dass wir einen möglichen Überschuss ausdem Jahr 2015 in der Tat sicher übertragen müssen . Demwerden wir Grünen uns nicht verschließen .Vor allem geht es aber darum – das wäre noch besser –,eine Grundgesetzänderung auf den Weg zu bringen, mitder zum Beispiel dem Bund die Möglichkeit eröffnet wür-de, die Kommunen bei einer Aufgabe gezielt zu unterstüt-zen, die die Kanzlerin selber als eine Aufgabe beschriebenhat, die wir ganz lange zu bewältigen haben werden, näm-lich Menschen in unsere Gesellschaft zu integrieren undsie sicher unterzubringen . Dafür brauchen die KommunenGeld .
Wir würden uns wünschen, dass das Problem, wie dasGeld transparent, sicher und zielgenau vom Bund an dieKommunen übertragen werden kann, überwunden wird .Wir denken, dass sich da auch die Länder bewegen müs-sen .Das ist auch vor dem Hintergrund der gesellschaftlichenAkzeptanz wichtig . Wir können nicht in dieser Woche ein-fach nur sagen – das hat ja zum Beispiel Frau Merkel auchgetan –, dass wir vor einer ganz großen Herausforderungstehen und dass dies erst der Anfang einer lange andau-Johannes Kahrs
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ernden Aufgabe ist . Vielmehr müssen wir, wenn das so ist,auch ein strukturelles und stetiges Lösungsangebot vor-schlagen und dürfen keine Flickschusterei betreiben .
Wir müssen aufhören, im Wochen- und Monatsrhythmusneue Geldtöpfe in Aussicht zu stellen .Diese Flickschusterei muss auch mit Blick auf die Stel-lensituation beim Bundesamt für Migration und Flüchtlin-ge beendet werden .
Ich hatte es am Dienstag schon angesprochen: Wir habenin der Tat erst diese Woche dank neuer Zahlen erfahren,dass das Bundesamt mittlerweile rund 50 Prozent der1 000 Stellen, die in diesem Jahr neu besetzt werden sol-len, besetzt hat . Ich unterstelle, dass Sie es bis Ende No-vember schaffen, auch die restlichen Stellen im Bundes-amt zu besetzen .Aber es bleibt doch dabei, dass diese Stellenbesetzungenund das, was wir für das nächste Jahr geplant haben, immernoch auf der Flüchtlingsprognose von 450 000 Menschenbasieren . Ich habe heute in einem sogenannten Berichter-stattergespräch von zuständigen Personen erfahren, dasssie – das mussten sie selber zugeben – für die jetzt vor-liegende Prognose noch keine richtige Personalplanunghaben . Auch dort ist jetzt wirklich entschlossenes Handelnnötig, damit wir diese Aufgabe bewältigen . Das muss indiesen Haushaltsberatungen passieren .
Wenn wir weitere Stellen schaffen wollen, die nicht erst abJanuar besetzt werden, dann müssen wir deren Finanzie-rung in einem Nachtragshaushalt 2015 regeln .
Ich möchte ein weiteres Thema ansprechen, Herr Mi-nister . Am 24 . September wird es mit den Ländern nichtnur um das Thema Flüchtlinge und die Finanzierung fürdie damit verbundenen Herausforderungen gehen, sondernes soll auch um die Bund-Länder-Finanzbeziehungen ge-hen . Sie haben am Dienstag gesagt, der Bund habe einenVorschlag für mehr Transparenz vorgelegt und es sei jetztan den Ländern, darüber Einigkeit herzustellen, damit manweiterkomme. Ich finde, es hat schon eine gewisse Ironie,dass Sie sagen: Der Bund hat einen Vorschlag für mehrTransparenz vorgelegt . – Dieser Vorschlag ist nämlichnicht dem Bundestag vorgelegt worden . Er ist der öffent-lichen Diskussion nicht zugänglich . Vielleicht wird dasPapier mal an die Medien durchgesteckt . Aber es gibt kei-ne öffentliche Debatte, warum die Vorschläge, die Sie ma-chen – der Umsatzsteuervorwegausgleich soll wegfallen,und die Finanzkraft der Kommunen soll stärker einbezo-gen werden – und über die man reden kann, im Hinterzim-mer gemacht werden, sodass sich hinterher kein Minis-terpräsident öffentlich rechtfertigen muss, warum keineLösung zustande kommt . Sie tragen mit Ihrer Struktur derVerhandlungen über die Bund-Länder-Finanzbeziehungenzu einer Verweigerung bei . Sie provozieren geradezu dieDurchsetzung von Länderegoismen .All das geschieht vor dem Hintergrund einer Analy-se der Bertelsmann-Stiftung, die uns in diesem Sommerdankenswerterweise vorgelegt wurde, in der Folgendesdeutlich wird: Wir müssen im Rahmen des Länderfinanzausgleiches das Problem lösen, dass etwa ein Viertel derkommunalen Haushalte ausweglos in einer Schuldenspi-rale steckt . Die Kommunen in Gänze sind nicht überschul-det, aber rund 25 Prozent unserer Kommunen sehen kei-nen Ausweg aus den Schulden . Deswegen muss es um dieBeantwortung der Frage gehen: Wie können wir gezieltdiejenigen, die es brauchen, bei den überbordenden Sozi-alkosten entlasten? Ich sehe bei den Bund-Länder-Finanz-beziehungen keinen Vorschlag, mit dem dieses Problemwirksam angegangen wird .
Ich habe daher die Sorge, dass wir nachher bei einer Lö-sung landen, bei der der Bund den Ländern 9 MilliardenEuro zukommen lässt, wobei wahrscheinlich die beson-ders reichen Länder den Löwenanteil davon als Entlastungbekommen werden . Wenn das Ihre Einigungsstrategie ist,dann versagen Sie vor der eigentlichen Herausforderung,gleiche Lebensverhältnisse in ganz Deutschland zukunfts-fähig zu sichern . Das erleben die Bürgerinnen und Bürgerin ihren Kommunen vor Ort . Ich möchte, dass Sie da ent-schlossener handeln .
Meine Zeit ist leider abgelaufen .
– Nur meine Redezeit ist abgelaufen; keine Sorge . – ImNovember werden wir erst richtig Bilanz ziehen . NehmenSie sich diese Kritik zu Herzen . Lassen Sie sich von unsinspirieren, damit wir jetzt zügig zu besseren Entscheidun-gen kommen .Schönen Dank .
Vielen Dank . – Als nächster Redner hat der Bundesmi-nister Dr . Wolfgang Schäuble das Wort .
Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister der Finan-zen:Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Her-ren! Frau Kollegin Hajduk, bei allem Respekt: Das Grund-gesetz bindet uns zunächst einmal in Bezug auf den Rah-men unseres Handelns . Und Sie wissen es so gut wie ich,dass nach dem Grundgesetz die Länder für die Kommunenzuständig sind .
– Ja, dazu bin ich durchaus bereit; aber das können wir bei-de nicht . Da müssen wir schon eine Grundgesetzänderungmachen . Dazu brauchen wir eine Zweidrittelmehrheit imBundestag und im Bundesrat . Auch das steht im Grund-Anja Hajduk
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gesetz . Ihre Partei regiert übrigens in ziemlich vielen – ichfinde, zu vielen – Landesregierungen mit.
– Ist ja gut . – Aber solange dies nicht so ist bzw . nicht ge-ändert wird, ist das leider so .Der Bundesinnenminister hat in die Überlegungen zurVorbereitung all dessen, was die Bundesregierung mitBlick auf den 24 . September machen will – ich hoffe, dassich das sagen darf, Herr Kollege Schröder –, auch die Fra-ge einbezogen: Können wir nicht durch eine Grundgesetz-änderung ermöglichen, dass wir Leistungen direkt an dieKommunen geben können? Dafür gibt es, wenn ich dasrichtig verstanden habe, auch in der größten Fraktion die-ses Hauses durchaus Sympathien, zum Beispiel beim Kol-legen Rehberg, dem ich sehr aufmerksam zugehört habe .Aber ich habe natürlich auch verstanden, dass alle Minis-terpräsidenten – und die vertreten nun einmal die Länderim Bundesrat – gesagt haben: Wenn ihr eine Einigung mitden Ländern wollt, dann lasst die Finger davon . Es ist völ-lig aussichtslos, darüber eine Einigung zu erzielen . – Nunsage ich mit allem Ernst: Weil die Situation in Bezug aufdie Menschen, die in Europa bzw. in Deutschland Zufluchtsuchen, dringendes Handeln erfordert, können wir dochjetzt nicht monatelang einen Streit führen, ob wir etwasändern sollen oder nicht oder sonst etwas machen sollen .
– Ja, doch! Entschuldigung, Sie wissen nicht, was Sie inIhrer, wie Sie sagen, kurzen Redezeit alles gesagt haben .
Ich habe doch aufmerksam zugehört, weil ich ja immerdankbar bin, wenn wir unterschiedliche Meinungen auchaustragen können .Sie haben eben auch gesagt, wir sollten die Möglich-keit schaffen, den Kommunen zur Bewältigung ihrer Leis-tungen unmittelbar Geld zu geben . Voraussetzung dafürist eine Grundgesetzänderung . Die bekommen wir jetztso schnell nicht hin . Weil dies so ist, hat sich die Bundes-regierung entschieden, zu sagen: Wir müssen, weil jetztschnell Hilfe geleistet werden muss, auf der Basis, die wirhaben, versuchen, das Problem so schnell wie möglich zulösen .
Herr Minister, lassen Sie eine Zwischenfrage der Kolle-
gin Hajduk zu? – Okay .
