Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich begrüße Sie alleherzlich. Vor Eintritt in die Tagesordnung habe ich zweiMitteilungen zu machen:Der Kollege Walter Riester hat am 27. Septemberseinen 65. Geburtstag gefeiert. Im Namen des ganzenHauses möchte ich ihm dazu auch auf diesem Wegenoch einmal herzlich gratulieren und alle guten Wünscheübermitteln.
Zweitens. Die Kollegin Hildegard Müller hat am1. Oktober auf ihre Mitgliedschaft im Deutschen Bun-destag verzichtet. Als Nachfolger begrüße ich herzlichden Kollegen Thomas Mahlberg.
Alle guten Wünsche für die jetzt beginnende parlamen-tarische Arbeit!Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 1 auf:Beratung des Antrags der BundesregierungDrgvnWAHauhutdwSgRedetFortsetzung der Beteiligung bewaffneter deut-scher Streitkräfte an dem Einsatz der Interna-tionalen Sicherheitsunterstützungstruppe in
auf Grundlage der Resolutionen 1386
und folgender Resolutionen, zuletzt Resolution1833 vom 22. September 2008 des Si-cherheitsrates der Vereinten Nationen– Drucksache 16/10473 –Überweisungsvorschlag:Auswärtiger Ausschuss
RechtsausschussVerteidigungsausschussAusschuss für Menschenrechte und HumanitäreAusschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit uEntwicklungHaushaltsausschuss gemäß § 96 GO
Dr. Frank-Walter Steinmeier, Bundesminister desuswärtigen:Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen underren! Unser Engagement in Afghanistan geht jetzt inschte Jahr. Ich weiß: Das ist eine Probe für die Geduldnd die langfristige Kraft der Weltgemeinschaft. Des-alb sage ich vorab drei Dinge: Erstens. Die Gründe, diens 2001 nach Afghanistan geführt haben, gelten. Zwei-ens. Wir haben uns verpflichtet gegenüber einem Volk,as in 30 Jahren Krieg und Bürgerkrieg geschundenorden ist. Drittens. Wir wussten von Anfang an um diechwere der Aufgabe. Deshalb gilt gerade jetzt: Ein ge-ebenes Wort muss gelten.ext
Wir sind mitten auf dem Weg. In Afghanistan sind wirmit so etwas wie einer doppelten Realität konfrontiert.Auf der einen Seite haben wir durchaus viel erreicht.85 Prozent der Bevölkerung haben jetzt Zugang zu ei-nem Arzt oder einem Krankenhaus in ihrer unmittelba-ren Nähe – das war in Afghanistan vorher noch nie so –;übrigens auch dank vieler Tausend Kilometer Straßenund Brücken, die gebaut worden sind. Mehr als dieHälfte des minenverseuchten Afghanistans ist inzwi- Auch das macht das Leben in Afghanis- Regionen sicherer. Der Wiederaufbauhen Regionen ebenfalls durchaus voran,nur in Kabul. Ich selbst habe das BeispielHilfendschen geräumt.tan in manchenkommt in mancund zwar nicht
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Bundesminister Dr. Frank-Walter Steinmeierdes Krankenhauses in Masar-i-Scharif gesehen. DiesesProvinzkrankenhaus ist das zweitgrößte medizinischeLehrkrankenhaus im ganzen Land. 250 Krankenschwes-tern werden dort jährlich ausgebildet.Wir reden über ein Land, in dem vor sieben Jahrennoch Menschen gesteinigt worden sind und Musik ver-boten war. All denjenigen, die unsere Erfolge immernoch kleinreden wollen, muss man entgegnen: JedesStück Land, das ein Bauer wieder bestellen kann, jedesKind, das in die Schule geht, jedes neue Krankenhausund jeder Kilometer Straße sind auch ein kleiner Siegder Menschlichkeit.
Meine Damen und Herren, keiner ist naiv: Natürlichist der Weg länger und steiniger, als wir alle uns das er-hofft haben. Jedes zivile Opfer und jedes Selbstmordat-tentat sind ein Rückschlag, und die Rückschläge habenzugenommen – auch im Norden. Weder die internatio-nale Staatengemeinschaft noch die afghanische Regie-rung – auch das ist wahr – haben die Korruption oderden Anbau und Handel mit Schlafmohn bisher wirklichin den Griff bekommen. Im Süden und Osten verunsi-chern nach wie vor – oder im Augenblick noch mehr –Terroristen die Bevölkerung, weil die Grenzen zu Pakis-tan faktisch ungesichert sind.Das ist die Lage, wie sie sich ungeschminkt darstellt.Die Fragen lauten: Welche Schlussfolgerungen ziehenwir aus dieser Lage? Sollen wir wirklich gehen, wenn esschwierig ist, wie manche es fordern? Sollen etwa Nie-derländer, Norweger, Polen und Finnen den Job machen,weil wir uns aus der Verantwortung stehlen? Wenn Län-der wie wir gingen, dann wäre das nicht nur eine Verlet-zung der Solidarität all denen gegenüber, die da bleiben,sondern es wäre noch schlimmer: Wir würden das Zielaufgeben, für das wir sechs, fast sieben Jahre in Afgha-nistan gemeinsam gearbeitet haben. Unser Aufenthaltdort war nie und ist kein Selbstzweck. Wir hatten undhaben ein klares Ziel: Wir wollen, dass die Menschen inAfghanistan die Zukunft ihres Landes möglichst schnellwieder in die eigenen Hände nehmen und selbst fürSicherheit in ihrem Land sorgen.
Wir ziehen dabei mit vielen Afghanen an einemStrang. Das haben Sie in Gesprächen bei Afghanistan-Reisen und auch bei Besuchen afghanischer Politikerund Experten hier bei uns selbst erlebt. Diese sagen: Wirwollen und wir können die Vorsorge für die eigene Si-cherheit leisten. Aber jetzt brauchen wir noch die Hilfeder internationalen Staatengemeinschaft, und wir müs-sen uns vor allen Dingen darauf verlassen können, dassdiese Hilfe in der nächsten Zeit noch geleistet wird. Da-rum geht es: Verlässlichkeit und Vertrauen. Dafür müs-sen auch wir stehen.
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Wir haben ganz bewusst darauf verzichtet, eine Artorratsbeschluss für einen möglichen AWACS-Einsatzu erbitten, über den in der Sommerpause diskutierturde, zu dem Sie aber in dem Antrag, über den wireute diskutieren, nichts finden – wohl wissend, dass dieATO-Diskussion stattfindet, aber noch keine Be-chlüsse der NATO vorliegen. Gleichwohl hat der zivileuftverkehr in Afghanistan erheblich zugenommen;fghanistan verfügt jedoch ganz ohne Zweifel über keinusreichendes Bodenradar, um den gewachsenen Flug-erkehr so zu überwachen, dass die Luftfahrzeuge infghanistan wirklich sicher abheben und wieder am Bo-en landen können. Deshalb brauchen wir auchWACS; aber das ist nicht Gegenstand der Entscheidun-
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Bundesminister Dr. Frank-Walter Steinmeiergen, die in dieser Woche im Deutschen Bundestag zutreffen sind.Ich habe auch gesagt – das haben Sie gesehen –, dassder Einsatz von KSK nach meiner Auffassung inAfghanistan entbehrlich geworden ist. Wir haben in denletzten drei Jahren keine KSK-Soldaten zur Verfügunggestellt. Deshalb hielte ich persönlich es auch für richtig,wenn KSK-Einsätze im Rahmen des OEF-Mandates imVerlaufe dieses Jahres ausliefen.Meine Damen und Herren, ich komme zum Ende undsage: Die Bundesregierung hat erst vor wenigen Tagenin ihrem aktualisierten Afghanistan-Konzept den lang-fristigen und vor allen Dingen umfassenden Stabilisie-rungsansatz, der den Wiederaufbau einschließt, vorge-tragen und bekräftigt. Alle anderen in Afghanistanvertretenen und engagierten Staaten folgen diesem An-satz. Zu ihm gehört ganz ausdrücklich, dass wir dieNachbarn Afghanistans mit in den Blick nehmen, sie so-gar noch sehr viel stärker einbeziehen. Selbstverständ-lich meine ich damit vor allen Dingen Pakistan, einSchlüsselland für die Sicherheit und Stabilität der ge-samten dortigen Region.
Wir müssen Pakistan dahin bringen, eine positiveRolle bei der Stabilisierung sowie beim Wiederaufbauder gesamten Region zu spielen. Deshalb habe ich michmit anderen am Rande der Generalversammlung derVereinten Nationen in der vergangenen Woche darumgekümmert, Pakistan in eine Gruppe einzubinden, diediesen Prozess vorantreibt. Das reiht sich in die Bemü-hungen ein, die wir von deutscher Seite im vergangenenJahr während unserer G-8-Präsidentschaft bereits gestar-tet haben und die durch die innenpolitischen Ereignissein Pakistan unterbrochen worden sind; das haben Siemitverfolgt. Ich sehe jetzt gute Chancen – erste Anzei-chen dafür gibt es –, dass wir mit der neuen Regierung inPakistan zu einem geordneten Austausch zwischen dempakistanischen Präsidenten, dem afghanischen Präsiden-ten und den Ministerebenen darunter kommen. Bei derReise nach Pakistan, die ich in etwas mehr als zwei Wo-chen unternehmen werde, werde ich versuchen, diesenpositiven Ansatz, den es zwischen den beiden Länderngibt, weiterhin zu stützen.Meine Damen und Herren, die Verlängerung desISAF-Mandats ist kein „Weiter so“, sondern sie ist aufdie Bedürfnisse des nächsten Jahres zugeschnitten: Wirschicken mehr Soldaten. Wir konzentrieren uns auf dieAusbildung von Soldaten und Polizisten. Wir steigerndie Ausgaben für zivilen Wiederaufbau auf jetzt immer-hin 170 Millionen Euro, weil wir wollen – das sage ichIhnen aus tiefer Überzeugung –, dass die Menschen inAfghanistan den Fortschritt tatsächlich spüren, sehenund erleben.
Zum Schluss sage ich all jenen Danke, die sich häufigunter Einsatz ihres Lebens für den Wiederaufbau und dieStabilisierung Afghanistans einsetzen. Das sind unsereSoldatinnen und Soldaten, Polizisten und zivilen Auf-bdwJttsikzhIDAINLAwnsI„ldEnünOdgbcdwsmu
ch frage mich: Wenn AWACS in diesen Antrag nichthineingerührt“ worden ist, warum hat man ihn dem Par-ament dann nicht etwas früher vorlegen können?
Zumindest ist damit klar, worüber wir heute nicht re-en: Wir reden nicht über AWACS; dadurch fällt dientscheidung, diesem Antrag zuzustimmen, manch ei-em vielleicht etwas leichter. Wir reden heute auch nichtber OEF. Der Minister hat eben auf KSK Bezug ge-ommen. Ich denke, er meinte KSK im Rahmen vonEF und nicht etwa auch KSK im Rahmen von ISAF;
as muss noch geklärt werden. Denn selbstverständlichibt es auch im Rahmen von ISAF Situationen, die einenesonderen Schutz erforderlich machen. In einem sol-hen Fall ist KSK nach meiner Auffassung das Mitteler Wahl.Meine Damen und Herren, wir sprechen heute über einichtiges Mandat, im Grunde genommen über eine Fort-chreibung dessen, was es bereits gibt. Wir, die Freien De-okraten, tragen die Aufstockung um 1 000 Soldatinnennd Soldaten mit; die Begründung ist schlüssig.
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Dr. Werner HoyerWir haben allerdings einige kritische Anmerkungenzu machen. Das tue ich aber nicht, ohne vorher namensder Freien Demokraten allen, die sich in Afghanistan be-mühen und dort für uns eine sehr wichtige Aufgabe er-füllen, ganz herzlich Dank zu sagen. Das gilt insbeson-dere für die Angehörigen unserer Streitkräfte – um siegeht es heute –, die dort eine hervorragende Arbeit leis-ten. Dieser Dank gilt völlig unabhängig von der Tatsa-che, dass wir auch kritische Anmerkungen machen.
Warum sind wir eigentlich mit Soldaten, Aufbauhel-fern, Polizisten und anderen Kräften in Afghanistan ver-treten? Wir sind dort nicht, um anderen, auch nicht ande-ren im Bündnis, einen Gefallen zu tun. Wir sind dortauch nicht nur aus Solidarität mit den Afghanen; sie istein wichtiger Punkt, aber nicht der entscheidende. Wirsind in Afghanistan um unserer eigenen Interessen undunserer eigenen Sicherheit willen. Das müssen wir unse-ren Bürgerinnen und Bürgern auch immer wieder deut-lich vor Augen führen.
Wir wissen, warum wir nach Afghanistan gegangensind. Wir wissen auch, was passieren würde, wenn wirdas Land Hals über Kopf verlassen würden. Wir würdenden Kräften Spielraum eröffnen, die nicht nur ihr eige-nes Land terrorisieren, sondern den Terror von Afgha-nistan aus auch zu uns tragen würden. Um das zu verhin-dern, müssen wir dort weitermachen. Wir dürfen unserenBeitrag allerdings nicht im Sinne eines „Weiter so“ leis-ten; dazu sind schon einige wichtige Anmerkungen ge-macht worden.Herr Minister, ich verhehle keineswegs die Erfolge,die erzielt worden sind, sehe aber natürlich auch dieSchwachstellen. Bei der Polizeiarbeit hat die Bundes-republik Deutschland eine Führungsrolle übernommen.Ich finde, dieses Kapitel ist für Deutschland ein ziemlichdunkles Kapitel.
Denn das, was in diesem Bereich von der Bundesregie-rung geleistet wird – das gilt nicht für die Polizeibeam-ten vor Ort, die eine Superarbeit leisten –, kommt einempolitischen Offenbarungseid ziemlich nahe.
Die Bundesregierung hat uns einen Schlingerkursvorgeführt, den ich beachtlich finde. Noch im Jahre 2004hat sie voller Stolz gesagt, sie sei, wie es damals hieß,am Aufbau eines multiethnischen Polizeidienstes, undzwar landesweit und auf allen Ebenen, beteiligt. Heutewird so getan, als hätte man nie etwas anderes als dieBeratung des afghanischen Innenministeriums im Sinngehabt. Dieser Schlingerkurs rächt sich.otghuzwEbvdtuwtbwnaAsnüabatgmnzLEsnrAsnKd
Dr. Peter Ramsauer, CDU/CSU-Fraktion, ist der
ächste Redner.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wirebattieren heute in erster Lesung über eine Verlänge-
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Dr. Peter Ramsauerrung des Afghanistan-Mandats, zum siebten Mal, seitwir diese Mission begonnen haben. Ich finde es richtigund wichtig, dass wir dies jedes Jahr in dieser ausführli-chen parlamentarischen Weise tun. Entsprechend dem,was der Herr Außenminister gerade gesagt hat, geht esnämlich nicht um ein „Weiter so“; vielmehr müssen wiruns im Hinblick auf die deutsche Öffentlichkeit und alleBelange unserer Soldatinnen und Soldaten immerwieder, Jahr für Jahr, gründlich und sorgfältig vergewis-sern, ob unsere „Marschrichtung“, unsere politischeRichtung, die Richtung des Einsatzes – es geht darum,wie er ausgestaltet ist und erfolgreich sein soll –, richtigund verantwortbar ist.Im Zusammenhang mit dieser Verlängerung müssenwir uns fragen, worauf wir in den nächsten 14 Monateninsbesondere Wert legen müssen. Wir dürfen es uns beider Beantwortung dieser Frage in der Tat nicht leichtmachen; denn unsere Soldatinnen und Soldaten – es sol-len 1 000 mehr werden – halten auch für uns alle denKopf hin.Aus all den Gründen, die der Herr Außenministerschon vorgetragen hat und die uns allen bekannt sind,sage ich ein klares Ja zu dieser Verlängerung des Man-dats und auch zu einer Aufstockung der Zahl unsererSoldatinnen und Soldaten von 3 500 auf 4 500.Den Gegnern dieser Verlängerung sei ein kleiner – erist zwar nicht maßgeblich, aber immerhin doch bemer-kenswert – Hinweis gegeben: In wenigen Wochen wer-den wir uns auch mit der Verlängerung von OEF aus-einanderzusetzen haben. Ende des vorletzten Jahres, alsobeim vorletzten Mandat, betrug die Zahl der Soldatinnenund Soldaten im Rahmen von OEF 1 800. Diese werdenwir voraussichtlich auf 800 reduzieren. Wenn man sichdie Zahlen der beiden Mandate anschaut, die ja in gewis-ser Weise in einem politischen Zusammenhang zu be-trachten sind, dann stellt man fest, dass wir bei ISAF dieZahl der Soldatinnen und Soldaten in derselben Größen-ordnung erhöhen, wie wir sie bei der OEF reduzieren.Wir können überhaupt nicht erwarten – ich hoffe, dassdas die Gegner dieses Einsatzes auch nicht tun –, dasswir die Probleme, die es in Afghanistan zu lösen gibt,über Nacht lösen. In all den Debatten – auch jetzt geradewieder in unserer Fraktion – ist auch die Frage erörtertworden, ob man das nur militärisch erreichen kann oderob das auch nichtmilitärisch möglich ist. Eines ist völligklar: Die Probleme in Afghanistan werden wir niemalsallein militärisch lösen können. Aber wir können ohnedie militärische Komponente die Probleme dort eben-falls nicht lösen und die Aufbau- und Stabilisierungs-arbeit, die wir uns vorgenommen haben, nicht leisten.
Unsere Absicht ist es – man kann es nicht oft genugsagen –, die dortigen Strukturen im Bereich der eigenenmilitärischen Kompetenzen und Fähigkeiten, der Ver-waltungskräfte, der Polizei, der Infrastruktureinrichtun-gen und im Bildungswesen so zu stärken, dass in Afgha-nistan eine selbsttragende Stabilität erzeugt wird.Deswegen müssen wir dafür sorgen, dass unsere Sicher-htsbtftwetbzTHsdDesucgdwEzsgdsafEEhldwAdnwfEdrgvwm
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Ich möchte noch einen Punkt aus Ihrer Rede aufgrei-fen, Herr Außenminister. Die Probleme in Afghanistanwerden wir niemals lösen können, wenn wir nicht auch– Sie haben die Lage und die Zusammenhänge hervorra-gend beschrieben – die Probleme im Nachbarland Pakis-tan lösen; denn dort ist in zunehmendem Maße das neueRekrutierungsfeld und das Aufmarschgebiet der Taliban.Nach Angaben des pakistanischen Religionsministers istheute in Pakistan – das ist eine erschreckende Zahl –jede zehnte der mindestens 15 000 Koranschulen fun-damentalistisch und extremistisch ausgerichtet. Die soideologisch Ausgebildeten gehen dann in Militärcamps,um militärisch ausgebildet zu werden. Sie sind für dieTaliban der personelle Nachschub in Afghanistan. Daskönnen wir auf Dauer nicht hinnehmen. Wir müssen diezivilen Schulen wesentlich stärker ausbauen. Das ist un-sere Aufgabe als Europäer und insbesondere als Deut-sche. Arme pakistanische Eltern schicken ihre Kinderviel lieber in zivile Schulen als in die Koranschulen. DieKoranschule ist allerdings oft die einzige Alternative.Das darf nicht so bleiben. Wenn es stimmt – viel sprichtdafür –, dass diese 15 000 Koranschulen maßgeblich aussaudi-arabischen Quellen finanziert werden, dann mussich sagen: Das dürfen wir nicht hinnehmen.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Meine werten Herrennd Damen! Diese notwendige Sondersitzung des Deut-chen Bundestages zu Afghanistan gibt es nur, weil wirinke nicht bereit waren, einem Fristverzicht zuzustim-en und diese wichtige, zentrale Frage deutscher Au-enpolitik unter „ferner liefen“ in anderen Debatten ab-uhandeln.
