Gesamtes Protokol
Guten Tag, liebe Kol-
leginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet.
Die heutige Sitzung habe ich gemäß Art. 39Abs. 3 des
Grundgesetzes in Verbindung mit § 21 Abs. 2 der Ge-
schäftsordnung auf Verlangen der Fraktionen der SPD
und des Bündnisses 90/Die Grünen einberufen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, bevor wir mit unse-
rer Arbeit beginnen, darf ich Sie bitten, sich zu erheben.
In diesem Sommer hat eine Flutkatastrophe vornehm-
lich Sachsen und Sachsen-Anhalt, aber auch Bayern,
Brandenburg, Niedersachsen, Schleswig-Holstein sowie
unsere Nachbarstaaten Österreich und Tschechien heim-
gesucht, die unser aller Vorstellungskraft überstieg und
den Betroffenen Leid im schlimmsten Ausmaße brachte.
Straßen, Schienenwege und Brücken wurden zerstört, Orte
und Felder verwüstet. Viele Menschen bangen um ihre ma-
terielle Existenz. Schlimmer noch: In den Fluten kamen
mehr als 18 Menschen ums Leben; einige Menschen wer-
den noch vermisst. Ihrer wollen wir in besonderer Weise
gedenken. Ihren Angehörigen gilt unser tiefes Mitgefühl.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben heute auch
eines plötzlich verstorbenen Kollegen zu gedenken. Tief
betroffen sind wir vom Tod unseres Kollegen Dietmar
Schlee, der am Samstag, dem 3. August 2002, verstorben
ist. Geboren am 31. März 1938 in Mengen im Kreis Sig-
maringen, blieb er seiner Heimat auch in seinem politi-
schen Engagement immer eng verbunden. So ließ sich
Dietmar Schlee nach dem Jurastudium in München und
Tübingen zunächst als Rechtsanwalt in Sigmaringen nie-
der, wo er auch seine politische Karriere begann. Seiner
Tätigkeit als Generalsekretär der CDU Baden-Württem-
berg folgte 1975 die als Landrat des Landkreises Sigma-
ringen. Bereits 1972 wurde er Mitglied des Landtages von
Baden-Württemberg, 1980 Minister für Arbeit, Gesund-
heit und Sozialordnung und 1984 Innenminister des Lan-
des. Dem Bundestag gehörte Dietmar Schlee seit 1994 an.
Von Juli 1997 bis November 1998 war er Beauftragter der
Bundesregierung für Flüchtlingsrückkehr und rückkehr-
begleitenden Wiederaufbau in Bosnien und Herzegowina.
Unser tiefes Mitgefühl gilt seiner Ehefrau und der Fa-
milie. Wir werden ihn in ehrender Erinnerung behalten.
Sie haben sich zu Ehren der Verstorbenen erhoben; ich
danke Ihnen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, für den verstorbenen
Kollegen Dietmar Schlee hat am 6. August 2002 der Ab-
geordnete Dr. Egon Jüttner die Mitgliedschaft im Deut-
schen Bundestag erworben. Ich begrüße den uns bereits
aus früheren Wahlperioden bekannten Kollegen und wün-
sche gute Zusammenarbeit.
Sodann möchte ich einigen Kollegen, die in der Zwi-
schenzeit runde Geburtstage feierten, namens des Hauses
gratulieren. Es sind dies die Kollegen Ludwig Eich,
Karlheinz Guttmacher, Walter Link und
Otto Schily. Ferner feiert heute die Kollegin Cornelie
Sonntag-Wolgast ihren 60. Geburtstag. Ich gratuliere der
Kollegin und den Kollegen sehr herzlich.
Interfraktionell ist vereinbart, die Tagesordnung um
die Beratung der Anträge der Fraktion der PDS zur Finan-
zierung der Hochwasserschäden auf den Drucksachen
14/9899, 14/9900, 14/9901 und 14/9902 zu erweitern und
als Zusatzpunkt mit Tagesordnungspunkt 1 aufzurufen:
a) Beratung des Antrags der Fraktion der PDS
Stärkere Beteiligung von Großunternehmen an der Bewäl-
tigung von Hochwasserschäden durch Körperschaftsteuer
auf Veräußerungsgewinne
– Drucksache 14/9899 –
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder
Haushaltsausschuss
b) Beratung des Antrags der Fraktion der PDS
Stärkere Beteiligung von Kapitalgesellschaften an der Be-
wältigung von Hochwasserschäden durch Erhöhung der
Körperschaftsteuersätze
– Drucksache 14/9900 –
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder
Haushaltsausschuss
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251. Sitzung
Berlin, Donnerstag, den 29. August 2002
Beginn: 12.00 Uhr
c) Beratung des Antrags der Fraktion der PDS
Bewältigung derFlutkatastrophe gerecht finanzieren – Ver-
mögensabgabe erheben
– Drucksache 14/9901 –
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder
Haushaltsausschuss
d) Beratung des Antrags der Fraktion der PDS
Flutkatastrophe 2002: Den Opfern langfristig und wirksam
helfen – Rüstungsprojekte streichen
– Drucksache 14/9902 –
Sind Sie damit einverstanden? – Ich höre keinen Wider-
spruch. Dann ist so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 1 a bis 1 d sowie die
soeben aufgesetzten Zusatzpunkte 1 a bis 1 d auf:
1. a) Abgabe einer Regierungserklärung durch den
Bundeskanzler
Den Opfern helfen – Gemeinsinn stärken:
Maßnahmen zur Bewältigung der Hochwasser-
katastrophe
b) Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD
und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN einge-
brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung
steuerrechtlicher Vorschriften und zur Errichtung
– Drucksache 14/9894 –
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder
Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 GO
c) Beratung des Antrags der Fraktion der CDU/CSU
Schnelle Hilfe für die Flutopfer
– Drucksache 14/9905 –
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder
Haushaltsausschuss
d) Erste Beratung des von der Fraktion der PDS ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Aus-
gleich der von der Hochwasserkatastrophe im
August 2002 verursachten Eigentumsschäden
– Drucksache 14/9895 –
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder
Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 GO
ZP1a) Beratung des Antrags der Fraktion der PDS
Stärkere Beteiligung von Großunternehmen
an der Bewältigung von Hochwasserschäden
durch Körperschaftsteuer auf Veräußerungs-
gewinne
– Drucksache 14/9899 –
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder
Haushaltsausschuss
b) Beratung des Antrags der Fraktion der PDS
Stärkere Beteiligung von Kapitalgesellschaften
an der Bewältigung von Hochwasserschäden
durch Erhöhung der Körperschaftsteuersätze
– Drucksache 14/9900 –
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder
Haushaltsausschuss
c) Beratung des Antrags der Fraktion der PDS
Bewältigung der Flutkatastrophe gerecht finan-
zieren – Vermögensabgabe erheben
– Drucksache 14/9901 –
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder
Haushaltsausschuss
d) Beratung des Antrags der Fraktion der PDS
Flutkatastrophe 2002: Den Opfern langfristig
und wirksam helfen – Rüstungsprojekte strei-
chen
– Drucksache 14/9902 –
Zur Regierungserklärung liegen Entschließungsan-
träge der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die
Grünen, der Fraktion der CDU/CSU und der Fraktion der
FDP vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die
Aussprache im Anschluss an die Regierungserklärung
zwei Stunden vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch.
Dann ist so beschlossen.
Das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung hat
der Bundeskanzler, Gerhard Schröder.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Die verheerende Hochwasserkatastrophe, die in den ver-
gangenen Wochen Sachsen, Sachsen-Anhalt, Branden-
burg und Mecklenburg-Vorpommern, aber eben auch
Bayern, Niedersachsen und Schleswig-Holstein heimge-
sucht hat, hinterlässt die schwersten Schäden, die unser
Land in seiner Nachkriegsgeschichte erlitten hat.
Trotz dieser schrecklichen Ereignisse haben wir Grund,
stolz und auch zuversichtlich zu sein; denn durch Deutsch-
land ist nicht nur eine katastrophale Flut gegangen, son-
dern auch eine unglaubliche Welle der Solidarität.
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 251. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. August 2002
Präsident Wolfgang Thierse
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Man kann es überall spüren: Die Menschen packen zu.
Nachbarn helfen Nachbarn. Jeder tut das, was er kann.
Sehr viele haben großzügig gespendet – bis zum heutigen
Tag bereits mehr als 130 Millionen Euro.
Das zeigt, welche Hilfsbereitschaft und welcher Wille
zum Gemeinsinn in unserem Volk vorhanden sind. Nie-
mals zuvor hat es eine größere Spendenbereitschaft gege-
ben. Ich denke, dafür können wir allen Bürgerinnen und
Bürgern nur dankbar sein. Weil wir das Geld der Privat-
leute dringend benötigen, bitte ich darum, in der Unter-
stützung derer, die alles verloren haben, nicht nachzu-
lassen. Das Geld ist willkommen und wird dringend
gebraucht.
Meine Damen und Herren, überall, wo ich gewesen
bin, ob in Grimma oder in Dresden, habe ich Mut, Ent-
schlossenheit und die Hoffnung erlebt, die aus der ge-
meinsamen Erfahrung mit der Katastrophe erwachsen ist:
Gemeinsam schaffen wir das, gemeinsam werden wir mit
den Folgen fertig.
Diese Jahrhundertflut hat all diejenigen eines Besseren
belehrt, die gelegentlich geschrieben haben, zwischen Ost
und West stünde immer noch eine Mauer in den Köpfen
und gelegentlich auch in den Herzen. Was wir in diesen
Tagen erlebt haben, ist etwas ganz anderes: Aus der deut-
schen Einheit ist die Einheit der Deutschen geworden, und
zwar im Kopf und in den Herzen.
Dafür muss und kann man den Menschen nur danken.
Man darf auf die Menschen und die Leistungen, die sie er-
bracht haben, stolz sein.
Damit meine ich nicht nur die weit mehr als 50 000 ein-
gesetzten Helferinnen und Helfer des Bundesgrenz-
schutzes, des Technischen Hilfswerks und der Bundes-
wehr, die wirklich bis zur Erschöpfung gegen die Fluten
gekämpft und den bedrohten Menschen beigestanden ha-
ben. In diesen schweren Tagen haben viele Menschen
ganz praktisch erlebt, was der Begriff „Bürger in Uni-
form“ wirklich meint und wie sehr er bereits inhaltlich
ausgefüllt ist.
Mehr als 20 000 Soldatinnen und Soldaten der Bun-
deswehr haben gemeinsam mit französischen, polnischen
und amerikanischen Kameraden auch in schwierigsten Si-
tuationen umsichtig gehandelt und damit den Menschen
Sicherheit und Vertrauen gegeben. Ohne den unermüdli-
chen Einsatz von Technischem Hilfswerk, Bundesgrenz-
schutz, Bundeswehr, aber auch all der freiwilligen Helfer
in den Feuerwehren, der DLRG und etlicher anderer freier
Hilfsorganisationen wären die Schäden noch weit verhee-
render ausgefallen.
Ich sage jetzt für alle, die dort waren: Das musste man
sich anschauen. Es war nicht Neugier, sondern es war für
alle, die daran beteiligt waren und die politische Verant-
wortung tragen, die notwendige direkte Konfrontation mit
der Tragweite der Hochwasserkatastrophe und ihren Fol-
gen. Ich nehme für alle von uns in Anspruch: Man ent-
scheidet klarer und besser, wenn man sich vom Umfang
der Katastrophe ein eigenes Bild gemacht hat.
Es ist auch nötig, etwas zu den jungen Leuten in
Deutschland zu sagen, die gelegentlich als wenig ge-
meinschaftsfähig gescholten werden. Das ist ganz falsch,
wie sich gezeigt hat. Es mag sein, dass deren Vertrauen
und deren Bereitschaft zum Engagement in Großorgani-
sationen nicht mehr so ist, wie das früher selbstverständ-
lich war. Aber was wir hier mitten in der Katastrophe an
Bereitschaft insbesondere der deutschen Jugend, sich zu
engagieren, erlebt haben, war schon großartig.
Alle staatlichen Einsatzkräfte werden so lange vor Ort
bleiben, wie es erforderlich ist, um den Opfern zu helfen
und um beim Aufräumen und beim Wiederaufbau anzu-
packen. Ich sage es noch einmal: Den zahllosen freiwilli-
gen Helfern, die Sandsäcke geschleppt haben, die für Nah-
rungsmittel und Getränke gesorgt haben, auch denjenigen,
die bei den notwendigen Evakuierungen zugepackt haben,
kann man nur große Dankbarkeit und viel Respekt zollen.
Die Zivilgesellschaft, die hier deutlich geworden ist,
hat auch noch in Bereichen funktioniert, in denen wir in
anderen Situationen und anderen Ländern schon etwas
anderes gesehen haben. Es hat kaum Plünderungen oder
Ähnliches gegeben. Wo das doch der Fall gewesen ist, ist
das nicht nur von den Sicherheitskräften, sondern von den
Bürgerinnen und Bürgern selbst im Keim erstickt worden.
Das nenne ich Zivilcourage.
Es wäre schön, wenn sich aus diesem Gemeinsinn in der
Zukunft zur endgültigen Überwindung der Katastrophe
etwa zwischen Schulen, Kindertagesstätten und Sportver-
einen Partnerschaften entwickeln könnten. Das wäre eine
Verfestigung dieser wunderbaren Erfahrung, die wir haben
machen können.
Die Hochwasserkatastrophe hat auch auf sehr ein-
drucksvolle Weise gezeigt, dass wir Teil einer Völkerfa-
milie sind, die in Notzeiten durchaus zusammensteht. Auf
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 251. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. August 2002
Bundeskanzler Gerhard Schröder
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dem Hochwassergipfel am 18. August, zu dem ich die
Regierungschefs aus Österreich, Tschechien und der
Slowakei sowie den Präsidenten der Europäischen Kom-
mission nach Berlin eingeladen hatte, sind ganz wichtige
und umfangreiche Hilfsmaßnahmen beschlossen worden,
Hilfsmaßnahmen, die uns in den Stand versetzen, sehr viel
mehr an Mitteln zu mobilisieren, als wir zur Verfügung
hätten, wenn es diesen Gipfel nicht gegeben hätte. Noch
mehr: Das eigentlich Entscheidende ist, dass uns die Mög-
lichkeit gegeben worden ist, in zwei ganz wichtigen Punk-
ten von bürokratischen Verfahren, die es ansonsten der
Vorschriften der Europäischen Union wegen gibt, abzu-
weichen:
Erstens. Wir können die Aufträge für Reparaturarbei-
ten freihändig vergeben. Das ist der Grund dafür – Bahn-
chef Mehdorn hat mir dies gesagt –, warum unverzüglich
Aufträge für 30 Millionen Euro erteilt worden sind und
noch in diesem Jahr für 300 Millionen Euro erteilt wer-
den. Ansonsten würde man wegen der langen Ausschrei-
bungsfristen nicht so schnell und damit natürlich auch
nicht so wirkungsvoll handeln können.
Zweitens. Es ist ganz einfach notwendig, dass das Bei-
hilfenregime der Europäischen Union, das in solchen
Situationen nur einmalige Beihilfen erlaubt, partiell
außer Kraft gesetzt wird und dass man das, was man beim
Start dieser Unternehmen machen durfte, erneut tun
kann. Denn im Grunde genommen ist das, wovor die be-
troffenen Gewerbebetriebe jetzt stehen, ein völliger
Neuanfang, weil all das, was bisher aufgebaut worden ist,
der Flut zum Opfer gefallen ist. Ich glaube, es hat sich ge-
zeigt, dass man gemeinschaftlich handeln kann. Es mag
den einen oder anderen geben, der noch etwas mehr er-
wartet hätte.
Ich habe im Übrigen mit der dänischen Präsidentschaft
vereinbart, dass die Außenminister auf ihrer Sitzung mor-
gen und übermorgen über die Frage der Einrichtung
eines Katastrophenfonds diskutieren. Die derzeitige Prä-
sidentschaft und alle anderen – ich habe diese Initiative
zusammen mit dem österreichischen Regierungschef ins
Leben gerufen – unterstützen das. Ich gehe davon aus,
dass das auch geschieht.
– Sie sehen, in solchen Fragen ist vieles möglich. Das
muss auch so sein.
Unterschiede bleiben trotzdem bestehen. Aber in Kata-
strophenfragen kann und muss man gemeinsam handeln.
Wir wollen verhindern, dass die Kandidatenländer in Be-
zug auf diesen Katastrophenfonds deutlich schlechter be-
handelt werden. Bei dem Übrigen, bei dem es um Geld für
definierte Gebiete geht, das nur Mitgliedstaaten zur Verfü-
gung steht, kann man die Situation nicht ändern. Aber was
diesen Katastrophenfonds angeht, wollen wir erreichen,
dass diejenigen, die wir bereits 2004 als wahlberechtigte
Mitglieder begrüßen wollen, nicht anders behandelt werden
als diejenigen, die Mitgliedstaaten sind.
Es war übrigens schön, zu erleben, dass Hilfsange-
bote – nicht jede Hilfe wurde in Anspruch genommen; das
hatte unterschiedliche Gründe – zum Beispiel aus Ägypten,
Bulgarien, Chile, Georgien, Kanada, Litauen, Polen, Russ-
land, der Ukraine und den Vereinigten Staaten von Amerika
kamen. Ganz viele haben angerufen, ihre Betroffenheit
über das, was sich bei uns abgespielt hat, ausgedrückt und
gesagt: Wann immer wir mit Material und mit Menschen
helfen können, das Angebot steht; ihr braucht es nur ab-
zurufen. Ich habe darauf geantwortet, dass mich diese in-
ternationale Solidarität sehr freut, insbesondere deswe-
gen, weil wir ein Land sind, das bei Spendenaufrufen im
Rahmen internationaler Hilfe immer tätig wird und das
sehr wohl – unsere Menschen sind es erst recht – zu Hil-
fen bei internationalen Katastrophenfällen bereit ist. Auch
wenn wir nicht jede Hilfe akzeptieren konnten und woll-
ten, war es schön und beglückend, diese Angebote entge-
gengebracht zu bekommen.
Meine Damen und Herren, wir alle haben uns persön-
lich – das war unsere Pflicht; ich unterstreiche das noch ein-
mal – einen Eindruck von den verheerenden Folgen ver-
schafft. Für diejenigen, die dies nur aus der Distanz erleben
konnten – Fernsehbilder schaffen Distanz; das kann man gar
nicht bestreiten –, seien noch einmal die nackten Zahlen ge-
nannt: Überschwemmungen auf 800 Flusskilometern von
Elbe, Donau und Mulde; Katastrophenalarm in 49 Land-
kreisen und kreisfreien Städten; 180 000 beschädigte oder
unbewohnbar gewordene Häuser und Wohnungen; Zer-
störung von 740 Kilometern Straße und etwa 18 Brücken
allein in Sachsen.
Aber all diese Zahlen können nicht annähernd zum
Ausdruck bringen, was an Elend über die betroffenen Ge-
biete gekommen ist. Wie gesagt, auch die Bilder, die wir
alle im Fernsehen gesehen haben, schaffen Distanz. Wer
gesehen hat, wie idyllische Bäche zu reißenden Strömen
wurden, wie in mühevoller Aufbauarbeit restaurierte Alt-
städte in Grimma, Torgau oder Zinnwald buchstäblich
hinweggespült wurden, wer gesehen hat, was die Fluten
in malerischen Orten des Erzgebirges, aber auch an den
einzigartigen Kulturschätzen – etwa Dresdens – ange-
richtet haben, der wird sich klar machen müssen, dass wir
noch etliche Zeit brauchen, um all das in Ordnung zu brin-
gen, was die Flut den Menschen an Wunden geschlagen
hat. Es war gut, mit den Menschen in den Überschwem-
mungsgebieten zu sprechen. Auch das war eine Pflicht
und die ganz normale Tätigkeit aller Abgeordneten,
gleichgültig, welcher Partei sie angehören.
Natürlich musste unverzüglich geholfen werden. Deswe-
gen sind wir sehr stolz darauf, dass es uns gelungen ist, be-
reits am 16. August die ersten Mittel aus der Soforthilfe
in den betroffenen Landkreisen auszahlen zu lassen. Das
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Bundeskanzler Gerhard Schröder
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war eine erste, direkte Hilfe in Höhe von mehr als 50 Mil-
lionen Euro. Allein die Hilfe für die Opfer muss jetzt im
Vordergrund stehen.
Wir sollten auch sehen, dass es inzwischen an sehr vie-
len Orten gelungen ist, die Legende zu widerlegen, nach
der Bürokratie nur langsam agieren kann. Dass das Ge-
genteil sehr wohl der Fall sein kann, das hat sich dort be-
wiesen. Auch wenn es an der einen oder anderen Stelle ge-
klemmt haben mag und noch klemmt, glaube ich, dass die
Bereitschaft der Behörden auf allen Ebenen riesig groß ist,
entsprechend zu agieren, nach dem Grundsatz: Wer
schnell hilft, der hilft doppelt.
Wir werden das Gesetzgebungsverfahren zur Flut-
hilfe so zügig wie möglich und so sorgfältig wie nötig
durchführen. So, wie in den betroffenen Häusern und Be-
trieben zunächst die Wände trocknen müssen, bevor man
neue Farbe auftragen kann, muss jetzt rasch, aber auch
gründlich die Voraussetzung geschaffen werden, damit
der Fonds zur Aufbauhilfe der Erfolg wird, den die be-
troffenen Menschen dringend brauchen und auf den sie ei-
nen Anspruch haben. Die Schaffung eines solchen Fonds
ist unsere Pflicht.
In Verbindung mit dem Zwölfpunkteprogramm zur
Soforthilfe, das die Bundesregierung unverzüglich ver-
abschiedet hat, legen wir dafür heute einen umfassenden
und durchgerechneten Vorschlag vor, für den ich das
Hohe Haus um seine Zustimmung bitte. Dabei ist eines
wichtig: Die Hilfe, die wir leisten, muss kalkulierbar sein,
sie muss ohne Umwege bei den Betroffenen ankommen
und sie muss und sie wird immer auch Hilfe zur Selbst-
hilfe sein müssen. Mit ihrem vorbildlichen Engagement
während der Katastrophe haben die Menschen gezeigt,
dass sie die Kraft zum Gemeinsinn, zur Nachbarschafts-
und zur Selbsthilfe durchaus haben. Das müssen wir mit
dem Programm, das wir vorgelegt haben, unterstützen.
Wir alle wissen aus Erfahrung – es ist nötig, das in die-
sem Zusammenhang zu betonen –, dass schnelle, effizi-
ente und auch großzügige Hilfe, die wir leisten müssen,
manchen Streit im Einzelfall oder besondere Härten bei
der Verteilung der Mittel nicht ganz wird verhindern kön-
nen. Das heißt, es wird diesen Streit geben. Darauf muss
man sich einstellen. Deswegen brauchen wir ein Gre-
mium aus Persönlichkeiten, das über solche Fragen der
Gerechtigkeit, auch der Härten, die auftauchen mögen,
zu entscheiden hat und das der Bundesregierung für ihre
Entscheidungen entsprechende Anregungen gibt. Ich
freue mich deshalb, dass Altbundespräsident Richard von
Weizsäcker mir gegenüber spontan seine Bereitschaft er-
klärt hat, den Vorsitz eines solchen Kuratoriums Flut-
hilfe zu übernehmen.
Über die weitere Zusammensetzung dieses Gremiums,
das aus Persönlichkeiten bestehen wird, die in der politi-
schen Arbeit nicht mehr aktiv sind, werde ich mich mit
Herrn Richard von Weizsäcker verständigen und dann
werde ich die entsprechenden Vorschläge machen.
In einigen Regionen ist der Aufbau Ost durch das
Hochwasser um Jahre zurückgeworfen worden. An man-
chen Orten muss wieder ganz von vorn begonnen werden.
Die Menschen im Osten, die mit großem Fleiß den Auf-
bau ihrer Städte und Regionen geleistet haben, sind ohne
eigenes Verschulden durch die Wucht der Naturgewalten
praktisch über Nacht um die Früchte ihrer Arbeit gebracht
worden. Die Betroffenen können sicher sein: Die Bun-
desregierung lässt die Menschen nicht allein. Sie setzt da-
bei auf eine gemeinsame – ich betone: gemeinsame – na-
tionale Anstrengung, an der sich Bund, Länder und
Gemeinden beteiligen müssen. Das sage ich mit Bezug
auf die aktuelle Diskussion. Bei allen Forderungen, die
wir an die jeweiligen politischen Ebenen richten, sollten
wir aufpassen, dass sich die Versicherungen und Banken,
die ebenso gefordert sind, nicht dahinter verstecken.
In der politischen Diskussion ist klar geworden, dass
wir eine bestimmte Form der Finanzierung vorschlagen:
Wir wollen die Aufbauleistungen nicht auf Pump finan-
zieren und sie damit nachkommenden Generationen auf
die Schultern legen.
Wir glauben an die Kraft unserer Volkswirtschaft und an
die Bereitschaft der Menschen in Deutschland zur Solida-
rität. Die Schäden, die in dieser Generation entstanden
sind, können durch die Arbeit dieser Generation ausgegli-
chen werden. Sie dürfen nicht unseren Kindern und Kin-
deskindern auf die Schultern gepackt werden.
Nichts anderes wäre es, würde man dem Vorschlag fol-
gen, die Bundesbankgewinne, die zur Schuldentilgung
eingesetzt werden, zu verwenden. Das hieße, das Problem
zu verschieben.
Das können wir aus der Einsicht heraus und aufgrund von
internationalen Verpflichtungen nicht tun.
Durch die Verschiebung der zweiten Stufe der Steuer-
reform, die wir Ihnen heute vorschlagen, verteilen wir die
Lasten fair und sozial ausgewogen. Der Fonds wird vom
Bund, von den Ländern und von allen Gemeinden gespeist.
Jeder Steuerzahler wird entsprechend seinem Einkommen
und seiner Leistungsfähigkeit seinen Beitrag leisten. Wer
mehr verdient, kann bei der Aufbauhilfe auch mehr schul-
tern. Das ist gerecht und deshalb wird es so gemacht.
Zudem nehmen wir das Angebot der Industrieverbände
an und erhöhen die Körperschaftsteuer – befristet für ein
Jahr – um 1,5 Prozentpunkte.
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 251. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. August 2002
Bundeskanzler Gerhard Schröder
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Ich gestehe, dass ich über dieses Angebot durchaus über-
rascht war. Dass ich es aber gern angenommen habe, kön-
nen Sie sicher nachvollziehen.
Im Bundeshaushalt mobilisieren wir weiter 1 Milliarde
Euro durch Umschichtungen im Etat des Bundesverkehrs-
ministeriums. Zudem wollen wir 1,2 Milliarden Euro aus
der Effizienzreserve des EU-Strukturfonds in Anspruch
nehmen. Ich habe Nachrichten gelesen, nach denen das
Geld freigegeben ist. Auf diese Weise können wir Aufbau-
hilfe in einem Gesamtumfang von etwa 10 Milliarden
Euro zur Verfügung stellen, und zwar ohne unsere inter-
national eingegangenen Verpflichtungen zu verletzen.
