Ich erteile das Wort
dem Ministerpräsidenten des Freistaates Bayern, Edmund
Stoiber.
Dr. Edmund Stoiber, Ministerpräsident (von
der CDU/CSU mit Beifall begrüßt): Herr Präsident! Meine
sehr verehrten Damen! Meine Herren! Deutschland ist von
der schwersten Naturkatastrophe der Nachkriegsge-
schichte heimgesucht worden. Wir trauern um die Toten.
Unser Mitgefühl gilt den Menschen, die Angehörige ver-
loren haben, die verletzt wurden, deren Zuhause zerstört
wurde und deren Hab und Gut vernichtet ist. Wer dies mit
eigenen Augen gesehen hat und sieht, der spürt unmittel-
bar: Tausende Familien befinden sich in existenzieller ma-
terieller Not und am Rande seelischer Verzweiflung. Viele
Menschen im Osten sind nach zwölf Jahren Aufbau von
den gewaltigen Schäden bis ins Mark getroffen. Wir – das
ist das Signal von heute – stehen an ihrer Seite.
Unser Mitgefühl gilt auch unseren Nachbarn in Tsche-
chien und in Österreich. Naturkatastrophen, Not und Leid
kennen keine Grenzen. Aber auch Solidarität und Hilfe
kennen keine Grenzen. Aus ganz Europa haben uns
Hilfsangebote und Bekundungen des Mitgefühls erreicht.
Dafür sagen wir großen Dank.
Wir stehen alle unter dem Eindruck der Naturgewalt.
Aber wir stehen auch unter dem Eindruck der großen
Hilfs- und Spendenbereitschaft. Es geht eine Welle der
Solidarität durch unser Land. Diese Tage und Wochen zei-
gen, dass die Opfer der Flut von ihren Landsleuten – ob
aus Süd oder West, ob aus Nord oder Ost – nicht allein ge-
lassen werden. Nachbarn helfen Nachbarn, Freunde hel-
fen Freunden und Fremde helfen Fremden.
Tausende junger Männer und Frauen haben das oft be-
klagte Bild einer kalten, egoistischen Gesellschaft und das
Bild von einer Null-Bock-Generation widerlegt. Sie ha-
ben Freizeit, Ferien oder Urlaub geopfert. Sie haben bei
brütender Hitze Sandsäcke bis zum Umfallen geschleppt.
Von ihren Gesichtern war abzulesen: Wir tun etwas Sinn-
volles und Wertvolles. Manche haben ausgesprochen: Es
ist gut, wenn man gebraucht wird. Auf diese Jugend kann
Deutschland stolz sein.
Mit ihr hat Deutschland eine gute Zukunft.
Ganz Deutschland ist auch stolz auf die Helfer von
Feuerwehren, vom THW, dem Roten Kreuz und auf die
Helfer von vielen Hilfsorganisationen, Vereinen und Ver-
bänden. Gerade Staat und Politik haben für diesen groß-
artigen Bürger- und Gemeinsinn dankbar zu sein.
Über alle Meinungsverschiedenheiten hinweg zolle ich
der Bundesregierung Respekt für ihre rasche Soforthilfe.
Die Bundeswehr hat Großes geleistet. Wir können auf
unsere Soldatinnen und Soldaten stolz sein.
Nicht weniger dankbar sind wir den Mitarbeiterinnen
und Mitarbeitern in den Rathäusern, in den Landratsäm-
tern, in den Landesregierungen und in den Krisenstäben.
Sie haben Tag und Nacht gearbeitet. Sie mussten aus der
Situation heraus rasch Entscheidungen treffen, um den
Opfern zu helfen und noch Schlimmeres zu verhüten.
Die Fluten haben überall in Europa Not, Leid und im-
mense Schäden angerichtet. Im Osten Deutschlands sind
die Verwüstungen besonders schwer. Sie treffen eine Ge-
sellschaft im Aufbau. Darin liegt vielleicht der Unter-
schied gegenüber den Schäden, die wir in Bayern, in Nie-
dersachsen oder in Schleswig-Holstein zu tragen haben.