Wir Abgeordnete sollen die Zustimmung zur Statio-ierung von weiteren 1 000 Soldaten in Afghanistaneben. Wir haben auf die gesamte Lage eine andereicht als die vorgetragenen.
ch bin der Auffassung, dass es Zeit für eine wahrhaftigeilanz ist.Insgesamt 55 000 NATO-Soldaten, darunter bald500 deutsche, sollen dort für Sicherheit und Aufbauorgen. Wozu haben die vergangenen sieben Jahre ISAF-räsenz geführt? Was braucht Afghanistan, und mit wel-hen Mitteln sind die Ziele zu erreichen? Dazu nenne ichinige Fakten: Haben nach dem 11. September circa00 CIA-Agenten und 350 US-Elitesoldaten die Tali-anregierung gestürzt und blieb die Zahl der ISAF-Sol-aten bei unter 10 000, so ist bereits Mitte 2008 die Zahlon 65 000 Soldaten erreicht. Weitere Aufstockungenind angekündigt, weitere Jahre der Präsenz avisiert.enn die USA gewählt haben, werden Afghanistan undohl auch Pakistan zu den zentralen Orten des soge-annten Krieges gegen den Terror werden.Der ISAF-Oberkommandierende, General McNeill,agte dieser Tage – Zitat –, es brauche 400 000 Soldaten,m Afghanistan zu befrieden. Er sagte allerdings auch,r sei der Auffassung, dass dieser Krieg bereits verlorenst. Aber unsere Minister Herr Jung und Herr Steinmeierennen noch nicht einmal die wahren Opferzahlen.eshalb nenne ich sie hier: 2007 waren 8 000 Tote zueklagen, davon 1 500 Zivilisten. Laut UN sind dieses
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Monika KnocheJahr schon mehr als 4 600 Menschen ums Leben gekom-men, darunter 1 450 Zivilpersonen. Die Zahl der bewaff-neten Anschläge stieg von 9 000 im Jahr 2007 um 40 Pro-zent in diesem Jahr. Die USA teilen mit, dass in Afgha-nistan derzeit mehr amerikanische Soldaten als im Iraksterben. Die Sicherheitslage in Afghanistan ist so drama-tisch wie nie zuvor, und da behauptet unsere Regierungdoch tatsächlich, dass immer mehr Soldaten zu immermehr Sicherheit und Stabilität führen. Das ist doch Vor-täuschung falscher Tatsachen.
Die afghanische Bevölkerung wird fremde Truppen aufDauer nicht akzeptieren. Wer ihre Kultur kennt, weißdas. Der Widerstand wird größer und härter. Mehrfremde Soldaten bedeuten eine Stärkung der fundamen-talistischen Kräfte.
Was macht die Taliban stark? Es ist der Krieg gegensie. In Afghanistan werden deutsche Soldaten mittler-weile auch nicht mehr als Samariter in Uniform angese-hen. Die Soldaten spüren das. Sie sind bewaffnet, siesind bedroht, und sie sind sehr nervös. Gerade erst habendeutsche ISAF-Soldaten an einer Straßensperre eineFrau und zwei Kinder umgebracht.
Es ist offenkundig: Das Militär ist der falsche Helfer fürdieses Land.
Es erweist sich immer mehr, dass die Zusage einer be-dingungslosen Solidarität mit den USA falsch war undeinen zu hohen Preis hat. Das heißt, die USA verstärkenihre Dominanz in der NATO. Das heißt auch, dass sichDeutschland den amerikanischen Interessen innerhalbder NATO immer mehr beugt. Und das heißt für uns,dass sich Deutschland von diesen US-geleiteten Interes-sen in der NATO endlich emanzipieren muss.
Es ist nämlich nicht richtig, dass die Bündnisverpflich-tungen zwangsläufig dazu führen, dass man militärischtätig werden muss. Es ist jetzt die zentrale Aufgabe derPolitik, eine Exitstrategie zu entwickeln. Die Exitstrate-gie beginnt für uns mit dem Abzug der Bundeswehr ausAfghanistan.
Deutschland sollte sich ausschließlich zivil engagieren.Aufgaben gibt es genug. Der Polizeiaufbau wurde ge-nannt. Dabei hat sich Deutschland wahrlich blamiert.Ein funktionierendes Rechtswesen gibt es in dem Landnicht, aber es wird mit lokalen Kriegsherren zusammen-gearbeitet, um für eine fragwürdige Stabilität zu sorgen.Das muss aufhören; denn es handelt sich bei den Kriegs-hulbNzbMfsbD2llFswgUuKIuwsJsaemkPAesiRdiuwmgwKw
iemand kann hier glaubhaft versichern, dass es einenivilen Aufbau gibt, solange der Alltag von Hungertodestimmt wird, die Müttersterblichkeit derart hoch ist, esädchenhandel gibt, Selbsttötungen von Witwen statt-inden und die Armut immer mehr wächst. All das hatich, seit die ISAF ihr „Zivillabel“ trägt, in den Le-ensalltag der Bevölkerung eingebrannt. 3,5 Milliardenollar wurden bisher für das Militär ausgegeben. Bis010 soll es lediglich 1 Milliarde Dollar für den Zivi-aufbau sein.Das alles ist die Wirklichkeit, während Sie von Stabi-ität reden. In Afghanistan kann von demokratischenreiheiten keine Rede sein. Eine belastbare soziale Infra-truktur ist nicht entstanden. Die Hilfsgelder sind – dasissen Sie ganz genau – in dunkle Kanäle geflossen oderleich wieder an die Geberländer zurückgeflossen. DieSA haben Karzai mithilfe des Petersberger Prozessesnter Rot-Grün installiert. Und für was steht diesearzai-Regierung? Sie steht für Korruption.
ch frage: Geht es der NATO denn überhaupt wirklichm die Selbstbestimmung Afghanistans? Wenn dem soäre, dann würde – das schlussfolgern wir – alle politi-che und diplomatische Kraft darauf verwandt, Friedens-irgas ins Leben zu rufen, die demokratischen Kräfte zutärken, ein funktionierendes Rechts- und Polizeiwesenufzubauen und Frauen gemäß der UN-Resolution 1325ine zentrale Stellung beim Aufbau des Staates einzuräu-en.Angesichts all der zunehmenden Sicherheitsproblemeann nur gesagt werden: Mehr Militär bedeutet in derraxis mehr Unsicherheit und mehr Gewalt.
fghanistan braucht dringend einen Friedensprozess undine politische Konfliktlösung. Die Anrainerstaaten müs-en in diesen Friedensplan einbezogen werden. Das sindn unseren Augen Pakistan, Iran, Indien, China undussland. Es muss – ja, auch das – mit den Taliban gere-et werden; aber es darf ihnen auf gar keinen Fall Machtn einer Regierung eingeräumt werden. Afghaninnennd Afghanen wollen nicht von den Taliban terrorisierterden. Aber sie wissen und sie sagen, dass sie selberit ihnen fertig werden müssen. Denn sie haben eineselernt: Solange der Krieg gegen Terror geführt wird,erden die Taliban, werden die fundamentalistischenräfte erstarken. Das widerspricht aller Zivilpolitik, dieir hier im Deutschen Bundestag zu vertreten haben.
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Monika KnocheWohin Militär und Kriegslogik führen, sieht man inAfghanistan. Deshalb sagen wir – das zum Schluss nochzu Ihnen, Herr Steinmeier –: Natürlich soll Deutschlandsich nicht am ausgeweiteten Antiterrorkampf beteiligen.Doch eines funktioniert nicht: Sie wollen die ISAF zurStabilisierungstruppe hochstilisieren und Zustimmungerreichen, indem Sie die ohnehin zurzeit nicht vorhan-dene deutsche Beteiligung an OEF-Operationen inAfghanistan infrage stellen. Im Klartext heißt das: mehrfür ISAF. Aber keine OEF? Dahinter ist ein dickes Fra-gezeichen zu setzen; denn wie man hört, operiert dasKSK im Rahmen der ISAF in Afghanistan. Wem wollenSie hier erzählen, dass Sie einen Ausstieg aus dem Anti-terrorkampf vornehmen wollen? Das ist einfach nichtrichtig, und nicht legitim, das vor dem Deutschen Bun-destag zu vertreten.
Was also ist von all dem zu halten, was insbesondereSie, Herr Steinmeier, heute noch einmal gesagt haben?Ich meine, davon ist nichts zu halten. Ich plädiere dafür,dass die deutsche Politik einen Richtungswechsel voll-zieht, dass sie jetzt einen ernsthaften Exitplan entwickelt,dass sie alle Kraft darauf verwendet, mit den friedlichenund demokratischen Kräften in Afghanistan zusammen-zuarbeiten, –
Frau Kollegin.
– dass sie mit allen diplomatischen Mitteln für einen
Friedensplan wirbt und dass sie endlich von der falschen
Logik abrückt, immer mehr Militär dorthin zu schicken.
Nächste Rednerin ist die Kollegin Kerstin Müller,Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.Kerstin Müller (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN):Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Keine Frage, Frau Knoche, die Sicherheitslage in Afgha-nistan hat sich verschärft – auch im Norden, auch imdeutschen Verantwortungsbereich. Da gibt es nichts zubeschönigen. Aber die Frage ist: Was folgt daraus? Wasist die Konsequenz? Ich sage hier sehr deutlich – dassteht für mich und meine Fraktion fest –: Ein Sofortab-zug, so wie Sie ihn hier noch einmal gefordert haben,wird keine Friedens-Jirgas zur Folge haben, wie Sie diesgeschildert haben, sondern bedeutet im Norden den Aus-bruch eines Bürgerkrieges und im Süden die Rückkehrder Taliban. Das finde ich unverantwortlich.DamdKnznrTKelDIu–RKtpsdiSSidsidevcAHmfmms
as ist vor allen Dingen gegenüber den Afghanen unver-ntwortlich. Sie finden deshalb in Afghanistan kaum je-anden, der den Abzug der internationalen Truppen for-ert.Noch etwas: Es sind vor allem die demokratischenräfte, die Vertreterinnen von Frauenorganisationen, de-en die Angst in den Augen steht, wenn das Thema Ab-ug angesprochen wird. Es ist klar, warum. Sie müssenämlich um ihr Leben fürchten, wenn die Taliban zu-ückkehren.
Ich möchte an Folgendes erinnern: Es ist erst ein paarage her, da wurde die ranghöchste Polizistin im Bezirkandahar von den Taliban ermordet. Warum? Weil sieine Frau ist und weil Frauen nach der Ideologie der Ta-iban im öffentlichen Leben nichts zu suchen haben.iesen Frauen müssen Sie erklären, warum es in ihremnteresse sein soll, dass wir sofort abziehen und Chaosnd Terror hinterlassen.
Allerdings sind es gerade die fortschrittlichen Kräfte das können sicherlich viele von denen bestätigen, dieeisen nach Afghanistan gemacht haben –, die massiveritik an der Karzai-Regierung äußern und von der in-ernationalen Gemeinschaft enttäuscht sind. Sie sind em-ört über Kollaborationen mit den alten Warlords; sieind enttäuscht, dass von den Aufbaumitteln in Milliar-enhöhe immer noch viel zu wenig vor Ort ankommt.Meine Damen und Herren von der Bundesregierung,ch glaube, dass es angesichts der sich verschärfendenicherheitslage einerseits und der extrem schlechtentimmungslage in der Bevölkerung andererseits wichtigst, endlich einen Kurswechsel einzuleiten. Wenn manas nicht tut, dann – so befürchte ich – wird dieser Ein-atz scheitern, und das wollen wir alle hier nicht.
Ganz zentral ist dabei, dass endlich mit den Partnernn der NATO, vor allen Dingen mit den Amerikanern,arüber geredet wird, dass der Antiterroreinsatz OEF be-ndet wird. Es reicht nicht, dass in den NATO-Papierenon einer „comprehensive“, also von einer ganzheitli-hen Strategie die Rede ist, wenn sich in der Realität derfghanen nichts ändert. Es reicht auch nicht, dass Sie,err Außenminister, der OEF keine KSK-Einheitenehr zur Verfügung stellen wollen. Das war zwar über-ällig, ist aber leider halbherzig; denn damit hat man im-er noch nicht den strategischen Dissens geklärt, derit den Partnern im Bündnis besteht.
Die Amerikaner setzen vor allen Dingen auf aggres-ive Gegnerbekämpfung. Das heizt die Gewaltspirale an
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Kerstin Müller
und hat viele zivile Opfer zur Folge. Ich möchte an einenBericht von Human Rights Watch erinnern; er ist imSeptember erschienen. Darin wird aufgezeigt, dass sichdie Zahl der Zivilopfer verdreifacht hat, vor allen Din-gen durch ungeplante Luftangriffe. Laut UNAMA gabes noch nie so viele Opfer wie im August dieses Jahres.Das hat, auch wenn 90 Prozent der Anschläge im Südenund Osten passieren, eine verheerende delegitimierendeWirkung auf den gesamten Afghanistan-Einsatz. Dieswird auch im Norden wahrgenommen; die Menschendiskutieren darüber. Auch die Menschen in Afghanistanwollen einen Strategiewechsel und nicht, dass das Ganzenach Pakistan ausgeweitet wird. Daher brauchen wirendlich diesen Kurswechsel.
Allein ISAF muss sich darauf konzentrieren, den Schutzder afghanischen Bevölkerung und den Wiederaufbau zusichern.Das Problem ist: Sie sind sich in der Koalition leidernicht so richtig über die Linie einig. Wir haben geradeHerrn Ramsauer gehört. Er will eine Exitstrategie, meintdamit aber keine Befristung. Was damit gemeint ist, ver-stehen nur die Bayern.
Ich habe es nicht verstanden.Herr von Klaeden fordert dagegen mehr Soldaten.Der Außenminister will die KSK zurückziehen. Der Ver-teidigungsminister hingegen fordert AWACS. Und dieBundeskanzlerin schweigt. Ich fordere die Bundeskanz-lerin auf, das Chaos in der Koalition in Sachen Afgha-nistan zu beseitigen und offensiv gegenüber den Verbün-deten und der Öffentlichkeit für den notwendigenKurswechsel einzutreten.
Statt AWACS und noch mehr Soldaten einzusetzen,muss der zivile Wiederaufbau endlich absolute Prioritäterhalten; sonst verschärft sich die Schieflage zwischenmilitärischem und zivilem Beitrag weiter. Da reicht esnicht, die zivilen Ausgaben leicht zu erhöhen. Entwick-lungsorganisationen wie VENRO und Caritas haben esnoch einmal dargelegt: Eine massive Aufstockung derMittel ist erforderlich, um eine nachhaltige Entwicklungin Afghanistan zu erreichen. Wir fordern zudem, dassauch das deutsche zivile Engagement in das Mandat auf-genommen wird. Übrigens sind wir uns hier mit demDeutschen Bundeswehr-Verband einig, der diese Forde-rung heute auch aufgestellt hat.Wenn wir das Ganze zum Erfolg führen wollen, mussdie Devise also lauten: Nicht kleckern, sondern klotzen.Wenn es uns nicht gelingt, die Herzen der Afghanen zugewinnen, dann, befürchte ich, wird der Einsatz schei-tern. Wir sollten alles versuchen, um das zu verhindern.
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– Herr Kollege Nachtwei, ich finde es äußerst ange-nehm, in dieser Debatte die große Kollegialität vonjenen zu spüren, die sich intensiv mit Afghanistan be-schäftigt haben. Denn deren Meinungen und Einschät-zungen weisen eine unwahrscheinlich große Schnitt-menge auf. Deswegen sollte man weiter daran arbeiten.Mein Bemühen ist, die Opposition an unsere Seite zu be-kommen, weil es wirklich absolut schädlich wäre, wennes in dieser Frage eine Polarisierung gäbe.Die Herausforderung besteht darin, dass wir mit einerstärkeren Verbindlichkeit und größerer Effektivität indiesen zivilen Aufbau einsteigen und dass wir die Bevöl-kerung stärker einbeziehen – wie zum Beispiel die Kana-dmdwwz–nZnbscdvAgldsFskdnuwsEudksnEsM
urückgehaltene Informationen tragen zu Missverständ-issen und Unsicherheit in der deutschen Bevölkerungei. Wir sollten mit der Afghanistan-Politik nicht deut-che Innenpolitik, sondern wirklich Außenpolitik ma-hen, eine Außenpolitik, die sich gegenüber der UN unden Afghanen solidarisch verhält.Vielen Dank.
Nächste Rednerin ist die Kollegin Birgit Homburger
on der FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Derußenminister hat vorhin in seiner Einführung deutlichemacht, dass wir heute in erster Lesung über die Ver-ängerung des ISAF-Mandats sprechen. Er hat aber iniesem Zusammenhang auch zwei andere Punkte ange-prochen: die Beteiligung an der Operation Enduringreedom und die Frage der AWACS-Aufklärung.Herr Minister, an dieser Stelle muss ganz deutlich ge-agt werden, dass natürlich darüber gesprochen werdenann, ob das Mandat für 100 KSK-Soldaten im Rahmener Operation Enduring Freedom verlängert wird odericht, zumal diese seit Jahren nicht im Einsatz warennd auch nicht mehr eingesetzt werden sollten; so vielar ja klar. Das wird aber in der Absicht gemacht, zuuggerieren, dass eine Beteiligung an der Operationnduring Freedom in Afghanistan nicht mehr stattfindet.Sie sollten so ehrlich sein, dem Deutschen Bundestagnd der deutschen Öffentlichkeit zu sagen: Wenn es zuer AWACS-Aufklärung, für die Sie sich einsetzen,ommt, wird nicht zwischen ISAF und OEF oder zwi-chen zivil und militärisch unterschieden werden kön-en.
s wird alles umfassen. Das bedeutet, dass man dadurchelbstverständlich am OEF-Mandat beteiligt ist. Herrinister, das sollten Sie in aller Deutlichkeit sagen.
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Birgit Homburger
Wir haben hier und heute viel über den Aufbau ge-hört. Wir haben gehört, dass der Aufbau Fortschrittemacht. Gleichzeitig verschlechtert sich allerdings dieSicherheitslage. Die Gespräche, die ich im Rahmen ei-nes Delegationsbesuchs in der vergangenen Woche inAfghanistan führen konnte, bestärken mich in dem Ein-druck, dass der Fortschritt für die Verschärfung derSicherheitslage ursächlich ist. Die Taliban, die Aufstän-dischen werden dadurch, dass sich die Situation verbes-sert, geradezu herausgefordert, Widerstand zu leisten.Deswegen steigt die Bedrohung für Polizisten, Entwick-lungshelfer, Landarbeiter oder auch Lehrer.Es gibt aber auch ermutigende Zeichen der Zivilcourage.Ein Beispiel aus der letzten Woche: Im Süden Afghanis-tans ist eine Schule mit internationaler Hilfe aufgebautworden. Als die Taliban kamen und diese Schule mitBulldozern niedermachen wollten, hat sich die Bevölke-rung dazwischengestellt und gesagt: Nein, wir wollen,dass diese Schule betrieben wird. – Das zeigt: Die Men-schen wollen den Fortschritt. Wir sollten sie dabei unter-stützen.
Der Erfolg in Afghanistan ist nicht allein mit immermehr Militär zu erreichen; aber die militärische Absi-cherung ist notwendig. Keine Krankenschwester, keinLehrer, kein Entwicklungshelfer kann auf Dauer ohne si-cheres Umfeld arbeiten. Darum brauchen wir die militä-rische Absicherung nach wie vor. Es gibt viele Beispiele.So wurde zum Beispiel versucht, Straßen zu blockieren.Erst nachdem das Militär die Straßen von den Aufständi-schen freigeräumt hatte, konnte UNAMA mit dem Wie-deraufbau weitermachen. Genau diesen Weg müssen wirweitergehen. Dafür brauchen wir schlicht und ergreifendauch das Militär.Frau Kollegin Knoche, ich komme jetzt einmal aufSie zu sprechen. Sie haben gesagt, dass Zivilpersonenums Leben gekommen sind. Das ist in der Tat richtigund bedauerlich. Wir alle haben hier mehrfach deutlichgemacht, dass alles getan werden muss, um Schäden ander Zivilbevölkerung zu vermeiden. Sie aber habensuggeriert, das Militär habe das verursacht. Das stimmtnatürlich in keiner Weise. Es sind deutlich mehr Zivilis-ten durch Selbstmordattentate und Anschläge ums Lebengekommen. Das Militär bedroht die Zivilbevölkerungnicht. Wir alle haben heute ein Schreiben der Gesell-schaft für bedrohte Völker erhalten. Ich zitiere:Nun auf halbem Wege die Mission abzubrechen, istkeine glaubwürdige Alternative, da ohne dieSchutztruppe die Sicherheit der Zivilbevölkerungnicht gewährleistet ist.Dem schließe ich mich an.
