Protokoll:
17038

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 17

  • date_rangeSitzungsnummer: 38

  • date_rangeDatum: 23. April 2010

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  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 13:31 Uhr

  • account_circleMdBs dieser Rede
  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 17/38 Glückwünsche zum Geburtstag der Abgeord- neten Dr. Maria Böhmer . . . . . . . . . . . . . . . . Zusatztagesordnungspunkt 6: Abgabe einer Regierungserklärung durch den Bundesminister für Wirtschaft und Technolo- gie: Eine Wirtschaftspolitik für Wachstum und Arbeitsplätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rainer Brüderle, Bundesminister BMWi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Frank-Walter Steinmeier (SPD) . . . . . . . . Dr. Ursula von der Leyen, Bundesministerin BMAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hubertus Heil (Peine) (SPD) . . . . . . . . . . . (Drucksache 17/1408) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Andrea Nahles (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gitta Connemann (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Michael Schlecht (DIE LINKE) . . . . . . . . Werner Dreibus (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . Sebastian Blumenthal (FDP) . . . . . . . . . . . . . Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Willi Zylajew (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Anton Schaaf (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Peter Röhlinger (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . Max Straubinger (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 3663 B 3663 C 3663 D 3667 B 3670 A 3671 C 3683 B 3683 C 3685 A 3686 C 3687 B 3689 B 3690 A 3692 A 3693 B 3695 B 3696 D Deutscher B Stenografisc 38. Sit Berlin, Freitag, de I n h a Wahl der Abgeordneten Jens Spahn und Bärbel Bas in den Stiftungsrat der Stiftung „Humanitäre Hilfe für durch Blutprodukte HIV-infizierte Personen“ . . . . . . . . . . . . . . . Wahl des Abgeordneten Frank Schäffler als ordentliches Mitglied und des Abgeordneten Björn Sänger als stellvertretendes Mitglied im Verwaltungsrat bei der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht . . . . . . . . Wahl des Abgeordneten Michael Grosse- Brömer zum ordentlichen Mitglied im Wahl- prüfungsausschuss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wahl des Abgeordneten Andreas G. Lämmel als ordentliches Mitglied im Beirat bei der Bundesnetzagentur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3663 A 3663 B 3663 B 3663 B Klaus Ernst (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Heinrich L. Kolb (FDP) . . . . . . . . . . . . . . 3673 D 3675 B undestag her Bericht zung n 23. April 2010 l t : Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Joachim Pfeiffer (CDU/CSU) . . . . . . . . . Klaus Ernst (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Michael Schlecht (DIE LINKE) . . . . . . . . Johannes Vogel (Lüdenscheid) (FDP) . . . . . . Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 25: Antrag der Abgeordneten Anette Kramme, Gabriele Hiller-Ohm, Iris Gleicke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Ge- setzlichen Mindestlohn einführen – Armuts- löhne verhindern 3676 D 3678 C 3679 B 3680 A 3680 D 3682 A Anton Schaaf (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Gabriele Molitor (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . Lucia Puttrich (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . 3697 D 3698 C 3699 B II Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 38. Sitzung. Berlin, Freitag, den 23. April 2010 Tagesordnungspunkt 26: b) Antrag der Abgeordneten Ulla Lötzer, Dr. Barbara Höll, Eva Bulling-Schröter weite- rer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Opel – Zukunftsfähige Arbeits- plätze statt Standortwettlauf (Drucksache 17/1404) . . . . . . . . . . . . . . . . a) Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Wirtschaft und Technologie – zu dem Antrag der Abgeordneten Garrelt Duin, Hubertus Heil (Peine), Doris Barnett, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Für eine Politik der wirtschaftlichen Vernunft – Nach- haltiges Wachstum und mehr Be- schäftigung schaffen – zu dem Antrag der Abgeordneten Ulla Lötzer, Dr. Barbara Höll, Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Zukunfts- programm für 2 Millionen Arbeits- plätze (Drucksachen 17/521, 17/470, 17/873) . . . . Ulla Lötzer (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . Kerstin Andreae (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 27: Antrag der Abgeordneten Ingrid Nestle, Oliver Krischer, Fritz Kuhn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN: Energieeffizienzgesetz unverzüglich vorlegen (Drucksache 17/1027) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ingrid Nestle (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Thomas Bareiß (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Rolf Hempelmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Klaus Breil (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dorothée Menzner (DIE LINKE) . . . . . . . . . Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Torsten Staffeldt (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3700 C 3700 D 3701 A 0000 A 3707 B 3708 D 3709 C 3710 D 3712 A 3712 D 3713 C 3714 C 3715 C Ernst Hinsken (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Garrelt Duin (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ernst Hinsken (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Paul K. Friedhoff (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . 3701 D 3703 D 3704 B 3705 C Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . Anlage 2 Amtliche Mitteilungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3717 A 3717 D Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 38. Sitzung. Berlin, Freitag, den 23. April 2010 3663 (A) (C) (D)(B) 38. Sit Berlin, Freitag, de Beginn: 9
  • folderAnlagen
    Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 38. Sitzung. Berlin, Freitag, den 23. April 2010 3717 (A) (C) (D)(B) – Gesetz zur Umsetzung steuerlicher EU-Vorgaben sowie zur Änderung steuerlicher VorschriftenNietan, Dietmar SPD 23.04.2010 Milchviehhalter sowie zur Änderung anderer Ge- setze (Sozialversicherungs-Stabilisierungsgesetz – SozVersStabG) Mißfelder, Philipp CDU/CSU 23.04.2010 Mortler, Marlene CDU/CSU 23.04.2010 Dr. Mützenich, Rolf SPD 23.04.2010 Anlage 1 Liste der entschuldi Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Binder, Karin DIE LINKE 23.04.2010 Burkert, Martin SPD 23.04.2010 Dörmann, Martin SPD 23.04.2010 Frankenhauser, Herbert CDU/CSU 23.04.2010 Freitag, Dagmar SPD 23.04.2010 Dr. Geisen, Edmund Peter FDP 23.04.2010 Göring-Eckardt, Katrin BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 23.04.2010 Gröhe, Hermann CDU/CSU 23.04.2010 Günther (Plauen), Joachim FDP 23.04.2010 Herrmann, Jürgen CDU/CSU 23.04.2010 Höhn, Bärbel BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 23.04.2010 Humme, Christel SPD 23.04.2010 Kolbe, Daniela SPD 23.04.2010 Kopp, Gudrun FDP 23.04.2010 Korte, Jan DIE LINKE 23.04.2010 Krischer, Oliver BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 23.04.2010 Kumpf, Ute SPD 23.04.2010 Dr. Lindner (Berlin), Martin FDP 23.04.2010 Lutze, Thomas DIE LINKE 23.04.2010 Mast, Katja SPD 23.04.2010 Dr. Miersch, Matthias SPD 23.04.2010 Anlagen zum Stenografischen Bericht gten Abgeordneten Anlage 2 Amtliche Mitteilungen Der Bundesrat hat in seiner 868. Sitzung am 26. März 2010 beschlossen, den nachstehenden Gesetzen zuzu- stimmen bzw. einen Antrag gemäß Artikel 77 Absatz 2 des Grundgesetzes nicht zu stellen: – Erstes Gesetz zur Änderung des Direktzahlun- gen-Verpflichtungengesetzes – Gesetz zur Stabilisierung der Finanzlage der So- zialversicherungssysteme und zur Einführung eines Sonderprogramms mit Maßnahmen für Dr. Ott, Hermann BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 23.04.2010 Ploetz, Yvonne DIE LINKE 23.04.2010 Dr. Raabe, Sascha SPD 23.04.2010 Riegert, Klaus CDU/CSU 23.04.2010 Dr. Schäuble, Wolfgang CDU/CSU 23.04.2010 Schwartze, Stefan SPD 23.04.2010 Skudelny, Judith FDP 23.04.2010 Steinbach, Erika CDU/CSU 23.04.2010 Steinbrück, Peer SPD 23.04.2010 Dr. Volkmer, Marlies SPD 23.04.2010 Weinberg, Harald DIE LINKE 23.04.2010 Dr. Westerwelle, Guido FDP 23.04.2010 Dr. Wiefelspütz, Dieter SPD 23.04.2010 Winkler, Josef Philip BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 23.04.2010 Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich 3718 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 38. Sitzung. Berlin, Freitag, den 23. April 2010 (A) (C) (D)(B) – Gesetz zum Vertrag über die Errichtung des IT- Planungsrats und über die Grundlagen der Zusammenarbeit beim Einsatz der Informa- tionstechnologie in den Verwaltungen von Bund und Ländern – Vertrag zur Ausführung von Arti- kel 91c GG – Gesetz zu dem Übereinkommen Nr. 187 der Inter- nationalen Arbeitsorganisation vom 15. Juni 2006 über den Förderungsrahmen für den Arbeits- schutz – Gesetz über die Feststellung des Bundeshaus- haltsplans für das Haushaltsjahr 2010 (Haus- haltsgesetz 2010) – Entschließung des Bundesrates zur geplanten Kürzung bei der Solarförderung Der Bundesrat hat ferner folgende Entschließung ge- fasst: 1. Die erneuerbaren Energien sind eine tragende Säule für eine unabhängige und nachhaltige Energieversor- gung der Zukunft. Mit dem Erneuerbare-Energien- Gesetz (EEG) besteht seit nunmehr zehn Jahren ein geeignetes und flexibles Instrument, um den Ausbau zu fördern, geeignete Innovationsimpulse zu setzen und den Anteil der erneuerbaren Energien an der Energieversorgung kontinuierlich zu steigern. 2. In den vergangenen Jahren konnte sich in Deutsch- land im Bereich der erneuerbaren Energien eine wettbewerbsfähige und innovative Branche entwi- ckeln, die zahlreiche Arbeitsplätze geschaffen hat. Diese wirtschaftliche Entwicklung gilt es zu stärken. 3. Das EEG hat Innovationen und Arbeitsplätze in einer breiten Wertschöpfungskette von Entwicklung, über Produktion bis hin zum Installationsgewerbe beför- dert. Deutschland ist heute zum weltweiten Techno- logieführer in der Solarbranche geworden. Der Er- folg der Solarenergie basiert auf der Leistung vieler Akteure am Markt. 4. Die regelmäßige Anpassung der Vergütungssätze ist ein wesentliches Element des EEG. Es soll die tech- nische Weiterentwicklung der Technologien anregen und eine Überförderung verhindern. 5. Sinkende Preise für Solarmodule und damit einher- gehende steigende Renditen eröffnen derzeit einen zusätzlichen Spielraum für eine außerordentliche Absenkung der Vergütungssätze in diesem Bereich. Diese Einsparmöglichkeiten müssen gerade auch im Sinne der Stromkunden, die die Vergütungssätze über die Umlage finanzieren, genutzt werden. 6. Die Absenkung der Vergütungssätze muss allerdings derart ausgestaltet werden, dass Vertrauensschutztat- bestände gewahrt und neu zu installierende Photo- voltaik-Anlagen (PV-Anlagen) nicht unrentabel wer- den und ein dadurch einsetzender Markteinbruch bestehende wirtschaftliche Strukturen zerstört. 7. Der Bundesrat bittet deshalb den Deutschen Bundes- tag, die in dem Gesetzentwurf der Koalitionsfraktio- nen vorgeschlagene einmalige zusätzliche Absen- kung der Einspeisevergütung zum 1. Juli 2010 um 16 Prozent für Hausdachanlagen, 15 Prozent für An- lagen auf Freiflächen und 11 Prozent für Anlagen auf Konversionsflächen auf höchstens 10 Prozent für diese Anlagen zu begrenzen. Eine Einspeisevergü- tung entlang von Verkehrswegen sollte sich auf be- gleitende bauliche Anlagen sowie auf Einschnitts- und Dammböschungen beschränken. Eine zusätzli- che Absenkung um bis zu 10 Prozent trägt zum einen den gesunkenen Preisen für Solarmodule Rechnung und stellt gleichzeitig sicher, dass eine Photovoltaik- Produktion in Deutschland weiterhin wirtschaftlich darstellbar ist. Außerdem werden sachlich nicht ge- botene Differenzierungen zwischen den Anlagen- arten vermieden. 8. Der Bundesrat fordert die Bundesregierung auf, die weltweite Technologieführerschaft der deutschen Photovoltaik-Industrie nicht zu gefährden und weitere Technologievorsprünge in Deutschland zu ermögli- chen. Dazu gehört auch, dass durch eine verstärkte Forschungsförderung Technologieentwicklung und Innovationskraft und damit die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Solarbranche gestärkt werden. 9. Der Bundesrat bedauert, dass eine Beteiligung der Länder über den Bundesrat erst nach dem Gesetzes- beschluss des Deutschen Bundestages erfolgen kann. Angesichts der erheblichen Auswirkungen des Ge- setzentwurfs in den Ländern wäre eine frühzeitige und umfassende Beteiligung des Bundesrates wün- schenswert gewesen. Der Bundesrat bittet daher, die Länder im weiteren Gesetzgebungsverfahren intensiv zu beteiligen. Der Bundesrat bittet darüber hinaus, zügig für Klarheit hinsichtlich der näheren Ausgestaltung zu sorgen, um eine verlässliche Planungsgrundlage für die Marktteilnehmer zu bieten. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat mitgeteilt, dass sie den Antrag Beitrittsverhandlungen mit Island aufnehmen auf Drucksache 17/271 zurückzieht. Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, dass der Ausschuss gemäß § 80 Absatz 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu den nachstehenden Vorlagen absieht: Innenausschuss – Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Bundesregierung über den Stand der Ab- wicklung des Fonds für Wiedergutmachungsleistungen an jüdische Verfolgte – Stand 30. Juni 2009 – – Drucksache 16/14063 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 38. Sitzung. Berlin, Freitag, den 23. April 2010 3719 (A) (C) (D)(B) Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung – Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Bundesregierung über die Auswirkungen der neuen Lenk- und Ruhezeiten für das deutsche Omnibusgewerbe – Drucksache 16/13127 – – Unterrichtung durch die Bundesregierung Erfahrungsbericht der Bundesregierung über die Handhabung der erstinstanzlichen Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts nach dem Infrastruktur- planungsbeschleunigungsgesetz (Berichtszeitraum 17. Dezember 2006 bis 26. Januar 2009) – Drucksache 16/13571 – – Unterrichtung durch die Bundesregierung Drucksache 17/136 Nr. A.23 Ratsdokument 12985/09 Drucksache 17/136 Nr. A.24 Ratsdokument 12986/09 Drucksache 17/136 Nr. A.27 Ratsdokument 14700/09 Drucksache 17/592 Nr. A.1 EuB-EP 1990; P7_TA-PROV(2009)0090 Rechtsausschuss Drucksache 17/178 Nr. A.5 Ratsdokument 14800/09 Drucksache 17/504 Nr. A.14 Ratsdokument 16114/09 Drucksache 17/720 Nr. A.8 Ratsdokument 17703/09 Drucksache 17/720 Nr. A.9 Ratsdokument 17706/09 Bericht über Verkehrsverlagerungen auf das nachge- ordnete Straßennetz in Folge der Einführung der Lkw- Maut – Drucksache 16/13739 – – Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht über die Tätigkeit der Verkehrsinfrastruktur- finanzierungsgesellschaft im Jahr 2008 – Drucksache 16/14162 – Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden Unionsdokumente zur Kenntnis genommen oder von ei- ner Beratung abgesehen hat. Auswärtiger Ausschuss Drucksache 17/720 Nr. A.3 EuB-BReg 75/2010 Drucksache 17/859 Nr. A.1 EuB-EP 2000; P7_TA-PROV(2009)0111 Drucksache 17/859 Nr. A.2 EuB-EP 2003; P7_TA-PROV(2009)0118 Drucksache 17/975 Nr. A.1 Ratsdokument 5936/10 Innenausschuss Drucksache 17/136 Nr. A.16 EuB-EP 1973; P7_TA-PROV(2009)0016 Drucksache 17/136 Nr. A.21 Ratsdokument 11815/09 Drucksache 17/136 Nr. A.22 Ratsdokument 12167/09 Drucksache 17/720 Nr. A.10 Ratsdokument 17708/09 Drucksache 17/790 Nr. 1.10 Ratsdokument 12089/08 Finanzausschuss Drucksache 17/504 Nr. A.16 Ratsdokument 16990/1/09 REV 1 Drucksache 17/504 Nr. A.18 Ratsdokument 16989/09 Drucksache 17/975 Nr. A.2 Ratsdokument 6126/10 Ausschuss für Arbeit und Soziales Drucksache 17/592 Nr. A.4 Ratsdokument 5037/10 Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Drucksache 17/315 Nr. A.2 Ratsdokument 14360/09 Drucksache 17/315 Nr. A.3 Ratsdokument 14363/09 Drucksache 17/720 Nr. A.15 Ratsdokument 14365/09 Drucksache 17/1100 Nr. A.9 Ratsdokument 7359/10 Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Drucksache 17/504 Nr. A.24 Ratsdokument 17369/09 38. Sitzung Berlin, Freitag, den 23. April 2010 Inhalt: Redetext Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Anlage 2
Gesamtes Protokol
Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1703800000

Die Sitzung ist eröffnet.

Nehmen Sie bitte Platz. Guten Morgen, liebe Kolle-
ginnen und Kollegen!

Auf Vorschlag der CDU/CSU-Fraktion sollen der
Kollege Jens Spahn und auf Vorschlag der SPD-Frak-
tion die Kollegin Bärbel Bas in den Stiftungsrat der
Stiftung „Humanitäre Hilfe für durch Blutprodukte
HIV-infizierte Personen“ gewählt werden. Sind Sie mit
diesen Vorschlägen einverstanden? – Das ist der Fall.
Dann sind der Kollege Spahn und die Kollegin Bas ge-
wählt.

Die FDP-Fraktion schlägt als Nachfolger für den Kol-
legen Carl-Ludwig Thiele den Kollegen Frank
Schäffler als neues ordentliches Mitglied im Verwal-
tungsrat bei der Bundesanstalt für Finanzdienstleis-
tungsaufsicht vor. Neues stellvertretendes Mitglied soll
der Kollege Björn Sänger werden. Sind Sie auch damit
einverstanden? – Dem ist offenkundig so. Dann sind
auch diese beiden Kollegen gewählt.

Nachfolger der Kollegin Michaela Noll im Wahlprü-
fungsausschuss soll nach Mitteilung der Fraktion der

Rede
CDU/CSU der Kollege Michael Grosse-Brömer wer-
den. Können wir uns auch darauf verständigen? – Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist der Kollege Grosse-
Brömer zum ordentlichen Mitglied des Wahlprüfungs-
ausschusses gewählt.

Schließlich schlägt die Fraktion der CDU/CSU den
Kollegen Andreas G. Lämmel als Nachfolger für die
ausgeschiedene Kollegin Dr. Martina Krogmann als
neues ordentliches Mitglied im Beirat bei der Bundes-
netzagentur vor. Sind Sie damit einverstanden? – Auch
das ist offenkundig einvernehmlich. Dann ist der Kol-
lege in den Beirat gewählt.

Die Kollegin Dr. Maria Böhmer feiert
runden Geburtstag. Dazu möchte ich ihr im
ganzen Hauses herzlich gratulieren.


(Beifall)

zung

n 23. April 2010

.00 Uhr

Es lässt sich für solche informellen Geburtstagsveran-
staltungen schwerlich ein schönerer Platz als die Regie-
rungsbank denken. Auch unter diesem Gesichtspunkt
meine besondere Gratulation.

Nun können wir in unsere Tagesordnung eintreten.
Ich rufe den Zusatzpunkt 6 auf:

Abgabe einer Regierungserklärung durch den
Bundesminister für Wirtschaft und Technologie

Eine Wirtschaftspolitik für Wachstum und
Arbeitsplätze

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache im Anschluss an die Regierungserklärung
eine Stunde vorgesehen. – Dazu höre ich keinen Wider-
spruch. Dann ist das so beschlossen.

Das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung hat
der Bundesminister für Wirtschaft und Technologie,
Rainer Brüderle.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Rainer Brüderle, Bundesminister für Wirtschaft und
Technologie:

text
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Deutsch-
lands Wirtschaft wächst wieder, dieses Jahr mit knapp
1,5 Prozent, nächstes Jahr mit gut 1,5 Prozent. Der Vul-
kanausbruch auf Island hat die Wirtschaft kurzzeitig ab-
gebremst. Wenn sich die Lage im Laufe der nächsten
Tage wieder voll normalisiert hat, wird sich zeigen, dass
sich die volkswirtschaftlichen Schäden in Grenzen hal-
ten. Wir können zuversichtlich sein, dass wir diesen exo-
genen Schock, wie Ökonomen es nennen, gut wegste-
cken. Wir sind gut aufgestellt. Deutschland ist zurück
auf dem Wachstumskurs.

Lassen Sie mich eine kurze Bemerkung zu Griechen-
land machen. Wir beobachten die Lage dort genau. Wir

Signale ernst. Wir verfallen aber nicht in
Aktionismus wäre genau die falsche Re-
chland als exportorientierte Volkswirtschaft
deres Interesse an Währungsstabilität. Die
heute einen
Namen des

nehmen die
Aktionismus;
aktion. Deuts
hat ein beson

Regierungschefs haben einen ganz klaren Fahrplan ver-





Bundesminister Rainer Brüderle


(A) (C)



(D)(B)

einbart. Die Mitglieder der Währungsunion stehen ge-
meinsam mit dem Internationalen Währungsfonds dann
bereit, wenn sich Griechenland nicht mehr selbst helfen
kann. Das ist sozusagen die Ultima Ratio. Bislang ist
diese Situation nicht eingetreten. Wir sollten gemeinsam
daran arbeiten, dass dies so bleibt. Innen- oder gar wahl-
kampfpolitisch motivierte Äußerungen sind völlig fehl
am Platz.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Sagen Sie das der Bundeskanzlerin, Herr Brüderle!)


Meine Damen und Herren, vieles von dem, was sich
in diesem Jahr als Wachstum zeigt, ist die Folge staat-
licher Stabilisierungsmaßnahmen. Angesichts der
schwersten Wirtschaftskrise der Nachkriegszeit brauchte
die Wirtschaft Impulse. Worum es aber letztlich gehen
muss, ist die Rückkehr zu einem selbsttragenden, nach-
haltigen Wachstumsprozess, der nicht auf den Staat
zählt, sondern auf Marktkräfte und Eigeninitiative ver-
traut.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Hotels vor allen Dingen!)


Im Kern geht es dabei um das richtige Verhältnis zwi-
schen dem Staat auf der einen und der Wirtschaft und
den Bürgern auf der anderen Seite. Nicht Bevormun-
dung und Gängelung, sondern Freiheit, Eigenverantwor-
tung und Chancengerechtigkeit sind die Quellen, aus de-
nen tragfähiges Wachstum und echter Wohlstand
entstehen.

Diese Regierung hat einen klaren ordnungspoliti-
schen Kompass.


(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Kreiselkompass, Herr Brüderle!)


Dauersubventionen, staatliche Bürokratie und Marktein-
griffe sind keine Grundlagen für eine wirklich wettbe-
werbsfähige Wirtschaft. Was wir unterstützen wollen
sind Lernen, Kreativität, Engagement, die Bereitschaft,
Verantwortung zu übernehmen, und den Willen, die
Dinge selbst zu gestalten.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Und Spender!)


So gesehen sind Deutschlands Wachstumspotenziale
noch längst nicht ausgeschöpft. Unser Wachstumspfad
liegt noch immer deutlich unter seinen Möglichkeiten.


(Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Hotels!)


Wenn wir diese Potenziale heben wollen, müssen wir
an drei zentralen Stellen ansetzen. Erstens. Wir brauchen
Innovation und technischen Fortschritt. Zweitens. Wir
brauchen wirksame Steuervereinfachungen und -entlas-
tungen. Drittens. Wir brauchen offene und flexible
Märkte.

Innovation und technischer Fortschritt sind für die
christlich-liberale Bundesregierung Schüsselthemen.
Wir haben hier schon wichtige Weichen gestellt: Allein
der Bund wird in dieser Legislaturperiode zusätzlich
12 Milliarden Euro für Forschung, Entwicklung und Bil-
dung bereitstellen.
Innovation ist aber nicht nur eine Frage des Geldes in
den Taschen, sondern vor allem auch des Denkens und
der inneren Einstellung. Neue Technologien brauchen
einen positiven Resonanzboden in Politik und Gesell-
schaft. Nur wenn wir Innovation als Chance sehen, hat
Innovation hierzulande auch eine Chance.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Deshalb brauchen wir den Beitrag der Genforschung zur
Linderung von Hunger und Krankheiten.


(Lachen des Abg. Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN])


Deshalb ist für uns eine CO2-Speichertechnologie ein
möglicher Schlüssel für mehr Klimaschutz am Industrie-
standort Deutschland.


(Zuruf der Abg. Renate Künast [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN])


Deshalb brauchen wir eine Offenheit für neue Technolo-
gien wie die Elektromobilität,


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


um das Auto des 21. Jahrhunderts in Deutschland neu zu
erfinden. Am 3. Mai 2010 bringt die Bundeskanzlerin
dafür alle wichtigen Akteure aus Wirtschaft, Wissen-
schaft und Politik an einen Tisch. Von diesem Treffen
wird das Signal ausgehen: Deutschland wird der Leit-
markt für Elektromobilität sein.


(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Na ja!)


Derzeit läuft die Versteigerung der Mobilfunkfre-
quenzen. Es wird bei weitem nicht so viel Geld in den
Bundeshaushalt fließen wie bei der UMTS-Versteige-
rung im Jahr 2000. Aber dieser Bundesregierung geht es
nicht – wie damals Rot-Grün – darum, Kasse zu machen.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Sehr gut!)


Uns geht es um die Infrastruktur des 21. Jahrhunderts.
Uns geht es darum, das schnelle Internet in ganz
Deutschland zu ermöglichen.


(Dr. Frank-Walter Steinmeier [SPD]: Die Kassen sind leer!)


Deshalb gibt es in den Versteigerungsbedingungen die
Auflage an die Bieter, zunächst die noch unterversorgten
Räume zu erschließen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir brauchen Breitband überall. Ein Industriegebiet
braucht heute beides: gute Straßen und ein leistungsfähi-
ges Internet. Kein Unternehmen darf „offline“ sein.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Diese Regierung sollte besser offline sein!)


Strukturell genauso wichtig wie das Breitband ist eine
saubere, eine sichere und eine bezahlbare Energieversor-





Bundesminister Rainer Brüderle


(A) (C)



(D)(B)

gung. Heute brauchen wir einen dynamischen Energie-
mix aus Erneuerbaren, Kernenergie und sauberer Kohle.
Für morgen und übermorgen wollen wir die erneuerba-
ren Energien stark ausbauen.

Dafür brauchen wir verlässliche Übergänge. Ein
Übergang ist der Ausbau der Netze. Ein weiterer Über-
gang ist die Entwicklung von Speichertechnologien. Als
Brücke ins regenerative Zeitalter brauchen wir die Ver-
längerung der Laufzeiten für Kernkraftwerke.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Lachen des Abg. Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN] – Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ein Zug nach Nirgendwo! – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Das ist eine strahlende Zukunft!)


Sie gibt uns die Zeit und die finanziellen Mittel, den
Übergang vernünftig zu gestalten.

Mein Kollege Röttgen und ich werden im Herbst ein
Energiekonzept vorlegen, übrigens das erste seit elf Jah-
ren. Wir haben einen vernünftigen Kompass, der uns bei
dem Konzept leitet.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Den würden wir gern sehen!)


Im globalen Wettbewerb müssen wir besser sein als
die anderen. „Besser“ heißt hier: innovativer. Ein wichti-
ges Thema ist dabei die steuerliche Förderung von
Forschung und Entwicklung. Sie kommt allen innova-
tiven Unternehmen zugute, auch denjenigen, die bisher
vor den Anträgen für die Projektförderung zurückge-
schreckt sind. Das wäre ein gutes Mittel, um die For-
schungsleistung der Wirtschaft generell anzukurbeln. In
Zeiten knapper Kassen macht es sicherlich Sinn, eine
solche Maßnahme zunächst auf den Mittelstand zu fo-
kussieren.

Das gilt auch für die von dieser Bundesregierung kon-
zipierten Innovationsgutscheine, die ich Anfang Mai
vorstellen werde. Mittelständler erhalten durch diese
Gutscheine eine Art technologisches Fitnesstraining
ohne viel Bürokratieaufwand.

Die erfreuliche Wirtschaftsentwicklung bekommen
die Bürgerinnen und Bürger direkt in ihrem Geldbeutel
zu spüren.


(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau: Höhere Krankenkassenbeiträge! Höhere Kindergartenbeiträge!)


Die verfügbaren Einkommen der privaten Haushalte
steigen spürbar. Wir haben einen Zuwachs bei den Netto-
löhnen. Sie steigen so stark wie seit fast einem Jahrzehnt
nicht mehr. Die Bundesregierung hat hierzu ihren Bei-
trag geleistet.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Die Leute haben schon Angst, Herr Brüderle! – Ute Kumpf [SPD]: Sie wissen nicht, wovon Sie reden!)


Sie wird einen weiteren Beitrag leisten. Wir werden die
Wirkung der kalten Progression vermindern, die Bezie-
her unterer und mittlerer Einkommen weiter entlasten.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die Effekte für den Arbeitsmarkt wollen wir maxi-
mieren.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Deshalb steigen die Beiträge!)


Deshalb haben wir im Koalitionsvertrag auch einen
Stufentarif vereinbart.


(Lachen des Abg. Hubertus Heil [Peine] [SPD])


Im Bundeswirtschaftsministerium haben wir das kürz-
lich durchrechnen lassen.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Oh Gott!)


Ein Tarif mit fünf Stufen und einem Entlastungsvolumen
von 16 bis 17 Milliarden Euro würde 130 000 neue Ar-
beitsplätze schaffen.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Voodoo-Ökonomie! – Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer hat denn das gerechnet, Hellseher oder Wahrsager?)


Als Wirtschaftsminister ist mir dabei etwas besonders
wichtig. Neben der Entlastung der unteren und mittleren
Einkommen zur Stärkung der Kaufkraft geht es um
80 Prozent der deutschen Betriebe. Sie sind nämlich Per-
sonengesellschaften. Für sie ist die Einkommensteuer
die Unternehmensteuer. Wir wollen also den Mittelstand
entlasten. Das stärkt die Eigenkapitalbasis, die Substanz
jedes Unternehmens.

Die Stärkung der Unternehmenssubstanz ist übrigens
ein roter Faden unserer Steuerpolitik. Das haben wir bei
der Zinsschranke gezeigt. Das haben wir bei der Erb-
schaftsteuer gezeigt. Dagegen will Rot-Rot-Grün mit
seinen Vermögensteuerplänen den Unternehmen an die
Substanz.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Quatsch mit Soße!)


Es ist nicht glaubwürdig, wenn die SPD auf der einen
Seite die Abschreibungsbedingungen aus den Konjunk-
turpaketen dauerhaft verlängern, aber auf der anderen
Seite die Eigenkapitalbasis der Unternehmen durch die
Vermögensteuer dauerhaft schmälern will.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Quatsch mit Soße!)


Ein weiterer zentraler Schlüssel für mehr Wachstums-
potenzial sind flexiblere Märkte.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Vor allem für die Finanzmärkte!)


Das gilt mehr denn je. Der Staat war in der Krise gefor-
dert. Nun ist der Staat gefordert, sich in Schritten wieder
zurückzuziehen; denn das beste Entdeckungsverfahren
bleibt der Wettbewerb. Er ist Garant für Dynamik und
Innovation.





Bundesminister Rainer Brüderle


(A) (C)



(D)(B)

Wir haben das bei der Telekommunikation gesehen.
Der Markt wurde in den 90er-Jahren von der damaligen
christlich-liberalen Regierung geöffnet. Davon profitiert
unsere Gesellschaft bis heute. Statt trister Telefonzellen
und horrender Fernsprechrechnungen gibt es heute einen
boomenden Telekommunikationsmarkt mit vielfältigen
Techniken und niedrigen Tarifen.


(Dr. Frank-Walter Steinmeier [SPD]: Es gibt keine Telefonzellen mehr! – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: „Triste Telefonzellen“!)


Wir wollen solche Erfolgsgeschichten auch in ande-
ren Sektoren, etwa im Postmarkt. Wir machen Schluss
mit dem Mehrwertsteuerprivileg der Post. Dazu hatten
sozialdemokratische Finanzminister elf Jahre nicht die
Kraft. Die neue Regierung sorgt für gleiche Wettbe-
werbsbedingungen im Postsektor.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Und für schlechte Versorgung!)


Wir werden die Gasmärkte in den nächsten Monaten
weiter öffnen. Die Gasnetzzugangsverordnung, die wir
in Kürze vorlegen werden, wird dafür ein erster Baustein
sein.


(Beifall des Abg. Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/ CSU])


Für den Stromgroßhandel werden wir eine Markttrans-
parenzstelle einrichten, die die Preisbildung dort dauer-
haft unter die Lupe nimmt. Wir werden für alle Branchen
als Ultima Ratio ein Entflechtungsinstrument in das
GWB aufnehmen.

Offene und flexible Märkte brauchen wir auch im
weltweiten Maßstab. Das gilt zum Beispiel für die Roh-
stoffversorgung. Ich sehe mit großer Sorge, wie sich
etwa bei der Eisenerzgewinnung monopolartige Struktu-
ren herausbilden, die die Preise nach oben treiben.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bei den Apotheken erst!)


Bei den anderen Rohstoffen, wie den sogenannten selte-
nen Erden, gibt es wichtige Ausfuhrstaaten, die starke
protektionistische Tendenzen zeigen, ja sogar wie China
Exportzölle eingeführt haben.

Ich werde in Kürze die deutsche Wirtschaft zu einem
Rohstoffdialog einladen.


(Dr. Frank-Walter Steinmeier [SPD]: Den gibt es seit 2004!)


In meiner Außenwirtschaftspolitik ist das Thema Roh-
stoffe zentral. Ganz konkret werde ich nächste Woche in
Brasilien die Eisenerzfrage mit meinem Amtskollegen
erörtern.

Wichtig ist, dass wir die Markttransparenz im Roh-
stoffbereich deutlich erhöhen. Dazu werden wir die Bun-
desanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe zur zen-
tralen Rohstoffagentur für die deutsche Wirtschaft
ausbauen. Wir wollen die Wirtschaft unterstützen, je-
doch die Wirtschaft nicht aus ihrer Verantwortung ent-
lassen.
Flexible Märkte sind widerstandsfähig. Das verdeut-
licht der erstaunlich robuste Arbeitsmarkt. Angesichts
von 3,4 Millionen Arbeitslosen nach der schwersten
Wirtschaftskrise der Nachkriegszeit kann man schon von
einem kleinen Jobwunder sprechen. Die düsteren Pro-
gnosen der letzten Zeit haben sich jedenfalls nicht be-
wahrheitet. Von Horrorszenarien aus rot-grünen Zeiten
mit 4,5 bis 5 Millionen Arbeitslosen sind wir weit ent-
fernt.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Sie sind ein Dampfplauderer, Herr Brüderle!)


Die Bürger erinnern sich genau: Rot-Grün war die Re-
gierung des Nullwachstums und der Massenarbeitslosig-
keit. Schwarz-Gelb ist die Regierung von Wachstum und
Beschäftigung.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Ulrich Kelber [SPD]: Das ist eine Luftnummer!)


Es waren immer die bürgerlichen Parteien, die auf fle-
xible Arbeitsmärkte gedrängt haben.


(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Seit wann ist die FDP eine bürgerliche Partei?)


Wir wissen genau: Die gute Entwicklung verdanken
wir den vielen Bündnissen für Arbeit in den Betrieben,
mit Lohnzurückhaltung und Arbeitszeitkonten, die das
kleine Jobwunder erst möglich gemacht haben.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Und mit Kurzarbeit vielleicht auch, Herr Brüderle!)


Der Flächentarif ist zwar von den Tarifpartnern nicht
aufgegeben worden, aber die zentralen Abmachungen
lassen viel mehr Flexibilität als früher zu. So konnte re-
guläre Beschäftigung über die Krise hinweg gehalten
werden. Von dieser Flexibilität haben letztlich alle profi-
tiert.

Zwei Drittel der positiven Arbeitsmarkteffekte gehen
auf das Konto von Arbeitszeitflexibilisierung und Lohn-
zurückhaltung. Im Krisenjahr 2009 ist etwa ein Drittel
auf die Kurzarbeiterregelung zurückzuführen. Mit der
Ausweitung der Kurzarbeiterregelung hat die Bundes-
regierung die Rahmenbedingungen für die Flexibilität
der Unternehmen verbessert.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Sehen Sie mal: Das ist SPD-Politik! Danken Sie doch mal Olaf Scholz!)


Facharbeiter konnten gehalten werden. Mit dem Ab-
flauen der Krise wird das Kurzarbeitergeld wieder an
Bedeutung verlieren. Die am Mittwoch beschlossene
Verlängerung ist eine Vorsichtsmaßnahme. Die soge-
nannte Konzernklausel wurde nicht verlängert. Die
Kurzarbeitergeldregelung ist damit ein Stück mittel-
standsfreundlicher geworden.

Kollegin von der Leyen und ich sind uns völlig einig:
Die Maßnahmen zur Krisenbekämpfung können kein
Dauerzustand sein. Dauerhafte Subventionen stehen im





Bundesminister Rainer Brüderle


(A) (C)



(D)(B)

Widerspruch zum christlich-liberalen Verständnis vom
Verhältnis zwischen Mensch und Staat.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Was ist mit den Hotels? Das ist doch eine Steuersubvention!)


Sie verzerren den Wettbewerb. Sie stehen einem effi-
zient funktionierenden Marktmechanismus im Wege.
Letztendlich sind dauerhafte Subventionen schlichtweg
nicht zu finanzieren.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die aktuellen Kon-
junkturprognosen und die Zahlen vom Arbeitsmarkt zei-
gen: Seitdem diese Regierung angetreten ist, ist
Deutschland endlich wieder auf Wachstumskurs.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: So ein Quatsch! So ein Unsinn! Das glauben Sie doch wohl selbst nicht!)


Die Sofortmaßnahmen der letzten Monate haben ge-
wirkt. Viele Unternehmen sind weiterhin am Markt;
viele Jobs konnten gerettet werden. Jetzt geht es um eine
Wirtschaftspolitik, die Wachstum und Arbeitsplätze
auch für die Zukunft sichert. Dafür müssen wir verschüt-
tete Wachstumspotenziale heben. Dafür müssen wir
Freiräume schaffen. Dafür steht diese Koalition.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Es kann nur besser werden! – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war ein total inhaltsleeres Geplappere! – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Da wünscht man sich ja fast den Glos zurück!)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1703800100

Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem

Kollegen Dr. Frank-Walter Steinmeier für die SPD-Frak-
tion.


(Beifall bei der SPD)



Dr. Frank-Walter Steinmeier (SPD):
Rede ID: ID1703800200

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Herr Brüderle, ich weiß nicht, wer Ihnen den
Rat gegeben hat, hier und heute eine Zwischenbilanz der
Regierung zur Wirtschaftspolitik zu ziehen.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Und Sie müssen darauf noch antworten!)


Auf denjenigen, der diesen Rat gegeben hat, würde ich
jedenfalls nicht allzu häufig hören.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Hätten Sie lieber gestern gesprochen!)


Das, was wir heute gehört haben, ist keine Leistungs-
bilanz, verehrter Herr Brüderle. Das grenzt an einen
wirtschaftspolitischen Offenbarungseid.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von der FDP: Oh!)


Sie fordern, dass die Unternehmen online sein sollen,
Herr Brüderle. Dazu kann man nur sagen: Diese Regie-
rung ist es nicht. Das, was Sie eben vorgetragen haben,
lässt doch klar erkennen: Da ist kein Kompass, da ist
keine Richtung, da ist keine Idee. Diese Regierung und
Sie, Herr Brüderle, warten mit gefalteten Händen, bis
der Aufschwung kommt, bis Manna vom Himmel fällt.
Sie haben nichts auf der Kante; es besteht ein Rekord-
schuldenstand. Diese Regierung und auch Sie eben fabu-
lieren weiterhin von Steuersenkungen und machen uns
vor, dass alles schöner, heller und bunter wird und die
Leute am Ende sogar noch ein bisschen Geld herausbe-
kommen. Man muss schon bereit sein, Herr Brüderle,
Realität und gesunden Menschenverstand weit hinter
sich zu lassen, um daran zu glauben.