Herr Minister, das ist ja alles richtig . Ich habe nur ange-regt, dass wir es richtig finden, auch eine Grundgesetzän-derung ins Auge zu fassen . Ich habe nicht gesagt, dass wirzwischendurch gar nichts machen sollen . Aber wir habendoch bei der großen Herausforderung, eine Einigung überdie Bund-Länder-Finanzen zu erzielen, als Bund eine star-ke Vorschlagsposition, sodass wir auch in die Diskussioneinbringen könnten, ob wir nicht an der einen oder anderenStelle vielleicht auch das Grundgesetz anfassen sollten .Wenn ich richtig unterrichtet bin, schlagen Sie selbst imHinblick auf die Gründung einer Infrastrukturgesellschaftdes Bundes vor, das Grundgesetz anzufassen .Lassen Sie uns doch beide zuversichtlich auch dieseFrage nicht als unlösbar beschreiben . Deswegen muss manin dieser Debatte diesen Gedanken anstoßen . Ich erwartenicht, dass wir, wenn das nicht gleich am 24 . Septembergeschieht, nicht auch nach anderen Finanzierungswegenfür die Kosten der Flüchtlinge suchen . Es gibt genügendInstrumente, das zu tun, sei es bei der Gesundheitsversor-gung oder anderswo . Lassen Sie uns doch in diesem Sinnenach vorne schauen . Dann, glaube ich, machen unsere Kri-tik und unser Vorschlag auch Sinn .Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister der Finan-zen:Dann sind wir ja gar nicht weit auseinander, weil ichdem insoweit zustimme . Wir müssen alles daransetzen, indieser Diskussion voranzukommen und zu einer Einigungzu kommen . Aber diese muss erst erreicht werden . Wirbrauchen am 24 . September eine Einigung . Diese müssenwir dann dringend in den Haushaltsplanungen berücksich-tigen . Bislang ist das noch gar nicht im Haushalt enthal-ten . Es handelt sich lediglich um Absichtserklärungen .Das kann erst während der Ausschussberatungen geleistetwerden . Wir brauchen rasch Klarheit darüber, wie wir dasmachen können . Deswegen müssen wir am 24 . Septemberzu Entscheidungen kommen . Es wird mit Hochdruck ander Beantwortung der Frage gearbeitet, welche Aufgabendurch wen und wie dringend erfüllt werden müssen .Das alles geschieht übrigens auf der Basis ganz un-sicherer Prognosen darüber, wie der weitere Zuzug aus-sehen wird . Momentan sind wir fast jeden Tag mit einerneuen Situation konfrontiert; ich werde dazu gleich eineBemerkung machen . Vor diesem Hintergrund haben wirauf Drängen der Länder und Kommunen gesagt: Lasst unsauf der Basis einer Annahme von 800 000 Flüchtlingenim kommenden Jahr eine Summe berechnen, mit der sichder Bund neben seinen eigenen zusätzlichen Belastungenan den Belastungen für Länder und Gemeinden beteili-gen wird . Wir werden das Geld zunächst den Ländern zurVerfügung stellen . Wenn Sie nicht kritisieren, dass wir dasnun so machen, dann sind wir insoweit einig .Dann möchte ich eine zweite Bemerkung gegen Endeder ersten Lesung des Bundeshaushaltes hinzufügen . HerrKollege Kahrs, wir werden die entsprechenden Haushalts-ansätze in der Tat erst noch einarbeiten müssen . Niemandvon uns kann heute genau sagen, wie viel wir wirklichbrauchen, und zwar nicht nur für Länder und Gemeinden,sondern auch für den Bund . Über einen Teil der Aufgabenhaben wir noch gar nicht intensiv diskutiert: Was könnenwir Europäer dazu beitragen, dass sich die Zuflucht nachEuropa nicht ins Unbegrenzte entwickelt? Ich will die Si-tuation gar nicht dramatisieren . Aber dass sie jeden vonuns sowie unsere Mitbürgerinnen und Mitbürger beunru-higt, ist klar . Natürlich haben wir große Fähigkeiten, ande-Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble
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ren zu helfen . Aber wir können die Probleme nicht alleindadurch lösen .Frau Kollegin Lötzsch, bei allem Respekt, aber dieProbleme im Nahen und Mittleren Osten, insbesondere inSyrien, können wir jetzt nicht in dieser Haushaltsdebattelösen . Genauso wenig können wir Verantwortung für alldas übernehmen, was in den betreffenden Ländern – dawürde mir jetzt vieles einfallen – nicht in Ordnung ist . Eshandelt sich übrigens nicht nur um Königreiche, in denennicht alles in Ordnung ist, sondern oft auch um Diktaturen,in denen auch die sozialen Verhältnisse nicht in Ordnungsind . Aber das alles sind Nebenschauplätze .Tatsache ist, dass Europa und die internationale Ge-meinschaft beides zustande bringen müssen . Wir müssendafür sorgen, dass der Großteil der Menschen, die es inSyrien nicht aushalten – niemand von uns würde es dortgegenwärtig aushalten –, in der Region bleibt, damit dieseMenschen eines Tages die Chance haben, zurückzukehren;das wollen sie auch . Das gilt auch für andere Länder .
Ich habe am Dienstag davon gesprochen, dass wirverabredet haben, den Haushalt für das Auswärtige Amtentsprechend aufzustocken . Ich weiß gar nicht, ob dieSumme, die wir am letzten Sonntag vorgeschlagen hatten,tatsächlich ausreichend sein wird . Wenn ich sehe, was beiden Gesprächen mit der Türkei, Jordanien und dem Liba-non voraussichtlich herauskommen wird, und wenn wirdort stärkere Kapazitäten schaffen und die Flüchtlingsla-ger so entwickeln wollen, wie der UNHCR sie dringendbraucht, dann vermute ich, dass wir möglicherweise nochmehr Mittel brauchen werden . Ich glaube nicht, dass derEU-Haushalt dies alles hergeben wird .Natürlich ist der Satz richtig, dass alles, was wir inden betreffenden Ländern lösen können, vernünftiger undlangfristiger gelöst ist als alles, was wir in Europa selbertun können . Wir müssen aber darauf achten, dass unsereeuropäischen Partner und Freunde nicht sagen: Ihr Deut-sche habt uns eine Debatte eingebrockt, die wir nicht mehrbeherrschen können . Von entscheidender Bedeutung wirdsein, dass wir uns diesem Aspekt in den nächsten Tagenund Wochen noch stärker widmen .Vor diesem Hintergrund bedanke ich mich auch, dassdiese Haushaltsdebatte in der ganzen Woche ein Stückweit überlagert war von der grundsätzlichen Bereitschaft,diese Priorität anzuerkennen . Frau Hajduk, ichwill nocheinmal sagen, was ich ganz am Anfang der Haushaltsde-batte gesagt habe: Die Erfüllung dieser Aufgabe, die Be-wältigung dieser Herausforderung, hat für die Bundesre-gierung oberste Priorität . Die Kanzlerin hat es nicht andersgesagt, auch der Vizekanzler hat es nicht anders gesagt,und ich habe es schon am Dienstag gesagt: Oberste Priori-tät heißt oberste Priorität . Ich habe dann gesagt – ich habegut überlegt, was ich sage –: Wir wollen das möglichstohne neue Schulden schaffen . So ist das mit einer Priorität .Jetzt will ich Ihnen aber sagen, warum es nicht so banalist, das ohne neue Schulden zu schaffen, wie es gelegent-lich angesehen wird . Wir sind besser als andere fähig, aufdie jetzigen Herausforderungen zu reagieren, weil wir ineiner guten Lage sind . Dazu mag die rot-grüne Regierungdas entscheidende Verdienst haben, wie manche meinen .Vorher war ja in Deutschland angeblich gar nichts, undhinterher war wenig – was weiß ich . Das mag alles sein .Das ist mir jetzt gerade egal . Ich will darüber nicht strei-ten . Wir müssen keine neuen Schulden machen, weil wirmit einer ordentlichen, nachhaltigen Finanz- und Wirt-schaftspolitik dafür gesorgt haben, dass wir in einer gutenwirtschaftlichen Lage sind – bei einer nicht so schlechtensozialen Lage .Ich habe mir die Verteilungsproblematik angeschaut,auch die Darstellung im Bericht des World Economic Fo-rum . Ich habe übrigens am Dienstag auch darüber gespro-chen . Das hat Herrn Schneider nicht so sehr befriedigt;aber das ist mir egal . Ich habe davon gesprochen, dassdie zu starke Konzentration in vielen entwickelten Volks-wirtschaften auf die Finanzindustrie und die zu geringeKonzentration auf die reale Ökonomie unter anderem dieWirkung hat – schauen Sie sich doch einmal die Einkom-mensverteilung in den USA an –, dass die Ungleichheitenin den einzelnen Gesellschaften noch stärker werden . DieGlobalisierung per se hat ohnedies den Trend, dass sie zueinem stärkeren Auseinanderdriften in der Einkommens-verteilung führt; das ist wahr .
– Ich komme gleich zu den Steuern .Wenn Sie über Verteilungsgerechtigkeit reden und dasWorld Economic Forum zitieren, müssen Sie schon sagen:Das Land unter allen entwickelten Industrieländern, indem die Ungleichheit in der Einkommensverteilung nocham geringsten und die Vermögensverteilung am stabilstenist, ist die Bundesrepublik Deutschland .
Auch das gehört dazu .Nun sind wir in einer stabilen wirtschaftlichen Lage,die uns mehr Handlungsspielraum gibt, den wir jetzt auchdringend brauchen und nützen müssen . Diesen Spielraumhaben wir, weil wir eine ordentliche Finanzpolitik be-trieben haben und weil wir eine vernünftige Steuer- undWirtschaftspolitik betreiben . Das ist nämlich auch nicht soleicht .Sie sehen: Ich könnte Ihnen andere europäische Ländernennen; aber da ich deren Vertreter alle heute Nachmittagin Luxemburg treffe, will ich jetzt kein einzelnes Land he-rausnehmen .Es ist eine einfache Angelegenheit, höhere Steuern zufordern und zu fordern, die Einkommensteuer zu erhöhen,eine Reichensteuer oder die Vermögensteuer und derglei-chen mehr einzuführen . Hinterher wundert man sich dann,dass die Wachstumsentwicklung nicht so ist, wie man sichdas gewünscht hat . Politik ist eben nicht „Wishful Thin-king“ sondern Politik heißt, mit den Mitteln der Vernunftstaatliche Rahmenbedingungen einschließlich des Steuer-systems so zu setzen, dass sie zu einem möglichst hohenMaß an sozialer Gerechtigkeit bei gleichzeitig nachhalti-gem Wachstum führen . Das muss man in der Steuerpoli-tik bedenken . Wer da bezüglich der Vermögensteuer odereiner zu hohen Einkommen- und Ertragsteuer die falschenBundesminister Dr. Wolfgang Schäuble
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Entscheidungen trifft, der wird das Gegenteil von dem ern-ten, was er vorhat . Daran ist der Sozialismus immer ge-scheitert, wo er real existiert hat .