Wie Sie wissen, stehen wir mit unserem Finanzierungs-
modell nicht allein. Andere Regierungen gehen in ähn-
licher Weise vor.
Wer sich ansieht, wie wir die Mittel einsetzen, der wird
zustimmen müssen, dass unser Vorschlag nicht gegen die
konjunkturelle Entwicklung gerichtet ist.
Ich verstehe, dass diese Debatte aus taktischen Gründen
geführt wird. Sie wird mit dem Hinweis geführt, dem
Konsum würden für ein Jahr 7 Milliarden Euro entzogen.
Das ist zunächst einmal eine richtige Feststellung. Aber
wenn man die konjunkturellen Wirkungen, die diese
7 Milliarden, wie man glaubt, hätten, mit den Wirkungen
der 7 Milliarden und mehr vergleichen will, die jetzt di-
rekt in Investitionen zum Wiederaufbau fließen, muss
man zumindest die Sparquote abziehen; erst dann kann
man errechnen, was das eine und was das andere Vor-
gehen leistet.
Dann wird auch deutlich werden, dass unser Vorgehen
konjunkturell hilfreich ist.
Sie wissen, dass wir geschädigten Unternehmen und
Freiberuflern mit einem ersten Zuschuss für verlorene
Wirtschaftsgüter in Höhe von bis zu 15 000 Euro helfen.
Damit wollen wir den Betroffenen Mut machen, neu zu
beginnen. Wir wissen – das muss man uns doch nicht er-
zählen –, dass das nur ein Anfang ist. Es ist aber ein wich-
tiger Anfang. Wir haben das im Übrigen mit den zuständi-
gen Handwerks- und Industrie- und Handelskammern
vereinbart, und zwar in Anwesenheit von Vertretern ihrer
Spitzenorganisationen. Wir haben mit der Kreditwirtschaft
vereinbart, dass Zins- und Tilgungsleistungen ausgesetzt
werden. Das ist ganz enorm wichtig; da darf sich niemand
von denen, die aufgerufen sind, diese Leistungen zu er-
bringen, vom Acker machen. Mittelständischen Unterneh-
men mit erheblichen Kreditlasten helfen wir mit dem Er-
lass eines Teils oder der Gesamtsumme ihrer Schulden.
Die Wiederherstellung wirtschaftsnaher Infrastruk-
tur und gewerbliche Investitionen fördern wir mit zusätz-
lich 170 Millionen Euro. Bei der Verkehrsinfrastruktur
stellt der Bund etwa 1 Milliarde Euro aus dem Aufbau-
fonds und eine weitere Milliarde durch Umschichtung im
Etat des Bundesverkehrsministeriums zur Verfügung.
Über die Aufteilung muss man übrigens wirklich mit
den betroffenen Ländern reden; das tun wir auch. Es ist
wenig hilfreich, wenn man die Solidarität unter den Län-
dern dadurch infrage stellt, dass der eine oder andere bei
der Frage der Verteilung – ich sage es sehr zurückhaltend –
sehr auf sich selber und weniger auf die Gesamtheit der
Länder achtet.
Wir werden den Kommunen 1Milliarde Euro zur Ver-
fügung stellen, damit sie ihre Infrastruktur in Ordnung
bringen können. Für die geschädigte Landwirtschaft, die
ländliche Infrastruktur und die Erneuerung der Deiche
werden wir allein 600 Millionen Euro einsetzen. Hinzu
kommen insgesamt 516 Millionen Euro als vorgezogene
Auszahlung von Prämien und weitere 100Millionen Euro
durch ein Sonderkreditprogramm der Landwirtschafts-
banken.
Wer sich diese Hilfen und Investitionen vergegenwär-
tigt und einigermaßen aufrichtig darüber nachdenkt, der
kann nicht darüber hinwegsehen, dass dieses Programm
bei all dem Elend, das wir erlebt haben und mit dem wir
fertig werden müssen, in den betroffenen Bereichen auch
neue Beschäftigungsmöglichkeiten schaffen könnte. Dass
das nicht im Vordergrund steht, ist wohl jedem klar. Aber
die Wirkungen sind so, wie ich sie beschrieben habe.
Meine Damen und Herren, ebenso wichtig wie die
Fürsorge für die Opfer des Hochwassers ist uns, der Bun-
desregierung, die Vorsorge. Wir brauchen – dieses Ziel
verfolgen wir seit Amtsantritt – einen vorbeugenden
Hochwasserschutz, der sich nicht nur auf den Bau und den
Ausbau von Deichen und Dämmen beschränkt. Keine
Frage: Solche Schutzmaßnahmen sind wichtig. Aber
selbst wenn wir das ganze Land eindeichen, bleibt es da-
bei: Elbe, Donau und andere Flüsse sind eben nicht nur
Wasserstraßen, sondern Teile der Natur.
Das haben wir alle miteinander, die einen mehr, die ande-
ren weniger, gelegentlich diskutiert. Das ist so gewesen;
warum soll man das dann nicht auch sagen? In Dresden
beispielsweise war sichtbar – Herr Ministerpräsident, wir
haben darüber geredet –, dass sich die Weißeritz ein Fluss-
bett zurückerobert hatte, aus dem sie vor 100 Jahren
gleichsam vertrieben worden ist. Solche Ereignisse müs-
sen dann doch Nachdenklichkeit auslösen.
Die Konsequenz ist: Wir werden, was die flussnahen
Gebiete angeht, nicht nur umdenken, sondern auch anders
handeln müssen.
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 251. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. August 2002
Bundeskanzler Gerhard Schröder
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Ich bin mit dem Bundesverkehrsminister völlig einig,
dass das zuerst für die Elbe gilt. Wir müssen Schluss ma-
chen mit der weiteren Versiegelung von Landschaften und
erst recht mit der weiteren Begradigung von Flussläufen.
Im Zusammenhang mit der aktuellen Diskussion
möchte ich einen anderen Bereich ansprechen, der aber
ebenfalls mit Vorsorge zu tun hat: Wir sollten auch beden-
ken, dass die nachhaltige Bewirtschaftung der Äcker
und Felder bessere Möglichkeiten bietet, Wasser ab-
sickern zu lassen, als die intensive Bewirtschaftung von
Flächen.
Darauf zielt die von uns eingeleitete Agrarwende ab.
Auch wenn ein Zusammenhang zwischen dem welt-
weiten Klimawandel und den Naturkatastrophen dieses
Sommers noch immer bestritten wird, jedenfalls von eini-
gen besonders spitzfindigen so genannten Experten, und
auch von dem einen oder anderen in der politischen Arena
noch geleugnet wird, muss doch eines klar sein: Es gibt
einen solchen Zusammenhang, wie dicht dieser auch im-
mer sein mag. Deswegen braucht es eine Politik, die öko-
nomische Gesichtspunkte mit ökologischer Sensibilität in
Einklang bringt. Das war die Grundlinie der Politik der
rot-grünen Koalition in den letzten vier Jahren.
Auch wenn das inzwischen nicht mehr ganz so deutlich
gesagt wird: Eine Abschaffung der Ökosteuer oder auch
die Aussetzung der letzten Stufe ist nicht die richtige Ant-
wort auf das, was vor uns steht.
Damit will ich aber im mittleren Teil dieses Hauses keine
neuen Hoffnungen wecken; damit das zwischen uns ganz
klar ist.
Wir haben den notwendigen Ausgleich zwischen Ökono-
mie einerseits und Ökologie andererseits hinbekommen.
Ich bin durchaus stolz darauf.
Es muss zur Kenntnis genommen werden, dass wir
wirklich viel erreicht haben, was die Frage der CO2-Min-derung angeht. Wenn ich „wir“ sage, dann meine ich
diese Koalition. Wir hatten das Ziel, den CO2-Ausstoß bis2012 um 21 Prozent zu mindern. Eine Reduktion um
19 Prozent haben wir bereits jetzt erreicht. Diese ver-
nünftige Politik sollte man nicht beenden.
Die Themen, die hier immer heiß umstritten waren und
von einer Seite des Hauses immer scharf bekämpft und
abgelehnt worden sind, sei es die Kraft-Wärme-Kopp-
lung, sei es die Förderung der regenerativen Energien und
Energieträger, müssen weiter angegangen werden. Das
lehrt die Katastrophe.
Mit Einseitigkeit, ohne ein nachhaltiges und ganzheitli-
ches Verständnis für ökonomische und ökologische Ent-
wicklung, werden wir die Probleme, vor die wir gestellt
worden sind, in der Perspektive nicht oder jedenfalls nur
schlecht in den Griff bekommen.
Wir werden das, was wir hier tun, auch auf dem Gipfel
am nächsten Montag in Johannesburg vertreten, und zwar
deutlich. Meine Hoffnung ist, dass sich der eine oder an-
dere unserer Freunde in der westlichen Welt – insbeson-
dere der eine –
vielleicht doch noch davon überzeugen lässt – das gilt für
viele in der Welt –, dass die Ratifizierung des Kioto-Pro-
tokolls zwar nicht die Probleme, vor denen wir stehen, auf
einen Schlag lösen kann, aber ein wichtiger Beitrag und
ein wichtiger Schritt auf dem Wege zu einer Lösung ist.
Die gute Nachricht der letzten Tage ist, dass die Pegel-
stände der Flüsse nunmehr überall zurückgehen. Eine
mindestens ebenso gute Nachricht ist, dass wir in den ver-
gangenen Wochen eine außergewöhnliche Demonstration
des Gemeinsinns erlebt haben, eine Demonstration, die
in diesem Ausmaß und in dieser Tiefe vielleicht doch viele
im Land überrascht hat.
Sie zeigt: Die überwältigende Mehrheit der Bürge-
rinnen und Bürger ist zu Opfern bereit, um den Opfern der
Katastrophe zu helfen. Dieses Zusammenstehen in der
Not ist für mich die Wiedergeburt oder das Neu-Ent-
decken einer wirklich zivilen Gesellschaft, in der Solida-
rität kein Fremdwort ist und in der es eben nicht stimmt,
dass der Zusammenhalt einer Gesellschaft dann am bes-
ten gesichert ist, wenn jeder für sich selbst sorgt und jeder
nur an sein eigenes Glück glaubt.
Der Gemeinsinn, der hier deutlich geworden ist, ist ein
Schatz, den wir zu hüten und zu mehren haben. Dieser
Schatz an Gemeinsinn ist unbezahlbar. Denn er macht das
Land gerade in Krisen stark und er macht damit uns und
die Menschen im Land fähig, nicht nur Krisen und Kata-
strophen zu bewältigen, sondern auch die anderen Pro-
bleme zu lösen.
Die Bundesregierung hat mit schneller und effizienter
Soforthilfe sowie mit dem umfassenden Hilfs- und Auf-
bauprogramm, das wir Ihnen heute vorlegen und zu dem
wir um Ihre Zustimmung bitten, die Bereitschaft zur Soli-
darität bei den Menschen nicht etwa geweckt. Sie war
schon vorhanden. Wir haben sie vielmehr aufgegriffen
und ihr einen angemessenen Rahmen gegeben. Ich denke,
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 251. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. August 2002
Bundeskanzler Gerhard Schröder
25421
der Deutsche Bundestag – da bin ich ganz sicher – wird
hinter diesem Willen und dieser ausgedrückten Kraft zum
Gemeinsinn nicht zurückstehen und deswegen alles tun,
damit wir die materielle Basis dafür bekommen, um den
Opfern schnell, unbürokratisch und durchgreifend helfen
zu können. Darum geht es.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Ich erteile das Wort
dem Ministerpräsidenten des Freistaates Bayern, Edmund
Stoiber.
Dr. Edmund Stoiber, Ministerpräsident (von
der CDU/CSU mit Beifall begrüßt): Herr Präsident! Meine
sehr verehrten Damen! Meine Herren! Deutschland ist von
der schwersten Naturkatastrophe der Nachkriegsge-
schichte heimgesucht worden. Wir trauern um die Toten.
Unser Mitgefühl gilt den Menschen, die Angehörige ver-
loren haben, die verletzt wurden, deren Zuhause zerstört
wurde und deren Hab und Gut vernichtet ist. Wer dies mit
eigenen Augen gesehen hat und sieht, der spürt unmittel-
bar: Tausende Familien befinden sich in existenzieller ma-
terieller Not und am Rande seelischer Verzweiflung. Viele
Menschen im Osten sind nach zwölf Jahren Aufbau von
den gewaltigen Schäden bis ins Mark getroffen. Wir – das
ist das Signal von heute – stehen an ihrer Seite.
Unser Mitgefühl gilt auch unseren Nachbarn in Tsche-
chien und in Österreich. Naturkatastrophen, Not und Leid
kennen keine Grenzen. Aber auch Solidarität und Hilfe
kennen keine Grenzen. Aus ganz Europa haben uns
Hilfsangebote und Bekundungen des Mitgefühls erreicht.
Dafür sagen wir großen Dank.
Wir stehen alle unter dem Eindruck der Naturgewalt.
Aber wir stehen auch unter dem Eindruck der großen
Hilfs- und Spendenbereitschaft. Es geht eine Welle der
Solidarität durch unser Land. Diese Tage und Wochen zei-
gen, dass die Opfer der Flut von ihren Landsleuten – ob
aus Süd oder West, ob aus Nord oder Ost – nicht allein ge-
lassen werden. Nachbarn helfen Nachbarn, Freunde hel-
fen Freunden und Fremde helfen Fremden.
Tausende junger Männer und Frauen haben das oft be-
klagte Bild einer kalten, egoistischen Gesellschaft und das
Bild von einer Null-Bock-Generation widerlegt. Sie ha-
ben Freizeit, Ferien oder Urlaub geopfert. Sie haben bei
brütender Hitze Sandsäcke bis zum Umfallen geschleppt.
Von ihren Gesichtern war abzulesen: Wir tun etwas Sinn-
volles und Wertvolles. Manche haben ausgesprochen: Es
ist gut, wenn man gebraucht wird. Auf diese Jugend kann
Deutschland stolz sein.
Mit ihr hat Deutschland eine gute Zukunft.
Ganz Deutschland ist auch stolz auf die Helfer von
Feuerwehren, vom THW, dem Roten Kreuz und auf die
Helfer von vielen Hilfsorganisationen, Vereinen und Ver-
bänden. Gerade Staat und Politik haben für diesen groß-
artigen Bürger- und Gemeinsinn dankbar zu sein.
Über alle Meinungsverschiedenheiten hinweg zolle ich
der Bundesregierung Respekt für ihre rasche Soforthilfe.
Die Bundeswehr hat Großes geleistet. Wir können auf
unsere Soldatinnen und Soldaten stolz sein.
Nicht weniger dankbar sind wir den Mitarbeiterinnen
und Mitarbeitern in den Rathäusern, in den Landratsäm-
tern, in den Landesregierungen und in den Krisenstäben.
Sie haben Tag und Nacht gearbeitet. Sie mussten aus der
Situation heraus rasch Entscheidungen treffen, um den
Opfern zu helfen und noch Schlimmeres zu verhüten.
Die Fluten haben überall in Europa Not, Leid und im-
mense Schäden angerichtet. Im Osten Deutschlands sind
die Verwüstungen besonders schwer. Sie treffen eine Ge-
sellschaft im Aufbau. Darin liegt vielleicht der Unter-
schied gegenüber den Schäden, die wir in Bayern, in Nie-
dersachsen oder in Schleswig-Holstein zu tragen haben.
Auch diese Schäden sind gravierend, aber der Unter-
schied ist, dass sich die Gesellschaft in den neuen Ländern
in einer anderen Situation, nämlich in einer Phase des
Aufbaus, befindet. Deswegen ist es notwendig, mehr zu
helfen, als dies bei anderen Katastrophen bisher der Fall
gewesen ist.
Viele Betroffene können nicht auf Rücklagen zurück-
greifen. Oft haben sie noch Kredite abzutragen. Wo sich
die Fluten Bahn brachen, sind zwölf Jahre mühsamer und
entbehrungsreicher Aufbauarbeit dahin. Ich habe es in
Dresden und im Raum Bitterfeld mit eigenen Augen ge-
sehen. Zwölf Jahre lang haben diese Menschen geschuf-
tet. Mark um Mark und Euro um Euro haben sie für den
Aufbau investiert. Umso mehr bewundere ich, dass sie
mitten im Schlamm und im Dreck sagen: Wir lassen uns
nicht unterkriegen.
Unter größten Mühen haben die Menschen den Städten
und Dörfern ihrer Heimat ein neues, ein schönes Gesicht
gegeben. Sie haben um die Erhaltung der Stadtbilder, der
Kirchen, der Theater und der nationalen Kulturgüter von
europäischem Rang gekämpft. Ich denke an den Zwinger
in Dresden. Ich denke an Schloss Pillnitz. Viele in ganz
Deutschland haben mit gebangt um Pirna, um Torgau, um
Wittenberg, um Dessau, um Wörlitz und um viele andere
Orte.
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 251. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. August 2002
Bundeskanzler Gerhard Schröder
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Jetzt muss es heißen: Wir müssen gemeinsam anpacken
und gemeinsam wieder aufbauen; das reicht von den Kul-
turgütern bis zu den Häusern und vor allen Dingen bis hin
zu den Betrieben. Deswegen steht für uns fest: Die Opfer
brauchen sehr schnelle Hilfe. Schnelle Hilfe ist die wirk-
samste Hilfe. In diesem Ziel sind wir uns einig. Zugleich
wissen wir: Die Folgen der Flut werden ganz Deutschland
über Jahre hinweg belasten. Diese Lasten müssen gerecht
auf alle Schultern der Nation verteilt werden.
Was brauchen die Opfer der Flut?
Erstens, Hilfe für Privathaushalte: Diese reicht von der
Unterstützung für dringendste Neuanschaffungen bis zur
Reparatur oder dem Neubau des Zuhauses.
Zweitens, Hilfe für Betriebe: Wir müssen den durch die
Flut in ihrer Existenz betroffenen, gefährdeten Betrieben
in jedem Einzelfall schnelle Hilfe anbieten, um Insolven-
zen zu vermeiden und Arbeitsplätze zu retten. Der Natur-
katastrophe darf nicht auch noch die wirtschaftliche Ka-
tastrophe folgen.
Drittens, Hilfen für die Landwirtschaft: Vielen Bauern
wurde gerade zur Erntezeit der Lohn ihrer Arbeit zunichte
gemacht. Auch ihnen muss wirksam geholfen werden.
Viertens, Hilfen für den Wiederaufbau der zerstörten
Infrastruktur: Es geht um die Wiederherstellung von
Straßen, von Brücken, von Schienenwegen, von Schulen,
von Kindergärten, von Kliniken, von Museen und von
großartigen Kulturdenkmälern der Deutschen.
Für diese immensen Aufgaben wird Hilfe in Höhe von
rund 10 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt. Das ist
ein nationaler Kraftakt. Ich bin mir nicht sicher, ob dieser
nationale Kraftakt ausreichen wird. Aus nationaler Ver-
antwortung und aus menschlicher Solidarität will die
Union rasche Hilfen für die Opfer. Deswegen wird das
Gesamtpaket der Bundesregierung – auch wenn wir be-
züglich der Wege anderer Meinung sind – von uns nicht
blockiert. Denn eine Blockade würde bedeuten, dass die
Opfer nicht schnell genug das Geld bekommen, das wir
alle ihnen geben wollen. Wir wollen uns nicht auf dem
Rücken der Opfer hinsichtlich des Weges zerstreiten.
Damit geben wir den Flutopfern und den betroffenen
Ländern und Kommunen Sicherheit über die Höhe des
Hilfsfonds. Darin sind wir uns einig. Herr Bundeskanz-
ler, Sie haben versprochen: Niemand soll nach der Flut
materiell schlechter gestellt sein als vor der Flut. – Das
sind große Worte. Ich möchte das gar nicht infrage stellen.
Die Betroffenen klammern sich jetzt an dieses Verspre-
chen. Doch der vorliegende Gesetzentwurf und die Erläu-
terungen Ihres Finanzministers erfüllen die von Ihnen ge-
weckten Erwartungen nicht.
Ich habe – dazu stehe ich – vorgestern in Leipzig be-
tont, dass kein ostdeutsches Unternehmen allein wegen
der Flut in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten darf.
Der Unterschied ist – das sage ich als Ministerpräsident
eines betroffenen Landes, in dem auch Schäden zwischen
einer halben Milliarde und 1,5 Milliarden zu erwarten
sind –: Bei aller Anstrengung können der Staat bzw. staat-
liche Hilfe niemals eine Art Versicherung bieten. Bei den
bisherigen Hochwasserschäden haben wir auch bei
großzügigster Behandlung der Fälle insgesamt nur etwa
25 Prozent ersetzen können. Wegen der besonderen Si-
tuation in den neuen Ländern, die sich noch im Aufbau
befinden, müssen wir diesen Aufbau, der nun zum Teil
zerstört wurde, schnell wieder ankurbeln; sonst wird ganz
Deutschland unter dieser Situation zu leiden haben. Das
ist nicht nur ein Problem der besonders betroffenen Län-
der Sachsen und Sachsen-Anhalt, sondern der gesamten
Nation. Deswegen – das möchte ich hier deutlich machen –
müssen wir dabei anders vorgehen.
Wenn die Wirtschaft dort nicht mehr auf die Füße
käme, dann wären Arbeitslosigkeit, eine schlimme Ab-
wanderung und Perspektivlosigkeit die Folge.
Der Grundsatz, dass kein Betrieb allein wegen der Flut in
Schwierigkeiten geraten darf, ist angesichts der schwieri-
gen Sondersituation der Betriebe im Osten richtig. Dort
brauchen die Betriebe Klarheit. Die Menschen dort wer-
den Sie auch an Ihren Taten messen und nicht nur an Ihren
Versprechungen, Herr Bundeskanzler.
– Sie werden das noch sehen. Vielleicht haben Sie sich
den Gesetzentwurf noch nicht genau angesehen. Er deckt
jedenfalls nicht das Versprechen, dass alle so gestellt wer-
den wie vor der Flut.
Das wird sicherlich ein großes Thema der Diskussion und
Auseinandersetzung auch vor Ort, vor allen Dingen in den
betroffenen Ländern, darstellen.
Meine Damen, meine Herren, in dem Ziel der raschen
Hilfe für die Betroffenen sind wir uns einig. Nicht einig
sind wir uns über den Weg der Finanzierung.
Da wir zurzeit nicht die Mehrheit im Bundestag haben,
können wir unser besseres Finanzierungskonzept nicht
durchsetzen.
Eine unionsgeführte Bundesregierung
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 251. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. August 2002
Ministerpräsident Dr. Edmund Stoiber
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wird die Finanzierung umstellen.
Das ist auch eine Entscheidung, die die Menschen am
22. September treffen können.
Am Umfang der Hilfen ändert das nichts. Wir wollen die
Hilfen in Höhe von 10 Milliarden Euro erstens aus zu-
sätzlichen Mitteln, die sich aus der Haushaltssperre erge-
ben, aus Umschichtungen und Mitteln der Europäischen
Union finanzieren. Zweitens wollen wir – anders als die
Bundesregierung – den Hilfsfonds mit den verfügbaren
Gewinnen der Bundesbank des Geschäftsjahres 2001 in
Höhe von 7,74 Milliarden Euro finanzieren.
Das wird eine unionsgeführte Bundesregierung sofort be-
schließen, wenn wir demnächst im Bundestag die Mehr-
heit haben.
– Ich verstehe, dass Sie sich darüber aufregen,
dass Sie möglicherweise demnächst im Bundestag nicht
mehr die Mehrheit haben. Es ist immerhin bemerkenswert,
dass nun auch Ihr Nachfolger und Parteifreund in Hanno-
ver diesen Weg ins Gespräch bringt, Herr Bundeskanzler.
Er hat interessanterweise gestern im ZDF bemerkt, es sei
nicht alles schlecht, nur weil es von der anderen Seite
komme. – Damit hat Ihr Nachfolger Recht. Ich meine, das
sollten Sie berücksichtigen, Herr Bundeskanzler.
Mit unserem Konzept werden die Schulden langsamer
abgebaut. Zwar fallen vorübergehend höhere Zinsen an,
aber das ist auch gerechtfertigt und sinnvoll. Denn höhere
Zinsen sind ein kleineres Übel als höhere Steuern.
Höhere Steuern lähmen die Konjunktur, hemmen das
Wachstum und vernichten Arbeitsplätze. Das ist der ent-
scheidende Punkt.
Wir sind der festen Überzeugung – das ist die Grundaus-
einandersetzung zwischen Ihnen und uns –, dass uns höhere
Steuern teurer zu stehen kommen als höhere Zinsen.
Die Fluthilfen sind Investitionen in die Zukunft, Inves-
titionen in Straßen, in Brücken, in Baudenkmäler, Inves-
titionen zugunsten von mittelständischen Betrieben und
privaten Existenzen. Von diesen Investitionen werden die
zukünftigen Generationen in ganz Deutschland profitie-
ren. Das ist gerade kein Schuldenmachen für den Konsum
von heute zulasten der Generationen von morgen;
vielmehr sind die Fluthilfen Investitionen auch für unsere
Kinder und für unsere Enkel. Sie führen zu einem massi-
ven Konjunkturanstoß, zu dem für die Bürger nach unse-
rem Modell zusätzlich noch die beträchtliche Entlastungs-
wirkung durch die Nichtverschiebung der Steuerreform
hinzukommt.
Wir wollen eine andere Finanzierung, weil Deutsch-
land neben der Flutkatastrophe unter einer zweiten natio-
nalen Katastrophe leidet: Über 4 Millionen Arbeitslose
mitten im Sommer – das ist unser Problem.
In dieser Lage beschließt die Regierungskoalition
heute hier in diesem Haus eine Steuererhöhung;
denn bei der Steuererleichterung für das Jahr 2003 han-
delte es sich um eine Festlegung, auf die sich die Betriebe
in Deutschland verlassen haben.
Diese Festlegung auf niedrigere Steuern zum 1. Januar des
Jahres 2003 steht bereits seit zwei Jahren im Bundesge-
setzblatt. Deshalb ist die Verschiebung der Steuerreform
für Unternehmer und Bürger eine Steuererhöhung. Das ist
Gift für den Einzelhandel und für den Mittelstand.
Wenn wir schon über diesen Aspekt reden, dann muss
ich Folgendes deutlich machen: Von den 7 Milliarden
Euro an Steuererhöhungen entfallen allein 5,6 Milliarden
Euro auf die Lohnsteuer; 80 Prozent tragen also die Ar-
beitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Das ist die Wahrheit.
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 251. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. August 2002
Ministerpräsident Dr. Edmund Stoiber
25424
Schauen Sie einmal genau in die Tabellen: Für eine
Durchschnittsfamilie mit zwei Kindern und 30 000 Euro
Bruttolohn sind das im Jahr 334 Euro mehr Steuern, für
eine Familie in Stuttgart genauso wie in Dresden, in
Grimma oder in Hannover. Das ist eine Tatsache, die Sie
überhaupt nicht kennen.
Meine Damen, meine Herren, Sie haben hier von einer
gerechten Verteilung der Lasten gesprochen.