Ich versichere Ihnen: Wir glauben nicht daran. Sie
werden es am 9. Mai erleben: Auch die Menschen glau-
ben es Ihnen nicht.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Sie können mir glauben, Herr Brüderle: Niemand in die-
sem Hause würde sich mehr als ich freuen, wenn Sie
recht hätten


(Birgit Homburger [FDP]: Fangen Sie schon mal an! – Weitere Zurufe von der FDP)


und wir wirtschaftlich wirklich schon über dem Berg
wären. Sie sprechen doch mit denselben Unternehmen
wie ich. Auch Sie hören und sehen doch: Es gibt einen
ganz eklatanten Unterschied; da klafft etwas auseinander
zwischen dem, was sich in Umfragen über Hoffnungen
und Erwartungen über die zukünftige Wirtschaftsent-
wicklung dokumentiert, und dem, was sich im Augen-
blick in konkreten Auftragszahlen in Unternehmen nie-
derschlägt. Das ist doch ein eklatanter Unterschied. Sie
hören wie ich in den gleichen Gesprächen die Beurtei-
lung, dass die Richtung der wirtschaftlichen Entwick-
lung, in der wir uns befinden, keineswegs gesichert ist,
dass wir uns bei weitem noch nicht in einem nachhalti-
gen Aufschwung befinden.

Über das, was gut ist, darüber darf man – da haben
Sie recht – auch gut reden. Schlechtreden ist gefährlich;
auch das stimmt. Ich reihe mich da nicht ein. Aber wirk-
lich gefährlich, Herr Brüderle, ist das, was Sie tun. Sie
ignorieren einfach, dass dies die tiefste Krise der Nach-
kriegszeit ist, dass uns das mehr als nur Prozente beim
Wachstum gekostet hat, dass wir eine tiefe Verunsiche-
rung über die Stabilität unseres Wirtschaftssystems
haben. Ob wir in der Politik es wollen oder nicht: Damit
geht ein weiterer Verlust an Vertrauen in die Steuerungs-
fähigkeit von Politik einher. Ich sage Ihnen: Wenn die
Demokratie wirklich stabil bleiben soll, dann müssen
wir vor allen Dingen an der Wiederherstellung dieses
Vertrauens arbeiten.





Dr. Frank-Walter Steinmeier


(A)



(D)(B)

Deshalb ist es sehr gefährlich, wenn Sie sich wie am
vergangenen Mittwoch einfach hinstellen und mit strah-
lender Miene verkünden: Leute, macht euch keine Sor-
gen! Die Wirtschaft brummt wieder. Es gibt sogar zu-
sätzlich etwas zu verteilen, immerhin 8 Milliarden Euro. –
Ganz Deutschland, Herr Brüderle, reibt sich verwundert
die Augen. Herr Brüderle, Sie wissen, dass die Wirklich-
keit eine andere ist. Sie selbst glauben nicht daran, und
deshalb halte ich solche Pressekonferenzen wie die am
Mittwoch für unverantwortlich.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wenn man im Land unterwegs ist, und zwar nicht nur
im Wahlkampf, trifft man den einen oder anderen. Die
Menschen begreifen nicht so recht, worüber Sie sich am
Mittwoch gefreut haben. Dort haben Sie – das ist Ihr gu-
tes Recht – für die Bundesregierung ein Wachstum von
1,4 Prozent prognostiziert. In derselben Woche hat der
IWF für Deutschland ein Wachstum von 1,2 Prozent
prognostiziert. Worüber sollen sich die Menschen dann
eigentlich genau freuen? Darüber, dass Sie fröhlich vor
die Kameras treten und mit Verweis auf einige wenige
Quartalszahlen von Unternehmen – unter anderem von
Goldman Sachs – sagen: „Es geht uns gut“? Goldman
Sachs hat im ersten Quartal einen Gewinn von
3,5 Milliarden Dollar erzielt. Das ist beeindruckend. Die
Frage, die Sie als Wirtschaftsminister zu beantworten
haben, ist doch nur: Ist diese Zahl ein Beleg für eine ge-
sunde wirtschaftliche Entwicklung? Oder ist sie nicht
eher ein Beleg dafür, dass die Zockerei, die uns in diese
Krise gebracht hat, wieder an Fahrt gewinnt?

Wenn in derselben Woche, in der Sie eine Pressekon-
ferenz geben und vor die Kameras treten, von betrügeri-
schen Spekulationen in schier unfasslichem Ausmaß be-
richtet wird, dann dürfen Sie als Wirtschaftsminister
nicht dazu schweigen. Dazu müssen Sie doch Sprache
haben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Sie haben sie nicht; denn Ihnen fehlt der Mut, zu sagen,
wie Sie damit umgehen wollen.

Wenn ich bei dem Thema bin: Ich glaube, diese Bun-
desregierung muss eines begreifen: Es kann keinen
nachhaltigen Aufschwung geben – davon bin ich zutiefst
überzeugt –, solange wir den Finanzmärkten keinen
wirklich klaren Rahmen geben, für mehr Transparenz
und mit klaren Grenzziehungen.


(Beifall bei der SPD)


Ich darf daran erinnern, dass wir mit Peer Steinbrück an
der Spitze der weltweiten Diskussion über eine neue in-
ternationale Finanzarchitektur standen. Jetzt sind wir al-
lenfalls Zaungast dieser Entwicklung. Das ist die bittere
Wahrheit, nicht das, was Sie uns hier vorgetragen haben.


(Beifall bei der SPD)

Herr Brüderle, mir ist ein Weiteres bei Ihrer Rede
eben aufgefallen: Das Wachstum, über das wir alle uns
gefälligst miteinander zu freuen haben, ist im Grunde
genommen ein Wachstum gegen jede Ordnungspolitik.
Die Hälfte des Wachstums – Sie haben es nur angedeutet –
fußt auf staatlicher Konjunkturpolitik. Das kleinere Pro-
blem ist jetzt: Hätten Sie damals, bei Ausbruch der
Krise, regiert, dann gäbe es diese Hälfte des Wachstums
gar nicht, dann krebsten Sie jetzt bei 0,6 oder 0,7 Prozent
Wachstum herum.


(Beifall bei der SPD)


Das größere Problem ist – das nehme ich viel ernster –:
Die Wirkungen dieser Konjunkturmaßnahmen werden
schwächer und laufen aus. Darauf haben Sie, Herr
Brüderle, keine Antwort; wir haben eben keine Antwort
gehört. Das ist in einer solchen Lage wirklich drama-
tisch.


(Beifall bei der SPD)


Ich sage das nicht einfach so dahin, sondern mit Blick
auf Ihre Pressekonferenz; ich habe da genau zugehört.
Da sagten Sie, es gehe jetzt

… um einen sich selbst tragenden Aufschwung.
Wir müssen … die richtigen Anreize für Kreativität
und Innovationen setzen.

Das stimmt. Herr Brüderle, umso erstaunlicher ist Ihr
nächster Satz:

Einen ersten Schritt in diese Richtung hat die Bun-
desregierung mit dem Wachstumsbeschleunigungs-
gesetz getan.


(Lachen bei Abgeordneten der SPD)


Daran glauben Sie doch selber nicht.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Dieses Wachstumsbeschleunigungsgesetz – ich sage es
hier noch einmal – beschleunigt alles außer Wachstum.
Es ist ein Dankeschöngesetz, ein Klientelgesetz für ein
paar Hoteliers. Es verursacht Milliardenausfälle bei den
Städten und Gemeinden. Da wird Geld verpulvert, das
wir, das auch Sie an anderer Stelle dringend brauchten.
Das soll der Beitrag der Bundesregierung zu einem
selbsttragenden Aufschwung sein? Ich sage Ihnen: Ganz
Deutschland, auch die deutsche Wirtschaft, lacht da-
rüber. Verschonen Sie uns also mit solchen Experimen-
ten!


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Wir haben es eben gehört: Weil es so schön ist, ma-
chen Sie einfach weiter. Ihre steuerpolitischen Vor-
schläge vom vergangenen Montag haben im Grunde ge-
nommen dasselbe Strickmuster: eine Steuerreduzierung
um 16 Milliarden Euro – eben haben Sie gesagt: um
16 bis 17 Milliarden Euro –, und das jedes Jahr, obwohl
der deutsche Staat schon jetzt mit 1,7 Billionen Euro
verschuldet ist. 70 Prozent unserer gesamten Wirt-

(C)






Dr. Frank-Walter Steinmeier


(A) (C)



(D)(B)

schaftsleistung sind Staatsschulden, Herr Brüderle. Das
werfen wir Ihnen nicht gänzlich vor, wahrlich nicht.
Aber man kann doch nicht die Augen davor verschließen
– auch die FDP nicht –, was das bedeutet, was es für Fol-
gen hat im Hinblick auf die völlig geschrumpften Hand-
lungsspielräume von Regierungen und von Politik. Da
ist eben andere Politik vonnöten als das, was Sie hier ab-
geliefert haben: Heilsversprechen, Steuersenkungspläne,
Allgemeinplätze.

Wenn Sie uns das nicht glauben, dann glauben Sie
wenigstens der OECD oder dem IWF oder glauben Sie
es wenigstens den Menschen; denn die ahnen doch:
Wachstumspolitik auf der einen Seite und leere Kassen
auf der anderen Seite, Konsolidierung und gleichzeitig
Steuersenkungen – das kann nicht gehen, das wird es
nicht geben. Verehrter Herr Brüderle, tun Sie uns des-
halb einen Gefallen: Verkaufen Sie die Menschen nicht
für dumm!


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die Menschen ahnen noch etwas. Das Stück, das im
Moment auf der Bühne aufgeführt wird, heißt: „Im Him-
mel ist Jahrmarkt“. Im vierten Akt läuft jetzt die Steuer-
senkungskomödie. Nach dem 9. Mai 2010 wird die
Bühne dann umdekoriert. Das neue Stück, das dann ge-
geben wird, heißt: „Die Kassen sind leer“. Dann kommt
die Wahrheit auf die Menschen zu. Ehrlich ist etwas an-
deres, Herr Brüderle; aber auch das werden Sie am
9. Mai 2010 merken.

Ein bisschen von der Wahrheit ist trotzdem herausge-
rutscht, wenn man das Kleingedruckte des steuerpoliti-
schen Vorschlags vom Montag letzter Woche gelesen
hat. Wir haben da etwas von Kürzungen bei den Mitteln
für aktive Arbeitsmarktpolitik gelesen, von höheren So-
zialabgaben und vielleicht auch der Besteuerung der Zu-
schläge für Nacht- und Schichtarbeit. Sie wollen auch an
die Gewerbesteuer heran. Aber Sie wissen: Das wird bei
weitem nicht reichen, wenn Sie wirklich bei diesem
Steuersenkungsvorhaben bleiben. Deshalb sage ich: Sa-
gen Sie den Menschen die Wahrheit! 16 Milliarden Euro
Steuersenkungen bedeuten – zu den 1,6 Milliarden Euro,
die den Städten und Gemeinden schon jetzt fehlen –
noch einmal 2,5 Milliarden Euro weniger für die Städte
und Gemeinden. Dafür werden nicht die Städte und die
Oberbürgermeister bluten müssen, sondern die Bürgerin-
nen und Bürger in den Städten und Gemeinden. Da
werden schon jetzt Gebühren erhöht, da werden auch
Bibliotheken, Schwimmbäder und Schauspielhäuser ge-
schlossen. Das raubt den Städten und Gemeinden nicht
nur Lebensqualität, sondern bereitet den Ruin der kom-
munalen Selbstverwaltung vor. Das sage nicht nur ich
Ihnen; das sagt auch die Präsidentin des Deutschen Städte-
tages, Petra Roth, die – jedenfalls bisher nicht – keine
bekennende Sozialdemokratin ist. Nehmen Sie das bitte
ernst, und brechen Sie mit dieser Politik, die Sie da auf
den Weg gebracht haben!


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Sie reden immer von Steuersenkungen. Es sind im-
mer noch die Fragen unbeantwortet, wofür die eigentlich
sind und welche Wirkung sie haben. Das haben wir uns
einmal sehr genau angeschaut. Die Alleinerziehende mit
16 000 Euro Jahresgehalt spart nach Ihrem steuerpoliti-
schen Vorschlag genau 73 Euro im Jahr.


(Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: Das hätte sie bei Ihnen draufgezahlt!)


Das Ehepaar mit 200 000 Euro Jahreseinkommen be-
kommt nach Ihrem steuerpolitischen Vorschlag zusätz-
lich über 3 000 Euro. Meine Damen und Herren, ist das
wirklich das, was Sie wollen, diese Umverteilung, diese
Ungerechtigkeit? Wenn das die Leistung ist, die sich
wieder lohnen soll, dann haben wir Herrn Westerwelle
doch alle richtig verstanden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Es heißt doch: Auch Reichtum muss sich wieder lohnen!)


Ein Letztes zum Thema Ehrlichkeit und damit auch
zu dem Thema, das Sie, Herr Brüderle, angesprochen
haben: Griechenland. Das ist ein ernstes Thema, von
dem ich überzeugt bin, dass es uns alle miteinander hier
noch lange beschäftigen wird und beschäftigen muss.
Vorab: Wir verweigern uns nicht dem Nachdenken da-
rüber, wie man Griechenland helfen kann. Aber unter
dem Gesichtspunkt der Ehrlichkeit: Frau Merkel, Sie ha-
ben sich als „Madame Non“ – Seite 2 der Bild-Zeitung –
auf den Bismarck-Sockel stellen lassen. Sie haben das
nicht selbst gemacht, aber sich draufstellen lassen.


(Dr. Angela Merkel, Bundeskanzlerin: Danke schön!)


Wie zu erwarten war, wird nun doch gezahlt. Zu welchen
Bedingungen und in welcher Größenordnung, das wis-
sen wir zwar noch nicht; aber das Entscheidende ist
– deshalb spreche ich es heute an –: Das, was auf dieses
Parlament und auf die deutschen Steuerzahler zukommt,
soll dem Parlament nach Ihrer Zeitplanung offenbar
auch erst nach der Wahl in Nordrhein-Westfalen vorge-
legt werden. Deshalb meine Bitte: Wenn Sie eine breite
parlamentarische Zustimmung in diesem Parlament
möchten – und das sollten Sie, wenn Sie das Thema
Griechenland und die sich daraus ergebenden Folgen
ernst nehmen –, dann ist unsere Erwartung, dass Sie das
Parlament frühzeitig, noch in dieser Woche, darüber in-
formieren, was auf den Weg gebracht werden soll. Das
ist keine Kleinigkeit; es geht um Größenordnungen, die
die Stabilität des gesamten Euro-Raums berühren dürf-
ten. Wir erwarten, dass für diese wichtige Frage, bei der
wir bereit sind, mitzuhelfen, genügend Beratungs- und
Diskussionszeit im Parlament zur Verfügung steht. Ma-
chen Sie bitte keine Nacht-und-Nebelaktion! Betreiben
Sie keine Wählertäuschung mit Blick auf den 9. Mai!
Seien Sie dem Parlament gegenüber offen, und sagen
Sie, zu was Sie unsere Zustimmung erwarten. Dann kön-
nen Sie auch erwarten, dass sich die SPD einer Mithilfe
nicht verweigert.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD)







(A) (C)



(D)(B)


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1703800300

Das Wort hat nun die Bundesministerin für Arbeit und

Soziales, Frau Dr. von der Leyen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dr. Ursula von der Leyen, Bundesministerin für
Arbeit und Soziales:

Herr Präsident! Meine Damen und Herren!


(Dr. Barbara Hendricks [SPD]: Das ist Regierungserklärung Nummer vier, in der die Regierung nichts erklärt! – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der Druck muss irgendwie groß sein diese Woche! – Gegenruf des Abg. Volker Kauder [CDU/CSU]: Immer cremig bleiben!)


Wir haben die Krise noch lange nicht überwunden. Wir
befinden uns aber in einer Phase, in der wir langsam,
aber sicher sehen, wie wir Schritt für Schritt aus der
Krise herauskommen. Wir befinden uns in einer Zeit, in
der wir die Weichen neu stellen müssen.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Man kann sich vor lauter Regierungsmitgliedern kaum retten! – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Das ist der Regierungssimulator!)


Es ist nicht eine Zeit des Zauderns und Zurückblickens,
sondern es ist eine Zeit des Vorwärtsschauens und eine
Zeit des Mutes, zu handeln. Wir dürfen zum einen den
auch international sehr beachteten Erfolg des robusten
deutschen Arbeitsmarktes nicht auf den letzten Metern
verspielen, aber ebenso müssen wir den Blick auf die
nächste Etappe richten. Diese beiden Ziele sind im Be-
schäftigungschancengesetz enthalten.

Dass wir im Krisenjahr 2009 so gut gefahren sind,
verdanken wir neben einem sehr klugen Krisenmanage-
ment vor allem der Kurzarbeit. Die Kurzarbeit verhin-
dert Arbeitslosigkeit. Das war nicht nur ein Beitrag der
Arbeitgeber durch die Haltekosten, die sie getragen ha-
ben, und der Politik, die das Kurzarbeitergeld bewilligt
hat; es ist vor allem ein Erfolg der Beschäftigten gewe-
sen, die Lohneinbußen auf sich genommen haben, um
ihre Arbeitsplätze zu halten. Das sollte in der Diskussion
über die Kurzarbeit ausdrücklich honoriert werden.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie der Abg. Dr. Barbara Hendricks [SPD] – Volker Kauder [CDU/CSU]: Vor allem die mittelständische Wirtschaft! Das muss man auch sagen!)


Die Kurzarbeit wird vor allem vom Mittelstand ge-
nutzt. Die Kurzarbeit sichert den Unternehmen eine gut
eingespielte Belegschaft, die sie für den nächsten Auf-
trag brauchen, sonst können sie ihn nicht annehmen. Die
Unternehmen brauchen jetzt Planungssicherheit, vor al-
lem für 2011. Deshalb ist es richtig, dass wir Ende des
letzten Jahres nicht das Fallbeil haben runtersausen las-
sen und die konjunkturelle Kurzarbeit beendet haben,

(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Aber erst einmal die Bedingungen verschlechtern!)


sondern die Regelungen zur Kurzarbeit erst zum März
2012 auslaufen lassen. Das bedeutet Planungssicherheit
für die Unternehmen. Das sichert den Mittelstand ab und
vor allem die innovativen Belegschaften für den Auf-
schwung, den wir brauchen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Wir stehen jetzt vor zwei großen Herausforderungen:
Es geht nicht nur um die Beschäftigungssicherung in der
Krise; wir müssen vor allem auch einen Blick auf den
Arbeitsmarkt haben, wie er in der Zukunft aussehen
wird. Der Arbeitsmarkt der Zukunft wird vor allen
Dingen durch zwei Phänomene, durch zwei Fragen ge-
prägt werden: Welche Fachkräfte brauchen wir für die
Jobs der Zukunft, und vor allem, woher sollen sie kom-
men? Wenn wir das schlecht machen, wenn wir stur nach
den bisherigen Mustern vorgehen, dann kann man vor-
hersehen, was kommt. Dann werden wir in 20 Jahren
5 Millionen Beschäftigte weniger haben. Wir werden ei-
nen dramatischen Fachkräftemangel haben, und wir wer-
den gleichzeitig Massenarbeitslosigkeit erleben.


(Ulrich Kelber [SPD]: War das jetzt Kritik an Herrn Brüderle?)


Das heißt, dass wir unabhängig davon, ob wir eine Krise
haben oder nicht, wahrnehmen müssen, dass ein demo-
grafischer Wandel und ein Strukturwandel stattfinden.
Mit anderen Worten: Wenn wir es besser machen wollen,
wenn wir jetzt Schritte in Richtung Zukunft gehen wol-
len, dann müssen wir auch anfangen, neu zu denken.


(Dr. Barbara Hendricks [SPD]: Erklären Sie das doch einmal der FDP!)


Niemand bestreitet mehr, dass sich in einer Dienst-
leistungs- und Wissensgesellschaft der Arbeitsmarkt
dramatisch verändert. Sie können das Monat für Monat
an den Arbeitsmarktstatistiken erkennen. Auf der einen
Seite muss man sehen, wer arbeitslos wird. Auf der an-
deren Seite muss man schauen, wer in die wachsende
Zahl offener Stellen hineindrängt. Wenn man das auf den
Punkt bringt, dann heißt das eigentlich, dass der Arbeits-
markt, ob es uns passt oder nicht, weiblicher und interna-
tionaler wird und die Belegschaften älter werden. Des-
halb ist es jetzt an der Zeit, dass wir die Chancen für
diejenigen neu ausrichten, die ganz unabhängig davon,
ob wir Boomzeiten oder eine Krise hatten, weit unter ih-
ren Möglichkeiten bleiben mussten. Das bezieht sich üb-
rigens nicht nur auf diejenigen, die im Arbeitsmarkt
sind, sondern vor allem auf diejenigen, die draußen sind.
Dafür stellen wir mit dem Beschäftigungschancengesetz
die Weichen. Das ist ein Anfang. Das ist noch nicht die
Antwort auf alles; aber wir stellen damit die Weichen,
die wir jetzt stellen müssen. Deshalb ist es richtig, das
Beschäftigungschancengesetz auf den Weg zu bringen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dieses Gesetz gibt uns die Möglichkeit, durch die
Jobcenterreform erstens eine solide, eine verlässliche
Basis für eine schnelle und gezielte Vermittlung in Ar-





Bundesministerin Dr. Ursula von der Leyen


(A) (C)



(D)(B)

beit herzustellen. Es ist allerhöchste Zeit. Alle hier im
Hohen Haus wissen, dass Ende des Jahres das Funda-
ment der Arbeitsvermittlung quasi gesprengt worden
wäre.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das waren Sie doch! – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Herr Kauder war es!)


Ich sage Ihnen: Zweieinhalb Jahre hat es Streit gegeben;
aber jetzt hat sich eine Allianz der Vernünftigen im Bun-
desrat und im Bundestag zusammengefunden, eine Al-
lianz der Vernünftigen,


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich glaube, Sie sind auch nicht ganz beieinander! Eine „Allianz der Vernünftigen“! Sie haben doch gefehlt! Sie haben sie doch in die Tonne getreten, die Jobcenterreform!)


die die Interessen des Landes, die Interessen der Men-
schen, die arbeitslos sind, und die Interessen einer Wirt-
schaft, die krisengeschüttelt ist, über ihre eigenen, klein-
karierten parteipolitischen Interessen gestellt hat.
Deshalb gilt mein Dank stellvertretend Frau Homburger,
Herrn Kauder und Herrn Steinmeier als Fraktionsvorsit-
zenden. Frau Künast, es tut mir leid, Sie sind nicht dabei.
Das stört Sie, das merkt man; es sind genau die drei, die
ich eben stellvertretend genannt habe.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was? Sie sind doch das Problem gewesen! Sie haben es doch noch in die Länge gezogen! Draußen haben die Leute gelitten!)


– Man merkt an Ihrer Aufregung, wie sehr Sie das trifft.
Das kann ich jetzt nicht ändern. – Mein Dank gilt den
Ländervertretern, Herrn Beck und Herrn Tillich. Mein
Dank gilt auch den unermüdlichen Unterhändlern dieser
Reform in diesem Haus. Das waren Herr Kolb stellver-
tretend, Herr Schiewerling stellvertretend und Hubertus
Heil stellvertretend. Diesen Dank sollten wir gemeinsam
aussprechen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Wir schaffen mit dieser Jobcenterreform zweitens ein
lernendes System, nicht ein System, das zurückschaut,
sondern ein lernendes System, das zeitnah überall in
Deutschland Transparenz herstellt, sodass wir sehen
können: Wer macht es gut? Was können wir von denen
vor Ort lernen? Wer macht es schlecht? Wer muss von
den besten Beispielen lernen, wie man die Menschen,
die es besonders schwer haben, in den ersten Arbeits-
markt vermittelt?


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Die Sozis müssen noch viel lernen! Das ist richtig!)


Es geht nicht um irgendein Produkt, sondern um
Menschen, die Hilfe suchen. Die Arbeitsvermittlung hat
in den vergangenen Jahren einen deutlichen Modernisie-
rungskurs eingeschlagen; das ist unbestritten. Der Erfolg
ist messbar. Die Zahl der Langzeitarbeitslosen ist gesun-
ken. Aber wir alle wissen: Wir wollen und müssen bes-
ser werden. Das betrifft vor allem die drei Gruppen, die
bislang auch in konjunkturell guten Zeiten nicht vom
Aufschwung profitieren konnten. Wir wollen uns nicht
mit der Tatsache abfinden, dass fast jede zweite Allein-
erziehende in Langzeitarbeitslosigkeit ist. Das sind
660 000 Alleinerziehende mit 1 Million Kindern; diese
machen rund die Hälfte der Kinder in Hartz IV aus. Wir
wollen uns nicht mit der Tatsache abfinden, dass rund
200 000 arbeitslose Jugendliche schon am Lebensanfang
keine Chance haben, mitzukommen.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1703800400

Frau Ministerin, lassen Sie eine Zwischenfrage des

Kollegen Heil zu?

Dr. Ursula von der Leyen, Bundesministerin für
Arbeit und Soziales:

Gerne.


(Zuruf von der FDP: Kleiner Sonnenkönig!)



Hubertus Heil (SPD):
Rede ID: ID1703800500

Frau Ministerin, erst einmal herzlichen Dank für die

schöne Danksagung. Vielleicht sollten wir auch noch
Staatssekretär Hoofe danken, der die Verhandlungen an
Ihrer statt geführt hat.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ah, sie war gar nicht dabei!)


Ich möchte nur eine Frage stellen, Frau Ministerin.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Sie sind ein charmanter Mann, Herr Heil! Nehmen Sie mal die Hand aus der Tasche!)


– Herr Kauder, bleiben Sie an dieser Stelle geschmeidig!


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Cremig! – Zurufe von der CDU/CSU)


Herr Präsident, darf ich die Frage stellen, oder soll ich
abwarten, bis Herr Kauder fertig ist?

Frau Ministerin, Sie haben drei Zielgruppen genannt:
Alleinerziehende, Jüngere und Ältere, die es als Lang-
zeitarbeitslose am Arbeitsmarkt sehr schwer haben. Es
ist richtig, in diesen Kategorien weiterzudenken. Aber
können Sie mir einmal erklären, wie Sie all die Über-
schriften, die Sie jetzt produzieren, nach der Landtags-
wahl in Nordrhein-Westfalen durchsetzen wollen? Sie
brauchen eine bessere Betreuungsrelation. Sie brauchen
gute Maßnahmen, die auch finanziert werden müssen.
Der haushaltspolitische Sprecher der CDU/CSU-Bun-
destagsfraktion sagt, für die Haushaltskonsolidierung in
2011, die auf ungefähr 10 Milliarden Euro taxiert wird,
müsse Frau von der Leyen aus ihrem Etat ein Drittel bis
zur Hälfte Beitrag leisten. Kann es sein, dass Sie vor der
NRW-Wahl schöne Überschriften produzieren, aber
nichts in der Tasche haben, um diese großen Sprünge zu
realisieren, weil Sie die Unterstützung Ihrer Fraktion
nicht haben?


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)







(A) (C)



(D)(B)

Dr. Ursula von der Leyen, Bundesministerin für
Arbeit und Soziales:

Herr Heil, gerade von Ihnen hätte ich eigentlich nicht
erwartet, dass Sie von schönen Überschriften reden;
denn Sie gehörten bei der Jobcenterreform zu der Alli-
anz der Vernünftigen.


(Zurufe von der SPD: Oh! – Lachen der Abg. Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


– Ja, ich meine das aufrichtig. Ich finde, man muss sich
nicht immer nur im kleinkarierten Parteienstreit verha-
ken; es ist auch wichtig, Gemeinsamkeiten zu benennen.

Sie haben den Prozess selber mitbekommen. Die Poli-
tik hat sich aus unterschiedlichen Gründen auf Bundes-,
Landes- und kommunaler Ebene auseinanderdividiert
und konnte keinen gemeinsamen Nenner finden, wie wir
die Arbeitslosenvermittlung vor Ort regeln.


(Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Frage!)


– Nein, ich muss keine Frage stellen, sondern ich beant-
worte die Frage von Herrn Heil.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wenn Sie mir Fragen stellen, dann müssen Sie ertragen,
dass ich sie so beantworte, wie ich es für richtig halte.

Mir ist wichtig, dass wir bei diesem Punkt klarstellen:
Zweieinhalb Jahre hat es diese Auseinandersetzung ge-
geben. Dass sich jetzt die Richtigen zusammengefunden
haben und die richtige Reform auf den Weg gebracht
wurde, betrachten wir mit hohem Respekt. Das war un-
abhängig von Wahlen. Hier haben sich Menschen zu-
sammengetan, um den richtigen Weg zu gehen.


(Ute Kumpf [SPD]: Frau von der Leyen, das glauben Sie doch selber nicht!)


Sie wissen ganz genau, dass sie aus wahltaktischen
Gründen eigentlich kein großes Interesse daran gehabt
haben, dies zu machen. Wir haben es gemeinsam – da-
rauf lege ich Wert – geschafft,


(Dr. Barbara Hendricks [SPD]: Herrn Kauder zu überzeugen! Das ist Ihnen mit einem halben Jahr Verspätung gelungen!)


für die Menschen, die Hilfe brauchen, eine Lösung zu
finden.

Nächster Punkt. Sie wissen, dass die Unterhändler-
gruppe gute Arbeit geleistet hat; das habe ich eben aner-
kannt.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Das war nicht meine Frage!)


Herr Heil, ich glaube nicht, dass ein Erfolg möglich ge-
wesen wäre – das wissen auch Sie –,


(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Können Sie mal auf die Frage antworten!)

wenn sich nicht diejenigen, die die Entscheidung zu ver-
treten haben, zusammengetan und Ja zu dieser Reform
gesagt hätten.


(Dr. Barbara Hendricks [SPD]: Und was ist mit dem Geld?)


– Na ja, ich beantworte alle Fragen, die mir gestellt wur-
den.


(Dr. Barbara Hendricks [SPD]: Nein! Die Frage nach dem Geld!)


Jetzt komme ich zu der Frage nach dem Geld. Wir ha-
ben die Reform gemacht, weil wir für eine gute Vermitt-
lung aus der Langzeitarbeitslosigkeit nicht nur die aktive
Arbeitsmarktpolitik brauchen, sondern auch und vor al-
lem Jobcenter vor Ort, die funktionieren. Wir geben
40 Milliarden Euro für die Grundsicherung aus,


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Das ist die Leistung!)


für Menschen, die in Langzeitarbeitslosigkeit sind. Wir
geben 10 Milliarden Euro für die aktive Arbeitsmarkt-
politik aus; im Krisenjahr waren es 11 Milliarden Euro.
Man sieht an den Relationen: Wenn wir die Mittel der
Arbeitsmarktpolitik, also die Brücken in Arbeit, gut ver-
wenden, wenn wir die Jobcenter vor Ort gut organisie-
ren, dann ist das der richtige Weg. Denn wenn Menschen
aus der Arbeitslosigkeit wieder in Arbeit kommen, sin-
ken auch die hohen Kosten der Grundsicherung. Dieser
Politik, Herr Heil, liegt ein Konzept zugrunde. Diese
Politik zeigt den Menschen Chancen auf. Hier wird nicht
fiskalisch gerechnet und dumm gekürzt, sondern hier
wird mit den Mitteln der Arbeitsmarktpolitik der Weg in
die Beschäftigung vorgegeben.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Sagen Sie das mal Ihrer Fraktion!)


Dieses Konzept stelle ich Ihnen vor, und dieses Konzept
vertrete ich hier.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Wir werden es nicht tolerieren, Herr Heil, dass zu
viele Alleinerziehende, zu viele Jugendliche und viel zu
viele Ältere, nämlich eine halbe Million, zu den Lang-
zeitarbeitslosen zählen. Wir werden die Anstrengungen
verstärken, um sie in den ersten Arbeitsmarkt zu inte-
grieren. Es ist symptomatisch für die Opposition, dass in
dem Moment, in dem wir sagen, dass wir die Anstren-
gungen verstärken und wie wir sie verstärken, sofort die
geballte Kritik aus allen Rohren kommt: Diese Men-
schen stehen dem Arbeitsmarkt gar nicht zur Verfügung.
Daran kann man gar nichts ändern. Es gibt keine Jobs.
Es gibt keine Kinderbetreuung. Es gibt keine Ausbil-
dungsplätze. – Dieses Verhalten zeigt einen tiefen Fata-
lismus, zeigt ein statisches und rückwärtsgewandtes
Denken. Dieses Denken brauchen wir in der Zukunft
nicht. Wir wollen dynamisch denken. Unser Weg führt in
die Zukunft.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Es ist richtig: Die Probleme sind erheblich. Viele Men-
schen vertreten die Haltung: Das geht nicht. Das können





Bundesministerin Dr. Ursula von der Leyen


(A) (C)



(D)(B)

wir nicht. Das haben wir schon alles gehabt. – Aber bei
dieser Haltung können wir doch nicht bleiben. Noch nie
sind die Chancen so groß wie jetzt gewesen, für diese
Gruppen einen Fortschritt zu erzielen.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich habe Sorge, Sie reden sich gerade selber betrunken!)


Wir brauchen die Menschen. Wir stehen am Anfang
einer konjunkturellen Erholung. Viele aus der Wirtschaft
spüren schon jetzt den Fachkräftemangel. 46 000 Aus-
bildungsplätze konnten nicht besetzt werden, weil die
geeigneten Bewerberinnen und Bewerber fehlen.
Gleichzeitig sichert die Jobcenterreform vor Ort, dass in
Zukunft die Kommunen, die alle sozialintegrativen Leis-
tungen in der Hand haben, mit der Bundesagentur für
Arbeit, die die Vermittlung in Arbeit als ihr Markenzei-
chen hat, zusammenarbeiten. Das heißt, vor Ort sind alle
Instrumente vorhanden, um diese Menschen wieder in
Arbeit zu bringen.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ja schön vorgelesen!)


Wir werden die noch vorhandenen Hürden abbauen.
Der Umfang der Kinderbetreuung wird dank des Kin-
derförderungsgesetzes, das wir in der letzten Legislatur-
periode verabschiedet haben, ausgebaut. Ich erinnere in
diesem Zusammenhang an den Rechtsanspruch. Die
Bundesagentur für Arbeit qualifiziert Tagesmütter. Diese
können eingesetzt werden, um in den Randzeiten die
Kinderbetreuung sicherzustellen.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: In den Randzeiten? Wissen Sie eigentlich, was in Deutschland los ist?)


Diese Hürden waren vor Jahren unüberwindbar, als Sie,
Frau Künast, noch an der Regierung waren.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben gesagt, die deutsche Mutter muss zu Hause bleiben!)


Was haben Sie dafür getan, dass der Ausbau der Kinder-
betreuung vorangekommen ist?


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer hat das verhindert? Sie!)


– Deshalb schreien Sie jetzt so herum; das kann ich ver-
stehen. Aber diese Hürden sind nicht mehr unüberwind-
bar; denn wir haben in der letzten Legislaturperiode et-
was geleistet, wozu Sie nicht die Kraft gehabt haben.

Wir beobachten ein Phänomen, das es so vor der
Krise noch nicht gegeben hat: Die Betriebe stehen inzwi-
schen zu ihren Beschäftigten, insbesondere zu den älte-
ren Beschäftigten. Es gibt keine Entlassungswellen. Es
gibt keine Frühverrentungswellen, wie wir sie aus den
vergangenen schwierigen Phasen kennen. Die Unterneh-
men suchen Azubis. – All das garantiert zwar noch kei-
nen Erfolg; aber es sind die Grundvoraussetzungen da-
für, dass wir besser werden können, dass wir mit einem
anderen Blick und mit anderen Ansätzen als in der Ver-
gangenheit, was in Fatalismus endete, vorankommen.
Nein, wir werden mit den Instrumenten, die wir geschaf-
fen haben, und der Basis, die uns jetzt zur Verfügung
steht, diese Zusammenarbeit gemeinsam mit den Akteu-
ren vor Ort – das sind die Kommunen, die Schulen, die
Bildungsträger, die Unternehmen, die Gewerkschaften
und die Kammern – für die Menschen sichern, die Arbeit
wollen und brauchen und die diese Gesellschaft auch
braucht.

Diese Zusammenarbeit gibt es in einigen ausgezeich-
neten Regionen schon heute. Von denen können wir ler-
nen. Diese gute Zusammenarbeit soll aber nicht die Aus-
nahme bleiben; sie muss die Regel werden. Davon
profitiert jeder vor Ort: die Menschen, die die Chance
haben, ihr Leben selber in die Hand zu nehmen, die Un-
ternehmen, die die Arbeitskräfte vor Ort finden, die sie
suchen, die Beschäftigten in den Jobcentern, die erleben,
dass sie Erfolge haben und Rückhalt für ihre Arbeit er-
fahren, und schlussendlich auch die Gesellschaft und die
Sozialsysteme.

Wir wollen keine rückwärtsgewandten Parolen „Das
geht nicht!“ mehr. Es kann gehen. Aber dazu brauchen
wir die Bereitschaft, die Muster zu verändern; wir brau-
chen die Bereitschaft, die eingetrampelten Pfade zu ver-
lassen. Dies ist nicht die Zeit der Zauderer und der Be-
denkenträger. Dies ist die Zeit derjenigen, die den Mut
zum Handeln haben.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1703800600

Klaus Ernst ist der nächste Redner für die Fraktion

Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Klaus Ernst (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1703800700

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Wir haben eben einen Auftritt unseres Wirt-
schaftsministers erlebt, bei dem ich den Eindruck be-
kommen musste, dass das eine oder andere, was er uns
mitgeteilt hat, ganz vorsichtig ausgedrückt, zumindest
nicht zu Ende gedacht ist. Herr Brüderle, Sie behaupten,
Deutschland sei gut aufgestellt. Gleichzeitig reduzieren
Sie Ihre Prognose für die wirtschaftliche Entwicklung, in
der Sie noch vor kurzem von 2 Prozent Wachstum aus-
gegangen sind. Wie passt das zusammen? Sie müssen
Ihre Prognose nach unten korrigieren, weil Sie merken,
dass Ihre ökonomischen Vorstellungen nicht aufgehen.

Eine Analyse der Krise bleiben Sie uns schuldig. Sie
sagen so richtungsweisende Sätze wie: Nur wenn wir
Innovation als Chance begreifen, hat Innovation in
Deutschland eine Chance. – Nachts ist es dunkler als
draußen, Herr Brüderle.


(Heiterkeit bei der LINKEN)


Solche Sätze bringen uns nicht weiter. Eine Analyse der
Krise fehlt nach wie vor. Ich will Ihnen sagen, was an
Analyse fehlt: Es fehlt, dass Sie feststellen, dass eine Ur-
sache dieser Krise in der Bundesrepublik darin bestan-
den hat, dass die Verteilung des Volkseinkommens in





Klaus Ernst


(A) (C)



(D)(B)

der letzten Zeit nicht mehr stimmt. Wenn die Arbeitneh-
mer beim Lohn keinen Zuwachs mehr haben, wenn letzt-
endlich nur noch diejenigen, die ihr Einkommen aus Un-
ternehmertätigkeit und Vermögen beziehen, Zuwächse
zu verzeichnen haben, während der normale Mensch in
der Bundesrepublik Deutschland mit Reallohnsenkun-
gen zu rechnen hat – und das über Jahre –, dann ist klar,
dass die Ökonomie nicht mehr funktioniert. Was ist Ihre
Idee? Weitermachen wie bisher. Ich kann nicht akzeptie-
ren, Herr Brüderle, wenn Sie weiter auf Flexibilisierung
und offene Märkte setzen. Nehmen Sie zur Kenntnis,
dass die Deregulierung der Finanzmärkte eine Ursache
dieser Krise war. Aber dazu kam von Ihnen kein einziges
Wort.


(Beifall bei der LINKEN)


Auch was die Deregulierung der Arbeitsmärkte an-
geht, Frau von der Leyen, kann ich nicht erkennen, dass
Sie einen anderen Weg einschlagen wollen als bisher.
Wenn die Deregulierung der Arbeitsmärkte wie die De-
regulierung der Finanzmärkte fortschreitet, wenn wir
nichts dagegen tun, dass durch Leiharbeit und durch Be-
fristung die Löhne gedrückt werden, wenn Sie sich wei-
gern, einen Mindestlohn einzuführen, dann – das ist die
Wahrheit – ist es doch logisch, dass die Kaufkraft in die-
sem Lande kein Niveau erreicht, das vernünftiges
Wachstum ermöglicht. Aber da unternehmen Sie nichts,
Frau von der Leyen; auch Sie, Herr Brüderle, unterneh-
men da nichts.