Auch diese Schäden sind gravierend, aber der Unter-
schied ist, dass sich die Gesellschaft in den neuen Ländern
in einer anderen Situation, nämlich in einer Phase des
Aufbaus, befindet. Deswegen ist es notwendig, mehr zu
helfen, als dies bei anderen Katastrophen bisher der Fall
gewesen ist.
Viele Betroffene können nicht auf Rücklagen zurück-
greifen. Oft haben sie noch Kredite abzutragen. Wo sich
die Fluten Bahn brachen, sind zwölf Jahre mühsamer und
entbehrungsreicher Aufbauarbeit dahin. Ich habe es in
Dresden und im Raum Bitterfeld mit eigenen Augen ge-
sehen. Zwölf Jahre lang haben diese Menschen geschuf-
tet. Mark um Mark und Euro um Euro haben sie für den
Aufbau investiert. Umso mehr bewundere ich, dass sie
mitten im Schlamm und im Dreck sagen: Wir lassen uns
nicht unterkriegen.
Unter größten Mühen haben die Menschen den Städten
und Dörfern ihrer Heimat ein neues, ein schönes Gesicht
gegeben. Sie haben um die Erhaltung der Stadtbilder, der
Kirchen, der Theater und der nationalen Kulturgüter von
europäischem Rang gekämpft. Ich denke an den Zwinger
in Dresden. Ich denke an Schloss Pillnitz. Viele in ganz
Deutschland haben mit gebangt um Pirna, um Torgau, um
Wittenberg, um Dessau, um Wörlitz und um viele andere
Orte.
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Jetzt muss es heißen: Wir müssen gemeinsam anpacken
und gemeinsam wieder aufbauen; das reicht von den Kul-
turgütern bis zu den Häusern und vor allen Dingen bis hin
zu den Betrieben. Deswegen steht für uns fest: Die Opfer
brauchen sehr schnelle Hilfe. Schnelle Hilfe ist die wirk-
samste Hilfe. In diesem Ziel sind wir uns einig. Zugleich
wissen wir: Die Folgen der Flut werden ganz Deutschland
über Jahre hinweg belasten. Diese Lasten müssen gerecht
auf alle Schultern der Nation verteilt werden.
Was brauchen die Opfer der Flut?
Erstens, Hilfe für Privathaushalte: Diese reicht von der
Unterstützung für dringendste Neuanschaffungen bis zur
Reparatur oder dem Neubau des Zuhauses.
Zweitens, Hilfe für Betriebe: Wir müssen den durch die
Flut in ihrer Existenz betroffenen, gefährdeten Betrieben
in jedem Einzelfall schnelle Hilfe anbieten, um Insolven-
zen zu vermeiden und Arbeitsplätze zu retten. Der Natur-
katastrophe darf nicht auch noch die wirtschaftliche Ka-
tastrophe folgen.
Drittens, Hilfen für die Landwirtschaft: Vielen Bauern
wurde gerade zur Erntezeit der Lohn ihrer Arbeit zunichte
gemacht. Auch ihnen muss wirksam geholfen werden.
Viertens, Hilfen für den Wiederaufbau der zerstörten
Infrastruktur: Es geht um die Wiederherstellung von
Straßen, von Brücken, von Schienenwegen, von Schulen,
von Kindergärten, von Kliniken, von Museen und von
großartigen Kulturdenkmälern der Deutschen.
Für diese immensen Aufgaben wird Hilfe in Höhe von
rund 10 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt. Das ist
ein nationaler Kraftakt. Ich bin mir nicht sicher, ob dieser
nationale Kraftakt ausreichen wird. Aus nationaler Ver-
antwortung und aus menschlicher Solidarität will die
Union rasche Hilfen für die Opfer. Deswegen wird das
Gesamtpaket der Bundesregierung – auch wenn wir be-
züglich der Wege anderer Meinung sind – von uns nicht
blockiert. Denn eine Blockade würde bedeuten, dass die
Opfer nicht schnell genug das Geld bekommen, das wir
alle ihnen geben wollen. Wir wollen uns nicht auf dem
Rücken der Opfer hinsichtlich des Weges zerstreiten.