Aber diejenigen, die über ein Einkommen von zum Bei-
spiel 90 000 Euro verfügen, tragen gegenüber denjenigen,
die ein Einkommen von 30 000 Euro haben, im Grunde
genommen keine wesentlich höhere Belastung. Die
Mehrverdiener werden nicht wesentlich höher belastet als
die Geringverdiener. Das ist eine Maßnahme, die für mich
nicht akzeptabel ist.
Herr Bundeskanzler, Sie nehmen großmütig das an-
gebliche Angebot der Wirtschaft an, die Körperschaft-
steuer zu erhöhen.
Die Körperschaftsteuer war aber im letzten Jahr null.
Im ersten Halbjahr dieses Jahres haben die deutschen Fi-
nanzämter 1,3 Milliarden Euro an Körperschaftsteuer
zurückgezahlt. Unsere Finanzämter sind bei der Körper-
schaftsteuer gegenwärtig Auszahlungsstellen und keine
Einnahmestellen mehr.
25 Prozent von null sind null. 26,5 Prozent von null sind
ebenfalls null. Meine sehr verehrten Damen und Herren,
das will ich Ihnen hier deutlich machen.
Die Bundesregierung bürdet allen Bürgern diese Fi-
nanzlasten in einem einzigen Jahr auf, darunter auch den
Zigtausenden von flutgeschädigten Bürgerinnen und Bür-
gern. Das empfinden die Opfer als ungerecht; das nimmt
ihnen Kraft und Mut.
Bei Umsetzung des Finanzierungsmodells der Bundes-
regierung rechnet zum Beispiel Handwerkspräsident
Philipp mit dem Verlust von 200 000 Arbeitsplätzen und
der Pleite von 25 000 Betrieben.
200 000Arbeitslose mehr kosten die öffentliche Hand pro
Jahr 4,6 Milliarden Euro an Steuereinnahmen und Sozial-
ausgaben. Sie können ein Problem nicht dadurch lösen,
dass Sie andere, noch riesigere Probleme auf Dauer auf-
häufen.
Das beweist einmal mehr: Nichts ist teurer als die Ar-
beitslosigkeit.
Wir haben gegenüber dem vergangenen Jahr ohnehin
220 000 Arbeitsplätze weniger.
So viele Arbeitsplätze wurden innerhalb eines Jahres ab-
gebaut.
Im ersten Halbjahr dieses Jahres ist die Wirtschaft ge-
genüber dem Vorjahr um 0,4 Prozent geschrumpft. Erst
gestern hat das Ifo-Institut ein schwächeres Wirtschafts-
wachstum vorausgesagt. Kernproblem bleibt auch im
kommenden Jahr die schwache Binnennachfrage.
Deshalb brauchen wir eine Steuersenkung, um Konsum
und Investitionen anzuregen. Professor Sinn, der Chef des
Ifo-Institutes, warnt ausdrücklich:
Insofern kann es nicht richtig sein, die Steuerreform
jetzt wegen der Flutkatastrophe zu verschieben.
Die „FAZ“ von heute fasst die Aussichten in einer
Schlagzeile zusammen: „Der Aufschwung rückt in weite
Ferne“. Diesen Trend nach unten müssen wir endlich
stoppen. Wir müssen Deutschland wieder nach vorne
bringen. Das ist unser Primärziel.
Diesen Trend nach unten – ein Minuswachstum in der ers-
ten Hälfte dieses Jahres – können Sie nicht mit Steuer-
erhöhungen umkehren. Deshalb sind Steuererhöhungen
falsch.
Herr Bundeskanzler, Sie verweisen hier zum Beispiel
auf Österreich. Es ist ja wunderbar, dass Sie plötzlich die
österreichischen Freunde entdecken.
Aber Österreich ist in einer völlig anderen Situation. Ös-
terreich hat kein Minuswachstum. Österreich hat eine
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 251. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. August 2002
Ministerpräsident Dr. Edmund Stoiber
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ganz andere Arbeitslosenzahl. Sie ist nämlich gerade halb
so hoch wie hier in Deutschland. Österreich hat eben auf-
grund einer anderen Politik und auch anderer Belastungen
andere Möglichkeiten, auf diese Situation zu reagieren.
Wenn wir in einer fast rezessiven Phase mit Steuer-
erhöhungen reagieren, machen wir einen schweren Fehler.
Rot-Grün fällt in Krisen immer nur eines ein: Steuererhö-
hungen.
Und dann wundern sie sich über die Folgen. Rot-Grün hat
nach dem 11. September beschlossen, die Tabak- und die
Versicherungsteuer zu erhöhen.
Rot-Grün beschließt jetzt, nach der Flut, die Steuern für
alle Steuerzahler zu erhöhen. Rot-Grün hatte ohnehin be-
schlossen, die Ökosteuer zum 1. Januar 2003 zu erhöhen.
In der Summe bedeutet das eine dreifache Steuererhö-
hung – Ökosteuer, Einkommensteuer und Ertragsteuer der
Unternehmen – zum 1. Januar des nächsten Jahres. Das ist
ein dreifacher Schlag gegen die Konjunktur. Das ist ein
dreifacher Schlag gegen die Arbeitsplätze in Deutschland.
Dies schadet ganz Deutschland.
Wir fordern deswegen: Steuern runter für alle und Hil-
fen für die Opfern der Flut! Das ist unser Konzept. Das
hilft dem Osten und ganz Deutschland.
Das Ausmaß der Flutkatastrophe ist Anlass, über Not-
hilfe und Wiederaufbau hinaus zu denken. Kurzfristig
muss der Hochwasserschutz und langfristig muss der
Klimaschutz verbessert werden.
Eine unionsgeführte Regierung wird folgende drei
Maßnahmen einleiten:
– Ich verstehe ja, dass Sie nervös sind; aber es hilft doch
überhaupt nichts.
Es ist hier doch offenkundig, dass wir uns im Ziel einig
sind: Es müssen möglichst rasch Milliardenbeträge für die
betroffenen Menschen gezahlt werden; das wollen wir.
Wir haben hierfür aber unterschiedliche Wege. Ich skiz-
ziere unseren Weg, der sich von Ihrem unterscheidet. Die
Probleme der Arbeitslosigkeit scheinen Sie überhaupt
nicht mehr zu interessieren.
Wir weisen hier darauf hin: Wir werden einen anderen
Weg gehen, wenn wir die Möglichkeit haben, diesen Weg
durchzusetzen.
Das ist auch das Signal an die Menschen: Wir sagen Ja zur
Hilfe in der Höhe, wie sie jetzt vorgesehen ist; die Größen-
ordnung ist klar. Die Wege sind aber unterschiedlich.
Unser Weg steht heute und schließlich auch am 22. Sep-
tember zur Disposition. Wer unseren Weg gehen will,
muss uns unterstützen.
Erstens. Alle Länder sind gefordert, mehr in den Hoch-
wasserschutz zu investieren.
Wir brauchen natürliche Wasserrückhaltemöglichkei-
ten, die Freihaltung gefährdeter Flächen und Investitio-
nen in Dämme, Deiche und Hochwasserrückhaltebecken.
Das kostet Geld.
Deshalb schlage ich ein national abgestimmtes Programm
für den Hochwasserschutz in Deutschland vor. Eine
unionsgeführte Bundesregierung
wird dazu – zusammen mit der Landwirtschaft und den
Ländern – schnellstmöglich eine Konzeption erarbeiten.
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 251. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. August 2002
Ministerpräsident Dr. Edmund Stoiber
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Zweitens. Wir werden das Erneuerbare-Energien-
Gesetz verbessern,
um größtmögliche Anreize zur Nutzung der neuesten
Technologien und zur Senkung der Produktionskosten zu
geben.
Drittens. Eine unionsgeführte Bundesregierung wird
Wärmeschutzmaßnahmen in einer Größenordnung von
rund 100Millionen Euro pro Jahr steuerlich fördern. Damit
lösen wir in den nächsten zehn Jahren ein Investitionsvolu-
men von 2 bis 3 Milliarden Euro aus. Das schafft Arbeits-
plätze im Mittelstand. Das größte CO2-Einsparpotenzialliegt in der Förderung von Wärmeschutz- und Energie-
sparmaßnahmen an Altbauten. Damit setzen wir ökologi-
sche Anreize.
Ich will Ihnen in aller Deutlichkeit sagen: Ich habe Ver-
ständnis dafür, dass Sie so aufgeregt sind.
Aber schauen Sie sich an, wo in den letzten Jahren am
meisten in die regenerativen Energien investiert wurde.
Sie wissen ganz genau, dass der Anteil an regenerativen
Energien in Deutschland in einer Größenordnung von nur
3 Prozent liegt. In meinem Verantwortungsbereich beträgt
der Anteil über 10 Prozent.
Herr Ministerpräsi-
dent, ich darf Sie einen Moment unterbrechen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, bei aller verständli-
chen Erregung in Wahlkampfzeiten bitte ich doch sehr da-
rum, einem Redner des Bundesrates Gehör zu schenken.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Mich jedenfalls stört das in keiner Weise. Wir werden un-
sere Positionen zum Ausdruck bringen. Ob Sie hier
schreien, stören oder die Debatte in sonst einer Weise be-
lasten, interessiert uns und mich im Besonderen über-
haupt nicht. Das will ich deutlich machen.
Ich sage noch einmal in aller Offenheit: Es gibt Länder,
deren Abgeordnete in Ihren Reihen sitzen, in denen sich
die Haushaltssperre auch auf alle Maßnahmen zur Förde-
rung der regenerativen Energien bezieht. In diesen Län-
dern – ich könnte die Namen nennen – wird permanent abs-
trakt davon geredet, dass sehr viel für regenerative
Energien gemacht werden muss. In dem Land, in dem ich
bisher Verantwortung trage, gibt es für regenerative Ener-
gien keine Haushaltssperre. Deswegen sollten Sie sich das
einmal anschauen.
Damit kommen wir zur so genannten Ökosteuer. Die
Ökosteuer hat keine ökologische Wirkung.
Deshalb bleibt es dabei: Wir werden die nächste Stufe der
Ökosteuer aussetzen.
Ökologisch und ökonomisch wirkt nur eine europaweite,
wettbewerbsneutrale, schadstoffbezogene Abgabe. Wir
können in einem europäischen Binnenmarkt nicht perma-
nent völlig unterschiedliche Wettbewerbsbedingungen für
die deutsche Wirtschaft schaffen oder gar akzeptieren.
Und dann beklagen Sie sich über den Verlust von Ar-
beitsplätzen!
Wer den Verlust von 220 000Arbeitsplätzen binnen eines
Jahres politisch zu verantworten hat, gleichzeitig aber
locker mit Steuererhöhungen operiert, der nimmt die Pro-
bleme in unserem Lande nicht hinreichend ernst. Wir sa-
gen das.
Umweltschutz ist Kernbestandteil einer auf Dauer an-
gelegten nachhaltigen Politik.
Dazu haben wir uns bei der UN-Konferenzen von Rio und
Kioto verpflichtet. Diesen Weg haben CDU und CSU ins-
besondere unter der damaligen Umweltministerin Angela
Merkel eingeleitet.
Auch nach der Konferenz von Johannesburg sind wir zu
weiteren Schritten bereit. Zu den Problemen, die nur glo-
bal zu lösen sind, gehört zweifelsohne die Erwärmung des
Klimas.
– Das hat mit dem Donauausbau nichts zu tun.
Kernziel der Zukunftsvorsorge ist unstreitig die Re-
duktion der CO2-Emissionen. Alle Länder müssen hiereinen Beitrag leisten. Deutschland tut das mit seiner Kli-
maschutzstrategie seit 1990. Wir haben uns innerhalb der
Europäischen Union dazu verpflichtet, die CO2-Emissio-nen bis zum Jahre 2012 um 21 Prozent zu senken. Wir
übernehmen damit 75 Prozent dessen, was die gesamte
Europäische Union leistet. Deutschland hat damit eine
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 251. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. August 2002
Ministerpräsident Dr. Edmund Stoiber
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Vorreiterrolle beim Klimaschutz. – Auch hier möchte ich
noch einmal den sehr dankenswerten Beitrag erwähnen,
den Bundeskanzler Kohl 1992 in Rio in diesem Zusam-
menhang geleistet hat.
Von diesen 21 Prozent sind bereits 19 Prozent erreicht.
Von diesen 19 Prozent – das muss der Klarheit wegen ge-
sagt werden – fallen zwei Drittel in die Zeit der bis 1998
unionsgeführten Bundesregierung.
Umweltschutz hat in diesem Lande nicht mit Rot-Grün
begonnen und er wird mit dem Ende von Rot-Grün auch
nicht aufhören.
An dieser Stelle will ich noch einmal deutlich sagen:
Aufgabe der Bundesregierung ist es auch, die europä-
ischen Partner darauf hinzuweisen, dass der CO2-Ausstoßein weltweites und natürlich auch ein europaweites Pro-
blem ist, und auf gemeinsames Handeln hinzuwirken.
Es reicht nicht, dass sich die anderen darauf verlassen,
dass die Deutschen 75 Prozent erbringen, und sie dann im
Grunde genommen nicht die Leistungen erbringen, zu de-
nen sie fähig sind, damit wir insgesamt mehr erreichen.
Das wäre eine sinnvolle Europapolitik. Nicht nationale
Alleingänge in Europa sind gefordert, sondern ein Zu-
sammenstand und ein gemeinsames Wirken in Europa mit
einer entsprechenden gleichmäßigen Verteilung.
Meine Damen, meine Herren, was die Opfer der Flut
neben den Finanzhilfen vor allem brauchen, das sind Mut
zu einem erneuten Aufbau, Perspektiven für ihre Zukunft
und Zutrauen in die eigene Kraft.
Ich bin zuversichtlich:
Mit dem unbeugsamen Willen, mit dem sich die Men-
schen gegen die Flut stemmten, werden sie auch den Auf-
bau meistern. Der Bürgermeister der so arg gebeutelten
Stadt Grimma hat gesagt – ich zitiere ihn -:
In den Tagen der schrecklichen Flut habe ich begon-
nen zu resignieren. Aber die überwältigende Welle
der Hilfsbereitschaft hat uns neue Kraft gegeben.
Ich habe in Dresden und in Bitterfeld die Angst und die
Not gesehen und die Verzweiflung gespürt. Das erinnert
meine Generation an die Bilder von Zerstörung und Ver-
lust von Hab und Gut, wie wir sie aus den Schilderungen
unserer Eltern über die Kriegs- und Nachkriegszeit ken-
nen. Wir ahnen dabei, welchen Mut und welche Kraft
diese Generation hatte, ihr Schicksal in die eigenen Hände
zu nehmen und sich nicht unterkriegen zu lassen. Ich bin
sicher: Die Menschen an der Weißeritz, an der Mulde und
an der Elbe haben heute ebenso den Durchhaltewillen, für
sich und ihre Kinder wieder Lebensperspektiven und Zu-
kunft zu schaffen.
Uns in der Union geht es darum,
den Opfern auch künftig beizustehen. Die Zuwendung
darf nicht mit dem Sinken der Pegel enden. Sie muss auf
Dauer bleiben. Ich bin fest davon überzeugt: Zu dieser So-
lidarität steht das gesamte deutsche Volk.
In der Krise zeigt sich der Zusammenhalt der Men-
schen in Ost und West. Die Feuerwehrfahrzeuge aus
Essen oder Hof im Einsatz in Dresden, die THW-Fahr-
zeuge aus Mainz oder Aalen in Sachsen-Anhalt, das ist ge-
lebte deutsche Einheit.
Bei allen Unsicherheiten, Nöten und Sorgen und bei aller
Auseinandersetzung bleibt die Gewissheit:
Niemand steht allein; in der Not stehen wir zusammen.
Herzlichen Dank.
Ich erteile Minister
Hans Eichel das Wort.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! In einem Punkt
besteht Einigkeit – darüber bin ich froh –: Den Menschen,
die in den Hochwassergebieten an der Elbe und insbeson-
dere an der Mulde so furchtbar betroffen sind, muss sofort
geholfen werden; ihnen muss sofort die Gewissheit gege-
ben werden, dass der Wiederaufbau finanziert wird.
Sie dürfen nicht resignieren, sondern sie müssen mit un-
ser aller Beistand ihre eigenen Kräfte mobilisieren kön-
nen, um den Wiederaufbau sofort zu beginnen. Genau da-
rauf haben wir uns eingestellt.
Mittlerweile sind die Unterschiede offenkundig. Herr
Kollege Stoiber, ich weiß nicht, wer Ihnen den Satz, der
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 251. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. August 2002
Ministerpräsident Dr. Edmund Stoiber
25428
besagt, höhere Zinsen seien besser als höhere Steuern,
aufgeschrieben hat. Das ist ökonomischer Unsinn.
Höhere Zinsen, verehrter Herr Kollege Stoiber, sind
nichts weiter – das ist der ganze Unterschied – als höhere
Steuern in der Zukunft.
Daran, dass Sie das nicht erkannt haben, hat der Bundes-
haushalt gekrankt, den wir 1998 übernommen haben.
Der ganze Unterschied zwischen Ihren Finanzie-
rungsvorschlägen und unseren besteht darin, dass wir so-
fort bezahlen, während Sie die Finanzierung über die Ban-
ken vornehmen und die Rechnung unseren Kindern und
Enkeln zukommen lassen wollen.
Was diesen Unterschied angeht, ist die Opposition al-
lerdings verlässlich;
denn genau denselben Fehler – übrigens, die Geschichte
wiederholt sich wirklich manchmal – haben Sie zu Beginn
der Wiedervereinigung gemacht.
Damals, zum 1. Januar 1991, stand die dritte Stufe der
Steuerreform an, die Gerhard Stoltenberg auf den Weg ge-
bracht hatte; es ging um eine Entlastung in Höhe von
25Milliarden DM. Damals haben Ihnen die seinerzeit op-
positionellen Sozialdemokraten – daran erkennt man den
Unterschied im Hinblick auf das Oppositionsverständnis
zwischen CDU/CSU heute und SPD damals –, die Ge-
werkschaften und auch viele Vertreter der Wirtschaft ge-
sagt: Jetzt ist kein Raum für Steuersenkungen; jetzt brau-
chen wir das ganze Geld, um den Osten aufzubauen.
Es tut mir Leid, sagen zu müssen, dass Herr Kohl da-
mals die Mär geboren hat, die Wiedervereinigung könne
aus der Portokasse finanziert werden und im Osten habe
man in wenigen Jahren blühende Landschaften. Die Men-
schen haben anschließend die größte Enttäuschung erlebt.
Die Lage heute ist so ähnlich wie damals. Die Men-
schen waren seinerzeit bereit, das Opfer zu bringen, auf
die Steuersenkung zu verzichten. Dem hätte die Opposi-
tion zugestimmt. Wir haben heute dieselbe Situation. In
allen Versammlungen, die ich besuche, erlebe ich, dass
die Menschen ganz selbstverständlich Ja sagen: Da diese
große Katastrophe jetzt da ist, sind wir bereit, ein Jahr auf
Steuersenkungen zu verzichten, damit solide wiederauf-
gebaut werden kann und nicht unsere Kinder das bezah-
len müssen.
Herr Kollege Stoiber, Sie machen einen schwerwie-
genden und lang nachwirkenden Fehler, wenn Sie die Be-
reitschaft der Menschen zur solidarischen Finanzierung
nicht abrufen. Dieser Fehler würde uns, wenn er gemacht
würde, später auf die Füße fallen.
Das entspräche übrigens exakt dem Problem, das wir von
Ihnen übernommen haben: Ein solcher Schuldenberg ist
durch die Kosten für die Wiedervereinigung nicht zu
rechtfertigen. Eine solide Finanzierung hätte man anmah-
nen können. Das gilt auch in diesem Fall.
Im Übrigen führt das nur dazu, dass es immer teurer
wird. Verehrter Herr Kollege Stoiber, Sollzinsen sind im-
mer höher als Habenzinsen;
davon leben doch die Banken. Was Sie vorschlagen, be-
deutet doch, dass 4,4Milliarden Euro an Zinsausgaben im
Laufe der nächsten elf Jahre dazukommen, weil im Erb-
lastentilgungsfonds nicht getilgt wird.
Was für ein Unsinn das ist, sehen Sie an den folgenden
Zahlen, die ich für Deutschland habe hochrechnen lassen:
Die Bundesrepublik Deutschland hat im Laufe ihrer Ge-
schichte mehr Geld für Zinsen ausgegeben, als sie Kredite
aufgenommen hat. Dieser Zusammenhang ist völlig lo-
gisch. Lassen wir den Unsinn also! Fangen wir endlich an,
solide zu finanzieren!
Wer von Umschichtungen redet und meint, damit das
Größenordnungsthema zu bewältigen, der ist auch be-
weispflichtig und muss das hier sagen.
Ich habe immer gesagt, dass der Haushalt auf Kante
genäht ist. In dieser Situation eine Debatte darüber zu
führen – wäre sie denn ernst gemeint –, wie ich das Kin-
dergeld kürze, wie ich die Rente kürze oder in großem
Umfang Investitionen in den alten Bundesländern zusam-
menstreiche, fördert nicht die Solidarität in Deutschland.
Man muss sagen, dass es besser ist, ein Jahr länger auf
Steuersenkungen zu warten.
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 251. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. August 2002
Bundesminister Hans Eichel
25429
Das ist im Übrigen auch gerecht.
Eine der „tollsten“ Sachen, die Sie machen, ist, dass
Sie, der Sie die Senkung des Spitzensteuersatzes auf un-
ter 40 Prozent zum obersten Staatsziel erklärt haben, uns
etwas von gerechter Steuerpolitik erzählen wollen.
Das läuft mit uns nicht. Herr Kollege Stoiber, vielleicht
sollten Sie Herrn Faltlhauser einmal befragen, wenn er
nicht als Propagandaredner, sondern als Finanzminister
unterwegs ist. Es gibt keine gerechtere Finanzierung als
über die Einkommensteuer, weil sie nämlich im Unter-
schied zu jeder anderen Finanzierung bedeutet, dass die-
jenigen, die über kleine Einkommen verfügen – Sie haben
diese Menschen früher verfassungswidrig hoch besteuert –,
nicht zahlen müssen, während der Beitrag mit steigendem
Einkommen immer stärker wächst. Das ist nämlich der
Sinn des progressiven Steuertarifs, sehr verehrter Herr
Kollege Stoiber.
Es zahlen alle, die steuerpflichtig sind. Natürlich zahlen
auch der Chef von Daimler-Chrysler und der Chef der
Deutschen Bank. Wir haben mit den Steuerschlupf-
löchern Schluss gemacht, die denjenigen, die große Ein-
kommen hatten, die Möglichkeit gaben, sich steuerfrei zu
stellen.
Die Solidarität derWirtschaftsverbände erkenne ich
ausdrücklich an. Man wird zwischen den Wirtschaftsver-
bänden sehr genau unterscheiden müssen. Die Solidarität
des BDI und insbesondere des Deutschen Industrie- und
Handelskammertages war angesichts einer solcher He-
rausforderung vorhanden. Sie haben gesagt: Wir tragen
das mit. Es war deutlich erkennbar, dass sie auch bereit
sind, zusätzlich eine Erhöhung der Körperschaftsteuer um
1,5 Prozentpunkte hinzunehmen. Das will ich ausdrück-
lich anerkennen.
Herr Kollege Stoiber, Sie haben nicht damit gerechnet,
dass Sie vor der Wahl für Ihre Kampagne, dass der Mit-
telstand benachteiligt sei und die Großen begünstigt wür-
den, den Wahrheitsbeweis für diese – wahrheitswidrige –
Behauptung antreten müssen.
Zunächst haben Sie gesagt – ich habe das im Fernsehen
verfolgt –, der Vorschlag sei nicht gerecht, die Zahler von
Körperschaftsteuer müssten auch beteiligt werden –
auch Herr Merz hat das gesagt; er hat auf unseren Vor-
schlag hin seine Position in einer Nacht übrigens dreimal
gewechselt.
Wir haben Sie eingeladen, Vorschläge zu machen. Wir
hätten die auch akzeptiert, verehrter Herr Kollege Stoiber,
wenn da nur irgendein vernünftiger Vorschlag auf den
Tisch gekommen wäre. Es ist aber kein Vorschlag auf den
Tisch gekommen.
Alleine das Thema Körperschaftsteuer ist ein Stück aus
dem Tollhaus. Ihre Fraktion kannte bei der ganzen Dis-
kussion um die Steuerreform nur zwei Begriffe: Spitzen-
steuersatz und körperschaftsteuerliches Vollanrechnungs-
verfahren. Im Moment wird das alte Steuerrecht, das Sie
behalten wollten, abgewickelt. Das, was da passiert, hat
mit unserem nichts, aber auch gar nichts zu tun.
Im Übrigen geht dieser Teil des Geldes ja nicht verloren;
den zahlen auf der anderen Seite – das wissen Sie doch
ganz genau, wenn Sie nur ein bisschen Ahnung davon ha-
ben – die Aktionäre. Deswegen ist ja das Aufkommen aus
der Kapitalertragsteuer im vergangenen Jahr um 7 Mil-
liarden Euro gestiegen. Diese ist nämlich das Pendant zur
ausgefallenen Körperschaftsteuer, die nach Ihrem System
zurückgezahlt werden musste, nach unserem jetzt aber
nicht mehr. All das, was Sie da erzählen, ist ja nicht wahr.
Weil es nicht wahr ist, waren Sie ja auch vor dem Hinter-
grund Ihrer eigenen Propaganda nicht in der Lage, einen
einzigen Abänderungsvorschlag zu unseren Vorschlägen
zu machen. So schnell ist solch ein falsches Propaganda-
gebäude noch nie zusammengebrochen, wie wir es in die-
sen Tagen erlebt haben.
Nun zu dem, was den Mittelstand betrifft; auch das ist
eine spannende Veranstaltung, auch in Bezug auf Sie und
Herrn Philipp. Ich habe ja gar nicht gewusst, wie viele
Fans meiner Steuerreform es gibt, bevor wir sagten, wir
verschieben sie um ein Jahr. Ich habe nicht gemerkt, wie
viele Fans der Steuerreform wir haben.
Sie und viele andere haben uns doch die ganze Zeit erzählt,
dass sie ungerecht sei und eine hohe Belastung für den
Mittelstand mit sich bringe. Nun verschieben wir diese Be-
lastung, aber es sollen 200 000 Arbeitsplätze verloren und
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 251. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. August 2002
Bundesminister Hans Eichel
25430
25 000 Betriebe Pleite gehen. Dass an dieser Behauptung
nichts stimmt, sieht jeder Mensch in diesem Lande.
Deswegen möchte ich Ihnen eines sagen, dabei unter-
scheide ich auch: Herr Philipp sollte endlich einmal seine
Funktion als Präsident des Zentralverbandes des Deut-
schen Handwerks ernst nehmen und sich nicht immer wie
ein ehemaliger Aachener CDU-Stadtrat verhalten. Dann
kämen wir bei der Vertretung der Interessen des Mittel-
standes weiter.