(Beifall bei der LINKEN)


Sie haben bisher auch nichts dagegen unternommen,
dass weiterhin ein großer Teil dessen, was in dieser Wirt-
schaft erzeugt wird und an Wirtschaftsleistung erbracht
wird, letztendlich auf den Finanzmärkten landet. Die
Banken zocken; insofern haben Sie recht, wenn Sie sa-
gen: Wir sind gut aufgestellt. Die Banken sind wahrlich
gut aufgestellt. Herr Ackermann macht wieder seine
Profite. Wenn wir nicht gegensteuern – das sage ich Ih-
nen –, beachten Sie eine Grundregel der Ökonomie über-
haupt nicht. Das ist die VNKN-Regel, Herr Brüderle:
Von nichts kommt nichts.


(Heiterkeit bei der LINKEN – Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Diese Regel passt zu Ihnen!)


Wenn man das Geld in die Finanzwelt abwandern lässt,
wenn man nichts dagegen tut, dass die Banken, die Kre-
dite billigst aufnehmen können, einem normalen Men-
schen aber 12 oder 13 Prozent Zinsen abverlangen, wenn
er sein Konto überzieht, wenn Sie nichts dagegen tun,
dass die Mittelständler, selbst wenn sie bei den Banken
um Kredite betteln, keinen Kredit bekommen, weil die
Banken mit dem Geld an den Finanzmärkten mehr ver-
dienen können, als wenn sie es dem Mittelstand als Kre-
dit geben, dann werden Sie Ihrer Aufgabe als Wirt-
schaftsminister nicht gerecht, Herr Brüderle.


(Beifall bei der LINKEN – Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Von Tuten und Blasen keine Ahnung!)

Jetzt sage ich Ihnen, was notwendig wäre, um das zu
ändern.


(Arnold Vaatz [CDU/CSU]: Jetzt sind wir gespannt!)


– Ja. – Wir brauchen eine Stärkung der Binnennach-
frage. Diese Stärkung der Binnennachfrage erreichen
wir nur dadurch, dass wir uns das Erfolgsmodell
Deutschland, das wir einmal hatten, zumindest in Ge-
danken tatsächlich wieder vor Augen führen.

Worin bestand das denn? – Leistung muss sich loh-
nen.


(Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Hört! Hört!)


Es war selbstverständlich so, dass Produkte aus Deutsch-
land ganz besonders gefragt wurden.

Worin lag die Ursache? – Wenn jemand bei uns in der
Bundesrepublik mehr Geld verdienen und als Unterneh-
mer innovativ sein wollte, dann musste er sich etwas ein-
fallen lassen. Er musste darüber nachdenken, welche
neuen Produkte er einführt und welche neuen Verfahren
er möglicherweise praktiziert.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Das gilt heute genauso!)


Eines ging nämlich nicht: einfach die Löhne nach unten
drücken oder die Arbeitszeiten verlängern. Das war ent-
sprechend geregelt. Wenn Sie das aber nun vernachlässi-
gen, dann heißt das in der Konsequenz: Erfolgreiche
Innovationen sind nicht mehr gefragt, und es ist nicht
notwendig, sich über neue Verfahren Gedanken zu ma-
chen, weil ein Unternehmer nun einfach die Löhne nach
unten drücken oder die Arbeitszeiten verlängern kann.

Unser Erfolgsmodell Deutschland hing davon ab,
dass es geregelte Arbeitsbeziehungen gab, aufgrund
derer es nicht möglich war, mehr Geld zu verdienen, in-
dem man die Leute mehr quälte. Diese Ebene haben Sie
verlassen,


(Beifall bei der LINKEN – Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: Was erzählen Sie denn hier für einen Unsinn? Das gibt es doch überhaupt nicht!)


indem Sie zum Beispiel keine Regeln für Mindestlöhne
aufstellen, indem Sie die Gewerkschaften massiv ge-
schwächt haben, indem es nach wie vor kein vernünfti-
ges Streikrecht gibt und indem Sie letztendlich flexible
Arbeitsmärkte – es geht zum Beispiel um Leiharbeit, Be-
fristungen und Ähnliches – nicht vernünftig regeln.

Deshalb sage ich Ihnen: Wenn Sie für all das jetzt
nicht sorgen, dann bereiten Sie jetzt die nächste Krise
vor. Wenn Sie sich weigern, Regelungen dafür zu tref-
fen, dass das Geld in die Realwirtschaft fließt und nicht
in die Finanzmärkte abwandert, dann bereiten Sie die
nächste Krise vor.

Herr Brüderle, es kann ja sein, dass Sie Ihre Brüderles
in den Banken und Ihre Brüderles bei den Hoteliers da-
mit möglicherweise gut bedenken,





Klaus Ernst


(A) (C)



(D)(B)


(Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: Das ist doch nicht Ihr Ernst, Herr Ernst!)


aber ich kann Ihnen sagen: Es ist nicht akzeptabel, dass
Sie sich kurz vor einer Wahl in Nordrhein-Westfalen hier
hinstellen und Steuergeschenke verteilen, die letztend-
lich auf einer neuen Rechenart beruhen; denn es ist ja ei-
gentlich nicht möglich, bei sinkenden Einnahmen mehr
Geld auszugeben. Wenn Sie so verfahren, sagen Sie den
Bürgern dieser Republik und insbesondere denen in
Nordrhein-Westfalen nicht die Wahrheit. Die Wahrheit
werden Sie aber präsentieren müssen, spätestens dann,
wenn der Finanzminister wieder da ist. Er wird Ihnen
nämlich vorrechnen, dass man Geld nur dann ausgeben
kann, wenn man es hat. Er ist nämlich Schwabe, Herr
Brüderle, und nicht aus der Pfalz.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Damit komme ich zum Schluss. Ich finde es absolut
inakzeptabel, dass, wenn wir hier Vorschläge machen,
permanent die Rede davon ist, die Linke würde Luft-
nummern verbreiten und könne nicht rechnen. Herr
Brüderle, das, was Sie hier vorgelegt haben, ist nichts
anderes als eine Luftnummer. Ich kann Ihnen sagen: Die
Bürger werden das merken. Deshalb liegen auch Ihre
Umfragewerte im Keller.

Ich danke fürs Zuhören.


(Beifall bei der LINKEN – Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Eine Rede voller Widersprüche! – Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: Ihre Rede war eine Luftnummer!)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1703800800

Das Wort hat nun der Kollege Dr. Heinrich Kolb für

die FDP-Fraktion.


(Beifall bei der FDP)



Dr. Heinrich L. Kolb (FDP):
Rede ID: ID1703800900

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich

möchte mit einer Anmerkung zu der Rede von Herrn
Steinmeier beginnen.

Herr Steinmeier, ich habe mit Interesse gehört – das
ist ja ausdrücklich zu begrüßen –, dass Sie regelmäßig
Besuche in Betrieben durchführen


(Dr. Frank-Walter Steinmeier [SPD]: Nicht so von oben herab!)


und sich anhören, wo die Unternehmen der Schuh
drückt. Ich habe nur den Eindruck, Herr Steinmeier, dass
hier gilt – dabei kommt mir ein altes Wortspiel in den
Sinn –: Gehört ist nicht verstanden.


(Dr. Frank-Walter Steinmeier [SPD]: Das stimmt, Herr Kolb, darunter leiden Sie schon lange! – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Wann waren Sie denn das letzte Mal im Betrieb?)


Wenn Sie nämlich das, was Sie in den Betrieben gehört
haben, tatsächlich verstanden hätten, Herr Steinmeier,
dann müssten Sie die Arbeiten an der Neuausrichtung
Ihrer Wirtschaftspolitik sofort stoppen – das wäre konse-
quent, Herr Steinmeier –


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Frank-Walter Steinmeier [SPD]: Das habe ich jetzt wirklich nicht verstanden!)


und dann müssten Sie die fortschreitende Abkehr Ihrer
Partei und ihrer Fraktion von der Agenda 2010,


(Dr. Frank-Walter Steinmeier [SPD]: Ja, ja, ja! – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Reden Sie einmal mit der Wirtschaft darüber, was sie über die Ihre denkt!)


deren Architekt Sie im Bundeskanzleramt ja gewesen
sind, unverzüglich aufhalten. Genau dies tun Sie aber
nicht. Deswegen klaffen bei Ihnen Reden und Handeln
auseinander.


(Beifall bei der FDP – Dr. Frank-Walter Steinmeier [SPD]: Wer keine Linie hat, kann sie nicht verlassen! – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Das sagt einer von der FDP!)


Meine Damen und Herren, für eine Wirtschaftspolitik
für Wachstum und Arbeitsplätze müssen wir, wie ich
glaube – das ist aus dem bisherigen Verlauf der Debatte
auch schon deutlich geworden –, Zweierlei tun. Wir
müssen zum einen unser erfolgreiches Krisenmanage-
ment fortsetzen.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Wieso Ihr Krisenmanagement?)


Zum anderen müssen wir die Voraussetzungen für ein
möglichst starkes Wachstum schaffen, damit sich die
Perspektiven für die Unternehmen, die auch für das Ni-
veau der Beschäftigung in unserem Lande von entschei-
dender Bedeutung sind, möglichst schnell wieder ver-
bessern.

Ich will mit dem ersten Punkt, dem Krisenmanage-
ment, beginnen und dabei auf das zentrale Instrument
des Kurzarbeitergeldes zu sprechen kommen. Es war
und bleibt das wichtigste Instrument in der Krise.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Danken Sie Olaf Scholz doch mal dafür!)


– Nein, die Kurzarbeit steht schon ewig im Gesetz.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Olaf Scholz hat es verbessert! Sie haben es verschlechtert!)


Sie haben es genutzt, wie es andere Regierungen in die-
ser Situation auch getan hätten. Aber Sie haben es nicht
hundertprozentig richtig ausgestaltet, Herr Heil. Deswe-
gen war es wichtig – darauf hat unsere Fraktion gedrun-
gen –, dass wir bei der Verlängerung der Erstattungs-
möglichkeiten beim Kurzarbeitergeld Veränderungen
vorgenommen haben. Ich hielt es für falsch, als Sie da-
mals beschlossen haben, die Konzernklausel in das
Kurzarbeitergesetz aufzunehmen, nach der, wenn in ei-
nem Betrieb eines Arbeitgebers mindestens sechs Mo-
nate Kurzarbeit durchgeführt wurde, alle Betriebe dieses
Arbeitgebers ab dem ersten Tag die Möglichkeit erhiel-
ten, eine hundertprozentige Beitragserstattung zu be-





Dr. Heinrich L. Kolb


(A) (C)



(D)(B)

kommen. Das war aus meiner Sicht – ich habe das da-
mals deutlich gesagt und wiederhole es jetzt noch einmal –
für die großen Unternehmen eine Lizenz zum Ausplün-
dern der Kasse der Bundesagentur in Nürnberg.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Die hatten auch große Probleme!)


Dies haben wir korrigiert. Das war für uns wichtig.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Keine Ahnung von der Industrie!)


Jetzt gilt wieder die arbeitgeberbezogene Ausrichtung.
Ein Unternehmen, in dem Kurzarbeit durchgeführt
wurde, hat ab dem siebten Monat die Möglichkeit, für
die Arbeitnehmer dieses Unternehmens zu 100 Prozent
die Beitragserstattung zu bekommen. Das halte ich für
richtig und angemessen.


(Beifall bei der FDP)


Für uns war auch wichtig, Herr Heil – das ist der
zweite Punkt –, dass die Förderung tariflicher Kurzar-
beit durch Beitragsmittel, die man avisiert hatte und
die auch schon im Tarifabschluss im Metallbereich ange-
legt war, für die Zukunft ausgeschlossen wird.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Gut, dass Sie es noch einmal sagen!)


Das wollen wir ausdrücklich nicht. Denn es kann nicht
sein, dass es eine Tarifpolitik zulasten der Beitragszahler
gibt.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Für Arbeit ist das, nicht zulasten!)


Das werden wir nicht mitmachen.


(Beifall bei der FDP)


Das Instrument der Kurzarbeit ist also wichtig. Es
muss nachgesteuert werden. Das tun wir. Missbrauch be-
fürchte ich nicht. Das will ich deutlich sagen; denn dafür
ist das Instrument der Kurzarbeit für die Unternehmen
zu teuer. Zwei Drittel der Kosten werden von den Ar-
beitnehmern und den Arbeitgebern, also den Unterneh-
men, getragen. Das ist per se ein, wie ich denke, wirksa-
mer Schutz gegen Missbrauch.

Für uns ist auch wichtig, dass es künftig bei Qualifi-
zierungsmaßnahmen die Möglichkeit der hundertpro-
zentigen Erstattung gibt. Diese Entscheidung haben wir
sehr bewusst getroffen, weil wir die Wichtigkeit von Bil-
dung und Weiterbildung im Berufsleben anerkennen und
dies ausdrücklich fördern wollen.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP)


Es gibt jetzt eine Exit-Strategie. Das ist wichtig. Das
Ende der Krise rückt in den Blick. Das Licht am Ende des
Tunnels wird sichtbar. Deswegen haben wir keine voll-
ständige Synchronisierung der Bezugsfristen und der Er-
stattungsmöglichkeit vorgenommen, sondern die Erstat-
tungsmöglichkeit nur bis zum Frühjahr 2012 verlängert.
Danach gibt es selbstverständlich weiterhin Kurzarbeit,
aber keine Beitragserstattung mehr. Diese Übergangslö-
sung verhindert, dass es fallbeilartig zu einem Ende der
Kurzarbeit kommt. Stattdessen wird sich die Förderung
langsam ausschleichen. Das wird helfen, Brüche am Ar-
beitsmarkt zu verhindern.

Mein Kollege Vogel wird noch Weiteres zum Beschäf-
tigungschancengesetz vortragen. Ich will zum Schluss
meiner Ausführungen festhalten, dass wir unser Augen-
merk jetzt auf die Anstrengungen zur wirtschaftlichen Er-
holung richten müssen.

Wir brauchen selbstverständlich weiterhin Steuersen-
kungen. Das Thema steht auf der Agenda. Arbeit muss
sich lohnen. Wir brauchen Entbürokratisierung und auch
Steuervereinfachung, Herr Kollege Ernst. Wir brauchen,
um die Anregung der Ministerin aufzunehmen, eine mo-
derne Form der Zuwanderung von qualifizierten Arbeit-
nehmern in unsere Volkswirtschaft. Das ist sehr wichtig.

Ich glaube, wenn wir den Weg fortsetzen, den wir in
den letzten Monaten eingeschlagen haben, dann haben
wir die besten Voraussetzungen dafür, dass die Unter-
nehmen, nachdem sie in der Krise die Segel nach unten
geholt haben, diese baldmöglichst wieder hochziehen
können, damit der entstehende Wind die Segel füllt und
die Schiffe wieder Fahrt aufnehmen.


(Dr. Frank-Walter Steinmeier [SPD]: Und Sie sind der Windbeutel!)


In diesem Sinne, Herr Steinmeier – ich sehe durchaus
konstruktive Beiträge, die Ihre Fraktion geleistet hat,
ausdrücklich auch bei dem Thema Orga-Reform, das die
Ministerin angesprochen hat; ich habe auch die Zusam-
menarbeit mit Ihrem Kollegen Heil in diesem Punkt als
sehr angenehm empfunden –, wünsche ich Ihnen und
uns Mut, Tatkraft, Weitsicht, Fingerspitzengefühl und
das nötige Verständnis für die aktuellen Herausforderun-
gen.

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1703801000

Das Wort erhält der Kollege Fritz Kuhn für die Frak-

tion Bündnis 90/Die Grünen.


Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1703801100

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Nachdem ich mir die bisher geführte Debatte
angehört habe, frage ich mich schon, wie die Bundesre-
gierung eigentlich aufgestellt ist. Ich mache das einmal
an der Verlängerung des Kurzarbeitergeldes deutlich.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo ist eigentlich Frau von der Leyen?)


Natürlich kann man das Kurzarbeitergeld verlängern.
Eine Verlängerung bis zum März 2012 ist aber doch ein
Zeichen dafür, dass man die wirtschaftspolitische Situa-
tion für fragil hält; denn sonst würde man nicht einen so
langen Zeitraum wählen. Wenn dies der Fall ist, kann
man nicht, wie Herr Minister Brüderle es am Mittwoch
und auch in seiner heutigen Rede getan hat, in eine
Grundsatzeuphorie nach dem Muster „Alles ist schon
geregelt“ ausbrechen. Entweder das eine oder das an-
dere! An diesem Prozedere erkennen Sie, dass die Re-





Fritz Kuhn


(A) (C)



(D)(B)

gierung insgesamt keinen gemeinsamen Nenner bei der
Krisendeutung hat.

Frau von der Leyen – –


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Vielleicht könnte die einmal zuhören! – Widerspruch von der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1703801200

Da sich die Ministerin gerade um eine Kollegin ge-

kümmert hat, der unwohl war, sollten wir an dieser Stelle
nun wirklich keine unnötige Spekulation anstellen.


Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1703801300

Frau von der Leyen, Ihre eben gehaltene Rede war für

mich kein argumentativer Höhepunkt. Ich will Ihnen
auch sagen, warum. Sie sprechen bei der vom Bundes-
verfassungsgericht erzwungenen Reform der Jobcenter
von einer „Allianz der Vernünftigen“. Das können Sie
seriöserweise nicht tun, nachdem die CDU – das weiß
die gesamte Öffentlichkeit – jahrelang die Reform der
Jobcenter verhindert hat.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Das ist einfach nicht redlich. Meines Erachtens ist es ei-
gentlich auch unter Ihrer Würde, hier mit solchen Zau-
bertricks zu argumentieren.

Die Verlängerung der Kurzarbeiterregelung ist okay.
Ich bitte Sie aber, mehr Initiativen zu ergreifen, damit
die Möglichkeiten zur Qualifizierung, die die Kurzar-
beit bietet – die in der Quote heute nur bei 10 Prozent
liegt –, ausgeschöpft werden. Dafür gibt es auch einen
wirtschaftspolitischen Grund. Wir haben nämlich nicht
nur Konjunkturkrise, sondern auch Strukturkrise.


(Ute Kumpf [SPD]: Wir haben auch eine Weiterbildungskrise!)


Ein Merkmal der Überwindung einer Strukturkrise ist,
dass Sie innerbetrieblich umsteuern und die Weiterbil-
dung vorantreiben. Das wäre der entscheidende Punkt;
das erwarten wir von einer Arbeitsministerin an dieser
Stelle auch.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Frau von der Leyen, viel Neues haben Sie nicht vor-
gelegt. Vieles von dem, was Sie zum Beispiel in Bezug
auf die Jugendlichen vorschlagen, ist bereits Gesetz. Ei-
nes ist mir aber wichtig: Wenn Sie etwas für die Allein-
erziehenden tun wollen und deren Arbeitsfähigkeit und
die Kinderbetreuungsmöglichkeiten verbessern wol-
len, dann tragen Sie dazu bei, dass man die Kommunen
in ihrer finanziellen Basis nicht weiter ausbluten lässt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Wenn sie Schulden und kein Geld haben, können sie die
Kinderbetreuung nämlich nicht verbessern. Da können
Sie Tagesmütter durch die Bundesagentur schulen las-
sen, soviel Sie wollen.
Meine weitere Bitte an Sie lautet: Wir müssen aufpas-
sen, dass in den nächsten Jahren neue Arbeitsplätze in
Deutschland nicht weiterhin in Form prekärer Arbeits-
verhältnisse ausgestaltet werden. Vielmehr brauchen wir
vernünftige Vollerwerbsarbeitsplätze. Wenn ich höre,
dass Sie nach der Wahl die Weiterbeschäftigung auf be-
fristeten Arbeitsplätzen in Form von Kettenverträgen er-
leichtern wollen, kann ich nur sagen: Das ist die falsche
Politik. Wir müssen dazu kommen, dass nicht mehr Si-
cherheit in Unsicherheit verwandelt wird, sondern dass
auf dem Arbeitsmarkt Unsicherheit zunehmend in Si-
cherheit verwandelt wird. Das schafft nämlich Vertrauen
bei den Bürgerinnen und Bürgern sowie bei der Wirt-
schaft.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Herr Brüderle, als ich Ihre Ausführungen am Mitt-
woch gehört habe, habe ich mich schon gefragt, was
denn in Sie gefahren ist. Angesichts Ihrer „Wachstums-
besoffenheit“ müssten Sie eigentlich in die Ausnüchte-
rungszelle. Die von Ihnen vorgelegten Zahlen geben das
nämlich nicht her. Sie sprechen jetzt von einem Wirt-
schaftswachstum von 1,4 Prozent im Jahr 2010 und
1,6 Prozent im Jahr 2011. Daraus leiten Sie ab, dass
Geld ohne Ende in der Kasse ist, ignorieren aber, dass in
der Haushaltsplanung des Bundes für die Jahre 2011 ff.
2 Prozent Wachstum angesetzt sind. Diese Nummer, es
sei genügend Geld für Ihre Steuersenkungspläne vor-
handen, können Sie nicht seriös verkaufen. Die können
Sie sich wirklich abschminken.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sie agieren wie jemand, der kaum Geld und darüber hi-
naus noch Schulden hat, aber bei der Sparkasse Geld lei-
hen will, weil er ein Haus für 1 Million Euro kaufen will,
und dann, wenn die Sparkasse dafür keinen Kredit gibt,
sagt: Dann nehme ich eben eines für 500 000 Euro. –
Das ist doch absoluter Unsinn. So kann man nicht agie-
ren. Wer die Steuern nicht um 35 Milliarden Euro sen-
ken kann, der hat auch keinen Spielraum für eine Steuer-
senkung von 16 Milliarden Euro, die Sie in Ihrem
jüngsten Fünfstufentarif vorgeschlagen haben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Dr. Georg Nüßlein [CDU/ CSU]: Das ist nicht logisch!)


Ich habe selten in der Politik erlebt, dass jemand mit
der Verve, mit demselben Tempo und mit dem Karacho
wie die FDP zum zweiten Mal an die Wand fährt und
eine Politik der Unmöglichkeit zum Programm erklärt.
Wir müssen ab 2011 wegen der Schuldenbremse jedes
Jahr 10 Milliarden Euro weniger Schulden machen. Es
gibt unendlich viele Risiken auf dem Finanzmarkt.
Hinzu kommen die Probleme in der EU und in Griechen-
land. Das alles kostet Geld. Und dann kommt die FDP
und will uns erzählen, es sei kein Problem, die Steuern
um 16 Milliarden Euro zu senken; im Zweifelsfall gebe
es ja noch das Liberale Sparbuch. Ich sage: Das ist keine
seriöse Politik. Es wundert mich nicht, dass die Wirt-
schaftseliten in Deutschland der FDP fluchtartig davon-
laufen, weil sie es satt haben, dass man eine Politik als
machbar verkauft, die irreal ist. Sie von der FDP sind Ir-





Fritz Kuhn


(A) (C)



(D)(B)

realos geworden. Herr Brüderle, Sie sind kein seriöser
Wirtschaftsminister, der Vertrauen im Land schafft.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich will es noch einmal klarmachen, Herr Wirt-
schaftsminister. Die Aufgabe eines Wirtschaftsministers
am Ende einer Krise, also dann, wenn es einen konjunk-
turellen Aufschwung gibt, ist doch, Seriosität und Ver-
trauen nicht nur bei den Konsumenten, sondern auch bei
der Wirtschaft zu erwecken, damit diese investiert. Aber
Ihre Dampfplaudereien über ein Wachstum der Wirt-
schaft und eine tolle Konjunktur sind insgesamt nicht
dazu angetan, neues Vertrauen zu schaffen.

Sie sind ein Ankündigungsguru: Ich nenne nur das
Stichwort „Entflechtungsgesetz“. Heute war es mucks-
mäuschenstill, als Sie dieses Wort in den Mund genom-
men haben.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Wird wohl nichts, Brüderle!)


Sie haben versucht, als Tiger zu springen, sind aber
schon jetzt als Bettvorleger gelandet.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Flokati! – Ute Kumpf [SPD]: Der ist nie vom Bettvorleger aufgestanden!)


Das wird nichts, weil Sie sich nicht trauen, sich mit den
wirklichen Lobbys in Deutschland anzulegen. Deswegen
sind Sie in der Koalition in einer Rückzugsbewegung.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Unser Hauptvorwurf lautet: Sie sind nicht in der
Lage, Innovations- und Wachstumspotenziale so zu mo-
bilisieren, dass Arbeitsplätze entstehen. In der Energie-
politik gehen Sie mehrere Schritte rückwärts. Die Ver-
längerung der Laufzeiten der Atomkraftwerke wird
überhaupt nichts bringen. Sie bremsen beim Ausbau der
Erneuerbaren. Das Energiedienstleistungsgesetz, mit
dem Sie jetzt die EU-Richtlinie umsetzen, schafft keine
neuen Arbeitsplätze. Dänemark hat geregelt, dass die
Energieversorger Kunden in der Form bei Einsparungen
helfen müssen, dass die Kunden jedes Jahr 1,2 Prozent
weniger Strom und Wärmeenergie verbrauchen. Das
führt auf breiter Basis zur Entwicklung neuer Techno-
logien. Was macht Brüderle? Alle müssen wissen: Er
verlangt, dass in der Stromrechnung Telefonnummern
von Handwerkern mit aufgeführt werden, die vielleicht
dabei helfen können, etwas einzusparen.

Was Sie machen, ist Innovationsverweigerung. Das
kostet Arbeitsplätze. Sie sind in einer Rückwärtsbewe-
gung in der Energiepolitik.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Dafür gibt es einen Grund: Sie sind nicht der Innova-
tionstreiber, sondern Sie sind abhängig von alten Lob-
bys. Es ist das Kernproblem der FDP, dass sie nicht das
Neue verteidigt, sondern dass sie von der Lobby getrie-
ben wird. Die Spenden, die Sie für Ihre falschen Verspre-
chen bekommen, zeigen, dass etwas daran ist.
Herr Brüderle, ich komme zum Schluss. Sie als Wirt-
schaftsminister müssen sich endlich daranmachen, durch
Innovationen neue Arbeitsplätze zu schaffen. Wir nen-
nen das Green New Deal. Damit kann man neue Jobs
schaffen. Aber mit Ihren Manövern und Ihrer selbst-
suggestiven Politik werden Sie keinen Blumentopf ge-
winnen.

Vielen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1703801400

Dr. Joachim Pfeiffer ist der nächste Redner für die

CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Joachim Pfeiffer (CDU):
Rede ID: ID1703801500

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-

ren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Manchmal ist es
gut, sich klarzumachen, wo wir eigentlich stehen. Wir
befinden uns im Jahr 2010, und noch haben wir die
größte Wirtschafts- und Finanzkrise, die diese Republik
je hatte, noch nicht durchgestanden. Herausgekommen
aus dieser Krise sind wir erst, wenn wir an die Entwick-
lung zwischen 2005 und 2008 anknüpfen – damals wa-
ren wir in vielen Bereichen auf dem richtigen Weg – und
dauerhaftes Wachstum schaffen.

In der Tat wird ein wesentlicher Teil des Wachstums
in diesem Jahr durch Konjunkturmaßnahmen bedingt
sein. Im nächsten Jahr muss das anders sein. Unsere zen-
trale Herausforderung ist – Herr Bundesminister
Brüderle, Bundesministerin von der Leyen und andere
Redner haben es angesprochen –, für ein dauerhaftes,
selbsttragendes Wachstum zu sorgen. Die Erreichung
dieses Ziels hat für diese Regierung oberste Priorität.
1 Prozent Wachstum schafft 6 bis 7 Milliarden Euro
Steuermehreinnahmen. 1 Prozent Wachstum schafft
gleichzeitig 4,5 Milliarden Euro Mehreinnahmen in der
Sozialversicherung, und das bei gleichzeitigem Rück-
gang der Ausgaben für Sozialtransfers in Höhe von 3 bis
5 Milliarden Euro. Wachstum ist also alternativlos. Wir
müssen die Voraussetzungen für Wachstum schaffen.
Wir tun dies, indem wir die Gütermärkte stärken. Was
die Telekommunikation und die Post – sie sind ange-
sprochen worden – angeht, gilt es zum Wohle der Wirt-
schaft und der Bürger deren Effizienzpotenziale zu he-
ben und somit die Wettbewerbsfähigkeit zu stärken.

Wir müssen uns aber auch überlegen, wie auf intelli-
gente Weise zukünftig Innovationen hervorgebracht wer-
den können. Deshalb will und wird diese Regierung eine
steuerliche Forschungsförderung einführen, deren
Nutzen dreimal höher ist als ihre Kosten. Dadurch wer-
den neue Produkte und Dienstleistungen auf den Markt
gebracht. Langfristig schafft das Wachstumsperspekti-
ven.

Diese Regierung wird auch für eine Vereinfachung
des Steuerrechts und für Steuerentlastungen sorgen,
und zwar mit dem Ziel, dass sich Leistung wieder lohnt.





Dr. Joachim Pfeiffer


(A) (C)



(D)(B)

Wir werden auch etwas für die Kommunen tun. Ich
glaube, die Kommunen haben mittlerweile selber einge-
sehen, dass das unsägliche Auf und Ab bei der Gewerbe-
steuer nicht der Weisheit letzter Schluss ist. Ziel muss es
sein, eine Verstetigung der Einnahmen der Kommunen
zustande zu bringen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Ich will an dieser Stelle heute auch auf die besondere
Rolle des Arbeitsmarktes eingehen. Hier wurde ja gefor-
dert, die Reformen, die am Arbeitsmarkt durchgeführt
wurden – ich gestehe durchaus, dass sie unter Rot-Grün
eingeleitet und von der Großen Koalition fortgeführt
wurden –, rückgängig zu machen. Das wäre falsch, weil
die damit einhergehenden Maßnahmen wie auch mode-
rate Tarifabschlüsse und Innovationen bei Dienstleistun-
gen und Produkten dazu geführt haben, dass diese Repu-
blik 2008 das höchste Beschäftigungsniveau seit ihrer
Gründung 1949 erreicht hat, nämlich über 40 Millionen
Erwerbstätige.

Damit einher geht eine bessere Wettbewerbsfähig-
keit deutscher Produkte und Dienstleistungen im Aus-
land. Anders ausgedrückt: Wir können mehr exportieren.
Dass Produkte und Dienstleistungen in Deutschland auf-
grund der Maßnahmen der Bundesregierung preiswerter
und effizienter als in anderen Ländern hergestellt bzw.
erbracht werden, hat positive Auswirkungen auf den Ex-
port. Zum Beispiel werden aus Deutschland Maschinen
und Konsumprodukte nach Frankreich geliefert. Davon
haben auch die Franzosen etwas, weil sie so bessere und
preiswerte Produkte bekommen. Man gewinnt dort also
gleichzeitig Konsumentensouveränität zurück. Nicht an-
ders verhält es sich mit Produkten und Dienstleistungen,
die wir einkaufen. Das ist die positive Seite der Globali-
sierung und des europäischen Binnenmarktes.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1703801600

Herr Kollege Pfeiffer, gestatten Sie eine Zwischen-

frage des Kollegen Ernst?


Dr. Joachim Pfeiffer (CDU):
Rede ID: ID1703801700

Wenn es sein muss, bitte.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1703801800

Es muss nicht sein. Deswegen frage ich Sie ja.


Dr. Joachim Pfeiffer (CDU):
Rede ID: ID1703801900

Doch. Ich bin einverstanden.


Klaus Ernst (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1703802000

Herzlichen Dank für die Gelegenheit, hier eine Frage

zu stellen – Sie haben in Ihren Ausführungen die Aus-
richtung Deutschlands auf den Export als sehr positiv
dargestellt. Das wundert mich. Sind Sie insofern bereit,
zur Kenntnis zu nehmen, dass wir durch unsere einsei-
tige Ausrichtung auf Exporte einen Handelsbilanzüber-
schuss zu verzeichnen haben, der gleichzeitig zu Defizi-
ten in anderen Ländern führt? Sind Sie auch bereit, zur
Kenntnis zu nehmen, dass diese Tatsache unter anderem
dazu beiträgt, dass es jetzt Probleme mit Griechenland
gibt und es möglicherweise zu Problemen mit Portugal
und Spanien kommen wird?

Wollen Sie diesen Kurs wirklich fortsetzen? Ist es
nicht so, dass die Fortsetzung dieses Kurses bedeutet,
dass wir permanent denjenigen Ländern helfen müssen,
deren Haushaltsdefizite das Ergebnis unserer eindeuti-
gen Ausrichtung auf den Export sind?


Dr. Joachim Pfeiffer (CDU):
Rede ID: ID1703802100

Also, in der Tat bin ich gern bereit, nicht nur zur

Kenntnis, sondern sogar freudig zur Kenntnis zu neh-
men, dass wir diese Exportstärke haben. Ich habe gerade
versucht, zu erläutern, was uns diese Überschüsse und
diese Exportstärke bringen. Zunächst einmal ist es das
Ergebnis von Reformmaßnahmen am Arbeitmarkt, von
Strukturreformen der Unternehmen, von erhöhter Inno-
vationskraft, dass wir so attraktive Produkte und Dienst-
leistungen haben, dass diese auch nachgefragt werden.
Das ist der Grund dafür, dass wir bis zur Krise großes
Wachstum hatten und das höchste Beschäftigungsniveau
seit 1949 erreicht hatten. Da möchte ich Sie nun fragen,
ob Sie bereit sind, dieses zur Kenntnis zu nehmen. Das
ist nämlich das Ergebnis der Politik, die wir gemacht ha-
ben.

Verstehe ich Ihre Frage richtig, dass Sie uns nun allen
Ernstes das griechische Geschäftsmodell empfehlen?
Wollen Sie uns vorschlagen, die notwendigen Anpas-
sungs- und Strukturmaßnahmen nicht vorzunehmen?
Damit würden wir Gefahr laufen, auf die gleiche
Schiene wie Griechenland und vielleicht auch manch an-
deres Land zu kommen. Das kann doch wohl nicht Ihr
Ernst sein.


(Eduard Oswald [CDU/CSU]: Doch! Das ist sein Ernst!)


Es kann ja wohl nicht sein, dass wir schlechter werden
sollen, um uns an die anderen anzugleichen. Das ist nicht
das Geschäftsmodell, das ich mir und das wir uns in die-
ser Koalition vorstellen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Abg. Klaus Ernst [DIE LINKE] meldet sich zu einer weiteren Zwischenfrage)


– Die Frage ist noch nicht beantwortet!


(Eduard Oswald [CDU/CSU]: Jetzt reicht es! Die Frage ist beantwortet!)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1703802200

Nach meinem Empfinden ist sie beantwortet, und das

hilft auch der Einhaltung der vereinbarten Gesamtrede-
zeit.


(Abg. Michael Schlecht [DIE LINKE] meldet sich zu einer Zwischenfrage)


Ich lasse jetzt noch eine weitere Zusatzfrage zu, aber
dann ist auch gut. – Bitte schön.






(A) (C)



(D)(B)


Michael Schlecht (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1703802300

Herr Kollege Pfeiffer, Sie sagen, wir sollten nicht das

Geschäftsmodell Griechenlands übernehmen. Das ist si-
cherlich nicht die Frage. Verstehe ich es aber richtig,
dass Sie der Auffassung sind, dass die Griechen und
andere Länder – aber hier ging es jetzt ja um Griechen-
land – das deutsche Geschäftsmodell zu übernehmen
haben? Das deutsche Geschäftsmodell heißt ja: Lohn-
dumping durch die Agenda 2010, Lohndumping durch
Befristung, Leiharbeit, Mini-Jobs und Arbeitslosen-
geld II. All das hat ja dazu geführt, dass in Deutschland
die Lohnstückkosten in den letzten zehn Jahren gerade
einmal um 7 Prozent angestiegen sind. In allen anderen
Ländern der Euro-Zone sind sie dagegen im Durch-
schnitt um 27 Prozent angestiegen. Sind Sie der Auffas-
sung, dass die anderen Länder das Geschäftsmodell des
Lohndumpings übernehmen sollten? Dann müssten Sie
allerdings auch die Frage beantworten, zu was das am
Ende führt, ob das dann nicht zu einer allgemeinen De-
flation in Europa führt.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)



Dr. Joachim Pfeiffer (CDU):
Rede ID: ID1703802400

In der Tat halte ich es für einen Erfolg, dass es uns in

den letzten zehn Jahren gelungen ist, den Anstieg der
Lohnstückkosten zu bremsen. Denn dieses hat die Wett-
bewerbsfähigkeit des Standortes Deutschland gestärkt
und letztlich, wie gesagt, zu mehr Wettbewerbsfähigkeit,
zu erfolgreicheren Produkten und Dienstleistungen und
zu mehr Arbeitsplätzen bei uns geführt.

Sie werden hier doch nicht allen Ernstes einen An-
stieg der Lohnstückkosten propagieren wollen! Damit
würde sich doch die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands
und vielleicht sogar ganz Europas im weltweiten Kon-
text verschlechtern.

Wenn Sie von Lohndumping reden, möchte ich dem
entgegenhalten, dass die Höhe der Löhne in Deutschland
weltweit und in Europa noch mit an der Spitze liegt.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Da kann ich also hinten und vorne kein Lohndumping
erkennen. Ganz im Gegenteil: Genau diese maßvolle
Entwicklung bei den Lohnstückkosten hat dazu geführt,
dass wir heute besser dastehen als die anderen. Deshalb
fordere ich in der Tat, dass sich andere an diesem Pro-
zess, an dieser Entwicklung, sozusagen an dieser Bench-
mark, orientieren. Das ist der richtige Weg. Insofern
haben Sie das richtig herausgearbeitet, nur die Schluss-
folgerung war falsch. Vielleicht können wir darüber
beim nächsten Mal noch einmal sprechen.

Ich möchte aber gern noch auf ein weiteres Thema,
das angesprochen worden ist, eingehen. Das ist die
Kaufkraft. Da muss man schon einmal mit dieser Mär
aufräumen, die von Salonlinken, also von den Grünen
über die SPD bis ganz Linksaußen, immer wieder gern
verkauft wird, nämlich dass die Kaufkraft nur dadurch
gestärkt werden könne, dass man die Reallöhne erhöht
und die Reformen zurückdreht, die notwendig und sinn-
voll waren. Das ist nämlich eine Milchmädchenrech-
nung. Das schadet vielmehr der Wettbewerbsfähigkeit
und führt zu weniger Wachstum; weniger Wachstum
führt zu weniger Arbeitsplätzen; und weniger Arbeits-
plätze führen zu weniger Kaufkraft.

Ich kann Ihnen das auch noch einmal nach Adam
Riese darlegen. Es ist offensichtlich – auch das Institut
der deutschen Wirtschaft hat es gerade noch einmal aus-
gerechnet; das ist für alle nachlesbar –, dass von 1992
bis 2006 ein Reallohnanstieg von 1 Prozent zu 0,3 Pro-
zent mehr Kaufkraft geführt hat, während ein Beschäfti-
gungsanstieg von 1 Prozent zu 0,8 Prozent mehr Kauf-
kraft geführt hat. Daraus wird also ein Schuh. Es kann
nicht darum gehen, einseitig Lohnsteigerungen oder so-
gar Steigerungen der Lohnstückkosten zu erreichen.
Wenn wir die Beschäftigung, das Beschäftigungsvolu-
men insgesamt ausweiten, wenn wir mehr Menschen in
Beschäftigung bekommen, wenn wir die Arbeitslosig-
keit mit unseren Maßnahmen abbauen, wenn wir die
Menschen aus der sogenannten stillen Reserve in den
Arbeitsmarkt integrieren, dann wird mehr Kaufkraft ge-
schaffen, dann entstehen mehr Arbeitsplätze, dann haben
die Menschen auch mehr in der Tasche. Das Ergebnis ist
dann, dass Wachstum und Beschäftigung dauerhaft stei-
gen, und das hilft den Menschen. Es geht nicht umge-
kehrt.