Damit geben wir den Flutopfern und den betroffenen
Ländern und Kommunen Sicherheit über die Höhe des
Hilfsfonds. Darin sind wir uns einig. Herr Bundeskanz-
ler, Sie haben versprochen: Niemand soll nach der Flut
materiell schlechter gestellt sein als vor der Flut. – Das
sind große Worte. Ich möchte das gar nicht infrage stellen.
Die Betroffenen klammern sich jetzt an dieses Verspre-
chen. Doch der vorliegende Gesetzentwurf und die Erläu-
terungen Ihres Finanzministers erfüllen die von Ihnen ge-
weckten Erwartungen nicht.
Ich habe – dazu stehe ich – vorgestern in Leipzig be-
tont, dass kein ostdeutsches Unternehmen allein wegen
der Flut in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten darf.
Der Unterschied ist – das sage ich als Ministerpräsident
eines betroffenen Landes, in dem auch Schäden zwischen
einer halben Milliarde und 1,5 Milliarden zu erwarten
sind –: Bei aller Anstrengung können der Staat bzw. staat-
liche Hilfe niemals eine Art Versicherung bieten. Bei den
bisherigen Hochwasserschäden haben wir auch bei
großzügigster Behandlung der Fälle insgesamt nur etwa
25 Prozent ersetzen können. Wegen der besonderen Si-
tuation in den neuen Ländern, die sich noch im Aufbau
befinden, müssen wir diesen Aufbau, der nun zum Teil
zerstört wurde, schnell wieder ankurbeln; sonst wird ganz
Deutschland unter dieser Situation zu leiden haben. Das
ist nicht nur ein Problem der besonders betroffenen Län-
der Sachsen und Sachsen-Anhalt, sondern der gesamten
Nation. Deswegen – das möchte ich hier deutlich machen –
müssen wir dabei anders vorgehen.
Wenn die Wirtschaft dort nicht mehr auf die Füße
käme, dann wären Arbeitslosigkeit, eine schlimme Ab-
wanderung und Perspektivlosigkeit die Folge.
Der Grundsatz, dass kein Betrieb allein wegen der Flut in
Schwierigkeiten geraten darf, ist angesichts der schwieri-
gen Sondersituation der Betriebe im Osten richtig. Dort
brauchen die Betriebe Klarheit. Die Menschen dort wer-
den Sie auch an Ihren Taten messen und nicht nur an Ihren
Versprechungen, Herr Bundeskanzler.
– Sie werden das noch sehen. Vielleicht haben Sie sich
den Gesetzentwurf noch nicht genau angesehen. Er deckt
jedenfalls nicht das Versprechen, dass alle so gestellt wer-
den wie vor der Flut.
Das wird sicherlich ein großes Thema der Diskussion und
Auseinandersetzung auch vor Ort, vor allen Dingen in den
betroffenen Ländern, darstellen.
Meine Damen, meine Herren, in dem Ziel der raschen
Hilfe für die Betroffenen sind wir uns einig. Nicht einig
sind wir uns über den Weg der Finanzierung.
Da wir zurzeit nicht die Mehrheit im Bundestag haben,
können wir unser besseres Finanzierungskonzept nicht
durchsetzen.
Eine unionsgeführte Bundesregierung
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Ministerpräsident Dr. Edmund Stoiber
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wird die Finanzierung umstellen.
Das ist auch eine Entscheidung, die die Menschen am
22. September treffen können.
Am Umfang der Hilfen ändert das nichts. Wir wollen die
Hilfen in Höhe von 10 Milliarden Euro erstens aus zu-
sätzlichen Mitteln, die sich aus der Haushaltssperre erge-
ben, aus Umschichtungen und Mitteln der Europäischen
Union finanzieren. Zweitens wollen wir – anders als die
Bundesregierung – den Hilfsfonds mit den verfügbaren
Gewinnen der Bundesbank des Geschäftsjahres 2001 in
Höhe von 7,74 Milliarden Euro finanzieren.
Das wird eine unionsgeführte Bundesregierung sofort be-
schließen, wenn wir demnächst im Bundestag die Mehr-
heit haben.