Herr Minister Eichel,
gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Wissmann?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich
möchte mich gerne einmal mit den Argumenten von Herrn
Kollegen Stoiber auseinander setzen.
Sehen wir uns, meine Damen und Herren, nur noch ei-
nes an, nämlich die obere Grenzsteuerbelastung. Als wir
an die Regierung kamen, lag die obere Grenzsteuerbelas-
tung für den Mittelstand bei 70 Prozent: 53 Prozent Spit-
zensteuersatz plus Solidaritätszuschlag plus Gewerbe-
steuer. Allein dadurch, dass wir die Gewerbesteuer als
Kostenfaktor der mittelständischen Betriebe beseitigt ha-
ben, konnte diese Belastung um 13 Prozentpunkte gesenkt
werden. Indem wir dann noch den Spitzensteuersatz auf
48 Prozent heruntergefahren haben, haben wir die obere
Grenzsteuerbelastung von 70 auf 51 Prozent reduziert.
Das ist die Wahrheit in Bezug auf den Mittelstand, meine
Damen und Herren.
Dann steht die Frage im Raum, wie sich das konjunk-
turell auswirkt. Dazu hat der Bundeskanzler schon das
Nötige gesagt. Natürlich sind Steuersenkungen schön.
Aber die Zusammenhänge, die Sie in den Diskussionen
herstellen, sind schon sehr merkwürdig. Sie tun gerade so,
als ob die Steuerpolitik die Konjunktur lenken könne. Das
höchste Wirtschaftswachstum hatten wir im Jahre 2000,
als wir noch gar keine Steuersenkungen durchgeführt hat-
ten. Weitaus weniger hatten wir im Jahre 2001, nachdem
wir die Steuern im großen Umfang gesenkt hatten. Das
müsste Sie doch einmal zum Nachdenken über die Frage
anregen, wie Konjunkturverläufe aussehen und wie
man diese gestaltet.
Ein Teil der Steuerentlastung könnte in den Spar-
strumpf gehen. Jetzt aber gehen die gesamten 7,1 Milliar-
den Euro sofort und vollständig in Investitionen; nicht nur
das: Auch privates Kapital wird noch ordentlich mobili-
siert. Der Kanzler hat doch Recht: Es können sich jetzt
nicht einige, die in der Marktwirtschaft ebenfalls Verant-
wortung haben, auf Kosten des Steuerzahlers davon-
schleichen.
Das gilt auch für die Versicherungen – denen ich das
nicht unterstelle – und für die Banken. Denn wenn wir
hier nicht tätig geworden wären, hätten sie Totalausfälle.
Deshalb kann man einen Solidarbeitrag zumindest bei der
Entschuldung der kleinen Betriebe im Katastrophengebiet
in Ostdeutschland erwarten.
Wir haben einen Vorschlag gemacht, der solide finan-
ziert und gerecht ist, der das Geld sauber hereinbringt und
den Mittelstand überhaupt nicht schädigt. Das Ganze wird
übrigens ein einziges Programm insbesondere für kleine
und mittelständische Betriebe und ihre Aufträge sein. Das
sollte Herr Philipp in Dresden, Grimma und anderen Städ-
ten seinen Mittelständlern einmal sagen.
Außerdem ist unsere Politik europäisch eingebunden.
Schließlich haben wir ein paar Verpflichtungen, übrigens
auch für die gemeinsame Währung. Mit Ihrem Programm
würden Sie bei der EZB – würde es je Regierungspro-
gramm werden; denn die EZB äußert sich zu Recht nicht
zu Oppositionsprogrammen – keine Freude auslösen. In
Brüssel ist deutlich zum Ausdruck gebracht worden, dass
der Weg, den wir gehen, europäisch eingebunden und der
einzig richtige ist.
Zum Schluss, verehrter Herr Kollege Stoiber, noch
eine Bemerkung zum Thema Umweltschutz, das ich hier
im Übrigen nicht weiter behandeln will. Als wir mit Ih-
nen, der damaligen Regierung Kohl, Anfang der 90er-
Jahre – Gerhard Schröder war damals niedersächsischer
Ministerpräsident – den Versuch unternahmen, ein Ein-
vernehmen über den Ausstieg aus der Kernenergie zu er-
zielen, haben wir darum gebeten, dass mit Blick auf das,
was in den 70er-Jahren an Energiesparprogrammen, an
Förderung der regenerativen Energien und der Kraft-
Wärme-Koppelung und an weiteren Programmen auf den
Weg gebracht worden war, einmal dargestellt werde, was
daraus in den Jahren der Regierung Kohl geworden ist.
Wissen Sie, was das Ergebnis war? – Alles ist im Laufe
der Jahre beendet worden. Hätten wir damals nicht einen
solchen Rückschritt in der Energiepolitik gehabt, wären
wir heute schon sehr viel weiter.
Ich will jetzt nicht über Bayern rechten, Herr Kollege
Stoiber. Aber wenn die Verhältnisse in Bayern so sind, wie
Sie sie geschildert haben, hat sich das nicht bis zur
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 251. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. August 2002
Bundesminister Hans Eichel
25431
CDU/CSU-Bundestagsfraktion und zur CSU-Landes-
gruppe herumgesprochen. Denn von Ihren Freunden hier
im Deutschen Bundestag ist fast alles, was wir in Sachen
erneuerbare Energien, Wärmedämmung usw. gemacht
haben – allein 1 Milliarde Euro im Bundeshaushalt; Sie
versprechen jetzt 100 Millionen Euro –, abgelehnt wor-
den. Mehr muss man dazu nicht sagen.
Ein paar Sätze zu einem anderen Thema, das Sie zu
Recht angesprochen haben, wenn auch nicht unbedingt in
diesem Zusammenhang. Es ist unser großes Thema: die
Arbeitslosigkeit. Herr Kollege Stoiber, Sie führen dazu
eine wunderliche Debatte. Ich sehe in diesen Tagen die
Plakate. Darauf wird der Kanzler mit 4 Millionen Arbeits-
losen in Verbindung gebracht.
– Warten Sie einen Moment ab, gleich können Sie klat-
schen. – Die höchste Arbeitslosigkeit nach der Wieder-
vereinigung hatten wir im Januar/Februar 1998. Da war
nur die Frage: Überschreiten wir die Schwelle der 5 Mil-
lionen Arbeitslosen oder bleiben wir knapp darunter? Das
fällt in Ihre Zeit.
Auch heute sind es mindestens 300 000 Arbeitslose
weniger. Im Unterschied zu Ihnen haben wir vor dem
Wahltag keine Bilanzschönung betrieben.
Sie wissen genau, was Sie 1998 gemacht haben: Sie ha-
ben ein Vierteljahr vor der Wahl die AB-Maßnahmen zu-
sammengeschoben, damit 300 000 Leute mehr auf der
Payroll der Beschäftigungsmaßnahmen standen und Sie
die Bilanz schönen konnten. Das war ein zynischer Um-
gang mit den Arbeitslosen. So etwas machen wir nicht.
Die Menschen haben das auch nicht akzeptiert.
Ich finde es außerordentlich spannend, dass Sie jetzt
sagen, seit dem vergangenen Jahr seien rund 200 000 Ar-
beitslätze verloren gegangen.
Ich erinnere mich noch an die Debatten in diesem Hause,
in denen Sie bestritten haben, dass wir – das ist übrigens
dieselbe Statistik – über 1 Million Beschäftigte mehr ha-
ben. Das müssen Sie dazusagen, verehrter Herr Merz:
dass wir bis zum vorigen Sommer 1,2 Millionen Beschäf-
tigte mehr hatten, als es zum Ende der Regierung Kohl
waren.
Diese Zahl hat sich inzwischen aufgrund der flauen
Konjunktur etwas verringert. Das ist wahr. Aber es blei-
ben eine Million Arbeitsplätze bzw. eine Million Be-
schäftigte mehr als zum Ende Ihrer Regierungszeit.
Wenn wir jetzt bilanzieren, dann sage ich Ihnen: Es ging
bei uns nicht nur um mehr Beschäftigung und weniger Ar-
beitslose – natürlich wollten und wollen wir hier noch wei-
ter vorankommen –, sondern wir haben auch für niedrigere
Steuern gesorgt und weniger neue Schulden gemacht. Jetzt
muss ich nicht mehr jede vierte Steuermark für Zinsen
überweisen, sondern nur noch jede fünfte. Das ist der Er-
folg der Konsolidierungspolitik der letzten vier Jahre.
Das hat uns auch Raum gegeben, Schluss zu machen
mit dem Unsinn, ausgerechnet den Bildungsetat zum
Sparhaushalt zu machen, meine Damen und Herren.
Denn den haben wir wieder ordentlich aufgestockt. Die
Investitionen im Verkehrsbereich waren nie so hoch, wie
sie heute sind.
Den Aufbau Ost kann nur derjenige solide auf 15 Jahre
im Voraus finanzieren, der eine solide Finanzpolitik
macht – niemand sonst.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, deswegen
sage ich: Es ist gut – das ist die positive Seite –, dass das
Konzept, das wir vorgeschlagen haben, sowohl im Bun-
destag als offensichtlich auch im Bundesrat eine Mehrheit
finden wird, damit die Menschen die Gewissheit haben,
dass der Aufbau beginnt. Aber es ist auch gut – wenn es
denn so ist –, dass sich die Menschen am 22. September
dieses Jahres zwischen klaren Alternativen entscheiden
können: Wollen wir bei der Verschuldung wieder dort an-
fangen, wo wir 1998 aufgehört haben,
oder wollen wir konsequent den Weg aus der Schulden-
falle gehen? Das ist die Entscheidungsfrage, um die es am
22. September dieses Jahres gehen wird.
Das, meine Damen und Herren, gilt grundsätzlich;
auch bei der Bewältigung der Flutkatastrophe. Ich sage
Ihnen eines: Die Menschen im Lande zeigen viel mehr
Solidarität als Sie, meine Damen und Herren von der
CDU/CSU, mit Ihrer Art von Politik abfordern. Die Men-
schen fragen danach, ob die Politik nicht endlich einmal
dasselbe Maß an Solidarität aufbringt, das sie ihrerseits zu
leisten in der Lage sind und das sie auch leisten wollen.
Das würde unserem Land nämlich gut tun.
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 251. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. August 2002
Bundesminister Hans Eichel
25432
Zu einer Kurzinter-
vention hat jetzt der Kollege Friedrich Merz das Wort.
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Mir stehen nur drei Minuten zur Ver-
fügung.
– Entschuldigung, das parlamentarische Recht, hier eine
Kurzintervention abzugeben, werden Sie nicht in Frage
stellen – auch nicht durch die Lautstärke Ihrer Zurufe,
meine Damen und Herren.
Herr Bundesfinanzminister, Sie haben hier gerade be-
hauptet, die Opposition bzw. die Union, der Ministerprä-
sident des Freistaates Bayern und auch ich hätten unsere
Meinung geändert
und innerhalb kurzer Zeit etwas anderes gesagt, als wir
heute hier sagen. Hierzu stelle ich Folgendes fest:
Erstens. Wir beide sind am späten Sonntagabend des
18. August dieses Jahres zusammen in einer Fernsehsen-
dung gewesen, in der Sie gefragt worden sind, ob Sie es für
richtig halten würden, die Finanzierung der Flutkatastro-
phe durch die Verschiebung der Steuerreform zu finan-
zieren. Dies haben Sie an diesem Abend zweimal aus-
drücklich ausgeschlossen. Weniger als 20 Stunden später
hat das Bundeskabinett der Bundesrepublik Deutschland
unter Ihrer Beteiligung etwas anderes beschlossen.
Das ist die Wahrheit.
Zweitens. Wenn Sie uns hier in einem der Sache völlig
unangemessenen Ton Vorwürfe machen,
weil wir einen anderen Vorschlag zur Finanzierung der
Flutkatastrophe machen als Sie durch Steuererhöhungen,
dann stelle ich hier Folgendes fest: Als Bundesfinanzmi-
nister haben Sie zur Finanzierung des Solidarpaktes II
bzw. zur Refinanzierung des Bundesanteiles für drei Jahre
die Tilgung des Fonds „Deutsche Einheit“ ausgesetzt.
Das ist so beschlossen. Dies allein hat in Ihrem laufenden
Haushalt Einsparungen zulasten zukünftiger Generatio-
nen von über 800 Millionen Euro ausgelöst. Sie haben in
diesem Parlament die Aussetzung der Tilgung des Fonds
„Deutsche Einheit“ von insgesamt 4,5 Milliarden Euro
zur Finanzierung des Solidarpaktes II durchgesetzt und
dies von dieser Stelle aus als solide Haushaltspolitik ver-
treten. Man kann über diese Art der Finanzierung sehr un-
terschiedlicher Auffassung sein. Eine gesunde Volkswirt-
schaft, die Wachstum und einen Zuwachs an Beschäftigung
aufweist, müsste eigentlich ohne Steuererhöhungen und
ohne die Streckung der Schuldentilgung auskommen kön-
nen. Dass das nicht so ist, haben Sie zu verantworten.
Unser Vorschlag, dass die Finanzierung über eine
Streckung der Schuldentilgung erfolgen könne, kann
nicht völlig falsch sein, weil es genau dem entspricht, was
Sie beim Fonds „Deutsche Einheit“ und beim Solidar-
pakt II gemacht haben. Mittlerweile haben auch zwei Mi-
nisterpräsidenten aus Ihren Reihen, der ehemalige aus
Brandenburg und der amtierende in Niedersachsen, in
diesen Tagen ausdrücklich gesagt, dass auch der Bundes-
bankgewinn zur Finanzierung dieser Aufgabe herangezo-
gen werden könne. Was wir hier gegenwärtig erleben – das
zeigt auch Ihr Beitrag, Herr Bundesfinanzminister –, ist in
der Sache unangemessen und in der Form unredlich.
Zur Erwiderung gebe
ich das Wort dem Herrn Minister Hans Eichel.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Prä-
sidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Merz,
Sie haben Recht. Ich habe am Sonntagabend
in einer Debatte, in der es um die Frage ging – in diesem
Punkt habe ich tatsächlich meine Meinung geändert –,
zu welchem Zeitpunkt wir entscheiden, gesagt: Wir ken-
nen die Höhe der Schäden noch nicht.
– Jawohl.
Wir haben uns die politische Diskussion genau ange-
schaut, in der jede nur denkbare Summe genannt wurde.
So werden Sie dieses Land nicht führen können.
Daraufhin haben wir, voran der Bundeskanzler, beschlos-
sen, dass wir sofort die notwendigen Instrumente zur Ver-
fügung stellen.
Verehrter Herr Kollege Merz, Ihre Bemerkung über
den Fonds „Deutsche Einheit“ hätten Sie besser nicht ge-
macht. Die Belastungen rühren daher, dass die Bundes-
länder unter Führung der Südschiene erklärt haben, sie
könnten den Länderfinanzausgleich nicht finanzieren,
wenn der Bund nicht zusätzlich Mittel zur Verfügung stel-
len würde. Das ist der Hintergrund bei der Finanzierung
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 251. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. August 2002 25433
des Fonds „Deutsche Einheit“. Die Probleme wurden
nicht von mir, sondern von Ihnen verursacht.
Ich will Ihnen einmal vorlesen, was der Kollege Gabriel
zur Finanzierung im Niedersächsischen Landtag gesagt hat:
Deshalb wird diese Entscheidung, die Steuerreform
– Sie reden immer von Steuererhöhung; es ist aber eine
Steuersenkung –
um ein Jahr zu schieben, von der niedersächsischen
Landesregierung voll mit getragen. Es gibt dazu auch
keine ernsthafte Alternative. Die Forderung von CDU
und CSU, stattdessen zur Schuldentilgung festgelegte
Bundesbankgewinne als Sofortprogramme aufzule-
gen, ist nichts anderes als ein ungedeckter Wechsel
auf die Zukunft.
Die ausschließliche Finanzierung der deutschen Ein-
heit auf Pump ist ein volkswirtschaftlicher Fehler
gewesen. Unterm Strich wären mit dieser höheren
Verschuldung durch den Einsatz der Bundesbankge-
winne jährlich 400 Millionen Euro zusätzlich zu til-
gen. Über zehn Jahre hieße das: Mehr als die Hälfte
der von Edmund Stoiber vorgeschlagenen Summe
geht für zusätzliche Tilgungszahlungen drauf. Das
ist schlicht ökonomischer Unsinn.
So Herr Gabriel wörtlich.
Die Antwort ist ganz einfach und wird auch nicht durch
das verschleiert, was immer Sie im Einzelnen noch er-
zählen mögen: Entweder finanzieren wir jetzt durch einen
Verzicht auf Steuersenkungen oder unseren Kindern und
Enkeln wird später die Rechnung präsentiert,
wobei wir zwischenzeitlich wesentlich mehr Zinsen zah-
len müssen. Unser Vorschlag ist solide, während Ihr Vor-
schlag unsolide ist, so wie wir es von Ihnen gewohnt sind.
Ich bitte diejenigen,
die etwas miteinander zu bereden haben, sich hinzuset-
zen, damit der Ablauf der Sitzung nicht gestört wird.
Ich möchte ferner darauf hinweisen, dass die Verantwor-
tung für den Ablauf der Sitzung mir obliegt.
Ich werde sie so wahrnehmen, wie ich es für richtig halte
und wie es mit den Parlamentarischen Geschäftsführern
besprochen worden ist.
Jetzt hat der Kollege Dr. Westerwelle das Wort für die
FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich glaube, dass
die Menschen, die uns bisher zugesehen haben, von die-
ser Debatte etwas anderes erwarten als das Schlagen von
Wahlkampfschlachten. Vielmehr möchten sie in Wahr-
heit eine Antwort haben, wie wir auf diese katastrophale
Situation reagieren.
Deswegen wäre ich Ihnen außerordentlich dankbar, wenn
Sie in diesem Augenblick einfach einmal überlegen, ob es
der richtige Stil ist,
dass die Opposition bei der Regierungserklärung des deut-
schen Bundeskanzlers schweigend zuhört, gelegentlich
Beifall gibt, gelegentlich natürlich keinen Beifall gibt, aber
dass dann, wenn die andere Seite spricht – in diesem Fall
der bayerische Ministerpräsident oder jetzt meine Per-
son –, wir sofort in ein Sperrfeuer von Zwischenrufen lau-
fen. Wie nervös sind Sie, dass Sie das brauchen?
Ich denke, dass die Menschen, die uns jetzt zusehen,
vor allen Dingen wollen, dass wir uns mit den wirklichen
Problemen auseinander setzen,
dass wir in dieser Situation keine Wahlkampfschlacht
schlagen, sondern dass wir uns vor allen Dingen damit be-
schäftigen, wie die Folgen dieser Hochwasserkatastrophe
bekämpft werden können.
Die Solidarität mit den Betroffenen der Hochwasserka-
tastrophe ist aus meiner Sicht eine nationale Aufgabe. Nie-
mand will sich dieser Aufgabe entziehen. Es ist großartig,
wie viel Solidarität wir in dieser wirklich dramatischen
Zeit bei den Bürgerinnen und Bürgern in unserem Lande
erlebt haben. Das ist ein Zeichen dafür, dass es in Deutsch-
land eine funktionierende Bürgergesellschaft gibt.
Ich denke, dass auch niemand hier im Parlament die Auf-
gabe der Bekämpfung der Folgen dieser Hochwasser-
katastrophe infrage stellt. Niemand in diesem Parlament
will sich dieser Aufgabe entziehen.
Ich möchte vorab auch aus meiner Sicht, aus der Sicht
der Freien Demokraten, den Bürgerinnen und Bürgern in
Deutschland für die unglaubliche Spendenbereitschaft
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 251. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. August 2002
Bundesminister Hans Eichel
25434
danken. Ich finde, dass dies unsere Anerkennung und un-
seren Respekt verdient und dass diese großartige Leistung
unserer Bürgerinnen und Bürger es nicht verdient hat, im
Wahlkampfgetümmel unterzugehen.
Ich möchte ausdrücklich denen danken, die mit heraus-
ragenden Leistungen beim Katastrophenschutz – bei der
Bundeswehr, bei der Polizei, bei der Feuerwehr – gewirkt
haben, den vielen technischen Helfern, den Freiwilligen,
denjenigen, die in karitativen Einrichtungen geholfen ha-
ben, und natürlich den vielen, vielen tausend Freiwilligen,
die, ohne in irgendeiner Organisation zu sein, spontan mit
angepackt haben. Sie alle sind Zeichen und Beleg für eine
Gesellschaft, auf die wir stolz sein können. Das ist, wie
ich hoffe, für die meisten in diesem Parlament wirklich
ein Augenblick gewesen, in dem wir uns ganz nahe bei-
einander gefühlt haben, auch wenn der Debattenverlauf
der letzten zwei Stunden gelegentlich einen anderen Ein-
druck erweckt haben mag.
Jetzt wollen wir uns mit der Frage, wie die Folgen dieser
Hochwasserkatastrophe beseitigt werden können, auseinan-
der setzen. Es geht jetzt darum, die Schäden zu beseitigen.
Es geht darum, Häuser, Gewerbe und Infrastruktur wieder
aufzubauen. Deswegen ist es richtig, dass die Bundesregie-
rung – und zwar mit Unterstützung der parlamentarischen
Opposition – einen Sonderfonds, einen Aufbaufonds,
bilden will, damit tatsächlich genügend Mittel zusammen-
kommen.
Meine Einschätzung ist, nachdem ich mir vor allen Din-
gen in Dresden die Folgen der Hochwasserkatastrophe an-
gesehen habe, dass die bisher diskutierten Zahlen eher zu
knapp als zu großzügig bemessen sein dürften. Wir alle
werden uns im Deutschen Bundestag noch mehrfach über
das unterhalten müssen, was beispielsweise im Hinblick
auf zerstörte Deichanlagen auf uns zukommt. Wir sehen
im Augenblick das, was an Infrastruktur, an Häusern und
an Betrieben zerstört worden ist. Die vielen versteckten
Schäden, beispielsweise von 100 Jahre alten Deichen, die
aufgeweicht sind und möglicherweise eine vollständige
Sanierung brauchen, kennen wir noch nicht.
Wir müssen uns darauf einstellen und vor allen Dingen
müssen wir uns dafür wappnen. Deswegen sind wir Freien
Demokraten der Meinung: Es ist ein Fehler, wenn jetzt in
dieser Situation das eine Unglück der Hochwasserkatastro-
phe durch ein anderes Unglück, nämlich durch Steuererhö-
hungen zugunsten von mehr Arbeitslosigkeit, bekämpft
werden soll.
Das Einzige, was diese Steuererhöhungspolitik bewirken
wird, ist, dass das Wirtschaftswachstum tatsächlich redu-
ziert wird.
Das Ergebnis ist: weniger Wirtschaftswachstum und mehr
Arbeitslosigkeit durch Steuererhöhungen.
Gerade die Menschen in den von Hochwasser be-
troffenen Regionen brauchen zwar sofort Hilfe, aber sie
brauchen auch neue Chancen und Perspektiven durch
Wirtschaftswachstum und dadurch, dass neue Beschäfti-
gungschancen entstehen. Wer das Hochwasser und seine
Folgen durch Steuererhöhungen bekämpfen will, vergisst,
dass man damit den Betroffenen, den Opfern in der Re-
gion, Steine statt Brot gibt.
Die Antwort lautet: Wirtschaftswachstum, Arbeits-
plätze und Chancen für Existenzgründer, für Menschen,
die sich selbstständig machen wollen und jetzt eine
enorme Portion von geradezu trotzigem Optimismus zei-
gen. Das sind die Menschen, die etwas anpacken und wie-
der etwas schaffen wollen. Denen dürfen nicht durch
Steuererhöhungen Knüppel zwischen die Beine geworfen
werden. Darin unterscheiden wir uns in den politischen
Konzepten eindeutig.
Es ist aus unserer Sicht notwendig, noch einmal über
die Zahlen zu sprechen. Deutschland hat mittlerweile das
niedrigste Wirtschaftswachstum in ganz Europa.
Wir hatten ein Wirtschaftswachstum von 0,2 Prozent im
ersten Quartal und von 0,3 Prozent im zweiten Quartal.
Arbeitsplätze entstehen aber erst mit einem Wirtschafts-
wachstum ab etwa 1,5 Prozent. Jedes Prozent Wirt-
schaftswachstum, das – zum Beispiel durch eine Steuer-
senkungspolitik – erzielt wird, bringt 7 Milliarden Euro
Staatseinnahmen.
Sie meinen, Sie könnten die Haushaltslöcher schlie-
ßen, indem Sie die Steuern erhöhen. Wir aber meinen, wir
erreichen nur dann gesunde Staatsfinanzen, wenn die
Steuern gesenkt werden, wenn investiert wird, Wirt-
schaftswachstum stattfindet und die Menschen wieder
Arbeit und Ausbildung haben.
Das ist ein fundamentaler Unterschied in den politischen
Ansätzen.
Natürlich stellt es eine Steuererhöhung dar, wenn bei-
spielsweise eine bereits im Bundesgesetzblatt zugunsten
des Mittelstandes beschlossene Steuersenkung verscho-
ben wird.
Es ist im Übrigen nicht richtig, Herr Minister Eichel,
dass das, was eigentlich zum 1. Januar 2003 in Kraft tre-
ten sollte, seitens der Freien Demokraten – um an dieser
Stelle für die liberale Opposition zu sprechen – blockiert
oder abgelehnt worden ist. Ich erinnere mich an viele
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 251. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. August 2002
Dr. Guido Westerwelle
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Gespräche, die ich selbst mit Ihnen und dem Bundeskanz-
ler geführt habe. Unser Landesvorsitzender von Rhein-
land-Pfalz, Rainer Brüderle, hat Ihnen im Bundesrat mit
unserer parteipolitischen Unterstützung nur deshalb grü-
nes Licht gegeben, weil eben jetzt auch Entlastungen des
Mittelstands in Kraft treten sollten.
Sie nehmen dem Mittelstand Chancen. Das kostet Arbeit
und Ausbildung und stellt faktisch eine Steuererhöhung
dar, auch wenn Sie das anders bezeichnen wollen.
Ich meine, dass es auf der anderen Seite auch kein klu-
ger Vorschlag ist, die Schulden zu erhöhen. Das ist mei-
ner Meinung nach genauso falsch. Das sind zwei falsche
Wege, die vorgeschlagen werden.
Denn wenn jetzt die Schulden erhöht werden, dann be-
deutet das lediglich, dass unsere Währung, der Euro, wei-
cher wird. Das können wir nicht wollen. Deshalb haben
wir als Deutsche schließlich die Stabilitätskriterien in
Europa durchgesetzt. Es bedeutet aber in der Tat auch,
dass zulasten der jungen Generation das finanziert werden
soll, was jetzt aus unserer volkswirtschaftlichen Kraft
finanziert werden muss. Auch das ist nicht fair.
Wir haben deshalb einen anderen Vorschlag gemacht,
der Ihnen übrigens schriftlich vorliegt; deswegen sollten
Sie sich jetzt nicht so fragend umschauen. Jedem Abge-
ordneten liegt das Konzept der Freien Demokraten vor,
mit Vorschlägen dazu, wie beispielsweise dieser Betrag
durch Haushaltsumschichtungen erwirtschaftet werden
kann.