Ich will in diesem Zusammenhang noch eine Bemer-kung machen . Sie haben mir ja sogar Arbeitsverweigerungvorgeworfen . Ich könnte jetzt als Entschuldigungsgrundanführen: In meinem Alter darf man ja schon in Rente sein .
Im Ernst: Ich will noch auf Folgendes hinweisen: Steu-erpolitische Entscheidungen in Europa unterliegen demEinstimmigkeitsprinzip . Ich werde mich heute bei den Be-ratungen wieder für eine Mindestbesteuerung der Konzer-nerträge einsetzen . Aber ich sage Ihnen vorher: Wir sind indieser Frage noch weit von einer Einstimmigkeit entfernt .Ich habe mich seit 2010 für eine Finanztransaktionsteu-er eingesetzt . Aber wir haben bislang nicht erreicht, dassglobal eine Chance besteht, sie einzuführen . Davon sindwir immer noch weit entfernt . Dazu besteht in der Europä-ischen Union keine Chance . Es gibt noch nicht einmal inder Eurozone die Chance, sie einzuführen .Auch im Rahmen einer verstärkten Zusammenarbeit istes ein mühsames Tun, das voranzubringen . Wir werdenmorgen wieder einen Versuch machen, einen Schritt vo-ranzukommen .Für die Tatsache, dass wir steuerpolitische Entschei-dungen in Europa nur einstimmig oder gar nicht zustandebringen, können Sie nicht die Bundesregierung verant-wortlich machen . Das ist im europäischen Primärrechteben so geregelt . Solange das nicht geändert wird, ist es,wie es ist . Das ist wie mit dem Grundgesetz, an das wir unshalten müssen .Ich bin sehr dafür, dass wir uns bei den weiteren Be-ratungen zum Bund-Länder-Finanzausgleich sehr für leis-tungsfähige Kommunen einsetzen . Aber dann müssen dieLänder noch einmal stärker mit sich darüber reden lassen,wie sie eigentlich ihre Verantwortung für die Kommunenwahrnehmen wollen .
– Das können wir auch machen. Aber der Bundesfinanz-minister soll die Gespräche führen, muss mit den Ländernverhandeln . Da kann ich natürlich öffentlich Trara ma-chen, aber das nützt uns gar nichts .
Mir ging es wieder und wieder um das Dilemma desSystems „Bund-Länder-Finanzausgleich“ . Es ist natürlichin einem hohen Maße durch Intransparenz belastet . Es istnatürlich auch dadurch belastet, dass wir heute 3 oder ma-ximal 4 Geberländer und 12 oder 13 Nehmerländer haben,was eine wirkliche Verzerrung ist . Deswegen haben wirals eine Grundlage Vorschläge entwickelt, mit denen wirdieses Verhältnis ausgewogener machen . Das scheint mir,wenn ich die Bemühungen innerhalb der Länder, sich zueinigen, richtig interpretiere, eine gewisse Bewegung aufder Länderseite ausgelöst zu haben . Aber noch ist die Ver-suchung groß, dass sich die Länder dadurch einigen, dasssie einen größeren Teil der Rechnung dem Bund zuschie-ben, und darum müssen wir dann wieder mit den Ländernringen .Am Ende will ich einen Appell in diesen Haushalts-beratungen richten: an alle, auch an die Bundesländer inBezug auf den 24 . September . Wir alle sind uns in derBeurteilung einig, dass wir mit dem, was im Augenblickstattfindet, mitten in einer der großen Bewährungsprobenunserer Bundesrepublik Deutschland stehen . Wenn dies soist, sollten wir die Dinge, die vielleicht nicht ganz so wich-tig sind, ein wenig zurückstellen und uns im Bund, in denLändern und Kommunen – das gilt für die Verantwortli-chen auf allen Ebenen – darauf konzentrieren, dass wir dasProblem so gut wie möglich lösen .In ein paar Wochen feiern wir den 25 . Jahrestag derdeutschen Wiedervereinigung . Frieden, Freiheit, Gerech-tigkeit, Rechtsstaatlichkeit, soziale Nachhaltigkeit, To-leranz gegenüber Andersdenkenden, Offenheit – all diesdarf nicht gefährdet werden, und all dies muss sich bei die-ser außerordentlich großen historischen Herausforderungbewähren . Dafür sollten wir alle uns einsetzen .Herzlichen Dank .
Vielen Dank . – Als nächster Redner hat Roland Claus
von der Fraktion Die Linke das Wort .
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich willzunächst auf die Denkwürdigkeit der Situation eingehen,in der wir diese Beratungen durchführen . AufmerksameBeobachter dieses Parlaments, also Medienvertreterinnenund -vertreter, die uns schon ein bisschen länger kennen,haben bei der Einschätzung dieser Haushaltswoche denSchluss gezogen, wir hätten sie irgendwie in einem an-deren, in einem besseren Klima zustande gebracht . Es istnicht so, dass die Differenzen nicht wahrgenommen wor-den wären, aber man hat festgestellt, es habe mehr Ach-tung vor dem Argument der anderen gegeben . Ich gebedie Hoffnung nicht auf, dass eines Tages auch der KollegeJohannes Kahrs an dieser Verbesserung des Klimas mit-wirken wird .
Meine Damen und Herren, ich glaube, wir hatten nochnie eine so große Differenz zwischen der Kabinettsent-scheidung zum Bundeshaushalt – das war im Juli – undder Einbringung im Parlament . Das ist natürlich kein Vor-wurf, weil hier auf die veränderte Dynamik der gesell-schaftlichen Bedingungen reagiert werden musste . Es istauch an uns gemeinsam, an das Parlament, die Aufgabegestellt, diese veränderten Bedingungen, diese enorm ge-stiegene Dynamik als Herausforderung wahrzunehmenBundesminister Dr. Wolfgang Schäuble
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und anzunehmen . Wenn wir das gut machen, können wirdieser Verantwortung auch entsprechen .
Ich habe mir noch einmal genau durchgelesen, wasBundesminister Schäuble am Dienstag gesagt hat . Er hates freundlicherweise hier noch einmal zitiert . Er hat ge-sagt:Deshalb hat die Bewältigung dieser anspruchsvollenAufgabe– also der Flüchtlingssituation –absolute Priorität .Dann kam der Satz:Dem haben sich dann andere Ausgabenwünsche un-terzuordnen .Ich habe mir gesagt: Was soll denn ein Finanzministeranderes sagen, als einen solchen Satz? Auf der anderenSeite halte ich das für das Parlament für ziemlich bedenk-lich, weil wir natürlich von unserem Königsrecht Ge-brauch machen wollen, hier Veränderungen einzubringenund gesellschaftliche Veränderungen widerzuspiegeln .Auch hier kann es nicht darum gehen, dass nur der eineoder der andere recht hat . Auch hier ist es eine Frage derBalance, eine Frage von Maß und Mitte .
Was wir natürlich trotz dieser mahnenden Hinweise, diewir eben wieder gehört haben, wahrscheinlich als Einzigeeinbringen, ist die Thematisierung der Einnahmenseite . Esist in dieser Woche vielfach von der gewachsenen sozia-len Spaltung in unserer Gesellschaft geredet worden . DieTatsache, dass die Gruppe der Menschen mit dem größ-ten Reichtums- und Vermögenszugang – also die obersteSchicht – zwar immer kleiner, aber immer reicher wird,hat doch unter anderem auch etwas mit der Verfasstheitunserer Erbschaftsteuer zu tun .
Insofern können Sie sich auch nicht mit noch mehr Un-gerechtigkeiten in anderen Ländern herausreden, HerrBundesfinanzminister. Wir sagen deshalb: Markenzeichenlinker Haushaltspolitik sind nicht neue Schulden, sondernist eine gerechte Steuerpolitik .
Natürlich werden wir noch einige Veränderungen amBundeshaushalt vorschlagen . Nur wenige Beispiele – überden sozialen Wohnungsbau haben die Kolleginnen undKollegen von der SPD schon gesprochen –: Ich habe heuteMorgen kritisiert, dass von den 4,5 Milliarden Euro ausder Versteigerung der Mobilfunkfrequenzen nur ein relativkleiner Teil in den Breitbandausbau gehen soll . Das kön-nen wir nicht akzeptieren . Wir werden uns hier für Verän-derungen einsetzen .
In wenigen Tagen werden wir über 25 Jahre deutscheEinheit sprechen . Wir werden anschauen, was gelungenist, aber auch darauf aufmerksam machen, dass wir esnach wie vor mit großen Unterschieden zu tun haben, dassim Osten im Vergleich zum Bundesdurchschnitt doppelt soviele Menschen im Niedriglohnsektor, in der Zeitarbeits-branche oder befristet beschäftigt sind und dass das Kauf-kraftvermögen noch weit auseinanderklafft .In dieser Situation verstehe ich die Bundesregierung aneiner Stelle überhaupt nicht . Welche Reaktion soll dennjetzt dieser komische und unverständliche Vorschlag aus-lösen, die Hartz-IV-Bezüge um 5 Euro zu erhöhen? Dageht es Ihnen doch nicht anders als mir: Ich halte sehr vielemeiner Sprechstunden im öffentlichen Raum ab . Ich wer-de am Montag auf dem Marktplatz von Naumburg ein Ar-gument hören, das mir nicht passt, das aber natürlich kom-men wird . Man wird mir sagen: Ihr habt die ganze Wocheüber Flüchtlinge geredet . Da habt ihr das Geld, aber füruns, die Ärmsten im eigenen Land, habt ihr es nicht . – Soeine unsensible Politik ist doch regelrecht Wasser auf dieMühlen der ganzen „-gidas“ und dieser schrägen Truppen .Das müssen Sie wirklich unbedingt korrigieren .
