Meine sehr
verehrten Damen und Herren! Sehr verehrte Frau Präsi-
dentin! Dass jetzt einige Herrschaften den Saal verlassen,
ist symptomatisch dafür, mit welcher unglaublichen
Selbstherrlichkeit und Arroganz hier über Probleme hin-
weggegangen wird, die Sie selbst angerichtet haben.
Unser Mitgefühl gilt den Opfern der schlimmen Flut-
katastrophe. Ich selbst war als Innensenator der Freien
und Hansestadt Hamburg in unserer Partnerstadt Dresden
und habe mir ein Bild machen können einerseits von den
Verheerungen dort, andererseits aber auch von der Welle
der Hilfsbereitschaft auch unbeteiligter Personen, von der
Spendenbereitschaft und der enormen Tatkraft. Die Spen-
denbereitschaft, die Tatkraft und das Engagement müssen
selbstverständlich durch staatliche Hilfe ergänzt werden,
und zwar in einer Größenordnung, wie sie hier angedacht
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Roland Claus
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ist, nämlich in Höhe von mindestens 7 Milliarden Euro.
Darüber besteht kein Zweifel. Darüber besteht ein breiter
Konsens unter Demokraten.
Eine andere Frage, die mich und sehr viele Bürger um-
treibt, ist jedoch: Was ist aus Deutschland geworden, dass
die für die Hilfe nach der Flutkatastrophe benötigten
7 Milliarden Euro nicht anders aufgebracht werden kön-
nen als durch faktische Steuererhöhungen? Die Ver-
schiebung der Steuerentlastungsstufe für das Jahr 2003
trifft ausgerechnet die kleinen Leute, Arbeitnehmer und
Kleinbetriebe, und ist höchst unsozial für eine Partei, die
sich sozialdemokratisch nennt.
Die Wirtschaft wird hierdurch, wie bereits in der Vergan-
genheit, weiter erdrosselt. Wo sind eigentlich – diese Frage
erhebt sich in der Bevölkerung – die 50 Milliarden Euro
geblieben, die der Finanzminister aufgrund der UMTS-
Lizenzen bekommen hat?
Das waren sage und schreibe 50 Milliarden Euro. Waren
hierfür nicht sogar der Absturz der Telekomaktie und die
damit verbundene Schädigung von Millionen Klein-
aktionären in Kauf genommen worden?
– Ich beschäftige mich mit dem Thema der Notwendig-
keit, die Hilfe nach der Flutkatastrophe durch Steuererhö-
hungen zu finanzieren, die Sie ja als alternativlos angese-
hen haben.
Nach fast jährlich wiederkehrenden Katastrophen ver-
gleichbaren Ausmaßes wird die Hilfe in den USA ganz
selbstverständlich aus Überschüssen und Rücklagen fi-
nanziert. In den USA würde niemand auf die Idee kom-
men, nach verheerenden Waldbränden, Hurrikans oder
dem Ereignis des 11. September 2001 die Steuern zu er-
höhen und damit der Wirtschaft den Garaus zu machen.
Auf solche Ideen verfällt man nur hier.
Was ist aus Deutschland geworden, dass die benötigten
7,1 Milliarden Euro nur durch faktische Steuererhöhun-
gen finanziert werden können? Der Bundeskanzler sagte
vorhin, er glaube an die Kraft der Volkswirtschaft – der
Volkswirtschaft, die er selbst zugrunde gerichtet hat,
meine Damen und Herren. Wir haben in Deutschland das
geringste Wirtschaftswachstum und den höchsten Schul-
denberg in Europa.
Rot-Grün ist es gelungen, die schon vorhandenen Schul-
den um noch einmal 100 Milliarden Euro zu erhöhen.
Wenn wir noch die 50 Milliarden Euro aufgrund der
UMTS-Lizenzen dazurechnen, haben Sie in den letzten
vier Jahren 150 Milliarden Euro verpulvert.