Das ist die Politik, die wir verfolgen. Daran werden
wir konsequent festhalten. Die Ergebnisse werden wir
am Ende dieser Legislaturperiode sehen können. Dann
werden Wachstum und Beschäftigung gleichermaßen
gestärkt sein.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1703802500

Das Wort hat der Kollege Johannes Vogel für die

FDP-Fraktion.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Johannes Vogel (FDP):
Rede ID: ID1703802600

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Diese Regierung – das haben wir heute gehört – setzt auf
Wachstum und auf individuelle Perspektiven für jeden
Einzelnen auf dem Arbeitsmarkt. Das Maßnahmenbün-
del im Rahmen des Beschäftigungschancengesetzes, das
heute vorgestellt worden ist, bringt das sehr gut zum
Ausdruck. Zu nennen sind die maßvolle – das ist der Un-
terschied zu Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen von
der SPD – Verlängerung der Kurzarbeit und die gute
Jobcenterregelung, die wirklich einen guten Kompro-
miss darstellt.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Danke für das Lob, Herr Kollege!)


– Bitte, Herr Heil; sehr gerne. Wenn man etwas richtig
gemacht hat, muss man auch gelobt werden. Was die
Jobcenterregelung angeht, so ist schon zu Recht Lob an
viele Beteiligte im Hause verteilt worden.

Gerade als jüngerer Vertreter in diesem Hause will ich
aber darüber hinaus auf zwei Aspekte gesondert hinwei-





Johannes Vogel (Lüdenscheid)



(A) (C)



(D)(B)

sen. Da haben die beiden Regierungsfraktionen von Ih-
nen Lob verdient, Herr Heil. Da kümmern wir uns näm-
lich um jüngere Menschen und deren Chancen auf dem
Arbeitsmarkt.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Wo denn?)


Es geht um zwei Punkte in diesem Maßnahmenbündel.

Zum einen ist die Vermittlungsoffensive für junge
Menschen unter 25 Jahren zu nennen. Wir wollen fest-
schreiben, dass endlich in jedem Jobcenter in Deutsch-
land der Grundsatz gilt: Junge Menschen unter 25 Jah-
ren, die arbeitslos sind, bekommen innerhalb von sechs
Wochen ein Angebot für eine Arbeitsstelle oder für eine
sinnvolle Qualifikationsmaßnahme. Sie wissen so gut
wie ich, dass das derzeit mitnichten überall in Deutsch-
land der Fall ist. Da gibt es vor Ort sehr wohl Licht und
Schatten. Wir wollen die Schulen, die Kammern, die Un-
ternehmen und andere vor Ort in diese Offensive einbe-
ziehen und das Ganze bündeln; denn Arbeitslosigkeit
wird dann zum Schicksal, wenn sie sich individuell ver-
festigt.


(Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist nichts Neues, Herr Kollege!)


– Ja, das ist nichts Neues, aber es wird eben nicht überall
umgesetzt. Wir machen Druck, dass dieses Ziel endlich
Realität wird,


(Zuruf des Abg. Hubertus Heil [Peine] [SPD])


weil wir glauben: Jeder junge Mensch hat es verdient,
Herr Heil, eine Perspektive zu bekommen.


(Andrea Nahles [SPD]: Das müssen Sie uns nicht sagen! Wir wissen das längst!)


Der Grundsatz von Fördern und Fordern, den Sie ja ein-
geführt haben, soll endlich auch für jeden jungen Men-
schen gelten; wir werden diesem Gedanken zur Umset-
zung verhelfen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Warme Worte bisher!)


Ich komme zu dem zweiten Punkt. Sie wissen, dass
für diese Regierung und gerade für die FDP die Verbes-
serung der Zuverdienstregeln


(Zuruf der Abg. Andrea Nahles [SPD])


– ja, Frau Nahles – ein ganz zentrales Projekt in der So-
zialpolitik in dieser Legislaturperiode ist, weil sie einen
ganz wesentlichen Beitrag dazu leisten kann, die Men-
schen stärker in den ersten Arbeitsmarkt zu bringen.

Der zweite Punkt, den ich ansprechen will, ist die Zu-
verdienstregelung bei den Schülerferienjobs. Das ha-
ben wir jetzt ganz konkret herausgegriffen. Vor dem
1. Juni, also noch vor den Sommerferien, wird eine Re-
gelung in Kraft treten, nach der junge Menschen, die in
einer Familie mit Arbeitslosgengeld-II-Empfängern auf-
wachsen, die Chance haben, von dem Geld aus einem
Schülerferienjob auch etwas zu haben. Das ist ein
Thema – wie übrigens die Frage des Hartz-IV-Schonver-
mögens –, bei dem es ganz entscheidend auch um die
Ethik geht, die in unserem Sozialstaat herrscht. Wir wol-
len eine Ethik, die auf Eigenverantwortung setzt und je-
dem Menschen Perspektiven zur freien Entfaltung bietet.
Dabei spielt in meinen Augen eben auch ein Schüler-
ferienjob, der oft das erste selbstverdiente Geld bedeutet,
eine große Rolle.

Da besteht eine himmelschreiende Ungerechtigkeit.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Als wir das beantragt haben, habt ihr es abgelehnt!)


– Ja, Herr Heil. Wir mussten eben eine Lösung finden
– Sie haben nämlich keine aufgezeigt –, die Gleichbe-
handlung schafft


(Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


im Hinblick auf diejenigen, die einen kleinen Job neben
der Schule haben, vielleicht Brötchen verkaufen oder
unter der Woche Zeitungen austragen. Sie müssen wei-
terhin den Grundfreibetrag von mindestens 100 Euro ha-
ben, bevor wir die grundsätzliche Hinzuverdienstrege-
lung anpacken.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Das ist keine Vogel-Perspektive, das ist die Frosch-Perspektive!)


– Nein, Herr Heil, das ist die realistische Perspektive aus
Sicht der betroffenen Menschen. Obendrauf muss es
eben noch eine Möglichkeit für Schülerferienjobs geben.
Denn wenn junge Menschen in den Ferien arbeiten
– zum Beispiel Zeitungen austragen oder Brötchen ver-
kaufen –, dann muss es auch die Möglichkeit geben,
mehr als 100 Euro im Monat zu verdienen.

Wenn von zwei Schülern, die in unterschiedlichen Fa-
milien aufwachsen – die Eltern des einen haben einen
Job, können arbeiten und zahlen möglicherweise auch
Steuern, die des anderen sind bedauerlicherweise und
hoffentlich nur vorübergehend Arbeitslosengeld-II-Emp-
fänger –, der eine sein selbstverdientes Geld behalten
kann und der andere nicht, dann ist das doch eine him-
melschreiende Ungerechtigkeit.

Wir schaffen diese Ungerechtigkeit endlich ab und
sorgen diesbezüglich für mehr Fairness im Sozialstaat.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Das war doch unsere Idee, die Sie immer abgelehnt haben!)


– Sie haben ein Modell vorgelegt, das nicht funktioniert
und diejenigen, die in den Ferien oder auch einfach wäh-
rend der Schulzeit nebenher arbeiten, ungleich behandelt
hätte. Wir haben ein Modell, das alles zusammenbringt.


(Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Sie haben bei uns abgeschrieben! Der Druck war zu groß, was zu machen!)


Das macht unseren Sozialstaat an dieser Stelle fairer und
verdeutlicht, dass die Regierung sich nicht nur Gedan-
ken darüber macht, wie wir neue Jobs schaffen können,
sondern auch darüber, wie wir denjenigen eine Perspek-





Johannes Vogel (Lüdenscheid)



(A) (C)



(D)(B)

tive geben können, die vorübergehend benachteiligt
sind.

In diesem Sinne vielen Dank für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1703802700

Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der

Kollege Dr. Georg Nüßlein für die CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)



Dr. Georg Nüßlein (CSU):
Rede ID: ID1703802800

Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Natür-

lich kann man in einer vom Wahlkampf geprägten De-
batte wie dieser über Prozentpunkte diskutieren. Aber es
bleiben doch zwei Dinge festzuhalten: Erstens. Deutsch-
land ist langsam, aber stetig auf einen Wachstumskurs
zurückgekehrt. Zweitens. Deutschland hat es in einer be-
merkenswerten Art und Weise geschafft, seinen Arbeits-
markt zu stabilisieren.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Andrea Nahles [SPD]: Jawohl! Vielen Dank!)


Das ist ein Verdienst der Bürgerinnen und Bürger auf
der einen Seite, die die Nerven bewahrt haben, der Un-
ternehmer – insbesondere des Mittelstands und des
Handwerks –,


(Andrea Nahles [SPD]: Und von Olaf Scholz!)


die zu ihren Arbeitnehmern stehen, auf der anderen
Seite,


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Gewerkschaften!)


und es ist auch ein Verdienst der Politik,


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Von Olaf Scholz!)


insbesondere zweier unionsgeführter Bundesregierun-
gen. Auch das muss man doch einmal sagen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zuruf von der CDU/CSU: Jawohl! Was wahr ist, ist wahr!)


Ich hätte erwartet, dass auch die SPD, die ja an der
letzten Regierung beteiligt war, an dieser Stelle klatscht.
Es ist schon eine bemerkenswerte wahlkampfbedingte
Selbstverleugnung, die Sie da an den Tag legen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: Was heißt hier „wahlkampfbedingt“?)


Es gab heute Kritik am Wachstumsbeschleunigungs-
gesetz. Vielleicht hätte man eine andere Überschrift
wählen sollen:


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Ja! Klientelbedienungsgesetz!)

„Große-Koalition-Schaden-Beseitigungsgesetz“ zum Bei-
spiel, weil wir das korrigieren mussten, was mit Ihnen
nicht machbar war.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Volksverdummungsgesetz geht vielleicht auch!)


Das betrifft zum Beispiel Ihr verschrobenes Familienbild
in Bezug auf die Erbschaftsteuer. Ich halte es immer
noch für skandalös, dass Sie Neffen und Nichten so be-
handeln wollten, als seien es Fremde. Außerdem ist die
Substanzbesteuerung inakzeptabel.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Mövenpickgesetz! Lex Guido!)


Es ist schon bemerkenswert, wenn Herr Steinmeier
sagt, es handele sich um Geldverschwendung, wenn man
im Rahmen dieses Gesetzes zusätzliches Geld für die Fa-
milien aufbringt. Das ist ein Skandal.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Hat er nicht gesagt!)


– Doch. Er hat dieses gesamte Thema mit dem Titel
„Geldverschwendung“ überschrieben. Das ist vollkom-
men falsch.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Klientelbedienung!)


Aber ich gebe zu, dass der Silberstreif am Horizont,
den wir in wirtschaftlicher Hinsicht momentan sehen,
Geld kosten wird. Wir werden uns in dem Zusammen-
hang genau überlegen müssen, wie wir unsere Haushalte
konsolidieren.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Das hätten Sie besser vorher überlegen sollen!)


Da gilt es, klare Prioritäten zu setzen: Erstens. Wir
müssen unsere Politik so ausrichten, wie Herr Brüderle
es heute zu Recht angedeutet hat: Wir müssen sie an der
deutschen Mittelschicht, am unternehmerischen, aber
auch am Arbeitnehmermittelstand, dieser Republik
orientieren.

Zweitens. Wir müssen aufpassen, dass wir den inves-
tiven Bereich nicht wieder als Steinbruch nutzen. Da ha-
ben wir in der Vergangenheit etliche Fehler gemacht; das
gebe ich zu. Zum Beispiel hat man aus einer statistischen
Betrachtung heraus gemeint, die Eigenheimzulage ab-
schaffen zu müssen. Das war ein kompletter Fehler, und
diesen dürfen wir beim Marktanreizprogramm und beim
CO2-Gebäudesanierungsprogramm nicht wiederholen.

Das Thema Griechenland wurde hier angesprochen.
Es ist schon spannend, Herr Ernst, dass Sie sagen, der
deutsche Außenhandel sei schuld an der Misere in Grie-
chenland. Was ist das für ein Wirtschaftsverständnis?


(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Ich habe gesagt: die Überschüsse!)


Zwei Dinge muss man ganz klar sagen:

Erstens. Natürlich können wir uns einen Staatsbank-
rott innerhalb der Euro-Zone nicht erlauben. Das würde
eine neuerliche Bankenkrise bedeuten. Im Übrigen





Dr. Georg Nüßlein


(A) (C)



(D)(B)

würde dies auch andere Staaten in Schwierigkeiten brin-
gen. Das wäre das Ende der Währungsunion.

Zweitens. Einen Automatismus, einen Freibrief für
Griechenland im Sinne eines europäischen Länder-
finanzausgleichs darf es aber auch nicht geben. Dies
könnten wir den Wählerinnen und Wählern nicht vermit-
teln.

Deshalb sage ich: Der Zugang zum Euro ist mit Lug
und Trug erschlichen worden, übrigens, Herr Heil, be-
günstigt von der SPD


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Was? Unsinn! Sagen Sie das mal Theo Waigel!)


zu ihrer damaligen Regierungszeit. Ich stelle klipp und
klar fest: Kontrolle ist legitim, und es war richtig, zu ent-
scheiden, dass der IWF beteiligt wird. Er ist hilfreich.
Denn ich glaube nicht, dass die anderen Staaten, die sich
selber in schwierigen Haushaltslagen befinden, in die-
sem Zusammenhang die notwendige Konsequenz von
den Griechen einfordern würden. Deshalb werden wir
sehr genau darauf achten –


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1703802900

Herr Kollege.


Dr. Georg Nüßlein (CSU):
Rede ID: ID1703803000

– letzter Satz –, dass die Griechen mit der notwendi-

gen Konsequenz auf einen Konsolidierungskurs ge-
bracht werden, auf dem sich Deutschland dank dieser
neuen Bundesregierung bereits befindet.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Wo ist Ihr Konsolidierungskurs?)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1703803100

Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen nun zum Tagesordnungspunkt 25:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Anette
Kramme, Gabriele Hiller-Ohm, Iris Gleicke, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion der SPD

Gesetzlichen Mindestlohn einführen – Armuts-
löhne verhindern

– Drucksache 17/1408 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales (f)

Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 75 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann können wir so verfahren.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort erhält zunächst
die Kollegin Andrea Nahles für die SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)


Andrea Nahles (SPD):
Rede ID: ID1703803200

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Eine Woche vor dem 1. Mai führen wir diese
Debatte über Mindestlöhne. Der DGB, der Deutsche Ge-
werkschaftsbund, hat ein sehr gutes Motto für die Veran-
staltung zum 1. Mai in der nächsten Woche gewählt:
„Wir gehen vor!“

Wir von der SPD gehen vor und legen Ihnen heute ei-
nen Antrag vor, in dem wir etwas fordern, was dringend
notwendig ist: die Einführung von Mindestlöhnen in
Deutschland. Das tun wir deswegen, weil wir auf die
Frage, wer in unserem Land vorgeht, klar und eindeutig
sagen: Die Menschen in unserem Land gehen vor. – Des-
wegen brauchen wir Mindestlöhne in Deutschland.


(Beifall bei der SPD)


Der Wohlstand, den wir in Deutschland haben, wird
erarbeitet. Aber die Menschen, die diesen Wohlstand er-
arbeiten, werden immer weniger geachtet; das müssen
wir festhalten. Wir müssen sagen, dass das Versprechen:
„Wenn du etwas leistet, dann kannst du in unserem Land
etwas aus dir machen“, mit dem wir groß geworden sind
und das uns Wohlstand gebracht hat, für Millionen von
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, die jeden Tag
etwas leisten, nicht mehr aufgeht. Wir brauchen Min-
destlöhne auch deswegen dringend, weil wir diesen Leu-
ten wenigstens eine gewisse Perspektive auf anständige
Löhne und Aufstiegsperspektiven in Deutschland ver-
schaffen wollen.


(Beifall bei der SPD)


Was tut nun die schwarz-gelbe Bundesregierung? Sie
verhindert Mindestlöhne.


(Max Straubinger [CDU/CSU]: Wir haben doch neue gemacht, Frau Kollegin!)


Sie wissen ganz genau, dass es immer mehr Nied-
riglöhne gibt – und das, obwohl 80 Prozent derjenigen,
die Niedriglöhne bekommen, eine abgeschlossene Be-
rufsausbildung haben. Ich frage Sie: Entspricht es Ihrem
Verständnis von Freiheit, dass 2 Millionen Menschen
brutto weniger als 6 Euro pro Stunde verdienen? Ent-
spricht dies Ihrem Verständnis von Liberalität? Ist es
christlich, dass wir diesen Menschen einen Mindestlohn
verweigern? Ich sage: Nein, das ist es nicht.


(Beifall bei der SPD)


Deswegen brauchen wir Mindestlöhne.

Sie auf der Regierungsbank wissen ganz genau, dass
Lohndumping tariftreuen Unternehmen, die noch an-
ständige Löhne zahlen, Probleme macht. Sie wissen
ganz genau, dass diese Unternehmen bei den Ausschrei-
bungen benachteiligt werden, wenn wieder ein Unter-
nehmen mit Dumpinglöhnen das billigere Angebot
präsentiert und den Zuschlag bekommt. Ist das Ihr Ver-
ständnis von Wettbewerbsfähigkeit? Ist das fairer Wett-
bewerb? Ich sage: Nein. Auch deswegen brauchen wir
Mindestlöhne in Deutschland.

Sie wissen auch, dass die Staatskassen wegen dieser
Schmutzkonkurrenz massiv geplündert werden. Mittler-
weile kostet es jährlich 9 Milliarden Euro, Menschen,





Andrea Nahles


(A) (C)



(D)(B)

die niedrigste Einkommen und Löhne erhalten, ständig
zusätzliche Leistungen zu gewähren.


(Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: Das ist Ihre Politik! Das haben wir doch nicht eingeführt!)


Ist das Ihr Verständnis von Haushaltskonsolidierung? Ist
das liberal, fair und christlich? Ich sage: Nein.

Glauben Sie mir: Es tut nicht weh, Mindestlöhne ein-
zuführen.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Sie wissen doch, dass alle europäischen Länder, die
einen Mindestlohn eingeführt haben, gute Erfahrungen
damit gemacht haben. Das wird von Ihnen schlichtweg
ignoriert. Dann werden irgendwelche Gutachten zitiert,
die belegen sollen, dass Mindestlöhne Millionen von Ar-
beitsplätzen vernichten. Das ist Unsinn, das ist Quatsch.
Putzen Sie Ihre Brille! Schauen Sie einmal über den Tel-
lerrand und auf die europäischen Nachbarn Frankreich,
Holland und England! Das sind doch keine Deppen; das
können Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Li-
beralen und von der Union, hier niemandem weisma-
chen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das Beste ist, dass Sie dann immer behaupten, Sie
seien die Sachwalter und Gralshüter der Tarifautonomie
in Deutschland.


(Anton Schaaf [SPD]: Da wird es wirklich lustig!)


Das ist wirklich tragikomisch, und zwar aus folgendem
Grund: Ihnen fiel über Jahre nichts Besseres ein, als da-
rüber zu jammern, wie unflexibel und starr unsere Tarif-
systeme und unser überregulierter Arbeitsmarkt seien.
Wahr ist, dass wir in Deutschland 60 000 gültige Tarif-
verträge haben. Das ermöglicht in diesem Land eine
Flexibilität und Varianz, die zu jedem Unternehmen
passt. Es wird nicht im Mindesten von Ihnen zur Kennt-
nis genommen und gewürdigt, dass die Gewerkschaften
dies ermöglicht haben, zum Beispiel mit der Pforzhei-
mer Vereinbarung.

Es ist wichtig, dass wir den Realitäten ins Auge
schauen: Nur noch 50 Prozent der Arbeitnehmer werden
von Tarifverträgen erfasst. Die anderen 50 Prozent las-
sen Sie im Regen stehen, weil Sie nicht bereit sind, hier
Mindestlöhne zu gewähren. Das ist die Wahrheit.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Sie sind hier die Letzten, die sich mit der Tarifautonomie
schmücken dürfen.

Wir wissen sehr wohl, dass es sensibel sein kann,
wenn allein wir als Parlament über die Höhe der Min-
destlöhne entscheiden. Wir schlagen deswegen vor, eine
unabhängige Kommission einzurichten, die es ermög-
licht, dass Arbeitgeberinteressen, wissenschaftliche Er-
kenntnisse und Arbeitnehmerinteressen gleichermaßen
berücksichtigt werden. Unsere Empfehlung ist, eine sol-
che unabhängige Kommission einzusetzen. Wir unter-
stützen den Richtwert für Mindestlöhne von 8,50 Euro,
den der DGB vorschlägt.


(Max Straubinger [CDU/CSU]: Sie müssen einen Schulterschluss machen, Frau Kollegin!)


Wir wollen aber nicht, dass hier vor einer Wahl für eine
Erhöhung des Mindestlohns gestimmt wird und das nach
der Wahl nicht mehr wahr sein soll. Stattdessen sollen
unabhängige Leute über die Höhe des Mindestlohns ent-
scheiden; wir vollziehen es dann hier im Parlament nach.
Das ist ein kluger Weg.

Mindestlöhne müssen kontrolliert werden. Wir haben
in Deutschland branchenbezogene Mindestlöhne einge-
führt und den Zoll beauftragt, das zu kontrollieren. Wir
halten das für eine zentrale Achse: Mindestlöhne sind
nämlich nur dann nicht wettbewerbsverzerrend – Wett-
bewerbsverzerrung ist für Sie das Hauptproblem –, wenn
sich alle an die Spielregeln halten. Deswegen wollen wir
Ordnung auf dem Arbeitsmarkt, mit Spielregeln, die je-
der einhalten muss. Wir sind für Mindestlöhne, aber
auch für eine Kontrolle der Mindestlöhne; denn wir wol-
len nicht, dass sich einer daran hält und darunter leidet,
während ein anderer das nicht tut. An dieser Stelle sind
wir sehr klar.


(Max Straubinger [CDU/CSU]: Eine zusätzliche Überwachungsbürokratie!)


Wir haben eine Menge branchenbezogener Mindest-
löhne auf den Weg gebracht. Ich frage Sie: Was ist ei-
gentlich mit dem Postmindestlohn, der mühevoll errun-
gen wurde? Gleich nachdem das Gericht wegen eines
Formfehlers entschieden hatte, dass der Postmindestlohn
ausgesetzt wird, ist die PIN AG hingegangen und hat
von einem Tag auf den anderen die Löhne von 9,80 Euro
auf 8,50 Euro abgesenkt. Das ist doch genau die Wahr-
heit in unserem Land. Die Absenkung von Löhnen ist
mittlerweile ein Sport von Arbeitgebern in diesem Land
geworden.


(Beifall bei der SPD)


Dem müssen wir etwas entgegensetzen. Das ist unsere
Position.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: Das ist so ein Unsinn!)


Wir sagen: Die Menschen gehen vor. Wir legen heute
diesen Antrag vor. Er ist vernünftig und abgewogen. Er
berücksichtigt die Interessen von allen. Deswegen bitten
wir Sie herzlich – zurzeit haben wir nun einmal die Si-
tuation, dass Sie sich der Vernunft komplett verweigern
und Mindestlöhne, wo es geht, vermeiden, sich aber
christlich und liberal schimpfen –: Gehen Sie mit uns.
Das würde den Menschen in diesem Land nutzen.

Danke.


(Beifall bei der SPD – Patrick Meinhardt [FDP]: Wir sind bei den Menschen, Sie bei wem auch immer!)







(A) (C)



(D)(B)


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1703803300

Die Kollegin Gitta Connemann ist die nächste Redne-

rin für die CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Gitta Connemann (CDU):
Rede ID: ID1703803400

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Man

merkt, es ist Wahlkampf – an der Lautstärke Ihres Bei-
trages, liebe Frau Nahles, und an der Anzahl der Opposi-
tionsanträge, die explosionsartig ansteigt. Es bebt, es
brodelt, es zischt – man fühlt sich an Island erinnert.


(Zuruf von der SPD: Bei Ihnen brodelt leider nichts!)


Auch die SPD glüht und entdeckt einmal mehr das
Thema gesetzlicher Mindestlohn, allerdings mit neuen
Akzenten. Waren es in Regierungszeiten noch 7,50 Euro,
sind es jetzt 8,50 Euro. In der Opposition fordert es sich
eben leichter. Das zeigt, liebe Frau Nahles: Sie gehen
nicht vor, sondern allenfalls hinterher.


(Andrea Nahles [SPD]: Sie stehen ja immer noch, Frau Connemann!)


Ihre Forderung hört sich gerecht und einfach an, aber
einfache Sätze sind selten wahr, und wahre Sätze sind
selten einfach – wie auch in diesem Fall.


(Ute Kumpf [SPD]: Die Erkenntnis der Frau Dr. Connemann!)


Keine Frage: Arbeit darf nicht arm machen. Darin sind
wir uns einig. Ich sage hier deutlich für die christlich-
liberale Koalition: Alles andere wäre unsozial und un-
würdig. Aber wo ist die Grenze? Eine Friseurin in Thü-
ringen verdient als Tarifgrundlohn zwischen 3,18 Euro
und 7,62 Euro pro Stunde – von der Gewerkschaft abge-
segnet. Sollen wir das verbieten?


(Zurufe von der LINKEN und vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Ja!)


Wie gerecht wäre es, wenn ein Arbeitnehmer im teu-
ren München das Gleiche bekäme wie der Kollege im
ländlichen Raum mit eher niedrigen Lebenshaltungskos-
ten? Und hilft ein Mindestlohn Geringqualifizierten oder
Langzeitarbeitslosen bei der Suche nach einem Arbeits-
platz? Nein, im Gegenteil.

Denn erstens: Ein gesetzlicher Mindestlohn in der ge-
forderten Höhe vernichtet Arbeitsplätze.


(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das ist zu einfach!)


Es ist eine bittere Wahrheit, aber auch der Faktor Arbeit
unterliegt volkswirtschaftlichen Gesetzen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Eine Gesetzmäßigkeit lautet: Betriebe, die wegen zu ho-
her Löhne zu hohe Preise verlangen müssen, können auf
Dauer am Markt nicht bestehen. Ist ein Mindestlohn zu
hoch, vernichtet er also Arbeitsplätze.

(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist alles viel zu einfach!)


Meine Damen und Herren von der Opposition, Sie
werden jetzt sagen, die Betriebe könnten mehr zahlen,
sie wollten bloß nicht. Wer so etwas sagt, weiß in keiner
Weise um die Lage gerade der kleinen und mittelständi-
schen Unternehmen vor Ort.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Wissen Sie, was einem Handwerksbetrieb bleibt? Zwi-
schen 2 und 4 Prozent. Wenn Sie das auf einen Stunden-
satz umlegen, dann sind wir bei 0,56 bis 1,30 Euro in der
Stunde. Da bleiben keine Spielräume mehr.

Zweitens. Ein gesetzlicher Mindestlohn schadet ge-
ring qualifizierten Menschen; denn darunter leiden vor
allem die Ungelernten ohne Ausbildung, ohne Ab-
schluss, ohne Perspektive.


(Andrea Nahles [SPD]: Das ist doch alles hundertmal widerlegt, Frau Connemann!)


Wenn ihre Arbeit teurer wird, haben sie keinerlei Chance
am Arbeitsmarkt. Sie sind damit nicht nur von der
Chance auf einen eigenen Verdienst abgeschnitten, son-
dern übrigens auch von der Anerkennung, die jede Ar-
beit darstellt. Denn eines müssen wir an dieser Stelle
auch festhalten: Es geht bei Arbeit nicht nur um Geld,
sondern Arbeit gibt auch Würde.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Andrea Nahles [SPD]: Genau das ist der Punkt!)


Drittens. Ein gesetzlicher Mindestlohn gefährdet ins-
besondere Arbeitsplätze in ohnehin schwachen Regio-
nen. Niemand hat etwas davon, in Berlin einen Lohn
festzulegen, der in Grenzregionen Arbeitsplätze zerstört.
Die Verhältnisse in Frankfurt unterscheiden sich eben
danach, ob man an der Oder oder am Main ist.


(Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Von 3,80 Euro kann man nirgendwo leben!)


Die Brandenburger Betriebe stehen im Wettbewerb zu
polnischen. Dort gibt es einen gesetzlichen Mindestlohn,
vollkommen richtig; aber dieser liegt bei 1,53 Euro.


(Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: Hört! Hört!)


Ein Mindestlohn von 8,50 Euro auf deutscher Seite hätte
nur ein Ergebnis: Jobvernichtung. Unterschiedliche Ver-
hältnisse müssen unterschiedlich behandelt werden. Ein
gesetzlicher Mindestlohn für ganz Deutschland gewähr-
leistet dies nicht.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Meine Damen und Herren von der Opposition, ich
höre schon Ihren Einwand, dass in anderen europäischen
Ländern höhere Mindestlöhne gezahlt werden als in Po-
len.


(Ute Kumpf [SPD]: Frau Connemann kennt sich in der Tarifpolitik nicht aus!)






Gitta Connemann


(A) (C)



(D)(B)

Das ist völlig korrekt. Es gibt insgesamt 20 Staaten in
der EU, die einen Mindestlohn eingeführt haben; aber
der Durchschnittslohn in der EU beläuft sich auf
4,08 Euro.


(Andrea Nahles [SPD]: Nun hören Sie doch auf! Sagen Sie doch, was Frankreich oder England bekommen! – Anette Kramme [SPD]: Oder die Niederlande!)


So unterrichtete uns das Bundesministerium für Arbeit
und Soziales am Anfang dieses Monats darüber, dass der
Mindestlohn in der EU durchschnittlich 4,08 Euro be-
trägt. Das Ministerium wies uns übrigens auch auf fol-
gende Erkenntnis hin: In Staaten ohne gesetzlichen Min-
destlohn ist der Durchschnittslohn 30 Prozent höher als
in Staaten mit gesetzlichem Mindestlohn.


(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sind die skandinavischen Länder! Die brauchen das nicht, weil sie einen flächendeckenden Tarifvertrag haben! Das ist völliger Unsinn, was Sie da erzählen!)


Denn auch ohne gesetzlichen Mindestlohn sind Hunger-
bzw. Armutslöhne in Deutschland schon heute verboten.
Das Gesetz untersagt sittenwidrige Löhne. Bleibt das
Einkommen auffällig hinter dem tarifüblichen oder orts-
üblichen Lohn zurück, hat der Arbeitnehmer das Recht
auf Nachzahlung und übrigens der Staat auf Bestrafung.
Leider melden sich Betroffene kaum, und wo kein Klä-
ger, da kein Richter. Da hilft auch kein gesetzlicher Min-
destlohn, übrigens auch nicht dem System.

Ihre Behauptung, liebe Frau Nahles, gesetzliche Min-
destlöhne würden zu Mehreinnahmen in der gesetzlichen
Sozialversicherung führen, ist reines Wunschdenken.
Umgekehrt wird ein Schuh daraus: Höhere Arbeitslosig-
keit durch gesetzliche Mindestlöhne führt zu Minderein-
nahmen in der Rentenversicherung und in der Arbeitslo-
senversicherung.


(Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: So ist es!)


Es ist deshalb sinnvoll, die Lohnfrage dort zu lassen, wo
sie hingehört, nämlich in den Tarifverhandlungen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Wir, die Union, wollen Mindestlöhne, aber branchen-
bezogen; denn so wie sich die regionalen Verhältnisse in
Deutschland nicht vergleichen lassen, gibt es auch Un-
terschiede zwischen den Branchen,


(Andrea Nahles [SPD]: Das haben wir ja gesehen!)


von der Chemiebranche bis zur Agrarbranche. Sind Ar-
beitnehmer und Arbeitgeber sich dort einig, können wir
den Branchentariflohn auf alle erstrecken. Das haben wir
gemacht, vom Bau bis zur Pflege, und zwar mit großem
Erfolg.


(Anton Schaaf [SPD]: Selbst das wollten Sie nicht!)


Wir in der Union sind offen für weitere Branchen.
Das Prinzip, das übrigens unter Kohl und Blüm einge-
führt worden ist, hat sich bewährt. Die Lohnfindung er-
folgt durch die Tarifvertragsparteien. Niemand kann es
besser.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1703803500

Frau Kollegin Connemann, möchten Sie eine Zwi-

schenfrage des Kollegen Schlecht zulassen?


Gitta Connemann (CDU):
Rede ID: ID1703803600

Aber immer gerne.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1703803700

Bitte.


(Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum macht ihr das? Das ist eine Redezeitverlängerung!)



Michael Schlecht (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1703803800

Verehrte Frau Kollegin, ich finde Ihr Plädoyer für die

Tarifautonomie sehr charmant. Ich selbst war 20 Jahre
lang in der Tarifpolitik verantwortlich tätig. Wir haben
bereits gehört, dass mittlerweile nur noch 50 Prozent der
Beschäftigungsverhältnisse in Deutschland durch Tarif-
verträge abgedeckt sind. Wie wollen Sie mit den anderen
50 Prozent der Arbeitnehmerinnen und Arbeiternehmer,
für die es mittlerweile durch vielfältige Prozesse, die
durch Politik herbeigeführt worden sind, keine Tarifver-
träge mehr gibt, umgehen, wenn der Abschluss von Ta-
rifverträgen nicht mehr möglich ist?


Gitta Connemann (CDU):
Rede ID: ID1703803900

Herr Kollege, zunächst einmal halte ich Ihre Behaup-

tung, dass es aufgrund politischer Einwirkung oder Vor-
gaben zu keinen Tarifabschlüssen mehr käme, für abso-
lut abenteuerlich.


(Dr. Johann Wadephul [CDU/CSU]: So ist es! Völlig richtig!)


Bei Tarifverhandlungen haben wir immer noch auf der
einen Seite unabhängige Gewerkschaften, zum Beispiel
den DGB – Frau Nahles hat ihn genannt –, Verdi oder
die Einzelgewerkschaften


(Ute Kumpf [SPD]: Der führt aber keine Tarifverhandlungen, Frau Connemann! Das haben Sie nicht verstanden! Da sind Sie auf dem Holzweg! Das ist Gemeinschaftskunde erste Lektion!)


– Sie brauchen sich gar nicht zu ereifern –, und auf der
anderen Seite die Arbeitgeberverbände. Damit hat die
Politik nichts zu tun. Das ist auch gut so; denn das Prin-
zip der Tarifautonomie hat sich in diesem Lande be-
währt.


(Andrea Nahles [SPD]: Ja, ja, ja! Das sind doch wirklich Ausreden ohnegleichen!)


Sie haben natürlich recht: Es gibt Branchen, in denen
wir keine Tarifverträge bzw. ältere Tarifverträge haben.
In diesen Fällen helfen wir mit einer Ausweitung des Ar-
beitnehmer-Entsendegesetzes, weil ein Grundsatz für





Gitta Connemann


(A) (C)



(D)(B)

uns in der Union unantastbar ist: Die Lohnfindung ist bei
den Tarifvertragsparteien auf jeden Fall besser angesie-
delt als beim Staat


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


oder bei Kommissionen, wie sie hier auch gefordert wer-
den.


(Michael Schlecht [DIE LINKE]: Für die 50 Prozent!)


Weder der Staat noch eine unabhängige Kommission
könnte es besser, Herr Kollege. Das gilt mit Ausnahme
des Bereichs der Pflege. Dort gibt es wegen der Mehr-
zahl der kirchlichen Anbieter keine Tarifverhandlungen.
Hier wurde eine Mindestlohnkommission gegründet.
Das war die Ausnahme. Ansonsten haben wir unabhän-
gige Tarifvertragsparteien. An diesem Prinzip wollen
wir festhalten. Es hat sich bewährt.

Dort, wo es keine Branchenmindestlöhne gibt, müs-
sen wir ein Mindesteinkommen schaffen, und zwar
durch staatliche Zuschüsse. Mit uns sind Hungerlöhne
nicht zu machen. Das sage ich wiederholt von dieser
Stelle aus.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Anders als Sie streuen wir den Menschen aber keinen
Sand in die Augen, liebe Damen und Herren von der Op-
position.


(Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: 2 Millionen Menschen verdienen weniger als 5 Euro die Stunde!)


Wir sagen offen: Nicht jeder Beschäftigte kann von sei-
nem Lohn leben, zum Beispiel, weil er Teilzeit arbeitet,
zum Beispiel, weil er eine geringere Qualifikation hat.
Ich sage Ihnen auch: Arbeitslosigkeit zu finanzieren ist
allemal teurer, als in diesen Fällen ein Mindesteinkom-
men durch staatliche Zuzahlung zum Lohn zu sichern.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Benachteiligte Bewerber können mit einem solchen
Kombilohn auf dem Arbeitsmarkt Fuß fassen. Das lohnt
sich übrigens, bevor das restliche Leben perspektivlos
wird. Ihnen mit Zuschüssen eine sinnvolle Arbeit zu ge-
ben, ist eine Chance für die Betroffenen wie für uns.

Es gibt viele Wege im Kampf gegen Arbeitslosigkeit.
Der gesetzliche Mindestlohn ist kein Patentrezept. Des-
halb werden wir Ihren Antrag ablehnen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1703804000

Das Wort hat der Kollege Werner Dreibus für die

Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Werner Dreibus (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1703804100

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kolle-

gen! Liebe Kollegin Nahles, herzlich willkommen im
Kreis der Befürworter eines gesetzlichen Mindestlohns.
Um mit den Worten Friedrich Schillers anzufangen:
„Spät kommt Ihr – Doch Ihr kommt!“ Immerhin.


(Beifall bei der LINKEN)


Ich freue mich, dass wir innerhalb von nur vier Sit-
zungswochen bereits die zweite Debatte zum Thema
Mindestlohn im Bundestag führen. Nachdem wir An-
fang März unseren Antrag „Niedriglöhne bekämpfen –
Gesetzlichen Mindestlohn einführen“ vorgestellt haben,
zieht heute die SPD nach und präsentiert einen Antrag
mit einem fast wortgleichen Titel. Das Thema Mindest-
lohn hat für Millionen Menschen eine so existenzielle
Bedeutung, dass wir als Linke bereit wären, jede Woche
im Bundestag über die Einführung eines flächendecken-
den, einheitlichen gesetzlichen Mindestlohns zu disku-
tieren.


(Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein!)


Wir wollen nicht vergessen, dass es die Linke war, die
in den letzten Jahren den gesetzlichen Mindestlohn im-
mer wieder, auch hier im Haus, zum Thema gemacht hat.


(Beifall bei der LINKEN – Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Grünen waren zuerst!)


Ich nenne nur zwei, drei Beispiele. Ich erinnere an die
eindrucksvolle Sachverständigenanhörung, die wir im
Mai 2006, also vor fast vier Jahren, hier im Bundestag
durchgeführt haben. Wir haben die Vertreter der Low
Pay Commission aus Großbritannien eingeladen. Übri-
gens waren Vertreter der Gewerkschaften, der Arbeitge-
ber und der Wissenschaft bei uns. Sie berichteten schon
damals übereinstimmend in Berlin, dass der gesetzliche
Mindestlohn in Großbritannien ein voller Erfolg ist,
keine Arbeitsplätze gekostet hat, im Gegenteil sogar zu-
sätzliche Arbeitsplätze entstanden sind.


(Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Das stimmt doch gar nicht!)


– Hören Sie gut zu! – So sagte der Vertreter des Indus-
trieverbandes wörtlich – das war nicht der Vertreter der
Gewerkschaft –: In unserem Land gibt es niemanden
mehr, der den Mindestlohn wieder abschaffen möchte.

Ich erinnere auch an die Unterschriftenkampagne der
SPD im Jahr 2007, mit der sie öffentlichkeitswirksam
feststellte: Deutschland braucht den Mindestlohn. Doch
statt als Regierungspartei in der vergangenen Legislatur-
periode selbst eine Gesetzesinitiative für den gesetzli-
chen Mindestlohn zu starten, musste erst die Linke die
Resolution der SPD zur Abstimmung in den Bundestag
bringen. Das Ergebnis ist bekannt. Ich erinnere daran:
Die SPD stimmte gegen ihre eigene Resolution. Hätten
Sie mit uns und mit den Grünen in der letzten Legislatur-
periode für Ihre Resolution gestimmt, hätten wir bereits
seit drei Jahren in Deutschland einen gesetzlichen Min-
destlohn.


(Beifall bei der LINKEN)


Ich erinnere auch kurz an die vielen Anträge der Lin-
ken, mit denen wir wiederholt die Einführung eines flä-





Werner Dreibus


(A) (C)



(D)(B)

chendeckenden gesetzlichen Mindestlohns gefordert ha-
ben. All diese Chancen haben Sie nicht genutzt.