Der Ansatz der vernetzten Sicherheit – diesbezüglichformulieren wir eine deutliche Bitte an die Bundesregie-rbMnmUSuWsdfvMoSltdhdzlidesaaemtbwggHvdBasgfTts
Es ist wichtig, dass wir die Zeit, die wir haben – sieäuft uns ein Stück weit davon –, nutzen, um für selbst-ragende Sicherheit zu sorgen. Deswegen sage ich anieser Stelle ganz deutlich: Herr Minister, Sie haben vor-in gesagt, dass die Bundesregierung beschlossen hat,ie Zahl der Polizisten zu erhöhen. Wir stehen diesbe-üglich voll auf Ihrer Seite. Ich möchte aber auch deut-ich machen: 60 deutsche Polizisten wurden zugesagt,m Augenblick sind aber nur 33 vor Ort. Hinzu kommt,ass die meisten dieser Polizisten nicht mit der dringendrforderlichen Polizeiausbildung beschäftigt sind. Sieind im Bereich der strategischen Beratung mit der Aus-rbeitung von Papieren beschäftigt. Das ist eine Fehl-llokation von Ressourcen. Sie haben gesagt, dass Sierkannt haben, dass an dieser Stelle gehandelt werdenuss. Wir möchten Sie bitten, diesen Worten endlich Ta-en folgen zu lassen. Ändern Sie die Struktur der Hilfeeim Polizeiaufbau! Das ist dringend notwendig, damitir Sicherheit in Afghanistan ermöglichen können.Vielen Dank.
Das Wort erhält nun der Bundesminister der Verteidi-ung, Dr. Franz Josef Jung.
Dr. Franz Josef Jung, Bundesminister der Verteidi-ung:Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen underren! Ich denke, angesichts dieser Debatte fragen sichiele Bürgerinnen und Bürger: Warum sind so viele Sol-atinnen und Soldaten der Bundeswehr in Afghanistan?ei all dem, was hier vorgetragen wird, darf meines Er-chtens nicht aus dem Blickfeld geraten, dass die An-chläge des 11. September 2001 in New York von Af-hanistan ausgegangen sind und dass wir in Afghanistanast 30 Millionen Menschen von der Terrorherrschaft deraliban befreit haben, aber auch, dass wir heute eine in-ernationale Bedrohungslage haben und es deshalb we-entlich klüger ist, die Gefahren an der Quelle zu beseiti-
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Bundesminister Dr. Franz Josef Junggen, dort, wo sie entstehen, bevor sie in wesentlichgrößerer Dimension unser eigenes Land erreichen. Des-halb ist der Einsatz unserer Soldatinnen und Soldaten zurStabilisierung in Afghanistan auch ein Beitrag für die Si-cherheit der Bürgerinnen und Bürger in der Bundesrepu-blik Deutschland.
Ich denke, dass unsere Strategie der vernetzten Si-cherheit oder, wie wir es jetzt in der NATO durchgesetzthaben, des Comprehensive Approach, des umfassendenAnsatzes, richtig ist. Ohne Sicherheit keine Entwick-lung, aber ohne Entwicklung auch keine Sicherheit! Wirmüssen die Herzen und die Köpfe der Menschen dort ge-winnen. Das gelingt uns mit unserer Strategie. Ich wargerade in Afghanistan. Wenn Sie beispielsweise vonKunduz nach Faizabad fliegen und die Menschen Ihnenzuwinken und sich freuen, dass die Bundeswehr dort imEinsatz ist, wenn Sie mit dem Gouverneur sprechen,Frau Knoche, der Ihnen sagt, dass 90 Prozent der Bevöl-kerung für den Einsatz der Bundeswehr dankbar sind,dann wird deutlich, dass diese Strategie richtig ist.Frau Knoche, Sie haben hier versucht, den tragischenZwischenfall am Kontrollpunkt politisch zu instrumenta-lisieren. Der Gouverneur hat mir gesagt: Schuld war derFahrer, der mit hoher Geschwindigkeit auf die Gruppezugefahren ist. Hier musste die Schutzfunktion vonsei-ten unserer Soldaten ausgeübt werden. Ich weise IhreUnterstellung mit Nachdruck zurück und unterstütze un-sere Soldaten in diesem schwierigen Einsatz für unsereSicherheit.
Ich denke, unser Einsatz kann sich sehen lassen. Aberunser Ziel – das war ein Punkt, den wir auf dem Gipfelin Bukarest beschlossen haben – ist eine Gesamtstrate-gie; ich habe es Erfolgsstrategie genannt. Das heißt imKlartext: Wir brauchen ausgebildete afghanische Streit-kräfte und Polizisten. Deshalb ist unsere Absicht, dieAusbildung zu verstärken. Wir wollen im nächsten Jahr7 500 afghanische Streitkräfte ausbilden. Wir werdenunseren Einsatz für die Ausbildung der Polizei verdop-peln, weil es letztlich darum geht, Afghanistan in dieLage zu versetzen, selbst für seine Sicherheit zu sorgen,und damit auch eine Erfolgsstrategie, eine Gesamtstrate-gie für Afghanistan umzusetzen.
Lassen Sie mich hinzufügen: Wir haben, denke ich,schon viele Erfolge erreicht. Wir haben allein im NordenAfghanistans 830 Projekte umgesetzt, die Infrastruktur,Energie, Wasserversorgung, Schulen, Kindergärten undKrankenhäuser umfassen. Ich war jetzt in der Amani-Oberschule. Dort können Sie sehen, wie Schülerinnenund Schüler fröhlich zusammen lernen; sie haben eineZukunftsperspektive. Sie müssen doch zur Kenntnisnehmen, Frau Knoche, dass unter den Taliban Mädchenüberhaupt nicht in die Schule durften.1f85gddswSbdeHEuendSsidedASnedkFnzwuD1tssnsPu
Million Kinder war damals in den Schulen; jetzt sindast 7 Millionen Kinder in den Schulen. Wir haben0 Prozent der Gesundheitsversorgung sichergestellt.Millionen Flüchtlinge sind nach Afghanistan zurück-ekehrt. In einer Umfrage haben die Menschen bestätigt,ass sie sich auch und gerade durch unseren Einsatz wie-er sicherer fühlen. Man darf die Erfolge, die durch un-eren Einsatz zur Stabilisierung in Afghanistan erreichtorden sind, nicht verschweigen.
Meine Damen und Herren, unsere Soldatinnen undoldaten absolvieren dort einen riskanten Einsatz, ver-unden mit Gefahren für Leib und Leben. Wir haben iniesem Einsatz bereits 28 Soldaten verloren. Ich denke,s ist wichtig, immer wieder darzustellen, vor welchenerausforderungen die Bundeswehr dort steht. Meinesrachtens kann uns der Einsatz unserer Soldatinnennd Soldaten mit Dankbarkeit erfüllen. Sie sind dort ininer Art und Weise engagiert, dass der Ansatz der ver-etzten Sicherheit umgesetzt und das Ansehen der Bun-esrepublik Deutschland gemehrt wird. Ich bin unserenoldatinnen und Soldaten dankbar für ihren Einsatz, denie im Interesse unserer Sicherheit leisten.
Herr Lafontaine, weil Sie gerade hier sind, sprechech Sie sehr konkret an. In den Gesprächen mit den Sol-aten spüre ich immer wieder, dass sie es geradezu alsine Unverschämtheit empfinden, wenn Sie unsere Sol-atinnen und Soldaten in die Ecke von terroristischenktivitäten rücken. Dies ist eine Beleidigung unsereroldaten und hat meines Erachtens mit der Realitätichts zu tun.
Wegen der mit dem Einsatz verbundenen Gefahren ists notwendig, dass wir alle Voraussetzungen schaffen,amit unsere Soldaten ihren Auftrag dort gut erfüllenönnen. Wir haben mittlerweile über 700 geschützteahrzeuge in Afghanistan, mehr als alle anderen Natio-en dort. Wir haben die Aufklärung verstärkt. Wir habenusätzliche Verstärkungstruppen dorthin geschickt, weilir aufgrund der Verschärfung der Sicherheitslage, dienbestritten eingetreten ist, mehr Flexibilität brauchen.eshalb wollen wir auch die Mandatsobergrenze um000 erhöhen, allerdings nicht, um sofort 1 000 Solda-en mehr dorthin zu schicken, sondern um flexibler zuein, um in der Ausbildung und für eine eventuelle Ver-tärkung zum Schutz unserer Soldaten mehr tun zu kön-en. Auch die Präsidentschaftswahlen im nächsten Jahrollten wir im Blick behalten.Ebenso wichtig ist es aber, dass wir die Situation inakistan im Blick behalten. Ich war gerade in Pakistannd habe dort sowohl mit dem Ministerpräsidenten als
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Bundesminister Dr. Franz Josef Jungauch dem Außenminister, dem Verteidigungsministerund dem Generalstabschef gesprochen. Meines Erach-tens ist es gut und richtig, wenn wir in Kooperation mitPakistan, Afghanistan und der NATO dafür sorgen, dassdie bestehende Situation an der Grenze zwischen Afgha-nistan und Pakistan sicherer wird; denn das Grenzgebietist ein Rückzugsgebiet für die Taliban und dient demNachschub von terroristischen Aktivitäten nach Afgha-nistan. Deshalb ist es richtig, wenn wir hier zu einer Ko-operation kommen, auch im Interesse des Schutzes unse-rer Soldatinnen und Soldaten.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich bitte Sieum Ihre Unterstützung für den Einsatz unserer Soldatin-nen und Soldaten in Afghanistan; denn dieses Land darfnicht zurückfallen und wieder zum Ausbildungscamp fürden Terrorismus werden. Wer heute einen Rückzug pro-pagiert, gefährdet damit auch die Sicherheit unserer Bür-gerinnen und Bürger. Für ihren gefährlichen Einsatz imInteresse unserer Sicherheit haben unsere Soldatinnenund Soldaten eine breite Unterstützung dieses HohenHauses verdient.Haben Sie recht herzlichen Dank.
Winfried Nachtwei ist der nächste Redner für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Istder Aufbau in Afghanistan gescheitert? Wer das behaup-tet, verzerrt die Wirklichkeit in Afghanistan.
Diejenigen, die in Masar, in Herat, in Kundus und an an-deren Stellen in Afghanistan waren, haben es erlebt: Esgeht einiges voran; das ist unbestreitbar. Wer einen So-fortabzug fordert, setzt diese Fortschritte aufs Spiel undfordert de facto einen Rückfall Afghanistans in die frü-hen 90er-Jahre, in den Bürgerkrieg.
Der Aufbau verläuft jedoch viel zu langsam. Er findetviel zu wenig in der Fläche – auf dem Land – statt, undist auch angesichts des rasanten Bevölkerungswachs-tums viel zu schwach. Außerdem ist er aufgrund der im-mer schlechteren Sicherheitslage akut gefährdet.Im Süden und im Osten des Landes sind inzwischeneinige Zehntausend Soldaten im Einsatz. Dennoch hatdie Zahl der Zusammenstöße und Anschläge zugenom-men; in vielen Distrikten herrscht eine Situation, die ei-nem asymmetrischen Krieg gleicht. Im Norden und imWsgglnhOekhdvgiDuBltasdthhivsedzdmgwR–AfsHuVedLgdl
Was tut die Bundesregierung? Ich sage ausdrücklich:ie Verlängerung des ISAF-Mandats ist richtig undnverzichtbar. Die Aufstockung der Obergrenze desundeswehrkontingents ist im Hinblick auf die Flexibi-ität, die Wahlen und die Ausbildungsunterstützung mili-ärisch plausibel. Wie wir wissen, führt das Militärischellein aber nicht zum Erfolg. Daher frage ich: Was ge-chieht darüber hinaus? Was das Afghanistan-Konzepter Bundesregierung angeht, muss ich sagen: Nachjus-ieren reicht nicht aus. In diesem Konzept wird lediglichier und da nachjustiert. Insgesamt setzen Sie aber Ihrealbherzige Afghanistan-Politik fort. „Halbherzigkeit“st übrigens ein Begriff, den die Einsatzkräfte vor Orterwendet haben, nicht etwa ein Wortgebilde der Oppo-ition.Wo ist nach sieben Jahren Afghanistan-Engagementine ehrliche und ungeschönte Bestandsaufnahme? Anieser Stelle schließe ich die Fehler und Fehleinschät-ungen, zu denen es unter Rot-Grün gekommen ist undie wir mitverantworten müssen, ausdrücklich ein. Wennan in der Afghanistan-Politik Glaubwürdigkeit zurück-ewinnen will, dann muss man schließlich auch sagen,o man sich selbst geirrt hat.
Wo ist der regionale Stabilisierungsansatz, in dessenahmen nicht nur Pakistan – davon war gerade die Rede, sondern auch Indien, Iran und die zentralasiatischennrainer einbezogen werden? Wo ist die Klärung desaktischen strategischen Dissenses zwischen den ver-chiedenen Teilnehmerstaaten der NATO? Wo sind iminblick auf das deutsche Engagement die realistischennd ehrgeizigen Ziele, durch die Perspektiven für dieerantwortungsübergabe im Sicherheitsbereich und fürinen Abzug in absehbarer Zeit eröffnet werden? Wo istie Aufbauoffensive – hier spielt die Förderung derandwirtschaft eine große Rolle –, und wo ist eine aus-ewogene zivil-militärische Zusammenarbeit?Afghanistan braucht einen langen Atem. Kai Eide undie ISAF-Generale haben betont, dass uns die Zeit weg-äuft. Die meisten hier im Saal sind sich einig: Wir wol-
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Winfried Nachtweilen die Menschen in Afghanistan nach 30 Jahren Kriegnicht im Stich lassen. Aber eine Politik, die den Ernst derLage nicht erkennen lässt, untergräbt den Sinn diesesEinsatzes und den Sinn des Engagements der vielen fan-tastischen Leute, die vor Ort im Einsatz sind: der Diplo-maten, der Soldaten, der Polizisten und der Entwick-lungshelfer.Danke schön.
Die Kollegin Ursula Mogg hat nun das Wort für die
SPD-Fraktion.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir diskutierenheute in erster Lesung über die Fortsetzung unseresISAF-Mandats, und ich denke, wir haben jeden Grund,das mit großer Ernsthaftigkeit zu tun. Die Präsenz heuteim Plenum des Deutschen Bundestages ist für mich einBeleg dafür, dass Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen,dies auch so sehen.Ich hatte in der vergangenen Woche die Gelegenheit,mich vor Ort in Afghanistan zu informieren und vieleGespräche zu führen. Deshalb ist es mir ein besonderesBedürfnis, zu Beginn meines Beitrages diese Ernsthaf-tigkeit und all die Fragen anzusprechen, um die es immilitärischen und sicherheitspolitischen Bereich im Kerngeht. Ich will auch noch einmal darauf hinweisen, wa-rum wir in Afghanistan sind. Ich habe nämlich in vielenDebatten den Eindruck gewonnen, dass in der Öffent-lichkeit in Vergessenheit geraten ist, weshalb wir inAfghanistan sind. Wir sind in Afghanistan, weil durchdie Ereignisse am 11. September 2001 all unsere sicher-heitspolitischen Vorstellungen, die wir bis dahin hatten,auf den Kopf gestellt wurden.Wir diskutieren über diese Fragen auf der Basis einesUN-Mandats, das gerade wieder verlängert worden ist.Wir beziehen uns auf ein Konzept, das mit dem NamenPetersberg verbunden ist, wir beziehen uns auf denAfghanistan Compact und auf die Konferenz in Paris. Esist mir auch ein Anliegen, darauf hinzuweisen, dass be-reits in dem Namen dieses Mandats, ISAF, enthalten ist,dass es um „Assistance“ geht, um die Unterstützung derafghanischen Bevölkerung. Es handelt sich also nichtum einen Anspruch, militärisch vorzugehen. Dass einlanger Atem für diesen Einsatz gebraucht wird, habenviele Vorredner bereits angesprochen. Ich erinnere michnoch sehr gut an Präsident Karzai in Bukarest, wo er mitBlick darauf, dass Afghanistan kein Failed State, son-dern ein Destroyed State ist, ebenfalls einen langenAtem gefordert hat.Wir beraten heute über 1 000 zusätzliche Soldaten fürdieses Mandat. In den Debatten, die wir führen, wird im-mer wieder die Frage gestellt, ob die Aufstockung einewmdSwsnsgcdWbPdwtgUictntAFhidiAuwwMadhuEFwnwggPVFg
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Das ist eine grobe Missachtung der ersten Gewalt, undich bitte den Herrn Bundestagspräsidenten, dies gegenü-ber der zweiten Gewalt mit der gebotenen Deutlichkeitzu rügen.Seit sieben Jahren hören wir an dieser Stelle immerdieselben Argumente, wenn es um den Bundeswehrein-satz in Afghanistan geht. Gemessen daran müsste es dortinzwischen blühende Landschaften, eine sich selbst tra-gende Wirtschaft und eine afghanische Bevölkerung ge-ben, die sicher leben kann und deren materielle Grund-bedürfnisse gedeckt sind. Die Realität sieht – das wissenwMDdcviA2ssdIZnwslngirwmawimEaüeIgBdusuafgFzdWMbn
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Ich will feststellen: Der Verlauf der Debatte ist ein Er-gebnis vieler Beratungen in den Ausschüssen und imDeutschen Bundestag. Es gab wohl noch kein Thema,über das alle Fraktionen so ausführlich und mit so großerÜbereinstimmung in den Ausschüssen debattiert haben.Das gilt auch im Hinblick auf die Opposition, dieGrünen und die FDP. Wir haben die Argumente im Aus-schuss ausgetauscht, insbesondere die kritischen Argu-mente, die zum Einsatz in Afghanistan vorgetragenwurden. Ich finde, das ist eine hervorragende Ausgangs-situation für unsere Soldatinnen und Soldaten in Afgha-nistan. Sie können sicher sein, dass hier zu weit über90 Prozent Übereinstimmung über ihren Einsatz undihre schwere Mission besteht.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, es hat sichsicher einiges getan, was die Sicherheit anbelangt, aberman darf nicht pauschal urteilen. Die Zahl der An-schläge im ganzen Land hat insgesamt zugenommen,wobei die Zahl der Anschläge im Süden des Landes um40 Prozent zugenommen hat, im Norden aber, wo wirVsidssEDgTmnrbA1uTgdiagaesdddugwfnmaüzvsbmSasPmwsniAEndh
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Wenn wir über Exitstrategie reden, dann hoffe ich nicht,dass manche meinen, dass wir unsere zivilen Anstren-gungen beenden. Zivile Anstrengungen sind aber nurdann möglich, wenn sie in einem sicheren Umfeld erfol-gen. Nur dann können zivile Projekte vermehrt durchge-führt werden.Ein Schwerpunkt der Debatte betraf den Strategie-wechsel und die Minimierung des Risikos für unsereSoldaten. Es geht, sehr verehrter Herr Verteidigungs-minister, um eine bessere und vielleicht noch stärkereAufklärung, insbesondere im Norden. Diese Komponenteist nur langsam verstärkt worden. Aber wer die Sprengfal-len und Anschläge beklagt, der muss auch sehen, dassdiese durch eine verstärkte Aufklärung möglicherweiseverhindert werden können. Wir haben hier sehr viel getan.In diesem Bereich sind inzwischen 40, 50 Soldaten alsAufklärer tätig; aber das ist noch viel zu wenig.Wir sollten uns nicht dem Druck des Terrors beugenoder uns durch Wahlen den klaren Blick trüben lassenund auf halbem Weg umkehren. Unser Fazit muss viel-mehr sein, dass der Terror bekämpft werden muss. Vondort gingen alle Anschläge, die im Westen erfolgt sind,aus; dadurch sind die meisten Todesopfer zu beklagen.Ich bin der Meinung, es war noch nie so wichtig wieheute, diese Brutstätten des Terrors zu bekämpfen.Afghanistan muss unsere ganze Solidarität spüren. MitSchlagworten wie „Exitstrategie“ oder „Nichtbeteili-gung“ ist niemandem geholfen.Herzlichen Dank.
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
der Drucksache 16/10473 an die in der Tagesordnung
aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Der Entschlie-
ßungsantrag auf der Drucksache 16/10479 soll an diesel-
ben Ausschüsse, jedoch nicht an den Haushaltsausschuss
überwiesen werden. Sind Sie damit einverstanden? –
Das ist offensichtlich der Fall. Dann sind die Überwei-
sungen so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf:
Abgabe einer Regierungserklärung durch die
Bundeskanzlerin zur Lage auf den Finanz-
märkten
Interfraktionell ist vereinbart worden, dass die Aus-
sprache im Anschluss an die Regierungserklärung an-
derthalb Stunden dauern soll. – Ich höre hierzu keinen
Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung hat
die Frau Bundeskanzlerin.