Wir haben darüber hinaus – diese Bemerkung in puncto
Kraft der Volkswirtschaft, auf die sich Herr Schröder gerne
verlässt – die höchste Abgabenquote in ganz Europa. Es ist
errechnet worden, dass der durchschnittliche Mensch sage
und schreibe 56 Prozent seiner Arbeitszeit im Jahr nur für
den Staat aufwendet. Diese Zahl, 56 Prozent, lässt es natür-
lich vielen Bürgern unsinnig erscheinen, in diesem Lande
überhaupt noch einer geregelten Arbeit nachzugehen.
Sie sagen: Arbeit lohnt sich nicht mehr. Deswegen arbei-
ten viele von ihnen schwarz und beziehen gleichzeitig So-
zialhilfe. Deswegen haben wir eine Schattenwirtschaft
von 350Milliarden Euro. Dagegen wird nichts getan. Viel-
mehr werden die Umstände, die die geregelte, reguläre Ar-
beit unattraktiv machen, immer schlimmer. Dazu soll jetzt
auch die weitere Steuererhöhung ganz eindeutig beitragen.
Wie konnte es dazu kommen, obwohl doch die Men-
schen unseres Landes anerkanntermaßen zu den tüchtigs-
ten Europas gehören? Unsere tüchtigen Bürger klagen an,
auf welche verschwenderische Weise deutsche Politiker
in den vergangenen Jahrzehnten mit dem Geld umgegan-
gen sind. Unsere tüchtigen Bürger klagen zum Beispiel
diejenigen Politiker an, die sich darin gefallen haben, in
den letzten Jahrzehnten mit dem Kelch der Barmherzig-
keit, gefüllt mit deutschen Steuergeldern, durch die ganze
Welt zu ziehen und bei irgendwelchen Katastrophen die
betroffenen Menschen hierher zu holen. Jeder, der dage-
gen etwas gesagt hat, wurde als ausländerfeindlich- bzw.
als menschenunfreundlich diffamiert.
Jetzt wundert sich die ganze Welt, dass Deutschland noch
nicht einmal in der Lage ist, der in Not geratenen Bevölke-
rung aus eigener Kraft zu helfen, ohne die Steuer zu erhöhen
womit gleichzeitig die Leistungsfähigkeit der Wirtschaft
erdrosselt wird. Die ganze Welt wundert sich mittlerweile
darüber, was aus diesem Deutschland geworden ist.
Wir bilden das Schlusslicht in Europa, was Sie teilweise
zu verantworten haben.
Es hat in den letzten 30 Jahren eine massive Zuwan-
derung stattgefunden, die zulasten der Sozialkassen geht.
– Ich rede zur Sache. Es besteht nämlich aufgrund der Flut-
katastrophe die Notwendigkeit, die Steuern zu erhöhen.
Mit den Ursachen für diese Notwendigkeit sollten Sie sich
einmal befassen; denn Sie gehören zu den Verantwortli-
chen. – Wie gesagt, es hat eine Zuwanderung stattgefun-
den, die zulasten der Sozialkassen geht. Obwohl es eine
Verdoppelung der Zahl der Ausländer seit 1972, also in den
letzten 30 Jahren, gegeben hat – ich sage das in aller Deut-
lichkeit –, waren 1972 mehr ausländische Mitbürger er-
werbstätig als heute. Damals waren es 2,3 Millionen und
jetzt sind es nur noch 2 Millionen.
Was lernen wir daraus? – Wir lernen daraus, dass es
eine verdammt teure Entwicklung gewesen ist.
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Senator Ronald B. Schill
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Jetzt fehlen die nötigen Gelder für Hilfsmaßnahmen, die in
den USA bei vergleichbaren Katastrophen aus der Porto-
kasse finanziert werden. Wir haben uns etwa den Luxus
geleistet, in der Zeit des Bosnien-Bürgerkriegs doppelt so
viele Bosnier nach Deutschland zu holen wie sämtliche
Staaten der Europäischen Union zusammen. Da stellt sich
doch die Frage, ob die Regierungschefs anderer europä-
ischer Nationen unmenschlich waren oder ob nicht viel-
mehr die Politiker unseres Landes die Bedürfnisse der ei-
genen Bevölkerung mit Füßen getreten haben.