Kollegin Nahles hat völlig zu Recht darauf hingewie-
sen, dass der Niedriglohnsektor in den letzten Jahren
massiv angewachsen ist. Mittlerweile arbeiten mehr als
6,5 Millionen Menschen – das ist fast jeder vierte Be-
schäftigte – für einen Niedriglohn. Das ist nicht hin-
nehmbar. Fast jeder zehnte regulär Beschäftigte ist von
Niedriglöhnen betroffen. Es sind vor allem Menschen in
prekären Beschäftigungsverhältnissen, die zu Hunger-
löhnen arbeiten. Das trifft vier von fünf sogenannten
Minijobberinnen und Minijobbern, zwei Drittel der
Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter, 40 Prozent der be-
fristet Beschäftigten, 39 Prozent aller Beschäftigten in
Ostdeutschland und vor allem Frauen, nicht zu verges-
sen die 1,4 Millionen Menschen, die so wenig verdienen,
dass sie neben ihrem Lohn noch Hartz IV beziehen müs-
sen. Das kostet die Steuerzahler – auch das ist schon ge-
sagt worden – jährlich 9,3 Milliarden Euro. Das ist völ-
lig inakzeptabel.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


An dieser Stelle sollte die Regierungskoalition, insbe-
sondere die Kolleginnen und Kollegen von der FDP, an-
setzen, wenn sie Steuerzahlerinnen und Steuerzahler
wirklich entlasten will. Je schneller es in diesem Haus
eine Mehrheit für einen gesetzlichen Mindestlohn gibt,
desto besser ist es für die Betroffenen und für die Steuer-
zahler.


(Beifall bei der LINKEN)


Zurück zum Antrag der SPD. Sie tun so, als ob Sie
mit der ganzen Entwicklung überhaupt nichts zu tun hät-
ten. Weder in Ihrem Antrag noch im Grundsatzpapier Ih-
res Parteivorstandes „Fairness auf dem Arbeitsmarkt“
findet sich auch nur eine Zeile, in der Sie sich kritisch
mit Ihrer eigenen Rolle als Regierungspartei in den letz-
ten elf Jahren auseinandersetzen. Finden Sie das gerade
bei diesem Thema fair? Ich finde es nicht fair. Wer hat
denn sachgrundlose Befristungen gesetzlich ermöglicht?
Wer hat die wichtigsten Schutzbestimmungen in der
Leiharbeit abgeschafft? Wer hat es ermöglicht, durch Ta-
rifverträge vom Prinzip „Gleicher Lohn für gleiche Ar-
beit“ nach unten abzuweichen? Wer?


(Zuruf von der LINKEN: Rot-Grün!)


Wer hat die Minijobs gesetzlich erleichtert? Wer hat mit
Hartz IV ein Zwangssystem für Arbeitslose eingeführt,
das die Menschen entsprechend der Maxime „Jede Ar-
beit, jede billige Arbeit ist zumutbar“


(Max Straubinger [CDU/CSU]: Ist auch richtig so!)


in den Niedriglohnsektor zwingt und alle Beschäftigten
einschüchtert? Wer? Auch wenn Sie heute nichts mehr
davon wissen wollen: Es war die SPD zusammen mit
den Grünen, und zwar unter Beifall und Zustimmung
durch CDU/CSU und FDP.

(Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Mit denen wollt Ihr doch koalieren!)


Es ist Ihre gemeinsame Politik, die dafür gesorgt hat,
dass Millionen Menschen zu Niedriglöhnen schuften
müssen, dass fast 8 Millionen Menschen in prekären
Jobs stecken. Sie sind chancenlos, ohne Zukunft.


(Zuruf der Abg. Andrea Nahles [SPD])


Wenn Sie wirklich glaubwürdig sein wollen, dann soll-
ten Sie zu Ihrer gemeinsamen Verantwortung stehen.

Jeder hat das Recht, einen falschen Weg zu korrigie-
ren. Deshalb freuen wir uns über diesen Antrag. Viel-
leicht wäre es aber besser, sich nicht nur bei der Über-
schrift an unserem Antrag zu orientieren. Denn Sie
bleiben, wie so oft, auf halbem Weg stecken. Sie schrei-
ben in Ihrem Antrag: Ein genereller gesetzlicher Min-
destlohn könnte derzeit 8,50 Euro betragen. Die Beto-
nung liegt auf „könnte“.


(Gabriele Hiller-Ohm [SPD]: Vielleicht auch 10 Euro!)


Er könnte nach Ihrem Antrag auch deutlich darunter lie-
gen. Als Kriterien für die Höhe des Mindestlohnes nennen
Sie lediglich, dass er Vollzeitbeschäftigten ein existenzsi-
cherndes Einkommen und eine angemessene Teilhabe am
gesellschaftlichen Leben ermöglichen soll. Könnte das,
wenn ich auf Hartz IV blicke, heißen, dass der Mindest-
lohn einem Vollzeitbeschäftigten ein Leben ohne aufsto-
ckende Hartz-IV-Leistungen ermöglichen soll? Das
würde bei einer 40-Stunden-Woche einem Mindestlohn
von gerade einmal 7,12 Euro entsprechen. Wir müssten
zumindest noch einmal darüber nachdenken, ob wir das
wollen. Das reicht vielleicht Ihnen, aber nicht den Betrof-
fenen.


(Beifall bei der LINKEN)


Die Linke macht klare Vorgaben, an die sich eine
Mindestlohnkommission, die auch wir wollen, orientie-
ren muss. Wir wollen einen flächendeckenden gesetzli-
chen Mindestlohn, der noch in dieser Wahlperiode, also
spätestens bis Herbst 2013, auf 10 Euro steigen soll.


(Frank Heinrich [CDU/CSU]: Und in der nächsten?)


Damit liegt unser Vorschlag über der Niedriglohngrenze
von 9,85 Euro. Diesen Wert haben nicht wir erfunden
oder errechnet, er entspricht der Berechnung des Statisti-
schen Bundesamtes auf Grundlage des von der OECD
und der ILO angewandten Verfahrens zur Bestimmung
der Niedriglohngrenze. Die Zahl wurde mir gerade heute
in einer Antwort der Bundesregierung auf eine schriftli-
che Anfrage noch einmal ausdrücklich bestätigt:
9,85 Euro. Niedriglöhne darf es in Deutschland nicht
mehr geben. Das sollte eines der großen Ziele dieser Le-
gislaturperiode sein. Wer Vollzeit arbeitet, der muss da-
von wirklich leben können.


(Beifall bei der LINKEN)


Mit dieser Forderung stehen wir nicht allein: 70 Pro-
zent der Bundesbürger befürworten die Einführung eines
gesetzlichen Mindestlohns. Meine Damen und Herren





Werner Dreibus


(A) (C)



(D)(B)

von SPD und Grünen, meine Damen und Herren von der
Regierungskoalition, ich halte das für einen klaren Auf-
trag unserer Wählerinnen und Wähler, den wir im Sinne
der Betroffenen endlich erfüllen sollten.


(Beifall bei der LINKEN)


Ich sage ausdrücklich dazu: Es geht um einen einheit-
lichen gesetzlichen Mindestlohn. Frau Connemann,
wenn Sie ernsthaft glauben, dass es gerecht ist, sich in
Thüringen für 3,50 Euro die Haare schneiden zu lassen
und in Frankfurt dafür 10 Euro zu bezahlen, dann frage
ich mich wirklich, warum Sie als Abgeordnete aus Ost-
friesland die gleiche Entschädigung und die gleiche Ver-
gütung wie ein Abgeordneter aus München bekommen.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Lieber heute als morgen einen Mindestlohn einfüh-
ren! Das hilft den Betroffenen. Das stärkt alle Beschäf-
tigten. Das stabilisiert die Sozialkassen und entlastet die
Steuerzahler.

Vielen Dank.


(Beifall bei der LINKEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1703804200

Das Wort hat der Kollege Sebastian Blumenthal für

die FDP-Fraktion.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Sebastian Blumenthal (FDP):
Rede ID: ID1703804300

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau

Kollegin Nahles, Sie haben vorhin erwähnt, die FDP und
die CDU/CSU würden immer irgendwelche Gutachten
nennen, um daraus ihre Gegenpositionen abzuleiten. Ich
möchte heute auf eine Studie eingehen, die von der
Friedrich-Ebert-Stiftung vor zwei Jahren erstellt wurde.
Diese Stiftung ist in Ihren Reihen sicherlich gut bekannt.

Titel dieser Studie ist: „Auswirkungen eines Mindest-
lohns auf kleine und mittlere Unternehmen“. Die Studie
stellt die Auswirkungen eines gesetzlichen Mindestlohns
auf Basis von 7,50 Euro dar. Damit es keine Missver-
ständnisse gibt, möchte ich betonen, dass diese Feststel-
lungen nicht von der Friedrich-Naumann-Stiftung kom-
men, sondern von der Friedrich-Ebert-Stiftung. Darin
werden genau und sehr treffend die kritischen Argu-
mente im Zusammenhang mit der Einführung eines ge-
setzlichen Mindestlohns behandelt, die Sie ganz offen-
sichtlich bewusst ausblenden.

Die Kernaussagen dieser Studie lauten im Wortlaut –
ich zitiere –:

In Branchen, die dafür bekannt sind, auch gering
qualifizierten … Arbeitslosen einen Arbeitsplatz

(insb. im Bewachungsgewerbe, aber auch in Hotelund Gaststättenbetrieben)

Löhne in Höhe von 7,50 €/Std. für diese Personen-
gruppen nicht mehr gezahlt werden. Gleiches gilt
beispielsweise auch für Hilfskräfte in Floristikbe-
trieben. … Das Friseurgewerbe wäre von einem ge-
setzlichen Mindestlohn besonders stark betroffen –
über alle Unternehmensgrößen und nahezu über
alle Standorte hinweg.

Über alle Branchen würde es zu folgenden Ausgleichsre-
aktionen kommen – auch das, wie gesagt, alles Wortlaut
der Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung –:


(Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Das haben sie nicht gelesen!)


Streichung von Gratifikationen bzw. Sonderzahlun-
gen … verstärkte Beschäftigung von Auszubilden-
den oder 400-€-Kräften zu Lasten ausgebildeter
Vollzeitarbeitskräfte … verstärkter Rückgriff auf

(insb. im Hotelund Gaststättengewerbe)


Das sind Ergebnisse der SPD-nahen Friedrich-Ebert-
Stiftung. Höchst interessant, kann ich dazu nur sagen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dr. Johann Wadephul [CDU/CSU]: Klassisches Eigentor!)


Außerdem – so heißt es weiter in dieser Studie –:

… die Beispielkalkulationen zeigen ein deutliches
Nord-Süd- und West-Ost-Gefälle. … in Zwickau
[würden] die Personalkosten in den untersuchten
Branchen um bis zu 87 % steigen … Grenzregionen
stünden vor besonderen Problemen. Gerade in den
von einem Mindestlohn tendenziell stärker betrof-
fenen Regionen … gibt es kaum Spielräume, die
Preise zu erhöhen, um die deutlichen Mehrkosten
zu kompensieren. Zu nah sind die Konkurrenz aus
Polen und Tschechien und damit die Gefahr, dass
Kunden in den Grenzgebieten zu billigeren, auslän-
dischen Anbietern abwandern könnten.

Die Studie kommt dann zu weiteren Ergebnissen, die
ich hier sehr gerne wörtlich zitieren möchte:

Aus diesen Erkenntnissen lassen sich folgende For-
derungen … für die weitere Diskussion ableiten:
Ein genereller Mindestlohn … erscheint vor dem
Hintergrund der hier vorgestellten Ergebnisse nicht
sinnvoll. … Sehr deutlich wird dieser Effekt im Fri-
seurgewerbe, in der Floristikbranche sowie im Sa-
nitär- und Heizungshandwerk. … Die Einführung
eines gesetzlichen Mindestlohns – in welcher Ge-
staltung auch immer – wird in der Realität unsinnig
und zur Farce.

Ich muss gar nicht die Elemente aus unserem Wahl-
programm zitieren, wir brauchen uns nur anzuschauen,
was Ihre eigenen Experten Ihnen ins Stammbuch ge-
schrieben haben; umso erstaunlicher, dass Sie das igno-
rieren.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Wenn Sie sich schon über unsere Bedenken hinwegset-
zen, sollten Sie wenigstens zur Kenntnis nehmen, was
die Friedrich-Ebert-Stiftung geschrieben hat. Was Sie
vollziehen wollen, bringt keinen Schutz von Arbeitsplät-





Sebastian Blumenthal


(A) (C)



(D)(B)

zen, sondern gefährdet Arbeitsplätze. Die Erkenntnisse
sind, glaube ich, offensichtlich.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich möchte Ihnen noch sagen: Sie können den Wett-
lauf mit der Linken, wer den höheren Mindestlohn ver-
kündet – diesen Wettlauf haben wir in den letzten Wo-
chen live beobachten können –, nicht gewinnen. Dieser
Wettlauf zeigt doch, dass der Mindestlohn eine populisti-
sche Maßnahme ist. Ein Mindestlohn widerspricht, wie
ich eben anhand Ihrer eigenen Studie dargestellt habe,
allen betriebswirtschaftlichen Grundsätzen.

Die FDP-Fraktion wird den Antrag der SPD ableh-
nen.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1703804400

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun die

Kollegin Brigitte Pothmer das Wort.


Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1703804500

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lieber

Herr Blumenthal, wir haben uns in endlosen Debatten
– ich komme gleich noch auf die Zahl der Debatten, die
wir schon geführt haben – die Ergebnisse zahlreicher
Studien um die Ohren gehauen. Ich finde es immer rich-
tig, wissenschaftliche Studien zu Rate zu ziehen. Irgend-
wann sollten wir uns aber auch mit der empirischen
Wirklichkeit auseinandersetzen. Da müssen auch Sie,
Herr Blumenthal, zur Kenntnis nehmen, dass es in fast
allen europäischen Ländern einen gesetzlichen Mindest-
lohn gibt oder – wie in den skandinavischen Ländern –
eine hundertprozentige tarifliche Absicherung. Dies
führt, auch wenn Sie das immer wieder behaupten, nicht
zu Arbeitsplatzverlusten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Gitta Connemann [CDU/CSU]: Wir haben die Zahlen gerade genannt! – Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Doch! Siehe Frankreich!)


Lassen Sie mich noch einmal zu der Debattenkultur in
diesem Hause kommen. Wissen Sie eigentlich, wie oft
wir allein seit Beginn der letzten Legislaturperiode im
Bundestag über das Thema Mindestlohn diskutiert ha-
ben?


(Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Dann bringen Sie doch einmal ein neues Argument! – Gitta Connemann [CDU/CSU]: Dann hören Sie doch auf, Anträge einzubringen!)


25 Mal! Und was, frage ich Sie, hat sich geändert?


(Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Ihre Argumente nicht!)


Gerade einmal 5,6 Prozent der Beschäftigten sind durch
einen Mindestlohn vor Lohndumping geschützt. Wenn
wir mit dieser Strategie und mit diesem Tempo weiter-
machen, brauchen wir 20 weitere Legislaturperioden, bis
alle Beschäftigten vor Lohndumping geschützt sind. Das
ist länger, als die Bundesrepublik Deutschland besteht.

Im Grundgesetz der Bundesrepublik ist das Sozial-
staatsgebot verankert. Dazu gehört für mich, dass die
Beschäftigten durch einen Mindestlohn abgesichert sind.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Ich glaube nicht, dass das Vertrauen in die Politik zu-
nimmt, wenn Sie so weitermachen.

Ihre Strategie, die Beschäftigten durch die Einführung
branchenspezifischer Mindestlöhne vor Lohndumping
zu schützen, ist untauglich. Das liegt daran – Frau
Nahles hat darauf hingewiesen –, dass die Tarifbindung
in Deutschland exorbitant zurückgegangen ist: In Ost-
deutschland sind nur noch 32 Prozent der Beschäftigten
in der Privatwirtschaft durch Tarifverträge abgesichert,
und allein seit 1996 ist die Tarifbindung um 16 Prozent
zurückgegangen. In Westdeutschland sind noch 50 Pro-
zent der Beschäftigten durch Flächentarifverträge abge-
sichert.

Diese Daten, meine Damen und Herren, sind Ihnen
bekannt. Das ist nichts Neues, das wurde alles schon ge-
sagt. Trotzdem versuchen Sie immer wieder, den Ein-
druck zu erwecken, als könnte man das sich ausweitende
Lohndumping durch tarifliche Mindestlöhne stoppen.
Frau Connemann, für Sie zum Mitschreiben: Tarifver-
träge können überhaupt nur dort geschlossen werden, wo
es Tarifparteien gibt.


(Gitta Connemann [CDU/CSU]: Das ist ja eine ganz neue Erkenntnis! Vielen Dank!)


Deswegen, Frau Connemann, ist Ihre Strategie falsch.

Jetzt wende ich mich insbesondere an die Kollegin-
nen und Kollegen von der FDP-Fraktion. Sie singen hier
immer das Hohelied der Tarifautonomie. Dabei waren es
gerade Sie, war es gerade Ihr Parteivorsitzender, der die
Erosion von Flächentarifverträgen immer gepusht hat.


(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Er hat die Gewerkschaften beschimpft!)


Wenn es nach Ihnen ginge, dann hätten Sie die Gewerk-
schaften inzwischen zerschlagen.


(Gabriele Hiller-Ohm [SPD]: Genau!)


Ich will das jetzt einmal anhand einiger Zitate bele-
gen: Originalzitat Guido Westerwelle:

Die Gewerkschaftsfunktionäre sind die wahre Plage
in Deutschland …

Das zweite Zitat – dies wurde hier im Bundestag vorge-
tragen, Herr Blumenthal –:

Im Bereich der Lohnfindung muss der flächende-
ckende Tarifvertrag verschwinden.





Brigitte Pothmer


(A) (C)



(D)(B)

Und jetzt spielen Sie sich hier als Schutzmacht der Tarif-
autonomie auf! Da lacht wirklich noch einmal die Ko-
ralle. Das ist unglaubwürdig.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN – Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Heuchler!)


Ich finde es wirklich mehr als zynisch, dass Sie hier
versuchen, den gesetzlichen Mindestlohn zu verhindern,
und zwar mit Hinweis auf die Tarifhoheit, die Sie all die
Jahre zu bekämpfen versucht haben.


(Max Straubinger [CDU/CSU]: Ihr macht damit die Gewerkschaften kaputt!)


Sie wollen überhaupt keinen Mindestlohn, weder einen
tariflichen noch einen gesetzlichen. Ich finde, das sollten
Sie dann auch einmal sagen.

Ich habe noch ein Zitat von Guido Westerwelle; denn
das Reservoir ist einfach unerschöpflich. Der Mindest-
lohn ist für Herrn Westerwelle „DDR pur, nur ohne
Mauer“. Damit wissen wir doch gleich, mit wes Geistes
Kind wir es hier zu tun haben.

In meinem Konzept steht jetzt, dass Herr Weiß eine
Zwischenfrage stellt. – Herr Weiß, Sie können mich
nicht einfach im Stich lassen.


(Heiterkeit – Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Wir verlängern die Redezeit jetzt nicht!)


Lieber Herr Weiß, eigentlich melden Sie sich an dieser
Stelle immer, und dann fragen Sie: Frau Pothmer, ist Ih-
nen eigentlich das MiArbG bekannt? – Ja, Herr Weiß, es
ist mir bekannt.


(Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Ein toller Lacherfolg!)


Sie verweisen ja auch immer darauf. Durch das Min-
destarbeitsbedingungengesetz soll ja zumindest theo-
retisch die Möglichkeit eröffnet werden, auch in Bran-
chen mit schwacher Tarifbindung Mindestlöhne
einzuführen.


(Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Wer hat es erfunden? – Danke!)


Das Problem ist aber, dass sich hier auf absehbarer Zeit
– das sehen wir doch – nichts, aber auch gar nichts tun
wird.

Der Hauptausschuss ist damals öffentlichkeitswirk-
sam eingesetzt worden. Seitdem ist allerdings Schwei-
gen im Walde. Das war auch absehbar; denn dieses Ge-
setz bietet wirklich keine geeignete Grundlage,


(Max Straubinger [CDU/CSU]: Es ist die Frage, ob es angewendet werden muss!)


weil in diesem Gesetz steht, dass bestehende Tarifver-
träge, egal welche Lohnabschlüsse in ihnen vereinbart
worden sind, von vornherein einen Vertrauensschutz ge-
nießen.
Deswegen ist es so, dass eine Friseurin in Sachsen,
die einen Tariflohn von 3,06 Euro erhält – Frau
Connemann, auch in einem kleinen Dorf in Sachsen
kann man übrigens von einem Tariflohn von 3,06 Euro
nicht leben –, durch das MiArbG keinen Cent mehr be-
kommt.


(Gitta Connemann [CDU/CSU]: Deshalb müssen wir aufstocken!)


Das Gleiche gilt für den Fleischer aus Sachsen-Anhalt
mit einem Lohn von 4,99 Euro oder für die Floristin in
Thüringen mit einem Lohn von 4,54 Euro. Das sind die
Leidtragenden Ihrer Politik.

Frau Connemann, Sie müssen doch wirklich erken-
nen: Durch Ihre Strategie hat sich nichts verbessert. Es
gibt noch immer 6,5 Millionen Menschen, die im Nie-
driglohnsektor arbeiten.


(Gitta Connemann [CDU/CSU]: Zum Beispiel Teilzeit!)


Diese sind die Leidtragenden. Aber auch die Steuerzah-
lerinnen und Steuerzahler sind die Leidtragenden. Die
einen müssen ihre Hungerlöhne durch Arbeitslosen-
geld II aufbessern, und die Steuerzahler müssen das be-
zahlen. Die Profiteure sind gewissenlose Unternehmen.
Deren Schutzmacht sind Sie hier nämlich mit Ihrer Poli-
tik.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Jetzt komme ich noch einmal ganz kurz zu dem Ar-
beitsplatzargument. Frau Connemann, die Hans-Böckler-
Stiftung hat gerade ein Gutachten vorgelegt,


(Max Straubinger [CDU/CSU]: Sie sind doch gegen Gutachten! – Gitta Connemann [CDU/ CSU]: Sie haben gerade gesagt, Sie seien gegen Gutachten! Immer nur gerade das, was Ihnen passt!)


aus dem hervorgeht, dass durch den Mindestlohn auch
Geringqualifizierte eben nicht von Arbeitslosigkeit be-
droht sind. Es ist hier schon gesagt worden: Es kommt
darauf an, mit welcher Strategie der Mindestlohn einge-
führt wird.

Ich freue mich, dass die SPD unseren Vorschlag einer
Low Pay Commission übernommen hat.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1703804600

Frau Kollegin, achten Sie bitte auf die Redezeit. Of-

fensichtlich hat es diesmal mit den Absprachen zu den
Zwischenfragen zur Verlängerung der Redezeit nicht ge-
klappt.


(Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Das war heute einfach nicht möglich!)



Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1703804700

Ich finde, das müssten Sie an Herrn Weiß richten.






(A) (C)



(D)(B)


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1703804800

Nein, Sie müssen jetzt bitte zum Ende kommen. Klä-

ren Sie das bitte für die nächste Sitzungswoche.


Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1703804900

Frau Präsidentin, ich komme jetzt wirklich zum

Schluss. – Lassen Sie mich abschließend sagen: In gut
einer Woche ist der 1. Mai. Ich wünsche mir, dass ich
nicht weiterhin Plakate lesen muss, auf denen steht:
„Habe Arbeit – brauche Geld!“

Ich danke Ihnen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1703805000

Das Wort hat der Kollege Willi Zylajew für die

Unionsfraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Willi Zylajew (CDU):
Rede ID: ID1703805100

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

„Menschen, die Vollzeit arbeiten, müssen von ihrer Ar-
beit leben können.“


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Das ist der erste Satz im SPD-Antrag.


(Anton Schaaf [SPD]: Frag doch mal lieber, was hinterherkommt, Willi!)


Dieser Satz ist richtig. Den wird auch jeder hier unter-
schreiben.

Wir haben in der Politik die Aufgabe, dafür zu sorgen,
dass die Wirtschaft in diesem Land so funktioniert und
da, wo wir es beeinflussen können, auch floriert, dass es
Arbeit gibt und dass die Arbeit so bezahlt wird, dass man
davon leben kann. Das ist die Aufgabe der Politik.

Der zweite Satz ist völlig falsch. Denn wir brauchen
keinen gesetzlichen Mindestlohn, um gute und faire Ar-
beit für alle zu ermöglichen. Ich denke, das wissen auch
Sie, verehrte Kolleginnen und Kollegen der SPD. Des-
wegen fällt Ihnen dieses Thema auch immer nur in Op-
positionsjahren ein.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Zuruf des Abg. Anton Schaaf [SPD])


Bei allem Respekt, lieber Toni Schaaf: In den Jahren, in
denen Sie regieren, gibt es eine Auszeit für dieses
Thema, weil Sie genau wissen, dass es besser ist
– Deutschland war bisher auch sehr erfolgreich damit –,
dass Arbeitgeber und Arbeitnehmer den Lohn finden.
Weil Sie die Marktsituation kennen und wissen, wie
Kunden auf Preise reagieren, ist es besser, wenn sie
selbst die tarifliche Bezahlung verabreden. Dafür ist die
Politik aus meiner Sicht höchst ungeeignet.

Eben ist darauf hingewiesen worden, dass nur
48 Prozent der Branchen über Tarifverträge abgesichert
seien. Wir würden uns als Union wünschen, dass das
deutlich mehr wären. 70, 80, 90 oder 100 Prozent wür-
den uns begeistern.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Aber wenn wir demnächst gesetzliche Löhne festlegen,
dann müssen wir uns fragen, wofür wir noch Gewerk-
schaften brauchen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Als jemand, der seit 1. Mai 1964 Gewerkschaftsmit-
glied ist, sage ich Ihnen sehr deutlich: Ich setze auf die
Gewerkschaften und auf die Stärkung der Gewerkschaf-
ten.

Ich will am Beispiel Mindestlohn in der Pflege deut-
lich machen, wie die Union denkt und was wir erreichen
wollen. Die Pflegebranche ist eine schwierige Branche.
Wegen der besonderen Rolle der Kirchen sind sie als Ar-
beitgeber etwas anders zu sehen als andere Gruppen. Wir
haben aus der Arbeitnehmergruppe heraus am 11. März
2008 die beiden Bischöfe der katholischen und evangeli-
schen Kirche aufgefordert, ihren Beitrag zu leisten, da-
mit wir einen Mindestlohn für den Pflegebereich erarbei-
ten. Dies ist in der Schlussphase. Wir wollen uns bei
allen Beteiligten ausdrücklich bedanken. Es gibt ein ein-
stimmiges Votum. Die katholische und die evangelische
Kirche mit ihren Organisationen haben ebenso wie die
Gewerkschaften und Dienstnehmer allesamt mitge-
wirkt. Ich glaube, dass dieses einstimmige Ergebnis, das
die Pflegekommission mit je vier Arbeitnehmer- und Ar-
beitgebervertretern vorgelegt hat, in Ordnung ist. Aller-
dings würden wir uns wünschen, dass wir in Ost und
West, weil wir in den neuen wie in den alten Ländern die
gleichen Pflegesätze zahlen, einen einheitlichen Lohn
hätten. Das ist vielleicht in der Zukunft noch zu errei-
chen. Eine Dynamisierung gibt es ohnehin.

Es ist auch wichtig, darauf hinzuweisen, dass es um
den Mindestlohn für Pflegehilfskräfte geht, um es etwas
unpräzise zu sagen. Denn in meinem Heimatbereich
wird eine examinierte Pflegekraft mit etwa 16 Euro
brutto pro Stunde bezahlt. Das ist gut und in Ordnung.
Das wollen wir dann, bitte schön, auch weiter so sehen.

Mit diesem Pflegelohn geben wir aber auch ein deut-
liches Signal in Richtung der Sozialhilfeträger und Pfle-
gekassen, die sich in den letzten Jahren kräftig an der
Lohndrückerei beteiligt haben. Wer einmal an Verhand-
lungen teilgenommen hat, hat erfahren, wie gut bezahlte
Vertreterinnen und Vertreter von Pflegekassen und So-
zialhilfeträgern versuchen, den Pflegelohn zu drücken.
Hier haben wir nun eine Bremse eingebaut. An dieser
Stelle blockieren wir. Wir vollziehen nur das, was
Dienstgeber und Dienstnehmer vereinbart haben.

Damit geben wir auch ein deutliches Signal mit Blick
auf den 1. Mai 2011. In der Pflegebranche gibt es große
Sorge vor Druck aus Osteuropa, also davor, dass Men-
schen aus Osteuropa zu uns kommen und hier ihre Leis-
tungen preiswerter anbieten. Ich denke, dass wir dem ei-
nen Riegel vorgeschoben haben.





Willi Zylajew


(A) (C)



(D)(B)


(Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der Mindestlohn hilft da aber! – Andrea Nahles [SPD]: Sie lullen die Leute doch ein!)


Frau Kollegin, diese Situation ist gut – gut für die Ar-
beitnehmer, weil sie einen gerechten Lohn erhalten; gut
für die Arbeitgeber, weil der Wettbewerb fair bleibt; gut
aber auch für die Angehörigen, weil sie wissen, dass die
Menschen, die sich um die Betroffenen kümmern, or-
dentlich bezahlt werden.

Frau Nahles, Sie haben behauptet: Die Union verhin-
dert Mindestlöhne. Lassen Sie mich ein Beispiel nennen.
Nun haben die Tarifparteien sich verständigt: Sie wün-
schen Mindestlöhne – aber tariflich und nicht politisch
vereinbart. Das ist das Entscheidende.


(Beifall bei der CDU/CSU – Anton Schaaf [SPD]: Was ist mit Zeitund Leiharbeit?)


Frau Nahles, Sie haben auch die guten Erfahrungen in
anderen Ländern angesprochen. In diesem Zusammen-
hang haben Sie uns empfohlen, unsere Brillen zu putzen.


(Andrea Nahles [SPD]: Ich habe noch ein Tuch, wenn Sie möchten!)


Das hat aber keinen Zweck,


(Heiterkeit bei der CDU/CSU – Werner Dreibus [DIE LINKE]: Scheuklappen!)


und zwar deshalb nicht, Frau Nahles, weil Sie schlicht-
weg blind sind und die Schattenwirkungen in diesen
Ländern nicht sehen. Da hilft kein Brillenputztuch;


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Andrea Nahles [SPD]: Ich kann Ihnen auch meine Brille leihen!)


denn aufgrund der Schattenwirkungen möchten wir wei-
terhin verlässlich und ordentlich sagen: Wir wollen, dass
Menschen von Vollzeitarbeit leben können. Wir wollen
aber genauso deutlich, dass Arbeitgeber und Arbeitneh-
mer die Lohnfindung vornehmen – und nicht der Staat.

Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit und wün-
sche Ihnen mit Blick auf den 1. Mai in dieser Beziehung
gute Erkenntnisse.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Werner Dreibus [DIE LINKE]: Tausendmal widerlegt!)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1703805200

Das Wort hat der Kollege Anton Schaaf für die SPD-

Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Anton Schaaf (SPD):
Rede ID: ID1703805300

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Lieber Willi Zylajew, das persönliche Bekenntnis zur
Tarifautonomie nehme ich dir ohne Wenn und Aber
ab – allerdings nicht allen in der Fraktion der CDU/CSU
und schon gar nicht in der Fraktion der FDP. Das Nötige
zu dem Thema FDP und Tarifautonomie hat Frau
Pothmer allemal gesagt. Der größte Feind der Tarifauto-
nomie und der Gewerkschaften ist der Vorsitzende der
FDP und Außenminister, Guido Westerwelle. Das ist un-
strittig.


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


In dieser Koalition wird es keine Stärkung der Tarifauto-
nomie geben. Das ist doch absehbar.

Ich mache gerne an einem Beispiel deutlich, an wel-
cher Stelle die Union unglaubwürdig wird, was die Tarif-
autonomie angeht. Übrigens kann man hier auch noch
einmal zuhören, Werner Dreibus. Ja, es war in der Gro-
ßen Koalition nicht durchsetzbar, gesetzliche Mindest-
löhne einzuführen. Das ist in der Tat richtig.


(Werner Dreibus [DIE LINKE]: Aber es gab im Parlament eine Mehrheit!)


Wir haben aber zumindest im Koalitionsvertrag bran-
chenspezifische Mindestlöhne vereinbart und in vielen
Branchen dann am Ende auch durchgesetzt.


(Max Straubinger [CDU/CSU]: Und bei Rot-Grün?)


Bei der Branche, bei der es in der Tat am allernötigs-
ten wäre, Mindestlöhne einzuführen, hat die Union sich
aber aus ideologischen Gründen verweigert, obwohl alle
Voraussetzungen für die Einführung von Mindestlöhnen,
die wir miteinander vereinbart hatten, tatsächlich gege-
ben waren, nämlich bei der Zeit- und Leiharbeitsbran-
che. Dort hat sich die Union aus ideologischen Gründen
verweigert –


(Beifall bei der SPD)


übrigens auch mit dem Hinweis auf die Tarifautonomie.


(Gitta Connemann [CDU/CSU]: Ja!)


An dieser Stelle wird es richtig lustig, Frau
Connemann. Dieses Lied wird von Ihnen gerade dann
gesungen, wenn Scheingewerkschaften, die sich auch
noch christlich nennen, Scheintarifverträge abschließen
sowie Lohn- und Sozialdumping betreiben. Das führen
Sie als Begründung an und argumentieren: Hier gibt es
konkurrierende Tarifverträge; deshalb wollen wir bei der
Zeit- und Leiharbeit keinen Mindestlohn. – Das ist Ihr
Verständnis von Stärkung der Tarifautonomie.

Genau das Gleiche gilt für den Bereich der Post. Ge-
schäftsmodelle, die darauf angelegt sind, Lohn- und So-
zialdumping zu betreiben, werden die Unterstützung der
SPD-Bundestagsfraktion niemals finden; denn solche
Geschäftsmodelle sind an sich sittenwidrig.


(Beifall bei der SPD)


Jetzt hat diese Koalition, nur um irgendetwas zu dem
Thema zu sagen, vereinbart, dass sie keine sittenwidri-
gen Löhne wolle.


(Gabriele Hiller-Ohm [SPD]: Lächerlich!)


Dazu gibt es eine einschlägige Rechtsprechung. Das im
Koalitionsvertrag zu beschließen, ist dummes Zeug. Das
ist eine Selbstverständlichkeit und durch die Rechtspre-





Anton Schaaf


(A) (C)



(D)(B)

chung geklärt. Aber was heißt das, wenn man sich die
Definition genauer anschaut? Sittenwidrig ist der Lohn,
der ein Drittel unter dem ortsüblichen Niveau liegt. Neh-
men wir als Beispiel die Friseurin, die einen Tariflohn
von 3,80 Euro hat. Sie finden sich damit ab – das ist der
Beschluss der Koalition –, dass diese Frau deutlich unter
3 Euro verdienen darf. Ich sage Ihnen: Schon 3,80 Euro
sind sittenwidrig.


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Gitta Connemann [CDU/CSU]: Ein Verdi-Tarifvertrag! Keine christliche Gewerkschaft, sondern Verdi, Herr Kollege!)


Zu der Abgrenzung, die Sie betreiben, indem Sie auf
Sachsen und Thüringen als Argument gegen einen ge-
setzlichen Mindestlohn verweisen, sage ich Ihnen: Im
Westen der Republik, Richtung Holland und Richtung
Frankreich, sind die Deutschen die Lohndrücker, weil es
in diesen Ländern nämlich Mindestlöhne gibt. Im grenz-
nahen Bereich werden von diesen Ländern Arbeitneh-
merinnen und Arbeitnehmer und Dienstleistungen bei
uns eingekauft, weil wir die niedrigeren Löhne haben.
Im Westen der Republik sind wir die Lohndrücker.

Übrigens beantworten Sie die Frage überhaupt nicht
– Sie weigern sich schlichtweg, das Problem zur Kennt-
nis zu nehmen; das gilt auch für die Arbeitsministerin –:
Was passiert eigentlich mit der Lohnspirale im Zusam-
menhang mit der Arbeitnehmerfreizügigkeit ab dem
nächsten Jahr?


(Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN], an die CDU/CSU gewandt: Da werdet ihr so klein mit Hut!)


Es gibt EU-rechtlich überhaupt keine Chance, die Frei-
zügigkeit zu verhindern, weil wir an Verträge gebunden
sind. Das ist zunächst einmal so in Ordnung; denn wir
sind ein einiges Europa mit einem einheitlichen Wirt-
schaftsraum. Wir liberalisieren jetzt Zug um Zug auch
den Arbeitsmarkt. Aber ich frage Sie: Wie wollen Sie
verhindern, dass Arbeitgeber, die schon jetzt Lohn- und
Sozialdumping skrupellos betreiben, die Arbeitnehmer,
die sie zu schlechten Bedingungen beschäftigen, entlas-
sen, weil sie aus Osteuropa Arbeitnehmerinnen und Ar-
beitnehmer bekommen, die bereit sind, zu noch schlech-
teren Bedingungen zu arbeiten? Wie wollen Sie das
verhindern, wenn nicht mit einem gesetzlichen Mindest-
lohn? Ihre Haltung ist mir unbegreiflich. Diese Regie-
rung bleibt jede Antwort schuldig. Sie agieren an dieser
Stelle überhaupt nicht.Das ist fahrlässig für die Arbeits-
plätze in unserem Land.


(Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordenten des BÜNDISSES 90/DIE GRÜNEN)


Frau Connemann, Sie haben etwas über Würde und
Arbeit gesagt, wo ich Ihnen durchaus recht gebe. Nun
haben Sie entschieden, dass Sie im Bereich des SGB II
die Zuverdienstgrenzen anheben werden. Wenn Sie
diesen Bereich ausweiten, dann müssen Sie mir erklären,
was es mit der Würde des Einzelnen zu tun hat, den gan-
zen Tag, von morgens bis abends, und den ganzen Monat
lang arbeiten zu gehen, um anschließend zur Behörde
gehen zu müssen, um sich Geld zu holen, damit er über-
haupt überleben kann. Was hat das mit Würde zu tun?


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Würde bezieht man nicht aus einem solchen Arbeitsver-
hältnis, sondern nur aus einem Arbeitsverhältnis, in dem
man anständig und fair für die Leistung, die man er-
bringt, bezahlt wird. Dadurch erwirbt man Würde, nicht
dadurch, dass man zusätzlich zu seiner Arbeit zum Bitt-
steller beim Staat wird.


(Max Straubinger [CDU/CSU]: Keine Zerrbilder zeichnen!)


Sie entlasten damit nur die Arbeitgeber. Das ist das, was
dahintersteckt. Sie machen die Arbeit für die Arbeitge-
ber billiger, aber Sie stützen damit nicht die Würde des
Einzelnen, ganz im Gegenteil.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Ich habe heute Morgen der Bundesarbeitsministerin
sehr genau zugehört; denn man hat immer noch die
Hoffnung, dass hinter dem Begriff „christlich-liberale
Koalition“, den man mit CLK abkürzen könnte, etwas
steckt. CLK ist ein Hochleistungsprodukt eines bekann-
ten deutschen Autobauers,


(Ute Kumpf [SPD]: Aus meiner Region!)


übrigens von hervorragenden Mitarbeitern gebaut. Aber
Qualität hat diese Regierung nicht und hervorragende
Mitarbeiter auch nicht. Deshalb lassen wir den Vergleich
mit CLK weg.


(Gitta Connemann [CDU/CSU]: Dann war das ein untauglicher Vergleich!)


Ich hatte gehofft, dass die Arbeitministerin tatsächlich
etwas Vorwärtsweisendes sagt. Sie hat etwas zu den
Alleinerziehenden gesagt. Das fand ich sehr spannend.
In der Tat hat sie recht, wenn sie sagt – das ist aber eine
Banalität –, dass man die Ressourcen, die insbesondere
bei der weiblichen Bevölkerung vorhanden sind, besser
nutzen muss, und zwar nicht nur wegen der Frauen sel-
ber, sondern auch wegen des wirtschaftlichen Nutzens,
der damit verbunden ist: Frauen sind in der Regel hoch
qualifiziert.

In diesem Zusammenhang hat sie gesagt: Da brau-
chen wir eine Offensive, und daher werden wir uns auf
diesem Gebiet zusätzlich engagieren, zum Beispiel sor-
gen wir für eine Erhöhung der Anzahl der Betreuungs-
plätze, um mehr Menschen die Aufnahme einer Arbeit
zu ermöglichen. Die Ministerin soll sich einmal an-
schauen, wie die CDU-FDP-Regierung in Nordrhein-
Westfalen beim Ausbau der Anzahl der Betreuungs-
plätze für unter Dreijährige schlichtweg versagt hat. Die
CDU sollte erst einmal Ordnung in den eigenen Reihen
schaffen.