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Lageuf den internationalen Finanzmärkten ist ernst. Sie ist inieser Form noch nie da gewesen. Sie stellt vieles, wasls selbstverständlich galt, infrage. Sie bestätigt man-hes, was mit Gier, verantwortungsloser Spekulationnd Missmanagement im Finanzsektor verbunden wird.
Heute ist nicht die Stunde, die Lage schwarzzumalen.ber es ist wahrlich auch nicht die Stunde, die Lagechönzureden. Es ist die Stunde, zweierlei zu schaffen:um einen sehr kurzfristig zu denken, zu bewerten undann zu entscheiden, also klassisches Krisenmanage-ent zu leisten, wie es die Bundesregierung zum Bei-piel mit dem Rettungsplan für die Hypo Real Estate ge-acht hat und macht und wozu wir auch weiter jederzeitereit sein müssen. Zum anderen ist es die Stunde, überen Tag hinaus zu denken, zu bewerten und zu entschei-en, das heißt, eine neue Systematik für das Zusammen-irken aller im Finanzsektor Tätigen zu entwickeln, alsoine Zukunftsperspektive zu gestalten und präventiv zuandeln.Beides, das klassische Krisenmanagement von Tag zuag wie auch die Entwicklung der Zukunftsperspektiveber den Tag hinaus, macht die Bundesregierung. Ichöchte mich bei denen im Parlament, die dabei hilfreichind, für die Unterstützung bedanken und auch für deneist, in dem wir die Unterrichtung der Fraktionen bis-er vorgenommen haben.Meine Damen und Herren, was stand am Anfang? Inen USA wurden über Jahre hinweg in unverantwortli-her Weise Immobilienkredite an Bankkunden vergeben,ei denen keine Aussicht auf normale Rückzahlung desarlehens bestand. Alle Beteiligten verließen sich auftändig steigende Immobilienpreise und niedrige Zinsen.ie Risiken aus diesen Krediten wurden weiterverkauft,eu verpackt, weltweit gestreut und waren damit dereim der weltweiten Finanzmarktkrise. Traditionsreichenvestmentbanken mit klangvollen Namen sind in denSA von einem auf den anderen Tag vom Markt ver-chwunden. Aus der amerikanischen Immobilienkredit-rise ist inzwischen eine globale Finanzmarktkrise ge-orden. Das Vertrauen – die wichtigste Währung derinanzmärkte – ist verloren gegangen. Die Banken miss-rauen sich gegenseitig und gewähren sich kaum nochredite. Angesichts der besonders engen Verflechtunger Akteure im Finanzbereich sind inzwischen auch so-ide Institute von der Finanzmarktkrise betroffen, undeutschland ist davon nicht ausgenommen.In dieser Situation ist es von entscheidender Bedeu-ung, das Vertrauen in die Funktionsfähigkeit der Fi-anzmärkte schnell und entschlossen zurückzugewin-en.
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19322 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 181. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 7. Oktober 2008
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Bundeskanzlerin Dr. Angela MerkelDazu sind kurzfristige Maßnahmen notwendig. Wo-rum geht es bei diesen kurzfristigen Maßnahmen?Erstens ging es in Deutschland darum, die Hypo RealEstate in einer akuten Notlage zu retten. Nichts zu tun,hätte nicht nur für den Pfandbriefmarkt, sondern auch inviel tieferer Weise unabsehbare Schäden gehabt. AlleFachleute haben uns gesagt, dass dies ein „systemischesRisiko“, wie man das in der Fachsprache nennt, hervor-rufen würde. Deshalb haben private Banken und vor al-lem die Bundesregierung eine Bürgschaft zur Verfügunggestellt. Ich möchte mich bei dieser Gelegenheit beimHaushaltsausschuss bedanken, der das Ganze sehr gutbegleitet hat. Ich will allerdings noch darauf hinweisen,dass wir im Zusammenhang mit dieser Bürgschaft auchdarauf Wert gelegt haben, dass dafür ein Entgelt genom-men werden kann. Das heißt, dass dieses Institut dasGeld nicht einfach umsonst vom Staat bekommt.
Es ging also darum, den Liquiditätsbedarf der HRE zudecken. Als am Wochenende noch einmal bislang unbe-kannte Liquiditätsbedarfe aufgetreten sind, mussten wirNeuverhandlungen beginnen, die allerdings so endenkonnten, dass der Bürgschaftsrahmen, der in der vergan-genen Woche gegeben wurde, nicht überschritten wer-den musste. Das ist gelungen, weil die Bundesbank da-bei sehr hilfreich war.
Meine Damen und Herren, wir haben dann darauf ge-drungen – wieder zusammen mit anderen –, dass dasManagement der HRE ausgewechselt wird.
Das ist heute geschehen. Wir glauben, dass das die not-wendige Voraussetzung dafür ist, dass wieder Vertrauenin dieses Institut entstehen kann. Wir setzen darauf, dassdas auch gelingt.Ich will an dieser Stelle darauf hinweisen: Wir habenheute im Kabinett darüber gesprochen, dass es inDeutschland sehr wohl rechtliche Grundlagen gibt, umManager und Aufsichtsräte in die Haftung zu nehmen.Wir stellen allerdings fest, dass diese gesetzlichen Rege-lungen so gut wie nicht genutzt werden. Ich glaube, wiralle sollten darauf schauen, wie wir es dazu bringen kön-nen, dass sie besser genutzt werden, oder wie wir Ge-setze so ändern, dass sie genutzt werden. Auch das halteich für absolut zwingend.
Wir haben zweitens im akuten Krisenmanagement amSamstag ein Treffen der europäischen Mitglieder derG-8-Gruppe mit dem EZB-Präsidenten und Jean-ClaudeJuncker gehabt. Wir haben dabei die Übereinstimmunggefunden, dass die Europäische Zentralbank Liquiditätin ausreichendem Maße zur Verfügung stellt. Das ist indiesen Zeiten ausgesprochen wichtig.dSDkWzsTnsddmnBnsnuzimwnWu2jiDmsvkrsnhmgDgrvg
as ist eine der wichtigsten Maßnahmen für unsere Ban-institute gerade auch in Deutschland.
ir haben im Augenblick keinen fairen Wettbewerbwischen dem amerikanischen Bereich und dem europäi-chen. Es wird jetzt darum gehen – denn es geht hier umage und nicht um Monate –, dass wir nicht über dasormale Rechtsetzungsverfahren – Richtlinie, Europäi-ches Parlament, nationale Umsetzung – vorgehen, son-ern einen Weg finden, dass die europäischen Staatenies schnell anwenden können. Ich danke dem Finanz-inister, dass er die Bemühungen hierfür bereits begon-en hat.
Viertens wissen wir, dass wir in einem europäischeninnenmarkt agieren. Natürlich stellt sich die Frage, wieationale Aktionen mit europäischen zu verzahnenind. Dazu will ich sagen, welche Wege aus meiner Sichticht geeignet sind. Nicht geeignet ist der irische Weg,nabgestimmt eigene Bankinstitute unter einen Schirmu stellen, andere internationale Institute, die auch langen Irland Steuern gezahlt haben, nicht in diesen Schirmiteinzubeziehen und damit natürlich Wettbewerbsver-erfungen hervorzurufen, die aus meiner Sicht im Bin-enmarkt nicht akzeptabel sind.
Ein aus deutscher Sicht ebenfalls nicht akzeptablereg ist, dass 27 Mitgliedstaaten einen Schirm spannennd alle in einen Fonds einzahlen, um dann mit7 Staaten das entsprechende Krisenmanagement in deneweiligen Mitgliedstaaten zu betreiben. Ich glaube, dasst der Fähigkeit zu schnellen Aktionen nicht zuträglich.eshalb lehnen wir diesen Weg ab.
Wir brauchen aber natürlich ein kohärentes, ein ge-einsames Vorgehen. Deshalb war es eine wichtige Bot-chaft des Ecofin-Rates, dass sich alle Mitgliedstaatenerpflichten, Finanzinstitutionen, die systemische Risi-en hervorrufen können, wenn sie in eine Schieflage ge-aten, im jeweiligen Mitgliedstaat und darüber hinaus zutützen. Darauf müssen wir uns in Europa verlassen kön-en. Deshalb haben wir das bei der HRE gemacht, des-alb haben Frankreich und Belgien das bei der Dexia ge-acht, deshalb haben die Beneluxländer das bei Fortisemacht; ich könnte auch britische Beispiele aufzählen.as ist Verlässlichkeit in Europa, die wir natürlich drin-end brauchen.Fünftens. Im Zusammenhang mit dem Treffen in Pa-is hat die Kommission erklärt, dass sie in den Beihilfe-erfahren – zum Beispiel, wenn Landesbanken Stützun-en erhalten – die Spielräume voll und flexibel
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Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkelausschöpfen will. Ich glaube, das ist in diesem Zusam-menhang ein ganz wichtiges Signal.
All diese Maßnahmen dienen nicht etwa der Rettungvon Institutionen als Selbstzweck – deshalb gibt es keineBlankoschecks – oder dem Schutz von Managern, dieFehlleistungen erbracht haben. Nein, alle diese Maßnah-men dienen dem Funktionieren unserer Wirtschaft undvor allen Dingen den Bürgerinnen und Bürgern in unse-rem Land.
Dazu gehört auch die am Sonntag vom Bundesfinanz-minister und mir abgegebene Erklärung im Namen derBundesregierung, dass kein Sparer um seine Einlagenfürchten muss. Ich sage hier noch einmal: Diese Erklä-rung gilt.
Es geht um nicht mehr und nicht weniger als um dasVertrauen in unsere Wirtschafts- und Gesellschaftsord-nung. Die soziale Marktwirtschaft – das ist meine festeÜberzeugung – ist das beste Wirtschafts- und Sozialmo-dell, das es gibt.
Wie jede Krise bietet auch diese Krise des Finanzsektorseine Chance. Sie bietet die Chance, dass alle innerhalbund außerhalb Deutschlands die internationale Dimen-sion der sozialen Marktwirtschaft erkennen, verstehenlernen und den Anspruch erheben, sie gestalten zu wol-len. Dafür haben wir während unserer G-8-Präsident-schaft, konkret beim Gipfel in Heiligendamm, gekämpft.Damals – das muss man im Rückblick sagen – war esvergebens; jetzt erkennt aber eigentlich auch der Letzte,wie nötig es schon damals gewesen wäre, Vorschläge zuunterbreiten und Maßnahmen zu treffen. Deshalb sinddie gleichen Vorschläge – natürlich ausgeweitet – Teilder Langfriststrategie der Bundesregierung für die Ge-staltung der sozialen Marktwirtschaft in ihrer internatio-nalen Dimension.Wir wissen – deshalb können wir hier nicht nur natio-nal handeln –, dass dafür ein abgestimmtes europäischesund internationales Handeln erforderlich ist. Dies habenwir immer wieder betont, zum Beispiel bei der Transpa-renzinitiative, vertreten durch die Finanzminister sowiedie Staats- und Regierungschefs.Wir haben im September mit dem französischenStaatspräsidenten in einer gemeinsamen ErklärungDeutschlands und Frankreichs alle europäischen und in-ternationalen Positionen zur Lösung der Probleme fest-geklopft und sie dann in einem Treffen mit dem briti-schen Premierminister und dem italienischenMinisterpräsidenten konkretisiert.Wir haben uns für Maßnahmen im internationalen Be-reich eingesetzt. Dabei berufen wir uns in besondererWaFmwcmRwwTu2ni–czvrBAznrirfsFaDsnwzsnedf
Eine Ursache der Krise war, dass Kredite vergebenurden, die erst nach Jahren fällig waren. Die Bonus-ahlungen wurden aber bereits nach einem Jahr ausge-chüttet, ohne dass man wusste, ob für dieses Produktach seiner Bewährungsprobe überhaupt eine Zahlungingeht. Das ist ein Unding und darf so nicht sein.
Daraus resultiert, dass für die Vergütung der Managerer langfristige Unternehmenserfolg und nicht die Kurz-riststrategie das entscheidende Kriterium sein sollte.
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Bundeskanzlerin Dr. Angela MerkelIch bin zuversichtlich, dass durch die Umsetzung derEmpfehlung des Forums, die Vorschläge der Europäi-schen Union und das Setzen richtiger Anreizstrukturendie Grundlage dafür geschaffen wird, dass eine ver-gleichbare Krise in Zukunft nicht mehr entstehen kann.Das heißt, dass wir eine Architektur bekommen, in dersich solche Fehler verbieten.Wir müssen in dieser Situation kritisch hinterfragen,ob die Bankenaufsicht ihren Aufgaben gerecht gewor-den ist.
Wir brauchen eine vorausschauende Aufsicht, die sichaufbauende Fehlentwicklungen rechtzeitig erkennt unddie dann auch handelt. Dafür müssen Strukturen über-prüft und gegebenenfalls verbessert werden.
Das gilt für den nationalen Bereich, aber natürlich auchfür den europäischen und für den internationalen Be-reich.
Deshalb wird die Bundesregierung überlegen – in Bezugauf die nationale Ebene –, ob das Zusammenspiel zwi-schen BaFin und Bundesbank noch effizienter gestaltetwerden kann. Es muss auch sichergestellt werden, dassdie internen Entscheidungsstrukturen schnelle Reaktio-nen möglich machen. Wir sollten an dieser Stelle keineSchnellschüsse machen, aber wir sollten konsequent andieser Frage arbeiten.
Meine Damen und Herren, diese Krise bietet dieChance, besser zu verstehen, dass auf der einen SeiteFreiheit und auf der anderen Seite Ordnung keineGegensätze sind, sondern dass sie in der sozialen Markt-wirtschaft zusammengehören. Wir wollen die mensch-liche soziale Marktwirtschaft. Das ist eine Marktwirt-schaft, die dem Menschen und dem Einzelnen dient.Es gibt wahrlich nichts zu beschönigen. Dafür bietetdie Lage keinen Anlass. Die langfristigen Auswirkun-gen der Finanzmarktkrise sind heute noch nicht abseh-bar. Das gilt auch für die Auswirkungen auf unserWachstum und unser Land. Wir sind eine exportorien-tierte Wirtschaft. Wir müssen uns mit gestiegenen Ener-gie- und Nahrungsmittelpreisen auseinandersetzen.Ich sage in dieser schwierigen Stunde aber auch:Deutschland ist stark.
Deutschland hat sich in den letzten Jahren sehr gut auf-gestellt. Daran haben viele mitgewirkt. Deutschland istfür den globalen Wettbewerb gerüstet. Ich bin der festenÜberzeugung, dass uns das helfen wird, die Folgen derFmfdsäRBgldaDszsehDusBSDOzAdwDHdmadknez
Ich sage ausdrücklich: Gerade in dieser Situation wer-en wir diesen Weg konsequent fortsetzen. Es wäre dasllerfalscheste Signal, jetzt von dem Kurs abzuweichen.as Ziel ist, Vertrauen zurückzugeben, Vertrauen zutärken; denn Vertrauen, das ist die Währung, in der ge-ahlt wird. Ich glaube, dass jeder von uns – wir in die-em Hause, vor allen Dingen aber die Akteure im Lande –inen Beitrag dazu leisten kann, dass Vertrauen wieder-ergestellt wird.
ie Bundesregierung ist entschlossen, diesen Weg ruhignd besonnen, aber mit aller Entschlusskraft zu gehen.Lassen Sie mich zum Abschluss eines sagen: In die-en Tagen der Krise gibt es viele, die bis an den Rand derelastbarkeit arbeiten. Ich möchte all denen zumchluss dieser Regierungserklärung noch einmal einankeschön sagen.
b es in der Bankenaufsicht, in den Ministerien oderum Teil auch in den privaten Banken ist – wir brauchenkteure, die sich für unser Land einsetzen. Es ist gut,ass es sie gibt. Deshalb bin ich auch optimistisch, dassir diesen Weg weitergehen können.Herzlichen Dank.
Für die FDP-Fraktion spricht nun der Kollege
r. Guido Westerwelle.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen underren! Die Regierungserklärung und die Tatsache, dassie Regierungserklärung hier stattfindet, ist eine ange-essene und auch notwendige Reaktion auf die wirklichußerordentlich angespannte Lage. Vor allen Dingen vorem Hintergrund der Garantieerklärung, die die Bundes-anzlerin und der Bundesfinanzminister den Bürgerin-en und Bürgern am Sonntag gegeben haben, will ichrklären, dass es in diesem Hause keine Auseinanderset-ung zwischen Regierung und Opposition hierüber gibt.
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 181. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 7. Oktober 2008 19325
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Dr. Guido WesterwelleEs geht hier nicht um einen Parteienstreit, sondern da-rum, dass die Bürgerinnen und Bürger darauf vertrauen,dass die Sparguthaben sicher sind. Die Bundesregie-rung sagt, sie steht dafür ein. Wir fügen hinzu: Auch wirvon der Opposition stehen dafür ein. Darauf wissen dieBürgerinnen und Bürger sich zu verlassen.
Das ist notwendig, weil die Bürgerinnen und Bürgerdurch eine ungewöhnliche Maßnahme geschützt werdenmüssen. Wir wollen hier aber genauso klarmachen: Wirschützen mit diesen Steuergeldern und diesen Zusagendie Bürgerinnen und Bürger. Wir schützen die Sparerund ihre Einlagen. Wir schützen aber nicht die Jobs eini-ger Banker. Vor allen Dingen sind wir nicht bereit, zuzu-sehen, dass diejenigen, die privat, in der Wirtschaft soversagt haben, damit auf Kosten von Steuergeldern ver-goldet davonkommen. Das ist notwendig und muss hierauch klar angesprochen werden.
Aber, meine Damen und Herren, ich will Ihnen ge-nauso sagen: Das Prinzip Verantwortung, das Sie hieranmahnen, gilt natürlich nicht nur für diejenigen, diesich in der Wirtschaft falsch verhalten haben, sonderndas Prinzip Verantwortung gilt ausdrücklich auch fürdiejenigen, die bei der Staatsaufsicht absolut dilettan-tisch gearbeitet haben, und zwar nicht seit Wochen, son-dern in Wahrheit seit über einem Jahr.
Frau Bundeskanzlerin, Sie sprechen davon, dass dieBundesregierung daran arbeite und sich darüber Gedan-ken mache, wie die Staatsaufsicht verbessert werdenkönne. Ich will genauso klar sagen: Wenn Sie Defizitebei der Bankenaufsicht beklagen, beklagen Sie Defizitebei der Bundesregierung, also bei sich selbst. Sie tragendie politische Verantwortung für die Bankenaufsicht.Wenn Sie die Bankenaufsicht kritisieren, dann kritisierenSie die Regierung, der Sie vorsitzen.
Vertrauen stärkt nur, wer Rede und Antwort steht.Vertrauen stärkt nur, wer auch mit den Risiken offen um-geht, statt sie zu verschleiern. Auch das muss an dieserStelle klar gesagt werden: Vertrauen riskiert, wer vonStein zu Stein stolpert, wer die Wahrheit nur scheibchen-weise herausrückt. Sie hätten durch Schaden längst klugsein können. Die Salamitaktik, die Sie beim KfW-/IKB-Skandal an den Tag gelegt haben, ist dieselbe, die wirbezüglich Hypo Real Estate fast von Tag zu Tag erleben.
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Spannend ist, wie jetzt die Sozialdemokraten und dierünen beim Thema Bankenaufsicht und vor allen Din-en angesichts der mangelnden Bankenaufsicht ihrewischenrufe machen. So möchte ich es vorsichtig for-ulieren. Ich sage Ihnen das deswegen, weil ein einzigerlick in das Archiv des Deutschen Bundestages eineseigen wird: Diese Doppelstruktur und das bürokratischeegeneinander von zwei Bankenaufsichten ist in diesemause von Union und von FDP kritisiert worden. Sie ha-en es 2002 als Rot-Grün gemeinsam mit den Stimmener PDS hier beschlossen.Ich bleibe dabei: Leider hatten wir mit unseren Be-enken recht. Diese Bankenaufsicht lähmt sich selbst.ie muss endlich vereinheitlicht werden und unter einenolitischen Hut kommen. Dieser ist aus unserer Sicht dieundesbank.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
ollegen Eichel?
Selbstverständlich. Bitte sehr.
Herr Kollege Eichel, bitte.