Ich will zum Schluss noch sagen, was mich in dieserWoche persönlich sehr bedrückt hat . Wir schreiben heuteden 11 . September, 9/11 . Wir haben vor 14 Jahren hier imSaal zuerst den Atem angehalten und dann die Plenarde-batte . Ich werde auch nie vergessen, wie schwierig es fürmich war, vor 14 Jahren genau an diesem Rednerpult alsFraktionsvorsitzender der PDS deren Position vorzutra-gen . Es ging zum einen darum, unsere Glaubwürdigkeitder Trauer um die Opfer niemals in Zweifel zu ziehen, aufder anderen Seite aber darum, darzustellen, warum wiruns der Aufforderung des Kanzlers Schröder zur uneinge-schränkten Solidarität eben nicht anschließen wollten . Wirhaben damals gesagt, dass Krieg die falsche Antwort aufden Terror wäre . Wir haben auch gesagt: Jetzt wird sichzeigen, wie zivilisiert die zivilisierte Welt wirklich ist .Gregor Gysi hat hier am Mittwoch auf die PDS-Positionzum Afghanistan-Krieg hingewiesen . Es wurde mit ziem-lich viel Häme quittiert . Nun hat das unser Fraktionsvor-sitzender, wie er es gerne so macht, etwas forsch getan .Aber ich will hier ausdrücklich sagen: Wenn wir diese his-torische Differenz hervorheben, dann geht es uns, meineDamen und Herren, nicht um Rechthaberei . Es geht unsaber sehr wohl darum, historische Lehren aus historischenTaten, aus parlamentarischen Entscheidungen zu ziehen .
Deshalb sage ich Ihnen: Es ist nun an der Zeit, Kriegs-beteiligungen und Waffenexporte einzustellen . Das wäredie Lehre aus der begonnenen großen Flüchtlingsbewe-gung . Das wäre auch die Lehre aus 9/11 .
Vielen Dank . – Als nächste Rednerin hat Petra Hinz vonder SPD-Fraktion das Wort .
Roland Claus
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Liebe Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kolle-gen! Liebe Besucherinnen und Besucher, die Sie noch an-wesend sind und uns zuhören! Ihnen noch einen schönenTag in Berlin .Ich freue mich – das meine ich so, wie ich es sage –,dass ich heute, am Freitag, hier in der Abschlussrunde überdie erste Lesung unseres Haushaltes für das Jahr 2016 nocheinmal die Themen, die schwierigen Herausforderungen,vor denen wir stehen und die wir gemeinsam bewältigenwollen, zusammenfassen darf .Als Haushälterin, als Kollegin, die gern mit Zahlen ar-beitet, wird es Sie nicht verwundern, wenn ich noch einmaldarauf aufmerksam mache, dass wir in den zurückliegen-den vier Tagen über 18 Einzelpläne debattiert haben . ZumVerständnis für die Menschen am Bildschirm und die, dienoch hier sind: Die Einzelpläne entsprechen dem Haus-halt der jeweiligen Ressorts unserer Ministerinnen undMinister, mit denen sie die nötigen Gelder bereitgestelltbekommen, um damit die Arbeit, die wir hier im Parla-ment beschließen, entsprechend umsetzen zu können . Wirhaben 1 733 Minuten – das sind knapp 29 Stunden – überdie unterschiedlichen Schwerpunkte debattiert, die wir inden kommenden Wochen bis Anfang Dezember im Haus-haltsausschuss und in den Fachausschüssen noch weiterberaten werden . Das sind also viele Stunden, in denen wirgemeinsam beraten .Ja, liebe Kolleginnen und Kollegen, auch ich will nocheinmal darauf hinweisen – so habe ich das auch beim Ein-zelplan Gesundheit gesagt, weil es mich mit Stolz undgroßer Achtung erfüllt –, dass wir unabhängig davon, wel-cher Fraktion wir angehören, über die Schwerpunkte imBereich der Flüchtlingshilfe diskutiert haben – wenn auchsehr unterschiedlich .Aber eines kann man keinem absprechen: Jeder ist dar-auf bedacht, mit diesem Haushalt – Frau Hajduk, Sie wis-sen ganz genau, dass man parallel sicherlich bereits überden Nachtragshaushalt beraten muss; auch hier muss manehrlich sein und deutlich machen, dass das in den nächstenWochen anstehen könnte – nicht einfach irgendetwas zubeschließen, sondern etwas, was Hand und Fuß hat . Daskönnen wir nicht einfach über das Knie brechen . Wir wer-den möglicherweise parallel einen Nachtragshaushalt be-schließen müssen . Dieser muss dann für die nächste ZeitBestand haben .
– Ich gehe davon aus, dass wir angesichts der kommen-den Herausforderungen aufgrund der Flüchtlingsfrage undder damit verbundenen globalen Fragen parallel zu einemNachtragshaushalt kommen werden .Lieber Roland Claus, das, was Sie am Schluss zu 9/11gesagt haben, hat mich sehr bewegt . Ich weiß noch genau,wo ich dieses Ereignis verfolgt habe: in meinem Büro inDüsseldorf . Ich konnte es gar nicht glauben . Danach stan-den wir vor den Fragen: Gehen wir in andere Länder? Wiegehen wir in andere Länder? Hier gebe ich Ihnen Recht .Wenn wir auf diese Fragen trotz aller Diplomatie die Ant-wort geben, dass wir ausschließlich militärisch in die Län-der gehen, dann müssen wir auch wissen, wie ein Plan Boder ein Plan C aussieht, um dort wieder herauszukom-men . Das erlaube ich mir, in dieser Form zu sagen, weilich, seitdem ich im Bundestag bin, grundsätzlich gegenAuslandseinsätze stimme . Dies tue ich auch vor dem Hin-tergrund, dass ich sehr wohl weiß, dass das beste Instru-ment, das wir als Abgeordnete haben, die Diplomatie ist .Nicht alles, was wir unter Demokratie verstehen, kannman in anderen Ländern eins zu eins umsetzen . Das warauch meine Haltung bezüglich des Kongo . Ich wollte jetztnicht – wir befinden uns in den Haushaltsberatungen – ab-schweifen . Ich will daher sagen, dass es mir genauso wieIhnen ein Anliegen ist, darüber zu diskutieren, welcheSchwerpunkte wir in diesem Haushalt setzen .Womit ich aber gar nicht einverstanden bin, ist, dass Siein diesem Zusammenhang die Erhöhung der Hartz-IV-Be-züge um 5 Euro erwähnen . Wir können uns darüber strei-ten, ob das richtig oder nicht richtig ist . Aber bitte sprechenSie nicht in diesem Kontext davon, weil wir damit Men-schen in unserer Gesellschaft gegeneinander aufbringen .Der Vizekanzler und Wirtschaftsminister hat bereitsvor einem Jahr deutlich gemacht, vor welchen Herausfor-derungen wir stehen . Auf der einen Seite müssen wir dieFrage der Flüchtlingshilfe klären . Auf der anderen Seitemüssen wir uns mit allen anderen gesellschaftlichen Pro-blemen, die zu lösen sind, zum Beispiel im Bereich desFamilienministeriums, beschäftigen . Dafür muss entspre-chend Geld vorhanden sein, und dafür werden wir uns inden Haushaltsberatungen einsetzen .Auch der Außenminister hat sehr deutlich und sehrfrüh darauf aufmerksam gemacht, wie die Situation in denKrisenregionen aussieht . Mit Sicherheit kann keiner vonuns eine einfache und schnelle Lösung herbeiführen . Wirdürfen aber nicht nachlassen, uns eingehend damit zu be-schäftigen, wie wir mit den Krisenländern und -regionenumgehen .
Da hilft es in der Tat nicht, immer wieder zu sagen: Mitdem einen oder anderen Land dürfen wir nicht reden, weildas eine Diktatur ist . – Ganz im Gegenteil: Wir müssen mitjedem reden . Nur so können wir vor Ort in den Ländernhelfen . Es sind also auch die Menschen dort, über die wirhier im Rahmen der Haushaltsberatungen reden .Wir reden aber auch über die Menschen, die hier leben .Ich freue mich sehr darüber, was im Etat des Familien-ministeriums alles umgesetzt wird . Meine Kollegin UlrikeGottschalk hat im Rahmen der Haushaltsberatungen ge-meinsam mit unserer Ministerin hervorgehoben, dass dasElterngeld Plus auf den Weg gebracht wurde . Beide habensich für die Verbesserung der Kita-Situation eingesetzt unddie Leistungen unserer Erzieherinnen und Erzieher, die siejeden Tag vor Ort erbringen, anerkannt; denn dies ist eineArbeit an denen, die uns am wertvollsten sind: an unserenKindern .
Ich erinnere auch an meine Kollegin Sonja Steffen, dievorgestern in ihrer Rede die wirtschaftliche Zusammenar-
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beit angesprochen hat . Ich gebe der Opposition ausdrück-lich recht: Nicht alles ist richtig – aber es ist auch nichtalles falsch . In der Zeit von 2009 bis 2013 gab es einenMinister für wirtschaftliche Zusammenarbeit,
der gesagt hat, dass dieses Ministerium eigentlich über-flüssig ist. Wir aber sind der Meinung, dass dieses Minis-terium überhaupt nicht überflüssig ist. Ganz im Gegenteil:Der Minister Gerd Müller hat deutlich gemacht, welcheVerantwortung gerade der Bereich der wirtschaftlichenZusammenarbeit hat .
