Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich
möchte mich gerne einmal mit den Argumenten von Herrn
Kollegen Stoiber auseinander setzen.
Sehen wir uns, meine Damen und Herren, nur noch ei-
nes an, nämlich die obere Grenzsteuerbelastung. Als wir
an die Regierung kamen, lag die obere Grenzsteuerbelas-
tung für den Mittelstand bei 70 Prozent: 53 Prozent Spit-
zensteuersatz plus Solidaritätszuschlag plus Gewerbe-
steuer. Allein dadurch, dass wir die Gewerbesteuer als
Kostenfaktor der mittelständischen Betriebe beseitigt ha-
ben, konnte diese Belastung um 13 Prozentpunkte gesenkt
werden. Indem wir dann noch den Spitzensteuersatz auf
48 Prozent heruntergefahren haben, haben wir die obere
Grenzsteuerbelastung von 70 auf 51 Prozent reduziert.
Das ist die Wahrheit in Bezug auf den Mittelstand, meine
Damen und Herren.
Dann steht die Frage im Raum, wie sich das konjunk-
turell auswirkt. Dazu hat der Bundeskanzler schon das
Nötige gesagt. Natürlich sind Steuersenkungen schön.
Aber die Zusammenhänge, die Sie in den Diskussionen
herstellen, sind schon sehr merkwürdig. Sie tun gerade so,
als ob die Steuerpolitik die Konjunktur lenken könne. Das
höchste Wirtschaftswachstum hatten wir im Jahre 2000,
als wir noch gar keine Steuersenkungen durchgeführt hat-
ten. Weitaus weniger hatten wir im Jahre 2001, nachdem
wir die Steuern im großen Umfang gesenkt hatten. Das
müsste Sie doch einmal zum Nachdenken über die Frage
anregen, wie Konjunkturverläufe aussehen und wie
man diese gestaltet.
Ein Teil der Steuerentlastung könnte in den Spar-
strumpf gehen. Jetzt aber gehen die gesamten 7,1 Milliar-
den Euro sofort und vollständig in Investitionen; nicht nur
das: Auch privates Kapital wird noch ordentlich mobili-
siert. Der Kanzler hat doch Recht: Es können sich jetzt
nicht einige, die in der Marktwirtschaft ebenfalls Verant-
wortung haben, auf Kosten des Steuerzahlers davon-
schleichen.
Das gilt auch für die Versicherungen – denen ich das
nicht unterstelle – und für die Banken. Denn wenn wir
hier nicht tätig geworden wären, hätten sie Totalausfälle.
Deshalb kann man einen Solidarbeitrag zumindest bei der
Entschuldung der kleinen Betriebe im Katastrophengebiet
in Ostdeutschland erwarten.
Wir haben einen Vorschlag gemacht, der solide finan-
ziert und gerecht ist, der das Geld sauber hereinbringt und
den Mittelstand überhaupt nicht schädigt. Das Ganze wird
übrigens ein einziges Programm insbesondere für kleine
und mittelständische Betriebe und ihre Aufträge sein. Das
sollte Herr Philipp in Dresden, Grimma und anderen Städ-
ten seinen Mittelständlern einmal sagen.
Außerdem ist unsere Politik europäisch eingebunden.
Schließlich haben wir ein paar Verpflichtungen, übrigens
auch für die gemeinsame Währung. Mit Ihrem Programm
würden Sie bei der EZB – würde es je Regierungspro-
gramm werden; denn die EZB äußert sich zu Recht nicht
zu Oppositionsprogrammen – keine Freude auslösen. In
Brüssel ist deutlich zum Ausdruck gebracht worden, dass
der Weg, den wir gehen, europäisch eingebunden und der
einzig richtige ist.
Zum Schluss, verehrter Herr Kollege Stoiber, noch
eine Bemerkung zum Thema Umweltschutz, das ich hier
im Übrigen nicht weiter behandeln will. Als wir mit Ih-
nen, der damaligen Regierung Kohl, Anfang der 90er-
Jahre – Gerhard Schröder war damals niedersächsischer
Ministerpräsident – den Versuch unternahmen, ein Ein-
vernehmen über den Ausstieg aus der Kernenergie zu er-
zielen, haben wir darum gebeten, dass mit Blick auf das,
was in den 70er-Jahren an Energiesparprogrammen, an
Förderung der regenerativen Energien und der Kraft-
Wärme-Koppelung und an weiteren Programmen auf den
Weg gebracht worden war, einmal dargestellt werde, was
daraus in den Jahren der Regierung Kohl geworden ist.
Wissen Sie, was das Ergebnis war? – Alles ist im Laufe
der Jahre beendet worden. Hätten wir damals nicht einen
solchen Rückschritt in der Energiepolitik gehabt, wären
wir heute schon sehr viel weiter.
Ich will jetzt nicht über Bayern rechten, Herr Kollege
Stoiber. Aber wenn die Verhältnisse in Bayern so sind, wie
Sie sie geschildert haben, hat sich das nicht bis zur
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 251. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. August 2002
Bundesminister Hans Eichel
25431
CDU/CSU-Bundestagsfraktion und zur CSU-Landes-
gruppe herumgesprochen. Denn von Ihren Freunden hier
im Deutschen Bundestag ist fast alles, was wir in Sachen
erneuerbare Energien, Wärmedämmung usw. gemacht
haben – allein 1 Milliarde Euro im Bundeshaushalt; Sie
versprechen jetzt 100 Millionen Euro –, abgelehnt wor-
den. Mehr muss man dazu nicht sagen.