Anton Schaaf


(A) (C)



(D)(B)


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Bei Gelegenheit wird mir sicherlich irgendjemand er-
klären können, wie der Anspruch, mehr Betreuungs-
plätze zu schaffen, damit mehr Menschen arbeiten kön-
nen, mit der von der Koalition beschlossenen Zu-Hause-
bleib-Prämie korrespondiert.


(Gabriele Hiller-Ohm [SPD]: Das kann keiner erklären!)


Sie müssen mir einmal erklären, wie das, was die Minis-
terin heute Morgen hier erklärt hat, damit zusammen-
geht, dass man Menschen dafür Geld gibt, dass sie ihre
Kinder zu Hause betreuen, dass man diese Menschen
also absichtlich vom Arbeitsmarkt fernhält. Schaffen Sie
einmal Ordnung in Ihrer eigenen Argumentation. Bisher
war davon nichts zu sehen.


(Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Sie wollen es wissen? Wenn ich wüsste, dass Sie es wissen wollen, würde ich es Ihnen erklären!)


Die Ministerin hat außerdem von ihren Vorstellungen
zur Zukunft der Arbeit gesprochen. Man kann sich in
Nordrhein-Westfalen genau anschauen, wie sich die
Union und die FDP zur Zukunft der Arbeit und zu zu-
künftigen Arbeitsplätzen tatsächlich stellen: Sämtliche
Fördermittel, die für die Arbeitsplätze der Zukunft im
Bereich der erneuerbaren Energien eigentlich zur Verfü-
gung stehen müssten, sind in Nordrhein-Westfalen radi-
kal zusammengestrichen worden. Die Wirtschaftsförde-
rung in Nordrhein-Westfalen geht mit einer Förderung
der Zukunft der Arbeit nicht einher. Man kann sich das
dort exemplarisch anschauen.

Ich sage noch einmal: Ein gesetzlicher Mindestlohn
ist vor dem Hintergrund des Schutzes der Arbeitsplätze
und der Arbeitnehmerfreizügigkeit in Europa unerläss-
lich. Ich fordere diese Regierung und diese Koalition
auf, uns im Hinblick auf Arbeitnehmerfreizügigkeit im
nächsten Jahr zu erklären, wie sie deutsche Arbeitsplätze
schützen will. Wenn Sie da nicht agieren, zeigt sich wie-
der einmal – ich kann nur das wiederholen, was ich
schon beim letzten Mal gesagt habe –: Diese Koalition
und diese Regierung sind eine Gefahr für die Arbeits-
plätze in unserem Land.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1703805400

Das Wort hat der Kollege Dr. Peter Röhlinger für die

FDP-Fraktion.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Peter Röhlinger (FDP):
Rede ID: ID1703805500

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Mindestlohn war genau vor einem Jahr im
Rahmen des Kommunalwahlkampfes in Thüringen, im
Rahmen des Europawahlkampfes, im Rahmen des Land-
tagswahlkampfes und nicht zuletzt im Rahmen des Bun-
destagswahlkampfes ein Thema, bei dem die FDP, bei-
spielsweise bei Podiumsgesprächen, durchaus nicht so
gut ausgesehen hat – ich gebe das zu – wie bei anderen
Themen. Aber das Ergebnis der Bundestagswahl ist be-
kannt.


(Andrea Nahles [SPD]: Das bereuen die Menschen jetzt schon! Das haben Sie noch nicht mitbekommen! – Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Erst mal Nordrhein-Westfalen abwarten!)


Mit diesem Ergebnis werden Sie noch eine Zeit lang le-
ben müssen; denn die nächste Bundestagswahl wird erst
in dreieinhalb Jahren stattfinden.


(Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Und Nordrhein-Westfalen?)


– Ich spreche von Bundestagswahlen. Das ist schon ein
Unterschied. Wir, die Vertreter dieses Hohen Hauses,
sind gewählte Abgeordnete des Bundestages, und darauf
beziehe ich mich.


(Beifall bei der FDP)


Uns werden Sie noch eine Weile ertragen müssen. Ich
freue mich auf diese Auseinandersetzung.

Zurück zum Thema Mindestlohn. Ich habe diesbe-
züglich vor einem Jahr die gleiche Position wie heute
vertreten.


(Werner Dreibus [DIE LINKE]: Wir auch!)


Der Unterschied ist allerdings, dass ich als Abgeordneter
der FDP-Fraktion heute wesentlich besser informiert
bin. Als Liberaler habe ich damals empfunden: Das kann
nicht gut gehen; das ist nicht dein Ding. – Heute, ein
Jahr später, stellt sich heraus, dass sich meine Grund-
position – das Geländer, an dem man sich orientiert – be-
stätigt hat. Die Orientierung an diesem Geländer habe
ich während der 40 Jahre DDR und auch während mei-
ner mehr als 16 Jahre als Oberbürgermeister der Stadt
Jena gebraucht. Die Orientierung an diesem Geländer
war für mein Verhältnis zu den Arbeitnehmern und zu
den Arbeitgebern wichtig. Insoweit werden Sie mir
nachsehen, Frau Nahles, dass ich meine Auffassung zum
Mindestlohn heute nicht ändern kann.

Im Übrigen stelle ich fest: Wir lesen beide eine be-
stimmte Zeitung, das ist der Tag des Herrn. Wenn ich es
richtig weiß, wird schon im Markus-Evangelium das
Leistungsprinzip bei dem Vergleich der Verwalter ver-
deutlicht. Das Leistungsprinzip hat also durchaus seine
Wurzeln vor langer, langer Zeit.


(Andrea Nahles [SPD]: Ich möchte nur, dass die Leute für ihre Leistung auch Geld bekommen!)


– Frau Nahles, man muss den Leuten erst einmal die Ge-
legenheit geben, zu arbeiten. Das ist unsere Auffassung.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Andrea Nahles [SPD]: Ja!)






Dr. Peter Röhlinger


(A) (C)



(D)(B)

Wir wollen erst einmal die Menschen mitnehmen, dass
sie überhaupt in Arbeit kommen. Ich bin durchaus der
Auffassung – das ist heute schon vorgetragen worden –,
dass die Menschen, die arbeiten wollen und fleißig sind,
ihre Familie und sich selbst in einer ordnungsgemäßen,
sauberen Weise durchs Leben bringen können sollen.


(Werner Dreibus [DIE LINKE]: Von 4 Euro in der Stunde!)


Dieser Auffassung sind wir. Die Wege dahin sind un-
terschiedlich. Wir haben es vor 20 Jahren erreicht, dass
jeder seine Meinung sagen darf. Sie haben zum Mindest-
lohn eine andere Auffassung. Ich bin sehr dafür und
auch persönlich daran interessiert – da können Sie mit
mir rechnen –, weiter dafür zu streiten, dass die Mei-
nungsfreiheit nicht unterdrückt wird, weil sonst das
Ganze gegen den Baum fährt. Wir sollten uns streiten,
und die bessere Meinung ist dann mehrheitsfähig – so
hoffen wir – in diesem Land.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir lehnen den Mindestlohn ab. Jetzt spreche ich
nicht das nach, was häufig und immer wieder erzählt
wird, sondern ich kenne diese Auffassung aus meinem
persönlichen Umfeld. Ich weiß nicht, in welchem Um-
feld Sie leben. In meinem persönlichen Umfeld sind die-
jenigen, die zu mir gesagt haben: Es ist schön, dass einer
wie du nach Berlin geht, weil du weißt, wie es an der Ba-
sis aussieht. – Das sind Verkäuferinnen beim Bäcker,
beim Fleischer; auch Floristinnen sind schon genannt
worden, die mit Sicherheit nicht das verdienen, was ich
ihnen geben würde. Aber ich kenne auch den Fleischer-
meister und den Bäckermeister. Zwischen Arbeitgeber
und Arbeitnehmern besteht ein stilles Einvernehmen:
Mehr kann ich euch nicht bezahlen. – Das ist nicht nur
bei Handwerkern so, das ist auch bei qualifizierten
Dienstleistern so, in Ingenieurbüros, deren Auftragslage
derartig schwankt, dass zwischen den Ingenieuren und
dem Chef ein stilles Einvernehmen besteht: Ich bin von
den Auftragseingängen abhängig; sobald sich die Lage
stabilisiert, bekommt ihr mehr, zurzeit eben nicht. – Vor
diesem Hintergrund kann ich einem Mindestlohn – zu-
mindest einem flächendeckenden – nicht zustimmen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich bin der Auffassung, dass wir auch gegenüber der
nachfolgenden Generation nicht den Eindruck erwe-
cken sollten, dass man mit einem Mindestlohn die Pro-
bleme lösen kann. Wir lösen sie damit nicht. Mindest-
lohn vermittelt einen Tunnelblick und vergisst die
Komplexität, die beispielsweise heute oder auch gestern
in unseren Debatten deutlich wurde.

Frau Pothmer, wir haben auch schon gestern das
Thema durchdekliniert. Mir hat sehr gut gefallen, dass
Sie in dem Zusammenhang das Wort „Qualifizierung“
genannt haben.


(Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber heute hat Ihnen meine Rede doch auch gefallen, oder? – Gegenruf der Abg. Gitta Connemann [CDU/CSU]: Ich glaube, nicht ganz!)


Wir müssen um Himmels willen – da sind wir uns doch
einig – die Familien stärken, auch alle eheähnlichen El-
ternhäuser stärken, damit die Kinder nicht nur lernen
und sich qualifizieren, sondern auch begreifen, dass sie
für ihr eigenes Leben verantwortlich sind. Wer das im
Elternhaus zu spät, möglicherweise erst mit 14 Jahren
oder gar erst mit 18 Jahren im Studium, oder nie lernt,
der tut sich schwer. Die Verantwortung für das eigene
Leben muss zu Hause mit auf den Weg gegeben werden.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Deswegen bin ich der Auffassung: Ja, wir brauchen
Investitionen für die Familie, Investitionen für die Bil-
dung und Investitionen in die Jugend.

Mein letzter Gedanke soll sein: Auf meinem Schreib-
tisch stehen nicht Bilder irgendwelcher großen Politiker
dieser Welt, sondern da steht ein Bild meiner Enkel.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1703805600

Herr Röhlinger, wir haben hier keine Mindestredezeit,

sondern wir haben eine verabredete Redezeit, und diese
haben Sie jetzt weit überschritten.


(Heiterkeit)


Ich will Ihnen aber trotz alledem zu Ihrer ersten Rede in
diesem Hohen Hause gratulieren und Ihnen auch alles
Gute wünschen.

Für die Zukunft bitte ich Sie einfach, mich oder auch
die anderen Präsidenten hier ernst zu nehmen. Das
Signal, welches Ihnen jetzt seit dreieinhalb Minuten be-
deutet,


(Heiterkeit)


dass die Redezeit abgelaufen ist, ist sehr ernst gemeint.
Für Ihre nächste Rede gilt: Ich habe hier auch einen
Knopf, um das Mikrofon auszuschalten.


Dr. Peter Röhlinger (FDP):
Rede ID: ID1703805700

Ich bedanke mich.


(Beifall)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1703805800

Aber, wie gesagt, wir gratulieren Ihnen zu Ihrer ersten

Rede und wünschen Ihnen viel Erfolg für Ihre Arbeit.


(Beifall)


Für die Unionsfraktion hat nun der Kollege Max
Straubinger das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Max Straubinger (CSU):
Rede ID: ID1703805900

Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!

Die SPD hat heute den Antrag „Gesetzlichen Mindest-
lohn einführen – Armutslöhne verhindern“ eingebracht.
Schon der Bezug, der damit hergestellt wird – Löhne be-
deuten gleichzeitig Armut –, ist falsch, und das wissen





Max Straubinger


(A) (C)



(D)(B)

Sie sehr genau, werte Kolleginnen und Kollegen der
SPD.


(Anton Schaaf [SPD]: Wenn man die ergänzenden Sozialleistungen abholen muss, ist es genau das!)


Der Lohn ist das Entgelt für erbrachte Leistung, und
er kann nie mit Armut in Verbindung stehen. Sie wissen
sehr wohl: Für die Sozialpolitik ist die Bundesregierung
zuständig – da ist sie sehr erfolgreich –; Lohnpolitik
kann Sozialpolitik nicht ersetzen. Sie aber wollen mit Ih-
rem Antrag einen Versuch dazu unternehmen. Der kann
nicht erfolgreich sein.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Es kommt noch dazu, dass Sie falsche Schlüsse aus
der Vergangenheit ziehen. In Ihrem Antrag wird ange-
führt, dass der Niedriglohnsektor in den letzten Jahren
sehr zugenommen hat. Sie vergleichen die Jahre 2004
und 2008 miteinander. Es ist ein guter Vergleich, den Sie
da ziehen, werte Kolleginnen und Kollegen der SPD;
2004 war nämlich die Endzeit von Rot-Grün. In der
Endzeit von Rot-Grün hatten wir 26,1 Millionen sozial-
versicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse in
Deutschland. 2008, also in den guten Zeiten der Großen
Koalition, hatten wir 27,458 Millionen sozialversiche-
rungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse, also über
1,2 Millionen mehr. Das zeigt sehr deutlich, dass wir mit
unserer Politik in der Großen Koalition für Beschäfti-
gung gesorgt haben und damit den Menschen zu Löhnen
verholfen haben. Damals waren in unserem Land
5 Millionen Arbeitslose zu beklagen; jetzt sind es noch
3,6 Millionen; es waren schon unter 3 Millionen. Das ist
ein Erfolg.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Für die Zukunft der Menschen in unserem Land ist es
wichtig, dass sie selbst etwas verdienen können, dass sie
einem Erwerb nachgehen können. Das ist die beste So-
zialpolitik. Diese kann nicht durch einen gesetzlichen
Mindestlohn ersetzt werden; denn ein gesetzlicher Min-
destlohn – davon bin ich felsenfest überzeugt – wird Ar-
beitsplätze in unserem Land kaputt machen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Werner Dreibus [DIE LINKE]: Oh, oh!)


Werte Damen und Herren, ein gesetzlicher Mindest-
lohn würde sehr wohl auch Wettbewerbsnachteile mit
sich bringen, vor allen Dingen bezogen auf die Regio-
nen. Man kann nicht über ganz Deutschland hinweg ein-
heitliche Regelungen schaffen, weil die Verhältnisse sehr
unterschiedlich sind. Frau Kollegin Nahles hat das ja
dargestellt. Es gibt über 60 000 Tarifverträge, angepasst
an die Verhältnisse in den Branchen, angepasst an die
Verhältnisse in den Regionen. Es gibt auch keinen ein-
heitlichen Metalltarifvertrag über ganz Deutschland hin-
weg, sondern das Ganze ist an die regionalen Verhält-
nisse angepasst. Deshalb ist es auch nicht sinnvoll, einen
einheitlichen gesetzlichen Mindestlohn über ganz
Deutschland hinweg festzulegen.


(Andrea Nahles [SPD]: Ein Mindestlohn!)

Vor allen Dingen würde damit die Tarifautonomie
beschädigt. Die Tarifautonomie aber hat viele Arbeits-
plätze in Deutschland gebracht. Ich möchte hier betonen,
dass die Tarifparteien für die Lohnfindung eine bedeut-
same Rolle spielen. Sie legen die Grundlagen für die
Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft. Dies kann der
Staat nicht erbringen. Das können nur diejenigen leisten,
die entsprechende Branchenkenntnisse besitzen. Aber
Politik kann diesen Prozess wirkungsvoll begleiten.

Anton Schaaf, der im Moment leider nicht anwesend
ist, hat sich vorhin kritisch über die Politik in Nord-
rhein-Westfalen ausgelassen. Daher möchte ich ver-
deutlichen, was der dortige Sozialminister Karl-Josef
Laumann gemacht hat. Er hat die Tariflöhne im Gastro-
nomiegewerbe für allgemeinverbindlich erklärt.


(Abg. Anton Schaaf [SPD] betritt wieder den Plenarsaal)


Damit erhalten alle Beschäftigten in Gastronomiebetrie-
ben den Tariflohn.


(Anton Schaaf [SPD]: Wie hoch ist er denn?)


Das ist im besten Sinne christliche Politik, die in Nord-
rhein-Westfalen gemacht wird.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Lieber Kollege Schaaf, es ist für Nordrhein-Westfalen
bedeutsam, dass der Tarifvertrag von Verdi, der einen
Stundenlohn von 7,60 Euro vorsieht, auch für Friseure
allgemeinverbindlich erklärt wird. Das zeigt sehr deut-
lich: Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer fallen
nicht in ein tarifpolitisches Loch, sondern es werden
Tarife ausgehandelt, die allgemeinverbindlich erklärt
werden können. Das hat Karl-Josef Laumann in vorbild-
licher Weise gemacht. Das zeigt sehr deutlich: Die nord-
rhein-westfälische Landesregierung steht an der Seite
der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1703806000

Kollege Straubinger, gestatten Sie eine Zwischen-

frage des Kollegen Schaaf?


Max Straubinger (CSU):
Rede ID: ID1703806100

Gerne.


Anton Schaaf (SPD):
Rede ID: ID1703806200

Herr Kollege Straubinger, es wäre interessant, zu er-

fahren, wie hoch der Mindestlohn in diesem Bereich ist. –
Ich habe aber eine andere Frage: Würden Sie mir zustim-
men, dass der Arbeits- und Sozialminister von Nord-
rhein-Westfalen maßgeblich mit dafür verantwortlich ist,
dass das Landespersonalvertretungsgesetz geschleift und
die Mitbestimmung im öffentlichen Dienst kaputt ge-
macht worden ist?


Max Straubinger (CSU):
Rede ID: ID1703806300

Nein, Herr Kollege Schaaf, da kann ich Ihnen in keiner

Weise zustimmen. Im Gegenteil: Die nordrhein-westfäli-
sche Landesregierung hat noch weit größere Erfolge





Max Straubinger


(A) (C)



(D)(B)

vorzuweisen – Sie wollten vorhin diese Erfolge nicht dar-
stellen –, zum Beispiel bei der Schaffung von Betreuungs-
plätzen. Nachdem Ministerpräsident Rüttgers die Regie-
rungsverantwortung übernommen hat, ist die Zahl der
Betreuungsplätze für unter Dreijährige in Nordrhein-
Westfalen um über 100 000 gestiegen.


(Andrea Nahles [SPD]: Nicht ablenken! – Stefan Liebich [DIE LINKE]: Beantworten Sie die Frage!)


Rot-Grün hatte 11 800 Betreuungsplätze als Ergebnis vor-
zuweisen. Die jetzige nordrhein-westfälische Landesre-
gierung hat 112 500 Betreuungsplätze vorzuweisen. Das
zeigt sehr deutlich, welche Leistung die christlich-liberale
Regierungskoalition in Nordrhein-Westfalen für die Ar-
beitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie für die Fami-
lien mit Kindern erbracht hat. Die Bürgerinnen und Bür-
ger in Nordrhein-Westfalen tun also sehr gut daran,
dieser Regierung ihre Stimme zu geben und Ministerprä-
sident Rüttgers den Rücken zu stärken.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Ich möchte die Kolleginnen und Kollegen von der
SPD warnen. Ein Kollege hat heute schon ausgeführt
– ich glaube, es war jemand von der FDP –, dass Sie den
Wettlauf um die Höhe des gesetzlichen Mindestlohns
nicht gewinnen können. Sie haben mit der Forderung
nach einem Mindestlohn in Höhe von 7,50 Euro begon-
nen. Danach gab es den Schulterschluss mit den Ge-
werkschaften.


(Andrea Nahles [SPD]: Genau!)


Damals forderten die Linken noch einen Mindestlohn
von 8,50 Euro. Mittlerweile hat die SPD ihre Forderung
auf 8,50 Euro erhöht, wieder im Schulterschluss mit den
Gewerkschaften. Aber die Linken liegen schon bei ei-
nem Mindestlohn von 10 Euro. Das wird ein Hase-und-
Igel-Wettlauf werden. Es wird aber nie eine Lohnfin-
dung auf gesicherten Fundamenten stattfinden.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Sie leiten Ihre Forderung nach einem gesetzlichen
Mindestlohn von den angeblichen Erfolgen in Ländern
wie Frankreich und Großbritannien ab, in denen es einen
hohen Mindestlohn gibt. Ich frage mich aber, wieso ge-
rade in diesen beiden Ländern die Jugendarbeitslosigkeit
mehr als doppelt so hoch ist wie in Deutschland.


(Werner Dreibus [DIE LINKE]: Stimmt doch gar nicht!)


Das zeigt sehr deutlich, dass ein hoher Mindestlohn
letztendlich eine Einstiegsbarriere bedeutet.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Andrea Nahles [SPD]: Das glauben Sie doch selber nicht! – Anette Kramme [SPD]: Herr Straubinger, Sie sind doch ein vernünftiger Mensch! Glauben Sie das wirklich?)

Damit werden die Zukunftschancen der jungen Men-
schen verringert. Das wollen wir nicht, und deshalb leh-
nen wir Ihren Antrag ab.

Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1703806400

Das Wort hat die Kollegin Gabriele Molitor für die

FDP-Fraktion.


(Beifall bei der FDP)



Gabriele Molitor (FDP):
Rede ID: ID1703806500

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen

und Herren! Gegen die Einführung eines gesetzlichen
Mindestlohns ist eigentlich schon alles gesagt worden.


(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Richtig! Gut! Das war es schon! – Andrea Nahles [SPD]: Aber nichts Überzeugendes!)


Sie wollen nicht zur Kenntnis nehmen, dass er das fal-
sche Instrument ist. Die kurze Episode des Post-Min-
destlohns hat gezeigt, dass in diesem Bereich
7 000 Arbeitsplätze weggefallen sind. Dies hätte Ihnen
doch deutlich machen müssen, dass dies der falsche Weg
ist.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Markus Kurth [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Dumpingarbeitsplätze!)


Das Ifo-Institut hat errechnet, dass die Forderung von
SPD und DGB nach einem gesetzlichen Mindestlohn
von 8,50 Euro rund 1,2 Millionen Arbeitsplätze kosten
würde. Das sind keine Kleinigkeiten, das sind Existen-
zen. Wie wollen Sie das den Bürgern in diesem Land er-
klären?

Der Zusammenhang zwischen Produktivität und Ent-
lohnung ist außer Kraft gesetzt, wenn Löhne gesetzlich
festgelegt werden. Das Beispiel der Friseurin ist hier
schon häufig genannt worden. Dieses Beispiel ist inso-
fern wichtig, als Sie sich fragen sollten: Sind denn die
Kunden bereit, entsprechend höhere Preise zu zahlen?


(Gitta Connemann [CDU/CSU]: Das ist genau der Punkt!)


Diesen Punkt dürfen wir nicht außer Acht lassen.


(Beifall bei der FDP)


Lassen Sie mich kurz auf den sozialen Aspekt einge-
hen, und zwar auf den wesentlichen Unterschied zwi-
schen Mindestlohn und Mindesteinkommen. Um das
Einkommen einer vierköpfigen Familie über Hartz-IV-
Niveau zu heben, müsste der Stundenlohn über 10 Euro
liegen. Ein Stundenlohn von 8,50 Euro würde dieses
Problem nicht lösen können. Jeder soll vom Lohn seiner
Arbeit leben können. Dort, wo das nicht möglich ist, ist
der Sozialstaat gefordert. Die FDP hat Vorschläge ge-
macht, wie ein Mindesteinkommen gesichert werden
kann.





Gabriele Molitor


(A) (C)



(D)(B)

Eine flächendeckende Einführung von Mindestlöhnen
ist das falsche Instrument. In meinem Wahlkreis bekla-
gen Arbeitgeber im Bereich der Pflege, dass die Diskus-
sion über die Einführung eines Mindestlohns in diesem
Bereich suggeriert, dass sie ihren Beschäftigten zu we-
nig bezahlen würden. Sie zahlen aber sogar mehr, als
von ihnen erwartet wird. Man sollte also bitte nicht so
tun, als wären alle Arbeitgeber Ausbeuter.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber ein paar schon!)


In der Koalition wurde vereinbart, dass in manchen
Branchen Mindestlohnregelungen gelten sollen und im
Oktober 2011 eine Evaluierung stattfinden soll.


(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da haben Sie die Ereignisse längst überrollt! – Andrea Nahles [SPD]: Das ist eine Ausrede! Verschiebebahnhof!)


Das ist der richtige Weg. Wir wollen schauen, wie sich
dieses Instrument bewährt und ob der von Ihnen unter-
stellte Schutz tatsächlich eintritt oder ob nicht am Ende
Arbeitsplätze auf der Strecke bleiben.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition,
ich kann Ihnen nur sagen: Wir werden uns das genau an-
sehen und mit Vernunft und sozialer Verantwortung an
die Sache herangehen. Die FDP wird sich um diese
Dinge mit Vehemenz kümmern.

Vielen Dank.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1703806600

Das Wort hat die Kollegin Lucia Puttrich für die

Unionsfraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Lucia Puttrich (CDU):
Rede ID: ID1703806700

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!

Die Diskussion über gesetzliche Mindestlöhne ist in der
Tat alt. Sie führen sie immer wieder. Am 5. März 2010
wurde ein Antrag der Linken eingebracht; heute liegt ein
Antrag der SPD vor.

Nachdem immer wieder ein Bezug zur NRW-Wahl
hergestellt wurde, kann man nur sagen: Offensichtlich
ruft diese Wahl bei Ihnen ganz besondere Aktivitäten
hervor. Im Zuge mehrerer Landtagswahlen haben Sie ge-
fordert, einen Volksentscheid über die Einführung von
gesetzlichen Mindestlöhnen herbeizuführen. Dazu kann
ich nur feststellen: Sie sind dreimal daran gescheitert
und werden auch diesmal daran scheitern.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Natürlich kann man sagen, dass die Argumente hin-
reichend ausgetauscht worden sind. Aber es ist offen-
sichtlich notwendig, dass man dies immer wieder tut, da-
mit bei Ihnen an der einen oder anderen Stelle ein
Erkenntnisgewinn hinzukommt.

(Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Das wird nie der Fall sein!)


Sie tragen den gesetzlichen Mindestlohn in der Tat
wie eine Monstranz vor sich her. Mit der Formulierung
„Gesetzlichen Mindestlohn einführen – Armutslöhne
verhindern“ im Titel Ihres Antrags erwecken Sie den
Eindruck – darauf ist schon eingegangen worden –, dass
Armut nur mit diesem Instrument bekämpft werden
kann. Sie wissen genau, dass das nicht stimmt. Ich muss
Ihnen an dieser Stelle schlicht und einfach eine selektive
Wahrnehmung bescheinigen. Sie lassen ganz bewusst
mehrere Aspekte außer Acht.

Ein flächendeckender Mindestlohn entspricht nicht
– das wurde hier schon häufig erwähnt – den unter-
schiedlichen Arbeits- und Lebensbedingungen in unse-
rem Land. Frau Connemann hat darauf hingewiesen,
dass in Frankfurt (Oder) eine andere Situation als in
Frankfurt am Main, dass in München eine andere Situa-
tion als in Kiel herrscht. Sie übersehen bewusst, dass
eine solche Zwangsregelung zahlreiche Arbeitsplätze
gefährden würde. Aufgrund des Lohnniveaus würde die
Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns insbeson-
dere in den ostdeutschen Grenzregionen ganz klar dazu
führen, dass Arbeitsplätze gefährdet werden und verlo-
ren gehen.

Auch wir wollen, dass Menschen von ihren Löhnen
leben können. Nur eines ist klar: Unser Weg dorthin un-
terscheidet sich deutlich von Ihrem Weg. Das Beispiel
des Pflegebereichs zeigt, dass es einen erfolgreichen
Weg gibt, der bereits beschritten wurde – die christlich-
liberale Koalition wird genau diesen Weg gehen –: bran-
chenbezogene Lösungen. Es gibt mehrere Beispiele da-
für, dass diese Lösungen funktionieren: die Bereiche des
Bergbaus, der Wäschereidienstleistungen sowie der Ab-
fallwirtschaft inklusive Winterdienst und Straßenreini-
gung. In Zukunft wird es weitere Lösungen geben: bei
den Sicherheitsdienstleistern und den Aus- und Weiter-
bildungsdienstleistern nach SGB II.


(Andrea Nahles [SPD]: Da bin ich aber mal gespannt, ob Sie das mit den FDP-Kollegen hinbekommen!)


In der Begründung Ihres Antrags berufen Sie sich auf
verschiedene Studien. Man muss sich die Studien aber
ein bisschen genauer ansehen. Dann stellt man zwar fest,
dass 20 von 27 EU-Ländern Mindestlöhne haben. Aber
man muss auch erwähnen, dass diese zwischen knapp
80 Euro und 1 500 Euro im Monat variieren.


(Werner Dreibus [DIE LINKE]: Entsprechend dem jeweiligen Lohnniveau! – Andrea Nahles [SPD]: Das ist doch logisch!)


Allein daran kann man sehen, dass Ihre Begründung für
die Einführung des Mindestlohns – weil ihn andere hät-
ten, brauchten wir ihn auch – schlicht und einfach nicht
stimmig ist.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Der Hinweis, dass wir in Deutschland vollkommen
andere Verhältnisse als in anderen EU-Ländern haben,
ist völlig richtig. Schauen Sie sich Frankreich an – Kol-





Lucia Puttrich


(A) (C)



(D)(B)

lege Zimmer hat bei der letzten Debatte darauf hinge-
wiesen –: Hier werden die Mindestlöhne durch den Staat
subventioniert. In Frankreich gibt es bei den Jugendli-
chen eine extrem hohe Arbeitslosigkeit; das muss man
immer wieder sagen. Insofern können Sie dies nicht als
Beispiel nennen. Sie können auch nicht England als Bei-
spiel wählen. Großbritannien hat eine vollkommen an-
dere Grundsituation. Die arbeitsrechtlichen Bedingun-
gen sind dort anders. In Großbritannien gibt es zum
Beispiel wesentlich weniger Urlaub als in Deutschland
und nur einen minimalen Kündigungsschutz. Insofern
sind die Hinweise, dass andere Länder den Mindestlohn
haben und wir ihn deshalb auch brauchen, vollkommen
unzulänglich.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Frau Nahles, es ist richtig: Bei uns, der christlich-libe-
ralen Koalition, steht der Mensch im Mittelpunkt der
Politik. Zur Würde eines Menschen gehört, dass er Ar-
beit hat, dass er einen Platz in der Gesellschaft hat und
Anerkennung findet. Wir nehmen dies sehr ernst. Des-
halb gilt für uns – auch wenn Sie das nicht gerne hören –:
Sozial ist, was Arbeit schafft.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Unsozial ist, was Arbeitsplätze vernichtet. Ihr gesetzli-
cher Mindestlohn würde Arbeitsplätze vernichten.

Die Union ist die Partei der sozialen Marktwirtschaft
mit christlichem Leitbild.


(Ute Kumpf [SPD]: Beim christlichen Leitbild sehen wir ja gerade, was mit dem passiert!)


Wir stehen für die Kombination des freien Marktes mit
dem sozialen Ausgleich. Deshalb bilden Freiheit und
Verantwortung für uns ein unauflösbares Begriffspaar.
Zwar ist es die Aufgabe des Staates, den Rahmen für ei-
nen funktionierenden Markt bzw. Wettbewerb zu schaf-
fen. Aber wir wollen nicht den allmächtigen Staat. Wir
meinen nicht, dass der Staat alles regeln muss, dass er
das regeln sollte, was andere viel besser können, in die-
sem Fall die Sozialpartner.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Blickt man auf 60 Jahre Bundesrepublik zurück, dann
kann man nur sagen, dass die soziale Marktwirtschaft
ein ausgesprochen erfolgreiches Modell ist. Sie aber ent-
mündigen Gewerkschaften und Arbeitgeber. Sie verab-
schieden sich von der verfassungsrechtlich garantierten
Tarifautonomie. Deshalb kann ich nur sagen: Wenn Sie
Mindestlöhne in die Hände von Kommissionen geben
wollen und wenn Sie sogar tarifliche Vereinbarungen un-
wirksam machen und durch Mindestlöhne ersetzen wol-
len, dann trauen Sie offensichtlich den Tarifpartnern
nicht mehr zu, im Interesse der Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmer zu verhandeln. Meinen Sie ernsthaft, dass
verordnete Löhne mehr Arbeitsplätze schaffen als tarif-
lich ausgehandelte? Mit Ihren Forderungen suggerieren
Sie den Menschen, Probleme zu lösen. Wenn Sie aber
ernsthaft glauben, dass das funktioniert, dann sind Zwei-
fel an Ihrem wirtschaftspolitischen Sachverstand durch-
aus angebracht.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Lassen Sie mich zum Schluss kommen. Mit gesetzli-
chen Mindestlöhnen setzen Sie Arbeitsplätze aufs Spiel.
Sie grenzen Geringqualifizierte vom Arbeitsmarkt aus
und – das ist sehr ernst zu nehmen – erhöhen das Risiko
der Jugendarbeitslosigkeit. Sie verlassen mit Ihren For-
derungen den Boden des Erfolgsmodells der sozialen
Marktwirtschaft, das Grundlage für Freiheit und Wohl-
stand ist. Der Staat setzt fest, der Staat lenkt, und der
Staat denkt – dies scheint Ihr ordnungspolitischer Ansatz
zu sein. Unserer ist es nicht. Deshalb lehnen wir den An-
trag ab.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1703806800

Ich schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 17/1408 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 26 a und 26 b auf:

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulla
Lötzer, Dr. Barbara Höll, Eva Bulling-Schröter
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE

Opel – Zukunftsfähige Arbeitsplätze statt
Standortwettlauf

– Drucksache 17/1404 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)

Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz

a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Wirtschaft und Tech-
nologie (9. Ausschuss)


– zu dem Antrag der Abgeordneten Garrelt Duin,
Hubertus Heil (Peine), Doris Barnett, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der SPD

Für eine Politik der wirtschaftlichen Ver-
nunft – Nachhaltiges Wachstum und mehr
Beschäftigung schaffen

– zu dem Antrag der Abgeordneten Ulla Lötzer,
Dr. Barbara Höll, Matthias W. Birkwald, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE

Zukunftsprogramm für 2 Millionen Arbeits-
plätze

– Drucksachen 17/521, 17/470, 17/873 –

Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Joachim Pfeiffer

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.





Vizepräsidentin Petra Pau


(A) (C)



(D)(B)

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kolle-
gin Ulla Lötzer für die Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Ursula Lötzer (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1703806900

Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Der

Name Brüderle steht nicht erst seit heute für eine Wirt-
schaftspolitik des Nichtstuns für Arbeitsplätze, Wachs-
tum und Erneuerung. Alle – von IWF bis OECD – haben
erst diese Woche wieder Maßnahmen zur Stärkung des
Binnenmarktes gefordert. Sie tun nichts. In unserem An-
trag zum Zukunftsprogramm finden Sie Alternativen:
2 Millionen Arbeitsplätze durch öffentliche Investitio-
nen in Bildung und ökologische Erneuerung, mehr Be-
schäftigte im öffentlichen Dienst, in Krankenhäusern, in
der Pflege, in Schulen und Kindergärten sowie unsere
Vorschläge für eine aktive Industriepolitik.


(Beifall bei der LINKEN)


Trotz Kurzarbeit wurden in der Industrie im letzten
Jahr 242 000 Arbeitsplätze abgebaut. 200 000 Arbeits-
plätze sollen nach Aussagen der Industrieverbände in
diesem Jahr gestrichen werden. Herr Brüderle fabuliert
von einem sich selbsttragenden Aufschwung und vom
Ende der Krise. Ein Beispiel für Ihre verheerende Politik
ist Opel. Millionen hat die alte Regierung als Überbrü-
ckungskredit vergeben und dabei auf Mitspracherechte
verzichtet. Nachdem GM mithilfe der Steuergelder wie-
der obenauf ist, vergießen Sie jetzt Krokodilstränen, weil
das Unternehmen nicht macht, was die Regierung gern
möchte. Da Sie keine europäische Abstimmung herbei-
führen, lassen Sie sich von GM-Manager Reilly am Na-
senring durch die Arena ziehen. Im Wochenrhythmus
werden von GM Produktionszusagen für das Elektroauto
mal dem und mal jenem in Aussicht gestellt und dann
widerrufen.

Natürlich ist es richtig, von General Motors Antwor-
ten zur Finanzierung und zur Frage der Patente zu ver-
langen. Aber die entscheidenden Fragen stellen Sie bis
heute nicht: Wie sollen die Arbeitsplätze und die Stand-
orte erhalten werden? Wie soll angesichts der Überpro-
duktion von Automobilen die Zukunft der Arbeitsplätze
langfristig gesichert werden? Statt ein industriepoliti-
sches Konzept vorzulegen, fordern Sie von den Beschäf-
tigten den Verzicht auf tarifliche Leistungen in Höhe von
120 Millionen Euro allein in Deutschland. Das ist keine
Innovation, sondern eine Fortsetzung der Politik des Ta-
rif- und Lohndumpings in der Automobilindustrie.


(Beifall bei der LINKEN)


Das ist ein Skandal, aber kein Ausweg aus der Krise.
Wir sagen Ja zu öffentlichen Mitteln, aber nur gegen Be-
schäftigungssicherung und Standorterhalt, gegen Beteili-
gung und Mitsprachrechte der Belegschaften. Wir wol-
len einen Beirat, der zukunftsfähige Produkte und
Produktfelder für die Automobilindustrie entwickelt und
die öffentlichen Gelder bei Opel dafür einsetzt, diesen
Umbau voranzubringen.


(Beifall bei der LINKEN)

Ein weiteres Beispiel für Ihr Nichtstun: Im Stahl-
bereich sollen die Preise um über 100 Prozent steigen.
Der Grund: Rohstoffspekulation und ein Machtkartell.
13 000 Stahlarbeiter haben gestern in Duisburg und
Brüssel dagegen demonstriert. Wie ist Ihre Antwort? Sie
überlassen die Zukunft den Zockern im Kasino. Die
Rohstoffspekulation kann und muss endlich verboten
werden. Auch in der Stahlindustrie muss mit aktiver
Industriepolitik der Einsatz von Rohstoffen und Stahl-
recycling gefördert werden. Dazu braucht es keine Ge-
spräche mit Stahlunternehmen, die Herr Brüderle heute
Morgen als Lösung angeboten hat. Vielmehr muss die
Regierung endlich handeln und darf nicht nur schwät-
zen.


(Beifall bei der LINKEN)


Ihre Wirtschaftspolitik des Nachtwächterstaates, des
Marktradikalismus und der Lobbypflege bei Hoteliers
und Großindustriellen haben die Menschen bei Opel, bei
Thyssen, in der Zuliefererindustrie und anderswo nicht
verdient. Für NRW gibt es am 9. Mai eine Chance auf
Veränderung. Ich glaube, die Menschen werden sie mas-
senhaft ergreifen.

Ich danke für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der LINKEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1703807000

Das Wort hat der Kollege Ernst Hinsken für die

Unionsfraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Ernst Hinsken (CSU):
Rede ID: ID1703807100

Werte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kol-

legen! Dieser Tagesordnungspunkt ist praktisch eine
Fortsetzung der Regierungserklärung von heute Morgen.
Wir können die Möglichkeit nutzen, uns auszutauschen
und der Öffentlichkeit darzulegen, wie wir die anstehen-
den Probleme zum gegenwärtigen Zeitpunkt und in Zu-
kunft bewältigen können. Eines will ich Ihnen vorweg
sagen, Frau Lötzer: Es steht unbestritten fest, dass kaum
ein anderes Land die Wirtschafts- und Finanzkrise bes-
ser gemeistert hat als die Bundesrepublik Deutschland.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Ja, es stimmt: Die Sozialdemokraten haben einen ent-
scheidenden Anteil daran, weil im vergangenen Jahr
diesbezüglich einige Beschlüsse gefasst worden sind.


(Garrelt Duin [SPD]: Ich glaube, Sie sind heute der Erste, der das sagt!)


Schließlich wurden einige Weichenstellungen schon von
der Großen Koalition vorgenommen.

Der Aufschwung ist zu spüren. Er kommt an. Deutsch-
land ist auf einem guten Weg. Die Angst, dass es wirt-
schaftlich weiter nach unten geht, ist vorbei. Von den be-
fürchteten 3,7 Millionen Arbeitslosen im Jahresschnitt
sind wir weit entfernt.


(Zuruf von der LINKEN: Aber nicht mehr lange!)