Wir erleben im Deutschen Bundestag in diesen Stun-
den vor allen Dingen, dass die eine Seite des Hauses an
höhere Steuern denkt, dass andere an eine Erhöhung der
Schulden denken, aber dass es mit Ausnahme von uns of-
fensichtlich niemanden gibt, der konkrete Einsparungs-
vorschlägemacht. Wir können bei einem Bundeshaushalt
in Höhe von 250 Milliarden Euro jährlich nicht bei jeder
Katastrophe, so schlimm sie auch sein mag, reflexartig
nach Steuererhöhungen rufen. Das ist der Grund für die
deutsche Krankheit. Das ist der Grund dafür, dass wir
beim Wirtschaftswachstum in Europa an letzter Stelle an-
gekommen sind.
Wir müssen diesen Weg verlassen. Wir brauchen einen
Politikwechsel. Darüber müsste hier an dieser Stelle dis-
kutiert werden.
Allein die Höhe der Subventionen beträgt in jedem
Jahr 55 Milliarden Euro. Es wurde bisher kein einziges
Wort darüber verloren, ob man nicht auch einmal an diese
Subventionen herangehen könne. Wir müssten darüber
hinaus über den Abbau von Bürokratie reden, über Pri-
vatisierungen – das ist ohnehin die wichtigste ordnungs-
politische Aufgabe – oder über Umschichtungen im Haus-
halt. Beide Seiten hier erwarten in Wahrheit, dass alle in
Deutschland sparen, mit Ausnahme der Politik und des
Staates. Das kann nicht in Ordnung sein.
Das ist der Grund dafür, dass die Arbeitslosigkeit weiter
steigt. Das werden wir in diesem Bundestag in jedem Fall
ablehnen. Dafür lassen wir uns nicht verhaften.
Meine Damen und Herren, ich habe mich bemüht, aus
unserer Sicht eine Alternative vorzulegen.
Wir haben uns heute Morgen entschlossen, dieser Debatte
ruhig zu folgen und uns die Argumente der unterschied-
lichen Seiten anzuhören; denn ich glaube, dass sich ein
Parlament in solchen Situationen auch dadurch bewähren
muss, dass es einen entsprechenden kultivierten Stil zeigt.
Die Art aber, wie Sie auf unsere Beiträge reagieren, zeigt,
dass Sie die Herausforderung der Stunde wirklich nicht
begriffen haben. Bemühungen um Steuersenkungen, um
neue Arbeitsplätze, um mehr Wirtschaftswachstum sowie
das Zusammenstehen müssen das Gebot der Stunde sein
und nicht solche peinlichen Wahlkampfmanöver, die je-
der, der uns jetzt zusieht, einfach durchschauen kann.
Vielen Dank.
Das Wort hat jetzt
Bundesaußenminister Joschka Fischer.
Joseph Fischer, Bundesminister des Auswärtigen
Meine Damen und Herren! Der Herr Bundeskanzler hat
heute in seiner Regierungserklärung sehr eindringlich und
sehr eindrücklich von den Erfahrungen gesprochen, die er
bei dem Besuch in den überfluteten Gebieten gemacht hat.
In der Tat: Das kann ich nur bestätigen. Die Medien kön-
nen das ganze Ausmaß der Zerstörung wie auch das,
was das für die betroffenen Menschen heißt, nur unzurei-
chend wiedergeben.
Ich war dort in Begleitung des Präsidenten der Euro-
päischen Kommission. Ich möchte hinzufügen: Wir sind
sehr dankbar, dass Kommissionspräsident Prodi mit drei
Kommissaren sofort unserer Einladung gefolgt ist und
dass er sich einen persönlichen Eindruck von der Kata-
strophe verschafft hat.
Wir sind auch über die Entscheidungen der Kommission
sehr dankbar.
Ich habe mit meinen 54 Jahren bisher in unseren Brei-
tengraden nichts Vergleichbares an Zerstörungen gese-
hen. Folgende Begegnung macht jenseits der materiellen
Schäden das eigentliche Desaster klar: In Weesenstein bin
ich auf einen Bäckermeister getroffen – er war etwa in
meinem Alter –,
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 251. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. August 2002
Dr. Guido Westerwelle
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der vor seinem völlig zerstörten Betrieb saß. Er sagte, er
habe noch im letzten Jahr ein kleines Café aufgemacht,
aber nun sei alles kaputt, die Backstube und der Laden
seien völlig zerstört. Als jemand Anfang 40 habe er nach
der Wende versucht, sich eine kleine bescheidene Exis-
tenz aufzubauen. Nun frage er sich, ob er es jetzt, mit
Mitte 50, nochmals fertig bringe, neu anzufangen.
Das Wichtige an der Solidarität ist, wie ich finde, nicht
nur, dass die Menschen so weit es geht materiell schaden-
frei gestellt werden; wichtig sind – das macht meines Er-
achtens den eigentlichen Wert dieser breiten Spendenbe-
reitschaft aus – vor allen Dingen auch der Mut, der
zugesprochen wird, und die emotionale Zuwendung, dass
diese Generation, die nach der Wende versucht hat aufzu-
bauen, jetzt den Mut nicht verliert, sondern die Aufbau-
arbeit ein weiteres Mal angehen kann und es auch packt.
Ich habe dort mit dem Landrat, der ebenfalls zugegen
war, gesprochen. Er hat von einer flächendeckenden Zer-
störung der Abwasseranlagen gesprochen; Investitionen,
die seit der deutschen Einheit zum Beispiel in Kläranla-
gen getätigt wurden, seien vernichtet, Rohrleitungssys-
teme seien zerstört ebenso wie kommunale Infrastruktur,
Kindergärten und Schulen. Ich hatte auch die Gelegen-
heit, mit dem Oberbürgermeister von Pirna zu sprechen,
der mir sagte, sie hätten diese wunderbare Altstadt jetzt
fast fertig saniert, mit Hunderten Millionen Euro. Und
dann kam die Flut.
Der sächsische Ministerpräsident wird eindrücklich
über die Zerstörung seines Landes sprechen können. Zu-
mindest für Sachsen gilt der Satz, dass wir es jetzt mit ei-
ner zweiten Aufbauanstrengung zu tun haben werden. Ich
denke, es ist sehr wichtig, dass alle klar machen, dass wir
es hier mit einer Solidaritätsaufgabe zu tun haben, dass die
Länder und die Menschen, aber auch unsere europäischen
Nachbarn – ich möchte hier an die Tschechische Republik
erinnern, die es mindestens so schwer getroffen hat – alle
zusammenstehen und in einer gemeinsamen, solidari-
schen Anstrengung den Opfern und den betroffenen Ge-
bietskörperschaften helfen müssen.
Ich finde, an diesem Punkt sollte man bei allem Wahl-
kampf die Worte wohl wägen. Wir müssen über Wege zur
Bekämpfung der Arbeitslosigkeit streiten.
In der Vergangenheit hat hier niemand das Ei des Kolum-
bus gefunden. Die FDPwar 29 Jahre in der Regierung; ich
möchte jetzt die Arbeitslosenzahlen von 1998 nicht wie-
derholen. Die CDU/CSU war 16 Jahre in der Regierung;
ich möchte die Arbeitslosenzahlen nicht wiederholen.
Aber ich halte überhaupt nichts davon, das dramatische
Problem der Arbeitslosigkeit, das ein strukturelles Pro-
blem ist, jetzt dem Unglück der Flutopfer entgegenzuset-
zen. Meine Damen und Herren, das sollten wir lassen.
Das werden die betroffenen Menschen nicht verstehen.
Das sollten wir wirklich nicht tun. Das rechtfertigt auch
die Hitze des Wahlkampfes nicht.
Herr Westerwelle, um auch das vorneweg zu sagen: Ich
verstehe, dass wir hier unsere programmatischen Positio-
nen haben. Niemand von uns ist mit hohen Steuersätzen
verheiratet oder ist der Meinung, hohe Steuersätze müss-
ten sein. Deswegen hat die Bundesregierung ein Steuer-
senkungsprogramm in der Größenordnung von über
50 Milliarden beschlossen, für das Sie jetzt mit der For-
derung, die zweite Stufe solle pünktlich stattfinden, so
vehement eintreten.
Wir haben großen Wert darauf gelegt, Deutschland da-
mit wieder zum Investitionsstandort zu machen. Das ist
uns gelungen. Die Auslandsinvestitionen haben sich in
den letzten vier Jahren positiv entwickelt. Wir haben Wert
darauf gelegt, dass vor allem den Familien, den unteren
und mittleren Einkommen geholfen wird. Das heißt, dass
Wettbewerbsfähigkeit und Gerechtigkeit diese Steuer-
reform tragen. Dass Sie diese Steuerreform jetzt fordern,
das ehrt uns und den Vater dieser Steuerreform, Hans
Eichel.
Angesichts der Erfahrungen mit der deutschen Einheit
sage ich heute: Niemand beschwert sich hier über die
Kosten; im Gegenteil kann man mit Geld gar nicht aus-
drücken, was wir durch die deutsche Einheit gewonnen
haben, nicht nur im Inneren, sondern auch an Frieden
und Stabilität in einem zusammenwachsenden Europa.
Aber eines muss doch klar sein: Wir können den Opfern
jetzt nicht, weil wir davon ideologisch überzeugt sind,
Steuersenkungen anbieten. Die werden dem Bäckermeis-
ter in seiner Not nicht helfen. Die werden den Gemeinden,
den Gebietskörperschaften in ihrer Not nicht helfen.
Abgesehen davon bin ich auch von der Richtigkeit
nicht überzeugt. Hans Eichel hat das Beispiel 2000/2001
gebracht. Ich meine, Sie hatten 29 Jahre Zeit, diese Poli-
tik umzusetzen. Ich sage ja gar nicht, dass Steuersenkun-
gen, wenn sie bezahlbar und finanzierbar sind, nicht ein
positives Element sein könnten. Aber machen wir doch
daraus keinen Glaubenskrieg! Machen wir vor allen Din-
gen keine unseriösen Versprechungen!
Wenn Sie über das, was wir wollen, hinaus Steuern sen-
ken wollen, dann müssen Sie das den Menschen vor den
Wahlen sagen.
Der bayerische Ministerpräsident hat hier in seiner
Rede versucht, diesen Anstrengungen für gesamtstaat-
liche Solidarität gerecht zu werden.
Herr Ministerpräsident, Sie konnten aber natürlich der
Versuchung nicht widerstehen, in die Rolle des Wahl-
kämpfers zu schlüpfen. Man mag sich wirklich darüber
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 251. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. August 2002
Bundesminister Joseph Fischer
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streiten. Sie sind der Meinung, dass die Schuldenfinan-
zierung der bessere Weg ist. Wir sind – Hans Eichel hat
die Gründe genannt – aufgrund der Erfahrungen mit der
deutschen Einheit und mit dem zu hohen Schuldenaufbau
anderer Meinung.
Herr Westerwelle, Sie sagen, der Staat spare nicht. Als
Bundesaußenminister musste ich in den vergangenen Jah-
ren Dinge akzeptieren – und zwar aus Solidarität gegen-
über der Konsolidierungspolitik –, die ich eigentlich für
nicht richtig hielt. Aber weil wir unter Spardruck stehen,
weil wir konsoldieren müssen, weil wir sonst in der Tat
jede vierte Steuermark in den Schuldendienst geben
müssten, habe ich sie akzeptiert.
Seit vier Jahren machen wir Konsolidierungsanstren-
gungen. Diese Anstrengungen gehören zur Wiedergewin-
nung der Wettbewerbsfähigkeit. Deswegen hat auch EU-
Kommissar Solbes, der ja keineswegs einen unkritischen
Blick auf die Mitgliedstaaten und ihre Finanzpolitik hat,
die Entscheidung der Bundesregierung begrüßt. Das müs-
sen Sie doch einmal zur Kenntnis nehmen. Dies geschah
gerade vor dem Hintergrund unserer Erfahrungen: Wir ha-
ben einen zu hohen Schuldenstand, der die wirtschaftliche
Wettbewerbsfähigkeit unseres Landes nach unten zieht
und zugleich den Druck auf den Arbeitsmarkt erhöht. Ge-
nau das wollen wir nicht so fortsetzen, wie es acht Jahre
lang unter der Regierung von Helmut Kohl, also unter der
Regierung der CDU/CSU und der FDP, geschehen ist.
Sie sagen, wir hätten nach dem 11. September die Steu-
ern erhöht; das ist richtig. Ich frage Sie jetzt, ob Sie sich
noch an den Golfkrieg erinnern können.
Wer hat denn damals eine Erhöhung der Mineralölsteuer
um 20 Pfennige beschlossen? War das Rot-Grün oder wa-
ren das nicht auch Sie und der Freistaat Bayern? Auf die-
ser Ebene möchte ich die Klingen jetzt aber nicht kreuzen.
Für mich ist etwas anderes entscheidend: Wir müssen
jetzt nicht nur eine große solidarische Anstrengung er-
bringen, sondern wir müssen jetzt auch die Vernunft wieder
einschalten. Wir müssen erkennen, dass es einen Zusam-
menhang mit der Tatsache gibt, dass wir das Weltklima
verändern.
Auf einer Pressekonferenz hat Professor Jäger heute
ein sehr gutes Beispiel gebracht. Er hat gesagt, dass es
keine Möglichkeit gibt, den Lungenkrebs direkt und un-
mittelbar, sozusagen monokausal, mit dem Rauchen in
Verbindung zu bringen. Dennoch gibt es die Gewissheit,
dass Rauchen die Gefahr für Lungenkrebs um Faktoren
wahrscheinlicher macht als das Nichtrauchen.
Genau damit haben wir es auch bei den CO2-Emissionenund bei der Klimakatastrophe zu tun.
Meine Damen und Herren, deswegen müssen wir an
morgen und übermorgen denken. Sie haben gesagt, dass
zwei Drittel der CO2-Reduktionen unter der Regierungvon Helmut Kohl vorgenommen worden sind. Ich kann
Ihnen nur sagen: Das nehme ich gerne entgegen. Sie ha-
ben zwei Drittel in 16 Jahren reduziert, wir haben ein Drit-
tel in vier Jahren reduziert. Es reicht eine einfache Grund-
rechenart, um sich vorstellen zu können, was es für den
Klimaschutz bedeuten würde, wenn Sie wieder an die Re-
gierung kämen, und was es für den Klimaschutz hieße,
wenn wir weitermachen könnten. Ein besseres Argument
kann ich gar nicht finden.
Herr Stoiber, ich weiß nicht, wer Ihnen das aufgeschrie-
ben hat. Sie kommen jetzt mit 100 Millionen Euro für die
Altbausanierung. Ich kann Ihnen nur sagen: Wir mobili-
sieren mit einer Milliarde Euro ein Kreditvolumen von
5 Milliarden Euro und ein Investitionsvolumen zwischen
10 und 20 Milliarden Euro; das ist die Realität von heute.
Die sinkenden Emissionen – gerade auch im Haushalts-
bereich – wurden exakt dadurch erreicht. Hinzu kommen
noch 0,5 Milliarden Euro aus dem Marktanreizprogramm,
also aus der Ökosteuer. Wenn Sie diese abschaffen, be-
kommen Sie nicht nur das Problem, dass Sie Staatsmittel
in Höhe von 16 Milliarden Euro zuführen müssen, um die
Rentenversicherungsbeiträge niedrig zu halten, sondern
Sie bekommen auch ein Problem im Zusammenhang mit
den Emissionen. Sie warten hier mit lediglich 100 Millio-
nen Euro auf.
– Nein. Mir geht es hier nicht um Wahlkampf,
sondern um das Werben darum, dass wir die Konsequen-
zen ziehen und dass wir eine Politik, die auf Vernunft setzt
und die an das Morgen und Übermorgen denkt, im Inte-
resse der künftigen Generationen fortführen können.
Sie sagen, die Ökosteuer habe nicht gewirkt. Ich muss
Ihnen hier in aller Sachlichkeit widersprechen. Schauen
wir uns doch die entscheidenden Lenkungsfragen an. Die
erste Frage lautet: Hat die Ökosteuer bei den verkehrs-
spezifischen Schadstoffemissionen eine Lenkungswir-
kung gehabt? Herr Ministerpräsident, ich sage Ihnen,
dass Sie schlicht und einfach falsch informiert sind. In den
Jahren 2000 und 2001 gab es zum ersten Mal überhaupt
einen Rückgang der verkehrsspezifischen Schadstoff-
emissionen, vor allem auch der klimarelevanten Spuren-
gase. Das ist eine der erwünschten Lenkungswirkungen
der Ökosteuer.
Der zweite Punkt, den ich in dem Zusammenhang an-
spreche, lautet: Hat sie beim spezifischen Kraftstoffver-
brauch reduzierend gewirkt? Auch hier ist die Antwort
eindeutig, nämlich Ja.
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 251. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. August 2002
Bundesminister Joseph Fischer
25438
Die dritte Frage lautet, ob sie das Verbraucherverhalten
bei Neuanschaffungen von PKWs in die richtige Rich-
tung, nämlich in ein umweltverträglicheres und umwelt-
verantwortlicheres Handeln, gelenkt hat. Die Antwort
lautet auch hier wiederum eindeutig Ja.
Denn wenn es um Neuzulassungen geht, steht bei der
Konsumentenentscheidung heute der niedrige Kraftstoff-
verbrauch an erster Stelle.
Ich kann Ihnen nur sagen: Sie sollten die Ideologie
an dem Punkt wirklich hintanstellen. Sie sind mittlerwei-
le von einem – ich sage es einmal so; denn davon verste-
hen wir Grüne viel – Anti-Ökosteuer-Fundi eher zu einem
Realo geworden; denn Sie haben erkannt, dass Ihnen
16 Milliarden Euro fehlen würden. Wenn Sie allein nur
die nächste Stufe nicht einführen würden,
würde das eine Erhöhung der Rentenversicherungs-
beiträge um 0,2 Prozentpunkte bedeuten. Aber Sie werden
nicht in die Lage kommen, diese Entscheidung treffen zu
müssen. Mit der Politik, die Sie vorgestellt haben, wird es
keine Mehrheit geben.
Ich möchte noch einmal auf das hinweisen, was wir
hier beschlossen haben und was die Union abgelehnt hat.
Ich will Ihnen sagen, was wir in den vier Jahren für den
Klimaschutz gemacht haben. Beim Erneuerbare-Ener-
gien-Gesetz war die CDU/CSU dagegen, die FDP auch.
Der Steuerbefreiung von Biotreibstoffen haben Sie zuge-
stimmt, die FDP war tapfer dagegen. Der Biomassever-
ordnung haben Sie zugestimmt, die FDP war tapfer dage-
gen. Beim Kraft-Wärme-Kopplungsgesetz waren Sie
dagegen, die FDP auch. Bei der ökologischen Steuerre-
form waren Sie mit fundamentalistischem Eifer dagegen,
die FDP auch. Energieeinsparverordnung: dagegen; Ein-
richtung der Deutschen Energie-Agentur: dagegen; wirk-
same Ausgestaltung des Emissionshandels: dagegen;
LKW-Maut: dagegen; massive Steigerungen der Bahn-
investitionen: dagegen; Verwendung der Einnahmen der
LKW-Maut auch für den Schienenverkehr: dagegen;
Grundsatzbeschluss des Deutschen Bundestages zu einer
naturverträglichen Binnenschifffahrt: dagegen.
Uns würde schon interessieren, ob durch Ihr Bekennt-
nis zu Konsequenzen aus dieser Katastrophe und für ei-
nen vorsorgenden Klima- und Gewässerschutz endlich
auch bei der Staatsregierung in Bayern Vernunft einzieht
und der Ausbau des letzten freifließenden Stücks der Do-
nau tatsächlich unterlassen wird. Das wäre ein konkreter
Beitrag.
Ich erwähne das alles, weil wir eine vorsorgende Po-
litik betreiben müssen. Wir werden in 50 Jahren 9 Milli-
arden Menschen sein. 20 Prozent der Menschheit sind es,
die schon heute das Klima aus dem Gleichgewicht ge-
bracht haben. Wenn 20 Prozent hinzukommen, dann ist es
immer noch nicht die Hälfte der Menschheit, die an den
Segnungen des Fortschritts teilnimmt. Wir werden unse-
ren Kindern und Kindeskindern – das ist eine der Lektio-
nen aus den Ereignissen vom 11. September – eine un-
friedliche Welt hinterlassen, wenn wir uns nicht für eine
gerechtere Gestaltung der Globalisierung und für eine ge-
rechtere Verteilung der Lebenschancen einsetzen. Das be-
deutet auch Ressourcengerechtigkeit.
Das heißt aber auch, dass die Hauptverursacher um-
steigen müssen. Gerade die erneuerbaren Energieträ-
ger zeigen in den neuen Bundesländern an erster Stelle:
Wir haben das Know-how und den Fleiß der Facharbeiter
sowie die Intelligenz der Ingenieure. Wir können doch
heute die Technologie und die Produkte entwickeln – das
haben wir mit dem Ausstieg aus der Atomenergie und dem
Einstieg in die erneuerbaren Energieträger bewiesen –,
die 9 Milliarden Menschen in der Tat eine umweltver-
trägliche Zukunft geben können. Damit sichern wir vor al-
len Dingen auch unsere eigenen Arbeitsplätze und unse-
ren Anteil am Wohlstand.
Vielen Dank.
Ich erteile dem Mi-
nisterpräsidenten des Freistaates Sachsen, Herrn
Milbradt, das Wort.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte
gerne zu dem eigentlichen Tagesordnungspunkt von heute
zurückkehren, nämlich zu der Frage des Flutopfersolida-
ritätsgesetzes.
Wir haben in Sachsen 18 schreckliche Tage hinter uns.
Vor nicht einmal drei Wochen erreichten mich am Mittag
des 12. August beunruhigende Nachrichten. Der mittlere
Erzgebirgskreis hatte nach stundenlangen schweren Re-
genfällen und der Überflutung von Ortschaften an der
böhmischen Grenze Katastrophenalarm ausgelöst. 16 wei-
tere Kreise sollten in schneller Folge folgen. Liebliche
Gebirgsbäche hatten sich in gewaltige Sturzfluten ver-
wandelt. Die Weißeritz, von der hier schon mehrmals die
Rede war, ein kleines Flüsschen, das in Dresden in die
Elbe mündet, führte so viel Wasser wie normalerweise die
Elbe im Sommer. Man muss sich das vorstellen: Eine sol-
che Wassermenge donnerte durch das Tal.
Die Mulde, ein im Unterlauf eigentlich träger Fluss,
vernichtete in den Zentren der Mittelstädte Döbeln,
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 251. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. August 2002
Bundesminister Joseph Fischer
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Grimma und Eilenburg in wenigen Stunden das Werk der
vergangenen zwölf Jahre. Gespeist durch verheerende
Regengüsse im Böhmerwald, also nicht in Deutschland,
weitergeleitet durch die Moldau, stieg in den folgenden
Tagen der Pegel der Elbe immer bedrohlicher, bis er
schließlich 9,40 Meter in Dresden, den höchsten Stand
seit tausend Jahren, erreichte.
Bei Torgau – auch das ist vielleicht interessant; denn
immer wieder erhalten wir von einigen Leuten auf den
Rhein bezogene Ratschläge – war die Elbe 15 Kilometer
breit. Insoweit hatte sie also offensichtlich genug Mög-
lichkeiten, sich auszudehnen. Allerdings waren bei dieser
hohen Pegelmarke auch dort Zerstörungen unvermeid-
lich.
Wir betrauern 21 Tote. Noch immer sind einige Men-
schen nicht wieder aufgetaucht, sodass wir damit rechnen
müssen, dass die Zahl der Toten noch steigt. Wir trauern
mit den Angehörigen.
Die ungebändigten Wassermassen verwüsteten allein
in Sachsen 20000 bis 30000 Häuser, 4 000Autos, 740 Ki-
lometer Straße und 538 Kilometer Eisenbahn. 180 Brücken
existieren nicht mehr oder sind unbenutzbar geworden.
Schulen, Alteneinrichtungen und eine Fakultät der Tech-
nischen Universität Dresden, Strom- und Gas-, Wasser-
und Abwasserleitungen sind weggerissen oder schwer
beschädigt worden. Wertvolle Kulturdenkmäler von euro-
päischem Rang standen tagelang unter Wasser. 10 000 vor-
wiegend kleine und mittlere Betriebe erlitten erhebliche
Schäden. 40 000 Arbeitsplätze sind dadurch tangiert und
teilweise gefährdet.
Hohe Schäden hat auch unser Nachbarland Sachsen-
Anhalt erlitten.
Die exakte Schadenssumme kennen wir alle noch
nicht. Dafür ist es noch zu früh. Aber allein für Sachsen
rechnen wir mit einem Schaden von bis zu 15 Milliarden
Euro. Das entspricht dem Volumen unseres Landeshaus-
haltes. Aus Sachsen-Anhalt hören wir Zahlen von 6 bis
8 Milliarden Euro.
Das ist die Bilanz der schrecklichsten Naturkatastro-
phe, die Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg erlebt
hat. Nur zum Vergleich: Bei der großen Flutkatastrophe in
Hamburg betrugen die Schäden 400 Millionen DM.
Natürlich muss man das umrechnen; die Werte haben sich
verändert. Das soll nur deutlich machen, mit welchen Di-
mensionen wir es heute zu tun haben. Diese Flutkatastro-
phe – da bin ich mir sicher – hat unser Land, hat Sachsen
und ganz Deutschland verändert.
Wir sind aber nicht nur von einer Welle der Vernich-
tung heimgesucht worden, sondern auch durch eine Woge
der Hilfsbereitschaft zusammengewachsen. Der Satz
„Wir sind ein Volk“ hat neue Bedeutung erhalten.
Aus allen Teilen des Landes kamen freiwillig Jung und
Alt, fragten nicht lange und packten mit an. Feuerwehren,
Hilfsorganisationen und Polizeien aus allen deutschen
Ländern sowie der Bundesgrenzschutz, die Bundeswehr
und das THW haben uns in Sachsen und unsere Nachbar-
länder in ihrer großen Not unterstützt. Für diese enorme
Anstrengung bedanke ich mich bei allen Helfern, die,
ohne zu fragen, dazu beigetragen haben, Schlimmeres zu
verhindern. Denn es hätte noch schlimmer kommen kön-
nen.
Meine Damen und Herren, diese Hilfe, diese überwäl-
tigende Mitmenschlichkeit werden wir in Sachsen nie-
mals vergessen.
Sie können sicher sein: Sollte einmal an Mosel oder Rhein
Vergleichbares geschehen, dann werden die Sachsen die
Ersten sein, die helfen; denn sie kennen das Problem.
Mein Dank richtet sich auch an den Bund. Der Bun-
deskanzler hat bei seinem Besuch in Grimma klar ge-
macht, dass es sich bei der Bewältigung der Schäden um
eine nationale Aufgabe handelt. Ebenso wie der Minis-
terpräsident unseres Partnerlandes Bayern, Edmund
Stoiber, haben sich der Bundeskanzler und eine Reihe von
Kabinettsmitgliedern vor Ort ein Bild von der Lage ge-
macht und uns Unterstützung zugesagt. Ich danke auch
dem Bundespräsidenten und dem Präsidenten der Euro-
päischen Kommission für ihren Besuch und ihre Soli-
darität. Alle diese Besuche haben uns Mut gemacht.