Ein weiterer wichtiger Baustein ist der Bereich der In-nenpolitik . Ich bin sehr froh darüber, dass Martin Gersterzu der Frage, wie wir mit der Flüchtlingskrise umgehen,den Bereich des Ehrenamtes, insbesondere die Rolle desTHW, in der Diskussion ganz besonders hervorgehobenhat . Leider habe ich verschiedentlich gehört, dass in derKrisensituation doch bitte die Hauptamtlichen eingesetztwerden sollen . Nein, liebe Kolleginnen und Kollegen, dieHelferinnen und Helfer des THW schultern diese Arbeitehrenamtlich .Ich bin froh, dass die Kanzlerin in der schwierigen Dis-kussion um die Bekämpfung des Rechtsextremismus end-lich deutliche Worte gefunden hat . Sie hat es zwar nicht inder Form getan, wie ich es mir vorgestellt hätte; aber esist ein erster Schritt, wenn seitens der CDU/CSU deutlichgemacht wird, dass wir bei der Bekämpfung des Rechtsex-tremismus nachlegen müssen .Dies ist bis vor Kurzem immer noch kleingeredet wor-den . Ich erinnere daran, dass wir in früheren Debattenimmer wieder gesagt haben, dass wir etwas gegen rechtstun und dafür sorgen müssen, dass der Etat für die Un-terstützung derer, die aus der Szene aussteigen wollen,aufgestockt wird . Damit standen wir aber ziemlich alleinda . Da wünsche ich meinen Kolleginnen und Kollegen imBereich Innen und im Bereich Familie eine gute Hand . Ichdenke, dass der Minister und die Ministerin in dieser Fragenicht Nein sagen können .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Thema kom-munale Finanzen ist eben schon erwähnt worden . Es istrichtig und wichtig, dass wir die Kommunen in diesemBereich stärken . Ja, ich würde mich auch freuen, wennwir als Bundesgesetzgeber die Gelder an die Kommunenweitergeben könnten . Aber wir sind im föderalen Systemund müssen entsprechend gemeinsam mit den Ländernfür all die Maßnahmen, die wir hier im Bereich der Kin-der-, der Familienpolitik, für Alleinstehende mit oder ohneKinder, im Bereich der Pflege und der Pflegeberufe, aberauch in der Frage der internationalen Zusammenarbeit be-sprechen, Sorge tragen . Wir gemeinsam müssen hier eingroßes Bündnis finden, nur dann wird ein Schuh daraus.Ich möchte mich für die zurückliegende Woche bei al-len Kolleginnen und Kollegen ganz herzlich bedanken,insbesondere bei den Kolleginnen und Kollegen der Op-position . Sie haben viele wichtige und richtige kritischeAnmerkungen gemacht, aber ich habe die Bitte: FührenSie gerade im Bereich der Gesellschaftspolitik faire Dis-kussionen, und zwar in der Frage, wie wir mit der Glo-balisierung umgehen, in der Frage, wie wir mit Bildungumgehen, in der Frage, wie wir mit der Flüchtlingshilfeumgehen und wie wir die Menschen stärken, die jetztgroßartige Arbeit leisten, nämlich all die Ehrenamtlichen .Sie sollten wir im Rahmen der Haushaltsberatungen nocheinmal ganz besonders bedenken .
Wenn wir all dies gemeinsam auf den Weg bringen,dann wird das ein großartiger Haushalt für das nächsteJahr, für die Menschen vor Ort .Ganz herzlichen Dank .
Vielen Dank . – Als nächster Redner hat Sven-ChristianKindler von der Fraktion BÜNDNIS 90/Die Grünen dasWort .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Auch ich bin bewegt von dieser Haushaltswo-che und von dem, was wir vielfach vor Ort erlebt haben,davon, wie viele Menschen sich vor Ort für Flüchtlingeeinsetzen, für die menschenwürdige Aufnahme und für dieIntegration . Ich glaube, das, was hier gerade passiert, isteine großartige Leistung, und dies ist allen Respekt diesesHohen Hauses wert .
Wir sehen gleichzeitig aber auch, dass die Kommunenund die Länder vor großen Herausforderungen stehen .Deswegen wollen wir nicht kritisieren, dass die Bun-desregierung jetzt einen ersten Vorschlag vorgelegt hat;denn 3 Milliarden Euro für die Länder und Kommunensind nicht nichts . Ich glaube aber, man muss, wenn manauf das Jahr 2016 guckt, erstens sehen, dass das natürlichnicht ausreichen wird . Zweitens – das hat auch die Kolle-gin Hajduk schon gesagt – muss das Geld schnell kom-men . Wir brauchen jetzt einen Nachtragshaushalt . Er istnotwendig . Es gab wichtige Signale der Koalition, diesenzu machen .Im Zusammenhang mit einem Nachtragshaushalt istuns aber auch klar: Man wird nicht gleich eine Grundge-setzänderung und eine Durchleitung zur Ausstattung derKommunen schaffen . Aber das, was man einfach gesetz-lich machen kann und was in Ländern und Kommunenauch strukturell wirkt, ist zum Beispiel die Abschaffungdes Asylbewerberleistungsgesetzes und die Integration indie sozialen Sicherungssysteme oder die Integration vonPetra Hinz
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Flüchtlingen vollständig in die gesetzliche Krankenversi-cherung . Das wäre strukturell wichtig und notwendig .
Die Flüchtlingspolitik hat diese Haushaltswoche domi-niert . Wenn man aber darüber hinaus guckte, was in denFachetats und bei den Fachthemen sonst los war, dann hatman gesehen, dass die Große Koalition hier und dort etwasGeld drauflegt und sich dafür viel lobt und sich auf dieSchulter klopft. Ich finde aber, dass dies insgesamt relativdürftig war . Ich hätte von der Großen Koalition mehr Mutund mehr visionäre Debatten dahin gehend erwartet: Waswollen wir eigentlich in fünf oder zehn Jahren machen?Hierzu gab es wenig . Letztendlich bleibt es nach dem, wieder Haushaltsentwurf ist, und nach dem, was wir in dieserWoche gesehen haben, dabei: Es gibt viel Verwalten undwenig Gestalten . Es gibt wenig spannende Ideen und vielMutlosigkeit . Ich glaube, es muss sich noch einiges än-dern, damit das ein zukunftsfester und gerechter Haushaltwird .
Wir haben auch gesehen, dass Sie sich in diesen Debat-ten viel für den ausgeglichenen Haushalt gelobt haben . Ichglaube aber, dass Sie sich darauf ausruhen . Herr Schäuble,Sie haben von der nachhaltigen Finanz- und Wirtschafts-politik geredet, die Sie gemacht hätten und die zu diesemausgeglichenen Haushalt geführt hätte . Aber ich glaube,man muss natürlich auch sehen, dass der Grund viel Glückund günstige Umstände waren, und zwar auf weltwirt-schaftlicher und auch auf europäischer Ebene .Wir wissen, weil wir es abgefragt haben: Seit Beginnder Finanzkrise, seit 2008, hat die Bundesregierung ge-genüber der geltenden Finanzplanung 94 Milliarden Eurodurch Zinsminderausgaben eingespart . Ein Großteil desGeldes kommt also durch die historisch niedrigen Zinsen .Das zeigt erstens, dass die Bundesregierung Krisengewin-ner in Europa ist, und zwar trotz aller Mythen vom Zahl-meister . Zweitens zeigt es, dass die EZB einen Großteildazu beigetragen hat. Ich finde, man kann dann nicht, wieSie das Dienstag gemacht haben, die EZB stark für ihrHandeln kritisieren, weil die europäischen Regierungennicht gehandelt haben, und sich gleichzeitig für die Haus-haltskonsolidierung rühmen. Das finde ich nicht redlich.Sie müssen ehrlich sagen, dass eigentlich Mario Draghiviel mehr zu der Haushaltskonsolidierung beigetragen hatals Sie, Herr Schäuble .
Kollege Berghegger hat gesagt, Sie schafften es im-mer, den Haushalt auf Sicht zu fahren – er hat es wohlanders gemeint . Aber ich würde es auch sagen: Sie fah-ren auf Sicht . Das ist alles nicht besonders zukunftsorien-tiert . Denn man könnte in der jetzigen Situation, unter dengünstigen Umständen, auch anpacken und sich der Risikenbewusst werden, die Sie zurzeit ausblenden . Darüber re-den Sie natürlich nicht gerne . Aber ich erwähne hier heutenoch mal, womit sich Risiken verbinden: mit der Zinsent-wicklung, mit dem demografischen Wandel, mit der lee-ren Rentenkasse ab 2019, weil die Mütterrente nicht überSteuern finanziert wird, mit der Klimakrise, aber auch mitder Spaltung zwischen Arm und Reich .
Herr Schäuble, Sie haben es angesprochen: Die Vermö-gensungleichheit ist die größte in der Euro-Zone . Mankann nicht bestreiten, dass die Spaltung zwischen Armund Reich in dieser Gesellschaft auch ein Risiko für denHaushalt ist, bei dem man gegensteuern muss .
Ein großes Risiko gibt es im Bereich der Investitionen,für die Sie sich immer sehr stark feiern . Die Investitionenverdienen einen näheren Blick . Im Finanzplan bis 2019 istein Anstieg der Investitionen von jetzt rund 300 Milliar-den Euro auf 333 Milliarden Euro vorgesehen . Das ist einegroße Steigerung . Die Investitionsquote stagniert aber beirund 30 Milliarden Euro . Das heißt, der Wertverfall un-seres öffentlichen Vermögens geht weiter . Und auch hier:keine Antwort, keine großen Ideen, was Sie machen wol-len . Damit verschulden Sie sich ja auch bei den zukünfti-gen Generationen . Das wird uns nachher teuer zu stehenkommen. Ich finde, auch da muss in diesem Haushalt um-gesteuert werden .
Weil es ein Prozess ist, der nicht nur in den letzten vierJahren stattgefunden hat, sondern schon länger andauert –das öffentliche Vermögen ist innerhalb von 20 Jahren um800 Milliarden Euro auf nahezu null gesunken –, schla-gen wir vor, die blinden Flecke der Schuldenbremse zubeseitigen . Zum Beispiel sollte für zentrale Einzelpläneeine ehrliche Bilanzierung des Infrastrukturvermögensdurchgeführt und diese im Haushalt ausgewiesen wer-den . Man sollte zum Beispiel mit einer Investitionsregeldafür sorgen, dass das öffentliche Vermögen nicht weiterschrumpft . Das wäre aus unserer Sicht notwendig, damitwir wirklich in die Zukunft investieren können .