Ernst Hinsken


(A) (C)



(D)(B)

Wenn die jetzigen Prognosen stimmen, sind es circa
10 Prozent weniger als im Januar vorhergesagt. Die
Bundesregierung erwartet in ihrer Frühjahrsprojektion
einen Anstieg des realen Bruttoinlandsprodukts von
1,4 Prozent in diesem Jahr. Für das Jahr 2011 geht die
Bundesregierung von einer weiteren leichten Beschleu-
nigung des Wachstums in Höhe von 1,6 Prozent aus. Be-
gleitet wird die Erholung der deutschen Wirtschaft von
einer stabilen Entwicklung des Arbeitsmarktes in beiden
Jahren. Darüber sollten wir uns alle freuen; denn das
sind gute Einkommensperspektiven für die Arbeitneh-
merinnen und Arbeitnehmer. Zudem ist es erfreulich – es
liegt mir besonders am Herzen, das in den Mittelpunkt
meiner Ausführungen zu stellen –, dass wir damit unse-
ren jungen Menschen gute Perspektiven für die Zukunft
geben. Es sollte uns mit Genugtuung erfüllen, dass die
Jugendarbeitslosigkeit in Deutschland um 11 Prozent ge-
sunken ist, während sie in der EU im Durchschnitt um
28 Prozent, in Spanien sogar um 86 Prozent gestiegen
ist. Haben Sie sich schon einmal auf der Zunge zergehen
lassen, wie blendend wir, speziell was Jugendarbeits-
losigkeit anbelangt, in der Bundesrepublik Deutschland
im Vergleich mit anderen Staaten dastehen?

Dieser Rückgang der Jugendarbeitslosigkeit ist vor
allem auf das Engagement der Wirtschaft zurückzufüh-
ren, die allein im letzten Jahr wieder über 30 Mil-
liarden Euro für die Ausbildung bereitgestellt hat. Ein
herzliches Wort des Dankes dafür! Diese Leistung der
Wirtschaft für den Staat sollte auch einmal anerkannt
werden.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Das duale System, um das wir weltweit beneidet werden,
hat sich unter schwierigen Bedingungen bewährt. Die
deutschen Betriebe haben die Zeichen der Zeit erkannt.
Sie setzen auf die Jugend und wirken dem prognostizier-
ten Fachkräftemangel durch Ausbildung entgegen.

Die gute allgemeine Entwicklung ist vor allem das
Verdienst der Tarifpartner, also der Unternehmen und
der Arbeitnehmer. Beiden gebührt an dieser Stelle eben-
falls ein Dankeschön für ihr maßvolles Handeln; denn
wir können seitens der Politik bzw. des Staates schließ-
lich nur den Rahmen schaffen. Ausfüllen müssen ihn die
Betriebe. Aber die Rahmenbedingungen müssen stim-
men. Hierfür wurde einiges getan. Darauf sind wir zu
Recht stolz. Schließlich verbessern sich die wirtschaftli-
che Lage und die Lage am Arbeitsmarkt Tag für Tag.
Wie heißt es so schön in einem Sprichwort? Wer rastet,
der rostet. Deshalb muss weiter Gas gegeben werden.
Seitens des Staates müssen wir die verschiedenen Fes-
seln lockern, insbesondere die der Bürokratie. Das kann
dazu beitragen, dass vor allem der Mittelstand als Kon-
junktur- und Beschäftigungslokomotive unser Land wei-
ter aus der Krise zieht. Dies ist das Credo der schwarz-
gelben Koalition.

In jüngster Zeit zeigt sich mehr und mehr: Sie von der
SPD und der Linken setzen auf den Staat und auf unfi-
nanzierbare und unrealistische Konjunkturprogramme.
Wofür stehen Sie auf der linken Seite dieses Hauses
denn? Erstens. Mit Ihren Vorschlägen wollen Sie eine
Wiederbelebung des Sozialismus im 21. Jahrhundert er-
reichen.


(Lachen bei der LINKEN – Garrelt Duin [SPD]: Das langweilt sogar mich!)


Zweitens. Sie legen einen Fahrplan vor, der in Richtung
Staatswirtschaft führt. Drittens. Die Chancen am Ar-
beitsmarkt stellen Sie hintan; Sie wollen sie zerstören.
Viertens. Steuern und Abgaben sollen drastisch erhöht
werden. Fünftens. Transferleistungen sollen aufgebläht
werden.


(Zuruf der Abg. Ulla Lötzer [DIE LINKE])


– Warum schreiben Sie es denn rein, wenn Sie sich da-
von distanzieren wollen, Frau Lötzer? Sie müssen schon
dazu stehen. Sie müssen den Leuten schon erklären, wie
Sie die Wirtschaftspolitik ausgerichtet haben wollen, um
die Probleme zu bewältigen.


(Ulla Lötzer [DIE LINKE]: Wir haben einen Antrag vorgelegt!)


Das ist nicht die Konzeption für die Zukunft. Gerade
jetzt und in Zukunft braucht Deutschland keine rot-roten
Experimente. Das ist unsere Botschaft.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Was wir jetzt brauchen, ist weiteres Wachstum, um
endgültig aus der Krise zu kommen. Dabei setzen wir
von der CDU/CSU insbesondere auf Mittelstand und
Handwerk. Unsere Strategie hierzu heißt: Wir wollen
weiter auf unsere Stärken setzen. Die Union hat in den
letzten Jahren in der Bundesregierung mit dafür gesorgt,
dass wir wirtschaftspolitisch unsere Hausaufgaben erle-
digt und die richtigen Weichenstellungen vorgenommen
haben. Das Ergebnis: Die deutschen Unternehmen, ins-
besondere im Mittelstand, zählen auch deshalb zu den
wettbewerbsfähigsten der ganzen Welt. Davon profitie-
ren unsere Industriestandorte, unsere Arbeitsplätze und
die Exportwirtschaft als eine der zentralen Stützen unse-
res Wirtschaftswachstums. Im europäischen Vergleich
werden wir darum beneidet. Der Vorwurf, der vor allem
aus Frankreich kommt, unser Exportüberschuss bringe
andere Länder in Schwierigkeiten, ist meiner Meinung
nach haltlos. Diese Kritik ist doch völlig falsch; denn wir
sorgen für den stabilen Außenwert des Euro und das Ver-
trauen der Kapitalmärkte in die gemeinsame Währung
und somit für niedrige Zinsen. Deshalb muss es umge-
kehrt sein: Alle anderen EU-Länder sind aufgefordert,
auf uns zu schauen und es so zu machen, wie wir es in
Deutschland praktizieren. Dann fahren sie gut; dann sind
sie auf dem richtigen Weg.


(Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf von der LINKEN: Wie in Bayern!)


– Dass Bayern noch besser ist als die Bundesrepublik
Deutschland insgesamt, möchte ich nicht bestreiten.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Von uns werden die jetzt so hoch verschuldeten Mit-
glieder der Euro-Zone profitieren.





Ernst Hinsken


(A) (C)



(D)(B)

Gerade wir von der CDU/CSU haben darauf ge-
drängt, dass in der Krise insbesondere die Binnennach-
frage gestärkt wurde. Das ist der richtige Ansatz. Der
Beweis: Deutschland hat mit zwei Konjunkturpaketen
der schwarz-roten Koalition und dem Wachstumsbe-
schleunigungsgesetz der christlich-liberalen Bundesre-
gierung deutliche Impulse für die Binnennachfrage ge-
setzt. Das ist mehr, als die anderen EU-Mitgliedstaaten
getan haben. Insbesondere die Konjunkturpakete kamen
zum Beispiel beim Handwerk an. Sie waren zur Stär-
kung der Binnenkonjunktur maßgeschneidert. Dadurch
konnte das Handwerk seine Stärken voll ausspielen.

Zudem wurden die Bürger seit dem 1. Januar 2010
um 22 Milliarden Euro entlastet. Außerdem haben wir
das Kindergeld und den Kinderfreibetrag – er liegt jetzt
bei 7 008 Euro je Kind – erhöht. Unsere Maxime lautet:
Wir wollen den Schwächeren und Bedürftigen helfen.
Deshalb ist es richtig, dass wir kinderreiche Familien un-
terstützen. So zahlt in der Bundesrepublik Deutschland
seit 1. Januar dieses Jahres ein Vierpersonenhaushalt erst
ab einem Einkommen von rund 30 000 Euro Steuern.
Wir haben gehalten, was wir vor den Wahlen verspro-
chen haben. Das kann sich sehen lassen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Ich sage das deshalb, weil ein altes Sprichwort sagt: Tue
Gutes und rede darüber – noch dazu, wenn du einlösen
kannst, was du versprochen hast. Man kann es spüren:
Gerade in diesem Jahr profitieren Konsum und Investi-
tionen von den wirtschafts- und finanzpolitischen Stüt-
zungsmaßnahmen. 2010 steigen durch die bereits beschlos-
sene Entlastung die Nettoeinkommen je Arbeitnehmer
um voraussichtlich 2,5 Prozent.

Wir haben zudem etliches für die Unternehmen getan.
Es war uns ein Herzensanliegen, den Fehler bei den
geringwertigen Wirtschaftsgütern, den wir gemeinsam
gemacht haben, zu bereinigen. Auch sollte nicht ver-
schwiegen werden, dass Bürokratieabbau das beste Kon-
junkturprogramm ist. Seit dieser im Kanzleramt bei
Bundeskanzlerin Angela Merkel angesiedelt ist, sind die
Erfolge unübersehbar. Bis Ende 2009 wurde die deut-
sche Wirtschaft um rund 7 Milliarden Euro pro Jahr ent-
lastet. Das ist ein fast um die Hälfte höheres Volumen als
die 5 Milliarden Euro, die die Unternehmensteuerreform
2008 generiert hat, und das ohne zusätzliche staatliche
Ausgaben oder Einsparungen bei staatlichen Leistungen.

Wenn wir von Wettbewerbsfähigkeit sprechen, dann
dürfen wir nicht vergessen, dass auch Kommunikation
ein Wettbewerbsfaktor ist. Wenn wir uns vor Augen füh-
ren, wie teuer das Telefonieren noch vor 20 Jahren war
und wie teuer es jetzt ist, stellen wir fest, dass allein das
Telefonieren im Festnetz um 95 Prozent günstiger ge-
worden ist. Das kann sich durchaus sehen und hören las-
sen.

Wir, die Union und die FDP, ruhen uns nicht aus, son-
dern gehen entschlossen ans Werk. Bis zum 1. Juli dieses
Jahres wollen wir weitere Entlastungsmaßnahmen be-
schließen, um die durch den Bund verursachten Kosten
bei den Informationspflichten der Wirtschaft bis Ende
2011 um netto 25 Prozent im Vergleich zu 2006 zu sen-
ken. Diese Maßnahmen werden die Unternehmen nicht
nur finanziell entlasten, sondern schaffen auch ein Mehr
an Freiheit für die Bürgerinnen und Bürger. Das ist für
uns soziale Marktwirtschaft.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Gleichzeitig werden dadurch Wachstumspotenziale ge-
neriert.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich wollte noch
etwas zur Bildung sagen. Das muss ich weglassen, weil
schon das rote Licht leuchtet. Aber es sei mir noch ge-
stattet und erlaubt, auf Opel einzugehen.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1703807200

Wenn Sie das in einem Satz schaffen, ja, Kollege

Hinsken.


Ernst Hinsken (CSU):
Rede ID: ID1703807300

Ja. – Hier können verschiedene Möglichkeiten ins

Auge gefasst werden. Die Bundesregierung schiebt die-
ses Problem nicht beiseite. Man wird sich mit den zu-
ständigen Institutionen, Persönlichkeiten und allen, die
dazugehören, unterhalten. Aber eines steht fest: Wir
wollen es nicht so machen, wie es einmal bei der Firma
Holzmann gemacht worden ist. Dort hat man hinauspo-
saunt, man könne alles retten. Zu guter Letzt ist das
Ganze in die Hose gegangen. Das darf bei Opel nicht
passieren. Dafür wird die Bundesregierung sorgen. Ich
bin zuversichtlich: Auch dieses Problem werden wir be-
wältigen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Nur noch einen Satz, verehrte Frau Präsidentin. Ich
bedanke mich für das Zuhören und wünsche allen, dass
es wirtschaftlich so weitergeht, wie wir das in der Bun-
desrepublik Deutschland dringend brauchen.

Danke schön.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1703807400

Das Wort hat der Kollege Garrelt Duin für die SPD-

Fraktion.


Garrelt Duin (SPD):
Rede ID: ID1703807500

Vielen Dank, Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen

und Kollegen! Kollege Hinsken, ich will Ihnen zunächst
einmal im Nachgang zu den Ereignissen des frühen Mor-
gens ganz herzlich dazu gratulieren, dass Sie nun der
Vorsitzende des Unterausschusses „Regionale Wirt-
schaftspolitik“ sind, und wünsche Ihnen für dieses Amt
alles Gute und ein gutes Händchen, damit in diesem so
wichtigen wirtschaftspolitischen Bereich durch den
Deutschen Bundestag wirklich etwas vorangebracht
werden kann.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Ich hoffe, dass Sie mich dabei unterstützen!)






Garrelt Duin


(A) (C)



(D)(B)

– Sehr gerne. – Gleichwohl hatte ich bei Ihrer Rede ge-
rade eben den Eindruck – verzeihen Sie mir den Ver-
gleich –, dass Ihre berufliche Herkunft als gelernter Bä-
cker- und Konditormeister ein bisschen mit Ihnen
durchgegangen ist. Sie haben hier ein Bild nach dem
Motto „Friede, Freude, Eierkuchen“ gemalt und das
Ganze schön verziert, wie es ein Konditor eben macht.


(Ute Kumpf [SPD]: Zuckerguss!)


Es hat aber mit der Realität nichts zu tun.

Sie sprechen davon, dass die Angst vorbei sei, dass
jetzt alle Probleme gelöst seien und wir optimistisch in
die Zukunft blicken könnten. Niemand in diesem Hause
hätte etwas dagegen einzuwenden, wenn es denn so
wäre. Aber die wirtschaftliche Realität in Deutschland,
in Europa und in der Welt ist leider Gottes eine andere.
Deswegen wäre es dringend notwendig, hier nicht nur
ein Weiter-so zu verkünden, sondern zu überlegen, wel-
che Maßnahmen erforderlich sind, um das Ziel, das Sie
hier beschrieben haben, zu erreichen.


(Beifall bei der SPD – Franz Obermeier [CDU/CSU]: Alter Pessimist!)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1703807600

Kollege Duin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des

Kollegen Hinsken?


Garrelt Duin (SPD):
Rede ID: ID1703807700

Bitte.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1703807800

Herr Hinsken.


Ernst Hinsken (CSU):
Rede ID: ID1703807900

Herr Kollege Duin, eine ganz kurze Zwischenfrage.

Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass die Pro-
dukte in meinem Betrieb genauso gut sind, wie es die
Politik von CDU/CSU ist, nämlich bestens?


(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Ute Kumpf [SPD]: Viel heiße Luft!)



Garrelt Duin (SPD):
Rede ID: ID1703808000

Ich kann darauf nur antworten, dass sich das meiner

Kenntnis entzieht. Ich hoffe, dass Ihre Produkte besser
als die Politik sind, die Sie hier zum Besten geben.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Ich will in aller Kürze auf unseren Antrag Bezug neh-
men und deutlich machen, was aus unserer Sicht in die-
ser Situation notwendig ist, in der die Krise eben noch
nicht überwunden ist. Zunächst ist es wichtig – das hat in
der Debatte bisher keine Rolle und auch heute Morgen
im Grunde nur am Rande eine Rolle gespielt –, dass wir
uns den Ursachen, also den unregulierten Finanzmärk-
ten, noch einmal zuwenden. Das, was in Pittsburgh auf
dem G-20-Gipfel und auch an anderer Stelle ins Auge
gefasst worden ist, braucht dringend wieder einen Schub
und muss realisiert werden. Ein solches Thema wie die
internationale Finanztransaktionsteuer darf nicht still
und leise von der Tagesordnung genommen werden.
Deswegen ist es richtig, dass dieses Thema wieder auf
die Tagesordnung gesetzt wird. Notfalls – das haben wir
deutlich gemacht – werden wir uns mit dem neuen In-
strument einer europäischen Bürgerinitiative beschäfti-
gen, um dieses Thema endlich zu einem guten Abschluss
zu bringen. Wir haben nicht den Eindruck, dass die Bun-
desregierung hier das Notwendige tut.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ein weiterer Punkt – Herr Hinsken hat selbst gesagt,
dass er dazu nicht mehr gekommen ist – sind Investitio-
nen in Bildung, Forschung und Entwicklung. Wir haben
in verschiedenen Debatten, auch im Ausschuss, immer
wieder festgestellt, dass es eigentlich eine relativ große
Übereinstimmung dahin gehend gibt, dass wir neben der
Projektförderung bei der Forschung und Entwicklung
auch das Instrument der sogenannten Tax Credits, also
der steuerlichen Forschungsförderung, brauchen. Ich
fordere die Bundesregierung nachhaltig auf, dies wirk-
lich in Angriff zu nehmen und für dieses Modell nicht
nur Sympathie zu äußern.

Wenn das, was ich gehört habe, richtig ist, ist es so,
dass in der CDU ein sehr konkretes Modell erarbeitet
worden ist. Das scheitert aber an Ihnen von der FDP.


(Ulrike Flach [FDP]: Nein!)


Uns liegen Vorschläge vom BDI und auch von anderen
Verbänden vor, über die wir diskutieren können. Han-
deln wir doch jetzt endlich!


(Ulrike Flach [FDP]: Sie waren doch immer dagegen!)


Wir brauchen im Jahr 2010 dieses Signal für die steuerli-
che Forschungsförderung in Deutschland und können
nicht länger warten.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Darüber hinaus brauchen wir angesichts der finanziel-
len Lage in den Kommunen – die dramatisch ist und die
durch Sie, Schwarz-Gelb, maßgeblich negativ beein-
flusst worden ist – einen Rettungsschirm für die Kom-
munen. Die Große Koalition hat die Kommunen mit den
beiden Konjunkturpaketen zu Recht in die Lage versetzt,
Investitionen tätigen zu können. Diese Investitionen in
die Sanierung der Gebäude von Schulen, Kindergärten
usw. sind längst überfällig. Jetzt fällt das alles flach, weil
den Kommunen in den nächsten Jahren die Luft ausge-
hen wird. Das ist ein politischer Skandal.


(Zuruf von der CDU/CSU: Bleiben Sie sachlich!)


Wir müssen das wieder umkehren. Lassen Sie uns einen
Rettungsschirm für die Kommunen auf den Weg brin-
gen, meine Damen und Herren!


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)






Garrelt Duin


(A) (C)



(D)(B)

Ein weiterer Punkt, der wichtig ist, in der Politik der
Bundesregierung aber vollkommen fehlt, ist die Defini-
tion von Märkten der Zukunft, von Leitmärkten. Was tun
Sie denn für die Kreativwirtschaft in unserem Land?
Was tun Sie für die Gesundheitswirtschaft in Deutsch-
land? Die Gesundheitswirtschaft hat ein riesiges Poten-
zial. Was tun Sie – außer dass Sie, mal im Kanzleramt,
mal im Ministerium, Spitzentreffen organisieren – beim
Thema E-Mobility? Dieses Thema brennt den Leuten
unter den Nägeln. Die Industrie wartet darauf, dass von
der Bundesregierung verlässliche Signale kommen. Wir
brauchen ein klares Signal für den Leitmarkt, den Zu-
kunftsmarkt Greentech/erneuerbare Energien. Eine Ver-
längerung der Laufzeiten von Atomkraftwerken, wie Sie
sie vorhaben, das ist die Rückkehr ins Atomzeitalter und
das Gegenteil von dem, was wir brauchen.

Ich hoffe, dass wir den Weg in die Zukunft gemein-
sam gehen können. Ich hoffe, dass auch die Grünen in
Nordrhein-Westfalen an diesem Weg unumkehrbar fest-
halten und nicht wie die Grünen in Hamburg am Ende
Kompromisse mit falschen Partnern eingehen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Vorsichtig, ganz vorsichtig! – Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben es gerade nötig! Gehen Sie doch einmal nach Datteln!)


– Mach keinen Zwischenruf, liebe Kollegin Andreae,
sonst rede ich noch länger, und das soll ich doch nicht.


(Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich würde gerne, aber ich lasse es!)


Ich will einen letzten wichtigen Punkt aufgreifen: Wir
müssen schon jetzt, im Frühjahr des Jahres 2010 – das
Ministerium muss das tun, lieber Herr Burgbacher; aber
auch das Parlament muss das tun –, darüber nachdenken,
welche Anschlussregelungen wir für die Zeit nach 2010,
nach dem Ablauf des sogenannten Temporary Frame-
work, nach dem Ablauf der Konjunkturprogramme, die
wir auf den Weg gebracht haben, finden. Allein auf eine
Exit-Strategie zu setzen, ist ein großer Fehler. Die Insti-
tute bescheinigen Ihnen nicht nur, dass Ihre Steuersen-
kungspläne Unsinn sind, sie sagen auch voraus, dass
viele Betriebe – gerade mittelständische Betriebe –, die
von der Kreditklemme noch nicht betroffen sind, 2011
große Probleme bekommen werden.

Deswegen ist es wichtig, dass wir jetzt die Weichen
dafür stellen, dass sich die Situation 2011 nicht ver-
schärft. Ich wäre sehr dafür, dass wir – wie es schon vor-
geschlagen wurde – gemeinsam mit unseren europäi-
schen Partnern darüber nachdenken, ob es nicht möglich
ist, dass wir im Rahmen einer wirklich koordinierten
europäischen Wirtschaftspolitik noch einmal – in der
Größenordnung von 1 Prozent des Bruttoinlandsproduk-
tes – eine gemeinsame Kraftanstrengung unternehmen,
damit die Menschen in Deutschland wirklich Hoffnung
haben können, dass wir so gut, wie wir durch die Be-
schlüsse, die die Große Koalition getroffen hat, durch
die erste Hälfte der Krise gekommen sind, auch gut
durch die zweite Hälfte der Krise kommen.
Ich bitte um Zustimmung zu unserem Antrag; denn in
diesem Antrag geht es im Gegensatz zu dem, was die
Bundesregierung aufgezeigt hat, um eine Gesamtkon-
zeption. Wir denken nicht nur in Einzel- und Klientel-
interessen.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1703808100

Das Wort hat der Kollege Paul Friedhoff für die FDP-

Fraktion.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Paul K. Friedhoff (FDP):
Rede ID: ID1703808200

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Über-
schriften der beiden Anträge, über die wir diskutieren
und in denen es um allgemeine Wirtschaftspolitik geht,
klingen gut: Eine „Politik der wirtschaftlichen Vernunft“
ist immer richtig, und auch gegen ein „Zukunftspro-
gramm für 2 Millionen Arbeitsplätze“ kann man eigent-
lich nichts einwenden.

Wenn man zu dem Inhalt der beiden Anträge kommt,
muss man feststellen, dass die Überschriften falsch oder
zumindest nicht ganz richtig gewählt sind; zumindest
hält der Inhalt nicht, was die Überschriften versprechen.

Die Forderung der SPD nach einer Stärkung der pri-
vaten Binnennachfrage leuchtet noch ein, wenngleich
wir hinsichtlich des Weges, wie man das erreichen kann
und muss, ganz anderer Ansicht sind.

Die Forderung der Linken nach einem massiven Aus-
bau des öffentlichen Sektors ist dagegen schon in sich
falsch. Abgesehen von den aberwitzigen Summen, die
dafür gefordert werden, liegt hierin eine klare Tendenz
zu einer Staatswirtschaft mit einer damit verbundenen
steigenden Bürokratie. Welche Konsequenzen dieser
Hang gerade in Bezug auf den ebenfalls geforderten
dringenden Infrastrukturausbau hat, wird am Beispiel
Berlin sehr deutlich. Vor allem durch die anhaltend ho-
hen Personalkosten in Rekordhöhe von mehr als
30 Prozent der Gesamtausgaben werden notwendige In-
vestitionen gebremst und kommt es seit Jahren zu einem
stetigen Verfall der Verkehrsinfrastruktur.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Der vermeintliche Ausweg aus diesem Debakel soll
nun, wie schon so oft, durch neue Steuern oder Steuerer-
höhungen geebnet werden. Gerade durch die Entwick-
lung in Griechenland, wo der öffentliche Sektor in einer
ähnlichen Größenordnung aufgebläht worden ist, wird
aktuell gezeigt, welcher Irrweg hier vorgeschlagen wird.


(Ulla Lötzer [DIE LINKE]: Schweden, Dänemark, Finnland!)






Paul K. Friedhoff


(A) (C)



(B)

Solche Forderungen haben mit wirtschaftlicher Vernunft
nichts zu tun und sind erst recht kein Zukunftspro-
gramm.

Es ist nicht der Staat, der neue Arbeitsplätze schafft,
es sind die Unternehmen.


(Ulla Lötzer [DIE LINKE]: Sie lassen die öffentliche Daseinsvorsorge ausbluten!)


Ich darf das auch an dieser Stelle noch einmal betonen:
Es sind vor allem die arbeitsplatzintensiven kleinen und
mittleren Unternehmen, die Stellen schaffen. Statt die
Schaffung von subventionierter öffentlicher Konkurrenz
zur Privatwirtschaft zu unterstützen, muss alles getan
werden, um die Rahmenbedingungen für diese Unter-
nehmen zu verbessern.


(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Franz Obermeier [CDU/CSU])


Durch teure öffentliche Beschäftigungsprogramme,
wie sie die Linke fordert, wird kein Beitrag zur nachhal-
tigen Integration von Geringqualifizierten und Langzeit-
arbeitslosen in den ersten Arbeitsmarkt geleistet. Ganz
im Gegenteil: Die Arbeitslosigkeit wird verfestigt, und
es werden Fehlanreize gesetzt, mit denen letztlich un-
kontrollierbare Verdrängungsprozesse und Verwerfun-
gen bei regulärer Beschäftigung hervorgerufen werden.
Wirklich sinnvoll ist nur die Verbesserung der Chancen
auf Beschäftigung im regulären Arbeitsmarkt. Hierauf
müssen sich unsere Anstrengungen richten.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Deshalb setzen wir als FDP sowohl auf eine Reform
des Vermittlungs-, Qualifizierungs- und Betreuungsan-
gebotes als auch auf die Neugestaltung der Zuverdienst-
möglichkeiten, eine deutliche Reduzierung – auch wenn
Sie es nicht hören wollen – der Steuer- und Abgabenlast
und die Senkung der Bürokratiekosten.

In letzter Zeit habe ich wiederholt den scheinbar ernst
gemeinten Ratschlag hören können, die deutsche Wirt-
schaft solle ihre Exportaktivitäten zügeln, damit die
Konkurrenten, vor allem im EU-Raum, nicht zu schlecht
dastünden. Im Kern zu fordern, der Gute solle sich doch
bitte schlechter aufstellen, damit es dem nicht so Guten
dann besser ginge: Damit stellt man unser Wirtschafts-
system auf den Kopf. Unsere asiatischen Wettbewerber
würden sich jedenfalls bestimmt darüber freuen, wenn
wir der Bitte der Franzosen folgen und uns beim Export
selbst einschränken würden.


(Ulla Lötzer [DIE LINKE]: Wer fordert das?)


– Sie waren in der letzten Sitzung des Wirtschaftsaus-
schusses dabei, und Sie haben die Diskussion ja auch
verfolgt.


(Ulla Lötzer [DIE LINKE]: Und unsere Alternative zur Stärkung des Binnenmarktes!)


– Stärken Sie den Binnenmarkt auf andere Art und
Weise, aber nicht dadurch, dass Sie unsere Exportindus-
trie sozusagen „herunterfahren“. – Deswegen sollten wir
diese Forderung nicht unterstützen.
Eine weitere beharrliche Behauptung der Linken
muss an dieser Stelle auch einmal besprochen werden.
Immer wieder wird behauptet, die deutsche Exportstärke
basiere auf Lohndumping. Dies ist schlicht Unsinn; denn
die exportierende Wirtschaft ist weit davon entfernt, ein
Niedriglohnsektor zu sein. Die exportstarken Unterneh-
men in Deutschland sind vielmehr mit ihren Produkten
technologisch so gut aufgestellt, dass sie für ihre hoch-
qualifizierten Arbeitskräfte auch hohe Löhne bezahlen
können und auch bezahlen.

Würden wir die Arbeitskosten in Deutschland durch
eine Reduktion der Lohnnebenkosten senken, die heute
wie eine Sondersteuer auf Arbeit wirken, dann könnten
wir tatsächlich ein Beschäftigungsprogramm erleben,
durch welches wir ein Stück weiter auf dem Weg zur
Vollbeschäftigung kommen könnten.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Natürlich spielt dabei ein starker Export eine wichtige
Rolle.

Wir benötigen ein größeres Stück vom Kuchen des
weltweiten Arbeitsmarktes. Dafür bedarf es einer weite-
ren Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit. Nur so wer-
den wir in Deutschland mehr Aufträge erhalten. Dauer-
arbeitsplätze entstehen durch Aufträge und nicht durch
noch so gut gemeinte staatliche Programme oder Sub-
ventionen.

Lassen Sie mich zum Schluss zum Thema Opel kom-
men. Die Fraktion der Linken beschimpft in ihrem An-
trag die Bundesregierung und hält ihr vor, sie betreibe
auf dem Rücken der Beschäftigten eine Verzögerungs-
taktik.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Ich kann hier nicht für die Vorgängerregierung sprechen,
aber die christlich-liberale Koalition jedenfalls verzögert
nichts.


(Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Nichtstun ist auch eine Verzögerung!)


Im Gegenteil: Sie stellt konstruktive Fragen an General
Motors, damit die Prüfung des Antrags auf eine Kredit-
bürgschaft vorangehen kann. Wenn nun General Motors
sich seit Monaten weigert, diese Fragen zu beantworten,


(Garrelt Duin [SPD]: Das Gegenteil ist richtig! Sie haben den Brief von Opel auch bekommen!)


kann die Verantwortung auf keinen Fall bei der Bundes-
regierung oder beim Bundeswirtschaftsminister gesucht
werden. Es kann, glaube ich, sehr wohl ein gewisses
Maß an Kooperationsbereitschaft von demjenigen ver-
langt werden, der auf Risiko der deutschen Steuerzahler
unterstützt werden will.

Ein gutes Indiz dafür, dass die Bundesregierung in ih-
rem Vorgehen richtigliegt und keine Politik auf Kosten
der Opel-Beschäftigten macht, ist die Zurückhaltung der
europäischen Opel-Betriebsräte. Auch diese sind gegen
eine vorschnelle Entscheidung und verlangen konkrete

(D)






Paul K. Friedhoff


(A) (C)



(D)(B)

Informationen von General Motors zur Unternehmens-
zukunft.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1703808300

Herr Kollege Friedhoff, achten Sie bitte auf die Zeit.


Paul K. Friedhoff (FDP):
Rede ID: ID1703808400

Auch die Betriebsräte haben ihre Stellungnahmen

noch nicht abgegeben. Auch ihnen fehlen offensichtlich
Informationen. Die Bundesregierung kann dies vor der
Gewährung von Bürgschaften in Milliardenhöhe unserer
Meinung nach völlig zu Recht verlangen.


(Ulla Lötzer [DIE LINKE]: Die Beschäftigten können auch ein Konzept von der Regierung verlangen!)


Ich glaube, dass es keinen Sinn macht, wenn wir Geld
ausgeben, ohne dass Konzepte bekannt oder vorhanden
sind, gerade auch vor dem Hintergrund, dass General
Motors in den Vereinigten Staaten viel Geld an den Staat
zurückgezahlt hat und gleichzeitig uns um Bürgschaften
nachsucht.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1703808500

Kollege Friedhoff, Ihre Redezeit ist tatsächlich jetzt

erschöpft.


Paul K. Friedhoff (FDP):
Rede ID: ID1703808600

Man muss deshalb sehen, dass eben kein wettbe-

werbsfähiges Konzept vorliegt. Deswegen müssen wir
hier vorsichtig vorgehen.

Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1703808700

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun die

Kollegin Kerstin Andreae das Wort.


Kerstin Andreae (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1703808800

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! „Politik der wirtschaftlichen Vernunft“ klingt in
der Tat gut, und sie ist notwendig und richtig. Die Frage
ist aber: Was ist vernünftig?

Vernünftig ist, das zarte Pflänzchen Aufschwung zu
schützen. Es ist wirklich ein zartes Pflänzchen, Herr
Hinsken. Ihre Rede hat aus diesem Pflänzchen schon ei-
nen großen Baum gemacht. So weit sind wir aber noch
lange nicht.

Es geht also darum, das zarte Pflänzchen Aufschwung
zu schützen. Vernünftig ist aber auch, keine leeren Ver-
sprechen zu machen. Leere Versprechen sind die Steuer-
senkungspläne vor allem der FDP. Das ist keine vernünf-
tige Politik.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Leere Versprechen sind im Übrigen auch die Verspre-
chen im Antrag der Linken. Ich komme später darauf zu-
rück, dass Sie trotz des gigantischen Investitionsauf-
wands nicht in der Lage sein werden, die wirtschaftlichen
Probleme im Grundsatz zu lösen. Das sind leere Verspre-
chen, die wir in der Wirtschaftspolitik immer wieder von
der Linken hören. Wir sind erstaunt, wie Sie aus Luftbla-
sen Luftschlösser aufbauen und Versprechen machen, die
Sie im Kern nicht halten können.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Widerspruch bei der LINKEN)


Die heutige Debatte über Wachstum und Beschäfti-
gung ist wichtig. Herr Friedhoff, Sie haben zu Recht
festgestellt, dass Arbeitsplätze von den Unternehmen ge-
schaffen werden.


(Paul K. Friedhoff [FDP]: Aufträge!)


Das ist absolut richtig. Darin stimmen wir Grünen mit
Ihnen überein. Aber dann müssen Sie auch in die Unter-
nehmen hineinhorchen.

Die Unternehmen heute reden von Effizienz, Einspa-
rungen und neuen Technologien. Sie reden davon, dass
ihnen die steigenden Energiepreise die Luft abschnüren,
und sie fragen sich, wie sie sich zukunftsfähig aufstellen
können und wie die neuen Produkte und Produktionspro-
zesse aussehen. Sie finden sie in der Umweltwirtschaft.

Die Umweltwirtschaft wird der Wachstumstreiber des
21. Jahrhunderts sein. Das belegen die Studien von
Roland Berger und anderen Instituten. Hier sind die
neuen Arbeitsplätze und Jobs der Zukunft. Davon reden
die Unternehmen. Sie reden nicht von Steuersenkungen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Was den Antrag der Linken angeht, sind wir uns in
den Zielen einig. Bildung und Betreuung sind sehr wich-
tig. Ökologische Erneuerung ist enorm wichtig. Energie-
und Ressourceneffizienz sind enorm wichtig. Das sind
gute grüne Ziele.


(Ulla Lötzer [DIE LINKE]: Linke Ziele!)


Das sind Ziele grüner Politik. Aber es sind nicht die rich-
tigen Instrumente. Das Prinzip „Viel hilft viel“ funktio-
niert nicht. Sie können nicht einfach viel Geld irgendwo
hinkippen und darauf hoffen, dass das funktioniert. Sie
müssen zukunftsorientiert investieren.


(Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Lesen Sie doch den Antrag!)


Sie reden in Ihrem Antrag von 125 Milliarden Euro. Das
muss man sich einmal vorstellen. Sie reden hier von
125 Milliarden Euro. Das ist das Konzept „Viel hilft
viel“. So etwas ist kein grünes Instrument.

Dies gilt auch für die Vorstellung, dass der Staat sich
an den Unternehmen beteiligen soll.

Sie wollen zwei Dinge miteinander verbinden, näm-
lich Überkapazitäten abbauen und gleichzeitig Beschäf-
tigung sichern. Das funktioniert so nicht. Sie müssen
dort deutlich moderner werden und sich damit auseinan-
dersetzen, dass Unternehmen, die sich diesem ökologi-





Kerstin Andreae


(A) (C)



(D)(B)

schen Umbau nicht stellen, es tatsächlich schwerer ha-
ben werden, am Zukunftsmarkt zu bestehen.

Wir müssen Rahmen setzen.


(Ulla Lötzer [DIE LINKE]: Eben!)


Wir müssen Leitplanken schaffen, mit denen die Unter-
nehmen in der Lage sein werden, diese Herausforderun-
gen zu meistern, die die Energie- und Ressourcenfragen
an die Unternehmen stellen werden. Hier falsche Ver-
sprechungen zu machen, ist unehrlich gegenüber den
Beschäftigten und den Unternehmen.

Mit dem Ansatz der SPD können wir uns anfreunden.
Deswegen werden wir diesen Antrag unterstützen. Sie
fordern, Forschung und Entwicklung steuerlich zu för-
dern. Einen entsprechenden Antrag werden die Grünen
demnächst ebenfalls in den Bundestag einbringen. Diese
steuerliche Förderung von Forschung und Entwicklung
brauchen wir als nächste Säule. Wir müssen Rahmen set-
zen, Finanzmärkte regulieren und Gründer fördern sowie
ökologische Investitionen anreizen und dafür klare In-
strumente entwickeln.

Eine Kritik kann ich mir aber nicht verkneifen. – Ich
sehe die Uhr.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1703808900

Kollegin Andreae, das müssen Sie bitte in einem kur-

zen Satz erklären.


Kerstin Andreae (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1703809000

Der kurze Satz lautet: Warum haben Sie in Ihrer Zeit

als Große Koalition die Chance verpasst, diese ökologi-
schen Investitionen zu setzen? Sie haben mit der Ab-
wrackprämie – die im Grundsatz schon sehr diskussions-
bedürftig ist – dadurch, dass Sie sie nicht an ökologische
Komponenten geknüpft haben, eine große Chance ver-
tan. Hier übe ich herbe Kritik an Ihnen. Jetzt erklären Sie
hier, ökologische Investitionen sollten gefördert werden.
Dort, wo Sie es hätten tun können, haben Sie es aber
nicht getan.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Fazit: Mit grünen Ideen schaffen wir Arbeitsplätze.
Mit grünen Konzepten haben die Unternehmen auch
eine wirklich nachhaltige Ausrichtung. An dieser Stelle
können wir uns treffen. Hier gehen wir gemeinsam vo-
ran.

Vielen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1703809100

Ich schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 17/1404 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschus-
ses für Wirtschaft und Technologie auf Drucksache 17/873.
Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Be-
schlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Frak-
tion der SPD auf Drucksache 17/521 mit dem Titel „Für
eine Politik der wirtschaftlichen Vernunft – Nachhaltiges
Wachstum und mehr Beschäftigung schaffen“. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt da-
gegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung
ist mit den Stimmen der Unionsfraktionen, der FDP-Frak-
tion und der Fraktion Die Linke gegen die Stimmen der
SPD-Fraktion und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
angenommen.

Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ab-
lehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Druck-
sache 17/470 mit dem Titel „Zukunftsprogramm für
2 Millionen Arbeitsplätze“. Wer stimmt für diese Be-
schlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stim-
men der Unionsfraktionen, der SPD-Fraktion, der FDP-
Fraktion und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen
die Stimmen der Fraktion Die Linke angenommen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 27 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Ingrid
Nestle, Oliver Krischer, Fritz Kuhn, weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN

Energieeffizienzgesetz unverzüglich vorlegen

– Drucksache 17/1027 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)

Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kolle-
gin Ingrid Nestle für die Fraktion Bündnis 90/Die Grü-
nen.


Ingrid Nestle (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1703809200

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen

und Kollegen! Vor 707 Tagen war der Stichtag, an dem
Deutschland ein Energieeffizienzgesetz hätte einführen
müssen. Doch bis heute hat die Bundesregierung diese
Pflicht nicht erfüllt. Das Vertragsverletzungsverfahren
gegen Deutschland läuft.