– Ich verstehe, dass Sie sich darüber aufregen,
dass Sie möglicherweise demnächst im Bundestag nicht
mehr die Mehrheit haben. Es ist immerhin bemerkenswert,
dass nun auch Ihr Nachfolger und Parteifreund in Hanno-
ver diesen Weg ins Gespräch bringt, Herr Bundeskanzler.
Er hat interessanterweise gestern im ZDF bemerkt, es sei
nicht alles schlecht, nur weil es von der anderen Seite
komme. – Damit hat Ihr Nachfolger Recht. Ich meine, das
sollten Sie berücksichtigen, Herr Bundeskanzler.
Mit unserem Konzept werden die Schulden langsamer
abgebaut. Zwar fallen vorübergehend höhere Zinsen an,
aber das ist auch gerechtfertigt und sinnvoll. Denn höhere
Zinsen sind ein kleineres Übel als höhere Steuern.
Höhere Steuern lähmen die Konjunktur, hemmen das
Wachstum und vernichten Arbeitsplätze. Das ist der ent-
scheidende Punkt.
Wir sind der festen Überzeugung – das ist die Grundaus-
einandersetzung zwischen Ihnen und uns –, dass uns höhere
Steuern teurer zu stehen kommen als höhere Zinsen.
Die Fluthilfen sind Investitionen in die Zukunft, Inves-
titionen in Straßen, in Brücken, in Baudenkmäler, Inves-
titionen zugunsten von mittelständischen Betrieben und
privaten Existenzen. Von diesen Investitionen werden die
zukünftigen Generationen in ganz Deutschland profitie-
ren. Das ist gerade kein Schuldenmachen für den Konsum
von heute zulasten der Generationen von morgen;
vielmehr sind die Fluthilfen Investitionen auch für unsere
Kinder und für unsere Enkel. Sie führen zu einem massi-
ven Konjunkturanstoß, zu dem für die Bürger nach unse-
rem Modell zusätzlich noch die beträchtliche Entlastungs-
wirkung durch die Nichtverschiebung der Steuerreform
hinzukommt.
Wir wollen eine andere Finanzierung, weil Deutsch-
land neben der Flutkatastrophe unter einer zweiten natio-
nalen Katastrophe leidet: Über 4 Millionen Arbeitslose
mitten im Sommer – das ist unser Problem.
In dieser Lage beschließt die Regierungskoalition
heute hier in diesem Haus eine Steuererhöhung;
denn bei der Steuererleichterung für das Jahr 2003 han-
delte es sich um eine Festlegung, auf die sich die Betriebe
in Deutschland verlassen haben.
Diese Festlegung auf niedrigere Steuern zum 1. Januar des
Jahres 2003 steht bereits seit zwei Jahren im Bundesge-
setzblatt. Deshalb ist die Verschiebung der Steuerreform
für Unternehmer und Bürger eine Steuererhöhung. Das ist
Gift für den Einzelhandel und für den Mittelstand.
Wenn wir schon über diesen Aspekt reden, dann muss
ich Folgendes deutlich machen: Von den 7 Milliarden
Euro an Steuererhöhungen entfallen allein 5,6 Milliarden
Euro auf die Lohnsteuer; 80 Prozent tragen also die Ar-
beitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Das ist die Wahrheit.
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Ministerpräsident Dr. Edmund Stoiber
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Schauen Sie einmal genau in die Tabellen: Für eine
Durchschnittsfamilie mit zwei Kindern und 30 000 Euro
Bruttolohn sind das im Jahr 334 Euro mehr Steuern, für
eine Familie in Stuttgart genauso wie in Dresden, in
Grimma oder in Hannover. Das ist eine Tatsache, die Sie
überhaupt nicht kennen.
Meine Damen, meine Herren, Sie haben hier von einer
gerechten Verteilung der Lasten gesprochen.
Aber diejenigen, die über ein Einkommen von zum Bei-
spiel 90 000 Euro verfügen, tragen gegenüber denjenigen,
die ein Einkommen von 30 000 Euro haben, im Grunde
genommen keine wesentlich höhere Belastung. Die
Mehrverdiener werden nicht wesentlich höher belastet als
die Geringverdiener. Das ist eine Maßnahme, die für mich
nicht akzeptabel ist.