Große Sorgen machen uns jetzt die Wirtschaft, die klei-
nen und mittelständischen Betriebe, die Ladenbesitzer,
die Handwerker, unser noch kleiner Mittelstand, dessen
Existenz in den Flutgebieten bedroht ist.
Ich habe mich bei meinen vielen Besuchen in den Ka-
tastrophengebieten davon überzeugt: Unser Mittelstand
ist trotz großer Schäden bereit, weiterzumachen, neu an-
zufangen, wenn wir ihm dabei helfen. Ähnliches gilt für
die geschädigten privaten Hausbesitzer. Deswegen sind
jetzt Taten gefragt. Ich bin froh, dass das Flutopfersolida-
ritätsgesetz schnell verabschiedet wird, damit ein Rahmen
für die Hilfsprogramme geschaffen wird, bevor die letz-
ten Aufräumarbeiten beendet sind.
Ich will deutlich sagen: Die Frage, wie dieser Fonds
gespeist wird, beantworten wir mit der nächsten Bundes-
tagswahl. Heute haben wir darüber zu entscheiden, wie
dieser Fonds verwandt wird. Dazu möchte ich einige Aus-
führungen sagen: Ich bin sicher, dass die Solidarität auch
nach dem 22. September anhält und nicht von anderen
Motiven geleitet ist.
Noch ein Wort an Bundeswirtschaftsminister Müller:
Herr Kollege Müller, Sie haben uns vorgeworfen, Hilfs-
zahlungen zu verschleppen und Geld auf unseren Konten
einfrieren zu wollen. Ich habe die Angelegenheit über-
prüft und kann Ihnen versichern, dass Sie offensichtlich
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 251. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. August 2002
Ministerpräsident Dr. Georg Milbradt
25440
einer Fehlinformation aufgesessen sind. Wir wickeln das
15000-Euro-Programm, ein Bund-Länder-Programm, zu-
sammen mit unserem eigenen, schon vorher beschlosse-
nen Landesprogramm in einem Verfahren ab. Geld wird
ausgezahlt. Die Verwaltungsvereinbarung haben wir ges-
tern Abend erhalten. Wir schicken sie Ihnen heute unter-
schrieben zurück. Bundesgeld ist bis heute elf Uhr noch
nicht auf unseren Konten.
Das Bundeswirtschaftsministerium hat sich aber schon
nach der Kontonummer erkundigt; deswegen bin ich si-
cher, dass das Geld auch kommt.
Ich weiß, dass bei allen Beteiligten die Nerven blank
liegen, und hoffe, dass das der Grund der Aufregung ist
und nicht der Wahlkampf, zumal die beiden beteiligten
Wirtschaftsminister parteilos sind.
Wir sollten allerdings nicht vergessen, dass 15 000 Euro
pro Betrieb zwar eine erste Hilfe sind, aber keine Lösung
für ein Unternehmen, das eine beträchtliche Investition
über Kredit finanziert hat.
Lösungen sind wichtiger und ich glaube, Kollege Müller,
Sie sind damit einverstanden; allerdings sind sie schwie-
riger als Pauschalzahlungen. Überlegungen und Abspra-
chen gibt es. Jetzt müssen sie in ein Regelwerk umgesetzt
werden. Ich will ganz deutlich sagen: Gerade in der Wirt-
schaft brauchen wir keinen Aktionismus; vielmehr sind
klare Köpfe gefragt, die auch rechnen können.
Lassen Sie mich eine Bemerkung zu den Banken ma-
chen. Die betroffenen Banken sind nicht die national und
international tätigen großen Kreditinstitute, sondern zu
mehr als 90 Prozent die örtlichen Sparkassen und die ört-
lichen Volksbanken.
Nach einer Pleite im Mittelstand können wir uns nicht
auch noch eine Pleite der regionalen Banken erlauben,
denn das würde den Aufbau in anderen Teilen gefährden.
Ich hoffe, dass es uns allen gemeinsam gelingt, eine ver-
nünftige Lösung zu finden, was natürlich bedeutet, dass
öffentliche Mittel in erheblichem Maße mobilisiert wer-
den müssen.
Sachsen braucht die Hilfe des Bundes und der Länder
mehr als je zuvor – ich spreche hier auch im Namen mei-
nes Kollegen Wolfgang Böhmer –, denn gemeinsam mit
Sachsen-Anhalt sind bei uns die mit Abstand schwersten
Schäden entstanden. Ich bin froh, dass Brandenburg,
Mecklenburg-Vorpommern, Schleswig-Holstein und Nie-
dersachsen mit einem blauen – um nicht zu sagen: mit
einem dunkelblauen – Auge davongekommen sind. Nie-
mand weiß zurzeit, inwieweit der Umfang des Solida-
ritätsfonds die Höhe der Schäden abdeckt. Eines steht
aber fest: Die Schäden werden sich nicht der Höhe der ge-
rade verfügbaren Mittel anpassen. Die Zerstörungskraft
einer Flutkatastrophe richtet sich nicht danach, welche
Einnahmemöglichkeiten sich gerade ergeben und wie ge-
mäß unserer Verfassung die Steueraufkommen zwischen
Bund und Ländern normalerweise verteilt werden.
Der Bundeskanzler hat erklärt: Keinem wird es nach
der Katastrophe schlechter gehen als zuvor. Nach unseren
Informationen stehen für die betroffenen Privathaushalte
und Unternehmen nach den Plänen der Bundesregierung
rund 2 Milliarden Euro zur Verfügung. Das ist eine ge-
waltige Summe. Allerdings besagen die Schadenschät-
zungen, dass im Freistaat Sachsen bis zu 4 Milliarden
Euro Schaden allein im Bereich der Wirtschaft zu ver-
zeichnen sind. Ich will es einmal ganz vorsichtig formu-
lieren: Hier kann sich eine Lücke auftun. Auch darüber
müssen wir nicht heute, aber zu gegebener Zeit reden.
Wir werden sorgfältig darauf achten, dass der Bund zur
Begleichung seiner eigenen Schäden zunächst die an-
gekündigte Umschichtung im Verkehrsetat nutzt und erst
dann auf den Fonds zurückgreift und nicht umgekehrt.
Bei der Beseitigung der Schäden müssen alle Staats-
ebenen gleichmäßig berücksichtigt werden: Bund, Länder
und Gemeinden. Die Schadenshöhe und nicht die Steuer-
verteilung nach dem Grundgesetz ist ein Indikator für die
Höhe der Hilfe, die wir bekommen. Erst wenn alle betrof-
fenen Länder eine verlässliche Aufstellung über die Schä-
den nach einheitlichen Kriterien vorgelegt haben, kann
über einen endgültigen vertikalen, aber auch horizontalen
Verteilungsschlüssel sinnvoll entschieden werden.
Wir brauchen dringend eine Verbreiterung und Neu-
ausrichtung bestehender Programme, aber auch ganz
neue, speziell auf diese Situation zugeschnittene Förder-
programme. Die bisherigen Vorschläge sind gut. Sie
können aber nur eine erste Antwort sein; denn wir brau-
chen genügend Flexibilität, um die notwendige Pass-
genauigkeit zu bekommen. Ich könnte Ihnen eine ganze
Reihe von Schadensfällen nennen, die bisher nicht unter
die Kategorien des Programmes fallen. Ich bin mir aber
sicher, dass es uns gelingen wird, auch hierfür eine Lö-
sung zu finden.
Herr Ministerpräsi-
dent, Sie dürfen zwar so lange reden, wie Sie wollen. Es
ist aber etwas ganz anderes vereinbart worden. Ich möchte
Sie herzlich bitten, sich daran zu halten.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich
habe mich an der Vereinbarung nicht beteiligt, Frau Prä-
sidentin. Ich finde, dass ich als Ministerpräsident eines
besonders betroffenen Landes hier reden kann, ohne dass
die Minuten auf die Redezeit der Fraktion meiner Partei-
freunde angerechnet werden. Ich bin auch gleich am Ende
meiner Rede.
Herr Ministerpräsi-
dent, ich möchte Sie darauf hinweisen, dass der Minister-
präsident des Freistaates Bayern die ganze Redezeit in
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 251. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. August 2002
Ministerpräsident Dr. Georg Milbradt
25441
Anspruch genommen hat. Ich will jetzt nicht darüber
streiten. Ich wollte nur den kleinen Hinweis geben, dass
wir uns ein bisschen an die Vereinbarung halten sollten.
Sie haben weiterhin das Wort.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin, ich bin auch gleich am Ende meiner
Rede. Ich gehe davon aus, dass die Schadensrelation zwi-
schen Sachsen und Bayern etwa 8 : 1 beträgt. Ich will aber
nicht die achtfache Redezeit von Ministerpräsident
Stoiber in Anspruch nehmen.
Die Zeit der Pauschalzahlungen geht zu Ende. Die
Aufteilung der Mittel kann nicht danach erfolgen, wel-
cher Ressortminister am erfolgreichsten und möglichst
publikumswirksam in den Topf langt. Uns ist von der
Bundesregierung zugesagt worden, dass die Länder-
schlüssel vorläufig sind und die Aufteilung auf die Pro-
gramme variabel ist. Das begrüßen wir ausdrücklich
und hoffen, dass auch so verfahren wird, Frau Kollegin.
Wir werden im Gesetzgebungsverfahren Vorschläge ma-
chen, die das sicherstellen. Wir werden bei den weiteren
Verhandlungen über die Programme und bei ihrer Durch-
führung darauf achten, dass eine gerechte und zweckent-
sprechende Verteilung und Verwendung der Mittel er-
folgt.
Weder den Hilfeempfängern noch den Bürgern, die das
Geld letztendlich aufbringen, wäre eine Schieflage ver-
mittelbar. Niemand übt über ein Jahr Verzicht auf eine
versprochene Steuersenkung, wenn die Gelder nicht ge-
nau dorthin gelangen, wo die Hilfe am nötigsten und der
Wiederaufbau am dringlichsten ist.
– Meine sehr verehrten Damen und Herren von der SPD,
ich glaube, dass die Grundsätze, die ich vorgetragen habe,
bei längerem Nachdenken auch Ihre Zustimmung finden
müssten.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, trotz aller
Not habe ich aber auch gespürt: Es ist in unserem Land ein
unbändiger Wille vorhanden, die Folgen der Katastrophe
zu überwinden. Wir stehen im Land zusammen und sind
uns der Solidarität aller in dieser schwierigen Zeit sicher.
Die Sachsen haben es gelernt zuzupacken. Sie haben in
der Vergangenheit bewiesen, dass sie aus dem ihnen an-
vertrauten Geld das Beste machen. Ich verspreche Ihnen:
So wird es auch diesmal wieder geschehen.
Herzlichen Dank.
Ich erteile dem
Fraktionsvorsitzenden der PDS, Roland Claus, das Wort.
Roland Claus (von der PDS mit Beifall be-
grüßt): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen
und Herren! Vielleicht können wir uns bei allem Streit in
der Sache auf eine Formel einigen, die heißt: Alle Vor-
schläge, die wirklich helfen, sind in diesen Stunden will-
kommen,
und zwar unabhängig davon, welchen Absender die je-
weiligen Vorschläge haben. Deshalb möchte ich mich
auch sehr gerne dem Dank anschließen, der hier bereits an
die vielen Helferinnen und Helfer im Lande, an THWund
Bundeswehr, an Hilfsorganisationen wie beispielsweise
die Volkssolidarität, die gerne vergessen wird, ausgespro-
chen wurde. Ich möchte aber als Ostdeutscher auch den
Bürgerinnen und Bürgern in den westlichen Bundeslän-
dern Dank sagen, die in dieser Situation zu Hilfe und So-
lidarität bereit sind.
An Ihre Adresse, Herr Stoiber, sage ich: Ich habe an der
Donau und am Rhein ehrliche Solidarität erlebt. Etwas
völlig anderes ist Ihr Versuch, hier im Bundestag auf den
Wogen der Flut Ihren Wahlkampf heimzureiten.
Das geht vor Ort – ich habe es im Kreis Wittenberg er-
lebt – ganz anders. Dort sind ein PDS-Bürgermeister und
ein CDU-Stadtratsmitglied diejenigen, die sich am inten-
sivsten um die Folgen kümmern und den Menschen hel-
fen. Solch ein Verhalten muss heute unser Maßstab sein.
Zum Hilfegesetz der Koalition haben wir ein deutli-
ches Ja gesagt und auch für die Abstimmungen im Bun-
destag und Bundesrat ein deutliches Ja ohne Wenn und
Aber verabredet, wenngleich wir einige Kritikpunkte und
Veränderungsvorschläge haben, die Sie möglicherweise
noch berücksichtigen können. Wir als PDS haben gefragt,
warum in dieser Situation die Besteuerung von Unter-
nehmensveräußerungen nicht zur Finanzierung heran-
gezogen wird. Das wäre eine wirkliche Quelle, aus der
Mittel geschöpft werden könnten, um etwas zu tun.
Wir schlagen Ihnen hier vor, eine Einmalabgabe auf
große Vermögen zu erheben, also auf Vermögen über
500 000 Euro, selbst genutztes Wohneigentum nicht mit-
gerechnet.
Wir wenden uns auch an Banken und Versicherungen, und
zwar auch an die größeren, nicht nur an die Sparkassen,
die schon helfen, mit der Bitte, in dieser Situation Beson-
nenheit zu zeigen.
Der hier zitierte Bäckermeister braucht nicht neue Kre-
dite; dem Mann muss mit Schuldenerlass und mit Til-
gungsaussetzung geholfen werden.
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 251. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. August 2002
Vizepräsidentin Anke Fuchs
25442
Warum, so frage ich mich, meine Damen und Herren, sind
bisher nicht auch, wenn hier alle über unsere Nachbarlän-
der reden, die Vorschläge aus Tschechien und Österreich
zur Sprache gekommen, nämlich durch einen Verzicht
auf Rüstungsgerät einen Beitrag zu den Hilfsprogram-
men zu leisten?
Es geht hier nicht, um nicht missverstanden zu werden,
um irgendwelche pauschalen Kürzungen. Es geht mir
aber schon darum, neue Anschaffungen wie den Großflie-
ger A400 oder den neuen Panzertyp infrage zu stellen.
Wenn der Bundeskanzler schon meint – ich finde das ja
gut –, dass er keine militärischen Abenteuer wolle, dann
kann er in dieser Situation auch auf militärisches Aben-
teuergerät verzichten.
Ich bin sehr froh über die Spendenbereitschaft der Be-
völkerung in unserem Lande. Aber ich will einmal Fol-
gendes gegenrechnen: Was bisher an privaten Spenden
zusammengekommen ist, entspricht fast exakt den Kosten
für ein einziges Großraumflugzeug A400. Da sehen Sie,
welche Möglichkeiten es hier gibt.
Die PDS-Fraktion hat Ihnen heute ein Gesetz vorge-
legt, das uns vor allem deshalb wichtig ist, weil es uns da-
rum geht, dass die Versprechen, die zurzeit gegeben wer-
den, auch eingehalten werden. Es ist kein Gegenentwurf
zum Koalitionsgesetz, sondern ein Gesetz zur praktika-
blen Ausführung der jetzt so sehnlichst erwarteten Aus-
zahlungen und Hilfeleistungen. Ich glaube schon, dass es
wichtig ist, in der eingetretenen Schadenssumme voll zu
entschädigen.
Wenn Herr Beckstein sagt, voller Ausgleich nur in Härte-
fällen, macht mich das natürlich besorgt. Ich bin auch
skeptisch, weil der Kanzler heute nicht seine Formel aus
der Magdeburger Erklärung wiederholt hat. Damals hat er
gesagt, dass er für die volle Schadensregulierung eintritt
und dass alle dort wieder anfangen können, wo sie vor der
Flut standen. Ich denke, das muss angemahnt werden. Es
ist wichtig, hier sofort zu helfen.
Wie geht das? Wir haben den Vorschlag gemacht, die
Versicherungen einzubeziehen, den Wiederaufbaufonds
bei der Kreditanstalt für Wiederaufbau anzusiedeln und
mit einem Schadensausgleichsfonds für rasche Hilfeleis-
tungen einzutreten. Sie werden im Handel und Gewerbe
erwartet. Dazu ist eine Menge gesagt worden. Auch und
gerade für Existenzgründerinnen und Existenzgründer
sind diese Soforthilfen jetzt nötig.
Man muss in dieser Situation einmal feststellen, wie
häufig in diesem Lande und im Bundestag das Unterneh-
mertum beschworen wird und wie wenig gerade junge
Unternehmerinnen und Unternehmer bei Risiken abgesi-
chert sind. Auch das muss uns zu denken geben.
Wir wollen deshalb diesen Bundeskanzler beim Wort
nehmen. Wir wissen, dass ihm auch Skepsis entgegen-
schlägt, denn die Versprechen hinsichtlich der Senkung
der Arbeitslosigkeit sind natürlich nicht vergessen.
Ich darf noch eine Bitte an Sie richten, liebe Kollegin-
nen und Kollegen, die Sie hier im Bundestag mehrfach,
offenbar gut gemeint, den Satz ausgesprochen haben,
zehn oder zwölf Jahre Aufbau Ost seien zunichte ge-
macht worden. Da ist natürlich etwas dran. Aber da dieser
Satz auch vor der Semperoper und vor dem Dresdner
Zwinger gesagt worden ist, muss ich Folgendes feststel-
len: Gelebt und gearbeitet wurde in Dresden und an-
derswo auch schon vor 1990.
Ich denke, dass wir für diesen Wiederaufbau einen
neuen Ansatz brauchen. Wir brauchen nicht den Segen
von oben, wir brauchen keine Chefsache Flut. Die Men-
schen in den neuen Ländern wollen, dass Bedingungen
geschaffen werden, unter denen sie mit ihrer eigenen
Hände und Köpfe Arbeit für ihre Zukunft eintreten kön-
nen. Deshalb wird über vieles neu nachzudenken sein,
auch in der Umweltpolitik. Wenn wir in dieser Situation
nicht ernsthaft dafür sorgen, dass der Ausbau von Donau
und Elbe sofort gestoppt wird, wann wollen wir dann zur
Vernunft kommen?
Ebenso ist über einen wirksameren Katastrophen-
schutz nachzudenken. Da kann man – das werden Sie
jetzt wieder kritisieren– auch manches von der DDR ler-
nen. Es gibt eine ganze Reihe vergessener Hochwasser,
die nicht die allgemeine Aufmerksamkeit erregt haben,
beispielsweise das Harz-Hochwasser. Deshalb haben wir
unseren Aufruf überschrieben: „Aufatmen. Aufräumen.
Aufbauen. Gemeinsam. Für ein neues Aufbauwerk.“
Vielen Dank.
Ich erteile das Wort
dem Senator der Freien und Hansestadt Hamburg, Herrn
Ronald Schill.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Meine sehr
verehrten Damen und Herren! Sehr verehrte Frau Präsi-
dentin! Dass jetzt einige Herrschaften den Saal verlassen,
ist symptomatisch dafür, mit welcher unglaublichen
Selbstherrlichkeit und Arroganz hier über Probleme hin-
weggegangen wird, die Sie selbst angerichtet haben.
Unser Mitgefühl gilt den Opfern der schlimmen Flut-
katastrophe. Ich selbst war als Innensenator der Freien
und Hansestadt Hamburg in unserer Partnerstadt Dresden
und habe mir ein Bild machen können einerseits von den
Verheerungen dort, andererseits aber auch von der Welle
der Hilfsbereitschaft auch unbeteiligter Personen, von der
Spendenbereitschaft und der enormen Tatkraft. Die Spen-
denbereitschaft, die Tatkraft und das Engagement müssen
selbstverständlich durch staatliche Hilfe ergänzt werden,
und zwar in einer Größenordnung, wie sie hier angedacht
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 251. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. August 2002
Roland Claus
25443
ist, nämlich in Höhe von mindestens 7 Milliarden Euro.
Darüber besteht kein Zweifel. Darüber besteht ein breiter
Konsens unter Demokraten.
Eine andere Frage, die mich und sehr viele Bürger um-
treibt, ist jedoch: Was ist aus Deutschland geworden, dass
die für die Hilfe nach der Flutkatastrophe benötigten
7 Milliarden Euro nicht anders aufgebracht werden kön-
nen als durch faktische Steuererhöhungen? Die Ver-
schiebung der Steuerentlastungsstufe für das Jahr 2003
trifft ausgerechnet die kleinen Leute, Arbeitnehmer und
Kleinbetriebe, und ist höchst unsozial für eine Partei, die
sich sozialdemokratisch nennt.
Die Wirtschaft wird hierdurch, wie bereits in der Vergan-
genheit, weiter erdrosselt. Wo sind eigentlich – diese Frage
erhebt sich in der Bevölkerung – die 50 Milliarden Euro
geblieben, die der Finanzminister aufgrund der UMTS-
Lizenzen bekommen hat?
Das waren sage und schreibe 50 Milliarden Euro. Waren
hierfür nicht sogar der Absturz der Telekomaktie und die
damit verbundene Schädigung von Millionen Klein-
aktionären in Kauf genommen worden?
– Ich beschäftige mich mit dem Thema der Notwendig-
keit, die Hilfe nach der Flutkatastrophe durch Steuererhö-
hungen zu finanzieren, die Sie ja als alternativlos angese-
hen haben.
Nach fast jährlich wiederkehrenden Katastrophen ver-
gleichbaren Ausmaßes wird die Hilfe in den USA ganz
selbstverständlich aus Überschüssen und Rücklagen fi-
nanziert. In den USA würde niemand auf die Idee kom-
men, nach verheerenden Waldbränden, Hurrikans oder
dem Ereignis des 11. September 2001 die Steuern zu er-
höhen und damit der Wirtschaft den Garaus zu machen.
Auf solche Ideen verfällt man nur hier.
Was ist aus Deutschland geworden, dass die benötigten
7,1 Milliarden Euro nur durch faktische Steuererhöhun-
gen finanziert werden können? Der Bundeskanzler sagte
vorhin, er glaube an die Kraft der Volkswirtschaft – der
Volkswirtschaft, die er selbst zugrunde gerichtet hat,
meine Damen und Herren. Wir haben in Deutschland das
geringste Wirtschaftswachstum und den höchsten Schul-
denberg in Europa.
Rot-Grün ist es gelungen, die schon vorhandenen Schul-
den um noch einmal 100 Milliarden Euro zu erhöhen.
Wenn wir noch die 50 Milliarden Euro aufgrund der
UMTS-Lizenzen dazurechnen, haben Sie in den letzten
vier Jahren 150 Milliarden Euro verpulvert.
Wir haben darüber hinaus – diese Bemerkung in puncto
Kraft der Volkswirtschaft, auf die sich Herr Schröder gerne
verlässt – die höchste Abgabenquote in ganz Europa. Es ist
errechnet worden, dass der durchschnittliche Mensch sage
und schreibe 56 Prozent seiner Arbeitszeit im Jahr nur für
den Staat aufwendet. Diese Zahl, 56 Prozent, lässt es natür-
lich vielen Bürgern unsinnig erscheinen, in diesem Lande
überhaupt noch einer geregelten Arbeit nachzugehen.
Sie sagen: Arbeit lohnt sich nicht mehr. Deswegen arbei-
ten viele von ihnen schwarz und beziehen gleichzeitig So-
zialhilfe. Deswegen haben wir eine Schattenwirtschaft
von 350Milliarden Euro. Dagegen wird nichts getan. Viel-
mehr werden die Umstände, die die geregelte, reguläre Ar-
beit unattraktiv machen, immer schlimmer. Dazu soll jetzt
auch die weitere Steuererhöhung ganz eindeutig beitragen.
Wie konnte es dazu kommen, obwohl doch die Men-
schen unseres Landes anerkanntermaßen zu den tüchtigs-
ten Europas gehören? Unsere tüchtigen Bürger klagen an,
auf welche verschwenderische Weise deutsche Politiker
in den vergangenen Jahrzehnten mit dem Geld umgegan-
gen sind. Unsere tüchtigen Bürger klagen zum Beispiel
diejenigen Politiker an, die sich darin gefallen haben, in
den letzten Jahrzehnten mit dem Kelch der Barmherzig-
keit, gefüllt mit deutschen Steuergeldern, durch die ganze
Welt zu ziehen und bei irgendwelchen Katastrophen die
betroffenen Menschen hierher zu holen. Jeder, der dage-
gen etwas gesagt hat, wurde als ausländerfeindlich- bzw.
als menschenunfreundlich diffamiert.
Jetzt wundert sich die ganze Welt, dass Deutschland noch
nicht einmal in der Lage ist, der in Not geratenen Bevölke-
rung aus eigener Kraft zu helfen, ohne die Steuer zu erhöhen
womit gleichzeitig die Leistungsfähigkeit der Wirtschaft
erdrosselt wird. Die ganze Welt wundert sich mittlerweile
darüber, was aus diesem Deutschland geworden ist.
Wir bilden das Schlusslicht in Europa, was Sie teilweise
zu verantworten haben.
Es hat in den letzten 30 Jahren eine massive Zuwan-
derung stattgefunden, die zulasten der Sozialkassen geht.
– Ich rede zur Sache. Es besteht nämlich aufgrund der Flut-
katastrophe die Notwendigkeit, die Steuern zu erhöhen.
Mit den Ursachen für diese Notwendigkeit sollten Sie sich
einmal befassen; denn Sie gehören zu den Verantwortli-
chen. – Wie gesagt, es hat eine Zuwanderung stattgefun-
den, die zulasten der Sozialkassen geht. Obwohl es eine
Verdoppelung der Zahl der Ausländer seit 1972, also in den
letzten 30 Jahren, gegeben hat – ich sage das in aller Deut-
lichkeit –, waren 1972 mehr ausländische Mitbürger er-
werbstätig als heute. Damals waren es 2,3 Millionen und
jetzt sind es nur noch 2 Millionen.
Was lernen wir daraus? – Wir lernen daraus, dass es
eine verdammt teure Entwicklung gewesen ist.
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 251. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. August 2002
Senator Ronald B. Schill
25444
Jetzt fehlen die nötigen Gelder für Hilfsmaßnahmen, die in
den USA bei vergleichbaren Katastrophen aus der Porto-
kasse finanziert werden. Wir haben uns etwa den Luxus
geleistet, in der Zeit des Bosnien-Bürgerkriegs doppelt so
viele Bosnier nach Deutschland zu holen wie sämtliche
Staaten der Europäischen Union zusammen. Da stellt sich
doch die Frage, ob die Regierungschefs anderer europä-
ischer Nationen unmenschlich waren oder ob nicht viel-
mehr die Politiker unseres Landes die Bedürfnisse der ei-
genen Bevölkerung mit Füßen getreten haben.
In den letzten Jahren wurden jedes Jahr über 10 Milli-
arden DM für Flüchtlinge in Deutschland ausgegeben.