In den letzten Jahren wurden jedes Jahr über 10 Milli-
arden DM für Flüchtlinge in Deutschland ausgegeben.
Dieses Geld fehlt jetzt an anderer Stelle. Sehen Sie es end-
lich ein! Wer mir vorwirft, ich würde das Leid der Flut-
opfer gegen das Leid der Flüchtlinge ausspielen, dem
kann ich nur sagen: Nur ein Rabenvater lässt seine Kinder
darben, während er sich um unbekannte Gäste kümmert.
Sie haben in der Vergangenheit das Geld verfrühstückt
und haben es mit der Gießkanne über die ganze Welt ver-
teilt, sodass Deutschland diese Katastrophe nicht mehr
angemessen bewältigen kann.
Die tüchtigen Bürger unseres Landes klagen an. Sie kla-
gen die rot-grüne Regierung an, die ein Zuwanderungsge-
setz, allen besseren Einsichten zum Trotz, gegen den Wil-
len von 83 Prozent der Bevölkerung durchgepaukt hat, die
in diesem Gesetz ein Zuwanderungserweiterungsgesetz
sehen. Die Bürger lehnen dieses Gesetz insbesondere des-
halb ab, weil es die Ströme unkontrollierter Zuwanderung
in der Zukunft noch erweitern wird.
Da die Bundesregierung das weiß, hat sie 3 Milli-
onen Euro dafür aufgewendet – das ist ein weiterer Skan-
dal und vor dem Hintergrund der Flutkatastrophe besonders
peinlich –, um mit einer Briefkampagne der Bevölkerung
dieses Gesetz schmackhaft zu machen.
Diese 3 Millionen Euro wurden fünf Wochen vor der Bun-
destagswahl sozusagen für Wahlwerbung ausgegeben.
Wie wollen Sie den Menschen in Dresden erklären, dass
es Ihnen wichtiger ist, der Bevölkerung mithilfe der
3 Millionen Euro Ihr Gesetz schmackhaft zu machen und
dem Bürger Sand in die Augen zu streuen, als mit diesem
Geld dort zu helfen, wo es dringend gebraucht wird?
Die tüchtigen Menschen unseres Landes klagen an, dass
sie an den wichtigsten Entscheidungen nicht beteiligt wer-
den, dass sie faktisch entmündigt werden, wenn es um die
Fragen geht, ob Deutschland ein Einwanderungsland wer-
den soll oder ob es eine EU-Osterweiterung geben soll.
Ich besuche gelegentlich meine Freunde in Polen und
habe dieses Land auch schon einmal von der Westgrenze
bis zur Ostgrenze bereist. Dabei habe ich festgestellt, dass
dort die Infrastruktur mehr im Argen liegt als in der
ehemaligen DDR im Jahre 1989.
Deswegen stellt sich für den Bürger die Frage: Wie teuer
wird uns die Osterweiterung? Ruinieren wir uns damit als
Hauptnettozahler der Europäischen Union endgültig oder
schaffen wir es gerade noch? Aber der Bürger wird nicht
gefragt. Er hat keine Alternative. Deswegen muss es in
wichtigen Fragen, wie in anderen europäischen Nationen
üblich, endlich so etwas wie Volksabstimmungen geben.
Die tüchtigen Bürger dieses Landes klagen darüber
hinaus die Mitglieder auch dieses Hauses an, die sich
durch schwarze Kassen bereichern
und Korruption betreiben, beispielsweise in Nordrhein-
Westfalen bei der Vergabe von Baugenehmigungen für
Müllverbrennungsanlagen; die Namen Trienekens und
Wienand haben traurige Berühmtheit erlangt. Sie klagen
auch die Bonusmeilenmentalität, die der eine oder andere
hier kennen gelernt hat, an.