Herr Bundeskanzler, Sie nehmen großmütig das an-
gebliche Angebot der Wirtschaft an, die Körperschaft-
steuer zu erhöhen.
Die Körperschaftsteuer war aber im letzten Jahr null.
Im ersten Halbjahr dieses Jahres haben die deutschen Fi-
nanzämter 1,3 Milliarden Euro an Körperschaftsteuer
zurückgezahlt. Unsere Finanzämter sind bei der Körper-
schaftsteuer gegenwärtig Auszahlungsstellen und keine
Einnahmestellen mehr.
25 Prozent von null sind null. 26,5 Prozent von null sind
ebenfalls null. Meine sehr verehrten Damen und Herren,
das will ich Ihnen hier deutlich machen.
Die Bundesregierung bürdet allen Bürgern diese Fi-
nanzlasten in einem einzigen Jahr auf, darunter auch den
Zigtausenden von flutgeschädigten Bürgerinnen und Bür-
gern. Das empfinden die Opfer als ungerecht; das nimmt
ihnen Kraft und Mut.
Bei Umsetzung des Finanzierungsmodells der Bundes-
regierung rechnet zum Beispiel Handwerkspräsident
Philipp mit dem Verlust von 200 000 Arbeitsplätzen und
der Pleite von 25 000 Betrieben.
200 000Arbeitslose mehr kosten die öffentliche Hand pro
Jahr 4,6 Milliarden Euro an Steuereinnahmen und Sozial-
ausgaben. Sie können ein Problem nicht dadurch lösen,
dass Sie andere, noch riesigere Probleme auf Dauer auf-
häufen.
Das beweist einmal mehr: Nichts ist teurer als die Ar-
beitslosigkeit.
Wir haben gegenüber dem vergangenen Jahr ohnehin
220 000 Arbeitsplätze weniger.
So viele Arbeitsplätze wurden innerhalb eines Jahres ab-
gebaut.
Im ersten Halbjahr dieses Jahres ist die Wirtschaft ge-
genüber dem Vorjahr um 0,4 Prozent geschrumpft. Erst
gestern hat das Ifo-Institut ein schwächeres Wirtschafts-
wachstum vorausgesagt. Kernproblem bleibt auch im
kommenden Jahr die schwache Binnennachfrage.
Deshalb brauchen wir eine Steuersenkung, um Konsum
und Investitionen anzuregen. Professor Sinn, der Chef des
Ifo-Institutes, warnt ausdrücklich:
Insofern kann es nicht richtig sein, die Steuerreform
jetzt wegen der Flutkatastrophe zu verschieben.
Die „FAZ“ von heute fasst die Aussichten in einer
Schlagzeile zusammen: „Der Aufschwung rückt in weite
Ferne“. Diesen Trend nach unten müssen wir endlich
stoppen. Wir müssen Deutschland wieder nach vorne
bringen. Das ist unser Primärziel.
Diesen Trend nach unten – ein Minuswachstum in der ers-
ten Hälfte dieses Jahres – können Sie nicht mit Steuer-
erhöhungen umkehren. Deshalb sind Steuererhöhungen
falsch.
Herr Bundeskanzler, Sie verweisen hier zum Beispiel
auf Österreich. Es ist ja wunderbar, dass Sie plötzlich die
österreichischen Freunde entdecken.
Aber Österreich ist in einer völlig anderen Situation. Ös-
terreich hat kein Minuswachstum. Österreich hat eine
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ganz andere Arbeitslosenzahl. Sie ist nämlich gerade halb
so hoch wie hier in Deutschland. Österreich hat eben auf-
grund einer anderen Politik und auch anderer Belastungen
andere Möglichkeiten, auf diese Situation zu reagieren.
Wenn wir in einer fast rezessiven Phase mit Steuer-
erhöhungen reagieren, machen wir einen schweren Fehler.
Rot-Grün fällt in Krisen immer nur eines ein: Steuererhö-
hungen.
Und dann wundern sie sich über die Folgen. Rot-Grün hat
nach dem 11. September beschlossen, die Tabak- und die
Versicherungsteuer zu erhöhen.