Dieses Geld fehlt jetzt an anderer Stelle. Sehen Sie es end-
lich ein! Wer mir vorwirft, ich würde das Leid der Flut-
opfer gegen das Leid der Flüchtlinge ausspielen, dem
kann ich nur sagen: Nur ein Rabenvater lässt seine Kinder
darben, während er sich um unbekannte Gäste kümmert.
Sie haben in der Vergangenheit das Geld verfrühstückt
und haben es mit der Gießkanne über die ganze Welt ver-
teilt, sodass Deutschland diese Katastrophe nicht mehr
angemessen bewältigen kann.
Die tüchtigen Bürger unseres Landes klagen an. Sie kla-
gen die rot-grüne Regierung an, die ein Zuwanderungsge-
setz, allen besseren Einsichten zum Trotz, gegen den Wil-
len von 83 Prozent der Bevölkerung durchgepaukt hat, die
in diesem Gesetz ein Zuwanderungserweiterungsgesetz
sehen. Die Bürger lehnen dieses Gesetz insbesondere des-
halb ab, weil es die Ströme unkontrollierter Zuwanderung
in der Zukunft noch erweitern wird.
Da die Bundesregierung das weiß, hat sie 3 Milli-
onen Euro dafür aufgewendet – das ist ein weiterer Skan-
dal und vor dem Hintergrund der Flutkatastrophe besonders
peinlich –, um mit einer Briefkampagne der Bevölkerung
dieses Gesetz schmackhaft zu machen.
Diese 3 Millionen Euro wurden fünf Wochen vor der Bun-
destagswahl sozusagen für Wahlwerbung ausgegeben.
Wie wollen Sie den Menschen in Dresden erklären, dass
es Ihnen wichtiger ist, der Bevölkerung mithilfe der
3 Millionen Euro Ihr Gesetz schmackhaft zu machen und
dem Bürger Sand in die Augen zu streuen, als mit diesem
Geld dort zu helfen, wo es dringend gebraucht wird?
Die tüchtigen Menschen unseres Landes klagen an, dass
sie an den wichtigsten Entscheidungen nicht beteiligt wer-
den, dass sie faktisch entmündigt werden, wenn es um die
Fragen geht, ob Deutschland ein Einwanderungsland wer-
den soll oder ob es eine EU-Osterweiterung geben soll.
Ich besuche gelegentlich meine Freunde in Polen und
habe dieses Land auch schon einmal von der Westgrenze
bis zur Ostgrenze bereist. Dabei habe ich festgestellt, dass
dort die Infrastruktur mehr im Argen liegt als in der
ehemaligen DDR im Jahre 1989.
Deswegen stellt sich für den Bürger die Frage: Wie teuer
wird uns die Osterweiterung? Ruinieren wir uns damit als
Hauptnettozahler der Europäischen Union endgültig oder
schaffen wir es gerade noch? Aber der Bürger wird nicht
gefragt. Er hat keine Alternative. Deswegen muss es in
wichtigen Fragen, wie in anderen europäischen Nationen
üblich, endlich so etwas wie Volksabstimmungen geben.
Die tüchtigen Bürger dieses Landes klagen darüber
hinaus die Mitglieder auch dieses Hauses an, die sich
durch schwarze Kassen bereichern
und Korruption betreiben, beispielsweise in Nordrhein-
Westfalen bei der Vergabe von Baugenehmigungen für
Müllverbrennungsanlagen; die Namen Trienekens und
Wienand haben traurige Berühmtheit erlangt. Sie klagen
auch die Bonusmeilenmentalität, die der eine oder andere
hier kennen gelernt hat, an.
Die tüchtigen Menschen dieses Landes, die jetzt nicht
verstehen können, warum die Flutkatastrophe nicht durch
Rücklagen finanziert werden kann, klagen auch an, dass
in den 70er-Jahren ein Strafvollzugsgesetz geschaffen
worden ist, welches an der menschlichen Wirklichkeit
vorbeigeht, da ja bekanntermaßen nicht jeder Mörder,
Vergewaltiger und Räuber resozialisierbar ist. Dieses
Strafvollzugsgesetz hat dazu geführt, dass jeder Krimi-
nelle einen Anspruch auf eine Einzelzelle hat. Erklären
Sie das einmal den Menschen auf der Straße, die sich als
AOK-Patienten ihr Krankenzimmer mit anderen Kranken
teilen müssen! Erklären Sie das einmal den jungen Wehr-
pflichtigen, die sich ihre Stube mit anderen Wehrpflichti-
gen teilen müssen! Erklären Sie einmal den Menschen auf
der Straße, dass im hessischen Weiterstadt für 400 Gefan-
gene eine Strafanstalt mit Schwimmbad und sonstigem
Komfort für 300 Millionen DM gebaut worden ist!
Erzählen Sie das doch einmal gegen besseres Wissen und
durch ideologische Verblendung begünstigt! Jeder Haft-
platz kostet pro Monat 3 000 Euro.
– Das hat in der Hinsicht damit zu tun, dass die Kassen in
Deutschland jetzt leer sind und wir deswegen nicht in der
Lage sind, die Flutkatastrophe zu bekämpfen und mit Mit-
teln zu sanieren, die eigentlich in Hülle und Fülle vorhanden
sein müssten angesichts der tüchtigen Bevölkerung, die sich
abrackert. Dafür müsste das Geld zur Verfügung stehen.
Die tüchtigen Menschen klagen auch Herrn Gerhard
Schröder an, weil er zur nächsten Wahl noch einmal an-
tritt, obwohl er gesagt hat, wenn es ihm nicht gelinge, die
Arbeitslosenzahlen auf unter 3,5 Millionen zu senken,
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 251. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. August 2002
Senator Ronald B. Schill
25445
dann habe er es nicht verdient, wiedergewählt zu werden.
Wie kann jemand, der so etwas formuliert, jetzt die Un-
verschämtheit besitzen, hier wieder anzutreten?
Er schiebt es gern auf weltwirtschaftliche Faktoren; das
habe auch ich schon begriffen. Das ist aber vor dem Hin-
tergrund, dass er seine Politik der ruhigen Hand bloß hätte
einschlafen lassen müssen und die Arbeitslosenzahlen
wären automatisch auf unter 3,5 Millionen gesunken, un-
glaublich. Denn demographisch wäre das zwangsläufig
der Fall gewesen. Wir haben in den letzten zweieinhalb
Jahren 600 000 ältere Arbeitnehmer mehr, die pensioniert
worden sind, als Neuzugänge. Allein aufgrund dessen
wäre ohne das Zutun des Kanzlers ein Abbau der Arbeits-
losigkeit möglich gewesen. Der Kanzler hat Arbeitsplätze
in Millionenhöhe gezielt vernichtet.
Durch vier Maßnahmen hat Bundeskanzler Schröder
mit seinen Grünen und seinen Roten etwa 1 Million Ar-
beitsplätze völlig ohne Not vernichtet: erstens durch die
Abschaffung der so genannten 630-Mark-Jobs,
zweitens durch eine völlig unsinnige Regelung zur
Scheinselbstständigkeit,
drittens durch eine wachstumsfeindliche Ökosteuer und
viertens durch eine Ausweitung des Kündigungsschutzes.
Das hat 1 Million Arbeitsplätze gekostet. Aber das war
ihm der Spaß offenbar wert.
Auch durch die Finanzierung der Differenz zwischen
3,5 Millionen und 4 Millionen Arbeitslosen sind enorme
Kosten entstanden. Das ist Geld, das jetzt natürlich fehlt.
Nun fällt ihm wieder nichts Besseres ein, als angesichts
dieser nationalen Katastrophe die Steuern zu erhöhen.
Herr Senator, Ihre an-
gemeldete Redezeit ist abgelaufen. Ich bitte Sie, zum
Schluss zu kommen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Es ist kein
Geld mehr vorhanden für die Fluthilfe. Es ist kein Geld
vorhanden für Basisinnovationen, um die uns die ganze
Welt beneidet.
Es gibt ganz tolle Leistungen der Ingenieurkunst. Ich
möchte nur den Transrapid nennen. Der wird jetzt in
China gebaut, weil in Deutschland kein Geld mehr vor-
handen ist.
Deutschland ist letztendlich herabgewirtschaftet wor-
den. Wir haben ohne Zweifel die tüchtigsten Menschen,
aber sicherlich die unfähigsten Politiker.
Aus gegebenem Anlass muss ich noch einen Punkt hin-
zufügen. Der betrifft Sie, Frau Präsidentin.
Ja.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Menschen in
Not müssen darauf vertrauen können, dass – jedenfalls im
Bundestag, dem höchsten deutschen Parlament – alles mit
rechten Dingen zugeht. In diesem höchsten deutschen – –
Es tut mir Leid, aber
ich muss Ihnen jetzt das Wort entziehen. Es hat keinen
Sinn weiterzureden. Verlassen Sie bitte das Rednerpult!
Ihre Redezeit ist abgelaufen.
Sie haben eine Redezeit von 15 Minuten angemeldet,
die Sie weit überschritten haben. Deswegen darf ich Sie
bitten, das Rednerpult zu verlassen.
Ich weise darauf hin, dass der Herr Innensenator Mit-
glied des Hamburger Senats ist und hier auch als solches
spricht. – Ich erteile Ihnen erneut die Gelegenheit zu ei-
nem Schlusswort und dann verlassen Sie bitte das Pult.
Sonst entziehe ich Ihnen das Wort.
Bitte sehr.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich bin mit
großem Vertrauen in den Bundestag gekommen und
musste feststellen, dass hier die Verfassung mit Füßen ge-
treten wird.
Ich hatte mein Rederecht nach Art. 43 Abs. 2 des
Grundgesetzes rechtzeitig angemeldet, und zwar unter
Zeugen, und die Bundestagspräsidentin – –
Meine Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte da-
rauf hinweisen, dass Herr Schill Mitglied des Senats der
Freien und Hansestadt Hamburg ist und als Regierungs-
mitglied hier sprechen durfte. Er hat nach Art. 43 Recht
auf jederzeitiges Gehör. Das heißt aber nicht, dass er hier
hinhüpfen kann, wenn es ihm passt, sondern nur dann,
wenn es in den Tagesordnungspunkt, zu dem er gehört
werden will, hineinpasst. Deswegen haben wir den Ablauf
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 251. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. August 2002
Senator Ronald B. Schill
25446
so gewählt, dass auch die anderen Mitglieder von Bun-
desrat und Bundesregierung, die ebenfalls einen Anspruch
auf jederzeitiges Gehör haben, zu Wort gekommen sind.
Ich habe aber – das gebe ich zu – nicht zugelassen, dass
zunächst nur Mitglieder der Bundesregierung und des
Bundesrats sprechen und die Fraktionsvorsitzenden erst in
der zweiten Runde zu Wort kommen. Ich meine, dass da-
mit auch für Herrn Schill das Recht auf jederzeitiges
Gehör gewahrt wurde, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Nun nimmt Herr Bundeswirtschaftsminister Dr. Werner
Müller das Recht auf jederzeitiges Gehör in Anspruch.
Dr. Werner Müller, Bundesminister für Wirtschaft
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau
Präsidentin! Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir
eine Vorbemerkung. Sie haben darauf hingewiesen, Frau
Präsidentin, dass ein Vertreter des Bundeslandes Ham-
burg als Mitglied des Bundesrates das Recht hat, hier zu
reden. Das wird auch nicht bestritten. Man wird aber
sicherlich die Frage stellen dürfen, ob Hamburg durch
eine solche Rede hier angemessen vertreten wird.
Es liegt auch an den Wählerinnen und Wählern, am
22. September dafür Sorge zu tragen, dass solche Reden,
wie sie in der langen Geschichte dieses Hauses nicht ge-
halten wurden, eine einmalige Entgleisung bleiben.
Man wundert sich, mit wem die CDU koaliert.
Lassen Sie mich nun zum eigentlichen Thema kommen
und feststellen, dass diese Hochwasserkatastrophe in etli-
chen Bundesländern – vor allem in Ostdeutschland; dort
sind mit Abstand die größten Schäden entstanden – Aber-
tausende von Unternehmerinnen und Unternehmern be-
trifft, die in aller Regel erst nach 1990 den Schritt in die
Selbstständigkeit gewagt haben.
Wir alle wissen, dass wir vonseiten der Politik diesen
Unternehmerinnen und Unternehmern die vielen immate-
riellen Schäden, die seelischen Nöte nicht nehmen kön-
nen; wir können sie allenfalls lindern. Aber was wir kön-
nen, ist, dabei mitzuhelfen, die materiellen Schäden
großzügig und umfangreich zu beseitigen. Das Ziel, das
wir uns gesetzt haben, ist relativ einfach: Jeder Betroffene
soll seine Selbstständigkeit fortsetzen können, auch dann,
wenn das Fortsetzen für ihn praktisch einen Neuanfang
bedeutet.
Ich bin dem Bundeskanzler und dem Bundesfinanzmi-
nister sehr dankbar, dass wir von Anfang an nicht gefragt
haben, was uns die Schadenbeseitigung insgesamt kosten
wird, sondern dass wir ganz anders vorgegangen sind. Wir
haben uns nämlich überlegt, was wäre, wenn wir selber
betroffen wären, was wäre, wenn unser Betrieb fortge-
schwommen wäre, und haben alle Hilfsmaßnahmen aus
der Sicht des einzelnen betroffenen Betriebes erörtert.
Mit diesen Überlegungen bin ich noch in der Woche,
als die Ereignisse eintraten, auf meine Länderkollegen
insbesondere aus Ostdeutschland zugegangen. Gemein-
sam haben wir auch mit den Präsidenten der betroffenen
Handwerks- und Handelskammern diese erörtert und ein
Programm konzipiert. Parallel dazu hat der Finanzminis-
ter eine Finanzierung mit großem Volumen entwickelt.
Bereits am Montag vor einer Woche haben wir dann in der
Sondersitzung des Bundeskabinettes sowohl die Fi-
nanzierung wie auch die Verwendung der Mittel für die
Hilfe beschließen können.
Gestatten Sie, dass ich Ihnen zunächst einmal dieses
Hilfsprogramm für die Wirtschaft kurz vorstelle. Dabei
ist die Wirtschaft umfassend gemeint; darunter fallen Un-
ternehmerinnen und Unternehmer, seien sie Ärzte, Le-
bensmitteleinzelhändler oder Lackierer, wie auch Auto-
werkstätten und Produktionsbetriebe. Für alle gilt dieses
Hilfsprogramm. Das Hilfsprogramm setzt sich zusammen
aus einer unmittelbaren Soforthilfe und aus einem Pro-
gramm, alle Mittel möglichst kurzfristig bereitzustellen,
um richtig weitermachen und gegebenenfalls neu anfan-
gen zu können.
Das eigentliche Sofortprogramm beinhaltet drei we-
sentliche Punkte. Erstens. Die Betriebe werden aus den
unterschiedlichsten Gründen eine gewisse Menge Geld
sofort bar auf die Hand brauchen. Die Höhe haben wir
nach Rücksprache auch mit den Kammerpräsidenten auf
bis zu 15 000 Euro je Einzelfall festgesetzt. Dieses Geld
ist inzwischen aus meinem Haushalt an die Landesförder-
institute überwiesen worden und steht ab heute Mittag
morgen und in den nächsten Tagen zur Auszahlung bereit.
Der nächste Punkt. Wir haben, weil wir wollen, dass
die Betriebe weitermachen, dafür Sorge getragen, dass sie
von den laufenden Kosten entlastet werden. Wir haben ge-
regelt, dass Betriebe, deren Personal nicht produktiv ar-
beiten kann, von den Personalkosten dadurch total entlas-
tet werden können, dass sie „Kurzarbeit Null“ beantragen
und dass in diesem besonderen Falle auch die Sozialkos-
ten, die der Arbeitgeber sonst zu tragen hätte, von der
Bundesanstalt für Arbeit übernommen werden.
Der dritte Punkt ist, dass die laufenden Zahlungen auf-
grund bestehender Kredite, also Zinsen und Tilgung,
zunächst einmal nicht geleistet werden müssen, weil der
Bankensektor damit einverstanden ist, diesen betroffenen
Betrieben ein Moratorium zu geben.
Das sind die Maßnahmen, die unmittelbar als Sofort-
hilfe greifen. Daneben müssen wir in den nächsten Tagen
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 251. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. August 2002
Vizepräsidentin Anke Fuchs
25447
beginnen, mit den Betrieben über die Themen Finanzie-
rung, Weiterbetrieb und Neuanfang zu sprechen.
Das ist bereits programmatisch festgelegt. Ich bitte da-
rum, nicht immer so zu tun, als würde sich der Bund auf
die Soforthilfe beschränken. Das, wovon ich jetzt spreche,
ist lange, schon seit eineinhalb Wochen Kabinettsbe-
schluss und auch in der Sitzung des Bundeskanzlers mit
den Ministerpräsidenten vorgetragen worden, nachdem es
vorher in der Sitzung des Kanzlers mit den Wirtschafts-
ministern der Länder akzeptiert worden war.
Wir werden dafür sorgen, dass den betroffenen Betrie-
ben sofort Eigenkapital zugeführt wird. Wir haben die
Eigenkapitalhilfeprogramme des Bundes sämtlich so
geändert, dass diese Betriebe neues Eigenkapital zuge-
führt bekommen. Parallel ermittelt der Betrieb, was getan
werden muss, wie viel er investieren muss.
Auf der Basis des gegebenen Eigenkapitals werden
diese Betriebe dann einen neuen Kredit brauchen. Wir ha-
ben dafür seitens der Bundesförderbanken sehr günstige
Kredite mit 2,5 Prozent Zinsen bereitgestellt. Damit die
Hausbanken entgegen der üblichen Diskussion – „Leiten
Banken überhaupt noch Kredite durch?“ – in diesem Falle
die Kredite zur Verfügung stellen, sind diese Kredite mit
einer 80-prozentigen Haftungsfreistellung versehen.
Man wird im Einzelfall und je nach Grad der Zerstörung
auch prüfen müssen, inwieweit die Altschulden eines Be-
triebes zu löschen sind. Wir haben dafür seitens des Bundes
einen durchaus umfangreichen Fonds aufgelegt.
Insgesamt kann man sagen: Aus den Elementen Eigen-
kapitalzuführung, neuer, zinsgünstiger Kredit und Ent-
schuldung wird sich ein Finanzierungskonzept für den
Weiterbetrieb entwickeln lassen. Wir haben uns die Über-
schrift gesetzt: Kein Betrieb soll nach der Flut eine höhere
Belastung haben, als er sie vorher hatte. Das ist die Richt-
schnur. Wir müssen so großzügig an die Sache herange-
hen; denn wir sind – ich sage es noch einmal – diesen Be-
trieben gegenüber besonders verpflichtet, weil sie gerade
erst in einem Landesteil gegründet wurden, wo 40 Jahre
lang unternehmerische Tätigkeit verboten war.
Ich will hinzufügen, dass wir in meinem Ministerium
einen Krisenstab gebildet haben, der in Zusammenarbeit
mit den Ländern die Durchführung überwacht. Ich werde
mich selber aktiv einschalten. Ich werde permanenten
Kontakt mit den Kammern halten, damit ich weiß, dass
das, was der Bund bereitstellt, tatsächlich vor Ort einge-
setzt wird.
Herr Ministerpräsident, Sie haben meine Kritik an
Ihrem Land aufgegriffen – das ist ja auch richtig – und ge-
sagt, Sie hätten sich informiert. Ich weiß nicht, wie Sie in-
formiert wurden. Ich will Ihnen meine Informationen ge-
ben. Mir ist beispielsweise am Montagabend dieser Wo-
che zu Ohren gekommen, das Land erwarte, dass wir die
Sofortgelder am Donnerstag auf ein Landeskonto über-
weisen; aber ausgezahlt werden könnten sie frühestens,
wenn das sächsische Kabinett wieder zusammengetreten
sei, und das könne vor dem 3. September gar nicht sein.
Deswegen sah ich mich genötigt, meinem geschätzten
Kollegen einen Brief zu schreiben, er möge mir unmittel-
bar bestätigen, dass erstens die Antragsformulare erarbei-
tet werden
und dass zweitens diese Gelder ab Donnerstag ausgezahlt
werden.
Herr Ministerpräsident, ich darf darauf hinweisen: Die
Auszahlung der Gelder, die seitens Ihres Landes immer
angemahnt wird, kann erst erfolgen, wenn der Haushalts-
ausschuss des Deutschen Bundestages dem zugestimmt
hat. Das hat er heute um 11 Uhr getan. Um 12 Uhr sind
die Gelder überwiesen worden. Ich erwarte, dass sie in
Ihrem Land jetzt ausgezahlt werden.
Wir bedienen uns der Hilfe Ihrer Ausgleichsbank. Ich
erwarte, dass die Ausgleichsbank Ihres Landes sich hier
konstruktiv einbringt. Hier sitzen einige Abgeordnete, die
Klagen aus der sächsischen Gegend bekommen: Wenn
man bei der Ausgleichsbank anruft, heißt es, Geld gebe es
nicht, diese 15 000 Euro kämen in irgendeinen Topf. Ich
weiß gar nicht, woher ein solcher Unsinn kommt; aber das
kann man dokumentieren. Ich habe die Bitte – damit kön-
nen wir das beschließen –, dass die Länder und auch Ihr
Bundesland das Tempo, das der Bund vorlegt, mitgehen.
– Wir spielen nicht schwarzer Peter. Das ist doch eine
furchtbar dumme Vokabel.
Wir stellen das Geld zur Verfügung, damit die Unterneh-
men es sofort bekommen. Ich bin dafür verantwortlich,
weil ich öffentlich erklärt habe, dass die Unternehmen so-
fort Geld erhalten. Ich nehme diese Verantwortung ernst.
Das will ich ja gerade erklären.
Herr Ministerpräsident, wenn man das wirklich zügig
unterstützen will, muss man beispielsweise den Kammern
vor Ort, den Kreisen und den Landratsämtern diese An-
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 251. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. August 2002
Bundesminister Dr. Werner Müller
25448
träge in kürzester Frist zustellen und nicht, wie mir jetzt
schriftlich mitgeteilt wurde, verkünden, dass man diese
Anträge nun postalisch an die Landratsämter auf den Weg
bringt. Ich habe nichts gegen die Deutsche Post, aber es
gibt auch schnellere Wege.
Meine Damen und Herren, mir geht es darum, dass wir
ein Programm für die Wirtschaft aufgelegt haben. Jeder
betroffene Betrieb, ob in Bayern oder insbesondere in
Ostdeutschland, darf sich sicher sein, dass der Bund zu
folgendem Satz steht: Habt den Mut und fahrt die Betriebe
weiter, wir werden regeln, dass euch das zu zumutbaren
Bedingungen gelingen wird.
Vor diesem Hintergrund habe ich die Bitte an die Wirt-
schaft, dass wir insgesamt zusammenstehen. Ich bitte da-
rum, dass Betriebe, die derzeit nicht beliefert werden kön-
nen, weil sächsische Betriebe ausgefallen sind, die
Lieferbeziehungen nicht abbrechen.
Ich habe auch die Bitte, dass Betriebe beispielsweise eine
Zeit lang einen Lehrling übernehmen, wenn er in einem
betroffenen Betrieb nicht arbeiten kann. Es ist großartig,
wie viel Hilfe generell geleistet wird. Ich bin mir sicher,
dass die Betriebe, die nicht betroffen sind, auch in diesen
Fragen solidarisch zu den betroffenen Betrieben stehen.
Das war die Vorstellung des Programms zur Hilfe der
Wirtschaft. Ich will in meiner Rede jetzt einen kleinen
Bruch machen.
Ich wundere mich ehrlich gesagt schon, dass beispiels-
weise der Vorsitzende der FDP hier hinkommt
und sich, nachdem erst zwei Reden gehalten wurden, da-
rüber beschwert, dass hier Wahlkampfreden gehalten
würden. Nicht weil er mein Chef ist, sondern weil ich zu-
gehört habe, muss ich Ihnen deutlich sagen: Der Bundes-
kanzler hat eine Regierungserklärung abgegeben und
keine Wahlkampfrede gehalten.
Die Erwiderung – ich weiß gar nicht, ob das eine Wahl-
kampfrede war – war aber stellenweise eine Herausforde-
rung an den ökonomischen Sachverstand.
Wie kann man beispielsweise hier im Deutschen Bundes-
tag ernsthaft verkünden, Schulden zu machen sei wesent-
lich besser, als die Steuern zu erhöhen?
– Lassen Sie mich doch einmal ausreden! – Wenn das der
Fall wäre, frage ich mich, warum wir überhaupt noch
Steuern zahlen. Dann könnten wir doch nur noch Schul-
den machen.
Wie kann man aufgrund dieser unglücklichen Hochwas-
serkatastrophe allen Ernstes von einem krassen Gegner
der eichelschen Steuerreform zu einem feuernden An-
hänger werden? Wie geht das? Das ist – bis zum Tag vor
der Flut – zitierfähig.
Überall wurde gesagt, dass die Senkung des Spitzen-
steuersatzes um eineinhalb Prozent völlig wirkungslos
verpuffe; das könne man nicht Steuerreform nennen. Jetzt
erfolgt die Steuersenkung um eineinhalb Prozentpunkte
erst ein Jahr später und plötzlich bricht Deutschland zu-
sammen. Sie müssen es sich schon gefallen lassen, dass
das als pure Wahlkampfpolemik bezeichnet wird.
Nach dieser Überleitung kommen plötzlich – damit er-
hält man die Brücke dafür, dass man zu einem Anhänger
Eichels wird – die alten Parolen, dass Deutschland
Schlusslicht sei usw. Ich will Ihnen sagen: Bezüglich der
Wachstumsraten liegen wir derzeit – auf der Basis eines
niedrigen Wachstums – im Mittelfeld Europas. Die Re-
zessionszeit haben wir seit dem letzten Halbjahr hinter
uns. Zwei Quartale hintereinander wuchs die Wirtschaft,
wenn auch nicht stark. Auch das Ifo-Institut hat gesagt,
dass die Prognose der Bundesregierung erreicht wird. Ich
selbst war ja optimistischer. Die 0,75 Prozent stehen aber
nicht infrage. Das nur einmal am Rande.
Auch in vielen anderen Bereichen liegen wir zumin-
dest im Mittelfeld Europas. Gerade heute hat die Europä-
ische Union eine Beschäftigungsstatistik herausgegeben.
Danach liegt die durchschnittliche Beschäftigungsrate in
Deutschland bei 65,7 Prozent. Das ist sogar in der oberen
Hälfte aller europäischen Länder. Am Ende liegt Spanien
mit einem Beschäftigungsgrad von nur 54 Prozent. Das
alles verschweigen Sie.
Sie verschweigen beispielsweise etwas, wenn Sie sa-
gen, unser Wachstum sei kleiner als das der Niederlande.
Ich kann genauso gut sagen: Das deutsche Wachstum ist
achtmal größer als das der Niederlande, weil wir insge-
samt ein größeres Volk mit einem wesentlich höheren
Wachstumsniveau sind.
So könnte man mit Ihnen über alles Mögliche reden.