Die tüchtigen Menschen dieses Landes, die jetzt nicht
verstehen können, warum die Flutkatastrophe nicht durch
Rücklagen finanziert werden kann, klagen auch an, dass
in den 70er-Jahren ein Strafvollzugsgesetz geschaffen
worden ist, welches an der menschlichen Wirklichkeit
vorbeigeht, da ja bekanntermaßen nicht jeder Mörder,
Vergewaltiger und Räuber resozialisierbar ist. Dieses
Strafvollzugsgesetz hat dazu geführt, dass jeder Krimi-
nelle einen Anspruch auf eine Einzelzelle hat. Erklären
Sie das einmal den Menschen auf der Straße, die sich als
AOK-Patienten ihr Krankenzimmer mit anderen Kranken
teilen müssen! Erklären Sie das einmal den jungen Wehr-
pflichtigen, die sich ihre Stube mit anderen Wehrpflichti-
gen teilen müssen! Erklären Sie einmal den Menschen auf
der Straße, dass im hessischen Weiterstadt für 400 Gefan-
gene eine Strafanstalt mit Schwimmbad und sonstigem
Komfort für 300 Millionen DM gebaut worden ist!
Erzählen Sie das doch einmal gegen besseres Wissen und
durch ideologische Verblendung begünstigt! Jeder Haft-
platz kostet pro Monat 3 000 Euro.
– Das hat in der Hinsicht damit zu tun, dass die Kassen in
Deutschland jetzt leer sind und wir deswegen nicht in der
Lage sind, die Flutkatastrophe zu bekämpfen und mit Mit-
teln zu sanieren, die eigentlich in Hülle und Fülle vorhanden
sein müssten angesichts der tüchtigen Bevölkerung, die sich
abrackert. Dafür müsste das Geld zur Verfügung stehen.
Die tüchtigen Menschen klagen auch Herrn Gerhard
Schröder an, weil er zur nächsten Wahl noch einmal an-
tritt, obwohl er gesagt hat, wenn es ihm nicht gelinge, die
Arbeitslosenzahlen auf unter 3,5 Millionen zu senken,
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dann habe er es nicht verdient, wiedergewählt zu werden.
Wie kann jemand, der so etwas formuliert, jetzt die Un-
verschämtheit besitzen, hier wieder anzutreten?
Er schiebt es gern auf weltwirtschaftliche Faktoren; das
habe auch ich schon begriffen. Das ist aber vor dem Hin-
tergrund, dass er seine Politik der ruhigen Hand bloß hätte
einschlafen lassen müssen und die Arbeitslosenzahlen
wären automatisch auf unter 3,5 Millionen gesunken, un-
glaublich. Denn demographisch wäre das zwangsläufig
der Fall gewesen. Wir haben in den letzten zweieinhalb
Jahren 600 000 ältere Arbeitnehmer mehr, die pensioniert
worden sind, als Neuzugänge. Allein aufgrund dessen
wäre ohne das Zutun des Kanzlers ein Abbau der Arbeits-
losigkeit möglich gewesen. Der Kanzler hat Arbeitsplätze
in Millionenhöhe gezielt vernichtet.
Durch vier Maßnahmen hat Bundeskanzler Schröder
mit seinen Grünen und seinen Roten etwa 1 Million Ar-
beitsplätze völlig ohne Not vernichtet: erstens durch die
Abschaffung der so genannten 630-Mark-Jobs,
zweitens durch eine völlig unsinnige Regelung zur
Scheinselbstständigkeit,
drittens durch eine wachstumsfeindliche Ökosteuer und
viertens durch eine Ausweitung des Kündigungsschutzes.
Das hat 1 Million Arbeitsplätze gekostet. Aber das war
ihm der Spaß offenbar wert.
Auch durch die Finanzierung der Differenz zwischen
3,5 Millionen und 4 Millionen Arbeitslosen sind enorme
Kosten entstanden. Das ist Geld, das jetzt natürlich fehlt.
Nun fällt ihm wieder nichts Besseres ein, als angesichts
dieser nationalen Katastrophe die Steuern zu erhöhen.