Ich will am Ende auf die Schattenseiten dieses Haushal-tes eingehen, weil die Große Koalition sie natürlich gernevergisst . Es gibt bei diesem Haushalt nicht nur Gewinner,sondern auch Verlierer . Die Beitragszahler werden belas-tet, weil die Rentenkasse ab 2019 leer ist . Das ist eine Fol-ge Ihrer Politik bei der Mütterrente . Wir haben arme Rent-nerinnen und Rentner . Obwohl Sie ein großes Rentenpaketauf den Weg gebracht haben, machen Sie eigentlich nichtsgegen Altersarmut . Wir haben arme Kinder . Auf diesesProblem gibt es im Haushalt eigentlich keine Antwort .Dasselbe gilt für Alleinerziehende . Auch auf die Frage,was mit den Mitteln passieren soll, die frei werden, weildas Betreuungsgeld abgeschafft wird, gibt es im Haushaltkeine Antwort . Herr Schäuble will die Mittel im allgemei-nen Haushalt versickern lassen . Ich sage Ihnen: Das ist diefalsche Antwort . Das Geld muss jetzt in Krippen und Kitasgesteckt werden .
SvenChristian Kindler
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Ein Verlierer dieses Haushalts ist weiterhin das Klima .Die Klimakrise wird nicht richtig angegangen . Es gibtweiterhin klimaschädliche Subventionen im Umfang von52 Millionen Euro . Da passiert nichts . Man muss sagen:Bei den Mitteln für die globale Entwicklungszusammen-arbeit gibt es zwar leichte Steigerungen, aber insgesamtist das deutlich zu wenig und wird der internationalenHerausforderung und der Verantwortung Deutschlands indiesem Bereich nicht gerecht .
Auch hier sehen wir: In diesem Haushalt werden falschePrioritäten gesetzt . Es gibt viele Verlierer . Aus unsererSicht muss sich das ändern . Dieser Haushalt ist nicht zu-kunftsfest und gerecht . Wir müssen jetzt die Haushaltsbe-ratungen nutzen, um das zu ändern .Vielen Dank .
Vielen Dank . – Als nächster Redner hat Max Straubinger
von der CDU/CSU-Fraktion das Wort .
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!Zuerst kann man feststellen: Die Aufstellung des Bundes-haushalts, der vorgelegt worden ist und in die weiteren Be-ratungen geht, war aufgrund der aktuellen Ereignisse einegroße Herausforderung . Wir alle in diesem Haus sind unseinig, dass wir der Herausforderung gerecht werden unddie Akzente dementsprechend setzen wollen – wobei dieBundesregierung schon in der Vergangenheit die Bundes-länder und die Kommunen entlastet hat, dies aber auch inZukunft vorhat . Ich glaube, dass trotzdem festzustellen ist:Es ist einer der solidesten Haushalte, die wir jemals in derRepublik hatten .
Darüber dürfen wir uns freuen .Werte Kolleginnen und Kollegen von der Opposition,ich freue mich über Ihr Lob, aber Ihre Kritik in einzelnenBereichen kann ich nicht nachvollziehen . Ich werde späternoch darauf eingehen .Die wichtigste Herausforderung, vor der wir stehen, istdie Flüchtlingssituation . Wir müssen den Menschen, diezu uns kommen, humanitäre Unterstützung zuteilwerdenlassen . Dass wir uns dieser Aufgabe stellen müssen, das istunbestritten . Wir werden auch die entsprechenden Finanz-mittel bereitstellen .Dabei geht es nicht immer nur um Finanzmittel, son-dern es müssen alle zusammenwirken: der Bund, die Län-der und die Kommunen gemeinsam . Denn nicht nur derBund hat starke Aufwüchse bei den Steuereinnahmen zuverzeichnen, sondern auch die Länder und Kommunen .Daher müssen die Lasten gerecht verteilt werden .Die längerfristigen Lasten werden wohl nicht die Län-der, sondern der Bund tragen müssen . Wir wissen, dassvon den Asylbewerbern, die bereits drei Jahre bei uns sind,nur 11 Prozent in sozialversicherungspflichtiger Beschäfti-gung sind . Das macht sehr deutlich, was das für die Sozi-alhaushalte bedeutet .
Die Situation hinsichtlich der Integration in den Ar-beitsmarkt wird bei den neu hinzugekommenen Flücht-lingen genauso sein . Eine Umfrage der Bundesagentur fürArbeit hat ergeben, dass derzeit nur 10 Prozent der Neu-ankömmlinge für unseren Arbeitsmarkt geeignet sind . Da-mit will ich verdeutlichen, welche große Aufgabe, die wirgemeinsam bewältigen müssen, letztendlich vor uns liegt .
Wir können die gewaltigen Herausforderungen, dieuns hier beschäftigen, bewältigen . Aber dafür müssen dieMinisterien zusammenwirken . Lassen Sie mich in diesemZusammenhang klarstellen, Herr Kollege Claus: Bundes-minister Schäuble hat nicht davon gesprochen, dass andereAufgaben untergeordnet werden . Vielmehr hat Bundes-minister Schäuble davon gesprochen, dass die Aufgabenentsprechend eingeordnet werden müssen . Das gilt auchin Bezug auf die Integrationsaufgaben und -leistungen imBMAS-Haushalt und in vielen anderen Bereichen, zumBeispiel in der Sprachbildung usw . Es geht darum, dieAufgaben einzufügen, nicht darum, irgendwelche Aufga-ben anderen Aufgaben unterzuordnen . Wir stellen uns die-ser Herausforderung, und wir werden sie auch bewältigen .Verehrte Kolleginnen und Kollegen, wir werden unsbei der Verwendung der Mittel, die uns aufgrund unse-rer guten Haushaltslage zur Verfügung stehen, aber nichtnur darauf beschränken, die aktuellen Herausforderungenzu meistern . Kollege Berghegger und auch der Bundes-finanzminister haben darauf hingewiesen, dass wir auchdie Bürgerinnen und Bürger entlasten: durch die Erhöhungdes Grundfreibetrages, den Abbau der kalten Progression,die Erhöhung des Kindergeldes und – auch wenn Sie daskritisieren, Herr Kollege Claus – die Anhebung des Hartz-IV-Satzes . Hier werden hohe Summen bewegt . Das gelingtuns nur, weil wir eine gute wirtschaftliche Situation haben .
Deshalb kommt es sehr entscheidend darauf an, dass wirdie wirtschaftlichen Rahmenbedingungen auch weiterhinverstärken .Herr Kollege Kahrs, Sie haben mit großen Worten dieGrundlagen gelobt, die Gerhard Schröder gelegt hat . Ichmöchte mich nicht so zurückhalten wie Bundesfinanzmi-nister Schäuble . Aber ich möchte daran erinnern: Damalshatten wir 26 Millionen sozialversicherungspflichtige Be-schäftigungsverhältnisse, heute haben wir fast 30 Millio-nen sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhält-nisse .
SvenChristian Kindler
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Unter Rot-Grün hatten wir damals 5 Millionen Arbeitslo-se, jetzt haben wir 2,8 Millionen Arbeitslose . Das ist derErfolg der ersten Großen Koalition . Sie haben damals imWahlkampf gesagt, dass Steuererhöhungen Gift seien .Aber mit der Erhöhung der Mehrwertsteuer haben wireine Grundlage geschaffen . Gleichzeitig haben wir dieWirtschaft in anderen Bereichen entlastet . Darüber hinaushaben wir Rahmenbedingungen verbessert . Damit habenwir für ein wesentlich stärkeres Wirtschaftswachstum ge-sorgt . Dieses wirtschaftliche Wachstum ist die Grundlagefür diesen Haushaltsentwurf . Es versetzt uns in die Lage,die Probleme, die wir jetzt in finanzpolitischer Hinsichtzu bewältigen haben, schultern zu können . Ich möchtevor allen Dingen der Koalition aus CDU/CSU und FDPbescheinigen, für eine gute Grundlage gesorgt zu haben,und daran erinnern, dass wir in 2009 auch noch eine großeFinanzkrise mit dem damit verbundenen wirtschaftlichenRückgang zu bewältigen hatten . Die Grundlagen hat alsodie bürgerliche Koalition gelegt . Diese Grundlagen wollenwir jetzt durch gemeinsame Arbeit verbessern und erwei-tern . Ich bin überzeugt, dass uns dies gelingen wird .
Ich möchte auf zwei wirtschaftliche Rahmenbedingun-gen hinweisen, die für uns wichtig sind:Erstens . Wir haben – die Debatte verlief vor allen Din-gen in unserer Fraktion zum Teil streitig – ein drittes Hilf-spaket für Griechenland verabschiedet . Ich glaube, dassdas nötig war, damit es nicht zu finanzpolitischen Turbu-lenzen auf der Welt kommt . Man muss sich einmal vorstel-len, was wäre, wenn zu der derzeitigen Situation in Chinaauch noch Turbulenzen in Europa kämen, welchen Nie-derschlag das auf die wirtschaftlichen Entwicklungen hät-te . Das wollen wir uns lieber nicht ausmalen . Deshalb wardiese Entscheidung meines Erachtens trotz aller Schwie-rigkeiten, die damit verbunden sind – dabei geht es auchum das Vertrauen, dass wir in die zukünftige EntwicklungGriechenlands haben –, richtig . Sie ist Grundlage dafür,dass wir hier einen stabilen Haushalt für 2016 werden ver-abschieden können .
Zweitens . Bei allem geht es immer auch um die Ge-staltung der Zukunft . Ich bin überzeugt, dass wir uns beiden Diskussionen über das Freihandelsabkommen TTIPdaran erinnern sollten, dass unsere Arbeitsplätze und un-ser Wohlstand von den Exportmöglichkeiten unserer Wirt-schaft abhängig sind . 50 Prozent der bei uns erwirtschaf-teten Dienstleistungen und Güter gehen in den Export .Deshalb ist Deutschland in besonderem Maße auf freieMärkte, bessere Zugänge und gleiche Wettbewerbsbedin-gungen angewiesen . Mit dem Abschluss von TTIP schaf-fen wir eine gute Grundlage dafür . Ich danke ausdrücklichdem Bundeswirtschaftsminister für sein offensives Eintre-ten in der Sache .