Aber es hat wenig Zweck zu diskutieren, weil Ihnen oft
die Einsicht in ganz natürliche Abläufe fehlt. Wesentlich
eindrucksvoller ist es, wenn man Ihnen ein paar Zahlen
vorhält.
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 251. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. August 2002
Bundesminister Dr. Werner Müller
25449
Ich kenne die Politik, dass Schulden besser sind als
Steuern. Sie haben von 1995 bis 1998 die Bundesschuld
um 200 Milliarden Euro erhöht. In den letzten vier Jahren
unter Helmut Kohl ist die Bundesschuld um 400 Milliar-
den DM angewachsen. Wir können stolz darauf sein, dass
wir in den vier Jahren der Regierung Schröder/Eichel die
Bundesschuld um nur 37 Milliarden Euro erhöht haben.
Das ist ein ganz gewaltiger Fortschritt im Umdenken.
Politik kann nicht heißen, auf Kosten künftiger Gene-
rationen zu leben.
Der einfache Satz, dass wir unser Leben nicht auf Kosten
künftiger Generationen gestalten dürfen, ist erstmals in
dieser Bundesregierung wirklich umgesetzt worden.
Ich halte es für sehr bezeichnend, dass Sie keinen an-
deren Vorschlag machen können als den, künftige Gene-
rationen sollen zahlen, wenn es darum geht, eine Sonder-
aufgabe zu lösen.
– Ich trage für die Konjunktur Mitverantwortung; dazu
bekenne ich mich.
Aber Sie werden mir doch gestatten, daran zu erinnern,
dass wir Konjunkturpolitik nicht dadurch machen, perma-
nent das Geld der Kinder in der Gegenwart auszugeben.
Das ist ein großer Unterschied zu Ihrer Wirtschaftspolitik.
Ich möchte noch kurz auf das eingehen, was ich vorhin
schon angesprochen habe. Der Bundeskanzler hat eine
Regierungserklärung abgegeben, sie wurde mit einer
Wahlkampfrede erwidert. Diese Wahlkampfrede enthielt
Dinge, bei denen ich mich frage, ob sich der bayerische
Ministerpräsident vielleicht verlesen hat. Ich bin ziemlich
sicher, dass er sein Manuskript nicht richtig vorgelesen
hat. Ich will Ihnen einen Satz zitieren. Er hat gesagt: Wir
werden alle Programme für regenerative Energien ver-
bessern. Ich gehe jede Wette ein, dass in seinem Manu-
skript „verwässern“ steht.
Man kann das ganz einfach darstellen. Zu Beginn
unserer Regierungszeit, standen in meinem Haushalt für
die Förderung regenerativer Energien 20 Millionen DM
zur Verfügung. Heute geben wir für die Förderung
regenerativer Energien allein beim Marktanreizpro-
gramm das Zwanzigfache aus, nämlich 200 Millio-
nen Euro.
Fast möchte man sagen, der Flut sei Dank. Bis einen
Tag vor der Flut gab es jede Menge zitierfähiger Aussa-
gen: Wir werden die Förderung regenerativer Energien
umstellen. Wir werden mit der Windenergie Schluss ma-
chen, eine völlige Überförderung. – Jetzt muss man sich
anhören: In Bayern liegt der Anteil regenerativer Energien
mit 4 Prozent über dem Bundesdurchschnitt. Es fehlt nur
noch, dass der bayerische Ministerpräsident erklärt, erst
seitdem er in Bayern regiere, flössen dort die Gebirgs-
bäche.
Ich komme zu dem zurück, was mir am Herzen liegt.
Ich wäre froh, wenn es uns gelänge, die Hilfe, die die Bür-
gerinnen und Bürger, vor allem aber auch die Unterneh-
merinnen und Unternehmer erwarten, aus dem Wahl-
kampf herauszuhalten.
Für mich ist es das oberste Gebot der Stunde, dass die Bür-
gerinnen und Bürger der Politik der Bundesregierung in
diesen besonderen Punkten vertrauen und wir ihr Ver-
trauen durch eine ganz konkrete Leistung würdigen, da-
mit wir sagen können: Die Leute haben den Mut aufge-
bracht und mit unserer Hilfe weitergemacht.
Danke.
Zu einer Kurzinter-
vention erteile ich dem Ministerpräsidenten des Freistaa-
tes Sachsen, Herrn Milbradt, das Wort.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr
Kollege Müller, lassen Sie mich vier Punkte feststellen:
Erster Punkt. Der Freistaat Sachsen hat schon vor der
Bundesregierung ein Hilfeprogramm für die Betriebe
beschlossen. Die entsprechenden Antragsformulare sind
in der letzten Woche ausgegeben worden; ich selber war
dabei. Wir haben es für sinnvoll gehalten, dieses Pro-
gramm mit dem Ihren zusammenzufassen, damit die Be-
troffenen nicht zweimal Anträge stellen müssen und von
einer Stelle Geld bekommen. Das ist erfolgt. Sie sollten
froh darüber sein, dass wir für die Betriebe bereits 20Mil-
lionen Euro aus eigenen Mitteln bereitgestellt haben, die
wir weder im Rahmen des Fonds noch auf andere Art und
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 251. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. August 2002
Bundesminister Dr. Werner Müller
25450
Weise zurückhaben wollen. Das ist unser Beitrag zur Lin-
derung der Not unserer Betriebe.
Zweiter Punkt. Es ist völlig klar, dass das Geld ausge-
zahlt wird. Wir zahlen es aus und wir werden es auszahlen.
– Es ist zum Teil schon ausgezahlt worden.
– Wir zahlen aus! Sie brauchen sich gar nicht darüber auf-
zuregen. Wir zahlen aus, obwohl wir das Geld vom Bund
noch nicht bekommen haben. Denn ich vertraue darauf,
dass er seine Zusage einhält. Es ist doch völlig unerheb-
lich, wann welche Gelder auf welchen Konten sind.
Dritter Punkt. Herr Kollege Müller, wir sind nicht so
weit hinter dem Mond, dass wir für die Verteilung der
Formulare die normale Post benutzen. Sie können sie im
Internet abrufen und sie sind per E-Mail an die Kreisver-
waltungen weitergeleitet worden. Das heißt, die Formu-
lare können benutzt werden und sie werden benutzt.
Ein vierter Punkt, den ich anmerken möchte: Wenn wir
uns um die betroffenen Betriebe kümmern wollen, dann
brauchen wir jetzt – darüber sind wir uns doch im Klaren –
keinen Streit über die Soforthilfe, sondern klare Regeln zur
Entschuldung. Ich bin mir sicher, dass von Ihrem Hause
heute oder morgen die entsprechenden Vorlagen kommen,
die wir dann gegenzeichnen werden. Das ist der eigentliche
Punkt, über den wir sprechen müssen. In diesem Zusam-
menhang sollten wir dann auch – das habe ich extra ange-
merkt – über die Rolle unserer Sparkassen und Volksban-
ken beraten. Denn wir sind daran interessiert, dass sie nicht
in die Knie gehen. Ich glaube, das ist auch Ihre Meinung.
Wir sind also einer Meinung und könnten die Sache
beenden, wenn wir nicht weiter Wahlkampf betreiben
wollten.
Herr Minister Müller,
möchten Sie antworten? – Bitte sehr.
Dr. Werner Müller, Bundesminister für Wirtschaft
und Technologie: Herr Ministerpräsident, ich verzichte
bewusst auf eine Erwiderung und habe nur eine Bitte: Die
Briefe, die mich aus Ihrem Land erreichen, sollten nicht
die Aussagen enthalten, die ich hier vorgetragen habe.
Wenn es stimmt, dass diese Aussagen falsch sind, dann
freue ich mich.
Auch freue ich mich, dass man bei Ihnen die Formulare
aus dem Internet herunterladen kann. Auch das muss eine
ganz neue Entwicklung sein. Aber Schwamm drüber!
Wichtig ist, dass wir, was die Hilfe anbelangt, ein ge-
meinsames Interesse haben und dass diese Hilfe so
schnell wie möglich vor Ort ist. Ich habe hier nur gesagt:
Ich möchte das durchgesetzt wissen. Ich sehe, dass Sie
mir zustimmen.
Jetzt hat das Wort die
Kollegin Eva Bulling-Schröter für die PDS-Fraktion.
Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Deutschland wird beim
Erdgipfel in Johannesburg seine Erfolge im Umwelt-
schutz feiern. Zur gleichen Zeit werden viele Menschen
an Elbe und Donau vor dem Nichts stehen. Sie schaufeln
mühsam Schlamm aus Kellern und verwüsteten Wohnun-
gen. Die Jahrhundertflut dieses Sommers zerstörte Men-
schenleben, Infrastruktur und Existenzen.
Viele Betroffene fragen sich nun: War die Katastrophe
nur eine böse Laune der Natur oder stimmt vielleicht doch
etwas nicht im Ökomusterland? Fakt ist: Schlimme Über-
flutungen gab es schon früher. Die alten Hochwassermar-
ken zeugen davon. Dennoch machen die Menschen und
ihre Politik solche Katastrophen immer wahrscheinlicher
und verschlimmern die Folgen. Wissenschaftler prognos-
tizieren neue Katastrophen und warnen im Wesentlichen
vor zwei Punkten: erstens vor den fortwährenden Ein-
griffen in den Lauf der Flüsse und Ströme sowie vor
Flächenversiegelungen und zweitens vor dem mensch-
lichen Beitrag zum Klimawandel. Seit Jahrzehnten wur-
den der Wasserlauf von Moldau und Elbe sowie deren Ne-
benflüssen ebenso wie der fast aller größeren Flüsse in
Europa begradigt, kanalisiert und eingeengt. Auwälder
und andere natürliche Überschwemmungsgebiete wurden
beseitigt und als neue Siedlungsgebiete oder Ackerland
ausgewiesen. Es gibt noch immer Uneinsichtige. Zum
Beispiel rückt die CSU – Herr Stoiber ist mittlerweile
nicht mehr da –
nicht von ihrer Forderung ab, das letzte unverbaute Stück
Donau zwischen Straubing und Vilshofen doch noch zu-
zubetonieren. Der Bund für Umwelt und Naturschutz
sagt: Wer Stoiber wählt, wählt Staustufen. – Das sollten
sich die Wähler merken.
Der durch den Menschen verursachte Klimawandel
vergrößert die Überschwemmungsgefahren. Der gegen-
wärtige Gehalt an CO2 in der Atmosphäre wurde die letz-ten 20Millionen Jahre mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht
überschritten. In den letzten 1 000 Jahren gab es kei-
nen derart schnellen Temperaturanstieg wie in den letzten
100 Jahren.
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 251. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. August 2002
Ministerpräsident Dr. Georg Milbradt
25451
Was ist jetzt also notwendig? – Ein durchgreifendes
Umsteuern im Verkehrsbereich und beim gigantischen
Ressourcenverbrauch. Wenn wir Hochwasserprävention
und Klimaschutz ernsthaft betreiben wollen, dann ge-
hören genau diese Themen demnächst auf die Tagesord-
nung. Ich wünsche uns allen, dass wir hier nicht schon
bald wieder über die nächste Hochwasserkatastrophe re-
den müssen. Wir müssen vielmehr alles tun, damit Kata-
strophen wie diese in Zukunft verhindert werden.
Ich erteile das Wort
dem Bundesminister Jürgen Trittin.
Jürgen Trittin, Bundesminister für Umwelt, Natur-
schutz und Reaktorsicherheit: Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Das, was wir zu bewältigen haben, ist
die Folge von etwas, was es in dieser Form im Sommer
noch nie gegeben hat: Das Jahrtausendhochwasser in
Dresden war das Ergebnis von Regenfällen, die so stark
waren, dass in einzelnen Orten in einem 24-Stunden-Zy-
klus dreimal so viel Regen wie sonst im ganzen August
fiel. Der damit verbundenen Herausforderung haben wir
uns gemeinsam zu stellen.
Zu dieser Herausforderung zählt, dass wir jetzt daran-
gehen müssen, aufzuräumen und wieder aufzubauen.
Wenn wir wissen, dass es zwischen der globalen Erwär-
mung und dem Auftreten solcher Wetterphänomene einen
Zusammenhang gibt, dann bedeutet das für uns, in Zu-
kunft aktiv Gefahrenvorsorge zu betreiben. Gefahren-
vorsorge gilt es deshalb zu betreiben, weil uns alle Wis-
senschaftlerinnen und Wissenschaftler, egal wie hoch sie
den Anteil menschlichen Handelns an der globalen Er-
wärmung veranschlagen, sagen, dass in den nächsten Jah-
ren noch mit einem Anstieg der Temperaturen um mindes-
tens 1 Grad Celsius zu rechnen ist.
Wir müssen uns hier, im Deutschen Bundestag, auch
klar machen: Ein Anstieg von 0,7 Grad Celsius in den
letzten 100 Jahren hat zu einem Anstieg des Wassers um
20 Zentimeter geführt. Was ein Anstieg um 1 Grad be-
deutet, können Sie an Folgendem sehen: Schleswig-Hol-
stein erhöht zurzeit die Deiche um 50 Zentimeter. Ange-
sichts all des Leids, das wir in diesen Tagen in Sachsen
und insbesondere in Sachsen-Anhalt erfahren haben, soll-
ten wir uns klar machen, dass ein Land wie Bangladesch
– man bedenke seine Küstenlinie – die angesichts einer
möglichen Flutkatastrophe notwendigen Leistungen al-
lein überhaupt nicht finanzieren kann. Die Menschen dort
werden das, was wir mit angerichtet haben, im wahrsten
Sinne des Wortes auszubaden haben.
Deswegen bin ich so daran interessiert, dass das Kioto-
Protokoll, das wir gegen den Widerstand der USAso weit
gebracht haben, dass es ratifiziert werden konnte, nun
endlich in Kraft tritt. Dieses Protokoll dient nicht nur der
Senkung der Treibhausgasemissionen, sondern es stellt
auch Mittel bereit, mit denen wir Ländern wie Bangla-
desch, Inseln wie Tuvalu und anderen bei der drin-
gendsten Gefahrenvorsorge, zum Beispiel beim Damm-
bau, helfen können.
Ich kann nicht verstehen, dass sich der größte Verursacher
an dieser Stelle heraushält.
Zur Gefahrenvorsorge. Wir müssen auch hier in
Deutschland Gefahrenvorsorge betreiben. Wir haben das
Problem, dass selbst an dem letzten frei fließenden Fluss
Europas, der Elbe, nur noch 14 Prozent der früheren Über-
schwemmungsfläche, also 14 Prozent des ursprünglichen
Flussbettes, zur Verfügung stehen. Wenn das aber richtig
ist, dann muss die Diskussion über neue Staustufen an der
Saale, über die Ausweisung neuer Gewerbegebiete und
über weitere flussbauliche Maßnahmen, die lediglich dem
Ziel der Verbesserung der Schifffahrtstiefe dienen, aber
nicht dem Gebot der Hochwasservorsorge und des Hoch-
wasserschutzes genügen, endlich ein Ende haben.
Wir haben 7Millionen Euro zur Verfügung gestellt, um
am „bösen Ort“, wo die Menschen in der Prignitz in den
letzten Wochen gekämpft haben, damit das Wasser nicht
über die Ufer tritt, nun umgehend das zu tun, was erfor-
derlich ist, damit der Druck gemindert wird. Zusammen
mit dem Land Brandenburg werden wir dort eine
Deichrückverlegung vornehmen und so 400 Hektar neue
Überschwemmungsflächen schaffen, und zwar aus Natur-
schutzmitteln und nicht aus Hochwasserschutzmitteln.
Dasselbe haben wir bereits an der Mittleren Elbe, bei
Dessau, an der Saalemündung getan.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, ich rate
Ihnen, mit den Leuten, die mit Sandsäcken am Deich ge-
standen haben, einmal folgenden Satz aus Ihrem FDP-
Bundestagswahlprogramm zu diskutieren:
In der Schifffahrt müssen Maßnahmen gegen den
niedrigen Wasserstand auf den Bundeswasserstraßen
ergriffen werden.
Diskutieren Sie das einmal an der Bundeswasserstraße
Elbe in diesen Tagen.
Wir haben gesagt, dass wir zu mehr Fläche und zu mehr
Überschwemmungsgebieten kommen müssen. Das ist
eines der Themen, die wir in der kommenden Woche mit
den Elbanliegerstaaten diskutieren. Der Hochwasserak-
tionsplan Elbe, der vorliegt, muss jetzt in Kraft gesetzt
werden. Alle Elbanliegerstaaten, darunter Sachsen-An-
halt, Sachsen, Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg
– also auch die Länder, die Herr Stoiber nicht eingeladen
hat –, müssen an einem Strang ziehen, damit wir auf die-
sem Gebiet endlich gemeinsam mit der Tschechischen
Republik zu einem Ergebnis kommen.
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 251. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. August 2002
Eva Bulling-Schröter
25452
Lassen Sie mich eine weitere Bemerkung machen. Wir
brauchen eine Politik der Ursachenbekämpfung. Herr Kol-
lege Müller war mit seinem Hinweis sehr zurückhaltend.
Herr Stoiber hat gestern in Alzenau eine Solarfabrik eröff-
net, von der er behauptet, sie sei die größte in Deutschland.
Wenn es nach Edmund Stoiber und dem Freistaat Bayern
gegangen wäre, hätte diese Solarfabrik in Deutschland
überhaupt nichts verkaufen können, denn er hat die Rah-
menbedingungen für diese Industrie bekämpft.
Wer war denn gegen das Erneuerbare-Energien-Gesetz,
das dazu geführt hat, dass Deutschland von einem Im-
portland für Photovoltaikmodule zu einem Exportland
geworden ist und dass sich der Umfang dieser Branche
versechsfacht hat? Wer war gegen das Erneuerbare-Ener-
gien-Gesetz, das dazu geführt hat, dass die Anzahl der
Beschäftigten in der Windbranche von 17 000 im Jahre
1998 auf heute 40 000 gestiegen ist?
Die Windbranche in Deutschland ist heute der zweit-
größte Nachfrager nach Stahl. Wo kriegen Sie garantiert
kein Windrad genehmigt? – Nicht in Hessen; die wissen,
wie das geht. Nicht in einem Binnenland wie Nordrhein-
Westfalen; dort steht der größte Windpark. Im Freistaat
des Ministerpräsidenten und Kanzlerkandidaten wird eine
aktive Verhinderungspolitik betrieben.
– Auch in Baden-Württemberg, das stimmt. – Nur in die-
sen Ländern wird eine Politik betrieben, die dazu führt,
dass von einer Verbesserung im Bereich der erneuerbaren
Energien keine Spur ist.
Ich habe heute gehört, man wolle für das Energiesparen
eintreten. Warum waren Sie dann gegen die Energieeinspar-
verordnung? Warum waren Sie gegen das Marktanreizpro-
gramm, gegen all die praktischen Maßnahmen im Klima-
schutz? Ich glaube, dass in dieser Debatte eines klar
geworden ist: Es gibt in Deutschland auch eine Auseinan-
dersetzung darüber, ob wir mit einer vorsorgenden Umwelt-
politik weitermachen, einer Politik, die Hochwasserschutz
nicht nur als Deichbau begreift, sondern als Möglichkeit,
Flüssen Raum zu geben, einer Politik, die durch eine aktive
Klimaschutzpolitik für kommende Generationen vorsorgt.
Ansonsten tritt das ein, weswegen man die Konservativen
gelegentlich auch als Schwarze bezeichnet, nämlich um-
weltpolitisch ein großes schwarzes Loch.
Als letzter Rednerin
in dieser Debatte erteile ich das Wort der Kollegin Birgit
Homburger für die FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte gerne für die
FDP-Fraktion zu den Punkten, die den Umweltschutz be-
treffen, Stellung nehmen. Zunächst einmal muss man
deutlich sagen, dass an dieser Stelle Aufrichtigkeit das
Gebot der Stunde ist.
Da, Herr Minister Trittin – darauf komme ich noch ein
paar Mal zu sprechen –, ist eines allerdings ganz klar: Hät-
ten wir alle Schutzmaßnahmen, über die wir diskutieren,
ergriffen, müsste man trotzdem aufrichtigerweise sagen:
Einen absolut sicheren Schutz vor Hochwasser und Über-
schwemmungen wird es nicht geben. Wir können zur Vor-
sorge nur alles Menschenmögliche tun. Das gilt sowohl
für den Hochwasser- als auch für den Klimaschutz.
Deswegen haben wir von unserer Seite ein Aktionspro-
gramm für einen verantwortungsvollen, vorausschauen-
den und vorbeugenden Hochwasserschutz vorgelegt.
Wir lehnen uns dabei an die Expertenempfehlungen an,
die teilweise auch hier besprochen worden sind.
Es geht darum, dass genügend Überschwemmungs-
gebiete vorhanden sind, dass Rückhalteflächen geschaf-
fen werden; es geht auch um die Frage der Deichsicher-
heit und darum, den erforderlichen Baumaßnahmen im
Deichbereich Priorität einzuräumen. Wir müssen hier
ein Flächenmanagement einführen. Gerade bei diesem
Hochwasser hat es sich gezeigt, dass es auch nötig ist, die
kleinen Flussläufe in der Fläche in ein Hochwasser-
managementmiteinzubeziehen. Es hat sich auch gezeigt,
dass es bezüglich der länderübergreifenden und interna-
tionalen Zusammenarbeit nach wie vor viel zu tun gibt.
Deswegen schlagen wir vor, dass Sie eine internationale
Hochwasserkonferenz einberufen, die sich mit Fragen
des vorsorgenden Hochwasserschutzes beschäftigt und
in der man miteinander bespricht, wer welche Maß-
nahmen an welchen Flussläufen in Europa ergreift, um
zu verhindern, dass es zu solchen Überschwemmungen
kommt.
Es ist auch gemeinsames, entschlossenes Handeln
nötig. Deswegen sagen wir ganz klar: Auch wenn nicht
mit letzter Sicherheit der kausale Zusammenhang zwi-
schen Klimagasen und Unwettern nachgewiesen werden
kann, so ist es trotzdem aus Vorsorgegründen richtig, Kli-
maschutz zu betreiben.
Die FDP hat hier Vorschläge unterbreitet. Wir haben, um
das aufzugreifen, überhaupt erst das Stromeinspeisungs-
gesetz zur Förderung erneuerbarer Energien in Deutsch-
land eingeführt.
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 251. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. August 2002
Bundesminister Jürgen Trittin
25453
Im Laufe der Zeit haben wir festgestellt, dass es damit Pro-
bleme gibt. Deshalb haben wir Ihr EEG abgelehnt. Wir ha-
ben aber einen eigenen Vorschlag, Herr Minister Trittin, un-
terbreitet. Der Ehrlichkeit halber hätten Sie hier sagen
müssen, dass wir einen Vorschlag für eine marktwirtschaft-
liche Förderung erneuerbarer Energien vorgelegt haben.
Meine letzte Bemerkung gilt der Ökosteuer, die hier
heute mehrfach thematisiert wurde. Sie stellt keine Lö-
sung dar. Selbst der Sachverständigenrat für Umweltfra-
gen sagt Ihnen deutlich, dass eine fehlende Emissions-
orientierung und weit reichende Ausnahmeregelungen
Probleme darstellen
und ein System handelbarer Zertifikate grundsätzlich der
bessere Weg wäre.
Die FDP hat analog zu den internationalen Vereinbarun-
gen vorgeschlagen, diesen Weg zu gehen. Alle unsere
diesbezüglichen Anträge, die wir gestellt haben, haben
Sie abgelehnt. Angesichts der Herausforderungen in der
Klimapolitik fordere ich Sie, Herr Trittin, zu mehr Ehr-
lichkeit auf. Es geht hier um die Frage des Weges und
nicht um die Frage des Klimaschutzes an sich. Wir halten
an dem Ziel, den nationalen CO2-Ausstoß bis 2005 um25 Prozent zu reduzieren, fest.
Wir reden nicht mehr nur über das europäische Ziel,
wie Sie es tun, weil Sie merken, dass Sie mit Ihrer Politik
nicht weiterkommen. Die FDP bekennt sich ganz klar
zum Klimaschutz. Wir wollen, dass die modernen Instru-
mente des Klimaschutzes, die wir weltweit beschlossen
haben, endlich in Deutschland eingeführt werden und
nicht von der Delegation beim Flug nach Johannesburg
nur als PR-Gag verwendet werden.
Vielen Dank.
Ich schließe die Aus-
sprache.
Ich erlaube mir, darauf hinzuweisen, dass sich die Dis-
kussion deswegen etwas in die Länge gezogen hat, weil
die Vereinbarung zwischen den Parlamentarischen Ge-
schäftsführern über die Redezeit ein bisschen ins Wanken
geraten ist. Ich bitte darum, dass, wenn viele Bundesrats-
mitglieder sprechen, darauf geachtet wird, dass die Zeiten
trotzdem einigermaßen gerecht verteilt werden. Ich
denke, ich habe dafür gesorgt. Ich bin Ihnen dankbar, dass
Sie so lange hier gesessen haben.
Wir kommen zu den Abstimmungen und Überweisun-
gen. Tagesordnungspunkt 1 a. Wer stimmt für den Ent-
schließungsantrag der Fraktionen der SPD und des
Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 14/9898? –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Gegen die
Stimmen von CDU/CSU und FDP ist der Entschließungs-
antrag angenommen.
Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Fraktion
der CDU/CSU auf Drucksache 14/9906? – Wer stimmt
dagegen? – Enthaltungen? – Bei Enthaltung der PDS und
gegen die Stimmen von CDU/CSU und FDP ist der An-
trag mit den Stimmen des Bündnisses 90/Die Grünen und
der SPD abgelehnt.
Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Fraktion
der FDP auf Drucksache 14/9907? – Gegenprobe! – Ent-
haltungen? – Bei Enthaltung von CDU/CSU und PDS ist
der Entschließungsantrag gegen die Stimmen der FDP ab-
gelehnt.
Tagesordnungspunkte 1 a bis 1 d und Zusatzpunkte
bis 1 a bis 1 c. Interfraktionell wird Überweisung der Vor-
lagen auf Drucksachen 14/9894, 14/9905 und 14/9895 an
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse sowie
an den Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft und an den Ausschuss für Angelegenhei-
ten der neuen Länder vorgeschlagen. Die Vorlagen auf
Drucksachen 14/9908, 14/9899, 14/9900 und 14/9901
sollen an dieselben Ausschüsse wie die Vorlage auf
Drucksache 14/9905, Tagesordnungspunkt 1 c, überwie-
sen werden. – Das haben Sie alle verstanden und es gibt
auch keine anderen Vorschläge. Dann sind die Überwei-
sungen so beschlossen.
Zusatzpunkt 1 d. Wir kommen zur Abstimmung über
den Antrag der PDS auf Drucksache 14/9902 mit dem
Titel „Flutkatastrophe 2002: Den Opfern langfristig und
wirksam helfen – Rüstungsprojekte streichen“. Wer
stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt dagegen? – Ent-
haltungen? – Keine. Der Antrag ist gegen die Stimmen der
PDS abgelehnt.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesord-
nung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes-
tages auf Donnerstag, 12. September 2002, 10 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.