Herr Kollege Westerwelle, ist Ihnen nicht in Erinne-ung, dass die Änderung der Bankenaufsicht nur mit Zu-timmung des Bundesrates möglich war? Diese Zustim-ung konnte übrigens nur erreicht werden, nachdem dieDU/CSU-regierten Bundesländer und die, die mit Ih-en in Koalition waren, die entsprechende Sitzung desundesrates verlassen hatten. Anderenfalls hätte nichtinmal dieses Gesetz die Zustimmung des Bundesratesefunden. Das ist die Wirklichkeit. Sie, FDP und CDU/SU, haben im Bundesrat ohne Ende blockiert.
ch war mit dem Vorschlag für eine Einzelstruktur in dasesetzgebungsverfahren gegangen. Das ist die Wirklich-eit und nicht das, was Sie jetzt erzählen.
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19326 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 181. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 7. Oktober 2008
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Herr Kollege Eichel, ich kann verstehen, dass Sie mit
Ihren damaligen Schandtaten heute nichts mehr zu tun
haben wollen.
Aber ich sage das hier mit großer Klarheit. Ich war
schon damals Parteivorsitzender, und ich weiß, wie die
Verhandlungen damals abliefen. Ich will Ihnen sagen,
wie in der Debatte hier im Deutschen Bundestag gefoch-
ten wurde: „Die FDP ist der Auffassung, dass die
Deutsche Bundesbank die Bankenaufsicht übertragen
bekommen sollte. Die Doppelzuständigkeit hat sich nach
unserer Auffassung nicht bewährt.“
Das ist hier alles vorgetragen worden. Sie waren ge-
warnt, Sie wussten, dass das ein Konstruktionsfehler ist.
Reden Sie sich nicht heraus. Sie haben sich aus politi-
schen Gründen für diese Doppelstruktur entschieden.
Seit Jahren warnen wir davor, dass dies keine funktionie-
rende Aufsicht ist. Ich sage es Ihnen mit großer Klarheit:
Eine Staatsaufsicht, die jede Sparkassenfiliale haarklein
untersucht, aber bei einem DAX-Unternehmen in einen
Dornröschenschlaf fällt, hat versagt, und dafür tragen
diejenigen Verantwortung – auch Sie, Herr Kollege
Eichel.
Jede Volksbank wird durchsucht, jede Sparkasse wird
schikaniert, aber bei den DAX-Unternehmen schaut man
nicht hin.
Herr Kollege Westerwelle, gestatten Sie eine weitere
Frage des Kollegen Eichel?
Ich bitte Sie; selbstverständlich, Herr Kollege Eichel.
Herr Kollege Westerwelle, wir können das ja zusam-
men noch einmal nachprüfen. Ist Ihnen bekannt, dass es
der damalige Bundesbankpräsident Tietmeyer ausdrück-
lich abgelehnt hat, für die Bundesbank die Bankenauf-
sicht zu übernehmen, weil er eine Interessenkollision ge-
sehen hat? Ist Ihnen außerdem bekannt, dass auch der
folgende Bundesbankpräsident, nachdem klar war, dass
wir zu Recht das Zukunftsmodell einer Allfinanzaufsicht
wählen, erklärt hat, dass eine Allfinanzaufsicht nicht von
der Bundesbank ausgeübt werden kann? Das ist nämlich
die Wirklichkeit.
Herr Kollege Eichel, ich habe da ein ganz anderesParlamentsverständnis: Die Gesetze werden vom Deut-sdslkInnHnKsHgfhkidbMBkkDv1giesdlkHgvSwus
Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen underren, das Problem an dieser Stelle liegt nicht nur imeschichtlichen Streit. Vielmehr hat dies Auswirkungenür die Gegenwart; dieses Denken verfolgt uns in Wahr-eit immer noch, leider auch in der neuen Regierungs-oalition. Es ist noch nicht einmal ein Jahr her, als Siem November des letzten Jahres hier im Deutschen Bun-estag einen Gesetzentwurf eingereicht haben, der aucheschlossen wurde, jetzt mit den Stimmen der neuenehrheit: „Nach fünf Jahren Allfinanzaufsicht durch dieundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht bestehtein Zweifel, dass sich deren Konzept voll bewährt hat.“Werden Sie doch wenigstens jetzt aus dem Schadenlug.
as ist das Mindeste, was die Bürgerinnen und Bürgeron Ihnen verlangen können.
Nun heißt es an dieser Stelle, die Staatsbehörde mit600 Mitarbeitern solle zur Prüfung nicht in der Lageewesen sein, weil die zu prüfende Tochter schließlichn Irland ihren Sitz habe. Auch darauf muss man kurzingehen. Was heißt das denn? Das heißt, dass der deut-che Steuerzahler ein Bürgschaftspaket von 35 Milliar-en Euro schnürt und im Gegenzug nicht einmal ver-angt, dass diejenigen, die eine Bürgschaft bekommen,omplett alle ihre Bücher offenlegen.Es ist doch ein bemerkenswerter Vorgang, dass eineandvoll Prüfer einer privaten Bank innerhalb von Ta-en Löcher finden, die einer Staatsaufsicht seit Monatenerborgen geblieben sind. Das zeigt abermals: Das isttaatsversagen, und dafür trägt die Regierung Verant-ortung,
nd bei allem staatstragenden Verantwortungsbewusst-ein der FDP werden wir Sie aus dieser Verantwortung
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 181. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 7. Oktober 2008 19327
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Dr. Guido Westerwellenicht entlassen, meine sehr geehrten Damen und Herrenvon der Bundesregierung, trotz aller weihevollen Redenhier.
Sie haben bei der Bankenaufsicht bisher nur Krisen-reaktion, aber nie Krisenprävention betrieben. Sie ha-ben in vielen Bereichen auch noch nicht die Konsequen-zen gezogen, die aus unserer Sicht gezogen werdenmüssten. Wie wir wissen, gibt es Ratingagenturen – dasist für diejenigen, die in diesem Thema nicht so tief drinsind, natürlich ein Buch mit sieben Siegeln –: privateAgenturen, die die Wertigkeit von Banken und anderenUnternehmungen einschätzen. Viel zu oft und viel zu re-gelmäßig mussten wir darauf hinweisen, dass hier Inter-essenskollisionen vorgezeichnet sind.Unser Vorschlag, eine unabhängige Stiftung zu grün-den, gewissermaßen eine Stiftung Warentest für denFinanzmarkt, liegt auf dem Tisch. Mich würde sehr inte-ressieren, welche Vorschläge die Bundesregierung selbstmacht, um dafür zu sorgen, dass Ratingagenturen in Zu-kunft keine so große Macht mehr haben und nicht mehr,wie es manchmal der Fall war, interessengeleitet agie-ren.
Frau Bundeskanzlerin, es ist richtig und absolut not-wendig – darüber haben Sie gesprochen –, dass dieBilanzierungsregeln auch kurzfristig verändert werdenmüssen. Ich habe Ihnen schon gestern gesagt – dabeibleibt es auch –: Hier haben Sie unsere volle Rücken-deckung. Wenn Sie Maßnahmen ergreifen, um im Rah-men unseres nationalen Rechts schneller handeln zukönnen, weil man nicht immer auf die Zustimmung allereuropäischen Länder warten kann, werden wir auch diesmittragen; denn wir wissen, dass dieses Problem eineschnelle Lösung erfordert.Frau Bundeskanzlerin, Sie müssen aber auch zurKenntnis nehmen, worüber wir in diesem Hohen Hausenur zwei Tage vor der Landtagswahl in Bayern gespro-chen haben, als es um die Neuregelung der Bilanzricht-linien, das sogenannte Bilanzrechtsmodernisierungsge-setz, ging. Genau das, was Sie jetzt zu Recht kritisieren,steht in Ihrem eigenen Gesetzentwurf, den wir vor etwasmehr als einer Woche beraten haben. Wir sagen Ihnenschon seit langer Zeit, gerade im Hinblick auf das Ver-trauen: Halten Sie an den bewährten Prinzipien des deut-schen Handelsgesetzbuches fest. Sie selbst sind aller-dings gerade dabei, in Deutschland amerikanischePrinzipien, vor denen wir in diesem Hause gewarnt ha-ben, einzuführen. Auch das gehört zur Wahrheit.
Schließlich würden wir gerne einmal erfahren, FrauBundeskanzlerin: Was wird jetzt eigentlich aus demHaushalt? Wir haben heute eine Regierungserklärunggehört, in der Sie viele Problemkreise beschrieben ha-ben. Aber dazu, was für die Regierung politisch-hand-werklich daraus folgt, ist bisher nichts gesagt worden.Was bedeutet die jetzige Krise für den Bundeshaushalt,den wir gerade beraten?
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Frau Bundeskanzlerin, Sie haben die Ergebnisse deroalitionsrunde gelobt; das ist Ihr gutes Recht. Aller-ings wissen und spüren wir, dass diese Finanzmarkt-rise auch zu einem Problem für die reale Wirtschafterden wird. Weil das so ist, muss die Politik jetzt allesnternehmen, was Wirtschaft und Wachstum stärkt, undlles unterlassen, was Wirtschaft und Wachstumchwächt. Dass Sie trotzdem durch Ihre Gesundheitspo-itik die Lohnzusatzkosten erhöhen, ist in diesen Zeitenin schwerer Fehler.
ass Sie trotzdem bei der Erbschaftsteuer einen An-chlag auf die Familienunternehmen vorbereiten,
st ein schwerer Fehler.
us dieser Verantwortung werden wir Sie nicht entlas-en. Die FDP kennt ihre staatspolitische Verantwortung.
ir, die Opposition, werden nicht darum herumkom-en, auch Sie an Ihre Verantwortung zu erinnern.Es reicht nicht, zu sagen, dass diese oder jene Maß-ahme möglich ist. Sie haben keinen Plan A, Sie habenuch keinen Plan B. Sie stolpern von Problem zu Pro-lem. In Wahrheit fehlt es an Konzepten. Solche sindber das Mindeste, was man hier heute bei allem, wasir gemeinsam gegenüber den Bürgerinnen und Bürgernu schultern haben, auch erwarten darf. So können Siens nicht davonkommen.
Nächster Redner ist der Kollege Joachim Poß für diePD-Fraktion.
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19328 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 181. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 7. Oktober 2008
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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! HerrKollege Westerwelle, Sie sind der Brandstifter, der sichhier als Biedermann verkleidet. Nichts anderes wirddurch Ihre Praxis belegt.
Sie wollen von der Verantwortung Ihrer Freunde inder Wirtschaft ablenken.
Das ist doch ganz deutlich geworden.
Sie wollen von der Verantwortung derjenigen ablenken,von denen Sie Ihre Parteispenden erhalten. Das ist dochdie Realität in der Bundesrepublik Deutschland.
Ihre Ideologie ist in diesen Tagen doch in Scherben zer-brochen, Herr Westerwelle. Nichts anderes ist gesche-hen.
Sie wissen doch ganz genau: Mit den Investmentbankenund den Finanzmärkten ist auch Ihre ganze neoliberaleIdeologie des Marktradikalismus zusammengebro-chen.
Herr Westerwelle, mit Ihrem ganzen Gerede von derunbeschränkten Marktfreiheit haben Sie sich und allenanderen das Diktat der Finanzmärkte über Jahre hinwegschöngeredet.
Heute zeigt sich, dass nur ein wirtschaftlich starkerStaat, wie ihn die Sozialdemokraten wollen,
den Bürgerinnen und Bürgern und auch Märkten das bie-ten kann, was sie als unverzichtbaren Gegenstand ge-nauso wie die echte Freiheit brauchen, nämlich Sicher-heit.
Ich empfehle allen, die noch bis vor wenigen Tagenmit abenteuerlichen Programmen für Steuersenkungendurchs Land gerannt oder für staatliche Verschuldungs-vaWödtvbwsSjuvdmmDuidddgvDeVntuinds
Sie schieben jetzt der Finanzaufsicht eine Verantwor-ung für diese Situation zu, die sie nun wahrlich nichterschuldet hat. Das kann nicht unwidersprochen blei-en. Ihre Partei war stets gegen eine Verschärfung jed-eder Aufsicht; das wissen wir alle, die wir hier mit die-en Fragen zu tun haben.
ie wollten die Aufsicht geradezu lahmlegen und habenede Beschwerde aus dem Bankenbereich aufgenommennd im Finanzausschuss des Deutschen Bundestagesorgetragen. Sie haben das Recht verwirkt, hier so zu re-en, wie Sie vorhin geredet haben, Herr Westerwelle.
Wir danken Frau Merkel und dem Bundesfinanz-inister Peer Steinbrück für das hervorragende Krisen-anagement in den letzten Wochen.
ie Bundesregierung hat gezeigt, dass sie entschlossennd fähig ist, zu handeln, und zwar mit Augenmaß undm vollen Bewusstsein ihrer Verantwortung gegenüberen steuerzahlenden Bürgerinnen und Bürgern. Die Bun-eskanzlerin und der Bundesfinanzminister können sichabei – da bin ich mir ganz sicher, Herr Kauder – auf dieeschlossene Unterstützung der Koalitionsfraktionenerlassen.
iese Geschlossenheit in Regierung und Koalition istin wichtiges Element der Stabilität in einer Zeit, in derertrauen gerade auf den sensiblen Finanzmärkten zu ei-em äußerst knappen Gut geworden ist.Ein weiteres Element der Stabilität – und zwar unmit-elbar auf dem deutschen Finanzmarkt angesiedelt – sindnsere Sparkassen und Volksbanken. Vor allem ihnenst es zu verdanken, dass die Turbulenzen der Weltfi-anzmärkte bisher noch nicht zu einer Kreditklemme fürie deutschen Unternehmen, insbesondere den Mittel-tand, geführt haben.
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 181. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 7. Oktober 2008 19329
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Joachim Poß
Unsere Sparkassen und Volksbanken haben in derVergangenheit die besinnungslose Renditejagd des an-gelsächsisch dominierten Weltfinanzsystems nicht mit-gemacht, sondern sich weiterhin auf ihre Kunden als Ba-sis eines soliden Bankgeschäfts konzentriert. Dafür sindsie teilweise belächelt, ja beschimpft worden.Heute zeigt sich: Das Bankgeschäft ohne Kundenein-lagen in völliger Abhängigkeit von den Launen der Ka-pitalmärkte zu betreiben, mag zwar die Gewinne in gu-ten Zeiten erhöhen; in Krisenzeiten führt ein solchesGeschäftsmodell aber geradewegs in die Katastrophe.Die großen Investmentbanken der Wall Street – dieIkonen dieses von Renditegier getriebenen Turbokapita-lismus – sind untergegangen, aufgekauft oder sie ver-suchen sich gerade durch die Umwandlung in Geschäfts-banken ein Leben nach dem Tod zu verschaffen.Vergessen wir nicht: Die großen privaten Banken inDeutschland waren vor gar nicht langer Zeit auch nochganz auf dem Investmentbankentrip. Die Filialkunden inCottbus oder im Ruhrgebiet waren für die HerrenAckermann und Co halt nicht ganz so sexy wie die smar-ten Händler in London, New York und Hongkong, mitdenen man immer aberwitziger konstruierte Wertpapierehandeln und bei dieser Gelegenheit ebenso aberwitzigeGehälter und Bonuszahlungen kassieren konnte.
Etwas anderes sollten wir ebenfalls nicht vergessen:Bis heute betreiben die Lobbyisten dieser privaten Ban-ken ihre Arbeit in Brüssel, um über den Umweg der EUden Sparkassen und Volksbanken in Deutschland dieExistenzberechtigung streitig zu machen.
Der Verzicht auf die Renditejagd bei den Sparkassenund Volksbanken wird dabei schamlos als Wettbewerbs-verzerrung zulasten der Privatbanken umgedeutet. DieseLobbyisten haben zu viel Unterstützung in der Kommis-sion. Das muss sich ändern.
Die deutsche Haltung dazu ist klar.Wenn jetzt also gerade die privaten Banken inDeutschland und überall sonst auf der Welt nach Rettungdurch den Staat – das heißt den Steuerzahler – rufen,dann muss das, so meine ich, zwei ganz unmittelbareKonsequenzen haben. Erstens müssen die privaten Ban-ken ihre Brüsseler Wühlarbeit umgehend einstellen unddie Existenz des dreigliedrigen Bankenwesens inDeutschland endlich akzeptieren.
Zweitens muss das Thema der exzessiven Gehälter inVorständen und Handelsräumen nicht nur diskutiert,sondern geregelt werden. Beim letzten Thema scheintsUtBfMtEgssuAld„wEDsFWgsRg–scuWRltglsm
s fällt uns allerdings auf, dass das erst seit ein paar Ta-en so ist.
Als wir im Frühjahr im SPD-Präsidium konkrete Ge-etzesvorschläge zum Thema Managergehälter be-chlossen haben, haben Sie, Herr Röttgen, das noch alsnseriös bezeichnet.
uch verehrte Frau Merkel und Herr Glos ließen sich imetzten Dezember im Manager-Magazin dafür feiern,ass sie bei der Begrenzung von Managergehälternmassiv auf die Bremse“ treten. Hoffentlich kommenir schnell von der Bremse herunter und gemeinsam zurgebnissen.
Nicht nur wegen der zeitlichen Nähe zum Tag dereutschen Einheit am letzten Freitag lohnt es sich in die-em Zusammenhang, noch einmal an die Haltung derDP zum Thema Managervergütung zu erinnern. Herresterwelle, noch im Frühjahr haben Sie jeglichen Ein-riff verdammt und von einer „DDR … ohne Mauer“ ge-prochen. Das ist derselbe Herr Westerwelle, der seineede mit antikapitalistischen Tönen eröffnet hat. Solaubwürdig ist dieser Mann.
Was heißt „Das geht zu weit“? – Herr Westerwelle, Sieollten sich selbst prüfen – vielleicht gehen Sie eine Wo-he ins Kloster und in sich –
nd genau darüber nachdenken, wie Ihr Verhältnis zuahrheit und Praxis ist. Das Auseinanderklaffen voneden und Handeln ist bei keinem Politiker in Deutsch-and so offenkundig wie bei Ihnen; das muss ich festhal-en.
Die Bundeskanzlerin hat wichtige Stichworte für dasenannt, was jetzt zu regeln ist. Wir arbeiten gut. In denetzten Monaten wurden viele Vorarbeiten geleistet. Auf-ichtsstrukturen und Eigenkapitalregeln zum Beispielüssen so verbessert werden, dass sich bestimmte Ent-
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19330 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 181. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 7. Oktober 2008
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Joachim Poßwicklungen, die sich als krisenverursachend oder krisen-verschärfend erwiesen haben, künftig nicht wiederholenkönnen.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Koppelin?
Ja, bitte.
Herr Kollege Poß, da Sie von Wahrheit und Heu-
schrecken gesprochen haben und meinen, der FDP das
eine oder andere vorhalten zu müssen, richte ich an Sie
folgende Frage: Ist meine Information richtig, dass die
Sozialdemokraten dem Verkauf der Anteile an der IKB
an Lone Star, eine Heuschrecke, im Verwaltungsrat der
KfW zugestimmt haben?
Ich weiß nicht, was diese Frage mit der Debatte und
den Äußerungen von Herrn Westerwelle zu tun hat.
Die Sozialdemokraten haben – genauso wie die Vertreter
anderer Parteien – der Lösung zugestimmt, die als mög-
lich galt. Genaueres kann ich nicht sagen; denn ich war
bei der Abstimmung nicht dabei. Herr Koppelin, Sie wa-
ren wohl dabei und müssten es besser wissen. Ihre
Glaubwürdigkeit erhöht sich nicht dadurch, dass Sie sich
aus Alibigründen in die Oppositionsrolle begeben haben,
weil Sie mit dem Schicksal der KfW nichts zu tun ha-
ben wollen. Nicht anders ist das zu werten, Herr
Koppelin.
Herr Kollege, auch der Kollege Brüderle hat den
Wunsch, eine Zwischenfrage zu stellen. Gestatten Sie?
Ja, natürlich.
Herr Kollege Poß, ist Ihnen in Erinnerung, dass 2004
die grün-rote Bundesregierung unter Kanzler Schröder
mit dem sogenannten Investmentmodernisierungsgesetz
erst die Voraussetzungen dafür geschaffen hat, dass
Hedgefonds in Deutschland tätig werden können? Sie
haben doch den Weg dafür frei gemacht.
