Rede von
Anke
Fuchs
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Ich erteile dem
Fraktionsvorsitzenden der PDS, Roland Claus, das Wort.
Roland Claus (von der PDS mit Beifall be-
grüßt): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen
und Herren! Vielleicht können wir uns bei allem Streit in
der Sache auf eine Formel einigen, die heißt: Alle Vor-
schläge, die wirklich helfen, sind in diesen Stunden will-
kommen,
und zwar unabhängig davon, welchen Absender die je-
weiligen Vorschläge haben. Deshalb möchte ich mich
auch sehr gerne dem Dank anschließen, der hier bereits an
die vielen Helferinnen und Helfer im Lande, an THWund
Bundeswehr, an Hilfsorganisationen wie beispielsweise
die Volkssolidarität, die gerne vergessen wird, ausgespro-
chen wurde. Ich möchte aber als Ostdeutscher auch den
Bürgerinnen und Bürgern in den westlichen Bundeslän-
dern Dank sagen, die in dieser Situation zu Hilfe und So-
lidarität bereit sind.
An Ihre Adresse, Herr Stoiber, sage ich: Ich habe an der
Donau und am Rhein ehrliche Solidarität erlebt. Etwas
völlig anderes ist Ihr Versuch, hier im Bundestag auf den
Wogen der Flut Ihren Wahlkampf heimzureiten.
Das geht vor Ort – ich habe es im Kreis Wittenberg er-
lebt – ganz anders. Dort sind ein PDS-Bürgermeister und
ein CDU-Stadtratsmitglied diejenigen, die sich am inten-
sivsten um die Folgen kümmern und den Menschen hel-
fen. Solch ein Verhalten muss heute unser Maßstab sein.
Zum Hilfegesetz der Koalition haben wir ein deutli-
ches Ja gesagt und auch für die Abstimmungen im Bun-
destag und Bundesrat ein deutliches Ja ohne Wenn und
Aber verabredet, wenngleich wir einige Kritikpunkte und
Veränderungsvorschläge haben, die Sie möglicherweise
noch berücksichtigen können. Wir als PDS haben gefragt,
warum in dieser Situation die Besteuerung von Unter-
nehmensveräußerungen nicht zur Finanzierung heran-
gezogen wird. Das wäre eine wirkliche Quelle, aus der
Mittel geschöpft werden könnten, um etwas zu tun.
Wir schlagen Ihnen hier vor, eine Einmalabgabe auf
große Vermögen zu erheben, also auf Vermögen über
500 000 Euro, selbst genutztes Wohneigentum nicht mit-
gerechnet.
Wir wenden uns auch an Banken und Versicherungen, und
zwar auch an die größeren, nicht nur an die Sparkassen,
die schon helfen, mit der Bitte, in dieser Situation Beson-
nenheit zu zeigen.
Der hier zitierte Bäckermeister braucht nicht neue Kre-
dite; dem Mann muss mit Schuldenerlass und mit Til-
gungsaussetzung geholfen werden.
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 251. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. August 2002
Vizepräsidentin Anke Fuchs
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Warum, so frage ich mich, meine Damen und Herren, sind
bisher nicht auch, wenn hier alle über unsere Nachbarlän-
der reden, die Vorschläge aus Tschechien und Österreich
zur Sprache gekommen, nämlich durch einen Verzicht
auf Rüstungsgerät einen Beitrag zu den Hilfsprogram-
men zu leisten?
Es geht hier nicht, um nicht missverstanden zu werden,
um irgendwelche pauschalen Kürzungen. Es geht mir
aber schon darum, neue Anschaffungen wie den Großflie-
ger A400 oder den neuen Panzertyp infrage zu stellen.
Wenn der Bundeskanzler schon meint – ich finde das ja
gut –, dass er keine militärischen Abenteuer wolle, dann
kann er in dieser Situation auch auf militärisches Aben-
teuergerät verzichten.
Ich bin sehr froh über die Spendenbereitschaft der Be-
völkerung in unserem Lande. Aber ich will einmal Fol-
gendes gegenrechnen: Was bisher an privaten Spenden
zusammengekommen ist, entspricht fast exakt den Kosten
für ein einziges Großraumflugzeug A400. Da sehen Sie,
welche Möglichkeiten es hier gibt.