Ich glaube, für die Zukunft unserer Bürgerinnen und Bür-ger, insbesondere unserer Jugend, ist entscheidend, dasswir viele Arbeitsplätze haben und weiterhin wirtschaftlicherfolgreich sind . So können wir für unsere Bürgerinnenund Bürger in hohem Maße soziale Sicherheit gewähr-leisten . Das spiegelt sich auch in diesem Haushaltsent-wurf wider, da 50 Prozent der Haushaltsmittel in sozialeLeistungen für die Bürgerinnen und Bürger fließen. Das istmeines Erachtens ein wichtiger Bestandteil .Da ich gerade bei den sozialen Leistungen bin, möchteich Folgendes sagen: In diesen Tagen, in denen über dieEinzelpläne diskutiert wird, haben Einzelne, auch aus denReihen unseres Koalitionspartners, Vorschläge unterbrei-tet, wie die für das Betreuungsgeld vorgesehenen Mittelausgegeben werden könnten, am besten gleich drei- oderviermal .
Ich möchte daran erinnern, dass wir für das nächste unddas übernächste Jahr einen Haushaltsansatz für das Be-treuungsgeld benötigen, weil die Finanzierung zugesi-chert wurde . Das heißt, 650 Millionen Euro werden fürdas nächste Jahr vorgesehen und 350 Millionen Euro für2017 . Ich möchte vermerken, dass wir das Betreuungsgeldbisher über eine globale Minderausgabe finanziert haben.Diese globale Minderausgabe haben wir jetzt aufgelöst . Esgibt also überhaupt keinen großen Spielraum für zusätzli-che Ausgaben. Die Auflösung der Finanzierung über dieglobale Minderausgabe bedeutet, dass die in den Berei-chen Verteidigung, Forschung und Verkehr notwendigenInvestitionen zusätzlich abgesichert sind .
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit .
Vielen Dank . – Als nächster Redner hat Dr . Hans-Ulrich
Krüger von der SPD-Fraktion das Wort .
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Als eine der wesentlichen Erkenntnisse dieserHaushaltswoche ist festzustellen: Trotz aller humanitärenund finanziellen Herausforderungen werden wir voraus-sichtlich auch in diesem Jahr keine neuen Schulden auf-nehmen und einen ausgeglichenen Haushalt haben . Das isteine beachtliche Leistung, die durch harte Arbeit und denWillen geprägt ist, die positive Entwicklung der letztenJahre fortzusetzen . Die Koalition hat damit ihre Hausauf-gaben gemacht und leistet einen Beitrag zur Generationen-gerechtigkeit .Fairerweise muss man allerdings auch sagen, dass ent-scheidende Vorbedingungen für die schwarze Null nebender guten Konjunktur die seit mehreren Jahren anhaltendeabsolute Niedrigzinsphase ist . Es werden beispielswei-se aktuell 17 Milliarden Euro weniger für Zinsen veran-schlagt, als es auf dem Höhepunkt der Finanzmarktkriseim Jahr 2008 noch der Fall war . Das müssen wir als Par-Max Straubinger
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lamentarier, bei aller Bescheidenheit – Adam Riese lässtgrüßen –, konstatieren .Gott sei Dank ist die Ausgangslage, die wir jetzt sehen,nach wie vor günstig . Die Exporte legen weiter zu . DieBinnennachfrage trägt wesentlich zum Wirtschaftswachs-tum bei . Das hat vor allem damit zu tun, dass viele Haus-halte mehr Einkommen zur Verfügung haben . Auch das isteine Auswirkung des endlich eingeführten Mindestlohns,den die SPD durchgesetzt und durch den es eben keineVerdrängungseffekte gegeben hat . Der Mindestlohn ist da-mit aus meiner Sicht die größte und gerechteste Lohnerhö-hung, die wir seit langer Zeit hatten .
Insgesamt tragen gute Beschäftigungszahlen, steigendeEinkommen und eine Entlastung durch niedrige Energie-preise zu der gesteigerten Kaufkraft der privaten Haus-halte bei . Mit anderen Worten: Der überwiegenden Zahlder Menschen in Deutschland geht es gut oder ordentlich .Das zeigen auch die Steuereinnahmen: Bund, Länder undKommunen nahmen im Juli 2015 insgesamt 8,6 Prozentmehr Steuern ein als im Vormonat . Im Juli bedeutete dieseSumme genau 49 Milliarden Euro und in den ersten siebenMonaten 349 Milliarden Euro, das heißt 5,9 Prozent mehrals im entsprechenden Vorjahreszeitraum .Das geht aber nur, weil die Auftragsbücher der Industrievoll sind, die Arbeitsmarktlage ordentlich ist und wir dieHoffnung haben dürfen – weil das so ist; trotz Griechen-land-Krise bzw . chinesischer Turbulenzen –, einen positi-ven Wachstumstrend beizubehalten . Insofern bin ich op-timistisch, dass die schwarze Null gehalten werden kann,obwohl uns große Herausforderungen abverlangt werden .Dieser Haushaltsentwurf wird – dies klang eben bereitsan –, wie es Carsten Schneider, unser Kollege, am Diens-tag gesagt hat, nach den Haushaltsberatungen definitiv, al-lein schon wegen der Kosten für die Flüchtlinge, bei wei-tem nicht mehr so aussehen, wie er eingebracht worden ist .Europa und Deutschland sind von dem Schicksal derMenschen betroffen, die bei uns Schutz und Sicherheitvor Krieg, Verfolgung oder Not suchen . Wahrscheinlichwerden in Deutschland in diesem Jahr 800 000 Menschenoder mehr aus Krisenländern auf gefährlichen Wegen zuuns kommen. Häufig haben sie nicht mehr als das nackteLeben bei sich .Die Menschen in unserem Land heißen diese Flücht-linge willkommen und versuchen, mit einer großen Wel-le der Hilfsbereitschaft so gut zu helfen, wie es nur geht .Die Bilder in den Medien zeigen es, und wir wissen es:Diese Menschen benötigen vernünftige Unterkünfte, Klei-dung, Nahrung und vor allem eine Perspektive . Dies kostetGeld – viel Geld, meine Damen und Herren .Von daher begrüße ich natürlich, dass der Koalitions-ausschuss bereits 6 Milliarden Euro zur Verfügung stellt,von denen 3 Milliarden Euro als Unterstützung für Länderund Kommunen vorgesehen sind; denn sie, die Kommu-nen und die Länder, tragen die Hauptlast bei der Aufnah-me und Versorgung der Flüchtlinge .Es ist aber gut möglich – mit diesem Gedanken soll-ten wir uns durchaus anfreunden –, dass wir uns aufgrundder Prognosen über weitere Kosten über Steigerungen un-terhalten müssen . Von daher bin ich mir bei weitem nichtsicher, ob wir mit den 6 Milliarden Euro wirklich auskom-men . Hier hilft kein noch so effektives Top-down-Verfah-ren, bei dem eine Pauschalsumme festgesetzt wird, die esdann umzuverteilen gilt . Hier bestimmt lediglich die nack-te Zahl der Ankömmlinge die Kosten . Das Einzige, überdas man sich dann streiten kann, ist die Frage, ob man proFlüchtling 10 000, 11 000 oder 12 000 Euro pro Jahr anset-zen muss . Es ist dann unsere Aufgabe als Haushälter, diesauch abzubilden .Natürlich unterstützen wir auch die Länder und Kom-munen beim Ausbau von gut 150 000 winterfesten Plät-zen in Erstaufnahmeeinrichtungen . Wir alle wissen: Be-reits seit dem 1 . Januar ist es möglich, dass Kommunensämtliche freien und verfügbaren Bundesliegenschaften,also Gebäude sowie Freiflächen, mietzinsfrei bekommenkönnen, wenn sie zum Zwecke der Unterbringung vonFlüchtlingen und Asylbewerbern genutzt werden . DieseBereitstellung von Bundesliegenschaften wird auch ge-nutzt, und zwar aktuell in Form von 37 000 Unterkunfts-plätzen . Zusätzlich werden wir auch noch – die BImA be-teiligt sich – Geld für die Herrichtung, Renovierung etc .entsprechender Unterkünfte zur Verfügung stellen, damitdie Kommunen dadurch nicht vor unlösbare Aufgaben ge-stellt werden .
Last, not least . Bei dieser gemeinsamen Anstrengunggehen wir sogar so weit, dass entbehrliche Kasernenplätzevorübergehend als Notunterkünfte mit einbezogen wer-den . Das heißt also, wir tun hier alles . Dazu gehört auch,dass auf Anregung und Antrag der SPD 3 000 Stellen beider Bundespolizei neu geschaffen worden sind . Ich begrü-ße es durchaus, dass man sagt: Bis diese Stellen besetztsind, soll, um eine effiziente Kontrolle und effizientes Ar-beiten zu ermöglichen, der Zoll zwischenzeitlich kurzfris-tig einspringen . Das ist richtig . Aber das darf – ich denke,da sind wir hier im Hohen Haus ein und derselben Mei-nung – nicht grundsätzlich dazu führen, dass die Kontrolleder Schwarzarbeit und die Kontrolle der Einhaltung desMindestlohns auf der Strecke bleiben .
Darauf müssen wir ein waches Auge werfen .