Lieber Kollege Brüderle, Sie wissen, dass das nicht
im Widerspruch zu dem steht, was wir sagen. Ein Pro-
blem wie Hedgefonds können wir nur international
lösen. Dazu haben Frau Merkel und Herr Steinbrück ent-
sprechende Vorschläge gemacht. Vor dem Investment-
modernisierungsgesetz war es Bundeskanzler Schröder,
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Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen underren!
m Mittelpunkt dieser Debatte steht das Wort „Ver-rauen“. Die Bundeskanzlerin hat gesagt, dass die wich-igste Währung der Finanzmärkte das Vertrauen sei. Ichabe in den letzten Jahren nicht beobachten können, dassertrauen die Grundlage des Handelns der Finanzmärktear. Die Finanzmärkte haben sich mehr und mehr zupekulativen Märkten entwikkelt, und spekulativeärkte basieren auf allem anderen, aber nicht auf Ver-rauen.
ertrauen war lange Zeit das Kapital der Banken, bevors die Finanzmärkte in der gegenwärtigen Form gab.ber wenn das Vertrauen in die Banken zerstört ist,
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 181. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 7. Oktober 2008 19331
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Oskar Lafontainewenn die Sparerinnen und Sparer kein Vertrauen mehr indie Banken haben, dann können in unserer Ordnung nurnoch zwei Instanzen handeln: Die eine ist die Zentral-bank – sie kann durch ihr Handeln Vertrauen herstellen –,die andere ist die Bundesregierung.Ich will jetzt von der Bundesregierung sprechen. Ver-trauen schafft man nicht, indem man verharmlost. Ichstelle hier für meine Fraktion fest: Sie haben viel zulange die Krise verharmlost und sich insoweit schuldiggemacht, als das Vertrauen der Bevölkerung in das Han-deln der Regierung verloren gegangen ist.
Damit dieser Satz nicht so stehen bleibt, zitiere ich, wasder Finanzminister vor wenigen Tagen gesagt hat:Deshalb und weil die Verhältnisse bei uns anderesind, ist ein ähnliches Programm– wie in den USA –in Deutschland oder Europa weder notwendig nochsinnvoll.
Nach wie vor ist wahr: Die Finanzmarktkrise ist vorallem ein amerikanisches Problem!Am Anfang der Krise, als jeder wusste, dass die Situa-tion hochgefährlich war, hat die Regierung kein Ver-trauen dadurch geschaffen, dass der Finanzminister dieLage völlig falsch eingeschätzt hat. Das ist die Wahrheit;sie ist hier dokumentiert.
Während andere von „Massenvernichtungswaffen“ spra-chen – derjenige, der dieses Wort geprägt hat, kennt sichauf den internationalen Finanzmärkten aus; er sprachauch die Vernetzung der Produkte an –, hieß es hiernoch, das sei ein Problem der USA. Die Kanzlerin hatsich dieser nun wirklich lächerlichen Analyse ange-schlossen; das heißt, Sie haben zu Beginn, vor einigenTagen überhaupt nicht überblickt, worum es hier über-haupt geht. Ich will das in aller Klarheit für meine Frak-tion hier feststellen.
Ich zitiere die Welt, die nicht im Verdacht steht, Ihnen inirgendeiner Form kritisch gegenüberzustehen:Das Chaos ist groß. Wochenlang hatten die Kanzle-rin und ihr Finanzminister die Krise kleingeredet.Das ist die Wahrheit, und deshalb haben Sie kein Ver-trauen geschaffen, sondern Sie haben die Unsicherheit inder Bevölkerung verstärkt.
Nachdem Sie festgestellt haben, dass diese Verharmlo-sung ein Fehler war, und nachdem Sie von den Ereignis-ssgaAdMdmbskuldDivZcliwFgslWldblvEdtmghDludfVtEdse
ann ist er Mitverursacher dafür, dass dieses Institut inmmer größere Schwierigkeiten gerät. Ich hätte mir nichtorstellen können, dass ein Bundesfinanzminister imusammenhang mit einem DAX-Unternehmen und sol-hen Volumina, die hier zur Rede standen, von „Abwick-ung“ spricht und damit einen völlig falschen Terminusn die Öffentlichkeit bringt.Das geht auf diese Art und Weise weiter: Nun habenir im Fernsehen erlebt, wie die Kanzlerin neben deminanzminister stand und sagte, dass sie die Spareinla-en garantieren. Zunächst würde jeder in diesem Hauseagen – das will ich auch für meine Fraktion ausdrück-ich sagen –, dass er erleichtert wäre, wenn mit diesemort die Dinge geklärt wären. Wer wäre da nicht er-eichtert? Dies wäre natürlich vertrauensbildend. Aberanach ging doch der ganze Zirkus erst los. Ich redeewusst von Zirkus; denn zuerst hörte man von 586 Mil-iarden Euro, dann von über 700 Milliarden Euro, dannon vielleicht 1 Billion Euro, dann von 1,5 Billionenuro und von bis zu 2 Billionen Euro. So schafft manoch kein Vertrauen. So schürt man nur Unsicherheit un-er den Sparerinnen und Sparern, die überhaupt nichtehr wissen, was sie von all dem halten sollen.
Wir Abgeordneten wurden gefragt: Wie soll das dennehen? Dazu haben Sie überhaupt kein Wort gesagt. Sieaben wahrscheinlich selbst keine Vorstellung davon.ie anderen europäischen Staaten haben Ihnen ja mitt-erweile vorgehalten, dass Ihre Vorgehensweise völlignproduktiv gewesen sei. Es war Unilateralismus, der iniesem Falle zu Schäden in anderen Volkswirtschaftenühren wird. Die Kritik, die heute in Europa an Ihrerorgehensweise geübt worden ist, ist mehr als berech-igt.
s ist wirklich kein Ausweis von Stärke, dass Sie aufiesen gravierenden Fehler nicht einmal eingegangenind. Stattdessen haben Sie hier so getan, als würden Sieuropäisch abgestimmt handeln. Sie haben damit ande-
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19332 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 181. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 7. Oktober 2008
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Oskar Lafontaineren Staaten in Europa große Probleme bereitet. Soschafft man kein Vertrauen auf den Finanzmärkten.
In den Zeitungen steht, dass Notenbanker auf dieFrage, was die Kanzlerin und der Finanzminister ge-meint haben, antworten, dass sie nicht wissen, was ge-meint ist, und dass Sie es wahrscheinlich selbst nichtwissen. Daran sieht man, dass man mit einer solchenVorgehensweise kein Vertrauen schafft. Ich hätte mirnicht vorstellen können, dass in einer solchen Situationso vorgegangen wird. Wenn man eine solche Garantieabgibt – wie gesagt, die Absicht ist löblich –, dann mussdoch ein Mindestmaß an Vorstellung darüber herrschen,was damit eigentlich gemeint war.Sie haben hier den irischen Weg kritisiert. Das istnun wirklich eine Frechheit, Frau Bundeskanzlerin.
Wenn Sie den irischen Weg der einseitigen Garantie fürdie eigenen Banken kritisieren, aber gleichzeitig hin-sichtlich der Ersparnisse den gleichen Weg gehen, dannsind Sie völlig unglaubwürdig. Genau das wird Ihnenauf europäischer Ebene vorgehalten.
Ebenso fahrlässig wie das fehlerhafte Vorgehen beiden Spareinlagen, wo bis zum heutigen Tage niemandhier in der Lage ist, zu sagen, was überhaupt gemeint ist,ist es, von einem „Plan B“ zu reden, wenn man erstenskaum Vorstellungen hat, wie dieser aussehen soll, undzweitens eigentlich Beruhigung in die Märkte bringenwill. Was macht denn jemand, der über die Finanzströmebei den Banken zu entscheiden hat, wenn er auf der ei-nen Seite hört, die Spareinlagen sollen garantiert wer-den, aber nicht weiß, wie das zu geschehen hat, und aufder anderen Seite hört, es gibt einen Plan B in Reserve,auch wenn das später, wie üblich, wieder revidiert wird?Dadurch wird doch ein Abwarten in den einzelnen Insti-tutionen bewirkt, was gerade das Gegenteil von dem ist,was wir eigentlich gebrauchen könnten. Wir brauchenSicherheit, Verlässlichkeit und zumindest eine Grund-lage für die Planungen der Kreditinstitute. Wenn Sie voneinem Plan B sprechen, dann müssen alle Verantwortli-chen in diesen Instituten abwarten, wie dieser wohl aus-sieht und wie sie damit optimal für ihre Bank entschei-den können. Insofern war das ein Fehler.
Ich möchte ein Zitat aus den Zeitungen des heutigenTages nennen, das einen wirklich umhaut. Der Bundes-finanzminister, der in dieser Regierung verantwortlichist, die Krise zu managen, hat ernsthaft gesagt, er hättesich vor einer Woche nicht vorstellen können, dass Tur-bulenzen bei isländischen Banken Auswirkungen bei unshaben. Wenn Sie das so gesagt haben, dann muss ichfeststellen, dass Sie nicht die blasseste Ahnung von denMhd–netWtKhsmghFdkrDbiswdbewskswswSwiSDshk
Herr Kollege Struck, von Ihnen verlangt man so etwasicht. Aber von einem Bundesfinanzminister sollte manrwarten können, dass er die Vernetzung der interna-ionalen Finanzmärkte kennt.
enn Sie bisher so gearbeitet haben, Herr Finanzminis-er, dann haben Sie sich durch diese Aussage bis auf dienochen blamiert. Es tut mir leid, dass ich Ihnen dasier in dieser Klarheit vorhalten muss.
Weil die internationalen Finanzmärkte so verflochtenind, brauchen wir jetzt eine internationale Zusam-enarbeit. Ohne internationale Zusammenarbeit – wieesagt, mit Ihrer Vorgehensweise bei den Spareinlagenaben Sie gegen dieses Prinzip verstoßen – ist in dieinanzmärkte keine Ordnung zu bringen. Die Kritik aufer europäischen Ebene ist eindeutig: Die Europäer be-lagen, dass die Bundesregierung hier zu wenig koope-iert.Nun komme ich zu einem Punkt, der in der heutigenebatte zu kurz gekommen ist. Die Realwirtschaftricht mittlerweile ein. Man hätte erwarten können, dassrgendetwas dazu gesagt wird, was man tun will, um die-en Einbruch zu verhindern. Dass dazu nichts gesagtorden ist, lässt wiederum Zweifel aufkommen, ob Sieas Ausmaß der Krise überhaupt erkennen.
Angesichts dessen, dass jetzt im gesamten Automo-ilbereich die Nachfrage einbricht, dort bereits Leutentlassen werden, Produktionen für Wochen stillgelegterden, demnächst die Weiterverarbeiter an der Reiheind und auch in anderen Branchen Entlassungen ange-ündigt werden, sieht man an einer klitzekleinen Ent-cheidung, dass Sie überhaupt nicht verstanden haben,orum es geht: Wer in dieser Situation die Arbeitslo-enversicherungsbeiträge senkt, weiß überhaupt nicht,as auf dieses Land zukommt.
ie werden die Arbeitslosenversicherungsbeiträge baldieder anheben müssen; das sage ich Ihnen voraus. Dasst eine völlig unverantwortliche Vorgehensweise.Insofern ist es bedauerlich, dass in dieser schwierigenituation kein Einvernehmen zwischen Frankreich undeutschland herrscht. Das, was die französische Politikeit Wochen fordert, nämlich ein konzertiertes Vorge-en der europäischen Staaten anzustreben, um dieonjunkturelle Krise zu bewältigen, ist bislang von der
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Oskar Lafontainedeutschen Politik verhindert worden. Diese Vorgehens-weise wird auf unsere Konjunktur in erheblichem Um-fang zurückschlagen.Wir sagen hierzu: Wir brauchen jetzt ein Gegensteu-ern des Staates; das heißt eine andere Fiskalpolitik. Ichkann also die Aussage nur unterstreichen: Wer in dieserSituation sagt – Sie haben das wieder getan, Frau Bun-deskanzlerin –: „Wir werden den Haushalt weiter konso-lidieren und an unseren Haushaltszielen festhalten“, lässterhebliche Zweifel aufkommen, ob er verstanden hat,was in der Welt überhaupt los ist und was auf Deutsch-land zukommen wird.
Ein Gegensteuern wäre eine expansive Fiskalpolitik,eine Lohnpolitik, die nicht wie in der Krise 1929/1930auf einen Kürzungswettlauf hinausläuft, sondern aufProduktivität und Preissteigerung orientiert ist und,wenn es denn geht, vielleicht sogar ein Anheben derHartz-IV-Sätze. Das würde sich nämlich direkt stabili-sierend auf die Konjunktur auswirken. Wer von denHartz-IV-Empfängern versteht denn noch, dass inDeutschland sofort zig Milliarden für Pleitiers bereitge-stellt werden, aber nicht ein paar Hundert MillionenEuro für Hartz-IV-Empfänger?
Letzte Bemerkung. Sie haben heute die Managerhaf-tung angesprochen. Ich möchte ganz leise daran erin-nern, dass dies von meiner Fraktion immer wieder vor-gebracht worden ist und dass wir für diesen Vorschlagals sozialistische Neidhammel diffamiert worden sind.Ich will mich gar nicht darüber lustig machen. MeineVermutung ist nur die, dass Sie populistisch von Ihrer ei-genen Verantwortung ablenken wollen. Sie sollten sichden gleichen Kriterien stellen, die Sie den Managern ge-genüber aufstellen, um zu deren Entlassung aufzufor-dern. Angesichts der Fahrlässigkeit, mit der Sie mitBürgschaftszusagen usw. umgehen, sollten Sie dieseKriterien an sich selbst anlegen. Das hieße dann auch,Ihre eigene Zuständigkeit infrage zu stellen. Sie habenalso kein Risikomanagement betrieben, das Vertrauenschafft, sondern haben Ängste und Unsicherheiten in derBevölkerung geschürt. Das ist leider ein Politikversagen.
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Norbert Röttgen
für die CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!In einem bin ich mir ganz sicher: Das, was die Bürgerin-nedghLtASWdwfdttmGdrraSsingüFgvucddShDIsVbrdhesmi
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19334 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 181. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 7. Oktober 2008
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Soziale Marktwirtschaft bedeutet Markt. Die Lehreus dieser Krise ist nicht, den Markt abzuschaffen. Dasst eine geradezu dumme These, die, außer in Ihren Ideo-ogiebüchern, nirgendwo mehr vertreten wird.Die Lehre ist, den Markt zu ordnen. Wir sind nichtur für den Markt, weil die Erfahrung zeigt, dass er effi-ienter ist und besser funktioniert; das trifft zwar zu, istber nicht alles. Wir sind für den Markt als Werteord-ung. Wir sind für die soziale Marktwirtschaft, weil sieem Freiheitsrecht und der Verantwortungspflicht desinzelnen als Werteordnung am besten gerecht wird.Aus dieser Erkenntnis in Bezug auf die Systemfragergibt sich unmittelbar eine politische Konsequenz alsas Gebot dieser Stunde: Diese Vorstellung von sozialerrdnung der Marktwirtschaft muss international durch-esetzt werden. Das ist kein neuer Imperialismus. Dieelt hat jetzt die Chance, das System und den gerechtenusgleich, von dem unser Land und unsere Menschenrofitiert haben, weltweit durchzusetzen. Das ist dieufgabe der Stunde.
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Darüber sollten wir uns freuen. Es ist so etwas wie dieRückkehr der Politik in die Gestaltung der Globalisie-rung. Das ist eine große Aufgabe.
Es ist außerdem eine aktuelle Legitimation Europas.Deutschland wird es nicht alleine schaffen. Europa aberkann es schaffen. Wenn man sich anschaut, was wir viel-leicht versäumt haben, komme ich zu dem Schluss: Wirhaben die originär europäische Kulturvorstellung nichtheftig genug vertreten.
Die Bundeskanzlerin hat es in Heiligendamm getan undversucht, sie durchzusetzen. Die europäische Stimmehätte in der Vergangenheit stärker werden können. InZukunft muss sie stärker werden – für eine gerechte Ord-nung der Weltwirtschaft.
Das müssen wir leisten, und zwar mit allem, was dazu-gehört: Transparenz, Eigenkapital, Rating und Risiko-management. All das gehört dazu. Das ist die Ordnungvon Wirtschaft, die wir brauchen.Ich möchte eine letzte Bemerkung zum Thema unter-nehmerisches Risiko und staatliche Regulierung ma-chen. Auch hier gilt, dass wir in Bezug auf die Konse-quenzen das Maß bewahren sollten.
Ich bin der festen Überzeugung, dass Risikobereitschaftzum Unternehmertum dazugehört. Es ist nicht die Auf-gabe des Staates, eine Ex-post-Kontrolle über unterneh-merische Risikoentscheidungen allgemein durchzufüh-ren; das ist meine feste Überzeugung.Ich bin aber auch der Meinung, dass wir es hier nichtnur mit unternehmerischen Entscheidungen privatenCharakters zu tun haben. Friedhelm Hengsbach hat ge-sagt – er hat es als Warnung an die Finanzakteure und-experten verstanden –: Die Stabilität und Funktionsfä-higkeit des Finanzmarktes sind öffentliches Gut. –Durch das verantwortungslose Verhalten bestimmter Ak-teure in Amerika und Europa ist öffentlicher Schadenentstanden. In den Fällen, in denen es nicht um denSchaden einer Gesellschaft geht, sondern in denen unse-rer Gesellschaft und unserem Staat Schaden zugefügtwird, haben wir ein unzulängliches Haftungsregime.Bislang stellen wir nämlich nur auf die gesellschafts-rechtliche Haftung ab. Hier braucht es öffentlich-rechtli-che Schadenersatzansprüche. Wenn öffentliche Güterfundamentaler Art gefährdet oder beschädigt werden,was wir jetzt erleben – es kann zum Kollaps kommen –,dann sind auch strafrechtliche Sanktionen an der Tages-ordnung. Die braucht es auch.tsbalscmnraandazlwBdßs–apSrdkdMmDzRsDn
Wir brauchen eine Verbesserung der unternehmensin-ernen Aufsicht. Die Bundeskanzlerin hat die Staatsauf-icht zu Recht angesprochen. Das Thema Aufsichtsrätezw. unternehmensinterne Kontrolle gehört aber auchuf die Tagesordnung der Politik. Hier gibt es Hand-ungsbedarf.Ich will das Gesagte in einem Appell zusammenfas-en, der die allermeisten hier verbinden sollte: Wir ma-hen zurzeit bittere Erfahrungen. Das Ende und die Di-ension der Erfahrungen und des Schadens sind nochicht absehbar. Wir müssen das bewältigen, die Gefah-en in den Griff kriegen, bannen und meiden. Nutzen wirls gewählte Politiker dieses Landes diese Krise aberuch dazu, eine Kultur des Maßes und eine soziale Ord-ung der Wirtschaft durchzusetzen. Die CDU/CSU-Bun-estagsfraktion jedenfalls wird an diesem Werk mit-rbeiten und ist entschlossen, hieraus die Lehren zuiehen.
Das Wort zu einer Kurzintervention hat nun der Kol-
ege Gregor Gysi.
Herr Röttgen, Sie haben auf Bücher von uns hinge-iesen, obwohl Sie, wie ich glaube, noch kein einzigesuch von uns gelesen haben. Sie haben sich zum wie-erholten Male über unser Verhältnis zum Markt geäu-ert, und zwar völlig falsch. Wir nehmen wie Sie die Ge-chichte zur Kenntnis.
Lassen Sie mich zu Ende sprechen. Ich habe Ihnenuch zugehört. – Wir wissen sehr wohl, aus welchenolitischen und ökonomischen Gründen der sogenanntetaatssozialismus gescheitert ist.Deshalb sage ich Ihnen: Die Marktwirtschaft hat ih-en Platz, und zwar dort, wo sie durch ihre Instrumenteafür sorgt, dass die Qualität steigt und die Kosten sin-en. Das haben wir sehr wohl begriffen. Die Auseinan-ersetzung bezieht sich auf ganz andere Felder. Wo wironopole haben, gibt es keine Marktwirtschaft. Wennan diese Unternehmen privatisiert, wird nur abgezockt.as ist die eine These, die wir aufstellen.
Die zweite These bezieht sich auf ein ganz kompli-iertes Feld. Ich sage Ihnen: Ich möchte nicht, dass anüstung so viel verdient wird; denn solange an Rüstungo viel verdient werden kann, hören Kriege nicht auf.as ist eine große Sorge von mir. Die darf ich doch wohloch artikulieren!