Dabei wollen alle die Energieeffizienz: Umweltminis-
ter Röttgen will Energieeffizienz für den Klimaschutz.
Wirtschaftsminister Brüderle will Energieeffizienz, um
bares Geld zu sparen und für die Versorgungssicherheit
im Energiesektor. Alle Bundesregierungen haben sich
Effizienzziele gesetzt, um den Stromverbrauch zu redu-
zieren, aber trotzdem ist bis zur Wirtschaftskrise der
Stromverbrauch kontinuierlich angestiegen. Alle sind
sich also einig: Energieeffizienz ist der Königsweg. Was
legen Sie jetzt vor? Die Regierung hat am Mittwoch ei-





Ingrid Nestle


(A) (C)



(D)(B)

nen Gesetzentwurf beschlossen, der im Wesentlichen ge-
nau das wiedergibt, was das Wirtschaftsministerium
schon seit langem im Effizienzbereich fordert, aber Sie
trauen sich nicht einmal mehr, den Entwurf Energieeffi-
zienzgesetz zu nennen. Zu Recht trauen Sie sich das
nicht. Was steht in dieser Initiative? Sie hat weniger
Substanz als ein Luftschloss oder eine Lachnummer. Der
Kern dieses Gesetzes ist, dass die Verbraucher einmal im
Jahr auf ihrer Stromrechnung einen Hinweis auf eine In-
ternetseite bekommen, auf der sich eine Liste von An-
bietern von Energiedienstleistungen befindet.


(Cornelia Behm [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Lächerlich!)


Das ist eine Schnitzeljagd, aber kein Energieeffizienzge-
setz.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Auch Ihre eigenen Studien aus dem Bundesumwelt-
ministerium haben gezeigt: Mit Energieeffizienz können
Sie 19 Milliarden Euro Energiekosten sparen, Sie kön-
nen 77 Millionen Tonnen CO2 vermeiden, und Sie kön-
nen 260 000 Arbeitsplätze schaffen. Auch diese Arbeits-
plätze setzen Sie leichtfertig aufs Spiel. Sie sorgen dafür,
dass der Innovationsmotor abgewürgt wird. Unsere euro-
päischen Nachbarn kaufen uns in Sachen Energieeffi-
zienz inzwischen den Schneid ab. Noch nicht einmal die
Eins-zu-eins-Umsetzung der EU-Richtlinie schaffen Sie
mit diesem Gesetzentwurf. Das bestätigen immer wieder
Experten aus Politik, aus dem Verbraucherschutz und
aus der Wissenschaft. Auch eine Studie, die wir kürzlich
in Auftrag gegeben haben, kommt zu dem Schluss, dass
Ihnen mit diesem Entwurf nicht einmal die Eins-zu-eins-
Umsetzung gelingt.

Die Debatten mit Regierungsvertretern zeigen leider
auch, dass im Herbst nicht mehr zu erwarten sein wird.
Herr Minister Röttgen, für dieses Nichts haben Sie sich
den Trumpf aus der Hand nehmen lassen. Sie haben sich
jetzt nicht durchsetzen können. Warum sollte das im
Herbst anders sein? Dieser Kabinettsentwurf zeigt die
wahre Einstellung dieser Regierung zur Energieeffi-
zienz. Sie will nichts tun, aber damit werden wir uns
nicht abfinden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Wir haben in dem Antrag, den wir heute vorgelegt ha-
ben, gezeigt, wie ein Energieeffizienzgesetz aussehen
kann. Für den Endkundenbereich fordern wir, dass die
Energielieferanten den Verbrauchern helfen, Energie ein-
zusparen, ein System, das anderswo erprobt ist. In Däne-
mark hat man gerade die Zielmarke von 0,7 auf 1,2 Pro-
zent hochgesetzt, weil das Instrument so gut funktioniert.
Für die Industrie fordern wir geregelte Energieaudits und
Energieberatung mit konkreten Vorschlägen, wie Energie
eingespart werden kann, und wir fordern eine verlässliche
Evaluation. Wir fordern dynamische Effizienzstandards,
einen Top-Runner-Ansatz. Wir fordern einen Energieef-
fizienzfonds mit einem Volumen von 3 Milliarden Euro –
und das, wohlgemerkt, bei einem Haushalt, der weniger
Schulden aufweist als der Ihre. Minister Brüderle möchte
bei der Energieeffizienz gerne Weltmeister sein. Mit die-
sem Entwurf schaffen Sie es nicht einmal in die Vorrunde,
Sie schaffen noch nicht einmal die Qualifikation.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1703809300

Kollegin Nestle, achten Sie bitte auf die Zeit.


Ingrid Nestle (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1703809400

Folgen Sie unserem Antrag und bewahren Sie sich die

Chance aufs Finale!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1703809500

Das Wort hat der Kollege Thomas Bareiß für die

Unionsfraktion.


Thomas Bareiß (CDU):
Rede ID: ID1703809600

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Liebe Kollegen! Liebe Frau Nestle, der Antrag,
den Sie heute vorlegen, ist eigentlich seit dem vergange-
nen Mittwoch obsolet. Unter dem Gesichtspunkt der Sit-
zungseffizienz hätte man sich heute die Diskussion da-
rüber sparen können.


(Beifall bei der FDP)


Aber Ihnen geht es – insofern unterstelle ich Ihnen etwas
Gutes – nicht allein um das Gesetz an sich, das wir vor-
legen, sondern um unser Ziel, die Energieeffizienz in
Deutschland zu steigern.

Ich möchte gleich zu Beginn einen Punkt Ihrer Rede
aufgreifen. Sie haben das Beispiel Dänemark hervorge-
hoben und gesagt, die dänische Regierung habe auf-
grund ihrer hervorragenden Politik das Einsparziel von
0,7 auf 1,2 Prozent heraufgesetzt. Ich muss Ihnen sagen:
Wir sind über dieses Ziel schon längst hinaus. Schon in
den letzten Jahren haben wir unsere Energieeffizienz um
1,7 Prozent gesteigert. Mit 2,5 bis 3 Prozent wollen wir
sogar einen wesentlich besseren Wert erzielen.


(Ingrid Nestle [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist kein globales, sondern ein konkretes Ziel!)


Insofern, glaube ich, sind wir auf dem richtigen Weg.
Die Zahlen der letzten Jahre zeigen, dass wir sehr erfolg-
reich waren.

Die Erreichung dieses Ziels ist für mich eine Etappe
auf dem Weg hin zu mehr Energieeffizienz. Wir brau-
chen in diesem Bereich eine Steigerung der Potenziale.
Ich selber bin Schwabe – man hört es mir an –, und des-
halb ist für mich Sparsamkeit die oberste Maxime der
Wirtschaftspolitik und insbesondere der Energiepolitik.


(Ulrich Kelber [SPD]: Das ist eher Geiz als Sparsamkeit!)






Thomas Bareiß


(A) (C)



(D)(B)

Wir können noch enorme Effizienzsteigerungen realisie-
ren. Wir brauchen neue Technologien, sowohl auf der
Seite der Energieerzeugung als auch auf der Seite der
Energieverbräuche. Energieeffizienz ist die Vorausset-
zung für die Erreichung unserer folgenden drei Ziele:

Erstens. Wir wollen durch mehr Energieeffizienz Res-
sourcen schonen – das ist ein Kernbestandteil unserer
Politik – und Rohstoffe sparen.

Zweitens. Wir wollen in unserer Energieversorgung
unabhängiger und damit auch sicherer werden.

Drittens. Nicht zuletzt wollen wir unserer Industrie
und unseren Unternehmen Wettbewerbsvorteile im inter-
nationalen Markt verschaffen.


(Ulrich Kelber [SPD]: Warum steht nichts davon im Gesetz?)


Wie ich schon gesagt habe, haben wir gemeinsam, üb-
rigens auch in der Großen Koalition, schon viel erreicht;
in den letzten Jahren konnte die Energieeffizienz um
1,7 Prozent gesteigert werden.


(Ulrich Kelber [SPD]: Eine Wirtschaftskrise haben Sie geschafft! – Gegenruf des Abg. Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Jetzt reicht’s aber!)


Unser Umweltminister Norbert Röttgen hat das Ziel ei-
ner Energieeffizienzsteigerung von 3 Prozent ausgeru-
fen. In den Szenarien für das Energiekonzept wollen wir
darstellen, wie eine Steigerung auf 2,3 Prozent bis
2,5 Prozent erreicht werden kann. Ich glaube, dass wir
eine enorme Kraftanstrengung vor uns haben. Der jetzt
vorgelegte Gesetzentwurf ist nur eine Etappe auf unse-
rem Weg. Wenn wir unser Energiekonzept im Herbst
vorlegen, werden wir über weitere Schritte sprechen. An
die in Ihrem Antrag festgehaltenen Punkte werden wir
anknüpfen.

Ich möchte auf die Bereiche zu sprechen kommen, in
denen die Energieeffizienz gesteigert werden soll. Das
Thema Gebäude ist dabei von zentraler Bedeutung. Al-
lein auf diesem Gebiet finden 40 Prozent der gesamten
Energieverbräuche statt.


(Ulrich Kelber [SPD]: Genau! Deswegen wird die Förderung gekürzt! Ganz konsistente Politik!)


Da müssen wir etwas machen, und da haben wir schon
vieles getan. Beispielsweise haben wir in den letzten
Monaten ganz bewusst die Mittel für das Jahr 2011 auf
das Jahr 2010 vorgezogen – 400 Millionen Euro –, damit
wir in diesem Bereich weiterhin stark investieren kön-
nen.


(Ulrich Kelber [SPD]: Weniger als 2009!)


Der Umfang des Gesamtprogramms beträgt weiterhin
1,5 Milliarden Euro. Das ist ein wichtiger Ansatz, um si-
cherzustellen, dass in den Gebäudebereich weiter inves-
tiert wird. Das hilft nicht nur den Verbrauchern, sondern
vor allen Dingen auch den Handwerksbetrieben, die dort
enorm investieren.

Für mich sind zwei Punkte wichtig:

Der erste Punkt ist die Transparenz. Das heißt, dass
die Verbraucher, die Konsumenten ein Bewusstsein für
ihre Verbräuche haben, sodass eine Verhaltensänderung
stattfinden kann. Teilweise wird dem schon in dem Ge-
setzentwurf Rechnung getragen.

Der zweite Punkt ist die Schaffung von Anreizen. Da-
für müssen wir Geld in die Hand nehmen, und wir müs-
sen überlegen, wo wir investieren. Ich möchte gar nicht
verhehlen, dass das eine schwierige Diskussion nach
sich ziehen wird. Zu einer nachhaltigen Politik gehört
nämlich nicht nur eine nachhaltige Energiepolitik, son-
dern auch eine nachhaltige Haushaltspolitik.


(Ulrich Kelber [SPD]: Ja, dann sind Sie aber in der falschen Koalition!)


Wir müssen sicherlich um jeden Euro streiten. Das wird
uns in den kommenden Haushaltsberatungen in den
nächsten Monaten sicherlich noch beschäftigen.

Wie ich bereits beschrieben habe, stellen wir bis zum
Herbst ein Energiekonzept vor. Darin wird das Thema
Energieeffizienz eine ganz besondere Rolle spielen. Ich
möchte an dieser Stelle ganz bewusst sagen – es ist ja so,
dass vonseiten der Opposition immer wieder das Thema
Kernenergie herausgestellt wird –: Das Thema Energie-
effizienz ist für die nächsten Jahre äußerst wichtig. Auf
diesem Feld liegen nämlich enorme Potenziale, die ge-
hoben werden müssen. Ich wiederhole: Ich sehe den von
uns vorgelegten Gesetzentwurf als Teilschritt auf dem
Wege der Umsetzung der EU-Vorgaben. Wenn das ge-
schehen ist, werden wir, darauf aufbauend, Weiteres vor-
legen. Deshalb macht Ihr Antrag, über den wir heute dis-
kutieren, für uns keinen Sinn, und daher müssen wir ihn
ablehnen.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Otto Fricke [FDP]: Sie sind ein sehr kluger Kollege!)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1703809700

Das Wort hat der Kollege Rolf Hempelmann für die

SPD-Fraktion.


Rolf Hempelmann (SPD):
Rede ID: ID1703809800

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kolle-

gen! Lieber Kollege Bareiß, Sie haben sich gerade
darüber beklagt, dass die Opposition, wenn sie vom
Energiekonzept spreche, insbesondere die Tatsache he-
rausgreife, dass Sie die Laufzeiten von Kernkraftwerken
verlängern wollen. Sie müssen das entschuldigen, aber
das ist das Einzige, was bisher aus Ihrem Energiekon-
zept bekannt geworden ist. Deswegen kommentieren wir
das natürlich auch.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)






Rolf Hempelmann


(A) (C)



(D)(B)

Es ist deutlich geworden, dass das die Konstante ist, um
die herum Sie das bauen, was Sie im Herbst am Ende
Energiekonzept nennen wollen.

Wir haben heute den Antrag der Grünen zu beraten.
Sie wollen, dass ein Energieeffizienzgesetz vorgelegt
wird. Möglicherweise ist es auch eine Auswirkung die-
ses Antrages, dass tatsächlich in dieser Woche das Kabi-
nett einen Gesetzentwurf verabschiedet hat, der den Titel
trägt: „Gesetz über Energiedienstleistungen und andere
Energieeffizienzmaßnahmen“. Es heißt also nicht „Ener-
gieeffizienzgesetz“, davor ist man, glaube ich, zurückge-
scheut. Aber selbst bei diesem Titel erwarte ich, dass ich
in diesem Gesetz etwas Konkretes zu Energiedienstleis-
tungen und zu Effizienzmaßnahmen finde. Ich glaube,
alle, die den Entwurf gelesen haben, auch die Kollegen
von der Koalition, werden zugestehen: Da werden sämt-
liche Erwartungen enttäuscht.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Es ist eben schon in der Rede von Frau Nestle ange-
klungen, dass Energieeffizienz ein Thema ist, das unsere
höchste Aufmerksamkeit verdient und bei dem wir sehr
offensiv vorangehen sollten. Wir haben das im letzten
Jahr vor der Bundestagswahl versucht; wenn ich sage
„wir“, meine ich meine Kolleginnen und Kollegen aus
der SPD-Bundestagsfraktion. Wir wollten damals ein
solches Gesetz verabschieden, auch im Wissen darum,
dass damals ein Vertragsverletzungsverfahren drohte. In-
zwischen ist es ja auch eingeleitet worden. Aber das war
leider nicht möglich, offensichtlich weil wir schon da-
mals zu ambitioniert waren.

Warum ist Energieeffizienz so ein wichtiges Thema?
Es geht im Grunde um die Veränderung des Geschäftmo-
dells in der Energiewirtschaft. Das bisherige Modell
funktioniert so, dass die Unternehmen daran verdienen,
möglichst große Energiemengen zu verkaufen. Was wir
wollen, ist, dass statt des Verkaufs von Mengen eine
Dienstleistung angeboten und verkauft wird, bei der die
zwei Seiten, die Angebotsseite und die Verbrauchsseite,
das gemeinsame Interesse haben, dies mit möglichst ge-
ringem Energieaufwand hinzubekommen. Deswegen
sind sowohl der Umwelt- als auch der Wirtschaftsminis-
ter eigentlich und grundsätzlich an dem Thema interes-
siert, weil es ökologische und ökonomische Effekte
hätte, wenn wir da tatsächlich mutig voranschreiten wür-
den.

Dieses Gesetz wird selbst dem reduzierten Namen
nicht gerecht. Es fällt weit hinter Zielsetzungen zurück,
die wir schon im Jahr 2007 in der Großen Koalition ge-
meinsam definiert haben, beispielsweise die Verdoppe-
lung der Energieproduktivität im Zeitraum von 1990 bis
2020. Insofern ist mit diesem Gesetzentwurf das Effi-
zienzproblem, das die europäischen Volkswirtschaften,
auch unsere Volkswirtschaft, haben, nicht zu lösen.

Weil noch kein Konzept vorliegt und weil in diesem
Gesetz nichts wirklich Zitierwürdiges steht, gucken wir
uns doch einmal das konkrete Handeln dieser Bundes-
regierung an. Da wurde eben mit einem gewissen Stolz
das energetische Gebäudesanierungsprogramm erwähnt.
In den gleichen Kontext gehört das Marktanreizpro-
gramm, zum Beispiel für die energetische Sanierung von
Heizungen in privaten Wohngebäuden. Beides wird zu-
rückgefahren.

Das MAP, das Marktanreizprogramm, soll komplett
auslaufen. Mein Schornsteinfeger fragt mich: Was ma-
chen die da in Berlin? Da ist einmal etwas Vernünftiges
entstanden. Ich kann die Leute davon überzeugen, zu in-
vestieren; die Handwerker in unserem Bereich haben
Aufträge; die Arbeitnehmer haben Beschäftigung; der
Finanzminister muss am Ende noch nicht einmal zuzah-
len, weil das, was erfahrungsgemäß vorher in der
Schwarzarbeit gelandet wäre, jetzt über offizielle Rech-
nungen mit Mehrwertsteuer gegenüber dem Finanzamt
abgerechnet werden muss.

Genauso ist es beim CO2-Gebäudesanierungspro-
gramm. Was passiert da? Eben ist gesagt worden: Es ist
um 400 Millionen Euro aufgestockt worden. – Gut, das
kann man so sagen, aber wir wollen einmal Folgendes
festhalten: Im letzten Jahr gab es 2,25 Milliarden Euro
für dieses Erfolgsprogramm. Das arbeitet mit Zuschüs-
sen an diejenigen, die in ihr Häusle investieren wollen.
Aber der Finanzminister macht trotzdem Reibach, weil
er über die Mehrwertsteuer und andere Steuern am Ende
mehr zurückbekommt, als er vorher geben musste.

Anstatt auf dem Sockel von 2,25 Milliarden Euro
weiterzumachen, will man reduzieren. Ursprünglich war
geplant, auf die Hälfte zu gehen; inzwischen ist man bei
1,5 Milliarden Euro. Warum ist das zu wenig? Weil das
Handwerk in Deutschland inzwischen Strukturen aufge-
baut hat, mit denen man in der Lage ist, Aufträge in ei-
ner Größenordnung auszuführen, die der Förderung mit
2,25 Milliarden Euro entspricht, Beschäftigung zu gene-
rieren, also sowohl die ökonomischen als auch die öko-
logischen Vorteile sowie die Beschäftigungsvorteile zu
realisieren. Warum machen Sie so etwas kaputt? Warum
führen Sie das nicht auf hohem Niveau fort?


(Beifall bei der SPD)


Sie suchen, wie Sie sagen, Maßnahmen, die dafür sor-
gen, dass wir mehr Beschäftigung bekommen. Warum
zerstören Sie die, die bewiesen haben, dass sie funktio-
nieren? Das ist für uns nicht nachvollziehbar. In diese
Wunde werden wir natürlich auch künftig den Finger le-
gen.

Wir als Opposition haben uns das Recht genommen,
verschiedene Anfragen zu stellen, etwa eine Anfrage zu
dem Thema „Intelligente Zähler, intelligente Netze“. Die
Antwort, die wir vom Bundeswirtschaftsministerium da-
rauf bekommen haben – das war nach dem Motto: „läuft
alles“, „weiter so“, „kein Handlungsbedarf“ –, zeigt uns,
dass das Potenzial überhaupt noch nicht erkannt worden
ist.

Gerade dabei geht es darum, zu einer anderen Vernet-
zung der Angebots- und der Nachfrageseite zu kommen.
Gerade dabei geht es darum, diejenigen, die in ihren
Haushalten Energie verbrauchen, in den Stand zu setzen,
ihre Verbräuche zu erkennen, sie dann aber auch zu be-
einflussen. Dazu brauchen sie intelligente Zähler. Dazu
brauchen wir auch intelligente Tarife, die es interessant
machen, den Stromverbrauch in Schwachlastzeiten, zum





Rolf Hempelmann


(A) (C)



(D)(B)

Beispiel nachts, zu verlagern. Alles das wird nicht weiter
befördert. Es wird nicht untersucht, wie die Instrumente
wirken. Das ist, denke ich, der falsche Weg.

Wir haben die dringende Bitte an Sie, an die die Re-
gierung tragenden Fraktionen: Denken Sie darüber noch
einmal neu nach! Setzen Sie einen Schwerpunkt bei dem
Thema Effizienz, und hören Sie ruhig gelegentlich auch
mal auf die, die sich schon länger parlamentarisch mit
dem Thema befasst und gezeigt haben, dass sie auf dem
Gebiet gute Ideen entwickeln können!

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1703809900

Das Wort hat der Kollege Klaus Breil für die FDP-

Fraktion.


(Beifall bei der FDP)



Klaus Breil (FDP):
Rede ID: ID1703810000

Frau Präsidentin! Sehr geehrten Kolleginnen und

Kollegen! Die Grünen drängen mit ihrem Antrag auf
eine rasche und übertriebene Umsetzung der EU-Richt-
linie über Energieeffizienz und Energiedienstleistungen.
Sie werden es kaum glauben, aber außer den Grünen ha-
ben mindestens zwei weitere Gruppen die Energieeffi-
zienz als schlafenden Riesen zur Kosteneinsparung und
zum Klimaschutz entdeckt:

Als Erstes sind dabei die Unternehmen zu nennen.
Diese verstehen es durchaus selbst, durch Einsatz ener-
gieeffizienter und damit ressourcensparender Technolo-
gien ihre Kosteneinsparungspotenziale aufzudecken.
Dazu braucht es keine Politik. Hier geht es um eine Ver-
besserung der eigenen Kostenstrukturen.

Wir können dabei Anreize setzen. Genau das tun wir
derzeit. Gemeinsam mit der Industrie werden wir über-
prüfen, ob eine freiwillige Verpflichtung zu sogenannten
Stromspar-Checks zweckdienlich sein kann.


(Beifall bei der FDP)


Die zweite Gruppe sind wir, die Regierungskoalition.
Am Mittwoch hat das Kabinett den Entwurf eines Geset-
zes über Energiedienstleistungen und andere Energie-
effienzmaßnahmen – kurz: EDL-G – beschlossen; Herr
Hempelmann, Sie haben es bereits angesprochen. Der
von vielen geforderten Eins-zu-eins-Umsetzung der
EDL-Richtlinie steht damit nichts mehr im Wege. Auch
die drohende Klage der EU-Kommission ist damit vom
Tisch.


(Ulrich Kelber [SPD]: Das ist aber ambitioniert!)


Ergo: Wir sind am Ball. Deutschland wird das vorge-
schriebene Mindesteinsparziel von 9 Prozent bis 2016
erreichen, und zwar gemessen am durchschnittlichen
Endenergieverbrauch zwischen 2001 und 2005.

Zum Inhalt des Umsetzungsgesetzes kann ich in An-
betracht der knappen Zeit nicht allzu viel sagen. Dafür
gebe ich Ihnen aber Folgendes mit auf den Weg: Der
vom Koalitionsausschuss beschlossene Gesetzentwurf
wird insgesamt die Transparenz im Markt verbessern.
Ganz besonders aber geht es um eine Ausweitung der In-
formationen über sparsamen Energieeinsatz für den End-
kunden. Der in der letzten Legislaturperiode von der
Tagesordnung genommene Entwurf hingegen umfasste
planwirtschaftliche Gängelungen für Energielieferanten,
energieintensive Betriebe, Anbieter von Energiedienst-
leistungen und Endverbraucher. Ich erinnere nur an das
Beispiel des Tankstellenbetreibers, der auf eigene Rech-
nung monatlich Sparfahrschulungen für seine Kunden
anbieten sollte.

Gerade weil die Chancen der Energieeffizienz von so
vielen erkannt werden, dürfen wir das Energieeffizienz-
gesetz nicht als das Ende der Diskussion ansehen. Hier
werden wir, Union und FDP gemeinsam, im Herbst bei
der Überprüfung des Integrierten Energie- und Klima-
programms untersuchen, welche zusätzlichen Maßnah-
men im Bereich der Energieeffizienz sinnvoll sind. Da-
rauf freue ich mich sehr.

Vielen Dank.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1703810100

Das Wort hat die Kollegin Dorothée Menzner für die

Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Dorothee Menzner (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1703810200

Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!

Eigentlich reden wir hier über Selbstverständlichkeiten:
Erstens. Die EU-Richtlinie hätte eigentlich bis Mai 2008
in nationales Recht umgesetzt werden müssen. Dies ist
bis heute jedoch nicht geschehen. Wir haben gehört, dass
das Vertragsverletzungsverfahren läuft. Zweitens. Ener-
gieeffizienz und sparsamer Ressourcenverbrauch sind
angesichts endlicher Ressourcen und Rohstoffe und an-
gesichts des Klimawandels sowohl ökologisch als auch
ökonomisch notwendig.

Der Antrag der Grünen hat zumindest einen Erfolg
gezeigt. Denn acht Tage nachdem er vorgelegt wurde,
folgte endlich ein Entwurf aus dem Wirtschaftsministe-
rium. Aber wer jetzt gedacht hätte, die lange Zeit, die es
gebraucht hat, hätte zu mehr Qualität geführt, sah sich
getäuscht. Das ist vorhin schon mehrfach angesprochen
worden.

Nicht nur wir Linken, sondern auch Verbraucherver-
bände und Umweltverbände kamen zu dem Urteil, dass
die Vorschläge noch nicht einmal eine Umsetzung des-
sen sind, was die EU uns vorgibt, und dass keinerlei kon-
krete Vorschläge und innovative Ideen für die Errei-
chung von Einsparzielen genannt worden sind. Aufgabe
von Politik ist es, Bürgerinnen und Bürgern, aber auch
Betrieben – sowohl dem kleinen Glasermeister an der
Ecke als auch dem großen Automobilunternehmen –
Ziele vorzugeben und bei der Umsetzung und Realisie-
rung zu helfen.





Dorothée Menzner


(A) (C)



(D)(B)


(Beifall bei der LINKEN – Thomas Bareiß [CDU/CSU]: Die Rahmenbedingungen zu setzen!)


Die Bereitschaft, Energie einzusparen, ist bei den
Bürgerinnen und Bürgern und auch bei den Betrieben
vorhanden. Das ist eben schon gesagt worden. Spätes-
tens wenn sie ihre jährliche Strom- oder Heizungs-
abrechnung bekommen, geraten die allermeisten ins
Grübeln, wie denn einzusparen wäre. Trotzdem ist Ener-
gieeffizienz kein Selbstläufer, wozu es nur des Blickes
auf die Jahresabrechnung und einiger Klicks im Internet
bedarf. Notwendig ist ein Mix aus ordnungspolitischen
Vorgaben und aus Förderprogrammen, verbunden mit
ganz konkreten Zielvorgaben zur Energieeinsparung.

Es ist ja nicht so, dass es keine Vorschläge geben
würde. Nicht nur wir Linken und die Grünen, sondern
auch Verbraucherverbände und Umweltverbände, ja so-
gar die EU machen sehr konkrete Vorschläge, was mög-
lich und wünschbar wäre. Dazu gehört zum Beispiel ein
Handelsverbot für Geräte mit Stand-by-Schaltung,


(Torsten Staffeldt [FDP]: Mit Verboten seid ihr schnell dabei!)


Unterstützung der Kraft-Wärme-Kopplung, kostengüns-
tige Kredite für Effizienzmaßnahmen sowie Energie-
Etikettierungsprogramme. Diese Liste ließe sich noch
fortführen. Aber all dies sucht man in dem Vorschlag der
Regierung vergeblich.

Ich möchte an dieser Stelle daran erinnern, dass die
Linke seit vier Jahren in jeder Haushaltsberatung ver-
geblich die Einrichtung eines Energiesparfonds fordert.
Immer wieder stößt sie dabei auf Ablehnung. Ein Ener-
giesparfonds wäre nötig, um es zum Beispiel Menschen,
die über keinen großen Geldbeutel verfügen, zu ermögli-
chen, energieeffiziente Geräte zu erwerben und somit
Energie einzusparen.


(Beifall bei der LINKEN)


Der Antrag der Grünen bietet aus unserer Sicht eine
gute Debattengrundlage, die angesichts manchen Rede-
beitrags, den ich eben gehört habe, dringend nötig ist.
Denn Energieeffizienz ist ein Motor für Innovationen,
für neue, zukunftsfähige Arbeitsplätze und für eine Stär-
kung der Wettbewerbsfähigkeit.

Aber nein, Schwarz-Gelb setzt auf alte Konzepte, auf
größtmögliche Freiheit oder was sie dafür hält oder auf
– ich habe zugehört, was Minister Brüderle heute Mor-
gen gesagt hat – Uralttechnologie und Konzepte von
vorgestern


(Otto Fricke [FDP]: Das zeigt: Sie haben nur zugehört!)


sowie auf Laufzeitverlängerung und meint, mit diesen
Dingen vorwärtszukommen. Das ist ein Zurück in die
Zukunft.


(Beifall bei der LINKEN)


Das sehen nicht nur wir Linken so – das ist nicht mit
uns zu machen; das ist kein Konzept für die Zukunft –,
das sehen auch die Menschen in diesem Land so. Des-
wegen bin ich mir sicher, dass morgen ganz viele Men-
schen gegen diese Politik und gegen eine Laufzeitverlän-
gerung von AKWs auf die Straße gehen werden – und
dies nicht nur im Rahmen der Menschenkette Brunsbüt-
tel–Krümmel, sondern auch in Biblis und in Ahaus.

Ich danke.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1703810300

Das Wort hat der Kollege Georg Nüßlein für die

Unionsfraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Ulrich Kelber [SPD]: Lass mal deine ganze Wut raus über das Gesetz! – Heiterkeit bei der SPD)



Dr. Georg Nüßlein (CSU):
Rede ID: ID1703810400

Frau Präsidentin! Meine Damen! Meine Herren! Mir

wird im Zusammenhang mit Energieeffizienz zu viel
über Strom und zu wenig über die Themen „Verkehr“
und „Wärme“ gesprochen, obwohl wir doch alle wissen,
dass in diesem Bereich das größte Potenzial zu heben ist.


(Rolf Hempelmann [SPD]: Darüber ist in dem Gesetz auch nichts drin!)


Ich möchte an dieser Stelle ausdrücklich betonen, dass
ich all den Stromkonzepten misstraue. Sie gehen am
Schluss nur deshalb auf, weil man quasi als Residual-
größe ein hohes und höchstes Maß an Energieeinspar-
und -effizienzpotenzial einkalkuliert. Dies wird in dieser
Art und Weise nicht aufgehen.

Ich räume ein: Wir sind in Verzug, was die Umset-
zung der europäischen Vorgaben angeht, nicht aber, was
die Umsetzung derjenigen Dinge angeht, die in den
beschriebenen Bereichen zu Energieeffizienz führen. Ich
greife gerne und dankbar auf, was der Kollege
Hempelmann zum Thema „CO2-Gebäudesanierung und
Marktanreizprogramm“ formuliert hat. Natürlich befin-
den wir uns in einer schwierigen haushalterischen Lage.
Wir werden sparen müssen. Nur, wir werden uns auch
überlegen müssen, welche Multiplikatoreffekte hinter
bestimmten Programmen stehen. Es macht keinen Sinn,
einen Investitionshaushalt zu kürzen, wohl wissend, dass
sich viele Dinge, von denen wir hier sprechen, selbst re-
finanzieren.


(Rolf Hempelmann [SPD]: Da hat er schon mal recht!)


Das möchte ich in dieser Deutlichkeit deshalb sagen,
weil uns da noch etliche Diskussionen bevorstehen.


(Garrelt Duin [SPD]: Beifall in der Koalition!)


Aber eine Diskussion, die so weit geht, dass man, so wie
es die Grünen tun, fordert, zusätzlich einen Fonds in
Höhe von 3 Milliarden Euro aufzulegen, halte ich für
populistisch und dem Wahlkampf geschuldet, weil ich
davon ausgehe, geschätzte Kollegin Nestle, dass auch
Sie wissen, wie unsere Haushalte momentan aussehen.





Dr. Georg Nüßlein


(A) (C)



(D)(B)

Um ein bisschen Leben in die Debatte zu bringen,
möchte ich fragen, warum wir bei der Umsetzung des-
sen, was uns die EU versucht hat zu diktieren, in Verzug
sind. Daran ist ganz maßgeblich der Kollege Gabriel in
seiner damaligen Rolle als Umweltminister schuld.


(Lachen bei der SPD)


Herr Breil hat dies vorhin angeführt. In einem Gesetz
Tankstellenbesitzer verpflichten zu wollen, Fahrkurse
anzubieten,


(Ulrich Kelber [SPD]: Stand nicht drinnen!)


ist lächerlich. Sie könnten ein Stück weitergehen und
könnten sagen: Warum können dann nicht auch Heizöl-
händler Holzhackkurse oder Strickkurse anbieten?


(Heiterkeit und Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Meine Damen und Herren, das Problem war, dass wir
weit über das Ziel hinausgeschossen sind, anstatt uns auf
das zu beschränken, was man realistischerweise hätte
machen sollen. Ich glaube im Übrigen, dass man das
nicht im Rahmen eines Gesetzes wie diesem machen
kann. Man muss vielmehr ganz konkrete Maßnahmen
ergreifen, wie zum Beispiel das CO2-Gebäudesanie-
rungsprogramm.

Zu dem, was vorhin zum Haushalt gesagt worden ist,
sage ich eines klipp und klar: Die 2,2 Milliarden Euro,
von denen gesprochen wurde, kamen durch einen Vor-
griff auf die nächsten Haushalte zustande. Dass wir Mit-
tel dieses Ausmaßes, nämlich in Höhe von 400 Millio-
nen Euro, nicht gekürzt, sondern aufgestockt haben,
zeigt doch, wie ernst wir das Thema nehmen und dass
wir sehr wohl wissen, was dieses Programm einerseits
für die Erhöhung der Energieeffizienz und andererseits
für das deutsche Handwerk bedeutet.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Nun haben wir zunächst einmal europäische Vorga-
ben umzusetzen. Ich gebe Ihnen recht, dass an dieser
Stelle eigentlich die alte Regel von Montesquieu greifen
müsste: „Wenn es nicht notwendig ist, ein Gesetz zu ma-
chen, dann ist es notwendig, kein Gesetz zu machen.“
Die EU meinte aber, ein solcher formaler Akt sei wichtig
und notwendig.

In unserer Regierungszeit müssen wir noch etliche
Dinge anstoßen, insbesondere die „Energieinitiative Mit-
telstand“, bei der unter anderem „Investitionsanreize
durch Änderungen im Mietrecht und im Energiecontrac-
ting“ geschaffen werden sollen, und die „Kennzeichnung
des Energieverbrauchs bei energierelevanten Produk-
ten“, um mehr Transparenz zu schaffen. Hier werden wir
Etliches tun; das steht nicht ohne Grund in dieser expli-
ziten Art und Weise in unserem Koalitionsvertrag.

Anders als von den Grünen und der Linken hier ein-
gefordert, werden wir das durch Sensibilisierung und das
Setzen von Anreizen erreichen, aber nicht mit linken
Ideen im grünen Gewand, also ohne Zwangsenergiespar-
quote, Verbote, Gängelung, Planwirtschaft; das machen
wir nicht.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Ich sage Ihnen auch, warum: Der Endpunkt dessen, was
Sie – insbesondere die linke Seite – da im Kopf haben,
ist das, was in Rumänien zu Ceausescus Zeiten stattge-
funden hat. Er hat nämlich um 18 Uhr den Leuten den
Strom abgedreht. Das mag Energie gespart haben und
war vielleicht auch für die demografische Entwicklung
gut; das mag durchaus sein. Das werden wir aber nicht
mitmachen.

In diesem Sinne ein schönes Wochenende.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1703810500

Für die FDP-Fraktion hat nun der Kollege Torsten

Staffeldt das Wort.


(Beifall bei der FDP)



Torsten Staffeldt (FDP):
Rede ID: ID1703810600

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Ich freue mich, dass einige von Ihnen doch noch da sind.
Frau Nestle, Sie haben den Entwurf des Kabinetts ent-
weder nicht gelesen oder nicht verstanden.


(Ulrich Kelber [SPD]: Geistreicher Angriff!)


Diesen Eindruck musste ich zumindest gewinnen, als Sie
versucht haben, unseren Entwurf zu zerreden. Sie sind
auf Ihren eigenen Antrag so gut wie gar nicht eingegan-
gen, wahrscheinlich weil Sie wissen, dass er inzwischen
völlig überflüssig ist.

Ich kann Ihnen sagen – das gilt auch für das BMWi –:
Gründlichkeit geht vor Schnelligkeit. Das ist die Prä-
misse, unter der das Regierungshandeln steht.


(Lachen des Abg. Ulrich Kelber [SPD])


Darum hat sich das Kabinett bis jetzt Zeit genommen,
den Entwurf vorzulegen. Im Übrigen hätte das die Vor-
gängerkoalition schon längst machen können. Sie haben
zu Recht gesagt, dass dazu 707 Tage Zeit waren; da ha-
ben Sie wahrscheinlich schön gerechnet. Das sind im-
merhin fast zwei Jahre. Das ist genug Zeit, um einen
Entwurf vorzulegen.

Das Kabinett hat jetzt einen Entwurf vorgelegt. Er
setzt die Vorgaben der Energierichtlinie der EU eins zu
eins um. Der Antrag von Bündnis 90/Die Grünen geht
weit darüber hinaus. Er sieht Belastungen für die Unter-
nehmen und die Energiewirtschaft vor und führt zu mehr
Bürokratie. Er will den Unternehmen und Bürgern vor-
schreiben, wie sie energetische Maßnahmen umsetzen
sollen. Vor allem soll er den Steuerzahler – das ist das
Schlimmste daran – 3 Milliarden Euro zusätzlich kosten.
Damit widerspricht dieser Antrag marktwirtschaftlichen
Prinzipien. Vor allem schränkt er die Kreativität und
Freiheit der Energiedienstleister und -unternehmen völ-
lig unzulässig ein. Der Gesetzgeber muss die Randbe-
dingungen festlegen, nicht die Ausführung; das ist nicht
nur eine liberale Überzeugung, sondern die Überzeu-
gung dieser Koalition.





Torsten Staffeldt


(A) (C)



(D)(B)


Ich nenne als Beispiel die in Ihrem Entwurf aufge-
führte Liste von standardisierten Energieeffizienzmaß-
nahmen und -programmen. Glauben Sie, meine Damen
und Herren von den Grünen, dass Sie allwissend sind?
Sie schließen doch aus, dass es Innovationen geben
kann, die Sie in Ihrer tollen Liste noch gar nicht berück-
sichtigt haben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Abg. Ingrid Nestle [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] meldet sich zu einer Zwischenfrage)


– Gerne.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1703810700

Das mit den verabredeten Redezeitverlängerungen

funktioniert jetzt nicht mehr.


(Torsten Staffeldt [FDP]: Schade!)


Sie sind in der letzten Minute Ihrer Redezeit.

Es sollte Programme geben, die zum Beispiel Unterneh-
men unterstützen, Druckluftleckagen zu beseitigen, und
Hausbesitzern Finanzierungen zur Wärmedämmung an-
bieten oder mit denen die Angebote von Verkehrsträgern
wie der ökologisch unschlagbaren Schifffahrt ausgebaut
werden können.

Der Kabinettsentwurf bietet dafür einen guten Rah-
men; durch ihn wird die nötige Freiheit für Entwicklung
gegeben und werden die Bürgerinnen und Bürger und
die Unternehmen nicht zusätzlich belastet. Der Entwurf
der Grünen ist das Gegenteil davon. Er ist daher abzu-
lehnen.

Ich wünsche Ihnen ein schönes Wochenende.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1703810800

Ich schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 17/1027 an die in der Tagesordnung aufge-

Torsten Staffeldt (FDP):
Rede ID: ID1703810900

Okay. – Ich komme auf die Verpflichtung zur zertifi-

zierten Energieeffizienzberatung, die 3 Milliarden Euro
kosten soll. Hierbei handelt es sich um grüne Klientel-
politik. Sie wollen die Ihnen genehmen Energieberateri-
nnen und -berater zulasten des Steuerzahlers finanzieren.


(Otto Fricke [FDP]: Jawohl!)


Im Regelfall gibt es für das Geld Papier und eine Power-
point-Präsentation.

Von Goethe stammt der Satz: „Es ist nicht genug, zu
wissen, man muss auch anwenden“. Das muss unser Ziel
sein. Wir sollten nicht grün gestrickte Berater finanzie-
ren, sondern die Bürgerinnen und Bürger zur Nutzung
der Energieeinsparmöglichkeiten motivieren.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP)

führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.

Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tages-
ordnung.


(Otto Fricke [FDP]: Schade!)


Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
destages auf Mittwoch, den 5. Mai 2010, 13 Uhr, ein.

Ich wünsche Ihnen ein schönes Wochenende und eine
erfolgreiche Woche. – Kollege Fricke, Sie haben Ihr Be-
dauern darüber ausgedrückt, dass wir schon am Ende der
Tagesordnung sind. Ich denke, wir haben einen großen
Vorrat an gemeinsamen Vorhaben, auch für die nächste
Sitzungswoche.

Die Sitzung ist geschlossen.