Die PDS-Fraktion hat Ihnen heute ein Gesetz vorge-
legt, das uns vor allem deshalb wichtig ist, weil es uns da-
rum geht, dass die Versprechen, die zurzeit gegeben wer-
den, auch eingehalten werden. Es ist kein Gegenentwurf
zum Koalitionsgesetz, sondern ein Gesetz zur praktika-
blen Ausführung der jetzt so sehnlichst erwarteten Aus-
zahlungen und Hilfeleistungen. Ich glaube schon, dass es
wichtig ist, in der eingetretenen Schadenssumme voll zu
entschädigen.
Wenn Herr Beckstein sagt, voller Ausgleich nur in Härte-
fällen, macht mich das natürlich besorgt. Ich bin auch
skeptisch, weil der Kanzler heute nicht seine Formel aus
der Magdeburger Erklärung wiederholt hat. Damals hat er
gesagt, dass er für die volle Schadensregulierung eintritt
und dass alle dort wieder anfangen können, wo sie vor der
Flut standen. Ich denke, das muss angemahnt werden. Es
ist wichtig, hier sofort zu helfen.
Wie geht das? Wir haben den Vorschlag gemacht, die
Versicherungen einzubeziehen, den Wiederaufbaufonds
bei der Kreditanstalt für Wiederaufbau anzusiedeln und
mit einem Schadensausgleichsfonds für rasche Hilfeleis-
tungen einzutreten. Sie werden im Handel und Gewerbe
erwartet. Dazu ist eine Menge gesagt worden. Auch und
gerade für Existenzgründerinnen und Existenzgründer
sind diese Soforthilfen jetzt nötig.
Man muss in dieser Situation einmal feststellen, wie
häufig in diesem Lande und im Bundestag das Unterneh-
mertum beschworen wird und wie wenig gerade junge
Unternehmerinnen und Unternehmer bei Risiken abgesi-
chert sind. Auch das muss uns zu denken geben.
Wir wollen deshalb diesen Bundeskanzler beim Wort
nehmen. Wir wissen, dass ihm auch Skepsis entgegen-
schlägt, denn die Versprechen hinsichtlich der Senkung
der Arbeitslosigkeit sind natürlich nicht vergessen.
Ich darf noch eine Bitte an Sie richten, liebe Kollegin-
nen und Kollegen, die Sie hier im Bundestag mehrfach,
offenbar gut gemeint, den Satz ausgesprochen haben,
zehn oder zwölf Jahre Aufbau Ost seien zunichte ge-
macht worden. Da ist natürlich etwas dran. Aber da dieser
Satz auch vor der Semperoper und vor dem Dresdner
Zwinger gesagt worden ist, muss ich Folgendes feststel-
len: Gelebt und gearbeitet wurde in Dresden und an-
derswo auch schon vor 1990.
Ich denke, dass wir für diesen Wiederaufbau einen
neuen Ansatz brauchen. Wir brauchen nicht den Segen
von oben, wir brauchen keine Chefsache Flut. Die Men-
schen in den neuen Ländern wollen, dass Bedingungen
geschaffen werden, unter denen sie mit ihrer eigenen
Hände und Köpfe Arbeit für ihre Zukunft eintreten kön-
nen. Deshalb wird über vieles neu nachzudenken sein,
auch in der Umweltpolitik. Wenn wir in dieser Situation
nicht ernsthaft dafür sorgen, dass der Ausbau von Donau
und Elbe sofort gestoppt wird, wann wollen wir dann zur
Vernunft kommen?
Ebenso ist über einen wirksameren Katastrophen-
schutz nachzudenken. Da kann man – das werden Sie
jetzt wieder kritisieren– auch manches von der DDR ler-
nen. Es gibt eine ganze Reihe vergessener Hochwasser,
die nicht die allgemeine Aufmerksamkeit erregt haben,
beispielsweise das Harz-Hochwasser. Deshalb haben wir
unseren Aufruf überschrieben: „Aufatmen. Aufräumen.
Aufbauen. Gemeinsam. Für ein neues Aufbauwerk.“
Vielen Dank.