Damit die Flüchtlinge überhaupt eine Zukunft habenund ihre Einbindung in die Gesellschaft gelingt, müssenwir von den Ländern natürlich auch entsprechende Inte-grationsschritte verlangen, das heißt Sprachkurse, Lehre-rinnen und Lehrer sowie zusätzliche Kitaplätze . Das allessteht auf unserer Agenda .In diesem Zusammenhang – es klang schon einmalkurz an – gibt es noch ein weiteres Thema, das, denke ich,stärker beachtet werden muss als in der Vergangenheit,nämlich die Fragen des sozialen Wohnungsbaus, und zwarnicht nur für Flüchtlinge, sondern für alle Menschen, diesich mit steigenden Mieten herumschlagen müssen undDr. HansUlrich Krüger
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insbesondere in Ballungszentren Schwierigkeiten haben,zu vertretbarem Entgelt einen Mietvertrag abschließenzu können . Das heißt, wir als Bund müssen – der Koali-tionsausschuss hat Entsprechendes niedergelegt – in dennächsten Wochen eine Lösung dafür finden, dass nichtnur Konversionsliegenschaften, sondern auch allgemeineLiegenschaften in Bundeseigentum Ländern, Kommunenund kommunalen Wohnungsbaugesellschaften zu einemverbilligten Tarif angeboten werden können, damit un-bürokratisch und schnell preiswerte Wohnungen auf an-gespannten Märkten angeboten werden können . Ich kannmir im Rahmen dieser Überlegungen auch vorstellen – ichspreche da insbesondere die Finanzpolitiker an –, das The-ma „steuerliche Anreizmomente und –instrumente“ ver-stärkt in den Blick zu nehmen .Das sind große Herausforderungen, die, wie es derBundesfinanzminister eben zu Recht sagte, absolute Pri-orität genießen . Sie dürfen aber nicht vergessen machen,dass wir neben diesem prioritären Projekt – adäquateUnterbringung und Versorgung der zu uns kommendenMenschen – auch die Pflicht haben, die Kosten von Inves-titionen in Bildung, Verkehrsinfrastruktur und Forschungim Sinne einer funktionierenden Gesellschaft aufrechtzu-erhalten . Daher begrüße ich die Investitionssteigerung desBundes im Haushalt 2016 gegenüber dem Nachtrag 2015und natürlich die Tatsache – das sollte man sich auch nocheinmal in Erinnerung rufen –, dass seit Juni 2015 das mit3,5 Milliarden Euro dotierte Kommunalinvestitionsförde-rungsgesetz in Kraft ist . Dadurch gewährt der Bund denLändern die Möglichkeit zu Finanzhilfen bei der Förde-rung finanzschwacher Kommunen.Das alles ist gut . Wenn wir das in den künftigen Bera-tungen beachten und die Eckdaten nicht außer Acht lassen,dann bin ich zuversichtlich, dass wir zum Ende des Jah-res dem Steuerzahler hier etwas Vernünftiges präsentierenkönnen, nämlich einen ausgeglichenen Haushalt, der sozi-ale Aspekte in vollem Umfange berücksichtigt .Ich danke Ihnen .
Vielen Dank . – Als letzter Redner in dieser Debatte hat
Carsten Körber von der CDU/CSU-Fraktion das Wort .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrtenDamen und Herren! 60 Millionen Menschen sind derzeitweltweit auf der Flucht, so viele wie seit dem ZweitenWeltkrieg nicht mehr . Die meisten, zwei Drittel davon,sind Binnenflüchtlinge in Nahost und Afrika. Aber wir er-leben derzeit: Viele flüchten auch nach Europa, allerdingsnur die mobilsten und die, die es sich leisten können, ei-nem Schlepper 1 000 Euro oder mehr zu bezahlen . Die,denen es am schlechtesten geht, schaffen häufig nicht ein-mal den Weg in die Nähe Europas .Dennoch kommen derzeit Zigtausende gerade auchnach Deutschland . Seit Wochen bestimmt die Welle derFlüchtlinge aus Syrien, Irak, Afghanistan, Afrika unddem Westbalkan die Nachrichtenlage . Wir sehen, dass dieFlüchtlinge im Moment mit offenen Armen empfangenwerden – noch . Es werden auch weiterhin Flüchtlinge zuuns kommen, ob wir es wollen oder nicht . Sie machen sicheinfach auf den Weg zu uns .Ich habe den Eindruck, dass in unserer Republik der-zeit viel Gutes geschieht . Bewahren wir uns diesen Elan!Wir werden diese Herausforderung nur gemeinsam meis-tern, wir alle zusammen; denn wir müssen sie meistern .Wir müssen begreifen, dass diese Situation noch Jahreandauern wird . Es werden noch mehr Menschen zu unskommen, etwa wenn Familien aus Syrien nachgeholt wer-den, auch dann noch, wenn schon lange niemand mehr mitLuftballons und Bonbons am Bahnhof steht und die Eu-phorie dieser Tage vielleicht auch mancher Ernüchterunggewichen ist .Es muss uns auch klar sein, dass nicht wir allein je-des Jahr mehrere 100 000 Menschen werden aufnehmenund vor allem erfolgreich werden integrieren können .Hier kann der Blick durch die rosarote „Na, das klapptschon“-Brille durchaus blauäugig, ja geradezu unverant-wortlich sein . Deutschland ist ein starkes Land . Deutsch-land bietet Menschen, die vor Krieg, Terror und Verfolgungfliehen, Schutz. Nicht ohne Grund ist das Recht auf Asyl inDeutschland ein grundgesetzlich garantiertes Recht .Wir als Nation haben schon mehrfach große Flücht-lingswellen erlebt . Wie viele Flüchtlinge aus Ostpreußenund Schlesien hat nach dem Zweiten Weltkrieg das damalsbitterarme Deutschland erfolgreich integriert? Natürlichist die Situation nicht ganz vergleichbar, weil die Men-schen, um die es damals ging, Vertriebene aus den deut-schen Ostgebieten waren und sie zu unserem Land undzu unserer Kultur gehörten . Wie viele waren in der DDRselbst Flüchtlinge oder wären es zumindest geworden,wenn die Mauer nicht so plötzlich gefallen wäre? All dassollten wir nicht vergessen und es gerade jenen sagen, dieheute auf der Straße schon den Untergang des christlichenAbendlandes herbeischreien .Heute ist Deutschland ein reiches Land . Die Mensch-lichkeit gebietet, die wirklich Schutzbedürftigen hier auf-zunehmen und ihnen ein würdiges Dasein zu ermöglichen .Diejenigen, die mit Hass und Gewalt gegen Schutzsuchen-de vorgehen, stehen mit ihrem Verhalten außerhalb unsererRechts- und Werteordnung . Sie sollten sich schämen, sichso gegenüber Schwächeren und Hilflosen zu verhalten.Das sage ich ganz bewusst auch als Sachse .
- Als Sachse .
Aber das Asylrecht hat natürlich auch seine Grenzen .Es ist notwendig, diejenigen schneller und konsequenterin ihre Heimat zurückzuschicken, die hier offensichtlichkeinen Anspruch auf Asyl haben . Wer nicht verfolgt wird,sondern auf ein besseres Leben bei uns hofft, für denist unser Asylrecht nicht gemacht . Aus wirtschaftlichenGründen zu uns zu kommen, ist menschlich verständlichund absolut nachvollziehbar . Viele von uns würden in ei-ner vergleichbaren Situation sicher genauso handeln . AberArmut ist kein Asylgrund . Abgelehnte Bewerber müssenDr. HansUlrich Krüger
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schnell in ihre Heimat zurückgeführt werden; denn wiralle stehen vor großen Herausforderungen . Dieses Themahat ja die in dieser Woche von uns geführte Haushaltsde-batte ganz maßgeblich bestimmt .Vor diesem Hintergrund ist der Haushalt 2016 keinganz normaler Haushalt wie jeder andere . Lassen Sie michdazu eine grundlegende Anmerkung machen – der Bun-desfinanzminister hat es eben schon deutlich gemacht –:Erst die Haushaltskonsolidierung der vergangenen Jahrehat die Voraussetzungen für den Handlungsspielraum vonheute geschaffen . Meine lieben Kollegen von der Opposi-tion, ich weiß, Sie hätten es niemals für möglich gehalten,aber nun müssen auch Sie es einsehen: Eine schwarze Nullhat auch ihr Gutes .
Es gilt: Das Thema Asyl hat absolute Priorität . Wir wer-den alle erforderlichen Mittel bereitstellen, um den Men-schen, die mit Anspruch auf Asyl zu uns kommen, denbestmöglichen Start in Deutschland zu ermöglichen, undwir wollen dies ohne neue Schulden und ohne Steuerer-höhung .Eines der wichtigsten, eines der entscheidenden Funda-mente Europas ist Humanität . Die Achtung der Würde desanderen ist eine wesentliche Säule unseres Menschenbil-des . Sie ist eines der konstituierenden Elemente Europas .Wir müssen unseren Werten treu bleiben, umso mehr inZeiten der Krise . Unser Agieren, auch und gerade für die-sen Haushalt 2016, steht unter dieser Prämisse . Wie wir esin Deutschland mit Sicherheit nicht machen werden, zei-gen derzeit leider andere Staaten, seien es osteuropäischeNachbarn oder vermeintliche Bruderstaaten der Krisenlän-der . Unterstützung sieht aus meiner Sicht weder so aus,dass man in Deutschland 200 Moscheen baut, noch so,dass man Terrororganisationen wie den IS mitfinanziert.Als Europäer müssen wir jetzt begreifen: Wenn wirEuropa als politische Idee nicht überflüssig machen wol-len, dann müssen wir handeln: klug, vorausschauend undvor allem schnell . Zu Beginn meiner Rede stellte ich fest:Dieser Haushalt 2016 ist wegen der Asylproblematik keinHaushalt wie jeder andere .Aber es gibt noch einen weiteren, beinahe schon histori-schen Grund, warum das so ist: Am Montag dieser Woche,lieber Martin Gerster, fand das erste Berichterstatterge-spräch zum neuen Einzelplan der Bundesdatenschutzbe-auftragten statt . Datenschutz und Informationsfreiheit sindin unserer technikbasierten Wissensgesellschaft von her-ausragender und stark zunehmender Bedeutung . Deshalbschaffen wir dafür ab dem 1 . Januar 2016 eine neue, unab-hängige oberste Bundesbehörde .Ich wünsche der neuen Präsidentin Andrea Voßhoff undihrem Team viel Erfolg und einen guten Start . Wir werdensie als Bundestag dabei nach Kräften unterstützen .Vielen Dank .
Vielen Dank . – Ich schließe die Aussprache .
Ich bedanke mich bei den Kolleginnen und Kollegen
aus dem Haushaltausschuss für das, was sie nicht nur in
dieser Woche hinbekommen haben, und komme jetzt zu
den Beschlüssen, die wir noch fassen müssen .
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den
Drucksachen 18/5500 und 18/5501 an den Haushaltsaus-
schuss vorgeschlagen . Sind Sie damit einverstanden? –
Davon gehe ich aus . Das ist auch so . Dann sind die Über-
weisungen so beschlossen .
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesord-
nung .
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes-
tages auf Mittwoch, den 23 . September 2015, 13 Uhr, ein .
Die Sitzung ist geschlossen . Ihnen allen hoffentlich zu-
mindest ein wenig Erholung am Wochenende!