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Dr. Gregor GysiDas Dritte betrifft die öffentliche Daseinsvorsorge,Herr Röttgen. Sie sind dafür, Krankenhäuser, Schulenund alles mögliche andere zu privatisieren. Ich sage Ih-nen: Ich möchte nicht, dass sich eine Schülerin oder einKranker rechnen muss. Das sind die Differenzen, um diees geht.Lassen Sie mich als Letztes eines sagen, weil Sie einPlädoyer für die soziale Marktwirtschaft gehalten haben:Die neoliberalen Parteien im Bundestag haben in denletzten Jahren die soziale Marktwirtschaft immer stärkerbeeinträchtigt. Das waren Union, SPD, FDP und Grüne.Das ist die Wahrheit.
Das Wort hat nun der Kollege Fritz Kuhn für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Die Bundeskanzlerin hat die soziale Markt-wirtschaft als das beste Wirtschaftssystem bezeichnet,und Herr Röttgen hat in die gleiche Richtung geredet.Damit nichts durcheinandergeht, möchte ich eines klarfeststellen, Frau Merkel: Was wir gegenwärtig auf deneuropäischen und internationalen Finanzmärkten erle-ben, hat mit sozialer Marktwirtschaft nichts, aber auchgar nichts zu tun.
Das ist doch der entscheidende Punkt.Die Bürgerinnen und Bürger im Land stellen fest,dass Schulen nicht saniert werden, dass Kindergarten-plätze fehlen, dass im Bereich des Sozialen vieles imArgen liegt. Wenn sie jetzt feststellen, dass man mit Mil-liarden private Banken sanieren muss, dann fragen siezu Recht: Wo ist denn der soziale Wirtschaftsstil, denWalter Eucken und Alfred Müller-Armack damals be-schrieben haben? Deswegen kommen wir um eine Dis-kussion darüber, dass es massive soziale Defizite inunserer Marktwirtschaft gibt, die auch durch die Finanz-märkte ausgelöst wurden, meines Erachtens nicht herum.
Dies – dazu möchte ich Klares von der Bundesregierunghören – kann mit einem Wirtschaftsstil, der sich sozialnennt, kurzfristig, mittelfristig und langfristig nichtfunktionieren, wenn es so ist, dass die Gewinne privatbleiben und auch in der Zukunft privat bleiben sollen,aber Risiken und Verluste sozialisiert und der Allge-meinheit aufgedrückt werden. Das akzeptieren und ver-stehen die Bürgerinnen und Bürger meines Erachtens zuRecht nicht. Sie wollen von uns eine Antwort auf dieFrage, wie das in Zukunft jenseits des Managements deraktuellen Krise anders werden kann.
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Deswegen muss sie vom Kopf auf die Füße gestellt undgründlich reformiert werden.
Frau Merkel, Sie haben mit dem Finanzminister eineGarantie für die privaten Sparvermögen in Deutsch-land ausgesprochen. Sie werden gewusst haben, warumSie das tun. So etwas macht man ja nicht ohne Not, son-dern weil es Schwierigkeiten gibt. Wir verstehen und ak-zeptieren, dass so eine Garantie ausgesprochen wird.Denn die Verunsicherung im Land war offensichtlichsehr groß. Aber eines können wir als parlamentarischeFraktion im Deutschen Bundestag nicht akzeptieren,nämlich dass Sie nicht sagen, wie Sie diese Garantieoperationalisieren wollen. Sie sprechen eine Garantieaus, die im schlimmsten Fall ein Volumen von bis zu1 000 Milliarden Euro hat, aber Sie gehen nicht einmalher – ich verstehe ja noch, dass Sie kein Gesetz machenwollen – und bringen dies in einer Form in den Deut-schen Bundestag ein, in der der Deutsche Bundestagüber Ihre Garantie entscheiden und ein Backing dafürgeben könnte.
Es ist klar, warum Sie dies nicht tun. Es ist leichter, zusagen, dass Sie als Bundeskanzlerin etwas für einen Fallgarantieren wollen, von dem Sie hoffen, dass er nichteintritt, als diese Garantie zu operationalisieren und indiesem Hause zu sagen, wie es gehen soll.Mich hat heute früh in der S-Bahn eine Frau auf dasThema angesprochen. Es ist übrigens immer gut, S-Bahnzu fahren; in solchen Zeiten ist es besonders gut. Sie hatmir folgende Frage gestellt, die ich sehr intelligent fand:Wie kann eine Bundesregierung, die es bei hohen Steu-ereinnahmen nicht schafft, einen Haushalt zu konsolidie-ren, über 1 000 Milliarden Euro garantieren? – Das istnatürlich eine Frage, der Sie sich hier stellen müssen. Ichhabe pflichtgemäß gesagt, das habe nicht direkt etwasmiteinander zu tun. Aber es ist doch wichtig, zu verste-hen, dass die Leute sich solche Fragen stellen, und daherist es erforderlich, dass Sie sich in diesem Hohen Hausedas Commitment für die Garantie abholten, die Sie ge-ben; denn wenn es schiefgeht, müssen ja wir Abgeordne-ten über die Mittel im Haushalt entscheiden, über die Siegerade Garantien abgegeben haben.
Deswegen kommen Sie daraus nicht so schlank heraus,wie Sie es offensichtlich vorhatten.Ich komme zum Schluss und knüpfe an HerrnRöttgen an: Diese wirklich elementare Finanzkrise– manchmal, wenn man die Augen schließt und nach-denkt, merkt man erst, was da jetzt alles wirtschaftlichund hinsichtlich der Investitionen auf die schiefe Ebenekommen kann – ist nicht automatisch eine Chance derErneuerung der Politik in Deutschland. Dafür gab es mirschon wieder zu viel Hin- und Hergeschiebe;Westerwelle sprach von Politikversagen, andere spra-chen von Marktversagen. In der Marktwirtschaft versa-guassüdrRffdKsvdwnelzmtsDnssHuhonsutsTs
Nächster Redner ist der Kollege Reinhard Schultz für
ie SPD-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undollegen! Ich bin der Auffassung, dass diese Krise, dieich seit über einem Jahr immer mehr zuspitzt – das iston den meisten Vorrednern ebenfalls vorgetragen wor-en –, eine sehr grundsätzliche politische Dimension hat,eil das Verhältnis zwischen Politik und Wirtschafteu austariert wird.Das ist ein Lernprozess, der nicht ganz einfach ist,rstens nicht für uns, die Akteure, die verschiedenen po-itischen Parteien, im Verhältnis zur Wirtschaft, aberweitens und erst recht nicht in der internationalen Di-ension, weil eine rein nationalwirtschaftliche Betrach-ung entschieden zu kurz greift und wir nur im europäi-chen Rahmen oder sogar im Weltverbund bestimmteinge auf die Schiene bringen können, um das Verhält-is neu auszutarieren, um Regeln zu finden, unter denenich Markt dann entfaltet.Ich bin sehr froh darüber, dass unser Finanzminister,eitdem die IKB-Krise losgetreten worden ist, seiterbst letzten Jahres sofort in die Spur gekommen istnd jede Gelegenheit auf internationaler Ebene genutztat – insofern trifft auch nicht zu, was Herr Westerwelleder erst recht Herr Lafontaine vorgetragen haben –, umeben dem Aspekt des Ratings folgende Fragen anzu-prechen: Was gehört in die Bilanz eines Unternehmensnd erst recht einer Bank hinein? Wie kann man interna-ionale Sicherungssysteme schaffen?Damit wurde ein Prozess initiiert, der anfangs nurehr schwerfällig in die Gänge kam und erst dadurch anempo zunahm, weil auch die Krise sich weiter zu-pitzte,
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Reinhard Schultz
denn es gab natürlich wenig Begeisterung in den USA,wenig Begeisterung in Großbritannien oder überall da,wo man besonders intensiv an die Freiheit des Finanz-marktes glaubte, weil man daran auch besonders vielverdiente. Dieser Lernprozess hat sich erst durch die dra-matische Zuspitzung beschleunigt, sodass ein internatio-naler Dialog über das Verhältnis von politischen Regelnund internationalem Markt überhaupt erst sinnvoll ge-führt werden kann. Diesen Zeitpunkt haben wir jetztGott sei Dank erreicht. Daran hat die Bundesregierung,daran haben der Finanzminister und die Bundeskanzlerineinen erheblichen Anteil. Das muss man zunächst ein-mal würdigen.
Der zweite Punkt bezieht sich auf folgende Fragen:Was heißt Krisenmanagement? Was heißt Krise? ImHinblick auf die deutsche Szene gibt es doch sehr unter-schiedliche Elemente zu beobachten. Wir haben dieIKB, wo mit krimineller Energie ökonomische Faktenüber den Zustand der Bank verschleiert, über Jahre ausdem Bilanzkreislauf herausgenommen und vor den Wirt-schaftsprüfern verheimlicht und sogar vor dem eigenenAufsichtsrat im Dunkeln gehalten worden sind, was erstim Nachhinein sehr mühselig, sozusagen mit bergbauli-chen Methoden, ans Tageslicht gebracht werden musste.Ein anderes Beispiel ist die Hypo Real Estate, beider es zu einer Liquiditätskrise kam. Hier hat man be-herzt gehandelt. Dann musste man allerdings feststellen,dass ein Bankvorstand zu dem Zeitpunkt, als er mit Re-gierung und Finanzaufsicht verhandelt hat, nicht in derLage war, die Dimension dieser Liquiditätskrise auchnur halbwegs genau zu benennen. Er hat schlicht undeinfach vergessen, Commercial Papers in einer Größen-ordnung von 20 Milliarden Euro zu berücksichtigen, dieman nach Irland vergeben hatte; in diesem Zusammen-hang ist immer wieder von Irland die Rede. Diese Nach-richt ereilte ihn erst, nachdem sich die Bundesbank dieUnterlagen genauer angesehen hat. Das ist Versagen desManagements.
Hier stellt sich natürlich die Frage: Wo ist in einer sol-chen Situation die Aufsicht? Ich sage es einmal so: DieAufsicht kann nur das prüfen, was sie prüfen darf. Wennes zulässig ist, wesentliche ökonomische Tatbestände ei-nes Unternehmens in Länder oder Zweckgesellschaften,die außerhalb der Bilanz geführt werden und in denenman nicht einmal prüfen darf, zu verlagern, dann kanndie deutsche Bankenaufsicht, egal wie sie aufgestellt ist,nichts unternehmen. In einem solchen Fall wird sie ge-nauso hinter die Fichte geführt wie manch ein Aufsichts-rat oder Wirtschaftsprüfer. Diese Regeln müssen wir än-dern.
Der wichtigste Punkt ist: Wir müssen dafür sorgen, dasssich künftig alle Risiken und alle ökonomischen Aktivi-täten einer Bank in der Bilanz niederschlagen.ttnEsdDcNdsGsdmkIKtvsaduwzADsvwSBüsdudfsnsRivwritw
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So viel zum Problembewusstsein, das die führendenÖkonomen der USA an den Tag legten. Daran hat sichinzwischen Gott sei Dank etwas geändert.Ich finde, es ist verantwortungslos, wenn sich Rating-agenturen Kenntnisse anmaßen bzw. vorgaukeln, überKenntnisse zu verfügen, die sie gar nicht haben können,zum Beispiel über neue strukturierte Finanzprodukte.Kein Mensch weiß, wie sie sich entwickeln und was da-rin enthalten ist. Dafür fehlen statistische und empirischeReihen, die das Wesen des Ratings überhaupt ausma-chen. Das sind aus der Hüfte geschossene Prognosen, dieeigentlich nur den Zweck erfüllen, den Besteller der Pro-gnose zufriedenzustellen und das Honorar zu kassieren.Ich finde, das kann nicht als Ersatz für eine funktionie-rende und eigenverantwortliche Risikovorsorge in denBanken und bei den Finanzdienstleistern gelten.
Ich glaube schon, dass wir darüber reden müssen,welche Möglichkeiten wir der Bankenaufsicht künftiggeben. Wir müssen sie ihr aber auch geben. Sie kannsich nämlich nur in dem Rechtsrahmen bewegen, den sievorfindet. Ich bin Freund einer prozessbegleitendenFinanzaufsicht, wenn es sich um Häuser handelt, dieeine Bedeutung für das gesamte System haben. Das istaber eine völlig andere Aufstellung, nämlich ungefähr sowie die Großbetriebsprüfung, die sich in dem Großbe-trieb regelrecht einnistet und ständig vor Ort ist. So et-was müssen wir erreichen. Ich glaube, ansonsten wirdimmer wieder eine Situation auftreten, in der wir bekla-gen müssen, dass die Bankenaufsicht etwas nicht mitbe-kommen hat, weil sie es gar nicht mitbekommen konnte.Herr Westerwelle, ich denke, hier müssen wir alle einbisschen ehrlicher sein, und wir dürfen nicht so tun, alsob die armen Beamten, die die Gesetze zu vollziehen ha-ben, die Verantwortlichen sind. Wir sind die Verantwort-lichen; denn den Rahmen für die Finanzaufsicht setzenwir.
Dieser war bislang zureichend und ist es aus heutigerSicht nicht mehr. Das hat aber überhaupt nichts damit zutun, ob das die Bundesbank oder die BaFin ist. Das istvöllig egal. Es geht darum, wie tief die Bankenaufsichtin den operativen Prozess überraschend eingreifen darf.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich finde es gut,dass der Finanzminister und die Bundeskanzlerin ge-mdDPrwwdwzdMrmcdfdWlBtJRNErdUdsaiPshSgw
Nächster Redner ist der Kollege Alexander Bonde für
ie Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!ir haben heute einen denkwürdigen Auftritt vom Kol-egen Westerwelle erlebt, der hier den Kampf für dieankenaufsicht und gegen das Spekulantentum ausge-ragen hat.
etzt stellt sich natürlich die Frage, ob sich jemand alsobin Hood eignet, der seit Jahrzehnten der Sheriff vonottingham der deutschen Politik ist.
r muss sich natürlich auch die Frage stellen lassen, wa-um er, wenn er es mit dem Untersuchen und dem Verän-ern der Bankenaufsicht so ernst meint, hinsichtlich desntersuchungsausschusses, bei dem es um die KfW,ie IKB und auch die jetzigen Vorgänge geht, eigentlicho zögert. Ich finde, wer hier gackert, der muss das Eiuch legen, Herr Westerwelle.
Um was geht es heute in dieser Debatte? Wir habenm Kern die Frage zu beantworten, mit welchem Zielolitik ihr Krisenmanagement hinsichtlich dieserchwierigen Finanzkrise verfolgt. Ich finde, wir müssenier sehr genau aufpassen, damit wir nicht die falschenignale im Hinblick auf die Frage setzen, um wen es ei-entlich geht, wen die Politik also retten bzw. stützenill.
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Alexander BondeIch denke, das Signal muss sein, dass es die Aufgabeder Bundesregierung ist, zu sichern, dass die Menschennicht zum Opfer dieser Finanzkrise werden, und dass esnicht ihre Aufgabe ist, zu sichern, dass die Banken, diediese Krise zum Teil als Täter herbeigeführt haben,schuldfrei aus dieser herauskommen. Am Ende muss esalso darum gehen, wie man die kleinen Leute und diefunktionierenden Institutionen, die man für das täglicheLeben und Wirtschaften braucht, schützen kann.
Aber es geht nicht darum, wie man es erreicht, dassdie Banker aus ihrer Verantwortung entlassen werdenund dass schlechte Banken trotzdem am Markt bleiben.
Frau Kanzlerin, da haben Sie vom Leipziger Parteitagbis hierher einen langen Weg hinter sich.
Ich möchte nicht wissen, was auf Ihrem Parteitag damalsmit Rednern passiert wäre, die Ihre heutigen Thesen vor-gestellt hätten.
Aber schenken wir uns das. Ich glaube, dass viel Wahresdaran ist und dass Sie im Kern ähnlich argumentierenwie wir.Man muss aber genau hingucken, wie Ihr Krisen-management genau aussieht. Sie haben heute festge-stellt, es könne nicht sein, dass die Hypo Real Estatevom Staat mit einer Bürgschaft gerettet wird, ohne dassder Staat etwas davon hat. Die Wahrheit ist: Was eineGebühr für die Bürgschaft angeht, ist nichts verhandeltoder fixiert. Es gibt nichts außer der lauen Aussage, manwolle noch einmal darüber reden. Das verbirgt sich hin-ter der Fassade Ihrer Ankündigung.
Sie haben gesagt, Sie verlangen mehr Verantwor-tung und Haftung von Managern und Bankern, die inder Krise versagt haben. Auch da zeigt der Abgleich:Hypo-Real-Estate-Chef Funke, der – nachdem er uns ta-gelang ein paar Milliardenlöcher nicht richtig erklärenkonnte – heute nach wochenlangem Hin und Her endlichzurückgetreten ist, geht mit einer saftigen Rente in Höhevon 70 Prozent seines Gehaltes ab sofort.
Das ist nicht das, was ich unter Verantwortung verstehe.
Ich erwarte von der Bundesregierung, die eine solcheBank rettet – ob sie abgewickelt wird, wissen wir bisheute nicht –, dass der Staat Einfluss nimmt, wenn erhandelt, und solche Ungerechtigkeiten, die draußen keinMensch versteht, abstellt. Auch das ist ein Versagen in-nerhalb des Krisenmanagements.DmzgAMaidmndSsfZSWfdgWAwsBSHFrsurwe5pWssdwtäu
Ich glaube insofern, Sie müssen gut aufpassen, dassie in der Frage, wie Sie in der Rettung verfahren, keineidersprüche zu dem herstellen, was Sie hier zu Rechtormuliert haben. Sie werden auch aufpassen müssen,ass Sie mit dem, was Sie vorhaben, nicht langfristig an-elegte notwendige Strukturmaßnahmen hintertreiben.ir alle wissen, dass Krisenmanagement notwendig ist.ber wenn die Krise vorbei ist, müssen auch die not-endigen Strukturänderungen erfolgen. Wir werden Sieehr genau daran messen, was gilt, Frau Merkel: derundestag in Berlin oder der Parteitag in Leipzig.
Für die CDU/CSU-Fraktion spricht nun der Kollege
teffen Kampeter.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen underren! Diese Debatte macht deutlich, dass neben derinanzkrise die Einordnung der Veränderungen und He-ausforderungen in die gesellschaftspolitische Debatteehr wichtig ist. Wir haben als Christliche Demokratennd Christlich-Soziale Union immer sehr viel Wert da-auf gelegt, dass wir dem Leitbild der sozialen Markt-irtschaft verpflichtet waren. Die ersten Grundlagen-ntscheidungen sind von Adenauer und Erhard in den0er-Jahren getroffen worden. Die zentrale Bewährungs-robe nach der Grundsatzentscheidung war die deutscheiedervereinigung, als wir zwei unterschiedliche Wirt-chafts- und Gesellschaftssysteme auf der Basis derozialen Marktwirtschaft vereinigt haben.Jetzt wird sich die soziale Marktwirtschaft angesichtser wohl schwerwiegendsten finanzwirtschaftlichen Ver-erfungen im 21. Jahrhundert mit einer ähnlichen Quali-t, wie ich glaube, erneut bewähren müssen. Es ist jetztnsere staatspolitische Aufgabe, diese Herausforderungen
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 181. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 7. Oktober 2008 19341
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Steffen Kampeteranzunehmen und unser Wirtschafts- und Gesellschaftssys-tem gegenüber diesen schlimmen Herausforderungen zuverteidigen, fortzuentwickeln und die richtigen Antwor-ten auf die Fragen der Menschen zu formulieren.
Ich möchte an dieser Stelle als Leitbild ein Motiv vonWilhelm Röpke, einem großen Theoretiker der sozialenMarktwirtschaft, aufgreifen, das er zum Titel eines Bu-ches gemacht hat: Maß und Mitte. Wir stehen als Christ-liche Demokraten und als Christlich-Soziale Union auchim 21. Jahrhundert für Maß und Mitte ein. Vieles, waswir heute kritisch beurteilen, hat nichts, aber auch garnichts mit unserem Leitbild von Maß und Mitte zu tun.Deshalb müssen wir es auch nicht verteidigen. Rendite-ziele in Höhe von 25 Prozent, Gier, hemmungsloses Ab-zocken und verantwortungsloses Handeln in der Finanz-wirtschaft, all dies sind Exzesse, die mit unseremVerständnis von einer freiheitlichen und sozialen Wirt-schafts- und Gesellschaftsordnung nichts zu tun haben.