Ein paar Sätze zu einem anderen Thema, das Sie zu
Recht angesprochen haben, wenn auch nicht unbedingt in
diesem Zusammenhang. Es ist unser großes Thema: die
Arbeitslosigkeit. Herr Kollege Stoiber, Sie führen dazu
eine wunderliche Debatte. Ich sehe in diesen Tagen die
Plakate. Darauf wird der Kanzler mit 4 Millionen Arbeits-
losen in Verbindung gebracht.
– Warten Sie einen Moment ab, gleich können Sie klat-
schen. – Die höchste Arbeitslosigkeit nach der Wieder-
vereinigung hatten wir im Januar/Februar 1998. Da war
nur die Frage: Überschreiten wir die Schwelle der 5 Mil-
lionen Arbeitslosen oder bleiben wir knapp darunter? Das
fällt in Ihre Zeit.
Auch heute sind es mindestens 300 000 Arbeitslose
weniger. Im Unterschied zu Ihnen haben wir vor dem
Wahltag keine Bilanzschönung betrieben.
Sie wissen genau, was Sie 1998 gemacht haben: Sie ha-
ben ein Vierteljahr vor der Wahl die AB-Maßnahmen zu-
sammengeschoben, damit 300 000 Leute mehr auf der
Payroll der Beschäftigungsmaßnahmen standen und Sie
die Bilanz schönen konnten. Das war ein zynischer Um-
gang mit den Arbeitslosen. So etwas machen wir nicht.
Die Menschen haben das auch nicht akzeptiert.
Ich finde es außerordentlich spannend, dass Sie jetzt
sagen, seit dem vergangenen Jahr seien rund 200 000 Ar-
beitslätze verloren gegangen.
Ich erinnere mich noch an die Debatten in diesem Hause,
in denen Sie bestritten haben, dass wir – das ist übrigens
dieselbe Statistik – über 1 Million Beschäftigte mehr ha-
ben. Das müssen Sie dazusagen, verehrter Herr Merz:
dass wir bis zum vorigen Sommer 1,2 Millionen Beschäf-
tigte mehr hatten, als es zum Ende der Regierung Kohl
waren.
Diese Zahl hat sich inzwischen aufgrund der flauen
Konjunktur etwas verringert. Das ist wahr. Aber es blei-
ben eine Million Arbeitsplätze bzw. eine Million Be-
schäftigte mehr als zum Ende Ihrer Regierungszeit.
Wenn wir jetzt bilanzieren, dann sage ich Ihnen: Es ging
bei uns nicht nur um mehr Beschäftigung und weniger Ar-
beitslose – natürlich wollten und wollen wir hier noch wei-
ter vorankommen –, sondern wir haben auch für niedrigere
Steuern gesorgt und weniger neue Schulden gemacht. Jetzt
muss ich nicht mehr jede vierte Steuermark für Zinsen
überweisen, sondern nur noch jede fünfte. Das ist der Er-
folg der Konsolidierungspolitik der letzten vier Jahre.
Das hat uns auch Raum gegeben, Schluss zu machen
mit dem Unsinn, ausgerechnet den Bildungsetat zum
Sparhaushalt zu machen, meine Damen und Herren.
Denn den haben wir wieder ordentlich aufgestockt. Die
Investitionen im Verkehrsbereich waren nie so hoch, wie
sie heute sind.
Den Aufbau Ost kann nur derjenige solide auf 15 Jahre
im Voraus finanzieren, der eine solide Finanzpolitik
macht – niemand sonst.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, deswegen
sage ich: Es ist gut – das ist die positive Seite –, dass das
Konzept, das wir vorgeschlagen haben, sowohl im Bun-
destag als offensichtlich auch im Bundesrat eine Mehrheit
finden wird, damit die Menschen die Gewissheit haben,
dass der Aufbau beginnt. Aber es ist auch gut – wenn es
denn so ist –, dass sich die Menschen am 22. September
dieses Jahres zwischen klaren Alternativen entscheiden
können: Wollen wir bei der Verschuldung wieder dort an-
fangen, wo wir 1998 aufgehört haben,
oder wollen wir konsequent den Weg aus der Schulden-
falle gehen? Das ist die Entscheidungsfrage, um die es am
22. September dieses Jahres gehen wird.
Das, meine Damen und Herren, gilt grundsätzlich;
auch bei der Bewältigung der Flutkatastrophe. Ich sage
Ihnen eines: Die Menschen im Lande zeigen viel mehr
Solidarität als Sie, meine Damen und Herren von der
CDU/CSU, mit Ihrer Art von Politik abfordern. Die Men-
schen fragen danach, ob die Politik nicht endlich einmal
dasselbe Maß an Solidarität aufbringt, das sie ihrerseits zu
leisten in der Lage sind und das sie auch leisten wollen.
Das würde unserem Land nämlich gut tun.
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 251. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. August 2002
Bundesminister Hans Eichel
25432