Rot-Grün beschließt jetzt, nach der Flut, die Steuern für
alle Steuerzahler zu erhöhen. Rot-Grün hatte ohnehin be-
schlossen, die Ökosteuer zum 1. Januar 2003 zu erhöhen.
In der Summe bedeutet das eine dreifache Steuererhö-
hung – Ökosteuer, Einkommensteuer und Ertragsteuer der
Unternehmen – zum 1. Januar des nächsten Jahres. Das ist
ein dreifacher Schlag gegen die Konjunktur. Das ist ein
dreifacher Schlag gegen die Arbeitsplätze in Deutschland.
Dies schadet ganz Deutschland.
Wir fordern deswegen: Steuern runter für alle und Hil-
fen für die Opfern der Flut! Das ist unser Konzept. Das
hilft dem Osten und ganz Deutschland.
Das Ausmaß der Flutkatastrophe ist Anlass, über Not-
hilfe und Wiederaufbau hinaus zu denken. Kurzfristig
muss der Hochwasserschutz und langfristig muss der
Klimaschutz verbessert werden.
Eine unionsgeführte Regierung wird folgende drei
Maßnahmen einleiten:
– Ich verstehe ja, dass Sie nervös sind; aber es hilft doch
überhaupt nichts.
Es ist hier doch offenkundig, dass wir uns im Ziel einig
sind: Es müssen möglichst rasch Milliardenbeträge für die
betroffenen Menschen gezahlt werden; das wollen wir.
Wir haben hierfür aber unterschiedliche Wege. Ich skiz-
ziere unseren Weg, der sich von Ihrem unterscheidet. Die
Probleme der Arbeitslosigkeit scheinen Sie überhaupt
nicht mehr zu interessieren.
Wir weisen hier darauf hin: Wir werden einen anderen
Weg gehen, wenn wir die Möglichkeit haben, diesen Weg
durchzusetzen.
Das ist auch das Signal an die Menschen: Wir sagen Ja zur
Hilfe in der Höhe, wie sie jetzt vorgesehen ist; die Größen-
ordnung ist klar. Die Wege sind aber unterschiedlich.
Unser Weg steht heute und schließlich auch am 22. Sep-
tember zur Disposition. Wer unseren Weg gehen will,
muss uns unterstützen.
Erstens. Alle Länder sind gefordert, mehr in den Hoch-
wasserschutz zu investieren.
Wir brauchen natürliche Wasserrückhaltemöglichkei-
ten, die Freihaltung gefährdeter Flächen und Investitio-
nen in Dämme, Deiche und Hochwasserrückhaltebecken.
Das kostet Geld.
Deshalb schlage ich ein national abgestimmtes Programm
für den Hochwasserschutz in Deutschland vor. Eine
unionsgeführte Bundesregierung
wird dazu – zusammen mit der Landwirtschaft und den
Ländern – schnellstmöglich eine Konzeption erarbeiten.
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Zweitens. Wir werden das Erneuerbare-Energien-
Gesetz verbessern,
um größtmögliche Anreize zur Nutzung der neuesten
Technologien und zur Senkung der Produktionskosten zu
geben.
Drittens. Eine unionsgeführte Bundesregierung wird
Wärmeschutzmaßnahmen in einer Größenordnung von
rund 100Millionen Euro pro Jahr steuerlich fördern. Damit
lösen wir in den nächsten zehn Jahren ein Investitionsvolu-
men von 2 bis 3 Milliarden Euro aus. Das schafft Arbeits-
plätze im Mittelstand. Das größte CO2-Einsparpotenzialliegt in der Förderung von Wärmeschutz- und Energie-
sparmaßnahmen an Altbauten. Damit setzen wir ökologi-
sche Anreize.
Ich will Ihnen in aller Deutlichkeit sagen: Ich habe Ver-
ständnis dafür, dass Sie so aufgeregt sind.
Aber schauen Sie sich an, wo in den letzten Jahren am
meisten in die regenerativen Energien investiert wurde.
Sie wissen ganz genau, dass der Anteil an regenerativen
Energien in Deutschland in einer Größenordnung von nur
3 Prozent liegt. In meinem Verantwortungsbereich beträgt
der Anteil über 10 Prozent.