Ich will an dieser Stelle deutlich machen: Wir vertei-digen nichts, was unanständig ist. Nicht alles können wirmit unmittelbarem staatlichen Handeln verändern. Es hataber nichts mit Maß und Mitte zu tun, wenn heutzutageErträge in den angelsächsischen Ländern ohne Risikound Verantwortung erwirtschaftet werden. Es hat nichtsmit Maß und Mitte zu tun, wenn sich die Entlohnungnicht nach dem langfristigen, sondern nach dem kurz-fristigen Erfolg bemisst. Und es hat auch nichts mit Maßund Mitte zu tun, wenn viele in den Unternehmen beiSchwierigkeiten in finanziell gut ausgestattete Pensions-fonds flüchten und nicht bereit sind, Verantwortung fürdas zu übernehmen, was sie angerichtet sowie den Men-schen in unserem Land und darüber hinaus zugemutethaben.
Ich will deutlich machen, dass Maß und Mitte für un-sere staatliche Reaktion ein wichtiger Maßstab sind.Deswegen ist es wichtig, darauf hinzuweisen, dass esdiese Bundesregierung war, die bereits in Heiligen-damm auf die Bedeutung der sozialen Marktwirtschaftfür die internationale Ebene hingewiesen und bestimmteHerausforderungen gegenüber anderen Ländern, die an-derer Auffassung waren, deutlich gemacht hat. Es ist einAusweis der Politik von Maß und Mitte, dass wir bei-spielsweise bei der Sanierung von Unternehmen Einflussnehmen wollen. Warum ist denn heute der Vorstandsvor-sitzende von Hypo Real Estate zurückgetreten? Das ge-schah, weil diese Bundesregierung gesagt hat: Mit demPersonal und dem Aufsichtsrat sind wir nicht bereit, eineSanierung durchzuführen. Das zeigt: Dort, wo wir ein-greifen, nehmen wir gestaltend Einfluss. Wer wie Sie,Herr Kuhn, etwas anderes behauptet, sagt bewusst dieUnwahrheit und will in die Irre führen. Das ist nicht un-ser Verständnis von Sanierung. Wir wollen im Interesseder Bürgerinnen und Bürger dieses Landes Einfluss neh-men.
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enn der Weltökonom Lafontaine demnächst auf einem-7-Gipfel oder in Washington verkündet: „Wir lösenie Finanzkrise, indem wir die Hartz-IV-Sätze anheben“,
ann mag das für die Betroffenen eine gute Botschaftein. Das ist aber keine ursachenadäquate Lösung, son-ern Populismus, eine selbstgerechte Augenwischerei,ine Inszenierung eines mit dieser staatspolitischen Auf-abe hoffnungslos Überforderten.
Wir müssen aber auch feststellen, dass wir noch nichtuf alle Herausforderungen Antworten gefunden haben.ie Liquiditäts- und Vertrauenskrise hält an. Wir er-ahren, dass weitere Banken durch die Vertrauenskrise inine schwierige Situation getrieben werden. Deswegenst die Frage berechtigt, ob wir mit dem Einzelfallma-agement weitermachen können. Ich verstehe die Äuße-ungen des Bundesfinanzministers dahin gehend, dassir uns künftig in Bezug auf strategische Fragen besserappnen müssen. Deswegen ist eine Übereinkunft miten Akteuren des Finanzmarktes wichtig. Wir müssenystemische Krisen mit einem umfassenderen Systemeantworten. Wir sind am Anfang einer Debatte, und wirüssen eingestehen, dass wir nicht auf jede Herausfor-erung in dieser Krise eine Antwort haben. Aber es ister entschlossene politische Wille in Deutschland und inllen europäischen Staaten, die Funktionsfähigkeit desinanzmarktes im Interesse aller Menschen, die hierohnen und arbeiten, aufrechtzuerhalten. Wir brauchenunktionsfähige Finanzmärkte, und wir als Staat sind be-eit, diese Funktionsfähigkeit tatsächlich zu garantieren.
Wir als Christlich Demokratische Union und wir alshristlich-Soziale Union sind der Auffassung, dass jetztie Stunde der Politik ist. Wir wollen diese Krise bewäl-igen. Wir sagen den Bürgerinnen und Bürgern in unse-em Land, dass vor allen Dingen sie es sind, die im Mit-
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Steffen Kampetertelpunkt unseres Handelns stehen. Wir glauben, dass,wie Norbert Röttgen es ausgedrückt hat, das öffentlicheGut „funktionsfähiger Finanzmarkt“ in unser aller Inte-resse ist. Ein funktionsfähiger Finanzmarkt garantiert,dass wir Lohn- und Gehaltszahlungen abwickeln kön-nen, dass der Sozialstaat funktioniert und dass der kleineMittelständler seine Maschine finanzieren kann. Wir allesind auf die Finanzmärkte und auf ein funktionsfähigesBankensystem angewiesen. Es geht hier nicht um denSchutz einiger weniger Reicher und die Sicherung ihrerExistenz, sondern es geht um die Zukunft unseres Lan-des, es geht um Maß und Mitte in unserer Volkswirt-schaft und in unserem Gesellschaftssystem.
Es geht um die Frage, ob die Menschen uns zutrauen, dieHerausforderungen der Zukunft zu meistern. Die Regie-rungserklärung der Bundeskanzlerin hat deutlich ge-macht, dass wir als Koalition diese staatspolitische He-rausforderung im Interesse der Menschen annehmen undan der Bewältigung der Probleme weiter arbeiten wer-den.Herzlichen Dank.
Nächster Redner ist der Kollege Ortwin Runde für die
SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Ich muss sagen: Die Entwicklung und die Dramatik die-ser Krise sind etwas, was ich so nicht vorhergesehenhabe. Diese Exzesse an den Finanzmärkten, das Einstür-zen der Kreditpyramiden und die wellenförmige Aus-weitung der Krise habe ich in dieser Form und Dramatiknicht vorhergesehen. Es mag andere geben, die das allesschon vorher gewusst haben.Ich freue mich, dass die Kollegen von der CDU/CSUsagen, es sei jetzt die Aufgabe der Politik, die Krise zubewältigen und das Vertrauen wiederherzustellen. In die-sem Zusammenhang möchte ich einen Einwand zuHerrn Röttgen machen: Die Orientierung an der sozialenMarktwirtschaft und die Berufung auf die Ethik der so-zialen Marktwirtschaft sind immer etwas, was aus einerGesellschaft heraus kommt, aus dem Wertesystem unse-rer Gesellschaft. Aber angesichts des globalen Wirt-schaftssystems und der globalen Finanzmärkte zu glau-ben, mit der Ethik unseres rheinischen Kapitalismus dieErlösung bringen zu können, ist ein bisschen wenig.
Da bin ich sehr viel näher bei Helmut Schmidt, dersagte: Seefahrt braucht Regeln, und zwar internationaleRegeln. Luftfahrt braucht Regeln, und zwar internatio-nale Regeln. Es gilt auch, dass die internationalen Fi-nbDudwEntmHtrszdIaDVDuwrdrbwAdrwDfhsd1F2Dm
a gibt es einen fundamentalen Unterschied zwischenns, Herr Westerwelle: Das können keine Regeln sein,ie die Märkte selbst entwickeln; denn wir haben erlebt,ohin das führt.
s müssen Regeln sein, die für alle gelten und die aus-ahmslos gelten. Das heißt, es darf keine nicht regulier-en Bereiche in den Finanzmärkten geben; sonst bekom-en wir die Probleme nicht in den Griff.Ich finde aber den Ansatz von Herrn Röttgen underrn Kampeter bezogen auf unsere gesellschaftliche Si-uation und als Leitlinie für eigenes Verhalten zielfüh-end. Dabei geht es darum, eine funktionsfähige Finanz-truktur als öffentliches Gut zu sehen und entsprechendu behandeln. Wenn das die Leitlinie ist, werden wir beien Schritten, die wir gehen müssen, gut vorankommen.ch bin voller freudiger Erwartung, was die Zusammen-rbeit angeht.
as gilt auch für die Anreizsysteme, nicht nur auf derorstandsebene, sondern auch auf der Mitarbeiterebene.iese sollen, wie ich höre, in Richtung Nachhaltigkeitnd Vermeidung von Exzessen verändert werden. Daerden wir, unter Rückgriff auf Vorarbeiten, Regulie-ung und Ergebnisse erreichen können.Ebenfalls begrüße ich unsere Übereinstimmung inem Punkt, dass es bei den Ratingagenturen keine Inte-essengegensätze zwischen Bewertung und Beratung ge-en darf. Darauf müssen wir hinwirken, und das werdenir auch tun.
uch in Bezug auf die Eigenkapitalunterlegung und an-ere Punkte gibt es weitgehend Übereinstimmung. Da-an kann man konkret arbeiten. Das unterscheidet sichesentlich von dem, was in den vergangenen Jahren dieiskussion bestimmt hat, nämlich ein „level playingield“ gegenüber den angloamerikanischen Akteurenerzustellen, was schlicht Deregulierung bedeutete.Ebenso bin ich froh, dass wir gemeinsam der Auffas-ung sind, dass wir uns mit den Differenzen zwischen iner Realwirtschaft erreichbaren Renditen von 8 bis2 Prozent und, wie Herr Kampeter eben noch sagte, derinanzwirtschaft mit Renditeerwartungen zwischen5 und 35 Prozent beschäftigen müssen.
enn da besteht eine Diskrepanz und Nichtbalance. Dasuss in die Balance gebracht werden.
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 181. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 7. Oktober 2008 19343
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Ortwin RundeEs gibt entsprechende Möglichkeiten, da heranzugehen.Auch da bin ich sehr gespannt auf die gemeinsame Ar-beit.Schon auf der Ebene der Feuerwehrfunktion wirddeutlich, dass wir die Probleme ohne europäischeDimension nicht lösen können. Wenn ich mir die Insel-lösungen anschaue – in Island, als unverdächtige Insel,das durch Garantien, die es gewährt hat, inzwischen imStaatsbankrott zu landen droht, aber auch in Irland –,habe ich Sorge. DEPFA, Ormond Quay – woher kamdenn der ganze „Segen“? Wie ist es gekommen, dassdeutsche Banken dort ihre Tochtergesellschaften ange-siedelt haben? Wegen des Vorteils von nur 12,5 ProzentSteuern!
Anschließend haben wir das Ganze auszubaden. Ich binder Meinung, wir müssen auf der europäischen Ebene zuVereinbarungen und Abstimmungen kommen, auchschon bei den Feuerwehraktivitäten.
Das gilt auch für die Garantien. Denn wenn diese Ga-rantien sehr unterschiedlich sind, haben wir dort eineArbitrage, wie die Banker das immer so schön nennen.Das bezieht sich auf die Frage: Was machen wir mit denBanken, die in der Krise sind? Wie werden sie saniert?Wie werden sie herangezogen? Welche Kontrolle übt derStaat aus, was setzt er an Steuerung ein, was macht erzur Sicherung der Gelder von Steuerzahlern im Sanie-rungserfolgsfall? Dies wird meines Erachtens europa-weit geregelt werden müssen. Ebenso werden wir aufeuropäischer Ebene an die Frage herangehen müssen,wie wir der Befeuerung einer Krise durch Leerverkäufebegegnen können; auch das gehört zum Feuerwehrbe-reich. Diesen Leerverkäufen muss ein Ende gesetzt wer-den. Auch halte ich sehr viel von dem, was ReinhardSchultz gefordert hat, nämlich ein Verbot solcher sys-temdestabilisierender Instrumente.
Wir werden – das wird sehr schnell wirksam werdenmüssen – an die Bilanzierungsvorschriften herangehenmüssen. Wir müssen das, was die SEC an der Wall Streetgemacht hat, ganz schnell in Europa umsetzen.
Wir werden dies nicht allein in Deutschland machenkönnen, weil alle deutschen Gesellschaften europäischaufgestellt sind. Hier halte ich sehr viel von Bilanzie-rungsvorschriften, die dicht am HGB orientiert sind.Wenn wir im Geiste dieser Diskussion ans Handelngehen und dies in den Alltag übersetzen, dann sind wirin der Tat in der Lage, eine etwas bessere Ordnung derFinanzmärkte zu erreichen. Das wäre schon ein wichti-ges Ergebnis.
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Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen underren! Als letzter Redner in dieser Debatte will ich zu-rst der Frau Bundeskanzlerin, dem Bundesfinanzminis-er und auch dem Präsidenten der Deutschen Bundes-ank, Professor Weber, ganz herzlich für die enormerbeit danken, die in den letzten Tagen und Wochen zueisten war.
Und natürlich auch den Mitarbeitern der verschiedenenäuser, die mitgeholfen haben, die Krise, soweit es inhrer und in unserer Hand lag, zu bewältigen.Die internationale Finanzkrise hat, wie heute schonum Ausdruck gebracht worden ist, nicht nur bei denarktteilnehmern zu einer Vertrauenskrise geführt. Zumeil ist die Vertrauenskrise ihrerseits Ursache für Weite-ungen des Problems. Gerade in den letzten Tagen habenns viele Bürgerinnen und Bürger besorgt gefragt, wieicher ihre Einlagen und Gelder sind. Deswegen ist dieusage der Frau Bundeskanzlerin und des Bundesfinanz-inisters von vorgestern und heute in der Regierungs-rklärung sehr wichtig. Die Menschen müssen wissen:ie brauchen keine Sorge zu haben. Das ist eine wichtigeoraussetzung dafür, dass nicht weitere Auswirkungennd Unsicherheiten in den Markt kommen. Wir müssenafür sorgen, dass wieder Ruhe in die Märkte einkehrt.ir müssen dafür sorgen, dass die Nervosität beseitigtird und Vertrauen zurückkommt.
Jeder von uns ärgert sich natürlich über die grandio-en Fehlleistungen im Management vieler Finanzinsti-ute. Kritik und Ärger sind verständlich und berechtigt.ie Schuldigen müssen – auch das ist heute schon gesagtorden – stärker als bisher zur Verantwortung gezogenerden. Trotzdem müssen wir jetzt mit Besonnenheit aner Problemlösung arbeiten. Es geht um die Stabilitätes Finanzsystems. Es geht um die Begrenzung negati-er Auswirkungen auf die Realwirtschaft, auf unserenternehmen, auf den Mittelstand und auf die Arbeits-lätze. Letztlich geht es auch darum, dass die Menschenn finanzieller Sicherheit leben können, dass sie mitinanzieller Sicherheit rechnen können und dass die klei-en Leute keine Sorge haben müssen.
ir handeln nicht im Interesse der Bankmanager, son-ern im Interesse der Bürgerinnen und Bürger.Die Maßnahmen, die im Falle der Hypo Real Estateonkret ergriffen werden mussten, sind notwendig undichtig, um weitere negative Folgen zu vermeiden. Dazu
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19344 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 181. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 7. Oktober 2008
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Bartholomäus Kalbgibt es keine Alternative. Viele Institutionen und Bürgerwären unmittelbar betroffen, auch wenn es manche nochgar nicht wissen.Über den Tag hinaus müssen wir uns aber den ande-ren Aufgaben zuwenden; das ist in der Debatte heuteschon angesprochen worden. Es geht um die Verbesse-rung der Finanzaufsicht und vor allen Dingen um dieKoordinierung der Finanzaufsicht auf internationalerund globaler Ebene. Alleingänge helfen nicht weiter. DieBundesregierung hat, wie schon erwähnt, bereits wäh-rend der G-7-/G-8-Präsidentschaft und der EU-Ratsprä-sidentschaft einige wichtige Themen, was die Regelndes Finanzmarktes betrifft, auf die Tagesordnung ge-setzt, was seinerzeit noch brüsk insbesondere von denUSA, aber auch von anderen zurückgewiesen wurde.Heute wären manche froh, wenn man früher auf denKurs der Bundesregierung eingeschwenkt wäre.Vorhin wurde schon von einem Kollegen ein Beispieldafür genannt, wie arrogant man behandelt worden ist.Als ich in einem kleinen Kreis von Fachleuten im Früh-sommer das Thema Leerverkäufe angesprochen habeund gefragt habe, ob es sinnvoll sein könne, dass mitspekulativer Absicht ganze Unternehmen in die Knie ge-zwungen werden, hat man nur schnodderig geantwortet:So sind nun einmal Börsen. – Diese Antwort hilft unsaber nicht weiter. Auch hier ist unser entschiedenes Han-deln dringend notwendig.
Man kann nur staunen, welche Finanzprodukte mitwelchen Kunstnamen von wem auf den Markt gebrachtworden sind. Nicht einmal die Fachleute konnten dieseDinge durchschauen, schon gar nicht anderen erklären.Vieles lief außerhalb der Bilanzen.Merkwürdig ist, dass die USA ursprünglich mit Nach-druck gefordert haben, bei Basel II schnell zu einer Eini-gung zu kommen, sich aber, als es beschlossen war, ge-wehrt haben, Basel II im eigenen Bereich umzusetzen.Basel II lässt keine Aktivitäten, keine Zweckgesellschaf-ten außerhalb der Bilanzen zu.
Basel II enthält ferner strenge Regeln zur Eigenkapi-talunterlegung.Ich füge hinzu: Vielleicht ist es jetzt nicht der richtigeZeitpunkt, aber zu gegebener Zeit müssen wir über eineweitere Verschärfung und Verbesserung der Eigenkapi-talregeln befinden. Das betrifft insbesondere den Bereichdes Interbankenverkehrs; das möchte ich anmahnen.Hier ist erheblicher Handlungsbedarf gegeben.Vorhin ist hier schon die Rolle der Ratingagenturenangesprochen worden. Es kann nicht sein, dass, wie ver-mutet wird, ein und dieselben Leute zugleich in den Auf-sichtsräten von Bankunternehmen und von Ratingagen-turen sitzen. Es kann beispielsweise nicht sein, dass sichRatingagenturen an der Strukturierung der Produkte, dieauf den Markt geworfen werden, beteiligen und diesenProdukten hinterher – das haben wir erlebt – wie einFleischbeschauer den Stempel „Triple A“ aufdrücken.HaAshitGb–MfdgtLsbvwtgvApdekedaDmkwfwIn
uch diese Dinge gehören international auf den Prüf-tand. Der Bundesfinanzminister ist in einer vorherge-enden Debatte auf die Frage eingegangen, wie weit wirm Internationalen Währungsfonds und in anderen Insti-utionen hier vorankommen können.Unsere Bankmanager müssen wieder lernen, nach denrundsätzen ordentlicher, umsichtiger Kaufleute zu ar-eiten und zu handeln.
Kollege Kampeter hat schon vorhin gesagt: „Maß unditte“. Das heißt: Kurzfristiges Renditedenken, kurz-ristige Renditeerwartungen und hohe Boni dürfen nichtas Handeln bestimmen; vielmehr müssen wieder Tu-enden wie Seriosität, Solidität, langfristige Wertorien-ierung und Nachhaltigkeit das Handeln bestimmen.
Zusammenfassend möchte ich sagen: In allerersterinie brauchen wir wieder Vertrauen. Heute und in die-en Tagen ist von der Bundesregierung Wichtiges dazueigetragen worden. Dazu gehört: Die Aufsicht musserbessert sowie international und global koordinierterden. Stellung, Urteil und Geschäftsgebaren der Ra-ingagenturen müssen einem kritischen Urteil unterzo-en werden. Die Bilanzierungsvorschriften müssen, wieorhin vorgetragen, modifiziert werden. Es darf keinektivitäten außerhalb von Bilanzen geben. Die Eigenka-italregeln müssen verbessert werden. Wir müssen auchie Fragen klären: Wer darf welche Finanzproduktemittieren? Wer darf sie unter welchen Voraussetzungenaufen?Die Anreizsysteme bei den Banken dürfen nicht zuiner Kurzfristorientierung führen, sondern müssen wie-er auf Nachhaltigkeit und langfristige Werterhaltungusgerichtet werden.
ie Haftungsregeln, die für die Verantwortlichen gelten,üssen verschärft werden. Das deutsche Universalban-ensystem und das Dreisäulensystem haben sich be-ährt; sie müssen erhalten und gestärkt werden und dür-en nicht wieder von manchen in Zweifel gezogenerden.
ch sage noch einmal: Bankmanager müssen wieder ler-en, zu handeln wie ein umsichtiger Kaufmann.Danke.
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 181. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 7. Oktober 2008 19345
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(D)
Ich schließe die Aussprache.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tages-
ordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes-
tages auf Mittwoch, den 15. Oktober 2008, 13 Uhr, ein.
Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Abend und
schließe die Sitzung.